Das Musikgymnasium Schloss Belvedere in Weimar: Geschichte Und Gegenwart 9783412205560, 3412205567

Oberhalb der Klassikerstadt Weimar liegt inmitten eines weiten Parks das Musikgymnasium Schloss Belvedere. Ein Historie

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Das Musikgymnasium Schloss Belvedere in Weimar: Geschichte Und Gegenwart
 9783412205560, 3412205567

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Das Musikgymnasium Schloss Belvedere in Weimar

Reinhard Schau

Das Musikgymnasium Schloss Belvedere in Weimar Geschichte und Gegenwart

2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die



Den „Belvern“ aller Generationen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Das Schulgebäude des Musikgymnasiums. Foto: Gerold Herzog.

© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20556-0

„O Sprengen des Gartens, das Grün zu ermutigen!“ Bertolt Brecht

Inhalt

Grußwort der Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen, Christine Lieberknecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I

1949–1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Stadtpfeifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

II 1951–1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Della Guardia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

III 1952–1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Vorklassen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

IV 1953–1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Orchesterschule mit Schülerheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

V 1954–1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Nachkriegsvisionen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Chronist .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

VI 1958–1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 „Oh Donna Clara“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

VII 1965–1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Inhalt

7

Fahnenappell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

VIII 1980–1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Gitarre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

IX 1989–1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Orchester .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

X

1991–1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Namen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Quellen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Zeitzeugen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

XI

1996–2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsnachweis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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Grußwort der Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen, Christine Lieberknecht

Liebe Leserinnen und Leser, Thüringen ist ein Land mit unermesslichen kulturellen Schätzen und Reichtümern – auch mit bedeutenden musikalischen Traditionen. Dieses reiche Erbe müssen wir bewahren und vor allem der jungen Generation als lebendigen Bestandteil unserer Kultur vermitteln. Denn Musik ist etwas Wunderbares. Richard Wagner nannte sie „die Sprache der Leidenschaft“, Arthur Schopenhauer bekannte: „Musik ist die Melodie, zu der die Welt der Text ist.“ Und für Ludwig van Beethoven war sie „eine höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“. In der Tat: Musik begleitet und bereichert unser Leben. Sie inspiriert, stiftet Besinnung, baut Brücken zwischen Nationen, öffnet neue Horizonte und setzt Bildungsprozesse in Gang. Das wissen die Schülerinnen und Schüler des Musikgymnasiums Schloss Belvedere Weimar, ihre Professoren, Lehrer, Erzieher und Eltern wohl am besten. Ihnen allen ist dieses Buch gewidmet. Der langjährige Leiter des Studiotheaters Belvedere, Professor Dr. Reinhard Schau, hat damit eine bemerkenswerte Dokumentation geschaffen. Eine Text- und Bilddokumentation, die authentisch und überzeugend die Geschichte und Gegenwart einer musikalischen Talentschmiede lebendig werden lässt. Einer außergewöhnlichen Thüringer Schule, deren Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Ich danke dem Autor, aber auch dem Böhlau-Verlag und der Deutschen Bank für dieses gelungene Werk. Gern gebe ich dem Buch meine guten Wünsche mit auf den Weg – zumal ich der Schule seit vielen Jahren eng verbunden bin. Als damalige Thüringer Kultusministerin erinnere ich mich noch gut an die Gespräche, in denen Professoren, Lehrkräfte und Eltern leidenschaftlich, entschlossen und unterstützt von bedeutenden Persönlichkeiten des Musiklebens im In- und Ausland um den Erhalt der Schule kämpften. Und ich erinnere mich ebenso gut an die zahlreichen Beratungen und Debatten, die folgten. Gemeinsam können wir stolz sein auf das, was uns gelungen ist: Die Spezialschule für Musik wurde zum Musikgymnasium unter Trägerschaft des Freistaates Thüringen. Die gesamte Instrumentalausbildung hat die Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar übernommen. Das war eine kluge und weitsichtige Entscheidung!

Grußwort

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Das Musikgymnasium Schloss Belvedere ist eine große Bereicherung der Thüringer Kultur- und Bildungslandschaft – ein Juwel unseres Kulturlandes. Ein wohlklingender Beleg dafür sind die zahlreichen Auszeichnungen und Preise, die die Schüler und Absolventen der Schule erhalten haben. Sie zeigen, wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche entsprechend ihren Fähigkeiten, Stärken und musischen Neigungen frühzeitig und gezielt zu fördern. Deshalb danke ich allen, die am Musikgymnasium Verantwortung getragen haben und tragen. Insbesondere auch der Deutschen Bank, die mit ihrem beeindruckenden Engagement mehr als „nur“ den Neubau des Musikgymnasiums ermöglicht hat. Sie ist auch heute noch ein wichtiger und zuverlässiger Partner der Schule. Der französische Schriftsteller François de La Rochefoucauld stellte bereits im 17. Jahrhundert fest: „Die Natur gibt dem Menschen seine Fähigkeiten, und das Glück bringt sie zur Wirkung.“ Ein solches Glück ist für musikalisch Hochbegabte das Musikgymnasium Schloss Belvedere in Weimar. Der Freistaat Thüringen ist stolz auf diese Schule, auf ihre Schülerinnen und Schüler und auf die Künstlerinnen und Künstler, die sie hervorgebracht hat. Ich wünsche dem Musikgymnasium Schloss Belvedere viele weitere erfolgreiche Jahre und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Freude mit dieser interessanten Publikation.

Christine Lieberknecht Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen

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Grußwort

Einleitung

Keimen – knospen – erblühen – treiben – entfalten – befruchten – reifen – züchten – grünen – veredeln: Dieselben Begriffe umkreisen metaphorisch Vorgänge beim Wachsen von Pflanzen wie von Menschen. Kindergarten – Pflanzstätte – Baumschule – Bildungsstätte: Namen benennen Orte, an denen junge Pflanzen, junge Menschen heranwachsen, Nachwuchs sich entwickelt. Ergiebiger Erdboden – reiche Bewässerung – liebevoll beobachtende, wissend begleitende, gewaltfrei lenkende Gärtner: Unabdingbar sorgen diese Voraussetzungen dafür, dass die Saat aufgehen, Früchte tragen kann. Klug dosiertes Gießen: Notwendig ergänzt es die natürlichen Wasserspender, den Regen und die Feuchte des Erdreichs. Zahllose Adern durchziehen, den Blicken verborgen, den Untergrund, lagern Nährstoffe ab, bereichern die Fruchtbarkeit des Bodens.

Am 10. Oktober 1483 wird der Bergmannssohn Martin Luther in Eisleben geboren. Kurrendesänger in Magdeburg, Lateinschüler in Eisenach, Student, dann Priester in Erfurt, Professor und Prediger in Wittenberg, löst er mit seinem Thesenanschlag am 31.Oktober 1517 die weltbewegende protestantische Reformation aus. Mit Predigten, Kampfaufrufen, Gebeten und eigenen Liedern nimmt er an theologischen Streitgesprächen und sozialen Kämpfen teil; die Wege führen ihn immer wieder über und nach Weimar. Sein Lebenskreis schließt sich mit dem Tod am 18. Februar 1546 in Eisleben, der Lutherstadt. Am 21. März 1685 erblickt Johann Sebastian Bach, Musikerkind, Spross der „Bache“, einer in ganz Thüringen wirkenden Dynastie von Stadt- und Hofmusikern, Organisten und Komponisten, in Eisenach das Licht der Welt. Die Begabung wird über Generationen vererbt, Musik als Handwerk zuerst in den Familien gelernt. 1703 und von 1708 bis 1717 dient Johann Sebastian als Violinist und Konzertmeister am Weimarer Hof. Auch die in Weimar 1710 und 1714 geborenen Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel erhalten erste Unterweisungen durch den Vater. Der Jüngere wird mit dem „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“ eines der bedeutendsten musikalischen Lehrwerke des 18. Jahrhunderts verfassen. Ahnherr Veit Bach, ein Weißbäcker zu Wechmar, nahe Gotha, hatte auf seinen Gesellenwanderungen durch Osteuropa „im 16. Seculo der lutherischen Religion halber aus Ungern entweichen müssen“, schreibt der berühmte Ururenkel; „er hat sein meistes Vergnügen an einem Cythringen gehabt, welches er auch mit in die

Einleitung

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Mühle genommen und währendem Mahlen darauf gespielet.“ Das Cythringen ist eine kleine entfernte Verwandte der Gitarre. Am 24. März 1756 betritt frischvermählt Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar zum ersten Mal den Boden ihrer Residenz. Keine zweieinhalb Jahre später wird die gerade achtzehnjährige Witwe vor der Aufgabe stehen, als Regentin über das kleine arme Land und als Alleinerziehende für zwei Söhne die Verantwortung zu tragen. Bildung den Kindern aus allen Schichten zu bieten, nicht nur den eigenen Söhnen, betrachtet sie als eine ihrer wichtigsten Pflichten. In kaum drei Jahrzehnten gelingt es ihr, Wieland, Goethe, Herder und Schiller an den bescheidenen Hof zu ziehen. Weimar empfängt nicht nur aus deutschen Landen zahllose Besucher, Bewunderer und Neider. Von Reisen durch das Musikland Italien zwischen 1788 und 1790 bringt die Musikenthusiastin und Komponistin Anna Amalia nachhaltig prägende Eindrücke von Konservatorien und Gesangsschulen mit – und „die erste Guitarre“, „sie galt damals als ein neues italienisches Instrument.“ Am 22. Oktober 1811 wird in Doborján, einem Nest in der österreichisch-ungarischen Monarchie, den Eheleuten Adam und Maria Anna Liszt ein Sohn geboren. Der Vater, ein musikliebender Rentmeister, unterrichtet den kleinen Ferenc im Klavierspiel. Mit dem ersten öffentlichen Konzert des Neunjährigen in Sopron beginnt die Künstlerlaufbahn von Franz Liszt. Sie führt das zehnjährige Wunderkind nach Wien zu systematischem Unterricht bei Carl Czerny, dem Beethovenschüler. Sie führt den Zwölfjährigen nach Paris, das ihm ein Studium am Konservatorium versagt, weil er kein Franzose ist. Sie führt den autodidaktisch sich bildenden faszinierenden Pianisten nach England und in die Schweiz. Sie führt den jung Gereiften auf Konzertreisen durch ganz Europa, umjubelt, gefeiert als berühmtester Virtuose seiner Zeit. Sie führt den Freund und Verehrer von Heine und Paganini, von Chopin, George Sand und Victor Hugo, dem längst das Komponieren wichtiger geworden ist als das Konzertieren, nach Weimar – 1841 für wenige Tage, in den nächsten Jahren regelmäßig, ab 1848 für zehn Jahre an festen Wirkungsort. Der Komponist, der Dirigent Franz Liszt prägt das Musikleben der Residenz. Das Genie Franz Liszt zieht die Elite der europäischen Musiker in sein Haus, die Altenburg. Der Virtuose, der Pädagoge Franz Liszt unterrichtet eine Schar pianistisch Hochbegabter aus ganz Europa, erst in der Altenburg, bei späteren Weimaraufenthalten in seiner Wohnung in der Hofgärtnerei, häufig ohne Honorar. Ihre Entfaltung ist sein Lohn. Der Orchestererzieher Franz Liszt leidet unter dem instrumentalen Ungenügen, verzweifelt an der musikalischen und allgemeinen Unbildung der Hofkapellisten.

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Einleitung

Der Kulturpolitiker Franz Liszt fordert eine umfassende musikalische Nachwuchsausbildung. Im Jahre 1865 wird auf Vorschlag von Franz Liszt, dem Musikorganisator, Carl Müllerhartung, Kantor und Seminarleiter in Eisenach, als Musikprofessor nach Weimar berufen. Er hat ein klares Konzept entwickelt, das den Visionen von Liszt Struktur und Gestalt gibt. Beginnend mit dem 24. Juni 1872 kann er es mit der „Großherzoglichen Orchesterschule“ verwirklichen. Diese Lebensadern, verflochten mit zahllosen anderen, durchziehen das Erdreich, auf dem der Organismus „Musikgymnasium Schloss Belvedere“ gründet. Sie haben Gedanken und Visionen, Erkenntnisse, Entwürfe und Irrtümer, Hoffnungen und Zweifel in diesem Boden abgelagert. Die Leser sind eingeladen, die Geschichte dieses Organismus zu verfolgen und sein Porträt, aus Puzzleteilen zusammengesetzt, zu betrachten, wie es sich in der Gegenwart des Jahres 2010 darstellt. Als Dreingabe wird ihnen angeboten, über „Exkurse“ auf Seitenpfaden zu wandern, die auf den Hauptweg der Geschichte hinführen, parallel zu ihm verlaufen, ihn heller beleuchtend durchziehen.

Einleitung

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I 1949–1951

Gründung Die Aula der Eisleber „Staatlichen Luther-Schule“ füllt sich langsam. Für einen Montagvormittag sind die Besucher auffällig feierlich gekleidet. Schwarze Anzüge bestimmen das Bild, dunkle Röcke und Kleider, dazu aber farbige Schlipse, buntgemusterte Blusen, also keine Trauerfeier. Heiterkeit aber strahlen sie auch kaum aus, zumindest nicht die Erwachsenen. Verlegen sehen sie sich um. Der Raum wirkt streng, eine Höhere Schule, fremd den meisten. Unbefangener geben sich die wenigen jungen Mädchen, um die fünfzehn, sechzehn, in gestärkten Blusen, besorgt um die neuen Seidenen aus dem Westen. Kichernd stöckeln sie durch den Mittelgang, herausfordernd beim Vater eingehakt, unsicher an die Mutter geklammert. Anders die jungen Männer, manche sind es schon, manche tun nur so. Sie demonstrieren Selbstbewusstsein, Hände in den Hosentaschen. Auch wenn die Anzüge nicht immer passen, vom Onkel geerbt sind, vom Cousin gepumpt, wissen und zeigen sie: um uns geht es heute. Um sie und, richtig, um Musik. Vom Podium Bach, das a-Moll-Violinkonzert. Konzertmeister Brauer spielt, Kapellmeister Reuss begleitet. Ihre schwarzen Anzüge glänzen hier und da deutlich, Berufsbekleidung eben. Also ein Konzert. Am Montagvormittag um zehn? Es ist doch kein Jubiläum, kein Gedenktag, einfach Montag, kein besonderer Tag also doch wohl. Doch, dieser Montag ist ein besonderer Tag, jedenfalls für die hier Versammelten, die Jungen und die Älteren, erst recht die ganz Alten, wohl Oma und Opa, für die in den hinteren Reihen, wie für die ganz vorn, egal ob mit oder ohne Parteiabzeichen. Hiermit und heute wird Eisleben Sitz der ersten, von der Landesregierung in Sachsen-Anhalt zugelassenen Musikfachschule. Zu einem besonderen Tag gehört selbstverständlich ernste Musik. Für viele ist es die erste Begegnung mit Bach. Da kann es schon geschehen, dass die Gedanken wandern. Die erste Schule für Kunst in Eisleben!, denkt stolz Genosse Mohr, der Leiter des Volksbildungsamtes im Mansfelder Seekreis. Eine Bergschule gibt es hier schon seit 1798. Vor dem Kriege galt sie als eine der modernsten Höheren Technischen Lehranstalten in Deutschland. Das ist nicht verwunderlich in einer Gegend, in der seit über siebenhundert Jahren Kupfer aus dem Berg geholt wird. Nun also Musik; das ist die neue Zeit! 14

1949–1951

Jetzt geht’s los! strahlt triumphierend der hochaufgeschossene Bursche mit dem Bartflaum auf der Oberlippe, ein gelbes Tuch guckt kess aus der Brusttasche. Er lässt keinen Blick von dem südländisch aussehenden schlanken Mann vorn in der Mitte, seinem Vorbild: Hans Della Guardia. Der leitet das Eisleber Tanz- und Unterhaltungsorchester, das ETU eben, ein Orchester der Sonderklasse. Den kennt hier jeder. Nicht nur hier, bis Halle und Weißenfels, bis Dessau und Naumburg. Bei dem wird er lernen. Er will mindestens so gut werden wie der, herumkommen wie der. Oder weiter, bis Leipzig, bis Westberlin. Morgen geht’s los! Bach … Johann Sebastian Bach … – ein Zarter, Blasser, ein Kind fast noch, lauscht, die Augen geschlossen. So nah hat er Bachs Musik noch nie gehört. Beim Gottesdienst die Orgel ist weit weg. Vor ein paar Monaten hat er erste Versuche auf einer Geige gemacht. Der Vater hatte sie gegen Zigaretten, „Sorte I“ für ihn eingetauscht. Gleich, wenn ich die Achte hinter mir habe, muss ich auf diese Schule gehen! Ich will musizieren, nicht kratzen … Bach … Johann Sebastian … Warum will das Kind nur solche Musik lernen? grämt sich die kräftige Frau in der letzten Reihe. Dir gefällt das wohl? stupst sie die Tochter an. Die kriecht in sich hinein. Nur weg von zuhause. Weg vom Dorf. Egal, was draus wird. Der Lehrer sagt immer, ich kann so schön singen. Irgendwas mit Musik werd ich schon lernen. Nur weg von zuhause, weg vom Stall! Kräftiger Beifall ruft in die Gegenwart zurück. Ein seriöser Fünfzigjähriger mit wehend weißer Mähne schreitet zum Pult, breitet Blätter aus – Professor Erich Gottschalk, Kapellmeister aus Weißenfels. Er soll die Schule leiten. Die beeindruckende Rede, klangvoll vorgetragen, ist voll seltsamer Begriffe – „mentaler Verzicht“ „Volkskörper“, „autonome Innergesetzlichkeit“. Trotz allen Mühens gelingt es kaum einem, dem geschwollenen Pathos zu folgen. Doch dann hören alle zu. Der Professor wird konkret, spricht über reale Raumpro-

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Unterrichtsgebäude in Eisleben Staatliche Luther-Schule „Hans-Seidel-Heim“ Gaststätte „Gerichtslaube“ (von oben nach unten)

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bleme: „Wenigstens dürfte keine Meinungsverschiedenheit darüber bestehen, dass die Errichtung einer eigenen, in die Frische und Anmut einer ländlich-gärtnerischen Natur gebetteten Bildungsheimstätte dem Geist der neuen Anschauung die sinnigste Verkörperung gäbe. Der starke Reiz dieser nicht bloß romantischen Vorstellung möge den Willen zu ihrer Verwirklichung zu einem Vorhof baldiger Handlungen werden lassen und die Opferbereitschaft dazu auch fernerhin in der Weise entzügeln, wie sie bei der Gründung der Schule so vorbildlich am Werke war.“1 Lange Schachtelsätze – aber eine faszinierende Vision, nicht nur an diesem Tag. Es ist der 12. September 1949. Die „Freiheit“, Organ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands für das Land Sachsen-Anhalt, titelt auf Seite 1: „Gewaltiges Kampfgelöbnis für den Frieden – 350 000 im Berliner Lustgarten“. Der Kulturteil bringt Beiträge „Zum Tode von Richard Strauß“ und zum Dokumentarfilm „Die Stalingrader Schlacht“. Auf der Eisleber Lokalseite lädt das „Theater des Mansfelder Landes“ ein: „Wir machen Musik“. Es ist ein symbolischer Willkommensgruß, wenn auch mit stark reduziertem Orchester. Im Anzeigenteil werden drei Klaviere zum Verkauf angeboten (1.300 / 900 / 850 DM ), dazu eine Klaviervermietung.2 Am 13. September kommentieren Schlagzeilen das Zusammentreten des Parlamentarischen Rates in Westdeutschland: „Bonner Verrat vollendet“ – „Westdeutsche USA-Kolonie“ – „Wahlkomödie erhebt Prof. Heuss zum Obersten der westdeutschen Quislinge“. Anzeigen locken zu Jubiläums-Tanz-Abenden zum zweijährigen Bestehen des „ETU, Orchester der Sonderklasse“ in Eisleben, Helfta, Hettstedt.3 Am 14. September meldet „Unsere Kulturecke“ auf der Eisleben-Seite „Gründung einer Musikfachschule“.4

Erste Stolperschritte Der 15. September 1949 gilt bei den „Schulanfängern“ – vierzig jungen Männern, vier jungen Frauen – als Tag des Tätigkeitsbeginns Durch ihre privaten Instrumentallehrer, Zeitungsinserate und Flüsterpropaganda hatten sie in den Sommermonaten von der geplanten Schulgründung erfahren, hatten vor einer improvisierten Prüfungskommission Erwartungen entwickeln und ihr musikalisches Talent darstellen können. „Eine strenge Auswahl konnte nicht getroffen werden, es galt ja, die Schule erst einmal zu füllen. Man war froh, dass überhaupt welche kamen. Auch diejenigen, die keinerlei instrumentale Vorkenntnisse mitbrachten, wurden aufgenommen.“5 So kommentiert ein Chronist Verfahren und Ergebnisse dieser ersten Prüfungen. Entsprechend gemischt ist die Schar, die sich an diesem Tag erwartungsfroh im Saal der „Gerichtslaube“ zur Stundeneinteilung einfindet.

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1949–1951

Da ist der gelernte Buchhalter, Jahrgang 1922, der nach Ostfronteinsatz und Gefangenschaft endlich Regeln lernen will, um die Musik, seine große, noch unerwiderte Liebe, so souverän zu beherrschen wie die Abrechnungen, denen er entfliehen will. Daneben übt stumm ein Fünfzehnjähriger auf dem Notendeckel Passagen aus Beethovens C-Dur-Klavierkonzert. Hinter dem Abiturienten, der sich im System „Eigenbau“ auf verschiedenen Instrumenten Tricks ausgedacht hat, reich sprudelnde Einfälle „genial“ auszudrücken und der hier das Sprudeln kultivieren will, sitzt schüchtern ein Mädchen, das seit Jahren zur Geigenstunde geht und sich ein Leben ohne strebsames Üben nicht vorstellen kann. Dazwischen machen sich kesse Burschen breit, die jedes Wochenende auf den Dörfern Tanzmusik machen, für’s „Strippen“ aber einen Berufsausweis brauchen, so wie Familienväter, die es ihnen gleichtun, um Frau und Kinder zu ernähren. Überhaupt zieht es die meisten zur Tanz- und Unterhaltungsmusik. Unterrichtswünsche zielen vorherrschend auf Klarinette, Saxophon, Trompete, Posaune, Schlagzeug; Violine erscheint eher als notwendig nützliches Nebeninstrument. Cello und Flöte sind Exoten. In einer anderen Ecke diskutieren heftig die Lehrer, ausnahmslos Männer, darunter Direktor Professor Gottschalk und Hans Della Guardia. Einige von ihnen gehörten bis vor kurzem noch dem Theaterorchester an. Als nach einem Konkurs eine Fusion das Theater durch Stellenabbau retten sollte, waren sie froh gewesen, in der neuen Schule ein sicheres Unterkommen zu finden.6 Unter acht hauptamtlich Angestellten und elf Nebenberuflern sind nicht wenige, die noch nie unterrichtet haben. Unsicherheiten der einen werden vom Selbstbewusstsein anderer beiseite gewischt. So schwierig kann das doch nicht sein. Man hat doch Erfahrungen. Was man vormacht, müssen sich die Schüler abgucken – zuhören, hinsehen, und dann üben, üben, üben. Aber wo soll unterrichtet werden? Und wann? Das ist das Thema der erregten Gespräche. Die „Berufsvollschule für Musik“7 ist in die Lutherschule als Untermieter eingewiesen worden. Deren Aula bot der Gründungsfeierlichkeit für zwei Stunden repräsentativen Raum. Das war vorgestern. Ab heute gilt Alltag. Instrumentalunterricht und Orchesterspiel sollen in ihren Klassenzimmern und in denen der Mädchenschule stattfinden. Das geht nur, wenn gerade kein Schulunterricht ist, also nur in späten Nachmittagsstunden; denn die Schulen sind überbelegt. Zudem müsste dann extra geheizt werden; das geben die schmalen Rationen an Brennmaterial nicht her. Für Klavier – Pflichtfach für alle – existiert ein einziger instrumentenbestückter Musikraum. Und wo soll Musiktheorie unterrichtet werden, wo Gehörbildung? wo vor allen Dingen die Bildenden Fächer, das entscheidend Neue an dieser Ausbildung? Sie legt „besonderen Wert auf höhere Allgemeinbildung, … im Gegensatz zu den Unterrichts- und Erziehungsmethoden der … Lehrlingsorchester und Stadtpfeifereien“.8 Der Entwurf sieht Deutsch, Geschichte, Gegenwartskunde,

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Erdkunde, Rechnen und Algebra, Biologie, Physik und Russisch vor, zusammen 14 Wochenstunden.9 Dieser Unterricht soll hier abgehalten werden. Hier, im Tanzsaal der „Gerichtslaube“? Nicht nur der einzige dafür – als Nebenamtler – eingestellte Lehrer kann sich das bei allem Aufbauoptimismus an diesem ersten Schultag schwer vorstellen. Tische, Bänke, Stühle stehen unaufgeräumt herum. Aus Küche und Lokal dröhnt schallendes Lachen, dringen Rufe von Gästen und Personal. Dünste des gestrigen Vereinsabends hängen schwer zwischen den bunten Girlanden. Trotz – oder wegen? – aller Versorgungsmängel der Nachkriegsjahre ist das Bedürfnis der Menschen nach Geselligkeit, nach Gemeinschaft groß. Der Saal ist fast jeden Abend vergeben. Wenn nicht geschunkelt wird, finden Versammlungen statt, gehäuft in diesen Wochen. Nach der westdeutschen Staatsgründung bereiten sich SED und die bürgerlichen Parteien, FDGB und DSF auf die Gründung eines deutschen Staatsgebildes in der sowjetischen Zone vor. Da kann es dann jeden Morgen so aussehen und riechen wie heute. Hans Della Guardia lässt keine pessimistischen Nörgeleien aufkommen, bei Lehrern nicht noch bei Schülern, schon gar nicht bei Direktor Gottschalk, der es seinem Stellvertreter nur zu gern überlässt, die Mühen der Ebene zu bewältigen: Sofort wird er mit dem Wirt ein energisches Wort sprechen. Am Nachmittag wird er bei den Verantwortlichen von Stadt und Kreis wieder Klinken putzen und um weitere Räume kämpfen. Am Abend wird er für den Instrumentalunterricht in den beiden Schulen einen exakten Plan ausarbeiten, der hängt morgen früh im Büro. Lesen muss jeder selbst. Wer genügend Wohnraum hat, muss zuhause unterrichten. Della Guardia weiß, was er verlangt. Zuhause, das ist – für Schüler wie Lehrer – nicht nur Eisleben. Das sind Dörfer, zehn, fünfzehn Kilometer entfernt. Da kommt man im besten Fall mit der Bahn hin, auch mit dem Holzkohlebus, wenn der einmal keine Panne hat, im Glücksfall per Anhalter, garantiert mit dem Fahrrad. Damit fährt auch er selbst nach Helbra, dem eigenen Zuhause. Notfalls kann er die acht Kilometer aber auch laufen.

Expositur Sangerhausen Der Bummelzug braucht für die zwanzig Kilometer zwischen Eisleben und Sangerhausen normalerweise eine gute Stunde. Aber was ist 1949 schon normal bei Kohlemangel, Lokdefekten und demontagebedingt eingleisigen Strecken? Für etliche Neue ist Sangerhausen das Zuhause. Sie brauchen jedoch nicht täglich zu pendeln. Zur „Berufsvollschule für Musik Eisleben“ zwar offiziell gehörend, stellen die

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2 Zeitungsartikel über die Gründung

acht Lehrer und das gute Dutzend Schüler etwas Besonderes dar: die „Expositur Sangerhausen“. Das klingt nicht nur besser, finden sie, das ist besser. Denn die Ausbildung junger Musiker besitzt hier eine lange Tradition, in festen Räumen, straff organisiert. „Stadtpfeife Fritz Beinroth“ – in Stadt und Umland Sangerhausen über Jahrzehnte in bezug auf Musik ein Begriff.10 Die Älteren unter ihnen erinnern sich noch, wie die Lehrlingskapelle als „Bannmusikzug der HJ“ durch die Stadt gezogen war. Sie erinnern sich auch, wie „Preußens Gloria“ wieder durch Mendelssohns „Hochzeitsmarsch“ ersetzt wurde. Die Ältesten hatten bald nach Kriegsende den Weg zur Stadtpfeife Beinroth gefunden. Sie wollten Tanzmusik lernen. Auf den Dörfern kam langsam wieder Leben in die Wirtschaften. Da wurde Musik gebraucht. Gage in Naturalien beschwichtigte den knurrenden Magen, lieferte zudem lohnende Tauschware. Mitten hinein in die gut geschmierten Tauschgeschäfte „Musik gegen Kartoffeln“ waren Gerüchte aufgekommen, die Landesregierung in Halle habe etwas gegen die guten alten Stadtpfeifen. Die neue Zeit, die jetzt angebrochen sei, brauche neue Musiker. Die sollen über ihr Instrumente hinausgucken können, über die Notenpulte hinweg. In die Weite des Lebens. In die Tiefe der Musik, die Gedanken zwischen, unter den Noten. Wozu? Das Geschäft lief doch wieder. Anfang 1949 verdichteten sich Gerüchte zur Gewissheit: die Stadtpfeife wird abgeschafft, als Ersatz eine „Musikfachschule“ in Eisleben gegründet, mit Außen-

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stelle in Sangerhausen. Fritz Beinroth kann weitermachen; der Privatunternehmer wird zum Angestellten, der Lehrling zum Schüler. „Stadtpfeife Beinroth“ oder „Expositur Sangerhausen“ – der Name ist egal, den hatte man, wie die Farbe, schon einmal gewechselt; Hauptsache, die Tradition bleibt erhalten. Auf die sind sie stolz, Lehrer wie Schüler, Neue aus Artern oder der alte Stamm aus der Rosenstadt. „Expositur Sangerhausen“: das klingt nicht nur besser, das ist besser, finden sie.

Bilanz im Büro „Fachschule für Musik Lutherstadt Eisleben – Berufsvollschule – Direktorat“. Auf die Tür geschraubt ein blankgeputztes Emailleschild, Gründungsgabe eines heimischen Handwerkers, sehr repräsentativ. Hinter der Tür dann abgenutzte Möbel, ein langer Tisch, eng von Holzstühlen umstellt; zwischen Kanonenofen und Rollregal vor dem winzigen Fenster ein papierübersäter Schreibmaschinentisch. Das also ist das Zentrum von Leitung und Verwaltung, von pädagogischen Visionen und künstlerischen Höhenflügen. Gegenüber gelegen dem „Sekretariat“ der Gründungsphase, einer ehemaligen Eisdiele, zu betreten einzig durch den Bäckerladen von „Café Ackermann“, soll dieses neue Domizil in der Marktstraße, von der Volkshochschule großmütig zur Untermiete abgetreten, einen Fortschritt bringen. Anspruch und Wirklichkeit – heute empfindet Hans Della Guardia den Widerspruch als besonders krass und quälend. Heute geht das erste Schuljahr zuende. Er bilanziert. Problemkreis „Raummangel“: Die Fachschule verfügt über keine eigenen Räume. Nutzungsangebote anderer Organisationen entpuppen sich als Danaergeschenke. Gruppenunterrichte in musiktheoretischen Fächern: höchst unregelmäßig. Luther- und Mädchenschule geben ihre Räume nur sporadisch frei. Heizmaterial ist selbst zu besorgen. Klassenunterrichte in allgemeinbildenden Fächern: weitgehend unzumutbar. Die „Gerichtslaube“ bietet zu Geräuschen und Gerüchen die stete Versuchung, Unterrichtsgespräche an die Theke zu verlegen. Sperren wegen Quarantäne oder Brennstoffmangels torpedieren jede Kontinuität. Das FDJ-eigene „Hans Seidel-Heim“ bietet zur Auswahl einen Großen Saal, in dem sich die Schüler verlieren oder ein Sitzungszimmerchen, in dem sie übereinander sitzen. Zuletzt war das Haus für Delegationen zum III. Parlament der FDJ gesperrt; das brachte vier Wochen Ausfall. Jetzt in der warmen Jahreszeit weicht man in den Garten der HO-Gaststätte aus; bei den Preisen sind Gäste selten.

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Instrumental-Einzelunterrichte: nach Verabredung in Räumen der Lutherschule oder in den Wohnungen von Lehrkräften und Schülern. Üben: zuhause. Auch dieses Direktorat ist unter „Raummangel“ zu buchen. Es fehlt nicht irgendein Luxus. Es fehlt ein Begegnungsraum. Kaum einer aus dieser reinen Lehrer-Männer-Gilde verfügt über eine pädagogische Ausbildung. Sie kommen als Musikpraktiker aus Orchestern, Kapellen, Stadtpfeifen. Wie notwendig wäre es gerade bei diesem Pilotprojekt Musik-Fachschul-Ausbildung, sich über methodische Erkenntnisse austauschen zu können, über interpretatorische Varianten, über fortschreitende oder stagnierende Entwicklung von Schülern. Della Guardia hat nicht aufgegeben, belässt es nicht beim Wünschen, Bitten, Fordern, bringt elf ungenutzte Gebäude in Vorschlag, von der ehemaligen Loge bis zum Siechenheim. Der Wohnraumverantwortliche zuckt nur mit den Achseln. Gerade eine fast unzerstörte Stadt wie Eisleben quillt über – Ausgebombte aus Halberstadt und Magdeburg, Umsiedler, Heimkehrer, dazu neu angeworbene Bergleute. Jeder Quadratmeter ist verplant. Della Guardia setzt sich aufs Rad, inspiziert leerstehende Schlösser und Burgen in Mansfeld und Morungen, Wimmelberg und Wippra. Erneut antichambriert er bei Bürgermeistern und Landräten im Umkreis von vierzig Kilometern. Die antworten, sanft oder barsch: baufällig – schon vergeben – zu klein – zu groß – zu teuer. Problemkreis „Finanzen“: Vier Monate hatte es gedauert, ehe das erste Mal Gehälter ausgezahlt worden waren. Der Kreisverwaltung Eisleben war durch die Landesregierung das Projekt „Fachschule für Musik“ eingeredet, fast aufgenötigt worden. Kultur ins Mansfelder Land! Zentrum des Kupferbergbaus wird Hort der Kultur! Arbeiterklasse und Künstler Hand in Hand! Aufbruchszeit! Welcher Parteisekretär, welcher Landrat, welcher Bürgermeister, wer kann etwas dagegen haben? Der Finanzverantwortliche. Der Plan für 1949 ist Gesetz. Mittel für eine Musikfachschule sind darin nicht vorgesehen. Die Gründung der DDR – drei Wochen nach Gründung der Fachschule – macht Lösungen nicht einfacher. Zuständigkeiten werden zentralisiert. Wege werden weiter, Umwege umständlicher, Nachtragsverfahren bürokratischer. Della Guardia muss die Kollegen hinhalten, um Verständnis bitten, versprechen, sich entschuldigen. Um selbst zu überleben, tourt er mit seiner Kapelle über die Dörfer. Nach vier Monaten endlich, kurz vor Weihnachten gibt es das erste Gehalt. Doch nur für hauptamtliche Lehrkräfte. Wegen der Bezahlung der Lehraufträge geht ein Mahnbrief in die Landeshauptstadt.11 Noch länger müssen die Schüler warten. Gerade, um begabten Kindern aus Arbeiterfamilien oder aus der Landwirtschaft die Ausbildung zu ermöglichen, soll-

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ten sie Stipendien erhalten. Nach mehr als einem halben Jahr, im April 1950 werden sie erstmals gezahlt. Glücklicherweise war niemand abgesprungen. Im Gegenteil, Werbeaushänge beim Bäcker und in der Tauschzentrale hatten die Schülerzahl auf 51 Schüler und 5 Schülerinnen anwachsen lassen. Problemkreis „Erfolg / Ansehen“: Della Guardia, zögert. Der Rang „größte Musikschule in Sachsen-Anhalt“12 zählt für ihn nicht. Vom Rang, als beste zu gelten, sieht er sich weit entfernt. Der Musikreferent der Gewerkschaft Kunst, Adolf Luderer-Lüttich, benennt die Realität, wenn er nach einer Inspektion die Schule in die Nähe der alten Stadtpfeifen rückt. Er erlebt fast nur Einzelunterrichte, nicht immer von guten Lehrern. Die Beurteilung schmerzt. Sie ist im Ton mäkelnd, in der Beobachtung jedoch korrekt.13 Der Schule fehlen nicht nur Unterrichtsräume, sie besitzt vor allem keinen Platz im Musikleben der Stadt. Die Eisleber Privatmusiklehrer geben mit ihren Schülern ein ausverkauftes Konzert, das der Lokalkritiker in der „Freiheit“ sehr positiv rezensiert.14 Die Schule hat ein solches Ereignis noch nicht zustande gebracht. Die junge DDR-Kulturpolitik schmückt sich im Bachjahr mit zahllosen Konzerten, gerade hier im mitteldeutschen Raum. Die Kantorei von St. Andreas hält mit Kantatenabenden dagegen.15 Die Musikfachschule schweigt lieber, ehe sie sich blamiert. Problemkreis „Kollegen“: Trotz unüberhörbarer pädagogischer Mängel, trotz ständiger – meist an ihm sich abarbeitender – Beschwerden über alle quälenden Unzuträglichkeiten, trotz manch nervender Launenhaftigkeit bekennt sich der Direktor zu ihnen – sie glauben an ihre Musikfachschule. Zuverlässig sind sie bei Sturm und Kälte mit ihrem Instrument da, wo der Schüler sie erwartet, geben das, was ihr Bestes ist. Musikanten eben. Im Mai ist Albert Paul dazugestoßen. Ein Lehrer alter Schule. Korrekt, beflissen, an allem interessiert, für alles sich einsetzend. Er weiß viel in vielen Fächern, auch in Bereichen von Musik. Ob er sie liebt? Lehrer Della Guardia schätzt den Lehrerkollegen Paul sehr. Musik schwingt kaum zwischen ihnen.16 Die Schüler stellen für Della Guardia kein Problem dar. Ihretwegen zieht er diese Bilanz. Für sie fühlt er Verantwortung. Sie vertrauen ihm. Sie erwarten viel von ihm, sehen in ihm den Wegweiser ins eigene Musikerleben. Die meisten haben Geduld, viele Humor, manche Witz, etliche Fleiß, einige Begabung. Sie nennen ihn „Della“, verkürzend, verehrend. Problem „Prof. Erich Gottschalk“: Professorentitel, woher auch immer, Künstlerkopf, Kapellmeister – nicht Kapellenleiter – : repräsentative Attribute hatten für die Landesregierung bei der Leitungswahl den Ausschlag gegeben, den Fehlschlag. Einzig die Rede zur Grün-

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dung bleibt als Erinnerungsstück. Das Interesse dieses Direktors ist von Anbeginn gering. Seine Konzerttermine nehmen zu, zumindest im näheren Umkreis. Die Entfernung Weißenfels – Eisleben erscheint schier unüberwindbar, das ist im Winter 1949/1950 wahrlich keine Ausrede. Stellvertreter Della Guardia wird das schon machen. Hat er es nicht schon immer gemacht, Pläne geschmiedet, mit Musikreferent Hetschko in Halle diskutiert, Mitstreiter gewonnen, organisiert, geworben? Soll er es doch weiter machen. Die Kreisverwaltung gibt beste Beurteilungen.17 Alle Kollegen stimmen vertrauensvoll, erleichtert, einstimmig zu. Seit dem Frühjahr ist er der Leiter der Schule, Schulleiter, nicht Direktor; egal ob er „kommissarisch“ oder „in Vertretung“ unterzeichnet – er ist es. Aber: Soll er es bleiben? Nach dieser Bilanz? Im nüchternen Vergleich zwischen Vision und Realität? Die Musikfachschulen in Kölleda und Osterburg sind gerade geschlossen worden, der Staßfurter steht die Schließung unmittelbar bevor. Überall dieselben Gründe: keine Räume, ungenügende örtliche Unterstützung, kein Unterschied zu Eisleben. Kein Unterschied zu Eisleben? Der Unterschied heißt „Della Guardia“, so heißt auf italienisch einer „von der Wache“. So einer gibt nicht auf. Hans Della Guardia holt aus dem Schreibtisch ein maschinenschriftliches Faszikel: „Aufbau der Musikschule Eisleben (Auszug aus dem Exposé zur Errichtung

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der Musikschule)“.18 Halle hat den Entwurf als derzeit nicht realisierbar zurückgeschickt. Sein Konzept blickt knapp in die Vergangenheit, weit in die Zukunft, gliedert die Musikschule in drei Abteilungen: „a) die Berufs- oder Fachabteilung“;19 sie sollte in acht Semestern direkt auf Musikberufe oder auf den Übergang zu einer Hochschule vorbereiten. „b) die Sonder- oder Förderabteilung“;20 eine Weiterbildungseinrichtung für bereits tätige Musiker, die durch Krieg, Gefangenschaft und Nachkriegswirren unterbrochene Studien individuell beenden sollten. Della Guardia vergisst das Schicksal seiner Generation nicht. „c) die Laienabteilung“;21 vorgesehen zur musikalischen Förderung von Begabungen vom 6. Lebensjahr mit instrumentaler und musiktheoretischer Einzel- und Ensembleausbildung. Er ist überzeugt, dass eine erfolgversprechende Musikausbildung auf einer zielgerichteten Begabungsförderung, vom frühen Kindesalter an aufbauen muss. Der Realist Della Guardia ruft den gleichnamigen Träumer in die Gegenwart zurück. Seit dem totalen Zusammenbruch nach dem totalen Krieg sind gerade erst fünf Jahre vergangen. Hartnäckigkeit ist jetzt nützlicher als Quirligkeit. Er holt tief Luft und macht sich an die Arbeit, seine Visionen den Nachkriegsrealitäten anzupassen. Es wird nicht sein letzter Entwurf sein. Der erste, ein Jugendtraum des Musikstudenten, verbrannte im Kölner Elternhaus. Zuhause überfliegt er noch die „Freiheit“, bleibt am „Gesetz des Landtages Sachsen-Anhalt vom 27.6.1950 – Änderung der Kreise und Gemeinden“ hängen.22 Ab Mitternacht also gehört die Schule zum „Landkreis Eisleben (Mansfeld)“, einem Großkreis mit 162 213 Einwohnern in 104 Gemeinden und Städten, unter ihnen Eisleben, Mansfeld und Hettstedt. Neue Hoffnung? Im Gegenteil: Jetzt wird es in Eisleben noch enger werden.

Konflikt Albert Paul trägt ab September 1950, dem Beginn des zweiten Schuljahres die Verantwortung für den allgemeinbildenden Unterricht. Für den Schulleiter ist das eine große Entlastung. Paul opfert sich auf, hastet von einem Raum-Provisorium zum nächsten, um ja keine Minute Unterrichtserteilung zu versäumen, zumindest in Eisleben. Aber Sangerhausen! Das Geschehen in der „Expositur“ ist außerhalb seiner Kontrolle. So übernimmt er, gemeinsam mit dem Lehrbeauftragten Graness, auch dort die Stunden in Deutsch und Mathematik, Geschichte und Gegenwartskunde, löst darin Musikdirektor Walter Herbst ab. Für den bedeutet die Ablösung Erlösung.

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Flötenlehrer Wilhelm Jähne mit Schülern

Herbst, Jahrgang 1908, Sohn einer in Zürich wirkenden Kammersängerin, hatte dort am humanistischen Gymnasium die Matura abgelegt, in Würzburg Klavier und Dirigieren, in Leipzig bei Karg-Elert Komposition und Musiktheorie, dazu noch Akustik studiert.23 Vor dem Kriege nicht nur als Dirigent und Pianist, sondern auch an der TH Danzig und am Physikalischen Institut der Universität Hamburg als Dozent für Schallforschung wirksam, konnte er problemlos naturwissenschaftliche Fächer unterrichten. Der Komponist Herbst, der Libretti für seine Bühnenwerke und Kantaten selbst schrieb, war in deutschsprachiger Literatur und Geschichte zuhause. An der Qualität eines solchen Unterrichtes kann Kontrolleur Paul also nichts aussetzen, doch die geforderte Zahl von 25 Stunden wird von Herbst nicht erreicht, weil der vielseitige Musikdirektor kunstpädagogische Prioritäten setzt. Zudem ist der einzige Raum für Klassenunterricht noch unzumutbarer als selbst der schlimmste in Eisleben. Paul pocht auf seine Verantwortung und dringt erfolgreich auf Beendigung der Sangerhäuser Selbständigkeit und Überstellung nach Eisleben. Albert Pauls Eingreifen ist berechtigt, die Entscheidung der Schulleitung richtig. Der allgemeinbildende Unterricht kann so eher die angestrebte Wertigkeit erhalten. Das Lehrpotential kann konzentriert werden, der anregende Kontakt zwischen den Schülern sich enger gestalten. Die Leistungsreserven können allerdings

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nur bedingt erschlossen werden, weil sich die unbefriedigende Raumsituation am Stammort nicht verbessert. Für die zwanzig Sangerhäuser heißt es zudem, täglich zu pendeln. Ein Strohsack-Internat in Kreisfeld bietet scheinbar eine gute Lösung. Der Ort liegt Eisleben viel näher, lokal. Am nächsten aber liegt das „Lokal“ – das Wohnheim für die Halbwüchsigen ist zugleich die Kreisfelder Gastwirtschaft. Das kann nicht gut gehen. Pauls Engagement ist im Grundsatz begrüßenswert, im Konzentrationserfolg akzeptabel. Es basiert allerdings auf einer Mischung von korrekten und anzweifelbaren Begründungen. In ihnen offenbart sich – bereits in dieser Frühphase der Musikschul-Entwicklung – ein Kardinalproblem, dessen Lösung sich jede Ausbildungseinrichtung stellen muss, die künstlerische Spezialausbildung und schulische Allgemeinbildung auf parallelen Wegen vermitteln will und muss – das Problem der Ausgewogenheit zwischen beiden Ausbildungszweigen. Negativ ausgedrückt: es geht um Priorität, gar um Dominanz. Die im Interesse steter Entwicklung objektiv notwendige prüfende Auseinandersetzung mutiert dabei häufig zum subjektiven Konkurrenzkampf zwischen deren Repräsentanten. Paul wirft der „Sangerhäuser Filiale“ als entscheidenden Mangel vor, dass sie sich „in ihrer Isolierung immer weiter von dem Charakter einer neu aufzubauenden Musikschule entfernte und in ihrer Stadtpfeifentradition verharrte.“24 Er hat Recht; noch zu häufig wird im Verhältnis zwischen „Lehrmeister“ und „Lehrling“ instrumentales Handwerk unreflektiert transportiert. Nicht nur bei Musik-Lehrmeistern führt Verwurzelung in Traditionen nach Jahrzehnten nicht selten zur Versteinerung. Doch Paul kritisiert nicht solcherart Erscheinungen. Vermutlich kann er, der selbst Musik praktisch kaum ausübt, sie gar nicht erkennen. Seine Vorwürfe, in „Stadtpfeifentradition“ zu verharren, richten sich gegen Walter Herbst. Der Schulmeister zielt auf den Künstler. Die Zahl der Vorwürfe ist nicht gering: Herbst lege Leitungsanordnungen in „künstlerischer Freiheit“ aus; er komponiere auf begabte Schüler individuell zugeschnittene Stücke; er fördere künstlerischen „jugendlichen Überschwang“, anstatt „ihn in die Schranken zu weisen“ und halte „die Betroffenen vom zielbewussten, strengen Studium ab“. Ein Schüler schreibe ein Tongemälde für Orchester und probe es mit seinen Mitschülern. Ein anderer dichte gar ein Filmmanuskript.25 Paul behauptet, Herbst wolle „durch seine zweifellos recht geschickt gemachten Kompositionen den Schülern imponieren“, wisse überhaupt, „durch sein liebenswürdiges, bestrickendes Wesen für sich einzunehmen“. Paul führt keine objektiven Argumente an, er unterstellt, möglicherweise subjektiv aus Unterlegenheitsempfindungen? Was Paul an der Sangerhäuser Expositur und deren Leiter bedenklich erscheint – kreative Beschäftigung mit Musik-Kunst, individuelle Förderung von künstle-

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rischer Begabung, künstlerische Freiheit –, subsumiert er unter dem Schlagwort „Stadtpfeifentradition“, der musikpolitisch gängigen Allzweckwaffe.

Konzert und Konzept Für den 23. November 1950 kündigt die „Freiheit“ auf der Lokalseite zum Abschluss des Bach-Gedenkjahres ein Konzert der Fachschule an.26 Erstmals kann die Eisleber Bürgerschaft junge Musiker erleben, die nun schon über ein Jahr in ihrer Stadt leben und Musik lernen. Ein Schülerensemble begleitet Konzertmeister Brauer beim E-Dur-Konzert, Vater Wilhelm Jähne und Sohn Horst Jähne im 4. Brandenburgischen Konzert und die Lehrer John, Reuss und Rother im Konzert für drei Klaviere. Die „Terrasse“ ist bis auf den letzten Platz besetzt. Großer Beifall, berechtigter Stolz, auch bei Professor Hetschko aus Halle. Dessen einführende Worte gelten nicht nur dem Jubilar, sondern aufmunternd auch dem „Neugebore-

5 Ausbildungs­ konzept von Hans Della Guardia 5 Ausbildungs­ konzept von Hans Della Guardia

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nen“. Er ist erleichtert, dass die Schule endlich mit einem anhörbaren Ergebnis auf sich aufmerksam macht und nicht mit Finanzsorgen und Raumproblemen nervt. Sie sind die Gründe dafür, dass Eisleben Hetschkos Schmerzenskind unter den Neugründungen ist. Und ist eigentlich doch sein Lieblingskind. Der Grund dafür heißt: Della Guardia. Anders als seinen Kollegen schwebt diesem Schulleiter der „allseits gebildete Musiker“ nicht nur als Idealbild durch die Träume, er kann nüchtern analysieren, logisch systematisieren und überzeugend formulieren, auf welchen Wegen man dieses Ideal ausbilden kann und muss. Der Beweis für ein solch heraushebendes Urteil liegt auf dem Schreibtisch des Musikreferenten – „Strukturplan der Fachschule für Musik“.27 Hetschko ist von dem durch Della Guardia vorgelegten Material so überzeugt, dass er dafür plädiert, den Plan mit geringfügigen Änderungen als für Sachsen-Anhalt verbindlich zu erklären. Darüber hinaus will er das – derzeit für die künstlerische Ausbildung noch zuständige – Volksbildungsministerium in Berlin veranlassen, das Beispiel auf alle Länder der DDR zu erweitern.28 Gegenüber dem vorherigen „Exposé“ (s. Anm.18) mit seiner Dreigliedrigkeit konzentriert sich der „Strukturplan“ auf die Fachschulausbildung. Della Guardia sieht als Ziel einen allgemeinen und musikalischen Bildungsstand, dem er mit der Bezeichnung „Abiturreife“ musikgymnasialen Rang verleiht. So qualifiziert, soll der Absolvent entweder direkt „in sämtliche anerkannte Berufsorchester und Musikensembles“ eintreten oder an Musikhochschulen und Universitäten ein musikpraktisches, -pädagogisches oder -wissenschaftliches Studium aufnehmen können. 28 Die vierjährige Ausbildung wird zu gleichen Teilen in ein Grund- und ein aufbauendes Studium zur „Auswertung, Verfeinerung, und inhaltlichen Gestaltung des in im ersten Abschnitt technisch erfassten Stoffes“ gegliedert.29 Im Streben nach hohem Leistungsstatus sollen Aufnahmeprüfung, obligatorisches Probesemester, zensierte Halbjahres- und Jahresprüfungen die Studienentwicklung beobachten und stimulieren. Den erfolgreichen Abschluss dokumentiert eine mündlich, schriftlich und praktisch abzulegende Reifeprüfung unter den Anforderungen vergleichbarer Oberschulen. Das Material legt nach diesen Grundsatzforderungen auf zehn Seiten den Ausbildungsplan, eine differenzierte Stundentafel, Prinzipien der Lehr- und Stoffplanung, Überlegungen zu Aufnahme- und Ausbildungskapazität und zum Aufnahmeverfahren dar. Bei den Anforderungen an die Mitglieder des Lehrkörpers plädiert es eindeutig für hauptamtliche Anstellung unter der Bedingung, dass jede so angestellte Lehrkraft in der Lage sein muss, in drei Fächern vollwertig zu unterrichten. Die Fächer können dem allgemeinbildenden, dem musiktheoretischen oder dem musikpraktischen Teil zugehören. Diese befragenswerte Überlegung berücksichtigt vermutlich pragmatisch lokale Erfahrungen. Anders als in Della Guardias

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Studienheimat Köln oder anderen Großstädten gibt es im Eisleber Umfeld kein Orchester, dessen exzellente Musiker nebenamtlich als spezialisierte Instrumentallehrer wirken könnten. Umso deutlicher beharrt der Plan auf steter Weiterbildung. Die Forderung bleibt nicht unverbindlich, sondern realisiert sich in einem breiten Fächer von „Arbeitsgemeinschaften, Zirkelgruppen, Arbeits-, Lehr- und Lernaktiven“,30 der für Lehrkräfte wie Schülerschaft anregend und verpflichtend sein muss. Schließlich gilt es, das selbstgestellte Postulat zu verwirklichen: „Die Fachschule für Musik ist eine Leistungsschule“.31 Der Dank des Hallenser Ministeriums für diese beispielgebende Arbeit bleibt nicht auf Worte beschränkt: Im Zuge der Neueinteilung der Kreise wird das Gebäude des in Hettstedt angesiedelten Finanzamtes frei. Nach dessen Räumung könnte es Heimstatt der Musikschule werden.

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Stadtpfeifen

Für heranwachsende Knaben, die eine gewisse musikalische Gabe verrieten und nach Beendigung der Volksschule Eignung und Interesse für eine Ausbildung zu einem Musikerberuf zeigten, deren Eltern gutmeinend, aber wenig begütert waren, bestand die Möglichkeit, in einer Stadtpfeife bei einem Stadtpfeifer in die Lehre zu gehen. Anderenorts hießen analoge Einrichtungen Stadtmusiken, deren Betreiber Stadtmusiker. Solche Möglichkeit gab es in deutschen Landen über lange Zeiten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, vorrangig im süd- und mitteldeutschen Raum, vorrangig in Städten. „Seit dem 13. Jh. sind städtische (sesshafte) Musikbedienstete (stadteigene Spielleute) nachweisbar. Sie verrichten als Stadtpfeifer, Stadtmusici, Zinkenisten und in anderen instrumentalen Gruppierungen die anfallenden öffentlichen und privaten Musikdienste und unterhalten andererseits Ausbildungsbetriebe. Eine besonders wichtige Aufgabe für die Musikausbildung übernehmen die Stadtpfeifereien, die nach dem Vorbild von Handwerksbetrieben organisiert sind.“1 Die Ausbildung der Lehrlinge, zunftmäßig geregelt, dauerte fünf Jahre und führte – wie in jedem anderen Handwerk – zum Gesellenstand. Bis zum 19. Jahrhundert lernte der Geselle auf Wanderschaft bei anderen Stadtpfeifer-Meistern weiter und konnte sich nach drei Jahren um eine eigene Meisterstelle bewerben. Die Lehrlinge, die im Hause des Stadtpfeifers wohnten, wurden im handwerklichen Umgang mit mehreren Instrumenten unterwiesen. In direkter Verbindung mit hörorientiertem Instrumentalunterricht wurden notwendige musiktheoretische, literaturkundliche und aufführungspraktische Grundkenntnisse vermittelt. Die Ausbildung war praxisbezogen. Individuell Gelerntes wurde in Gruppen ausgeübt, die dem Anlass entsprechend zusammengestellt wurden. Die Anlässe waren öffentlicher oder privater Art, konnten städtische Feste, private Feiern, Hochzeiten, Beerdigungen, Tanzveranstaltungen sein. Die Gründung von städtischen Konservatorien im 19. Jahrhundert (u.a. Würzburg 1804, Singakademie Berlin 1804, Leipzig 1843) tangierte die Stadtpfeifen kaum, hatten sie doch andere Ausbildungsziele und eine andere Klientel der Lernenden. Konservatorien und ähnliche Einrichtungen konzentrierten sich vorrangig auf die Ausbildung von Komponisten, Dirigenten, Sängern und Instrumentalisten als Solisten und herausragende Orchestermusiker. Sicher konnten Gesellen, die über herausragende Begabung, Fleiß und Mittel zur Studienfinanzierung verfügten, den Weg zum Konservatorium finden. Sie bildeten Ausnahmen, nicht die Regel. Sicher konnten musikbegabte Jungen, die aus begüter-

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ten Familien stammten oder durch solche unterstützt wurden, über den Unterricht bei angesehenen Meistern Karrieren machen. Sicher gelang es manchem Instrumentalisten nach privatem Unterricht, einen Platz im Orchester zu finden. Das Gros der Musiker für Alltagsmusik wuchs weiterhin in Stadtpfeifen heran. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert ließ auch die Vergnügungsindustrie anwachsen. In den Städten brauchten Unterhaltungstheater, Tingeltangelbühnen und Tanzsäle, Kaffeehäuser, Hotels und Etablissements, die etwas auf sich hielten, ebenso Kapellen wie zahllose Gastwirtschaften auf dem Lande. Zunehmender Tourismus zu Kurorten im Gebirge, an der See, oder zu jeder mittels einer Quelle zum „Bad“ avancierten Kleinstadt forderte Tag für Tag, Abend für Abend Unterhaltungsmusik in den Konzertmuscheln der Kurparks, den Sälen der zahllosen Hotels. Das Kino eröffnete etwa ab 1910 ein neues Betätigungsfeld durch die Notwendigkeit, Stummfilme musikalisch zu untermalen. Die Besetzungen reichten vom 60-Mann-Orchester bis zum einsamen „Mann am Klavier“. Nicht zuletzt brauchten zahlreiche Militärkapellen Nachwuchs. Militärmusiker zu sein, war nicht nur der Uniform wegen besonders attraktiv – man war Beamter, für Gegenwart und Zukunft gut versorgt. Arbeitsmöglichkeiten für in den Stadtpfeifen heranwachsende Musiker waren also reichlich vorhanden. Geschäftstüchtige Musikunternehmer, die aus Stadtpfeifen oder Militärkapellen kamen und sich gern „Musikdirektor“ titulierten, nutzen die Gunst der Zeit. Hemmten strenge Zunftregeln die Entwicklung des Musiker-Nachwuchs-Marktes, so genügten häufig Gewerbeanmeldung und Zeugnisse über die eigene Ausbildung, um Stadtpfeifen zu eröffnen. Neben, bald über dem Unterricht rangierte die Zusammenfassung der Auszubildenden in Lehrlingskapellen an erster Stelle. Diese konnten, besonders in kleinen Städten und deren dörflichem Umfeld, den Bedarf an Tanz- und Unterhaltungsmusik weitgehend abdecken. Als Große Kapelle spielte sie in der Stadt; auf die Dörfer gingen 3- bis 4-Mann-Besetzungen. Preislich konnte der Direktor halbprofessionelle Erwachsenen-Kapellen deutlich unterbieten. Das Geschäft war dennoch für ihn profitabel. Die Lehrlinge gingen leer aus. Sie zahlten mit ihrer Arbeitsleistung für Unterricht, Logis und Versorgung. Das Wirtschaftsunternehmen Lehrlingskapelle war – sicher nicht immer, aber immer häufiger – zum merkantilen Hauptzweck geworden. Die solide musikhandwerkliche Ausbildung – aus einer solchen waren im 17./18. Jahrhundert Musiker wie Hassler, Zachow, Quantz oder etliche Bach-Vorfahren hervorgegangen – hatte nur die nötigsten Zulieferaufgaben zu erfüllen. „Ein grundlegender Unterricht war nicht die Hauptsache. Die älteren Musiker der Kapelle übernahmen die Aufgabe, den Lehrlingen einige Griffe beizubringen; das andere fand sich auf den Proben. So gab es Kapellen mit 45 und mehr Lehrlingen und ca. 8 Gehilfen. Das Repertoire war leicht und immer

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dasselbe. War die Lehre beendet, so wurde der Lehrling Gehilfe mit einem Monatslohn von 18,- bis 25.- Mark bei freier Wohnung und Verpflegung.“2 Die Lehrlinge lebten in „Schlafsälen für 10 Mann, in denen eiserne Militärbetten übereinander aufgestellt waren. Ein Ständer mit Becken war die Waschgelegenheit für alle“; finanziell minder bemittelte „Eltern mussten oft große Opfer bringen durch dir Besorgung von zusätzlichen Lebensmitteln für ihre Söhne.“3 In der NS-Zeit wurden die Stadtpfeifen geschlossen, die Lehrlingskapellen entweder aufgelöst oder komplett in die HJ überführt. Nach Kriegsende regelte für die Provinz Sachsen, in der SBZ gelegen, eine Verordnung der Provinzregierung den Privatunterricht. „Alle Privatschulen und privaten Lehranstalten sind verboten.“4 Sie erlaubte Privatunterricht gegen Entgelt nur für besondere Ausbildungszweige – Sprachen, Kunst, Musik –; doch durfte er „zu gleicher Zeit an nicht mehr als 5 Personen erteilt werden.“5 Diese Verordnung bildete die gesetzliche Grundlage für die Schließung der Stadtpfeifen in den Jahren 1947 bis 1949.6 Die Stadtpfeife Sangerhausen, 1870 gegründet, hatte ihren Sitz in der Kirche St. Jacobi.7 Auf dem Kirchturm bildete der Stadtmusikdirektor Fritz Kellner Lehrlinge aus. Der Turm war ein Teil der Arbeitsstelle; von ihm herab wurden Turmmusiken und Zeitsignale geblasen. Kellners Nachfolger Schedel spielte bei Maskenbällen, städtischen Festen und Vereinsvergnügungen auf. In sein Stadtorchester bezog er Lehrlinge aus den oberen Lehrjahren ein, unter ihnen Karl Beinroth, der seinem Sohn Fritz, zuerst ebenfalls Lehrling, ein Musikstudium in Leipzig ermöglichte. Die Stadtpfeife übersiedelte aus der Enge des Turmes in die benachbarte Wassertorstraße 2. 1920 übernahm Fritz Beinroth nach einer Tätigkeit als Leiter einer Kurkapelle das zweite Orchester von Schedels Nachfolger Dünnhaupt. Nach der Machtergreifung durch die Nazis wurde die Lehrlingskapelle zuerst als „SA-Kapelle“, dann als „Bannmusikzug der HJ“ uniformiert. Die Stadtpfeife im 30 km entfernten Kölleda machte zur gleichen Zeit von Weimar aus eine so große wie zwiegesichtige Karriere.8 1943/44 wurden die Lehrlinge eingezogen. Zwei Achtzehnjährige fielen noch in den letzten Kriegstagen. Wer übrig geblieben war, konnte seine Ausbildung nach 1945 fortsetzen. Neue Lehrlinge wurden nicht aufgenommen. An der Stadtpfeife Beinroth lernten vor 1933 bis zu 40 Lehrlinge; etwa die Hälfte von ihnen wohnte auch im Haus Wassertorstraße 2. Unterkunft und Vollverpflegung mussten bezahlt werden. Die Lehrlinge erhielten für Auftritte mit der Kapelle kein Entgelt. Jeder Schüler lernte ein Streich- und ein Blasinstrument, selten Klavier. Der Schwerpunkt lag auf dem Erlernen von Blasinstrumenten. Beinroth unterrichtete alle Blechblasinstrumente, Violine und Viola, dazu Theorie und Gehörbildung. Weitere Lehrer kamen aus Sangerhausen, Nordhausen und Halle. Die Lehrlingskapelle spielte in verschiedenen Besetzungen.

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Die Lehrlinge waren durch einen Lehrvertrag für vier Jahre gebunden und zum Besitz eigener Instrumente, eines dunklen Anzuges und eines Fahrrades verpflichtet. Im ersten Lehrjahr wurde das Blasen von Chorälen geübt; danach steigerten sich die Repertoireanforderungen und die systematische Eingliederung in die Kapelle als 3., 2. und 1. Vertreter der jeweiligen Stimmgruppe. Sohn Wolfgang Beinroth (Jahrgang 1926) hatte nach der väterlichen Lehre die Aufnahmeprüfung als Geiger in Berlin-Charlottenburg bestanden. Der Krieg verhinderte das Studium. Nach der Gefangenschaft studierte er in Halle privat weiter. Er unterrichtete, wie sein Vater Fritz, an der neugegründeten Musikschule Eisleben, wechselte zur Viola und beendete seinen Berufsweg als Solobratscher am Theater Halberstadt. Dort lebt er auch heute. Aus der Stadtpfeife Fritz Beinroth sind überreproportional viele sehr gute Trompeter hervorgegangen, so Helmut Schneidewind, Solotrompeter am Gürzenich-Orchester Köln, Uraufführungssolist bei Werken von Karl-Heinz Stockhausen, Otto Wenke, Solotrompeter am Frankfurter Museumsorchester und Professor an der Musikhochschule, Willy Krug, Solotrompeter am Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin, in der DDR neben Ludwig Güttler führender Trompeten-Solist mit zahlreichen Schallplattenaufnahmen.

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II 1951–1952

Aufbruch Der Jahresbeginn 1951 also läutet einen neuen Lebensabschnitt der Schule ein. Erstmals seit der feierlichen Gründung entsteht berechtigte Aussicht, dass der sinnträchtige Plan einer fundierten und komplexen Fachausbildung für junge Berufsmusiker nach der Eisleber Stolperphase in der Mansfeldischen Region doch noch Wirklichkeit werden kann. Visionen, Hoffnungen, Ideen einsatzfreudiger erfahrener Musiker und ihrer lernbegierigen Schülerinnen und Schüler könnten nach fünfzehn Monaten ebenso aufreibender wie unbefriedigender Improvisation, Zersplitterung und Heimatlosigkeit einen eigenen Raum erhalten. Bisher unsicher tastendes Mühen könnte endlich Halt finden, Leben, Lernen, Musizieren unter gemeinsam schützendem Dach schlummernde Kräfte sich entfalten lassen. Eine Hoffnung vorerst am Jahreswechsel. Rasch wandelt sich die Hoffnung in Gewissheit. Beglückt dankt Schulleiter Della Guardia der Landesregierung.1 Dieser Dank äußert sich nicht allein in Worten. Er verspricht nicht nur selbstverständliche tatkräftige Umzugsmitarbeit von Schülerschaft und Kollegium. Als künstlerische Danksagung kündigt er ein eigens dem glücklichen Anlass gewidmetes Werk an: „Kantate 1951“. Musikreferent Hetschko fühlt sein Vertrauen bestätigt. Die bis zum Schuljahresende noch offiziell unter „Eisleben“ firmierende, zahlenmäßig mit 102 Schülerinnen und Schülern größte Musikschule in Sachsen-Anhalt steht nun nicht nur in strukturellen Planungen sondern auch im künstlerischen Wirken ganz vorn.2 Aufbruchstimmung im Frühling. Voller Eifer sorgen viele Schüler für Baufreiheit im eigenen Haus, schaffen altes Inventargerümpel weg, neues Mobiliar herbei, sei es auch häufig gebraucht, zusammenorganisiert. „Fort mit den Trümmern und was Neues hingebaut! Um uns selber müssen wir uns selber kümmern. Und heraus gegen uns, wer sich traut.“ Das FDJ-Aufbaulied wird zur eigenen Erfahrung, zum persönlichen Bekenntnis. Hinter Schlagzeilen, die enthusiastisch agitatorisch oder trocken auflistend mehr und mehr Zeitungen und Radiomeldungen beherrschen, spüren die jungen Leute endlich die Möglichkeit selbstbestimmten Mitwirkens. In Krieg und Nachkrieg früh erwachsen geworden, haben sie arbeiten gelernt, allein, für sich. Nun geht es auf ein gemeinsames Ziel hin, im gleichen Rhythmus verbunden, aus lebensfrischer Überzeugung.

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Schulgebäude in Hettstedt (ehemaliges Finanzamt)

Die ehemaligen Sangerhäuser legen sich besonders eifrig ins Zeug: je früher Bauleute und Handwerker die zukünftigen Internatsräume renoviert haben, umso eher enden für sie die strapaziösen Bahnfahrten. Ein gelernter Dekorateur vertauscht die Schlagzeugbatterie mit der Nähmaschine. Schulleiter Della Guardia delegiert Frau und Schwiegermutter zum Gardinennähen. Ob nachkriegsbedingtes oder planwirtschaftlich verursachtes Lieferchaos, ob tagelange Atembeschwerden nach zwingend notwendigem Anti-Wanzeneinsatz des Kammerjägers, nichts kann die Tatkraft der künftigen Schuleigentümer brechen. Zur gleichen Zeit muss auch die künstlerische Danksagung vorbereitet werden. Walter Herbst schont sich nicht, weder tags mit Säge und Stechbeitel, immer ganz vornean, noch nachts am schmalen Schreibtisch mit Notenpapier und Stift. Was über Texte und Skizzen kompositorisch Gestalt gefunden hat, instrumentiert worden ist, muss aus der Partitur als Einzelstimmen herausgezogen werden. Chor- und Orchestermaterial muss rechtzeitig für die Proben bereitstehen. Die „Kantate 1951“ soll der Eingangsgruß an die neue Heimatstadt werden.3 Gerade nach der Isolation im Eisleber Musikleben strebt die Schulleitung an, sich von Anbeginn mit anderen örtlichen Ensembles zu verbinden. Der Chor der Oberschule studiert schon seine Passagen, zwei Mitglieder vom Theater Zeitz werden als Sprecher mitwirken. Zum ersten Mal finden die Proben im eigenen Orchesterraum statt. Ein glückliches Ereignis. Zum ersten Mal musizieren Eisleber und Sangerhäuser gemeinsam als

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Walter Herbst – „Kantate 1951“ (erste Seite der Partitur)

Großes Orchester. Fremdheit? Ein Fremdwort. Zum ersten Mal proben sie zeitgenössische Musik. Vieles ist neu, ungewohnt, auch schwierig. Doch der Dirigent Herbst weiß am besten, welche Instrumentalisten mit welchen Fertigkeiten in diesem seinem Orchester sitzen. Hat der Komponist Herbst sie in seinem anspruchsvollen Vertrauen überschätzt? Die Einstudierung der Kantate bestimmt mit mehr als fünfzig Orchesterproben über Wochen das Schulleben. Dazu kommen Registerproben, individuelles Üben ungewohnter Passagen. Klassenunterrichte wie Einzelstunden müssen immer wieder zurückstehen. Widerspruch kommt nicht nur vom Allgemeinbildungsverantwortlichen Paul. Auch die Instrumentallehrer mucken auf. Wiederum offenbart sich ein Grundproblem künstlerischer Ausbildungseinrichtungen im Widerspruch zwischen Kunst und Schule – die Erarbeitung künstlerischer Großprojekte lässt sich nur schwer in das Raster eines regulären Schulbetriebes einpassen. Zwischen den Fronten sitzen die jungen Musikanten. Etliche Hauptfachlehrer, ihre wichtigsten individuellen Bezugspersonen, opponieren gegen das Projekt, gegen „moderne“ Musik zudem, und gegen die eines Kollegen sowieso. Auf der anderen Seite, am Pult steht ihr verehrter Orchesterchef. Sie stehen zu ihm. Sie empfinden es als Ehre, für die Uraufführung einer für sie und ihre Schule geschrie-

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benen Komposition mitwirken zu dürfen.4 Der Komponist-Dirigent nimmt sie ernst, achtet sie als junge Kollegen, macht ihnen verständlich, warum er gerade so komponiert, diese melodische Wendung, diese harmonische Schichtung, diesen komplizierten Rhythmus gefunden hat. Und schon werden Schwierigkeiten geringer, macht es richtig Spaß, sich mit Dissonanzen zu reiben, verrückte Rhythmen im Körper zu spüren. Noch nach Jahrzehnten schwärmen ehemalige Schüler von der einfühlsamen Art dieses Orchestererziehers. Sein Engagement für jedes zu erarbeitende Werk, sein Hinführen zu dessen Strukturen, seine sensiblen und zugleich hartnäckigen Übungen, aufeinander zu hören, miteinander zu atmen, sich diszipliniert in den Organismus Orchester einzufügen, ohne die eigene Musikantenseele zu unterdrücken, haben sie entscheidend geprägt. Die Widersprüche im Lehrkörper verdichten sich, ob direkt ausgesprochen oder hinter dem Rücken getuschelt. Naturgewalten selbst scheinen der Protestfraktion Recht zu geben: Kurz vor der Uraufführung schlägt ein Blitz schlägt in die Überlandleitung. Über Stunden fällt der Strom aus. Besucher, Offizielle wie Interessierte, Hettstedter, Eisleber, Eltern, Freunde müssen den Heimweg antreten. Der künstlerische Einstand in Hettstedt fällt ins Wasser. Eine Aufführung in Eisleben am 12. Juli 1951, von unentwegt Interessierten im „Mansfelder Hof “ mit viel Applaus aufgenommen, bedeutet den Abschied von der Lutherstadt, dem Geburtsort. Am Ende des Schuljahres werden Della Guardia und Herbst zu Musikdirektoren ernannt.5 Der Schulleiter erfährt so die Würdigung seiner Verdienste um die Gründung der Musikfachschule. Dem Dirigenten wird bestätigt, den schon vor Jahren verliehenen Titel rechtens zu tragen. So mancher, auch dieser oder jener Stadtpfeifen-Chef, hatte sich im Nachkriegschaos mit diesem oder gar dem GMDTitel geschmückt. Überprüfungen des Musikreferenten sorgen für Ordnung. Walter Herbst sind die Querelen Anlass, den Ausflug in die Schullandschaft zu beenden. Er nimmt ein Engagement am Theater Nordhausen an. Der Abschied von den Schülern fällt ihm schwer. Auch drei Schüler verlassen die Schule. Unzufrieden mit den Wirren der Gründungsphase finden sie ehrgeizig den Weg zur Musikhochschule. Schulleiter Della Guardia bedauert den Fortgang dieser besonders Begabten und ist zugleich stolz. Die Saat der Ausbildung geht auf. Die Fachschule bietet das Sprungbrett für ein Hochschulstudium. Einer von den dreien, Herbert Kamprath, Spross der Sangerhäuser Trompetengarde von Fritz Beinroth, wird über Halle und Leipzig zum DEFA-Sinfonieorchester kommen und später an der Bezirksmusikschule Potsdam unterrichten. Nicht wenige seiner Schüler bringen von Wettbewerben Goldmedaillen heim. Die Stafette läuft weiter. Mit Musik.

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Neue Heimat Zwei Jahre nach der Eisleber Gründungsversammlung nun also gibt es einen neuen Start für die „Fachgrundschule für Musik“. Nicht mehr aber als Gast in fremdem Gebäude, sondern an neuem Ort im eigenen Haus. Hettstedt also, die kleinste der drei Gründerstädte, mit rund 16.000 Einwohnern kaum halb so groß wie Sangerhausen, um ein Drittel kleiner als die Lutherstadt Eisleben. Sie ist bisher auch nicht sonderlich durch Geschichtsträchtigkeit oder kulturellen Reichtum aufgefallen. Kein Lutherhaus, kein Rosarium, kein Spenglermuseum, weder Theater noch Orchester. Wird eine Musikschule in dem kargen Boden wurzeln können? Hettstedts Reichtum liegt unter der Erde. Seit siebenhundertfünfzig Jahren wird im Mansfelder Land – die namengebende Stadt liegt nur fünf Kilometer benachbart – Kupferschiefer gefördert. Abbau und Verhüttung des kupfer- und in geringem Maß auch silberhaltigen Gesteins prägen durch hochragende Schlote und Haldenpyramiden die Landschaft, bieten den Menschen im Mansfeldischen Beschäftigung, fordern von ihnen schwere Knochenarbeit. Die DDR, arm an Rohstoffen, setzt alles daran, aus den mehr und mehr versiegenden Erzflözen auch den letzten Gesteinsklumpen herauszuholen. Arbeiter für Förderschächte, Hütten und schlackenverarbeitende Industrieanlagen werden in Scharen angeworben. Eine Bereicherung der kulturellen Lebensbedingungen kann da nur von Nutzen sein. So erhält die Entscheidung, der Schule im Industriezentrum Hettstedt eine Heimstatt zu geben, kulturpolitisches Gewicht. Quellen aus der traditionell reichen Arbeiter-Sängerbewegung können kräftig sprudeln – denkt die Partei. Die häufig höchst papieren proklamierten engen Verbindungen zwischen Kunst und Arbeiterklasse können durch die Ansiedlung einer ersten Kunstschule in der Region mit Leben erfüllt werden – prognostiziert die Landesregierung. Ein Jahr zuvor, am 2. September 1950 hatte Hettstedt zum ersten Male ein musikalisches Großereignis erlebt, das diesen Bestrebungen Rechnung trug. Anlässlich der 750-Jahrfeier des Kupferbergbaus war auf dem Marktplatz zu Hettstedt vor Tausenden von Zuhörern das „Mansfelder Oratorium“ uraufgeführt worden. Klangmächtig sangen Chöre: „Seht, wie sie antreten! Seht, wie sie marschieren! Intelligenz und Proleten! Samt Alten und Pionieren! Freunde! Das Leben wird heller! Vorwärts – VVB Mansfeld.“ „Die einfache, nicht gesuchte musikalische Sprache … zeigt hier einen Weg zu dem wahren volkstümlichen Kunstwerk“, so C.S., der Kritiker der „Freiheit“.6 Die Schöpfer, keine Geringeren als Stefan Hermlin (Text) und Ernst Hermann Meyer (Musik), waren vier Wochen später für solch volkstümelndes Partei-Auftragswerk mit dem Nationalpreis der DDR belohnt worden.

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Hettstedt also, Zentrum wirtschaftlicher und kulturpolitischer Förderung. Dass sie endlich über ein eigenes Gebäude verfügen können, beweist Schülern, Lehrern und dem Leiter der „Fachgrundschule für Musik Hettstedt“ eindrucksvoll, dass die Landesregierung etwas von ihnen erwartet.

Neues Haus Das Haus Nr. 1, in den Dreißiger Jahren als Städtisches Verwaltungsgebäude erbaut, bestimmt stattlich und hell den Günter-Mayr-Platz. Dreistöckig mit breiten Mansarden und hohem Dach überragt es die freundlichen Villen der Umgebung. Von einer attraktiven Rasenfläche führen Stufen zum Eingangsportal. Drinnen gibt es ausreichend Raum, um den unterschiedlichen Anforderungen zu genügen: Küche, Waschräume und Hausmeisterwohnung im Kellergeschoss, einen Tagesraum, zugleich Saal für Mahlzeiten oder kleine Konzerte auf der einen Seite des Parterres, Zimmer für Instrumentalunterricht, für Schulverwaltung und Bibliothek auf der anderen, Klassenräume und Übungszimmer, „Knabeninternat“ und Wohnung für den Schulleiter auf zwei Etagen, in den Mansarden endlich „Mädcheninternat“ und Orchesterraum. Es kann unterrichtet werden und musiziert, gelesen und gegessen, Tuba gespielt werden oder Schach. Lehrer können sich austauschen, friedlich oder streitbar. Fünfzig Knaben und vierzehn Mädchen können in Vierbettzimmern wohnen, schlafen, üben, leben. Nur noch wenige müssen – oder wollen – als Fahrschüler aus nahe gelegenen Orten kommen. Etliche Räume sind mit Klavieren versorgt. Kaum berühmte Marken. Betagte Herrschaften darunter. Aber die Landesregierung lässt sich nicht lange bitten und unterstützt die Schulleitung finanziell in allen Bemühungen, Instrumente, Noten, Schultafeln oder schlicht Notenpapier über mehr oder weniger durchsichtige Kanäle zu „organisieren“. Einen wirklich exquisiten Blüthner gibt es auch, allerdings nicht in der Schule. Der steht in einer verwaisten Nachbarvilla. Beim Abgang nach dem Westen hat ihn der Rechtsanwalt stehen gelassen. Etliche Monate dürfen die besten Schüler ihn nutzen. Den Schlüssel hat der Hausmeister. Stichwort Küche: die Quadratur des Kreises, bei Mangelversorgung, auf Zuteilung per Lebensmittelmarken Heranwachsenden ausreichendes und auch noch schmackhaftes Essen zuzubereiten. Eine erste Köchin scheitert total. Ein Wechsel führt zu zarten Verbesserungen in diesem nicht unwichtigen Lebensbereich. Stichwort Verwaltung: nach zwei Jahren erhält die Schule erstmals eine Sekretärin. Der Schulleiter-Pianist muss Fingerfertigkeit nicht mehr selbst auf der Schreibmaschine beweisen.

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Höhere buchhalterische Aufgaben erledigt der Schüler Fred König, Hauptfach Schlagzeug, vor Krieg und Gefangenschaft Finanzfachmann, Jahrgang 1922. Stichwort Orchesterraum: schon bewährt in der Vorbereitung für die „Kantate 1951“ bietet er sechzig Musikanten Platz. Direkt unter dem Dach gelegen, sorgen Temperamente wie Temperaturen dafür, dass es bei Proben heiß her geht. Hier ist aber auch Raum, um sich zur Kammermusik zu verabreden, zum Streichquartett oder zur Combo. Schulleiter Della Guardia hat beim Musikreferat in Halle einen Stein im Brett. Seine Schule soll attraktive Möglichkeiten bieten. Klavier- und Theorielehrer John, hauptamtlich Kantor an der Eisleber Petrikirche, regt Orgelunterricht für Interessierte an, für den ehemaligen Kölner Musikstudenten Della Guardia eine Selbstverständlichkeit. Zusammen gelingt es ihnen, fürs erste ein Pedalharmonium zu beschaffen. Das steht nun im Orchesterraum. Gerlinde Coccejus, eben so eine Interessierte, erhält dort Unterricht, kann in jeder freien Stunde üben. Man schreibt das Jahr 1951. Noch haben die Kämpfe gegen die evangelische Kirche, gegen die „Junge Gemeinde“ nicht begonnen. Gerlinde legt mit dem Pedalharmonium und liberalen Lehrern hier in Hettstedt die Grundlage dafür, später über Kirchenmusikschule und Privatunterricht zur B-Organistin zu avancieren. Der Schulleiter verfolgt weitsichtig aktuelle technische Entwicklungen. Seine Schule braucht unbedingt eine Tonanlage. Er versteht nicht viel davon. Dafür hat er technikbesessene Schüler. Jürgen Lahrtz, Flakhelfer Jahrgang 1929, nach der Gefangenschaft als Kontrabassist an der Schule gelandet, ist so einer. „Della“ besorgt im Ministerium den freigebenden Bezugsschein für eine solche Rarität, zuzüglich Geld. Jürgen, von Mitschüler Jochen unterstützt, transportiert zu Fuß, mit Straßen- und Reichsbahn die umfangreiche, sperrige Anlage von Halle nach Hettstedt bis in den Orchesterraum unter dem Dach und schließt sie an. Es ist wie Weihnachten. Eine Attraktion für die Schule, äußerst nützlich bei Orchesterproben, zur Unterrichtskontrolle, bei Prüfungen und zum Mitschnitt kleiner Konzerte. Jürgen bleibt für sie verantwortlich. Sein Weg wird ihn über ein Hochschulstudium ins Schallplattenstudio führen. Als Produktionsleiter bei AMIGA wird er sich zu einer Institution mausern, wird weit über sechshundert Produktionen betreuen, von Ernst Busch bis Karel Gott, von Gisela May bis Karat. Die Karrierewiege steht im Orchesterraum der Musikschule in Hettstedt. Die neu gewonnene Stabilität der Schule lässt Leitung und Ministerium Pläne zur Erweiterung schmieden. Seit dem Sommer 1950 hatten Pressebeiträge Bestrebungen publizistisch unterstützt, die musikalische Laienbildung aus privaten Händen von Klavier- und anderen Instrumentallehrern in die des Staates DDR zu überführen.7 Die in allen gesellschaftlichen Bereichen rabiat forcierten Aktionen von Enteignung und Verstaatlichung werden auf den kulturellen Sektor übertra-

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Am Pedalharmonium

gen. Dabei sind fachliche Gründe durchaus bedenkenswert. Auch für Laien jeden Alters soll eine bisher rein instrumentale Einzelunterweisung durch musiktheoretische Gruppenunterrichte und Ensemblespiel in neu zu errichtenden „VolksMusikschulen“ erweitert werden. Man erhofft sich einerseits eine breite musische Volksbildung, außerdem aber auch eine hörbare Steigerung der Leistungen von besonders begabten Kindern und Jugendlichen als Grundlage einer professionellen Ausbildung, eben auch an einer Musikfachschule.

Neue Dimensionen So eine „Volks-Musikschule“ soll auch in dichter Nachbarschaft am Hettstedter Günter-Mayr-Platz eingerichtet werden. Nebengebäude des ehemaligen Finanzamtes stehen noch leer und wären zur Aufnahme ganz junger Begabungen bereit. Frühe Beobachtung lohnender Entwicklungen durch Lehrer der Fachschule kann für alle Teile nur von Nutzen sein. Darum will auch die Fachschule selbst ihr Ausbildungspotential erweitern. Für „Volks-Musikschulen“ werden Lehrer gebraucht, jetzt schon, mehr noch in naher Zukunft. Besonders Lehrkräfte für den Unterricht von Laien in Volksinstrumenten, für Mandoline, Gitarre, Akkordeon werden drin-

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gend gesucht. Die Fachschule wirbt gezielt für diese Instrumentalfächer, auch wenn sie selbst noch keine spezialisierten Lehrkräfte dafür in ihren Reihen hat. Im Bemühen, musikalischen Nachwuchs zur Ausbildung in das eben nicht gerade als Musenhort bekannte Hettstedt zu locken, hilft die Presse. Ende März 1952 informiert die „Freiheit“ detailreich über die Hettstedter Ausbildung und bestätigt der Schule in schulterklopfendem Parteideutsch, sie vereine in sich „alle Voraussetzungen für eine körperlich und geistig gesunde Entwicklung jener Jugendlichen, die berufen sind, unsere werktätigen Menschen durch die Tonkunst zu erfreuen.“8 Zur gleichen Zeit berichtet die „Deutsche Woche“ – sie wird bald zur beliebten „Wochenpost“ mutieren – ganzseitig über „Das klingende Haus in Hettstedt“ und macht mit lustigen Fotos Appetit, eine Schule zu besuchen, wo „Musik aus allen Fenstern“ dringt.9 DDR-weit breitet sich die Kunde aus und zeigt Wirkung: Wochen später stellen sich mehr und bessere Kandidaten aus weit entfernten Orten bei den Eignungsprüfungen vor. Wohlwollen aus der Ferne, Beliebtheit in der Nähe – man ist in der Stadt angekommen. Der Speisesaal empfängt Hettstedter Kulturbürger mit kleinen Kammerkonzerten. Bei Festveranstaltungen von SED und FDGB liefert die Schule hochgeschätzte musikalische Umrahmung, am 1.Mai bläst sie bei Demonstrationszügen den Marsch. Den Takt gibt Jochen Miebs vor; er ist neu im Kollegium. Bei den Schülern steigert sich Respekt zu Begeisterung für den einarmigen Trompetenlehrer und Dirigenten, der engagiert und erfindungsreich seine schwere Kriegsverletzung vergessen macht.

Sambarhythmen Zur gewachsenen Stabilität der Musikschule gehört nicht zuletzt – so stellt es jedenfalls der Chronist Albert Paul befriedigt fest –, dass im Oktober 1951 endlich eine Betriebsparteiorganisation (BPO) der SED gegründet wurde. Drei Genossen, drei Kandidaten – der Schulleiter ist noch nicht dabei – der Chronist ist zugleich Parteisekretär. Für Anweisungen hin, Meldungen zurück zu Stadt- und Kreisleitung ist der direkte Draht durchgestellt. Aktuelle Verbindung zu den anleitenden Organen ist wichtiger denn je. Zwischen den vielen Sorgenkindern von Partei- und Staatsführung treibt mindestens seit Bestehen der Republik ein besonders attraktives sein verführerisches Unwesen – die Tanzmusik. Der Kalte Krieg findet ungewöhnlich heiß im Äther statt. In den scharfen Gefechten der Argumente, den wüsten Schlammschlachten der Parolen kann der sozialistische Osten gegenüber dem imperialistischen Westen noch einigermaßen mithalten. Den Waffen westlicher Tanzmusik hat er nichts entge-

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genzusetzen. Besonders gefährlich, dass diese Waffen sich auf die Jugend richten, das wichtigste Potential beim Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung. Sie ist den musikalischen Angriffen des „Rundfunk im amerikanischen Sektor“ oder der amerikanischen Soldatensender schutzlos ausgeliefert. Und sie liefert sich enthusiastisch aus. RIAS und AFN sind Kultsender unter Jugendlichen, nicht zuletzt derer, die selbst Musik machen. Die „Schlager der Woche“ können gestört, diffamiert, ihr Anhören kann untersagt, aber nicht verhindert werden. So wird die Verteidigungslinie mehr oder minder hilflos gegen das Verbreiten der westlicher Tanzmusik im eigenen Lande aufgebaut. Der Entwurf für eine restriktive Anordnung des Hallenser Musikreferats vom 28.2.1950 fordert dazu auf, zur „Abdrosselung der immer mehr überhandnehmenden Entartung des Tanzes“ die Musikstücke der Kapellen zu überprüfen. „Zu meiden sind die extravaganten Tänze amerikanischen und englischen Ursprunges sowie alle ‚heiße‘ und ‚schräge‘ Tanzmusik.“ 10 Die Presse unterstützt die Kampagne, sie gibt Volkes Stimme Raum. Die „Freiheit“ erteilt dem Genossen Volkskorrespondenten H.B. das Wort. Der kam sich beim Besuch eines Kappenfestes in Halles „Paradies“ vor – es ist Fasching Anfang März –, als sei er „in irgendeiner westlichen Tingel-Tangel-Bude. Hätte ich gewußt, daß man hier das verrückte Gliederverrenken (Samba genannt) tanzen würde, so wäre ich bestimmt fern geblieben.“11 Im „Coburger Hof “ mussten sich „ernsthafte Genossinnen gegen die Samba-Ausartungen zur Wehr setzen“, denen Recht gegeben wird, wenn sie anklagend feststellen: „Wer für ‚Samba‘ ist, ist auch für Atombomben.“ Ein Jahr später haben sich die Fronten weiter verhärtet. Wo verbale Verdikte keine Früchte tragen, helfen nur noch Verbote. Volkskorrespondenten, die im „Neuen Deutschland“ unter der Überschrift „Wir lehnen solche Unkultur ab“ ein Leipziger Tanzorchester angreifen,12 antwortet Musikreferent Hetschko am 31.3.1951: „Wir teilen mit, dass wir die Kapelle Siegfried Kühn, Leipzig, im Jahre 1951 für das Gebiet von Sachsen-Anhalt gesperrt haben.“ 13 Unter den Hettstedter Musikschülern, sonst von Hetschko großzügig gefördert, sind nicht wenige, die Wochenende für Wochenende für die Werktätigen im Mansfelder Land eben solch systemgefährdende Musik spielen. Parteisekretär Paul weiß darum, doch er versucht gar nicht erst zu diskutieren. Als älterer Herr bewegt er sich im Walzer- oder Polkaschritt, wenn er kühn ist, im Foxtrott. Hilfe bei der Lösung des heiklen ideologischen Problems müsste ein junger Genosse liefern. Doch Claus H. ist selbst ein Problem. Vom Genossen Vater (Bürgermeister) und Genossen Schwager (Personalreferent im Ministerium) nach dem Musiklehrerstudium gegen den Willen der Schulleitung in die Stelle von Walter Herbst gedrückt, hat er sich aufgrund mangelnder pädagogischer Eignung und absolut ungenügender Dirigiererfahrung, verbunden mit arroganter Haltung gegenüber den häufig gleichaltrigen Schülern als inkompetente Lachnummer erwie-

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sen. Die Schülerschaft nutzt ihre FDJ-Leitung und setzt es durch, dass Genosse H. die Schule verlassen muss. Er wird in der Bezirksleitung der SED in Halle Karriere machen. Parteisekretär Paul ist erleichtert, dass er das Problem von sozialistischer Vetternwirtschaft nicht selbst innerparteilich lösen muss. Den Kampf gegen die amerikanische Unkultur gibt er resigniert auf. 14

Marschmusik

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Üben im Orchesterprobenraum

Der Kalte Krieg wird nicht nur auf Radiowellen geführt. In Deutschland-West wie Deutschland-Ost wird aufgerüstet, mehr oder weniger verschämt. Auf den Tag sieben Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation kündigt die DDR-Regierung den Aufbau „Nationaler Streitkräfte“ an. Die Umformierung von Teilen der Volkspolizei zur „Kasernierten Volkspolizei“ ab 1.7.1952 ist ein entscheidender Schritt dieser Militarisierung. Uniformen werden geschneidert, nach preußischem Schnitt. Marschmusik darf nicht fehlen. Werber sind schon auf dem Weg, gezielt in Richtung Hettstedt. Möglicherweise hatte Volks-Polizei-Rat Mitsching den Bericht in der „Deutschen Woche“ gelesen. Er bringt verlockende Angebote mit: krisensichere

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Anstellung, gute Bezahlung, Wohnung, Uniform-Kleidung sowieso, musikalische Weiterbildung, alles in Berlin, Hauptstadt der DDR. Achtzehn Schüler der oberen Jahrgänge, unter ihnen etliche Sangerhäuser der ersten Stunde zögern verständlicherweise nicht lange. Sie werden in den nächsten Jahren noch andere nachziehen. Die meisten werden in verschiedenen Militärorchestern bis zum DDR-Ende Dienst tun. Unter Schülern und Lehrern gibt es heftige Diskussionen. Hatte man nicht geschworen, nie wieder eine Uniform, geschweige denn eine Waffe zu tragen? Jochen Miebs hat seinen rechten Arm doch nicht beim Motorradunfall eingebüßt. Jahrhundertelang hat die Militärmusik ihren Nachwuchs aus Stadtpfeifen rekru­ tiert. Traditionsbewusst zollt die Musikschule Hettstedt mit kräftigem Aderlass der Weltpolitik Tribut. Dieser Sommer 1952 bleibt ereignis- und folgenreich. Die 2. Parteikonferenz der SED proklamiert den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR. Das Attribut „national“ bezieht sich nun nur noch auf die DDR, grenzt sie gegen einen vereinnahmenden Deutschland-Begriff ab, wie er sich auch in gewachsenen Länderstrukturen manifestiert. Mecklenburg? Sachsen? Landschaftsverbundene historische Identität soll verschwinden. Mit Wirkung vom 23. Juli werden die fünf Länder zerschlagen und in vierzehn kleine, besser überschau- und damit kontrollierbare Bezirke – zuzüglich der Hauptstadt Berlin – zerteilt. Die Menschen sind dann nicht mehr Thüringer, sondern Einwohner des Bezirks Erfurt, oder Gera, oder Suhl. Eine Neugliederung in 217 Stadt- und Landkreise ist die notwendige Folge. Gerade zwei Jahre nach der ersten folgt diese zweite, einschneidendere Verwaltungsreform. Schon seit Wochen wird getuschelt: Hettstedt sei wieder als Kreisstadt vorgesehen, das ehemalige Finanzamt soll dann zur Volkspolizeizentrale avancieren.

Wechsel? Auf das erste richtige Sinfoniekonzert hatten sich alle so gefreut, es soll der repräsentative Beitrag zum Beethovenjahr sein. Dirigent Werner Reuss hat sich als Nachfolger von Walter Herbst das volle Vertrauen der Schüler erworben. Mitschüler Reiner Höfer – in der 1. Sinfonie und in der Chorfantasie sitzt er mit seinem Hauptinstrument am Fagottpult – wird als Solist im 1. Klavierkonzert auftreten. Doch in die Vorfreude mischen sich immer wieder sorgenvolle Fragen, mischen sich auch Enttäuschung und Wut. Endlich hatte man eine Heimstatt gefunden. Endlich hat man ruhig lernen, studieren, lehren, musizieren können. Nun ist alles wieder infrage gestellt. Gerüchte über mögliche und unmögliche Unterbringungsvarianten machen die Runde, das letzte zischelt: Zurück nach Eisleben. Wohin dort?

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Das Haus am Günter-Mayr-Platz 1 wird bereits geräumt. Das Beethovenkonzert im neuen „Klubhaus der Walzwerker“ wird zum Abschiedskonzert in Hettstedt. Werden die Wiederholungen in der ausverkauften „Terrasse“ in Eisleben zur zweiten Begrüßung? Die strukturellen Maßnahmen, einerseits auf Zergliederung abzielend, andererseits auf Konzentration in der Zentrale Berlin betreffen auch die Kulturadminis­ tration. Ende August 1951 hat die „Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten“ in der Hauptstadt zu arbeiten begonnen. Sie zieht mehr und mehr Teilbereiche des kulturellen Lebens in ihren Aufgabenkreis, darunter auch Ausbildungseinrichtungen für künstlerische Berufe. Die Entwicklungen in den fünf Ländern waren unterschiedlich verlaufen. Jetzt sollen sie vereinheitlicht werden. Ohne Koordination mit den noch existierenden Länderministerien werden entsprechend Pläne ausgearbeitet. Die Ereignisse im Sommer überstürzen sich. Die Verwaltungsreform zwingt, bietet aber auch Chancen, selbst halb ausgereifte Vorstellungen zu realisieren. Im Hauruckverfahren werden Entscheidungen zu neuen Strukturen getroffen. Sie betreffen auch das musikalische Ausbildungssystem. Die Schüler sind voller Unsicherheiten in die Ferien gegangen. Die Lehrkräfte besuchen einen Weiterbildungslehrgang in Weimar. Schulleiter Della Guardia wartet in Hettstedt, Bezirk Halle, auf ministerielle Entscheidungen. Ein Paukenschlag, total überraschend für alle Beteiligten: Die Musikschule Hettstedt wird nach Weimar verlegt. Musikfachschulen sollen in die Nähe von Städten mit Musikhochschulen kommen. Der Plan macht Sinn. Er birgt eine vielversprechende Perspektive. Eine große Ehre. Raum für Träume. Die Knirpsenzeit der Musikfachschule bricht im Sommer unangemeldet ab. In Hettstedt, Land Sachsen-Anhalt war man auseinandergegangen. Im Herbst wird man sich wieder versammeln; die Kindheit soll in Weimar beginnen, im Bezirk Erfurt.

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Della Guardia

10 Hans Della Guardia

Hans Della Guardia (1918–1996) verdankte Leben und Namen der Brüsseler Weltausstellung von 1917.1 Luigi Della Guardia repräsentierte dort als Maestro und erster Trompeter mit seiner Bersaglieri-Kapelle aus Vasto in den Abruzzen das – noch – Königreich Italien. Ein Besuch von Köln, als kurze Fermate vorgesehen, sollte dank einer lebensfrohen Rheinländerin lebenslang andauern. Söhnchen Hans lernte die Sprache des Vaters, Musik in allen Facetten, mehrere Instrumente, vor allem Klavier, erbte italienische Quirligkeit und abruzzische Hartnäckigkeit. Sohn Hans erlebte Vater Luigi zuhause als Lehrer, im Rundfunkorchester als Trompeter. Für Hans gab es von da an nur ein Lebensziel: Musiker zu werden, wie der Vater.

Della Guardia

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Hans Della Guardia besuchte in Köln das Apostel-Gymnasium, anschließend die Musikhochschule. Künstler-Pädagogen vom Rang eines Philipp Jarnach, eines Karl Hermann Pillney wurden prägende Vorbilder. Nächtens verdiente sich der künftige Pianist Geld fürs Studium in Café und Bar. In Übungspausen exzerptierte der noch schlummernde Lehrer aus Partituren Orchesterstudien für diverse Instrumente, träumte von einer eigenen Schule, schmiedete und verfasste Pläne, wie man praktische Lehren des Vaters und methodisches Wissen der Professoren miteinander verbinden müsste. Der Krieg zerstörte alle Träume. Ein Oberarmdurchschuss beendete eine Pianistenkarriere, ehe sie beginnen konnte. Bomben auf Köln töteten die Mutter, vernichteten die Wohnung mit allen Aufzeichnungen. Vater Luigi Della Guardia, krebskrank, wurde nach Kreisfeld evakuiert. Der Sohn schlug sich nach Kriegsende auf abenteuerliche Weise zu ihm durch. Kreisfeld liegt bei Eisleben. Ererbte Hartnäckigkeit half, die beschädigte Pianistenhand wieder klavierspieltüchtig zu machen. Ererbte Quirligkeit befähigte dazu, eine eigene Kapelle zu gründen: Das ETU – das Eisleber Tanz- und Unterhaltungs-Orchester, Erwerbsquelle für sich und seine bildhübsche, kaum achtzehnjährige Frau Ruth. Hartnäckig träumte er weiter von der eigenen Schule, quirlig suchte er Kontakte und fand Professor Alfred Hetschko, den Musikreferenten in der Landesregierung von Sachsen-Anhalt.

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Exkurs

Befragung

Die Zeit der ersten Ausbildungsphase an der Musikfachschule1 in Eisleben, Hettstedt und Weimar von der Gründung im September 1949 bis zum Einzug in Belvedere im Oktober 1953 ist durch Dokumente nur lückenhaft belegt.2 Um zu Lebens- und Ausbildungsbedingungen der Schülerinnen und Schüler für diese Zeit ein möglichst aussagekräftiges Material erhalten, führte der Autor ab Januar 2008 bei ehemaligen Schülerinnen und Schülern mit Ausbildungsbeginn 1949, 1950, 1951, 1952 eine schriftliche Befragung durch. Grundlage der Gruppe zu Befragender bildete ein Adressenverzeichnis, das Herr Klaus Guericke (Weimar) aufgestellt hat. Dieses Verzeichnis dient diesem zur Kommunikation mit und zwischen seinen ehemaligen MitschülerInnen und zur Organisation von regelmäßig durchgeführten Ehemaligen-Treffen. Diese Treffen fanden bisher in den Jahren 2003, 2006 und im September 2008 in Weimar statt.3 Das Verzeichnis nennt 117 Anschriften und die Namen von 34 Verstorbenen (Oktober 2006) und aktualisiert 114 Anschriften und die Namen von 39 Verstorbenen (Dezember 2008). Die zum Zeitpunkt der Befragung (Januar 2008) gültige Adressenliste nennt für den Ausbildungsbeginn 1949 (Eisleben) 34 Anschriften (4 ehem. Schülerinnen /  30 ehem. Schüler) für den Ausbildungsbeginn 1950 (Eisleben/Hettstedt) 20 Anschriften (5 / 15) für den Ausbildungsbeginn 1951 (Hettstedt) 19 Anschriften (5 / 14) für den Ausbildungsbeginn 1951 (Weimar-Vorklasse) 22 Anschriften (7 / 15) für den Ausbildungsbeginn 1952 (Weimar) 22 Anschriften (5 / 17) In der Liste sind nur die Adressen von ehemaligen Schülerinnen und Schülern verzeichnet, die die Ausbildung vollständig oder weitestgehend absolviert hatten. Ehemalige Schülerinnen und Schüler, die nur kurzzeitig in der Ausbildung waren oder sie deutlich vor dem offiziellen Abschluss abgebrochen haben, sind nicht aufgeführt.

Befragung Exkurs

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Fragebogen Der zweiseitige Bogen stellte – nach Zeit und Ort des Ausbildungsbeginns differenziert – Fragen – zu Persönlichem (Geburtsjahr, Ausbildungsbeginn, Schulabschluss vor Beginn der Musikschulausbildung, musikalische Anreger, musikalische Vorbildung), – zu Kontakten (Informationen, die zur Musikschulausbildung führten), – zu Absichten (Berufsausbildung, Vorbereitung zum Hochschulstudium, InteressenTendenzen zu Konzert/Oper, Tanz-/Unterhaltungsmusik, Berufs-Vorstellungen bei Ausbildungsbeginn), – zur Ausbildung (Unterrichtsfächer, musikalische Fächer, Allgemeinbildung, Abschluss, Weiterstudium), – zu Ausbildungs- und Lebensbedingungen (Wechsel Eisleben → Hettstedt → Weimar, Wohnbedingungen, Fahrbedingungen, Übungsmöglichkeiten, Erinnerungen an Lehrkräfte), – zur Bilanz (Musikberuf, Nützlichkeit der Ausbildung). Der Fragebogen wurde von einem Brief begleitet, in dem der Autor seine Absicht (Publikation zu Geschichte und Gegenwart des Musikgymnasiums Schloss Belvedere und der Vorgängerinstitute), den Grund der Befragung und seine Person vorstellte. Auf 117 versandte Briefe kamen 62 Antworten, weitestgehend schriftlich, als Brief, Fax, e-mail, teilweise telefonisch. Den meist differenziert beantworteten Fragebögen waren häufig detaillierte Briefe ergänzend beigefügt. Die Rücklaufquote von 53 % darf als durchaus befriedigend angesehen werden, umso mehr, als sich die Befragten (weitgehend Geburtsjahrgänge zwischen 1933 und 1940) zum Zeitpunkt der Befragung im Alter von 68 bis 75 Jahren befanden. Den Briefen waren häufig Dokumente – Fotos, Zeugnisse, Programme u.a., original oder in Kopie – beigegeben. Das weitgehend positive Echo veranlasste den Autor, in Telefongesprächen, Briefen, Gesprächen und beim Ehemaligen-Treffen im September 2008 die Informationen, Erinnerungen und Meinungen zu präzisieren und zu erweitern. Zahlreiche Informationen und Erinnerungen sind in die Darstellung der frühen Jahre in der Entwicklung der Musikfachschule eingegangen. Als relevant werden zu einigen Fragen zahlenmäßige Ergebnisse aufgeführt:

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Exkurs

Geburtsjahrgänge Beginn 1949 Eisleben: Jg. 1922 (1) Jg. 1929 (2) Jg. 1933 (3) Jg. 1934 (3)

(17 Antworten) Jg. 1931 (2) Jg. 1932 (4) Jg. 1935 (2)

Beginn 1950 Eisleben/Hettstedt: Jg. 1932 / 1933 / 1934 ( je 1)

(8 Antworten) Jg. 1935 / 1936

( je 2)

Jg. 1937 1

Beginn 1951 Hettstedt: (13 Antworten) Jg. 1935 (2) Jg. 1936 (4) Jg. 1937 (7) Beginn 1951 Weimar / Vorklasse: (16 Antworten) Jg. 1935 (3) Jg. 1936 (4) Jg. 1937 (9) Beginn 1952 Weimar (12 Antworten) Jg. 1937 (2) Jg. 1938 (10) Das Ergebnis zeigt bei Ausbildungsbeginn 1949 kriegs- und nachkriegsbedingt stark divergierende Geburtsjahrgänge. Das nivelliert sich rasch in den folgenden Jahren zu einem Ausbildungsbeginn mit 14 Jahren. Für den Ausbildungsbeginn 1949 in Eisleben ergab die Befragung, dass 9 von 17 Antwortenden zuvor bei der Stadtpfeife Sangerhausen ihre Ausbildung begonnen hatten.

Interessen Vorrangiges Interesse im Hinblick auf eine musikalische Berufszukunft bezeugten die Befragten für Konzert/Oper Tanz-/Unterhaltungsmusik Kirchenmusik 1949 9 7 1950 4 2 1 1951 He 4 3 1 1951 We 14 1 1 1952 11 – 1 Abweichungen von der Gesamtzahl der Antworten ergeben sich aus Nichtbeantwortungen. Das Ergebnis dokumentiert im Gründungsjahr noch eine starke Orientierung auf eine Tätigkeit im Bereich der Tanz- und Unterhaltungsmusik und verweist auf Berufsorientierungen aus der Ausbildung in der Stadtpfeife.

Befragung

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Bilanz Die Befragten äußerten sich auf die Frage, ob ihnen die Ausbildung an der Musikfachschule Eisleben/Hettstedt/Weimar für die berufliche Tätigkeit in dem ausgeübten Musikberuf das notwendige Rüstzeug vermittelt habe. positiv negativ teilweise

gut nur als Vorlauf für eine professionelle Ausbildung

1949

6

4

3

2

1950

5

2

1

-

1951/He

7

-

-

1

1951/We

9

-

4

1

1952

8

1

2

-

Das Ergebnis lässt vermuten, dass zu Beginn der Ausbildung einerseits Bedingungen und Methoden am wenigsten systematisch und erfolgreich gewesen waren, dass andererseits zwischen Berufs-Vorstellungen und Berufs-Anforderungen Widersprüche empfunden wurden, für die eine ungenügende Ausbildung mitverantwortlich gemacht wurde.

Beruf Die Frage nach einer der Ausbildung folgenden Tätigkeit wurde weitestgehend positiv beantwortet.

Musikberuf



musikverbundener Beruf kein Musikberuf / AWA/Funk/Verwaltung u.ä. Berufswechsel

1949

11

3

3

1950

7

-

-

1951/He

8

-

1

1951/We

15

-

1

1952

11

-

1

Aus dem ersten Jahrgang mit Ausbildungsbeginn 1949 nannten 6 Antworten einen Musikberuf im „Wachregiment“ und in anderen VP/KVP-Ochestern. Aus dem Jahrgang 1951/Weimar-Vorklasse gaben 5 Befragte an, noch regelmäßig musikpädagogisch tätig zu sein. Dazu kamen aus diesen „jungen“ Jahrgängen Hinweise auf ehrenamtliche musikalische Tätigkeiten u.a. im Vereinsleben.

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Exkurs

III 1952–1953

Verkorkste Kindheit „Die Schule ist in Weimar, obwohl sie eigentlich gar nicht existiert, und doch ist sie da. Wenn sie nun da ist, obwohl sie nicht existiert, dann ist das nur der Initiative des Direktors, der Lehrer und all der anderen Verantwortlichen zu verdanken. Die Schule ist bereits seit September in Weimar.“ Mit solch kafkaesk klingenden Sätzen beginnt ein Artikel, der im Dezember 1952 im „Volk“, der SED-Zeitung für den Bezirk Erfurt unter der Überschrift „,Zustände‘ an unserer Musikgrundschule“ erscheint.1 Ein Zwischentitel ruft kämpferisch: „Hier muß geholfen werden, und zwar sofort!“, doch im Herbst 1953 müsste der kritische Aufruf eigentlich wiederholt werden, unverändert, fett gedruckt ein Satz: „Wenn sie nun da ist, obwohl sie nicht existiert, dann ist das nur der Initiative des Direktors … zu verdanken.“ Die Schule, das ist kein abstraktes Konstrukt, es ist ein kleiner, aber sehr lebendiger Menschen-Organismus: Schüler, Lehrer, lernende und erfahrene Musiker, Sekretärin, Köchin, Hausmeister. Unsere Musikgrundschule – Kind, „Frühgeburt“ der DDR, vielfältig mit dieser verbunden, steht erst einmal völlig fremd in der vielgerühmten Klassikerstadt. Sie wird in ihrem ersten Weimarer Jahr zwischen den Herbsttagen 1952 und 1953 hin- und hergeschleudert, durcheinander geschüttelt wie das ganze Land. Kurz rekapituliert: der „Planmäßige Aufbau des Sozialismus“ wird ausgerufen, die Länder werden zerschlagen, allenthalben neue Strukturen administriert, ausprobiert, ökonomische und ideologische Kämpfe forciert, Stalin stirbt, Arbeitsnormen und Lebensmittelpreise werden erhöht, die SED-Spitze wird von der neuen KPdSU-Führung unter Nikita Chruschtschow zurückgepfiffen, das Boot DDR auf „Neuen Kurs“ und so heftig zum Schlingern gebracht, dass am 17. Juni sowjetische Truppen mit brutaler Gewalt das Kentern verhindern müssen. Zwischen Neujahr 1952 und Silvester 1953 verlassen 573783 Einwohner das Land in Richtung Westen – mehr als eine halbe Million.2 Eine bewegte Zeit.

Wohin? Die Verantwortlichen in Weimar – Wohnungsamt, Schulverwaltung und Musikhochschulleitung – sind auf den Zuwachs kaum vorbereitet. Wie sollten sie auch:

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die Entscheidungen im fernen Berlin waren kurzfristig und ohne konkrete Abstimmung vor Ort getroffen worden. „Zur Frage der Verlegung einzelner Schulen möchten wir Ihnen mitteilen, dass die Erörterungen über Verlegungen bis vor kurzem nur im Stadium der Projektierung waren. Durch einige äußere Anlässe, insbesondere der Verwaltungsreform, ist die Frage schneller akut geworden. Wir können Ihnen heute mitteilen, dass die Musikschule Hettstedt bereits nach Weimar verlegt ist.“3 Durch diese Nachricht der „Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten“ – Datum des Eingangsstempel: 10. September 1952 – erfährt Dr. Siegmund-Schultze, Referent für Musik beim Rat des Bezirkes Halle offiziell, dass ein eigentlich noch seiner Obhut unterstelltes Institut, unsere Musikgrundschule aus Hettstedt inzwischen in den Bezirk Erfurt „verlegt ist“, wo zehn Tagen zuvor, am 1. September, das Schulleben hätte beginnen sollen. Hätte beginnen sollen, beginnt aber nicht; denn viel früher hat Berlin auch Weimar nicht informiert. In aller Eile sind dort Gebäude requiriert worden, die nominell den Anforderungen zur Unterbringung von Internat, Verwaltung und Küche entsprechen müssten. Die Musikhochschule ist beauftragt, die Räume für Klassen-, Gruppen- und instrumentale Einzelunterrichte zur Verfügung zu stellen, die Räume also, in denen die Schule ihren wesentlichen Sinn finden soll.

Lokaltermine 11

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Internate und Unterrichtsgebäude in Weimar Freiherr-vom-Stein-Allee 3a (ehem. Carl-Alexander-Allee) Mozartstraße 21 Jugendherberge Humboldtstraße 17 Freiherr-vom-Stein-Allee 34 – „Tusculum“ Jahnstraße 18 (ehem. Stresemannstraße) (von oben nach unten)

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Mädcheninternat: Carl-Alexander-Allee (später: Freiherr-vom-Stein-Allee) 3a; eine helle, geräumige, moderne, gepflegte Villa, ruhig und stadtnah gelegen – beste Bedingungen zum Leben, Üben, Lernen. Zudem wohnen dort schon einige Thüringer Schülerinnen. Platz ist reichlich da für alle. Auch der Violinlehrer, der als Internatsleiter amtiert, kann mit seiner Familie hier einziehen. Volle Zufriedenheit.

Jungeninternat: Erstes Angebot: Stresemannstraße (später: Jahnstraße) 18. Die von außen ansehnliche Villa wird von der Polizei wegen starken Schwammbefalls als Internat nicht genehmigt. Das Ersatzangebot – Jugendherberge Humboldtstraße 17 – bietet weniger als Notlösungen. Der Chronist beschreibt, dass „die Schüler, wie die Heringe zusammengepfercht, allenfalls noch schlafen konnten. Kein Tisch, kein Schrank, kaum ein Stuhl. Auf dem Fenstersims konnten sie zur Not eine Postkarte schreiben. An schriftliche Hausarbeiten war nicht zu denken. Und wo sollte geübt werden? “4 Im Januar 1953 muss die Jugendherberge geräumt werden. Die neue Unterkunft im „Tusculum“, einer Villa im Bauhausstil mit Garten, vielbesuchter HO-Konditorei im Parterre und Mietern im Dachgeschoss – Freiherr-vom-Stein-Allee 34 – schafft etwas Luft. Fünfundzwanzig Schüler wohnen in Privatunterkünften, über Weimar verstreut und auf Dörfern bis Ettersburg hin. Klassenunterricht, Instrumentalunterricht: Dafür war die Scheidemantel’sche Villa in der Stresemannstraße 18 freigegeben worden. Die Zimmer sind für über zwanzig Schüler viel zu klein, zudem natürlich auch nicht schalldicht. Musikpraxis in Form von Trompetengeschmetter besiegt Musikgeschichte, Trommelwirbel bringt „Gretchen“ im Literaturunterricht zum Verstummen. Der „Volk“-Reporter -ste- berichtet entgeistert: „Als wir in zwei Zimmern 18 aufeinander gestapelte, unbenutzte Flügel sehen“ – aus Hettstedt mitgebrachte Mitgift –, „die aus Raummangel nicht aufgestellt werden können, verschlägt es uns endgültig die Sprache.“ Direktor, Verwaltung, Speiseraum, Not-Internat, über mehrere Etagen der verwinkelten Villa verteilt, Küche im Keller: Mozartstraße 21. Noch einmal „Volk“Reporter -ste-: „Nach dem Unterricht üben die Schüler. Vor den dicht bei dicht stehenden Betten, in denen u.a. auch kranke Schüler liegen, spielt ein blonder Junge im viel zu engen Gang auf seiner Violine. Auf den Fluren, in den Badezimmern und selbst auf den Toiletten üben die Schüler. … Auch die Küche viel, viel zu klein. … Wir wissen, was 135 junge Menschen verzehren. … Den Weg zum Keller bringen wir schweigend hinter uns, weil wir einfach nicht begreifen können, dass ein solch untragbarer Zustand überhaupt möglich sein kann.“5 Die Besitzerin des Hauses – auf die Anrede Fräulein Perrin legt die alte Dame größten Wert – ist in die Dachmansarde verdrängt worden. Dort schwärmt sie von der guten alten Zeit, als sie Engelbert Humperdinck und Siegfried Wagner zu den ständigen Gästen ihrer renommierten Pension zählen durfte. Doch hilft prominente Musik-Vergangenheit den zusammengepferchten jungen Nachkriegsmusici leider nicht aus der Raumnot. Instrumentalunterricht: Solcher findet nur für wenige Schüler mit Hauptfach Klavier in der Musikhochschule statt. Die ist zwar per Auftrag durch die Staatliche Kunstkommission verpflichtet, Raum für alle musikalischen Unterrichte unse-

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rer Musikgrundschule zu schaffen, sieht sich aber dazu außerstande, leidet sie doch selbst unter Platzproblemen. Hartnäckig weigert sie sich, auch nur ein einziges Zimmer im „Alten Palais“ (später: „Gebäude Am Palais“) abzutreten. Die neugeschaffene Abteilung für Volksmusikinstrumente verteidigt das Haus mit Klauen und Zähnen.

In der Fremde Della Guardia kommt sich vor wie Don Quichotte. Direktor der „Musikschule Weimar / Fachgrundschule für Musik“ – so lautet die derzeit durch die übergeordneten staatlichen Organe vorgeschriebene, alle paar Monate wechselnde Bezeichnung.6 Diese seine Schule gehört offiziell zum Weimarer Musikleben. Offiziell. Nominell. De facto scheint sie nicht existent. Della Guardia, der offene Kölner agilen romanischen Geblüts verspürt gegenüber dem traditionsgesättigten, im Vergleich zu Eisleben oder Hettstedt großen Weimar keinerlei Minderwertigkeitskomplexe, empfindet sich keineswegs als Provinzler. Er fühlt sich nur fremd, kennt niemanden außer den Lehrerkollegen und Schülern. Scheinbar unlösbare Probleme, insbesondere solche fehlender Schul- und Lebensräume sind ihm aus Eisleben wahrlich nicht unbekannt. Doch dort fand er zumindest offene Ohren, wenn schon keine spendablen Hände. Das Mansfelder Land bildete im letzten halben Jahrzehnt sein Lebensumfeld. Dort war er bekannt, egal ob als Kapellenleiter des ETU, als Barpianist, als Musikpädagoge, als Autorität für Musikfragen. Dort kannte und schätzte man ihn im Rathaus. Beim Rat der Stadt Weimar oder gar auf der nächsthöheren Ebene beim Rat des Bezirks Erfurt ist er ein Niemand. Der Direktor der Musikhochschule, Professor Willi Niggeling hört ihm nur mit halbem Ohr zu. Diese Grundschule soll zwar seiner Hochschule den Nachwuchs liefern. Doch schon nach einem Besuch der Eisleber „Ur-Schule“7 im Sommer 1950 hatte er dezent verschwiegen, dass deren Schüler – und Lehrer – in keiner Weise seinen eigenen Qualitätsmaßstäben nahe kamen. Derzeit liegt er noch dazu mit dem radikalen Lehrer für Marxismus-Leninismus in verschärftem ideologischen Clinch.8 Da will er sich nicht zusätzlichen Streit einhandeln und der kulturpolitisch gehätschelten Volksmusikabteilung Räume für eine Musik-Grundschule abzwingen. Von ihm kann Della Guardia keine konkrete tatkräftige Unterstützung erwarten. Auch in der Lehrerschaft ist es einsamer geworden. Sieben Kollegen der ersten Stunde haben den Wechsel nach Thüringen nicht mitvollzogen, sind in Eisleben und Hettstedt geblieben oder haben anderweitig im Mansfeldischen Beschäftigung

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gefunden.9 Andere unterrichten zwar in Weimar, am Wochenende aber zieht es sie zu ihren Familien, in die Heimat. Die Unterrichtszeiten, bei den katastrophalen Raumproblemen sowieso schwierig zu fixieren, drängen sie auf zwei, drei Tage zusammen. Ständig in Weimar lebt und wirkt mit Hans Della Guardia nur ein kleiner harter Kern. Chronist Albert Paul gehört dazu. Dabei ist die Zahl der Lehrkräfte immens gewachsen. Vierzig neue Lehrbeauftragte, einige Hochschullehrer, in der Mehrzahl aber Mitglieder der Weimarischen Staatskapelle, exquisite Instrumentalisten, über Jahre erfahrene Pädagogen unterrichten die meisten Schülerinnen und Schüler. Welch außergewöhnlicher Zugewinn! Der Gewinn für die Schülerschaft könnte, sollte, müsste sich auch für die aus Hettstedt gekommenen Lehrer als höchst profitabel erweisen. Doch man sieht sich nicht. Die Nebenamtlichen unterrichten – Folge des Raummangels – in ihren Wohnungen. Zusammenkünfte in irgendeinem der schulischen Notquartiere können aus Platzgründen nicht stattfinden. Auch Direktor Della Guardia kennt nur die wenigsten seiner Weimarer Lehrkräfte. Dabei hätte er den Gedankenaustausch so nötig!

Neue Gemeinschaft? Problematisch war schon die Verlegung von Hettstedt nach Weimar. Problematischer noch ist die Zusammenlegung von Hettstedt plus Weimar. Denn die „Musikschule Weimar / Fachgrundschule für Musik“ entsteht durch die Fusion der „Musikschule Hettstedt (Fachgrundschule für Musik)“ mit der „Vorschule an der Staatlichen Hochschule für Musik zu Weimar“. Entsteht? Sie soll entstehen. Das ist kein einfacher Vorgang. Niemand ist darauf vorbereitet. Auf gemeinsamen Alltag von Wohnen, Lernen, Musizieren nicht, im Wissen um den Partner nicht. Gegenseitiges Fragen: Wo liegt Hettstedt? Fach Heimatkunde: guck in den Atlas – ganz einfach. Was heißt „Vorschule“? Fach Geschichte: Stutzen, Stottern, Stammeln – sehr schwierig, verwirrend. Vor einer gemeinsamer Gegenwart steht jeweils die eigene Geschichte; manchmal steht die eine der anderen im Wege. Was ist für Vierzehnjährige im Deutschland von 1952 schon Geschichte, was noch Gegenwart?

Rückblicke Seit Ende des 19. Jahrhunderts waren in Weimar Entwicklungswege für ganz junge musikalische Begabungen unter dem Dach einer Höheren Musikausbildungsstätte

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beschritten worden, eher spontan, eher sporadisch. Bald nach Kriegsende entstanden neue kühne Pläne einer systematischen Ausbildung für Musikbegabte vom frühen Kindesalter an.10 Von 1941 bis 1945 existierte auf Belvedere eine „Orchesterschule mit Schülerheim an der Staatlichen Hochschule für Musik Weimar“. Diese Institution speiste sich aus zwei Quellen: Die eine, die reine Quelle entsprang den Visionen eines Franz Liszt. Die andere, todbringend vergiftet, hatte ihren Ursprung in den Herrenmensch-Weltmacht-Phantasmagorien Hitlers.11 In fachlichen Ausbildungszielen und -methoden hätte diese Schule weitgehend denen einer DDR-„Fachgrundschule für Musik“ entsprochen. Ihre Funktion jedoch als Repräsentationsobjekt von Hitlers Thüringer Statthalter Sauckel und die ihr von Geburt an aufgeprägte ideologische Pervertierung erdrückten jegliche Erinnerung. Auch nur im Ansatz aufkeimender Verdacht auf Analogie musste vermieden, ja, verhindert werden. Die Haltung war und bleibt verständlich, in der Blicknähe zum Ettersberg mehr noch als anderswo. Dieser Analogie-Vermeidungs-Komplex beeinflusst die strukturelle Einordnung instrumentaler Ausbildung auf Fachschul-Ebene an der Weimarer Hochschule zwischen 1945 und 1950 entscheidend. Die Widersprüche erklären sich nicht zuletzt aus Verdängen und Verschweigen. Ab 1946 waren zielgerichtet Orchestermusiker an einer “Musikfachschule Weimar“ genannten Abteilung an der Hochschule, nicht jedoch der Hochschule zugehörig, ausgebildet worden. 1948 wurde diese Einrichtung als „Orchesterschule“ in den Rang einer Hochschulabteilung erhoben, im Wintersemester 1949/50 schon wieder aufgelöst und Lehrer wie Schüler/Studierende jeweils in die Streicher- oder Bläserabteilung überführt. Nur Monate später, Mitte 1950 fanden sie sich in einem „Konservatorium Weimar“, als einer „Fachschule für Musik“ wieder.12 Strukturen und Bezeichnungen wechselten, die guten Orchesterpädagogen blieben. Das war für die jungen Musikbeflissenen bei allen Struktur- und Namenswirren entscheidend. Weitaus komplizierter war es für vierzehnjährige oder gar jüngere Klavierbegabungen, in eine vorlaufende Ausbildung an der Hochschule eingebunden zu werden. Ihre Suche wie auch die durch interessierte Eltern und weitsichtige Pädagogen musste erst einmal inoffizielle Wege erkunden. Also bereiteten entdeckungsfreudige Hochschullehrer, vorrangig für Klavier, Orgel oder Komposition, vielversprechende Talente privat auf ein Studium vor. Auch wenn nur eine einzige Klavierschülerin, ein Kompositionsschüler unterrichtet wurde, galt das nominell – und in der Tradition des 19. Jahrhundert – als „Vorklasse“. Im Interesse zielgerichteter Nachwuchsförderung fasste die Hochschule in einem nächsten Schritt diese halbprivaten Mini-Klassen zusammen und startete im Herbst

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1950 versuchsweise mit fünfzehn Jungen ein System vorlaufender Ausbildung. Instrumentaler Hauptfachunterricht bei Hochschulpädagogen oder deren Assistenten wurde durch Gruppenunterrichte in Musiktheorie, Gehörbildung und Musikgeschichte ergänzt. Man wohnte dicht bei dicht in einem Einfamilienhaus Erzbergerstraße 8, das hochschuloffiziell „Begabteninternat“ genannt, dessen Bewohner als „Begabtenklasse“ bezeichnet wurden. Solche Titel schmeichelten. Die Hochschule sorgte auch für eine Mittagsverpflegung in der Mensa. Sonst waren die Adepten sich selbst überlassen. Überlassen wurde ihnen auch – die meist nach der 8. Klasse die Schule beendet hatten –, entweder weiter eine allgemeinbildende Schule zu besuchen, oder das nicht zu tun. Die meisten wählten die zweite Variante. Zwei Wählern der ersten, angehende Pianisten/Komponisten, die das Abitur ablegen wollten und darum zur Schiller-Oberschule gingen, wurde ihre Musikpassion zum Verhängnis. Eine vokale Interpretation des Variationsthemas aus Haydns „Kaiserquartett“, kreative Fortsetzung der Musikstunde, wurde als Provokation ausgelegt. Das Urteil: zusammen mit drei weiteren Klassenkameraden wurden sie der Schule verwiesen.13 Die Musikhochschule interessierte sich dafür nicht. Allgemeinbildender Schulunterricht galt als Privatangelegenheit. Die guten Erfahrungen mit der „Begabtenklasse“ verlieh der Entwicklung im Frühjahr 1951 neue Impulse. Die Publikation der Hochschulsatzung machte auf ihrer Rückseite werbend auf die nun schlichter benannte Einrichtung aufmerksam: „Achtung! Begabte Jugendliche ab 14 Jahre haben Gelegenheit, die der Hochschule angeschlossene Vorschule (mit Internat) zu besuchen. Die Aufnahme ist allerdings vorerst nur in beschränktem Maße möglich. Zweck dieser Einrichtung ist die Vorbereitung auf das Hochschulstudium in instrumentalen Fächern.“ 14 „Jugendliche ab 14 Jahre“ – nun war der Weg auch für begabte Bewerberinnen frei. Ihr Ausbildungsbeginn, für den 1. September 1951 geplant, verzögerte sich, bis der Kauf einer Immobilie für ihr Internat unter Dach und Fach war. Am 12. Dezember 1951 – mehr als zwei Jahre nach Gründung der Musikfachschule Eisleben – war es soweit: zehn talentierte junge Mädchen, meist angehende Pianistinnen, bezogen tatendurstig ihr neues Zuhause in der Carl-Alexander-Allee 3a. Das Fachangebot der „männlichen“ Experimentalstufe von 1950 blieb erhalten: Hauptfach und ein Theorie/Gehörbildung/Musikgeschichte-Komplex bei sehr guten Hochschuldozenten; Allgemeinbildung, komplett an einem Nachmittag in verschiedenen Berufsschulen. Die Verbindung zur Hochschule war locker, ließ jugendgemäßen Freiraum. Untereinander band fleißig übendes und munter plapperndes Internatsleben zusammen. Die Titel „Begabteninternat“ und „Begabtenklasse“ galten selbstverständlich weiter, gefielen auch den Anfängern. Im Rahmen des 1951/52 DDR-Möglichen herrschte also allenthalben eitel Sonnenschein.

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Gemeinschaftsprobleme Der Chronist aus Hettstedt sieht es anders: „Neben unseren Neuaufnahmen war zu uns die Vorklasse der Hochschule gekommen, die als ‚Begabtenklasse‘ bezeichnet wurde, und die sich auch so fühlte. Es waren einige Sieger im Pionierwettbewerb unter ihnen. Dazu kamen noch einige Privatschüler und -schülerinnen von Hochschulprofessoren. Diese ‚Weimaraner‘ fühlten sich den ‚Hettstedtern‘ überlegen, sie waren sich viel selbst überlassen gewesen und störten nun mit einem gewissen Hochschuldünkel empfindlich das Schülerkollektiv, das sich in Hettstedt gut gefestigt hatte.“15 Der Chronist benennt einen Konflikt, in den er und seine Lehrerkollegen geraten sind. Sie sehen sich eben unvorbereitet mit einer komplizierten pädagogischen Aufgabe konfrontiert. In den Mitgliedern der „Vorklasse“ stehen ihnen Schüler gegenüber, deren fachlicher Ausbildungsstand dem ihnen bisher vertrauten deutlich überlegen ist. Der Chronist ordnet dieses besondere Niveau der „Sieger im Pionierwettbewerb“ und „Privatschüler von Hochschulprofessoren“ zwar korrekt ein. Doch er wittert darin sogleich störende Arroganz und gibt die Schuld daran der Freizügigkeit ihres Aufwachsens. Provoziert fühlt er sich besonders durch den Begriff „Begabtenklasse“. Zugegeben, es handelt sich um ein leichtfertig aufgeklebtes Etikett. Es assoziiert zudem, unausgesprochen und diffus missdeutbar, gefährliche Nähe zur NS-„Elite“-Klassifizierung. Die zwölf Jahre mörderischer NS-Herrschaft sind noch bedrückend nahe. Der Chronist, Lehrer für Allgemeinbildung an einer Kunstschule, hat mit dem Phänomen der Begabung prinzipiell Probleme. Das Unbehagen gegenüber jeder überdurchschnittlichen, ungewöhnlichen, außerordentlichen künstlerischen Leistung und Äußerung durchzieht die Chronik wie ein roter Faden. Durchschnittlichkeit, Gewöhnlichkeit, Ordentlichkeit sind ihm sympathischere, persönlich vertrautere Kriterien. Der Parteigruppenorganisator in ihm sorgt streng dafür, dass seine subjektiven Empfindungen als gesellschaftlich relevant gewichtet und beachtet werden. Nun hat er sich mit solchen Begabten auseinander zu setzen. Deren Begabung liegt zwar zuvörderst in der Gabe individuellen musikalischen Talents. Wichtiger aber ist, dass diese Schüler, sei es auch erst seit ein oder zwei Jahren, in einem dieses Talent prägenden Umfeld leben. Die Kulturstadt Weimar hatte den Heranwachsenden reiche Anregungen, auch beispielgebende Herausforderungen bieten können, anders als das ihren neuen Mitschülern im kulturell traditions- und institutionsarmen Mansfelder Land möglich gewesen war. Die Schüler der Vorklasse – unter ihnen vorrangig Klavier-Hauptfächler – hatten, ob in Klassenabenden, in

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Konzerten anderer Klassen oder bei Kammermusikvorspielen, ständig studentische Leistungen auf hohem Entwicklungsstand erleben können. Die Pianistenlegende Bruno Hinze-Reinhold, ihre eigenen Lehrer Heinz Lamann oder Horst Liebrecht und deren Assistenten führten regelmäßig auf dem Podium vor, was sie im Unterricht verlangten. So waren durch Vergleich und Austausch Maßstäbe für das notwendige technisch-handwerkliche Vermögen erwachsen. Zugleich hatten die wissensdurstigen und erlebnisbereiten Adepten anhand unterschiedlicher Vorträge desselben Musikstücks ästhetische Maßstäbe für Horizonte und Grenzen subjektiver Interpretation erkennen können. Ganz nebenbei hatten sie so eine Vielfalt solistischer Literatur des eigenen Fachs oder anderer Instrumente, nicht zuletzt aus dem unerschöpflichen Reich der Kammermusik, kennen gelernt. Gewiss, sie waren, gemessen an Hettstedter Schulordnung, viel „sich selbst überlassen“ gewesen, hatten solche Freiheit jedoch genutzt, aufzusaugen, was ihnen geboten wurde. Auch als die Jüngsten fühlten sie sich der lebendigen Hochschulmusikwelt voll zugehörig. Zu dieser ihrer künstlerischen Umgebung und deren Repräsentanten bildeten sie sich und äußerten sie ihre Meinung, unbekümmert, wie es sich für junge Persönlichkeiten gehört. Indem der Chronist, der eher autoritären pädagogischen Prinzipien anhängt, solcherart persönlich gewachsenes Selbstbewusstsein als „Hochschuldünkel“ diskreditiert, versperrt er sich den Zugang zu kreativem Umgang mit diesen Begabten. Auch etliche Instrumentallehrer fühlen sich existenziell verunsichert. Im orchester-, theater-, und fachschullosen Hettstedt hatten sie als musikpädagogische Autoritäten Anerkennung genossen. Hier geben Musiker der Weimarischen Staatskapelle, Musikhochschuldozenten und zahlreiche Privatmusiklehrer den Ton an. Den hören mit sensiblen Ohren vor allem die Schüler. Um sie geht es. Auf ihr einschränkungsloses Vertrauen kommt es an. Das jedoch ist nicht mehr wie bisher eo ipso garantiert.

Gemeinschaftserlebnisse Die Hettstedter Schülerinnen und Schüler ahnen kaum, vor welche Probleme ihre Lehrer sich durch die Übersiedlung und Zusammenlegung gestellt sehen. Sie finden wie selbstverständlich zu den Weimarern. Sozial unterscheidet sie nichts. Der Geigenschüler aus Eisleben ist Arbeiterkind wie der aus Apolda. Eine Klavierschülerin stammt vom Neubauernhof aus Großörner bei Hettstedt, die andere aus Gelmeroda bei Weimar. In den Internaten müssen die Jungen mit denselben beengten Verhältnissen fertig werden, genießen die Mädchen die gleiche gepflegte Geräu-

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migkeit. Mancher aus dem Mansfeldischen beneidet manchen aus Thüringen um dessen höheren Ausbildungsstand, strengt sich zugleich an, zu ihm aufzuschließen. Manche Thüringerin ist sich nicht immer des Glücksumstandes bewusst, hier auf fruchtbarerem kulturellen Boden aufgewachsen zu sein, teilt aber selbstverständlich so unverdient Zugefallenes mit der aus Hettstedt kommenden Mitschülerin. Für die rund zwanzig Neuen, die ihre Ausbildung in Weimar beginnen, egal, ob sie die Aufnahmeprüfung im Sommer 1952 noch für Hettstedt oder für Weimar abgelegt hatten, existieren solch vergangenheitsbezogene Trennlinien schon gar nicht. Für sie ist wichtig, hier und jetzt Musik lernen, gemeinsam musizieren zu können. Allerdings existiert auch nicht ein einziger Raum, in dem ein selbst kleines Orchester Platz fände. Der Pädagoge Werner Reuss weiß, wie existenziell nützlich ein Gemeinschaftserlebnis jetzt wäre, um das Auseinanderbröckeln aufzuhalten, möglichst zu verhindern. Der Dirigent Reuss stellt sich also in den Türausschnitt zwischen zwei größeren Räumen im Haus Mozartstraße, probt und dirigiert nach rechts und nach links. Dort findet, gequetscht, sogar ein Flügel Platz. Konrad Wendlandt, aus Erfurt zur Fachschule gestoßen, präsentiert sich mit dem HaydnKonzert, „recht ordentlich“, wie der Chronist zubilligt. Doch hören leider fast nur Mitschüler zu. Das Weimarer Publikum hat die Nachricht von der Existenz einer neuen Musikausbildungsstätte an der Ilm nicht erreicht. Resigniert belassen es Schulleitung und Lehrkräfte bei diesem einzigen Versuch einer künstlerischen Äußerung. Dem Klavierschüler Konrad bleibt es vorbehalten, für regelmäßige Vorspielabende Willige zum Musizieren zu gewinnen, sogar einige Lehrkräfte zum Zuhören zu animieren. Oasen bilden die Generalproben für die Staatskapellen-Konzerte. Zum ersten Mal begegnen nicht wenige der jungen Besucher – seit Jahren in professioneller Musikausbildung befindlich! – einem Orchester von dieser Größe, von solcher Schönheit und Fülle des Klanges. Zum ersten Mal erleben sie eine Sinfonie von Bruckner, ein Brahms-Klavierkonzert, eine Sinfonische Dichtung von Strauss – neue Welten tun sich auf. Am Pult steht der große Hermann Abendroth, leibhaftig, legendär, mit Zigarre, in der Generalprobe darf der das. Im Orchester sitzen ihre Pädagogen, an den ersten Pulten, versteht sich. Dass die hier offiziell Kammervirtuos, Kammermusiker, gar Professor benannt werden, ist unwichtig. Aber wenn der Oboisten-Chef das Englisch Horn in Dvořáks „Neuer Welt“ bläst, geht den jungen Musikanten das Herz auf und über. Wenn der Hornlehrer im halsbrecherischen Beginn des „Till Eulenspiegel“ brilliert, halten nicht nur dessen eigene Schüler die Luft an. Wenn Meister Abendroth danach auch noch huldvoll nickt, ist das Glück vollständig. Selbst eine „Gurke“ wird zum Erlebnis. Sie macht den Lehrer menschlich. Das kann schließlich jedem passieren.

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Lebhafter Austausch danach, im Internat oder in der Kneipe ergänzt, erweitert nachhaltig das spontane Erlebnis. Jedem ist Unterschiedliches aufgefallen. Der macht auf Exaktheit der Bogenführung aufmerksam, jener auf butterweiche Blechansätze, eine auf schier endlose Flötenphrasen, eine andere auf einen mehr spür- als hörbaren Paukenwirbel. Unaufdringlich unterrichten sie sich gegenseitig im zuhörenden Beobachten. Dispute überspringen fachinstrumentale Grenzen. Unterrichtserfahrungen werden einbezogen, Übungsmethoden kontrovers diskutiert – junge Musikfachleute unter sich.

Verunsicherungen Aus solchem Quell sickern trübe Rinnsale an Verunsicherungen manches aus Eisleben/Hettstedt übersiedelten Lehrers. Schüler vermitteln Beobachtungen, stellen Fragen, äußern Ansichten. Manche stammen auch aus fremden Unterrichtsräumen. Sie beziehen sich kaum auf instrumentale Technik, eher auf Stilistik, Dynamik, Agogik. Sie richten den Blick weniger auf die Noten, mehr auf das, was hinter ihnen steht. Die Staatskapellpädagogen selbst haben über lange Jahre Erfahrungen mit großen Dirigenten, mit faszinierenden Instrumentalsolisten, auch mit den Pultkollegen gesammelt. Abendroth, der „Chef “, vermehrt diese Erfahrungen täglich, allabendlich durch seine Forderungen. Darüber hinaus vererben sich über bald vierhundert Jahre, potenziert seit den Zeiten eines Orchestererziehers Franz Liszt, Maßstäbe des Orchesterklangs von einer Generation zur nächsten fort. Diese Schatztruhe voll reicher Traditionen öffnen die Weimarer Pädagogen ihren Schülern in jeder Stunde. Die Fragen der Schüler schwären in den Lehrern weiter. Eigene Verunsicherung gebiert Zweifel und Kritik an technischen oder pädagogischen Methoden von bisher fraglos akzeptierten Kollegen. Der Schritt vom Fachlichen zum Persönlichen ist nicht groß. Eine mit Jahresbeginn 1953 veränderte, eigentlich begrüßenswerte Besoldungsordnung führt zu neidbesetzten Streitereien, die Einstufung in Leistungskategorien zu Beleidigungen, Prämierungsvorschläge anlässlich des 1. Mai zu Unterstellungen. Nicht „das Schülerkollektiv, das sich in Hettstedt gut gefestigt hatte“, ist durch die Übersiedlung nach Weimar „empfindlich“ gestört worden, wie der Chronist beklagt. Bedrohlich gestört ist der Zusammenhalt des Kollegiums, verstört das Selbstbewusstsein etlicher seiner Mitglieder, verstört nicht zuletzt durch individuell wie kollektiv gewachsenes Selbstbewusstsein der Schülerschaft.

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Konflikte Bohrender als Kunstfragen zu Tempo und Ansatz stellen die jungen Erwachsenen Alltagsfragen zu Menge und Würze. Quantitäts- und Qualitätsunterschiede zwischen Weimarer Mensa- und Hettstedter Küchen-Verpflegung, deutlich zuungunsten letzterer ausfallend, werden nicht einspruchslos geschluckt. Auch in Zeiten von Lebensmittelkarten und Gemüsemangel bleibt unverständlich, dass Hochschul- vor Fachschul-Rationen rangieren. Verbraucht ein Fachschüler beim Posauneblasen etwa weniger Kalorien als sein Hochschulkommilitone? Als absolut unentschuldbar aber empfinden die in der Mozartstraße Verpflegten Einfallslosigkeit, Gewürzarmut und besonders Hygienemängel. Beschwerden bei Küchen- und FDJ-Leitung verhallen ungehört. Deren – auch des Parteisekretärs – verstörte Unsicherheit gebiert hettstedtzentrierte Wagenburgmentalität. Die durchbrechen zwei Schülerinnen und wenden sich an die zuständige staatliche Kontrollinstanz. Deren Erscheinen bleibt nicht ohne Folgen: Hygienemissstände werden beseitigt. Die mit übersiedelte freundliche, aber unprofessionelle Küchentruppe wird ausgetauscht. Es schmeckt besser. Negative Folgen aber bekommen auch die intervenierenden Schülerinnen zu spüren. Sie werden „ernsthaft ermahnt“, die Eltern zur Rücksprache einbestellt. Befriedigt resümiert der Chronist seinen Disziplinierungserfolg: „Ihr Betragen gab seither zu keinerlei Klagen Anlass. Die eine hat sich auch gesellschaftlich bewährt, da sie die Pflege der Karl-Marx-Ecke in ihre persönliche Obhut nahm.“16 Weitaus schärfer als in der scheinbar alltäglichen Küchenaffäre fällt eine Disziplinierungsmaßnahme im Fall selbstbewussten Schülerengagements auf künstlerischem Gebiet aus. Der Chronist führt aus: „Trotz des klaren Falles war es keinesfalls einfach, die Relegation auszusprechen. Wenn wir die außerordentliche Begabung für Horn bei Damm auch anerkannten, er war ein schlechtes Beispiel für seine Kameraden, sein Verbleiben an der Schule war auf keinen Fall zu rechtfertigen. 52 Stunden unerquicklicher Konferenz-Beratungen verursachte uns dieser Fall.“ 17 Ein Urteil wird gefällt. Die Sprache ist verräterisch. „Relegation“ – das ist schärfer als Exmatrikulation, bedeutet den Ausschluss von jeglichem Studium. Das Urteil steht bereits fest, doch wie es plausibel begründen? Es war „keinesfalls einfach, die Relegation auszusprechen“. Weil der Schüler ein „schlechtes Beispiel“ gegeben hat, muss ein Exempel, ein die „Kameraden“ abschreckendes Gegenbeispiel statuiert werden. Schließlich wird aufgerechnet: „52 Stunden unerquicklicher KonferenzBeratungen“ – die exakt zusammengezählte Zeit spiegelt die widerspruchsreichen Kämpfe wieder, die sich in den sicher allseits als „unerquicklich“ empfundenen Sitzungen abgespielt haben müssen.

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In diesen Kämpfen geht es um die Ausbildungszukunft eines Schülers, dessen „außerordentliche Begabung für Horn“ immerhin anerkannt wird. Es geht im Grundsatz um Konflikte schöpferisch begabter, junger Menschen bei der „Einordnung“ in enge Regelsysteme. Es geht schließlich um die Verantwortung von Pädagogen bei der Bewertung von Regelverstößen, um Be- oder Verurteilung. Es geht um den „Fall Peter Damm“: Bläserschüler hatten Gemeinschafts-Musizieren vermisst – im Ausbildungsplan als Fach fixiert – und die Gründung eines Bläserorchesters angeregt. Die Schulleitung akzeptiert den Wunsch, setzt eine Probe an, benennt einen Lehrer als Leiter. Als dieser – den bekannten Orts- und Raumproblemen geschuldet – eine Stunde auf sich warten lässt, greifen die Schüler zur Selbsthilfe, beginnen zu proben. Der Lehrer ist beleidigt, die Schulleitung verärgert. Weitere Proben werden per Aushang verboten. Damm und ein Mitschüler streichen auf dem Aushang das Verbot durch und setzen dafür den Termin einer nächsten Probe ein. Ihr Vergehen bestand darin, eine offizielle Anordnung der Schulleitung missachtet zu haben. Es entsprang dem Wunsch, offizielle Ausbildungsforderungen im Fach Orchesterspiel zu realisieren. Das Urteil kommentiert sich selbst. Della Guardia unterschreibt das Urteil. Jahre später gesteht er Damm, zu schwach gewesen zu sein, um die exemplarische Strafforderung von SED-Parteileitung und Lehrerkollegen kategorisch abzuweisen.18 Gewiss hatte auch er eine Ahndung des ihn persönlich treffenden Vergehens als notwendig angesehen, aber auf eine abgewogene, Motivation, Umstände und Lebenserfahrung einbeziehende, hilfreiche Beurteilung plädiert. Vergeblich. Kleingeist und verunsichertes Mittelmaß besitzen die Macht. Das Urteil soll auch Staatskapellpädagogen treffen, die sich für die engagierten Schüler einsetzen. Welche Genugtuung, es dem verstörenden Gespenst namens „Hochschuldünkel“ mit dem Prügel hierarchischer Ordnungsprinzipien heimzuzahlen . Die Akte wird in der Musikfachschulleitung geschlossen. Die Entwicklung des jungen Hornisten öffnet sich weit. Spontan: Damm, sechzehnjährig, Vater vermisst, Mutter krank, schlägt sich im Kurorchester Bad Berka, als Aushilfe bei Bühnenmusik am Theater und mit Notenschreiben durch. Solidarisch: Bläserkameraden versorgen ihn in den ersten Wochen nach dem Rauswurf regelmäßig mit Brot und Marmelade aus der Fachschul-Küche. Nachhaltig: Professor Biehlig, der legendäre Weimarer Hornprofessor, unterrichtet Damm privat weiter. Professor Misgaiski, der Bläserabteilungsleiter an der Hochschule, sorgt dafür, dass er am Unterricht für Orchesterstudien und Kammermusik teilnehmen kann und – mindestens ebenso wichtig – eine Lebensmittelkarte erhält.

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Weiterführend: Studium an der Weimarer Hochschule ab 1954; Examen in Weimar und Silbermedaille bei einem Internationalen Wettbewerb in Moskau 1957; Langfristig: Laufbahn als Solohornist über Gera und das Gewandhausorchester Leipzig an die Sächsische Staatskapelle Dresden; Lebenslang: Weltkarriere als Horn-Solist und Pädagoge; Unvergessen: Weimarer „Vorklasse“: „Wir konnten uns voll und ganz dem In­strument widmen, jederzeit zu üben war kein Problem, Raum gab es genug.“19 Der Chronist benennt einen weiteren Konflikt: „Eine schwere Auseinandersetzung ergab sich mit der ‚Jungen Gemeinde’.“20 Seit Sommer 1952 verschärft die SED den Kirchenkampf. Im Januar 1953 beschließt das Politbüro Maßnahmen gegen die „Junge Gemeinde“. Sie wird als „illegale Agenten- und Spionageorganisation“ kriminalisiert. Scharfen medialen Angriffen folgen FDJ-gelenkte Kampagnen vorrangig in Bildungseinrichtungen, auch in denen für Musik in Weimar.21 Der Chronist setzt fort: „Diese Schüler und Schülerinnen sollten gezwungen werden, eine Erklärung zu unterschreiben, nach der sie sich verpflichteten, sich von den Bestrebungen der J.G. zu distanzieren.“ Gerhard Wilhelmi, fünfzehnjähriger Pfarrerssohn, Mitglied der „Jungen Gemeinde“, berichtet seinen Eltern brieflich drei Tage nach der FDJ-Vollversammlung vom 14.April 1953: „Danach hielt Herr Paul das Referat. Hierin kam man natürlich auch auf die ‚Junge Gemeinde‘ zu sprechen. … In der Folge wurde die ‚Junge Gemeinde‘ schwer angegriffen.“ 22 Am 15.April wird den Schülern folgende, vom Chronisten Paul erwähnte Erklärung vorgelegt: „Die Mitglieder der FDJ-Grundeinheit der Fachschule für Musik fordern gemeinsam mit der Dozentenschaft, daß sich die Angehörigen der ‚Jungen Gemeinde‘ von dieser illegalen republikfeindlichen Organisation distanzieren und das ehrliche Versprechen ablegen, sofort nicht mehr an diesen Veranstaltungen teilzunehmen. … Ich bin bereit, mich nach diesem Beschluß zu richten und verpflichte mich mit meiner Unterschrift danach zu handeln. Weimar, den 15.4.1953.“ Der Chronist kommentiert lakonisch: „Einige Jugendfreunde kamen in schwere Gewissenskonflikte, drei unterschrieben nicht.“ Der Nichtunterzeichner Gerhard schreibt, dass er dagegen protestiert habe, als Spion, Ausbeuter und Agent hingestellt zu werden und berichtet über sofortigen Stipendienentzug. „Sicher werden wir fliegen, und was wird dann aus mir? Bitte tut mir den Gefallen, schickt diesen Brief nicht weiter, denn es könnte nur schlimme Folgen haben.“ Später erinnert er sich, „vor verschiedene Gremien zitiert und verhört und ermahnt“ worden zu sein, „unseren falschen Standpunkt zu erkennen“, erinnert sich

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auch einer Einladung in die Wohnung von Della Guardia, „der sich da alle Mühe gab, uns väterlich und zum Guten zu ‚beraten‘. Wir blieben bei unserer Überzeugung.“23 Die Aktion zeitigt bei den Beteiligten unterschiedliche Folgen. Vater Wilhelmi fährt sofort nach Weimar und meldet nach einer „heftigen, ja scharfen Auseinandersetzung mit dem stellvertretenden Schulleiter“ seinen Sohn ab. Der stellvertretende Schulleiter heißt Albert Paul. Nur Tage später folgt Gerhard via Berlin (West) vier Geschwistern, die schon länger bei Verwandten in Hamburg leben. Er wird ein Aufbaugymnasium besuchen, Alte Sprachen und Theologie studieren, promovieren und als Pädagoge wirken. Die Schulleitung stellt den Antrag, die beiden anderen Nichtunterzeichner von der Schule auszuschließen. Die Antwort aus Berlin verzögert sich. Nachdem am 9. Juni die DDR-Regierung auf sowjetischen Druck den „Neuen Kurs“ verkündet, werden auch die Repressalien gegen die „Junge Gemeinde“ zurückgenommen. Auch die diskriminierten Weimarer Fachschüler dürfen nun ihre Ausbildung fortsetzen. Klaus Guericke beendet die Schule, studiert Kirchenmusik in Eisenach, später an der Leipziger Hochchule, wirkt musikalisch vielseitig noch heute in Weimar. Er bildet das aktive Zentrum für jegliche Kontakte zwischen den „Ehemaligen“ aus den Anfangsjahren der Fachschule für Musik Eisleben/ Hettstedt/Weimar. Auch Sylvia Förster wird nach dem Studium in Eisenach als Organistin im Weimarer Umkreis tätig sein. Der Chronist leidet, zumindest für das Jahr 1953, unter Bewusstseins- und Gedächtnistrübungen. Seine sonst penible Darstellung von Ereignissen und Zusammenhängen, auch deren Verknüpfung mit der eigenen Person in ihren diversen Funktionen, changiert in Faktendarlegung und Sprache zwischen Unschärfe und Unwahrheit – eine epidemische Erscheinung. Für den 17. Juni hält er als bemerkenswert fest, es wurde „von jemand Unbekanntem ein Bild unseres Präsidenten Wilhelm Pieck von der Wand genommen und die Aushänge an der Tafel der Parteiorganisation, die sowieso überholt waren, entfernt. In einer Schülervollversammlung wurden Unsicherheit und Aufregung soweit geklärt, dass sich kein Schüler an einer staatsfeindlichen Agitation oder Provokation beteiligte, und unser Schulbetrieb mit seinen Prüfungen einen ungestörten Verlauf nahm.“ 24

Zwischenbilanz Hans Della Guardia zieht eine bittere Bilanz dieses schlimmen ersten Weimarer Jahres. Er weicht kritischer Selbstreflektion nicht aus. Er weiß, dass er persönlich in

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den unerwartet hereingebrochenen Konflikten zwischen Hettstedtern und Weimarern, zwischen Lehrer- und Schülerschaft, auch innerhalb des Kollegiums nicht in notwendiger Weise integrierend gewirkt hat. Mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, Machtworte notfalls zu brüllen, ist nicht sein Stil. Verständnisvolles Schlichten mutiert leicht zu ausweichendem Lavieren. Politische Kämpfe auf ideologisch vermintem Feld wie solche gegen die „Junge Gemeinde“ widern ihn an. Er überlässt sie nur zu gern den Vertretern von FDJ und Partei. Gewiss, es gab zart blühende Hoffnungspflänzchen an Start und Ziel. In den Eignungsprüfungen stellen sich Bewerber auf deutlich höherem Niveau vor. Die Marke „Weimar“ zieht auf dem Musenmarkt eben anders als „Eisleben“ oder gar „Hettstedt“. Der erste Absolventenjahrgang, Schulbeginn Eisleben 1949, bestätigt der Ausbildung eine solide Qualität durch zehn Übergänge an das Konservatorium, fünf an die Hochschule. Zwei Bläser folgen der militärmusikalischen Werbefanfare. Ein halbes Dutzend muss die Schule mehr oder weniger freiwillig verlassen. Doch Della Guardia macht sich nichts vor. Er weiß: nur das Ende der räumlichen Zersplitterung, nur die Konzentration von Lernen, Lehren und Leben in einem Gebäudekomplex können die zwietrachtsäenden Wirkungen von Verunsicherung und Vertrauensverlust entschärfen, können pädagogische und künstlerische Potenzen wiederbeleben. Ein Gerücht taucht auf: Das „Deutsche Theaterinstitut“, seit Jahren in den Gebäuden auf Belvedere beheimatet, soll im Herbst nach Leipzig wechseln. Chancen auf Nachfolge scheinen nicht ganz illusionär. Della Guardia weiß, jedes Zögern kann solche Chancen zunichte machen. Es gibt weitaus mehr Bewerber als Gebäude. So antichambriert er, hier charmant, dort aggressiv, auf wichtigen Ämtern; zugleich arbeitet der passionierte Organisator präzise Raum- und Umzugspläne für einen möglichen Tag X aus. Leider nicht als Gerücht entpuppen sich andere Informationen: Das Erfurter Konservatorium wird nach Weimar umgesiedelt werden. Vernunftbestimmt will die Staatliche Kunstkommission professionelle Musikausbildung in wenigen Städten der überschaubar kleinen DDR konzentrieren. So soll bis zum Jahresende auch in Weimar ein sinnvoll gestuftes Ausbildungssystem von der Fachgrundschule über die Fachschule – noch als Konservatorium bezeichnet – zur Musikhochschule in­stalliert werden. Della Guardia weiß: sein Institut muss das solide Fundament für die Orchesterausbildung liefern. Er weiß, nur gute Absolventen können der Schule und ihren Pädagogen Akzeptanz in der Weimarer Musikwelt verschaffen. So arbeitet er mit einem kleinen Kreis erfahrener Kollegen an dem seit eigenen Studienzeiten verfolgten Lieblingsprojekt, einer Zusammenstellung von Studien für alle Orchesterinstrumente.

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Solche Aktivitäten helfen, Negativbilanzen zu kompensieren. Sie eröffnen hellere Horizonte. Zum ersten Mal seit der Schulgründung in Eisleben 1949 nimmt Della Guardia im Sommer 1953 den ihm zustehenden Urlaub in Anspruch und fährt nach Köln, in seine Heimat.

Schürzung des Knotens – finale Lösung Ferienzeiten sind gute Wochen für Planwirtschaftler. Je mehr Verantwortliche im Urlaub, je weniger erreichbar sind, umso weniger können gefragt werden. So kann man erwartbaren Widerstand in Abwesenheit potentieller Widerständler vermeiden. Während der Direktor am Rhein weilt, rangiert man an der Ilm und im benachbarten Erfurt um. Das Konservatorium aus Erfurt hat sein Gebäude für die staatssichernde Volkspolizei zu räumen und zieht Monate früher als vorgesehen – mit ausdrücklicher Billigung der fernen Staatlichen Kunstkommission – nach Weimar. Es besetzt – mit ausdrücklicher Billigung durch die Hochschulleitung – das Gebäude im Palais und expediert die Fachgrundschule aus den von ihr genutzten zehn Räumen ins Freie. Es ist ein warmer Sommer. Niemand ist da, der unterrichtet werden muss, kein Direktor, keine Schüler. Es ist Ferienzeit. Verwaltungsleiter und Parteisekretär, im Urlaub stellvertretend Verantwortliche, laufen von Amt zu Amt, von der Stadt zum Kreis, weiter zum Bezirk, bis zur Sowjetischen Kommandantur. Verständnisvoll achselzuckend verweist man auf die Anhäufung von Ausbildungsinstituten: für Architektur, für Bauwesen, für Baustoffe, für Angewandte Kunst, für Verwaltung, für Landwirtschaft, für Rundfunkwesen, für Kindergärtnerinnen, für Russischlehrer, für die „bürgerlichen“ Parteien, richtig, auch noch die für Musik, nun sogar drei. Das FDGB-Ensemble, das gerade erst aus Stolberg/Harz umgesiedelt wurde, okkupiert für seine 300 Mitglieder die großen Hotels. Verständnisheischendes Achselzucken: „Ihr müsst einsehen, Genossen …“ Die Genossen sehen nicht ein, intervenieren in Berlin. Ein Verantwortlicher der Staatlichen Kunstkommission erscheint vor Ort, äußert in markigen Worten, dass er nicht abreise, ehe die Unterbringung der Musikfachschule gewährleistet ist.25 Der Abteilungsleiter Vogeler muss länger bleiben. Auch Direktor Della Guardia setzt sich wieder vor Ort für die weitere Existenz der Schule ein. Sie können nur Notlösungen arrangieren. Als Übergangslösung wird der Schule die „Giesel’sche Villa“ in der Rainer-Maria-Rilke-Straße 19 und das der Hochschule gehörende „Herbarium Haussknecht“ für Unterrichte und Proben zugewiesen. Doch niemand weiß, wohin könnte der Übergang führen, wie lange seine Zeit dauern.

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Das Schuljahr beginnt mit mehrwöchiger Verspätung am 16. September. Örtlichkeitskonfusionen und Kommunikationskomplikationen zwischen Lehrkräften, Schülern und Leitung sind nicht geringer, sondern größer geworden. Nicht zuletzt verwirren sie auch die Vorgänge im „Fall Damm“, der diese Tage zusätzlich beherrscht. Für den Fall aller Fälle aktualisiert und konkretisiert Direktor Della Guardia seinen Umzugsplan vom Sommer, führt geheime Absprachen im Kollegium, Verhandlungen mit der Speditionsfirma Staupendahl. Seine größte Aufmerksamkeit gilt diskreten Kontakten zum „Deutschen Theaterinstitut“. Täglich klopft er bei der Frau von Institutsdirektor Otto Lang – einer Harfenistin – in Belvedere an, erkundigt sich zartfühlend nach dem Tag des privaten Umzugs.26 Bevor einer Einzug in Belvedere anderen nach Schulobjekten schlangestehenden Einrichtung bewusst wird, wie akut eine Räumung des Belvederer Gebäudeensembles ist, erfährt er das brisante Datum und gibt das Startzeichen. Der Umzug gleicht einer Hausbesetzung bei Nacht und Nebel. „Der vom Direktor ausgearbeitete Umzugsplan rollte programmmäßig ab und verlief bis auf den bedauerlichen Unglücksfall des Schülers Donarski, der rückwärts aus dem Möbelwagen stürzte und den Arm brach, glatt.“27 Ein begeistertes Lob findet der Chronist für die neue Küchenleiterin, Frau Lindig: „Sie hat es fertig gebracht, früh den Morgenkaffee in der Mozartstraße auszugeben und mittags in Belvedere den Schülern ein vollwertiges Essen vorzusetzen. Dabei fand an dem gleichen Tag der Umzug der Küche mit einigen hundert Einmachgläsern und dem ganzen Geschirr statt. Alle Achtung vor so einer organisatorischen Leistung.“ Leider hat die Spedition Staupendahl die Rechnungen inzwischen geschreddert. So ist nur aus Notizbüchern „Ehemaliger“ zu rekonstruieren, dass die Geschichte der „Fachschule für Musik Weimar“ auf Belvedere am 10. Oktober 1953 beginnt.

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Carl Alexander förderte in dem von ihm regierten Großherzogtum Sachsen-WeimarEisenach die Künste durch geistige Anteilnahme und konkrete Maßnahmen. Nach Gründung des „Allgemeinen Deutschen Musik-Vereins“ (ADMV) 1861 durch Franz Liszt und Franz Brendel in Weimar initiierte er Untersuchungen zur Förderung der musikalischen Bildung in seinem Herrschaftsbereich. Eigene Überlegungen basierten auf Gesprächen mit dem Freund Franz Liszt sowie auf Forderungen Brendels, veröffentlicht im Februar 1862 in der „Neuen Zeitung für Musik“ unter der Überschrift „Der Staat und die Kunst“.1 Dr. Carl Friedrich Lauckhard, Referent im Kultus-Departement des Staatsministeriums, lieferte mit einem von Carl Alexander in Auftrag gegebenen Gutachten „Über die Pflege der Musik“ im November 1863 die Grundlage für weiterführende Diskussionen durch involvierte Kreise. (S. 21) Carl Müllerhartung (1834–1908),2 „Professor für Musik“ am Lehrerseminar in Eisenach, erhielt Gelegenheit, dem Großherzog seine diesbezüglichen Gedanken vorzutragen. In einer Denkschrift vom 8. November 1864 legte er ein Konzept „Über Gründung einer Orchesterschule in Verbindung mit einem guten Orchester in Eisenach“ vor. Es beabsichtigte, Musikernachwuchs direkt durch die Orchestermitglieder ausbilden zu lassen. „In die Orchesterschule werden Knaben mit musikalischer Anlage und der nöthigen Schulbildung nach der Confirmation aufgenommen. Die Anstalt lehrt in vierjährigem Cursus technisch: ein Streichinstrument, ein Blasinstrument und das zum Verständnis der Harmonielehre nöthige Clavierspiel; theoretisch: allgemeine Musiklehre, Harmonielehre; Instrumentation und Geschichte der Musik.“ Die Schule „unterscheidet sich von einem Conservatorium darin, dass sie keine Freiheit im Besuch der Unterrichtsstunden gestattet, sondern strenge Schuldisciplin aufrecht erhält; ferner darin, dass sie die Schüler nicht zu Componisten, Dirigenten und Virtuosen, sondern zu tüchtigen Orchestermitgliedern … in größeren Orchestern“ erziehen sollte. Das Schulgeld war so bemessen, dass Kinder „aus dem Mittelstande“ diese Ausbildung wahrnehmen könnten. (S. 27) Bereits dieser erste Entwurf enthielt den Vorschlag, dass größere Orchester „ ‚freie Musikschulen‘ für Schulknaben einrichten, die wiederum eine ‚Vorschule‘ für die Orchesterschule sein würden.“ (S. 29) Der Großherzog war höchst interessiert, ein solches Konzept zu realisieren, allerdings nicht in Eisenach, sondern in seiner Hauptresidenz. 1865 wurde Müllerhartung an das Weimarer Lehrerseminar versetzt und als „Leiter der Singacademie“ in das Musikleben praktizierend eingebunden. (S. 31/32) Ab 1. November 1869 erhielt er eine Anstellung als „3. Kapellmeister und Opern-Dirigent bei der Hofkapelle“. (S. 35)

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„Unter der Protection“ Carl Alexanders wurde anlässlich von dessen 54. Geburtstag am 24. Juni 1872 durch „die Generalintendanz des Hoftheaters und der Hofkapelle“ die „Großherzogliche Orchesterschule“ eröffnet. Geistiger Initiator und ihr erster Direktor war Carl Müllerhartung. (S.37) Die Nachricht wies auf zwei Besonderheiten der „Weimarer Einrichtung“3 hin: Die Schule wurde nicht staatlich, sondern privat durch den Großherzog finanziert und war über die Generalintendanz eng mit Hoftheater und Hofkapelle verbunden. Eine solche „praxisnah profilierte Ausbildungsstätte für Orchestermusiker jenseits der Stadtmusik und diesseits des Konservatoriums“ (S. 36) war in Deutschland einmalig. Erst zu Beginn der 1880er Jahre entstanden nach Weimarer Vorbild entsprechende Einrichtungen in Leipzig und Berlin. (S. 42) Die Praxisverbundenheit nützte den Schülern wie der Hofkapelle. In deren Konzerten wirkten an den Streicherpulten zeitweilig mehr als zwanzig Schüler mit. Sie führten auch „wiederholt Zwischenaktsmusik und Begleitung von Dramen … selbständig aus.“ (S. 50) Finanzielle Gründe – die Notwendigkeit, das Budget durch Eigen-Einnahmen zu erhöhen – wie auch die Absicht, das Institut mehr in die Region einzubinden, veranlassten 1876 Veränderungen in Struktur und Bezeichnung. Die Schule erlebte „eine wesentliche Erweiterung durch die Einrichtung einer Abtheilung für Schülerinnen zur Ausbildung im Clavierspiel und Sologesang, Harmonielehre und Chorgesang sowie einer Vorbereitungsschule für Knaben und Mädchen vom zehnten Jahre an zur Vorbildung im Clavierspiel und allen Orchesterinstrumenten“ (S. 52, aus dem „Bericht über die Schuljahre 1877–1882“). Das Angebot wurde angenommen. Die Zahl der Vorschüler wuchs ständig. Unter neun Mädchen und acht Knaben des Jahres 1877 befanden sich auch zwei Töchter und ein Sohn des Direktors. (S. 53) 1877 erfolgte erneut eine Modifikation der Bezeichnung, in der sich eine veränderte Funktion widerspiegelte. Vorschüler wurden in einer Gruppe zu „Hospitanten“ vereinigt, d.h. zu Laien unterschiedlichen Alters, die die Orchesterschule nicht immer zur Berufsvorbereitung besuchten. (S. 54) Häufiger Bezeichnungswechsel begrenzt die Verbindlichkeit von Zahlenangaben aus diesen Jahren. Entscheidend ist, dass die Vorschule kontinuierlich existierte. Die „Weimarer Einrichtung“ einschließlich Schülerinnen-Abteilung und Vorschule besaß internationale Ausstrahlung. Zwischen 1886 und 1902 stammte fast ein Viertel der Schülerinnen und Hospitanten aus dem Ausland. Vor allem junge Mädchen kamen aus den USA, Russland, England und der Schweiz. Für die Ausbildung in Klavier und Sologesang hatten sie jährlich 150 Mark zu zahlen. (S. 55) 1889 wurde Müllerhartung mit sanftem Druck von seiner Kapellmeistertätigkeit „entbunden“. Gehaltserhöhung, Hofrattitel und die Verheißung, die „Weimarer Einrichtung“ in den Status einer Hochschule zu erheben, erleichterten ihm den Abschied vom Hoftheater. Auf seinem Platz am Dirigentenpult begann Richard Strauss sein

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Exkurs

dreijähriges Wirken in Weimar. Die Schule wurde direkt dem Staatsministerium unterstellt. Hofrat Müllerhartung verordnete der Einrichtung eine Strukturreform, die ihr den Weg zu einer „Hochschule der Tonkunst“ ebnen sollte. Sie gliederte die Ausbildung in eine dreijährige „Vorbildungsschule“ und eine – bei künstlerischen Voraussetzungen – folgende zweijährige „Ausbildungsschule“. Die „untere Stufe bildet tüchtige Instrumentalisten“ für Orchester aus. Die „obere Stufe vermittelt virtuose Leistungen für öffentliche Solovorträge, bildet Lehrkräfte heran, leitet zur Direktion von Chor und Orchester an und bietet die technische Grundlage zur eigenen Komposition“. Eine analoge Gliederung war auch für Schülerinnen vorgesehen. Eine Opernschule bot Unterricht in Gesang, Deklamation und szenischer Darstellung. Die „Weimarer Einrichtung“ näherte sich in Gestalt der „oberen Stufe“ und der Opernschule deutlich einem Konservatorium an. In der „unteren Stufe“ wurde durch Unterricht in Deutsch, Rechnen, Geschichte, Geographie verstärkt Wert auf hohe Allgemeinbildung der Schüler gelegt, die der „Hebung ihres Standes ebenso wie zur immer besseren Ausführung der Orchestermusik“ dienen sollte. (S. 77) Die Reform konzipierte weiter eine „Vorschule für Schüler und Schülerinnen, Dauer: mindestens ein Jahr. Dieselbe vermittelt eine gute Grundlage für den späteren Unterricht der Musikschule und bietet auch Nichtfachmusikern künstlerischen Unterricht im Klavierspiele, Sologesange oder einem Orchesterinstrument.“ (S. 78/79) Die Reform führte in der Zeit bis zur Pensionierung Müllerhartungs zu einem – gewiss inhaltlich unbeabsichtigten – Wachstum der Vorschule von 17 Teilnehmern im Schuljahr 1889/90 auf 86 im Schuljahr 1901/02 und damit auf bald die Hälfte aller an der „Weimarer Einrichtung“ Unterrichteten. Auch wenn das Zahlenverhältnis von Hospitanten und begabten Kindern unter den Vorschülern statistisch nicht erfasst ist, inhaltlich blieb die große Bedeutung der Vorschule evident. (S. 83) Am 5. Januar 1901 starb Carl Alexander. Am 1. Mai 1902 zog der Pensionär Carl Müllerhartung nach Berlin. Mit den Gründervätern verließen auch das fördernde Engagement des Einen, der reformatorische Geist des Anderen mehr und mehr die „Weimarer Einrichtung“. Müllerhartungs Nachfolger, der Dirigent Erich Wolf Degner (1858–1908) gab kaum weiterführende Impulse. Die künstlerische Produktivität ließ ebenso nach wie die Schülerzahl. Qualitätssteigernde Gliederung wich nivellierenden Tendenzen. Die Vorschule blieb jedoch erhalten, wies bei den Knaben einen Anstieg von 7 auf 15, bei den Mädchen ein Absinken von 33 auf 9 auf. (S. 100) Degners Aktivitätsschwerpunkte – Chor, Musiktheorie, Baupläne, Orgelanschaffung – lassen nicht erkennen, dass musikalische Frühförderung zu seinen Steckenpferden zählte. Daran änderte sich unter der Direktion des aus Köln kommenden Komponisten Waldemar von Baußnern (1866–1931) grundsätzlich nichts. Während seiner Amtsjahre

Vorklassen

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– 1909 bis 1916 – orientierte er die Ausbildung weiter auf Konservatoriumsmaßstäbe und nahm billigend oder beabsichtigt wachsende Entfremdung von Theater und Hofkapelle in Kauf. Hospitanten wie Vorschüler wurden in bezug auf hohe Unterrichtsgebühren auf eine Stufe gestellt. So verwundert es nicht, dass die Zahl der Vorschüler auf gerade 11 sank. (S. 114) Förderung von Frühbegabten als Vorbereitung auf eine musikalische Berufsausbildung stand nicht hoch im Kurs. Zwischen 1916 und 1933 lenkte der Pianist Bruno Hinze-Reinhold (1877– 1964) die „Weimarer Einrichtung“ durch besonders bewegte Zeitläufte. 1.Weltkrieg – Novemberevolution – „Weimarer Republik“ – Inflation – Weltwirtschaftskrise – NS-Machtübernahme: Stichworte akzentuieren die umgrenzenden Jahreszahlen seines Direktorats mit historischen Inhalten. 1930 erreichte Hinze-Reinhold das Ziel, von seinen Vorgängern unterschiedlich konsequent verfolgt, dass die ehemalige Orchesterschule – wieder an einem 24. Juni – in den Rang einer „Staatlichen Hochschule für Musik“ erhoben wurde. Wolfram Huschke hat diese aufregende, kampf- und verlustreiche Zeitspanne differenziert dargestellt. Die Überschrift „Ära Hinze-Reinhold“ würdigt programmatisch die Verdienste einer großen Schulleiter-Persönlichkeit, die den homo politicus, den Künstler, den Pädagogen und den Organisator in sich vereint. Inmitten bewegender künstlerischer Entwicklungen in Richtung einer HochschulAnerkennung bildet die Feststellung, dass die Zahl der Vorschüler zugunsten qualifizierter „Vollschüler“ zwischen 1918 und 1922 von 47 auf 10 sank, nur eine Randnotiz. (S. 134) Dafür zeichnete sich eine andere Entwicklung bei der Förderung musikalisch begabter Kinder und Jugendlicher ab. Basierend auf den musikpädagogischen Reformen Leo Kestenbergs wurden ab 1925 auch im Land Thüringen Versuche unternommen, allgemeinbildende und berufsvorbereitende Schulen enger miteinander zu verknüpfen. Solche Verbindungen zwischen der – damals noch – „Staatlichen Musikschule zu Weimar“ und der „Deutschen Aufbauschule“ übernahmen in umfassender Systematik die zuvor durch „Vorklassen“ erfolgten, häufig zufälligen Bemühungen um eine musikalische Begabungsförderung auf hohem allgemeinbildenden und musikalischen Niveau. 4 Eine Institution „Musikgymnasium“ ist in Kestenbergs Gesamtkonzept auch vorgesehen gewesen. Das auch auf diesen Überlegungen basierende „Musische Gymnasium“ in Frankfurt am Main hat allerdings als Projekt der NS-Musikbildungspolitik eine höchst widerspruchsreiche Entwicklung genommen. Ein Vergleich wäre gewiss lohnend, würde aber den Rahmen dieser Publikation völlig sprengen.5

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Exkurs

IV 1953–1954

Belvedere – Schmuckseite „Wenigstens dürfte keine Meinungsverschiedenheit darüber bestehen, dass die Errichtung einer eigenen, in die Frische und Anmut einer ländlich-gärtnerischen Natur gebetteten Bildungsheimstätte dem Geist der neuen Anschauung die sinnigste Verkörperung gäbe.“1 War Erich Gottschalk von einem Wachtraum befallen, als er, der kurzzeitige Musikschuldirektor, in seiner Eisleber Eröffnungsrede dieses Wunschbild ausmalte? Vier Jahre, wahrlich schwere Jahre später, scheint die Chimäre durch die Wirklichkeit des Weimarer Belvedere übertroffen. Die letzten drei Kilometer nach Belvedere muss man laufen, jedenfalls im Jahr 1953. Der Bus fährt nur bis zur Falkenburg. Doch der Blick auf so eine „Schöne Aussicht“ belohnt die kleinen Mühen des Weges über die lang sich hinstreckende Allee, den geschwungenen Anstieg. Hell leuchtet das Schloss, breitet sich vom barocken Zentrum zu angegliederten zierlichen Pavillons aus. Symmetrisch flankieren gleichfarbige Gebäudegruppen den Schlossplatz – zwei bescheiden einstöckige „Kavalierhäuser“, durch einen breiten Querweg getrennt von den „Uhrenhäusern“, die sich, aufgestockt mit Dachgeschoss und Türmchen, in niedrigen Langhäusern und bogenförmigen Marställen ausstrecken. Der Querweg führt vom Repräsentativen in die Bereiche des Praktischen, nach Westen zu schlichten Nutzbauten, in verschiedenen Epochen zu einem Dreiseithof zusammengeflickt. Im abfallenden Gelände dahinter stehen verstreut zwei Wirtschaftsgebäude. Östlich duckt sich zwischen Langhaus und Marstall ein niedriger Bau aus neuerer Zeit unter eine große Eiche. Das ganze Ensemble, in seinem Prachtareal ebenso wie im Funktionsdistrikt, wird durchzogen, umgeben, überragt von mächtigen Laubbäumen, hohen Hecken, umfänglichen Baumgruppen. Sie verbergen hinter dem östlichen Kavalierhaus einen exakt gezirkelten französischen Barockgarten, Orangeriegebäude mit Palmen, Zypressen, vielgestaltigen exotischen Gewächsen und reichen botanischen Sammlungen. Sie verdecken in westlicher Richtung den kleingliedrigen „Russischen Garten“ mit Labyrinth und Heckentheater. Hinter dem Schloss locken weite Wiesen in einen Englischen Landschaftspark, der sich mit Rondellen und Grotten, Fontänen und Quellen in Terrassen abfallend bis zum Possenbach hin ausdehnt.

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„Frische und Anmut einer ländlich-gärtnerischen Natur“ hatte sich der Redner als Umgebung für die „Bildungsheimstätte“ gewünscht. Er hätte lange suchen müssen, um eine „Einbettung“ zu finden, die sich in gewachsener wie gestalteter Symbiose von Natur und Kultur so mannigfaltig anregend offenbart hätte wie die Parkanlage des Weimarer Belvedere.

Fürstliche Bildungstraditionen Andere hatten diesen Schatz schon vor Jahrhunderten entdeckt und ihren Vorstellungen zur Entwicklung junger Menschen nutzbar gemacht. Die Fruchtbarkeit des Ortes an sich wird so durch lange fortdauernde Erfahrungen in Bildungsprozessen noch gesteigert. Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar hatte als Alleinerziehende ihre Söhne vom frühen Kindesalter an die warme Jahreszeit über in Belvedere aufwachsen und ausbilden lassen.2 Lehrer seit 1772 für den fünfzehnjährigen Erbprinzen Carl August und den ein Jahr jüngeren Constantin war kein Geringerer als der berühmte Christoph Martin Wieland. Erfolgreich praktizierte der seine Methode, dass durch gelenktes Fragen der Schüler selbst zu Erkenntnissen gelangt. Auf dem reichbestückten Stundenplan standen u.a. Philosophie, Naturwissenschaften, Reiten, Zeichnen vor der Natur, dazu „Clavier Stunde“ und Unterricht „auf dem Violoncello“.3 Zwei Generationen später erlebte auch Erbprinz Carl Alexander entscheidende Phasen seiner Entwicklung in den Sommermonaten auf Belvedere. Als dessen Erzieher wirkte über vierzehn Jahre der Schweizer Naturwissenschaftler Frédéric Soret. Der Aufklärer verstand seine Aufgabe ganzheitlich als Menschenbildung, nicht als Prinzenerziehung. Als Sorets „Assistent“ hatte der alte Goethe daran prägenden Anteil, nahm Wolfgang und Walther, die Enkel, gern nach Belvedere mit, beobachtete und begleitete, wie die Kinder spielend lernten, lernend spielten. Auf Veranlassung und mit beträchtlicher materieller und finanzieller Unterstützung von Carl Alexander, seit 1853 Großherzog, wurde 1872 eine „Orchesterschule“ gegründet. Es war die Geburtsstunde für professionelle Musikerausbildung zu Weimar bis heute. Schon früh gehörte Unterricht in „Vorklassen“ für Kinder und Heranwachsende zum erfolgreich realisierten Konzept. 4 Ein pädagogisch – „knabenführend“ – guter Geist scheint dieses Belvedere zu durchziehen. Wird er, bei der Entwicklung privilegierter Fürstensöhne vor langen Jahrzehnten erprobt, nun begabten Mädchen und Jungen aus allen sozialen Schichten zugute kommen?

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Zwischen diesen beiden individuellen Erziehungsprojekten im letzten Drittel des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand um die Jahrhundertwende auch ein erstes Experiment von Gemeinschaftsausbildung auf Belvedere statt.5 Jean Josèphe Mounier, Präsident der französischen Nationalversammlung, die 1789 die noch heute gültige „Déclaration des droits de l’homme et du citoyen“ verabschiedet hatte, konnte gerade noch den revolutionären Wirren entkommen und erweckte für seine kühne Gedanken das fördernde Interesse des Weimarer Herzogs. In einer „Akademie zur Ausbildung künftiger Staatsmänner“ sollte eine internationale Elite vierzehn- bis zwanzigjähriger Adliger im Ideal der Aufklärung durch vielseitige Bildung und gemeinschaftliche Erziehung für ihre künftigen politischen und diplomatischen Aufgaben präpariert werden. Carl August, einst auf Belvedere erzogen, bot Mounier zur Realisierung seiner Ideen den notwendigen Raum. In den „Kavalier-“ und „Uhrenhäusern“ fanden ein europäisch zusammengesetztes Dozentenkollegium und eine ebenfalls internationale kleine Schülerschar Unterrichts- und Internatsgebäude. Doch das Projekt, visionär 1796 gestartet, endete nach wenigen Jahren. Es scheiterte, weil die Jeunessse dorée sich lieber Jagden hingab, Assembléen und Amusements als dem reichen Angebot an wissenschaftlichen Studien. „Gearbeitet wird hier wenig“, klagte Griechischlehrer August Matthiae. Die Kluft zwischen idealischem Eliteprogramm des Gründers und mangelhafter ethisch-geistiger Substanz der aristokratischen „Nachwuchselite“ war unüberbrückbar.

NS-Musikerziehung Es dauerte fast anderthalb Jahrhunderte, bis das Weimarer Belvedere wieder junge Menschen zu gemeinschaftlicher Ausbildung empfing. Äußerlich unverändert schienen nur die Gebäude. Die Besitzer hatten gewechselt. Park und Schloss gehörten nach der Revolution dem Freistaat Thüringen. Weimar, dessen Hauptstadt, lud ins Schloss ein. Ehemals fürstliche Schätze konnte jedermann ab 1923 in den nun „Staatlichen Kunstsammlungen“ bewundern. Die „Thüringer Gartenbau-Ausstellung“ auf Belvedere wurde 1928 zum Großereignis für Tausende von Besuchern aus ganz Deutschland. In die friedliche gärtnerisch-künstlerische Harmonielandschaft passten nur die Polizeikasernen „Block A“ und „Block B“ nicht, zu denen – gegen energischen Protest Weimarer Künstler – die „Uhrenhäuser“ umfunktioniert wurden. Wen sollte diese Polizei schützen? Die mühsam errungene erste deutsche, eben die „Weimarer Republik“? Oder deren Feinde, rechtsradikale völkische Verbände, die sich Weimar zu ihrer heimlichen Hauptstadt auserwählt hatten? Den II. Partei-

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tag der NSDAP? Die „HJ“, Hitlers Jugend, in Weimar gegründet? Die Thüringer Landesregierung, die erste mit NSDAP-Ministern durchsetzte in Deutschland? Vor Ort Hitler und Gauleiter Sauckel bei ihren gemeinsamen Besuchen auf Belvedere? Gestählt für die blutigen Klassenschlachten wurden Thüringer Polizisten nicht zuletzt in der neuen Turnhalle, der umgebauten ehemaligen Remise hinter „Block B“. Der braune Boden war bereitet. Nach der terroristischen Machtergreifung wiesen die Nazis bei der Eroberung der Jugend der Musik eine führende Rolle zu.6 Wie keine andere Kunstgattung konnte sie Gefühl, Gemüt, Seele beeinflussen, am wirkungsvollsten bei gemeinschaftlichem Singen und Tanzen von Volksliedern und Volkstänzen. Für HJ- und BDM-Gruppen im ganzen Reich brauchten die Rattenfänger „Volks- und Jugendmusikleiter“. Musikbegabte Jungen und Mädchen aus allen Schichten meldeten sich scharenweise für die einjährigen Lehrgänge. Begeistert zogen sie ab 1937 in die zu „Kameradschaftshäusern“ umgefärbten „Kavalierhäuser“ auf Belvedere ein. Verführt wie begeistert sogen sie auf, was ihnen an qualitätvollem Unterricht in Musiktheorie und Klavier, Gitarre und Blockflöte, Gesang und Chorleitung im Schloss und in der eng verbundenen Musikhochschule geboten wurde. Reichsweit galten die Weimarer Lehrgänge als die besten. Nach 1943 wurden sie zum „Seminar“ erhoben und auf drei Jahre ausgeweitet. Musikerzieherinnen für mehr als Hunderttausend Schüler in 160 „Musikschulen für Volk und Jugend“ wurden benötigt. Die Maiden waren jetzt unter sich. Die Jungen hatten ihr „Kameradschaftshaus“, die Polizisten die Kasernen verlassen müssen, um an den Fronten des faschistischen Krieges zu kämpfen und zu sterben. Block A und Block B blieben nicht lange leer. Sie nahmen zwischen 1941 und 1945 die jungen HJ-Musiker zur Ausbildung an der „Orchesterschule mit Schülerheim“ auf.7 Der gute Geist von Belvedere war entflohen, vertrieben. „Weimar“ – in der Welt mehr als ein Ortsname, wurde durch „Buchenwald“ ebenso weltweit unvergesslich ergänzt. Zuvor gültige Adverbien wie „Klassik“ – „Humanität“ waren durch solche wie „Blut“ – „Asche“ brutal und zynisch infrage gestellt, menschenverachtend überdeckt.

Nachkrieg Von zerstörenden Kriegsereignissen war Belvedere verschont geblieben. Gewiss, nach Ende des Krieges hatten wechselnde Besatzungstruppen im Siegesrausch Triumph und Wut an Portalen, Fenstern und Schmuckfassaden ausgelassen, hatten in frühen Nachkriegswirren heimatlos Durchziehende, aber auch Bewohner der

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Umgebung, aus Not simples Mobiliar mitgehen heißen, ohne Not Instrumente zerstört und geplündert. Doch in Rufnähe von Ruinenfeldern und Trümmerbergen konnten solche Bagatellen die Attraktivität des Ensembles nicht beeinträchtigen. Es lud Raumsuchende ein, hier Heimstatt zu finden. Die Sowjetische Militäradministration in Thüringen (SMATh) erkannte Schönheit und Chance. Bereits im Frühjahr 1947 überlegte sie, die Schauspielabteilung aus der Weimarer Musikhochschule auszugliedern und als selbständiges TheaterInstitut auf Belvedere zu installieren. Militärisch zügig erwuchs aus der Überlegung ein Plan, aus dem Plan ein Befehl.8 Der Befehl Nr. 230 benannte konkret Aufgaben zur Instandsetzung der Gebäude, zu Möblierung und Transport, fixierte Termine und Verantwortliche in SMATh und Landesregierung. Material- und Bauprobleme wurden per Ukas beseitigt. Mindestens so effektiv aber war die Mitarbeit der künftigen Bewohner. Studentinnen und Studenten, ob für Schauspiel oder Theaterwissenschaft, leisteten alle Hilfsarbeiten an Dächern und Fenstern selbst, hoben Gräben für Wasserleitungen aus, machten in mehr als sechshundert Arbeitsstunden die Gebäude zu ihren Internaten, ihren Unterrichtshäusern, ihrem Fechtsaal, ihrer Mensa. Ende November 1947 zogen sie ein. Durch eigenes Anpacken als Hausbesitzer, nicht als Hausbesetzer. Aufbau – das Wort besaß noch einen sinnreich selbsterfahrenen, enthusiastischen Klang. Die in dieser Zeit studierten, waren älter als jene, die in früheren oder späteren Jahren hier gelernt hatten oder lernen würden. Mindestens Achtzehnjährige, waren sie um Naziherrschaft und Napola, Flucht und Bombennächte, Front und Flakeinsatz, Gefangenschaft und Strafkompanie älter und reifer. Mit solcherart Erlebnissen und Erfahrungen belastet, suchten sie Wege zu einer neuen Gesellschaft der neuen Menschen. Friedvoll sollte sie sein, menschenfreundlich, wahrhaftig, gerecht. Gemeinsam mit ihren Lehrern, allen voran dem aus dem Moskauer Exil kommenden Schauspieler Maxim Vallentin, dem aus Weimar gebürtigen Theaterwissenschaftler Ottofritz Gaillard und dem späteren DNT-Generalintendanten Otto Lang machten sie sich, den Spuren des sowjetischen Theaterreformers Stanislawski folgend, auf die Suche nach der „Bühne der Wahrheit“, nach einer Kunst für die arbeitenden Menschen. Sie suchten mit heiligem Ernst, mit wütender Leidenschaft, auch mit viel Spaß. Bei dieser Suche auf neuen Wegen entdeckten sie und irrten sie, rangen um die Kunst für das Leben und das Leben in der Kunst. Sie kämpften miteinander, auch gegeneinander, fragten gläubig und glaubten fraglos. Nach Freiheit suchend, spürten sie schon wieder Indoktrination und Intoleranz, Diktat und Verbot. Sie zweifelten und verzweifelten. In diesen Jahren zwischen 1947 und 1953 wuchs im „Deutschen Theater-Institut“ auf dem Weimarer Belvedere eine Generation von Bühnenmen-

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schen heran, die als Schauspielerinnen und Schauspieler, Intendanten, Regisseure, Dramaturgen, Theaterwissenschaftler, auch als Partei-Theater-Polit-Funktionäre die Theatergeschichte der DDR geprägt haben, viele fördernd, manche bremsend, viele ehrlich, manche anpasserisch, heuchlerisch, selten interessenlos.

Einzug Attacca also, die Leipziger Speditionswagen der Theaterleute noch in Sichtweite, nehmen erneut junge Kunstbeflissene Belvedere in Beschlag. Es ist ihr zweiter Einzug, nach wirrenreichem Umhergetriebensein, dieses Mal jedoch nicht simpel – wie 1951 in Hettstedt – als Nachmieter in ein schmuckloses Finanzamtsgebäude, sondern als Schlossbewohner. Tusch!

Häuser Musiker ziehen ein. Man wird es hören. Man soll es wissen – Häuser erhalten klingende Namen. Die „Großen Vier“ werden, ihrem Eintritt in die Musikgeschichte dem Uhrzeiger folgend rund um den Schlossplatz angeordnet. Bach also als Ältester, mit der Lebenswelt Weimars eng verbunden, erhält den Ehrenplatz links nächst dem Schlosse. Der Direktor soll im „Bach-Haus“ wohnen, die Verwaltung ausreichend Platz finden. Das Pendant auf der westlichen Seite, nun „HaydnHaus“, wird zum Mittelpunkt des Austauschs mit Konferenzraum, Lehrerzimmer und, nicht zu vergessen, dem Büro der SED-Parteileitung. Heißt das Mädcheninternat gegenüber in pikanter Anspielung auf den Paten „Mozart-Haus“? Cosi fan tutte? Entführung aus diesem Serail? Da sei die FDJ davor. Der Kreis schließt sich mit dem „Beethoven-Haus“, ernsthaft, pflichtbewusst. Hier haben die Pianisten ihr Domizil, werden die Bläser unterrichtet, findet Unterweisung in Musiktheorie statt, liefern Notenarchiv, Bücherei und Instrumentenkammer materielles Rüstzeug. Der Rundbau bietet sich für Orchestermusizieren an. In den Gebäuden des Dreiseithofes, im „Schubert-“, „Weber-“ und „Schumann-Haus“ wohnen die Jungen, romantisch höchstens in Analogie zu manch elendem Schubertdomizil. Das zum Querweg hin gelegene „Brahms-Haus“ besitzt durch Küche, Mensa und eine in Pacht befindliche Gastwirtschaft für alle Schulangehörigen maximale Anziehungskraft. Ungetauft bleiben die Schlosspavillons, in denen allgemeinbildender Klassenunterricht abgehalten wird. Dafür erhält das kleine Gebäude unterhalb des „Beethoven-Hauses“ den grandiosen Namen „Richard-Wagner-Haus“. Versteckt gelegen,

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scheint es sich der innewohnenden Verpflichtung zu genieren. Zu Unrecht; denn es beherbergt ein Theater. Die einstige Remise hatte nach ihrer Aufrüstung zur Polizeiturnhalle weitere Verwandlungen erfahren. Die HJ-Orchesterschule nutzte sie zu Gemeinschaftsproben. Das DTI bedrängte das Thüringer Kulturministerium hartnäckig und erfolgreich mit der Forderung nach real existierend praktischer Bühnenausbildung. So war durch befehlsgewaltige Förderung seitens der SMATh und wiederum unermüdlich tatkräftiges Anpacken aller Studierenden ein kleines Schmuckstück entstanden, schlicht „Studio-Theater“ genannt und im Dezember 1951 zum Geburtstag des Großen Stalin eröffnet. Die Musikfachschule sieht für dieses Erbe – eine Bühne? mit Drehscheibe? wozu? – anfänglich keine rechte Aufgabe. Doch zahlreichliche Nebengelasse, für Kostüme, Möbel und Requisiten gedacht, bieten nun allen Streichern zum Lehren und Üben angemessenen Platz.

Menschen Reichlich Raum ist das, sinnvoll zugeordnet, aber auch notwendig für die stark angewachsene Menschenschar. Im Mittelpunkt stehen die knapp einhundertundfünfzig Schülerinnen und Schüler, betreut von mehr als sechzig Lehrkräften; fast zwei Drittel sind Lehrbeauftragte. Zu den Hauptamtlichen sind einige Absolventen der Hochschule gestoßen, neu auch Lehrer für Russisch und Gesellschaftswissenschaften. Verwaltungsleiter mit Sekretärinnen und Buchhalter, die unersetzliche Küchenleiterin Frau Lindig mit fünf Helferinnen, Hausmeister und zehn Reinigungsfrauen, Kraftfahrer, Telefonist, Hausinspektor, Haushandwerker und Heizer komplettieren das Personal. Es ist gegenüber dem Eisleber Gründungshäuflein auf das Vierfache angewachsen. Aus aufgelösten Schulen – der Konzentrationsprozess geht weiter – kommen ständig Schüler hinzu, aus Bernburg mit drei anderen auch Georg Zeretzke, bis heute international gefragter Klarinettenprofessor. Sein Aufstieg an das Solopult der Deutschen Oper Berlin führte allerdings nicht über die Weimarer, sondern nach politischen Verdächtigungen über die Hochschule in Berlin (W). Die Hoffnung von Hans Della Guardia scheint sich zu erfüllen. Endlich rückt die Ausbildung in den Mittelpunkt. Endlich kann kontinuierlich unterrichtet und geübt werden, nicht zuletzt an den achtzehn mitgebrachten Flügeln. Selbst das Pedalharmonium kommt wieder zu Ehren. Endlich kann allgemeine Bildung systematisch vermittelt werden. Endlich ist die Ausredemisere beendet, die den Raummangel zugleich für jeglichen Mangel an Haltung und Leistung entschuldigend herhalten ließ. Die Freude des Direktors wird nicht von allen Schulangehörigen

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geteilt. Nicht wenige Schüler, manche Lehrer hatten sich im Zersplitterungschaos bequem eingerichtet oder entzogen sich ihm heimreisend, so oft es nur ging.

Außenspiegel Die Schule hat einen festen Standort. Von dem aus startet sie zaghaft öffnende Kontaktversuche, tauscht kurzzeitig einige Schüler mit der Hallenser Schwestereinrichtung aus. Rührende Bemühungen des aus Schlesien stammenden Russischlehrers Wilhelm Rechtsiegel um Verbindungen mit dem Musiklyzeum Wrozław verschwinden unter dem Geschmetter offizieller Freundschaftsfanfaren in ideologisch-bürokratischen Sickergruben. Die Schule hat eine feste Adresse. Anfragen, die an diese zögernd gerichtet werden, kann sie volltönend beantworten. Sie präsentiert, womit sie sich gut hören lassen kann. Weimar unternimmt einen ersten Versuch, stadtöffentlich Fasching zu feiern. Die Kapelle der Fachschule an der Spitze des Zuges, kostümiert, schmissig, umzugserfahren seit frühen Eisleber Tagen, findet auf der ganzen Strecke größten Beifall. Nur Wochen später wiederholt die Blaskapelle, schwungvoll vierzigmündig marschmusizierend, von der schuleigenen Tanzgruppe in leuchtendem Rot attraktiv unterstützt, den Erfolg bei der Demonstration zum 1. Mai. Man wird bekannt in Weimar. Die Sammlung der Kräfte auf eigenem Gelände lässt mehr und mehr künstlerische Knospen springen. Der Chor unter der temperamentvoll einarmigen Leitung von Jochen Miebs erringt Siegeslorbeeren bei Weimar- und Bezirkswettbewerben. Die zukünftige Mitwirkung bei staatlichen Festveranstaltungen ist gesichert. Theaterinteressierte sammeln sich um den animierenden Klavierschüler Jürgen Fritzsche. Wozu hat man schließlich ein Theater! Einakter von Twain und Tschechow ziehen selbst Zuschauer aus der Stadt an. So bekommt auch der DNT-Intendant Kayser auf das Theaterchen Appetit. Zu Goethes 205. Geburtstag beginnt das Nationaltheater mit „Iphigenie“ eine kontinuierliche Sommerbespielung auf Belvedere, der Nebenbühne auf dem Berg.

Binnenwirken Vor allem nehmen engagierte Solo-Aspiranten das Theater als Forum für solistische und kammermusikalische Auftritte in Besitz. Ein Schülerkreis veranstaltet in Eigeninitiative regelmäßig ambitionierte Vortragsabende. Wieder ist der Pianist Fritzsche primus inter pares. Der gute Geist von Belvedere erwacht wieder. Von

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sich aus suchen sich Schülerinnen und Schüler im anregenden Ambiente Podien künstlerischer Entfaltung, ohne nötigenden Druck durch die Leitung, angestachelt durch selbstgesteuerten Willen zur Leistung. Della Guardia muss mit dem Erreichten nicht hinter dem Berg halten. Im ersten Frühling auf Belvedere, im fünften Jahr des Bestehens lädt er zu „3 Tagen der offenen Schultür“ ein. Eltern und Weimarer Interessierte haben Gelegenheit, sich in Schulräumen und Internaten über die zeitgemäß guten Bedingungen zu informieren. Leitung, Lehrer und Schüler geloben dankbar, „auch zukünftig in treuer Ergebenheit zur Arbeiterund Bauernmacht“ ihr „Bestes zu leisten für unser Volk, den Frieden in der Welt und die Freundschaft zu allen Völkern“.9 Vom 13. bis 15. April 1954 leisten sie erst einmal ihr Bestes im einem Konzert von 13 Programm der Eröffnungstage April 1954 Chor und Volksmusikinstrumentalisten, im nun bereits siebenten Vortragsabend, mit einem Platzkonzert des Blasorchesters und einem Sinfoniekonzert, bei dem Pianist Jochen Beez im g-Moll-Konzert von Mendelssohn brilliert. Gemeinsam mit zahlreichen Zuhörern spart Hermann Abendroth nicht mit Anerkennung. Er findet den Weg nach Belvedere nicht zum ersten Mal. Selbst in Erfurt horcht man auf. Der Chor erhält durch die SED-Bezirksleitung ehrenvolle Aufträge, bei KPD-Veranstaltungen in der sonst so aggressiv gemiedenen BRD aufzutreten. Erlebnis- wie erfolgreiche Konzerte im Umkreis von Ludwigshafen können Wochen später nicht wiederholt werden. Nach dem Konzert­ erfolg in Dieburg verschafft der hessische Innenminister den jungen Thüringern ein Erlebnis besonderer Art. Schnurstracks erteilt er Auftrittsverbot, ergänzt durch die Ankündigung sofortiger Rückführung unter Polizeiaufsicht. Deutsch-deutsche Begegnungen haben es schwer, ob in Richtung Ost, ob in Richtung West.

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Belvedere – Kehrseite Aufmerksamkeit, Anerkennung, Erfolge also gibt es, auf mancher Ebene, aus mancher Richtung. Herrscht Glück also rundum auf Belvedere? Die Wirklichkeit hat verschiedene Gesichter. Gleich während dieses ersten Jahres im so stabil erscheinenden neuen Domizil tauchen Risse auf, manche sichtbar am Fachwerk, manche spürbar zwischen den hier Wirkenden, manche unterirdisch erodierend im Fundament. Chronisteneintrag I: „Als Ende Januar die große Kältewelle plötzlich unser Land überfiel, wurden auch die leicht gebauten Häuser unserer Schule davon betroffen. Am 2. Februar 1954 waren wir restlos eingefroren. … Sämtliche Klosetts waren eingefroren. Der arme Kollege Woitschik war Tag und Nacht auf den Beinen, um mit seinen erfrorenen Fingern die vielen Wasserrohrbrüche zu heilen. … Die Schüler mussten das Wasser von weit her heranschleppen, damit Frau Lindig überhaupt das Essen kochen konnte.“10 Zwei Wochen Kälteferien waren die – von manchem freudig begrüßte – Lösung. Belvedere ist ein Sommerschloss. Wer immer aus der herzoglichen, ab 1815, nach dem Wiener Kongress, der erzherzoglichen Familie auf Belvedere wohnte, auch residierte, tat solches einzig in den warmen Monaten. Der Hauptsitz blieb das Stadtschloss. Die Gebäude waren gegen Kälte nicht gerüstet, die dünnen Außenwände nicht, die Dächer so wenig wie die Innenräume. Noch weniger als das Schloss waren es die „Kavalier-“ und „Uhrenhäuser“. Die waren fürs Personal, für adlige und bürgerliche Beamte und die plebejische Dienerschaft bestimmt gewesen. Der Freistaat Thüringen übernahm mit dem Schlossensemble ein so kostbares wie kostspieliges Erbe. Die bald zweihundertjährigen Gemäuer riefen nach zeitentsprechender Sanierung. Wovon jedoch, und auch wofür? Notdürftig wurden in der NS-Zeit „Kameradschaftshäuser“, „Block A“ und „B“ zu Unterrichts- und Internatszwecken hergerichtet, mit simplen eisernen Öfen versehen. Lange Ofenrohre zogen sich nun, glühend im Winter, quer durch Zimmer, über Gänge bis zu den wenigen Kaminen. Wasser- und Abwasserrohre, in und zwischen den Häusern dicht unter dem Erdboden verlegt, kaum isoliert, waren auf harte Fröste nicht eingerichtet. Die fleißigen Schachtarbeiten der DTI-Studenten hatten daran nichts Grundsätzliches ändern können. Winterstörungsbezogene Berichte durchziehen die Schulchronik auf Belvedere mit nahezu eintöniger Regelmäßigkeit, ergänzt durch Klagen über wochenlange Ausfälle. In Winter I liegt der Begründungsakzent auf eingefrorenen Leitungen, in Winter II auf fehlendem Heizmaterial für die nahezu hundert Öfen, in Winter III auf einer Kombination von Grund I und II, im folgenden auf epidemisch grassierenden Erkältungserkrankungen infolge von I und/oder II. Da capo als fine. „Wäh-

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rend der Ferien herrschte rege Bautätigkeit“ meldet der Chronist stolz und ergänzt: „sämtliche Gebäude hatten neuen Putz und Anstrich erhalten“.11 Der nächste Winter kommt bestimmt. Chronisteneintrag II: „Wochenlang mussten wir uns mit dem Fall Witter beschäftigen.“12 Das Erscheinen einer Hochbegabung an der Fachgrundschule erweist sich mehr als Problem- denn als Glücksfall. Jost Witter, fünfzehn, Geigerkind, begeistert mit dem Bruch-Konzert intern Schüler wie Lehrer, bei den „Tagen der offenen Schultür“ mit Tartinis „Teufelstriller-Sonate“ eine sachkundige Öffentlichkeit. Er will geigen, geigen, geigen, üben, üben, üben. Wann er muss. Wann er will. Von dem berühmten Weimarer/Erfurter Pädagogen Walter Hansmann hat er nicht nur zu geigen, hat er zu lernen gelernt. Stunden hintereinander übt er, Stunden hintereinander lernt er, liest er. Er braucht Konzentration. Das kollidiert nicht selten mit einem Klassenunterrichts-Plan im Fünfundvierzig-Minuten-Takt. Della Guardia, Künstler wie Pädagoge, spürt die verpflichtende Herausforderung, diese erste herausragende solistische Hochbegabung an seiner Schule vielseitig zu entwickeln. Er verspricht sich gerade für die Geigerschar – bei Lehrern wie Schülern im Durchschnitt eher Durchschnitt – Ansporn, Motivation, Beispiel. Er versucht, einen Sonder-Ausbildungplan phantasievoll zu erarbeiten, macht ein Übungszimmer extra für Witter frei. Er scheitert. „Wochenlange“ Beschäftigung heißt: wochenlanges Ringen der Kollegen im Konflikt zwischen Ausnahme und Regel. Auch Instrumentallehrer fordern die Einhaltung der Norm; die Begegnung mit dem überragenden Begabten verunsichert das eigene Normmittelmaß. Die besten Mitschüler, unter ihnen der spätere Staatskapell-Konzertmeister Claus Gebauer, empfinden den Herausragenden positiv als Konkurrenz, leiten concurrere von miteinanderlaufen ab. Es gilt zu laufen, nicht zu trödeln, schon gar nicht stehen zu bleiben. Die Positionen verhärten sich, beiderseits. Der eigene Sinn des Fünfzehnjährigen versteift sich zum Eigensinn. Die Norm sieht den Begabten „außerhalb des Schülerkollektivs“ stehen. Die Norm ist die Mehrheit, immer. „Es blieb uns nichts weiter übrig“, als „Jost Witter von der Schule zu entfernen.“ Hansmann nimmt Witter an die Hochschule. Nach Vorstudienjahr, Studium bei Hansmann-Schüler Fritz Ehlers – inzwischen selbst führender Weimarer „Geiger-Vater“ –, Auslandsstudium bei Michail Waiman in Leningrad, Faszination durch sowjetische Kinder-Musikausbildung wird Witter über Halle und Leipzig nach Weimar, schließlich nach Belvedere zurückkehren, mit Spürnase und Lehramt für geigerische Hochbegabungen. Dazwischen wird viel Zeit vergehen müssen. Chronisteneintrag III: „Da sich kein geeigneter Internatsaufseher fand, ein hauptamtlicher FDJ-Sekretär ebenfalls fehlte, ist es nicht zu verwundern, dass

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grobe Verstöße gegen die Schuldisziplin in bedenklicher Weise sich mehrten. Es fehlte die kameradschaftliche Erziehung durch die FDJ.“13 Nicht jeder aus der Schülerschaft bewältigt die Chance, ein sinnerfülltes Verhältnis zwischen Freiheit und Verantwortung herzustellen. Nicht jede Lehrkraft findet zwischen Menschenentwicklung und Disziplinierung eine für junge Menschen hilfreiche Gewichtung. Bedenkliche Vorfälle lösen die Konfliktserie aus. Butter wird an Zimmerwände geschmiert. Mitschülern wird Tabak gestohlen, auch Geld. Einem Geiger wird über Wochen das Instrument versteckt. Flügel-Hämmer werden abgebrochen. Durch Musiker! Es sind Einzelfälle gewiss, aber jeder Einzelfall ist unentschuldbar. Unerklärlich? Halbwüchsig, pubertierend, gerade vierzehn, aus häuslicher Obhut – oder Gängelung – entlassen, betrachten manche die geschenkte Freiheit nicht als Chance, innewohnende Begabung zur Entfaltung zu bringen, sondern erst einmal Frustrationen frei auszuleben. Sie spüren noch nicht, dass sie selbst Verantwortung für das Geschenk ihrer Begabung tragen. Ist sich jeder überhaupt dieser Begabung bewusst, sich als junger Künstler ausdrücken zu müssen, nicht allein an Tönen zu handwerkeln? Es ist eine steinige Selbstsuche, die einfühlsamer Begleitung, fördernder Entwicklung bedarf. Auf diese sensible Aufgabe sind bei weitem nicht alle Lehrkräfte vorbereitet. Viele Instrumentallehrer, zumal praktizierende Musiker, bewältigen diese Prozesse erfolgreich, häufig aus der Intuition heraus. Nicht, weil sie Einfühlungsvermögen mit Weichheit gleichsetzen. Sie müssen streng sein, hart, fordernd, unnachgiebig, nicht zuletzt aus erlebten und erlittenen Erfahrungen. Aber sie betrachten ihre Schüler als lernende junge Musikerkollegen. Sie vermitteln ihnen das Gefühl von Eigenverantwortung für jeden Ton, jede Phrase. Sie übertragen das Bewusstsein von Verantwortung für das Ganze im kammermusikalischen oder orchestralen Musizieren. Der nüchterne Begriff Gemeinschaft erhält so einen erlebten Klang. Im Bereich der Allgemeinbildung treten etliche Lehrkräfte eher in Frontalbegegnung als „Schulmeister“ auf, denn als Meister der Pädagogik, eher autoritär, denn als Autorität. Sie erfüllen eher Lehrstoffpläne, als fragend – siehe Wieland und Zögling Carl August – zu Erkenntnissen zu führen. Kollektivbewusstsein wird appellierend eingefordert, bestenfalls schlicht überzeugt, viel zu häufig hohl agitierend. Losung, Phrase, Transparent rangieren in Ge-Wi-Unterricht und FDJ-Versammlung vor Frage, Zweifel, Argument. Jugendgemäße Äußerlichkeiten – „Künstlermähne“, „amerikanische Be-Bop-Frisuren“, „westlicher Anzug“, „Nietenhosen und Texashemd“ (alles Chronik-Zitate) – werden als feindliche Abweichungen gebrandmarkt, die Träger lächerlich gemacht. Rauchverbote, aus den Mündern kettenrauchender Erzieher qualmend, provozieren Zuwiderhandlung.

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Psychologie ist keine bevorzugte Forschungsdomäne in der DDR, schon gar nicht eine, die besonders Heranwachsende zwischen Vierzehn und Achtzehn beträfe.

Ende einer Ära Hans Della Guardia quälen diese Entgleisungen. Er sucht nach Gründen, nicht zuletzt bei sich und seinen Lehrerkollegen. Er arbeitet eine Schul- und InternatsOrdnung aus, will die älteren Schüler stärker in Verantwortung einbinden, macht darauf aufmerksam – eigentlich selbstverständlich –, in ihnen junge Erwachsene zu sehen, plädiert dafür, sie mit „Sie“ anzusprechen. Er erntet allseits Protest. Die Instrumentallehrer sehen ihre vertrauensvolle Vaterrolle gefährdet. Die Lehrer der Allgemeinbildung befürchten die Unterminierung ihrer Autorität.

14 Chorauftritt

Sensible Menschenentwicklung, nicht disziplinierende Schulerziehung – auf den Spuren des Goethefreundes Frédéric Soret will der Goethefreund Della Guardia bisher wenig erschlossene Wege erkunden und erproben. Er hat dazu keine Gelegenheit mehr. Aus dem handelndem Subjekt wird er zum behandelten Objekt.

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Die Schülerin Renate K. ist seit Ausbildungsbeginn ein Problemfall. Eine fragile Gesundheit, durch schwere Diphterieerkrankungen weiter geschwächt, hindert sie monatelang am Schulbesuch. Doch nicht nur Krankheiten, auch eine kaum durchschnittliche Begabung und schwache Motivation sind Gründe für ungenügende Leistungen in allen Fächern. Zu Beginn des Schuljahres 1954/55 ist eine Reihe entscheidender Prüfungen nachzuholen. Negative Ergebnisse und das damit verbundene Ausbildungsende sind vorhersehbar. Renate K. zieht die Notbremse. Sie erinnert sich, dass Della Guardia sie im Sommer an ihrem Krankenlager im Internat besucht und tröstenden Zuspruch mit einem väterlichen Kuss besiegelt hatte. Die Schülerin nutzt die Abwesenheit des Direktors – er ist mit dem Chor gerade auf Wahleinsatz in Hessen – und benutzt den Klavierlehrer Günter P., vertretungsweise als Betreuer im Mädcheninternat eingesetzt, für ihre Zwecke. Ihm gegenüber unterstellt sie dem Monate zurückliegenden Krankenbesuch unlautere Motive und bauscht die tröstende Geste des Direktors kriminalisierend zur unsittlichen Annäherung auf. Der in seinem pädagogischen Ethos aufgerufene Lehrer meldet den Vorfall postwendend dem Ministerium für Kultur und informiert über Vorfall und Meldung einen Genossen Hochschullehrer. Auf Umwegen über Hochschule und Ministerium erreicht die Nachricht auch die Parteileitung der Fachschule. Der Pädagogische Rat der Fachschule befragt den Direktor. Der bedauert das distanzlose Vorkommnis, akzeptiert die ausgesprochene Rüge für sein Fehlverhalten, wehrt sich jedoch gegen jegliche ihm angedichtete sittenwidrige Motivation. Als Kandidat der SED steckt er zerknirscht auch die Rüge der Parteileitung ein, Mitte Oktober suchen ein Oberreferent und ein Hauptabteilungsleiter des Ministeriums die Schule auf und ziehen Erkundigungen ein. Selbst Kulturminister Johannes R. Becher kommt nach Belvedere, spricht mit dem Direktor jedoch nur „über schulische Belange“. 14 Am 29. Oktober 1954 erteilt die Abteilung Künstlerische Lehranstalten im Ministerium für Kultur in Anwesenheit aller Musikfachschul-Direktoren Della Guardia eine „strenge Rüge“, enthebt ihn seines Postens als Direktor der Weimarer und bestellt ihn in gleicher Funktion an die Bernburger Fachschule. Der Vorgang verrät zweifelnde Unsicherheit über den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen. Die Versetzung des „Delinquenten“ von einer leitenden Position in eine identisch verantwortungsvolle wie dotierte in mittelbarer Nachbarschaft besitzt puren Alibicharakter. Eine parallel zur ministeriellen erfolgte polizeiliche Untersuchung aufgrund einer privaten Anzeige fördert nicht das geringste anklagerelevante Ergebnis zutage. Die Aufsichtsbehörde beauftragt den Parteisekretär und Stellvertretenden Schulleiter Albert Paul kommissarisch mit der Führung der Amtsgeschäfte. Für Berlin ist der Fall Della Guardia abgeschlossen, in Weimar geht es erst richtig los.

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Im Mädcheninternat kommt es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Der Schülerin Renate K. verwehren nicht bestandene Prüfungen und allseitige Missachtung weiteres Bleiben. Nachdem der Informant Günter P. vergeblich versucht hatte, in verhörähnlichen Einzelgesprächen mit Schülern und Lehrkräften sympathisierender Solidarität mit Della Guardia entgegenzuwirken, bezeichnet er schriftlich das Kollegium als „Bande“, die „man zum Teufel jagen“ müsse.15 Die Kollegen lehnen weitere Zusammenarbeit mit ihm ab. Das Ministerium versetzt ihn im Dezember nach Neustrelitz. Nach der Urteilsverkündung versammelt sich die Schülerschaft am Abend des 29. Oktober gegen das ausdrückliche Verbot durch den nun kommissarischen Direktor und gegen den Willen der FDJ-Leitung heimlich im Park, verfasst in Solidarität mit „Della“ eine Protestresolution gegen dessen Versetzung, fordert eine exakte Untersuchung und reicht das Schreiben, mit weit mehr als hundert Unterschriften versehen, bei der Volkspolizei ein. Die SED-Kreisleitung Weimar wittert organisierte Unbotmäßigkeit. Sie stuft die Schülerversammlung als illegal und gefährlich ein – der 17. Juni mahnt – und setzt für den 2. November eine Vollversammlung an. Scharf verurteilt der zuständige Sekretär Hartwig das Verhalten der Jugendlichen als subversive Handlung. Die Schüler protestieren, ihnen geht es um die Aufklärung fragwürdiger Anschuldigungen. Die jedoch will oder kann die Partei nicht geben. Della Guardia bemüht sich, die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Er bittet die Schüler, die Maßnahmen des Ministeriums zu akzeptieren. Er appelliert an Vernunft und Einsicht. Nicht alle verstehen den Appell. Nicht alle reagieren vernünftig. Wütende Randale sind so gar nicht Taten aus dem Geist eines Hans Della Guardia. Disziplinverstöße und kriminelle Handlungen – ständige Urlaubsüberschreitungen – Vergeudung von Lebensmitteln – Demontage von Türschlössern – Zerstörung von Inventar – massenhaftes Abbrechen von Flügelhämmern – rufen rechtens die Kriminalpolizei nach Belvedere. Die Untersuchungen bleiben erfolglos. Hans Della Guardia arbeitet – neben seinen Bernburger Direktorenpflichten – in Bibliotheken und Archiven weiter an der Sammlung von Orchesterstudien. Im Sommer 1955 verlässt er die DDR. Sein Umzugsgepäck besteht aus zwei Aktentaschen. Versuche, in der Kölner Kulturszene Fuß zu fassen, schlagen fehl. Das Musikleben in der Bundesrepublik hat sich, zehn Jahre nach Kriegsende, weitgehend etabliert. Agil wechselt er das Berufsfeld und baut sich diszipliniert in der Verwaltung der Ford-Werke eine neue Karriere auf. Die erste Anschaffung, kreditfinanziert, wird ein Flügel sein. Die Weimarer Möbel des „Republikflüchtlings“ werden erst 1957 freigegeben. Hans Della Guardia stirbt 1996. „Eisleber“, „Sangerhäuser“, „Hettstedter“ und „Belver“ der ersten Jahre treffen sich regelmäßig alle anderthalb Jahre auf halbem Weg nach Belvedere in der Wei-

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marer Gaststätte „Hainfels“, relativ zahlreich, jahrgangsbedingt von Mal zu Mal in schwindender Zahl. Kommt das Gespräch auf „Della“ – das passiert am laufenden Band –, leuchten viele Augen. Eingeladen ist immer auch Frau Ruth Della Guardia. Bis zum Treffen 2005 war sie selbstverständlich dabei. Knapp achtzehnjährig hatte sie 1946 in Helbra den zehn Jahre Älteren geheiratet. Sie lebt, erinnerungsreich und sehr gegenwärtig wach, in Köln.

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Die „Orchesterschule mit Schülerheim“, auf Belvedere von 1941 bis 1945 angesiedelt, war nicht das Ergebnis von Reformbestrebungen in der Musikerausbildung. Sie war die Frucht von Kämpfen zwischen zentralen, regionalen und lokalen Machtorganen und ihren Repräsentanten im NS-Deutschland. Diese Frucht glich dem Apfel, der im Märchen dem Aschenputtel von der bösen Stiefmutter verabreicht wird: aus unlauteren Absichten heraus entstanden, glänzend aussehend und aus einem „reinen“ und einem vergifteten Teil bestehend. Bis zur Machtergreifung durch die Nazis 1933 hatte die Weimarer „Staatliche Hochschule für Musik“ mit diesem Status ein Unikat dargestellt, begrenzt auf das Land Thüringen. Im zentralistisch regierten „Dritten Reich“ war sie eine unter etlichen Hochschulen und Konservatorien. Sie hatte sich dem Vergleich mit berühmten, traditions- und qualitätsreichen Instituten u.a. in Berlin, Leipzig, Köln oder München zu stellen, der aus hauptstädtischer Sicht nicht günstig ausfiel. Das Reichserziehungsministerium (REM), zuständig auch für die Musikhochschulen, zweifelte in bezug auf Finanz-, Personal- und Raumausstattung, auf künstlerische und Lehrqualität die Hochschulwürdigkeit der Weimarer Anstalt an und bemühte sich energisch, sie zu einer „Landesmusikschule“ zurückzustufen.1 Diese Bestrebungen stießen in Weimar auf entschiedenen Widerstand. Die Hochschule – seit April 1934 durch den Dirigenten Prof. Dr. Felix Oberborbeck geleitet – besaß in Berlin und vor Ort in der Gau- und Landeshauptstadt mächtige Verbündete. Direkte Drähte führten zu Fritz Sauckel, dem Gauleiter und Reichsstatthalter in Thüringen und zu Baldur von Schirach, dem Reichsjugendführer und Chef der HJ. Als Sohn des zwischen 1908 und 1918 amtierenden Weimarer Hoftheater-Generalintendanten Carl von Schirach, als begeisterter Internatsschüler des „Waldpädagogiums“ Bad Berka und Klavierschüler der Orchesterschule war er vielfältig in Weimar verwurzelt. Schließlich hatte Hitler selbst seine enge Beziehung zu Weimar in mehr als fünfzig Besuchen ausgedrückt.2 Da Qualität und Ausbildungserfolge im Kunstbereich nicht aus dem Boden gestampft werden konnten, lieferte Oberborbeck sie auf dem NS-ideologisch nützlichen Gebiet der Musikerziehung. Die seit 1937 auf Belvedere eingerichteten „Lehrgänge für Volks- und Jugendmusikleiter“, 1943 als „Seminar für Musikerzieher der HJ“ zur Hochschulabteilung aufgewertet, galten reichsweit als beispielhaft. Das genügte, aus unterschiedlichen Gründen, weder dem REM noch Sauckel. Der Reichsstatthalter forderte zu Repräsentationszwecken die Bildung eines vorzeigbar erstklassigen Musikzuges. Ende Mai 1939 begannen unter Federführung der Gaulei-

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tung diesbezügliche Planungen. Als ausführende Partner waren GMD Paul Sixt und Bannführer Max Reichardt beteiligt, Sixt zugleich als Staatskapellen-Chef und designierter Hochschuldirektor, Reichardt als Leiter des „Bannmusikzuges der HJ Kölleda“, zu Stadtpfeifenzeiten bis 1933 „Lehrlingskapelle Max Reichardt“. Diese 40-köpfige Formation, von Sauckel persönlich hoch geschätzt, sollte den Kern eines großen „Reichsmusikzuges der HJ“ bilden, dessen Mitglieder in einer der Hochschule anzugliedernden „HJ-Musikschule“ ausgebildet werden sollten. Von diesem Konstrukt versprachen sich alle Beteiligten Gewinn: GMD Sixt Aushilfen für seine Kapelle, Hochschuldirektor Sixt Verstärkung seines Hochschulorchesters, Reichardt überdimensionale Aufwertung seiner Provinz-Formation – und seiner selbst, Sauckel vor allem seinen VorzeigeMusikzug. Die Lösung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gauleitung, HJ-Führung und REM, die Regelung von Standortfragen, die Gewinnung von Lehrkräften und betreuendem Personal, schließlich die Werbung von ausbildungsinteressierten wie -begabten Jungen benötigten Zeit. Der lange vorbereitete, seit September 1939 wütende Krieg erschwerte die Materialbeschaffung zur Einrichtung der als Internate vorgesehenen „Uhrenhäuser“ auf Belvedere zusätzlich. Doch der repräsentationslüsterne Reichsstatthalter wollte die Realisierung um jeden Preis. Er hatte die Macht. Er verfügte über Geld: 124 500 Reichsmark kostete die Erstausstattung. 3 Ab 15. Mai 1941 wurden – anfangs – 110 Jungen zwischen 14 und 18 Jahren in der nun „Orchesterschule mit Schülerheim“ benannten Einrichtung ausgebildet. „Die Schüler müssen deutschen Blutes sein und bereits vor ihrer Aufnahme der Hitler-Jugend angehören.“ Für Schule, Unterkunft und Verpflegung „nach Reichsarbeitsdienst- und Wehrmachtssätzen“ waren monatlich 50 Reichsmark zu entrichten. Kinder aus gering bemittelten Familien – sie bildeten die überwiegende Mehrzahl – erhielten Schulgeld­ erlass. Die Ausbildung umfasste Einzelunterricht in einem Haupt-, einem Nebeninstrument und Klavier, Gruppenunterricht in Musiklehre, Rhythmik, Fachkunde und Musikgeschichte sowie Klassenunterricht in Reichskunde, Deutsch, Rechnen, Geschichte, Nationalpolitik und Erdkunde. Gemeinschaftlich musizierte man in Kammermusikgruppen und im Chor. Die Orchesterausbildung fand, nach Ausbildungsstand differenziert, im Übungs-, Streich-, Blas-, Unterhaltungs- und Sinfonie-Orchester statt. Instrumental-Unterricht wurde durch Hochschullehrer und Mitglieder der Staatskapelle, meist Konzertmeister und erste Solo-Bläser, erteilt. Vormilitärische Übungen, Exerzieren, Formationsmarschieren, Frühsport, Fahnenappelle gliederten scharf reglementierend den Tagesablauf. Straffe Organisation ermöglichte auch ausreichende Übungszeiten. Die Verbindungen zur musikalischen Berufspraxis waren reichhaltig. Schüler aus höheren Jahrgängen spielten regelmäßig im Großen Hochschul-Orchester unter der

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Leitung von Sixt und Kapellmeister Karl Ferrand. Die Besten wurden im Theater als Aushilfen in Opern und Konzerten und in Schauspiel- und Bühnenmusiken eingesetzt. Die Auftritte wurden vergütet. Im Laufe des Krieges wurden immer mehr Staatskapellisten eingezogen. Die Schüler rückten nach. Der beabsichtigte „Sinn“ der Einrichtung aber erfüllte sich in Einsätzen als „Reichsmusikzug der HJ“. Propagandaveranstaltungen, Aufmärsche, Parteifeiern, Führergeburtstag, Sieges- und Fahnenweihen forderten unablässig Auftritte mit entsprechenden Titeln. Die weit überdurchschnittliche Qualität der Kapelle, basierend auf staunenswerten instrumentalen Fertigkeiten der Schüler und frappanter orchestererzieherischer Begabung Reichardts, hatte Auftritte in Berlin, in „angegliederten“ oder besetzten Städten wie Salzburg, Wien oder Prag zur Folge. 4 Dass sie mit ihrem Repertoire von Händel bis Lincke, von Wagner bis Suppé als NS-Kultur-Sendboten missbraucht wurden, verdrängten die Musikanten in HJ-Kluft hinter touristischen Erlebnissen und Konzerterfolgen oder nahmen es nicht bewusst wahr. Der Protektor Sauckel nahm Berliner und reichsdeutsche Bewunderung eitel für sich in Anspruch. Selbst als nach Ausrufung des „Totalen Krieges“ im Herbst 1944 Theater, Orchester und viele Bildungseinrichtungen geschlossen, Musiker, Schauspieler, Studenten an die Fronten geworfen wurden, fand Sauckel trickreich Mittel und Wege, um sich seinen „Musikzug“ zu erhalten.5 Die Einsätze beschränkten sich auf Weimar und Umgebung, auf Totenfeiern für Parteiobere, auf Verabschiedung der letzten Reserven, von Flakhelfern und Volkssturm. Am 3. April 1945 wurden die Schüler allein auf Absetzbewegungen zwischen alle Fronten geschickt. Ein Wunder, dass sie überlebten. Verletzungen blieben bei allen zurück, körperliche, die Musikerträume zerstörten, seelische, die noch heute mit Albträumen bis in den Schlaf verfolgen Was ihnen aus der Zeit auf Belvedere nicht genommen werden konnte, war eine professionelle Ausbildung. Mit diesem Gewinn bauten sich viele von ihnen musikalische Berufe auf, die mehr als einen an deutsche Spitzenorchester in Ost und West führten.

Dissonante Nachklänge Ernst Meyerolbersleben, seit 1940 Stellvertreter von Hochschuldirektor Sixt, manövrierte die Hochschule von April bis Juli 1945 durch erste Nachkriegswirren. Im Entwurf für einen Neuaufbau vom 10. Juli 1945 für die SMA Thüringen, verwies er auf die hohe Qualität der „Orchesterschule“: „Wenn auch in der Zielsetzung durch die Einwirkung der Partei etwas abgebogen, der Erfolg der Orchesterschule war nicht zu leugnen.“ Er bezeichnete das Orchester als „bestes Jugendorchester“ und prognostizierte, dass bei

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Wiedereinführung einer solchen Schule ein „beachtlicher Nachwuchs für eine Weiterarbeit in den Abteilungen der Hochschule in Aussicht“ stehen würde.6 In einem folgenden – undatierten – Material plädierte er dafür, in nahtlosem Anschluss an das Vorgängerinstitut mit einer Orchester-Fachschule für 14- bis 18-Jährige in Belvedere für 60 bis 80 Jungen wieder zu beginnen.7 Meyerolbersleben, als „Zweiter Direktor“ langjährig in das System eingebunden, verengt die Vergangenheit der „Orchesterschule“ auf den musikalisch-fachlichen Aspekt. Er entzieht sich der unbequem quälenden Auseinandersetzung mit den mörderisch schuldreichen zwölf Jahren durch aktivistisch akzentuiertes, totales Verdrängen. Am 3. Februar 1954 hielt Ernst Simon, seit Oktober 1953 als Assistent für Gesellschaftswissenschaften an der Fachschule angestellt, im „Richard-Wagner-Haus“ vor Schulangehörigen einen Vortrag zur Bildungsstätte Belvedere.8 Das löbliche Verdienst des jungen Historikers, Lehrer- und Schülerschaft mit der reichen Vergangenheit der neuen Heimstätte vertraut zu machen, offenbart bei der Betrachtung der so unterschiedlichen historischen Epochen fast durchgängig den Gebrauch vulgärmarxistischer Scheuklappen und vermindert beträchtlich den erhofften Erkenntnisgewinn. „Auch über Belvedere wehte die Fahne mit dem Galgenkreuz“, schrieb Simon. „Hier befand sich jetzt die Orchesterschule der Hochschule für Musik mit angegliedertem Seminar für Musikerzieher der Hitlerjugend.“ Abgesehen davon, dass Simon die Gründungszeit falsch einordnete, das „Seminar“ der „Orchesterschule“ angliederte, las er aus dem Werbeprospekt einzig die Begriffe „Wehrmachtssätze“ (der Verpflegung) und „Pflichtfach vormilitärische Erziehung“ heraus (das im Prospekt so nicht existiert). Ausbildungsfächer, Staatskapell-Lehrer, Orchestermitwirkung erwähnt er mit keiner Silbe. Zu Musik heißt es überhaupt nur: „im Blasorchester übte man die so ‚zackigen‘ Weisen des Prof. Herms Niels alias Hermann Nieleböck“.9 Völlig zu Recht verurteilte er eine Jugenderziehung, die zu Krieg, Zerstörung und Tod führte. Er beließ es dabei. Simon, der künftige „Stellvertretende Schulleiter“, verengt die Vergangenheit der „Orchesterschule“ auf den politischen Aspekt. Indem er ausnahmslos alle Aussagen zu musikrelevanten Fakten eliminiert, entzieht er sich einer überzeugenden Auseinandersetzung mit komplizierten, widerspruchsvollen Erscheinungen der NS-Musikausbildung durch ausweichendes Verschweigen. Der Verwaltungsdirektor der „Staatlichen Hochschule für Musik zu Weimar“ – er hieß zufälligerweise auch Ernst Simon – wandte sich am 18. Juli 1950 an das „Amt zum Schutz des Volkseigentums“ in Halle/Saale. „Betr.: Instrumente der ehemaligen Orchesterschule Belvedere, die sich nachweislich in Kölleda befinden.“10 Der kriminelle Casus: Max Reichardt war verdächtig, in den Wirren des Zusammenbruchs der „Orchesterschule“ – und damit der Hochschule – gehörende Instrumente

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nach Kölleda gebracht, seiner wiederbegründeten privaten Musikschule zugeführt oder privat veräußert zu haben. Von 350 Instrumenten hatte die Hochschule nur noch 20 vorgefunden. Ein 1949 aufgetauchtes, signiertes Saxophon hatte den zuvor diffusen Verdacht gerichtsrelevant konkretisiert. Eine Hausdurchsuchung im Februar 1950 brachte etliche „verdächtige“ Instrumente ans Tageslicht. Der Großteil war an die FDJ ausgeliehen worden oder nach Verstaatlichung der „Musikschule Max Reichardt“11 im Frühjahr 1950 in kommunalen Besitz übergegangen. Landkreis und Stadt Kölleda begründeten die Weigerung einer Herausgabe mit der bevorstehenden Gründung eines Kulturorchesters. Kulturpolitisch einsichtsvoll beschränkte sich die Hochschule auf die Forderung zur Rückgabe von zwölf Instrumenten. So steht eine regionale Kriminalposse am Ende dieser Geschichte. Ehemalige „Orchesterschüler“, rüstige Achtziger inzwischen, treffen sich jährlich auf der „Schönen Aussicht“, fasziniert vom heutigen „Musikgymnasium Schloss Belvedere“, den großzügigen Bauten und den begabten jungen Musikanten.

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V 1954–1958

Ende vom Anfang Die Verantwortlichen im Bezirk Erfurt handeln zügig. Am 10. Dezember 1954 hat die Schule einen neuen Leiter. Der Chronist lobt dessen „Korrektheit“ und „freundliches, entgegenkommendes Wesen“. Er nennt ihn bei dreizehnmaligem Chronik-Auftritt prinzipiell „Herr Direktor Röhr“, mindestens „Direktor Röhr“. Distanz steht vor Sympathie. Distanz scheint Karl Friedrich Röhr (1890–1966) zu empfangen und auszusenden. Schon äußerlich könnten der „Strafversetzte“ und der auf den freigewordenen Stuhl Gesetzte unterschiedlicher kaum sein: „Della“: klein, lebhaft, offen, direkt, witzig, „Gackei“ – so der angesichts eines eierförmigen, blankpolierten Kahlkopfs grausamen Schülerhirnen entsprungene Spitzname – groß, hager, gelassen, distanziert, philosophisch. Monate nur von seinem Fünfundsechzigsten entfernt, hatte sich Röhr um den Posten wahrlich nicht gerissen. Gerade ein Jahr zuvor von und mit dem Erfurter zum Weimarer Konservatorium umquartiert, folgt attacca nun per Auftrag der nächste Wechsel, ein höchst unbequemer zudem. Röhr wohnt weiter im vertrauten Erfurt und pendelt über ein Jahr täglich mit Straßenbahn, Bummelzug und Bus, die letzte Strecke per pedes, übernachtet nur notfalls in seinem Dienstzimmer im Bachhaus. Als Organist und Musikhistoriker ausgebildet, auf musiktheoretischem, ästhetischem, literarischem Gebiet selbst gebildet, malt er, schreibt er, protzt damit nicht, verschließt Kreatives in sich und vor anderen. Nur vertretungsweise unterrichtet er Musikhistorie, eher abgehoben als lebendig. Ungern administriert, organisiert er, macht das eher schlecht als recht. Zurückhaltend beobachtende Kühle lässt ihm nicht gerade die Herzen der Schülerschaft zufliegen. Sie akzeptiert seine distinguierte Aura, sortiert sie allerdings oberflächlich unter der Rubrik „farblos“ ein. Eine Anekdote verewigt seinen Namen. Von Werner Reuss, dem hochgeschätzten Orchesterleiter verärgert in den Probenraum gerufen, wütend, weil keine Klarinetten da seien, beschwichtigt ihn Röhr – „Was wollen Sie?! Da sind sie doch!“ – und weist jovial auf die dasitzenden – Oboisten. Seitdem bezeichnen Generationen von „Belvern“ Oboen als „Röhr-Klarinetten“. Wahr? Jedenfalls gut erfunden für kurzsichtige Praxisferne.

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Moderat, aber stetig bemüht sich Röhr, unnötige Diskontinuität im Ausbildungsablauf zu reduzieren. Sinnvoll war es, das Netz von Fachschulen konsequent auf die Hochschulstandorte hin zu konzentrieren. Als sinnlos erweisen sich Berliner Entscheidungen zu Verschiebetransporten von Schülern quer durch das Land. So vergehen Wochen, ehe bis dahin in Bernburg, Burgstädt, Potsdam, Torgau, Wernigerode, Zwickau Studierende in Weimar ihren Platz gefunden haben. Hier entsprechen sie jedoch nicht immer dem angestrebten Leistungsniveau. Verschieben wurde nicht selten mit abschieben gleichgesetzt. Inzwischen verbindlich fixierte Lehrpläne werden von Schule zu Schule unterschiedlich unverbindlich interpretiert. Belastende Qualitätsdivergenzen sind die Folge. Stetig und „mit diplomatischem Geschick“ – so der Chronist – bemüht sich Röhr, fachliche Leistung und diszipliniertes Verhalten als Kriterien für den Verbleib auf Belvedere durchzusetzen, sich um notwendige Entscheidungen nicht zu drücken. Diskontinuität im Lehrverlauf, von „Feinden des Sozialismus“ im Gewand der Jahreszeiten ausgelöst, kann Röhr nicht aufhalten. Zu kältebedingten Ausfällen, pro Jahr minimal vier-, maximal sechswöchig, 1 kommen solche im Sommer und Herbst. „Es war eine nationale Pflicht, unserer Landwirtschaft zu helfen.“2 1955 geht es für zwei Wochen ins Getreide, 1957 in die Kartoffeln. 1955/56 kommen 11 Wochen Ausfall zusammen: ein Viertel des Schuljahres.

Makel und Manko Auch andere Störungen können durch Direktorendekret nicht verhindert werden. Zwingend notwendiges Baugeschehen an den historischen Gemäuern verkehrt erstrebte Verbesserungen ins Gegenteil. So entpuppen sich die endlich nach jahrelanger Vertröstung im ehemaligen Marstall am Mozarthaus eingerichteten Klassenzimmer als Sammelsurium von Mängeln. Die Ehe von Misswirtschaft und Schlamperei gebiert die Kinder Makel und Manko. Neue, aber feuchte Dielenbretter entwickeln sich rasch zur „Wellenlandschaft“. Plasteklinken brechen ab und nötigen permanent zum Unterricht der Offenen Türen. Fehlerhaft gemischter Lack verleiht alten Schultischen neuen Glanz, aber auch stabile Klebkraft für Bücher, Hefte und Jackenärmel. Mangelnde Wandisolierung schließlich fördert ungewollt hohe Verständlichkeit zwischen den drei Räumen; zugleich entsteht, aus Überakustik resultierend, Unverständlichkeit in jedem einzelnen Klassenzimmer. Unterricht im pianissimo als Notlösung beseitigt weder Ursache noch Resultat der Fehlleistung. Groteske Neubaumängel werden durch bauliche Erblasten ergänzt. Historische Abwasserwege ziehen duftreich direkt von Internats-Waschraum und -Toilette per Rinnsal zu Tale. Kein Jahr nach den stolz vermeldeten Verschönerungen à la Pot-

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jomkin verleiht abblätternder Putz dem Bachhaus erneut eine gescheckte Wandgestaltung.3 Die real existierenden Probleme beim Leben in goethezeitlichen Gebäuden entbehren, aus der Distanz eines halben Jahrhunderts betrachtet, nicht eines gewissen pittoresken Charmes. Alles andere als charmant droht ein Brandausbruch, der in einer schadhaften – historischen – Esse entsteht. Er wird in letzter, das Beethovenhaus, womöglich das ganze Gebäudeensemble rettender Sekunde entdeckt. Dass er der einzige bleibt über Jahrzehnte, zumindest der einzige dokumentierte, nicht verschwiegene, bleibt über Jahrzehnte „Das Wunder von Belvedere“. Als gar nicht pittoresk erweisen sich langwierige Nervenentzündungen in Händen und Armen bei Streichern, Pianisten, Gitarristen. Sie häufen sich, haben wochenlange Ausbildungsausfälle zur Folge, gefährden nicht nur Prüfungen sondern ganze Berufswege. Leben und stundenlanges Üben zwischen feuchten, unisolierten Wänden, in schwammbefallenen, nicht unterkellerten, im Winter ungenügend bis gar nicht geheizten Räumen bleiben auf die Dauer nicht folgenlos. Es ist rührend, wenn der Chronist echt betroffen überlegt, ob „Vitaminmangel bei der Mensaverpflegung in dem obstarmen Jahr 1957“ Mitschuld an den Erkrankungen hat, wenn er hilflos fordert, „dass diese Erscheinung einer tiefgründigen Untersuchung“ bedarf.4 Weder er noch Herr Direktor Röhr werden dieses Dilemma lösen können. Manche Kontinuitätsstörung im Klassenunterricht besitzt auch erfreuliche Ursachen. Im Herbst 1955 benötigt die Hochschule Fachgrundschüler für Orchesterkonzerte bei einer Volksmusikwoche in Meißen, im Frühjahr 1956 zur Verstärkung sowohl des Konservatoriums-, als auch des Hochschulorchesters bei Auftritten zum „2. Fest junger Künstler“ in Karl-Marx-Stadt. Auch die Hochschule hat einen neuen Direktor. Der Pianist Willi Niggeling war aus dem Amt entfernt worden, weil er sich konsequent dem Vormarsch des Grundlagenstudiums in Marxismus/Leninismus (ML) zuungunsten musikalischer Fachausbildung widersetzt hatte.5 An seiner Stelle residiert seit Januar 1955 der gerade 27-jährige Musikwissenschaftler Werner Felix. Dessen Bestrebungen zielen so unauffällig wie konsequent auf eine Zusammenführung von Fachgrund-, Fach- und Hochschule. Die Einbindung begabter Fachgrundschüler in Hochschulprojekte beweist klangvoll die Berechtigung solcher Absichten, stärkt zudem das Selbstbewusstsein der auserwählten „Belver“.

Erfolge Das von Della Guardia konsequent verfolgte Konzept erweist über den Abgang seines Verfassers hinaus Gültigkeit. Die Fachgrundschule stellt in der Weimarer

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15 Chor und Orchester der Fachgrundschule. Leitung: Werner Reuss

Ausbildungstreppe das solide Fundament der Orchestererziehung dar. Das wird zwar in den Besten erkennbar, noch aber läuft zu viel Durchschnitt mit oder auch weg; doch von den Besten gibt es immer mehr. Davon zeugen Prüfungsergebnisse, zeugen Übergänge zu Konservatorium und Hochschule, zeugen vor allem eigene Konzerte. Kapellmeister Werner Reuss versteht es, wie schon in Zeiten von Eisleben/ Hettstedt Walter Herbst, aus dem Pflichtfach „Orchesterspiel“ der Schüler Lieblingsfach zu machen. Der erfahrene Oboist weiß, dass vor allem beim gemeinsamen Musizieren aus gesteigerten Anforderungen organisch ebenso gesteigerte Leistungen erwachsen. Er schärft die Ohren. Er feilt hartnäckig. Er fördert aber auch das prima-vista-Spiel, das flexible individuelle Konzentration mit wacher Kommunikation verbindet. Er animiert, immer lustvoll. Noch heute schwärmt Ludwig Bätzel – langjähriger Weimarer Professor für Liedinterpretation, Fachgrundschüler seit 1952 – von der Orchesterarbeit mit Reuss. Der Geigenschüler Bätzel spielt aus Passion jahrelang am vorderen Pult. Den Pianisten Bätzel begleiten im Abschlusskonzert seine Mitschüler beim g-Moll-Konzert von Saint-Saëns. Der Dirigent Bätzel wird diese ersten Erfahrungen nie vergessen, nicht am Pult der Staatskapelle, nicht 1988/89 als Leiter des Belvederer Kammerorchesters.6 Orchesterkonzerte bieten künstlerische Höhepunkte. Alle Jahre wieder finden im überfüllten Richard-Wagner-Haus viele Besucher nur noch Stehplätze. In Kon-

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zerten des Kammerorchesters, dirigiert von Staatskapell-Konzertmeister Siegfried Wengert, finden herausragende Instrumentalisten Gelegenheit, solistisch zu glänzen: der Pianist Jürgen Fritzsche, der Geiger Heinz Schunk, der Flötist Rolf Lukoschek, später als Soloflötist der Staatskapelle langjährig Flötenlehrer auf Belvedere. Auftritte von Tanzorchester und Jazzband unter dem posauneblasenden Bandleader Werner Kunath setzen professionell swingende Akzente. Einzig die Lehrkräfte halten sich als Konzertierende vornehm zurück, nutzen höchst selten und nur in sehr intimem Rahmen die Chance, die vom Direktor gewünschte Rolle von künstlerischen Vorbildern einzunehmen. Dafür begeistert der Chor im Schlosshof ein tausendköpfiges Publikum. Auf dem Programm stehen auch Chorsätze des noch auf Belvedere lernenden Abendroth-Schülers Wolf-Dieter Hauschild. Sehr selbständig initiiert und gestaltet dieser auch musikalisch-literarische Morgenfeiern für die Weimarer Heroen Herder und Schiller. Der Gefahr, künstlerische Aktivität auf Musik zu verengen, wirkt auch die Theatergruppe entgegen. In Aufführungen u.a. von Ostrowskis „Gewitter“ oder Brechts „Die Gewehre der Frau Carrar“ spielen die Pianisten Fritzsche und Duschl neben ihrem Lehrer Dieter Huschke, die Geiger Uwe Wand – später Leipzigs Operndirektor – und Heinz Schunk – nachmalig Konzertmeister der Berliner Staatskapelle – neben Ute Göhring und der Gitarristin Renate Große. Für Ute wird die „Carrar“ zum Sprungbrett zu Schauspielstudium und Bühnenkarriere. Das Krönchen auf den künstlerischen Erfolgskranz setzt 1956 beim „Fest junger Künstler“ die Gitarristin Barbara Effenberger. Spielend erringt sie die erste Medaille für die Weimarer Schule. Sie strahlt golden, Ehrensache. Allen sonst vorrangig Musikbeflissenen öffnen sich vor und auf der Bühne gedankenweitende, interpretationsbereichende Horizonte. Die jungen Musikanten mausern sich, nicht stürmisch, doch stetig. Bei weitem nicht alle, aber immer ein paar mehr lassen sich von Zugpferden wie Fritzsche oder Duschl, Effenberger, Schunk oder Kunath anstecken, das geruhsame Durchschnittsmilieu zu verlassen. Direktor Röhr begünstigt solche Tendenzen, nicht als energiesprühender Animateur, nicht mit der Peitsche antreibend, eher jovial schulterklopfend. Er wirkt auf unspektakuläre Weise, engt nicht ein, sondern fördert, weitet. Freundliche Atmosphäre und schöpferisches Klima sind die Markenzeichen seiner Ära. Zwischen den Polen von romantischer Verehrung für Bruckner und Pfitzner einerseits, linksintellektueller Begeisterung für Majakowski und Brecht andererseits wurzelt im humanistisch weitgespannten Kosmos des Friedrich Röhr eine kreative Toleranz. Seiner Aura von innenwohnender wie ausstrahlender Distanz bleibt geschuldet, dass sie vom Gros der Schülerschaft eher staunend geachtet denn begriffen wird.

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Agitprop Das Aktivieren vorwärtsstürmender, ideologisch einengender Prozesse delegiert Direktor Röhr – Jahrgang 1890 – an den zuständigen Vertreter der jüngeren Generation. „Am 1. November 1955 übernahm der Kollege Ernst Simon das Amt des stellvertretenden Direktors. Damit wurde an unserer Musikschule der Ausnahmefall, dass ein Dozent für Allgemeinbildung, der Kollege Albert Paul als stellvertretender Direktor amtierte, aufgehoben und dieses Amt, wie an allen Fachschulen der DDR, dem Lehrer für Gesellschaftswissenschaften übertragen.“7 Für den SEDParteisekretär Albert Paul stellt sich die Frage erst gar nicht, warum „an allen Fachschulen der DDR“ direkt hinter dem jeweiligen Schulleiter automatisch der Vertreter der ML-Gesellschaftswissenschaften steht, sitzt, drängt, drückt, beobachtet, dirigiert, lenkt, egal, aus welchem Fach er oder sie kommt, und nicht der oder die Geeignetste den Chef oder gar die Chefin unterstützt. Im ideologischen Kampf gegen den Klassenfeind gehört am zentralen Frontabschnitt Erziehung auf diese Position fraglos der Gesellschaftswissenschaftler. Der stellvertretende Direktor Simon betreut in Personalunion auch gleich noch die Abteilung Agitation/Propaganda. Als Volkskorrespondent (VK) für das „Volk“, Organ der SED-Bezirksleitung Erfurt, kann er direkt vom Kampfplatz berichten, hat zudem dadurch die – der Schule zweifellos nützliche – Möglichkeit, dem auf stadtferner Höhe etwas abgelegenen Institut Öffentlichkeitswirkung zu verschaffen. VK Simon greift zur Feder. „Musikschüler besuchen unsere Soldaten. Weder strenger Frost noch ein langer Fußmarsch konnten die Musikschüler von Belvedere abhalten, den vorgesehenen Besuch bei einer Artillerie-Einheit der Nat. Volksarmee durchzuführen. Die meisten Schüler hatten – wie sie selbst zugaben – doch falsche Vorstellungen vom Leben unserer Soldaten und ihrer Ausbildung. … Selbstverständlich waren die Schüler auch Zeuge eines Geschützexerzierens. Einige durften sogar das Richtgerät bedienen.“8 Es gibt Gründe, die NVA schmackhaft zu machen. Die Militarisierung war in beiden deutschen Staaten zügig voranmarschiert. Im Januar 1956 war die NVA offiziell geschaffen worden. Zwar wird in der DDR auf allgemeine Wehrpflicht noch verzichtet – die Bundesrepublik führt sie im Juli ein –, doch der Aufruf, den Dienst in den Streitkräften als „Ehrenpflicht“ anzusehen, verbunden mit drängender Werbung für die vormilitärische „Gesellschaft für Sport und Technik“ (GST), changiert zwischen Appell und Drohung. Schüler aus ehrenpflichtgefährdeten Jahrgängen erinnern an das frühe Gelöbnis der FDJ, nie wieder ein Gewehr in die Hand zu nehmen. Das zählt zu Zeiten verschärfter Systemkonfrontation nicht mehr. Gewiss hat die Fachgrundschule seit ihrer Gründung mit über dreißig Abgängen

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zu Volkspolizei (VP) und Kasernierter Volkspolizei (KVP) ihr Ablieferungssoll weit übererfüllt. Gewiss schielt mancher Schüler auch auf guten Sold und andere Vergünstigungen für Militärmusiker. Aber mit klingendem Spiel zu paradieren, ist das eine, als Rekrut über die Eskaladierwand gejagt zu werden, etwas sehr anderes. Die Diskussionen um den Ehrendienst „bei der Fahne“ bleiben heiß. Erst einmal führt die FDJ den Fahnenappell ein, zur Mahnung. Vorerst nur am Wochenanfang angesetzt, besitzt die Aktion Steigerungspotenzial. Als ergänzend appetitanregende Werbeaktionen sollen die Besuche bei „unseren Soldaten“ dienen. VK Simon greift zur Feder. „Die Fachgrundschule für Musik hat ein ‚Konzert zur Mittagspause‘ im VEB Mähdrescherwerk durchgeführt … und den Betrieb besichtigt. … Es soll damit angestrebt werden, die Verbindung der jungen Musikstudierenden mit den Menschen an der Werkbank zu festigen. Das tut dringend not. … Es verpflichtet die Pädagogen, nicht nachzulassen in der Erziehung der jungen Menschen zum Wissen, dass unsere Gesellschaft jedem Jugendlichen die besten Ausbildungsmöglichkeiten bietet, aber dafür auch Forderungen stellt. Nicht ‚Rentenempfänger‘ brauchen wir an unseren Fachschulen, sondern bewusste, aus der Geschichte lernende und aktiv handelnde Pioniere einer lichtvollen Zukunft. Junge Menschen, die niemals vergessen dürfen, dass die Werktätigen in der Produktion die Werte schaffen, die ihnen das Studium ohne Sorgen ermöglichen.“ 9 VK Simon berichtet auch über den „feierlichen Austausch der Reinschriften des abgeschlossenen Freundschaftsvertrages mit dem VEB Feingerätewerk“ anlässlich des „Nationalfeiertages der Werktätigen“, dem 1. Mai 1957. Zudem gibt es eine „Patenschaft“ zu Gemeinde und LPG Taubach. Die erfüllt sich zumindest in praktischer Erntenothilfe, bringt meist reichliche Verpflegung, manchmal sogar eine leichte Aufbesserung des Stipendiums ein. Bei vielen Jugendlichen ist durchaus Bereitschaft vorhanden, die reale Arbeitswelt in Beziehung zum eigenen Leben zu setzen. Sie haben ihre Herkunft nicht vergessen. Am Wochenende leben sie beim Arbeiter-Vater, bei der Bäuerin-Mutter. Auch die berichten über die Wirklichkeit in VEB und LPG. Das hört sich meist anders an als in den Berichten von VK Simon. Solche tagtäglich und allüberall klaffenden Gegensätze zwischen Jubel-Agitprop und Realität verstärken die alterstypischen Zweifel. Die gebetsmühlenartig wiederholten Appelle zur Dankbarkeit provozieren den Widerspruchsgeist. Sie sind dem Vater-oder-Mutter-Spruch von „deinen Füßen“ und „meinem Tisch“ nervend, aber auch drohend verwandt. Nur nervt nicht der Arbeiter-Vater, sondern Vater Staat, droht nicht die Bäuerin-Mutter, sondern Mutter Partei.

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Blauhemden Da hat die FDJ es schwer. Wie ein wahrlich so gar nicht roter Faden ziehen sich Klagen über die schwache, passive, gleichgültige, überforderte, schwunglose Rolle der staatlichen Jugendorganisation durch die Chronik von Albert Paul.10 „Es fehlte bei vielen Jugendfreunden die Einsicht, aus der geradezu idealen Studienmöglichkeit in Belvedere die Verpflichtung abzuleiten, besonders fleißig zu lernen, das Volkseigentum zu schonen, und durch tadelloses Betragen alles das zu würdigen, was der Arbeiter- und Bauernstaat …“. Die Jugendfreunde sind der wie ein Perpetuum mobile geleierten ideologischen Phraseologie überdrüssig, ob sie bei VK Simon im „Volk“ zu lesen ist, in der „Jungen Welt“ oder im „Neuen Deutschland“. Hören tun sie sowieso Sender auf anderen Wellenlängen.

16 Demonstration zum 1. Mai

„In einem Falle war die gesamte FDJ sich mal einig: Als damals die verbotene FDJVersammlung durchgeführt wurde mit der Unterschriftensammlung für die Polizei.“11 Der Chronist irrt. Es war nicht die FDJ, die sich versammelt hatte. Es war eine Schülerschaft, die sich – gegen den Willen der FDJ-Leitung – für einen verehrten Lehrer einsetzte. Sie bewies konkret eine Haltung, die von ihr abstrakt im hohen weltpolitischen Raum gern eingefordert wurde: Solidarität.

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Sie wollte, sie will die Wahrheit wissen und nicht mit Parolen abgespeist werden, damals nicht und überhaupt nicht. Das wird einfach nicht verstanden. Gesellschaftliches Engagement soll sich durch Blauhemdtragen dokumentieren. Warum? Kurioserweise werden FDJ-Hemden und -Blusen immer kurz vor den Mai-Umzügen gewaschen oder bei der letzten Heimfahrt vergessen. Also bekommen persönliche Initiativen FDJ-Schildchen aufgeklebt: Schülervorspiele der FDJ, FDJ-Theatertruppe, FDJ-Sportwettkämpfe. Nun kann die Leitung etwas nach oben melden. Solcherart Etikettenschwindel lässt die Rolle der FDJ in keinem erfolgreicheren Licht erscheinen. Nach vierjahrelang beidseitigem brieflichen Bemühen sollen im Jahr 1957 endlich dem politischen Herzensbekenntnis zur „Deutsch-Polnischen Freundschaft“ reale Begegnungen erwachsen, im Mai in Wrozław, im Oktober in Weimar. Da könnte auch die FDJ Sympathiepunkte sammeln. Doch die solidarisiert sich, ganz Kampfreserve der Partei, mit der Absage der Reisen. Streiks und Arbeiterproteste in Poznań „ließen die Verhältnisse in Polen für einen Freundschaftsbesuch junger und unerfahrener Menschen nicht ratsam erscheinen“.12 Vertrauen ist gut, Absage ist besser. Verwundert einen das Desinteresse, das Blauhemd in den jeweils herrschenden Wind zu hängen? VK Simon greift zur Feder. „Die Forderung auf ein praktisches Jahr zum Zwecke einer gewissen polytechnischen Bildung und der dringend erforderlichen engeren Bindung an die Arbeiterklasse ist im allgemeinen verstanden und ohne große Diskussionen bejaht worden.“13 VK Simon sagt in vollem Bewusstsein die Unwahrheit. Es hatte außerordentlich aufgeregte, wütende Diskussionen gegeben, unter Schülern wie unter Lehrern. Die Regierung hatte verfügt, dass die Absolventen der Oberoder Fachschulen ein Jahr in einem Produktionsbetrieb oder einer LPG abzuleisten haben, ehe sie die Berechtigung für ein Hochschulstudium erhalten. So sehr diese Maßnahme wortreich ideologisch begründet wird, auch in Phrasen verhüllt verrät sie den puren Arbeitskräftenotstand. Zwischen dem 1. Januar 1954 und dem 31. Dezember 1957 haben 977.879 Menschen die DDR in Richtung Berlin-West/Bundesrepublik verlassen.14 Seit dem 12. Dezember 1957 gilt „illegales Verlassen der DDR“ laut neuem Passgesetz als strafbar. Fast eine Million Menschen fehlen. Sie fehlen umso mehr in einer Volkswirtschaft, die ressourcenarm, technologisch unterentwickelt auf keine Hand verzichten kann, will sie nicht ökonomischen Bankrott anmelden. Den Bankrott des Vertrauens in das „überlegene sozialistische Gesellschaftssystem“ beweist jeder einzelne Weggehende. Darunter sind auch 26 Schülerinnen und Schüler, ein Lehrer, ein Chauffeur der Fachgrundschule für Musik Eisleben/Hettstedt/Weimar. Eine Schülerin, deren Vater die DDR „illegal verlassen“ hatte, wird stellvertretend für den nicht mehr

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Erreichbaren bestraft. Das Weiterstudium an der Hochschule wird ihr erst nach einem Jahr Bewährung in der Produktion erlaubt. Sie darf sich den Absolventen anschließen, deren Studienverlauf auf dem Verordnungsweg unterbrochen wird. VK Simon äußert Einwände, nicht prinzipiell gegen die Verfügung, doch gegen deren Realisierung durch den über „Freundschaftsvertrag“ verbundenen Partner, den VEB Feingerätewerk: „aber – liebe Kollegen – gab es denn für die kleine, sehr begabte, zierliche Pianistin Traudel T. wirklich keinen anderen Arbeitsplatz als nur an der Stanze, … oder für den begabten Günther M. mit dem absoluten Gehör? Man muss diesen Jungen einmal auf der Orgelbank erlebt haben, und man wird begreifen, dass er in einer Halle, in der man das eigene Wort nicht versteht, todunglücklich wäre.“15 Wäre? Ist. Die in die Produktion Verbannten greifen zur Selbsthilfe. „Wir konnten sie nicht daran hindern “, setzt VK Simon sich selbst beschwichtigend hinzu. Sie finden Beschäftigungen im Erfurter Funkwerk und bei den Instrumentenbauern in Klingenthal. Das ist ein sympathisch musikverheißender Ort, nicht nur des Namens halber. Doch diese Vorgänge gehören eigentlich schon zum nächsten Kapitel der Schulgeschichte.

Lautloser Übergang Die Fachgrundschule für Musik gibt, achteinhalb Jahre nach ihrer Gründung, ihre Eigenständigkeit auf. Seit dem 1. März 1958 lautet der Name: „Franz-LisztHochschule, Abteilung Orchesterschule, Unterstufe“. Das klingt zwar schrecklich funktional, doch zum ersten Mal erscheint ein Pate – Franz Liszt. Der erinnert, mahnt an die Visionen des großen Musikers von einer allseitigen Ausbildung junger Musikanten. Anlässlich der Feierlichkeiten zu Liszts 155. Geburtstag 1956 hatte die Weimarer Hochschule den verpflichtenden Namen erhalten. Seitdem darf sich der Leiter der „Weimarer Einrichtung“ nun auch erstmals hochschulgemäß als Rektor bezeichnen. Die Vereinigung, zentral beschlossen, von Rektor Dr. Werner Felix vor Ort nachdrücklich befördert, geht verhältnismäßig lautlos vonstatten. In zahlreichen Sitzungen werden Strukturanpassungen beraten. Für die Schülerschaft scheint sich kaum etwas zu ändern. Friedrich Röhr ist noch Direktor, Ernst Simon noch sein Stellvertreter. Die SED-Parteigruppen machen ihrem Ruf als Avantgarde alle Ehre. Albert Paul gehört von nun an als schlichtes Mitglied der vereinten HochschulParteileitung (HPL) an; diese „bildet jetzt eine starke Einheit, die der Franz-LisztHochschule das Gepräge gibt und die Voraussetzungen schafft für eine sozialistische Erziehung.“16 Soll das eine Verheißung sein? oder eher eine Drohung?

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In der Phase einer Neuorientierung der Weimarer Musikhochschule nach dem 2. Weltkrieg wurden immer wieder Konzepte diskutiert, in denen eine systematische und umfassende musikalische Vorausbildung in Anbindung an die Hochschule selbst, außerhalb von Privatunterricht oder Städtischen Musikschulen, im Blickpunkt stand. 1 Oberregierungsrat Senff, im Thüringer Volksbildungsministerium für die Hochschule zuständiger Referent, stellte im Herbst 1948 fest: „Es muss aber auch eine besondere Abteilung geschaffen werden, die man als Vorsemester bezeichnen … sollte. Diese Klassen müssen junge Menschen aufnehmen, um ihnen die Hochschulreife zu vermitteln. … Der Lehrplan wäre so aufzubauen, dass er auch allgemeinbildende Fächer enthält.“ 2 Senff nahm damit zu einer Entschließung der Studentenräte der SBZ-Musikhochschulen vom 30. Juli 1948 Stellung, für die die Lösung der „Nachwuchsfrage an Berufsmusikern eine der wichtigsten Aufgaben“ darstellte.3 Die Entschließung war Senff durch Hans Pischner in weitergeleitet worden. 4 Der Cembalist Hans Pischner (geb. 1914), war seit Oktober 1946 als Lehrkraft für Cembalo und Theorie an der Hochschule tätig, seit November als deren „Stellvertretender Direktor“. Der Genosse Pischner wurde dem seit 1. April 1948 repräsentativ als Direktor der Hochschule vorstehenden – parteilosen – Komponisten Ottmar Gerster seitens der SED eher über- denn zugeordnet. Konzepte für die weitere Entwicklung der Hochschule darzulegen, gehörte zu seinem Aufgabenbereich. Visionen zu entwerfen ging weit darüber hinaus. Solch eine Vision hatte er erstmalig in einer „Denkschrift über einheitliche Regelung des Musikstudiums in Thüringen“ entwickelt und am 15. Juni 1948 mit ausdrücklicher Befürwortung von Gerster dem Ministerium übermittelt.5 Im Rahmen einer die Hochschule neu gliedernden Gesamtstruktur teilte er einer Einrichtung zur Entdeckung und Förderung von musikalischen Begabungen – einer „Landesmusikschule für Kinder“ – eine entscheidende Aufgabe zu. „Notwendig ist die Schaffung einer Landesmusikschule für Kinder in Weimar mit den begabtesten Kindern Thüringens. Aufnahmen ab 6., 7. Lebensjahr (Beschaffung eines geeigneten Hauses als Internat.) Ziel: Bereits früh beste Schulung für die Begabtesten. Lehrplan: Deutsch, Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaften (gekürzt), Zeichnen, Fremdsprachen und Gymnastik zur musikalischen Vertiefung Ergänzungsfächer: Rhythmik, Harmonielehre, Musikanalyse,

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wahlfrei: 2. Fremdsprache und Kunstgeschichte Internat Voraussetzung“ Das Schreiben vom 21. August 1948 nutzte er, um dem – bis dahin wohl antwortlos gebliebenen – Vorschlag Nachdruck zu verleihen: „Für dieses Internat müssten die Begabungen bereits im Kindesalter vom 6. Lebensjahr an in Zusammenarbeit mit den Kindergärten und den Lehrern ausgewählt werden …“ und drängte, die Lösung würde „umso dringender, nachdem an der Einheitsschule in den oberen Klassen der Musikunterricht nur noch fakultativ stattfindet. … Als besonders geeignet erscheint die frühere Hermann-Lietz-Schule Schloss Ettersburg.“ 6 Pischners Drängen hatte Erfolg. Senff machte handschriftliche Anmerkungen, fragte nach der geplanten Anzahl der Plätze, verwies auf die Entfernung Ettersburg – Weimar, betrachtete den kühnen Vorschlag „im ganzen wohlwollend“7 und erwartete Terminvorschläge für eine Eröffnung. Pischner schätzte den Verlauf der Dinge realistisch ein. Der pragmatisch Planende sah den Zeitpunkt einer Eröffnung erst nach Abschluss des bevorstehenden Goethejahres 1949.8 Er ließ desungeachtet nicht locker. Um den Eindruck zu verwischen, die Angelegenheit könnte auf die ein Goethejahr lange Bank geschoben werden, wandte er sich am 2. Februar 1949 direkt an Ministerin Dr. Torhorst.9 Durch einen Literaturhinweis hob er das Projekt einer musikalischen Frühausbildung gezielt aus dem Bereich der subjektiven Vision auf die Höhe des objektiv nachweisbaren sowjetischen Beispiels. Zur sichernden Untermauerung schickte er den entsprechenden Beitrag gleich mit. In Heft 12/48 des „Aufbau“, des Organs des Kulturbundes hatte Werner Köhlert eine Musikerausbildung vorgestellt, die im Rahmen des verbindlichen Schulsystems allgemeine und musikalische Ausbildungsstätten parallel erscheinen ließ. 10 „a) Musikschule = Grundschule. Hier wird die Elementarausbildung vermittelt. Sie läuft neben der Einheitsschule. b) Konservatorium = Oberschule. Sie folgt der Grundschule. Aufgenommen werden überdurchschnittlich Begabte ab 14 Jahre. Am Konservatorium wird die technische Ausbildung vollendet und die Allgemeinbildung vermittelt. c) Hochschule = Universität. Diese Form der Gliederung besteht in Russland z.B. schon seit langem und wurde neuerdings an der Leipziger Hochschule eingeführt.“ Für sein Plädoyer, den Hochschulen Vorschulen anzuschließen, verwies er wiederum auf das „Beispiel Russland, wo den Konservatorien in Moskau und Leningrad (die führenden Institute der Sowjetunion, die für das ganze Land maßgebend sind) sowohl eine Musiklehranstalt“ (also Fachschule) „als eine Musikschule für Kinder angeschlossen sind.“

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War Pischners Vorschlag zu kühn, seine Intervention zu massiv? Erschien der Hinweis auf das doch sonst immer maßstabsetzende sowjetische Beispiel zu aufdringlich? Fehlte es an Geld? Oder an Mut? Mit diesem Dokument endete ein hoffnungsvoll vielversprechender Gedankenaustausch. Kühne Visionen, erfolgreiche Beispiele, konkrete Planungen, wohlwollende Bereitschaft seitens der Administration – die Voraussetzungen, eine umwälzende Reform in der musikalischen Menschenbildung vom Kindergarten bis zur Hochschule zu initiieren und zu realisieren, waren noch nie und für lange Zeit nicht wieder so günstig gewesen wie zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort Weimar.

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Chronist

Das letzte Zitat aus der Chronik von Albert Paul gibt Anlass, den Blick kurz auf den Chronisten selbst zu richten. Ohne seinen Bericht wäre es kaum möglich, die Geschichte des „Musikgymnasiums Schloss Belvedere“ gerade zu ihren Anfängen hin zu verfolgen. In keinem Archiv findet man, höchst sorgfältig auf- und ausführlich nachgezeichnet, für die Entwicklung der Schule zwischen 1949 bis 1959 eine derartige Fülle an Fakten, Ereignissen, Namen, Orten, detailreich beschrieben, aufmerksam zugeordnet. Dafür gebührt dem Chronisten Dank. Die Aufzeichnungen wurden 1959 in Weimar abgeschlossen. 1 Sie verwenden reichhaltiges, das Institut betreffendes Pressematerial, listen penibel Schülernamen und Zensuren auf. Es ist zu vermuten, dass Paul auf eigene Tagebücher zurückgegriffen hat. Der zeitnahen Entstehung des Berichtes ist zu verdanken, dass dieser unverwechselbaren Zeitgeist spüren lässt – allerdings so, wie ihn Paul empfunden hat und darstellt. Denn Albert Paul ist durchaus nicht nur der Chronist. Gewiss, das Personalpronomen „Ich“ taucht im Bericht nie auf. Wenn Paul sich selbst benennen muss, weil er am Geschehen mitwirkt, spricht er vom „Kollegen Paul“, vom „Lehrer Paul“, vom „Sekretär der Betriebspartei-Organisation der SED Paul“, vom „Genossen Albert Paul“, vom „Stellvertretenden Schulleiter Paul“, von dem – nach Della Guardias Abschiebung – „mit der kommissarischen Leitung beauftragten stellv. Dir. Albert Paul“. Der Bericht atmet den Zeitgeist der Jahre 1949 bis 1959. Vor allem atmet er die Biographie des Zeitgenossen, des Beteiligten Albert Paul, manchmal verdeckt, manchmal unverkennbar. Es ist keine außergewöhnliche, es ist eine sehr typische Biographie für einen Lehrer im Deutschland zwischen dem Ende des 19. und des 20. Jahrhunderts. Am 5. April 1892 in Schlettau im Erzgebirge geboren, wuchs Albert Paul in einer evangelischen Kantorenfamilie in Markneukirchen auf. Sein Bruder sollte später dem Vater im Amt nachfolgen. Albert besuchte ab 1906 das „Königlich-Sächsische Lehrerseminar“ im vogtländischen Auerbach, erhielt dabei auch Geigen-, Klavier- und Orgelunterricht und beendete die Ausbildung 1912 mit den Zeugnissen der allgemeinen wie der musikalischen Reife und der Wahlfähigkeit.2 Dem freiwilligen Militärdienst im 2. Grenadierregiment Nr. 101 folgten zwei Jahre als Hilfslehrer in Arnsdorf/Sachsen. 1915 wurde Paul als Lehrer an der 8. Volksschule in Leipzig eingestellt und avancierte im September 1933 zum stellvertretenden Schulleiter. Während dieser Zeit übte er nebenamtlich Kantorendienste aus. Vor Kriegsende zum Volkssturm eingezogen, kurz in britische Kriegsgefangenschaft geraten, wurde er in Leipzig nicht wieder in den Schuldienst übernommen. Nach halbjähriger Tätigkeit als Hilfsarbeiter fand er eine

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Anstellung als Buchkontrolleur bei der Leipziger Firma Eschenbach und Schaefer. Am 1. April 1950 wurde er als nebenamtliche, am 1. Juni 1951 als hauptamtliche Lehrkraft an der Musikfachschule Eisleben (bzw. Hettstedt) eingestellt, nach deren Verlegung nach Weimar ab 1. Februar 1954 als Dozent für Allgemeinbildung (Deutsch, Geschichte, Gegenwartskunde, Musikgeschichte, Instrumentenkunde). Pauls Tätigkeit endete mit dem 1. Juli 1959. 1963 nahm er als Rentner die Möglichkeit wahr, im Zuge von Familienzusammenführung in die BRD, zuerst nach Holzminden, dann nach Bad Gandersheim überzusiedeln. Dort lebte das Ehepaar Paul ab 1968 bei seiner Tochter, der Diakonissenschwester Lieselotte Paul. Im Altenheim des Diakonissen-Mutterhauses starb Albert Paul am 15. April 1981. Der unschätzbare Reichtum an Fakten und Daten, Zahlen und Namen in Pauls Aufzeichnungen wird in seinem Wert allerdings verschiedentlich relativiert. Zum einen verschweigt Paul schulrelevante Vorgänge, wenn sie Personen seines familiären Umfeldes betreffen.3 Gravierender ist, dass Beschreibungen, Einordnungen und Wertungen durch Wortwahl und Tonfall starke subjektive Verbiegungen erfahren. Sie offenbaren die Brechungen in Pauls Lebensgang. Seine Ausbildung wird durch die im kaiserlichen Deutschland Wilhelms II. herrschenden Erziehungsprinzipien bestimmt. Im lebensprägenden Alter zwischen vierzehn und zwanzig Jahren empfängt der künftige Erzieher selbst eine Erziehung, die vorrangig darauf abzielt, fortsetzend wiederum Anwälte dieser Prinzipien heranzuziehen. Es ist eine Erziehung zum Untertanen. Der künftige Staatsbürger soll zu Gehorsam, Anerkennung herrschender Autoritäten, Unterordnung, Fraglosigkeit, Zweifelsfreiheit und Gläubigkeit herangezogen werden, bestimmt von den Tugenden Ordnung, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Disziplin. Diesem Leitbild wird Paul Zeit seines Lehrerlebens nachstreben. Zu dessen Erfüllung wird er gleich eifrig den unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen dienen. Albert Paul wird, nachdem er achtzehn Jahre an der Leipziger Volksschule tätig war, acht Monate nach der Machtergreifung durch die Nazis zum Stellvertretendem Schulleiter befördert. Am 1.10.1933 tritt er in den Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) ein. Er ist Mitglied der SA und ab 1.5.1937 der NSDAP, 4 einer von siebeneinhalb Millionen Mitgliedern. Nach 1945 darf er über Jahre nicht wieder im Schuldienst tätig sein. Sein Eintritt in die SED muss nicht aus anpasserischer Berechnung erfolgt sein. Wahrscheinlicher ist, dass er voller Scham seine braune Vergangenheit dadurch tilgen wollte, dass er einem neuen, dem nun herrschenden Heilsversprechen folgt. Seine sozialismusbezogenen Äußerungen sind nie marxistisch wissenschaftlich grundiert, sondern strahlen naive Gläubigkeit aus. Beim Wechsel von Weltanschauungen, Symbolfarben und Parteiabzeichen befindet er sich in prominenter Gesellschaft etlicher, sogar die Weimarer Musikhochschule leitender Persönlichkeiten.

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Ist es verwunderlich, dass an Albert Paul in der Schülerschaft kaum Erinnerungen geblieben sind? Die ersten Schülerjahrgänge wurden auch befragt, welche Lehrerpersönlichkeiten besonders prägend gewirkt haben.5 Unter 23 Namen mit vielfachen Nennungen taucht der von Paul nicht ein einziges Mal auf, obwohl er etliche Fächer in allen Klassenstufen unterrichtet hat. Erinnert wird hin und wieder bei gezielten Fragen sein eindrucksvolles weißes Haar. Er war alles andere als ein „Original“. Ihm war durch rücksichtslos oder liebevoll jede Lehrerschwäche ausnutzende Schüler noch nicht einmal ein Spitzname verpasst worden. Das ist bezeichnend und traurig. Es ist auch zu einem Gutteil ungerecht. Denn Albert Paul hat sich schonungslos gegen sich selbst für die Schule eingesetzt, hat auf seine unterdrückte Art diese Schule geliebt, viele Schüler, manchen Kollegen. Über alles verehrt hat er den „Gründer der Musikschule, Herrn Hans Della Guardia“, dem er den Bericht und ein Bekenntnissonett zueignet. 6 Die neue Musikschule Es zwang die Not der Zeit zu kühnen Planen. Um junge deutsche Künstler zu erziehen, erstand dies Haus der schönen Harmonien für neue Melodie und für das Erbe der Ahnen. Nicht immer schwieg die Dissonanz des Lebens. Manch lautes Forte wollte sich erheben, um dann im Decrescendo zu verschweben, die Hoffnung auf den Schlussakkord war nie vergebens. Sei ernstem Streben schönster Lohn beschieden! Ein gütiges Geschick mag weiter walten. Der Kunst zu dienen, gilt als höchste Tugend. Und fest im Auge wollen wir das Ziel behalten: Für Deutschlands Einheit und gerechten Frieden! Frisch auf ans Werk nun, tatbeschwingte Jugend!

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VI 1958 – 1965

Neue Namen Im Zuschauerraum des Richard-Wagner-Hauses muss mancher stehen. Aufmerksame Schülerinnen bieten spät erscheinenden Lehrern ihre Sitzplätze an und stellen sich auf die seitlichen Stufen. Keine festlichen Garderoben schmücken diesen Schuljahresanfang, anders als vor fast einem Jahrzehnt in Eisleben. Man trägt Alltagkluft, Lehrer- wie Schülerschaft, in Dunkelbraun und Schwarz nur die Offiziellen in der ersten Reihe, zwischendurch auch ein Blauhemd. Unvermittelt erhebt sich ein Schwarzgekleideter, nimmt immer gleich zwei der breiten Stufen zur Bühne hinauf, im Nu wird es ruhig im Saal: Dr. Werner Felix, Rektor der Musikhochschule. Der hat das ährenkranzemblemgeschmückte Rednerpult nicht nötig, will keine pathetischen Schachtelsätze ablesen wie anno 1949 der weißmähnige Professor Gottschalk. Ihm reicht ein winziger Stichwortzettel. Nach lockeren Begrüßungsworten senkt er den Ton ab. Ein Schüler ist während der Ferien von einem LKW totgefahren worden, Egon aus der dritten Klasse. Alle stehen auf, die Klappsitze knallen, knarren beim Hinsetzen. Es folgt ein politischer Kurzvortrag, rotgetönt, über Weltfrieden, Klassenfeind, Aufbau des Sozialismus, unverbrüchliche Freundschaft bis zum Bündnis von Werktätigen und Kultur. Üblicherweise hohl und hölzern knatterndes Agitpropdeutsch verliert im geschmeidig charmanten Vortrag durch den eloquenten Einunddreißigjährigen teilweise den Phrasencharakter, klingt richtig nett. Was hat er gesagt? Jetzt landet der Redner auf dem wunderschönen Belvedere, nimmt offiziell die neue „Abteilung Unterstufe der Orchesterschule“ in die einnehmend ausgebreiteten Arme der großen Franz-Liszt-Musikhochschule auf und erntet animierten Applaus. Der oberste Chef stellt die unter ihm Zuständigen für Belvedere vor. Einiges ändert sich. Friedrich Röhr wird, alters- und krankheitsbedingt, nur noch wenige Stunden unterrichten. Bedauerndes Schade verabschiedet „Gackei“. Als pädagogischer Leiter wird Paul Pohland eingesetzt. Schwacher Beifall begrüßt einen den meisten Unbekannten. Der Lehrer für Biologie, Erdkunde und Englisch, Jahrgang 1922, kommt von der Fachschule Sondershausen. Nach deren Auflösung heißt für ihn der neue Lebensort Weimar, ebenso für neunundzwanzig Schülerinnen und Schüler. Sie werden eingesessenen „Belvern“ Erfahrungen vermitteln können, ob Pohlands Wesen so unauffällig grau ist wie sein Aussehen.

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Die künstlerische Leitung liegt in den Händen von Professor Heinz Lamann. Kräftiges Klatschen verrät hohe Erwartungen. Ein angesehener Pianist hat die wichtige Aufgabe übernommen. Oder wurde sie ihm eher übertragen? Mit der „Eingemeindung“ der bis dahin als Konservatorium bezeichneten Fachschule ist die Ausbildung aller Bläser und Streicher in einer „Abteilung Orchesterschule“ zusammengequetscht worden. 1 Als „Unterstufe“ bildet die bisherige Fachgrundschule einen Appendix mit künftigen Geigern und Gitarristinnen, Pianistinnen und Posaunisten. Als künstlerischer Leiter dieses „Weimarer Allerlei“ wird also ein Klavierprofessor mit einer großen Hauptfachklasse fungieren. In die Anerkennung mischen sich auch Fragen nach Logik und Erfolgsprognose dieser Entscheidung.

Verantwortung Werner Felix delegiert Verantwortlichkeiten weiter. Als Rektor der Hochschule wird er desungeachtet – wie von nun an jeder Weimarer Musikhochschulleiter – hauptverantwortlich für das künstlerische Gedeihen auch und gerade der Jüngsten zeichnen. Es geht um systematische Frühausbildung, die, in ein umfassendes Hochschulkonzept integriert und auf phantasievoller Begabtenfindung basierend, zu praktischer, wissenschaftlicher und pädagogischer Musikausübung hinführen soll – ein Pilotprojekt. Rektor Werner Felix hat hier in Weimar Schulmusik studiert. Der aus Weißenfels Gebürtige erwarb mit einer Dissertation über Ernst Julius Hentschel, einen Weißenfelser Musikpädagogen des 19. Jahrhunderts an der Humboldt-Universität seinen Dr. paed., verdiente erste musikpolitische Meriten im DDR-Staatssekretariat für Hochschulwesen, Schwerpunkt Kunst, Musik, Theater. Er kennt sich aus in der Zentrale wie in der Provinz. Prinzipiell sind das keine schlechten Voraussetzungen, um ein solches Pilotprojekt zum Erfolg zu führen. Der Begriff ‚Pilotprojekt‘ darf nicht zur Annahme verführen, die Eingliederung der Fachgrundschule sei an der Ilm erfunden worden. Eine Folge von Konferenzen der Staatspartei zu Kulturproblemen im Oktober 1957, zur Hochschulpolitik Anfang März und zu Schulfragen im April 1958 hatte auf grundlegende Umwandlungen im DDR-Bildungssektor vorbereitet. Ideologisch also präpariert, vom V. SED-Parteitag im Juli 1958 prinzipienfest zielorientiert, durch einen ZK-Beschluss zur Umgestaltung des Schulwesens vom Januar 1959 fundamentiert, werden diese Prozesse erst Anfang 1965 mit dem „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“2 einen offiziellen Abschluss finden.

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Suchbewegungen Auf zentralistisch eng begrenztem Kurs zu einem noch in der unergründlichen Weisheit des SED-Politbüros verborgenen Ziel muss jede betroffene Bildungseinrichtung eigene Schlängelpfade suchen. Im Verfolg der kurvenreichen Bahnen wird es hilfreich sein, zuerst die ganze Strecke von 1958 bis 1965 überblickend im Auge zu behalten, diese in überschaubare Abschnitte zu zerlegen und sich auf das Orientierungsmerkmal „Struktur“ zu konzentrieren. Schul-/Studienjahr 1958/59 Die fachschulbedingte Gliederung in vier Klassenstufen wird beibehalten; die Klassen II, III, IV werden geteilt. In den A-Klassen werden die künftigen Orchesterinstrumentalisten zusammengefasst, in den B-Klassen die Hauptfächler für Klavier und „Volksmusikinstrumente“, also für Gitarre, Mandoline, Zither, Akkordeon.3 Erstmals zielt diese Einteilung auf eine differenzierende Berufsorientierung hin. Die „A-Klässler“ steuern – vorrangig – den Beruf von Instrumentalisten in Orchestern, Theatern, auch in Militärkapellen an. Das Berufsziel der „B-Klässler“ ist – vorrangig – das zukünftiger Instrumentalpädagogen an Musikschulen. Entsprechend werden in den B-Klassen in allgemeinbildenden und musiktheoretischen Fächern höhere Leistungsanforderungen gestellt. Einige jüngere Pädagogen ersetzen noch aus Eisleber Anfangsjahren stammende, häufig längst im Rentenalter befindliche „Allrounder“. Pädagogisch müssen die Jüngeren nicht automatisch die Besseren sein. Sie vertreten ihr Fach aber auf neuem Wissensstand. Erstmals wird das Fach „Kunstunterricht“ auf den Stundenplan gesetzt und damit für auszubildende Künstler der ästhetische Horizont über die Musikbegrenzung hin erweitert. Erstmals wird das Fach „Rhythmik“ erteilt, wird Musik mit Bewegung, Klangsinn mit Körperbewusstsein verbunden. Schul-/Studienjahr 1959/60 Das bisher gültige Schulsystem von Grund-, Mittel- und Oberschule wird in der gesamten DDR kontinuierlich zu einer Gliederung in die zehnklassige Polytechnische Oberschule (POS) und die Erweiterte Oberschule (EOS) mit den Klassenstufen 11 und 12 überführt. Das hat Folgewirkungen auch auf die Gliederung der „Unterstufe der Abteilung Orchesterschule“. Schul-/Studienjahr 1960/61 Die Nummerierung der Klassenstufen wird der von allgemeinbildenden Schulen angepasst. Die Bezeichnung als Klasse 9 und 10, vor allem 11 und 12 bedeutet allerdings nicht, dass die Ausbildung – wie nach Klasse 12 an einer EOS – mit dem Abi-

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tur beendet wird. Die Änderung gleicht Zahlen an, nicht Inhalte, schließt für die im Schnitt Vierzehnjährigen einfach an eine jeweils abgeschlossene 8. Klasse an. Ab Klasse 10 werden die Stundenpläne durch die Fächer Chemie, Astronomie und Technisches Zeichnen erweitert. In Analogie zur Entwicklung an den POS wird der „Unterrichtstag in der Produktion“ (UTP) eingeführt. Musikbezogene Fächer – Instrumentenkunde, Akustik, Musikgeschichte – werden auf ein Fach „Musikkunde“ reduziert und in nur zwei Klassenstufen unterrichtet. Es wird ein „Vorstudienjahr 11“ eingerichtet. In ihm werden bereits für das Hochschulstudium Vorgesehene zusammengefasst, die zwar einen 10-KlassenAbschluss besitzen, aber alters- und leistungsbedingt noch nicht zum Hochschulstudium zugelassen werden können. Die Einteilung in A- und B-Klassen wird wieder aufgehoben. Um unausgewogene Klassenstärken auszutarieren, siegt Zahlenangleichung über inhaltliche Differenzierung. Schul-/Studienjahr 1962/63 Die Vorbereitungsphase auf ein Hochschulstudium wird erweitert. Es gibt nun ein „Vorstudienjahr 11“ (V 11) und ein „Vorstudienjahr 12“ (V 12). Deren Stundenpläne sind mit den Fächern Gesellschaftswissenschaften, Marxismus-Leninismus, Musikgeschichte, Pädagogik und Psychologie deutlich hochschulorientiert. Diese Fächer werden auch von Hochschuldozenten unterrichtet. Schul-/Studienjahr 1963/64 Die bisherige „Unterstufe“ der Orchesterschule wird – endlich – umbenannt. An der Hochschule war bereits im Studienjahr 1960/61 die „Abteilung Orchesterschule“ abgeschafft worden.4 Der Appendix hing strukturell also seit drei Jahren nicht mehr am Hochschulkörper, sondern in der Luft. Fachverbindungen existierten zu den jeweiligen Fachabteilungen (Streich-, Blas-, Tasteninstrumente) und der Fachabteilung Bund- und Balginstrumente. Eine künstlerische Gesamtverantwortung der Hochschulleitung für Belvedere wies der Strukturplan nicht mehr aus. In Korrespondenz zur Entwicklung des allgemeinen Schulsystems gilt jetzt die Bezeichnung „Oberschulteil der Franz-Liszt-Hochschule Weimar“. Viel wichtiger aber als die Namenskorrektur ist die Vorverlegung des Anfangsalters. Die Schule beginnt grundsätzlich mit der Klassenstufe 7 nunmehr für Zwölfjährige. Spätere Aufnahmen sind bei künstlerischer Eignung möglich. Die weiterhin vierjährige Ausbildung führt analog zur POS in der Regel bis Klasse 10. Daran schließen zwei weitere Ausbildungsjahre an, Vorstudienjahr 11 und 12, Fachklasse I und II oder einfach Klasse I und II benannt. Unterrichtsgegenstände und Unterrichtende entsprechen weitgehend denen im Schuljahr 1962/63.

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17 Der Mann mit der Pauke

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Fortschritte Rektor Dr. Felix belässt es nicht bei seiner begrüßenden Stippvisite auf Belvedere. Er nutzt seine Beziehungen zur Zentrale und bringt bei einem nächsten Besuch einen hohen Gast mit, Genossen Erich Wendt aus Berlin. Aufgefordert, Fragen zu stellen, Missstände zu benennen, Wünsche zu äußern, bleiben die „Belver“ nicht stumm. Direktor Röhr mochte Distanz ausgestrahlt haben, nie aber hatte er auf kritische Anregungen mit Ablehnung, Verweigerung, gar mit strafendem Nachtragen reagiert. Er hatte das offene Wort geliebt, ausgesprochen und angehört. Felix ist ein wenig nervös. Er ist über den sprichwörtlichen Belvederer Freimut gut informiert worden. Die Schüler lassen sich weder von Rektor- und Doktortitel noch von den Funktionen des Gastes beeindrucken; der ist Staatssekretär und stellvertretender Kulturminister. Sie reden freiweg von der Leber. Es geht nicht ums sozialistisch Eingemachte, es geht schlicht um knurrende Mägen. Felix atmet auf, nickt beruhigend nach links zu Wendt, flüstert nachdrücklich nach rechts zu Hochschulverantwortlichen. Vom nächsten Tag an wird „morgens zum Kaffeetrinken auch Butter ausgegeben, was vorher nicht möglich gewesen war.“ Eine Vormittagspause wird verlängert und „an die Schüler eine Tasse Brühe und eine Doppelschnitte Brot als Frühstück ausgegeben.“ Das wird sich bald zur Möglichkeit steigern, zweimal wöchentlich „in dieser Pause auch eine Flasche Milch zu kaufen.“5 Musikantenmägen sind leicht zu beschwichtigen. Rektor Dr. Felix ist ein guter Mann. Er scheint nicht nur direkte Drähte zum Berliner Kulturministerium zu haben, sondern, wichtiger, auch zur Weimarer Brennstoffversorgung. Erstmals funktioniert eine regelmäßige Kohlenbelieferung. Erstmals gibt es keine zusätzlichen winterlichen „Kohleferien“. Nur Bequeme bedauern das. Die anderen lassen Öfchen und Rohre glühen, was das Zeug hält. Noch hält es. Es geht voran. Jetzt sind wir Hochschüler.

Fortschritte? Hochschüler sind vor allem Streicher und Bläser der oberen Klassen. Rektor Felix hat die offiziellen Vereinigungsdirektiven nicht uneigennützig so nachdrücklich betrieben. Er will seine Hochschule klangvoll präsentieren. Für große Orchesterprojekte liefert die „Unterstufe“ Masse, vorrangig bei den Bläsern auch durchaus Klasse. Doch, „was dem einen sin Uhl … “ – für die Hochschule singt die Belvederer „Nachtigall“, für die „Schöne Aussicht“ bleibt die „Uhl“: Das eigene Orchester wird abgeschafft. Was den Jüngeren gestrichen wird, sind in erster Linie nicht

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die repräsentativen Konzerte. Ihnen wird die Ausbildung zum gemeinschaftlichen Musizieren genommen, die handwerkliche Schulung, die künstlerische Sensibilisierung, das persönlichkeitsprägende Erlebnis. Heißt es nicht „Abteilung Orchesterschule“? Die nachgestellte Bezeichnung hat einen bitteren Nachgeschmack: „Unterstufe“. Ehemalige Instrumentalschüler aus dieser Phase, wie Weimars führender Kontrabass-Professor Horst-Dieter Wenkel werden heute noch nervös, wenn sie sich erinnern, wie sie Hals über Kopf als Notaushilfen zur Hochschulorchesterprobe expediert, kein Bein auf den „Figaro“-Boden bekamen, Hohn und Spott von GMD Nissen und hämisches Lächeln der Kommilitonen ernten mussten. „Früh übt sich …“ oder „Was Hänschen nicht lernt, …“ – solche Weisheiten werden vom ehrgeizigen Hochschulrektor in Bezug auf eine früh beginnende Orchesterschulung egoistisch ignoriert. Neu eingerichtete Vorspielnachmittage im Richard-Wagner-Haus, Auswertungen zumindest im Pädagogenkreis bringen für Schüler und Lehrkräfte nützliche Erkenntnisse. Sie können den Orchesterverlust nicht kompensieren.

Gemeinschaftshaus Internat Gemeinschaftliche kreative Arbeitserlebnisse wären dabei gerade in dieser Phase einer Neuorientierung von besonderem Wert. Es ist für die Lehrer- wie für die Schülerschaft nicht einfach sich zusammenzuraufen. Sitzungsprotokolle des Pädagogischen Rates zeugen vom engagierten Ringen um Ausgewogenheit zwischen Allgemein- und Fachausbildung.6 Paul Pohland, der neue Pädagogische Leiter, hatte bisher einzig wissensvermittelnden Klassenunterricht erteilt. Ihm gegenüber müssen die Lehrkräfte des Musiksektors, ob Violinpädgogin, ob Theorielehrer, hartnäckig die Besonderheiten individueller musikalischer Lernprozesse vertreten. Pohlands Sitzungsplan wiederholt mechanisch dröge formulierte Standardthemen von „Maßnahmen zu … “, „Vorbereitung von …“, „Arbeit mit …“. Gerade zweimal für 26 Wochen berührt er das Thema „Musik“ mit „Auswertung der Vorspielstunden“.7 Doch nicht die fehlende musikerzieherische Erfahrung bleibt der entscheidende Mangel des Pädagogischen Leiters Paul Pohland, sondern sein amusisch unschöpferisches Wirken. Die Auseinandersetzungen im Pädagogenkreis werden durch Austausch von Argumenten und Überzeugungen bestimmt und nötigenfalls durch Machtworte des hierarchisch Machtbesitzenden beendet. Für die Annäherungsprozesse im Kreis der Schüler trifft der Begriff Zusammenraufen nicht selten im Wortsinn zu. Der Begriff Schüler wird dabei nicht versehentlich nur im maskulinen Genus ver-

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wendet. Auch zwischen ihnen geht es um Macht. Hierarchische Ordnungen in Internaten aller Arten sind nicht erst durch Robert Musils „Die Verwirrungen des Zöglings Törless“ bekannt geworden. Sie herrschen beim Militär wie bei engelsstimmigen Knabenchören. Mehr und mehr durchsetzen sie auch Belvedere. Die ständige Durchmischung mit Schülern aus abgewickelten Instituten liefert zusätzliche Dynamik. Im Herbst 1958 drängen fast vierzig Neuankömmlinge in geregelte Strukturen; es sind „Neue“, aber keine Anfänger, Sechzehn-, Siebzehnjährige, keine Konfirmanden, nicht Einzelne, sondern ganze Gruppen. Platzhirschkämpfe sind programmiert. Es gibt Herrscher, es gibt Opfer, es gibt Mitläufer, die sich den Herrschern andienen, um nicht Opfer zu werden. Internatshierarchien widerspiegeln die Machtverhältnisse der jeweiligen Gesellschaft. Die „Stifte“ haben die „Alten“ nicht nur selbstverständlich zu grüßen, sie haben ihnen die Schuhe zu wienern und in Mehrbettzimmern – das sind die meisten im Gegensatz zum „luxuriösen“ Mozarthaus mit seinen Ein- und Zweibettkemenaten – aufzuräumen und zu putzen. Die „Alten“ sind nicht zwangsläufig immer die Klugen. Äußerlich bedrohlich stark, sind sie es nicht immer auch im Kopf. Die „Stifte“ fühlen sich körperlich unterlegen, sind deswegen aber nicht schwach im Geiste. Sie haben für „Alte“ Aufgaben in Musiktheorie und Mathematik zu lösen, Noten zu schreiben, Aufsätze zu konzipieren, Vokabelspickzettel zu verfertigen. Der Lohn für brave „Stifte“ besteht einzig im Verzicht auf Bestrafung durch die „Schwarze Hand“. Der Unwillige wird nächtens mit nassen Handtüchern gedroschen, dem Unwilligen der Schlafanzug ausgezogen und das Hinterteil mit Schuhwichse eingeschmiert. Was wiegt schwerer, die Demütigung oder die Unmöglichkeit, sich reinigen zu können? Im Gemeinschaftswaschraum fließt nur kaltes Wasser. Die Dusche wird nur einmal in der Woche angestellt. Für Verrat werden dem Opfer und den ängstlich in den Betten zitternden anderen „Stiften“ Züchtigungen schärferer Art angedroht. Wem sollten sie etwas verraten? Wem könnten sie sich anvertrauen? Streng sehen Leitungsmitglieder Sachbeschädigung als Disziplinverstoß an, über Seelenbeschädigungen sehen sie, ahnungsvoll zwar, doch milde hinweg. „Igel“, der kriegsinvalide Aufseher Lorenz, von niemandem ernst genommen, gibt resigniert auf, nachdem sich ein nächtlicher Massenausbruch, als Geburtstagsspaß deklariert, bedrohlich um seine Wohnung zusammenzieht.

Neuengagement Direktor Felix ist sich seiner Aufsichtspflicht bewusst. Er schafft im Stellenplan ab Neujahr 1959 eine entsprechende Position und besetzt sie zum ersten Mal nach zehn Jahren Schulexistenz mit einem hauptamtlich angestellten Internatslei-

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ter. Siegfried Möckel (1927–2008), aus Auerbach im Vogtland stammend, nach Kriegseinsatz, Gefangenschaft und absolvierter Lehrerausbildung für die Fächer Physik, Chemie und Phonotechnik in Weißenfels und Zschornewitz wirkend, hat sich als Internatsleiter durch eine ebensolche Tätigkeit in Droyssig (Kreis Zeitz) bewährt. Aus Weißenfelser Lehrerzeiten rührt die Bekanntschaft mit dem in dieser Stadt beheimateten gleichaltrigen Werner Felix. Mit jugendlicher Energie geht der durch Statur und Stimmgewalt Beeindruckende seine Aufgabe an, rammt mit unübersehbar steter Präsenz und straffer Kontrolle erste Ordnungspflöcke ein, weist sich den technikinteressierten Jungen gegenüber als Kapazität in Sachen Filmapparaturen und Automarken, Mikrophone und Tonbandgeräte aus, kann Witze reißen und brüllen, vor Lachen oder aus Wut. So verschafft er sich binnen kurzer Zeit Respekt. Der resultiert zu Teilen aus Anerkennung, zu Teilen aus kopfeinziehender Vorsicht. Durch wache, auch wachende bis bewachende Beobachtung verschafft sich der Internatsleiter Kenntnis über Regelmäßigkeiten und Abweichungen im Tun und Verhalten der Schüler, wie sie kein Lehrer, schon gar kein Instrumentallehrer besitzt. Den Pädagogenkreis informiert er jeweils dienstags sachlich und kontrolliert, ob seine Informationen zu Konsequenzen führen. Ganz Belvedere teilt er jeweils am Montagmittag seine Beobachtungen über die satirisch piepsende „Orangerie-Maus“ mit. Die vom sachkundigen Phonolehrer lautstark eingepegelte Schulfunkanlage garantiert, dass die „Maus“ von Schülerschaft und Lehrern verstanden, von Angestellten und Touristen zumindest nicht überhört wird. Als Mitarbeiter gewinnt er auch Schüler, denen es Spaß macht, sprachgewandt witzige Texte zu kreieren, bis sie merken, dass sie nur die Meinung des Chefs witzig zu formulieren und sich ihrer eigenen gefälligst zu enthalten haben. Daraus erwachsende Konflikte werden am nächsten Montagmittag in satirischer Tonlage von der „Maus“ belvedereweit serviert. Gerade noch kreative Mitarbeiter, sind die unbotmäßigen Schüler gewissermaßen bandwendend zu Angriffsobjekten geworden. Überraschende Sympathiewechsel sind eine persönliche Eigenheit des Internatsleiters. Er wendet sie gern und bewusst auch als pädagogischen Trick an. So wandelt sich Respekt mehr und mehr von zuvor kopfeinziehender Vorsicht in mundhaltende Angst. Rektor Felix darf zufrieden sein. Die personelle Verpflichtung hat sich gelohnt. Es scheint Ordnung zu herrschen auf Belvedere.

Schlager Der Schein trügt. Das Protokoll über die Dienstbesprechung am 9. März 1960 führt außer den anwesenden Lehrkräften – zwanzig, so viele wie sonst nie – auch

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den Rektor und „3 Genossen von der Kreisleitung der SED“ auf.8 Es vermerkt für die Tagesordnung unter „1: Bekanntgabe des Disziplinarverfahrens (Ergebnis) – Prof. Dr. Felix: Schülerin Carnarius soll mindestens 1 Jahr vor dem Studium in die Produktion gehen. Jekall wird von der Schule verwiesen. Schmidt wird mit einem strengen Verweis bestraft. … Kollege Rother erhält eine Rüge wegen Verletzung der Aufsichtspflicht ausgesprochen. Kollege Hofmann erhält eine strenge Rüge wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht ausgesprochen. Die Disziplinarmaßnahmen wurden nicht nur auf der Basis des Verhaltens beim Landeinsatz festgelegt, sondern unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens beider Kollegen an der Schule.“ Die insgesamt „13 Disziplinarverfahren sollen in Lehrer- und Schülerversammlungen ausgewertet werden.“ Was war geschehen? Im Sommer 1959 waren Fachgrundschüler der LPG Döbritschen als Hilfskräfte für die Hackfruchternte zugewiesen worden. Nach kurzer Arbeitseinweisung war das Dutzend Vierzehn- bis Siebzehnjähriger, unter ihnen als einziges Mädchen die Cellistin Sigrid Carnarius, sich selbst überlassen worden. Weder LPG-Mitarbeiter noch die beiden zur Aufsicht eingeteilten Lehrkräfte ließen sich fürderhin blicken. Die „Erntehelfer“, anstatt im zugeteilten Feldabschnitt zu arbeiten, amüsierten sich, wie nur einer, der Kontrabassist R.S. in brütender Hitze die Reihen ausjätete. Der immer verdruckst und unsicher erscheinende Erstklässler wurde schon in der Schule häufig verspottet. Nun aber brachen die in den vergangenen Monaten unterdrückten Machtspiele neu auf. R.A., als hochbegabter Tanzmusiker in der Schülerschaft so hoch geschätzt, wie als Leitwolf im Kommando „Schwarze Hand“ gefürchtet, übernahm die Führung, erklärte den „Stift“ R.S. zum Opfer und die Mitschüler aus der 1. Klasse zu Mitläufern. Es steigerte das Imponiergehabe des Herrschers, seine Machtphantasien vor einem Mädchen ausagieren zu können. Die Behandlung des Buchenwaldromans „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz im Deutschunterricht zeitigte perverse Früchte. R.A. gab den Rollen Namen, ernannte sich selbst, groß, blond, blauäugig, zum „Scharführer“, die Kameraden zur „Wachmannschaft“ und den einzig Arbeitenden zum „Juden“. Befehle und Anfeuerungsrufe ertönten in der Sprache der SS. Das Opfer wurde ausgezogen, in ein Brennnesselfeld gezerrt und herumgestoßen. Das Mädchen traute sich nicht einzugreifen. Unter den Mitschülern war nicht einer, der sich der sadistischen Quälerei entzog, gar Widerstand leistete. Der Einsatz ging weiter. War etwas geschehen? Die Beteiligten, ob Täter, Opfer, Mitläufer oder Zuschauerin schwiegen aus Angst, wohl auch aus Scham. Der Kreis war klein. Wochenlange Sommerferien förderten Verdrängen, Verschweigen, Vergessen. Monate später kündigt das Sitzungsprotokoll vom 2. Dezember 1959 an, dass statt des Unterrichts am kommenden Sonnabend morgens um 8 Uhr gemeinsam der Film „Ein Menschenschicksal“ im Richard-Wagner-Haus angesehen werden

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soll.9 Das Protokoll vom 9. Dezember 1959 verzeichnet unter Tagesordnungspunkt 2: „Disziplinlosigkeit bei Appellen. Klasse 12 a sang am letzten Montag zum Appell einen Schlager.“10 Die so belanglos erscheinende Notiz birgt einen spätzündenden Sprengsatz mit anhaltenden Nachwirkungen. Der Schlager heißt „Oh Donna Clara“.11 Ihm war im Film „Ein Menschenschicksal“ mit der konsequenten Unterlegung von KZ-Szenen eine besondere dramaturgische Rolle zugewiesen worden. Wortlos gab er mit schmelzender Melodik und sinnlichem Rhythmus zynisch den Kommentar zu sadistischen und brutalen Folterungen und Exekutionen, kennzeichnete als Leitmotiv kontrastierend die Unmenschlichkeit der SS-Wachmannschaften. Diesen Schlager zwei Tage nach dem Filmerlebnis scheinbar harmlos als Ohrwurm zu intonieren, zeugt von geistiger Unreife, von Empfindungsarmut und Würdelosigkeit der Singenden und darüber auch noch Lachenden. Während des Fahnenhissens vom Herrschertypen R.A. angestimmt, gerät die geschmacklose Dummheit in den Verdacht einer Provokation. So fasst sie auch der Internatsleiter auf, unterbricht die Zeremonie, verbietet das Singen und erweitert das Verbot ins Grundsätzliche. Damit löst er ungeahnte Folgen aus. Die Halbwüchsigen empfinden eine neue Repression, schlucken sie erst und antworten dann mit provozierenden Nadelstichen. Aus allen Ecken, hinter geschlossenen Fenstern und Türen erklingen von nun an Fetzen von „Oh Donna Clara“, werden geträllert, gepfiffen, gesummt oder auf allen möglichen Instrumenten gespielt und verstummen schlagartig, wenn sich ein Lehrer blicken lässt. Die Vorgänge verselbständigen sich zur Machtprobe auf der einen wie auf der anderen Seite. Die Schülerschaft verdrängt – bewusst oder unbewusst – die assoziierenden Filmsequenzen. Sie will die Direktion, besonders den Internatsleiter reizen. Die Leitung, im Argwohn auf gesteuerte neonazistische Tendenzen, durchsucht bis in die letzten Ecken Zimmer und Spinde, öffnet Privatpost, führt reihenweise Verhöre durch. Sie findet kein den Verdacht stützendes Material, stößt aber auf den Vorfall aus dem Ernteinsatz. Nach den Weihnachtsferien wird gezielt in dieser Richtung untersucht. R.A., an beiden Vorgängen aktiv beteiligt, exponiert sich im Zuge der Vernehmungen zu inkriminierenden antisemitischen Äußerungen und wird den Justizorganen übergeben. An den Disziplinarverfahren seitens der Hochschulleitung ist wiederum Genosse Hartwig, Sekretär für Kultur der SEDKreisleitung einflussreich beteiligt.12 Sie führen zu den im Protokoll vom 9. März genannten Maßnahmen. Sigrid Carnarius, bestraft, weil sie die Vorgänge aus Döbritschen nicht gemeldet hatte, fand nach „Produktionsbewährung“ im Mähdrescherwerk über steinige Wege ihren Platz als Musikerin in einem renommierten Orchester. Der gerügte Lehrer Rother wechselt nach Halle, sein Kollege Hofmann in die Bundesrepublik.

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Wer aus der Schülerschaft ebenfalls infolge der Disziplinarverfahren, wer aus fachlichen Mängeln oder wegen sich fortsetzender Institutswechsel die Schule verlassen hat, ist nicht rekonstruierbar. Außer dem Protokollbuch existieren keinerlei relevante Unterlagen der Hochschule.13 Auch im sonst nahezu kompletten Bestand an 213 Klassenbüchern fehlt der gesamte Jahrgang 1959/60. Die Klassenbücher für 1958/59 zählen in vier Klassenstufen 129 Schülerinnen und Schüler auf, die für 1960/61 gerade 66; eine 9. Klasse fehlt völlig. Diese einmaligen Verluste machen nachdenklich.

Aufstieg Auch die Aufzeichnung von Sitzungsprotokollen reißt nach dem 9. März 1960 ohne Begründung ab. Sie wird erst ein Jahr später wieder aufgenommen. Die exakt doppelt unterstrichene Überschrift „Protokolle ab März 1961“ trägt die Handschrift von Siegfried Möckel. Dessen Name steht auch in allen folgenden Anwesenheitslisten an erster Stelle. Die wöchentlichen Berichte in den Klassenbüchern werden von nun an durch ihn kontrollierend abgezeichnet. Der Name Paul Pohland erscheint nicht mehr.14 Für diesen Personalwechsel an der Spitze des für die Hochschule wie für die heranwachsenden jungen Begabungen so wichtigen Pilotprojektes „Frühausbildung“ war Rektor Prof. Dr. Felix verantwortlich. Der hatte den konzeptions- und ausstrahlungslosen, an Musik kaum interessierten Pohland abgesetzt, eine im Interesse kreativer Schulentwicklung in musischer Atmosphäre sinnvolle Maßnahme. Doch auch der als Nachfolger Eingesetzte hat bisher weder künstlerisches Engagement noch pädagogische Sensibilität bewiesen. Einzig als Internatsleiter hat er seine Aufgabe mit Erfolg ausgeführt, durch straffes Durchgreifen, strenges Untersuchen und repressives Disziplinieren. Solch ein Erfolg fordert konsequente Fortsetzung. Felix weiß, spätestens seit der Erledigung der verunsichernden Vorgänge um „Donna Clara“: Auf einen neuen Pädagogischen Leiter Möckel kann er sich verlassen. Auf Belvedere wird Ruhe eintreten. Der Rektor gibt der Sicherung von Disziplin und zweifelsfreiem Klassenbewusstsein den Vorrang gegenüber einfühlsam begleitender Entwicklung von jungen, suchenden Künstlern. Die SED-Kreisleitung befördert die programmatische Berufung und flankiert sie entscheidend in zweifacher Weise: Genosse Hartwig, ihr Sekretär für Kultur, wechselt an die Hochschule als Verantwortlicher für den Zentralbereich der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften. Der neue Schulleiter auf Belvedere wird dem hauptamtlichen Sekretär der Hochschulparteileitung (HPL) als Stellvertreter zur Seite gegeben. Der Marxismus-Papst und der Stellvertreter werden über Jahrzehnte nicht nur die SED-

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Parteisekretäre und -leitungen dominieren, sondern durch ihren Machteinfluss auf Rektoren, Hochschul-, Gewerkschafts- und FDJ-Leitung allumfassend das ideologische Klima der Hochschule prägen. Der Protokolleintrag „Klasse 12 a sang am letzten Montag zum Appell einen Schlager“ ließ am 9. Dezember 1959 nicht ahnen, welche Lawine ein als Notat so nebensächlich erscheinender Vorgang auslösen sollte. Bittere Ironie des Schicksals: Als Protokollführer hatte damals der später wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht streng gerügte, dann in den Westen gegangene Theorielehrer Hofmann fungiert.

Neues Klima Das erste Protokoll unter neuer Leitung, vom 7. März 1961 datiert, fixiert mehrere Kontrollbeschlüsse: zu „Paten-Lehrern“ für die FDJ-Aktive der einzelnen Klassen, zu deren regelmäßiger Berichterstattung vor dem Pädagogischen Rat und zu Kontakten mit der Elternschaft. Am Beginn hält der Protokollant fest: „Frage über Christentum u. Marxismus als nächste Diskussion behandeln am 21. März 61. Prof. Köhler soll eingeladen werden.“15 Eine solche Diskussion findet zwar in den Protokollen des Schuljahres keinen Niederschlag, das Problem bleibt erhalten. Es wird vom Schulleiter jedoch nicht diskursiv sondern administrativ abgehandelt. Sein erstes Ziel ist die „Christengemeinschaft“. In Weimar, dem langjährigen Wirkungsort von Rudolf Steiner, besitzt diese religiöse Vereinigung etliche Anhänger. Gerade junge Menschen fühlen sich vom anthroposophischen Gedankengut mit seiner stark musischen Ausprägung angezogen. Auch „Belver“ suchen zunehmend über die anregenden Veranstaltungen der Glaubensgemeinschaft den Weg zu sich selbst. In der NS-Zeit verboten, ist sie in der DDR zugelassen, jedoch alles andere als erwünscht. Misstrauisch beobachtet der Schulleiter „verdächtige“ Zusammentreffen und verbietet Veranstaltungsbesuche. Als Leiter findet er gegenüber den schulisch wie musikalisch sehr guten Schülerinnen und Schülern keinen Ansatz zu Disziplinarmaßnahmen. Als stellvertretender Parteisekretär malt er die Gefahr sektiererischer Gruppenbildung an die Wand und setzt in der Hochschulleitung durch, dass die betreffenden Belvederer Absolventen – die besten ihres Jahrgangs – ihre Ausbildung nicht in Weimar fortsetzen dürfen. Sie suchen und finden Lehrer in Leipzig, Berlin und Dresden. Der Rektor der Musikhochschule verantwortet mit seinen Kaderentscheidungen auch das Absinken des musikalischen Niveaus auf Belvedere. Es erweist sich als unentschuldbares Versäumnis, für diesen Bereich keine profilierte Künstlerpersönlichkeit einzusetzen. Probleme der fachlichen Ausbildung spielen in den Sit-

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zungen des Pädagogischen Rates kaum eine Rolle. Die künstlerische Ausstrahlung der „Unterstufe“ soll jetzt von einem Ensemble ausgehen, zu dem der Chor, eine Agitpropgruppe, Rezitatoren und eine Instrumentalgruppe zusammengewürfelt werden.16 Das Protokoll verzeichnet: „Programm verpflichtet nicht zu so strengen Maßstäben“ und „Programm in lockerer Form findet mehr Anklang beim breiten Publikum.“ Die Instrumentalausbildung wird durch Akkordeon, Gitarre, Zither und Fagott vertreten. Gewiss zeigen die ausgewählten Musikanten dabei bemerkenswerte Leistungen, das Orchester können sie nicht ersetzen. In Weimar präsentieren Schiller- oder Goetheoberschule Konzerte mit deutlich höherem Anspruch. Für die neue Leitung der Musikhochschul-„Unterstufe“ scheint Mittelmaß ausreichend, für die Musiker, Lehrende wie Lernende, kaum.

Mauer Mit der Errichtung des „Antifaschistischen Schutzwalls“ am 13. August 1961 schließt sich auch um Belvedere der Ring enger. Die totale äußere Abschottung der DDR rechtfertigt Haltung und Handlungen des sicherheitsbesessenen Schulleiters, bei dem sozialistisches Klassenbewusstsein und Disziplin auf der erzieherischen Werteskala ganz oben rangieren. Auf die Struktur der Ausbildungsrichtungen wirkt sich der Mauerbau unter besonderem Aspekt aus. Die Musiktheater und Orchester der geteilten Stadt Berlin, ihr hoher Kunstrang und die in ihnen Beschäftigten hatten vielfach von der Teilung profitiert. Viele Künstler von Staats- und Komischer Oper, Metropoltheater und Friedrichstadtpalast, Rundfunk- oder Berliner Sinfonieorchester musizierten in Berlin (Ost) und wohnten in Berlin (West). Nach dem 13. August müssen sie sich für ihren Lebensmittelpunkt entscheiden. Die meisten wählen ihn in Charlottenburg und Dahlem, nicht in Mitte oder Pankow. Das reißt in Orchestergräben und auf Konzerpodien im Ostteil riesige Lücken. Die Republik muss Nothilfe leisten. An verwaiste Berliner Pulte werden Musikerinnen und Musiker aus Dresdner und Leipziger Spitzeninstituten versetzt. Deren Vakanzen werden aus Weimar und Schwerin nachgefüllt, und so geht die Stufenleiter weiter hinunter. In Döbeln und Parchim ist sie zu Ende. Dort bleiben die Orchesterstühle leer. Notprogramme werden in Gang gesetzt. Um die Personalmängel zu mildern, werden unter der verschleiernden Bezeichnung „Reorganisation“ Theater zusammengelegt und ihre Orchester gemischt.17 Doch dieses Konzept lässt sich nicht über Nacht realisieren. Schnellere Hilfe verspricht, Instrumentalstudenten höherer Studienjahre stante pede mit Praktikantenverträgen in die Orchester zu expedieren. Ihre Staatsexamina können, dürfen, müssen sie, häufig in entlegene Gegenden verfrachtet, neben dicht

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gefüllten Dienstplänen ablegen. Gewiss, die DDR ist klein. Aber Fahrten mit der Deutschen Reichsbahn von Greifswald nach Weimar, von Meiningen nach Berlin nehmen auch ohne Verspätungen kaum ein Ende. Also muss auch an den Hochschulen „nachgefüllt“ werden. In Belvedere wird ab 1962 vorrangig für Instrumentalausbildung geworben, werden Gitarre und Akkordeon in die hintere Reihe gesetzt. Überhaupt werden die ausgedünnten Klassen wieder aufgefüllt. Hatte die Schülerzahl im Schuljahr 1962/63 mit 58 den Tiefpunkt erreicht, wird sie 1963/64 auf 84, 1964/65 auf 104 gesteigert. Den Hauptgrund dafür bildet der erstmals im Herbst 1963 auf die 7. Klasse vorgezogene Ausbildungsstart. Für diese beachtliche Änderung hatte Walter Ulbricht selbst gesorgt. Am 30. Oktober 1962 hatte der SED-Generalsekretär das „schlechte Ergebnis unserer jungen Solisten beim Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau“ beklagt, das die Kulturabteilung des ZK darauf zurückführte, „daß unsere Pianisten und Streicher ungenügend ausgebildet sind. Es wird die Frage gestellt, mit der Ausbildung befähigter Kinder im Alter von 6 bis 8 Jahren zu beginnen“.18 Ulbricht wich der Beantwortung dieser kühnen Frage zwar aus und schlug „Sondermaßnahmen an den Volksmusikschulen“ vor. Seine Intervention aber verlief nicht im Sande. Am 14. November 1962 erwähnte Siegfried Wagner, Abteilungsleiter für Kultur im ZK, gegenüber dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Alexander Abusch einen „Vorschlag der Bildung von Spezialmusikschulen für Kinder“, sah aber dessen Verwirklichung als „zur Zeit noch nicht real“ an.19 Dafür „sollten die Oberschulklassen an unseren Musikhochschulen … aufgebaut werden. Wir betrachten sie als erste Keimzelle für später zweifellos zu schaffende Spezialoberschulen auf diesem Gebiet.“ SED-typisch wiederum sind die mit dieser produktiven Entscheidung verbundenen verbalen Verrenkungen, „in der Öffentlichkeit … über die Einrichtung dieser Oberschulklassen nicht breit (zu) diskutieren, … damit wir nicht die Initiative in eine falsche Richtung lenken.“ Entscheidend aber ist das Ergebnis. Zum Schuljahresbeginn 1963/64 wird die „Abteilung Unterstufe“ zum „Oberschulteil der Franz-Liszt-Hochschule“ erhoben. Mit dieser nominellen wie strukturellen Veränderung kündigt sich unausgesprochen das vorläufige Ende der Suchbewegungen an, die seit 1949 für eine zu professionellem Musikstudium hinführende Vorausbildung charakteristisch gewesen ist. Nicht jeder Chauffeur kannte bei dieser Irrfahrt immer die Richtung. Mancher stieg während der Fahrt aus, ließ das Gefährt einschließlich seiner lehrenden und lernenden Fahrgäste richtungslos weiterfahren. Karambolagen blieben nicht aus. „Zwang“, „Vision“, „Zufall“, „Not“ stand auf einigen Wegmarkierungen. 1965 ist das Ziel erreicht, die „Spezialschule für Musik an der Hochschule für Musik“.

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Die scharfen Untersuchungen, die strengen Disziplinarstrafen im Zusammenhang mit den Vorgängen an der „Unterstufe der Orchesterschule“ 1959 auf dem Weimarer Belvedere sind nicht allein auf institutionelle oder persönliche Motivationen der Leitungen und ihrer Repräsentanten zurückzuführen. Sie haben tiefere Gründe in Ereignissen des internationalen politischen Geschehens. Vom 11. Mai bis 20. Juni und vom 13. Juli bis 5. August 1959 tagte in Genf eine Außenministerkonferenz der vier Siegermächte. In deren Mittelpunkt stand die Problematik der deutschen Teilung. Erstmalig waren bei dieser Konferenz auch Delegationen der beiden deutschen Staaten als Konsultanten beteiligt. Die DDR-Delegation machte für die Verschärfung der politischen Spannungen die Bundesrepublik verantwortlich und sah wesentliche Ursachen dafür im Wirken „faschistischer, revanchistischer und militaristischer Kräfte“ in politischen, wirtschaftlichen und militärischen Ämtern, die in wichtigen Regierungs- und Wehrmachtpositionen bereits in Nazideutschland für Kriegsführung und antisemitischen und politischen Terror verantwortlich zeichneten. Dafür standen stellvertretend die Namen Globke, Oberländer und Speidel. Die Delegation der Bundesrepublik konnte die beweisgesicherten Vorwürfe nicht entkräften, legte aber zum zweiten Konferenzabschnitt eine lange Liste mit Namen von Personen vor, die in der DDR mittlere und hohe Leitungspositionen einnahmen, obschon auch sie im „Dritten Reich“ an mehr oder minder einflussreichen Stellen die NS-Politik praktisch verantwortet hatten. Für die Führung der DDR in ihrem selbstgerechten antifaschistischen Alleinvertretungsanspruch war diese Retourkutsche blamabel. In den folgenden Monaten wurden die meisten der genannten Personen auf unwichtige Posten abgeschoben oder in den Ruhestand versetzt. Parallel dazu wurden im Lande alle Vorgänge und Meinungen peinlich verfolgt, die auch nur andeutungsweise in verdachterregende Nähe zum Aufleben von neonazistischen Handlungen oder Äußerungen hätten gerückt werden können. Dabei gerieten schulische Einrichtungen unter besonders scharfe Beobachtung. Kinder und Heranwachsende kannten, fünfzehn Jahre nach Kriegsende, den Faschismus nur aus Erzählungen, aus Büchern und Filmen. Die politische Führung war misstrauisch gegenüber möglichen Einflüsse der Westsender. Sie misstraute aber auch den immunisierenden Wirkungen eigener Aufklärung durch Schule und FDJ. Am Verhalten der beteiligten Belvederer Schülerinnen und Schüler bei den Geschehnissen im Juli und Dezember 1959 war nichts zu verniedlichen. Die Quälerei im Ernteeinsatz richtete sich selbst und offenbarte im Benutzen des SS-Vokabulars erschreckende politische Dummheit. Das Singen des Schlagers zeigte empfindungsarme

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persönliche Unreife. Doch in beiden Vorfällen kam nicht faschistisches Denken zutage, sondern bedenkliche Gedankenlosigkeit. Andererseits konnten die inquisitorischen Untersuchungs- und Strafaktionen der Schulleitung kaum zu persönlicher und politischer Sensibilisierung der Beteiligten führen. Absurde Aspekte offenbaren die Sanktionen, wird man sich der Herkunft des „verdächtigen“ Schlagers bewusst. Vor Beginn der NS-Herrschaft geschrieben und weltbekannt geworden, hatte „Oh Donna Clara“ nie zum unterhaltenden Musikgut von Wehrmacht, SS oder HJ gehört, hätte nie zu ihm gehören dürfen. Das Schlagerlied war 1928 als Titel für die Musikrevue „Warschau in Blumen“, von Jerzy Peterburski (1895–1979) komponiert worden. Um die Welt ging der Tango in der deutschen Textversion „Oh Donna Clara“. Der Autor, Dr. Fritz Löhner-Beda (1883–1942), Verfasser zahlreicher Weltschlager – u.a. „Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren“, „Was machst du mit dem Knie, lieber Hans?“ oder „Ausgerechnet Bananen“ –, war CoLibrettist der Operetten „Das Land des Lächelns“, „Giuditta“ (Musik: Franz Léhar), „Die Blume von Hawai“ und „Ball im Savoy“ (Musik: Paul Abraham). Im März 1938 wurde der in Wien lebende jüdische Autor von den Nazis verhaftet, zuerst in das KZ Dachau, im September in das KZ Buchenwald verschleppt. Hier schrieb er den Text zum „Buchenwaldlied“ (Musik vom Mithäftling Hermann Leopoldi). Löhner-Beda hatte vergebens auf eine Intervention Léhars bei Hitler gehofft. 1942 wurde er nach Auschwitz deportiert und beim Arbeitseinsatz für die IG-Farben-Fabrik am 4. Dezember 1942 zu Tode geprügelt. Seine Frau und seine Töchter waren schon Anfang September 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet worden. Möglicherweise hätte eine gemeinsame Beschäftigung mit dieser Biografie bei der Belvederer Schüler- wie ihrer Lehrerschaft zu empfindsamem Nachdenken über die räumlich wie zeitlich so nahe Vergangenheit und zu kathartischen Wirkungen geführt, tiefer und nachhaltiger als es Vernehmungen und Disziplinarstrafen vermochten. Jahrzehnte später setzten sich Schülerinnen und Schüler des Musikgymnasiums Schloss Belvedere in der Gedenkstätte Buchenwald in einem eigenen musikalisch-literarischen Programm zu Fritz Löhner-Beda mit dem Erbe des Berges auf der anderen Seite Weimars auseinander. „O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist. Wer dich verließ, der kann es erst ermessen, wie wundervoll die Freiheit ist! O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen, und was auch unser Schicksal sei, wir wollen trotzdem Ja zum Leben sagen, denn einmal, kommt der Tag, dann sind wir frei.“

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Exkurs

VII 1965 – 1980

Appell Gotthard, der schwarzhaarige Cellist aus der obersten Klasse kommt als Letzter den Weg von der Mensa hoch gerannt. Er verschluckt sich noch am Rest seines Frühstücksbrotes, während er „Achtung!“ mehr flüstert als ruft. Schlagartig tritt Ordnung ein: In Reih und Glied, Klasse an Klasse, mit den Jüngsten beginnend, im Abstand die Lehrer, zu Blöcken erstarrt, die rückwärtigen Mauern von Mozarthaus und Bogenhaus entlang. Aller Augen sind auf ein Zentrum gerichtet: Den Fahnenmast. Direkt daneben stehen Elke und Bernd, der FDJ-Sekretär, beide im Blauhemd. Es ist exakt 7 Uhr 10 Minuten. Der Blick von Schulleiter Möckel gleitet befriedigt über seine Schülerschaft. Kurz bleibt er am Klassenblock 8 hängen: Jörg hatte gerade versucht, seine angeschmutzten Schuhe am Hosenbein sauber zu reiben. Doch der Schulleiter nickt jovial; an diesem frühen Septembertag scheint nicht nur der blaue Himmel freundlich gesonnen. Es kann beginnen. Heute wird die Zeremonie länger dauern. Es stehen acht Blöcke da, so viele wie noch nie. Ein kleiner Lockenkopf tritt vor, meldet eifrig: „Klasse 5 der ‚Spezialschule für Musik an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar‘ mit elf Pionieren komplett angetreten.“ Der Schulleiter ist begeistert. So muss das sein. Die Großen amüsieren sich über die Piepsstimme, solche Winzlinge hat es auf Belvedere bisher noch nicht gegeben. Meldung für Meldung erfolgt, bis hin zur Klasse F II. Bernd nimmt vor dem Schulleiter Aufstellung, rapportiert die angetretenen einhundertvierunddreißig Pioniere und FDJler. Vier sind krank. Beim langen Titel „Spezialschule …“ verhaspelt er sich. Der Schulleiter lächelt milde, der Schulname ist neu, das kann schon mal passieren. Bernd ruft erleichtert: „Stillgestanden!“ Jetzt tritt Elke in Aktion, wischt sich die Hände am Rock trocken. Lieber im Konzert die Chopin-Etüde spielen, denkt sie, zieht an der straffgespannten Schnur, und schon klemmt die mal wieder. Bernd hält die Fahnen, Elke zieht und zerrt. In den Blöcken presst man die Lippen zusammen; bloß nicht lachen bei der „Heiligen Handlung“, ein Donnerwetter könnte aus heiterem Himmel losbrechen. Mit einem Ruck fliegen die Fahnen hoch, oben Schwarz-Rot-Gold mit Ährenkranz, darunter die FDJ-blaue. Die Fahnen knattern im Wind. Der Schulleiter dröhnt darüber hinweg markige Bekenntnisse zum Weltfriedenstag, programmatische Aufforderung zu gesteigerter Kampfbereitschaft der neuen „Spezialschule für Musik“, richtet kraftvolle Grußworte an die Neuen aus den unteren Klassen, gibt freudiger Erwartung

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Ausdruck, sie über viele Jahre jeden Morgen hier zu sehen, lobt Frank aus Klasse 10/I für beispielhaften Einsatz als Ferienhelfer. Aufmunternd sanft klingt heute sein „Wegtreten zu Unterricht und Übungen.“ In den erlösten Abgang hinein lässt ein Befehl alle noch einmal zusammenzucken: „Jörg Krüger, sofort in mein Büro!“ Ursula aus der fünften Klasse, bummelt als Letzte vom Appellplatz. Sie hat nicht nur flinke Finger für das Klavierspiel, sie ist auch fix im Kopfrechnen. „Vierzig Wochen“, rechnet sie, „mal fünf Tage – sind zweihundert – mal sieben Jahre – das sind ja tausendvierhundert Fahnenappelle!“ – bei Schnee und Regen, bei guter und schlechter Laune. Sie ist doch zum Musiklernen hergekommen. Nicht einmal gesungen wurde, und wenn es ein Pionierlied gewesen wäre. War es vielleicht doch nicht richtig gewesen, nach Weimar zur Prüfung gefahren zu sein? Leipzig und Dresden wären von ihrem Heimatort schneller erreichbar gewesen. Dort gibt es auch keine Appelle, das weiß sie von Freundinnen. So ganz ins Rechnen und Zweifeln versunken, hat sie den Schulleiter gar nicht bemerkt. Der steht plötzlich vor ihr, groß wie ein Berg. „Du bist doch die schnelle Pianistin aus Auerbach, nicht wahr?“, streichelt er ihr übers Haar. „Du wirst hier viel lernen, pass mal auf !“ Erschrocken knixt Ursula vor dem Berg und läuft, so schnell sie kann, ins Mozarthaus.1

Grundlagen Das zweifelnde Nachdenken der elfjährigen Vogtländerin ist nicht unbegründet. Zum ersten Mal gibt es von diesem 1. September 1965 an eine einheitliche Ausbildung musikalisch Begabter als Vorstufe zum professionellen Studium an den vier DDR-Musikhochschulen. Die einzige „Ordnung“2 bietet weniger Feststellungen als Leerstellen. Diese Freiräume gälte es auszufüllen, mit ungewohnten Gedanken, mit schöpferischen Menschen. Notwendig dafür wäre eine Kombination von visionärer Phantasie und penetranter Durchsetzungskraft, von souveräner Fachkompetenz und Wissen um planwirtschaftliche Schlupflöcher, von Schlitzohrigkeit im Umgang mit der realsozialistischen Administration samt ihrem platten Vokabular und einem integer fortschreitenden aufrechten Gang. Erwachsen könnte so eine übermenschlich anmutende Mischung nur der bedingungslosen Liebe zur Musik und dem Vertrauen in die freie Entfaltung junger künstlerischer Begabungen. Gewiss klaffen humanistisches Ideal und DDR-Realität weit auseinander. Die Kluft zu verringern, würde nur in energischen Kämpfen möglich sein. Doch der Versuch wäre es wert, in Berlin, in Dresden, in Leipzig und nicht zuletzt in Weimar, dem gern präsentierten Vorzeigemuseum für Klassik und Humanität. Ursula, die kleine Pianistin aus Auerbach, wird gemeinsam mit ihren Mitschülern erleben, seien es Kinder wie sie eines ist, Halbwüchsige wie Elke vom Fahnenmast oder

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Erwachsene wie der attraktive Cellist Gotthard, ob und wie diese Kämpfe ausgefochten werden. Sie wird davon kaum etwas erfahren. Aber sie wird es zu spüren bekommen, so oder so. Goethe und Schiller, noch mehr Bach und Liszt hatten auch Ursula nach Weimar gezogen. Die Einzugsbezirke für Bewerber sind zwar regional zugeordnet, aber im Süden des überschaubar kleinen Staates bieten Orchester, Chöre und Theater, Musikschulen und gleich drei der vier Hochschulen dichtgedrängt so reiche Ausbildungs- und anschließende Berufschancen, dass „Grenzgänger“ aus einem Nachbarbezirk nicht fortgeschickt werden, wenn sie begabt sind. Eine Spezialschule muss allerdings den Spagat üben. „Felix Mendelssohn Bartholdy – Leipzig“ nennt Namen und Sitz und trägt die Verantwortung; gelernt, gelehrt und gelebt aber wird in den Gebäuden des ehemaligen Konservatoriums von Halle, der nahegelegenen Hauptstadt des Nachbarbezirks. Damit wird eine regionale Brücke zum Norden der Republik geschlagen und zugleich der vielfarbig grassierende Bezirksegoismus befriedigt. Die Grundlage für eine professionelle Vorausbildung musikalisch Begabter liefert seit dem 25. Februar 1965 das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“.3 Nachdem der Mauerbau die beabsichtigte Abschottung gegenüber der Bundesrepublik, abwanderungshindernd einerseits, einflussmindernd andererseits wirksam zu erfüllen schien, konnte der VI. Parteitag der SED im Januar 1963 verkünden, die DDR sei nunmehr „in das neue sozialistische Zeitalter eingetreten“.4 Sollte also die volkswirtschaftlich zwingend notwendige „Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution“ gelingen, musste die Entwicklung der DDR-Jugend „zu hochgebildeten jungen Sozialisten“ als zukunftssichernde Hauptaufgabe behandelt werden. Dem dient das umfangreiche Dokument. Es regelt in achtzig Paragraphen alle erforderlichen und dem System nützlichen Bildungswege, -stufen und -einrichtungen von Krippe und Kindergarten bis zu Universität, Kunsthochschule, Weiterbildung und pädagogischer Wissenschaft. Systematisch aufgebaut, in sich schlüssig, durch garantierte Schulgeld- und Studiengebührenfreiheit auf soziale Chancengerechtigkeit zielend, könnte es gegenüber dem Dschungel föderaler Bildungsgesetzlichkeit fast beispielhaft wirken. Seine unabweisbaren Geburtsmängel offenbaren sich jedoch in den Namensattributen „sozialistisch“ und „einheitlich“. Das erste verweist auf ideologische Indoktrination und weltanschauliche Monopolstellung, das zweite auf Uniformität und Unterdrückung schöpferischer Pluralität. Den beiden Attributen sind solche Diskriminierungen nicht eo ipso eingeschrieben. Doch sie verlieren ihre unschuldige Autonomie in der rigorosen und brachialen Realisierung durch eine alleinherrschende gesetzgebende Partei, die sie schuldbeladen im eigenen Namen trägt: Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Das System hat alles im Blick und alles

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im Griff. Die beispielhafte Schlüssigkeit des strukturellen Rahmens birgt in sich die hermetische Verschlossenheit des weltanschaulichen Kerns. Die private Allianz von SED-Generalsekretär Erich Honecker und der über drei Jahrzehnte als Volksbildungsministerin herrschenden Margot Honecker bietet zusätzlich die Garantie, dass im Gesellschaftsgefüge der DDR der Bereich Volksbildung die stabilste ideologische Bastion bildet. 5 In diesem System hat auch die „Spezialschule für Musik“ ihren Platz zugewiesen bekommen. „Spezialschulen sind allgemeinbildende Schulen. Sie dienen besonderen Erfordernissen der Nachwuchsentwicklung für die Wirtschaft, die Wissenschaft, den Sport und die Kultur. Die Spezialschulen nehmen Schüler mit hohen Leistungen und besonderen Begabungen auf “ 6, definiert § 18 im ersten Absatz, führt die verschiedenen Zweige auf und benennt als Hauptziel das Erlangen der Hochschulreife. „Spezialschulen und Spezialklassen, die nicht zur Hochschulreife führen, bereiten auf besondere künstlerische und sportliche Leistungen vor.“7 Der gerade acht Sätze schmale Paragraf verweist sowohl auf die Musikschulen als die „wichtigsten Einrichtungen für die außerunterrichtliche instrumentale Musikerziehung“8 als auch auf die Verantwortung der zuständigen Institutionen „für die personellen und materiellen Voraussetzungen.“ 9 In der Sowjetunion war bereits 1938 die Installierung von Spezialschulen an den führenden Konservatorien angeordnet worden.10 Aufgrund der Begegnungen mit faszinierenden jungen sowjetischen Musikern hatte das DDR-Kulturministerium seit 1958 Instrumentalpädagogen (ohne Weimarer Beteiligung) zu Studienreisen nach Moskau, Leningrad und in die Provinz geschickt. Unschwer gelang es den „Spähern“, unter ihnen dem Hallenser Klavierpädagogen Rudolf Neumann, das sowjetische „Geheimnis“ zu lüften und zu kopieren. Die ab 1966 gültige Stundentafel für DDR-Spezialschulen für Musik kann geradezu als Durchschlag des Leningrader Vorbildes angesehen werden. Sie differieren für Allgemein- wie musikalische Spezialbildung nur minimal. Die einzige Ausnahme allerdings liefert die Lösung des Erfolgsrätsels: „Die sowjetischen Spezialschulen führen ihre Ausbildung bereits ab der ersten Klasse durch.“11 Beim Zusammentreffen in internationalen Wettbewerbsarenen ist das nicht zu überhören. Die „Spezialschulen für Musik“ stellen in der professionellen Musikerausbildung der DDR einen beachtlichen Fortschritt dar. Können sie auch die Kluft zwischen den Leistungen junger Musiker von Elbe, Pleiße, Spree und Ilm hier, Newa und Moskwa dort nicht gleich überbrücken, so könnten sie doch als Laboratorien für schöpferische Ausbildungsexperimente zumindest helfen, den Abstand zu verkleinern, vorausgesetzt, die verantwortlichen Leitungen wollen das und nutzen sie.

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Leitungsverantwortung Das Feld „Spezialschulen“ ist abgesteckt, solche für Musik werden in der Kategorie „künstlerische Richtung“ geführt. Einengende Überregulierung wird vermieden – oder vergessen? Für die Allgemeinbildung gelten die auf diesem Sektor verbindlichen Pläne. Für die Gestaltung der Binnenstrukturen und die künstlerische Ausbildung wird am 30. November 1965, ein Vierteljahr nach Arbeitsbeginn der Spezialschulen, durch das Ministerium für Kultur (MfK) eine spielraumbietende Ordnung veröffentlicht.12 Sie klärt die Zuständigkeiten gegenüber den Ministerien, im Hochschulrahmen und im Schulgeflecht. „Die Spezialschulen und Spezialklassen13 für Musik sind den Hochschulen für Musik eingegliederte allgemeinbildende Schulen. Sie sind Teil der Hochschule und damit Bestandteil des Verantwortungsbereiches des Rektors. Die Spezialschulen … arbeiten auf der Grundlage der Schulbestimmungen des Ministeriums für Volksbildung nach den Weisungen des Ministeriums für Kultur sowie nach den Weisungen des Rektors. … Der Rektor ist dem Ministerium für Kultur für die Arbeit der Spezialschule … verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Die Volksbildungsorgane üben das Aufsichtsrecht gegenüber dem allgemeinbildenden Unterrichtsbereich der Spezialschule … aus“.14 „Die Spezialschulen … sind eine Abteilung der Hochschule und werden von einem Abteilungsleiter geleitet. Er trägt die Amtsbezeichnung ‚Leiter der Spezialschule’“. Als solcher unterliegt er „der Kontrolle und Nomenklatur des Ministeriums für Kultur.“15 Über „den Einsatz der Lehrkräfte … entscheidet der Rektor.“16 Der Schulleiter hat lediglich Vorschlagsrecht. Verantwortung, Weisungsrecht und Besetzungskompetenz sind vollständig in die Hand des Rektors gelegt. Und: Für die Entwicklung der Spezialschulen für Musik sind zwei Ministerien zuständig. Das kann doppelte Regulierung zur Folge haben. Es kann aber auch Grauzonen schaffen, innerhalb derer der Hochschulrektor Interpretationsfreiräume nutzen kann. Für das Ministerium für Volksbildung (Mf Vb) mit Tausenden von POS sind die vier Musik-Spezialschulen eine Marginalie. Für die nach internationaler Repräsentanz süchtige DDR-Kulturpolitik jedoch sind sie als erhoffte Nachwuchsquelle lebendiger Musiktraditionen von immenser Bedeutung. Solch unterschiedliche Gewichtungen könnten von phantasievollen Rektoren ausgenutzt werden. Auch innerhalb des Schulorganismus werden die Kompetenzen zwischen Allgemein- und Spezialbildung – also zwischen Mf Vb und MfK – geregelt. Dem Schulleiter wird ein Stellvertreter beigeordnet. Der ist verantwortlich „a) für die gesamte musikalische Ausbildung und Erziehung, wenn der Leiter … Pädagoge des allgemeinbildenden Unterrichtsbereiches ist; b) … im allgemeinbildenden Unterrichtsbereich, wenn der Leiter Pädagoge des musikalischen Fachbereichs ist.“17 Für

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die Fachausbildung tragen Fachabteilungsleiter der Hochschule unterstützende Verantwortung. An der Spezialschule werden sie durch Fachrichtungsleiter für Streicher und Klavier vertreten. Schließlich wird „der Klassenverband unter Führung des Klassenleiters“ zum Zentrum der Gesamtausbildung erklärt.18 Jedem Klassenleiter wird verbindend eine Lehrkraft der Spezialausbildung zur Seite gegeben. Als diese übersichtliche, unter Federführung des MfK entstandene Ordnung bekannt wird, gibt es in Weimar allerdings keinen gewählten Rektor, der sie in die Tat umsetzen kann. Von November 1965 bis Januar 1966 führt Prorektor Dr. Horst Slomma interimistisch die Amtsgeschäfte. Werner Felix hatte aufgrund schuldhaften persönlichen Verhaltens über Nacht den Rektorenstuhl räumen müssen.19 Ab 27. Januar 1966 nimmt ihn Prof. Johann Cilenšek (1913–1998) ein. Welch eine Chance für den frisch Berufenen, die gerade erst direkt zugeordnete Spezialschule als Hochschul-Gewächshaus zu begreifen und die jüngsten Begabungen in dieser Pflanzstätte sorgsam zu hegen. Zum Zeitpunkt der Rektorwahl am 18. Dezember 1965 ist die Spezialschul-Ordnung publiziert, bis zum 1. April 1966 soll sie in Kraft treten. Cilenšek, der neue Chef, bräuchte die Vorlage nur phantasievoll auszufüllen, den Hauptakzent im Sinne des Gesetzgebers nachdrücklich und speziell auf „Musik“ zu setzen und der „Schule“ die Mittlerrolle zuzuweisen. Dementsprechend müsste er den Schulleiter aus dem künstlerischen Bereich besetzen, den Stellvertreter aus dem der Allgemeinbildung. Er könnte die – wie auch immer durch seinen Vorgänger motivierte – Fehlbesetzung ohne Gesichtsverlust für den Amtsinhaber korrigieren und motivierte junge Künstler und Pädagogen einsetzen. Johann Cilenšek, der hochangesehene Komponist, Nationalpreisträger und Vizepräsident der Akademie der Künste, müsste auf den verfilzten Weimarer Parteiklüngel keine provinziellen Rücksichten nehmen und könnte die gesetzlich gebotenen Möglichkeiten bis an die Grenzen ausschöpfen. Er bräuchte, er müsste, er könnte – er tut es nicht. Er vergibt diese einmalige Chance. So besitzt die „Spezialschule für Musik“ unter einem neuen Rektor einen neuen Namen. Sie hat eine neue, kreativ zu belebende Struktur. Aber sie wird – erst einmal für die nächsten anderthalb Jahrzehnte – weiter von einem Schulleiter geführt, der sich wahrlich nicht als musisch gesonnener Menschenführer ausgewiesen hat. Rektor Cilenšek nimmt noch nicht einmal die Möglichkeit wahr, eine kraftvolle und schöpferische Persönlichkeit als Stellvertreter für den namensgebenden Kernbereich „Musik“ einzusetzen. Genosse Geigenlehrer Rolf Baumgarten, vom Schulleiter nominiert, vom Rektor abgenickt, wird auch als Leiter des schulischen Streicherensembles seine Durchschnittlichkeit künstlerisch nicht aufpolieren können. Der Spitzname des Dirigenten: „Schnief “. Als Stimme seines Herrn wird er widerstandslos funktionieren.

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Herrschaftsplanung Wie das Institut auch immer hatte heißen mögen, wie immer es strukturiert war, immer waren seine Leiter starke Persönlichkeiten. Das ändert sich auch nach 1965 nicht. Waren für den Künstler-Pädagogen Hans Della Guardia vorwärtsdrängende Lebendigkeit und durchsetzungsfähige Improvisationsgabe charakteristisch gewesen, hatte sich Friedrich Röhr durch wissende Gelassenheit und sensible Souveränität ausgezeichnet, so sind für Schulleiter Siegfried Möckel Wille und aktives Bekenntnis zur Macht das Maß aller Dinge, zur Macht des Staates und der sie beherrschenden Partei und zu seiner eigenen. Der Schulleiter führt sein Institut als begabter Organisator. Mit planerischer Übersicht und einem dicht gesponnenen Verbindungsnetz zu örtlichen Versorgungseinrichtungen gelingt es ihm, die Schule durch die wechselnden Untiefen sozialistischer Mangelwirtschaft zu manövrieren. Unterrichtsausfall wegen fehlenden Heizmaterials gehört der Vergangenheit an. Gewiss ist es für empfindsame Geigerhände belastend, in harten Wintern die bröckligen Braunkohlebriketts aus dem vereisten Kohlehaufen hinter dem Wagner-Haus zu klauben. Gehen die Vorräte wirklich einmal dem Ende entgegen, besteht die Gefahr – oder die Chance –, dass die Schule geschlossen werden muss. Dann heizen die Schüler mit den letzten Briketts die Öfchen bis zum Auseinanderplatzen, reißen die Fenster auf, packen schon die Taschen – und hören den Kohlenwagen die Straße hochkeuchen, der alle Hoffnungen auf eine zusätzliche Heimfahrt zunichte macht. Nein, so ist Cheforganisator Möckel nicht auszutricksen. Beim nächsten Fahnenappell bellt er „Sabotage“ und „Verschleuderung von Volkseigentum“ durch das eisige Morgendunkel. Um die latent schwärenden Gefahren von Feuer und Rauch zu mindern, organisiert er eine sinnvolle Heizordnung, innerhalb derer den Älteren die Verantwortung des Anheizens zufällt. Selbst handwerklich vielseitig geschickt, mit Klempnern und Elektrikern, Maurern und Dachdeckern sachkundig und deftig humorvoll auf gutem Fuß, mit Bauverantwortlichen auf Stadt- und Bezirksebene parteimäßig verbandelt, gelingt es ihm, die immer hinfälliger werdenden Gebäude zumindest zusammenzuhalten. Das ist nicht wenig zu Zeiten, in denen die historische Altstadt der Bezirkshauptstadt Erfurt von Zusammenbruch und Abriss bedroht wird. Der Schulleiter führt sein Institut als exakter Planer. In rotes Kunstleder eingebundene Arbeitspläne geben jeder Lehrkraft Schuljahr für Schuljahr Orientierung, welche Ziele zu verfolgen und zu erreichen sind.20 Mahnend steht unter jeder Aufgabe „T“ für „Termin“, „V“ für „Verantwortlich“, und „K“ für „Kontrolle“. Für „K“ zeichnet zumeist der Schulleiter. Nach Personal- und Funk-

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tionsverzeichnis und einer Zusammenstellung von ministeriellen und HochschulDokumenten benennt der planende Verfasser den ersten Arbeitsschwerpunkt: „Zur Verbesserung der staatsbürgerlichen Erziehung“, unterscheidet exakt zwischen „Befähigung der Lehrer“ und „Zur staatsbürgerlichen Erziehung der Schüler“ und untergliedert noch „im unterrichtlichen“ und „im außerunterrichtlichen Bereich“. Der 31. und damit letzte Punkt dieses Abschnittes vermittelt beispielhaft dessen gesamten Inhalt. „5.2.2.15: Im Internat sind die Nachrichtensendungen in Rundfunk und Fernsehfunk zu übertragen und als Ausgangspunkt für eine zielgerichtete Aussprache der Heimerzieher mit den Kindern und Jugendlichen zu nehmen. T: laufend / V: Internatsleiter, Heimerzieher / K: Schulleitung“.21 Zur Erinnerung: Privater Empfang „westlicher“ – gleich „feindlicher“ – Sendungen, ob Kommentar oder Konzert, Jazz oder Sport, ist bei Strafe untersagt. Das ungeschriebene Strafregister reicht von der Rüge beim Fahnenappell bis zum Schulverweis. Es orientiert sich am Grad der Öffentlichkeit des „Abhörens“, ob also der Delinquent den RIAS unter der Decke oder Karajan im Freundeskreis, gar bei geöffnetem Fenster gehört hat. Gegen die Entdeckungsgefahr im Zuge überraschender Zimmerkontrolle stellen Besitzer eines Transistorradios für die Zeit ihrer Abwesenheit auf der Senderskala vorbeugend „Stimme der DDR“ ein, oder auch „Radio DDR II“. Man hat ja Auswahl. Zudem finden die also Reglementierten für ihre Abneigung gegenüber ihren Reglementierern ein wirksames Ventil: Sie kappen der wegen ihrer Schnüffelei und Zuträgerei besonders verhassten Genossin Internatsleiterin das Kabel zur raffiniert unter dem Dach versteckten privaten West-Fernsehantenne. Am nächsten Morgen ist ihr anzusehen, dass sie, statt Karl-Heinz Wussow in der „Schwarzwaldklinik“ erleben zu dürfen, mit Karl-Eduard von Schnitzler im „Schwarzen Kanal“ hat vorliebnehmen müssen. Die doppelt verkniffene Miene widerspiegelt die doppelte Politmoral. Den acht Seiten zur „Staatsbürgerlichen Erziehung“ folgen knappe zwei „Zur Verbesserung der fachlichen Ausbildung“. Sie listen Selbstverständlichkeiten auf: „Der Übungsplan ist sorgfältig auszuarbeiten.“ Oder sie ergänzen die staatsbürgerliche Erziehung: „Die Chorarbeit als wichtiger Bestandteil unserer Schule ist auch in diesem Jahr kontinuierlich zu gestalten und durch die Auswahl entsprechender Chorwerke die politische Aussagekraft des Chorprogramms zu verstärken. K: Schulleiter“. 22 Eine präzise Terminplanung orientiert auf Ferien, Sperrsonntage, Sitzungen und Wandertage, fachgerecht auch auf Plattenvorspiele. Der erste Platz im Terminplan aber gebührt den Fahnenappellen. Eine ganze Seite benennt als Leuchttürme im Appellalltag 18 programmatische Schwerpunkte vom Gedenktag für die Opfer des Faschismus am 9.9.1968 (Verantwortlich: Kollege Studienrat Möckel) über

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Novemberrevolution, Todestag Lenins, Tag der Sowjet-Armee und Gründungstag der FDJ bis zum Geburtstag Walter Ulbrichts am 30.6.1969 (Verantwortlich: Kollege Dieter Huschke). Der Schulleiter legt großen Wert auf anspruchsvolle Allgemeinbildung. Lebendig unterrichtet er selbst Physik und Astronomie. Umsichtig und findig sorgt er für zu jeder Jahreszeit regelmäßigen Unterricht und gute Lehrausstattung. Es gelingt ihm, sachkundige, wünschenswert staatstreue Lehrkräfte nach Belvedere zu verpflichten. Er setzt durch, dass begabte Schülerinnen und Schüler bis zum Jahr 1971 nachmittags Sonderklassen der Weimarer Schiller-EOS besuchen und nach zwei Jahren dort das Abitur ablegen können. Parallel damit laufen die früheren Förderklassen FI und FII aus. Vom Schuljahr 1971/72 an gibt es nur noch die Klassen 6 bis 10/I und 10/II. Mit der Spreizung dieser letzten Klassenstufe, vom Kulturministerium dem Volksbildungsbereich abgerungen, wird den außerordentlichen Anforderungen der Spezialausbildung, von zusätzlichen Musikfächern und hohem Übungspensum Rechnung getragen. Der Schulleiter plant sinnvolle Raumkoordination zwischen Allgemein- und Spezialbildung und kontrolliert selbst die korrekte Einhaltung exakt erarbeiteter Übungspläne. Der Schulleiter orientiert die Entwicklung seines Instituts am eigenen Vorbild. Er wird 1968 zum Studienrat, 1973 zum Oberstudienrat befördert. Er nimmt nicht nur an diversen Lehrgängen der SED teil, sondern absolviert auch ein Fernstudium der Erziehungswissenschaft, das er 1969 mit einer Arbeit zur „Rolle des Laienspiels“ als Diplom-Pädagoge abschließt. Die Theorie bleibt leider ohne schöpferische Konsequenz: Es entsteht auf Belvedere keine Theatergruppe mehr wie zu Zeiten von Della Guardia oder Röhr. Der Schulleiter entwickelt auch den Arbeitsplan weiter, sein Hauptinstrument von Planung und Leitung. Das immer noch in rotem Kunstleder sich präsentierende Exemplar für das Schuljahr 1978/79 umfasst inzwischen nicht mehr 27, sondern 116 Seiten.23 Allerdings korreliert der Zuwachs an Papier kaum mit dem des Inhalts. Der Fachsektor konkretisiert die höheren künstlerischen Ausbildungsziele, die seit 1974 seitens des MfK gefordert werden. Ansonsten summieren sich Themenpläne für Jugendstunden, Pläne des Rektors, der Leitungen von Partei, FDJ und Gewerkschaft, Führungspläne, Wettbewerbspläne, Gegenpläne usw. zu einer gebetsmühlenhaft wiederholten Ansammlung von Selbstverständlichkeiten, Thesen, Phrasen und Aufrufen zu Aktivitäten. Doch sie aktivieren nicht, sie schläfern ein. Sie aktivieren höchstens den Widerstandswillen gegenüber der nutzlosen Verschwendung von Zeit und Papier. Fern jeder phantasiebeflügelnden Energie, jeglichen musischen Impulses, jedweder gedanklichen Kühnheit spiegeln die Arbeitspläne des Schulleiters für eine

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„Spezialschule für Musik“ das beengende Bild von kontrolliertem Stillstand, die bedrückende Last einer bleiernen Zeit.

Menschenführung Der Direktor – ab 1970 trägt er diese Amtsbezeichnung – führt das Ausbildungsinstitut „Spezialschule für Musik“ im Blick auf dessen kostbarstes Kapital, lernende und lehrende Menschen, straff als Erziehungsanstalt. Als Leiter des Pädagogischen Rates hält er die Lehrkräfte an der kurzen Leine. An Umschaltstellen setzt er, wo immer es geht, SED-Mitglieder ein. Stellvertreter, Internatsleiterin, die Fachrichtungsleiterin für Streicher und die für Taster/Bläser, die Verantwortlichen für Geschichte/Staatsbürgerkunde/Deutsch, Naturwissenschaften und Fremdsprachen sind ausnahmslos Genossen. Halten sich Fachkompetenz und Parteiverbundenheit nicht die Waage, gibt die Zugehörigkeit zur „führenden Kraft“ den Ausschlag. Solcherart ideologierelevante Bevorzugung ist in der DDR-Volksbildung die Regel. In der künstlerischen Spezialausbildung wird sie ebenso regelmäßig durchbrochen, nicht so in Belvedere. Hier wird die Abhängigkeit gegenüber dem führenden Direktor zudem potenziert, als er in Person auch in der Parteihierarchie der Hochschule ganz oben steht. Mag der Lehrer dem Direktor argumentativ noch Paroli zu bieten versuchen, dem über lange Jahre stellvertretenden, häufig amtierenden Parteisekretär hat sich der einfache Genosse parteidiszipliniert zu beugen. Die Doppelfunktion gibt Möckel eine selbst im machtorientierten DDR-Leitungssystem außergewöhnliche Herrschaftsfülle. In der von Stadt und Hochschule örtlich entfernten, fast isolierten Sonderlage Belvederes „auf dem Berg“ ist für einen nach Macht Strebenden die Versuchung unwiderstehlich, sich zum Machthaber zu erheben. Die Buchstaben S.M. können als Initialen auch für Seine Majestät, Souverän des autonomen Herrschaftsbereiches Spezialschule Musik stehen. Der Direktor kann – und möchte auch gern – auf volkstümliche Art führen. Er sucht die Begegnung mit Lehrkräften, Angestellten und Schülern. Er will wissen, ob das Essen schmeckt und isst selbst mit. Harsch regelt die Internatsleiterin, dass alle am Platz sind, wenn der Direktor eintritt. Gern sitzt er mit den Kollegen zusammen. Er ist ein amüsanter Plauderer, kann humorvoll Anekdoten erzählen, auch Witze, selbst politische. Er kann auch sehr aufmerksam zuhören, oder zuhören lassen, wenn er selbst keine Zeit dafür hat. Mancher Pädagoge wundert sich, wenn er nach einiger Zeit aus des Direktors Mund Meinungen vorgehalten bekommt, die er geäußert haben soll, gar kritische Meinungen über den Staat, die Schule, womöglich selbst über den Direktor. Dann überlegt er, wer mit am Tisch gesessen hat und beißt sich auf die Lippen, ehe er sich wieder äußert. Man überlegt sowieso, was man sagt und wann man

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18 Streicherensemble im Studiotheater. Leitung: Jochen Tutschku

lacht, besonders in Gegenwart von Genossen. Gewiss, auch unter ihnen gibt es so einen und solch eine. Nur wer so eine ist, wer solch einer, weiß man nie genau. Manch einer wird es erst Jahrzehnte später in seiner Stasi-Akte lesen – und erschrecken. Der Direktor führt Lehrkräfte gern auf dem direkten Dienstweg. So bemüht er sich, dass möglichst viele Pädagogen der Musikausbildung ihm unmittelbar unterstellt sind und nur auf Belvedere unterrichten. Ungern sieht er Hochschulpädagogen auf den Berg kommen. Noch weniger mag er die Lehrbeauftragten aus der Staatskapelle, also die meisten Bläserpädagogen. Er hat so gut wie keine Macht über sie. Wenn einer, wie Soloflötist Rolf Lukoschek, nach lautstarkem, aber erfolglosem Kampf für eine hochbegabte Schülerin aufgibt, verbucht der Direktor die Kündigung des Lehrauftrages erleichtert als Sieg, nicht als künstlerischen Verlust. Noch weniger schätzt er, dass die Schüler zum Unterricht in die Stadt müssen. Die Abwesenheitszeit ist minutiös abgemessen. Fortgang und Wiederkommen werden abgezeichnet. Er schiebt Sorge um die weiten, im Winter gar unsicheren Wege vor. Unsicher dagegen ist er eher selbst. Was mag erzählt werden, was berichtet, was getuschelt? Er bevorzugt Isolation, jedenfalls die der Schüler. Gegen Bemühungen der Klavierabteilung, Absolventen als Lehrende in Belvedere einzusetzen, die Besten für die Besten, kann er sich schlecht wehren. Die

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Leiterin, eine prominente Pianistin, seine Genossin, will sie die angemaßte Autonomie des Direktors nicht angreifen und akzeptiert, dass ein so hochbegabtes Mädchen wie Ursula Lenk24 aus Auerbach am braven Unterricht der braven Belvederer Genossin Klavierlehrerin fast verzweifelt. Aufmüpfig kompensiert die ehrgeizige Schülerin jegliches Fehlen von interpretatorischer Anregung, steckt alle Energie in eigene Experimente, tobt sich in Improvisationen aus, gewinnt, als einziges Mädchen teilnehmend, einen Improvisationswettbewerb nach dem anderen und wird vom Weimarer Staatskapellenchef Pflüger als Solistin für Mozarts A-Dur-Konzert verpflichtet. Die Lehrerin staunt. Zu mehr ist sie nicht in der Lage. Dem Direktor erscheint solch ein eigenständiges Wachstum unheimlich, geradezu gefährlich. Auch durch die selbstbewusst ertrotzten Entwicklungssprünge der Vogtländerin, die ihre Unzufriedenheit mit Belvederer Mittelmaß nicht für sich behält, steigern sich Fragen und Zweifel der Hochschulpianisten gegenüber dieserart Geist von Belvedere. Den Direktor tangieren solche Zweifel nicht, im Gegenteil, er atmet auf: Ein Nachwuchspädagoge nach dem anderen quittiert den Dienst auf Belvedere. Es ist nicht der Weg, der sie schreckt, es ist das Klima.

Klima Es ist ein Klima von Unfreiheit und Unsicherheit. Es ist eine Atmosphäre im Spannungsfeld zwischen herrscherlicher Machtanmaßung des die Staatsmacht repräsentierenden Einzelnen und angstgeprägter Ohnmachtsempfindung der Vielen. Das Bachhaus neben dem Schloss ist das Herrschaftsgebäude des Direktors. Es bietet ihm Wohnung und Dienstraum. Von hier aus hat er einen weiten Blick, über den Schlossplatz hin, zu Internaten und Schulgebäuden. Schon von fern kann er jeden Ankömmling sehen, auch möglicherweise Fortstrebende. Hier werden Genehmigungen für als zwingend notwendig zu begründende Stadtausgänge, für Unterricht oder Arztbesuch erteilt oder verwehrt. Hier haben Rückmeldungen zu erfolgen. Hierher wird auch zu Einzelgesprächen vorgeladen, mit Lehrenden wie mit Lernenden. Hier werden Vorkommnisse im Detail untersucht und abgeurteilt, die beim täglichen Fahnenappell nur rügend benannt worden waren, sei es eine verspätete Rückkehr oder Westsenderempfang, ein unaufgeräumtes Zimmer oder ein Band Nietzsche im Spind. Exakt werden die Gespräche protokolliert, auf dem Stenoblock der Sekretärin oder auf Tonband. Der Direktor hat Phonotechnik studiert. Leicht geraten Gespräche in die Nähe zu Verhören. Der Wechsel der Gesprächsführung zwischen väterlicher Bitte um Eingeständnis der Verfehlung und phonstarkem Anbrüllen ist dabei weniger professioneller Verhörtechnik geschuldet als cholerischem Temperament. Lehrkräfte können ungezügelt aufbrausende Attacken eher

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wegstecken – es kann ohne Ansehen von Partei jeden treffen –, in Kindern und Halbwüchsigen erzeugt es einfach Angst. Noch als gestandene Männer rekapitulieren ehemalige Schüler mit geradezu beängstigender Plastizität die Entwicklung solcher Anfälle und enthüllen traumatisch nachwirkende Verletzungen. Die einzig wirksame Waffe angebrüllter Delinquenten ist der lautstarke, gar frech lachende Gegenangriff. Ein solcher Mut des Gegners, und sei er aus Verzweiflung geboren, verblüfft den so Attackierten. Er akzeptiert ihn – oder sie – von nun an als Partner in der Stärke. Doch nur wenige besitzen diesen Mut.

Begabungspflege Die unterschiedlichen Gesichter des Direktors spiegeln sich auch in der Behandlung besonders Begabter wieder. Eine Ausnahmegeigerin wie Carola Nasdala25 kann sich weitgehend angstlos der Kunst widmen. Wettbewerbskandidatin, erfolgreiche Solistin – der Direktor kann nur staunen. Aber er ordnet sie vor allem als Schülerin von Professor Ehlers ein. Die wenigen Spezialschüler des DDR-Geigengurus stehen unter „Kulturschutz“. Auch die Klassen von Hornprofessor Karl Biehlig oder Cel-

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lomutter Lieselotte Pieper sind vor direktoralen Angriffen weitgehend sicher. Als Schutzschild wirkt dabei nicht allein die Leistung der jungen Künstler, sondern die positionelle Stärke ihrer Lehrer in der Hochschulreputation. Wer aus einer anderen Klasse stammt, womöglich gar aus der von Jost Witter, hat wenig zu lachen, mag er oder sie geigen können wie sie oder er will.26 Die mit ihrem Lehrer von Halle nach Weimar gewechselte Anne-Kathrin Bergmann empfindet die Atmosphäre im Kontrast zur Spezialschule an der Saale als besonders unfrei und gegenüber gläubigen Christen widerlich schikanös. Die soziale Herkunft hingegen kann sich als Schutzmantel erweisen. Genosse Möckel ist berechtigt unzufrieden, dass viel zu wenige Kinder von Arbeitern und Bauern die wahrlich unbegrenzten Ausbildungsangebote wahrnehmen.27 Ideologiebefangen unterschätzt er, wie stark in bürgerlichen Familien immer noch Traditionen kultureller Erziehung wirken. Er übersieht, dass viele Arbeiterkinder der ersten Nachkriegsgeneration durch Hochschulausbildung gefördert, damit aber auch in die Schicht der werktätigen Intelligenz befördert wurden. Für deren Kinder zählt das Privilegium der A/B-Herkunft nicht mehr. Nicht zuletzt wird der soziale Status von Musikern auf der materiell bewerteten Stufenleiter nicht gerade auf einer hohe Sprosse gesehen. Umso glücklicher ist der Direktor, wenn Herkunft und hohe Begabung zusammenpassen. So erfährt auch Reinhard Wolschina28 seine ausdrückliche Förderung. Sie besteht vor allem darin, dass der sehr gute Oboer, der brillante Pianist, der souveräne Blattspieler, der sowieso gute Schüler sich unbedrängt entwickeln, im Park schöpferischen Gedanken nachhängen, dass er zu komponieren beginnen darf, schreiben, was und wann immer er möchte. Für den kreativen Jungen ist das ein Glücksfall, für Möckel ist das komponierende Arbeiterkind ein Aushängeschild, das er nur zu gern Rektor Cilenšek präsentiert. Ohne zu zögern, nimmt der den kompositorisch Hochbegabten in seine Klasse auf. Nicht auf jeden Kreativen strahlt die wärmende Sonne des Direktors. Sigurd Sprung zählt zu den ganz Außergewöhnlichen auf Belvedere.29 Mitschüler und Hauptfachlehrer Lehmann vermuten in ihm ein Genie, mit einer Tendenz zum Chaotischen. Genialisch jedenfalls ist der Handwerkersohn aus Greifswald auf dem Klavier, in souveräner Analyse von „Tristan“ und anderen Wagnerpartituren, dirigentisch, musiktheoretisch, kompositorisch, auch in Deutsch und Geschichte, selbst in Staatsbürgerkunde und Technischem Zeichnen. Was ihn interessiert, beherrscht er grandios, was nicht, lässt er liegen. Das Genie sieht nicht ein, darin ganz Chaot, statt Partituren Russisch lernen zu müssen. Kontroversen mit dem Direktor sind vorgezeichnet. Im Gegensatz zu dessen lautstarken Anschuldigungen argumentiert Sprung intelligent und leise. Naiv beschwert er sich bei Walter Ulbricht. Besuch aus Berlin ist die Folge. Das kann sich ein Genosse Direktor nicht bieten lassen.

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Die Folge dieser Folge ist Sprungs Rauswurf. Möckel nutzt eine längere Abwesenheit von Sigurds Mentor. Er benutzt schwache Noten in Russisch, die weiter nach unten zu „korrigieren“ ein Kollege ängstlich bereit ist, um eine Entfernung des Störenfrieds offiziell zu rechtfertigen.30 Am Umgang mit dem Außergewöhnlichen hat sich seit den Anfangszeiten, seit den „Fällen“ von Peter Damm oder dem jungen Jost Witter nichts Grundlegendes verändert. Er ist nur brutaler geworden. Der souveräne Pianist Sprung wird, sechzehnjährig, als Solorepetitor nach Döbeln engagiert. Ein Jahr später ist er bereits Kapellmeister in Plauen. Nach der Heirat mit einer Sängerin verlieren sich seine Spuren in deren Heimatland Bulgarien. Auf Belvedere bilden Mitschüler heimlich einen Fanclub, Sigurd-SprungLegenden strahlen noch lange in grauen Appellalltag.

Christen Weniger spektakulär, dafür umso anhaltender sind Quälereien, die bekennende junge Christen zu erdulden haben. Der Direktor fühlt sich in militantem Atheismus Partei und Staat zutiefst verbunden. Als Marxismus-Leninismus-Gläubiger begreift er nicht die Kraft eines anderen Glaubens und interpretiert kirchliche Bindung simpel: „Solange die Kinder materiell von ihren Eltern abhängig sind, bringen sie es oft nicht fertig, sich von der christlichen Weltanschauung des Elternhauses zu lösen. Wir können uns in dieser Beziehung auch nicht auf die Lehrer verlassen.“31 Er setzt 1965 auf die Anziehungskraft der Jugendweihe und empört sich hilflos darüber, dass gerade erst jugendgeweihte Kinder sich ein Wochenende später konfirmieren lassen. Er kann das musische Potential christlicher Familien nicht einordnen und versteht nicht, warum immer wieder Kinder von Pastoren und Kantoren zugelassen werden. Der Anteil wächst eher als dass er abnimmt. 1981 wird von einem Anteil von 70 % kirchlich gebundener Schüler die Rede sein, die von etlichen Pädagogen in ihren Überzeugungen noch unterstützt werden.32 Entsprechend aggressive Klagen ziehen sich kontinuierlich durch die Berichte vor Hochschul- und Parteileitungen. So beschwert sich Möckel 1971, dass christlich gesonnene Hochschullehrer in Belvedere unterrichten sollen. „Wie sollen diese Kollegen atheistisch erziehen?“33 Er versteht den Genossen Rektor nicht, der statt der Aussonderung der Angegriffenen auf Gespräche mit ihnen ausweicht. Trotzig beharrt er auf Gegenmaßnahmen: „Natürlich sind wir nach wie vor bestrebt, an Tagen, wo kirchliche Veranstaltungen stattfinden sollen, schulische Veranstaltungen durchzuführen.“ So kann er wenigstens die Teilnahme an Konfirmandenstunden untersagen. Er fühlt sich durch die CDU (Ost) in seinem Erziehungsauftrag behindert und kompensiert blockparteiverbundene Rücksichtnahme durch Bosheiten gegenüber

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Schülern. Streng verboten ist es, eine Luther-Bibel offen im Zimmer liegen zu lassen, selbst wenn zeitgleich die DDR-Regierung mit einer demonstrativen Ehrung des Reformators Toleranz vorgibt. Er verlangt, aus Internatszimmern „kirchliche Losungen“ und „Bilder religiösen Inhalts“ zu entfernen und fordert die Klassenleiter zu entsprechenden Kontrollen auf.34 Er untersagt das Tragen selbst kleiner Schmuckkreuze und überprüft eigenhändig die Einhaltung des Verbotes, bis ihm ein Mädchen auf die Finger schlägt. Der Direktor eines Musikinstituts will ein Lehrbuch für Musiktheorie aus dem Verkehr ziehen, weil es christliche Inhalte vermittelt: das Schemellische Gesangbuch. Das Singen, selbst das instrumentale Musizieren von Weihnachtsliedern christlichen Inhalts wird als Kapitalvergehen geahndet. Diese Schikanen übersteigen das selbst im jederzeit latenten, nach Weltlage einmal milder, einmal schärfer praktizierten DDR-Kirchenkampf Gewohnte. Die so ihres Glaubens wegen diskriminierten jungen Musiker suchen in der glaubensverbundenen Kunst Bachs oder Händels mehr als nur musikalische Strukturen. Sie schöpfen Kraft aus dem Vorbild widerständiger junger Christen. Auch in Weimar, wie in fast jeder Stadt der DDR trägt eine Straße, trägt eine Schule die Namen von Hans und Sophie Scholl. Die Weimarer Hochschule führt bei einem großen FDJ-Festival in Berlin Udo Zimmermanns Oper „Weiße Rose“ auf. Ehemalige „Belver“ sitzen im Orchester. Inquisitorisch fordert Möckel, das Plakat zu dieser Aufführung zu verbieten. Es zeigt ein unter der zarten Kraft der Rose zerbrechendes Hakenkreuz. Selbst Partei- und Hochschulleitung versagen dem Eiferer dieses Mal die Gefolgschaft. Um dessen vormalige Mitgliedschaft in der NSDAP wissen sie vermutlich nichts.35

Kummerkästen Die Abgeschiedenheit von Belvedere fördert die Entwicklung der strebsamen jungen Musiker, sie begünstigt konzentriertes Üben und Lernen, Lesen und Nachdenken. Die beengende und beängstigende Nachtseite der scheinbaren Idylle, die weitgehende Isolation, mittels Macht heute grob, morgen subtil erzwungen und überwacht, muss jede und jeder für sich bewältigen. Wer sollte, wer könnte dabei helfen? Die Eltern? Die Lehrer? Internatskinder werden früh erwachsen. Frühzeitig müssen sie sich daran gewöhnen, selbständig mit ihren Problemen fertig zu werden. Heimfahrtwochenenden sind selten. Die Stunden zuhause sind kostbar. Die will man nicht belasten. Von Erfolgen zu erzählen, vom Lob des Hauptfachlehrers, der schönen Chorprobe, macht mehr Freude als sich über den idiotischen Appell aufzuregen, das Verhör im Zimmer des Direktors. Manche Eltern wollen davon auch nicht zuviel wissen. Du musst da durch, reden sie gut zu. Was meinst du, wie mein Direktor mit

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uns umspringt! Linientreue Eltern wollen es nicht recht glauben, was die Kinder erzählen, wiegeln ab. Ein Elternbeirat existiert zwar, aber er funktioniert nicht. Die Mitglieder leben an verschiedenen Orten, kennen sich kaum. Das DDR-übliche Vorschlagssystem zaubert zudem zufälligerweise immer SED-Mitglieder auf die Kandidatenliste. Was ist da zu erwarten? Solidarisieren sich aber Eltern, wollen sich womöglich beschweren, flehen die Kinder sie an, das ja nicht zu tun; es würde ihnen heimgezahlt werden, womöglich müssten sie die Schule verlassen. Um keinen Preis wollen sie an ihre alte POS zurück. Gegen die verständnislosen Pöbeleien der Mitschüler gegenüber den „spinneten Künstlern“ klingt das Brüllen des Direktors beim Appell wie Sphärenmusik. Und in zwei Jahren winkt die Freiheit der Hochschule. Als Lehrer für Deutsch oder Mathematik, Biologie oder Erdkunde auf Belvedere unterrichten zu dürfen, hat viele Vorzüge. Die Klassen sind klein, höchstens zwanzig Schüler stark, manchmal kaum zehn. Die meisten Schüler haben aus eigenem Interesse zielstrebig diese Ausbildung gewählt. Sie tragen eine besondere Begabung in sich, sind von Kindheit an erzogen worden, zu üben, fleißig und diszipliniert zu arbeiten. Der Umgang mit Musik hat sie sensibilisiert. An keiner gewöhnlichen POS findet man solche privilegierten Bedingungen. Die möchte niemand aus dem Lehrkörper verlieren. Unberechenbare Direktoren gibt es überall. Es gilt also, sich einzurichten, sich anzupassen oder zu schlucken. Schweigt man gegenüber Ungerechtigkeiten, die Schüler erfahren müssen, kann man das durch persönliche Zuwendung kompensieren. Warmherzig schlüpft die Deutschlehrerin in die Mutterrolle. Voll staunender Anerkennung nimmt der Biologielehrer Anteil am künstlerischen Fortschreiten. Solidarischer Trost tut dem Getrösteten so gut wie dem Tröstenden. Doch es bleibt eine private, eine stille Solidarität. Zur Intervention, zum Protest wächst sie nie. Wer will schon strafversetzt werden, vom klingenden Belvedere an eine lärmende Schule unten in der Stadt? Hauptfach – geradezu magisch umschließt dieser Begriff das Zentrum der Ausbildung. Hauptfachlehrer sind die wichtigsten Bezugspersonen. Hauptfachstunden bilden die beiden Höhepunkte der Woche, herbeigesehnt, auch gefürchtet. Auch in ihnen entstehen Spannungen, kann sich Furcht aufstauen, nicht die erwartete Leistung zu erbringen, den Lehrer zu enttäuschen, dem eigenen Anspruch nicht zu genügen. Auch in Hauptfachstunden kann es heftig zugehen, es sind keine Kuschelstunden. Aber jeder kleine Geiger, jede junge Flötistin weiß: hier geht es um den Kern ihres Daseins, um ihr Lebensziel. Hauptfachlehrer können, müssen streng und anspruchsvoll sein. Auch sie können laut werden. Aber hier geht es nicht, wie auf dem Appellplatz, um Macht, hier geht es um Musik. Sie wissen: die Begriffe autoritär und Autorität trennt weit mehr als ein Buchstabe. Die fünfundvierzig Minuten kurzen Oasen sind zu wertvoll, um die verehrte Autorität mit der Klage über autoritäre

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Auswüchse des Internatsalltags zu belästigen. Sicher ahnt mancher Hauptfachlehrer in mancher Fehlleistung, hinter manchem Schweigen bedrückende Erlebnisse. Aber Ablenkung wird nicht zugelassen. Selbstdisziplinierende Härte gehört zur Professionalität des Musikers. Also: das Presto gleich noch einmal, und jetzt jeden Ton sauber und den Abschluss voller Jubel! Einmal über den Kopf streicheln, einmal besonders klar in die Augen sehen, fest die Hand drücken muss reichen bis zur nächsten Stunde. Für Pädagogen wie den Pianisten Dieter Neumann, die Geigenlehrerin Ulrike Vehlhaber, den Kammermusikmentor Erich Vieweg sind das keine leeren Gesten.

Oasen Berührt von aufmunternden Gesten, erfüllt vom eigenen Musizieren sieht das Leben auf Belvedere gleich ganz anders aus. Nicht der Fahnenappell ist das eigentliche Leben, nicht die Spindkontrolle oder der untersagte Gottesdienstbesuch. Lebensinhalte sind Hauptfachstunde und Übungsquälerei, sind Quartettunterricht, Chorsingen und Orchesterprobe. Innerhalb des Ringes, der die Spezialschule abschottet und isolierend einschließt, löst sich die allmorgendlich erzwungene Appellplatz-Einheit zu vielfältigen frei gewählten „Belver“ Gemeinschaften auf. Dispute über Fingersätze verbinden sie oder über Urtextausgaben, Begeisterung für die Beatles oder für Bach, Diskussionen über Christa Wolf oder die Strittmatters, Austausch über das Lächeln des Hauptfachlehrers und die Pleiten mit den Doppelgriffen, über die versalzene Soße in der Mensa, die kranke Mutter und den Krach mit dem Freund. Sie sind glücklich, sich mit Gleichgesinnten in der gleichen Sprache verständigen zu können. Dabei dominiert wahrlich nicht sanfte Harmonie. Gibt es Künstlernaturen ohne Eitelkeiten und Eifersüchteleien? Konkurrenzstreben kann beim Instrumentalstudium die Leistung nur befördern. Doch Dissonanzen kann man auflösen, und widerstreitende Rhythmen haben nicht nur in der Musik ihren Reiz. In einem sind sich alle „Belver“ einig, schadenfroh, verzweifelt, wütend, jedenfalls einig: diese ihre gemeinsame Sprache ist dem Direktor verschlossen, nicht, weil er die Vokabeln nicht gelernt hat, sondern weil ihm Ohr und Herz für die Schwingungen fehlen. Er kann sie auch nicht überall beobachten, ihnen nicht überallhin folgen. Der Belvederer Park ist groß und weit. Er bietet weiten Raum für lebhafte Gespräche, schenkt Stille für einsames Nachdenken. Er birgt das Labyrinth, die Grotte, verschwiegene Winkel und verschlungene Wege. Er scheint voller Überraschungen. In jedem Licht trägt er neue Farben, zu jeder Tageszeit klingt, zu jeder Jahreszeit duftet er anders. Noch nach Jahrzehnten schwärmen Alt-„Belver“, wie ein unverwechselbarer Blütenduft, zufällig irgendwo in der Welt erschnuppert, plötz-

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20 Internatszimmer im Mozarthaus

lich die unvergesslich schöne Welt des Belvedere herbeizaubert. Diese glücklichen Erinnerungen bleiben lebenslang erhalten. Genauso lebenslang bohrt aber auch die Frage: Warum mussten die Erlebnisse in der Natur, in der Gemeinschaft, beim Lernen und im persönlichen Glück, vor allem die Freude am Musizieren und am eigenen künstlerischen Wachsen durch Verbote und Zwänge, diskriminierende Verdächtigungen, Drohungen und Strafen verdorben und zunichte gemacht werden? Tag für Tag, Morgen für Morgen, nicht nur auf dem Appellplatz. Warum konnte es, kann es in Weimar nicht sein wie in Halle oder Dresden oder Berlin? Dort ist doch auch DDR. Dort herrscht doch auch die Partei. Was war, was ist anders?

Vergleiche Gegenüber den anderen Spezialschulen hat die Weimarer regional und strukturell bedingte Standortnachteile. Die Einzugsbereiche von Berlin, Dresden und Leipzig bergen zusammen schon von den Einwohnerzahlen gegenüber Weimar ein vierzig-

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fach größeres Nachwuchspotential. Mehr aber nach Güte als nach Menge ist das Anregungspotential zu werten, das in den drei größten Städten auf schlummernde Begabungen erweckend wirken kann. Eng gespannte Musikschulnetze, national wie international berühmte Jugendchöre, beim Rundfunk staatlich, mit den Kruzianern und Thomanern kirchlich angebunden, konzentrieren musikalische Begabungen beispielhaft und zur Nachfolge animierend. Da kann das Thüringer Umland nicht mithalten. Die Weimarische Staatskapelle ist ein hervorragender Klangkörper, ihre Musiker sind erfahrene und anregende Instrumentalpädagogen. Aber in Berlin, Dresden und Leipzig gibt es mit jeweils mehreren Sinfonieorchestern, mit Gewandhaus und Philharmonie, mit den Kapellen der Berliner und der Dresdner Staatsoper und den diversen Klangkörpern des Rundfunks ein ungleich reicheres pädagogisches Potential mit einer breiten Palette an methodischen Farben, für unterschiedliche Begabungen. Diese Spitzenorchester bringen als Exportartikel aus aller Welt der DDR höchst erwünschte Devisen, aber vor allem Reputation mit. Solcherart weltweit auf Konzertpodien, in Schallplatten- und Rundfunkstudios heimische Musiker vermitteln auch ihren Schülern, darunter vielen aus den Spezialschulen nicht nur neue spieltechnische oder stilkundliche Erfahrungen, sondern eine weitere Weltsicht. Diese Musiker-Pädagogen verfügen so auch über ein international geprägtes Anspruchsniveau, das sie bei ihren Schülern genauso streng anwenden, wie sie es souverän fordernd gegenüber den Leitungen der Hoch- und Spezialschulen vertreten und durchsetzen, an denen sie unterrichten. Ihr Wort hat bei den Rektoren an Spree, Elbe und Pleiße Gewicht. Die Rektoren hatten 1965 für ihre Spezialschulen unterschiedliche Leitungsstrukturen vorgenommen. Dabei war nicht entscheidend, ob der Schulleiter aus dem allgemein- oder dem spezialbildenden Bereich kam. Entscheidend war die schwerpunktsetzende Kompetenz. An der Berliner „Hanns Eisler“-Hochschule trägt Oberlehrer Biester zwar die Bezeichnung Direktor der Spezialschule. Ihr wahrer spiritus rector aber ist der Künstlerische Leiter, ist der Flötenprofessor und hochangesehene Dirigent Reinhold Krug. Er und andere renommierte Professoren wie der Geiger Werner Scholz, der Klarinettist Ewald Koch, der Cellist Bernhard Günther, der Oboist Hans-Werner Wätzig bestimmen die Ansprüche an die künstlerische Ausbildung an der Spezialschule. Und Genossen wie Krug oder Scholz wissen und setzen durch, dass ihre Staatsverbundenheit sich in erster Linie durch exquisite Leistungen ihrer Schüler „zur Ehre der DDR“ auszuweisen hat.36 In Dresden wird die Spezialschule von einer Musikerin geleitet.37 Elfriede Gerstenberg, als Klaviermethodikerin, Musiktheoretikerin, Chorleiterin allround musikpädagogisch tätig, die vom Kriegsende an die musikalische Nachwuchsausbildung aus der Dresdner Trümmerwüste aufgebaut hatte, muss nicht erläutert werden,

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wo in der Spezialschule die Akzente gesetzt werden müssen. Die energische kleine Genossin nutzt ihren Spielraum, hat „zum Beispiel einfach den polytechnischen Unterricht abgesetzt, ohne Genehmigung. Technisches Zeichnen – das flog alles raus.“38 Schon früh war sie gemeinsam mit Hochschullehrern, mit Staatskapellisten und Philharmonikern auf Talentesuche gegangen und immer wieder fündig geworden. So einer „Kinderklasse“ entstammte beispielsweise der Geiger Peter Krebs, der sechzehnjährig von David Oistrach nach Moskau mitgenommen wurde und erst nach neun Jahren 1974 in die DDR zurückkam – nach Weimar als Assistent von Fritz Ehlers. Auch die nachfolgenden Leiter hatten sich erstrangig als Künstler auszuweisen, die zudem die Entwicklung junger Begabungen gefördert hatten. Rektor Siegfried Köhler erlaubt sich sogar den politischen Luxus, mit der Pianistin Juliane Erxleben eine Parteilose an die Spitze der Schule zu stellen.39 Dem zugleich in Leipzig und Halle beheimateten Institut steht mit Werner Lemp ein Geschichtslehrer vor. Als Künstlerischer Leiter weiß mit dem Pianisten Rudolf Neumann ein Experte, welche Ziele den Spezialschulen gestellt war.40 Er hatte gemeinsam mit Elfriede Gerstenberg in vorbereitenden Studien in der Sowjet­ union und in scharfen Kämpfen mit den Vertretern des Margot-Honecker-Ministeriums die Spezialschulpläne entwickelt. Er erlebt auch in der praktischen Arbeit, wo und wie die musikalische Ausbildung weiter befördert werden musste und legt dazu seine Dissertation vor. Sein Direktor behindert ihn und andere Instrumentalpädagogen in keiner Weise. Selbstverständlich fahren Leipziger Pädagogen nicht zu jeder Stunde nach Halle, sondern erwarten die Schüler vor Ort. Zudem steht dort mit Klaus Hertel eine international gerühmte Kapazität geigerischer Frühausbildung an der Spitze der Streicherpädagogen, der in konsequenter Aufbauarbeit dem Gewandhausorchester ganze Generationen hervorragender Geiger geliefert hatte. Möglicherweise zähneknirschend hatten die für Kaderfragen zuständigen Hochschulleitungen akzeptiert, dass beide nicht nur parteilos, sondern auch noch kirchlich orientiert waren. Im gesellschaftlichen System der DDR gibt es gerade nach dem Mauerbau Konstanten und Variable. Die Variablen werden nicht durch das SED-Politbüro fixiert. Sie variieren von Bezirk zu Bezirk, von Kreis zu Kreis, von Institution zu Institution, auch zeitlich von ZK-Plenum zu ZK-Plenum. Die Variabilität ist stark an Personen gebunden, die in ihrem changierenden und taktierenden Handeln nie die strategischen Konstanten aus dem Blickwinkel verlieren. Es kommt darauf an, Möglichkeiten für den Einsatz der Variablen zu finden, der die Konstanten akzeptiert, sie jedenfalls nicht zu tangieren scheint. Als Rudolf Neumann mit Frau und Tochter 1977 im Kofferraum eines Westberliner Mercedes beim Fluchtversuch entdeckt wird, fühlt sich das System der DDRUnrechtskonstanten an seiner empfindlichsten Stelle getroffen. Es rächt sich brutal,

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wirft den Pianisten für zwei Jahre in die Zuchthäuser Cottbus und Brandenburg, seine junge Frau Eva-Maria, eine Geigerin aus der Hertel-Schule, in das berüchtigte Frauengefängnis Hoheneck. 41

Konsequenzen? Die Direktoren der „Spezialschulen für Musik“ kennen sich. Sie sind, samt ihren Stellvertretern aus allgemeiner oder musikalischer Fachausbildung in einer Arbeitsgruppe vereint. Zum Leiter hat das Ministerium nicht etwa einen Künstler, sondern den als zuverlässig ausgewiesenen Weimarer Direktor bestimmt. Man tagt abwechselnd an den vier Standorten, Teilnehmer dieser Zusammenkünfte verbinden mit Belvedere bis heute die erschreckende Diskrepanz zwischen der freien Natur und der unfreien Atmosphäre. Ihre Berichte über variable Gestaltung von Lehrplänen, über kreative Methoden der Begabtensuche schon in Kindergärten werden in Weimar zur Kenntnis genommen und – ignoriert. Vielleicht hätten sie den neuen Weimarer Rektor anregen können. Johann Cilenšek hatte sich nach zwei Amtsperioden verwaltender wieder ganz der schöpferischen Arbeit widmen wollen. Prof. Dr. Hans Rudolf Jung (geb. 1921) folgt ihm ab Januar 1972 gern, geschmeichelt, auch leicht überrascht. Das Weimarer Institut ist ihm seit Studienzeiten ab 1946 vertraut. Er hat sich hier hochgedient, ist aber eine Wahl aus der zweiten Reihe. Der ursprünglich Vorgesehene, ein Wissenschaftler, als Musikpsychologe und -pädagoge international renommiert, zieht die Kandidatur zurück. Er stolpert über persönliches Fehlverhalten, die „Causa Felix“ lässt grüßen. Jung hätte gute Voraussetzungen, der Spezialschule entscheidend neue Energien zuzuführen. Selbst ursprünglich als Geiger ausgebildet, Vater eines „Belvers“, eines späteren Gewandhausviolinisten, verfügt der langjährige Leiter der Abteilung Schulmusikerziehung nicht nur über einen reichen musikpädagogischen Wissensfundus; seine zahlreichen Absolventen wirken als Musiklehrer weit über Thüringen hinaus. Diese direkten Verbindungen wie auch die durch Jung initiierten „Weimarer Schulmusiktage“ böten ideale Voraussetzungen, um in der mitteldeutschen Schullandschaft systematisch von der ersten Klasse an nach Talenten zu fischen. Böte, hätte, könnte – in bezug auf konzeptionelle und administrative Veränderungen auf Belvedere bleibt es auch bei Rektor Jung – wie bei seinem Vorgänger – beim Konjunktiv. Anderes scheint ihm wichtiger. Die Hochschule begeht im Antrittsjahr ihren hundertsten Geburtstag. Das „Internationale Musikseminar“ zu leiten ist eine weit vordringlichere Aufgabe. Jungs Natur ist überhaupt mehr der außenwirksamen Repräsentation als dem innerschulisch durchsetzenden Kampf zugeneigt. Die SED-Hochschul-Parteileitung (HPL) nutzt das nur zu gern. Erst-

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mals versagt sie einem amtierenden Rektor – ihn besorgt vor Überlastung schützend – die Aufnahme in den exklusiven Zirkel. 42 Man bleibt unter sich und kann ungestört konzipieren, was die Hochschulleitung anschließend abzunicken hat. In diesem engsten Kreis wechseln zwar „gewählte“ Mitglieder. Durchgängig aber beherrschen Prorektor Prof. Dr. Edgar Hartwig und – fast pausenlos – Direktor Möckel weiter aus dieser gar nicht so geheimen Kommandozentrale das Hochschulgeschehen.

Neue Lüftchen Sicher äußert sich im Rektor der frühere Geiger Jung, wenn er ab 1974 dem Geigenchef Professor Fritz Ehlers eine Reihe ideenreicher und ehrgeiziger Assistenten an die Seite stellt. Peter Krebs und Jost Witter haben in Moskau und Leningrad Hochbegabtenausbildung vor Ort kennen gelernt. Auch der Ex-„Belver“ Cellist Gotthard Popp hat in Moskau Geheimnisse der sowjetischen Virtuosenschule erfahren können. Mit Jörg Hofmann, einem Ehlers-Schüler und dem Früh-„Belver“ Wolfram Schiecke bilden sie einen Pädagogentrupp, der bei allen methodischen und charakterlichen Unterschieden einhellig auf Frühausbildung und Hochleistung drängt und gerade in der Spezialschule neue Maßstäbe zu setzen versucht. Dass sie sich mit konsequent durchgesetzten Technikprüfungen und anderen ungeduldigen Forderungen bei im Mittelmaß etablierten Kollegen nicht unbedingt Freunde machen, ist verständlich. Die Jahr für Jahr in den Arbeitsplänen des Direktors wiederholten Verpflichtungen, die Leistungen zu steigern, bekommen jetzt scharfe Konturen. Es wird konkret, unbequem – und hin und wieder erfolgreich. Hochbegabungen wie die Schwestern Carola und Gudrun Nasdala kommen auch schon einmal aus anderen Bezirken nach Belvedere. Und der Direktor kann seine hin und wieder eher heimlich als laut angezweifelte Reputation mit Wettbewerbspreisen aufpolieren.

Jugendfragen Gerade aus dem Kreis der Hochgelobten aber dräuen Möckel unbequeme Fragen. Klarinettist Wolfgang Mäder, 1970 mit einem Wettbewerbsdiplom, und Oboist Uwe Kleinsorge, 1971 mit einem 1. Preis ausgezeichnet, beide 1974 HochschulBeststudenten, geben ihrem FDJ-Sekretär drastische Einblicke in das Herrschaftssystem auf dem Berg. Jugendfreund Rüdiger Tietz, ein agiler Schulmusiker, hatte sich zur Übernahme dieses unbeliebten Postens breitschlagen lassen. Im idealisch irrigen Glauben befangen, für die Kommilitonen im Blauhemd etwas bewegen zu

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können, spürt er die Herausforderung, einmal nicht Aufrufe zu Solidaritätsaktionen verfassen zu müssen, sondern mit den Jüngsten in seiner Jugendorganisation reale Solidarität üben zu können. Schlitzohrig fordert er eine Vollversammlung, um die schlafmützige FDJ-Arbeit der Spezialschule endlich auf Trab zu bringen und luchst dem M/L-Prorektor die Genehmigung ab, dass man als Blauhemdträger unter sich bleibe. Von Studenten, ehemaligen Belvederer Spitzenschülern flankiert, fordert er im vollbesetzten Studiotheater zum freien Meinungsaustausch auf. Anfänglich stößt der ungebräuchliche Begriff „frei“ im Auditorium auf Skepsis. Erst als sich Mäder und Kleinsorge beredt als Anwälte der Schüler outen, schmilzt das Eis des Misstrauens. Hier hebt sich ein Finger, dort eine Hand. Der Damm des Schweigens bricht. Tietz schafft es kaum, die Beiträge zu protokollieren. Stichworte genügen. Es geht nicht um Politik und nicht ums Essen, es geht um Achtung und Würde, um Toleranz und Gerechtigkeit. Es ist nicht einfach, ein Ende zu finden. Der FDJ-Sekretär hat im Künstlerisch-Wissenschaftlichen Rat der Hochschule Sitz und Stimme. Die erhebt Rüdiger Tietz bei der nächsten Sitzung, bebend sein Notizbuch schwenkend, erntet mimisch verstohlen sich äußernde Zustimmung etlicher Lehrkräfte einerseits, Entsetzen bei den Mitgliedern von Partei- und Hochschulleitung andererseits. Der überrumpelte Direktor droht nach der Sitzung dem Aufrührer mit seinen guten Verbindungen zum Zentralrat der FDJ und zur „Cranachstraße“, dem Sitz der Weimarer Stasizentrale. M/L-Prorektor Hartwig übt in der Parteileitung scharfe Kritik, nicht etwa am Spezialschuldirektor, sondern am aufmüpfigen Rüdiger Tietz – dem bisherigen FDJ-Sekretär. 43 Dessen Nachfolger wartet schon beflissen vor der Tür. Von Illusionen befreit, beendet Tietz sein Studium, rasch, ehe der Angegriffene womöglich seine Drohungen wahr macht. Die Episode „Aufstand der Blauhemden“ ist zerronnen. Des Direktors misstrauische Wachsamkeit allerdings nimmt noch zu.

Förderaktion Unerwartet werden in den Jahren 1974 und 1975 den „Spezialschulen für Musik“ auf dem zentralen Verordnungsweg produktive Energien zugeführt. Fachabteilung des ZK und Ministerium für Kultur sind zehn Jahre nach deren Gründung unzufrieden mit dem bisherigen Ertrag. Die angestrebte Lösung der Hauptprobleme ist kaum andeutungsweise gelungen. Die Sinfonie-, Theater- und Kulturorchester leiden mehr denn je unter Nachwuchsmangel. Die überalterten Klangkörper können nur durch Importe aus den Volksdemokratien aufgefrischt werden. In Polen, Bulgarien, der ČSSR und Rumänien reißen sich Musiker um Engagements in der DDR,

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bei „Iwan de luxe“, wie man neidisch spottet. In manch kleinem Orchester wird Rumänisch zur Verkehrssprache. Andererseits landen DDR-Spitzenabsolventen weiterhin meist erst hinter sowjetischen, westeuropäischen und amerikanischen Virtuosen auf hinteren Wettbewerbsrängen. Im Sport sieht das ganz anders aus. Bei den Olympischen Sommerspielen hat sich das kleine Land vom sechsten Platz 1968 in Mexiko auf den dritten 1972 in München vorgekämpft. 1976 wird sogar die USA vom zweiten Rang verdrängt. Noch steiler ist der Aufstieg bei den Winterspielen: 1968 Platz 10, 1972 Platz 4, 1976 Platz 2 hinter der UdSSR. 44 Entscheidenden Anteil am vielbestaunten Medaillensegen haben ehemalige Schüler der Kinder- und Jugend-Sportschulen (KJS). Gewiss, die Vorstellung von analog erfolgreichen Leistungsexplosionen auf sportlichem und künstlerischem Gebiet bei analog konzipierten Ausbildungssystemen ist bereits im Ansatz naiv. Vulgärmaterialistisch reduziert, lässt sie jedes Verständnis für die geistige Dimension musikalischer Kreativität vermissen. Vielleicht dämmert aber auch, dass analoge Konzeptionen sich nicht in analogen Strukturen niedergeschlagen haben, dass die Gründung von Spezialschulen ein wichtiger, aber nur ein zweiter Schritt sein konnte, dem mit dem frühestmöglichen Auffinden von Begabungen erste Schritte vorausgehen, mit systematisch zielstrebigem Fördern weitere Schritte folgen müssen. Diese Einsichten finden verordnenden Niederschlag: Am 31. Mai 1974 eröffnet eine ministerielle Anweisung den Hochschulen Spielräume erst einmal in Richtung auf die quantitative Nachwuchssteigerung. 45 Eine zweite Anweisung vom 14. August 1975 widmet sich der qualitativen Komponente des Problems. 46 Die Hauptverantwortung für das Funktionieren eines Systems von Talentsuche und Förderung vom Kindergartenalter an wird nachdrücklich den Hochschulen als den qualitativ an der Spitze rangierenden Instituten übertragen. Es werden Wege der externen Förderung junger und jüngster Begabter in direkter Verbindung zwischen Eltern und Hochschulen eröffnet. Vertragliche Vereinbarungen sollen POS und Musikschulen zur verbindlichen Unterstützung verpflichten. Besondere Begabungen sollen nicht mehr in mittelmäßigen Musikschulen versickern, sondern im Kontakt mit Hochschullehrern aufblühen. Musikschulpädagogen werden materiell an diesem Prozess interessiert: Für Schüler, die ein Hochschulstudium aufnehmen können, werden Prämien ausgelobt. Regelmäßige Leistungsvergleiche zwischen den Hochschulen und ihren Spezialschulen sollen die Konkurrenz und den Austausch der erfolgreichsten Methoden beleben. Die Besten müssen sich regelmäßig der Ständigen Jury ihres Fachs zur Nominierung für Internationale Wettbewerbe stellen. Ob Einrichtung von Meisterklassen, ob Aufträge zu fachwissenschaftlichen Untersuchungen, ob gezielter Medieneinsatz: Vom Kindergarten bis zum Platten-

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vertrag markieren sachlich und sympathisch ideologiefrei formulierte konkrete Vorschläge eine Vielzahl neuer Wege. Viele Gedanken sind durch einzelne Pädagogen längst gedacht, mancher Weg wurde an mancher Hoch- oder Spezialschule mehr oder weniger heimlich bereits gegangen. Jetzt aber ist alles erlaubt, ja, anempfohlen. Mit den „Förderverträgen“ haben die Hochschulen vor allem offizielle Rechtsmittel gegenüber der allmächtigen Volksbildung in der Hand. Mit der gleichberechtigten Ausbildung von „Externen“ an Spezial- und Hochschulen wird das Reservoir jener Begabungen erschlossen, die befürchteten oder erkennbaren Zwängen an einer Spezialschule mit Internat entgehen wollten. Förderverträge und Externistenförderung stellen auch in Weimar zwischen Hochschulverantwortlichen und Spezialschuldirektor neue Beziehungen her. Für den Gesamtkomplex der Begabtenförderung ist der Prorektor für Erziehung und Ausbildung verantwortlich. Nach der Erkrankung des in Weimar diese Position erfahren vertretenden Gesangsprofessors Kurt Hübenthal wird Helmut Heß ( Jahrgang 1947) „mit der Wahrnehmung der Funktion beauftragt“, worauf Briefkopf und Dienstsiegel einschränkend hinweisen. Denn der junge Pianist, nach seiner Rückkehr vom Prager Zusatzstudium als Assistent wirkend, dürfte auf der Nomenklaturleiter nie auf der Stufe eines Prorektors stehen. Da jedoch der Kollege, seit 1966 der Genosse Heß neben pianistischen Erfolgen immenses Organisationstalent, offensive Kommunikationsfähigkeiten und Bienenfleiß bewiesen hat, ist Rektor Jung froh, die „Bürde“ Talentsuche weiterwälzen zu können. Er hätte keinen Besseren finden können. Heß hat in der Streicherpädagogentruppe um Hofmann, Witter, Krebs und Popp, im Pianisten Volkmar Lehmann Verbündete, die landauf, landab Musikschulen nach Talenten abgrasen. Heß schreibt sich die Finger wund, um Direktoren von POS darauf aufmerksam zu machen, dass sie per ministeriellem Ukas verpflichtet sind, begabte Schüler von „Polytechnischer Arbeit“ (PA) und der „Einführung in die Sozialistische Produktion“ (ESP) zu entbinden. Er kämpft um Schulbefreiung für Wettbewerbsvorbereitungen und Kursteilnahmen. 47 Nur mühsam kann er gegenüber widerspenstigen Schuldirektoren Erfolge erringen. Die Zahl von Förderschülern wächst, einige weisen die Eignung für ein Hochschulstudium nach.

Wettbewerb Ebenso kämpft Heß an der innerschulischen Front. Sein Hauptkontrahent ist der Spezialschuldirektor. Auch der knirscht mit den Zähnen, weil besondere Begabungen als Externe nicht in das Internatsreglement eingezwungen werden wollen.

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Seine Macht über die Externen ist begrenzt. Aber auf ihre Spitzenleistungen kann er nicht verzichten; denn die Schule hat vorzeigbare musikalische Erfolge dringend nötig. Dem Staat reichen Bekenntnisse nicht allein, er fordert Leistung. Zentrale Wettbewerbe enthüllen, welche Position Belvedere im Spezialschulquartett einnimmt. Nach den Berliner Förderforderungen von 1974/75 erklingt im Belvederer Arbeitsplan 1975 deutliche Kritik: „4.3.2. Die Ergebnisse des ‚Kleinen Bachwettbewerbs‘ 1975 haben gezeigt, dass wir auf dem Gebiet der Förderung von Spitzenkräften bei weitem nicht die gleichen Erfolge wie die anderen Spezialschulen erzielt haben.“ 48 Endlich tauchen, zumindest auf dem Arbeitsplanpapier, anzustrebende künstlerische Ziele auf. Die Wege zu ihnen verlieren sich allerdings gleich wieder im Gestrüpp von Allgemeinplätzen und kleinlichen Kontrollen. Als Leiter der zentralen Arbeitsgruppe könnte der Direktor studieren, was man anderswo anders macht. Er würde es kaum fassen, dass in Berlin die Pianistin Sigrid Lehmstedt, in Dresden Christine Straumer und die Geigerin Gudrun Schröder in Kindergärten und Schulen der ganzen Stadt musikalisch interessierte Fünf- und Sechsjährige suchen und überreichlich finden. Sie spekulieren nicht auf kommende Oistrachs oder Swjatoslaw Richters, sie lenken die kleinen Kreativen singend, tanzend, malend in einen musischen Kosmos, verfolgen das freie Wachsen von Begabungen und können sie dann individuell, nicht zuletzt nach physischer Eignung der kleinen Finger und Hände in eine Ausbildungsbahn leiten, viel früher als auf dem verordneten Musikschulweg. Er würde staunen, wie es gelingt, durch übergreifende Stoffvermittlung in Geschichte, Deutsch, Musik und Kunst die Schüler in den Geist einer Epoche, etwa der Romantik zu führen, anstatt ihn lehrplanhörig zu zersplittern. Er würde sich wundern, dass es möglich ist, auch die 9. Klasse in zwei Jahrgänge aufzuteilen, um mehr Zeit zum Üben und öffentlichen Auftreten zu gewinnen. Volksbildungsorgane lassen das zu. Man braucht dazu Phantasie. Man muss alle Energie schöpferisch im Kampf um sinnträchtige und erfolgreiche Ausbildungsvarianten einsetzen, nicht für den Kampf um Machterhalt. Doch Möckel, überzeugt von seiner methodischen Allmacht, uninteressiert an den Erfahrungen der Direktorenkollegen, dekretiert sein Erfolgsrezept für Leistungssteigerungen: „4.3.10. Die Hauptfachlehrer sind dafür verantwortlich, dass auch im Hauptfachunterricht dem Zurückbleiben einzelner Schüler ein energischer Kampf angesagt wird.“ 49 Wenn bei Wettbewerben und Leistungsvergleichen Weimar häufig die Rote Laterne im Empfang nehmen muss, liegt das am wenigsten an der individuellen Leistung der „Belver“. Die üben nicht weniger fleißig und ehrgeizig, werden von nicht weniger erfahrenen Künstlern und Pädagogen geführt, sind nicht weniger begabt. Aber sie sind seltener, und die Seltenen haben es schwerer als ihre Konkurrenten in den Schwesterinstituten. Dort kennt man keine täglichen Fahnen­appelle, braucht

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keine Genehmigung für den Ausgang in die Stadt. Man lebt inmitten der Stadt, lebt in Dresden, in Ost-Berlin, in Halle und Leipzig. Kein Direktor wird einem Kruzianer den Kirchgang verbieten wollen, einen Thomaner diskriminieren, weil er die Bibel liest. Geist und Seele sind leistungsbereit und frei zum Musizieren, sind frei und total darauf konzentriert, durch diszipliniertes, nimmermüdes Üben die hohen Ansprüche zu erfüllen, die strenge Lehrer und unnachsichtige Juroren stellen. Die jungen Künstler aus Weimar – immerhin gerade Zwölf- bis Sechzehnjährige – müssen vor dem Start im Hochleistungsparcours mehr seelischen Ballast abwerfen, müssen mehr psychische Hürden überspringen. Umso größere Bewunderung gilt in diesem doppelt schweren Wettkampf allen Teilnehmern, jedem Platzierten, jeder Siegerin.

Jubiläum Wann immer es sich kalendarisch anbot, wurden in der DDR Jahrestage gefeiert. Sobald der Gründungstag eines politisch verwertbaren Ereignisses wiederkehrend zu runden sich ankündigte, wurde die Maschinerie der Jubelkampagnen angeworfen. Ob Sowjetunion oder DDR, SED, KPD oder KPdSU, Deutsch-Sowjetische Freundschaft, FDJ, Junge Pioniere – Jahrestage mit einer Null oder Fünf am Ende wurden alle Jahre wieder zu historischen Ereignissen hochstilisiert. Dabei war festliches Erinnern meist zweitrangig. Im Mittelpunkt standen die ideologischen und ökonomischen Aktionen, Wettbewerbe, Maßnahmepläne, Aufrufe, Aufgebote, Selbstverpflichtungen, Plansteigerungen, mit deren Hilfe wirtschaftliche Probleme gemindert und Bewusstseinstrübungen aufgehellt werden sollten. Zwischendurch sorgten SED-Parteitage und FDJ-Parlamente dafür, dass keine langweilenden Pausen im Verpflichtungskalender der Bevölkerung eintraten. Auch die Arbeitspläne der Spezialschule strotzen Jahr für Jahr von dieserart aktivierenden Gedenktagen. Umso erstaunlicher ist es, dass das Jubiläum zum Zwanzigjährigen der Schule auf Belvedere weder im doch sonst so akribisch auflistenden Arbeitsplan des Direktors noch in dem des Hochschulrektors, weder bei Partei noch FDJ für 1977/78 auftaucht. Vermutlich fiel erst spät auf, dass die Umwandlung der „Fachschule für Musik“ zur „Franz-Liszt-Hochschule, Abteilung Orchesterschule, Unterstufe“, mit dem 1. März 1958 datiert, Feierlichkeiten zu einem 20. Jahrestag ermöglicht. Das Versäumnis langfristiger und entsprechend mit Verpflichtungsaktionen gepflasterter Planung scheint den Direktor nicht in Verlegenheit gebracht zu haben. Seiner rechtens gerühmten Organisations- und Durchsetzungskraft ist es zu verdanken, dass vom 5. bis zum 11. Juni 1978 eine „Festwoche anlässlich des

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20jährigen Bestehens der Spezialschule für Musik Weimar“ auf die Beine gestellt wird, die sich hören lassen kann. 50 Der Titel ist nicht ganz korrekt, als „Spezialschule“ gibt es das Institut ja erst seit 1965, aber die Zugehörigkeit zur Hochschule ist vom Anlass wie vom Datum des Feierns würdig. Es ist das erste Mal während ihrer Hochschulzugehörigkeit, dass sich die Schule als Hort der Musik vielseitig der Weimarer Öffentlichkeit präsentiert. Was zu Frühzeiten von Della Guardia oder Röhr selbstverständlich gewesen war, hatte zwei Jahrzehnte geschlummert, nicht, weil es keine jungen Musiker gegeben hätte, die sich hätten präsentieren können, sondern weil Musik von Seiten der Spezial- wie der Hochschulleitung nicht als existenzielles Zentrum, sondern als Nebenprodukt behandelt wurde. Unter dem Rektorat Jung war ein zartes Crescendo musikalischer Entwicklung unüberhörbar geworden. Lieselotte Pieper und Geigenpapst Ehlers mit ihren jungen Mitstreitern hatten zunehmend Talente nach Weimar gelockt und gefördert. Karl Biehlig brachte hörenswerte Hornisten heraus und sorgte mit seinem Schüler Reiner Heimbuch für erfolgreiche Nachfolge. Die Holzblaslehrer aus der Staatskapelle ergänzten diesen Bereich effektiv. Kammermusik für Bläser und Streicher, von Erich Vieweg engagiert betreut, gewann zunehmend Raum. Wenn schon kein

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Orchester, so existierte wenigstens ein Streicherensemble, von Rolf Baumgarten und Jochen Tutschku angeleitet. 51 1973 war endlich, nun auf der Basis von Regierungsabkommen eine Verbindung nach Polen geknüpft worden. Der Partnerschaft zur Musikschule Olkusz folgte eine solche zum Konservatorium im mährischen Ostrava. Das Mädchen-Quartett mit Primaria Ursula Dehler – heute Konzertmeisterin der Staatskapelle und Professorin an Hochschule und Musikgymnasium – durfte Weimar bei Festlichkeiten in Olkusz vertreten. Dazu war der Chor unter Dieter Huschke immer ein schönstimmiger, auch wegen der Vielseitigkeit seines Repertoires variabel einsetzbarer Klangkörper. Wenige Wochen vor dem Jubiläum hatten die Hornisten Udo Markwarth, Egon Hellrung und Harald Azeroth die drei ersten Preise vom Wettbewerb in Markneukirchen mitbringen können. Pieper-Schüler Kleif Carnarius und Externistin Kerstin Feltz belegten die Cello-Spitzenplätze beim „Kleinen Bach-Wettbewerb“; eine Silbermedaille für die Flötistin Karin Beck und bronzene für die Geigerinnen Carola Nasdala und Anne Schumann vervollständigten die Geburtstagsgaben. Die frischgekürten Preisträger stehen auch im Zentrum eines Solistenkonzertes und eines Abends mit der ausgezeichneten Celloklasse. Konzerte von Chor und Kammerorchester, von Staatskapellkonzertmeister Friedemann Bätzel professionell dirigiert, Auftritte ehemaliger „Belver“, jetzt Studierende oder Lehrkräfte der Hochschule, von Gästen aus Olkusz und Ostrava, von den Musikschulen Weimar und Jena in der Stadt und auf Belvedere vermitteln Eindrücke aus dichter und ferner Partnerschaft, aus Vergangenheit und Gegenwart und Ausblicke in die Zukunft. Sogar die Lokalpresse richtet ihre Aufmerksamkeit aus Anlass der Festwoche auf die Spezialschule, 52 reportiert die Feierstunde, verweist auf diverse Veranstaltungen. Wenn der „Volk“-Journalist das Interview mit dem Direktor mit der Schlagzeile „Ausbildung bereits ab 4. Lebensjahr“ krönt, vermittelt er genau die Möglichkeit, die durch den Interviewten eben nie genutzt wurde, im Unterschied zu seinen Kollegen von Elbe und Spree. 53 Dem festlichen Anlass sei es zugestanden. Viel Anerkennendes vermittelte schon Wochen zuvor ganzseitig die „Thüringische Landeszeitung“. 54 Nachprüfbare Informationen stehen, charakteristisch für DDR-Journalismus, neben Schöngefärbtem und Unkommentiertem. Die Ausstattung der Internatszimmer beispielsweise wird kühn mit dem Attribut „interhotelmäßig“ belegt. Recht hat Direktor Möckel, wenn er stolz ein Belvedere-Studium mit einem Nationalpreis 2. Klasse vergleicht, „denn 50 000 Mark würde etwa eine private Ausbildung kosten“. Zugleich verdrängt er die seelischen Verluste bei nicht wenigen Schülern, die auf das Konto seines persönlichen Machtmissbrauchs gehen. Dass der ideelle den materiellen Gewinn übertreffen kann, streift eine Abschlussbemerkung im Bericht der TLZ: „Als der Direktor „langjährige, hervorragende

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Mitarbeiter auszeichnete, begleiteten ihn die Mädchen und Jungen mit lautstarkem, bewegendem Beifall.“

Nach dem Fest Das Fest ist vorbei. Mitwirkende und Mitfiebernde freuen sich über die zahlreichen Besucher, über viel ehrliche und berechtigte Anerkennung, über das Presseecho – selten genug verirrt sich ein Rezensent auf den Berg –, über die Begegnungen mit den polnischen und tschechischen Musikerfreunden. Vor allem aber sind alle glücklich darüber, dass über Wochen die Musik Mittelpunkt gemeinsamen Lebens war. Von diesem Elan beflügelt, lassen sich Schuljahresprüfungen leichter bewältigen. Für etliche ist es das lange herbeigesehnte Ende der Belvedere-Zeit. Die Zurückbleibenden zählen leicht neidisch die Monate, manche schon die Wochen, bis sie es schaffen, zur Hochschule zu wechseln. Erst einmal begleitet sie die Hoffnung in die Ferien, dass der Jubiläumsschwung erhalten bleibt. Die Hoffnung ist trügerisch. Das Schuljahr 1978/79 beginnt wie das letzte mit dem Fahnenappell zum Weltfriedenstag am 1. September. Weil sich im Schuljahreszeitraum nur der 60. Gründungstag der KPD zum feierlichen Gedenken anbietet, orientiert der Arbeitsplan vorsorglich auf das „FDJ-Aufgebot DDR 30“ zum großen Gründungsfest im Oktober 1979. Künstlerische Ziele, gemeinschaftlich wie individuell, werden nicht angesteuert. Für 1977/78 hieß es noch unter 3.3.6.: „Auf dringende Empfehlung des Ministeriums für Kultur ist an der SfM Weimar wieder ein Instrumentalensemble mit dem Charakter eines Jugendsinfonieorchesters aufzubauen.“ 55 Decouvrierend, dass Berlin Selbstverständlichkeiten professioneller Musikerausbildung „dringend empfehlen“ muss. Doch egal, die Schüler freuen sich darauf. Schon 1978/79 ist wieder keine Rede mehr davon. Der Rückfall in alltagsgraue Tristesse ist nach dem hoffnungsträchtigen künstlerischen Frühling umso deprimierender. Ein junger Lehrer empfindet diesen Sturz besonders stark. Wolfgang Haak ( Jahrgang 1954) war im Herbst 1977 als Lehrer für Physik, Mathematik und Sport in Belvedere mit großen Erwartungen gestartet. Er hatte geglaubt, an einer Kunstschule souveräne Facheignung mit eigenen literarischen und historischen Neigungen verknüpfen zu können. Auch der Direktor hatte den quirlig interessierten, allzeit einsatzbereiten Youngster als belebenden Aktivposten für seine etwas bequeme Pädagogenschar begrüßt. Allzu bald war beiderseits Enttäuschung eingetreten, bei Haak, weil er nicht nur täglich auf dem Appellplatz spüren musste, welch scharfer Wind in höchst dissonanten Tönen über den Berg pfiff, bei Möckel, weil der junge Kollege um keinen Preis der Welt sein Genosse werden wollte. Konflikte waren unausweichlich.

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Gleich nach dem Jubiläum schaukelt sich die Kontroverse hoch. Am 21. Juni 1978 hat Sportlehrer Haak vor der Schulleitung zum vormilitärischen „HansBeimler-Wettbewerb“ zu rapportieren; das Protokoll hält fest: „OStR Möckel: Ich muß die Frage an Sie stellen, ob Sie sich Ihrer vollen Verantwortung als Lehrer einer Schule der DDR bewusst sind. / Koll. Haak: Ich teile viele Ansichten, die an dieser Schule bestehen, nicht. / OStR Möckel: ( …) Vielleicht ist es besser, wenn wir Ihnen behilflich sind beim Weggang. ( … ) Sie müssen als nächstes den Turnhallenschlüssel nehmen und überprüfen, wie es mit den Gewehren aussieht, ganz schnell kon­ trollieren, ob die Handgranaten da sind.“ 56 Friedvolle Weihnachtslieder, bei einer privaten Adventsfeier im Internat von Haaks Klasse musiziert, textlos, um ja keinen Anstoß zu erregen, vom Direktor auf einem seiner Wachgänge erlauscht, lassen den militanten Kirchenfeind explodieren. Ein cholerisch tobender Anfall richtet sich gegen Schüler wie Lehrer. Den, meint der Machthaber, muss er jetzt in die Knie zwingen. Haak entzieht sich weiteren Demütigungen. Er kündigt, nicht nur den Dienst auf Belvedere. Lieber will er als Pförtner im „VEB Mähdrescher“ Stunden absitzen und dabei Kafka lesen, als weiter die kafkaeske Tyrannei der Phrasendrescher in der realsozialistischen Volksbildung erdulden. Haak ist naiv. Im Juni hatte OStR S.M. ihm Hilfe „beim Weggang“ mehr angedroht als angeboten. Nun hat zwar der Direktor S.M. keine Macht mehr über ihn, wohl aber setzt Parteisekretär S.M. machtvoll enge Kontakte zu Staats- und Sicherheitsorganen in Gang, um den Abtrünnigen auf eine „Schwarze Liste“ setzen zu lassen und eine alternative Arbeitsaufnahme zu verhindern, wo immer es geht. Auch Ursula Lenk bekommt die launische Doppelgesichtigkeit des Direktors zu spüren. Sie hatte die errechneten tausendvierhundert Fahnenappelle durchgestanden, hatte das Studium an der Hochschule wie befreit fortgesetzt, Erfolge beim Bach- und beim Schumann-Wettbewerb errungen und durfte 1977 für zwei Jahre zum Zusatzstudium nach Budapest. Auf ihre Rückkehr hatte Direktor Möckel geradezu gewartet. „Du wirst hier viel lernen, pass mal auf !“, hatte er am ersten Schultag der kleinen Pianistin versprochen. Sie stammt doch, wie er, aus dem vogtländischen Auerbach. Da schimmert heimatverbundener Stolz auf. Er wähnt in ihr das Produkt seines Staates, seiner Partei, nicht zuletzt seines eigenen pädagogischen Wirkens. Jetzt soll sie das als Lehrerin an seiner Schule danken. Er zerrt die Widerstrebende geradezu auf den Berg, lockt sie mit Improvisations- und Hauptfachunterricht, verspricht, ganz Machthaber, die Anfängerin zur Professur zu führen. Dann erfährt er, dass Ursula Lenk sich zum christlichen Glauben bekennt. Von Stund an fällt sie in Ungnade. Jetzt muss sie alles unterrichten, vorrangig Nebenfach und Begleitung, bekommt keine Spitzenschüler zugewiesen, sondern muss sich mit Problemfällen herumschlagen. Wie viele Fahnenappelle sie wieder durchstehen muss, ist nicht abzusehen.

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Assistentin Lenk unterrichtet zwar an der Spezialschule, doch als Hochschulpädagogin weiß sie sich mit anderen Lehrkräften in der kritischen Sicht auf das System Belvedere einig. Gotthard Popp, als Pädagoge und Cellist im „Brahms-Trio“ in der Hochschule höchst reputiert, als Solocellist des Leipziger Rundfunksinfonieorchesters zugleich von Weimar unabhängig, trägt nicht nur seine persönliche Meinung vor, als er am 19. Mai 1980 in einer Dienstberatung des Rektors feststellt: „Gegenüber früher hat sich die Atmosphäre in Belvedere zum Negativen hin geändert“. 57 Der Belvedere-Absolvent von 1966 vermag das ebenso erfahren einschätzen wie der Moskau-Absolvent die Unterschiede zur sowjetischen Spezialschulbildung kennzeichnen kann. Friedrich Macher, Leiter der Klavierabteilung, sekundiert, dass „die Zusammenarbeit der Taster mit Belvedere nicht ersprießlich“ ist und Festlegungen für die Effektivierung der Ausbildung vom Mai 1979 nicht realisiert wurden. Die pädagogischen Nachfahren von Franz Liszt und Bruno Hinze-Reinhold empfinden es als besonders bedrückend, dass bei Nachwuchswettbewerben nie der Name eines Pianisten aus Weimar die Preisträgerliste ziert und die seltenen Belvederer Spitzenkräfte den Streicher- und Bläserklassen entstammen. Helmut Heß, der Nachwuchsbeauftragte, verweist auf wachsende Abneigung aus Musikschulkreisen, Talente zur Ausbildung nach Belvedere zu schicken. Der Direktor verwahrt sich rabiat dagegen, die Beratung in ein „Möckel-Tribunal“ umzuwandeln. Rektor Jung empfiehlt ausweichend, „die angesprochenen Probleme sollten sofort von Kollege zu Kollege geklärt werden“, weil hier „nicht der geeignete Raum sei, die Probleme zu diskutieren.“ Das Protokoll schließt mit der Festlegung: „Vor der Klärung der den Kollegen Möckel betreffenden Fragestellungen ist dieser Problemkreis durch alle anwesenden Kollegen vertraulich zu behandeln.“ Das Wort vertraulich ist unterstrichen. 58 Heß umschreibt vorsichtig, was er fast täglich aus Gesprächen in Musikschulen und mit Eltern von Förderschülern erfahren muss. Thüringer Eltern und ihre Kindern fahren mit Trabbi oder Reichsbahn nach Halle oder Dresden und lassen Belvedere links liegen; sie geben für die Umwege keine fachlichen, sondern eindeutig atmosphärische Gründe an. Heß zieht die Notbremse, wenn er Eltern und Musikschulen ans Herz legt, Begabte als Förderschüler direkt an die Hochschule zu binden. Er rät dem hochbegabten Pianisten Christian Müller aus Meiningen, ja nicht schon nach Belvedere zu gehen, sondern sich bei Volkmar Lehmann, seinem Weimarer Mentor in Freiheit zu entwickeln. Gemeinsam mit Lehmann nimmt er eher die aus solchem Rat resultierenden Wutanfälle und Drohungen des Direktors in Kauf, als sensible Begabungen dessen entwicklungshemmenden Zwängen auszusetzen. Das hat Auswirkungen auf die Schülerzahlen. Sie pendeln nicht mehr um 110, sondern sind 1980/81 auf 92 abgesackt. 1981/82 werden sie mit 88 einen Tiefpunkt erreichen. 59 Es scheint Bewegung in den Umgang mit einem als unantastbar geltenden System gekommen zu sein.

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Fahnenappell

In der DDR waren Fahnenappelle in den Polytechnischen und Erweiterten Oberschulen (POS und EOS) üblich. Sie waren vom Ministerium für Volksbildung gewünscht, vermutlich auch als Prinzip angeordnet. Zu den Regularien jedoch, zu Häufigkeit, Anlässen und Kleidungsmodalitäten – Blauhemd, Pionier-Halstuch u.a. – gab es weder seitens des Ministeriums noch der Mitveranstalter FDJ und Pionierorganisation verpflichtende Anweisungen. Sie lagen im Ermessen der Schulleitungen. Die meisten setzten die Appelle mehrmals jährlich an, dem Schuljahr folgend, zu dessen Beginn und Abschluss, auch vor oder nach längeren Ferienabschnitten, ergänzt durch Appelle anlässlich staatlicher Feiertage, wie 1. Mai, „Tag der Republik“, auch „Tag des Kindes“, „Tag des Lehrers“, Pioniergeburtstag oder Weltfriedenstag. Schulen, an denen wöchentlich Fahnenappelle angesetzt waren, gab es äußerst selten. Die Weimarer „Spezialschule für Musik“ dürfte die einzige Einrichtung in der DDR gewesen sein, an der Schüler und Lehrer an jedem Schultag zum Fahnenappell anzutreten hatten. Davon waren etwa zwanzig Appelle je Schuljahr, herausgehoben durch Datum, thematischen Anlass und für die Gestaltung verantwortlicher Lehrkraft, gesondert im jährlichen Arbeitsplan fixiert. Im Arbeitsplan für das Schuljahr 1971/1972 heißt es im Abschnitt 4.1. Politisch-ideologische Erziehung unter 4.1.12.: „Den täglichen Fahnenappellen und insbesondere Appellen zu besonderen Anlässen kommt hohe Bedeutung zu. Der Plan der besonderen Appelle (siehe Anlage) ist auszuarbeiten.“1 Der Anhang 7.1. verzeichnet 24 besondere Appelle. Sie beginnen am 1. September – Weltfriedenstag – und enden am 30. Juni – Geburtstag von W. Ulbricht. Dazwischen werden Franz Liszt, Wilhelm Pieck, W.I. Lenin, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Ernst Thälmann geehrt, wird der Jahrestage der DDR-Gründung, der russischen Oktoberrevolution, der deutschen Novemberrevolution, der Gründung der sowjetischen und der DDR-Pionierorganisation, der Gründung der FDJ, des Gründung der SED, des ersten bemannten Weltraumfluges, der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages gedacht und der jeweilige Tag der Republik, der Nationalen Volksarmee, der Befreiung, des Lehrers, der Internationale Frauentag, der Internationale Tag des Kindes, der Welttag des Theaters, der Internationale Tag der Jugend für Abrüstung gegen Kolonialismus und für friedliche Koexistenz begangen. 2 Der Begriff „Appell“ – im hier relevanten Sinn – entstammt dem Bereich des Militärwesens und bedeutet „Aufstellung, Antreten. (zur Befehlsausgabe u.a.)“.3 Brockhaus’ Konversations-Lexikon definiert ihn als „die Versammlung bestimmter Truppenkörper … zu bestimmten Verrichtungen des inneren Dienstes“ und als „die für den einzelnen Soldaten wie für die ganze Truppe gleich notwendige Gewohnheit, gegebe-

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Exkurs

nen Befehlen sofort und pünktlich nachzukommen.“4 Die Befehlsgeber beabsichtigen mit dem Appell die Unterdrückung von denkendem Widerspruch und schöpferischer Individualität. Dabei verstärken sie durch stereotype Wiederholung eine gesteigerte und langanhaltende Wirksamkeit. Im Militärwesen mochte diese uniformierend repressive Funktion von existenzieller Bedeutung sein. Bei der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Heranwachsenden zwischen zwölf und siebzehn Jahren ist sie existenziell schädlich. Bei der Entfaltung schöpferischer Individualität von heranwachsenden Künstlern in dieser Phase, die an einer Spezialschule für Musik pädagogische Priorität besitzen sollte, besitzt sie den höchsten Grad an kontraproduktiver Wirkung. Der Fahnenappell ist eine besondere Erscheinungsform des Appells. Er fügt der ordnenden Aufgabe des Zählappells durch die Unterordnung unter die Fahne Rituelles, Metaphysisches hinzu. Es ist kein Zufall, dass der Fahnenappell in der NS-Zeit mit ihrer Symbolgläubigkeit bei HJ und NSDAP eine besondere Aufwertung erhalten hatte. Auf dem Ettersberg, dem idyllischen Belvedere gegenüber gelegen, hatten die Nazis jahrelang die „ordnende“ Funktion perfide mit der symbolischen vereint und mit den KZ-Häftlingen Tag für Tag zynisch durchexerziert. Das Belvederer Exerzitium, bei der Rekrutenausbildung über Jahrhunderte erprobt, zielte auf Wirkungskraft durch das konfrontative Arrangement: Die zum Appell befohlene Menge in Blöcken der Schüler und Lehrer – ihnen gegenüber die Fahne und der Einzelne, der Direktor; der mit dem Machtsymbol vereinte Machtvertreter wurde dadurch in die Sphäre des Unangreifbaren gerückt. Das Ritual des Fahnenhissens überhob das Alltägliche ins zeremoniell Weihevolle. Da in den Musik-Spezialschulen der Anteil christlich gebundener Jugendlicher überdurchschnittlich hoch war, sollte die kultisch überhöhte Zeremonie zudem eine Art religiöses Gegenangebot darstellen. Widerspruchslos duldeten länger als zwei Jahrzehnte verantwortliche Rektoren, aber auch an der Weimarer Hochschule wirkende Erziehungswissenschaftler, darunter renommierte Professoren, diese eigenmächtig durch den Spezialschuldirektor praktizierte und von ihm öffentlich publizierte Form restriktiver Gleichschaltung. Das ist nicht nur unverständlich, es ist unentschuldbar. Es hätte keines „Mutes“ bedurft, mit einem Zweizeiler als Dienstanweisung wenigstens diesem Spuk ein Ende zu bereiten. Auf der historischen Großkundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989 beendete die große Schauspielerin und Kommunistin Steffi Spira ihren Aufruf an die Fünfhunderttausend mit den Worten: „Ich wünsche für meine Urenkel, dass sie aufwachsen ohne Fahnenappell, ohne Staatsbürgerkunde und dass keine Blauhemden mit Fackeln an den hohen Leuten vorübergehen.“

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VIII 1980–1989

Dämmerung Wann das nächste Kapitel der Schulgeschichte aufgeschlagen wird, ist nicht auf Tag und Stunde zu fixieren, kaum auf Woche oder Monat. Kein Ortswechsel gibt Anlass, eine Zäsur zu setzen. Kein staatlicher Beschluss versetzt die Schule in veränderte Zugehörigkeit oder gibt ihr einen neuen Namen. Oben auf dem Berg geht alles seinen gewohnten Gang. In der DDR des Jahres 1980 ist „gewohnter Gang“ ein beschönigendes Synonym für „Stillstand“. Der Schein trügt. Unter der betonierten Oberfläche des Autonomen Herrschaftsbezirks zu Belvedere gerät etwas in Bewegung, ohne Richtung, aber nicht ohne Wirkung. Kollegen und Genossen Bürger trauen sich, Ventilsysteme zu benutzen, welche die Staatspartei installiert hat, um im zugemauerten Überdruckkessel DDR hin und wieder und natürlich kontrolliert Dampf ablassen zu können. Bereits am 14. Mai 1963 war durch Ministerratsbeschluss die Arbeiter-undBauern-Inspektion (ABI) ins Leben gerufen worden. Durch die SED eingesetzte Kommissionen sollten als der Partei verantwortliche Organe ökonomische und finanzielle Vorgänge in Betrieben und Verwaltungen kontrollieren. Sie sollten helfen, Fehlplanungen und Schlampereien aufzudecken und entschwundenen Ressourcen nachzuspüren. Einfache Bürger sollten zudem die Genugtuung erfahren dürfen, undurchsichtigen Vergabepraktiken und eigennützigen Materialumlenkungen, kurz: Schiebereien ihrer Vorgesetzten auf die Schliche zu kommen, die der sozialistischen Mangelwirtschaft systemimmanent waren. Die zunehmend prekärer werdende Wirtschaftssituation ließ es 1974 geboten erscheinen, auch Universitäten und Hochschulen zu ABI-Kontrollen zu verpflichten, um Vergeudung von Materialien zu vermindern. Seltsamerweise findet diese Forderung erst nach Jahren in der Weimarer Musikhochschule Gehör. Am 21. April 1980 bildet die SED-Parteileitung eine vierköpfige ABI. 1 Drei Genossen und der parteilose Bratschen- und Kammermusiklehrer Erich Vieweg nehmen den Kontrollauftrag ernst. Eine gerade erst drei Monate junge „Anweisung zur Sparsamkeit beim Umgang mit Kraftstoffen“ lässt sie Fuhrparkordnung, Fahrtenbücher, Fahraufträge und Benzinkosten besonders akribisch unter die Lupe nehmen. Die Ergebnisse werfen Fragen auf, die von Rektor und Spezialschuldirektor ausweichend, aufschiebend oder gar nicht beantwortet werden. Die ABI kritisiert die Parteileitung scharf wegen mangelnder Unterstützung.2 Aus

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den Untersuchungen resultierende Unklarheiten und Ungereimtheiten im Mobilitätsverhalten des Rektors scheinen Anlass genug gegeben zu haben, ihm seitens des Kulturministeriums den vorzeitigen Abschied nahezulegen. Am 16. Juni 1980 informiert der die HPL, dass seine „Abberufung im September 1980 erfolgen soll.“3 Gegenüber der Hochschulöffentlichkeit gibt es keinerlei Erklärungen; Jungs Amtszeit wäre Monate später sowieso zu Ende gegangen. Professor Slomma, in Rektorats­ interregnen schon 1965 erfahren, zeichnet am 14. Juli noch als „1. Prorektor“, am 1. September als „amtierender Rektor“. Am 13. Oktober wählt der KünstlerischWissenschaftliche Rat Prof. Dr. Diethelm Müller-Nilsson zum neuen Rektor. Die ABI bleibt hartnäckig. Der Aufklärung harren weiter die offensichtlich falschen Kraftstoffabrechnungen des Spezialschuldirektors. Der glaubt, als „Selbstfahrer“ auf den Wegen nach und von Belvedere einen Sonderstatus zu genießen und unterstellt dem peniblen Genossen ABI-Vorsitzenden ungenügende Gesetzeskenntnisse. Zwischen ABI und HPL, vom Führungsduo M/L-Papst und Stellvertreter gesteuert, eskaliert die Kontroverse zur Schlammschlacht und erfährt mit der Absetzung des Vorsitzenden und der Kriminalisierung Viewegs durch die HPL einen vorläufigen Höhepunkt. Der Abgesetzte und der Kriminalisierte öffnen ein weiteres Überdruckventil. Parteimitglied und Parteiloser beschweren sich bei der Zentralen Partei-KontrollKommission (ZPKK), der Kontrollinstanz der SED. Sie schreiben direkt nach Berlin, damit das Schriftstück nicht auf dem Instanzenweg via Stadt Weimar, Kreis Weimar und Bezirk Erfurt rein zufällig verloren geht. Die Wirkung ist enorm. 4 Es erinnert an die intrigengeschwängerten, tragikomischen Vorgänge aus Kleists „Zerbrochenem Krug“, wie die Bezirks-Partei-Kontroll-Kommission (BPKK) aus Erfurt – quasi in der Rolle eines Gerichtsrates Walter aus Utrecht – aufklärend Gericht hält in der Causa des angeklagt-anklagenden Direktors – dem Pendant zum unumschränkt herrschenden Dorfrichter Adam. Sie bestätigt in einem dreizehnseitigen Bericht die Korrektheit der ABI-Feststellungen über unkorrekt abgerechnete Benzinkosten. Sie stellt fest: „in der Frage Fahrtenbücher ist“ – durch die HPL – „massiv zurückgeschlagen worden“ und listet penibel Mängel und Falschangaben auf.5 Sie rehabilitiert Erich Vieweg und wischt, auch im Auftrag der Staatanwaltschaft, die haltlosen Verdächtigungen gegen ihn vom Tisch. Sie missbilligt des Direktors selbstherrliches Verhalten und seinen Umgang mit Menschen. Sie erteilt ihm in einem Parteiverfahren eine Rüge „wegen Unterdrückung von Kritik“. Blockparteiverbunden verurteilt sie die Aktionen des Direktors gegen kirchlich gebundene Schüler und Lehrkräfte: „Diskriminierung ist ein Stück Sektierertum.“ Auch darin gleicht sie Gerichtsrat Walter, dem solcherart Sprüche scheinheilig moralisierend leicht vom Munde gehen.

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Sie beschuldigt für alle Verfehlungen die HPL in Gänze, „diese Zustände über Jahre zugelassen“ zu haben. Fünf hauptamtliche Parteisekretäre waren in knapp sechs Jahren bei Versuchen gescheitert, die Klüngelwirtschaft zu durchschauen. Die BPKK veranlasst daher die zuständige SED-Kreisleitung Weimar, das Herrschaftsduo aus M/L-Papst und Spezialschuldirektor aus der HPL auszuschließen. Befriedigt beenden die Genossen aus Erfurt am 6. April 1981 ihre Dienstfahrt. Einmal ins Rollen gebracht, ist die Lawine in Weimar jedoch nicht mehr aufzuhalten.

Adler und Kriechtiere Die kleinlichen Vorgänge um Durchstechereien und private Bereicherung, intrigant, menschenverachtend, verbal rüde geführt, teils possenhaft grotesk, teils widerlich erscheinend, wären an sich keiner Erwähnung wert. Doch kommt in ihnen als großer Vorgang der Kampf um persönlichen Machterhalt unverschleiert zum Ausdruck. Im totalitären DDR-System nimmt solch persönlicher Machtanspruch schnell eine gefährlich absolute politisch-ideologische Dimension an. Das gilt nicht nur, aber auch, für Belvedere, nicht nur, aber auch für die Weimarer Musikhochschule, Hauptsitz: „Platz der Demokratie“. Zur Erinnerung: Seit Juni 1980 kündigt sich ein Wechsel im Amt des Rektors an. Die personelle Entscheidung wird in Berlin fallen. Fest steht einzig, dass der neue Amtsträger nicht aus dem Weimarer Umfeld kommen, erstmals seit 1945 nicht in Erfurt/Weimarer Parteikreisen ausgekungelt wird. Vorsorglich versucht der M/L-Papst am 16. Juni 1980, Pfähle einzurammen und für den eng mit ihm verbundenen, aber kränklichen 1. Prorektor einen standfesten Nachfolger zu instal­ lieren. Er polemisiert gegen den Wissenschaftlichen Sekretär, einen jungen, wendigen Ästhetik-Dozenten und schlägt an seiner Stelle – den Spezialschuldirektor vor. Er missbilligt die ablehnende ministerielle Auffassung, ein Physiklehrer könne kaum ein geeigneter 1. Prorektor für eine Musikhochschule sein, findet für seinen Beförderungsversuch aber keine Mehrheit.6 Ob nur ideologisch verblendet, ob von selbstsüchtiger Kumpanei getrieben, startet er am Anfang Dezember einen neuen Versuch, stößt aber mit dem Antrag, den Direktor mit einer Pädagogik-Professur zu belohnen, wiederum auf Ablehnung, nun dezidiert auch seitens des neuen Hochschulleiters.7 Der hatte in und nach der Amtseinführung am 31. Oktober 1980 seine unkonventionellen Ansichten über Sozialismus, Hochschulqualität, Kunstanspruch, Leistungsanforderung und verständnisvollen Umgang zwischen Menschen so freundlich wie konsequent bekannt gemacht und sein höchstes Interesse für die Entwicklung der Spezialschule bekundet, die für ihn das entscheidende Potential einer erfolgreichen Hochschulentwicklung darstellt.

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Die Noch-Machtinhaber spüren die Gefährdung ihrer Positionen, doch nicht die geringste Absicht, sie freiwillig zu räumen. So mutieren die ABI-Kontroversen über Benzintalons unversehens zu ideologischen Existenzkämpfen zwischen der Betonfraktion und dem Reformer. Diplomatisch bescheinigt Müller-Nilsson dem Direktor, er habe „Wesentliches geleistet für die Spezialschule in organisatorischer Hinsicht, auch in Sachen Erziehung, Disziplin usw. Aber könnte es nicht auch so gewesen sein,“ fragt er, „dass das Bestreben nach Ordnung und Disziplin zu einem Selbstzweck geführt hat, und eine Ordnungsschule daraus gemacht hat?“ Er fragt, was Gorkis Credo Ein Mensch, wie stolz das klingt! wert wäre, „wenn sich dieser wie ein Kriechtier verhält? Wir wollen Adler, keine Kriechtiere.“8 Aktives Bekenntnis zum Sozialismus bedeutet für ihn, „unsere Spezialschüler dazu zu erziehen, dass sie einmal unsere künstlerische und sozialistische Elite vertreten. Von ihnen erwarten wir, dass sie das Größte an Können und Haltung mitbringen.“9 Eine solche Entwicklung kann nur in einem musischen Klima gedeihen. Die Inquisitoren warnen: „Allein musisches Klima kann ins Gegenteil umschlagen.“ Und: „Wenn wir dem nachgeben, durchlöchern wir die Disziplin.“ Schützend stellt sich der M/L-Papst vor den Direktor: Wenn der „nicht für diese eiserne Ordnung gesorgt hätte, dann hätten wir chaotische Zustände, die mit den Prinzipien der sozialistischen Erziehung noch weniger zu vereinbaren sind als manche Überspitzung … Er hält unsere politischen Positionen oben in Belvedere.“ Unverhüllter kann der Auftrag an den Leiter einer Pflanzstätte für junge Künstler nicht postuliert werden – wie die SED ihn versteht.10 Das pathetische Bekenntnis – „Er hat eine unbändige Liebe zu den Kindern“ – erscheint als schrille Antizipation des berühmt gewordenen Ausrufs eines berüchtigten DDR-Ministers: „Ich liebe doch alle!“ Müller-Nilsson stellt nicht nur nachdenkenswerte Fragen. Der Spezialschuldirektor führt angeordnete Aufträge nicht aus. Angesichts von Disziplin und Organisationsgabe des Beauftragten kann das kein zufälliges Versäumnis sein. Der vorgesetzte Rektor handelt. Das Protokoll einer Außerordentlichen Sitzung des Künstlerisch-Wissenschaftlichen Rates am 3. November 1981 verzeichnet nur zwei Tagesordnungspunkte: „1. Entpflichtung des Gen. Dipl. paed. OStR Möckel von seinen Funktionen als Direktor der Spezialschule für Musik Weimar mit Wirkung vom 3.11.1981. 2. Übernahme dieser Funktion durch Gen. Dozent Helmut Heß.“ 11 Am 3. November 1981 herrscht von Moskau aus als Generalsekretär der KPdSU immer noch Leonid Iljitsch Breschnew über den Ostblock. Den Namen Michail Sergejewitsch Gorbatschow kennt in der DDR kaum ein SED-Politbüromitglied.

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Belvederer Perestroika Nicht immer kriecht Fortschritt im Schneckentempo. Anfang Dezember wird als herausragend spürbare Aktion der allmorgendliche Fahnenappell abgeschafft.12 Das ist ein starkes Zeichen. Es ist die Ermunterung für „Adler“, um des neuen Rektors Vergleich zu zitieren, die lange gefesselten und beschnittenen Flügel auszuprobieren. Fliegen sollen, müssen sie selbst. Volksbildung und FDJ würden nie eine totale Beseitigung des Rituals zulassen. Aber nun tragen die auf DDR-schulübliche Normalzahl eingedampften Begegnungen hinter dem Mozarthaus den Charakter lockerer Treffs zum Informationsaustausch, unvermeidlich von Fahne, Emblem und aktuellen Parolen umrankt. Engende Ringe, in permanent niederhaltender Verängstigung entstanden, lösen sich langsam, jeden Tag ein paar Schwingungen mehr. Auch äußere Ringe werden geöffnet. Heimfahrtwochenenden stehen häufiger im Kalender. Im nahen Winter werden es die Schüler genießen, erst am Montag anreisen zu müssen. Besuche der Stadt, ihrer Museen, Kinos und Eisdielen, nicht zuletzt der eigenen Hochschule sind nicht mehr tabuisiert. Dass man rechtzeitig wieder zum Unterricht oder im Internat erscheint, wird vertrauensvoll erwartet. Um nach Konzerten und Theatervorstellungen abends sicher auf den Berg zurück zu gelangen, werden Busse organisiert. Das sind doch Selbstverständlichkeiten, würden Spezialschüler aus Dresden, Halle oder Berlin sagen. Für die aus Weimar waren sie es nicht, mehr als zwei Jahrzehnte lang.

Der Reformer Die Entwicklung der Spezialschule bildet für Diethelm Müller-Nilsson den Kern der Herausforderung, als er 1980 dem ministeriellen Ruf folgt, mit der Weimarer Musikhochschule die größte künstlerische Hochschule der DDR zu leiten. Müller-Nilsson, Jahrgang 1929, war mit dem weiten Problemspektrum instrumentaler Entwicklung von früher Kindheit an konfrontiert worden, als Student bei Julius Dahlke und Rudolf Schmidt ab 1947 an der traditionsreichen Charlottenburger Hochschule in Berlin-West, wie als junger Klavierpädagoge seit 1953 an der „Deutschen Hochschule für Musik Berlin“ im Ostteil. Hier begegnet er Hanns Eisler und Paul Dessau, Georg Knepler und Harry Goldschmidt, großen Musikern und Wissenschaftlern. Ihren im Westexil geschärften kommunistischen Aufbauvisionen folgt er illusionsreich durch den Beitritt zur SED. Er wird, wie diese Vorbilder, in der DDR-Realität die Brüchigkeit der Illusionen erleben. Er wird, wie Walter Janka, Robert Havemann und andere kommunistische Intellektuelle, die

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Überzeugung nicht aufgeben, gesellschaftliche Fehlentwicklungen könnten nur aus dem Inneren der Partei heraus korrigiert, gar reformiert werden. Müller-Nilssons Weimarer Wirken ist permanenter Ausdruck dieser zwischen Resignation und Hoffnung wechselnden Haltung. Der Musiker Müller-Nilsson verarbeitet reiche solistische Erfahrungen, u.a. als Pianist der Kammermusikvereinigung der Deutschen Staatsoper in seiner pädagogischen Tätigkeit. Er systematisiert sie in seiner Dissertation über „Die Kategorie der motorischen Grundformen im Klavierspiel“. Es ist kein Zufall, dass der erfolgreiche Klaviermethodiker an der seit 1964 den Namen „Hanns Eisler“ tragenden Berliner Hochschule zum Prorektor für Lehre, Forschung und Prognose berufen wird. Sensibel untersucht er, auf dem Podium, als Lehrer, als Prorektor die Wechselbeziehungen zwischen instrumentaler Technik und Interpretation, hartnäckig stellt er die Fragen nach dem Woher, dem Warum, dem Wie und dem Wohin gerade auch in der musikalischen Ausbildung. Die Fragen gelten Schülern genauso wie Kollegen, Verantwortlichen in Hochschule, Partei und Staatsapparat, gelten besonders hartnäckig und nie nachlassend sich selbst. Für den in Zukunftsdimensionen denkenden Prognose-Verantwortlichen sind die Chancen und Probleme künstlerischer Frühentwicklung von entscheidendem Interesse. Die Berliner Spezialschule liefert ihm reichlich Anschauungsmaterial. Der Pädagoge verfolgt die Entwicklungen junger Begabungen vom Kindesalter an. Der Konzertbesucher erlebt in allen Berliner Spitzenorchestern ehemalige Spezial-, später Hochschüler an den Pulten neben ihren Lehrern musizierend. Der Wissenschaftler kennt natürlich das sowjetische Ausbildungssystem. Der Prorektor hat auch die Möglichkeit, es auf Studienreisen, bei Kolloquien und Wettbewerben mit den Profilen anderer europäischer Ausbildungsprogramme zu vergleichen.

Das Programm Dieses künstlerische und politische Erfahrungspotential gebiert den Anspruch, den sich der neue Rektor stellt, wenn er am 26. Januar 1981 dem KüWiRat, dem zumindest nominell höchsten Leitungsgremium der Hochschule seine Vorstellungen unterbreitet, den Anspruch also auch an die Entwicklung der Spezialschule. 13 „Dieser Abteilung unserer Hochschule gilt verständlicherweise meine größte Aufmerksamkeit. Es handelt sich um einen in aller Welt sehr beneideten Schultypus, und man kann sagen, dass es eine Musik-Kaderschmiede ist, von der das Wachstum der instrumentalen Spitzenkräfte der DDR weitgehend abhängt.“ Ein Viertel seiner „Regierungserklärung“ widmet er allein der Spezialschule, sieht leistungssteigernde Reserven im Verhältnis zwischen Allgemein- und Spezialbildung, in der Verantwortung der Hauptfachpädagogen. Er fragt angesichts des direktoral überspann-

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ten Sicherungskonzeptes, „ob alle bestehenden disziplinarischen Formen auch den Entwicklungen der weiterlaufenden Zeit entsprechen“. Er plädiert für Stärkung, und polemisiert gegen die auf Belvedere geübte Diffamierung des Selbstbewusstseins junger Künstlerpersönlichkeiten. Er äußert sich kritisch fragend zum „nicht in allen Teilen ganz guten“ Klima in Belvedere. Alle Fragen zielen auf eine Forderung hin: „Worin die Arbeit aber ganz wesentlich verbessert werden muss, das betrifft die künstlerische Arbeit selbst! (…) Die Statistik, und die ist unbestechlich, sagt aus, dass die Weimarer Spezialschule, vor allem im Fach Klavier, bei Leistungsvergleichen, bei zentralen Vorspielen und dergleichen seit Jahren mehr hinten als vorn liegt.“ Er kritisiert konkret selbst überprüfte Leistungen von Schülern der obersten Klasse, die „alle noch mit technischen Grundproblemen zu kämpfen haben“. Er kritisiert Selbstgenügsamkeit bei Lehrern wie Schülern, fordert: „Hier ist eine härtere Gangart vonnöten!“ und verallgemeinert: „dies gilt sinngemäß für alle Bereiche!“ Er postuliert: „Das Kammermusizieren ist ganz entschieden zu verstärken. Es macht nicht nur Spaß, es fördert nicht nur Kollektivgeist, es schult vor allem das geistig-musikalische Vermögen.“ Die aus Anlass des Weimarer Amtsantritts so konkret formulierten Forderungen resultieren aus Müller-Nilssons Gesamtverständnis von Rolle und Aufgabe der Spezialschulen.14 Er betrachtet sie eindeutig als Unterbau einer jeden Musikhochschule. Er bedauert das Verschwinden vormaliger ministerieller Absichten, dem Beispiel des sowjetischen Systems zu folgen, die Spezialschulen nach unten auszubauen und mit der „nullten Klasse“, also im 5. Lebensjahr beginnen zu lassen. Umso entschiedener bekennt er sich zur Einrichtung von instrumentalen „Kinderklassen“ auf externer Basis. Allerdings befürchtet er, dass die uneinsichtige Verhinderungshaltung des Volksbildungsministeriums wirkungsträchtige Erfolge solcher Klassen im Keim ersticken wird. Wenige Tage nach Amtsantritt hatte Rektor Müller-Nilsson bereits begonnen, sein Spezialschul-Programm im Detail durchzusetzen.15 Er legte fest, dass die Hauptverantwortung für die künstlerische Ausbildung aus der Spezialschule in die Hände der Hochschul-Fachabteilungen gegeben wird, dass langfristige Förderpläne für Spitzenkräfte über den Tisch des Rektors zu gehen haben und dekretierte einen Katalog von Bedingungen, die von der Allgemeinbildung zu erfüllen waren, um eine maximal effektive Vorbereitung von Leistungsvergleichen und Wettbewerben zu ermöglichen. So schränkte er gezielt die Wirkungsmöglichkeiten von Direktor Möckel auf die künstlerische Ausbildung ein. Mehr war im Dezember 1980 für Belvedere noch nicht zu erreichen. Bis zu einem zwingend notwendigen Leitungswechsel mussten noch elf Monate ins dahinschleichende Land gehen.

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Musik-Direktor Mehr als dreiundzwanzig Jahre hatten vergehen müssen, bis die Weimarer MusikSpezialschule, welche Namen sie seit März 1958 auch getragen haben mochte, wieder von einem Musiker geleitet wird. Unter den Wirkstoffen, die vom Beginn des November 1981 atmosphärische Veränderungen auf Belvedere befördern, ist dieser wohl der effektivste. Der neue Direktor weiß um die Probleme instrumentalen Unterrichtens wie seine Lehrkräfte, ist in Qualen und Freuden des Übens und Konzertierens erfahren wie diese und die gemeinsamen Schüler. Mag es bei Begegnungen auch dissonant polyrhythmisch zugehen – Lernende, Lehrende und Leitende begegnen sich im gemeinsam erlebten Klangraum Musik. Auf der Agenda von Helmut Heß steht ganz oben, möglichst viele, möglichst reiche Begabungen im näheren und weiteren Umfeld aufzuspüren und für eine Ausbildung in Weimar zu gewinnen, gleich, ob als Förderschüler, als externe oder direkte Spezialschüler. Er nutzt die Kontakte zu Musik- und Bezirksmusikschulen, vom Prorektor Heß über Jahre aufgebaut, um als musizierender Direktor die entstandene Skepsis gegenüber Belvedere abzubauen. Der Prozess ist mühsam. Eigene Besuche und solche von Pädagogen aus Hoch- und Spezialschule zwischen Nordhausen und Meiningen, Gera und Eisenach, Teilnahme an Vorspielen, Wettbewerben, Prüfungen mit stundenlangen Auswertungen werden durch Konsultationen, Vorträge und Kurse ergänzt. Eifersüchteleien zwischen den Bezirken, Missverständnisse zwischen Musikschulen und Hochschule erfordern Auflösung. Heß schreibt nachts mit der Hand, damit am nächsten Morgen die Sekretärin klärende Briefe auf den Weg bringen kann. Rasches Handeln hilft, Vertrauen zu gewinnen und zu erhalten. Kontinuierlich kippen ideologische wie bürokratische Auseinandersetzungen Sand und Müll ins Getriebe der Nachwuchssuche. Schulräte auf Stadt-, Kreis- und Bezirksebene widersetzen sich der Einsicht in die Spezifik musikalischer Spezialbildung. Heß hat sachdienliche Beschlüsse vom Politbüro bis zum Kulturminister parat, setzt sie, selbst vom DDR-Sozialismus überzeugt, mit agitatorischer Parolenmunition vertraut, geschickt als Wunderwaffen gegen sture Volksbildungsfunktionäre ein. Die Korrespondenz zu diesem Themenkreis füllt ganze Aktenordner.16 Ihre Lektüre erweckt kopfschüttelnde, manchmal fassungslose Verwunderung, vor allem jedoch Bewunderung für den nimmermüde briefschreibenden, dienstreisenden, zuhörenden, redenden, überzeugenden und nicht zuletzt musizierenden Direktor der Spezialschule. Die Mühen sind groß. Manchen Kollegen aus der Spezial- wie der Hochschule wird der eloquent Drängende schon unbequem. Doch die Erfolge sind unüberhörbar. Mit dem Vertrauen wächst die Zahl der Bewerber in einem Maße, dass aus steigenden Quantitäten zunehmend Qualität ausgesucht werden kann.17

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Direktor Heß sieht sich vor einer Prioritätsentscheidung: Gewinnung oder Förderung von Begabungen. Er kennt nur eine Antwort: Beides. Beides gehört zusammen, beeinflusst sich gegenseitig. Heß musiziert gern. Heß schreibt gern, Statistiken und Aufstellungen, Briefe und Pläne und Arbeiten im Rahmen von Lehrgängen bei der SED-Bezirksparteischule. Sie sind nicht selten ziemlich lang. Sie sind immer konkret. Vom ersten Tag seines leitenden Wirkens an systematisiert er Begabtenförderung. Exakt und detailliert gibt er in planender Auflistung der zu Fördernden Antworten auf die Fragen: Warum? Wofür? Wodurch? Preise, Konzerte antworten auf die erste Frage, Wettbewerbe, Fernsehaufzeichnungen, Auftritte auf die zweite. Verstärkte Korrepetition, Tonstudionutzung, gezielte Auftritte, Kursteilnahme, Hospitation bei Meisterkursen konkretisieren den Förderkatalog. Zu Beginn der Achtziger Jahre gilt in Belvedere unter männlichen Internatsschülern als Fördermaßnahme der Spitzenklasse die Unterbringung im Zwei-, gar im Einbettzimmer. Nicht nur die Schüler, auch ihre Lehrer und Mentoren, der Spezialschuldirektor und der Hochschulrektor in Person achten penibel darauf, dass und wie alle Pläne umgesetzt werden. Wird ein Förderversprechen nicht eingelöst, melden sich die Schüler deutlich zu Wort. Zukünftige „Adler“ trainieren nicht nur ihre Schwingen, sondern auch Krallen und Schnäbel. Die reißen sie auf. Der Leitung bereitet das Arbeit, aber auch Freude.

Lehrkraft Müller-Nilssons Verständnis von der Spezialschule als Fundament für die instrumentale Hochschulausbildung und sein Plädoyer, diesen Grund deutlich früher, bereits im Kindesalter zu legen, bleiben nicht Theorie. Programmatisch widmet er die wohl wichtigste Neuberufung der Spezialschule. Es gelingt ihm, die Klavierpädagogin Sigrid Lehmstedt aus ihrem reich blühenden Berliner Arbeitsfeld in die Provinz zu locken. Diese Verpflichtung wird lange nachwirken. Nach dem Studium in Leipzig hatte die 1929 geborene Pianistin ihre pädagogische Passion in der Hauptstadt entwickeln können. Mit der Einrichtung von Kinderklassen 1959 beginnend, verleiht sie der Klavierabteilung an der Berliner Spezialschule ergebnisreich Profil. Das Geheimnis für sich bald einstellende Erfolge beruht auch in ihrer methodischen Gabe, in besonderer Weise aber auf unermüdlicher Talentesuche. In Berliner Kindergärten und Schulen testet sie phantasievoll, singt, spielt, bewegt sich mit Kindern und spürt so unter Hunderten die gar nicht so wenigen Begabten auf, begabt für Kreativität, für Musik, erst in letzter Hinsicht direkt für das Instrument. So erschließt sie einen Talentequell, der für die eigene Klasse, aber auch für die von

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Streicherpädagogen schier unversiegend sprudelt. Preisträger junger Pianisten aus frühen und mittleren Altersklassen sind Grund genug, dass sie federführend den ministeriell verbindlichen Klavier-Lehrplan für Spezialschulen verfasst. 18 So nachweisbar theoretisch wie erfolgreich praktisch renommiert, beginnt sie im Herbst 1982 die Arbeit auf Belvedere, erst einmal auf qualitativ gemischtem Niveau, in nicht immer einfachen Auseinandersetzungen mit den Fachkollegen energisch und hartnäckig. Sofort testet sie auch hier gemeinsam mit Kollegen aus dem Klavier- und dem Bewegungsbereich rund 250 Kinder zwischen vier und sieben Jahren, und findet über vierzig, mit denen zu arbeiten sich lohnen könnte.19 Sie setzt in der klaviermethodischen Hochschul-Abteilung wesentliche Akzente, bereist die Musikschulen der Thüringer Bezirke, suchend, anregend, überprüfend, vortragend, weiterbildend. Vor allem unterrichtet sie, vorrangig die selbst aufgespürten Talente. Schon nach drei Jahren nehmen mit dem achtjährigen Robert Fetter und der gleichaltrigen Anne Folger in beim Bach-Wettbewerb in Leipzig erstmals zwei Weimarer Siegermedaillen in Empfang.20 Von 1970 bis 2009 – Sigrid Lehmstedt,

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seit 1984 Professorin für Klavier, unterrichtet auch als Achtzigjährige noch voller Energie – bringen 34 Schülerinnen und 13 Schüler aus ihrem „Stall“ 265 Preise und Diplome nach Hause, errungen auf Wettbewerben zwischen Pößneck und Paris, Namur und Nordhausen, zwischen Prag, Rom, Vilnius und Cincinatti, Dutzende deutsche Städte nicht mitgezählt.21 Mit Erfolgen erwirbt sich Sigrid Lehmstedt gewiss außerordentliche Anerkennung, aber auch Neid. Ihre unerbittliche Konsequenz, ihre fordernde Härte und schier gnadenlose Strenge rufen Diskussionen, bei manchen im Kreis der Kollegen und Schüler auch Widerspruch und Zweifel hervor. Ihre Methoden werden bewundert und befragt. Jedenfalls muss sich jeder an ihren Erfolgen messen lassen. So begleitet ein Wettbewerb der Methoden den Wettbewerb der Erfolge. Nützlich sind die Auseinandersetzungen letztlich für alle, für die Auslöserin wie die Zweifelnden, für Lehrende wie Lernende, nicht nur, aber in erster Linie für alle, die sich professionell an der Weimarer Hochschule und ihrer Nachwuchsschmiede mit dem Klavier beschäftigen. Der Namenspatron Franz Liszt würde das schließlich erwarten. Auch eine andere personelle Entscheidung des Rektors wird die Entwicklung der Spezialschule wirkungsmächtig beeinflussen. Müller-Nilsson gewinnt Wolfgang Haak für die Rückkehr nach Belvedere. Als ergebnislos von Kaderleiter zu Kaderleiter irrender Arbeitssuchender war der im Winter 1979 im „Museum für Ur- und Frühgeschichte“ endlich einem Direktor begegnet, der auf „Schwarze Listen“ pfiff und froh war, einen Mann für alle Fälle gefunden zu haben, tiefschürfend mit dem Spaten bei Grabungen, mit Eloquenz bei Führungen, der bei der Werbung so saubere Arbeit ablieferte wie beim Scherbenputzen oder der Toilettenreinigung. Das Erdaltersschichten umkreisende Betätigungsfeld bot dem phantasievollen Multitalent unschätzbare Anregungen. Einen Fuß, den künstlerischen, hat Haak nach seiner Flucht aus Belvedere in die Musikhochschultür geklemmt: gemeinsam mit der Klavierprofessorin Ingeborg Herkomer initiiert, konzipiert, redigiert und moderiert er im „Saal Am Palais“ eine stark besuchte Veranstaltungsreihe „Musik und Dichtung“. Er offenbart bei der Vorstellung neuer, meist unveröffentlichter, hin und wieder auch eigener Texte ein sensibles Gespür dafür, wie Lyrik und Musik in, über, hinter und zwischen Worten und Tönen schwingt. Der Spezialschulmentor Müller-Nilsson wird aufmerksam. Fachkompetenz auf einem Feld, hier dem mathematisch-naturwissenschaftlichen, korrespondiert mit analytischer Neugier auf Geschichte und Germanistik; literarische Kreativität sucht das Wechselspiel in Freundschaften zu Malern, Grafikern, Musikern, Jazzern: so umfassend sollte allgemeine Bildung in der Spezialschule verstanden und vermittelt werden. Zudem bündeln sich diese Facetten in einer individuellen Haltung, die

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der staatlich betriebenen Nötigung zum Kriechtierstillstand die aufrechte Bewegung entgegensetzt. So wirbt auch der Sozialist Müller-Nilsson im Geiste der Kommunistin Rosa Luxemburg um den Rebellen. Dessen Wiederbeginn auf Belvedere setzt ein Signal für eine weltanschauliche Toleranz, die Freiheit eben als Freiheit der Andersdenkenden begreift.

Erfolge Das DDR-Kulturministerium hat eine Instanz eingerichtet, die beobachtend, analysierend, untersuchend, kommunizierend die Entwicklung auch der Spezialschulen für Musik unterstützen und fördern soll. Das „Wissenschaftlich-methodische Zentrum für musikalische Hochschulausbildung“ veranstaltet dazu regelmäßig einen vergleichend beratenden Austausch zwischen den Schulen. Die Kür sind Auswahlvorspiele vor Wettbewerben für die Spitzenkräfte. Die Pflicht jedoch bildet der jährliche Leistungsvergleich aller Schüler der vorletzten Klasse 10/I. War Belvedere dabei im Fach Klavier bis 1982 noch stets Träger der „Roten Laterne“ gewesen, rappelt es sich 1983 schon auf den dritten, 1984 auf den zweiten Platz vor.22 Auch beim Durchschnitt aller Instrumentalisten steht Weimar erstmals klar auf Platz 2. Im Vergleich der schulischen Leistungen rangiert es mit Abstand an der Spitze. Nun sind Statistiken, Zehntelpunkte, Prozentzahlen und Platzziffern gerade in der Musik nur begrenzt zum Nachweis zunehmender Virtuosität, Klangschönheit und Beseeltheit anzuführen. Schon gar nicht kann in den kaum zwei Jahren seit dem Direktorenwechsel „gezaubert“ worden sein. Aber es sind bei Schülern wie Lehrern Energien frei geworden, die zuvor durch Frustration und Gängelung gefesselt waren. Ohne Angst, dafür mit Lust zu unterrichten und zu üben, zu lernen und zu musizieren macht einfach mehr Spaß. Diese spontanen Empfindungen, kaum reflektiert, spiegeln sich in den Statistiken wieder. Kein Zufall: aus der zunehmend gesteigerten Leistungsbreite ragen immer mehr Spitzen heraus. In den Informationsheften der Hochschule übertreffen Nachrichten über Preisträger aus der Spezialschule an Zahl und Reputation langsam aber unaufhaltsam die über Hochschüler; die entpuppen sich sowieso meist als ehemalige „Belver“. Zu den auf Preise schon fast abonnierten Hornisten aus der Heimbuch-Klasse, den erfolgreichen Geigenschülerinnen von Jost Witter, Cellisten von Lieselotte Pieper und Brunhard Böhme gesellen sich zahlreiche junge und ganz junge Musiker aus der Lehmstedt-Auslese, stoßen Flötistinnen hinzu, Oboisten, Posaunisten. Ursula Lenk, vor Jahren selbst mehrmals Siegerin beim Improvisationswettbewerb, freut sich genauso über ihre Schülerinnen auf dem Siegertreppchen

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wie ihre Kollegin Iris Drengk. Wolfgang Schiecke, auch aus Belvedere stammend, legt mit einer Kinderklasse ein ähnlich vielversprechendes Fundament für den Geigernachwuchs. Es ist ein Aufbruch, der über die Achtziger Jahre hin immer mehr zunimmt. Beim „Kleinen Bach-Wettbewerb“ 1986 folgt Weimar den Siegern aus Berlin mit minimalem Abstand. Die Saat geht auf. Der Hochschulrektor kann sich glücklich beim Spezialschuldirektor bedanken, benennt „sehr viel Disziplin, … pädagogische Geduld und schließlich Talent aller Beteiligten“ als Mütter und Väter des Erfolges.23 Wissend, dass Selbstzufriedenheit Errungenes leicht wieder mindern kann, fügt er den Wunsch hinzu, dass „es bei der weiteren Arbeit noch besser gelingen sollte, die Freude des Musikmachens durch den Schüler als bestimmenden Zweck in den Mittelpunkt der künstlerisch-pädagogischen Tätigkeit zu rücken.“ Musizierfreude freier Persönlichkeiten steht für ihn ganz klar vor Leistungsdrill. Wenig später kann er auch dem Pädagogen Heß gratulieren: beim 1. Nationalen Liszt-Jugend-Wettbewerb erspielt sich Uta Walther, dessen Schülerin, die Siegespalme. Etliche der Preisträger vereinen ihre solistischen Potenzen in bemerkenswerten Kammermusikensembles. So finden sich der Lehmann-Schüler Christian Müller, der Witter-Schüler Andreas Lehmann und der Violoncellist Tim Stolzenburg schon auf Belvedere zu einem Klaviertrio zusammen, das bis heute als „Liszt-Trio“ internationale Meriten erworben hat. Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler strahlen allenthalben auf ihre Lehrer zurück. Nicht nur Witter, Heimbuch, Heß oder Brunhard Böhme werden in Wettbewerbs-Jurys berufen, zu Kursen und Vorträgen eingeladen. Sigrid Lehm­ stedt, deren zahllose Erfolge mit PianistInnen vom Kindesalter an Staunen erregt, ist bei Fachtagungen von London bis Vilnius Stammgast, gibt Kurse in Finnland und Bulgarien; ihr „Vor-ABC der Pianistik“ gehört zur klavierpädagogischen Standardliteratur. Nicht allein durch instrumentale Höchstleistungen macht Belvedere auf sich aufmerksam. Kreative Schülerinnen werden bei Wettbewerben der Bildenden Kunst ausgezeichnet. In Essen erscheinen Nachdichtungen ungarischer Lyrik von Wolfgang Haak. Der Chor, unter der Leitung des Komponisten-Dirigenten Hermann Sprenger, erhält mehrmals den Titel „Hervorragendes Volkskunstkollektiv der DDR“. Er ist aus dem Musikleben der Stadt und des Erfurter Bezirks so wenig wegzudenken wie das Kammerorchester, wie „Belver“, die sich mit Konzerten auf Wettbewerbe lampenfiebermindernd vorbereiten und dann im Hochgefühl nachweisen, warum sie zu Recht Preise in Prag und Plovdiv, in Usti nad Labem und Usti nad Orlici, in Markneukirchen oder Leipzig errungen haben. Wer immer Anteil daran hatte und hat, dass mehr und mehr junge Adler von der Höhe des Belvedere zu näheren und weiteren Flügen die Schwingen ausbreiten, Leiter, Lehrer, die Adler

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selbst – sie werden nicht übermütig. Sie tragen ihr gewachsenes Selbstbewusstsein gelassen in sich und nicht demonstrativ vor sich her. Sie überwinden mit jeder Note, in der Klausur unaufhaltsamen Übens wie im öffentlichen Konzert das Empfinden, hinter Berlin oder Dresden oder Leipzig zu stehen. Sie gehören inzwischen selbstverständlich dazu. Die Zuhörer können nur den Angaben auf den Programmzetteln entnehmen, wer noch zur Spezial- und wer schon zur Hochschule gehört. Es gehört zum Konzept der Leitungen, im Gegensatz zu vormalig „sichernder“ Abschottung, Belvedere nach innen und außen in die Hochschule zu integrieren. Spezialschüler übernehmen den Instrumentalpart bei Inszenierungen der Opernschule, beispielsweise im Bachjahr 1985 bei Aufführungen von „Kaffee-Kantate“ und „Bauern-Kantate“. Spezialschüler spielen im Internationalen Hochschulorchester mit. Dass die Besten an Kursen des „Internationalen Musikseminars“ (IMS) teilnehmen dürfen – müssen? –, gehört schon zum guten Ton. Dass aber 1987 und 1988 IMS-Professoren wie Zhang Shi Xiang aus Peking oder Wolfgang Marschner aus Freiburg sogar Extrakurse nur für „Belver“ geben, zeugt von der hohen Anerkennung, die so renommierte Virtuosen und Pädagogen der Ausbildung zollen. Marschner lädt die hochbegabte Witter-Schülerin Uta Kunert sogleich zur – völlig kostenfreien – Kursteilnahme an seiner „Spohr-Akademie“ nach Freiburg im Breisgau ein. Trotz hervorragender Leistungen und auszeichnender Beurteilungen wird der Geigerin die Teilnahme an einem Kurs im „NSW“ – dem „Nicht-Sozialistischen Wirtschaftsbereich“ – durch das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen versagt. Müller-Nilsson lässt nicht locker, interveniert bei Kulturminister Hoffmann, und erst dessen Bittbrief an das Politbüromitglied Kurt Hager öffnet Uta eine Tür in der Mauer.24 Natürlich kommt sie wieder. Es erscheint grotesk: Ein Minister und die Nummer Drei in der SEDHierarchie befassen sich mit der Reise einer Vierzehnjährigen in die Bundesrepublik. Nicht das Interesse ist so hoch angebunden, die in diesen Etagen regierende ängstliche Besorgnis ist der Grund für Entscheidungen auf höchster Ebene. Ein Jahr später, im August 1989 gewinnt sie in Lahr unter 50 jungen Geigern aus zehn Ländern den 1. Preis beim Internationalen Jugendwettbewerb. Ihr Mitschüler Ingo Geppert kann die Bronzemedaille nach Weimar bringen. Die künstlerische Leistungskraft der „Spezialschule für Musik“ aus Weimar bleibt auch von den Medien nicht unbemerkt. Aufnahmen mit Preisträgern im Rundfunk der DDR und der ČSSR werden nicht nur im Zusammenhang mit Wettbewerben gesendet. Die Gitarristin Nora Buschmann, Schülerin vom Ex-„Belver“ Jürgen Rost, Preisträgerin in Kutna Hora, hat einen vielbeachteten Auftritt in der Klassik-Fernsehshow „Theo Adam lädt ein“.25 Im Herbst 1989 dreht ein Kamerateam des Westfernsehens für die ARD ein ausführliches Porträt der Schule.

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Erinnerung Pädagogikvorlesung im Frühherbst 1984. Der Saal Am Palais müsste eigentlich bis auf den letzten Platz besetzt sein, wären alle zukünftigen Schulmusiker, Instrumental- und Gesangspädagogen zu dieser Pflichtveranstaltung erschienen. Doch etliche Klappsitze bleiben unbesetzt. Vor allem in den vorderen Reihen gähnt Leere. Es hat sich herumgesprochen, von wem und auf welche Weise diese Vorlesung gehalten wird. Aber ganz vorn sitzt, eng umeinander geschart, ein Häufchen ganz Junger, Studenten aus dem 1. Studienjahr, zukünftige Klavierpädagogen und Geigenlehrerinnen. Auch sie, gerade aus der Spezialschule an die Hochschule gewechselt, wissen, wen und was sie zu erwarten haben: Oberstudienrat Siegfried Möckel hält Vorlesungen in allgemeiner Psychologie und Pädagogik. Sie hören kaum, wovon er redet. Dabei spricht er gewohnt kräftig, deutlich, auch verständlich. Die Sätze gehen an ihnen vorbei, weil andere Sätze durch ihre Erinnerung dröhnen, Frühappelle vom Platz hinter dem Mozarthaus. Sie haben die erste Reihe nicht gewählt, um den Dozierenden zu provozieren, wenngleich sie auch eine besonders lässige Haltung ausstellen. Sie wollen an sich selbst erspüren, ob sie in den vergangenen Jahren die Angst verloren haben, wenn sie ihm wieder begegnen. Sie hatten es nicht verstehen können, dass jemand, der über Jahrzehnte die Grundsätze achtungsvoller Menschenführung in der Praxis missachtet hat, zukünftige Lehrer in der Theorie der Pädagogik unterrichten darf. Die Entwicklung von Kindern und Heranwachsenden, die Entfaltung künstlerischer Triebe ist dem Pflanzen und Pflegen des Gärtners so nahe. Jetzt scheint der Bock zum Gärtner befördert worden zu sein. Die Schüler wissen nicht um die enge Verfilzung von Partei- und Sicherheitsinteressen, können nicht ahnen, dass ein so eifriger Staatsdiener wie ihr Ex-Direktor zwar nach hartnäckigen Kämpfen beiseite gestellt, nie aber fallen gelassen wird. Mancher krampft die Hände schweißnass in die Armlehnen, manche hält den überzeugungssatten Blick des Vortragenden nicht aus. Aber sie bleiben sitzen, bis die Pausenklingel sie erlöst. Ob sie das nächste Mal wieder hier sitzen, überhaupt weiter die Vorlesung besuchen werden? Im nächsten Sommer müssen sie Prüfungen ablegen. Bis zum 11. März 1985, dem Tag des Amtsantritts von Michail Gorbatschow wird noch ein halbes Jahr vergehen.

Kein Wechsel Belvedere ist zwar nicht mehr als Insel abgeschottet, aber mancher Musikus erträumt sich hier abgehoben eine heile Welt. Über Konzerten und Wettbewerben, Meisterkursen und Preisurkunden, Üben, Üben und nochmals Üben, über dem Alltag mit

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Nasdala-Quartett Carola Nasdala (Stimmführerin WDR-Sinfonieorchester Köln) Andreas Schulik (Konzertmeister Staatskapelle Weimar) Frank Strauch (Professor an der Musikhochschule Weimar) Kleif Canarius (1. Solocellist Komische Oper Berlin)

Physik und Russisch, FDJ-Diskussion und qualmenden Öfen, Wut auf den Hauptfachlehrer, Neid auf die Konkurrentin und Erwartung auf den Treff im Irrgarten mit dem Freund beachtet mancher und manche nicht mehr recht, dass das Leben im Lande seinen gewohnten Gang geht, also Parolen skandierend, Masseninitiativen verkündend, sich an Prozentzahlen berauschend stehen bleibt. Immer lauter, immer eitler gerufenes Selbstlob kann das unüberhörbar zunehmende Knirschen im Gebälk der Honecker-DDR nicht übertönen. Ereignisse schrecken auf. Da bleibt Gotthard Popp bei einer Konzertreise im Westen. Ein Jahr später, das Brahms-Trio hat sich gerade mit einem neuen Cellisten zusammengespielt, folgt der Geiger Jörg Hofmann Popps Beispiel. Peter Krebs erträgt die Mischung aus Repression und Erstarrung nicht und stellt den Ausreiseantrag. Postwendend erfolgt für ihn und seine Frau Elke, die äußerst beliebte Theorielehrerin, ein Unterrichtsverbot. Für die Spitzenschüler dieser Spitzenlehrer geht eine Welt unter. Das Verhältnis zum so verehrten wie gefürchteten Hauptfachlehrer gründet auf tiefem Vertrauen. Das bricht erst einmal zusammen. Man fühlt sich

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im Stich gelassen, stellt verzweifelt den Weggegangenen infrage, richtet aber auch wütend bohrende Fragen nach dem Warum. Da kann der Glanz von Preispokalen nicht mehr blickblendend die Brüchigkeit der grauen und braunkohlerauchstinkigen Umwelt überstrahlen. Wenn dann nach einem Wettbewerbserfolg in Italien auch Carola Nasdala, das Belvederer Violinistinnenidol, „drüben“ bleibt, rücken die Zweifel ganz nahe an die jungen Leute heran. Die Fragen gehen über das Persönliche in politische Dimensionen. Das haben sie im M/L-Unterricht doch gelernt, dass der weltanschauliche Überbau in der gesellschaftlichen, ökonomischen Basis wurzelt, dass sie also auch die ganz persönlichen Entscheidungen beeinflusst. Die kühnen Konzepte Gorbatschows verunsichern die SED-Funktionäre zutiefst und auf allen Ebenen. Perestroika heißt Umbau, Glasnost bedeutet Klarheit, Durchschaubarkeit. Beides fürchtet die Parteiführung wie die Pest. Aber sie darf die Abneigung aus totaler ökonomischer Abhängigkeit und vorgegebener Klassenverbundenheit nicht zugeben, muss verleugnen, verschweigen, lügen, verdrängen. SED-Chefideologe Kurt Hager versucht, die Ansteckungsgefahr durch den Reformvirus mit dem „Bonmot“ zu neutralisieren, man müsse ja nicht auch gleich neue Tapeten kleben, wenn der große Nachbar die Wohnung renoviert. Der Witz wirkt nicht, die Zensur muss einspringen. Der „Sputnik“ wird in der DDR verboten, eine sowjetische Zeitschrift, die berichtet, wie Perestroika und Glasnost im stets beispielhaften Bruderland konkret in Betrieben und Verwaltungen umgesetzt werden, wie auf Parteiversammlungen Fragen gestellt, Begriffe benutzt werden, die hierzulande auf dem Index stehen. Im Mai 1989 haben Lehrkräfte und Schüler der SfM bei einem Besuch an der Ciurlionis-Kunstschule in Vilnius Gelegenheit, die Winde des Aufbruchs im Freundesland einzuatmen. In der Hauptstadt Litauens, noch Litauische SSR, erreichen sie, national verstärkt, schon Sturmstärke. Nicht erst die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Mai 1986 hat in aller Welt Menschen für die Gefährdung der Welt und den achtungsvollen und friedlichen Umgang mit der Umwelt sensibilisiert. In den rabiat umweltzerstörenden Ostblockstaaten sind es gerade junge Menschen, die sich aus der Resignation lösen, sind es junge Christen, deren Bekenntnis zur Bewahrung der Schöpfung nicht im Lamento stecken bleibt, sondern in Protest und Aktion ansteckend Bewegung auslöst. Umweltkreise und Friedensgruppen finden unter den Dächern vor allem protestantischer Kirchen und Gemeindehäuser schützenden Raum. Entsprechend restriktiv reagieren Partei und Staatsmacht. Die Durchsuchung der Berliner Umwelt-Bibliothek, Verbote einzelner Ausgaben evangelischer Kirchenzeitungen, Verhaftungen anlässlich der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration Anfang 1988 stacheln den Widerstand nur weiter an.

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So wird auch und gerade an Schulen das Klima im Umgang mit jungen Christen wieder deutlich frostiger. Auf Belvedere wird jungen Musikern die Aufführung von Bach-Motetten untersagt. Da gleichzeitig vom Hochschulchor eine Messe einstudiert wird, offenbart sich der ideologisch motivierte Verbotsversuch als Absurdität. Die Motetten erklingen mit gesteigerter Überzeugung. Wettbewerbskandidaten werden ermahnt, statt des ihnen selbstverständlichen Gottesdienstbesuches den Sonntagvormittag ausschließlich zum Üben zu nutzen. Bewerbern aus christlich gesinnten Elternhäusern werden auch bei guten Leistungen Steine in den Weg gelegt. Den Weg öffnen erst heftige Proteste, aber auch nicht immer.

Zerfall Direktor Heß knickt gegenüber harschen Parteiforderungen ein, scheut die Aus­ einandersetzung mit Hardlinern auf allen Leitungsebenen. Er will es mit ihnen nicht verderben, braucht er doch ihre Hilfe in den Kämpfen gegen den Zerfall der maroden Gebäude. Es sind eines Don Quichotte würdige Kämpfe gegen die Windmühlen von Wirtschaftsverfall, Fehlplanung, Inkompetenz und Bürokratie. Was noch an Baukapazitäten, ob für Finanzen, Bilanzen, Materialien oder Arbeitskräften vorhanden ist, strömt oder sickert in den Jahren vor 1987 in die „Hauptstadt der DDR“, um deren 750. Gründungsjahr mit spektakulärem Propagandarummel zu garnieren. Für den Rest der Republik bleibt da kaum etwas übrig. Görlitz zerbröselt und Stralsund und ganz in der Nähe das historische Erfurter Andreasviertel. Da sind die Kavalierhäuser auf Belvedere ein paar Nummern zu klein. Laut Ordner voller „Akten Baufragen“ beginnt der Kampf von Helmut Heß drei Wochen nach dessen Amtsantritt am 30. November 1981. Er wird, ob durch ihn, durch Rektor Müller-Nilsson oder später durch Nachfolger Wolfgang Haak geführt, erst mit der Anweisung zur totalen Schließung der Gebäude im März 1992 enden. Die Lektüre der Korrespondenz böte Lesern in künftigen Jahrzehnten unvollständige, skizzenhafte, aber höchst aufschlussreiche und bildhafte Erklärungen, warum das aufbaubereite Staatswesen DDR trotz allen Mühens seiner aufbauwilligen Bürger und vor allem Bürgerinnen mit Trümmerfrauenbiografien, trotz allen schreibwütigen Einsatzes von Don-Quichotte-Direktoren seinem Ende entgegensiechen musste. Die Schreiben von Heß wenden sich an Rektor, Prorektor, Verwaltungsdirektor, Technischen Direktor, Direktor für Investitionen der Hochschule, nennen als Adressaten heute den Herrn Bezirks-Schornsteinfegermeister, morgen den Genossen Gerhard Müller, Mitglied des ZK der SED und 1. Sekretär der Bezirksleitung Erfurt, einmal das Institut für Denkmalpflege, ein anderes Mal die Genossin Mar-

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got Honecker, Minister für Volksbildung, nennen Stadträte und Kreissekretäre, die Ministerien für Bauwesen und für Kultur, die Staatliche Bauaufsicht und den Rektor der „Hochschule für Architektur und Bauwesen“ (HAB). Im Fokus stehen alle Gebäude von A für „Alte Garage“ bis Z für „Zentrale Telefonanlage“, von durchlöcherten Leitungen, faulenden Fußböden über stockende Wände, durchgebrochene Balken, holzwurmbefallenes Dachgestühl bis zum schiefen Turm auf dem Beethovenhaus: „Das steinerne Turmgeländer droht einzustürzen und muss abgesichert oder entfernt werden.“26 Zwischen Kleinstreparatur und Vollschließung werden über Schadensbeseitigung, Renovierung, Sanierung, Rekonstruktion, Instandsetzung alle möglichen und meist unmöglichen baulichen Maßnahmen verhandelt, erwogen, gefordert, begründet, erbeten, gewünscht. Detaillierte Konzepte werden durch exakte Kostenberechnungen ergänzt, sachkundig werden Vorschläge für Minimalveränderungen erwogen. Wann Heß unterrichtet, Konferenzen leitet, Talente sichtet, Gespräche mit Schülern und Kollegen, Köchin und Hausmeister führt, gar selbst übt, bleibt rätselhaft. Aber er tut das alles. Seine Bemühungen um junge Pianisten sind deutlich erfolgreicher als die um alte Schornsteine.

Neubauphantasien Mangel prägt zunehmend das Spätstadium der DDR-Geschichte, auf materiellem Sektor ebenso wie auf ideellem, kulturellem und personellem. Die Bemühungen von Musikschulen, Spezial- und Musikhochschulen haben zwar zur Vermehrung von Spitzenkräften geführt, von Instrumentalisten und Dirigenten, die sich auf den ihnen begrenzt zugänglichen internationalen Podien hören lassen können. Doch in den zahlreichen Orchestern bleiben immer mehr Stühle unbesetzt. Die Decke ist immer zu klein. An welchem Zipfel man immer zieht und zerrt, an anderer Stelle enthüllt sich Blöße. Um die Blößen fürderhin zu decken, beschließt der Ministerrat kühn die Verdoppelung der Schülerzahlen an Spezialschulen und animiert die Leitungen, die planerischen Voraussetzungen auch in Raumfragen zu schaffen.27 Hochschulrektor und Spezialschuldirektor sind als hoffnungslose Optimisten auf diese Aufgabe vorbereitet. Der als Investitionsbeauftragter angestellte Architekt hat in ihrem Auftrag bereits 1983 und 1984 Studien angefertigt, die zumindest als Grundlage für weitere Pläne dienen können. Die Nachbarschaft zur Bauhochschule wird genutzt. HAB-Rektor Prof. Dr. Glißmeyer gibt das Projekt – unter Verantwortung eines Professors – in die Hände von Studenten.28 Im Juni 1988 wird eine interessante, weiter zu qualifizierende Entwurfsstudie verteidigt. Schule, Eltern, Denkmalpflege und Gartenbaudirektion setzen sich energisch für die Beibehaltung des Standortes Belvedere ein. Oberbürgermeister Prof. Dr. Baumgärtel, selbst

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24 Kammerorchester der Spezialschule für Musik. Leitung: Prof. Friedemann Bätzel

Architekt, muss diese Wahl gegen Widerstände aus der lokalen Baubürokratie verteidigen.29 Selbst aus dem fernen Berlin präferiert Kulturstaatssekretär Dr. Keller nachdrücklich den Bau in Belvedere, empfiehlt zugleich, nicht zu sehr zu drängen, weil die Finanzierung noch ungeklärt ist. Der Brief stammt vom 16. Januar, das Jahr 1989 hat begonnen. Von einem Neubau wird zu Lebzeiten der DDR nicht mehr die Rede sein. Die Beschlüsse des ZK der SED vom 21. und des Ministerrates vom 29. Januar 1987 zielen auf die Steigerung der Absolventenzahl, gleichzeitig aber auch auf die der Ausbildungsqualität an den vier Spezialschulen.30 Deren Meldungen über stetig nachlassende musikalische Voraussetzungen bei ebenso kontinuierlich abnehmenden Bewerberscharen lassen Alarmglocken läuten. Man sucht nach Anreizen zum Besuch dieses Vorbildungszweiges. Dessen Vorzug – der Weg führt schnurstracks zur Musikhochschule – schließt den Nachteil ein, dass Wege zu anderen Studien verengt werden, sich gar als Sackgasse erweisen. Möglicherweise könnte die Aussicht auf ein zu erwerbendes Abitur mehr und breiter begabte Interessenten in die Spezialschulen locken. Pläne zur Einrichtung einer Abiturstufe werden in den Leitungen durchaus kontrovers diskutiert. Begrüßen die einen den Reiz der Öffnung

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zu allen Studienrichtungen, warnen andere vor der Gefahr der Zersplitterung und der Minderung bei zentralen Instrumentalleistungen. Auch in Weimar wird nach Kompromissen gesucht. Müller-Nilsson hatte schon Anfang 1984 gegenüber Berlin für ein differenziert die Anforderungen musikalischer Spezialausbildung berücksichtigendes, deutlich geisteswissenschaftlich akzentuiertes Abitur plädiert.31 Jetzt scheint die Nützlichkeit auch auf Ministeriumsebene begriffen worden zu sein. Um einer Verwirklichung in Belvedere von Anfang an weitgespannte Perspektiven zu geben, muss ein in solchen Dimensionen denkender Pädagoge die zu erwartenden Prozesse leiten. Gegen die letzten Betonköpfe in der Parteileitung setzt der Rektor im Juni 1989 durch, dass Wolfgang Haak ab September als Stellvertretender Direktor die Verantwortung für den allgemeinbildenden Sektor trägt.32 Das Hauptproblem kann durch eine angestrebte Erweiterung der Schule „nach oben“ nicht gelöst werden. Es steckt im Unterbau des Unterbaus, in Schule und Kindergarten. Von der Krippe an rangiert auf allen volksbildenden Stufen Erziehung vor Entwicklung, Abforderung von Leistung vor Entfaltung von Phantasie, Korrektheit angelernten Wissens vor Kühnheit des Gedankenfluges, Sicherheit vor suchendem Wagnis. Der solcherart heranerzogene Mangel an freier Schöpferkraft beeinträchtigt gewiss auch das schwächelnde Begabungsangebot auf dem ÜberbauInselchen Musik. Existenzbedrohend für das Staatswesen DDR wirkt er im Zen­ trum von dessen ökonomischer Basis, in Wissenschaft, Forschung und Technik. Die daraus resultierenden unerbittlichen Zwänge der Wirtschaftskonkurrenz, tausendmal wichtiger als erste Plätze beim Tschaikowsky-Wettbewerb, führen zum vorsichtigen Öffnen von Türen in die Reiche der Phantasie, des Spinnens und Träumens, der Ahnungen und Vermutungen. Seit Ende der 1980-er Jahre untersuchen Erziehungswissenschaftler, Künstler, Musiker, unter Leitung des Psychologen Prof. Dr. sc. Hans-Georg Mehlhorn interdisziplinär vereint, das in der DDR öffentlich nur zögerlich betretene Terrain der Begabungsforschung.33 Die Spezialschulen für Musik sind zu diesen Expeditionen eingeladen. Jetzt sollen sie ihre Erfahrungen, Vorstellungen und Wünsche einbringen.34 Später sollen sie von den Entdeckungen profitieren. Später? Früchte vom Baum dieser Erkenntnisse könnten frühestens in Dezennien geerntet werden. Dezennien zu spät.

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Nur dieser Exkurs beleuchtet eine einzelne instrumentale Ausbildung, zudem die für Gitarre. Weder an der „Weimarer Einrichtung“ 1872, noch an der Eisleber Schule 1949 bestand die Absicht, dieses Instrument zu unterrichten. Die Ausnahme fordert Erklärung. „Im Jahre 1788 brachte die Herzogin Amalia von Weimar die erste Guitarre“ von ihrer Italienreise nach Weimar, wo diese „sogleich allgemeinen Beifall“ erhielt.1„Da man für die bildende Künste Schulen hat, so weiß ich nicht, warum man nicht auch für die Ton-Kunst, die weit mehr Liebhaber findet, gesorget hat.“2 Die Herzogin plädiert dafür, die Entwicklung der „TonKunst zu cultivieren; … nicht bloß als Liebhaberey sondern wissendschaftlich zu Studieren.“3 Praktisch und visionär programmatisch befördert Anna Amalia das Studium des Gitarrespiels. Mit der Gründung der Abteilung Volksmusikerziehung an der Weimarer Musik­ hochschule 1950 hatte deren Rektor „Professor Gerster … unterstützt durch die damalige Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten der DDR, eine weitschauende kulturpolitische Initiative ergriffen. Sie schloß Notwendigkeit und Experiment ein.“4 So ordnet die Gitarristin Ursula Peter (1924–1989) den Beginn einer professionellen Gitarrenausbildung, der wohl ersten an einer deutschen Musikhochschule ein. Anders als bei jedem Orchesterinstrument, bei Klavier oder Gesang ist die Ausbildung für Gitarre – oder für Akkordeon5 – von kulturpolitischen Erwägungen beeinflusst. Ihre im Anfangsstadium 1950 geltenden Zielstellungen wandelten sich in dem hier betrachteten Zeitraum so bemerkenswert wie ihre künstlerisch höchst erfolgreichen Leistungen. Diese Instrumente, auch Mandoline, Zither oder Blockflöte, waren der Gefahr ausgesetzt, als „Volksinstrumente“ ideologisch benutzt zu werden. So spannte die NS-Musikpolitik die zahlreich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts existierenden Mandolinenorchester ein, um propagandistisch eine enge Verbindung von Volk und Kunst zu demonstrieren. Vergleichbar – nicht gleichsetzend – wurde in der SBZ nach 1945 argumentiert. „In der musikalischen Tradition der Arbeiterklasse spielen die Volksinstrumente eine große Rolle. Besonders die Zupfinstrumente erfreuen sich großer Beliebtheit.“6 Ausbildung war hier wie da notwendig. Die auf Belvedere seit 1935 durchgeführten HJ-„Lehrgänge für Volks- und Jugendmusikleiter“ waren auf den Einsatz an weit über hundert „Musikschulen für Volk und Jugend“ ausgerichtet.7 Der Musikreferent von Sachsen-Anhalt fordert 1949, dass die „Pflege des Jugend- und Laienmusizierens auf breitester Grundlage“ über Volks-Musikschulen „sofort in Angriff genommen werden“ muss.8

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Es galt also, Lehrer für diese Schulen und Betreuer der zahlreichen Volkskunstgruppen heranzubilden. Das sah die Kommunistin Ursula Peter als „Notwendigkeit“ an. Die Künstlerin Ursula Peter, wissend um die artifiziellen Potentiale der Gitarre, fühlte sich verpflichtet, begabten jungen Musikern diese Wirkungsmöglichkeiten ausbildend zu erschließen. Das galt für sie als „Experiment“. Als erste Gitarristin an der Musikhochschule in Weimar durch Walter Socha herangebildet und vor Kriegsende 1945 examiniert, blendet sie die gebräunte Erziehungsvergangenheit aus – wie sie allenthalben verdrängt oder verschwiegen wird – und stürzt sich gläubig und energisch in den Spagat zwischen „Notwendigkeit“ und „Experiment“. Mit der Gründung des Instituts für Volksmusik kämpft Weimar an vorderster kulturpolitischer Front. Akkordeonlehrer Franz Krieg ist sein Leiter, engagiert dominiert wird es von Ursula Peter. Der „Notwendigkeit“ – dem Volksmusikinstrument Gitarre – gelten Einsicht und Proklamation. Alle schöpferische Energie aber konzentriert sie jetzt auf das „Experiment“ – die Ausbildung für das Kunstinstrument. Es fehlt Unterrichtsliteratur. Führende Verlage sind aus Leipzig in den Westen abgewandert, die Noten sind nicht erhältlich, unerschwinglich. Ursula Peter schreibt Vorhandenes zu Neuausgaben um. Vorerst muss man sich mit Handgeschriebenem begnügen, von Lektion zu Lektion, von Hand zu Hand. Notwendig ist es, rasch viele künftige Musikschullehrer heranzuziehen. An Musikschulen und bei Privatlehrern nimmt die Zahl an Schülern für Mandoline, Gitarre, Zither, Akkordeon enorm zu. Volkskunstwettbewerbe und Talentetreffen befördern sichtend diese Bewegung. Fachgrundschulen, besonders im Süden der DDR, wo Volksmusik starke Wurzeln besitzt, nehmen die Begabten auf, um sie weiterentwickelt einer Hochschulausbildung zuzuführen. Pädagogische Erfolge, die Ursula Peter und Walter Socha, – hauptamtlich Geiger an der Staatskapelle – seit Kriegsende erringen konnten, spieltechnische Neuerungen im melodieführenden Anschlag lenken das Interesse auf, ziehen die Interessierten nach Weimar, zum Hochschulinstitut und dessen erster „Begabtenklasse“, ab 1952 zur neuen Fachgrundschule für Musik. So gelangt 1952 Ingrid Koppa aus Eschenbergen bei Gotha in die Klassikerstadt. Aus Liebe zur Musik hatte sie einen Sommer lang Walderdbeeren gesammelt, um sich eine Mandoline kaufen zu können. Von ihrem Lehrer Erich Repke schreibt sie sich die Übungen auf Zeitungsränder ab, Papier ist knapp. Ihr Wunsch, Gitarre zu studieren, wird nicht erfüllt. Thüringen braucht Mandolinenlehrerinnen. So wechselt Herbert Dietze, Sieger bei den „Festspielen der Deutschen Volkskunst“ von Arnstadt an die Ilm. Den Lehrer braucht er nicht zu wechseln; Vater Max Dietze, Leiter des besten Thüringer Mandolinenorchesters, unterrichtet das Instrument auch in Weimar.

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So zieht es Barbara Effenberger zu Ursula Peter. Die Hochbegabte wird zur ersten Goldmedaillengewinnerin der Fachgrundschule, errungen beim „Fest Junger Künstler“ 1956 in Karl-Marx-Stadt. Das nächste Mal wird sie 1964 auf die oberste Stufe eines Siegertreppchens treten, dann in Paris, nach Flucht via Westberlin und Heirat als Bundesbürgerin Barbara Polašek. So kommt für die Dresdnerin Monika Rost 1957 nur Weimar als künftiger Schul- und Studienort infrage, auch wenn sie in der gitarrebegeisterten sächsisch-erzgebirgischen Region mehrere Wettbewerbe gewonnen hat. So führt ihr der Gitarremagnet an der Ilm 1959 ihren späteren Ehemann und Duopartner Jürgen zu, dessen Jenaer Lehrerin eine Ursula-Peter-Schülerin ist. In beider Klassen gibt es jeweils mehrere Gitarreadepten, dazu Mandolinen-, Zither- und Akkordeonschüler. Für sie alle mangelt es nicht nur an Unterrichtswerken, sondern auch an Konzertliteratur. Man will sich nicht mit Transskriptionen oder Stücken aus vergangenen Epochen begnügen, will neuerworbene Fertigkeiten an zeitgenössischen Werken erproben. An der Hochschule wirkende Komponisten schaffen Abhilfe. In engem Kontakt mit den Pädagogen schreiben u.a. Johann Cilenšek, Carl-Heinz Dieckmann, Theodor Hlouschek, Franz Just, Herbert Kirmße, Siegfried Müller und Antonius Streichardt den

25 Preisübergabe beim Anna-Amalia-Wettbewerb durch Prof. Monika Rost an Sanel Rezicč, Serbien links: Florian Moritz, Belvedere

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Schülern und Studenten solistische und kammermusikalische Gitarrenmusik auf den Leib. Mit Beginn der 60-er Jahre greift Kulturpolitik erneut einschneidend in die Ausbildung ein. Auf dem 1959 beschlossenen „Bitterfelder Weg“ sollen die Werktätigen ein neues Ziel, „die Höhen der Kultur“ erstürmen. Volkskunst wird aus dieser Perspektive eher wohlwollend von oben herab betrachtet. Diese Umwertung einerseits, die großen Lücken in den Theater-, Sinfonie- und Kulturorchestern andererseits begründen, dass die Ausbildung für Mandoline, Zither und Blockflöte beendet, die für Gitarre und Akkordeon an den „Spezialschulen für Musik“ reduziert wird. Zum Ausgleich erhöht sich das Schülersoll für Orchesterinstrumente deutlich. Jetzt werden vorrangig Geiger gebraucht. Die „Notwendigkeit“ wird Musikschulen und Kulturhäusern überlassen. Ausbildung kann sich ganz dem „Experiment“ widmen. Roland Zimmer (1933–1993), Weimarer Spitzenabsolvent, bei Wettbewerben in Moskau und Warschau zu Siegerehren gekommen, verleiht spielmethodisch wie pädagogisch an Professor Peter vorbei und auch im Kontrast zu seiner ehemaligen Lehrerin diesem experimentellen Stadium belebende Impulse. Die inzwischen wenigen Gitarristen an der Spezialschule verbleiben in den strengen Händen der Professorin. Monika und Jürgen Rost sind zwar als Solisten wie als Duo mit Konzerten, Einspielungen und bei Wettbewerben erfolgreich, die Hochschulleitung versagt ihnen aber Auslandsreisen. Nach einer Kompositionsaspirantur bei Cilenšek für die eine, Wehrdienst bei der NVA für den anderen finden sie als Lehrbeauftragte in Dresden Offenheit und Vertrauen. Von Konzertreisen und Internationalen Wettbewerben bringen sie aus dem westlichen Ausland anregende Literatur, aufregende Platten, raffinierte Spieltechniken und weiterführende Kontakte mit. Aus dieser geweiteten Erfahrungsperspektive begegnen sich „die Rosts“ und die Weimarer Hochschule seit 1974/1975 vertraut und doch ganz neu. So belebt Jürgen Rost auch wieder die jüngste Gitarrengeneration und lenkt, seit den 1980er Jahren gemeinsam mit Christiane Spannhof und Gabriele Sauer den Blick erneut auf Belvedere. Ingrid Wittenbecher, geborene Koppa, Erdbeersammlerin, später Zusatzstudentin bei Jürgen Rost, selbst seit Jahren an Berliner Musikschulen prägend tätig, schickt ihre besten Kandidaten nur nach Weimar, unter ihnen Nora Buschmann, die allerbeste. Deren Entwicklung vollzieht sich geradlinig und steil. In der beliebten Fernsehsendung „Zu Gast bei Theo Adam“ erregt sie 1985 mit Bachs h-Moll-Partita große Bewunderung. „Belver“ Gitarristinnen bringen wieder Wettbewerbspreise aus Kutna Hora, Esztergom und Markneukirchen heim. Die Kontinuität der „Weimarer Gitarrenschule“ wird auch durch die Nachbeben der Friedlichen Revolution nicht zerbrochen. Die Öffnung zur Welt lässt Einflüsse aus aller Welt hineinströmen, neue Kompositionen, neue Stilrichtungen. Thomas MüllerPering, 1994 aus Aachen in eine Professur berufen, renommierte Gastdozenten wie

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Hubert Käppel und Thomas Offermann, unterrichten zwar nicht speziell am Musikgymnasium. Doch vom Bachhaus, in dem das Institut für Gitarre seit 1997 beheimatet ist, sind es nur wenige Schritte bis zum Neubau. Die Kommunikation zwischen den „Großen“ und den „Kleinen“ ist lebhaft und förderlich. Der „Weimarer Gitarre-Verein e.V.“ unter dem Patronat von Jürgen Rost vereint sowieso die ganze Gemeinde, sei es bei der international bestückten Reihe „Gitarrenmusik im Gewölbekeller“, sei es bei regelmäßigen Kammermusik-Kursen, sei es beim alljährlich nach Tiefurt lockenden Event der„Guitar-Night“. Das Highlight fördernder Initiativen bildet der „Anna Amalia – Gitarrenwettbewerb für Kinder und Jugendliche“. Seit 1993, inzwischen zum 9. Mal, seit 1999 international ausgetragen, 2005 in die „European Union of Music Competitions for Youth“ aufgenommen, vereint er im Großen Saal bei Wettbewerbsrunden und Abendkonzerten, im ganzen Haus bei Ausstellungen und Gesprächsrunden eine internationale Schar hochbegabter junger Gitarrekünstler und ihrer Lehrer, von Musikjournalisten und Bildungsexperten. „Belver“ sind überall zu erleben, beifallspendend als Publikum, wirbelnd als Helfer, aufgeregt, häufig erfolgreich als Teilnehmer. Mehr als einmal konnte Professor Monika Rost als Juryvorsitzende Musikgymnasiasten zu Preisen gratulieren. Mehr als einmal konnten sich „Belver“ Gitarrekünstler vor heimischem Publikum bewähren. Preise als Solisten wie als Kammermusiker bei „Jugend musiziert“ gehören für sie schon zur Selbstverständlichkeit. Wohl keine andere vergleichbar große – oder kleine – Stadt weltweit dürfte der Kunst des Gitarrespiels solch weiten Raum bieten. Die „Belver“ profitieren überall. Sie geben den Profit mehr reichlich zurück. Wie ihre Mitschüler beweisen sie virtuos, lebendig und feinfühlig, dass Gitarre und Akkordeon, als Instrumente in der Volksmusik ihre Wurzeln haben, sich aber längst ihren Platz der Kunstmusik erobert haben.

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Ferienerlebnisse Es will einfach keine Ruhe eintreten bei diesem ersten Zusammenkommen hinter dem Mozarthaus nach den Sommerferien. Offiziell gilt es zwar als Appell zum Schuljahresbeginn 1989/1990, aber Appelle gelten schon lange eher als lockere Treffs. In kleinen Grüppchen steht man zusammen, es gibt viel zu erzählen. Jan hatte mit seinen Eltern in Ungarn Urlaub gemacht. Vom Balaton aus waren sie ins Grenzgebiet gefahren. Sie wollten gar nicht „rüber“, wollten nur von weitem den durchschnittenen Grenzzaun nach Österreich mit eigenen Augen sehen. – Ina hat in der „Tagesschau“ unter den Ausreisewilligen in der Prager Botschaft plötzlich Tanja entdeckt, in Großaufnahme. Ina könnte heulen: Tanja weg, ihre beste Freundin! – Der Deutschlandfunk, flüstert Thomas, hat von der Gründung einer Oppositionsgruppe berichtet: „Demokratischer Aufbruch“. – Auf dem Evangelischen Kirchentag in Halle, sekundiert Christiane aufgeregt, hat Pfarrer Schorlemmer aus Wittenberg richtige Wahlen gefordert, geheime, bei denen man zwischen mehreren Kandidaten wählen kann, und die nicht gefälscht werden wie hier die Kommunalwahlen im Mai. – Jens weiß von Freunden aus dem Thomanerchor, die in Leipzig nach den Friedensgebeten in der Nikolaikirche montags demonstrieren, bis die Vopos den Zug auflösen. Wer sich wehrt, wird brutal mitgenommen. Aber jeden Montag wird der Zug länger. – Martin, sonst einer der Lebhaftesten, mischt sich erst jetzt ins Gespräch. Er ist noch müde, und er ist auch noch aufgewühlt. Gestern hat er mit Kumpels aus der „Jungen Gemeinde“ bei einer „Liturgischen Nacht“ gesungen. In der brechend vollen Jakobskirche hatte Pfarrer Kranz an den Überfall auf Polen durch Nazi-Deutschland vor fünfzig Jahren erinnert. Sie hatten gesungen und gebetet und stundenlang diskutiert, über den Krieg, über Vergangenes, aber immer mehr und immer heftiger über die Gegenwart, auch hier in Weimar. „Pioniere und FDJ-ler der Spezialschule für Musik! Kollegen und Genossen! Vorwärts zu neuen Erfolgen! Vorwärts zum 40. Jahrestag unserer Deutschen Demokratischen Republik! Freundschaft!“ Die blecherne Stimme des Staatsbürgerkundelehrers übertönt das raunende Stimmengewirr. Läuft hier ein falscher Film? Unverständliches hämisches Brummeln ist als antwortender Gruß „Freundschaft“ kaum zu identifizieren. War das ein Appell!

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Friedliche Revolution Zunehmend bestimmt in der DDR statt der gewohnten Sprachregelung ein babylonisch sich steigerndes Durcheinander von Meinungen und Wortmeldungen die Kommunikation. Da richten kirchliche Mitarbeiter in einem „Brief aus Weimar“ quälend unbequeme Fragen und Forderungen an ihre Ost-CDU; unter den vier Unterzeichnern auch eine Pastorin aus Ramsla, Christine Lieberknecht. Dagegen bekennen sich bei der Jubelfestparade auf dem Berliner Marx-EngelsPlatz ihre Parteigranden in Blocktreue fest zur SED. Drinnen belfert deren Generalsekretär „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf “. Draußen ruft eine protestierende Menge „Freiheit! Freiheit!“ Der rituelle Fackelzug begeistert erscheinender Blauhemdträger beleuchtet gespenstisch wütend sich gegen brutal prügelnde Polizisten wehrende, verzweifelt „Gorbi, hilf uns!“ schreiende Demonstranten. Sprechchöre in Leipzig, zuvor noch gespalten in „Wir wollen raus!“ und „Wir bleiben hier!“, vereinen sich, zigtausendfach angewachsen zur kraftvollen Feststellung „Wir sind das Volk.“ Es ist laut geworden im Lande, zu laut. Die SEDFührung kann es nicht überhören und versucht zu tricksen. Egon Krenz, ZK-Sekretär für Sicherheit, entmachtet Honecker. Bei seiner Antrittserklärung am Abend des 18. Oktober hat die „Aktuelle Kamera“ in DDR-Haushalten ausnahmsweise höhere Einschaltquoten als die „Tagesschau“. Erbe Krenz will die Bewegung umlenkend aufhalten, manövrierend steuern. Er kündigt eine „Wende“ an. Dieser, sein Begriff ist, wie 26 Hinterlassenschaften auf Belvedere schon 1953 der vom „Neuen Kurs“, dem maritimen Vokabular entlehnt. Das Volk der DDR will – zu großen Teilen – keine kursändernde Wende. Es will die grundlegende Änderung der Machtverhältnisse. Es will und vollbringt eine Revolution. Rücktritt von Regierung und SED-Politbüro, Grenzöffnung, Verzicht auf SED-Führungsanspruch, Runder Tisch, Besetzung der Stasizentralen, Festlegung freier Wahlen: Schritt für Schritt

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wird konsequent eine autoritäre Zwangsherrschaft beseitigt und der Boden für eine demokratische Ordnung bereitet, friedlich, ohne einen Schuss.

Demokratie jetzt Am 1. Dezember 1989 streicht die DDR-Volkskammer den Anspruch auf die „führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“ aus der Verfassung. Damit ist das Meinungsmonopol der SED staatsrechtlich beseitigt. Deren selbstherrlich angemaßter ideologischer Wahrheitsanspruch, intolerant und restriktiv in allen Sphären des Überbaus durchgesetzt, hatte die Bereiche von Erziehung und Volksbildung stets besonders rigide betroffen. Kaum ein in der DDR Lebender hatte sich, ob als Kind, Schüler, Heranwachsender, Student, als Lehrer, Erzieher, Dozent, Wissenschaftler, Künstler, als Vater oder Mutter diesem Anspruch entziehen können. Man hatte ihn überzeugt, militant oder opportunistisch vertreten, ihn nicht gespürt, ihn akzeptiert, sich ihm leidend oder anpassend unterworfen, ihn verdrängt, gegen ihn opponiert, sich ihm durch Flucht oder Ausreise entzogen. Er war omnipräsent und omnipotent. Seine Beseitigung stellt den bis zu diesem Zeitpunkt wohl bedeutsamsten Schritt revolutionärer Befreiung dar. Endlich kann nun eine freie Welt des Geistes, des Wissens, der Gedanken betreten und in Besitz genommen werden, vorsichtig tastend von den einen, stürmisch erobernd von den anderen. Nicht wenige auch scheuen die Begegnung mit dem Unbekannten, fühlen sich der Gedankenfreiheit eher schutzlos ausgeliefert als einladend von ihr empfangen. Viele Lehrer und Erzieher aber, begleitet, auch beflügelt von zahllosen Müttern und Vätern, packen an. Sie treffen sich, halb im privaten, halb im beruflichen Raum, in Arbeits- und Hauskreisen. Sie halten sich weniger am Vergangenen auf, sondern spinnen Träume in die Zukunft. Auf ersten Schnuppergängen im Westen lassen sie das Begrüßungsgeld nicht bei Aldi oder Karstadt, sondern in Buchhandlungen. Stapel von Paperbacks eröffnen eine neue, unübersichtlich weite und bunte Erziehungswelt. Hoch wogen die Diskussionen über Waldorf-, Jenaplan- oder Montessori-Pädagogik. Im Mittelpunkt stehen nicht Schulsysteme, sondern pädagogische Konzepte und in deren Zentrum die Kinder, die Heranwachsenden. Der demokratische Aufbruch hat eine Richtung, sucht nach Wegen, noch ohne Ziel. Auch die „Belver“ hält es nicht auf dem Berg. Nicht nur des Unterrichts wegen zieht es sie zum Hochschulgebäude. Dort starten und enden die Weimarer DienstagsDemos, auf dem „Platz der Demokratie“, der seinem Namen endlich gerecht wird. Die Anfänger aus Klasse 6 bringen ihr Klassenbuch auf die Höhe der historischen Entwicklung. „Patenbrigade: Stab der ZV Erfurt“ – durchgestrichen. „Gruppenrat:

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Vorsitzender / Stellvertreter FDJ / Junge Pioniere“ – dick durchgestrichen. „Mitglieder der Elternvertretungen“ – unübersehbar schreiben sie: „Alle Eltern der Klasse.“1 Auch von der Leitung werden vorsichtig neue Markierungen gesetzt. Die künstlerische Ausbildung wird davon kaum tangiert. Von Indoktrination nur wenig berührt, muss sie sich nicht von ihr lösen. Umso mehr steht die Allgemeinbildung zur Diskussion. Im Juni war man Überlegungen zu einer Abiturstufe2 eher skeptisch begegnet und hatte dafür vorrangig Strukturprobleme angeführt.3 Seit Schuljahresbeginn im September 1989 setzt Wolfgang Haak als Stellvertretender Direktor für Allgemeinbildung neue Akzente. Durch ihn meldet sich Ende Oktober die Friedliche Revolution zu Wort. Sie „drängt darauf, bildungspolitische Themen völlig neu zu durchdenken und neue Wege zu beschreiten. (…) Mehr denn je muss die Individualität des Kindes und des Jugendlichen besonders auch in unserem Bereich entfaltet werden, muss sich entwickeln, nicht über einen imaginären Kollektivismus.“ Varianten eines Abiturabschlusses müssen sicher zuerst inhaltlich geklärt werden. „Wir können uns aber auch … gänzlich neue Modelle für Spezialschulen vorstellen.“4 Anfang Dezember fordert seine Konzeption: „Die Spezialschulen für Musik müssen auf der Basis allgemeingültiger bildungspolitischer Richtlinien die Möglichkeit erhalten, ihr unverwechselbares Eigenprofil herauszubilden. (…) Gänzlich neue Schulmodelle für Spezialschulen“ sollten „die freie Entfaltung der Individualität des einzelnen Talentes gewährleisten. Völlig neue Denkansätze sind deshalb nötig, weil wir die Befürchtung haben, dass die Spezialschulen für Musik wieder im großen Allgemeinbildungstopf landen. Mit dem Kassandraruf ‚keine Eliteschulen‘ legt man uns wieder die Schlinge um den Hals und engt uns auf höherem Niveau ein.“5 Am 5. April 1990 geht ein Brief an das Ministerium für Bildung, das erste einer frei gewählten DDR-Regierung, in dem die Spezialschuldirektoren mitteilen: „Die 4 Spezialschulen für Musik der DDR führen ab dem 1.9.1990 … die Abiturstufe ein.“6 Am 25. April erläutert Direktor Heß seinem Rektor Details der Regelung zu Fächern und Abschlüssen und zum Beginn der Abiturstufe im Anschluss an die Klasse 10/II. Bis Schuljahresende wird das Ministerium „eine offizielle Bestätigung für die Einführung dieser Abiturstufe erteilen und damit für eine entsprechende Anerkennung bei den bereits laufenden Verhandlungen zur ‚Bildungs-Union‘ sorgen.“7 Am 10. Mai 1990 informiert Direktor Heß die Eltern und lädt sie zu klärendem Gedankenaustausch ein.

Haupt- und Nebenstimmen ‚Ministerium für Bildung‘ – ‚frei gewählte Regierung der DDR‘ – ‚laufende Verhandlungen‘ – ‚Bildungsunion‘ –: die Ereignisse überschlagen sich schier. Die

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Friedliche Revolution hatte die Grundlage geschaffen, dass aus der Feststellung „Wir sind das Volk“ der Chor „Wir sind ein Volk“ erwächst, der von der bundesdeutschen Regierung aufgenommen und über deutsch-deutsche und internationale Vereinbarungen der Verwirklichung zugeführt wird. Am 18. März 1990 gehen die Bürger der DDR zum ersten Mal zu einer Wahl und nicht zum „Falten“. Zum Ministerpräsidenten wird von der Volkskammer ein Musiker gewählt: Lothar de Maizière, Viola-Absolvent der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, Bratscher in Berliner Orchestern, nach Jurastudium Wirtschaftsanwalt, Synodaler der evangelischen Kirche, Mitglied der Ost-CDU. Er hat die so historische wie undankbare, von Beginn an zeitbegrenzte Aufgabe, die DDR abzuwickeln und auf den Beitritt zum Staats- und Rechtsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vorzubereiten. Schmal steht er am 3. Oktober beim feuerwerküberstrahlten Finale auf der Ehrentribüne neben dem Monument Helmut Kohl. In grandiosen Sinfonien spielen Bratscher meist eine Nebenstimme, immer übertönt vom Geschmetter des Blechs.

Vielstimmiges Intonieren Für die Schüler auf Belvedere gibt es in all diesen aufregenden Zeiten weiter vor allem eine Hauptstimme: Musik, egal auf welchem Instrument. Pädagogische Konzepte, neue Varianten der Allgemeinbildung, Diskussionen über Abiturstufen mögen interessant sein. Aber am Nachmittag um vier ist Hauptfach. Natürlich reißen sie sich die bunten Zeitungen aus den Händen oder die neuesten Platten und CD’s. Selbstverständlich langweilen sie sich am Wochenende nicht im Internat, sondern entdecken München, Hamburg oder Frankfurt, das am Main, endlich das ganze Berlin, allein, mit Kumpels, der Freundin, den Eltern, soweit der Trabbi rollt. Mathe am Montag kann schon mal geschwänzt werden. Aber am Dienstag ist Quartett. Und im Februar gibt es in Leipzig wieder den „Kleinen Bach-Wettbewerb“. Eine gute Musikerin, ein begabter Musiker ist seit Kindesbeinen an Fleiß und Ordnung gewöhnt. Die Versuchungen, sich dem zu entziehen, sind unglaublich verführerisch geworden. Aber im Inneren tickt die Uhr der Disziplin, ob selbstgestellt, ob anerzogen. Sicher müssen Hauptfachlehrer und Schulleitung in diesen Zeiten häufiger, dringlicher und heftiger motivieren, agitieren, disziplinieren als vormals. Doch letztlich sind sie alle Musiker. In Leipzig ist das zu hören. „Belver“ erringen beim 8. „Kleinen Bach-Wettbewerb“ so viele Preise und Diplome wie nie zuvor und mehr denn jede andere Spezialschule.8 Die Preisträger, und nicht nur sie, verstecken sich nicht. Sie spielen auch in Bad Berka, auch in Eisenach, aber nicht mehr nur dort. Sie werden eingeladen, beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt zu musizieren. Uta Kunert und Ingo

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Geppert, Preisträger früherer Wettbewerbe treten im Gewandhaus und im Berliner Schauspielhaus auf, in Münster, Marburg und Bayreuth. Bläsersolisten konzertieren in Trier, die jüngsten Pianisten in Mannheim. Das Kammerorchester stellt sich im Lübecker „Johanneum“ vor. Das Hochschulorchester reist nach Würzburg, Detmold und Frankfurt, mit Uta Kunert und Christian Müller als Solisten. Eine Begegnung offenbart sich Konzertierenden wie Zuhörern als tief berührendes Zeichen. Junge Kammermusiker aus Weimar/Ost und Stuttgart/West proben und spielen dort wie hier als Deutsch-Deutsches Oktett das op. 20 von Felix Mendelssohn Bartholdy, dem im faschistisch einigen Deutschland bis 1945 Verfemten. Das Publikum, wo auch immer, staunt. Die jungen Musikanten aus Weimar staunen, dass das Publikum staunt. Für sie ist es selbstverständlich, gut zu musizieren, hohe, höchste Leistungen zu bringen. Gewiss, die Einheitseuphorie steigert bei diesen ersten Begegnungen die Erlebnisbereitschaft der Zuhörer ebenso wie Können und Musizierlust der jungen Künstler. Dennoch entdecken die bundesdeutschen Zuhörer verwundert, staunend, einen anderen „Osten“. Dass das Gewandhausorchester oder die Dresdner Staatskapelle großartige Musik machen, das wissen erfahrene Konzertbesucher. Aber so junge Leute! Und so bescheiden sind die, ohne Allüren, aber auch gar nicht verdruckst! Gern erzählen die „Belver“, wo und wie sie ganz normal zur Schule gehen und dazu Musik lernen. Die Musikanten vom Weimarer Belvedere wollten eigentlich auf Entdeckungsreisen gehen. Jetzt werden sie entdeckt, werden mit ihren Konzerten Botschafter aus einem den meisten Besuchern fremden, unbekannten Land, dem Land der in Sonntagsreden gern vereinnahmten Brüder und Schwestern im Osten. Auch Musiklehrer und andere in Fragen der Musikausbildung sachkundige Besucher entdecken staunend solche „Spezialschulen für Musik“. Die gibt es so in keinem westlichen Bundesland. Rektor Müller-Nilsson hatte nach dem Erfolg im „Kleinen Bach-Wettbewerb“ stolz und von Herzen gratuliert. Die Spezialschule steht neben Wettbewerben, Musikseminar und Schulmusikabteilung ganz oben auf seiner Liste des unbedingt Bewahrenswerten, Weiterzuentwickelnden. Gern würde er die Konzertreisenden begleiten, doch seine Hochschule lässt ihm dazu keine Zeit. Sie ist rund um die Uhr damit beschäftigt, sich selbst zu finden, sich neu zu definieren, neue Ordnungen zu diskutieren, über deren Ziele und Inhalte heftig zu streiten, demokratisch zu wählende Organe zu strukturieren, Hochschulrat, Senat, auch Personalrat. Der bekommt viel zu tun. Die jahrzehntelang richtungsweisende, tonangebende Abteilung Marxismus-Leninismus wird über Nacht abgewickelt. Ein Institut für Musikwissenschaft wird etabliert.9 Von all dem kaum berührt wird auf Belvedere gelernt und geübt; Hochschullehrer unterrichten zuverlässig wie immer, und sorgen, von neuem Elan beflügelt, weit mehr noch als gewohnt dafür, dass, fast nebenbei, Musi-

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kanten der Spezialschule den guten Ruf auch der Hochschule weit über Weimar hinaus in deutschen Landen verbreiten.

Dissonanzen Die Konzerte Weimarer Spezialschüler haben Bewunderung erregt, zugleich Neugier geweckt. Musikschüler aus Kassel und Detmold erscheinen ebenso zum Gegenbesuch wie das „Johanneum“-Orchester. Professoren aus Mannheim, Karlsruhe, München, Stuttgart, Helsinki kommen zu Konzerten, Kursen, Ausstellungen, oder nur so, aus reiner Wissbegier. Was sie hören dürfen, erfreut, begeistert, fasziniert, was sie sehen müssen, schockiert sie. Weder eine Revolution noch eine freigewählte Volkskammer hatten neue Gebäude zaubern können. Nach einem entsetzten Leserbrief einer BelvedereBesucherin hatte Wolfgang Haak Anfang Januar 1990 im Namen aller Schüler, Lehrer, Mitarbeiter und Eltern vom Kulturministerium der Noch-DDR gefordert, „den ruinösen Zustand des Objektes Belvedere so grundlegend zu verändern, dass Schul- und Internatsgebäude sich in einem vertretbaren Bauzustand befinden und ihrem Charakter nach als bedeutende Objekte des Denkmalschutzes der DDR erkennbar werden.“10 Direktor Heß hatte der Schreiberin resignierend geantwortet: „Wir kämpfen seit Jahren alleingelassen einen schier hoffnungslosen Kampf.“ Seitdem haben die Jahreszeiten weiter ihr bautenzerfressendes Werk getan. „Am schlimmsten sehen das Mozart- und das Beethovenhaus aus. Durch die Dächer findet der Regen ungehindert Einlass. Die Balustraden der Türme auf den beiden Häusern sind zerfallen. Den Turm des Mozarthauses ziert ein großes Loch. Damit das gesamte Gebäude im Winter nicht völlig auskühlt, ist das Loch notdürftig mit einer Decke abgedichtet worden. … Die Folgen für die Schüler waren katastrophal – der Lehm fiel von den Decken, und wenn er nicht gerade die Schüler traf, verschmutzte er Betten und Zimmer.“ 11 Der Kontrast zwischen den Leistungen und dem Lebensumfeld der Spezialschüler könnte krasser kaum sein. Eine Sonderaktion soll helfen. Mitte September 1990 widmet der DDR-Fernsehfunk sechs Stunden Sendezeit dem so gar nicht klassikidealen Zustand Weimars und führt dabei auch das marode Ambiente auf Belvedere vor. Weimars neuer OB Dr. Büttner lädt gemeinsam mit seinem Amtskollegen Schröer aus der Partnerstadt Trier zu einer Spendengala in die Weimarhalle.12 Im Zentrum des original übertragenen Benefizkonzertes: Ute Lemper, Heidi Brühl, Bibi Johns und natürlich die Elite der Spezialschule. Belvederer lassen sich nichts schenken. Sie betteln nicht, sie werben mit ihrer Kunst. Der Erlös erlaubt zumindest, in der nicht nur redensartlich brandgefährlichen Heizmisere erste abhelfende

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Schritte zu unternehmen. Zwei Weimarer Bauingenieure, gerade in die Selbständigkeit gestartet, spenden als kostenlosen Ehrendienst die Projektierung und übernehmen sich fast dabei, als so riesenhaft groß stellt sich der Wandel von den bald hundert Kohleöfchen zur allumfassenden Gasheizung heraus. Büttner, gerade erst von der Fulda an die Ilm übergesiedelt, lernt die Situation der Schüler tagtäglich vor Ort mit allen Sinnen kennen – sehend, hörend, riechend, schmeckend. Er hat mit seiner großen Familie unter dem Schlossdach Unterschlupf gefunden, nicht gerade luxuriös. Der Einsneunzigmann muss sich bücken, will er durch die Wohnungstür. Auf den Fensterbrettern liegt Asche von verbrannten Braunkohlebriketts, durch die Ritzen dringt der dazugehörige Gestank – dringt aber auch Musik, dringen Tonleitern, Kadenzen oder Mozarts Nachtmusik.

Einheitsfrüchte Belvedere muss durch das drängende Vereinigungstempo nicht erst auf Trab gebracht werden. Michail Gorbatschows Mahnung im Hinblick auf drohende Bestrafung von Zuspätkommern gilt auch in einer postsozialistischen DDR. Zügig und zugleich bedachtsam, nicht durch sekundenkurzes Abnicken, sondern geheim werden Räte und Vertreter der Schüler, der Eltern und der Lehrer und Erzieher gewählt. Aus ihnen erwächst ein demokratisch legitimiertes Gremium: die Schulkonferenz. Sie soll und will intern die Probleme der Spezialschule lösen helfen und gegenüber Behörden ihre Interessen vertreten. Zur Unterstützung steht ein „Belvedere-Verein“ bereit, ein Freundeskreis aus Lehrern der Spezial- und der Hochschule, Staatskapellisten und Weimarer Bürgern. Lehrer und Mitarbeiter sprechen in geheimer Abstimmung Direktor Heß das Vertrauen aus und wählen die Mathematik-/ Chemielehrerin Evelyn Heimbuch zur Stellvertreterin für Allgemeinbildung.13 Die demokratischen Hausaufgaben sind gemacht. Wem werden sie vorzulegen sein? Thüringen war mit den Wahlen nicht ganz so schnell. Seit dem 3. Oktober 1990, dem Tag der deutschen Einheit, gehört Thüringen als Bundesland zur Bundesrepublik Deutschland. Am 8. Oktober wird der Thüringer Landtag gewählt, einen Monat später die Landesregierung vereidigt. Dem Kabinett von Josef Duchač (CDU) gehört Dr. Ulrich Fickel (F.D.P.) als sein Stellvertreter und Minister für Wissenschaft und Kunst an, Christine Lieberknecht wird Ministerin für Kultus. Zwei Tage später tagt die Belvederer Schulkonferenz. Sie weiß nun um zwei ministeriell Verantwortliche. Wer wird in erster Linie das Sagen haben, der promovierte Pädagoge oder die Pastorin? Auch die Musikhochschule, der die Spezialschule weiterhin angehört, war mit dem Wählen nicht so schnell. Erst am 17. November bestätigt das Vorläufige Kon-

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zil in geheimer Abstimmung Prof. Dr. Müller-Nilsson als Rektor. Eine Woche später, am 23. November sollen die wichtigsten Ordnungen diskutiert und verabschiedet werden. An diesem Tag tritt Müller-Nilsson zurück. Die gewählten Vertreter der Hochschule hatten ihm das Vertrauen ausgesprochen. Das zwischen ihm, dem Minister und dessen aus Hessen als Amtshilfe delegierten Staatssekretär hingegen ist von Anbeginn gestört und belastet. Diese Last will er der Hochschule für die zu erwartenden komplizierten Verhandlungen mit der Landesregierung nicht zusätzlich aufbürden. Am selben Tag berichtet die Presse von „Schreckensmeldungen aus Berlin (Ost), die Auflösung der dortigen Spezialschule betreffend.“14 Ein schwarzer Tag, auch für Belvedere. Die ostdeutsche Institution „Spezialschule“ ist, davon spricht die Nachricht aus Berlin, in existenzieller Gefahr. Wer wird hier in Thüringen jetzt für deren Erhalt kämpfen? Eine Antwort darauf gibt der Zeitungsbeitrag selbst. Es sind Thüringer Bürger, der Bundestagsabgeordnete Dr. Richter und Dr. Folger, Mitglied der Schulkonferenz, Vater der mehrfach preisgekrönten jungen Pianistin Anne. Sie wissen, es ist „höchste Zeit, sich zu Wort zu melden“ und plädieren sachlich und engagiert für den Erhalt der Schule auf Belvedere. Die Gefährdung der Spezialschulen für Musik erwächst, so absurd das klingt, aus ihrer bewunderten Außergewöhnlichkeit. Was vor der Vereinigung von Musikpädagogen, Schulmusikern und Hochschullehrern in Deutschland (West) als unbekannt und nachahmenswert bestaunt wurde, ist auch den Vereinigungsvollstreckern unbekannt. Es ist in bundesdeutschen Verwaltungsregelungen nicht vorgesehen. Weder in den Strukturen von Musikhochschulen noch an denen von Gymnasien der „alten“ Länder gibt es analoge Modelle. Weder „Berufsfachschulen für Musik“ in Bayern noch „Musikgymnasien“ in Baden-Württemberg oder welche wo auch immer bieten vereint professionelle Musikausbildung unter dem Hochschuldach mit zum Abitur führender Gymnasialausbildung. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, bietet sich als einfachste Lösung des Problems dessen Beseitigung an. Also: als „Musisches Gymnasium“ einschläfern? Gar ganz abwickeln?

Klingende Demokratie Die Schulkonferenz, um Hochschulprofessor Jost Witter, Staatskapellist Gert Ulbricht und Direktor Heß verstärkt, vom Elternvertreter Dr. Heilmann geleitet, lebt vor, dass „Demokratie jetzt!“ keine leere Phrase sein darf. In Zusammenkünften am 1. und 16. Dezember wird die Marschroute für intervenierende Verhandlungen festgelegt.15 Kompetente und renommierte Repräsentanten des Musiklebens aus dem In- und Ausland werden als Unterstützer ausersehen. Professoren aus

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Mannheim und Freiburg, Dänemark und der Schweiz finden in ihrer Weihnachtspost ebenso Bitten um Unterstützung wie Ruth Wagner, Vizepräsidentin des Hessischen Landtages, Parteifreundin von Wissenschaftsminister Dr. Fickel. Sie alle antworten postwendend, ebenso betroffen, sachkundig und engagiert, u.a. Verantwortliche von Musikverbänden aus Detmold und Stuttgart oder ehemalige prominente „Belver“ wie die Geigerin Carola Nasdala, GMD Claus-Peter Flor aus Berlin oder GMD Wolfgang Rögner aus Erfurt. Der Begriff Solidarität besitzt wieder ehrlichen Klang. Diese Gutachten und Erklärungen hat Ministerin Lieberknecht vor sich liegen, als sie am 17. Januar 1991 eine Abordnung der Hochschule empfängt. Prof. Dr. Wolfgang Marggraf führt sie an, der am 19. Dezember 1990 zum neuen Rektor gewählte Musikwissenschaftler. Ihn begleiten unterstützend Prorektor Dr. Eckart Lange, schlachterfahren im letzten DDR-Kulturministerium, Helmut Heß und Dr. Wolfram Huschke, der als Konzilvorsitzender das dreiwöchige Interregnum zwischen Rücktritt und Neuwahl entschlossen und effektiv geleitet hatte. Als Präsident der Weimarer Stadtverordnetenversammlung hatte Huschke, ein Systematiker par excellence, blitzschnell die Prinzipien, Procedere und Winkelzüge parlamentarischen und verwaltungsbürokratischen Denkens begriffen und in den Verhandlungen zum Nutzen der Hochschule, jetzt auch der Spezialschule zielführend und taktisch elegant angewendet. Gerade in den Auseinandersetzungen mit den „Entwicklungshelfern“ aus den Altländern, jahrzehntelang mit allen Wassern gewaschenen Verwaltungsbeamten,

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Tradition der Horn-Schule Prof. Karl Biehlig Prof. Reiner Heimbuch Robinson Wappler (von oben nach unten)

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zeigte Huschkes Geschick in der Übergangszeit unschätzbare Wirkung, beweist sie nachhaltig bis heute. Ministerin Lieberknecht ist genauso beeindruckt vom entschiedenen Engagement der Hochschulvertreter wie von den Gutachten aus der Musikwelt und dem demokratisch kämpferischen Einsatz der Eltern und Lehrer. Anders als ihr Ministerkollege aus dem Wissenschaftsressort, anders auch als ihre beamteten West-Berater kann die Ministerin Erlebnisse nicht vergessen, die sie als Pastorin aus Ramsla über Jahre in Konzerten durch Spezialschüler aus Belvedere erfahren durfte. Das macht die musikliebende Ministerin zu einer Verbündeten, die sich konkret für den Erhalt der Schule als Gymnasium einsetzt. In mehreren weiteren Beratungen in Belvedere und Erfurt drängt sie den Wissenschaftsminister zur einer gemeinsam zu verantwortenden Lösung. Hilfreich dabei ist der Thüringer Landesmusikrat, der kurzfristig die Teilnahme von Spezialschülern beim berühmten Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ durchsetzt. Hilfreich sind Erklärungen des „Verbandes Deutscher Schulmusiker“, der seine Jahrestagung demonstrativ für Anfang Juni nach Weimar einberuft. Das Plenum verfasst eine Resolution, „die den Modellcharakter der Spezialschulen und -klassen herausstellt. Mit Sorge werde beobachtet, dass ein vergleichbares Angebot in den alten Ländern noch kaum existiert.“16 Staatssekretär Dr. Norbert Lammert, der heutige Bundestagspräsident, bezeichnet die „Förderung besonders Begabter als eine unverzichtbare bildungspolitische Aufgabe“. 17 Höchst eindrucksvoll verschaffen sich die Musikerinnen und Musiker aus Belvedere in den Auseinandersetzungen um ihre Schule hilfreich Gehör. Unter den 850 Teilnehmern am 28. Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“, der vom 16. bis 22. Mai 1991 in Kiel veranstaltet wird, sind erstmals 60 Jugendliche aus den neuen Bundesländern. Von 31 Weimarer Finalisten kommen 23 mit 1. und 2. Preisen zurück. Die festliche Preisverleihung in Anwesenheit des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker wird durch das Belvederer Siegerquartett mit einem Mozartschen Presto eröffnet. Im Preisträgerkonzert spielt auch Jens Hoffmann, ein Schüler von Helmut Heß, treten auch Joachim und Michael Huschke auf, die Söhne des Weimarer Konzilvorsitzenden. Die Preise an die jungen Künstler aus dem neuen Bundesland Thüringen überreicht eine junge Frau aus dem neuen Bundesland MecklenburgVorpommern, die Bundesministerin für Frauen und Jugend, Dr. Angela Merkel. 18

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Modell Nach diesem sinnbildlichen Paukenschlag ist eine Lösung für die Belvederer Institution unumgänglich. Die Ministerien einigen sich: Die bisherige Spezialschule für Musik untersteht als „Spezialgymnasium für Musik“ dem Ministerium für Kultus. Die instrumentale Spezialausbildung ist der Hochschule übertragen und wird durch Hochschullehrer und Lehrbeauftragte durchgeführt. Dafür stellt das Ministerium für Wissenschaft in ihren Stellen- und Finanzplänen Kapazitäten ein. Die künftigen Gymnasiasten werden in der Hochschule als „Jungstudenten“ geführt und den Fachabteilungen zugeordnet. Entscheidend tragen institutionell das Kultusministerium und persönlich die Hochschulpädagogen zum Gelingen der Lösung bei. Das Ministerium genehmigt eine besondere Ferienregelung. Nur wenn die Ferien nicht, wie in allen Bundesländern, jährlich wechseln, sondern in der Nähe der Semesterpausen im etwa gleichen Zeitraum angesiedelt werden, ist es möglich, dass Hochschullehrer zur Mitarbeit gewonnen werden können. Die Pädagogen andererseits verpflichten sich, im künftigen Spezialgymnasium auch während der Hochschul-Semesterferien zu unterrichten. An solchen Knackpunkten hatten in den alten Bundesländern Schulbürokratien und Hochschullehrer, mehr auf ihr ferienregelndes Beamtenrecht pochend denn an spannend unbequemer Kinderausbildung interessiert, eine Kombination von Gymnasial- und Spezialausbildung bisher platzen lassen. Daran hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert. Die Aufforderungen des Schulmusikerplenums vom Juni 1991, dem ostdeutschen Modell zu folgen, sind nach der Vereinigungseuphorie bald wieder im Sande versickert. „Belvedere mit Zukunft“ und „Musikgymnasium in Belvedere“ titeln die Zeitungen. Die Eltern sind glücklich. Irgendwie wird es ihnen gelingen, die vorgesehenen 200 Mark pro Monat für Internat und Ausbildung aufzubringen. BAFöGRegelungen sollen auch für jüngere Schüler gelten. Die Schüler bedanken sich im Mozartjahr mit einem „Musikalischen Spaziergang mit Mozart“, bei dem sie an der Fontäne, im Irrgarten, auf dem Schwanenteich, im Rosenrondell, auf der Ruine, der einzigen künstlichen im herrlichen Belvederer Park Mozarts Musik erklingen lassen. Zum krönenden Abschluss begleitet das Noch-Spezialschul-Orchester Gesangsstudierende bei der Aufführung von „Bastien und Bastienne“ im Heckentheater. Mozart war gerade zwölf Jahre alt, als er es schrieb, so jung wie die Schulanfänger in Belvedere. Mit einer besonderen Gabe gratulieren Adepten aus der Talenteschmiede von Sigrid Lehmstedt ihrem künftigen Spezialgymnasium: Anfang Juli nimmt der sechzehnjährige Peter Szesny bei der „World Piano Competition“ in Cincinatti (USA) einen zweiten Preis im Empfang. Die elfjährige Alexandra Ismer krönt den ersten

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Auftritt von Belvedere in der neuen Welt mit zwei ersten Preisen. Der ihr zuerkannte Große Preis besteht aus Konzertauftritten auf dem geheiligten Podium der Carnegie Hall in New York.

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Franz Liszt hatte als Komponist wie als Dirigent verpflichtende Maßstäbe für eine vielseitig fundierte Orchestererziehung gesetzt. Das fachlich musikalische wie das allgemein geistige Niveau der Orchestermusiker durch systematische Ausbildung zu erhöhen, hatte sich die auf seine Anregung hin 1872 in Weimar gegründete „Großherzogliche Orchesterschule“ zu ihrer Zeit ebenso auf die Fahnen geschrieben wie die 1949 entstandene „Musikschule Lutherstadt Eisleben“. Bei der Ausbildung zukünftiger Orchestermusiker an den dieser Gründung erwachsenen Instituten sollten die Einzelbestrebungen in allen instrumentalen, musiktheoretischen, ästhetischen und allgemeinbildenden Fächern und Disziplinen zielgerichtet in einer gemeinsamen Orchestererziehung münden. Ist dieser Aspekt bisher an einigen Einzelbeispielen beleuchtet worden, wird er hier chronologisch in Korrespondenz zu den betreffenden Kapiteln – bei Gefahr mancher Wiederholung – verfolgt. 1949/1951: Musikschule Lutherstadt Eisleben1 Leitung der Orchesterarbeit: Walter Herbst. Die Orchesterarbeit wird von eher zufälligen Aspekten geprägt. Besetzungen ergeben sich aus der instrumentalen Zuordnung der Schüler. Weit auseinanderklaffendes Leistungsvermögen und Raummangel beeinträchtigen eine systematische Arbeit. 1951/1952: Musikschule Hettstedt – Fachgrundschule für Musik Leitung der Orchesterarbeit: Walter Herbst, später Werner Reuss2 Gute Probenbedingungen ermöglichen kontinuierliche Arbeit in sinfonischer Besetzung. Herbst überfordert mit seiner eigenen Komposition „Kantate 1951“ die Schüler teilweise, begeistert sie aber grundsätzlich für gemeinschaftliches Musizieren. Werner Reuss, als Oboist und Dirigent erfahren, arbeitet kontinuierlich als Orchestererzieher. 1952/1958: Musikschule Weimar – Fachgrundschule für Musik Leitung der Orchesterarbeit: Werner Reuss Im ersten Jahr ließen die chaotischen Raumverhältnisse und die Probleme beim Zusammenführen der Schüler aus Hettstedt und Weimar eine systematische Arbeit nicht zu. Erst nach der Ansiedelung auf Belvedere im Herbst 1953 findet kontinuierliche orchestererzieherische Arbeit mit Proben in der Aula des Beethovenhauses und Konzerten im Studiotheater statt. Zusätzlich musiziert ein Kammerorchester unter Leitung von Siegfried Wengert, Konzertmeister der Staatskapelle. Der Ausbildung wird auch von Hermann Abendroth ein technisch wie musikalisch solides Niveau bescheinigt.

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1958/1962: Franz-Liszt-Hochschule, Abt. Orchesterschule, Unterstufe 1962/1965: Oberschulteil der Franz-Liszt-Hochschule Weimar Nach der Einordnung der bisher selbständigen Fachgrundschule in die Hochschule bricht die Orchesterarbeit erst einmal ab. Die Hochschule holt einzelne Schüler in das Hochschulorchester, nach Bedarf und nach Qualität, unkontinuierlich und kaum von orchesterbildenden Absichten getragen. Auf Belvedere finden sich am Gemeinschaftsmusizieren interessierte Schüler hin und wieder mit Werner Reuss und dem dirigierenden Flöten-Schüler Till Sailer zusammen. 1965/1991: Spezialschule für Musik der Franz-Liszt-Hochschule Weimar Die Entwicklung der Orchesterarbeit verläuft in diesem langen Zeitraum unkontinuierlich. Sie ist zudem sehr unvollständig dokumentiert. Vor allem für die Jahre 1965 bis 1981 gibt es in den Arbeitsplänen mehr Ankündigungen allgemeiner Ziele als Berichte über Arbeitserfolge. Deshalb wird versucht, diese Ankündigungen durch Zeitzeugenaussagen zu ergänzen. Leider sind so Ungenauigkeiten programmiert. 1965: An dem nun als „Spezialschule für Musik“ sich formierenden Institut beginnt der neu als Violinpädagoge wirkende Jochen Tutschku, aus Schülern von der 5. Klasse an ein Streicherensemble aufzubauen, das er bis 1972 leitet. Die Gruppe wächst kontinuierlich, nie aber über 12 bis 15 Mitglieder hinaus und gewinnt, durch Streicherpädagogen gefördert, kontinuierlich an Qualität. Das sind Gründe, das Ensemble regelmäßig in Weimar einzusetzen. 1967: Ein Konzert des Streicherensembles im Apollosaal der Deutschen Staatsoper Berlin bietet anerkennenden Lohn der fleißigen Arbeit. Von einem sinfonischen Orchester ist in diesen Jahren nichts zu hören. 1968: Am 15.12. tritt bei einem Konzert zur Elternbeiratswahl im Studiotheater auch ein „Orchester der Spezialschule für Musik“ unter Leitung von Werner Reuss auf, der seit Jahren nicht mehr als Pädagoge, sondern als Erzieher im Internat der Schule angestellt ist. Der Arbeitsplan des Direktors stellt für das Schuljahr 1968/69 auch folgende Aufgabe: „6.10. Der Aufbau eines Schülersinfonieorchesters unter Leitung von Kollegen Reuss muß abgeschlossen werden.“ Außerdem sind Auftritte des Streicherensembles bei Rundfunkaufnahmen „langfristig vorzubereiten“.3 1969/1970: Während das Streicherensemble weiter gefördert wird, u.a. durch Mentoren für die vier Stimmgruppen, ist vom Schülersinfonieorchester nicht mehr die Rede.

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1970/1971: Der Arbeitsplan verkündet nun wieder: „Als Vorbereitung auf die künstlerische Berufspraxis wird an der SfM ein Jugendsinfonieorchester gebildet. Die Arbeit mit diesem Klangkörper ist ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung.“ Verantwortlich ist der stellvertretende Direktor Dozent Rolf Baumgarten. 4 1971 – 1975: In den Arbeitsplänen werden „Volkstümliche Konzerte des Orchesters“ in Schulen und zu politischen Höhepunkten, Jahrestagen, „Volkswahlen“ u.a. angekündigt. Das Streicherensemble ist in diesem Orchester aufgegangen. Verantwortlich: Rolf Baumgarten. 1975/1977: Es existiert nun ein Kammerorchester, vermutlich weitgehend identisch mit dem ehemaligen Streicherensemble. Es wird vom DNT-Kapellmeister Gunter Kahlert geleitet. Fast zehn Jahre nach Bildung der Spezialschule liegt die Orchestererziehung erstmals in den Händen eines professionellen Dirigenten. Das Ensemble reist zu Konzerten nach Polen und in die ČSSR. 1977/1978: Das Kammerorchester wird aufgelöst, seine Mitglieder studieren inzwischen an der Hochschule. Dafür ist „auf dringende Empfehlung des Ministeriums für Kultur … an der SfM Weimar wieder ein Instrumental-Ensemble mit dem Charakter eines Jugendsinfonieorchester aufzubauen.“5 Ein in Weimar vorrangig als Musikkritiker und Komponist wirkender Kapellmeister wird mit der Leitung beauftragt. Die Nicht-Erfüllung dieses Auftrages resultiert aus einer inzwischen stark reduzierten Schülerschaft, die eine vertretbare sinfonische Besetzung nicht ermöglicht. 1978/1982: Das Jugendsinfonieorchester wird nicht mehr erwähnt. Dafür gibt es wieder ein Kammerorchester, das bis 1982 unter der Leitung von Friedemann Bätzel, 1. Konzertmeister der Staatskapelle Weimar steht. Seine reiche orchesterpraktische Erfahrung und die pädagogischen Fähigkeiten des langjährigen Violinprofessors führen das Ensemble zu schönen Erfolgen, die sich im 2. Preis bei einem Internationalen Wettbewerb in Polen (1980), bei Konzerten in der ČSSR, Aufnahmen für den Rundfunk und das DDR-Fernsehen widerspiegeln. 1982/1984: Leiter des Kammerorchesters ist der Violindozent und Komponist Baldur Böhme. Regelmäßig werden die Ergebnisse der Probenarbeit in Konzerten zur Weihnachtszeit, in zahlreichen Umrahmungen von Jugendweihen und in Konzerten im Belvederer Park vorgestellt. 1984/1991: Das Kammerorchester wird von Ludwig Bätzel geleitet, Belvederer der ersten Generation, Geiger, Pianist, Dirigent. Als Professor für Liedstudium legt

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er besonderen Wert auf einen singenden Streicherklang. Wie seine Vorgänger wählt er Originalliteratur vom Barock bis zur Gegenwart; das Orchester wächst an den anspruchsvollen Werken von Grieg, Tschaikowski, Britten. Herausragende Solisten wie Uta Kunert, Ingo Geppert, Dagmar Brauns erfahren bei Bach und Mozart durch ihre Mitschüler sensible Begleitung. Bei einem ersten Gastspiel nach der deutschen Vereinigung werden sie in Lübeck begeistert gefeiert. 1991/1993: Musikgymnasium Schloss Belvedere In der „Zeit der Wirren“ machen räumliche und zeitliche Zerrissenheit, komplizierte Selbstfindungsprozesse auf dem Weg zum „Gymnasium“, Zukunftsängste bei Schülern und Schulleitung kontinuierliche Orchestererziehung nur begrenzt möglich. So arbeiten die Dirigenten Christian Frank, Sebastian Krahnert und Hermann Werner pragmatisch und erfolgreich mit wechselnden Besetzungen für verschiedene Projekte, beispielsweise Mozarts „Bastien und Bastienne“ gemeinsam mit Hochschulsängern im Heckentheater. 1993/2000: Mit seiner Berufung in eine Professur für Orchesterdirigieren, der ersten im Prozess der personellen und strukturellen Neuformierung der Musikhochschule übernimmt Nicolás Pasquet, an den Pulten des 1. Violinisten wie des Dirigenten

28 Generalprobe im Konzerthaus Berlin, Orchester des Musikgymnasiums, Solist: Martin Funda

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erfahren, die Leitung. Er beginnt seine konsequente, hartnäckige wie lustvolle Aufbauarbeit mit einem neu strukturierten Kammerorchester. Sie findet künstlerisch wie organisatorisch durch Anne-Kathrin Lindig, Künstlerische Leiterin am Musikgymnasium alle nur mögliche Unterstützung. Die Konsolidierung am Steinbrückenweg, die Aussicht auf einen Neubau, schließlich der Einzug in das helle Haus auf Belvedere, geben der systematischen Entwicklung zu einem kompletten sinfonischen Klangkörper schwungvolle Impulse und zeitigen staunenswerte Leistungen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lobt: „Den Streicherklang zeichnete bei der nahezu perfekten technischen Ausführung ein weiches, schönes Timbre aus. … Die eminente musikalische und virtuose Leistung war auch das Ergebnis von Nicolás Pasquets Arbeit, der seit einem Jahr mit dem Orchester probt.“6 Dreimal nacheinander, 1996 in Gera, 2000 in Karlsruhe, 2004 in Osnabrück werden die „Belver“ Sieger im Deutschen Orchesterwettbewerb „Jugend musiziert“. Konzertreisen führen nach Norwegen und Spanien, Namibia und Süd-Korea. Pasquet hält Kontinuität in der Orchestererziehung für außerordentlich wichtig. Zugleich legt er Wert darauf, dass die jungen Musiker verschiedene dirigentische Handschriften und Temperamente kennen lernen. So bezieht der Dirigierlehrer seine Assistenten und Schüler konsequent in die Arbeit ein. Zwischen 1996 und 1998 leitet Christian Frank eine Reihe von Konzerten. 1996 steht Torsten Petzold, 1997 und 1998 Tabaré Perlas, 1998 und 2000 Lancelot Fuhry am Pult. So wird ein weicher Wechsel in der Leitung vorbereitet. 2001/2003: Lancelot Fuhry übernimmt als Assistent von Pasquet den Stab und führt die Entfaltung der sich jedes Jahr neu zusammensetzenden Musiziergemeinschaft mit eigenen Akzenten fort, ehe er zu einem Meisterstudium nach London geht. Dort trifft er Zsolt Visontay wieder, langjähriger „Belver“ Konzertmeister, jetzt in gleicher Position am Philharmonia Orchestra London. Pasquet bleibt beratend als Mentor, immer wieder auch als Dirigent, so des Preisträgerkonzerts beim „2. Franz-Liszt-Wettbewerb für junge Pianisten“, dem Gymnasium eng verbunden. 2003/2008: Juri Lebedev, in St. Petersburg und Weimar ausgebildet, befördert und begleitet eine besonders fruchtbare Entwicklungsphase des Orchesters. Unter seinem Dirigat siegen die „Belver“ zum dritten Mal beim Wettbewerb der Jugendorchester, gastieren mit repräsentativen Konzerten in Berlin und im Europa Parlament Brüssel, nicht weniger eindrucksvoll in der Reihe „Kunst im Werk“ u.a. in Lauscha und Bischofferode. Die Programme reichen von Händel bis Ligeti und Schnittge, scheuen auch vor Regers Mozart-Variationen nicht zurück, setzen Schwerpunkte bei russischer Programm-Sinfonik und jazznahen Delikatessen von Copland, Ives oder Gershwin. In Original-Konzerten oder Bearbeitungen Lebedevs können Spitzensolisten brillieren

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– ein weitgespannter Bogen, der die Musikgymnasiasten fördert und herausfordert, nicht zuletzt zu eigenen, von ihrer Mitschülern aus der Taufe gehobenen Kompositionen. Als Opernorchester in Brittens „Sommernachtstraum“ wachsen völlig neue Erfahrungen zu. Nach einer Übergangssaison mit einem Kammerorchester unter Lancelot Fuhry setzt seit September 2009 der Spanier Joan Pagés Valls, durch die Musikhochschule fest für Belvedere angestellt, einen orchesterbildenden Weg mit den jungen Musikanten fort, der vermutlich vom Gründervater Liszt höchst beifällig betrachtet würde. Vergleichende Bemerkungen Antworten der Orchesterleiter auf einen Fragenspiegel erlauben Vergleiche und Verallgemeinerungen nur im Kontext zu den allgemeinen Ausbildungsbedingungen. Proben:     Seit 1965 wird mehr oder minder regelmäßig, einmal wöchentlich maximal zwei Stunden in der Aula des Beethovenhauses geprobt, vor Konzerten etwas verstärkt. Am Musikgymnasium findet seit 1993 wöchentlich eine dreistündige Probe statt, seit 1996 im Großen Saal. Vor Konzerten und Reisen gelten ausgeweitete Sonderprobenpläne. Auftritte / Konzerte:    An der Spezialschule gibt es seltene, meist anlassbestimmte Auftritte. Seit 1978 werden zwei Konzerte je Schuljahr zur Regel. Hinzu kommen Auftritte bei Jugendweihen. Seit 1995 folgt das Orchester Einladungen zu zahlreichen Konzerten. Es geht auf Konzertreisen und beteiligt sich an Wettbewerben. Für Weimar werden regelmäßig drei große Programme (Weihnachtskonzert, Frühlingskonzert, Sommerkonzert) erarbeitet. Kontinuität:    Der jährliche Wechsel in der Besetzung vollzieht sich meist unproblematisch. Neue Mitglieder fügen sich flexibel in den bestehenden Organismus ein. Projektarbeit:     Projektgebundenes Arbeiten wird als effektivster Weg angesehen, grundsätzliche Aufgaben der Orchestererziehung – Intonation, Zusammenspiel, Klang, Orientierung auf den Dirigenten u.a. – konkret zu behandeln und erfolgreich zu lösen. Unterstützung:    An der Spezialschule wird Orchestererziehung von der Leitung eher nebensächlich behandelt. Nach 1982 erhält die Arbeit kräftigere Unterstützung, wird aber nicht als Ausbildungsziel betrachtet. Durch die Leitung des Musikgymnasiums wird Orchesterarbeit programmatisch wie organisatorisch allseits gefördert.

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Defizite / Probleme:    Weitgehend wird eine kontinuierlich interessierte Begleitung, Förderung, Unterstützung der orchestererzieherischen Bemühungen seitens der Hauptfachpädagogen vermisst. Das ist umso bedauerlicher, als viele dieser Lehrer mit ihren reichen orchesterpraktischen Erfahrungen zur weiteren Qualifizierung beitragen könnten. Mehr und mehr, nicht unabhängig von den künstlerischen Erfolgen, weichen Desinteresse und Distanz freundlichem Wohlwollen. Die von den Neuaufnahmen abhängigen wechselnden Besetzungsmöglichkeiten erschweren eine ausgewogene Programmgestaltung. Viele Schüler und Instrumentalpädagogen sind auf eine solistische Laufbahn orientiert. Entsprechend gewichtet ist ihre Motivation auf eine Tätigkeit im Orchester. Das macht sich durch leicht nachlassende Motivation und Konzentration, nicht ausreichende Vorbereitungsarbeit und unbegründetes oder durch schwache Ausreden erklärtes Fehlen bemerkbar. Auch die großen Erfolge der Belvederer Musiziergemeinschaft verhindern nicht, dass die wöchentlichen „normalen“ Proben manchmal als lästige Pflicht empfunden und entsprechend lustarm absolviert werden. Den Hauptgrund für solche Motivationsmängel sehen die Leiter wie auch die Schüler in dem außerordentlichen Leistungsdruck durch die gymnasialen und musikalischen Anforderungen.

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X 1991 – 1996

An Nachgeborene Auf Euphorie folgt Katzenjammer – keine neue Erfahrung im Lebenslauf der Musikausbildungsstätte mit den wechselnden Namen. Knapp vier Jahrzehnte waren vergangen, seit die Begeisterung über die Ankunft in der neuen Heimat Weimar der Enttäuschung von Heimatlosen wich. Jetzt, im Sommer 1991 herrscht die befreite Aufbruchstimmung, in einer neuen Menschenordnung seinen Platz zu finden. Dabei gibt es schmerzreiche Zusammenstöße, weil häufig das Kriterium der Ordnung vor und auch zwischen den Menschen postiert zu sein scheint. Im Herbst 1952 wurde die Fachgrundschule für Musik von Hettstedt nach Weimar umgesiedelt. Kurz zuvor waren administrativ die Länder zu Bezirken umstrukturiert worden. In der zentralistisch regierten DDR stellte diese Verwaltungsreform eine nur im Prinzip einfache, in der planwirtschaftlichen Realisierung eine sehr komplizierte Transaktion dar. Der deutsch-deutsche Vereinigungsprozess hingegen, der im Sommer 1990 begann, offenbart sich als historische Jahrhundertaufgabe von beispielloser Dimension, deren Bewältigung noch lange nicht beendet ist. Die Transformation der „Spezialschule für Musik der Hochschule für Musik ‚Franz Liszt‘ Weimar“ zum „Musikgymnasium Schloss Belvedere“ in enger Verknüpfung mit der Entwicklung der Weimarer Musikhochschule bildet ein winziges Partikel dieses Prozesses. Den aktiv an diesem Vorgang Beteiligten, häufig durch die Eigendynamik der Entwicklung überrascht und in unerwartete Verantwortung katapultiert, gebührt dankbar höchste, zugleich kritische Achtung. Im besten Glauben und Wollen dabei handelnd Irrende verdienen anerkennungsreiche Nachsicht für ihre singuläre Aufbauleistung, auch für möglicherweise dem rasenden Einigungstempo geschuldetes Versäumen.

Bauherren und Grundrisse Das Ministerium für Kultus und das für Wissenschaft und Kunst hatten gemeinsam einen Lösungsvorschlag erarbeitet. Ab August 1991 zeichnet jedes für die Entwicklung der jeweils ihm unterstehenden, nun eigenständigen Institution verantwortlich. Die Absprachen sind protokolliert, finden jedoch zu diesem Zeitpunkt keine verbindliche Fixierung, nicht zuletzt, weil nicht alle Gestaltungsprobleme

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29 Abiturienten 1992 nehmen Abschied von Belvedere

schon vorhersehbar sind. Das betrifft vor allem den Kernpunkt der Zusammenarbeit, die Spezialbildung der künftig als „Jungstudenten“ von Hochschullehrern zu unterrichtenden Gymnasiasten.1 Die Neustrukturierung der Musikhochschule kann analogen Modellen aus den alten Bundesländern folgen. Der Aufbau eines Spezialmusikgymnasiums stellt ein Pilotprojekt dar. Es gibt für die Kultusministerin und ihre Berater keine Blaupause. Christine Lieberknecht und Dr. Ulrich Fickel, Neulinge in Ministerämtern, werden von erfahrenen Staatssekretären und dazugehörigen Stäben beraten, zur Amtshilfe für den „Aufbau Ost“ aus Alt-Bundesländern delegiert, vorrangig aus Bayern (Kultus) und Hessen (Wissenschaft/Kunst), seltener auch aus BadenWürttemberg. Die Ressorts Bildung, Kultur und Wissenschaft einschließlich ihrer Gesetzlichkeit unterstehen in der Bundesrepublik der Länderhoheit. So gelten in Bayern auf diesen Gebieten andere Gesetze als in Hessen. Selbst wenn die Gesetzesinhalte ähnlich sein mögen, ist deren verbale Ausdrücklichkeit nicht identisch. So treffen als Anregungen für das neue Bundesland Thüringen differenzierende, auch divergierende Gesetze und Verordnungen aufeinander. Verwirrungen, gar Kollisionen sind programmiert. Ministerin und Minister sprechen hochdeutsch, auch thüringisch, beide aber kein Juristendeutsch.

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Für die Universitäten und Hochschulen in Thüringen gilt seit 13. Mai 1991 das „Vorläufige Thüringer Hochschulgesetz“ und die darauf basierende „Evaluationsordnung für die Thüringer Hochschulen“ vom 6. Juni 1991. 2Ein Konzept des Deutschen Wissenschaftsrates vom 24. Januar 1992 und der „Erlass zur Personalstruktur“ für die Hochschule vom 4. Februar 1992 geben konkretisierende Vorgaben für Leitung und Lehrpersonal, neue Anstellungsverhältnisse im Personalbereich zu installieren. Am Jahresende wird der „Thüringer Landeshochschulplan“ Vorläufiges festzurren. Konkret bedeutet das für die in Weimar bisher angestellten Lehrkräfte, ob Professoren, Dozenten, Oberassistenten oder Assistenten beiderlei Geschlechts, dass sie sich auf die nach bundesdeutschem Regelwerk gültigen Stellen der C4-, C3-, C2und C1-Professuren und die Positionen der künstlerischen oder wissenschaftlichen Mitarbeiter bewerben können, wie sie in der Personalstruktur vorgesehen sind. Vor einem Entscheid durch das Ministerium muss in zwei Stufen ihre personelle und fachliche Eignung bewertet werden. Bis zu diesen Entscheidungen sind alle Zuordnungen von Hauptfach-Hochschullehrern auch für die zu unterrichtenden gymnasialen „Jungstudenten“ nur vorläufig. Die Prozesse der Entscheidungsfindung, ob positiv oder negativ, ziehen sich bis Ende 1993 hin – eine lange Zeit der Ungewissheit, für Hochschulrektor Marggraf und Gymnasiumsleiter Haak ebenso wie für die Jungstudenten-Schüler und das Lehrpersonal. Bis zu diesen Entscheidungen lebt auch jeder sich bewerbende Hochschullehrer, jede zu evaluierende Hochschullehrerin in einer existenziell unsicheren, seelisch stark belastenden Situation. Die persönliche Eignung wird durch eine Personalkommission festgestellt, die sich paritätisch aus Hochschulangehörigen und Vertretern der demokratischen Öffentlichkeit zusammensetzt. In Weimar gehört ihr u.a. ein Wissenschaftler und ein Pfarrer an. Die Begutachtung der fachlichen Qualifikation im Hinblick auf die jeweilige Stelle nimmt eine Fachkommission vor, in der Professoren vor allem auswärtiger Hochschulen gegenüber wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studierenden dominieren. Für jede Bewerberin, jeden Bewerber ist das eine völlig ungewohnte, vielfach schwer zu bewältigende Situation. Basierend auf Lebensläufen, ergänzt durch Gutachten, auch kontrastiert durch Angriffe und Beschuldigungen stehen Lebenshaltungen unter einem autoritären Regime zur Diskussion und auch zur Disposition. An der Weimarer Hochschule hatten überdurchschnittlich viele Lehrkräfte das SED-Mitgliedsbuch besessen, aus Überzeugung, aus Verblendung, aus Druck, aus Anpassung, aus Karrieregründen. Jeder und jede muss nun erst einmal sich selbst Rechenschaft über Bestehen, Lavieren oder Versagen ablegen, bevor er oder sie der ebenso diktaturerfahrenen Kommission Antworten geben kann. Die fachliche Eignung ist gewiss eher objektiv bewertbar. Sich aber nach manchmal lebenslang unbefragter Lehrtätigkeit plötzlich weitgehend fremden kompetenten Fach-Gutachtern

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zu stellen, bringt dennoch nicht wenige Lehrkräfte, die seit Studentenzeiten über Jahrzehnte nur eine Weimarer Brille tragen, in schwer zu verarbeitende Konflikte. Der Start zum Evaluationshürdenlauf wird überhaupt nur dann freigegeben, wenn der Bewerber an Eides Statt durch Unterschrift bekundet hat, nicht mit den Organen der DDR-Staatssicherheit zusammengearbeitet zu haben. Da kann manche gar nicht antreten, fällt mancher aus dem Procedere heraus, überraschend, stillschweigend, kommentarlos, leider nur selten von klärenden Gesprächen, eher von Geraune und Getuschel begleitet. Die Aufarbeitung persönlichen Verhaltens unter staatsautoritärem Druck geht nicht ohne Verletzungen vor sich, auch nicht ohne manche subjektive Ungerechtigkeit, nicht mehr aber wie zu DDR-Zeiten im Raum objektiver Rechtlosigkeit. So entwickelt sich für Rektor Professor Dr. Wolfgang Marggraf ( Jahrgang 1933) und die Hochschulleitung der Aufbruch ins verheißene Land demokratischer Freiheit vorrangig zu einer Expedition durch schwer überschaubares, von Gipfeln und Abgründen bestimmtes Terrain bundesrepublikanischer Gesetzlichkeit unter den juristischen Besonderheiten freistaatlich thüringischer Topografie, durchzogen zudem von den manchmal schlammig sickernden, manchmal wild brausenden Gewässern lokaler Ordnungsprovenienz. Die endlich herrschende Pressefreiheit erlaubt Journalisten und Leserbriefschreibern dröhnende mediale Begleitung. Die Kanzlerin, Anfang 1992 aus Gießen als juristische Expeditionsbegleiterin nach Weimar gezogen, hat beste Erfahrungen mit Kartenmaterial aus dem Land Hessen, die zuständige Referentin des Wissenschaftsministeriums schwört auf solches aus dem Freistaat Bayern. Ein daraus entstehender Dauerkonflikt ist für die Thüringer Hochschule nicht gerade förderlich. Marggraf, ein anerkannter Musikwissenschaftler, dessen Forschungsakzente bei Verdi und Puccini mehr einen emotional geprägten Künstler als den profunden Paragrafenanalytiker erkennen lassen, fühlt sich bei divergierenden Orientierungen zu Route, Tempo, Stationen oder Begleitmannschaft häufig hin- und hergerissen. Er ist verwaltungstechnisch und juristisch völlig unvorbereitet im Dezember 1990 in sein hohes Amt gewählt worden. Menschlich integer sucht er zu vermitteln, ersetzt aber dabei nicht selten Ausgleichen durch Ausweichen. Auch der Verbindungsweg zwischen der Hochschule und ihrer ehemaligen Exklave „Spezialschule für Musik“, dem jetzt selbständigen Rayon „Spezialgymnasium für Musik“ auf Belvedere erweist sich nicht als gerade Straße. Er ist unübersichtlich, holprig, voller Schlaglöcher, führt nicht selten in Sackgassen; hin und wieder liegen Tretminen herum. Die Steuermänner auf beiden Seiten machen es sich gegenseitig, den ihnen anvertrauten Weggefährten und auch sich selbst bei der Annäherung nicht immer leicht.

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Geburtswehen Das Thüringer Ministerium für Kultus (später: Thüringer Kultusministerium – TKM) besitzt bereits Anfang Mai 1991 für die weiterführende Entwicklung der ehemaligen DDR-Spezialschulen in Thüringen ein produktives Konzept. „Das Spezialgymnasium für Musik ist für Thüringen eine einzigartige Einrichtung, an der Kinder eine hervorragende Instrumentalausbildung erhalten und die allgemeine Hochschulreife erwerben.“3 Durchgängig und konsequent wird die Verantwortung des TKM in bezug auf Schulaufsicht, gymnasiales Verordnungssystem, Stundentafeln und Personalfragen betont. Dazu zählt auch die Festlegung: „Für das Spezialgymnasium wird ein Schulleiter berufen (Ausschreibung).“ 4 Hochschulpädagogen drängen Haak zur Bewerbung. Am 8. August überbringt ihm der Weimarer Schulamtsleiter Manfred Lott im Auftrag des TKM die Berufung. Den bisherigen Direktor trifft dieser Entscheid hart. Angesichts seiner unstrittigen Verdienste empfindet Heß ihn als persönliche, womöglich gar politisch motivierte Demütigung. Er will den Rechtsgrundsatz nicht akzeptieren, dass ein Gymnasium einzig von einem durch relevante Studien, Abschlüsse und Erfahrungen qualifizierten Pädagogen des allgemeinbildenden Schulsektors geleitet werden darf. Gekränkt verweigert er dem korrekt bestellten Nachfolger eine klärende Aussprache und den Amtszugang. Schließlich übergibt der Hausmeister den Schlüssel. Rektor Marggraf muss auf Intervention der Ministerin nachdrücklich aufgefordert werden, umgehend für eine allseitige und ordnungsgemäße Übergabe der bisherigen Hochschulabteilung an den berufenen Schulleiter der ab 1. September 1991 eigenständigen Institution „Spezialgymnasium für Musik“ zu sorgen.5 Von Stund an besitzt Wolfgang Haak die Schlüssel für diese Institution. Er gehört ihr als Gymnasiallehrer für Physik und Mathematik an und steht ihr als Schulleiter vor. Damit trägt er mit einem Schlag die volle Verantwortung für Verwaltung, Internate, Verpflegung, Unterricht, ein neu zusammenzustellendes Kollegium, die Kooperation mit der Hochschule, die Kommunikation mit zuständigen städtischen und Landesbehörden, mit Eltern, Bewerbern, für weiter zerfallende Gebäude, für tausenderlei Kleinigkeiten, die sich nur selten als solche erweisen und, richtig, auch für rund einhundertfünfzig meist Internats-Schüler, die Anfang September erwartungsfroh auf Belvedere erscheinen werden, frisch und erstmalig zu Gymnasiast/innen gekürt. Haak stehen zur Bewältigung dieser Herkulesaufgabe außer einer Sekretärin keinerlei Mitarbeiter zur Seite. Die Erledigung fast aller Verwaltungsvorgänge war bisher Sache von Hochschulangestellten gewesen. Jetzt landen die Vorgänge am Gymnasium, die Angestellten aber bleiben an der Hochschule, einschließlich des gesamten Aktenbestandes. Auf Haaks Schreibtisch stapeln sich Berge an Papieren,

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darunter nicht wenige Rechnungen. Eine Schreibkraft-Bewerberin erbarmt sich eines Stapels, damit die Tischplatte wieder sichtbar wird, probehalber. Sie bleibt, unersetzbar, mehr als anderthalb Jahrzehnte. Weit mehr Raum aber als die Rechnungsstapel nimmt auf dem Schreibtisch wie im Bewusstsein des Schulleiters ein mächtiges Schriftenwerk ein: das Schulgesetz. Es wächst täglich an Seitenzahl, Paragrafenmenge, Quer- und Rückverweisen, Anund Verordnungen. Über allem thront das Gesetz. Jeder Artikel in jeder seiner Verlautbarungen zeigt mit Paragrafenfingern drohend auf den Hauptverantwortlichen – den Leiter des Gymnasiums. Sie weisen nachdrücklich vor allem auf die Exzellenz eines Gymnasiums – das Abitur, die Erteilung der Hochschulreife. Das TKM wacht äußerst akribisch, auch misstrauisch, weil es sich um ein Spezialgymnasium für Musik, eine bis dato unbekannte gymnasiale species handelt. So erweist sich die beglückt begrüßte Neugeburt ungewollt als Sorgenkind. Noch zu DDR-Zeiten hatte die Kombination der exquisiten Spezialbildung mit der Möglichkeit, das Abitur abzulegen, neue Interessenten werben sollen. Von Direktor Heß 1988/89 eher skeptisch beäugt, vom Stellvertreter Haak herbeigewünscht, ist aus dem Wunsch Wirklichkeit geworden; die aber steckt durch die Doppelbelastung von Abiturstufe und musikalischer Hochleistung voller Fallstricke. Jeder einzelne Knoten muss mühsam aufgeknüpft werden. Dabei sieht sich der Schulleiter einsam auf sich gestellt. Schulgesetz und Schulordnung offenbaren aber durchaus auch Potentiale, die von wohlgesonnenen Ministerialen dem gymnasialen Sonderling zugeführt werden. Einzig im Freistaat Thüringen widmet die Schulgesetzlichkeit innerhalb eines eigenen Abschnitts zu Spezialschulen mehrere Paragrafen der Institution „Musikgymnasium“. Jetzt, zu Beginn des Experiments akzeptiert das TKM erst einmal modifizierte Stundentafeln von Klasse 5 bis Klasse 12. Die Klassenstufe 9 wird auf zwei Jahre gespreizt, um den Schülern die Erfüllung der immens hohen, musikalischen Anforderungen zu ermöglichen.6 Ad hoc muss ein Lehrerkollegium zusammengestellt werden, das die zahlenmäßig gewachsenen wie inhaltlich neuen Ansprüche realisieren kann. Für Bruch- und Integralrechnung gelten immer noch dieselben Gesetze, Weltgeschichte aber wird ohne marxistisch-leninistische Brille anders interpretiert. In Literatur werden Romane von Pasternak und Solschenyzin diskutiert, auf deren Besitz in den Siebziger Jahren Exmatrikulation stand. Das TKM realisiert seinen Vorsatz, dass bei „der Auswahl … auf besonders qualifizierte Lehrer (der bisherigen Spezialschule) zurückgegriffen werden“ sollte.7 Es urteilt nicht pauschal nach dem Parteidokument und nimmt auch positiv differenzierende Interventionen von Schülern ernst.8 Aber an einer Schule ohne Abiturzugang gab es nicht nur „besonders qualifizierte Lehrer“ nach neuen Maßstäben. Russischlehrer sind jetzt weniger gefragt, dafür Fachpädagogen für Religionslehre. Mancher Neu-

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zugang kommt in dieser Zeit der Wirren eher zufällig zustande. Enttäuschungen gibt es auf beiden Seiten. Die Arbeit auf dem Belvedere ist anstrengend, nicht nur wegen der Entfernung. Plattenbauschulen sind stabiler als jahrhundertealte Kavalierhäuser. Die besonderen Ferientermine erschweren Familienurlaubsplanung. Die kreativen und hochbelasteten Schüler sind im Prinzip pflegeleicht, in ihren individuellen Ansprüchen aber auch unbequem. Bis 1999 wird es einen fünfzigprozentigen personellen Wechsel geben. Dabei steigt die Zahl künstlerisch geeigneter Schüler sprunghaft an und überfordert damit zugleich weit die Internatskapazität – eine weitere Hürde. Haak klappert in und um Weimar mögliche Objekte ab. Manche Schule ist abgewickelt worden. An der Straße nach Ettersburg steht ein Internat leer. Der Zustand ist akzeptabel, die Entfernung eigentlich unzumutbar. Es muss irgendwie weitergehen. Er greift zu. Der Zwang zur ständigen Improvisation bringt ihn wie etliche andere aufbauwillig vorandrängende Leiter auch außerhalb des reinen Schulrechts in gefährliche Nähe von Gesetzesbrechern und Verordnungsmissachtern. Welches Angebot darf er annehmen? Wie geht es weiter, wenn er den Mietvertrag nicht unterzeichnet? Er hat keinen juristisch beratenden Kanzler. Eine Verwaltungsleiterin wird Belvedere erstmals 1997 zuerkannt. Er ist vereidigt, grundsätzlich immer alle gültigen Gesetze zu beachten. Grundsätzlich? Immer? Alle? Wer kennt sie alle? Ein Schulmann aus Bayern empfiehlt ihm aus lebenslanger Erfahrung, beim Studieren und Beherzigen der relevanten Gesetzes- und Verordnungstexte nicht auf den Wildwuchs und das dornige Gestrüpp der Formeln zu starren, sondern nach dem Licht zu suchen, das durchschimmert. Hin und wieder schimmert es, selten wärmt es sogar ein wenig.

Grundsatzfragen Haak ist privilegiert. Er darf, er muss ein Pilotprojekt zum Erfolg führen. Nur im engen Verbund von Gymnasium und Hochschule kann das Experiment gelingen. Gerade hier aber schlummern Gefahren. Es kann auch scheitern. Ein Fundamentalgebot für das exakte Abitur ab sofort seitens des TKM hier, ein unverrückbar formulierter Forderungskatalog nach künstlerischen Höchstleistungen seitens der Hochschule da – der Schulleiter muss fürchten, zwischen diesen Walzen als der einsam Verantwortliche zerquetscht zu werden. Unpräzise formulierte Vereinbarungen zwischen den Ministerien, persönliche Animositäten zwischen alten und neuen Leitungen, aufreibende Kämpfe aller Partner an zahllosen Fronten legen Nerven blank, lassen aus schlaflosen Nächten Fluchtgedanken erwachsen. Haak folgt ihnen nicht. Beharrlich, verbissen, ja, stur stemmt er sich gegen drohendes

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Scheitern, glücklicherweise. Er weiß, dass der Gefahrenherd tiefer liegt, also von innen her beseitigt werden muss. Beide Partner, Gymnasium und Hochschule scheinen inzwischen unterschiedliche Ziele im Blick zu haben. Revolutionäre Träume und Gedanken des Aufbruchs sind nicht spurlos im Gestrüpp von Gesetzlichkeiten hängen geblieben. Wolfgang Haaks Visionen über „gänzlich neue Modelle für Spezialschulen“ waren nicht ins Blaue geträumt.9 Im Frühjahr 1990 hatte er sich aus pragmatischer Amtsverwaltung zurückgezogen, um in einem umfangreichen Grundsatzpapier seine Vorstellungen von einem „Belvederer Modell“ zu entwickeln.10 Der Hochschullehrer Hermann Sprenger, langjährig als Musiktheoretiker und Chorleiter spezialschulerfahren, als Komponist mit dem Lyriker Haak schöpferisch verbunden, ergänzt dessen pädagogisches Konzept fachspezifisch durch kritische Überlegungen.11 Bei Diskussionen Anfang Juli stoßen ihre Konzepte vor allem bei erfolgreichen Instrumentallehrern auf teilweise heftige Ablehnung. Erst spät nimmt die Hochschulleitung von den Überlegungen Kenntnis. Anfang August 1991 empfindet sie diese, durch Haaks Leitungsberufung in den Status des Realisierbaren gerückt, plötzlich als Bedrohung des gemeinschaftlich zu verantwortenden Pilotprojekts. Wo liegt die Bedrohung? Haak und Sprenger anerkennen aus eigener Erfahrung die großen Leistungen der „Spezialschulen für Musik“ der ehemaligen DDR, die überraschenderweise gerade durch Musikpädagogen und Bildungspolitiker aus den westlichen Bundesländern als nachahmenswert gelobt werden. Sie unterziehen aber die verengt pragmatische Zielorientierung einer kritischen Bewertung. Die DDR-Kulturpolitik verfolgte mit den Spezialschulen staatsegoistische Ziele. Sie sollten für InstrumentalistenNachwuchs sorgen, um die immer größer werdenden Lücken in den zahlreichen Orchestern zu schließen. Sie sollten analog zum Nachwuchssportler-Boom Spitzensolisten heranziehen, die das Land international vertreten können. Beide Ziele waren auf Ansehensgewinn gerichtet, dienten repräsentativen Zwecken. Die oder der Einzelne war dabei vorrangig als auszubildendes Objekt eingeplant. Dass den meisten der so Ausgebildeten auf diesem Weg eine befriedigende, gar beglückende Berufslaufbahn beschieden wurde, ist unbestritten, dass den Herausragenden unter ihnen bedeutende und grenzöffnende Karrieren eröffnet wurden, bleibt ebenso verdienstvoll. Das Verdienst daran gebührt den jungen Künstlern und ihren Lehrern, die sich nicht als Objekte manipulieren ließen. Haak und Sprenger plädieren dafür, dass im Mittelpunkt einer vergleichbar hochwertigen Ausbildung das Kind, der heranwachsende junge Mensch als individuelles Subjekt steht. Sie plädieren dafür, dass nicht der Preis im Wettbewerb das Ziel ist, sondern der Weg zu ihm. Sie plädieren dafür, dass die junge Künstlerpersönlichkeit ihre Begabungen ungezwungen altersgerecht entwickeln, ihre spezielle

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instrumentale Begabung auf einem bunten Feld vielfältiger musischer Anregungen eigenständig entfalten kann. Sie plädieren für eine künstlerische Gymnasialausbildung, die nicht eine Laufbahn über die Musikhochschule zum Musikerberuf zwingend vorbestimmt, sondern ein weites Spektrum individuell selbst zu bestimmender Lebenswege offeriert. Sie plädieren dafür, die Ergebnisse der Begabungsforschung, die Erkenntnisse über Entwicklung und Problematik von Hochbegabten, besonders auf musikalischem Gebiet zu diskutieren. Grundsätzlich plädieren Haak und Sprenger dafür, alle nach Jahrzehnten geistiger Bevormundung und ideologischer Indoktrination endlich erlaubten Fragen zu äußern, auch Bewährtes auf den Prüfstand zu stellen. Die aus dieser Debatte erwachsende Antwort soll dann den Ausschlag geben, was ausgedient hat und was bleiben soll. Ist das bedrohlich? Mitglieder der Hochschulleitung und etliche Hauptfachlehrer empfinden es so. Wie nicht wenige Menschen in diesen aufregend unsicheren Zeiten wünschten sie am liebsten, alles an Hoch- und Spezialschule bliebe so wie bisher, nur ohne SED und Stasi. Fragen werden aus Furcht vor den Antworten ungern gestellt Die Besorgnis der Hochschulleitung hat pragmatische Gründe. Die im Vergleich zu anderen, auch West-Hochschulen üppige Personalausstattung, besonders die mit attraktiven C4-Professuren auf instrumentalem Gebiet ist dadurch gerechtfertigt, dass die Hochrang-Professoren eben auch Jungstudenten aus dem Gymnasium unterrichten. Fielen diese fort – und diese Auswirkung wird dem „Belvederer Modell“ unterstellt –, würde der kostbare Stellenplan unterminiert. Aber Haak und Sprenger wollen nicht Stellenpläne ändern, sondern Denkweisen, wollen nicht Stundentafeln zur Diskussion stellen, sondern eingefahrene Gewohnheiten, auch Hierarchien, doch nicht solche von Personen sondern von Werten. Über all das lohnte es den Austausch. Der findet so nicht statt. Ersatzweise werden schier unerfüllbare Forderungen gestellt, wird über Ferientermine gestritten, über Stundeneinteilungen, über Kosten, die das Gymnasium verursacht, über den Namen des gymnasialen Kindes. Der Rektor beharrt auf dem Begriff „Spezial“, will damit die Kontinuität zur „Spezial“-Schule betonen, ängstlich, es kämen sonst mit der gewohnten Bezeichnung auch die gewohnten Beziehungen unter den Hammer. Doch der Begriff „Spezialschule Belvedere“ tönt aus der Phase zwischen 1965 und 1981 auch mit einem diskriminierend dumpfen Nachhall. Haak setzt sich energisch für „Musikgymnasium Schloss Belvedere“ ein, an Konzepte des großen Musikerziehers und Bildungspolitikers Leo Kestenberg aus den 1920er Jahren erinnernd.12 Er möchte, dass „Musik“ vereinend den Ton anschlägt. Als der Rektor den neuen Kultusminister Althaus ersucht, dem Schulleiter die Bezeichnung „Musikgymnasium“ zu untersagen,13 hat das TKM diese längst sanktioniert.14 Sie gilt bis heute, ergänzt durch die Statusanzeige „Staatliches Spezialgymnasium“.

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Während sich die Exekutive in Silbenstecherei übte, hat die Legislative längst gehandelt. Konzilvorsitzender Dr. Huschke fabriziert Nägel mit Köpfen und zwingt am 20.9.1991 in einer „Konzilkommission Musikspezialgymnasium“ (noch eine Namensvariante) die Partner Hochschule und Gymnasium zusammen. Das Ergebnisprotokoll führt die gegenseitigen Verpflichtungen in der bei Huschke gewohnt exakten Übersichtlichkeit auf und gibt den Staffelstab an eine paritätisch besetzte „Gemeinsame Kommission“ weiter. Er appelliert daran, dass das Pilotprojekt „nur durch eine wirklich gemeinsame Arbeit mit hohem beiderseitigen Verständnis … eine gute Chance hat. Kompetenzgerangel, Eifersüchteleien und fehlende Gleichberechtigung beider Teile schaden letztlich allen Beteiligten, vor allem den Kindern und Jugendlichen, für die wir eine hohe Verantwortung zu tragen haben.“15 Die Kommission, der hochschulseitig Gabriele Sauer (Akkordeon/Gitarre), AnneKathrin Lindig (Streicher), Reiner Heimbuch (Bläser) und Helmut Heß (Tasteninstrumente) angehören, sucht und findet, erringt und konkretisiert im Geiste dieses Aufrufs vertretbare Kompromisse. Der Vorschlag des Gremiums, Gabriele Sauer zur ersten „Beauftragten des Rektors für die künstlerische Ausbildung am Spezialgymnasium“ zu ernennen, wird bestätigt. Doch etliche Kollegen aus den „klassischen“ Disziplinen Violine, Violoncello und Klavier machen der jungen Gitarristin die Arbeit nicht leicht, entziehen sich geringfügigen Aufgaben bei der demokratischen Mitarbeit, ignorieren sie und von ihr einberufene wichtige Beratungen.16 Umso energischer klemmt sie sich hinter die Vorbereitungen für den nächsten Wettbewerb „Jugend musiziert“, der Anfang Juni 1992 in Nürnberg, Fürth und Erlangen ausgerichtet wird. Erschöpft und zufrieden kann sie berichten, dass „Belver“ wieder je vier erste und zweite Preise errungen haben. Dann gibt sie ihr Amt dem Rektor zurück. Seit Wochen ziehen sich neue schwarze Wolken über Belvedere zusammen. Sie bezweifelt, genügend Standfestigkeit zu besitzen, in schwerem Gewitter zu bestehen.

Déjà vu Meteorologische Hochs und Tiefs werden seit Jahren mit wohlklingende weiblichen und männlichen Vornamen angekündigt. Das über Belvedere im März 1992 niedergehende Gewitter trägt den prosaischen Namen „sofortige Schließung“. Obschon über Jahrzehnte der Verfall der Gebäude zu verfolgen, das Leben, Lernen, Unterrichten, Üben, Musizieren in zerbröckelnden Ruinen unzumutbar geworden war, trifft das Verdikt wie ein Blitzschlag. Gleich drei Kommissionen attestieren den drohenden Kollaps in Hinblick auf Bausicherheit, Brandschutz und Hygiene.17

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30 Ersatz-Gebäude in Weimar Internat Merketalstraße 48 Kindergarten „Paradies“ (jetzt: „Sonnenschein“) „Heinrich Rau“-Schule (jetzt HerderSchule) Mensa Nordstraße 9 Internat Nordstraße 11 (von oben nach unten)

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Schlechten Gewissens lassen sie sich den Kompromiss abringen, eine Galgenfrist bis zum Schuljahresende zu gewähren. Wieder setzt sich Wolfgang Haak aufs Fahrrad. Das TKM hatte ihm nach Ablauf des Probehalbjahrs amtsbestätigend das Vertrauen ausgesprochen. Wenigstens in dieser Hinsicht stabilisiert kann er auf noch holprigen Straßen von Stadt und Landkreis nach geeigneten Übergangslösungen suchen. Übergang wohin? Für welche Zeit? Geschichte wiederholt sich nicht. Im Sommer 1953 musste ein Direktor Della Guardia auf ganz ähnlicher Suche die Stadt abklappern, vom gleichen Zwang getrieben, von gleichen Misserfolgerlebnissen gepeinigt.18 Für dessen Fahrrad allerdings besaß der Begriff „abklappern“ geräuschvoll konkreten Sinn. Haaks Rad rollt nicht mehr auf Hartgummireifen. In Weimarer Neubaugebieten stehen Bildungseinrichtungen leer. Immer noch verlassen Familien die Stadt in Richtung der Altbundesländer. Andere suchen Wohnungen im Stadtzentrum, in der Südstadt oder ziehen auf Dörfer der Umgebung. In Weimar-Nord könnte eine Schule, die vor Zeiten den Namen des DDR-Wirtschaftlenkers Heinrich Rau trug, Klassenräume bieten; in Weimar-West wären zwei verwaiste Kinderkrippen als Internatsprovisorien verfügbar: „Märchenland“ und „Paradies“. Die Namen verheißen mehr als sie halten können. Das „Paradies“ bleibt als allerletzte Notlösung für den Übergang in Reserve, eine Krippe eben. Haak sucht nach Alternativen, sucht Verbündete, zuerst beim Partner Hochschule. Beim Nachbarn Dr. Büttner im Belvederer Schloss findet er wenigstens Gehör. Ein Geburtstagsständchen, überraschend von Musikgymnasiasten dargebracht, hatte den als knallhart bekannten OB zu Tränen gerührt und außer den Ohren auch das Herz geöffnet. Er verspricht nichts, aber ab sofort denkt er nach, kurbelt er. Das TKM bietet eine Lösung an, die alle Probleme mit einem Mal beseitigen könnte. Eine Schwestern-

schule in Bad Berka ist geschlossen worden. Die Gebäude böten Platz; selbst Chor und Orchester könnten in der Aula proben und Konzerte geben. Das Ministerium legt ein Umbau- und Finanzierungskonzept in Millionenhöhe vor. Die Kurstadt wäre glücklich über diese attraktiven Neusiedler. Dem Schulleiter erscheint das Angebot verführerisch. Busse und Bahn verkehren regelmäßig zwischen den Nachbarorten. Wenigstens für den Übergang? Seinen vielen Fragezeichen hinter dem Ü-Wort antworten noch mehr Ausrufungszeichen hinter Protesten von Lehrkräften, Schülern und Eltern. Zu Recht warnen sie davor, dass dann die musikalische Ausbildung durch Hochschulprofessoren und Staatskapell-Instrumentalisten und damit die sinnstiftende Einmaligkeit der Schule in des Wortes harter Bedeutung auf der Strecke bliebe.

Fata morgana? So zwischen lauter unglückliche Alternativen gedrängt, trifft Haak vor dem Belvederer Schloss auf Büttner, der gerade in den Urlaub fahren will. Geschichte wiederholt sich nicht. Aber so wie Della Guardia 1953 durch die Belvederer Harfenistin Marianne Lang in letzter Minute den Auszugstermin des Theaterinstituts erfahren und so den Plan für die „Hausbesetzung“ hatte in Gang setzen können, so bewegt

31 Containerkomplex Steinbrückenweg 2

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auch diese Begegnung das weitere Schicksal der Musikausbildung auf dem Berg. Weimars Oberbürgermeister formuliert – in kurzen Hosen – eine Erklärung, mit der sich die Stadt verpflichtet, einen Ersatzstandort für das Musikgymnasium zu stellen. Haak rast radelnd und ebenfalls in kurzen Hosen zum Rathaus, um einen Bogen des notwendigen Amtspapiers herbeizuschaffen. Büttner unterschreibt, nimmt den Kopf voller Ideen und das Telefon mit in den Urlaub. Haak hat schwarz auf weiß eine Entscheidung der Stadt in der Hand. Zur Sicherung betreibt er Vorbereitungen für einen möglichst ordnungsgemäßen Schulbeginn in Weimar-Nord und Weimar-West. Auch die Variante Bad Berka bleibt in der Hinterhand. Die Zahl der Fragezeichen hinter dem Ü-Wort ist kleiner geworden. Urlaubsbraungebrannt setzt Büttner die Ideen um. Die verlassene Industriebrache des vormals VEB EOW am Steinbrückenweg direkt an der Ilm belästigt Bewohner wie Besucher der Klassikerstadt durch ihren schändlichen Anblick. Sie liegt auf städtischem Grund und fordert zum Abriss auf. Das wäre die Basis; es fehlen nur noch Gebäude. Mit zu leasenden Containerbauten einer bayerischen Firma hat der OB bei einer Klinikerweiterung beste Erfahrungen im Hinblick auf kurze Baufristen gemacht. So offeriert er dem TKM einen Gesamtplan, vom Schulleiter durch Auflistung von Funktionen und Schülerzahlen konkretisiert, und findet in Staatssekretär Hermann Ströbel einen engagierten Fürsprecher, der auch für eine Finanzierung durch das Land keine Probleme sieht. Mitte September könnte begonnen, als Fertigstellungstermin der 31. März 1993 in die Kalender eingetragen werden. Das rettende Ufer scheint nahe. Der Ersatzbau im Ilmbogen kann über Jahre eine tragfähige Lösung bieten, bis das Gebäudeensemble auf Belvedere in Gänze saniert worden ist – Zukunftsmusik derzeit noch, aber wenn Musiker nicht mehr träumen, zumal in so aufbruchreichen Zeiten, wer dann! Stunden vor Schuljahresbeginn reißt ein scharfer Trommelwirbel alle aus ihren Träumen. Das Erfurter Ministerium kann den Containerbau nicht bezahlen. Zwar können die älteren Schüler in Internaten im Merketal und in der Ettersburger Straße unterschlüpfen. Unterricht kann in der Rau-Schule abgehalten werden. Doch für die Sekundarstufe I bliebe nur die Krippen-Notlösung. Durch Weimar fegen Septemberstürme. Am 4. muss die Schulleitung die jüngeren Schüler erst einmal ausladen. Am 5. kursieren in der Stadt Gerüchte, die Schule würde geschlossen. Am 7. sendet der Belvedere-Verein einen Hilferuf an den Oberbürgermeister; die älteren Schüler protestieren öffentlich. Am 12. versammelt Haak die Eltern auf Belvedere. Am 14. appellieren diese an Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel, am 16. an Kultusminister Althaus. Am 21. verpflichtet sich OB Büttner gegenüber dem Land, Sponsoren zu finden. Am selben Tag fasst das Kabinett einen rettenden Grundsatzbeschluss zum Erhalt des Gymnasiums und teilt die Verantwortung zwischen Land und Stadt.

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Parallel zu diesen Ereignissen auf höchster Ebene wird am 7. September das „Paradies“ noch einmal auf Internatstauglichkeit überprüft. Dort muss eine Versorgung rund um die Uhr gewährleistet sein, eine Unterkunft für die Erzieher geschaffen werden. Die Toiletten sind für Dreijährige eingerichtet. TKM und Schulamt versprechen jegliche Unterstützung, finanziell, bei der Ausstattung, für Baumaßnahmen. Auch Toilettenbecken für Achtklässler sind in der Marktwirtschaft problemlos lieferbar, morgen, wenn nötig. Am 10. erscheint in der „Thüringischen Landeszeitung“ ein Foto mit der Überschrift „Paradies für Belvedere“. Am 15. werden Klaviere aus der Hochschule in die Krippe transportiert. Am 17. meldet Schulleiter Haak dem Bildungsdezernenten: „Heute beginnt der Unterricht.“19 Am selben Tag richtet Wolfram Schiecke „angesichts der gegenwärtig dramatischen Situation am Musikgymnasium“20 an Leitung und Senat der Hochschule einen dringenden Appell zur Unterstützung. Als Schüler und erfolgreicher Violinpädagoge seit 1960 mit Belvedere aus jeder Perspektive eng vertraut, hat er in dieser Krisensituation die Verantwortung für die künstlerische Arbeit übernommen. Seine vordringlichste Aufgabe, regelmäßig musiktheoretisches wie instrumentales Unterrichten und Üben für 150 Schüler, dazu kontinuierliche Probenarbeit für Orchester, Chor und Kammermusikgruppen zu ermöglichen, gleicht der Quadratur des Kreises. Die jetzt zur Verfügung stehenden vier Gebäude, über die Außenbezirke der Stadt verteilt, sind weder von der Ausstattung noch akustisch musikkompatibel. Nur wenn die Professoren in der Hochschule zusammenrücken, ihre Stundenpläne maßschneidern, nur wenn die Staatskapelllehrer in ihren Privatwohnungen unterrichten, kann sich der musikgymnasiale Sinn exquisiter Spezialbildung erfüllen. Gerade in dieser komplizierten Situation trifft viel erfreuliche Post ein. Belvederer Wettbewerbs- und Konzerterfolge haben im In- und Ausland Neugier geweckt. Anfragen zu freien Schulplätzen und Eignungsprüfungen kommen nicht nur aus den westlichen Bundesländern, sondern auch aus Frankreich und Russland, aus Skandinavien und Vietnam. Die Bewerber müssen vertröstet werden. Mitte Dezember erst wird Baufreiheit für die Arbeit am Steinbrückenweg gewährt. Doch dann sind geradezu täglich die Fortschritte zu besichtigen. Die Schulleitung hat sich im Bachhaus auf dem Berg den Bürostützpunkt bewahrt. Die Baustelle liegt für sie ebenso am Wege wie für die im Hochschulinternat Merketalstraße untergebrachten Schüler. In Abständen informiert die Lokalpresse fotografisch über den Fortgang. Die konsequenten Quadraturbemühungen von Wolfram Schiecke und vielen Pädagogen strömen mit den aufgeregten Erwartungen der Gymnasiasten zusammen. Den kompliziertesten Bedingungen setzen Lernende und Lehrende ein „Nun erst recht!“ entgegen. Weimar schickt beim 30. Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ Anfang Juni in Darmstadt fünfundzwanzig „Belver“ ins Rennen. Dreiund-

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zwanzig kommen mit Urkunden über sieben erste, dreizehn zweite und drei dritte Plätze zurück. Die weiter wachsende Zahl von Anfragen nach freien Schulplätzen müssen nun nicht mehr abschlägig beschieden werden. Auch nach strengen Eignungsprüfungen werden für das Schuljahr 1993/94 dreißig Neue aufgenommen. Platz wird für alle vorhanden sein.

Steinbrückenweg 2 Steinbrückenweg: eine gute Adresse, der Name ist Programm. Stein – Brücke – Weg: jeder einzelne Namensteil kennzeichnet existenzentscheidende Eigenschaften in dieser Entwicklungsphase der Schule. Stein – der Begriff assoziiert Härte, aber auch Festigkeit, Zuverlässigkeit, Tragfähigkeit. „Die Stadt hat Wort gehalten“, mit diesen Worten lädt OB Büttner die Schulleitung zur Schlüsselübergabe am 7. August ein.21 Die Bauten stehen: hinter dem Eingang rechts das Schulhaus, rechtwinklig wie ein „L“ geknickt, der lange

32 Schlüsselübergabe am Steinbrückenweg 2 Wolfgang Haak, Dr. Klaus Büttner, Herr Regnauer (Chef der Container-BauFirma) Frau Uhmann, (TKM) (von rechts nach links)

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Schenkel schirmt zum Steinbrückenweg hin ab. Auf der anderen Seite des Tores bietet die Mensa, flachbedacht wie alle Gebäude, Raum auch für Proben und Zusammenkünfte. Dahinter staffeln sich zur Ilm hin drei Internatsgebäude und das langgezogene Übungshaus. Noch nie in der nun vierundvierzigjährigen Geschichte des Instituts sind alle Bereiche des Lebens, Lernens, Übens so konzentriert an einem Platz miteinander verbunden gewesen. Der Platz ist nicht groß, die Räume sind nicht weit. Aber alle sind zusammen. Die Stadt ist nahe. Durch die weiten Anlagen des Ilmparks zur Hauptfachstunde zu gehen, ist weit mehr Genuss als Anstrengung. Noch ist Ferienzeit zwischen Schlüsselübergabe und Schulbeginn. Transporte können Möbel und Instrumente aus dem „Paradies“ und anderen Provisorien umquartieren. Alles ist eingerichtet, als am 16. September neue und erfahrene Schüler, Eltern, Minister, Stadträte und viele andere Gäste zu Einweihung kommen. Was für ein Beginn auf welch stabilem Fundament, vergleicht man ihn mit den unsicheren Anfängen auf schwankenden Planken in den vergangenen zwei Jahren. Die Tragfähigkeit des Fundaments resultiert auch daraus, dass nun die Beziehungen zur Musikhochschule solide festgeklopft werden. Seit dem Vorabend ihres 121. Geburtstages, dem 23. Juni 1993 hat die Hochschule einen neuen Rektor. Der Musikdidaktiker Professor Dr. Wolfram Huschke ( Jahrgang 1946) hatte beim demokratischen Neuaufbau des Instituts nach 1989 von verschiedenen Plätzen aus entscheidend mitgewirkt. Nun kann er die nächsten Aufbauprozesse hauptverantwortlich leiten. Das „Musikgymnasium Schloss Belvedere“ ist in die Architektur seiner Hochschule eingebunden, als autonomer Baukörper, aber vielfältig mit ihr verflochten. Mit dem Rektorenwechsel verbunden ist auch ein Wechsel in der Künstlerischen Leitung des Gymnasiums. Die junge Geigen-Professorin Anne-Kathrin Lindig übernimmt den Staffelstab von Professor Schiecke, in Belvedere lern- und lehrerfahren wie dieser, allerdings von günstigerer Position aus startend. Erstmals wird im April eine Rahmenvereinbarung zwischen beiden Schulen formuliert, ergänzt durch exakte Festlegungen zu Prüfungen, speziell solchen der künstlerischen Eignung, zu Stundentafeln und Schulordnung.22 Eine Orchestersatzung komplettiert das stabilisierende Regelgefüge. 23 Die Orchesterarbeit erfährt aus verschiedenen Richtungen weiter aktivierende Impulse. Die komplexe Gebäudestruktur erleichtert die Probenarbeit ungemein. Kommunikation ergibt sich wie von selbst. Die abgeschlossene Evaluation hat den Lehrkörper als ganzen wie jeden seiner individuellen Teile gefestigt. Endlich können Neuausschreibungen erfolgen. Die erste Neuberufung erreicht den DirigierProfessor Nicolás Pasquet. Der aus Uruguay Stammende, aus der Sicht des Geigen- wie des Dirigentenpults Erfahrene übernimmt voller Elan die Leitung des

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Gymnasiumsorchesters, das sich kontinuierlich aus Kammerbesetzungen zu einem ausgewachsenen sinfonischem Klangkörper entwickeln kann. Nicht nur das Weimarer Konzertpublikum kann sich von diesem Prozess überzeugen. Im Auditorium einer Festveranstaltung zur zwanzigjährigen Mitarbeit der Bundesrepublik in den Vereinten Nationen im DNT hört Ministerpräsident Bernhard Vogel aufmerksam zu. Vertrauensvoll übergibt Rektor Huschke dem Gymnasiums-Orchester auch das Konzert zur Eröffnung des Internationalen Musikseminars. Die jungen Musiker dürfen den Staroboisten Ingo Goritzki und den Weltklassegeiger Yfrah Neaman begleiten; sie erfahren nicht nur durch das internationale Publikum, sondern auch von „ihren“ Solisten hohes Lob.

Weg Der Weg ist das Ziel, nicht erstrangig der Preis. Mit dieser Devise hatte Schulleiter Haak die Diskussionen um die Philosophie einer musikgymnasialen Ausbildung streitbar angefeuert. Dass die Erfahrungen auf diesem Weg Erfolge bei Wettbewerben nicht mindern, sondern eher vertiefen und erweitern, bestätigt sich in diesen kräftigenden Jahren am Steinbrückenweg. Nur ein gutes halbes Jahr nach dem Einzug wird dem Gymnasium am 19. April 1994 wie nur drei anderen Thüringer Instituten die Bezeichnung „Unesco-Projekt-Schule“ verliehen. Der Name ehrt und verpflichtet. Das Konzert im Weimarer Nationaltheater, die musikalische Gestaltung der zentralen Festveranstaltung für die Vereinten Nationen in der Noch-Bundeshauptstadt Bonn durch Weimarer Gymnasiasten sind dabei eher als schmückendes Rankwerk zu betrachten. Zum Beispiel erhoben wird ein bei aller Spezialisierung auf Ganzheitlichkeit gerichtetes Gesamtkonzept, werden die hohen Leistungen in der Allgemeinbildung, wird vor allem der Einsatz der Schülerinnen und Schüler für Projekte helfender Solidarität im scheinbar kleinen lokalen wie im internationalen Rahmen. Nach der Phase der Wirren tritt langsam Zeit und Muße ein, um sich systematisch einer weiteren Aufgabe zu nähern, die in der Diskussionsphase um eine neue Spezialschule umstritten gewesen war. Die wertvollste Schatz dieser Schule liegt in ihren Individuen, ihren Schülerinnen und Schülern. Sie sind künstlerische, musikalische Hochbegabungen. Sie bedürfen einer besonderen Pflege und Entwicklung. Zahllose pädagogische, methodische, erzieherische, instrumentaltechnische Erfahrungen aus Jahrzehnten, auch in Belvedere gesammelt, sollten untersucht, befragt, mit neu geprüfter Überzeugung angewendet, modifiziert, variiert werden. Eine verallgemeinernde Hochbegabtenforschung gab es in der DDR nicht. Nun kann der führende deutsche Forscher auf diesem Gebiet, Professor Dr. Hans Günther Bastian zum Vortrag und Gedankenaustausch nach Weimar eingeladen werden.

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33 Mozartspaziergang im Park von Belvedere 1994

Die instrumentalen Hochschullehrer, Hauptadressaten der Erkenntnisse, glänzen zwar durch Abwesenheit, doch am Gymnasium selbst brechen bestätigende und fragende Überlegungen auf. Die junge Musikwissenschaftlerin und Psychologin Regina Lorek gehört durch ihre zahlreichen Besuche am Steinbrückenweg schon fast zur Schule. Für die Arbeit an ihrer Dissertation findet sie hier ein reiches Untersuchungsfeld.24 Es ist die erste wissenschaftliche Arbeit zur Hochbegabtenforschung auf dem Gebiet der Musik, die ihre Erkenntnisse aus der Untersuchung einer breiten, vergleichbaren, aber durchaus nicht homogenen Gruppe ziehen kann. Ihre Fragen und Erhebungen setzen bei Pädagogen und Schülern Diskussionen und Selbstreflektionen in Gang, bereichern den Weg mit überlegenswerten Markierungen. Stoff zur Auseinandersetzung der einzelnen Hochbegabten mit sich selbst, von Hochbegabten untereinander, in der Partnerschaft von Hochbegabten mit den sie leitenden Pädagogen, im Klassenkreis wie im Austausch mit Juroren und Publikum bietet ein neuer, ein „Innerschulischer Wettbewerb“. Der wird anfangs leicht skeptisch befragt; so ganz nach „innen“ gerichtet, scheinbar ohne lockende Außenwirkung, wo soll da ein Nutzen liegen? Man kennt sich doch sowieso. Anderthalb Jahrzehnte später ist der fördernde Animator aus dem Leben des Musikgymnasiums nicht mehr fortzudenken. Gerade auf dem Weg nach innen erschließen sich Wege

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nach außen, zum Werk, zur Interpretation, zum Podium, zum Publikum, zu seinen Mitschülern und zu sich selbst. Hier auf dem Weg liegt der wahre Nutzen, der ehrliche Ertrag. Magnifizenz Huschke leitet die Jury. Der eher zu ironischen Apercus Neigende kann nicht selten bei beglücktem Lächeln ertappt werden. Nicht zuletzt hat sein ungeduldiges Drängen gegenüber dem Wissenschaftsministerium, endlich die Evaluation abzuschließen, den Instituten und den Pädagogen neue existenzielle Sicherheit gegeben. Man kann es hören, wie sie sich in neuer Arbeitsfreude und Kreativität ausdrückt. Huschke schiebt auch bürokratische Hürden beiseite und führt die gewiss nicht unkomplizierte, jedenfalls aber unschätzbare pädagogische Energie der Pädagogin Sigrid Lehmstedt wieder den jüngsten Tastentalenten zu. Sechzigjährig war sie noch nach DDR-Verordnung in den Ruhestand verabschiedet worden. Schüler und Eltern hatten so hartnäckig wie vergeblich für ihre Weiterbeschäftigung interveniert. Durch das neue Rektorat wird ihr jahrelang „illegales“ Wirken wieder vertraglich legitimiert. Die Klavierjunioren danken mit Preisen. Selbst nun Rektor, in gewiss schweren, aber doch ideologiebefreiten Zeiten arbeitend, weiß Wolfram Huschke das Wirken seines Vor-Vorgängers Diethelm Müller-Nilsson umso mehr zu schätzen. Ihm ist bewusst, welche Kraft in welch aufrechter Haltung in vorrevolutionär finsteren Zeiten aufzubringen war, um durch den eigenen Glauben an die Potentiale der jungen „Adler“ diese zu immer erfolgreicheren, immer weiteren Schwüngen motivierend zu beflügeln. Auf Huschkes Antrag verleiht der Senat 1996 Altmagnifizenz Professor Dr. Diethelm MüllerNilsson 1996 die Würde eines Ehrensenators: ein in der Hochschullandschaft der ehemaligen DDR wohl einmaliges Zeichen.

Brücken Brücken überwölben Gewässer oder Straßen. Die Steinbrücke muss Festigkeit beweisen, als im April 1994 die Ilm ungewöhnlich breit über die Ufer tritt. Die Container ragen wie Inseln aus den Wassermassen heraus. Gummistiefel und Schlauchboote werden für ein paar Tage wichtiger als Geigen und Lineale. Brücken sind Übergänge, sie verbinden, mindestens zwei Punkte, ein Woher und ein Wohin. Die Brücke Steinbrückenweg 2 verleiht der Schule und ihren lernenden und lehrenden Bewohnern nach den Jahren unsicheren Vagierens zunehmend innere und äußere Festigkeit. Aber sie bleibt eine Brücke. Der Weg kam vom Belvedere hinunter. Wohin führt er? Gewiss, der offizielle Name verheißt es programmatisch: Musikgymnasium Schloss Belvedere. Ist das aber nicht chimärische Musik, verführerisch geblasen auf der Flöte der Illusionen, nach Noten mit Seifenblasenköpfen?

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34 Das neue SchulgebäudeFundament (im Hintergrund: „Gasthof“)

Die Schüler, die Lehrer, die Weimarer ahnen es nicht – längst sind Brückenbauer am Werk, die dem Wohin eine Richtung geben. Bereits im Frühsommer 1992 – die Schließung der Kavalierhäuser ist bis zum Sommer vertagt –, erwähnt OB Büttner in einem Brief an Schulleiter Haak ein Gespräch mit Hilmar Kopper, dem Vorstandssprecher der Deutschen Bank in Frankfurt am Main, bei dem er am 19. Mai erfolgreich um Gelder für eine zentrale Heizungsanlage geworben hatte. Scheinbar unverfänglich harmlos ersucht er Haak um eine Auflistung von Funktionen und geschätzten Kosten für ein Internatsgebäude.25 Das Gespräch, durch den Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann vermittelt, wird durch einen privaten Spaziergang Büttners mit Kopper durch ein sonnig strahlendes Belvedere Mitte August ergänzt. Als sich am 21. September Weimars Oberbürgermeister gegenüber

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dem Land verpflichtet, nach Sponsoren Ausschau zu halten, hat er eine bekannte Adresse im Blick. Er weiß um die Absicht der Deutschen Bank, ein Zeichen zu setzen, das der Kraft und Repräsentanz des führenden Finanzinstituts der Bundesrepublik entspricht. Die deutsche Vereinigung ist der Grund, das 125-jährige Gründungsjubiläum der Anlass für diesen Wunsch. An einem tristen Mittnovembertag klettert Haak mit dem OB und dem Gast aus Frankfurt über halb abgerissene Treppen, balanciert über brüchige Fußböden, kriecht durch faulig stinkende Keller. Kopper will alles sehen. Der Denkmalenthusiast ahnt hinter bröckelndem Putz ursprüngliche historische Schönheit, hört staunend von Büttner, dass hier noch vor kurzem Schüler gelebt und begeisternd Musik gemacht haben. Wieder in Frankfurt schlägt er seinen Vorstandskollegen vor, den beabsichtigten Beitrag der Bank zur deutschen Einheit in Belvedere zu realisieren. Die Förderziele des gesellschaftlichen Engagements der Bank, akzentuiert auf Bildung, Soziales, Kunst und Musik finden sich auf dem Berg bei Weimar mit dem vielversprechenden Namen vereint. Thüringen, bis vor kurzem noch Provinz des Teilstaats DDR, vom bundesrepublikanischen Nachbarn Hessen über Jahrzehnte durch eine unüberwindlich scheinende Grenze getrennt, ist wieder zu Deutschlands Mitte geworden. In der Mitte der deutschen Mitte also Weimar: Traditionsträchtiges Symbol für deutsche Geistesgeschichte. Zusätzlich wird aus Brüssel ein außergewöhnliches Pfund auf die Waagschale gepackt. Am 5. November entscheidet die Europäische Union, Weimar im Jahr von Goethes 250. Geburtstag zur „Europäischen Kulturstadt“ zu küren. Die Bemühungen des Stadtrates und der kulturellen Institutionen, von Theater, Staatskapelle, Architektur- und Musikhochschule, Museen, Klassikstiftung und weiteren künstlerischen und soziokulturellen Einrichtungen, nicht zuletzt von zahllosen Weimarer Kulturbürgerinnen und Kunstfreunden krönen die aus mutigen Visionen des Oberbürgermeisters erwachsene Bewerbung der Stadt mit Erfolg. Das neue Weimar rückt ins Zentrum in einem immer größer werdenden kulturbewussten Europa. Kopper kann also schlagkräftige Argumente auffahren, um das Vorstandsgremium für seine Vision zu gewinnen. Seine Darlegungen und sein berührt engagierter Vortrag überzeugen und führen am Jahresbeginn 1994 die Entscheidung herbei. In großer Diskretion werden zwischen Frankfurt, der Landesregierung in Erfurt, Weimar immer einbezogen, nicht unkomplizierte Verhandlungen geführt. Am 14. März gibt die Staatskanzlei das Ergebnis bekannt: „Die Deutsche Bank AG wird aus Anlaß ihres 125jährigen Bestehens den Neubau des Musikgymnasiums auf dem Gelände des Schlosses Belvedere in Weimar ermöglichen. Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel begrüßte die auf Initiative der Stadt Weimar zustande gekommene Zusage der Deutschen Bank AG als beispielhaft. Durch diese besondere Leitung könne das traditionsreiche, in Deutschland einzigartige Musikgymnasium im engen

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Verbund mit der Weimarer Hochschule für Musik weitergeführt werden. Zwischen den Vertretern der Bank, der Stadt Weimar und Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel wurde vereinbart, dass der Neubau auf dem landeseigenen Grundstück nach mit dem Land abgestimmten Planungen durch die Deutsche Bank möglichst bis Ende 1995 errichtet wird. Der Freistaat Thüringen wird dann den Weiterbetrieb des Gymnasiums übernehmen.“ 26 Die Weimarer Presse kann „Zurück nach Belvedere“ titeln, begeisterte Meinungen von Schülern zitieren und das Foto eines gelöst glücklichen Wolfgang Haak zeigen. Erlöst ist der auch vom Schweigeschwur; denn als sachkundig auskunftsgebender künftiger Nutzer wusste er natürlich längst um die hin- und herwogenden Entscheidungsprozesse. Die kühne Zeitplanung – „möglichst bis Ende 1995“ – war von zwei Daten geprägt. Mit der Eröffnung am 225. Geburtstag Ludwig van Beethovens Mitte Dezember wurde symbolträchtig ein spätestmöglicher Termin im Jubiläumsjahr der Bank anvisiert. Entsprechend exakt waren Vorplanungen in Angriff genommen, Ablaufpläne terminiert worden. Die Deutsche Bank tritt nicht nur als Finanzier in Erscheinung, sondern kann als Auslober eines Entwurfswettbewerbs und erfahrener Bauherr Entstehungs- und Bauprozesse beschleunigen. Sofort beginnen Voruntersuchungen zu Standort, Gebäuden, Denkmalschutz, Bodenbeschaffenheit, Baumbestand und anderen relevanten Kriterien. Ende März sind die drei Wettbewerber aus Berlin, Basel und Köln für ihre Entwürfe im Besitz aller Bestandsuntersuchungen.27 Keine zwei Monate später kann nach Ortsbesichtigung und Fachkolloqium, Vorprüfung in einem Gutachterverfahren und öffentlicher Diskussion das Obergutachtergremium die Entwürfe von Roger Diener (Basel) und Thomas van den Valentyn (Köln) mit Nachfragen und Auflagen für den Endausscheid auswählen, bei dem die Kölner Architekten die überzeugendsten Antworten geben. Da hat der Juni noch nicht begonnen.

Bauten Thomas van den Valentyn will zusammen mit seinem Kollegen und Mitarbeiter S.M.Oreyzi „den besonderen Ort einfangen“.28 Er ordnet Funktionen, Gebäude und architektonisches Verhalten sinnreich zueinander. Im denkmalsgeschützten ehemaligen Gasthof mit dem barocken Eingang sieht er den Sitz der Schulleitung. Auf den nur leicht zu vergrößernden Grundmaßen der abbruchreifen ehemaligen Stall- und Scheunengebäude will er Internate und Mensa um einen gemeinschaftsfördernden Innenhof bauen. So kann durch Maße, Höhen, Farben und Materialien der historische Dreiseithof assoziiert werden. An diesem traditionsverhafteten Ensemble

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entlang wandelt der Besucher über den Hauptweg hin zu Schloss und Kavalierhäusern auf historischen Pfaden. Die künftigen Bewohner sollen zum Arbeiten, Leben, Ruhen, Nachdenken, Kommunizieren eine konzentrationsfreundliche Innensphäre besitzen, nur wenige Schritte vom Park entfernt. Lernen und Musizieren, Phantasieflüge und Energiestürme verlangen nach Neuem, noch Ungedachtem, brauchen Luft, rufen nach Weite. Das Schulgebäude, ein ganz und gar neuer Bau, nicht auf alten Grundmauern errichtet, schaut durch große Fenster in alle Richtungen, lässt Helligkeit von überall her einströmen. Es wächst aus dem Erdreich und leuchtet in klaren Konturen weiß zur Stadt hin. Es soll in zwei Etagen die Klassenräume aufnehmen. Unten, nur über eine Wendeltreppe – oder einen hilfreichen Lift – erreichbar, wird sich die Arena des Konzertsaals ausdehnen. Die gestuften Ränge umschließen ein Oval, das an der Stirnwand durch eine gerasterte Fensterwand weit mehr geöffnet als abgeschlossen werden soll. Die Rundung des Ovals wird hinter der Glaswand liegen, außen im Grünen, wird den Blick über die Bäume bis in den Himmel heben. In einer frühen Version hatte ein kleiner Rundbau noch einen Kammermusiksaal und Räume für Kunsterziehung aufnehmen sollen. Diesen Funktionen wird nach einer zugleich einsparenden wie konzentrierenden Überarbeitung nun auch im Erdgeschoss des Unterrichtsgebäudes Platz eingeräumt.

Fortschreiten Diese Vorgänge können nur deshalb so staunenswert zügig und erfolgreich verlaufen, weil die Kompetenz des Bauherren in Frankfurt auf den ortsverbundenen, engagierten Sachverstand und Fleiß des Weimarer Architekten Dr. Lutz Krause und seiner Mitarbeiter im genauesten Wortsinn „bauen“ kann. Dessen gründliche Untersuchungen im Auftrag des Landes hatten bereits im Dezember 1992 begonnen. Auf ihnen fußte ein eigener Entwurf, der für die Wettbewerber nicht nur analytische Erkenntnisse, sondern auch kreative architektonische Denkanstöße liefern konnte. Für Lutz Krause wird in den knappen zwei Jahren bis zur Einweihung Belvedere zum Hauptwohnsitz werden. Sein Büro und das der Ingenieurgemeinschaft Harms & Partner werden vom provisorisch renovierten Haydnhaus aus als zentraler Kommandobrücke alle Baumaßnahmen leiten, werden Koordinatoren zwischen Bauherr, Land, Stadt und Nutzer sein. Krauses Liebe zum Ensemble Belvedere, sein Vertrautsein mit jedem Stein und jedem Dachziegel, sein denkmalpflegerisches Engagement sind zudem von unschätzbarem Nutzen, um zwischen den kühnen Visionen des entstehenden Baus und gewohnt skeptischen Weimarer Blicken von Verantwortlichen und Zaungästen zu moderieren.

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35 Architekt Thomas van den Valentin (im Hintergrund: Beethovenhaus)

Moderation ist umso mehr vonnöten, als noch vor Baubeginn Einwände des Denkmalamtes und der Stiftung Weimarer Klassik das Gesamtprojekt gefährden. Sie betreffen denkmalsichernde Details, zielen aber vor allem auf die architektonische Gestalt des Schulgebäudes. Animositäten gegenüber avantgardistischer Baukunst scheinen mehr oder minder fröhliche Urständ zu feiern, so wie schon in den Zwanziger Jahren provinzieller Traditionalismus mit dem Bauhaus kollidierte und es nach Dessau verjagte. Die Verbeugung des Architekten van den Valentyn vor dem Geist dieser weltweit berühmten Architekturschule, seine schöpferische Verwandtschaft mit der „Weißen Moderne“ verstört manchen Klassikfreund. Harmonie mit dem verspielten Rokokoschloss wird vereinfachend als Angleichung erwartet, nicht als vitale Korrespondenz über Baujahrhunderte hinweg akzeptiert. Der Bauherr erwägt, sich zurückzuziehen, der Freistaat identifiziert sich total mit dem progressiven Entwurf und lässt keinen Bauverzug zu. Enthusiasmus und Skepsis, Aufbruch und Zögern bestimmen die Blicke von Belvedere-Besuchern. Die potentiellen Nutzer, Schüler und Pädagogen ahnen, dass ihre künftige Heimstatt im Kulturstadtjahr 1999 zu einem Brennpunkt der musikalischen Ereignisse werden kann, sie selbst als Gastgeber und Mitwirkende mittendrin. Neugierige sehen auf der Baustelle und in

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der ganzen Umgebung des Schlosses verständlicherweise nur das chaotisch erscheinende Vorläufige. Doch nicht zufällig wurden in der Pressemitteilung der Staatskanzlei Freistaat, Stadt und Musikhochschule in ihrer ideellen und materiellen Verantwortlichkeit benannt. Parallel zu Abriss, Erschließung und Neubau von Dreiseithof, Gastwirtschaft, Remise und Turnhalle werden die Kavalierhäuser auf Landeskosten saniert. Die Musikhochschule wird nach und nach 1997 die Ausbildung für Gesang ins Beethovenhaus und die für Gitarre ins Bachhaus, im Jahr 2000 die für Akkordeon ins Haydnhaus verlegen. So kann sie sich eines Teils ihrer eigenen drängenden Platzprobleme entledigen. Mit der Sanierung des Wagnerhauses war ein Anfang gesetzt worden. Nach zwei Bauetappen 1991 und 1995 kann das modern eingerichtete „Studiotheater Belvedere“ Unterrichtsmöglichkeiten bieten, wie sie einst das „Deutsche Theaterinstitut“ in den kühnsten Träumen nicht hatte erahnen können. Nicht nur in den Sommermonaten lädt es in den phantasievoll verwandelbaren Zuschauerraum zu Aufführungen der Opernschule mit Werken von Purcell bis Puccini, Monteverdi bis Strawinsky, Mozart bis Kurt Weill ein. 29 Das vierte Kavalierhaus wird in dieser Phase erst einmal nur im Außenbereich saniert werden, um den Gesamteindruck zu komplettieren. Es ist aber kein Bau in Potjomkinscher Tradition. Nach 2000 wird das Mozarthaus als Übungshaus für das Musikgymnasium ausgebaut werden, wird einen großen Arbeitsraum für Rhythmik und Chor stellen und im halbrunden ehemaligen „Pferdestall“ eine Turnhalle aufnehmen. Noch Zukunftsträume, aber alle wissen, dass sie nicht Schäume bleiben werden. Einer kann das Wachsen auf dieser Großbaustelle – und auf zahlreichen anderen in „seiner“ Stadt – vor Ort nicht mehr persönlich erleben. Dem Mann, der Entscheidendes für Weimar in Gang gesetzt, die Stadt auf die europäische Bühne gestellt hat, Klaus Büttner gibt eine ausreichende Menge von Wahlbürgern im Mai 1994 durchaus demokratisch und dabei höchst undankbar den Laufpass. Wenigstens die Musikhochschule vergisst Büttners waghalsige Rettungstaten für das Musikgymnasium nicht und ernennt ihn im April 2006 zu ihrem Ehrensenator.

Endspurt Mehr als vierzig Jahre währten die Kämpfe gegen den inneren und äußeren Verfall des Belvederer Gebäudeensembles, von Direktoren und Rektoren seit 1952 unterschiedlich energisch ausgefochten. Minimale Fortschritte durften hoffnungsvoll begrüßt, immer deutlicher durch die Mauern und Dächer dringende Rückfälle mussten resigniert registriert werden.

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36 Das neue Schulgebäude – Wachstum

Die Wiedergeburt der alten, der Bau der neuen Häuser für das Musikgymnasium muss anteilnehmenden Besuchern, jetzigen und ehemaligen Schülern und Lehrern wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht vorkommen. Von der Presseinformation der Staatskanzlei bis zur Einweihung werden keine achthundert Nächte vergehen, schon gar nicht verträumt werden. Eine Gesprächsrunde im Weimarer Rathaus am 22. September 1994 legt für diesen Zeitraum Verantwortlichkeiten und Termine fest. Gastgeber ist nun OB Dr. Volkhardt Germer, der sich engagiert bemüht, die Visionen seines Vorgängers umzusetzen. Mitte Dezember wird die Baustelle eingerichtet. Am 4. Januar 1995 zeigt die „Thüringer Allgemeine“ ein Foto erster Abbrucharbeiten. Am 15. April wird der Grundstein gelegt, am 5. Juli die Richtkrone aufgezogen. „Belver“ kommen nur zu gern vom Steinbrückenweg auf ihr altes, neues „Belv“, um diesen Zusammenkünften auf durchgewalktem, aufgeweichtem, holperigem Arbeitsgrund mit strahlenden Tönen festliches Gepräge zu geben. Der Grundsatz, dass in jedem Falle höchste Qualität der Vorrang vor symbolträchtigen Terminen einzuräumen ist, veranlasst dazu, die Einweihung von einem vermutlich frostigen Dezembertag 1995 auf das Frühjahr 1996 zu verlegen.

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Am 13. April strahlt die Sonne. Lauter frohgestimmte Menschen finden sich im Konzertsaal des neuen Schulgebäudes zusammen, der Thüringer Ministerpräsident, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, viele, viele, die Anteil haben, dass dieser faszinierende Bau entstanden ist, ein glücklicher Schulleiter, berechtigt gefeierte Architekten, ein ehemaliger und ein amtierender Weimarer Oberbürgermeister, alles, was im Weimarer Kulturleben Rang und Namen hat. Professor Gunter Kahlert dirigiert das Belvederer Orchester in Kammerbesetzung, damit im Auditorium der Platz für die vielen Gäste ausreicht. Festliche Musik, feiernde, dankbare, durchaus unkonventionelle Eröffnungsreden – nicht nur die Lauschenden, Schauenden, Staunenden empfinden, dass nichts üblich ist, an diesem Tag nicht und auch sonst nicht. Es ist ein außergewöhnliches Ereignis. Zeitungen von Hamburg bis München berichten über dieses „Wunder von Belvedere“. Damit meinen sie nicht „nur“ den Bau, nicht „nur“ das Außerordentliche seines Entstehens. Ausführlich berichten sie von den jungen Menschen, die hier leben, heranwachsen, musizieren, hart arbeiten werden. Für sie, für ihre Lehrer, ihre Erzieherinnen, für die Hausmeister und die Köchinnen, für ihr „Musikgymnasium Schloss Belvedere“ beginnt an diesem Frühlingstag ein neuer Lebensabschnitt.

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Namen

Das Institut, dessen Geschichte verfolgt und dabei – ungenau – Musikfachschule, Spezialschule, Musikgymnasium genannt wird, hieß und heißt offiziell 1949–1950 1950–1951 1951–1952 1952–1958 1958–1962 1962–1965 1965-August 1991

Musikschule Lutherstadt Eisleben Berufsvollschule für Musik Fachschule für Musik Eisleben – Hettstedt Musikschule Hettstedt Fachgrundschule für Musik Musikschule Weimar Fachgrundschule für Musik Franz-Liszt-Hochschule, Abt. Orchesterschule, Unterstufe Oberschulteil der Franz-Liszt-Hochschule Weimar Spezialschule für Musik der Franz-Liszt-Hochschule Weimar bzw. Spezialschule für Musik der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar

Zwischen 1972 und 1975 findet man auf Dokumenten und Briefbögen beide Varianten. September 1991–Juni 1992 Spezialgymnasium für Musik Schloß Belvedere seit Juni 1992 Musikgymnasium Schloss Belvedere Staatliches Spezialgymnasium seit November 2009 Musikgymnasium Schloss Belvedere Staatliches Spezialgymnasium Hochbegabtenzentrum der Hochschule für Musik franz liszt Weimar unesco-projekt-schule Die Kombination der Namen beider Institutionen dokumentiert die enge Verbindung zwischen Musikgymnasium und Musikhochschule.

Namen

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Quellen

Überregionale und regionale Archive - - - - - - - - - - - - -

Bundesarchiv Berlin Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Abteilung Magdeburg Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Abteilung Merseburg Stadtarchiv Eisleben Kreisarchiv Landkreis Mansfeld-Südharz Stadtarchiv Hettstedt Stadtarchiv Nordhausen Stadtarchiv Sangerhausen Stadtarchiv Erfurt Stadtarchiv Weimar Archiv der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig thüringisches landesmusikarchiv Weimar an der Hochschule für Musik Franz Liszt

Archive und archivale Bestände der relevanten Institute - -

archivale Bestände am Musikgymnasium Schloss Belvedere Verwaltungsarchiv der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar

Dieser Quellenbereich bedarf erläuternder Anmerkungen. Der Autor ist der Leiterin des Archivs, Dr. Irina Lucke-Kaminiarz und ihren Mitarbeitern Esther Schönberger, Jan Hoffmann und Thomas Wiegner für ihre außerordentlich hilfreiche Unterstützung zu großem Dank verpflichtet. Dokumente zur „Fachschule für Musik Weimar“ sind nur höchst unvollständig erhalten. Akten und Dokumente der relevanten schulischen Institute aus den Jahren 1949 bis 1958 sind, soweit sie überhaupt aufbewahrt worden sind, in den Aktenbestand der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar übergeben worden. Die Materialien der „Spezialschule für Musik“ als einer Abteilung der Hochschule gehörten seit 1.3.1958 zum archivalen Hochschulbestand. Diese Materialien haben ver-

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mutlich weitgehend das Schicksal erfahren, von dem Wolfram Huschke in seiner Hochschulgeschichte „Zukunft Musik“ berichtet: „Wie weitere Unterlagen aus den Jahren 1943–1989 wurden die gesamten Rektoratsakten 1943–1969 in der Hochschule 1991 vernichtet. Dabei waren auch Stellenpläne, Rektoransprachen 1950/51, „Kaderstatistik“ 1950–1965, Senatsprotokolle 1955–1960, ein Ordner „Studentenangelegenheiten (Republikflucht) 1961, ein Ordner zur 3. Hochschulreform 1969/70 und vielerlei interner Schriftwechsel.“1 Verbliebene Reste der die „Spezialschule für Musik“ betreffenden Materialien, darunter 213 Klassenbücher aus den Schuljahren 1954/55 bis 1989/90 und Arbeitspläne der Schulleitung für die Schuljahre 1968/69 bis 1978/79 wurden nach der Trennung dem Gymnasium übergeben. Das Fehlen einzig der Klassenbücher des Schuljahres 1959/60 lässt die Vermutung aufkommen, dass im Zuge des in diesem Zeitraums erfolgten Leitungswechsels auch eine Klassenbuch-Bereinigung stattgefunden hat. Von 1958/59 bis 1960/61 halbierte sich die Schülerzahl von 129 auf 66. In diesen Zeitraum fallen auch die Vorgänge des Ernteeinsatzes und des Fahnenappells von 1959 (siehe Kapitel VI und Exkurs „Oh Donna Clara“). Zahlreiche, in der vorliegenden Publikation ausgewertete Materialien bezüglich der „Spezialschule für Musik“ aus den Jahren 1982–1991 wurden dankenswerterweise durch Helmut Heß aus seinen Handakten zur Verfügung gestellt. Sie werden in Vereinbarung zwischen Herrn Heß und der Leitung des Musikgymnasiums zur Aufbewahrung in die archivalen Beständen des Musikgymnasiums eingeordnet. Der Gesamtbestand wird in dieser Publikation „Archiv Musikgymnasium Schloss Belvedere“ – „AMGSB“ – benannt. Vollständig liegen Akten, Schriftwechsel und Dokumente in den Beständen des Verwaltungsarchivs vor, die sich seit 1981 seitens des Rektors, der Prorektoren, des Verwaltungsdirektors und anderer Abteilungen mit Vorgängen bezüglich der „Spezialschule für Musik“ bzw. nach 1991 der folgenden gymnasialen Einrichtungen beschäftigen. Berufliche Lebensläufen konnten in bezug auf eine Reihe von Personen nur lückenhaft verfolgt werden. Die letzte nicht demokratisch legitimierte DDR-Regierung unter Hans Modrow hatte in einem Erlass interessierten Bürgern die Möglichkeit eingeräumt, ihre eigenen Personalakten/Kaderakten zu sichten und Dokumente aus ihnen zu entfernen. Außerdem konnten die bis zum Dezember 1989 gültigen Personalfragebögen durch neue ersetzt werden. Diese Bögen enthielten weitaus weniger Fragen und also auch Aussagen, vor allem zu den Biografien vor 1945. Die Sichtung und „Säuberung“ der Personalakten hatte unter Aufsicht zu geschehen und wurde durch eine Einverständniserklärung der Betreffenden bestätigt. 2 Ungeachtet dieser Kontrollmaßnahmen geschah in den „Zeiten der Wirren“ Ende 1989 auch Unkontrolliertes. So fand Wolfgang Haak, als Spezialschul-Lehrer über meh-

Quellen

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rere Jahre an der Musikhochschule angestellt, in seiner Personalakte einzig seinen Personalbogen vor. Alle anderen Dokumente, u.a. zahllose eigenhändig unterschriebene Protokolle von Gesprächen mit dem ehemaligen Direktor waren seltsamerweise verschwunden. Haak musste diese Beobachtung machen, während im Nebenraum der langjährige Direktor seine Personalakte „säuberte“. Dem Autor waren wegen dieser lückenhaften Quellenlage gerade bei der Darstellung der frühen Entwicklungsjahre Zeitzeugenberichte besonders wertvoll. Als nützliche, wenn auch wegen gewisser Subjektivität immer wieder zu hinterfragende Quelle erwies sich zudem die Chronik von Albert Paul.

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Exkurs

Zeitzeugen

Dieses Buch hätte nicht entstehen können, wenn nicht eine große Schar von Zeitzeugen aus den Anfangsjahren in Eisleben, Hettstedt und Weimar durch das Ausfüllen von Fragebögen, durch Übersenden zusätzlicher Dokumente und Fotos, durch ausführliche Briefe und e-Mails, in langen Telefongesprächen und persönlichen Begegnungen wirklichkeitspralle Auskünfte gegeben und lebendigen Zeitgeist vermittelt hätten. Dafür danke ich ihnen allen, – den Damen und Herren Elisabeth Bastian, Hans Baumeyer, Günter Bachmann, Prof. Ludwig Bätzel, Prof. Dr. Joachim Beetz, Lothar Böttge, Willi Buchmann, Nora Brenneke-Ameln, Prof. Peter Damm, Herbert Dietze, Karl-Heinz Duschl, Erig Einecke, Claus Gebauer, Horst Gläser, Dorothea Glöckner, Siegmund Goldammer, Werner Gorges, Heinz Gräbe, Christel Große, Eberhard Günther, Walter Günzel, Ina Heinrich, Rudolf Himmel, Reiner Höfer, Heinz Hoffmann, Reiner Hoffmann, Rolf Hübel, Sigrid Hütter, Richard Kahl, Herbert Kamprath, Gerlinde Karthäuser, Walter Karthäuser, Irmgard Kilian, Herbert Klausnitzer, Hannelore Köhler, Fred König, Herbert Kraft-Kugler, Wolfgang Kudritzki, Manfred Kühnemund, Werner Kunath, Jürgen Lahrtz, Karl Lipsius, Rolf Lukoschek, Kurt Mutschmann, Bernhard Neumann, Günter Neumann, Hermann Neumann, Alex Nickel, Gerhard Rensch, Horst Schunke, Reiner Siebert, Gerlinde Sokoll, Renate Stachorski, Georg Trautwein, Renate Ullmann, Helga Voigt-Bastian, Konrad Wendlandt, Gerhard Weiß, Dr. Gerhard Wilhelmi, Harri Wiele, Prof. Georg Zeretzke, Siegmar Zipprich. Besonders danke ich Herrn Klaus Guericke, der eine lebende Chronik der Anfangsjahre in Eisleben, Hettstedt und Weimar darstellt und unermüdlich den Zusammenhalt belebt. Herzlich bedanke ich mich auch bei Frau Ruth Della Guardia. Mein Dank gilt genauso all denen, die mit ihren Auskünften die wechselvollen Belvederer Zeiten haben erstehen lassen – den Damen und Herren Ilse Bach, Nora Buschmann, Siegfried Brauer, Volker Braun, Dr. Klaus Büttner, Prof. Ursula Dehler, Schwester Inge Duroldt, Dr. Felix Ecke, Juliane Erxleben, Ingrid Katzig, Erika Heide, Helmut Heß, Hilmar Kopper, Gerhard Knabe, Andreas Korn, Elke Krebs, Peter Krebs, Detlef Ladstädter, Prof. Volkmar Lehmann, Prof. Sigrid Lehmstedt, Ursula Lenk, Prof. Anne-Kathrin Lindig, Rolf Lukoschek, Werner Marzahn, Brigitta Nedorost, Dieter Neumann, Dr. Rudolf Neumann, Inge Niggeling, Gotthard Popp, Hanna Popp, Almut Ranft, Gudrun Riedel, Prof. Dr. Gerd Rienäcker, Brigitte Roth, Götz Schneegaß, Rudolf Scholz, Wolfgang Schulze, Till Sailer, Frauke Sprenger, Franz Stauche, Gerda Teufel-Zienicke, Rüdiger Tietz, Prof. Uwe Wand, Prof. Horst-Dieter Wenkel, Ruth Wollong, Prof. Reinhard Wolschina.

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Für Auskünfte zu den Exkursen Gitarre und Orchester bin ich den Damen und Herren Prof. Friedemann Bätzel, Prof. Ludwig Bätzel, Herbert Dietze, Christian Frank, Lancelot Fuhry, Prof. Gunter Kahlert, Sebastian Krahnert, Juri Lebedev, Joan Pagés Valls, Prof. Nicolás Pasquet, Barbara Probst-Polašek, Prof. Jürgen Rost, Prof. Monika Rost, Jochen Tutschku, Hermann Werner und Ingrid Wittenbecher zu Dank verbunden. Mein herzlicher Dank gilt der Schulgemeinschaft des Musikgymnasiums Schloss Belvedere, den Mitgliedern der Schulleitung, den Pädagogen und Mitarbeitern, den Schülerinnen und Schülern. Stellvertretend für alle „Belver“ – und wie bei allen Danksagungen in alphabetischer Folge und mit der Bitte um Pardon, wenn jemand vergessen oder übersehen worden ist –, danke ich namentlich den Damen und Herren Helene Haak, Wolfgang Haak, Gerold Herzog, Kathrin Hilpert, Lukas Klöppel, Brigitta Krause, Petra Laue, Friederike Merkel, Prof. Christian Wilm Müller, Armin Pribbernow, Thurid Pribbernow, Evelyn Richter, Annette Schicha, Kathrin Schneegaß, Barbara See­ rig, Steffi Steinhof.

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Exkurs

XI 1996–2009

Erinnerungsknäuel Für die große Pause ist eine Vollversammlung angesetzt worden. Warum schon wieder, fragt man sich; das Schuljahr 2009/ 2010 war doch gerade erst eröffnet, die „Neuen“, Schüler wie Lehrer waren vorgestellt, die nächsten Projekte benannt worden. Man raunt und tuschelt, während man die Wendeltreppe hinunter geht, sich auf den breiten Stufen im Eingangsoval rechts und links der Auftrittstreppe bequem einrichtet. Wer mögen die älteren Herrschaften sein, die Schulleiter Haak gerade begrüßt. Einen offiziellen Eindruck machen die nicht gerade. Studiendelegationen, hier keine Seltenheit, erfahrene „Belver“ wüssten sie cool einzuordnen – korrekte Ministerialbeamte, staunende Künstler, skeptische Pädagogen. Diese hier erinnern eher an liebenswerte Großeltern. Zeit zum Rätseln bleibt nicht; Erik kommt – Beifall, kameradschaftlich aufmunternd. Die Stufen zum Saal muss man erst einmal sicher hinuntergelangen, aufgeregt, wie immer vor Auftritten, dazu mit dem großen Akkordeon vor dem Bauch. Erik, zur Zeit der einzige Akkordeonist am Gymnasium, spielt eine heikle Sonate von Soler. Die unbekannten Besucher zwinkern sich anerkennend zu. Kräftiger Applaus von allen Seiten. Jetzt lüftet Schulleiter Haak endlich das Geheimnis: Vor sechzig Jahren, fast auf den Tag genau, am 12. September 1949 war in der Lutherstadt Eisleben eine „Fachschule für Musik“ gegründet worden. Aus der erwuchs, nach vielen Umzügen und Wandlungen, über wechselnde Namen, Orte und Gesellschaftssysteme das jetzige „Musikgymnasium Schloss Belvedere“. Es ist also eine kleine Geburtstagsfeier, zu der man sich am 15. September 2009 versammelt, und die Besucher, das „Fähnlein der sieben Aufrechten“, wie sie sich schmunzelnd bezeichnen, gehören zur Schülerschar der ersten Jahre. Einer, Klaus Guericke, in Weimar immer noch als Kirchenmusiker tatkräftig wirkend, hatte schon bei der Gründung in der Aula der Eisleber „Staatlichen Luther-Schule“ gesessen. Bach wurde damals gespielt, der erste Satz aus dem a-Moll-Violinkonzert. Guericke stellt seine Mitschüler vor, und plötzlich scheint der Geist von Belvedere über den Versammelten zu schweben. Die Heutigen, Lernende wie Lehrende, nehmen die Ehemaligen mit berührend herzlichem Beifall auf, begrüßen nicht nachlassend lange Jede und Jeden, Sigrid und Gerhard Weiß, Cellistin und Geiger, extra aus Dessau angereist, den Hornisten Günter Neumann aus Jena, zuletzt die Weima-

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37 Blick auf den Gesamtkomplex von Schulleitung („Gasthof“) Internat („Dreiseithof“) und Schulgebäude

rer, die Organistin Sylvia Förster und die Pianisten Professor Ludwig Bätzel und Elisabeth Bastian. Die Schüler sehen die Ehemaligen zum ersten Mal, aber in ihrer Begrüßung schwingt Verbundenheit, als wäre man längst miteinander vertraut. Sechs Jahrzehnte – für Zwölf- oder Achtzehnjährige eine schier unendlich lange Zeit. Die so freundlich aufgeschlossenen Besucher geben dieser Zeitspanne, um die Achse der Gegenwart in erlebte Vergangenheit zurückgedreht, ihre ganz heutigen, neugierigen, vitalen Gesichter. Gustav Mahlers Deutung von Tradition – Weitergabe des Feuers, nicht Anbetung der Asche – leuchtet aus erfahrenen Mienen, funkelt zwischen lebendigen Augenpaaren.

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Im Großen Saal des Gymnasiums sitzt man auf gestuften Traversen, kann sein Gegenüber ansehen, verstohlen oder direkt, kann Gemeinschaft spüren wie im antiken Theater. So wandern auch, als erstmals Ausschnitte aus einer im Entstehen begriffenen Schulgeschichte präsentiert werden, die Blicke über den Vorlesenden hinweg zu anderen Zuhörern. Vorgestellt werden Skizzen zu Schuljahresanfängen 1949, 1965, 1989. Wieder ziehen lange Erinnerungsfäden zu vergangenen Jahrzehnten, durchlebt von den Gästen und Etlichen aus dem Kollegium. Für die Schülerinnen und Schüler sind es Sagen aus den fernen Tagen vor dem Zeitenumbruch, bequem und knapp „Wende“ genannt. In diesem Oval begegnen sich Blicke und Gedanken der nachdenklich Zuhörenden. Sie treffen und verlassen, suchen und meiden sich, wandern zurück, träumen nach vorn, sind eingebunden in fordernde Gegenwart von Klassenarbeit und Prüfungsvorspiel. Aus Träumen, Erinnerungen, Überlegungen, Ängsten und Hoffnungen entsteht, unsichtbar, knisternd spürbar, ein alle umspannendes Netz. Das Oval des Raumes bindet die Kraftströme, löst sie auf, zieht sie wieder zusammen, lenkt Blicke und Gedanken unmerklich zur Apsis gegenüber, nach draußen, ins Freie, hinter die gerasterte Fensterwand. Für „Belver“ ist die Arena vor allem ein dichtes Knäuel erinnerter Ereignisse – euphorisch erlebte und aufgeregt selbstgestaltete Konzerte, angstschweißnasse Prüfungen und nervende Proben, langweilige Versammlungen und glamouröse Events, explosionsartige Akklamationen nach spannenden Wettbewerben und atemraubend stilles Sichbegegnen in sensiblen Lesungen. Es lohnt sich, Fäden herausziehen, sie nebeneinander zu legen und sinnträchtig neu zu verknüpfen. Ein vielfarbiges Flechtwerk sollte helfen, in andeutenden Umrissen, stabilisierenden Querungen und bereicherndem Rankenwerk den Organismus „Musikgymnasium Schloss Belvedere“ erlebbar werden zu lassen. Wer diese Fäden verfolgen will, wird sich allerdings bewegen müssen. Er muss hin- und herspringen zwischen den 1996 im neuen Haus geknüpften Anfängen, den in den folgenden Jahren entstandenen Knoten, um immer wieder in die Gegenwart zurückzukehren, in die Arena, in die Gemeinschaft der heute hier Versammelten.

Träume – Tränen – Töne „Sag mir, wie weit, wie weit, wie weit, wie weit willst du gehen?“ Für Lukas gibt es diese Frage seit früher Kindheit. Seine Antwort war, blieb und bleibt: immer mindestens einen Schritt weiter. Als er die Worte zum ersten Mal als Musiktext hört, ist er zwölf. Sie bilden den Refrain zur Erkennungsmelodie für eine Doku-TV-Serie über das Musikgymnasium – „Träume, Tränen, Töne“. Lukas ist einer von Fünfen,

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38 Feier zum „Zehnjährigen“ der neuen Schule April 1996 Hilmar Kopper (l), Dr. Klaus Büttner

die ein Schuljahr lang von Kamera und Mikrophon live auf Belvedere begleitet, auch verfolgt werden. Es ist nicht irgendein Schuljahr, es ist das erste, das Probejahr. Erst am Ende wird entschieden, ob es reicht, ob man bleiben darf, ob man wieder gehen muss. Die Kamera dokumentiert „nur“ die Lebenssituationen, Unterricht, Schlafen, Üben, Essen, Proben, Prüfungen, Auswertungen. Keiner weiß, was auf ihn zukommt, das Doku-Format wird ernst genommen.1 Hier im Saal wurden die Aufnahmen für den Vorspann gedreht. Lukas und Pauline, Johannes, Joshua und Han-Gyeol sollten tanzen, toben, total aus sich herausgehen, einfach „verrückt“ sein. Einfach? Gar nicht einfach. Sie sollten „schauspielern“, etwas „spielen“, sich selbst zwar, aber doch „verrückt“. Der Vorspann-Hit geht noch heute nicht aus dem Kopf. Der Text ist eine Lebensmaxime für Lukas geblieben. Der Junge aus Rockensußra bei Sondershausen ist seit dem ersten Lebensjahr stark sehbehindert, spielt seit dem vierten Geige, bald darauf Klavier und Orgel. Im Gymnasium besteht er das Geiger-Probejahr und erlebt vor laufender Kamera Prüfung und Ergebnisverkündung. Inzwischen ist er ganz zur Orgel gewechselt, erhält Unterricht bei Professor Michael Kapsner, übt auf dem Hochschulinstrument im „Palais“, auf Orgeln in Weimarer Kirchen und natürlich auf der hier im Saal. Jeden Sonntag gestaltet er zuhause musikalisch die Gottesdienste. Fünfzehnjährige Orga-

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nisten sind seit Zeiten des jungen Johann Sebastian Bach in Thüringen keine Seltenheit. Wie weit, wie weit willst du gehen? Lukas bleibt bei seiner Antwort: immer mindestens einen Schritt weiter.

Keine Superstars Die dreizehnteilige Serie wird ab Pfingsten 2008 an Samstagvormittagen im „Ersten“, dem ARD-Hauptprogramm für die ganze Familie ausgestrahlt. Wiederholungen in den „Dritten“ von MDR und NDR – ab Januar 2010 auch von RBB – erreichen am Nachmittag auch Ganztags- und Musikschulgruppen. Häufig wird Lukas in Weimar angesprochen: „Bist du nicht … ?“ Er findet Fanpost in der Mailbox. Er freut sich darüber, aber er fühlt sich keine Sekunde lang als Star. Er hat doch nichts Besonderes geleistet. Er hat nur erlaubt, dass Mikro und Kamera ihn beim Leben begleiten. Er wundert sich höchstens, dass Mailbox, Faxgerät und Briefkasten des Gymnasiums nach den Sendungen nicht von Bewerbungen verstopft sind. Auch Bettina Born erwartet nach einem positiven Publikums- und Medienecho auf die TV-Serie ein Anwachsen von Anfragen und Bewerbungen. Das bleibt in Grenzen. Die Pianistin war, vom Hochschulsenat beauftragt, als Künstlerische Leiterin der so energischen wie erfolgreichen Violinprofessorin Anne-Kathrin Lindig gefolgt. In gefestigten, zugleich lebendig sich bewegenden Schulstrukturen kann sie eigene Bewegungsakzente setzen. Die Professorin für Werkstudium weiß aus ihrer Arbeit vorrangig mit jungen Streichern, wie deren künstlerischer Fortschritt durch ihre Begleitung befördert wird. Nicht selten wird gerade für diese pädagogischkünstlerische Arbeit der Begriff „ackern“ gebraucht, welch treffender Ausdruck! Nur beim ersten Hinhören dominiert als Grundton „Mühsal“, dann entfalten voll und befriedigend Obertöne ihre Schwingungen: tiefes Pflügen, hoffnungsvolles Säen, aufmerksames Jäten. Es ist gemeinsames Ackern, das Saatgut der Begabung aber tragen allein die jungen Künstler in sich. Bettina Born sieht es darum als wichtigste Aufgabe an, vielseitig und hartnäckig das beste Saatgut in stetig wachsender Menge aufzuspüren. Gewiss, die Aufgabe ist nicht neu. Doch die Voraussetzungen, sie zu erfüllen, werden zunehmend schwieriger. Die Zahl der Bewerber sinkt allenthalben, vor allem aber die von Hochbegabten. Geringere Geburtenraten, abnehmendes Interesse der mittleren und jüngeren Generation für Liederabende, Sinfonie-, Kammermusik- und Orgelkonzerte, Abwahl des Faches Musik in Gymnasien, quantitative und qualitative Minderung des Musikunterrichts und Diskriminierung von Musikschülern in der Grundschule – die Liste ließe sich fortsetzen. Lukas ist wahrlich nicht der einzige Musikgym-

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nasiast, der sich in Belvedere glücklich fühlt, weil er nicht mehr von Mitschülern gehänselt wird, weil er sich mit „ernster Musik“ beschäftigt. In musikinteressierten Elternhäusern weiß man, wie gering bei einem Überangebot an gut ausgebildeten Musikern aus dem In- und Ausland die Chancen sind, sich eine lebenserfüllende Stelle zu erspielen. Der Rückgang an geeigneten Bewerbern aus Thüringen besitzt seine Ursache nicht zuletzt darin, dass im Freistaat kontinuierlich Orchester und Theater aus finanziellen Gründen geschrumpft, stelleneinsparend fusioniert oder gar ganz geschlossen werden. Erstmals im Schuljahr 2008/2009 stammen weniger als die Hälfte der Belvederer GymnasiastInnen noch aus Thüringen. Dafür rückt der Nachwuchs aus den Ländernachbarn Sachsen, Bayern, Sachsen-Anhalt und Hessen kräftig nach, selbst aus dem weiter entfernten Baden-Württemberg. Ost- oder West-Herkunft spielt keine Rolle, eher die Kilometer zum Elternhaus – oder auch der Bekanntheitsgrad des Belvedere an der Saar, in Kiel oder Stralsund, Bremen oder Hamburg? Das Musikgymnasium leidet keine existenzielle Not an Hochbegabten, aber es dürften gern auch noch mehr sein. Eine Steigerung der Bewerberzahlen von derzeit 60 bis 80 auf das Doppelte würde die Chancen vergrößern, mehr und noch hoffnungsvolleren Begabungen eine Spitzenausbildung in Belvedere zu bieten. Von den möglichen 120 Plätzen bleiben jährlich 10 bis 15 unbesetzt: Verschenkte Chancen in der deutschen Bildungslandschaft. Das Musikgymnasium muss nicht, es möchte bis auf den letzten Platz ausgebucht sein. Es gibt keine Auflagen, kein Soll ist zu erfüllen, keine ausgebluteten Orchester sind zu retten wie zu DDR-Zeiten. Die Leitung des Instituts bemüht sich nicht aus schulegoistischen Gründen darum, alle Plätze mit begabten jungen Musikern zu besetzen. Sie fühlt sich eher in einer Bringeschuld, alle geeigneten Interessierten von den optimalen Ausbildungsmöglichkeiten im Weimarer Hochbegabtenzentrum zu informieren und die großzügige staatliche Förderung auch noch der oder dem Einhundertzwanzigsten zukommen zu lassen. Der Anteil der Schülerinnen, schon immer leicht über der Hälfte liegend, ist übrigens von 2004/2005 bis 2008/2009 weiter von 58% auf 64 % gestiegen. Eine kleine Prise Schulegoismus ist allerdings schon beigemischt, wenn man sich bemüht, die Gesamtheit musikvorbildender Institutionen zwischen Flensburg und Konstanz, Castrop-Rauxel und Görlitz zu erreichen, seien es Musikschulen, musisch akzentuierte Regelschulen und Gymnasien oder musikpädagogische Zweige der Universitäten. Jede und jeder Hochbegabte mehr bereichert die ganze Belvederer Schulgemeinde nicht nur mit dem eigenen Leistungspotential, sondern vor allem mit der unverwechselbaren persönlichen und künstlerischen Individualität – unbezahlbare und dabei hundertzwanzigfach zurückgegebene Geschenke.

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Keine Soap „Träume, Tränen Töne“ ist keine Castingshow vom Format „Deutschland sucht den Superstar“. Die Serie ist glücklicherweise auch keine Soap. Sie zeigt keine weichgespülte Idylle, sondern ungeschminkt den Alltag von Kindern, die von der Mission erfüllt sind, ihre künstlerische Begabung zu entwickeln. Sie zeigt das Leben am Musikgymnasium Schloss Belvedere pur, attraktiv, aber alles andere als luxuriös in den Bedingungen, freundlich in der Begleitung durch Pädagogen und Erzieherinnen, aber unnachgiebig in den Forderungen, die dieser Entwicklungsweg stellt. Ist das verlockend? Soll man für solches Ackern das Kind in die Fremde schicken? Die Serie zeigt keine superschnelle Karriere, keinen kometenhaften Katapultstart, lässt keine Beifallswogen aufrauschen, keine euphorisierten Teeniescharen kreischen. Sie zeigt verbissene, lustige, gestresste, enttäuschte, hartnäckige, müde, glückliche, eben normale heranwachsende Kinder auf der ersten, in Hinblick auf den Erfolg höchst unsicheren professionellen Ausbildungsstrecke, zeigt ihre realen Träume und wischt ihre Tränen nicht fort, unterdrückte nicht, geweinte nicht. Die Serie ist ehrlich und wahrhaftig in Konzept und Realisierung. Solch eine Haltung ist nicht gerade werbewirksam. Doch sie entspricht der Haltung, die die Schule als Anspruch an sich selbst stellt und weitervermittelt. Klasse steht eindeutig vor Masse. Wenn Bewerber nicht die notwendige Begabungskriterien in Eignungsprüfungen nachweisen und erkennen lassen, füllt die Schulleitung keine Lücken auf. Das ist sie den Bewerbern, ihren Eltern und sich selbst schuldig. In Vorspielen, ausführlichen Tests und Gesprächen wollen die Prüfenden den Kreativen im Virtuosen entdecken, den Musiker hinter der Fingerfertigkeit, den Suchenden unter der eingeübten Brillanz. Sie interessieren sich mehr für bohrende Fragen als für flotte Antworten. Nur wer durch Haltung und Leistung lohnende Entwicklung verspricht, findet einen Platz auf Belvedere. Sonst muss der Platz eben frei bleiben.

Kein Werbespot Die Doku-Serie entsteht im Auftrag des MDR. Das Produktionsteam der „Kinderfilm GmbH“ will Familien mit realistischem Blick auf eine Nische in der Bildungslandschaft aufmerksam machen, will informieren, will unterhalten, will neugierig machen. Es versteht sich als sympathieweckender Anwalt dieser begabten Kinder auf ihrem unbequemen Weg zur Musik, nicht aber als deren Promotor oder Manager. Verantwortungsvoll widersteht es deshalb konsequent der Versuchung, mit Belvederer Schmuckseiten zu glänzen. Derer gäbe es mehr als genug. Die Verführung zur Quotensteigerung durch Aufmotzen des Stoffes mit Glamour und Events ist groß.

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Schüler, Lehrer, Schulleiter, die ganze Institution und nicht zuletzt die Serie könnte soapkonform gülden im Herrschaftsglanz erstrahlen, würde sie zeigen, wie sich 1999 Königin Beatrix und Prinz Claus der Niederlande an der schlicht edlen Schönheit des Hauses und an den musikalischen Genüssen durch die Schüler delektieren oder 1997 Staatspräsident Chirac und Bundeskanzler Kohl sich beim „70. Deutsch-Französischen Gipfel“ im Belvederer Konzertsaal bei schwungvollen Orchesterklängen musikgesättigte Erholungspausen gönnen. Gewiss könnte es die Anziehungskraft einer Belvedere-Ausbildung beträchtlich erhöhen, zeigte man Bilder von Reisen des Orchesters nach Spanien, Norwegen, Namibia oder Südkorea, des Chores nach Prag, Volterra, Siena oder Alexandria, von Kammermusikensembles nach Tokyo und Ankara, Bangkok, Helsinki und Wien. Garantiert stiege der Ansehenspegel des Gymnasiums, vermittelte die Serie Eindrücke von Konzerten des Orchesters bei Staatsakten in Berlin, bei der EXPO in Hannover oder mehrmals bei der EU in Brüssel. Die Einladungen erfolgen nicht zufällig, sie ergehen an einen Klangkörper, der dreimal hintereinander den Wettbewerb deutscher Jugendorchester als Sieger beendet hat. Die Kamera hätte weite Schwenks machen müssen, um die Urkundengalerie aufzunehmen, die Weimarer Erfolge beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ dokumentiert. Seit dem sensationellen Einstieg 1991 in Kiel bewähren sich Belvederer als Preisabräumer. Allein zwischen 2003 und 2009 erspielen sie in den stets wechselnden Wettbewerbskategorien 249 Preise, davon 114 erste. Die Liste allein der nationalen Erfolge ließe sich mühelos durch etliche Dutzend Preise bei Wettbewerben in Italien, Belgien, Frankreich, der Tschechei, Slowenien oder Griechenland, durch solistische Konzerte u.a. in Ankara und Prag, Vilnius und Wien, Philadelphia und San Diego, Amiens und Krakau ergänzen. Die Serie bleibt ehrlich, lockt nicht mit der Euphorie beim Erstürmen der Gipfel durch die Erfahrensten, sondern dokumentiert eher warnend die Mühsal der Jüngsten beim Durchstolpern der Ebenen. Voller Sympathie lässt sie mitempfinden, wie dem Ausstieg der begabten Klarinettistin Pauline aus den Dreharbeiten kein Makel des Scheiterns anhaftet, sondern ihre so reife wie schmerzliche Entscheidung, Prioritäten zu setzen, hohe Anerkennung verdient. In der letzten Folge begleitet sie Joshua beim Internationalen Marimba-Wettbewerb in Nürnberg. Er wird Dritter. „Sag mir, wie weit, wie weit, wie weit willst du gehen?“ Immer mindestens einen Schritt weiter. Die Wege bleiben steinig, aber sie führen aufwärts und nach vorn.

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Erlebte Foren Sicher hätte sich die Schulleitung als Folge der TV-Ausstrahlung über Bewerberstürme nicht gegrämt. Die – in Zahlen gemessen – sanften Interessenlüftchen spiegeln die Realität. Der Dissens zwischen Botschaft und Echo stachelt jedoch umso mehr an, gegen den Trend, gegen das erschreckend zunehmende Verflachen und Versickern kultureller Ambitionen zu arbeiten und auf eigenen Foren um immer mehr und immer überzeugendere Hochbegabungen zu werben. Solche Foren stellen die zahllosen öffentlichen Klassenvorspiele und Prüfungskonzerte dar, dazu regelmäßige Konzertreihen mit „Hausgewächsen“, mit Gästen aus der Hochschule oder von befreundeten Instituten. Solche Foren wecken beim „Tag der Offenen Tür“ oder bei den Vorlesungen der Kinderuniversität gezielt Interessen. Solche Foren bieten sich bei zahllosen Konzerten weit über das Weimarer Umfeld hinaus in ganz Thüringen. „Musikgymnasium Schloss Belvedere“ ist eine vielgefragte Adresse, wenn zwischen Suhl und Nordhausen, Eisenach und Gera schmückende „Musikalische Umrahmung“ für Konferenzen oder Kongresse, Jubiläen oder Ehrungen gesucht wird. Die Veranstalter wissen um mehrere unschätzbare Vorteile eines Engagements von Belvederer Künstlern: Sie musizieren, egal, ob solistisch oder kammermusikalisch, in hervorragender Qualität, sonst würde sie die künstlerische Leitung nicht herauslassen. Sie sind immer vom attraktiven Reiz jugendlicher, nicht selten noch kindlicher Frische. Für sie ist Engagement eine Lebenshaltung. Seitens der Veranstalter ist das „Engagement“, vertragsrelevant betrachtet, wohlfeil. Ihnen ist kaum bewusst, dass der Gewinn eines solchen Engagements in immateriellen Werten liegt und allen Seiten zugute kommt. Die Besucher gewinnen durch den Genuss des Dargebrachten. Die jungen Künstler gewinnen mit jedem öffentlichen Auftritt an Souveränität. Das Musikgymnasium gewinnt weiter an überregionaler Publizität. Nicht zuletzt die Staatskanzlei des Freistaates und diverse Landesministerien wissen die repräsentative Wirkung „ihres“ Musikgymnasiums zu schätzen und immer wieder gern einzusetzen. Die Schule als Institution und ihre musizierenden Repräsentanten wiederum können sich so wohlklingend wie gutaussehend für inzwischen fast zwanzigjährige Förderung revanchieren. Christine Lieberknecht, erste Thüringer Kultusministerin nach der Friedlichen Revolution, erste CDUMinisterpräsidentin in der sechzigjährigen Bundesrepublik bekennt sich vom Beginn ihres politischen Wirkens an nicht nur verbal zum Musikgymnasium als dem „Juwel in der Thüringer Bildungslandschaft“. Für Bettina Born, die Künstlerische Leiterin, wie für ihre Vorgängerin oder ihren Nachfolger bedeutet es unbezahlbaren Gewinn, sei es durch eigene Vorbereitung, Begleitung oder „nur“ durch

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stressreiche organisatorische Vermittlung diese Quellen weiterhin sprudeln zu lassen. Die Wünschelrutengängerin Born spürt noch weitere unentdeckte Quellen auf. Es gelingt ihr, Weimars Rotarier darauf aufmerksam zu machen, dass das bei diesen natürlich bestens renommierte Musikgymnasium nicht nur durch Hochglanzseiten strahlt, sondern auch Problemnischen besitzt. Phantasievoller Austausch gebiert das Projekt „Rotarischer Sommerkurs“. Rotarier initiieren und finanzieren erstmalig 2007 einen Kurs in den Räumen des Musikgymnasiums, bei dem interessierte Musikschüler aus Thüringen und Bayern eine Woche lang nicht nur Instrumentalunterricht bei Weimarer Hochschullehrern erhalten, sondern sich auch in Chor-, Orchester-, Tanz- und Theaterprojekten vielseitig kreativ ausprobieren können. Fast siebzig Kinder und Jugendliche nehmen diese Gelegenheit gern wahr und schwärmen zuhause von ihren Erlebnissen. Die Erfahrungen des ersten Kurses auswertend, wird beim folgenden die Latte für das nachzuweisende fachliche Niveau der Interessenten deutlich höher gelegt und der Einzugsbereich nach Niedersachsen und Sachsen-Anhalt ausgeweitet. Gesteigerten Ansprüchen entwachsen entsprechend hörbar größere Erfolge. Sie animieren Initiatoren und Pädagogen, das zuerst regionale Versuchsprojekt zu einem deutschlandweit publizierten Kontinuum zu entwickeln. Die geduldige kulturbürgerschaftliche Verantwortung der Rotarier trägt Früchte. Am 22. August 2009 geben achtzig hochmotivierte und künstlerisch professionell präparierte Teilnehmer in der Johann-Sebastian-Bach-Kirche zu Arnstadt ein begeistert akklamiertes Konzert mit Werken von Paisiello bis Schostakowitsch und Gershwin. Die Wünschelrute hat an der richtigen Stelle ausgeschlagen: Belvederer Pädagogen melden Interesse für hochbegabte Instrumentalisten an. Die sind als Kursteilnehmer gekommen und gehen als künftige Musikgymnasiasten.

Gastgeber Ludwig Bätzel und Elisabeth Bastian, durch langjährige Dirigier- und Lehrtätigkeit mit der Schule verbunden, sind mit den Besonderheiten des Saals im Musikgymnasium vertraut. Sie wissen, wo man bei welchem Konzert am besten hören kann. Bei zu erwartend langen Programmen organisieren sie sich lieber gleich zwei Sitzkissen; denn die Holztraversen sind hart. Stapelstühle werden nur bei Veranstaltungen mit Kammerbesetzung in das Innere des Ovals gestellt. Die spartanische Ausstattung, die gegenüber traditionellen Sälen unkonventionelle Platzanordnung hält weder Weimarer noch Musikfreunde aus Nah und Fern vom Besuch ab. Selbst bei konservativen, von Kronleuchtern und kuscheligen Sesseln verwöhnten Besuchern weicht mäkelige Skepsis schon bald nach der Eröffnung dem Wunsch nach wiederholter

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Begegnung. Das hat seinen Grund gewiss in den staunenswert reifen künstlerischen Vorträgen der jungen Interpreten. Zudem aber entdecken die Besucher sich selbst in einer neuen kommunikativen Situation. In diesem Raum werden sie nicht, unten sitzend, mit dem Vortrag durch auf Podium oder Bühne abgetrennte, erhöhte Künstler konfrontiert. Hier stehen die Interpreten auf konzentrierender Fläche des hellen Holzovals im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und die Besucher erleben sie von umlaufend gestuften Höhen bei ihrem Tun, in ihrem Sein. Aus Gegenüberstellung wird Gemeinschaft. Der Gewinn an Verbindung mit Werk und Darbietung für die Besucher, an mitempfindender Gespanntheit für die Künstler ist hoch, das Echo, ob in Stille oder Begeisterung sich äußernd, findet entsprechende Steigerung. So mausert sich der „Neue“ in kurzer Zeit zum Erlebniszentrum für außergewöhnliche künstlerische Ereignisse. Die Musikhochschule, in den späten 90er Jahren durch den Umbau des Hauptgebäudes in argen Platznöten, profitiert davon auf vielfältige Weise. Zu den Konzerten der „Weimarer Meisterkurse“ fahren Busse Besucherscharen auf den Berg. Bernard Ringeissen im weißen Smoking hier bei Debussy und Ravel aus unmittelbarer Nähe lauschen und zuschauen zu dürfen, welch ein Abenteuer! Das Gymnasiumsorchester hat bei der Begleitung von Spitzenprofessoren oder -kursanten Heimvorteil. Künstlerlegenden vom Range eines Alfred Brendel oder Jungstars von der Klasse einer Sol Gabetta gastieren auf Belvedere. Die Weimarische Staatskapelle lohnt die kommunikativen Herausforderungen mit außergewöhnlichen Programmangeboten. Bei den „Thüringer Bachwochen“ verhilft die exquisite Raumspannung der Interpretation der „Kunst der Fuge“ zu atemraubender meditativer Konzentration. Selbstverständlich besitzt bei der Vergabe des Saals das Musikgymnasium Terminvorrecht zur Erfüllung der schulischen Aufgaben, für Proben und Gemeinschaftsunterrichte, Kurse und die eigenen Konzerte. Man ist unabhängig von der Gnade, den Terminkalendern – und den Rechnungen – staatlicher, städtischer oder privater Raumvermieter. Wettbewerbe können autonom geplant, vorbereitet und durchgeführt werden, sei es der eigene „Innerschulische Wettbewerb“, sei es in Verbindung mit der Hochschule der „Franz-Liszt-Klavierwettbewerb für junge Pianisten“ oder in Kooperation mit dem Weimarer Gitarrenverein der „Anna-AmaliaWettbewerb“. Die Schulgemeinschaft profitiert nicht wenig von den zahlreichen Besuchern aus aller Welt.

Geschwister Wort und Ton Dabei sind die künstlerischen Begegnungen nicht auf Musik beschränkt. Die „Mitteldeutsche Lyriknacht“ ist aus Belvedere nicht mehr wegzudenken. Schon seit

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sieben Jahren stellen Autoren regelmäßig im Herbst hier ihre neuesten Texte vor. Gymnasiasten setzen dazu eigene kammermusikalische oder improvisatorische Akzente. Die spannungsreiche Verbindung von Wort und Musik ist Programm der „Poetischen Liedertage Melos Logos“, einer Weimarer Delikatesse, die seit 2001 in jedem November mit mehreren Konzerten auch im Großen Saal zu genießen ist. Für die exquisiten Programme zeichnet die Pianistin Liese Klahn-Albrecht ideengebend verantwortlich. Es gelingt ihr, beeindruckende Sänger und Schauspieler wie Anja Silja, Dietrich Fischer-Dieskau, Udo Samel und Bruno Ganz nach Belvedere zu holen. Zugleich versteht es die aktive Lehrbeauftragte für Kammermusik am Musikgymnasium, „Belver“ in die Programme einzubinden. Da musizieren dann Dominik, Rebekka und Joshua gemeinsam mit Professoren vom Mozarteum Salzburg oder dem „Concentus musicus“ aus Wien. Oder ein ausgewählter Mädchenchor lässt in der Musik zum „Faust“ seine Engelsstimmen erklingen. „Das tollste Erlebnis waren die zahlreichen spontanen Improvisationen“, schwärmt Dominik über die Probenarbeit, „immer fing irgendjemand an, ein bekanntes Thema zu spielen, und alle anderen stimmten mit ein.“2 Zusatzausbildung auf Belvedere, kostenlos, maßstabsetzend.

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Selbstverständlich nutzt auch das „Kunstfest Weimar“ regelmäßig den Großen Saal. Über Jahre ist András Schiff „artist in residence“ und fasziniert auf Belvedere allein oder mit Kammermusikpartnern vom Ruf einer Ruth Ziesak, eines Thomas Quasthoff oder der Capella Andrea Barca. Tabea Zimmermann, Marino Formenti und Markus Hinterhäuser setzen diese vielfarbige Kette musikalischer Ereignisse glanzvoll fort. Der Zugang zum Saal ist unverschlossen. Über eine Wendeltreppe und einen offenen Vorraum gelangen die Besucher direkt in die Arena. „Belver“ kennen jeden Durchschlupf, verstehen es, unhörbar hineinzuschleichen, wissen, sich hinter den breiten Pfeilern auf der obersten Ebene unsichtbar zu machen. Ob mit oder ohne Eintrittskarte erleben sie viele der ganz Großen aus der musikalischen Welt live in Konzerten, bei Proben, beim Einspielen, begegnen ihnen hautnah in „ihrem“ Hause. So selbstverständlich nebenbei wie unvergesslich prägend.

West-Östlicher Divan Kein musikalisches und zugleich politisches Ereignis aber ist so nachhaltig diesem Saal eingeschrieben wie die Entstehung des „West-Eastern Divan Orchestra“.3 Goethes 250. Geburtstag hatte wohl den Ausschlag dafür gegeben, die Klassikerstadt für das Jahr 1999 in den Rang einer „Europäischen Kulturstadt“ zu erheben. Mehr die ethische Verantwortung als die Ehrung akzentuierend, setzt Bernd Kauffmann, Kulturstadt-Generalbeauftragter den Namen von Goethes Gedichtsammlung verpflichtend über einen Teil des Gesamtprogramms. Im Zentrum steht eine politische und künstlerische Vision: „West-Östlicher Divan – Der Workshop“. In den zehn Tagen zwischen dem 7. und 17. August 1999 soll diese Vision in den Räumen des Musikgymnasiums Realität werden. Die Väter der Vision wie ihrer Verwirklichung sind Intendant Bernd Kauffmann, Daniel Barenboim, der Dirigent mit israelischer Staatsbürgerschaft und der palästinensische Kulturphilosoph Edward Said (1935–2002). Sie suchen nach begehbaren Wegen, Fremdheit und Hass zwischen den Menschen in Israel und in Palästina zu überwinden. Junge Musikerinnen und Musiker aus Ägypten, Syrien, Jordanien, dem Libanon, aus Palästina und Israel sollen, in einem gemeinsamem Orchester arbeitend und musizierend, beispielhaft einen solchen Weg erkunden und beschreiten. Junge Deutsche sollen sie dabei begleiten. Über zwei Jahre bereiten die Visionäre konzeptionell, diplomatisch, künstlerisch den Workshop vor. Im Musikgymnasium auf Belvedere finden sie optimale räumliche, künstlerische und nicht zuletzt sicherheitsrelevante Bedingungen für das brisante Unternehmen vor, getragen vom sympathischen Engagement der hier

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40 Probe des „West-Eastern-Divan-Orchestra“; hinter einem syrischen und einem israelischen Geiger: Zsolt Visontay (1999 „Belver)

Wirkenden, von den koscher kochenden Küchenfrauen bis zum als „Mann für alle Fälle“ agierenden Schulleiter. Alle Gebäude, Internat, Übungs- und Klassenräume, Sportplatz und Tischtennisplatten, immer wieder der Große Saal, dazu der ganze weite Park sind von den widerspruchsreichen gedanklichen und musikalischen Prozessen der Annäherung erfüllt. Über Proben und Vorträge, Streitgespräche und Exkursionen, Begegnungen, Kammermusik, im gemeinsamen Gang durch die Gedenkstätte des KZ Buchenwald, immer wieder in Tutti- und Registerproben finden die knapp achtzig jungen Musiker, unter ihnen auch einige auserwählte „Belver“ Schritte zueinander. Barenboim, Said, Kauffmann und der wundervolle Violoncellist Yo-Yo Ma begleiten und führen animierend, moderierend, auch provozierend. In den politischen, weltanschaulichen, ethischen Fokus rücken sie die Auseinandersetzung über das Eigene und das Fremde. Im musikalischen Zentrum stehen Mozarts „Figaro“-Ouvertüre, Schumanns Violoncello-Konzert und Beethovens Siebente Sinfonie. Kammermusikalische Ergebnisse des Workshops werden erstmals im Großen Saal des Gymnasiums vorgestellt. Das Publikum ist enthusiasmiert. Die Presse erlebt nicht nur eine „Trium-

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phale Orchester-Premiere“, sondern dahinter auch „Sympathien durch Sinfonien“ und eine „Politische Harmonielehre“. Als Geburtstag des „West-Eastern Divan Orchestra“ gilt der 15. August 1999, als Geburtsort der Saal der Weimarhalle. Der Ort des Gebärens, der Kreißsaal, in dem das Kind den Weg in die Welt fand, liegt auf dem Berg des Weimarer Belvedere. Kann Weimar auch ständiger Heimatort werden? Der erste Geburtstag wird arbeitsreich und unter komplizierten finanziellen und probenorganisatorischen Bedingungen in einem zweiten Workshop wieder im Musikgymnasium vorbereitet und in der Weimarhalle mit der 1. Sinfonie von Brahms gefeiert. Dann findet das Orchester, jedes Jahr neu zusammengesetzt, nach einer Episode in Chicago in Sevilla eine Heimat. Seine Tourneen führen durch die ganze Welt, 2006 wieder nach Weimar, 2005 nach Ramallah und damit zum ersten Mal ins palästinensische Autonomiegebiet. Sein Musizieren erklingt immer energievoller, immer sensibler, auch immer verzweifelter. Seine Botschaft verhallt unerhört.

Säule Internat Ahnungsvoll hatte sich Kathrin Hilpert schon auf die oberste Stufe gesetzt, direkt an den Eingang. Nun macht sich Frau Zeppin, die Herrin der Schlüssel, von der Treppe aus dringlich bemerkbar. Voller Sorge schleicht die Internatsleiterin aus der Arena. Es bestätigt sich – eine Kollegin bleibt weiter krankgeschrieben. Zwei durch Pensionierung entstandene Vakanzen sind unbesetzt geblieben. Bewerber gibt es reichlich, einige würden auch genau zu Belvedere passen. Doch die Wege der Schulbürokratie erscheinen unerforschlich und endlos. Wie schnell könnte vertrauensvoll erteilte Entscheidungsbefugnis im Rahmen der Landesgesetzlichkeit helfen, Probleme zügig zu beseitigen! Die Leiterin steht vor einem Riesenproblem: drei von sieben Mitarbeitern fehlen, und das am Schuljahresbeginn. Zweiundzwanzig Schüler sind neu ins Internat gekommen, ein Viertel der Schar, die sich als Gemeinschaft erst neu bilden will. Oberflächlich betrachtet erscheint das Problem als ein pragmatisch organisatorisches, eines von ständig wechselnden Dienstplänen, zusätzlichen Verantwortlichkeiten. Es ist aber ein zutiefst pädagogisches, ethisches. Auf drei Säulen – der Allgemeinbildung am Gymnasium, der musikalischen Spezialausbildung am Hochbegabtenzentrum und der sozialen Gemeinschaftsbildung im Internat gründet ausgewogen das „Belvederer Modell“. Aus ihrer Festigkeit erwachsen innere Werte und äußere Erfolge für jede einzelne Schülerin, jeden einzelnen Schüler, für die Pädagogen und die Institution als Ganzes. Jede Schwächung einer der drei Säulen wirkt auf die Stabilität der anderen, beeinträchtigt nachweisbar,

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jedenfalls spürbar die Entfaltungsprozesse der hier heranwachsenden Kinder und Jugendlichen. „Die Entwicklung selbstständiger, verantwortungsbewusster und sozial handelnder Musikerpersönlichkeiten steht im Mittelpunkt aller schulischen Bemühungen.“4 „Das pädagogische Konzept des Musikgymnasiums vertraut dem Bestreben junger Begabungen, in der Gemeinschaft von Gleichgesinnten die eigene Persönlichkeit auszubilden.“5 Beide Bekenntnisse ergänzen sich, messen zum einen der Aufgabe seitens der Schule, zum anderen vertrauensvoll der Selbstverantwortung jeder einzelnen jungen Persönlichkeit eigene Gewichtung zu. Das erstrebte Ideal heißt: Gleichgewicht. In dieser Architektur bildet Das Internat für die hier Lebenden den zentralen Raum. In ihm erwachen sie. Aus ihm strömen sie in die Schulstunden, die Hauptfachunterrichte, zu Proben, zum Üben, zu Konzerten, Wettbewerben, nach Korea und nach Weimar, ins Kino und zum Bummeln, in die Disco und am Heimfahrtwochenende nach Neustrelitz und Bamberg, Bautzen und Wanne-Eickel. Zu ihm kehren sie von überallher zurück. Das Internat muss dann alles aushalten, was draußen erlebt, erobert, erlitten, erstritten, erworben und verloren wurde. Das Internat wird dann „zuhause“ genannt. Im Laufe der Zeit wird „zuhause“ nicht nur ein Name bleiben.

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Mutter-Schwester-Ersatz? Das Internat, das sind vor allem Menschen, die Zimmergenossin, die Flötengeschwister, der Freund und die Sitznachbarin. Sind wahrlich nicht zuletzt: die Erzieherinnen. Der letzte männliche Kollege genießt seit kurzem den Ruhestand. Jeweils einer Klasse zugeordnet, räumen sie schon hin und wieder nach, sind aber kein Räumkommando, schauen nötigenfalls nach der Uhr, wollen aber nicht als Kontrollorgane gelten, müssen schon einmal mahnen, fühlen sich aber nicht als Wachpersonal. Ersetzen können sie Mutter, Vater, die große Schwester nicht, wollen, sollen aber verständnisvoll, vertrauensreich deren Rolle einnehmen. Das ist nicht immer einfach. Die erzieherische Arbeit in diesem Internat ist überhaupt nicht einfach. Dieses Internat ist nicht irgendeines. Es ist ein Internat für Hochbegabte, für „Adler“. Nicht in einem Käfig, im Freigehege nur können sich kreative Persönlichkeiten entwickeln, wollen kraftvoll sich behauptende, unverwechselbare, durchaus auch phantasievoll spinnende Individuen nach allen Richtungen sich entfalten. In diesem schützenden Freiraum sollen, wollen starke Individuen Verantwortung, Rücksichtnahme, Toleranz üben. Doch „Gemeinschaft von Gleichgesinnten“ soll nicht Uniformierung bedeuten, Zuordnen nicht Unterordnen, Führen nicht Unterwerfen, Gleichmaß nicht Mittelmaß. Es heißt zu lernen, wann man führt, wann man begleitet, welche Stimme wann dominiert, welche wo sich zurücknehmen muss. Es heißt zu spüren und darauf zu reagieren, wenn die andere im Tempo nachlässt, der andere vorangehen will. Das gilt im Internatsleben wie beim Streichquartett oder im Orchester. Die Säulen Internat und Künstlerische Ausbildung sind stabil miteinander verbunden. Sie unterscheiden sich im Material, nicht in der Tragfähigkeit.

Lebensräume Die äußeren Bedingungen bieten dafür das sichere Fundament. In den zwei Etagen der in den Dimensionen des historischen Dreiseithofes neu errichteten Gebäudes liegen fünfzig funktional eingerichtete Doppelzimmer, jedes mit Dusche und WC ausgestattet. Die beiden Einzelzimmer werden selten genutzt. Kommunikation steht höher im Kurs. Die Flure sind Klassenstufen zugeordnet. Computerraum, Werkstatt für künstlerisches Gestalten und Teeküchen ergänzen den Freizeitbereich ebenso wie dicht benachbarte Sport- und Fitnessräume, Plätze für Basketball, Tischtennis und Billard. Der Park bietet Laufstrecken in allen Entfernungs- und Höhendimensionen an. Geübt werden kann in spezifisch eingerichteten Internatszimmern und auf allen Etagen des „Mozarthauses“. Mensa und Terrasse werden

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weit über die täglichen drei Mahlzeiten hinaus als Begegnungszentren bis in späte Abendstunden hinein genutzt. Internat und Park, je nach Jahreszeit, sind auch die Tummelplätze für Faschingsfeiern, Sommerfeste, angemeldete und heimliche Feten in kleineren Kreisen. Die Internen haben als Zimmermiete 115 Euro zu entrichten, für die Verpflegung 185 Euro. Diese 300 Euro für jeden der zehn Schulmonate stellen das einzige finanzielle Entgelt für den Internatsaufenthalt dar. Die gymnasiale und die künstlerische Ausbildung bilden die gebührenfreie Zugabe. Der Freistaat Thüringen bietet so jedem musikalisch hochbegabten Kind aus allen sozialen Schichten eine in dieser Großzügigkeit deutschlandweit einmalige Chance. Die hier leben und wirken, weiten diese Möglichkeiten in die unbezahlbaren Bereiche pädagogischer Betreuung und menschlicher Zuwendung aus. Die schulischen Hausaufgaben werden für Fünft- bis Achtklässler an jedem Nachmittag gemeinsam unter Obhut der Erzieherinnen absolviert. So strukturiert, wird Zeit für das anstrengende individuelle Übungspensum gewonnen. „Paten“ helfen den Neuankömmlingen über organisatorische und seelische Schwierigkeiten der ersten Monate hinweg. Sie werden nicht zugeteilt; erfahrene „Belver“ suchen sich schon bei den Eignungsprüfungen ihre künftigen Schützlinge aus, Fachgeschwister am gleichen Instrument, vielleicht beim selben Hauptfachlehrer. Vertrauen und Selbständigkeit bestimmen auch die so klaren wie altersgerecht freizügigen Regeln für längere Abwesenheit und Rückkehr vom Stadtaufenthalt. Geschenktes Vertrauen erfährt unaufdringlich dankendes Echo. Die erfahrene Leiterin, erst seit drei Jahren auf dem Berg arbeitend, empfindet die „Belver“ als ausgesprochen pflegeleicht. Probleme mit Rauchen, Alkohol oder anderen Drogen sind hier weitgehend unbekannt und beim seltenen Auftreten leicht lösbar. Wie andere Gleichaltrige nölen „Belver“ früh beim Aufstehen, lassen wie sie ihre Klamotten liegen, bummeln beim Aufräumen, finden Ermahnungen von Pförtnern und Erzieherinnen nervend, streiten sich, notfalls lautstark, meist aber achtungsvoll. Sie tragen das schulische „Leitbild“ nicht vor sich her, eher in sich, weniger in jeder Situation bewusst, eher aus Angewohnheit, nicht zuletzt im Internatsleben erworben. Die sitzt tiefer, hält länger.

Druckkammer „Belver“ sind gewöhnliche Zwölf- bis Achtzehnjährige und sind doch außergewöhnlich. Sie tragen eine außergewöhnliche Begabung in sich, und sie setzen sich, prinzipiell aus eigenem Antrieb, wenn auch stimmungsschwankend freiwillig und erfolgreich, außergewöhnlichem Leistungsdruck aus. Täglich haben sie hohe For-

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derungen in der Allgemeinbildung zu erfüllen. Ununterbrochen stehen sie unter Druck, durch hohe, wünschenswert höchste Leistungen in der Spezialbildung nachzuweisen, dass sie zu Recht die Vorzüge dieser exquisiten Ausbildung genießen dürfen. Jede Hauptfachstunde, jedes Werkstudium, jede Kammermusik-, jede Orchesterprobe bildet eine druckvoll spannungsreiche Bewährungssituation, die lobend, tadelnd, kritisierend, aufmunternd, mäkelnd, motivierend oder resignierend bewertet wird. Bewertungen durch Pädagogen sind häufig leichter zu ertragen als die von Mitschülern. Von ihnen kann ein Schulterzucken, ein verstohlenes Grinsen genügen, und der Tag ist verdorben. Die härtesten Bewertungen kommen meist aus dem eigenen Inneren. Jede Entscheidung zu üben oder es heute sein zu lassen, entsteht unter Druck und erzeugt neuen Druck. Vor Klassenvorspielen, vor Jahresprüfungen, vor öffentlichen Auftritten, vor Wettbewerben steigert sich die Bewährung zur nicht selten ausbildungsexistenziellen Prüfung. Die Druckwelle von Landes- und Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ rollt Jahr für Jahr an. Die Teilnahme lockt mit Anerkennungen und Preisen. Die Teilnahme schreckt durch die Möglichkeit von Versagen, von Scheitern. Nach außen verkünden Siegerlisten die Spitzen mit dem 25-Punkte-Konto. Aber auch, wer aus dem Landeswettbewerb fliegt, muss am nächsten Tag die freundlichen oder mitleidigen Fragen der Mitschüler beantworten. Das Wort Konkurrenz kann noch so exakt von „con currere“ hergeleitet werden, vom „miteinander laufen“. Doch auch wenn man miteinander läuft, ist einer weiter vorn, man selbst weiter hinten, rennt einer schneller, der andere stolpert. Auf Belvedere artet Konkurrenz selten in rivalisierende Zickenkriege und Platzhirschkämpfe aus. Doch der Konkurrenzdruck bleibt wie die Versagensangst. Beides baut jede und jeder vor allem in sich selbst auf, beides muss jeder und jede in sich selbst bewältigen. Wie gut: es gibt Das Internat. Da ist das gemeinsame Zimmer, sind Teeküche und Mensa, Park und Fitnessraum. Da ist der Zimmerkumpan, die Geigenschwester, sind Freundinnen und Freunde, ist auch der Konkurrent, ist die Wettbewerbserfahrene, der staunende Anfänger. Sie schlagen sich fast alle mit den gleichen Problemen herum. Das tröstet. Manchmal. Da sind nicht zuletzt die Erzieherinnen. Sie sind nicht vom Fach, glücklicherweise, aber sie hören zu, können einem einen aufmunternden Knuff verpassen, eine an sich ziehen, von Herzen lachen. Sie müssen eben nur da sein. Im Augenblick fehlt fast jede zweite. Darum stellt die Krankmeldung der Kollegin die Internatsleiterin vor weit mehr als ein organisatorisches Problem. Kathrin Hilpert, ursprünglich Unterstufenlehrerin mit Wahlfach Musik, hat später an der Universität Jena Sonderschulpädagogik studiert und an Schulen für Sprach- und Körperbehinderte gewirkt. Ihrer Erfahrung erwächst ein

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feines Gespür für das besondere Kind, für den außergewöhnlichen Jugendlichen. Sie weiß um die Widerstände einer Gesellschaft gegen die, die nicht „normal“ sind, die aus der Norm fallen, die Norm sprengen. Sie weiß, auch Ausgezeichnete sind Gezeichnete.

„ups“ Endlich hat Friederike Frau Schneegaß zwischen den anderen Lehrerinnen auf der untersten Stufe entdeckt. Sie schwenkt aufgeregt einen Brief, würde am liebsten gleich hinüberlaufen. Aber natürlich will sie Erik nicht stören. Doch nach der Versammlung darf sie ihr nicht entwischen. Frau Schneegaß ist Englischlehrerin und verantwortlich für das Wirken des Musikgymnasiums als „unesco-projekt-schule“, und den Brief hat Edwin Nyongesa aus Kenya geschrieben. Friederikes Klasse, die 11Sp hat seit kurzem die Patenschaft für den Waisenjungen übernommen. Durch ihre Unterstützung kann der Fünfzehnjährige die nächsten zwei Jahre auf die Nyabondo High School gehen. Edwins Adresse hat die Klasse über die „Arzt- und Zahnarzthilfe Kenya e.V.“ erhalten, im Schuljahr

42 Besuch bei der „ups“ in Belvedere: Schwester Fabian aus Kenia

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2008/2009 Projekt-Partner des Gymnasiums. Schon lange hatten die Schüler darauf gedrängt, ihre tatkräftige Hilfsbereitschaft aus bisher eher institutionellen Ebenen in persönliche Bahnen zu leiten. Endlich ist es gelungen. Edwin hat geschrieben und ein Foto von sich mitgeschickt. Jetzt trägt Solidarität ein lachendes Gesicht. Die ganze Welt überziehend, wirkt in 191 Staaten ein Netzwerk von 7500 „unesco-projekt-schulen“; die international gebräuchliche Abkürzung klingt lustig: „ups“. Es ist kein Zufall, dass und wann das Musikgymnasium sich darum bewirbt, als „ups“ mitarbeiten zu dürfen. Anfang 1994 gibt es in Deutschland rund 120 „ups“, in Thüringen sind es drei. „Zusammenleben lernen in einer pluralistischen Welt in kultureller Vielfalt“ visiert die UNESCO als Ziel für solche Schulen an, die sich im Konzept, im fächerübergreifenden Unterricht und vielfältig in sozialen Aktivitäten für Menschenrechte, interkulturelles Lernen und den gerechten Ausgleich zwischen Arm und Reich in der Einen Welt einsetzen.6 Der zusammenfassende, nicht selten missbrauchte Begriff „Internationale Solidarität“ ist für Leitung, Pädagogen, Schüler und Eltern eigentlich ein selbstverständliches, aktiv praktiziertes Programm. Seitdem sie seit 1989 in alle Welt reisen können, wirken die jungen Musiker in Konzerten und Wettbewerben über Grenzen hinweg. Sie geben Festveranstaltungen der UNO in Bonn und Berlin mit ihren Beiträgen frischen Klang. Andererseits konnten sie am eigenen Leibe in den jüngst vergangenen Jahren erfahren, wie bürgerschaftliche Solidarität und Hilfsbereitschaft die Schule vor drohendem Untergang hatte bewahren können. Als der Schule am 19. April 1994 der Kandidatenstatus einer „Mitarbeitenden ups“ zuerkannt wird, muss sie gerade in ihrem derzeitigen Domizil am Steinbrückenweg die überflutende Naturgewalt durchleben. Solidarität ist kein leeres Wort.

Solidarisches Musizieren Mit musikalischen Beiträgen, mit Benefizkonzerten und internationalem Schüleraustausch bekennt sich die Schule aktiv zu ihrer jungen Mitgliedschaft. Zuerst musiziert sie in Förderschulen und Kinderkrebsstationen der Umgebung. Bei einem 1995 von der UNESCO ausgeschriebenen Wettbewerb im Gedenken an den ersten Atombombenabwurf schreiben Gymnasiasten Text und Musik zu einem „Hiroshima-Lied“. Der ihnen zuerkannte Siegespreis besitzt für die ganze Schulgemeinschaft einen unschätzbaren inneren Wert. So wird 1997 aus der „Mitarbeitenden“ eine „Anerkannte ups“. Die schier idealen Bedingungen in den neuen Häusern zünden zusätzliche Motivationsraketen. Im eng verzahnten Gesamtkonzept der Schule ist es nicht einfach, einzelne Mosaiksteine diesem oder jenem Bereich zuzuordnen. Sind Auslands-Konzert­

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reisen der musikalischen Ausbildung, die vielfachen Austauschkontakte im Rahmen der „Arbeitsgemeinschaft Europäischer Musikgymnasien (AEM)“ dem Sektor Schule zuzuschlagen oder sind es Aktivitäten einer „unesco-projekt-schule“? Es ist nicht einfach, aber es ist auch nicht notwendig. Es gibt kein Kompetenzgerangel. Alles gehört in das einheitliche Konzept einer Bildungsstätte für hochprofessionell musizierende und sozial verantwortungsbewusst fühlende und handelnde junge Künstler. Dabei rückt der Aspekt solidarischer Nothilfe mehr und mehr in der Vordergrund. Immer stärker „wachsen auch Eigenverantwortung und Selbständigkeit der Schüler. Sie entscheiden mittlerweile ganz allein in ihren Gremien, für wen sie in einem Schuljahr spenden möchten, versuchen, Kontakt zu der entsprechenden Hilfsorganisation aufzubauen und laden deren Vertreter zu Informationsveranstaltungen und Gesprächen ein“.7 Die traditionell mehrmals jährlich stattfindenden Konzerte von Chor und Orchester und zahlreiche andere künstlerische Veranstaltungen widmen die Schüler ihren „ups“-Aktionen. Alle so eingeworbenen Spenden – inzwischen sind es weit mehr als 50.000 Euro – kommen Hilfsbedürftigen in aller Welt zugute. Es sind Kinder in Guatemala, Bolivien, Brasilien oder aus Tschernobyl, Opfer der Kriege in Bosnien und Kroatien, von Erdbeben in der Türkei, in Afghanistan, Indien und dem Iran, Opfer des Tsunami im Südpazifik oder Minengeschädigte in Kambodscha – die Aufzählung nimmt, wie die Not, kein Ende. In den letzten Jahren wurden spontane Hilfsaktionen durch Verbindungen zu Hilfsorganisationen ergänzt, u.a. zu „Ärzte ohne Grenzen“ (2002/2003) zum „Komitee Cap Anamur“ (2003/2005), zu „Care International“ (2007), oder 2009 zu „kinder unserer welt“.8 Die Schüler freuen sich über das Echo der UNESCO, freuen sich über ein Dankeschön aus Paris in Gestalt eines Mikroskops oder von Fachbüchern für die Bibliothek. Sie sind aber besonders glücklich, wenn sie Menschen kennen lernen, denen sie helfen dürfen. Sie gehen mit leuchtenden Augen durch die HerzoginAnna-Amalia-Bibliothek, für deren Wiedererstehen sie musiziert haben. „Leben spenden macht Schule“, der Slogan der „Deutschen Knochenmarkspenderdatei“, „ups“-Partner 2005/2006, wird nach Begegnungen mit einem an Leukämie erkrankten Mädchen in Bad Berka so lebendig, wie Anna selbst nach ihrer Rettung durch gespendetes Knochenmark. Ein Projekttag bringt nicht nur über 600 Euro an Spenden ein. „Noch viel wichtiger jedoch war, dass sich 39 potentielle Spender registrieren ließen, darunter auch Schüler, die sich sonst nie freiwillig einer Blutentnahme unterziehen würden. Das waren die kleinen Helden des Tages, und wie man sieht: Leben spenden macht auch Mut.“9 Die Schulgemeinschaft ist berührt, wenn die kenianische Ordensschwester Fabian sich hier im Großen Saal für die Unterstützung der „Arzt- und Zahnarzthilfe Kenya“ bedankt.

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Unterstützung sind eben nicht nur Spenden von Konzertbesuchern. Unterstützung ist auch die Patenschaft für Edwin. „Dear Edwin“, hatte Klasse 11Sp geschrieben, „ with this we promise to take care for your schoolfees next years and we hope you will do very well und will have a better, healthy future than your parents. Please, take care for yourself ! Your godparent Pupils of Class 11Sp.“ Und Edwin beendet seinen Brief: „Last I wish to say my last commend that Our almight Lord will fulfill prayers and descend His blessings Otherwise thank you – Yours faithful Edwin Nyongesa.“ Friederike erwischt Frau Schneegaß gerade noch am Ausgang. „Man macht anders Musik danach“, sagt sie und gibt der Lehrerin Edwins Brief.

Musentrio in Zwischenreichen Als sie zum Saal hinuntergehen, sieht sich die eine prüfend eines der Doppelblätter an, die an festen Zwirnsfäden von oben herabhängen, rückt die andere ein Blatt zurecht, das sich beim Hinunterrennen der Schüler im heftigen Luftzug verfitzt

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hatte, stabilisiert die dritte die Befestigung der Fäden am Fuß der Wendeltreppe. Die eine, die andere, die dritte – drei Lehrerinnen. Es ist eigentlich gar nichts zu korrigieren an den Blättern, sie sollen sich sogar im Luftzug drehen, die eine und die andere Seite zeigen, die mit den Porträtstichen historischer Personen, die mit Fotos von Schülerinnen, von Laura und Johanna zum Beispiel. Aber jede der drei fühlt verantwortliche Verbundenheit mit den Blättern, mit dem Projekt, zu dem sie hinführen. Am Nachmittag wird die 10. Klasse im Großen Saal für Weimarer Schüler „Felix“ spielen, zum ersten Mal nach den langen Ferien, aufregend. Eigentlich ist nur eine von ihnen zuständig, „die andere“, Evelyn Richter, die mit ihrer Klasse aus Familienbriefen und Tagebuchaufzeichnungen ein Stück um den jungen Felix Mendelssohn Bartholdy konzipiert, geschrieben und einstudiert hat, mit viel Musik natürlich. Aber wer auch immer von den dreien den obersten Hut für ein Projekt auf hat – die anderen beiden sind dabei, mitdenkend, ratend, zweifelnd, helfend. Von verschiedenen künstlerischen Seiten herkommend, die Rhythmikerin Petra Laue, Evelyn Richter, die Ethik-Pädagogin und Deutschlehrerin mit Theatereinschlag, die Kunsterzieherin Barbara Seerig suchen das künstlerisch Verbindende, das Ähnliche wie das Kontrastierende. Sie suchen, in ihren Fachunterrichten wie in eigenen oder gemeinsamen Arbeiten mit ihren Klassen den phantasievollen Impuls, den ästhetischen Brückenschlag. An einer Ausbildungsstätte wie dieser, die schon im Namen Musik als ihr Zentrum benennt, empfinden sie ihre Arbeit als Ergänzung zu anderen künstlerischen Ausdrucksformen als besonders lohnend. Die Ausdrucksweisen unterscheiden sich, der schöpferische Kern ist ihnen gemeinsam. Andere Sprachen in diesem Kommunikationsnetz Kreativität kennen zu lernen, wirkt bereichernd auf den Gebrauch der Hauptsprache zurück. Häufig schlummert in den auf einem Gebiet Hochbegabten das Talent für andere Künste. Hier kann es besonders leicht geweckt und zum Blühen gebracht werden. Die Fächer, die die drei Pädagoginnen vertreten, bilden schon an sich Scharniere zwischen gymnasialer und künstlerischer Ausbildung. Hier erkunden sie historische und sozialkundliche Quellen und Verläufe in Literatur und Bildender Kunst. Dort beflügeln sie phantasievoll spielerisch die musikalische Ausbildung, befruchten durch Suchen, Befragen, Verwerfen und Variieren die Lebendigkeit der Interpretation.

Kreative Potentiale In künstlerischen Projekten miteinander verbunden, aufeinander bezogen, entfalten die einzelnen künstlerischen Impulse gesteigert ihr Kreativitätspotential. So entste-

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hen am Musikgymnasium, ob von der einen, der anderen oder der dritten Pädagogin initiiert und geleitet, Projekte des Darstellenden Spiels, Theaterinszenierungen und Tanzspiele. Sie erwachsen fast immer aus dem Unterricht. Jede neue Klasse möchte an legendäre Erfolge anknüpfen. Die Schüler wissen um die Kreativität und die weit über jedes Stundensoll hinausgehende Einsatz- und Arbeitsbereitschaft ihrer Pädagoginnen und nutzen sie so liebevoll wie rücksichtslos aus. Angesteckt vom erlebten Gemeinschaftssinn dieses schöpferischen Triumvirats befördern die Theaterspielenthusiasten die Arbeit durch große Offenheit und übersprudelnden Einfallsreichtum. Ausnahmslos werden die Vorlagen selbst entwickelt, versucht man sich bewusst nicht an vorhandenen Dramen. Es geht nicht um dilettantische Konkurrenz zu professionellem Theater. Es geht um das Freisetzen künstlerischer Potenzen in anderen Ausdrucksformen. Nicht die Verwandlung in literarisch vorgegebene fremde Charaktere wird angestrebt, sondern die Erweiterung des Eigenen zu phantasievollen, überraschenden Figuren. Dabei erschließen Märchenstoffe in eigenen Varianten bewusstseinsweitende emotionale Dimensionen. Stoffe aus dem Erlebniskreis der Musik wiederum können auf dem reichem Fundus an Spezialwissen aufbauen und professionell mit musikalischen Mitteln spielen. So kommt es seit Beginn der 1990er Jahre u.a. zu Aufführungen von „Martin und Jules wundersame Reise zu Franz“ (Schubert), von „Des Kaisers neue Musik“, von „Die Sache mit der Erbse“, alles Arbeiten von Petra Laue. Für die intimere Turnhalle entsteht „Tölpelhans“ im Duo mit Evelyn Richter. Für „Die Kleine Seejungfrau“ setzt Barbara Seerig prägende Akzente mit Figurinen, Plakatentwürfen und phantastischen Requisiten, die als Kunstobjekte aus dem Unterricht heraus entstanden sind. Direkt aus der Rhythmik erwachsen Tanzstücke wie „Traumreise“ oder „Nachts im Wachsfigurenkabinett“. Gerade die „Kleinen“ aus der 5. und 6. Klasse greifen spielerisch Impulse aus dem Unterricht auf, spinnen sie weiter und basteln vorstellungsreife Collagen zusammen. Ein einziges Mal wird das Prinzip durchbrochen, wird ein fertiges Stück erarbeitet, sogar eine Oper. Es ist ein außergewöhnliches Stück mit einer außergewöhnlichen Geschichte: „Brundibár“ – die Kinderoper von Theresienstadt. Der jüdische Prager Komponist Hans Krása (1899–1944) hatte sie 1938 geschrieben und nach seiner Deportation im „Vorzeige“-KZ Theresienstadt einstudiert. Mehr als fünfzig Mal wurde „Brundibár“ dort von Kindern für Kinder gespielt. Häufig mussten kleine Sänger und Instrumentalisten ersetzt werden. Transporte hatten ihre Vorgänger nach Auschwitz gebracht. Dort wurde im August 1944 auch Hans Krása ermordet. Im Frühjahr 1997 führen Musikgymnasiasten, dirigiert von Berit Walther die liebenswerte kleine Oper im Großen Saal auf. In Zusammenarbeit mit der

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Gedenkstätte Buchenwald konzipiert die Regisseurin Petra Laue ein Begleitprogramm. Ausstellungen, Lesungen, der NS-Propaganda-Film „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“, ein Film mit Kinderzeichnungen aus Theresienstadt setzen erschütternde Kontraste zu dem lustigen und optimistischen Stück. 2001 spielt das Ensemble die Aufführung in Siena. Für die Besucher in Weimars Partnerstadt hat es die Sprechtexte auf italienisch gelernt. Die Mahnung von Theresienstadt, von Auschwitz, von Buchenwald wird überall verstanden.

Pädagogische Erträge Solche Gemeinschaftsarbeiten zeitigen über die Akklamation hinaus lang nachwirkende Erfolge. Die Gymnasiasten entdecken in sich neue schöpferische Potentiale. Das tradierte Ranking für Klassenvorspiele und Prüfungen gilt hier nicht. Sie erleben die Entwicklung ihres künstlerischen Selbstwertgefühls unabhängig von ihrer Instrumentalleistung. Sie fühlen sich nicht über ihr Hauptfachinstrument definiert, sondern wirken allein durch sich selbst, durch ihre Authentizität, ihre Ausdruckskraft. Sie stellen an sich, an ihre Leistung deswegen keinen geringeren Anspruch. Ehrgeizige Künstler, die sie sind, versuchen sie hartnäckig, die ihnen höchstmögliche Leistung zu erzielen, voller Spannung, aber ohne Angst. Diese Leistung wird bewertet, aber nicht bepunktet. Häufig überraschen sie damit auch Klassenkameraden und Pädagogen, die Eltern, nicht zuletzt die Hauptfachlehrer. Die stellen nicht selten eine instrumentale Leistungssteigerung fest. Was kann Besseres geschehen? Vermeiden die Pädagoginnen auch das laienhafte Kopieren des Berufstheaters, so suchen sie andererseits dessen professionelle Anregung. Für eine „Sommernachtstraum“-Adaption vergraben sich die Gymnasiasten als Dramaturgen tagelang in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek zu historischen, literarischen, theatergeschichtlichen Recherchen, nähern sich im Englischunterricht dem Originaltext und der Kommunikationsästhetik des Globe Theatre. Eine andere Klasse begleitet länger als ein Jahr die Entstehung der Weimarer „Ring“-Inszenierung mit eigenen philosophischen, musikanalytischen und dramaturgischen Studien, durch Gespräche mit Sängern und dem Inszenierungsteam und auf spannenden Probenbesuchen. Immer werden relevante Fächer wie Ethik, Musiktheorie, Geschichte einbezogen. Sich gegenseitig anzuregen, spezialisierte Fachkompetenz über den Stundenplan hinaus einzubringen, von der Anderer zu profitieren – diese Schulphilosophie ist kein Lippenbekenntnis. Gewinnen können alle, vornean die Gymnasiasten. Fachkompetenz aus der Rhythmik strahlt nicht nur auf alle instrumentalen Unterrichte, nicht allein auf Gemeinschaftsmusizieren in Orchester, Chor und

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44 „Felix“ – Musik-Theater-Projekt: „Goethe“, „Felix“ und „Zelter“

Kammermusik aus. Die Totalität von musikalischer und körperlicher Äußerung ergreift den ganzen Menschen. Sind Hemmungen erst einmal überwunden, führt Trommeln und Klatschen, Singen und Pfeifen, Stampfen und Tanzen erlebnishaft zu einer existenziellen Steigerung des Selbstgefühls. Auch das spürt der Lehrer in der nächsten Hauptfachstunde.Fachkompetenz aus der Kunsterziehung kontert die bis zum Rausch gesteigerte Bewegungslust der Rhythmik mit der stillen Konzentration bildnerischen Gestaltens. Jahr für Jahr präsentieren zwei große Ausstellungen in den Schulgebäuden die Ergebnisse. Nur selten lenken thematische Vorgaben, „Bauhaus“ zum Beispiel oder „Mode“, die Aktivitäten in vorgegebene Richtungen. Ausdruckswünsche suchen sich eigene Wege. Flugbahnen der Phantasie soll man nicht einengen. Ein Offenes Atelier, so offen als Raum wie als motivierende Idee, Gestaltungskurse in verschiedenen Techniken, im Töpfern und Meißeln stoßen zusätzlich blickweitend Türen auf. Regelmäßige Besuche von Ausstellungen, in Galerien und Ateliers weit über Weimar hinaus, geben der reichen kreativen Dimension als Schule des Sehens die rezeptive Entsprechung.

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Redakteure Als Gemeinschaftsarbeit präsentiert sich auch das seit dem Schuljahr 2004/2005 erscheinende „Jahrbuch“. Initiiert, konzipiert und organisiert durch Evelyn Richter und die Erzieherin Steffi Steinhof, unterstützt durch ein Redaktionskollegium aus allen Klassen, reich ausgestattet mit Fotos und bildnerischem Material aus dem Unterricht von Barbara Seerig, stellen die inzwischen fünf Annalen eine nahezu vollständige Schulgeschichte dieser Jahre dar. Fast alle Beiträge sind von Schülerinnen und Schülern geschrieben. Die verschiedenartigen, ganz persönlichen Stimmfarben verleihen dem inzwischen auf fast vierhundert Seiten angewachsenen Kompendium eine aufregende Authentizität. Reportagen, Kurzberichte, Kommentare, Glossen, Interviews werden von lyrischen und erzählerischen Texten begleitet. Einem ausführlichen Dokumentationsteil in Bild, Text und Statistik kann der Leser den aktuellen Stand des Instituts entnehmen. Der Vergleich der Jahrbücher nimmt ihn stringent auf die Entwicklungsreise mit. Für „Belver“ Absolventen mögen die Jahrbücher Vergangenes bewahren. Ihre Zielrichtung aber heißt Zukunft. Sie wollen weite Kreise über diesen einzigartigen Schulorganismus informieren, wollen interessierte Kinder, Jugendliche, Eltern, Lehrer, Musikschulen, Bildungsinstitute und Ministeriale neugierig machen. Sie sind eine Einladung. Die pralle Belvederer Gegenwart allerdings kann man nur hautnah vor Ort erleben.

Der große Kommunikator Er mag die hohen Arenastufen noch so lautlos bewältigen, er mag sich noch so sehr bemühen, die Kamera unmerklich auf die Gäste zu richten, um die Lauschenden nicht aus ihrer Spannung zu reißen, Erik beim Akkordeonspiel nicht zu irritieren – all das mag Gerold Herzog gelingen, unsichtbar machen kann sich der Hochgewachsene nicht. Doch das Besondere dieses Besuches der Altvorderen aus Gründertagen darf ihm nicht entgehen. In der nächsten, der 57. Ausgabe der „Belvederer Nachrichten“ wird es zu sehen sein. Was das Musikgymnasium bewegt, er hält es fest, vor Ort oder auf Reisen, optisch und akustisch, altmodisch mit Stift oder auf neuestem technischen Level. Aber er dokumentiert nicht Events von außen, neutral beobachtend, er bannt Ereignisse aus ihrem Inneren her, weiß um ihr Entstehen, nimmt teil an ihrem Verlauf. Das Fotografieren, Filmen, medial Dokumentieren betreibt er auf professionellem Niveau, aber als Hobby. Öffentlichkeitswirksame Kommunikation zu betreiben, die Homepage zu betreuen, allmonatlich die „Nachrichten“ in Wort und Bild herauszugeben, Kontakte zu Ehemaligen, Verbindungen

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zu den Medien zu pflegen, zu erweitern, stellt eines seiner Berufsfelder dar. Gerold Herzog, seit Beginn 1991 als Lehrer für Musikkunde und Deutsch am Musikgymnasium tätig, ist dessen stellvertretender Leiter. Engagiert und sachkundig führt er amtierend um 2004 die Schule, als Wolfgang Haak Erfahrungen in der schulverwaltenden Etappe sammelt. Nach etlichen Monaten kehrt der nur zu gern wieder an die pädagogische Front auf Belvedere zurück.

Dimension Europa Seit 2004 hat Herzog auch den Vorsitz im „Arbeitskreis Europäischer Musikgymnasien“ („Association of European Musik High Schools“), dem AEM. Der Begriff Arbeitskreis trifft punktgenau: Es geht um Arbeit. Schon gleich nach 1990 waren Wünsche entstanden, sich unter neuen, unbegrenzten Bedingungen als musikalische Nachwuchsschmiede international zu orientieren. Der pure Überlebenskampf aber zwang dazu, kühne Wünsche erst einmal warten zu lassen. Nach 1996, auf Belvedere stabil verwurzelt, kann die Leitung des Gymnasiums auf die Suche gehen. Sie sucht Institutionen, der ihren ähnlich, jedenfalls vergleich-

45 Konzert in Alexandria

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bar, mit denen sie sich austauschen kann. Professorin Uta Vincze vom Dresdner Landesgymnasium, reagiert auf Wolfgang Haaks Anfrage sofort. Den Leiter des Gymnasiums Hofwil, Dr. Rudolf Meyer, Goethe- und Weimarverehrer aus der Schweiz, hatten zuerst Fotos der neuen Schule fasziniert. Unbedingt will er das architektonische Highlight auf Belvedere direkt in Augenschein nehmen. Er erlebt durch junge Musiker Ohrenschmaus, lernt die kennen, die hier lernen, die, die hier lehren, lernt weit mehr kennen, als er erwartet hat. Drei Neugierige, drei Arbeitsbereite – ein kleiner, aber feiner Kreis. Der Gesprächskreis gebiert die Idee des Arbeitskreises. Recherchen führen zu relevanten Adressen, Telefonate quer durch Europa zu arbeitsbereiten Interessenten. 1998 treffen sich in Weimar leitende Pädagogen vom Musikgymnasium „Jan Neruda“ aus Prag (Tschechien), der „Bartók Béla“ Zenemüvészeti Szakközépiskola aus Miskolc (Ungarn), dem Musikgymnasium Graz (Österreich), dem „M.K. Čiurlionis“ Kunstgymnasium aus Vilnius (Litauen), dem Liceul de muzika „George Enescu“ aus Bukarest (Rumänien), der Anadolu Güzel Sanatlar Lisesi aus Ankara (Türkei), dem Gymnasium Hofwil aus der Schweiz, und den beiden deutschen Instituten, dem Sächsischen Landesgymnasium für Musik „Carl Maria von Weber“ aus Dresden und dem gastgebenden Musikgymnasium Schloss Belvedere. Aus Weimar haben sie Thesen bekommen, über die sie sich austauschen wollen. „Musik ist grenzenlos, länder- und erdteilübergreifend. Sie erreicht vorurteilslos jeden Menschen, besonders begabte Jungen und Mädchen, die musizieren und/oder hören wollen und können.“ Und: „Musikgymnasien (bzw. vergleichbare Schulen) fördern im Sinne der Völkerverständigung im Rahmen einer höheren schulischen Ausbildung musikalisch besonders begabte Jungen und Mädchen als Persönlichkeiten.“10 Der immer wieder von Musik animierend begleitete Austausch von Bekenntnissen, Fragen, Plänen und Zweifeln führt zur Gründung, zum AEM. „Die Aufgaben des Verbundes beruhen in der Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung, im fachlichen und fachübergreifenden Erfahrungsaustausch, in einem Besuchsprogramm für Schüler und Lehrer im Zusammenhang mit gemeinsamen Konzerten und Kursen, in der Organisation von Fachtagungen, die sich mit der Begabtenförderung im Rahmen einer gymnasialen Ausbildung beschäftigen“.11 Der AEM möchte als europäische Plattform musikalischer Begabtenförderung wirken. Er will Forschungsaktivitäten initiieren, entsprechend thematisierte bildungspolitische Diskussionen anregen, beispielsweise zum kontrovers diskutierten Begriff der Elite. Weimar, für 1999 zur „Europäische Kulturhauptstadt“ gekürt, wird, auch unter diesem beflügelnden Aspekt, als Sitz des Arbeitskreises und seines Vorsitzenden benannt. Jahrestagungen an verschiedenen Schulorten, 1999 noch einmal in Weimar, 2000 in Prag, 2001 in Ankara dienen vorrangig dem Kennenlernen verschiede-

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ner Schulformen, von Ausbildungszielen und -methoden. Auf der Grundlage reichhaltigen Informationsflusses rücken Fachgespräche die Themen „Eignungsprüfung“, „Tonsatz/Gehörbildung“, „Stundentafeln“ oder „Kammermusik“ ins Zentrum. Neue Mitglieder treten in den Kreis – das Humanistische Gymnasium „Walther von der Vogelweide“ aus Bozen (Italien), die Advanced Music School of the Saint Petersburg „Rimsky-Korsakov“ Conservatory (Russland), parallel zur „Ankara Fine Arts High School“ das verwandte Institut aus Nikosia. 2007 wird auf der Jahreskonferenz in Dresden die Aufnahme des finnischen Musikgymnasiums Kaustinen beschlossen. Zwischen den Jahrestagungen, an denen möglichst alle Mitglieder teilnehmen, kommt es zu bilateralen Begegnungen, zu Konzerten, Kursen, Konsultationen, zu Schüler- und Pädagogenaustausch.

Schwankungen Es bleibt nicht bei der Aufbruchseuphorie. Ökonomische und inhaltliche Gründe führen sanft aber stetig zu einem Stimmungsdecrescendo. Die Veranstalter, ob vor Ort oder auf Reisen sind für die jeweiligen Kosten selbst zuständig. Es gibt kein Gesamtbudget des AEM. Die Fördertöpfe der EU sind klein geraten, Hürden der Brüsseler Bürokratie dafür gewaltig angewachsen. Das setzt den Begegnungswünschen besonders der Mitglieder aus den zwar inhaltlich reichen, finanziell aber ärmeren osteuropäischen Ländern enge Grenzen. Zum anderen reduzieren sich die Interessen. Manche vorrangig auf Musik spezialisierten Institute setzen mehr und mehr auf rein praxisorientierte Begegnungen. Die theoretisch-methodische Beschäftigung mit Ausbildungsprinzipien verliert an Reiz. Die Jahrestagung 2002 in Hofwil versucht, einer inhaltlichen Einengung entgegenzuwirken. Hier stellt sich ein besonderes Institut vor. Das Gymnasium im Kanton Bern widmet sich seit 1995 der Förderung von Begabungen auf den Gebieten Musik, Gestaltung und Sport/Tanz. Gerade diese Einbindung ganz verschiedener Ausbildungsbereiche in ein Gymnasium zwingt dessen Leiter Dr. Rudolf Meyer, fachübergreifende, eben nicht allein musikzentrierte methodische Wege zu erkunden. Aus den Begegnungen mit und den Erfahrungen von Hofwil richtet der AEM sein Hauptaugenmerk auf das Projekt „Qualitätsentwicklung an Musikgymnasien“. Man erkennt, „dass die Musikgymnasien, wollen sie ihren besonderen Bildungsauftrag auch in Zukunft erfolgreich erfüllen, ihre Entwicklung vorantreiben müssen, vor allem die Qualitätsentwicklung ihres Kerngeschäfts, des Unterrichts.“12 Aus Erfahrungen der deutschsprachigen Institute, von Hofwil und Belvedere angeführt, kristallisieren sich Kernthesen heraus. Rudolf Meyer wird sie formulieren. Bestechend schlüssig stellt er das Hauptproblem für Musikgymnasien und

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Musikgymnasiasten dar – die Doppelbelastung von Kindern und Jugendlichen durch Gymnasialausbildung auf hohem und Spezialausbildung auf höchstem professionellen Niveau. Er analysiert und strukturiert die Probleme, macht Lösungsvorschläge. Sie konzentrieren sich darauf, die belastende Zweigleisigkeit von gymnasialer und fachspezifischer Ausbildung durch das Prinzip der „Komplementarität“ zu ersetzen. Er plädiert für die Entwicklung eines „kulturellen Gedächtnisses“ durch parallel sich ergänzende Unterrichte in Allgemeinbildung und Musikausbildung. Er setzt sich für projektgebundene „Themenarbeit“ ein, die fächerübergreifend modellhaftes Denken und individuell sinnliches Tun vermittelt. Auf 25 Seiten liegen schließlich Grundsätze einer „Musikgymnasialen Didaktik“ vor, die den Diskurs über die angestrebte Qualitätsentwicklung theoretisch wie praktisch anspornen sollen. Das Arbeitspapier entspricht den Intentionen des Vorsitzenden Gerold Herzog. Seine auf Modellbildung ausgerichtete, demokratisch alle Mitglieder einbeziehende Leitung erfüllt in reichem Maße bei deutlich inhaltlich-methodisch orientierten Jahrestagungen in Graz (2004) und Dresden (2007) über „Themenarbeit“ die Zielstellungen des Arbeitskreises. Auch bilateral bringen weiterbildende Begegnungen zwischen Dresdner und Weimarer Pädagogen nützliche Erkenntnisse. Doch nicht bei allen Mitgliedern trifft das methodische Ringen um eine qualitätsfordernde und -fördernde Lösung der widerspruchsreichen Probleme komplexer musikgymnasialer Ausbildung auf Interesse und notwendige Arbeitsbereitschaft. Da sind prinzipielle Ermüdungserscheinungen. Europa nimmt an Größe zu, aber auch an Bürokratie. Da sind stark differierende Strukturen: Vilnius unterrichtet Kinder vom 6. Lebensjahr an, Graz beginnt die Ausbildung erst mit der 9. Klasse und präferiert schulmusikalische Ziele. Da gibt es Wechsel in etlichen Schulleitungen; seltsam, der Wechsel von Alt zu Jung ist einer von Begeisterung zu Ermattung. All das bremst den Elan aus Gründerzeiten. Wer sich nicht ausruhen will, sucht Leuchttürme in allen Richtungen. Weimar richtet Blicke über den Kanal, nach London. Schüler und Absolventen der PurcellSchool dominieren internationale Wettbewerbe. Auch auf Belvedere, beim Weimarer „Franz-Liszt-Wettbewerb“ für die Jungen und Jüngsten kann man sie erleben. Besuche hin und her verstärken die Neugier. Eine Dreieckskooperation London – Vilnius – Weimar wäre zusätzlich reizvoll, könnten so auch osteuropäische Akzente der Virtuosenausbildung gesetzt werden. Als Frischzellentherapie könnten auch Angebote aus dem Comenius-Programm die Bekenntnisgemeinschaft AEM vitalisieren. Es führt kleinere Mitgliedsgruppen leichter zu realisierbaren Zielen. Mobilität ist ein Kriterium dieses von der EU geförderten Projektes. Es ist auch das Handlungsprinzip des Kommunikators Gerold Herzog.

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Gemeinschaft Chor Die Erinnerungsstunde geht dem Ende entgegen. Die Eisleber „Urschüler“ erhalten CDs mit Belvederer Aufnahmen und noch einmal langen Applaus, einfach dafür, dass es sie gibt. Annette Schicha signalisiert einer Mädchengruppe per Handzeichen: „Fünf Minuten“ und „Raum 8“. Man muss unbedingt zusammenkommen. In drei Wochen kommt der ägyptische Chor zum Gegenbesuch; es ist noch viel zu organisieren, an Aufgaben zu verteilen. Im Juni hatten vierundzwanzig „Belver“, Kammerchor, Instrumentalisten und pädagogisches Begleitpersonal nach Alexandria fliegen dürfen. Die „Deutsche Schule der Borromäerinnen“ beging ihren 125. Geburtstag, und das Musikgymnasium war eingeladen, die Feierlichkeiten musikalisch mitzugestalten. Es war eine Woche voll faszinierender Erlebnisse gewesen. Mochten Eindrücke auch manchmal krass auseinanderfallen – in einem waren sich alle einig: die Gastfreundschaft, offiziell oder privat bei den Gasteltern, war überwältigend. Die wollen alle genauso herzlich und aufmerksam erwidern. Annette Schicha, studierte Schulmusikerin, Chor- und Ensembleleiterin, unterrichtet seit 2000 am Gymnasium Musikkunde, organisiert als Musikkoordinatorin in enger Partnerschaft zur künstlerischen Leitung zahllose Konzerte von „Belver“ Solisten und Ensembles weit über Weimar hinaus, ein Job rund um die Uhr. Im Zentrum ihres künstlerischen Wirkens aber steht der Chor. Der Schulchor hat Tradition seit Fachschulzeiten. Von Jochen Miebs, Dieter Huschke und herausragend von Hermann Sprenger, in den Neunziger Jahren von Berit Walther und Christian Frank geleitet, hat er klangvoll, häufig preisgekrönt und in nicht abreißender Kontinuität dafür gesorgt, dass das Ausbildungsinstitut auf dem Berg auch während erfolgsärmerer Entwicklungsphasen in Weimar und Umgebung nie vergessen wurde. Singen macht eben Freude. Meistens. Chor ist Pflichtfach. Davon hält die Chorleiterin nichts und entbindet Instru­ mentalisten, die nicht im Orchester mitspielen, von nölend abgesessener Singepflicht. Freiheit zeitigt – häufig – Erfolge. Nun kommen auf einmal unbeschäftigte Bläser freiwillig zu den Chorproben, reißen sich darum, bei Konzerten mitmachen zu dürfen. Singen macht nämlich Spaß. So versammeln sich jeden Mittwoch rund sechzig Sangesfreudige. Das sind alle Schüler der 5. bis 8. Klasse, dazu die Pianistinnen, Gitarristinnen, Blockflötistinnen, nicht zuletzt die Generalisten. Das sind Schüler, die, in mehreren Hauptfächern ausgebildet, später vielleicht Komposition, Theorie, Dirigieren, Schulmusik oder Musikwissenschaft studieren wollen. Die große Zahl, auch die unterschiedlichen Voraussetzungen nötigen zum Spagat oder

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zur Teilung. Annette Schicha wählt das Letztere und arbeitet nun mit zwei Klangkörpern, dem Nachwuchschor und dem Kammerchor.

Sommerkonzerte – Sommernachtsträume Weihnachtskonzert – Frühlingskonzert – Sommerkonzert: für Orchester, Chor und Publikum Schuljahreshöhepunkte mit Kultcharakter. Beide Chöre präsentieren sich mit interessanten eigenen Programmteilen oder steigern sich gemeinsam mit dem Orchester zu chorsinfonischen Dimensionen, beispielsweise im Händelschen „Anthem“ oder in einzelnen Kantaten aus Bachs „Weihnachtsoratorium“. Konzert­ reisen zu AEM-Partnern nach Österreich, Italien, in die Schweiz oder jüngst die Auszeichnung mit der Ägyptenreise sind verdienter Lohn für alle Anstrengungen in stressigen Probenwochen. Seit kurzem betreut eine professionelle Stimmbildnerin die Mitglieder systematisch in chorischen und Einzelübungen. Das erhöht die Klangschönheit und unterstreicht die hohe Akzeptanz, die „Chor“ als Ausbildungsfach erworben hat. Hauptfachpädagogen spüren leise staunend, wie ihre Schüler erlebnisgeprägtes Singen in kantables Instrumentalspiel umsetzen und sich so neue interpretatorische Horizonte erschließen. Qualität wird nachgefragt. Leistung spricht sich herum. 2007 erreicht eine Anfrage das Gymnasium. Die Deutsche Bank Stiftung entwickelt eine Musiktheatervision: „Ein Sommernachtstraum“ von Benjamin Britten – aufgeführt nur von jungen und jüngsten Künstlern am Deutschen Nationaltheater Weimar. Tobias Kratzer und Elena Tzavara, Stipendiaten der von der Deutsche Bank Stiftung initiierten „Akademie Musiktheater heute“, sollen die Inszenierung mit Nachwuchssängern des DNT und der Musikhochschule erarbeiten. Könnte das Gymnasium durch Orchester und Chor wohl das Fundament für das kühne Projekt stellen? Die Anfrage ist ehren- und vertrauensvoll, die Partitur kompliziert, der Disput heiß und kontrovers, die Versuchung so groß wie der Mut. Die Leitung sagt zu, vertraut sie doch in Juri Lebedev und Annette Schicha begabten und verantwortungsbewussten Leitern. Britten und die Regisseure stellen den Chor der fast vierzig Elfen vor außergewöhnliche Aufgaben: ungewohnte Tonsprache, halsbrecherische Rhythmen, Auswendigsingen, Theaterspielen, choreografierte Bewegungen, Bühnengefühl, exakte Koordination mit dem weit entfernt und versenkt sitzenden Orchester. Britten und Dirigent Lebedev fordern vom Orchester höchst professionelle Leistungen: präzisestes Zusammenspiel, flexible Reaktionen, solistische Virtuosität, subtilen Klangsinn. Die Aufführungen werden enthusiastisch gefeiert. Die Kritik lobt den

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46 Chor der Motorrad-Elfen. Szene aus Benjamin Britten: „Ein Sommernachtstraum“ im DNT

Chor, „weil er sich flink bewegt, frisch singt und gut spricht“,13 staunt: „im Graben sitzen junge Menschen, die vom Status her noch nicht einmal Musikstudenten sind“, befindet: „Das Ergebnis kann sich mit mancher Arbeit statusrechtlicher Profis im Freistaat messen.“14 Summa summarum: Ein triumphaler Erfolg, nicht nur in der Premiere, sondern auch in den Reprisen. Der Erfolg besitzt viele Mütter und Väter. Voran die Deutsche Bank Stiftung mit kühner Idee, Vertrauen in die Jugend und nutzbringend angelegten Fördermitteln. Der Erfolg basiert nicht zuletzt auf einem über vier Monate sich erstreckenden intensiven Probenaufwand. Auf Belvedere zeitigt er nicht unbeträchtliche Kollateralschäden im gymnasialen Bereich. Reduzierter Hauptfachunterricht kann durch praktische Opernerfahrungen und selbstwertsteigernde Erfolgserlebnisse gerade noch kompensiert werden. Stundenausfälle, Lerndefizite sind schwer aufholbar. Bei künftigen neue Projekten heißt das für die szenischen Leiter, nicht nur die Kunst der Regie, sondern auch das Handwerk der Organisation zu beherrschen. Der Initiator hätte gegen eine Fortsetzung nichts einzuwenden.

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Fördernde Freunde Das Vertrauen der Deutschen Bank in das Musikgymnasium ist so bemerkenswert wie ihre nachhaltige Förderung. Sie hat das neue Haus nicht nur gebaut, sondern sorgt dafür, dass es gut bestellt bleibt, sinnreich genutzt wird. Das Kapital einer Schule sind die Schüler. Das Kapital dieser Schule sind junge Musiker. Ihnen gilt weiter große Aufmerksamkeit. Sie erhalten ein Cembalo. Sie werden über Jahre durch Stipendien für die Besten unterstützt. Sie profitieren von der Einrichtung einer Stiftungsprofessur für Klavier für Grigori Gruzman, den renommierten russischen Pädagogen. Sie werden eingeladen, in der Frankfurter Zentrale zu musizieren oder dortselbst finanzorientierte Berufspraktika zu absolvieren. Sie erhalten das Vertrauen, beim Wagnis „Sommernachtstraum“ nicht nur symbolisch die erste Geige zu spielen. Förderung realisiert sich durch Forderung. Schon mehrmals erhielten sie die Chance, die Berliner Philharmoniker und Sir Simon Rattle live bei Proben zu erleben. Michael Münch, Vorstand der Deutsche Bank Stiftung empfängt die „Belver“ in der Hauptstadt persönlich an den Bussen, führt sie zur Probe, geleitet sie durch die Kunstsammlungen der Bank und stellt Kontakte zwischen Philharmonikern und Gymnasiasten her, zwischen Musikern eben. Beide Partner, die weltneugierigen wie die welterfahrenen, staunen übereinander. Einmal hier spielen!, träumen die einen. Noch einmal dort zur Schule gehen!, erinnern die anderen. Die Busse werden bezahlt, die Wirkungen sind unbezahlbar.15 Die Deutsche Bank engagiert sich mit anderen Sponsoren auch im „Förderkreis für Begabte am Musikgymnasium Schloss Belvedere e.V.“ mit beträchtlichen Summen, unterstützt Wettbewerbe, Konzertreisen, Instrumentenkäufe. Auch in der Nähe besitzt das Gymnasium einen kompetenten Sponsor, der die jungen Musiker in ihrem Wunschberuf fördert. Die E.ON Thüringer Energie AG organisiert eine Konzertreihe „Kunst im Werk“ und gibt den Gymnasiasten die Gelegenheit, in Thüringer Betrieben zu konzertieren. Schon zehnmal trat das Orchester auf, bei Siemens in Erfurt, im Sudhaus der Bad Köstritzer Schwarzbierbrauer, in der legendären Maxhütte Unterwellenborn oder bei den Porzellanwerkern in Kahla. Wieder sind die Gewinner auf allen Seiten. Der Energiekonzern bedankt sich durch die Stiftung von Flöteninstrumenten oder von Preisen bei Wettbewerben. Der „älteste“ fördernde Freund ist der „Verein der Freunde und Förderer des Musikgymnasiums Schloss Belvedere e.V.“; er hatte schon 1990 um den Erhalt der damaligen Spezialschule gekämpft. Jetzt widmen gut hundert treue Mitglieder unter dem Vorsitz von Helmut Heß ihre Spenden und Beiträge der Unterstützung von Kursen, von Instrumentenwartung und Konzertreisen. Es ist schön, so verlässliche Freunde um sich zu haben.

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Säule Gymnasium Nach dem Schlusswort von Schulleiter Haak stürmen alle zugleich hinaus. Auf der Treppe gibt es den gewohnten Stau. Brigitta Krause hat Zeit. Ihr nächster Unterricht fängt erst in einer halben Stunde an. In Belvedere kann man selbst solch kurze Pausen zum Atemholen im Park nutzen, man ist ja mittendrin. Die Begegnung gerade eben mit den „Musikfachschülern der ersten Stunde“ lässt die Gedanken wie von selbst rückwärts wandern. Nicht gleich die ganzen sechs Jahrzehnte zurück, eines reicht schon, ihr auf Belvedere selbsterlebtes.

47 Lehrerkollegium Belvedere 2008

Brigitta Krause unterrichtet Deutsch und Katholische Religionslehre. Als Leiterin der siebenköpfigen Schulentwicklungsgruppe ist sie mit so gut wie allen Aufgaben und Problemen nicht nur in bezug auf die „Säule Gymnasium“ vertraut. Als Landesfachberaterin für Katholische Religionslehre kennt sie viele Gymnasien in ganz Thüringen. Solch tiefe Ein- und weite Überblicke, ergänzt durch Erinnerungen an ihre frühere Tätigkeit in einer Schule mit 1200 Schülern lassen sie die Eigenheiten dieses Gymnasiums besonders klar konturiert erleben.

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Das Musikgymnasium ist eines wie jedes andere in Thüringen und ist zugleich in vielem ganz anders. Die gymnasiale Ausbildung findet nach denselben Gesetzen und Lehrplänen statt, ihre Ergebnisse werden nach denselben Ordnungen bewertet wie überall im Lande. Allerdings werden die Ferientermine mit den Semesterabläufen der Hochschule abgestimmt. Die Reform der gymnasialen Oberstufe hat in ihrer Qualifikationsphase etliche Neuerungen im Gepäck, die man, exakt vorbereitet, seit Schuljahresbeginn erprobt. Ob die landespolitischen Veränderungen im Herbst 2009 Umwälzungen im Bildungsbereich im Gefolge haben werden, bleibt abzuwarten. Das alles bringt Unruhe mit sich, die schöpferisch sein kann, nicht sein muss. Im Biotop Belvedere bleiben Wirkungen und Maß der Aufregung überschaubar. Die Schule ist klein. Sie führt einzügig in acht Klassen zum Abitur. In der Regel startet die Ausbildung mit der 5. Klasse. Die letzte Phase verläuft in den Klassen 11Sp (= Spezial), 11 und 12. Mit dieser Ausnahmeregelung soll die Stofffülle der Gymnasialstufe II über drei Jahre gestreckt und die gleichzeitige Bewältigung der extremen Leistungsanforderungen der musikalischen Spezialausbildung ermöglicht werden. Diese Dehnung, ein nützliches Erbstück aus DDR-Zeiten, wurde von der Landesregierung so einsichtsvoll wie großzügig übernommen. Nach der 10. Klasse wird über eine „Besondere Leistungs-Feststellung“ der Realschulabschluss erworben. Die Klassen sind klein. In der Größenordnung um zehn beginnend, steigert sich die Schülerzahl durch spätere Neuaufnahmen auf höchstens zwanzig in der Abiturstufe. Die Kinder und Jugendlichen kommen aus allen Schulformen, von Regelschulen wie von Gymnasien. Derzeit einundzwanzig Lehrkräfte – die Damen verfügen über die Zweidrittelmehrheit – unterrichten meistens zwei Fächer, drei sind für musikkundliche Fächer wie Gehörbildung, Tonsatz oder Rhythmik zuständig. In diesen Zahlenrelationen macht Unterrichten und Lernen in hellen und gut ausgestatteten Räumen Spaß. Aber es ist auch anstrengend, auf beiden Seiten. Die meisten Schülerinnen – alle Aussagen gelten selbstverständlich für die in der Minderzahl befindlichen Knaben und jungen Männer – sind hochmotiviert, sie wollen lernen, verlangen nach Futter. Disziplin und Eigenverantwortung, für Erfolge in der Spezialausbildung zwingend notwendig, bestimmen auch im gymnasialen Bereich grundsätzlich ihre Lernhaltung, je nach Neigung mit Ausschlägen nach oben oder unten. Als Musikerinnen sind sie gewohnt, sensibel zu hören, aufmerksam aufeinander zu reagieren. Das stellt man in der Schulstunde nicht ab. Die Pädagogen müssen Aufmerksamkeit selten einfordern, sie müssen sie hochwach in jeder Sekunde jeder dieser fordernden Persönlichkeiten individuell zuwenden. Sicher wäre es weniger anstrengend, einfach einmal „Ruhe“ zu brüllen. Doch das braucht man hier selten. Da ist einem die Anstrengung doch sympathischer.

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Der dichten Schülerbeziehung entspricht der Kontakt zu den meisten Eltern. Begegnungen bei Konzerten und Vorspielen, zu denen interessierte, aufgeregte, auch stolze Mütter und Väter oft von weither anreisen, werden durch Sprechstunden und Elterntage ergänzt. Das Hauptziel ist Musik. Das Spektrum der Interessen für andere Fächer ist desungeachtet breit. Wie lebendig sie sich entwickeln, liegt an den Pädagogen, die sie ehrgeizig fördern. Dass „Belver“ bei Mathematik-Olympiaden Spitzenplätze belegen, bei „Jugend forscht“ ausgezeichnet werden, ist keine Ausnahme. Im Sommer 2008 beendeten fünf von neunzehn Abiturientinnen ihre Schulzeit mit der Traumnote 1.0, thüringenweit ein Spitzenplatz, keine Ausnahme nur bei diesem Jahrgang.

Doppelpack mit Fragen Das Musikgymnasium: eine Insel der Seligen also für Schülerschaft und Pädagogen? Keineswegs. Es ist eben keines wie jedes andere in Thüringen. Die Schülerinnen – und Schüler, s.o. – sind hierher gekommen, einzig, weil die Beherrschung der Musik ihre Leidenschaft, ihr Lebensinhalt, ein musikverbundener Beruf ihr Ziel ist. Das wollen sie, das dürfen und können sie hier erreichen, auf welchem Weg auch immer. Der Startplatz für jeden dieser Wege steht hier. Die Wege sind steinig, die Strecken sind lang, das Training ist fordernd. Die Trainingszeiten, ob allein am Instru­ment, ob in der Gemeinschaft, im Quartett, im Orchester ziehen sich über den ganzen Tag, über jeden Tag. Die Lehrkräfte am Gymnasium wissen um diese Mehrfachbelastung. Sie akzeptieren das Programm ÜBEN! ÜBEN! ÜEBN! und stellen sich darauf ein. Der gymnasiale Unterricht wird so aufgebaut, dass Zeit zum Nachdenken, zum Nachfragen bleibt, zum sofortigen Festigen. Der Schwerpunkt des Lernens liegt im Unterricht, nicht im Erledigen von Hausaufgaben. Die kleinen Klassen laden dazu ein. Vokabeln müssen trotzdem gelernt werden.. Methodentage vermitteln, wie man das Lernen lernt. Für jede Klassenstufe gesondert werden Methoden und Strategien des Lernens trainiert. Junge Pianistinnen, die täglich Stunden am Instrument arbeiten – auch wenn man „Klavier spielen“ sagt –, haben keine Zeit durch uneffektives Herumstochern im Lernstoff zu verlieren. Ein Gesamtplan des Schuljahres weist die Schwerpunkte der Spezialbildung aus, Wettbewerbe, Prüfungen, Großprojekte, Konzertreisen. In deren Vorbereitungszeit gelten im Gymnasium Sperrzeiten für Klassenarbeiten oder mündliche Prüfungen.

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Fächerübergreifendes Lernen vermindert die Lernstoffmenge; das bringt zeitsparenden Nutzen. Wertvoller noch ist qualitativer Erfolg durch gegenseitige Ergänzung. Das Prinzip der „Komplementarität“ ist in Belvedere entstanden. Es fand als Erfahrungswert genauso Eingang in das AEM-Papier wie die „Themenprojekte“. Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, evangelische und katholische Religionskunde, Ethik führen über die Vermittlung von Wissensstoff zum Begründen und Festigen von Wertvorstellungen. Sie steuern spezifische Anteile zu einem „kulturellen Gedächtnis“ bei; das wiederum nützt als Anregungsquell der geistigen Analyse, der musikalischen Interpretation. Jede Messe, aber auch jede Sinfonie von Bruckner, jede Passion, aber auch jede Fuge von Bach zehrt von diesem „kulturellen Gedächtnis“ und gehört ihm zugleich an. Schon die jüngsten Interpreten sollten es erahnen, erspüren, es sich erwerben, um aus ihm heraus wirken zu können. Unterrichten nach dem Prinzip der „Komplementarität“ bringt jedem in dieser Lehr- und Lerngemeinschaft Gewinn, auch solchen an Zeit. Es bleiben genügend Probleme. Sie sind individueller wie institutioneller Art. Auch eingehaltene Sperrzeiten trösten nicht, wenn ein mäßiges Wettbewerbsergebnis eine verbockte Mathearbeit nach sich zieht. Pädagogisches Gespür ist dann gefragt, persönliche Zuwendung. Ein Großprojekt wie die „Sommernachtstraum“Inszenierung legt den kontinuierlichen Schulunterricht über Wochen lahm. Die Gymnasialpädagogen spenden den unglaublichen Leistungen „ihres“ Chores, „ihres“ Orchester begeisterten Beifall, ehrlich und zähneknirschend. Mehr als bedauerlich ist es, dass für Arbeitsgemeinschaften, für zusätzliche Sprachkurse, für den Besuch von Vorträgen und Diskussionen kaum Zeit, häufig auch keine Kraft mehr bleibt. Nicht zuletzt für diese belvederespezifischen Probleme sucht Brigitta Krause mit der Schulentwicklungsgruppe nach Lösungen. Der Themenkatalog ist lang.16 In der Beantwortung einer Frage keimen die nächsten. Fragen, hinterfragen, sich befragen, sich infrage stellen – es sind entscheidende Entwicklungsimpulse, gerade im Biotop Belvedere. Nicht nur gegenseitige interne Hospitationen sollen helfen, Methoden, Unterrichte, Erfolge und Defizite zu untersuchen. Neutrale Evaluation von außen soll jeder Tendenz zur Selbstgefälligkeit schon im Ansatz entgegenwirken. Die Schulleitung sucht „Kritische Freunde“. Ein Ministerialer, ein Manager, eine Dresdner Professorin nehmen alle Schulbereiche über Monate unter eine scharfe Lupe. Sie bescheinigen „engagierten, effektiven Unterricht auf hohem Niveau“, halten aber auch mit nützlicher Kritik nicht zurück, wie sich das für Freunde gehört.17 Die Teilnahme am „ThüNIS“, dem „Thüringer Netzwerk innovativer Schulen“ bezieht Lehrer, Schüler, Eltern, Erzieher und andere Mitarbeiter der Schule in eine bewertende Befragung zu Schulklima und Schulkultur, zur Kultur von Kommunikation und Information und zur Kooperation aller am Schulprozess Beteiligten

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ein.18 Die Fragen werden auf normierten Bögen beantwortet. In den Klassenräumen, im Internat, in Konzerten und in der Mensa müssen tausend Fragen beantwortet werden, jederzeit, unnormiert, von allen.

Säule Hochbegabtenzentrum Der Saal hat sich geleert. Entfernt ist noch das Trappeln von Schritten zu hören. Der Klassenunterricht wird gleich weitergehen. Die „Ehemaligen“ wollen noch ins gegenüberliegende Café, sie haben sich lange nicht gesehen. Der Schulleiter, sein Stellvertreter, der Künstlerische Leiter sind die Letzten im Saal. Wolfgang Haak räumt noch Eriks Hocker beiseite. Gerold Herzog lässt die Fotoausbeute Revue passieren. Christian Wilm Müller kann am Flügel in der Saalmitte nicht vorbeigehen – ein paar Takte wenigstens, Liszt natürlich, die beiden anderen setzen sich auf die Stufen. Gleich erwarten sie Altmagnifizenz Huschke. Mit ihm, dem Präsidenten der Liszt-Gesellschaft, wollen sie gemeinsam die Projekte für das Lisztjahr 2011 konkretisieren.

48 Strahlende Preisträger: Andrea Schütz, Kausikan Rajeshkumar „Franz-Liszt-Wettbewerb“ für Junge Pianisten 2005

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Gleich zwei sich rundende Ereignisse geben Anlass, sich mit dem epochalen Gesamtwerk des Namenspatrons in all seinen vielfarbig schillernden Facetten auseinanderzusetzen: Der 125. Todestag am 31. August und der 200. Geburtstag am 22. Oktober 2011. Programmatisch werden die Jüngsten, die „Belver“ mit einer Collage aus Szenen, Texten und Musik um die so glanzvolle wie problemreiche Jugendzeit des Wunderkindes, des jungen Virtuosen Franz Lizst an dessen 199. Geburtstag das Arbeitsjahr im Großen Saal eröffnen. Im Frühjahr 2011 wird, dann schon zum dritten Mal der „Franz-Liszt-Klavierwettbewerb für junge Pianisten“ Tastenstars von morgen in der Arena vereinen. Christian Wilm Müller wird einer der aufmerksamsten Zuhörer sein. Als Solist, Liedbegleiter und Kammermusiker, als Pianist des „Liszt-Trios“ seit Spezialschulzeiten mit dem Geiger Andreas Lehmann und dem Violoncellisten Tim Stolzenburg kammermusikalisch vereint – alle drei sind heute Hochschulprofessoren –, hat er international Erfolge feiern können. Als Künstlerischer Leiter des Gymnasiums fühlt er sich konzipierend, planend besonders dem Musikorganisator, dem Initiator, dem Animator Liszt verpflichtet. Dem unermüdlichen Kämpfer Liszt folgt er beim hartnäckigen Durchsetzen von Visionen. Erfolge lassen nicht auf sich warten. Das Orchester soll schon bald mit Konzerten in Thüringer Opernhäusern und Konzertsälen, in Erfurt und Meiningen, Jena und Sondershausen eine interessierte Öffentlichkeit gerade unter Jugendlichen und Lehrern erreichen. Im Sommer wird es einer Einladung der „Festspiele Mecklenburg-Vorpommern“ in den Norden folgen. Bei der Suche nach hoffnungsreichen Begabungen erklimmt die Zusammenarbeit mit den Musikschulen eine neue, höhere Stufe: Das Thüringer Kultusministerium initiiert und finanziert Förderpläne, auf deren Basis rund hundert der talentiertesten Musikschüler bei Weimarer Hochschulpädagogen Unterricht erhalten und so gezielt in den Fokus des Musikgymnasiums gelenkt werden. Die Aufmerksamkeit richtet sich genauso intensiv nach innen. In Korrespondenz zum Innerschulischen Wettbewerb der Klasse 11Sp wird auch das Prüfungskonzert für die Neuntklässler von einer schulfremden Jury bewertet. In „MittwochsMatineen“ musizieren Schüler regelmäßig vor einem besonders aufmerksamen und kritischen Publikum – der Schulgemeinschaft, von Frau Schwesinger, der Sekretärin und Frau Fliedner, der Köchin bis zum Schulleiter, dazwischen die gesamte Mitschülerschar. Ein Gegengewicht wird mit den „Montags-Soireen“ geschaffen. Sieger bei Internationalen Wettbewerben, den „Belvern“ gleich junge Spitzenmusiker aus aller Welt stellen sich auf ihren Tourneen nicht mehr nur im Leipziger Gewandhaus, sondern auch in der Weimarer Arena vor und fordern so zum anreizenden Vergleich heraus. All diese vorwärtsführenden Programme flankieren einen neuen Grundlagenvertrag zwischen Gymnasium, Hochschule und dem Schulträger in der Landes-

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regierung. Am 9. November 2009 wird eine „Vereinbarung über die musikalische Ausbildung des Hochbegabtenzentrums der Hochschule für Musik franz liszt Weimar am Musikgymnasium Schloss Belvedere“ offiziell unterzeichnet. Der Termin ergibt sich eher zufällig, Assoziationen sind erlaubt. Der Kontrakt übernimmt viele Regelungen aus den Jahren 1994 und 2001; sie haben sich bewährt. Andere sind neu, sie reagieren auf Veränderungen in der Bildungs- und der musikalischen Berufslandschaft, ziehen Schlüsse aus anderthalb Jahrzehnten intensiver Kooperation. Solche Korrekturen werden häufig schon ausprobiert und flexibel praktiziert. Jetzt gewinnen sie, zudem unter ministeriell akzeptierendem Schutzdach, justitiable Stabilität. Für die Gymnasiasten ist vor allem ein Passus zukunftsträchtig. „Schüler des Hochbegabtenzentrum sind außerhalb der Immatrikulationsordnung als Frühstudierende der Hochschule eingeschrieben.“19 In diesem Status könnten sie nicht nur Tonstudio, Bibliothek und ähnliche Hochschuleinrichtungen sowie solche des Studierendenwerks benutzen, nicht nur soziale Vergünstigungen für Studierende in Anspruch nehmen. Am wichtigsten ist: Sie könnten an allen Lehrveranstaltungen der Hochschule teilnehmen, relevante Studienmodule und Prüfungen absolvieren. Die so bereits abgelegten und geprüften Leistungen aus der Abiturstufe in Tonsatz, Gehörbildung oder Musikkunde werden bei einem späteren Studium an deutschen Musikhochschulen anerkannt. Andererseits werden die Abschlussnoten im instrumentalen Hauptfach und den musiktheoretischen Fächern als Kursnoten für das Leistungsfach Musik in die Gesamtwertung des Abiturs einbezogen. Begabung und Fleiß in einer außergewöhnlich anstrengenden Spezialausbildung werden aufwertend anerkannt. 20 Die neuen Vereinbarungen widerspiegeln in nicht geringem Maße Erfahrungen und ambitionierte Forderungen des Rektors, des Pianisten Professor Rolf-Dieter Arens und seiner Prorektorin für Künstlerische Praxis, der Violinprofessorin AnneKathrin Lindig, „Belverin“ seit 1976 und Mitverfasserin der bisher gültigen Übereinkunft. Sie vergrößern und konkretisieren den Verantwortungsspielraum des Künstlerischen Leiters und geben ihm mit – erstmals – einer halben Planstelle und einer Mitarbeiterin Mittel, den Arbeitsbereich neben dem Unterrichten auszufüllen.21 Auch der Orchesterleiter wird fest an der Hochschule angestellt. Alles andere in der musikalischen Ausbildung wird fortgeführt wie bisher. Alles andere, das heißt: maximal 120 Gymnasiasten werden in ihren Hauptfächern, in allen Orchesterinstrumenten also, in Klavier, Orgel, Blockflöte, Gitarre, Akkordeon und Gesang, dazu im Ergänzungsfach Klavier, im Werkstudium, in Improvisation, im Kammermusikspiel aller Facetten durch Professoren und Hochschullehrer oder durch Lehrbeauftragte betreut, die meist aus der Weimarischen Staatskapelle und der Jenaer Philharmonie, inzwischen aber auch aus Dresden, Leipzig und Berlin

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kommen. Betreuung heißt: Unterricht, Beratung und Abnahme aller infragekommenden Prüfungen. Außerdem können die Gymnasiasten bei entsprechenden Leistungen an Kursen und anderen Sonderangeboten der Hochschule teilnehmen. So partizipieren sie auch an der Hochschulkooperation mit der Staatskapelle und der Philharmonie aus Jena. Dieses alles geschieht für sie zum Nulltarif.

Partnerschaft Man muss nicht alles über Regeln vereinbaren. Selbstverständlich konzertiert der Hochschulrektor mit dem Gymnasiumsorchester. Wann immer es geht, hören und sehen sich die Hauptfachlehrer ihre Adepten in allen möglichen öffentlichen Auftritten an. Noch keine Selbstverständlichkeit, aber ein schönes Zeichen ist es, wenn der Schulleiter des Gymnasiums auf der Immatrikulationsfeier der Hochschule die neuen Studierenden als Erster begrüßt. Selbstverständlich werden sich die Partner gegenüber der Öffentlichkeit gemeinschaftlich präsentieren, vom Vortragsabend bis zum Internationalen Wettbewerb, vom Internetauftritt bis zum Briefpapier. Selbstverständlich leitet der ehemalige Rektor Professor Dr. Huschke die Jury beim „Innerschulischen Wettbewerb“, gerade weil der umstritten ist, Jahr für Jahr. Am Anfang finden die Schüler den „Ischu“ absolut sinnlos. Innerhalb derselben Klasse 11Sp mit verschiedenen Instrumenten gegeneinander anzutreten, finden sie unvergleichbar, unprofessionell, mental extrem belastend. Die Jury, jedes Jahr neu aus schulfremden Künstlern und Pädagogen zusammengesetzt, sieht das anders. Sie vergleicht das Vergleichbare, nicht das Unterscheidende. Sie bewertet in der jungen Pianistin die Künstlerin in ihrer totalen Ausstrahlung, im jungen Schlagzeuger den Könner als Gesamtpersönlichkeit, schätzt dieses bei dem einen, vermisst jenes bei der anderen. Wer zuhören kann und nachzudenken bereit ist, kann sich selbstkritisch bilanzierend einordnen, kann für seine letzten zwei Jahre auf Belvedere ein individuell zielführendes Konzept entwickeln. Am Ende staunen fast alle über die Wunderwirkungen des „Ischu“, Jahr für Jahr. Selbstverständlich plagen hier wie dort Sorgen um die Zukunft von Gymnasiasten wie von Studierenden. Selbstverständlich also machen die verantwortlichen Hochschulleiter von Instituten, Zentren und Studiengängen den Gymnasiasten darauf Appetit, dass man in Weimar auch Musikwissenschaft, Komposition, Musiktheorie, Kulturmanagement oder Alte Musik studieren kann. Nach solchen begabten und professionell vorgebildeten Bewerbern leckt man sich die Finger. Zugleich stellen sie Wegweiser zu möglichen Berufswegen auf. Die Situation wird auch für gut ausgebildete „Belver“ Instrumentalisten bei globalem Bewerberansturm immer komplizierter. Weit mehr als hundert Bewerber spielen hinter

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einem Vorhang um eine einzige Violinvakanz. Trotzdessen wählen vier von fünf Abiturienten ein Musikstudium. Die wenigsten haben es bereut. Dennoch ist es gut zu wissen, dass und wie und auf welchen Nebenwegen man zu einem Musikberuf gelangen kann. Gut auch zu wissen, dass die erworbene Hochschulreife für jedes Studium gilt. Warum soll – später – der studierte Informatiker nicht nebenberuflich und professionell Kammermusik machen? Warum soll – später – die ausgebildete Finanzfachfrau nicht begeistert in einem guten Ensemble Blockflöte spielen? In deren Familien wird vermutlich gesungen und musiziert. In solchen Familien könnte die nächste Generation von „Belvern“ aufwachsen, hoffentlich, nicht selbstverständlich. Die Investition auf und für Belvedere hat sich in jedem Fall rentiert. Selbstverständlich arbeiten Musikhochschule und Musikgymnasium zusammen von „A“ wie Aufnahmeprüfung bis „Z“ wie Zukunftschancen. Selbstverständlich sind die Partner autonome Institutionen. Wie selbstverständlich fühlen sich die Autonomen zusammengehörend, auf der Basis der neuen Vereinbarung wie außerhalb des Regelwerks, freiwillig, aus Einsicht, aus Eigennutz hier wie dort, aus Verantwortung für den Musikernachwuchs, auf Gedeih und Verderb in Zeiten, die Kunst und Kultur mit abnehmendem Interesse begegnen.

Austausch Eine Partnerschaft von dieser Dichte und gegenseitigen Akzeptanz dürfte in der deutschen Musikausbildungslandschaft beispielgebend sein. Das Musikgymnasium „Carl Philipp Emanuel Bach“ in Berlin und das Sächsische Landesgymnasium für Musik „Carl Maria von Weber“ in Dresden, aus DDR-Spezialschulen mit Internaten hervorgegangen, weisen – bei allen Unterschieden – prinzipiell ähnliche Strukturen, Ergebnisse und Verbindungen mit Hochschulen auf. Bildungspolitiker und Schuldirektoren aus westlichen Bundesländern studieren vor Ort die Besonderheiten des „Belvederer Modells“, stellen nachdenklich Vergleiche an. Hochbegabtenzentren gibt es inzwischen an den meisten deutschen Musikhochschulen. Sie heißen Kinderklasse oder Begabtenklasse, Pre College oder Young Academy. An diesen Institutionen werden musikalisch hochbegabte Kinder und Jugendliche kontinuierlich in unterschiedlichen zeitlichen Intervallen im Hauptfach und wichtigen Ergänzungsfächern intensiv unterrichtet. Die gymnasiale Ausbildung findet davon unabhängig an den Heimatschulen der Geförderten statt. Gemeinschaftliches Musizieren ist nur begrenzt möglich. Für die musikalische Ausbildung werden Gebühren in unterschiedlicher Höhe erhoben, manchmal durch private Hilfen gemildert. Professor Ute Hasenauer, die initiativreiche Leiterin des

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49 Tag der Offenen Tür

„Pre College Cologne“ hatte im Mai 2007 zu einem Symposium zur musikalischen Spitzenförderung „Ingenium Musicum“ eingeladen und vielen interessierten Mitstreitern ein informations- und austauschreiches Podium geboten.22 Eine Fortsetzung wäre nur wünschenswert. Austausch zielt auf Anregung, nicht auf Uniformierung. Die föderalen Strukturen im deutschen Bildungswesen verhindern Nivellierung ebenso wie die konkurrierenden Interessen der meisten Musikhochschulen an den besten Talenten. Dennoch wäre eine institutionell koordinierte Kommunikation zwischen all diesen Pflanzstätten musikalischer Frühausbildung – die Musikgymnasien eingeschlossen – gewiss ertragreich. Das „Institut für Begabungsforschung und Begabtenförderung auf dem Gebiet der Musik“ an der Universität Paderborn könnte als Koordinator und Kommunikator wirken. Dessen zahlreiche Publikationen, vor allem die seines Gründers Prof. Dr. Hans Günther Bastian offerieren Forschungsergebnisse vorrangig in bezug auf individuelle Hochbegabungen.23 Sammlung und vergleichende Untersuchungen, ausgeweitet auf den institutionellen Bereich, können darauf aufbauen. Bastians „Leben für Musik“, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, erschien 1989. Seitdem sind mit der deutschen Vereinigung aus den östlichen Bundesländern nicht wenige Erfahrungen und Erkenntnisse dazugetra-

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gen worden. Es würde 2010 einem Bundesministerium für Bildung und Forschung gut anstehen, vom neuesten Erkenntnisstand aus weiterführende Forschung zentral zu veranlassen. Solche Untersuchungsergebnisse, auf internationaler Ebene flankiert von absoluten Spitzenleistungen durch in diesen Instituten herangewachsene musikalisch Hochbegabte könnten die Exzellenz eines deutschen Frühausbildungssystems wissend und klingend demonstrieren. Solche Forschungen könnten auch Gründe für widersprüchliche Resultate auf der Hochleistungsebene aufspüren. Vordere Plätze bei internationalen Wettbewerben werden meist von Instrumentalisten aus Osteuropa, den USA und asiatischen Ländern besetzt; bundesdeutsche Solisten sind da noch selten zu finden. Andererseits drückt die Flut von Musikstudierenden aus Südkorea, China oder Japan an allen deutschen Hochschulen eine außerordentlich große Anerkennung für deren Attraktivität aus. In Venezuela gelingt es José Antonio Abreu seit 1975, mit dem „Sistema de Orquestas Juvenidas“ ein Programm zu verwirklichen, das Kinder aus den Armenvierteln in Orchestern zusammenführt und ihnen über Musik Hoffnung und Würde gibt. Inzwischen lernt und musiziert eine Viertelmillion Kinder in den Schulen und Orchestern von „El Sistema“. Von Japan ausgehend umspannt ein Netz von Yamaha-Musikschulen mit zwanzigtausend Lehrkräften und siebenhunderttausend Schülern den Erdball. Die Musikkultur der Weltmacht China wird wahrlich nicht allein von Lang Lang repräsentiert. Über all diesen Prozessen steht als Tempobezeichnung mindestens allegro animato. Die Bundeskanzlerin proklamiert nachdrücklich die „Bildungsrepublik Deutsch­ land“. Auch wenn die Ausbildung junger deutscher Musiker darin ökonomisch nur eine periphere Rolle spielen mag, im immateriellen Wertesystem und im Ranking medial zu verwertender Exzellenz ist sie innen- wie außenpolitisch nicht gering zu achten. Spitzenleistungen aber können nur entstehen, wenn ein hervorragendes System der Frühausbildung den Boden dafür bereitet. Der Freistaat Thüringen beherbergt im Herzen der „Bildungsrepublik Deutschland“ mit dem „Musikgymnasium Schloss Belvedere“ eine Bildungsstätte, die ein solches System beispielhaft praktiziert und sich im internationalen Bildungswettstreit sehen und vor allem hören lassen kann.

Funktionsprüfung Über den Seiteneingang kommen die beiden Hausmeister in den Saal, steigen leise, sie wollen Professor Müller nicht stören, die Stufen hinunter, machen sich an den Fensterschlössern zu schaffen. Die riesige Fensterwand öffnet sich nach beiden Seiten, holt die drei aus ihren Träumen. „Funktionsprüfung“, erklärt Herr Lübeck

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entschuldigend, „vorgeschriebener Termin vom TÜV“. „Wegen der Fluchtwege“, ergänzt Herr Klock. Vom Eingang gegenüber stürmen Kinder die Treppe hinunter, Hermann und Nikita, Lydia-Christiane und Elisabeth, Lukas, Julia, Aaron und Niklas. Die Neuen aus der Sechsten haben noch nie erlebt, dass die Glaswand geöffnet werden kann. Als sie die Chefs entdecken, stocken sie einen Moment. Mit einer Kopfbewegung ermuntert sie Haak, näher zu kommen. Da tobt einer gleich durch das ganze Oval nach draußen zur Apsis, bis auf die oberste Stufe. Die Mädchen laufen an die Grenze zwischen außen und innen, springen hinaus, wieder zurück, klatschen dazu. Eine staunt die langsam gleitende Fensterwand an. Einer dreht sich durch den Riesensaal. Der Kleinste setzt sich an den Flügel, fängt an zu spielen, das C-DurPräludium aus dem „Wohltemperierten Klavier“, ein bisschen rockig improvisiert, klingt cool. Die Lehrer, oben auf der Treppe, sehen sich an. Sorgen? Um diese Kinder?

50 Offenes Tor

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Dank

sage ich an erster Stelle Monika Schnepp, die nicht nur mit Geduld und Aufmunterung durch wechselvolle Arbeitsphasen geholfen, sondern auch jeden Satz unter die kritische Lupe genommen hat. Harald S. Liehr als dem Repräsentanten des Böhlau Verlages gilt mein großer Dank für genaues und kritisches Lektorieren, für vertrauensvoll freundschaftliches Begleiten und Befördern des Projektes von Anbeginn an. Besonderer Dank sei der Deutschen Bank für ihre großzügige Unterstützung der Publikation gesagt. Für hilfreiche Förderung danke ich dem Thüringer Kultusministerium. Dankbar denke ich an erkenntnisreich vertiefende Gespräche mit Prof. Dr. Diet­helm Müller-Nilsson und Wolfgang Haak und an steten Gedankenaustausch mit meinem Freund Jürgen Langlotz Dankenswerterweise hat Dr. Lutz Krause generös vertrauend wertvolles Material zum Bau des Neuen Musikgymnasiums zur Verfügung gestellt. Gerold Herzog hat als Fotograf, Bildbearbeiter und dokumentatorischer Berater einen unschätzbar hohen Anteil am Erscheinungsbild des Buches; dafür und für sein nimmermüdes Engagement danke ich ihm sehr herzlich. Bei der großen Schar der Zeitzeugen bedanke ich mich in dem ihnen gewidmeten Exkurs.

Dank

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Anmerkungen

Kapitel I 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

18 19 20 21

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Erich Gottschalk: Ansprache zur Eröffnung der Musikfachschule Eisleben; Typoskript LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5049; S. 3/4 „Freiheit“, Organ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands für das Land Sachsen-Anhalt, Ausgabe Eisleben, vom 12.9.1949; Stadtarchiv Hettstedt „Freiheit“ vom 13.9.1949; Stadtarchiv Hettstedt „Freiheit“ vom 14.9.1949; Stadtarchiv Hettstedt Albert Paul: 10 Jahre Musikschule (Eisleben – Hettstedt – Weimar); S. 7 AMGSB; zukünftig: Chronik Paul Auf Beschluss der Landesregierung vom 3.2.1949 schließen sich die Theater Eisleben und Sangerhausen zusammen, Köthen und Bernburg, Weißenfels und Zeitz; das Theater Aschersleben wird geschlossen; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 6169 s. Exkurs „Namen“ Alfred Hetschko: Musikgestaltung der Zukunft; in „Freiheit“ vom 30.9.1949 Grundsätzliches zur Gründung der Berufsfachschulen für Musiker; Anweisung der Landesregierung Sachsen-Anhalt, Referat Musik vom 20.1.1949; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5322, S.1 s. Exkurs „Stadtpfeifen“ Brief vom 23.12.1949; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5049 Brief Musikreferent Hetschko vom 14.3.1950; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5049 Brief vom 28.3.1950; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5049 „Freiheit“ vom 21.2.1950; Stadtarchiv Eisleben „Freiheit“ vom 5.4.1950; Stadtarchiv Eisleben s. Exkurs „Chronist“ Einschätzung Rat der Stadt Eisleben vom 31.11.1949 Hans Della Guardia: „ein junger Vertreter moderner Musikerziehung, welche nach seinem Prinzip in besonderem Maße in den natürlich veranlagten Voraussetzungen des Schülers die Grundlagen für das anzuwendende Ausbildungsverfahren des Lehrers geben muß. Nach diesem Prinzip wirkt D.G. als Lehrer für Klavier und modernes Ensemblespiel. Seine besondere Stärke liegt in einer klaren und unbestechlichen Beurteilungskraft … vielseitiges Fachkönnen. D.G. ist ehemaliger Konzertpianist.“ LHASA, Rep. M 8, Nr. 6546, Bl. 214 Aufbau der Musikschule Eisleben; Typoskript, 10 Seiten; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5049 ebenda, S. 2 ebenda, S. 6 ebenda

Anmerkungen

22 23 24 25 26 27 28 29 29 30 31

„Freiheit“ vom 30.6.1950; Stadtarchiv Eisleben Informationen von Frau Helga Voigt-Bastian, Nordhausen Chronik Paul; S. 10 alle Zitate ebenda, „Freiheit“ vom 23.11.1950; Stadtarchiv Eisleben Strukturplan der Fachschule für Musik; Typoskript, 9 Seiten; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5049 Brief Hetschko vom 8.1.1951; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5049, Blatt 223 Strukturplan, a.a.O.; S. 1 ebenda; S. 2 ebenda; S. 7/8 ebenda; S. 2

Exkurs Stadtpeifen 1 2 3 4 5 6

7 8

MGG (1997) Bd 6 – Art. Musikausbildung; S. 1020 f „Die Lehrlingskapellen, auch Stadtpfeifen genannt“ – Erlebnisbericht eines anonymen Lehrlings; Typoskript, 6 Seiten; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5049 , S. 1 Ebenda, S. 2 Vorläufige Verordnung zur Regelung des Privatunterrichts vom 20. Mai 1946 (handschr. überschrieben: 11.18.1946); LHASA, MD, Rep. K 10 MVb, Nr. 5646; § 1 Ebenda, § 2 zahlreich dokumentiert in Anweisungen und Briefen der Landesregierung SachsenAnhalt, Volksbildungsministerium, Bereich Kunst, Referat Musik. LHASA, MD, Rep. K 10, verschiedene, den jeweiligen Kreisen oder Städten zugeordnete Aktensanmlungen; Verantwortlicher Referent bzw. Oberreferent war Prof. Alfred Hetschko, seit 1953 Rektor der Musikhochschule Halle/Saale Informationen von Götz Schneegaß, Sangerhausen und Wolfgang Beinroth, Halberstadt s. Exkurs „Orchesterschule mit Schülerheim“ s. auch Reinhard Schau: „Das Weimarer Belvedere“, zukünftig: Schau; a.a.O. S. 92 ff

Kapitel II 1 2 3 4

5 6

Brief vom 22.1.1951; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5049 Brief Hetschko vom 4.4.1951; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5049 Material „Kantate 1951“ im Nachlass Walter Herbst; Stadtarchiv Nordhausen „Kantate 1951“ für eine Sprecherin, einen Sprecher, gemischten Chor und großes Orchester op. 72; Die musikalische Sprache der „Kantate 1951“ ist recht konventionell; die lange Probenzeit zeugt davon, dass für die Fachschüler auch nur etwas kompliziertere rhythmische Strukturen und melodische Bildungen sehr ungewohnt waren. Schreiben vom 25.7.1951 an die Ernannten; HASA, MD, Rep. K 10, Nr. 6546 „Freiheit“ vom 5.9.1950; Stadtarchiv Hettstedt

Anmerkungen

293

7 8 9 10 11 12 13 14

„Die Volks-Musikschule“, von Alfred Hetschko, in „Freiheit“ vom 15.7.1950; Stadtarchiv Eisleben „Wir machen Musik“, in „Freiheit“ vom 21.3.1952; Stadtarchiv Hettstedt „Musik aus allen Fenstern“, in „Deutsche Woche“ Nr. 12 / 1952 Rundschreiben vom 28.2.1950; LHASA, MD, Rep. K 10, MVb, Rundschreiben „Wer für ‚Samba‘ ist, ist auch für Atomwaffen“; in „Freiheit“ vom 9.3.1950; Stadtarchiv Hettstedt „Wir lehnen solche Unkultur ab“, in „Neues Deutschland“ Nr. 66/1951 Brief Hetschko vom 31.3.1951, LHASA, MD, Rep. K 10, MVb, Bl. 143 Chronik Paul; S. 20

Exkurs Della Guardia 1

Informationen aus einem Gespräch mit Frau Ruth Della Guardia am 10.1.2008

Exkurs Befragung 1 2 3

s. Exkurs „Namen“ s. Exkurs „Quellen“, auch: Schau; S. 92 ff außer diesen Treffen initiierte und organisierte Frau Elisabeth Bastian (Weimar) in den Jahren 1976, 1991, 1996 und 2001 Zusammenkünfte der „Ehemaligen“ aus der „Weimarer Vorklasse“, an der ab 1991 auch „Ehemalige“ vom Ausbildungsbeginn 1951 teilnahmen.

Kapitel III 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

294

„Das Volk“ vom 13.12.1952; Stadtarchiv Weimar nach: Klaus Schroeder: Der SED-Staat; S. 88/89 Brief Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten vom 4.9.1952; LHASA ME Chronik Paul; S.23 / 24 alle Zitate aus: „ ‚Zustände‘ in unserer Musikschule“, „Das Volk“ vom 13.12.1952; Stadtarchiv Weimar siehe Exkurs „Namen“ Chronik Paul; S. 9 Wolfram Huschke: Zukunft Musik; zukünftig: Huschke, S. 378 Chronik Paul; S. 23. Es sind die Instrumentallehrer, Barucha, Fischer, Gerhard, Künhakl, Müller, Rader und Ullmann. s. Exkurs „Nachkriegsvisionen“ s. Exkurs „Orchesterschule mit Schülerheim“ s. zu diesen Prozessen: Huschke; S. 324/25; S. 365 und S. 375 Erhard Naake: Von der Realschule zum Friedrich-Schiller-Gymnasium; S. 124 f Informationsmaterial der Staatlichen Hochschule für Musik zu Weimar, 1951

Anmerkungen

15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Chronik Paul; S. 26 Chronik Paul; S. 27 Chronik Paul; S. 39 Brief von Peter Damm an den Verfasser Ebenda Chronik Paul; S. 30 vgl. hierzu: Peter Gülke: Fluchtpunkt Musik; S. 42 Brief von Dr. Wilhelmi an die Eltern, dem Verfasser zusammen mit dem Fragebogen zugesandt Bericht Dr. G. Wilhelmi, dem Verfasser zusammen mit dem Fragebogen zugesandt Chronik Paul; S. 30 Chronik Paul; S. 37 Persönliche Mitteilung von Frau Marianne Lang an Rolf Lukoschek Chronik Paul; S. 39

Exkurs Vorklassen 1

2 3

4 5

Der Verfasser stützt sich nicht nur bei diesem Exkurs weitestgehend auf die akribisch detailreichen, schlüssigen Untersuchungsergebnisse von Wolfram Huschkes „Geschichte der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar“. In bezug auf verwendete Ergebnisse und Zitate sind die relevanten Seitenzahlen jeweils direkt im Text angegeben. Zu den unterschiedlichen Schreibweisen des Namens siehe Huschke; S. 23, Anm.31 Die Funktion ausbildungsvorbereitender Klassen – „Vorklassen“ – ist notwendigerweise an die Entwicklung der Weimarer Musik-Ausbildungsinstitute von der „Großherzoglichen Orchesterschule“ des Jahres 1872 bis zur „Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar“ von 2009 gebunden. Um Verwirrung durch die häufig wechselnden offiziellen Benennungen zu vermeiden, benutzt der Verfasser in diesem Zusammenhang vereinfachend den verallgemeinernden Begriff „Weimarer Einrichtung“. Die Geschichte einer – auch, wenn auch nicht erstrangig – auf ein Hochschulstudium vorbereitenden Einrichtung unter NS-Herrschaft wird im Exkurs „Orchesterschule mit Schülerheim“ dargestellt. s. Werner Heldmann: „Musisches Gymnasium Frankfurt am Main 1939–1945“

Kapitel IV 1 2 3 4 5 6 7 8 9

aus der Ansprache von Erich Gottschalk am 12.9.1949, s. Kapitel I, Anm. 1 s. Schau; Kap. II S. 14 ff Schau; S. 25 siehe Exkurs „Vorklassen“ s. Schau; Kap. III S. 49 ff s. Schau; Kap.VII S. 78 ff s. Schau; Kap. VII S. 92, s. auch Exkurs „Orchesterschule mit Schülerheim“ s. Schau; Kap. VIII S. 107 ff. Programmheft der Festtage; S. 2

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

295

10 11 12 13 14 15

Chronik Paul; S. 44 Chronik Paul; S. 52 Chronik Paul; S. 41 Chronik Paul; S. 47 Chronik Paul; S. 56 Chronik Paul; S. 58

Exkurs Orchesterschule mit Schülerheim 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

s. Huschke; S. 278 ff; s. Schau; S. 92 ff; s. Holm Kirsten: „Weimar im Banne des Führers“ HSA, Sammlung Hübenthal; S. 99. Wolfgang Beinroth, Sohn des Sangerhäusener Lehrlingskapellmeisters Fritz Beinroth bezeichnete den Kölledaer Kollegen Reichardt gegenüber dem Verfasser neidlos als „den Besten weit über Thüringen hinaus“. Huschke; S. 305 Vorschläge von Ernst Meyerolbersleben vom 10.7.1945; ThHSA, Bestand Ministerium für Volksbildung and Thüringen / 3861, Blatt 54 Ebenda, Blatt 61 Ernst Simon: „Belvedere – wie es aus einem wilden Busche nach und nach zu einem Lustschloss und schließlich 1953 zur Musikfachschule geworden ist“; msch.schr. 19 Seiten; AMGSB Ebenda, S. 17 LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5343 Die Schließung war Ende Januar 1950 erfolgt. Brief Hetschko vom 24.1.1950; LHASA, MD, Rep. K 10, Nr. 5438

Anmerkungen Kapitel V 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

296

Chronik Paul; S.62/63, S. 80, S. 97/98, S. 115 Chronik Paul; S. 78 s. Kapitel IV, Anm. 11 Chronik Paul; S. 120 s. Huschke; S. 378 f s. Exkurs „Orchester“ Chronik Paul; S. 81 zit. nach Chronik Paul; S. 113 zit. nach Chronik Paul;. S. 84/85 Chronik Paul; u.a. S. 15, S. 27, S. 32, S. 61, S. 95, S. 125 Chronik Paul; S. 61 Chronik Paul; S. 98 zit. nach Chronik Paul; S. 122 nach: Klaus Schroeder: Der SED-Staat; S. 90/91/92/93

Anmerkungen

15 16

zit. nach Chronik Paul; S. 122 Chronik Paul; S. 119, s. auch Exkurs „Chronist“

Exkurs Nachkriegsvisionen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

s. auch Exkurs „Orchester mit Schülerheim“, Anm. 6 und 7 Brief vom 2.10.1948; ThHStA Weimar, Mf Vb, Nr.3866, Bl. 151 Als Vertreter der Studentenräte unterzeichneten diese Erklärung u.a. für Dresden Joachim Herz, für Weimar Werner Felix Brief vom 21.8.1948; ThHStA Weimar, Mf Vb, Nr.3866, Bl. 175 Hans Pischner: Denkschrift über eine einheitliche Regelung des Musikstudiums in Thüringen vom 15.6.1948; ThHStA Weimar, Mf Vb, Nr. 3861, Bl. 83, 85, 86 s. Anm. 4 ThHStA Weimar, Mf Vb, Nr.3866, Bl. 176 Ebenda, Bl. 179. Ebenda, Bl. 219 Ebenda, Bl. 220

Exkurs Chronist 1 2 3

4 5 6

Chronik Paul; S. 2 alle Angaben von Albert Paul aus einem Beschäftigungsnachweis vom 29.8.1963, ergänzt und bestätigt durch Informationen von Nachkommen. Im Zusammenhang u.a. mit dem „Fall Witter“ (s. S. 85 ff ) waren schwerwiegende methodische und pädagogische Differenzen zwischen dem Violinpädagogen B. und den Professoren Ehlers und Hansmann entstanden, mit denen sich auch die Hochschulleitung beschäftigen musste (Sitzungsprotokolle vom 17. Februar und 11. März 1954). Sie führten den Wechsel von Herrn B. an das Hallenser Konservatorium herbei. Herr B. war der angeheiratete Neffe von Albert Paul. Mitteilung des Bundesarchivs vom 16.2.2009; Kopie der NSDAP-Mitgliederkartei liegt vor; Aufnahmedatum: 1.5.1937; Kopie der NSLB-Mitgliederkartei liegt vor; Aufnahmedatum 1.10.1933 s. Exkurs „Befragung“ Chronik Paul; S. 3

Kapitel VI 1 2 3 4 5

s. Huschke; S. 398 ff hier zitiert nach „Monumenta paedagogica“ s. hierzu auch Exkurs „Gitarre“ s. Huschke; S. 399 Chronik Paul; S. 130

Anmerkungen

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6

„Protokolle der Sitzungen des Pädagogischen Rates der Hochschule für Musik in Weimar (Abt. Unterstufe) Belvedere“; 4.11.1959 – 9.5.1961; AMGSB 7 Chronik Paul; S. 132/134 8 „Protokolle der Sitzungen ..“; Protokoll vom 9.3.1960; AMGSB 9 Der nach der Erzählung von Michail Scholochow entstandene erschütternde Film von Sergej Bondartschuk errang, nicht zuletzt durch die beeindruckende Gestaltung der Hauptrolle durch den Regisseur, auf internationalen Festivals zahlreiche Preise. 10 „Protokolle der Sitzungen …“; Protokoll vom 9.12.1959; AMGSB 11 s. Exkurs „Oh Donna Clara“ 12 s. Kapitel IV, Vollversammlung im Zusammenhang mit dem Disziplinarverfahren gegen Hans Della Guardia: 13 s. Exkurs „Quellen“ 14 Die Personalakte datiert das Ausscheiden von Paul Pohland für 1960. 15 Prof. Johannes Ernst Köhler, Leiter der Orgelausbildung an der Hochschule 16 Protokolle der Sitzungen ..“; Protokolle vom 14.3.1961 und 21.3.1961; AMGSB 17 Das Theater Borna wird zu Altenburg geleitet, Zittau zu Görlitz, Wismar zu Schwerin, Greiz zu Gera, Güstrow zu Rostock, Meißen zur Bespielung durch Radebeul. 18 handschriftlich unterzeichnete Hausmitteilung Ulbrichts an die Politbüro-Sekretäre Kurt Hager und Alfred Kurella; HSA; Sammlung Edda Hübenthal – SHü 23 19 Brief Siegfried Wagner an Alexander Abusch vom 14.11.1962; HSA; Sammlung Edda Hübenthal – SHü 23

Kapitel VII 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

11

298

s. Exkurs „Fahnenappell“ s. Anm. 12 „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“; zukünftig: Gesetz; zit. nach „Dokumente zur Geschichte des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik“; Teil II S. 569 ff a.a.O. S. 569 Das finnische und das schwedische Schulsystem orientierten sich an dem von Ideologie befreiten Skelett des DDR-Gesetzes nicht ohne Erfolg. Gesetz; Vierter Teil, Allgemeinbildende Schulen / 2. Abschnitt, Spezialschulen und Spezialklassen; a.a.O. S. 581 a.a.O. S 582 Teilabsatz 3 Ebenda, Teilabsatz 5 Ebenda, Teilabsatz 6 s. hierzu: Rudolf Neumann: Zu einigen Fragen der Rationalisierung der Bildungsund Erziehungsarbeit an den Spezialschulen für Musik der Deutschen Demokratischen Republik unter besonderer Berücksichtigung von pädagogischen, schulhygienischen und physiologischen Untersuchungen an den Spezialschulen für Musik Halle, Dresden und Leningrad; Dissertation Karl-Marx-Universität Leipzig Ebenda; S. 26

Anmerkungen

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13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

27 28 29 30 31

„Ordnung zur Vervollkommnung des Leitungssystems der Spezialschulen bzw. Spezialklassen sowie der Kinderklassen der Hochschule für Musik und zur Gewährung von Amtsvergütungen für die mit Funktionen betrauten Pädagogen“, vom 30. November 1965, zukünftig: Ordnung: Das dreiseitige Schriftstück, herausgegeben vom Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik – Ministerium für Kultur – Sektor Schulische Einrichtungen., i.V. gezeichnet von Dr. Mrowetz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, liegt nur in einem schlecht lesbaren Ormig-Abzug vor. Die Durchsicht aller „Verfügungen und Mitteilungen“ des DDR-Kulturministeriums zwischen 1960 und 1968 führte zu keinem Fund weiterreichenderer gesetzlicher Regelungen für die Spezialschulen für Musik. In dieser Sammlung ist die „Ordnung“ nicht veröffentlicht worden. In „Spezialklassen“ werden Externe zusammengefasst, die wegen ihres Alters unterhalb der 6. Klasse oder aus anderen Gründen nur die musikalische Spezialausbildung wahrnehmen, für die Allgemeinbildung aber die POS ihrer Heimatorte besuchen. Ordnung; S. 1 Ordnung; S. 2 Ebenda Ebenda Ebenda S. 3 Der Klappentext der „Festschrift Werner Felix zum 70. Geburtstag“ bezeichnet die Maßnahme als Maßregelung „aufgrund zivilen Ungehorsams“. Als Beispiel wird hier der „Arbeitsplan für das Schuljahr 1968/69“ angeführt und zitiert. Ebenda, S. 16 Ebenda. S. 17/18 alle Arbeitspläne von 1968/69 bis 1978/79 im „Archiv des Musikgymnasiums Schloss Belvedere“ – AMGSB Ursula Lenk, Jahrgang 1955, an der Spezialschule von 1965 bis 1971, ab 1979 wieder als Lehrkraft Carola Nasdala, Jahrgang 1961, an der Spezialschule seit 1970 extern, von 1972 bis 1979; heute Stimmführerin im WDR-Sinfonieorchester In einer Dienstberatung der Hochschulleitung am 22.6.1977 verweist Möckel darauf, „dass Koll. Witter von seiner weltanschaulichen Position her für diese Aufgabe“ des stellvertretenden Leiters der Streicherabteilung nicht geeignet ist und bringt „zum Ausdruck, dass die HPL weder für eine Funktionsübertragung noch für eine Dozentur im Falle Witter ist.“ HSA VA I / 27, Der Anteil an Arbeiter- und Bauernkindern wird in den Klassenbüchern unkontinuierlich aufgeführt. 1965/66: 27 von 138 Schülern, 1966/67: 19/132, 1967/68: 36/128, 1968/69: 36/143, 1969/70: 24/130; AMGSB Reinhard Wolschina, Jahrgang 1952, an der Spezialschule von 1967 bis 1970; heute Professor für Komposition an der Weimarer Hochschule Sigurd Sprung, Jahrgang 1951, an der Spezialschule von 1964 bis 1967 s. Klassenbuch 46 und Klassenbuch 55 mit den Zensurenlisten; AMGSB Protokoll der HPL-Sitzung vom 26.10.1964;

Anmerkungen

299

32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45

46 47 48 49 50 51 52 53

300

ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV F-07/769/005 Protokoll der HPL-Sitzung vom 16.2.1981; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV B-07/769/010 Protokoll der HPL-Sitzung vom 29.11.1971; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV B-07/769/007 Protokoll der Sitzung der erweiterten Schulleitung vom 4.10.1978; in einer unvollständigen Sammlung von Sitzungsprotokollen; AMGSB Mitteilung des Bundesarchivs vom 16.2.2009; Kopie der NSDAP- Mitgliederkartei liegt vor; Aufnahmedatum: 20.4.1944; s. „Hochschule für Musik ‚Hanns Eisler‘ Berlin“, Festschrift zum 25-jährigem Bestehen; S. 29 f; vgl. auch „Früh übt sich …“ in „20 Jahre Deutsche Hochschule für Musik ‚Hanns Eisler‘ Berlin s. „Elfriede Gerstenberg erzählt“ in: „Von der Spezialschule zum Landesgymnasium für Musik“ Ebenda, S. 38 Ebenda, S. 42 ff s. „40 Jahre Spezialausbildung Musik in Halle an der Saale“, Festprogramm s. Eva Maria Neumann: Sie nahmen mir nicht nur die Freiheit“; zur Spezialschulausbildung S. 30 ff Protokoll der HPL-Sitzung vom 1.4.1974; HPL-Sitzungsprotokolle 1974/1976; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV C–7/769/002 Protokoll der HPL-Sitzung vom 7.4.1975 ; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV C–7/769/002 Medaillen bei Olympischen Spielen (Quelle: Wikipedia) Sommerspiele; 1964 letzte gesamtdeutsche Mannschaft 1968 Mexiko: USA: 107 / SU: 91 / Ungarn: 32 / Japan: 25 / BRD: 26 / DDR: 20 1972 München: SU: 99 / USA: 94 / DDR: 66 / BRD: 40 1976 Montreal: DDR: 2. Platz hinter SU „Anweisung über die Zusammenarbeit und die Aufgaben der Hochschulen für Musik und der Musikschulen zur Sicherung der Talententwicklung und -förderung sowie des Berufsnachwuchses auf dem Gebiet der Musik“, Verfügung Nr. 8/1974; in „Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Kultur der DDR“ Ausgabe. 8/1974, S. 25 f „Anweisung zur Ausbildung und weiteren Förderung von Spitzenkräften auf dem Gebiet der Musik“, Verfügung Nr. 21/1975; in „Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Kultur der DDR“ Ausgabe 6/1975, S. 45 ff Ordner „Schriftwechsel mit Musikschulen“; AMGSB, Handakte Arbeitsplan für das Schuljahr 1968/1969; S. 20; AMGSB Ebenda, S. 22 Programm „Festwoche anläßlich des 20jährigen“ Bestehens der Spezialschule für Musik Weimar“; AMGSB vgl. hierzu Exkurs „Orchester“ „Thüringische Landeszeitung“ vom 14.6.1978 „Das Volk“ vom 9.6.1978

Anmerkungen

54 55 56 57 58 59

„Thüringische Landeszeitung“ vom 18.3.1978 Arbeitsplan für das Schuljahr 1977/1978; S. 15; AMGSB Protokoll der Sitzung der erweiterten Schulleitung vom 21.6.1978; in einer unvollständigen Sammlung von Sitzungsprotokollen; AMGSB Protokoll der Dienstberatung des Rektors vom 19.5.1980; HSA – VA 1/27 alle Zitate ebenda; Klassenbücher 1979/80, 1980/81, 1981/82; AMGSB

Exkurs Fahnenappell 1 2 3 4

Arbeitsplan für das Schuljahr 1971/72; S. 20; AMGSB Ebenda; S. A 1 ZEIT – Das Lexikon; Bd. 1 S. 307 Brockhaus’ Konversations-Lexikon – Ausgabe von 1908; Bd. 1 S. 757

Kapitel VIII 1

2 3 4

5 6 7 8 9 10 11

Protokoll der HPL-Sitzung vom 21.4.1980; in: HPL-Sitzungsprotokolle 1979/80; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV D-07/769/007. Der ZK-Beschluss für die Einrichtung von ABI an den Hochschulen stammt vom 6.8.1974 Protokoll der HPL-Sitzung vom 19.5.1980; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV D-07/769/007 Protokoll der HPL-Sitzung am 16.6.1980; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV D-07/769/007 vgl. die Protokolle der HPL-Sitzungen vom 29.10., 17.11., 1.12., 15.12.1980, 19.1.1981, 2.2., 16.2. und 6.4.1981, der Wahlberichtsversammlung der SED-Grundorganisation vom 15.10.1980 und der Mitgliederversammlungen der SED-Grundorganisation vom 4.2. und 8.4.1981; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV D-07/769/007 und 010 und GO HfM IV D-07/769/003 Protokolle der HPL-Sitzungen vom 16.2.1981 und vom 6.4.1981; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV D-07/769/010 Protokoll der HPL-Sitzung vom 16.6.1980;ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV D-07/769/007 Protokoll der HPL-Sitzung vom 8.12.1980; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV D-07/769/007 Referat des Rektors vor dem Künstlerisch-Wissenschaftlichen Rat (KüWiRat) am 26.1.1981; S. 7, HSA – VA I/24 Protokoll der HPL-Sitzung vom 16.2.1981, S. 12; ThHStAW, Bezirksparteiarchiv der SED Erfurt, GO HfM, IV D-07/769/010 die folgenden Zitate ebenda, S. 13 f Protokoll der KüWiRat-Sitzung vom 3.11.1981; HSA – VA I/24

Anmerkungen

301

12

Bei der Abschaffung wurde ein demokratisches Procedere ausprobiert: Die GOL der FDJ hatte einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet; die Belvederer FDJ-Gruppen unterstützten diesen Vorschlag und richteten, Klasse für Klasse zwischen dem 24.11. und dem 28.11.1981 entsprechende Anträge zur Abschaffung an Direktor Heß. In: „Sammlung von Stellungnahmen von Schülern“; AMGSB 13 s. Anm. 8 14 Brief an das Ministerium für Kultur vom 23.2.1984; HSA – VA 1/49, Schriftwechsel Spezialschule 15 Festlegungsprotokoll der Dienstberatung des Rektors vom 5.12.1980; HSA – VA 1/27 16 s. Kapitel VII, Anm. 47 17 Die Schülerzahl wächst auf 109; dazu kommen zahlreiche Externe und Förderschüler. Siehe Klassenbücher 1982/83; AMGSB 18 Lehrplan der Spezialschule für Musik für das Fach Klavier Teil I und Teil II; AMGSB 19 Angaben zum Kindertest vom 23.2.1983; HSA – VA 1/49 20 Preisträgerliste vom 7. Wettbewerb für Schüler und Jugendliche „Johann Sebastian Bach“ Leipzig, 10. bis 17. Mai 1986; AMGSB, Handakte 21 Liste von Schülerinnen und Schülern von Prof. Sigrid Lehmstedt, die zwischen 1970 und 2009 als Preisträger bei Nationalen und Internationalen Wettbewerben und Leistungsvergleichen (Klavier) für Kinder und Jugendliche ausgezeichnet wurden. AGMSB, Handakte 22 Statistische Angaben des „Wissenschaftlich-Methodischen Zentrums“ (WMZ) für den Leistungsvergleich der Klassen 10/I 1983 vom 13.6.1983 und vom 27.8.1984 für 1984; HSA – VA I/49 23 Brief des Rektors vom 27.5.1986; HSA – VA 1/49 24 Briefe vom 3.2.1988 und 27.2.1988; HSA – VA 1/49 25 s. Exkurs „Gitarre“ 26 Brief vom 4.1.1982, S. 3; Sammlung „Schriftwechsel zu Baufragen“; AMGSB 27 Ministerratsbeschluss vom 21.9.1987; HSA – VA I/65 28 Brief vom 22.12.1987; HSA – VA I/65 29 Briefe vom 21.1.1988 und 11.2.1988; HSA – VA I/65 30 Vorschläge der vier Spezialschulen (undatiert), vor April 1987; AMGSB, Handakte 31 s. Anm. 14 32 Brief vom 7.6.1989; HSA – VA 1/138 33 siehe hierzu u.a.: Hans-Georg Mehlhorn: „Künstlerische Begabung entwickeln, erkennen und fördern“; Referat, Thesen und Diskussion; o. J. „Nachdenken über künstlerische Begabungen“, Materialien der wissenschaftlichen Konferenz des Ministeriums für Kultur; Leipzig 5. Oktober 1988 34 Brief vom 1.10.1988; AMGSB, Handakte

302

Anmerkungen

Exkurs Gitarre 1 2 3 4 5

6 7 8

Jacob August Otto, Jena 1828, zit. nach Alexandra Stopp: Zur Entwicklung der ‚Weimarer Gitarrenschule’; S. 1 Anna Amalia von Sachsen-Weimar: „Gedanken über die Musick“, zit. nach Wolfram Huschke: Anna Amalia und die Musik ihrer Zeit; S.145 Ebenda, S. 148 Ursula Peter: „Entstehung und Entwicklung der Abteilung Volksmusikerziehung“; in „Festschrift 1972“, S. 197 Die Entwicklung der Akkordeonausbildung in Weimar verläuft bis heute in ähnlichen Bahnen. Auch am Musikgymnasium Schloss Belvedere besitzen die Ausbildung im Kunstinstrument Akkordeon unter Leitung von Prof. Claudia Buder, deren Schüler und ihre Erfolge eine gleich hohe Wertschätzung. Ursula Peter: „Entstehung und Entwicklung der Abteilung Volksmusikerziehung“; a.a.O. S. 197 s. Huschke; S. 233 ff, und Schau; S. 80 ff Alfred Hetschko: „Musikgestaltung der Zukunft“; in „Freiheit“ vom 30. September 1949

Kapitel IX 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Klassenbuch Nr. 211; AMGSB Konzeption „Einjähriger Abiturkurs“ des Ministeriums für Kultur, ausgehend von Vorschlägen der Spezialschule für Musik Berlin, undatiert; AMGSB, Handakte Stellungnahme SfM Weimar vom 10.6.1989; AMGSB, Handakte „Nachtrag vom 23.10.1989“ zur Stellungnahme der SfM Weimar vom 10.6.1989; AMGSB, Handakte „Konzeption zur weiteren Profilierung der Spezialschulen für Musik“ vom 4.12.1989; AMGSB, Handakte Brief der vier Spezialschulen für Musik vom 5.4.1990; AMGSB, Handakte Aktennotiz Heß für Rektor Prof. Dr. Müller Nilsson vom 4.5.1990; AMGSB, Handakte 2 erste, 3 zweite, 4 dritte Preise und 9 Diplome; Offizielle Preisträgerliste; AMGSB s. dazu Huschke; Kap. 7.1. S. 473 – 480 Brief vom 1. 1.1990; AMGSB, Handakte „Das Volk“ vom 3.1.1990, Thüringer Tagespost vom 8. September 1990; AMGSB, Handakte Aktennotiz Heß an Rektor vom 11.9.1990; HSA – VA 1/138 TLZ vom 23.11.1990; AMGSB, Handakte Protokoll der Schulkonferenz vom 1.12.1990; TA vom 3.6.1991; AMGSB, Handakte Tagespost vom 3.6.1991; AMGSB, Handakte TLZ vom 25.6.1991; AMGSB, Handakte

Anmerkungen

303

Exkurs Orchester 1 2 3 4 5 6

s. Exkurs „Namen“ Der Name des Dirigenten und Pädagogen Werner Reuss wird in Programmen hin und wieder auch Werner Reuß geschrieben. Arbeitsplan 1968/69; S. 17, AMGSB Arbeitsplan 1970/71; S. 21, AMGSB Arbeitsplan 1977/78; S. 15, AMGSB Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.02.1995, AMGSB

Kapitel X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

304

Der Status „Jungstudent“ ging im Zuge von Strukturänderungen in den Ministerien wieder verloren. Er wird erst 2009 wieder eingeführt. s. hierzu Huschke, S. 480–491 Vorlage des Referats Gymnasien „Betrifft Weiterführung der Spezialschulen in Thüringen“ vom 7.5.1991; AMGSB, Ebenda, S. 2 Brief vom 14.8.1991; HSA – VA 1/138 später wird die Spreizung direkt vor die Abiturstufe verlegt; auf Klasse 11Sp (Spezial) folgen die Klassen 11 und 12. Vorlage vom 7.5.1991 (s.Anm. 2), S. 2; AMGSB Brief von elf Schülern vom 4.6.1991; AMGSB, Handakte s. Kapitel IX – S. 193 Konzeption Wolfgang Haak, ohne Titel, 23 Seiten, Ormig-Abzug, handschr. datiert April 90; AMGSB Hermann Sprenger: Zur musikalischen Ausbildung an der Spezialschule für Musik; 6 Seiten, Ormig-Abzug; AMGSB vgl. hierzu Huschke, S. 171 ff Brief an Minister Althaus vom 21.7.1992; AMGSB, Schriftwechsel TKM Brief TKM vom 18.5.1992; AMGSB, Schriftwechsel TKM Ergebnisprotokoll vom 20.9.1991; AMGSB; Handakte Brief vom 28.3.92; HSA – VA 138 Schließungsbeschluss aus Gründen des Brandschutzes vom 18.6.1992; AMGSB; Schriftwechsel mit dem Magistrat s. Kapitel III, S. 53 ff alle Vorgänge im AMGSB; Schriftwechsel TKM und Schriftwechsel Magistrat Brief vom 17.9.1992; HSA – VA 138 Brief vom 22.7.1992; AMGSB; Schriftwechsel Magistrat Rahmenvereinbarung vom 22.4.1994; AMGSB Satzung Orchester vom 17.11.1993, AMGSB Regina Lorek: Musikalische Hochbegabung bei Jugendlichen – empirische Untersuchung zur Persönlichkeit und zum Umgang mit Musik Brief vom 11.6.1992; AMGSB; Schriftwechsel Magistrat

Anmerkungen

26 27 28 29

Presseinformation Nr. 69 der Staatskanzlei vom 14.3.1994; AMGSB Sämtliche Unterlagen im Architekturbüro Dr. Lutz Krause, Weimar Musikgymnasium Schloss Belvedere – Dokumentation anlässlich der Grundsteinlegung; s. Schau; Kapitel X Operschule – Studiotheater, S. 170 ff

Exkurs Quellen 1 2

Huschke, S. 378, dazu auch Anm. 609 lt. Auskunft Abt. Personalangelegenheiten der Hochschule für Musik franz liszt

Kapitel XI 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

s. Musikgymnasium Schloss Belvedere, Jahrbuch 2007/2008; Seite 237 ff Musikgymnasium Schloss Belvedere, Jahrbuch 2008/2009; Seite 46 s. Schau, Kapitel XII – West-Östlicher Divan; Seite 196 ff Musikgymnasium Schloss Belvedere, Jahrbuch 2007/2008, S. 252 Musikgymnasium Schloss Belvedere, Jahrbuch 2005/2006 S. 156 s. UNESCO-PROJEKT-SCHULEN in Thüringen – Impulse Heft 39/2001 aus dem Bericht von Kathrin Schneegaß aus Anlass von „10 Jahre ups“ am 20.10.2007 Ebenda S. 2 f; siehe auch die entsprechenden Beiträge in den Jahrbüchern Musikgymnasium Schloss Belvedere, Jahrbuch 2005/2006; Seite 57 Wolfgang Haak: Thesen zur Gründung des internationalen Arbeitskreises von Musikgymnasien; 2.Juni 1998, AMGSB Eine besondere Form der Schulpartnerschaft, Presseinformation; 31.Mai 2001 Rudolf Meyer: Projekt Qualitätsentwicklung an Musikgymnasien (Entwurf Mai 2005); AMGSB S. 3, TLZ vom 28.4.2008; Ostthüringer Zeitung vom 28.4.2008; Musikgymnasium Schloss Belvedere, Jahrbuch 2006/2007; Seite 84 f Musikgymnasium Schloss Belvedere, Jahrbuch 2008/2009; Seite 328 ff Musikgymnasium Schloss Belvedere, Jahrbuch 2006/2007; Seite 236 f Musikgymnasium Schloss Belvedere, Jahrbuch 2006/2007; Seite 333 ff „Vereinbarung über die musikalische Ausbildung …“ vom 9.11.2009; 5.3. „Vereinbarung über die musikalische Ausbildung …“ vom 9.11.2009; Anlage 3 „Vereinbarung über die musikalische Ausbildung …“ vom 9.11.2009; 3. Künstlerischer Leiter „Ingenium musicum 2007–1. Symposium zur frühen musikalischen Spitzenförderung“ maßstabsetzend: Hans Günther Bastian: Leben für Musik – Eine Biographie-Studie über musikalische (Hoch-)Begabungen

Anmerkungen

305

Abkürzungsverzeichnis

ABI ADMV AEM AWA BPKK BPO DNT DSF DTI EOS FDGB FDJ Ge-Wi GOL GST HO HPL JP KPdSU KüWiRat KVP LPG MfK Mf Vb M-L Napola NSLB PA POS REM SED SfM SMA SMATh

306

Arbeiter-und-Bauern-Kontrolle Allgemeiner Deutscher Musik-Verein Arbeitskreis Europäischer Musikgymnasien Amt zur Wahrung der Aufführungsrechte Bezirks-Partei-Kontroll-Kommission Betriebs-Partei-Organisation Deutsches Nationaltheater Deutsch Sowjetische Freundschaft (eigentlich: Gesellschaft der DSF) Deutsches Theater-Institut Erweiterte Oberschule Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Gesellschaftswissenschaften Grundorganisationsleitung (der SED oder der FDJ) Gesellschaft für Sport und Technik Handels-Organisation Hochschul-Parteileitung Junge Pioniere Kommunistische Partei der Sowjet-Union Künstlerisch-Wissenschaftlicher Rat Kasernierte Volkspolizei Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Ministerium für Kultur Ministerium für Volksbildung Marxismus-Leninismus National Politische Erziehungs-Anstalt Nationalsozialistischer Lehrerbund Produktive Arbeit Polytechnische Oberschule Reichserziehungsministerium Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Spezialschule für Musik Sowjetische Militäradministration Sowjetische Militäradministration für Thüringen

Abkürzungsverzeichnis

SV-Ausweise TKM ups UTP VEB VK VP WMZ ZK ZPKK

Sozialversicherungs-Ausweise Thüringer Kultusministerium Unesco-Projekt-Schule Unterrichtstag in der Produktion Volkseigener Betrieb Volkskorrespondent Volkspolizei Wissenschaftlich-Methodisches Zentrum Zentral-Komitee Zentrale Partei-Kontroll-Kommission

Abkürzungsverzeichnis

307

Literaturverzeichnis

Barenboim, Daniel Die Musik – mein Leben Berlin 2004 Barenboim, Daniel/ Parallelen und Pardoxien Said, Edward W. Berlin 2002 Bastian, Hans Günther Leben für Musik Mainz 1989 Berg, Michael Materialien zur Musikgeschichte der DDR Weimar 2001 Ehrenforth, Karl Heinrich Musikalische Begabungsförderung und schulische (Hg.) Allgemeinbildung Felix, Werner Franz Liszt Leipzig 1961 Fuchs Torsten/ Festschrift Werner Felix zum 70. Geburtstag Zock, Michael (Hg.) Frankfurt/Oder 1997 Gärtner, Marcus (Hg.) Quellen zur Geschichte Thüringens Erfurt 2000 Gruner, Marcel Musikgymnasium Schloss Belvedere – Seminararbeit Johann-Gutenberg-Universität Mainz 2006/2007 Gülke, Peter Fluchtpunkt Musik Kassel/Stuttgart 1994 Günther, Gitta-Maria Weimar – Eine Chronik Leipzig 1996 Günther / Huschke /  Weimar, Lexikon zur Stadtgeschichte Steiner (Hg) Weimar 1993 Heldmann, Werner Musisches Gymnasium Frankfurt am Main 1939–1945 Frankfurt am Main 2004 Hinze-Reinhold, Bruno Lebenserinnerungen Weimar 1997 Huschke, Wolfram Musik im klassischen und nachklassischen Weimar Weimar 1982 Huschke, Wolfram Anna Amalia und die Musik ihrer Zeit Wolfenbüttel 1994 Huschke, Wolfram Zukunft Musik Köln/Weimar/Wien 2006

308

Literaturverzeichnis

Jung, Hans Rudolf (Hg.) Kirsten, Holm Knepler, Georg Köster, Maren Kopper, Hilmar Lorek, Regina Meyer, Rudolf Naake, Erhard Neumann, Eva-Maria Prieberg, Fred K. Prieberg, Fred K. Schau, Reinhard Scholz, Rudolf Schroeder, Klaus Stopp, Alexandra Victor, Christoph Xing-hu Kuo (Hg.) – –

Franz Liszt in seinen Briefen Berlin 1987 „Weimar im Banne des Führers“ Köln/Weimar/Wien 2001 Gedanken über Musik Berlin 1980 Musik-Zeit-Geschehen Saarbrücken 2002 Die Bank lebt nicht vom Geld allein Zürich 1997 Musikalische Hochbegabung bei Jugendlichen Frankfurt am Main 2000 Gymnasialer Klassenzug Musik, Gestaltung, Sport/Tanz Hofwil 2002 Von der Realschule zum Friedrich-SchillerGymnasium Weimar 2005 Sie nahmen mir nicht nur die Freiheit München/Zürich 2007 Musik im anderen Deutschland Köln 1968 Musik im NS-Staat Frankfurt am Main 1982 Das Weimarer Belvedere Köln/Weimar/Wien 2006 Damals in Belvedere Halle/Leipzig 1978 Der SED-Staat München 2000 Zur Entwicklung der Weimarer Gitarrenschule Weimar 1996 Oktoberfrühling Weimar 1992 Sangerhausen Böblingen 1992 1000 Jahre Eisleben Festschrift 1994 Lutherstadt Eisleben Eisleben o.J.

Literaturverzeichnis

309

– – – – – – – – –

310

Literaturverzeichnis

Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhauen 33. Band 2008 Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Gymnasium – Festschrift Berlin 1993 Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin 25 Jahre 20 Jahre Deutsche Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin Von der Spezialschule zum Landesgymnasium für Musik Dresden 2007 40 Jahre Spezialausbildung Musik in Halle an der Saale Halle/Saale 2055 Festschrift der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar zum hundertsten Jahrestag ihrer Gründung Weimar 1972 Musikgymnasium Schloss Belvedere Frankfurt am Main 1995 Jahrbücher des Musikgymnasiums Schloss Belvedere 2004/2005–2008/2009

Abbildungsnachweis

AMGSB Archiv Magdeburg Archiv Nordhausen Hochschularchiv „Freiheit“ „Thüringische Landeszeitung“ Sammlung Guericke Gerold Herzog Lutz Krause Maik Schuck privat

14, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 24 5 7 23 2 33 1, 4, 8, 9, 12, 16 11, 25, 27, 28, 30, 31, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50 26 40 3, 6, 10, 13, 15, 27, 29

Abbildungsnachweis

311

Personenregister Abendroth, Hermann 62, 63, 83, 100, 203 Abraham, Paul 128 Abreu, José Antonio 289 Abusch, Alexander 126 Althaus, Dieter 218, 222 Arens, Rolf-Dieter 285 Apitz, Bruno 121 Azeroth, Harald 158 Bach, Carl Philipp Emanuel 11 Bach, Johann Sebastian 11, 14, 15, 27, 80, 85, 131, 144, 146, 181, 188, 206, 243, 247, 276, 282 Bach, Veit 11 Bach, Wilhelm Friedemann 11 Barenboim, Daniel 255, 256 Bastian, Elisabeth 244, 252 Bastian, Hans Günther 226, 288 Bätzel, Friedemann 158, 183, 205 Bätzel, Ludwig 99, 206, 244, 252 Baumgärtel, Gerhard 182 Baumgarten, Rolf 134, 158, 205 Baußnern, Waldemar von 73 Becher, Johannes R. 88 Beck, Karin 158 Beethoven, Ludwig van 17, 231 256 Beez, Joachim 83 Beinroth, Fritz 19, 20, 32, 33, 37 Beinroth, Karl 32 Beinroth, Wolfgang 33 Bergmann, Anne-Kathrin 142 Biehlig, Karl 65, 141, 157, 199 Biester, Georg 148 Böhme, Baldur 205 Böhme, Brunhard 175, 176 Born, Bettina 247, 251, 252 Brahms, Johannes 62, 257 Brauer, Fritz 14, 27

312

Personenregister

Brauns, Dagmar 206 Brecht, Bertolt 100 Breshnew, Leonid Iljitsch 167 Brendel, Alfred 253 Brendel, Franz 71 Britten, Benjamin 206, 276, 277 Bruch, Max 85 Bruckner, Anton 62, 100, 282 Brühl, Heidi 196 Buder, Claudia 303 Busch, Ernst 40 Buschmann, Nora 177, 188 Büttner, Klaus 196, 197, 220, 221, 222, 225, 229, 230, 234, 246 Carnarius, Kleif 158, 179 Carnarius, Sigrid 121, 122 Chirac, Jacques 250 Chopin, Frédéric 12 Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch 53 Cilenšek, Johann 134, 142, 150, 187, 188 Coccejus, Gerlinde 40 Copland, Aaron 207 Czerny, Carl 12 Dahlke, Julius 168 Damm, Peter 65, 143 Debussy, Claude 253 Degner, Erich Wolf 73 Dehler, Ursula 158 Della Guardia, Hans 15, 17, 18, 20–24, 28, 34, 35, 37, 40, 46–48, 56, 57, 65, 67–70, 81, 83, 85, 87–89, 96, 98, 111, 135, 137, 157, 221 Della Guardia, Luigi 47, 48 Della Guardia, Ruth 48, 90 Dessau, Paul 168 Dieckmann, Carl-Heinz 187

Diener, Roger 231 Dietze, Herbert 186 Dietze, Max 186 Donarski, Harald 70 Drengk, Iris 176 Duchač, Josef 197 Dünnhaupt (Stadtpfeifer) 32 Duschl, Karl-Heinz 100 Dvořak, Antonin 62 Effenberger, Barbara 100, 187 Ehlers, Fritz 85, 141, 149, 151, 157 Eisler, Hanns 168 Erxleben, Juliane 149 Fabian (Ordensschwester) 262, 263 Felix, Werner 98, 105, 112, 113, 117, 119, 120, 121, 123, 124 Feltz, Kerstin 158 Ferrand, Carl 93 Fetter, Robert 173 Fickel, Ulrich 197, 199, 211 Fischer-Dieskau, Dietrich 254 Fliedner, Bettina 284 Flor, Claus-Peter 199 Folger, Anne 173, 198 Folger, Friedrich 198 Formenti, Marino 255 Förster, Sylvia 67, 244 Frank, Christian 206, 207, 275 Fritzsche, Jürgen 82, 100 Fuhry, Lancelot 207, 208 Funda, Martin 206 Gabetta, Sol 253 Gaillard, Ottofritz 79 Ganz, Bruno 254 Gebauer, Claus 85 Geppert, Ingo 177, 195, 206 Germer, Volkhardt 235 Gershwin, George 207, 252 Gerstenberg, Elfriede 148, 149 Gerster, Ottmar 106, 185

Glißmeyer, Hans 182 Globke, Hans 127 Göhring, Ute 100 Goethe, Johann Wolfgang von 12, 76, 82, 87, 131, 255 Goethe, Walther von 76 Goethe, Wolfgang von 76 Goldschmidt, Harry 168 Goritzki, Ingo 226 Gorbatschow, Michail Sergejewitsch 167, 178, 180, 197 Gorki, Maxim 167 Gott, Karel 40 Gottschalk, Erich 15, 17, 18, 22, 75, 112 Graness, Willi 24 Grieg, Edvard 206 Große, Renate 100 Gruzman, Grigory 278 Guericke, Klaus 49, 67, 243 Günther, Bernhard 148 Güttler, Ludwig 33 Haak, Wolfgang 159, 160, 174, 176, 181, 184, 193, 196, 212, 214–218, 220–223, 226, 229–231, 239, 240, 243, 271, 272, 279, 283, 289 Hager, Kurt 177, 180 Händel, Georg Friedrich 93, 144, 207, 276 Hansmann, Walter 85 Hartwig, Edgar 89, 122, 123, 151, 152 Hasenauer, Ute 287 Hassler, Hans Leo 31 Hauschild, Wolf-Dieter 100 Havemann, Robert 168 Haydn, Joseph 59, 62 Heilmann, Fritz 198 Heimbuch, Evelyn 197 Heimbuch, Reiner 157, 175, 176, 199, 219 Hellrung Egon 158 Heine, Heinrich 12 Hentschel, Ernst Julius 113

Personenregister

313

Herbst, Walter 24, 25, 26, 35, 36, 37, 43, 99, 203 Herder, Johann Gottfried 12, 100 Herkomer, Ingeborg 174 Hermlin, Stefan 38 Hertel, Klaus 149 Herzog, Gerold 270, 271, 274, 283 Heß, Helmut 154, 161, 167, 171, 172, 176, 181, 182, 193, 196–200, 214, 215, 219, 239, 278 Hetschko, Alfred 23, 27, 28, 34, 43, 48 Heuss, Theodor 16 Hilpert, Kathrin 257, 261 Hinterhäuser, Marcus 255 Hinze-Reinhold, Bruno 61, 74, 161 Hitler, Adolf 58, 78, 91, 128 Hlouschek, Theodor 187 Höfer, Reiner 45 Hoffmann, Hans-Joachim 177 Hoffmann, Hilmar 229 Hoffmann, Jan 238 Hoffmann, Jens 200 Hofmann, Jörg 151, 154, 279 Hofmann (Theorielehrer) 121, 122, 124 Honecker, Erich 132, 191 Honecker, Margot 132, 182 Hübenthal, Edda 298 Hübenthal, Kurt 154 Hugo, Victor 12 Humperdinck, Engelbert 55 Huschke, Dieter 100, 137, 158, 275 Huschke, Joachim 200 Huschke, Michael 200 Huschke, Wolfram 74, 199 200, 219, 225, 226, 228, 238, 283, 286, 295 Ismer, Alexandra 201 Ives, Charles 207 Jähne, Horst 27 Jähne, Wilhelm 25, 27 Janka, Walter 168 Jarnach, Philipp 48

314

Personenregister

Jekall (Schüler) 121 John, Helmuth 27, 40 Johns, Bibi 196 Jung, Hans Rudolf 150, 151, 154, 157, 161, 165 Just, Franz 187 Kafka, Franz 160 Kahlert, Gunter 205, 236 Kamprath, Herbert 37 Käppel, Hubert 189 Kapsner, Michael 246 Karajan, Herbert von 136 Karg-Elert, Siegfried 25 Kauffmann, Bernd 255, 256 Kayser, Karl 82 Keller, Dietmar 183 Kellner, Fritz 32 Kestenberg, Leo 74, 218 Kirmße, Herbert 187 Klahn-Albrecht, Liese 254 Kleinsorge, Uwe 151, 152 Kleist, Heinrich von 165 Klock, Tibor 289 Knepler, Georg 168 Koch, Ewald 148 Kohl, Helmut 194, 250 Köhler, Johannes Ernst 124 Köhler, Siegfried 149 Köhlert, Werner 107 König, Fred 40 Koppa, Ingrid 186 Kopper, Hilmar 229, 230, 246 Krahnert, Sebastian 206 Kranz, Erich 190 Krása, Hans 267 Kratzer, Tobias 276 Krause, Brigitta 279, 282 Krause, Lutz 232 Krebs, Elke 179 Krebs, Peter 149, 151, 154, 179 Krenz, Egon 191 Krieg, Franz 186

Krug, Reinhold 148 Krug, Willy 33 Krüger, Jörg 130 Kühn, Siegfried 43 Kunath, Werner 100 Kunert, Uta 177, 194, 195, 206 Lahrtz, Jürgen 40 Lamann, Heinz 61, 113 Lammert, Norbert 200 Lang Lang 289 Lang, Marianne 70, 221 Lang, Otto 70, 79 Lange, Eckart 199 Lauckhard, Carl Friedrich 71 Laue, Petra 266, 267, 268 Lebedev, Juri 207, 276 Léhar, Franz 128 Lehmann, Andreas 176, 284 Lehmann, Volkmar 142, 154, 161 Lehmstedt, Sigrid 155, 172, 173, 174, 176, 201, 228 Lemp, Werner 149 Lemper, Ute 196 Lenin, Wladimir Iljitsch 137, 162 Lenk, Ursula 140, 160, 161, 175 Leopoldi, Hermann 128 Lieberknecht, Christine 191, 197, 199, 200, 211, 251 Liebknecht, Karl 162 Liebrecht, Horst 61 Ligeti, György 207 Lincke, Paul 93 Lindig, Anne-Kathrin (geb. A.-K. Bergmann) 207, 219, 225, 247, 285 Lindig (Köchin) 70, 84 Liszt, Adam 12 Liszt, Maria Anna 12 Liszt, Franz 12, 13, 63, 71, 105, 131, 161, 162, 174, 203, 208, 283, 284 Löhner-Beda, Fritz 128 Lorek, Regina 227 Lorenz, „Igel“ 119

Lott, Manfred 214 Lübeck, Winfried 289 Lucke-Kaminiarz, Irina 238 Luderer-Lüttich, Adolf 22 Lukoschek, Rolf 100, 139 Luther, Martin 11, 144 Luxemburg, Rosa 263, 275 Macher, Fritz 161 Mäder, Wolfgang 151, 152 Mahler, Gustav 244 Maizière, Lothar de 194 Majakowski, Wladimir 100 Marggraf, Wolfgang 199, 212, 213, 214 Markwarth, Udo 158 Marschner, Wolfgang 177 Matthiae, August 77 May, Gisela 40 Mehlhorn, Hans-Georg 184 Mendelssohn Bartholdy, Felix 19, 83, 195 Merkel, Angela 200 Meyer, Ernst Hermann 38 Meyer, Rudolf 272, 273 Meyerolbersleben, Ernst 93, 94 Miebs, Jochen 41, 45, 82, 275 Misgaiski, Kurt 65 Mitsching (VP-Offizier) 44 Möckel, Siegfried 120, 123, 135, 136, 142–144, 151, 155, 158–161, 167, 178 Modrow, Hans 239 Mohr (Volksbildungsfunktionär) 14 Monteverdi, Claudio 234 Mounier, Jean Josèphe 77 Mozart, Wolfgang Amadeus 140, 197, 200, 201, 206, 234, 256 Müller, Christian Wilm 161, 176, 195, 283, 284, 289 Müller, Gerhard 181 Müller, Siegfried 187 Müllerhartung, Carl 13, 71, 72, 73

Personenregister

315

Müller-Nilsson, Diethelm 165, 167–170, 172, 174, 175, 177, 181, 184, 195, 198, 228 Müller-Pering, Thomas 188 Münch, Michael 278 Musil, Robert 119 Nasdala, Carola 141, 151, 158, 179, 180, 199 Nasdala, Gudrun 151 Neaman, Yfrah 226 Neumann, Dieter 146 Neumann, Eva-Maria 149, 150 Neumann, Günter 243 Neumann, Rudolf 132, 149 Niels, Herms 94 Nietzsche, Friedrich 140 Niggeling, Willi 56, 98 Nissen, Ude 118 Nyongesa, Edwin 262, 265 Oberborbeck, Felix 91 Oberländer, Theodor 127 Offermann, Thomas 189 Oistrach, David 149, 155 Oreyzi, S.M. 231 Ostrowski, Alexander Nikolajewitsch 100 Paganini, Niccolò 12 Pagés Valls, Joan 208 Paisiello, Giovanni 252 Pasquet, Nicolás 206, 225 Pasternak, Boris 215 Paul, Albert 22, 24–26, 36, 41, 43, 44, 57, 60, 66, 67, 88, 101, 103, 105, 109–111, 240 Paul, Lieselotte 110 Perlas, Tabaré 207 Peterburski, Jerzy 128 Peter, Ursula 185, 186, 187, 188 Petzold, Torsten 207 Pfitzner, Hans 100

316

Personenregister

Pflüger, Gerhard 140 Pieck, Wilhelm 67, 162 Pieper, Lieselotte 142, 157, 175, Pillney Karl Hermann 48 Pischner, Hans 106, 107, 108 Pohland, Paul 112, 118, 123 Popp, Gotthard 151, 154, 161, 179 Probst-Polašek, Barbara (geb. B. Effen­ berger) 187 Puccini, Giacomo 213, 234 Purcell, Henry 234 Quantz, Johann Joachim 31 Quasthoff, Thomas 255 Rajeshkumar, Kausikan 283 Rattle, Sir Simon 278 Ravel, Maurice 253 Rechtsiegel, Wilhelm 82 Reger, Max 207 Reichardt, Max 92, 93, 94, 95 Repke, Erich 186 Reuss, Werner 14, 27, 45, 62, 96, 99, 203, 204 Richter, Evelyn 266, 267, 270 Richter, Edelbert 198 Richter, Swjatoslaw 155 Ringeissen, Bernard 253 Rögner, Wolfgang 199 Röhr, Karl Friedrich 96–98, 100, 101, 105, 112, 117, 135, 137, 157 Rost, Jürgen 177, 187, 188, 189 Rost, Monika 187, 188, 189 Rother, Erich 27, 121, 122 Sachsen-Weimar-Eisenach, Anna Amalia von 12, 76, 185 Sachsen-Weimar-Eisenach, Carl Alexander von 71, 72, 73, 76 Sachsen-Weimar-Eisenach, Carl August von 76, 77, 86 Sachsen-Weimar-Eisenach, Constantin von 76

Said, Edward 255, 256 Sailer, Till 204 Saint-Saëns, Camille 99 Samel, Udo 254 Sand, George 12 Sauckel, Fritz 58, 78, 91, 92, 93 Sauer, Gabriele 188, 219 Schedel (Stadtpfeifer) 32 Schicha, Annette 275, 276 Schiecke, Wolfram 151, 176, 223, 225 Schiff, András 255 Schiller, Friedrich von 12, 100, 131 Schirach, Baldur von 91 Schirach, Carl von 91 Schmidt, Rudolf 168 Schneegaß, Götz 293 Schneegaß, Kathrin 262, 265 Schneidewind, Helmut 33 Schnittge, Alfred 207 Schnitzler, Karl-Eduard von 136 Scholl, Hans 144 Scholl, Sophie 144 Scholz, Werner 148 Schönberger, Esther 238 Schorlemmer, Friedrich 190 Schostakowitsch, Dmitri 252 Schröder, Gisela 155 Schröer, Helmut 196 Schulik, Andreas 179 Schumann, Anne 158 Schumann, Robert 256 Schunk, Heinz 100 Schütz, Andrea 283 Schwesinger, Brigitte 284 Seerig, Barbara 266, 267, 270 Senff, Wilhelm 106, 107 Siegmund-Schultze, Walther 54 Silja, Anja 254 Simon, Ernst (Fachschule) 94, 101, 102, 104, 105 Simon, Ernst (Hochschule) 94 Sixt, Paul 92, 93 Slomma, Horst 134, 165

Socha, Walter 186 Soler, Antonio 243 Solschenyzin, Alexander 215 Soret, Frédéric 76, 87 Spannhof, Christiane 188 Speidel, Hans 127 Spira, Steffi 163 Sprenger, Hermann 176, 217, 218, 275 Sprung, Sigurd 142, 143 Stalin, Josif Wissarionowitsch 81 Stanislawski, Konstantin Sergejewitsch 79 Steiner, Rudolf 124 Steinhof, Steffi 270 Stockhausen, Karl-Heinz 33 Stolzenburg, Tim 176, 284 Strawinsky, Igor 234 Strauch, Frank 179 Straumer, Christine 155 Strauss, Richard 16, 62, 72 Streichardt, Antonius 187 Strittmatter, Erich 146 Strittmatter, Eva 146 Ströbel, Hermann 222 Suppé, Franz von 93 Szesny, Peter 201 Tartini, Giuseppe 85 Thälmann, Ernst 162 Tietz, Rüdiger 151, 152 Torhorst, Marie 107 Tschaikowski, Peter 206 Tschechow, Anton 82 Tutschku, Jochen 139, 158, 204 Twain, Mark 82 Tzavara, Elena 276 Ulbricht, Gert 198 Ulbricht, Walter 126, 137, 142, 162 Valentyn, Thomas van den 231, 233 Vallentin, Maxim 79 Vehlhaber, Ulrike 146

Personenregister

317

Verdi, Giuseppe 213 Vieweg, Erich 146, 157, 164, 165 Vincze, Uta 272 Visontay, Zsolt 207, 256 Vogel, Bernhard 222, 226, 230, 231 Vogeler, Rudolf 69 Wagner, Richard 93 Wagner, Ruth 199 Wagner, Siegfried (Komponist) 55 Wagner, Siegfried (Kulturfunktionär) 126 Waiman, Michail 85 Walther, Berit 267, 275 Walther, Uta 176 Wand, Uwe 100 Wappler, Robinson 199 Wätzig, Hans-Werner 148 Weill, Kurt 234 Weiß, Gerhard 243 Weiß, Sigrid (geb. S. Carnarius) 243 Weizsäcker, Richard von 200 Wendlandt, Konrad 62 Wendt, Erich 117 Wengert, Siegfried 100, 203

318

Personenregister

Wenke, Otto 33 Wenkel, Horst-Dieter 118 Werner, Hermann 206 Wiegner, Thomas 238 Wieland, Christoph Martin 12, 76, 86 Wilhelmi, Gerhard 66, 67 Wittenbecher, Ingrid (geb. I. Koppa) 188 Witter, Jost 85, 142, 143, 151, 154, 175, 176, 198 Woitschik (Hausmeister) 84 Wolf, Christa 146 Wolschina, Reinhard 142 Wussow, Karl-Heinz 136 Yo-Yo Ma 256 Zachow, Friedrich Wilhelm 31 Zeretzke, Georg 81 Zeppin, Martina 257 Zhang Shi Xiang 177 Ziesak, Ruth 255 Zimmer, Roland 188 Zimmermann, Tabea 255 Zimmermann, Udo 144

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Das Belvedere in Weimar wurde als barockes Jagdschloss mit umliegenden Kavalierhäusern erbaut. Herzogin Anna Amalia führte hier in den Sommermonaten ihre Regierungsgeschäfte. Die Tradition des Ortes als Bildungsstätte beginnt mit Christoph Martin Wieland, der als Prinzenerzieher auf seinen Schützling Carl August in der naturnahen Atmosphäre Belvederes besonders nachhaltig wirkte. Das Buch zeichnet die vielfältigen pädagogischen Initiativen, die mit dem Belvedere institutionell und programmatisch verbunden sind, vom späten 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart nach. Die erste Bildungsinstitution auf dem Berg mit der schönen Aussicht war eine Eliteschule für Diplomaten (18. Jh.). Für Mitglieder der Großherzoglichen Kunstschule (19. Jh.) und das »Neue Weimar« um Harry Graf Kessler (Anfang 20. Jh.) bot die Harmonie von Natur und Kultur reiche Anregungen. Seit den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts ist das Belvedere Heimstatt für verschiedene Schulen musischer Bildung, so für das legendäre »Deutsche Theater-Institut« und für Abteilungen der Hochschule für Musik Franz Liszt. Seit 1996 residiert dort in einem Neubau das »Musikgymnasium Schloss Belvedere«. ÖÖ3Ö-)4ÖÖ37 !""Ö'"Ö-)4Ö35ÖÖ )3".Ö    

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Kausinen Helsinki

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