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German Pages 116 Year 1966
KOMEDIÄ 11 FERDINAND RAIMUND DAS M Ä D C H E N AUS D E R F E E N W E L T oder D E R B A U E R ALS M I L L I O N Ä R
K O M E D1Ä DEUTSCHE LUSTSPIELE VOM B A R O C K B I S ZUR G E G E N W A R T Texte und Materialien zur Interpretation Herausgegeben von H E L M U T A R N T Z E N und K A R L P E S T A L O Z Z I
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1966 WALTER DE G R U Y T E R
& CO. /
BERLIN
V O R M A L S G. J . G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G • J . G U T T E N T A G V E R L A G S B U C H H A N D L U N G • G E O R G R E I M E R • KARL J. T R Ü B N E R V E I T & COMP.
FERDINAND RAIMUND
D A S M Ä D C H E N AUS DER FEENWELT oder
DER BAUER A L S M I L L I O N Ä R Romantisches Original-Zaubermärchen mit Gesang in drei Aufzügen
Text und Materialien zur Interpretation besorgt von URS H E L M E N S D O R F E R
1966 WALTER DE G R U Y T E R
& CO. / B E R L I N
V O R M A L S G. J . G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G • J . G U T T E N T A G V E R L A G S B U C H H A N D L U N G • GEORG R E I M E R • K A R L J. T R Ü B N E R V E I T «c C O M P .
Szenenbild
aus
der „ G a l l e r i e
interessanter
und
drolliger
Szenen
der
W i e n e r B ü h n e n " , einer S a m m l u n g v o n K u p f e r s t i c h e n , die in losem Z u s a m m e n h a n g mit A d o l f Bäuerles „ T h e a t e r z e i t u n g " erschienen. A u s s c h n i t t nach B r u k n e r u n d Castle V , S . 1 2 0 a .
Archiv-Nr. 3609662 © 1966 by Waltet de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J. Trübner - Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Str. 13. Printed in Germany. Alle Rechte der Übersetzung, des Nachdruckes, der Anfertigung Ton Photokopien und Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30
DAS MÄDCHEN AUS DER FEENWELT odet DER BAUER ALS MILLIONÄR Zweiter Aufzug, Seena 6
PERSONEN LAKRIMOSA,
eine mächtige Fee, verbannt auf ihr Wolkenschloß.
ANTIMONIA,
die Fee der Widerwärtigkeit.
BORAX,
ihr Sohn.
BUSTORIUS,
Zauberer aus Warasdin.
AJAXERLE,
Lakrimosens Vetter und Magier aus Donau-Eschingen.
ZENOBIUS,
Haushofmeister und Vertrauter der Fee Lakrimosa.
SELIMA,
1
ZULMA,
J
Feen aus der Türkey.
HYMEN. AMOR. DIE
ZUFRIEDENHEIT.
D I E JUGEND. D A S HOHE A L T E R . DER NEID, Der
HASS,
1
Zwillingsbrüder.
LIRA,
die Nymphe von Carlsbad.
ILLI,
Briefbothe im Geisterreiche.
TOPHAN,
Kammerdiener des Hasses.
NIGOWITZ,
ein dienstbarer Geist des Hasses.
Tonkünstler.
EINE GEISTIGE W A C H E . E I N SATYR.
DER
MORGEN.
DER
ABEND.
DIE
NACHT.
N E U N GEISTER ALS W Ä C H T E R DES ZAUBERRINGES. E I N G E N I U S DER N A C H T . GEISTER DER
NACHT.
M E H R E R E ZAUBERER UND F E E N . E I N G E N I U S ALS L A T E R N B U B E . E I N BEDIENTER DES BUSTORIUS. E I N D I E N E R DER F E E L A K R I M O S A . FORTUNATUS W U R Z E L ,
seine Ziehtochter.
LOTTCHEN, LORENZ,
diener.
ehemals Waldbauer, jetzt Millionnair.
ehemals Kuhhirte bey Wurzel, jetzt sein erster Kammer-
HABAKUK,
Bedienter.
KARL SCHILF,
ein armer Fischer.
MUSENSOHN, SCHMEICHELFELD,
Wurzeis Zechbrüder.
AFTERLING, E I N SCHLOSSERGESELLE. E I N SCHREINER. M E H R E R E BEDIENTE GESELLEN.
bey Wurzel.
VOLK.
Die Handlung beginnt am Morgen des ersten Tages, und endiget am Abende des zweyten. Spielt theils im Feenreiche, theils auf der Erde.
ERSTER AUFZUG Seena i Großer Feensaal, mit magischen Lampen von verschiedenen Farben hell beleuchtet, welche, auf Candelabern angebracht, die Coulissen gieren. Im Hintergrunde die Öffnung eines großen Bogenthores, welches durch einen Shawlartigen mit Gold verbrämten Vorhang verdeckt wird. In der Mitte des Theaters spielen Z W E Y F U R I E N , ein T R I T O N und der kleine B O R A X ein Quartett von %wey Violinen, Viola und Violoncello. Die Stimmen des Quartetts wechseln mit Solo. Die Instrumente sind von Gold, die Pulte ideal. Im Kreise sitzen: B U S T O R I U S , Z E N O B I U S , A N T I M O N I A , SELIMA,
ZULMA,
LIRA,
der
MORGEN,
die
NACHT,
der
ABEND
und
mehrere andere A L L E G O R I S C H E P E R S O N E N , Z A U B E R E R und F E E N , die von Zeit ¡^u Zeit von 4 G E N I E N , welche als geflügelte Livreybediente gekleidet sind, auf silbernen Tassen mit Konfitüren bedient werden. Das Gan%e wird von folgendem Chor begleitet. CHOR.
Welch ein herrliches Conzert, Wo sich hoch die Kunst bewährt. Was ist Amphions Geklimper? Selbst Apollo ist ein Stümper, Wenn man solche Künstler hört. Bravo! Bravo 1 O vortrefflich! Bravo! BravoI Verhallend. Bravo! Bravo! Allgemeiner
Applaus.
Alles erhebt sich von den Sitten, die Spielenden legen ihre Instrumente weg, und verneigen sich. Bravissimo, meine Herren! Das haben Sie gut gemacht. Zum Triton. Besonders Sie!
ZENOBIUS.
tritt vor, einen Csakan in der Hand, im ungarischen Dialekt. Istin utzek! Ist das schönes Quartett, von wem ist das komponirt ?
BUSTORIUS
ZENOBIUS. BUSTORIUS. ZENOBIUS,
Das Adagio ist von einem Delphin. Und das Furioso? Von einer Furie.
Scena i BORAX.
9
Aber Mama, mich loben's gar nicht.
ANTIMONIA. BUSTORIUS.
Sey nur still! Das kleine Bübel greift aber manchmal ein Bißel falsch.
die währenddem ihrem Sohn immer den Schweiß von der Stirne getrocknet hat. Mein Herr, das könnte mich beleidigen I Er ist der erste Violinspieler im ganzen Feenreich, er hat einen englischen Meister, der für jede Lection zweyhundert Schillinge bekommt.
ANTIMONIA,
Ganz gut. Aber überlassen Sie sein Lob andern Leuten.
ZENOBIUS.
Wer kann ihn unpartheyischer beurtheilen als ich, seine Mutter? Eitel. Obwohl mir's, meiner Jugend und meiner Reize wegen, Niemand ansieht, daß ich seine Mutter bin.
ANTIMONIA.
BUSTORIUS.
Nein, hätt' ich Ihnen für seine Großmutter gehalten.
O Sie einfältiger Zauberer! Borax weint laut. Pfui, mein Boraxy, mußt nicht weinen. Hörst! mußt gar nicht aufmerken auf die abscheuligen Leute da.
ANTIMONIA.
weinerlich. Freilich I Was liegt denn mir an den Leuten, die können alle weniger als ich.
BORAX
ANTIMONIA. ZENOBIUS
So mein Bubi! So ists recht! Jetzt bist brav!
lachend.
Bravissimo!
lachend. Das ist gute Erziehung. Buben thut sie schön, und Meister gibt sie Schilling.
BUSTORIUS
Beleidigen Sie mich nicht länger, oder ich verlasse die Gesellschaft. Will fort.
ANTIMONIA.
Bleiben Sie. — Hat Lakrimosa Sie darum zu sich gebethen, um zu streiten? Sie wird augenblicklich erscheinen, und empfängt nur ihren Vetter, den sie aus Donau-Eschingen erwartet hat und der, wie Sie alle, im Hexengasthof abgestiegen ist, weil im Pallast hier niemand wohnen darf.
ZENOBIUS.
Gut. Aus Höflichkeit will ich bleiben, aber schweigen kann ich nicht, durchaus nicht!
ANTIMONIA.
Das ist liebenswürdige Frau! Wenn ich einmahl heyrath, nimm ich keine andere, aber sie auch nicht.
BUSTORIUS.
10
Erster Aufzug Seena 2 Ein
DIENER.
FEENDIENER. VORIGE.
Die Fee.
Sie sieht noch gut aus von Weiten.
BUSTORIUS.
Das Schicksal hat sie mit ewiger Jugend beschenkt, darum hat der Gram ihre Reize geschont.
ZENOBIUS.
Seena 3 erscheint mit betrübter, aber doch höflicher Miene. A J A X E R L E im schwäbischen gestreiften Zauberhabit. Er ist sehr geschäftiger, gutmüthiger Natur, trippelt gerne herum, und sagt alles mit dumm lachender Miene, als freute ihn Alles, was er spricht. V O R I G E . LAKRIMOSA
ALLE.
Vivat! Die Hausfrau!
L A K R I M O S A . Es freut mich, meine werthen Gäste, wenn Sie sich gut unterhalten haben. ALLE.
Vortrefflich 1
Hier stelle ich Ihnen meinen geliebten Vetter vor, Magier aus Schwabenland.
LAKRIMOSA.
im schwäbischen Dialecte. Freut mich, Sie allerseits kenne Zu lerne.
AJAXERLE
ALLE.
Freut uns!
BUSTORIUS.
Was Teuxel, das ist ja der Ajaxerle?
Der Tausend, wie kommen denn Sie daher? A h Herrjegerle, das freut mich! Umarmt ihn.
AJAXERLE.
LAKRIMOSA.
Kennen sich die Herren?
Das glaub' ich. Wo habe wir denn nur geschwind Freundschaft geschlosse ?
AJAXERLE.
BUSTORIUS.
Temeswar.
Wissen Sie nicht? Auf dem letzten Geisterdiner in
Richtig! Wo Sie mir die Bouteille Wein an den Kopf geworfe habe, da habe ich die Ehr gehabt, Sie kenne zu lerne.
AJAXERLE.
Scena 3
11
tritt ^wischen Beide. Genug, meine Herren 1 Diese schönen Erinnerungen ein anderes Mahl. A n mir ist die Reihe. Überblickt alle mit Wohlgefallen, dann spricht sie mit Gefühl. J a , es ist Keines ausgeblieben, alle sind sie hier, die mein Schmerz zu sich bitten ließ. Türkische, böhmische und ungarische Wolken haben sie zu mir getragen, federn die Hand reichend. Mein Bustorius aus Warasdin, meine Freundinn, die Nymphe von Karlsbad, sogar Selima und Zulma, die Feen von der türkischen Gränze. Du, stille Nacht, an deren Busen sich so oft mein sinnend Haupt gelegt. Der Morgen und der Abend, Blödsinn und Faulheit et cetera, et cetera, alle, alle sind Sie hier.
LAKRIMOSA
BUSTORIUS.
Ist das Freude, seyn wir Alle da!
LAKRIMOSA. Und nun hören Sie die Ursache, warum ich Sie auffordern ließ, Ihre Wolkenschlösser zu verlassen, und mir in meiner bedrängten Lage Beystand zu leisten. ALLE. Erzählen Sie. Alle setzen sich. E s sind nun volle 1 8 Jahre, als ich an einem heitern Juliustage auf einem Sonnenstrahl nach der Erde fuhr, und mich in Blitzesschnelle in einem angenehmen Thal befand. V o r mir stand ein junger, blonder Mann; ihn zu sehen und zu lieben war das Werk eines Augenblicks. Es war der Director einer reisenden Seiltänzer-Gesellschaft, die in diesem einsamen Orte Halt machte, und nicht mehr weiter ziehen wollte, bis die für 200 Gulden rückständige Gage augenblicklich gesichert wäre. Mein Entschluß war gefaßt: er mein Gemahl oder Keiner. Ich zauberte ihm schnell einen Beutel Louisdors in die Tasche, und flog, in eine girrende Taube verwandelt, in mein Reich zurück. Mein Freund Zenobius sah mich kommen. Erinnerst du dich noch?
LAKRIMOSA.
Ja, es war an einen Mittwoch, und den Tag vorher hatten wir Holz bekommen.
ZENOBIUS.
Ihm übergab ich geschwinde die Schlüssel meines Palastes, und um schneller die Erde zu erreichen, verwandelte ich mich in einen Pfeil, und Zenobius schoß ihn in das Dach des Wirthshauses, welches mein Geliebter indessen bezogen hatte. Ich stieg als reisende Schauspielerin darin ab, und, um kurz zu seyn, er sah mich, liebte mich und ward mein Gemahl. Doch nach 2 glücklichen Jahren — wer hilft mir die Erinnerung dieses Schmerzes ertragen ? — stürzte er vom Seil, das er von einem Stadtthurm zum andern gespannt hatte, und verhauchte seinen stolzen Geist. Weint.
LAKRIMOSA.
12
Erster Aufzug
A L L E weinen mit.
AJAXERLE. Ja das Seiltanze, ich hab's auch einmal probirt, aber ich versichere Sie, ich bin recht auf den K o p f gefalle. BUSTORIUS. Das hab' ich schon lang bemerkt, hab' ich nur nicht gleich sagen wollen. LAKRIMOSA. V o n tiefer Trauer erschüttert, nahm ich mein Kind, ein Mädchen v o n 2 Jahren, und kehrte mit ihr ins Feenreich zurück; bezahlte schnell die Schulden, die mein treuer Zenobius indessen auf meinen Nahmen gemacht hatte, und nachdem mein Schmerz vertobt war, erbaute ich meiner Tochter einen diamantenen Pallast, ließ sie in dem höchsten Reichthum erziehen, und schwur, ihre Hand nur dem Sohne der Feenköniginn selbst zu geben. K a u m hatte ich diesen unseligen Schwur gethan, so krachten die Säulen meines Pallastes, und vor mir stand die Königinn der Geister. Büße deine Frechheit, sprach sie, übermüthiges Weibl Einem Sterblichen hast du dich vermählt, und deines Kindes Herz willst du durch Glanz vergiften? So höre meinen Ausspruch: »Entrissen sei dir auf Erden deine Feenmacht, so lange bis die Bescheidenheit deiner Tochter deinen Übermuth mit mir versöhnt. In brillantne Wiege hast du sie gelegt, darum sey Armuth ihr Loos, und des Reichthums Glanz werde ihr zum Fluch. Meinem Sohne hast du sie bestimmt: dem Sohne des ärmsten Bauers werde sie angetraut. Auf die Erde setzest du sie aus, dem Irrdischen gehört sie an, dann kehrst du zurück in dein Wolkenhaus, und nur die Tugend deiner Tochter kann dich daraus erlösen. Wird sie allen Reichthum hassen, und v o r ihrem achtzehnten Jahre mit einem armen Manne, der ihre erste Liebe seyn muß, sich verbinden, so ist dein Bann gelöst. D u darfst sie wiedersehn, doch nur in mäßigen Wohlstand versetzen. Erfüllt sie bis zu ihrem achtzehnten Frühling diese Bestimmung nicht, ist sie für dich verloren. Bescheidenheit heiße ihr G l ü c k , denn sie ist nur eine Tochter der Erde.« Sie verschwand. BUSTORIUS nach einer Pause. E r d ö k l Ist das schöne Geschieht! AJAXERLE.
SO traurig und so lang auch noch, das ist das Schöne.
LAKRIMOSA. Ich sank mit meinem Kinde auf die Erde nieder. In einem düstern Walde, und in der Gestalt eines alten Weibes pochte ich an eine niedere, aber reinliche Hütte. E i n lustiger treuherziger Bauer, ihr einziger Bewohner, sprang heraus; er hieß Fortunatus Wurzel. Ich sank zu seinen Füßen, und beschwor
Scena 3
13
ihn, er möchte sich des armen Kindes erbarmen, sie gut und fromm erziehen, nie aus dem Walde lassen, und mit siebzehn Jahren an einen armen Jungen, den sie lieb gewinnt, verheyrathen. Wird er dieß befolgen, soll er mich am Tag der Heyrath wiedersehen, und ich werde ihn reichlich belohnen; wer ich sei, dürfte ich ihm nicht sagen. E r schwur, meine Bitte zu erfüllen, und eilte mit dem Kind in die Hütte. Langsam und trauernd schwang ich mich auf, Thränen entstürzten meinen Augen, wurden zu kostbaren Perlen und fielen nieder auf das Strohdach seiner Hütte. Nach einer Pause seufzend. Ob er sie gefunden hat, weiß ich nicht. BÜSTORIUS
gleichgültig. Weiß ich auch nicht.
LAKRIMOSA. BUSTORIUS.
Jetzt kommt das Wichtigste. Also noch nicht aus? Bravo!
Vierzehn Jahre hat er sein Wort treu gehalten, doch über Ein Jahr lebe ich schon in qualvoller Angst. Die mißgünstigen Gesinnungen meiner Dienerschaft verschafften dem Neid Eintritt in mein Exil, und dieser mächtige Fürst der Galle verliebte sich in mich, und warb um meine Hand; doch da er von jeher aus meinem Herzen verbannt war, wies ich ihn mit Verachtung ab. Um sich nun dafür zu rächen, schwur er, mich durch meine Tochter zu verderben, und ließ den Bauer einen großen Schatz finden. Im Besitze dieses Reichthums ist dieser nun seit 2 Jahren wie verwechselt, wohnt in der Stadt, lebt auf dem größten Fuße, ergibt sich dem Trünke, mißhandelt meine Tochter, und will sie zwingen, einen reichen Freyer zu wählen, während ihr Herz an einem armen Fischer hängt. Morgen um Mitternacht zählt sie 18 Frühlinge, und wenn sie bis dahin nicht die Braut des Fischers ist, ist sie für ihre Mutter verloren. — Ich muß hier müßig bleiben, und darf sie nicht beschützen. Alle Geister in der Nähe der Feenköniginn habe ich seit zwei Jahren vergebens um Hülfe angefleht, darum habe ich in meiner höchsten Noth nun Sie versammeln lassen, und wenn Sie nicht alles aufbiethen, mein Kind zu retten, so bin ich die unglücklichste Fee, die je einen Zauberstab geschwungen hat.
LAKRIMOSA.
ALLE
springen auf. Pereat der Neidl Pereat der Bauer!
ZENOBIUS. ALLE.
Lakrimosa soll leben!
Hurrah I
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Erster Aufzug
Kommen Sie, Frau! Seyn Sie nicht traurig. Waren Sie zwar stolzes Weibsbild, aber seyn Sie bestraft, seyn Sie doch gute Person, haben Ihr Kind gern, das gfallt mir. Geben Sie mir Bußel. Nimmt sie beym Kopf und küßt sie. Nit wahr, meine Freunde, wollen wir ihr alle helfen?
BUSTORIUS.
ALLE. Alle! Allel Was wollen Sie mehr? Seyn das nicht rare Geister? Verlassen Sie sich auf ungarische Zauberer; was Ungar verspricht, das halt er; hat er festes Blut in sich, wie Eisenbad in Mehadia. Wir wollen schon einheizen dem vertrackten Purzel oder Wurzel, wie der Kerl heißt.
BUSTORIUS.
Ja, das wollen wir, und ich will die ganze Sache dirigieren. Jetzt lauf ich gleich ins Wirthshaus, und laß mir was immer für ein Vieherle sattle, und reit in die Stadt hinunter, und werd' alles auskundschafte, und außer der Stadt drauße steht ein verrufenes Bergle, das heißt: der Geisterscheckle, da komme wir in 2 Stunden in dem alten Schloß oben alle zusamme, mache den ganzen Plan aus, und die Nacht da auf die Nacht geigend, die muß vor uns herfliege, damit die Sach kein Aufsehen macht, und heut Abend müsse Sie schon Ihr Töchterle habe, und wenn sie auf den Blocksbergle vermählt werden soll.
AJAXERLE.
ALLE.
Ja, heute noch! Hurrah!
So sind Sie, wie ich Sie haben wollte. Jetzt ist mein Mutterherz getröstet. Ich verlasse mich ganz auf Sie. Im Conversationstone. Darf ich Ihnen geschwinde noch mit einem Glas Punsch aufwarten?
LAKRIMOSA.
Was Ponsch? Nichts Ponsch, ist schon Tag. Laßt Wagen vorfahren. Wo ist mein Fiaker 243 ?
BUSTORIUS.
Die Wägen herbey! E s ist ja noch stockfinster in den Wolken ? E s muß ein Wetter am Himmel seyn.
ZENOBIUS.
A.lles bricht auf, nimmt die Mäntel etc. etc. Der mittere Vorhang geht auf, man sieht in eine Wolkenstraße. In der Ferne sind die beleuchteten Fenster einiger Feenschlösser sehen. Die Wolkenwagen fahren vor und gerade in die Coulisse ab, aber nicht durch die Luft. Zwei Diener mit Fackeln leuchten. E I N FEENDIENER
ruft. Fiaker 243 vorfahren I
schrejt. J A ! Fährt vor. B U S T O R I U S steigt ein, sein Diener springt hinten auf und ruft. Nach Haus!
FIAKER
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Scena 4
Ein anderer Wagen mit %wei Laternen folgt. Antimonia steigt ein, und fährt fort. Zuletzt erscheint eine Wurst, mehrere Zauberer und Feen setzen sich auf, und fahren fort. LAKRIMOSA nachrufend. K o m m e n S' gut nach Hausl Vergessen S' nicht auf michl Sie, Herr Vetter, ich lasse Ihnen einspannen, und in den Gasthof führen. AJAXERLE. E y bewahr! Ich hab ja mein Laternbüble da. H e i Ruft ihn doch! E I N DIENER.
Ruft.
He, Laternbubi
EIN KLEINER GENIUS mit einer Laterne springt herin. Gnaden!
Hier, E w .
AJAXERLE. Voraus, Spitzbüble! GENIUS ihn nachäffend. Voraus, Spitzbüble! Unter allgemeinem Lärm und Empfehlungen: Kommen Sie gut nach Haus! usw. fällt der Vorhang vor.
Seena 4 Nobles Gemach in Würfels Hause, an der Seite ein bron^irter Kleiderschrank. Rechts ein Fenster neben dem Schlafgemache Würfels. Auf der entgegengesetzten Seite der Eingang. L O R E N Z , H A B A K U K und andere
BEDIENTE.
LORENZ mit %wey andern Bedienten läuft %um Fenster und sieht hinaus. STIMME VON AUSSEN. herunter I
Herr Lorenz, der Wein ist da. Gehts einer
LORENZ ruft hinab. Gleich, gleich 1 N u r nicht so schreyen, da ist den Herrn sein Schlafzimmer! Zu den Bedienten. Gehts hinunter zum Wagen, der echte Champagner ist kommen. Tragts die Flaschen in Saal hinauf. Morgen ist Punschgesellschaft, da muß er austrunken werden, aller, sonst wird er hin, er halt sich nur ein Paar Tage. Zwey Bediente gehen ab, dritten. Und du nimmst ein zehn Flaschen weg, und stellst mirs auf die Seite, ich brauch's für eine arme Familie, die gern trinkt. HABAKUK.
Schon recht, Musje Lorenz.
Ab.
16
Erster Aufzug
allein. Was man alles zu thun hat, wenn man erster Kammerdiener in ein Hause ist! Wie ich noch Halter bey ihm war, hab' ich lang nicht so viel zu thun g'habt als jetzt. Ja, wenn wir auch von Land seyn, deßwegen seyn wir doch nicht auf den Kopf g'fallen. Wie ich Bedienter worden bin, h?b' ich nicht g'wußt, warum die Schneider so große Sack' in die Livreen machen. Jetzt weiß ich's schon: weil die Bedienten so viel Grobheiten einstecken müssen. Sieht durch Schlüsselloch. Mir scheint, er steht schon auf. Das war wieder ein Spektakel heute Nacht, mit ihm und seinen guten Freunden. Bis um drey Uhr haben's trunken und g'sungen, über achtzig Gläser zusammg'schlagen, und so gehts alle Wochen viermal. Mich wunderts nur, daß er's aushält. Und seine guten Freunde halten ihn für ein Narren, sie sagen, er wäre der g'scheideste Mensch von ganz — Mamelukien — oder wie das Land heißt. Jetzt will er gar ein heimlicher Gelehrter werden, und ich hab' schon was wispeln g'hört, ein Philosoph auch noch. Ein Bauerl Es ist schrecklich —1 Und er laßt nicht nach. Auf d' Wochen gehts schon los, da lernt er's Lesen, und aufs Jahr Schreiben, und da hat er Recht; wenn ein dummer Mensch nur wenigstens schreibt, so kann er sich doch selber zuschreiben, daß er nichts glernt hat. — Da kommt die Lottel, die darf ich gar nicht mehr zu ihm lassen. Wenn die den Fischer Karl nicht laßt, so wirds noch eine schöne Metten absetzen.
LORENZ
Seena 5 LOTTCHEN.
VORIGER.
einfach gekleidet. Guten Morgen, lieber Lorenz 1 Ist mein Vater schon auf?
LOTTCHEN
LORENZ
sich ein Ansehen gebend. Guten Morgen, Fräulein Lottel!
Wie viel hundertmal habe ich dich schon gebethen, du sollst bloß Lottchen zu mir sagen. Ich bin nur ein armes Landmädchen.
LOTTCHEN.
Was sind Sie? Ein armes Landmädchen? Das bringt ja einen Tannenbaum um! Sie sind ja eine Millioneserinn.
LORENZ.
Ich will aber keine seyn, denn der Schatz, den der Vater gefunden, hat Unglück über unser ganzes Haus gebracht. Ach, wo ist die schöne Zeit, wo der Vater so gut mit mir war, w o ich täglich meinen Karl sehen durfte, wo noch Schwalben unter
LOTTCHEN.
Scena 6
17
unserm Dache nisteten, und keine so hungrigen Raben wie jetzt die falschen Freunde meines Vaters! Ach, wo bist du, glückliche Zeit? Ja, es kann halt nicht immer so bleiben hier unter den wächsernen Mondl
LORENZ.
W O seid ihr, ihr Nachtigallen im grünen Walde? Ihr wirbelnden Lerchen ? Ihr funkelnden Käfer ? Das ist alles vorüber. Jetzt kommen keine Schwalben, keine Lerchen, keine Käfer, und mein Karl kommt auch nicht mehr.
LOTTCHEN.
Und das wär Ihnen halt der liebste Käfer; dem haben wir aber die Flügel gestutzt.
LORENZ.
Nein, noch heute will ich meinem Vater zu Füßen fallen, und ihn bitten, das unglückliche Gold von sich zu werfen, seit dessen Besitz sich seines Herzens ein so böser Geist bemächtiget hat. Ich will gleich zu ihm. Will gehen.
LOTTCHEN.
tritt vor die Thür. Fräulein Lottel, thun Sie das nicht, ich darf Ihnen nicht hinein lassen.
LORENZ
LOTTCHEN.
Warum nicht?
Der Herr Vater ist krank.
LORENZ.
erschrickt. bedeutend ?
LOTTCHEN
LORENZ.
JA!
LOTTCHEN. LORENZ.
Krank? Mein Vater krank? Himmel! Und
Ist das wahr?
Wollen Sie's nicht glauben? — Seena 6
H A B A K U K mit einer großen Tasse, worauf eine große Gans liegt, ein Teller voll Backwerk und eine große Flasche Wein steht, tritt seitwärts berein, bleibt an der Thüre stehen, an der andern Thüre steht L O R E N Z , in der Mitte, einen Schritt zurück, L O T T C H E N . HABAKUK.
Den Herrn sein Frühstück!
LORENZ. Nur hinein damit. Aufs Schlafzimmer deutend. Habakuk trägt es hinein. Lorenz Zu Lottchen. Jetzt haben Sie's selbst gesehen, daß er medizinirt. Geht verlegen vor. 2
Komedia X I
18
Erster Aufzug
beleidigt und erstaunt, stellt sieb vor ihn. Lorenz, also mein Vater ist krank?
LOTTCHEN
LORENZ.
NU,
schon wie! Bey ihm heißts: Friß Vogel, oder stirbI
Also so kannst du mich hintergehen? Pfuyl das hätte ich nicht von dir gedacht. Geh, du bist ein abscheulicher Mensch! — Doch nein, ich will dich nicht böse machen, ich will dir schmeicheln, ich will dir sagen: du bist der beste, der schönste Lorenz auf der Welt, wenn es auch nicht wahr ist, — aber laß mich zu meinem Vater!
LOTTCHEN.
Und ich darf nicht; er hats verbothen. Er sagt, Sie sind nicht sein Kind, Ihre Mutter war ein Bettelweib.
LORENZ.
Himmel, was ist das ? — So weit ist es mit ihm gekommen, daß er sein Kind verleugnet? Hat er mir nicht oft erzählt, meine Mutter wäre bald nach meiner Geburt gestorben, und ich wäre sein einziges Kind, von dem er einst Dankbarkeit hofft ? Und nun verstoßt er mich? Ach, du lieber Himmel, ich habe keine Verwandten, keine Freunde, keinen Vater mehrl Wenn du dich nicht um mich annimmst, so muß ich zu Grunde gehen. Geht weinend ab.
LOTTCHEN.
allein. Was Verwandte? Zu was braucht man die? Unser schwarzaugigtes Stubenmädel ist mir lieber, als alle Verwandtschaften auf der Welt. Ab.
LORENZ
Seena 7 WURZEL aus dem Kabinett.
Arie Ja, ich lob' mir die Stadt, W o nur Freuden man hat; Mich sehn's nimmer auf'n Land, Bey dem V o l k ist's a Schand. In aller Früh treibn s' schon die Ochsen hinaus, Und da findt man kein einzigen Bauern mehr z'Haus. Den ganzen Tag sitzt man auf'n Pflug, Trinkt Bier aus dem steinernen Krug, Und auf d'Nacht kommt man z'Haus, was ist g'west ? Um acht Uhr liegt alles schon im Nest! Drum lob ich mir die Stadt, WURZEL.
Scena 8
19
Wo man Freuden nur hat. Mich sehn s* nimmer aufn Land, Bei den Volk ists a Schand. Jetzt hab ich so viel Bediente, Steh um halber zwölf Uhr auf, Trink Kaffeh und iß geschwinde Fünf bis sechs Polakel drauf. Kurz, es kann kein schöners Leben Als mein jetziges mehr geben; Denn wer mich ansieht, 's ist ein Spaß, Fallt fast vor Ehrfurcht in die Fraß. Was das für ein schönes Bewußtsein ist, einen guten Magen zu haben. Ich bin mit den meinigen recht zufrieden, ein fleißiger Kerl! Alle Achtung für ihn. O, ein Magen zu seyn, ist eine schöne Charge. Sultan über zwey Reiche, übers Thierreich und übers Pflanzenreich! Hendeln und Kapauner sind nur seine Sklaven, die druckt er zusammen, als wenn s' nie da gewesen wären; und doch ein Ehrenmann, der keine Schmeicheleyen mag. Mit Süßigkeiten darf man ihm nicht kommen, da verdirbt man ihn ganz. Sackerlot 1 Ich bin der fidelste Kerl auf der Welt! — Eine Freud hab' ich manchmahl in mir, da wird mir so wohl ums Herz, so gut, daß ich Alles zusammenprügeln möchte. Und Geld hab' ich, daß mir Angst und bang dabey wird. Jetzt hab' ich das Haus gekauft, und jetzt kauf ich mir noch einen säubern Welttheil, wo ein kleiner Garten dabey ist. Das wird ein Leben werden. Lenzl! Seena 8 LORENZ. LORENZ. WURZEL.
VORIGER.
Was schaffen S'? WO
steckst denn, daß dich um mich nicht umschaust?
Grad bin ich hinausgegangen. Die Fräule Lottel war vorher da, und hat mit Ihnen reden wollen.
LORENZ.
Untersteh' dich nicht, Ein Wort von ihr zu reden! Ich will nichts wissen von der Wasserprinzessinn. Ist das ein Betragen für ein Haus, wie das meinige? Statt daß sie ein vampirenes Kleid anleget, und mit ihrem Vätern auf die Promenad
WURZEL.
20
Erster Aufzug
hinauf ginge, bleibts das ganze Jahr zu Haus hocken, und geht in einem spinatfarbenen Überrock herum. Sie taugt halt nur aufs Land. Sie will halt eine niedrige Person seyn.
LORENZ.
Und doch redts hochdeutsch, und hat ihr's kein Mensch g'lernt. Was ist denn heut für ein Tag?
WURZEL.
LORENZ.
Freytag.
Da freu' ich mich wieder! Da ist Fischmarkt, da kommt der Bursch wieder vom Land herein, und wenn er seine Fisch verkauft hat, ist er nicht zufrieden, da setzt er sich da drüben auf den Stein, und hat Maulaffen auch noch feil, schaut immer auf ihr Fenster herüber, wie ein Äff'! Mit der Wacht laß ich ihn noch wegführen.
WURZEL.
LORENZ.
Das Sitzen kann man kein Menschen verbiethen.
So laß ihn sitzen. Auf d' Letzt sitzt er doch zwischen zwey Stühlen auf der Erde. Aber 's Madel wird mir ganz verwirrt. Ich lasse ihr Zeichnen lernen und Sticken, nutzt nichts. Statt daß sie schöne Blumen stickt, was zeichnets ? Was stickts ? Lauter Fisch. — Zu meinen Namenstag stickt sie mir ein Polster — was ist drauf ? Ein großmächtiger Backfisch, aber ohne Kopf, — wie ich meinen drauflege, ist der ganze fertig. — Sie muß den reichen Juwelier heyrathen.
WURZEL.
Warum soll s' denn aber just ein Juwelier heyrathen? Sie sind so ein steinreicher Mann.
LORENZ.
WURZEL.
nehmen.
Eben, damit ich das bleibe, darf sie den Fischer nie
Ich bin ein g'scheuter Mensch, aber das versteh' ich nicht, so wenig, als ich weiß, wo Sie auf Einmahl das viele Geld hergenommen haben? Wie mir den Tag drauf die Hütten stehn haben lassen, das Vieh verschenkt, und sind über Hals und Kopf in die Stadt gezogen.
LORENZ.
Das werd' ich dir jetzt alles erklären, weil ich durch so lange Zeit gefunden hab, daß du ein treuer Kerl bist, der mich nie betrügen wird. Gutmütbig. Nicht wahr, Lenzl?
WURZEL.
heuchlerisch. Hören Ew. Gnaden auf, oder mir kommen die Thränen in die Augen.
LORENZ
Scena 8
21
war so: Vor zwey Jahren, da geh' ich so in der Dämmerung zwischen acht und neun Uhr ganz verdrüßlich von meinem Krautacker nach Haus. Auf Einmahl macht was: pstl pst! Ich schau mich um, so seh' ich quer über'n Acker einen magern Mann auf mich zueilen. Ein gelblicht grünes G'wandel an mit goldenen Borten, so, daß ich ihn anfangs hab für einen Leibhusaren von einer Herrschaft g'halten. Er aber bitt' mich, ich möchte Niemand etwas davon sagen, er wäre ein Geist, und durch die Borten wollt' er mir andeuten, wie außerordentlich er für mich portirt war. Kurz, er wäre der Neid, und wollte mich glücklich machen.
WURZEL. ES
LORENZ.
Das ist eine schöne Bekanntschaft.
Nur stille 1 Er sagt, er hätte einen alten Schatz, den er gern los seyn möchte, und den wollte er mir schenken, ich müßte aber in die Stadt ziehen, und recht aufhauen damit, was ich nur kann, und besonders das Mädel soll ich recht herausstaffiren, und soll's nur ja nicht zugeben, daß sie den Fischer heyrathet. Soll mich aber nie unterstehen, zu sagen, daß ich mein Glück verwünsche, sonst verschwindet alles, und ich müßt betteln gehen. Jetzt möchte ich aber gleich nach Haus gehn, der Schatz wird schon zu Haus seyn. Darauf ist er unter die Krauthappeln verschwunden, und ich hab' ihn nimmer gesehen.
WURZEL.
LORENZ.
Nun, und wo war denn der Schatz ?
Ich geh' also nach Haus, such's ganze Haus — finde nichts. Endlich kommt mir der Gedanke, schau auf den Getreitboden hinauf. Hörst, ist dir der ganze Boden voll, und mit was? — Mit lauter Galläpfel. Jetzt geschieht mir recht, denk' ich mir! Was kann man vom Neid anders erwarten, als Gall und Verdruß! Komm' in Zorn und beiß' einen auf — was ist drin? Ein Dukaten! Ich nimm noch Einen — noch Einen — lauter Dukaten I Lenzl, jetzt hättest du die Beißerey sehen sollen! Ich kann sagen, ich hab mir mein Vermögen bitter erworben. Vierzehn Tag nichts als Galläpfel aufbeißen, das wird doch eine hantige Arbeit seyn. Mordsakerlot!
WURZEL.
Ah, das ist eine Unterhaltung. Nu, jetzt will ich den Fischer jagen, wenn sich der noch einmal sehen läßt.
LORENZ.
Schau aufs Mädel, und wie du was siehst, sagst mirs! Trinkt aus einem Fläschchen.
WURZEL.
LORENZ.
Aber müssen Ew. Gnaden denn immer naschen?
22 WURZEL. LORENZ.
Erster Aufzug Still I Ich nimm ein zum Gscheidwerden. Und gibts denn da eine Medizin dafür?
Freylich, ich habe den Doktor so lang sekirt, bis er mir was gegeben hat, was mich gscheid macht. Da krieg ich alle Wochen so ein Flaschel voll, das kostet vierzig Dukaten, das treibt den Kopf auseinander, das soll ich nur ein Paar Jahre fortnehmen, sagt er, und wenn ich einmal ein Paar tausend Dukaten darauf spendirt habe, so wird mir auf Einmahl ein Licht aufgehen, und da werd ich erst einsehen, wie dumm als ich war.
WURZEL.
Ich wünsch Ihnens, es war' die höchste Zeit. Lassen mich Ew. Gnaden auch trinken, ich möcht' auch recht abg'wixt werden.
LORENZ.
Das kostet zu viel. Ich werd dich schon so einmahl recht abwixen, daß du auf eine Weil' g'wixt bist, nachher wirst schon wissen, wie viel 's g'schlagen hat. Ich geh jetzt aus; ich muß mir Sporn kaufen, und du gehst zum Tandler in die Vorstadt, und laßt die vielen Bücher hereinführen, die ich gestern bei ihm gekauft habe, sperrst das Zimmer auf, was ich zur Biberlithek bestimmt habe, schüttest die Bücher ordentlich hinein auf Einen Haufen und zahlst ihn aus.
WURZEL.
LORENZ.
Schon recht!
Und daß er mich nicht betrügt; ordentlich messen, ich hab' sie gleich Buttenweis' gekauft, die Butten um fünfundzwanzig Gulden — keinen Kreuzer gibst mehr. Wennst unten durchgehst, sagts den Koch, daß die Tafel gut ausfällt, heute Mittag im Gartensaal auf zwanzig Personen, und auf die Letzt soll er ein kleines Faßel Punsch machen. Allez! Lorenz "bIch mag halt reden, von was ich will, so komme ich halt immer auf das Essen zurück. Selbst wie ich noch im Walde war, wenn's g'schneit hat, und ich bin auf dem Felde g'standen, ist mir die ganze Erde vorkommen, als wenn sie ein großer Tisch wäre, wo ein weiß Tischtuch darauf ist, und alle Leute auf der Welt zum Essen eingeladen wären.
WURZEL.
Arie Die Menschheit sitzt um bill'gen Preis Auf Erd' an einer Tafel nur, Das Leben ist die erste Speis, Und 's Wirtshaus heißt bey der Natur.
Seena 10
23
Die Kinder klein noch wie die Puppen, Die essen anfangs nichts als Suppen, Und bloß nur weg'n dem boeuf k la mode Schaun d' jungen Herrn sich um ein Brot. Da springt das Glück als Kellner um, Bringt öfters ganze Flaschen Rhum, Da trinkt man meistens sich ein' Rausch, Und jubelt bey der Speisen Tausch. Auf einmahl läßt das Glück uns stecken, Da kommen statt der Zuspeis Schnecken. Von Freunden endlich oft verrathen, Riecht man von weitem schon den Braten, Und bis s' erst bringen das Confect, G'schieht's oft, daß uns schon nichts mehr schmeckt. Der Totengräber, ach Herrje I Bringt dann die Tasse schwarz Kaffeh, Und wirft die ganze Gsellschaft 'naus — So endigt sich des Lebens Schmaus. Ab.
Seena 9 L O T T C H E N kommt. Der Vater ist an mir vorübergepoltert, ohne auf meinen guten Morgen zu hören. Er will in lauter glückliche Augen schaun. Er geht aus. Geht an das Fenster, und erschrickt. Ach, dort ist Karll Er hat seine Fische schon verkauft. Wer ist denn der fremde Mann, der bey ihm ist? Sie werden doch nicht heraufkommen? Himmel! Wenn ihn der Vater sieht! Wie unvorsichtig! Hier sind sie schon.
LOTTCHEN.
Seena 10 KARL. AJAXERLE.
VORIGE.
im Bauernkleide, stürzt auf Lotteben zu- Lottchen! Liebes, gutes Lottchen! Sprech' ich dich endlich!
KARL
LOTTCHEN
Karl!
ihre Freude zurückhaltend. Karll ach mein lieber, lieber
24
Erster Aufzug
Wie? So lange sind wir getrennt, und du empfängst mich so kalt, so herzlos?
KARL.
LOTTCHEN.
Aber Karl, dieser Herr —
Ah, was liegt uns an den Herrn! Das scheint gar eine ehrliche Haut zu seyn. Nicht wahr, lieber Freund, Sie nehmens nicht übel ?
KARL.
als schwäbischer Handelsmann, trägt einen Kaput mit zinnernen Knöpfen, dreyeckigten Hut. Ah freylich genieren Sie sich nicht, deßwegen sind wir ja da.
AJAXERLE
Ja, wenn ich mein Lottchen sehe, da vergesse ich auf die ganze Welt. Umarmt sie. Ach Lottchen, was wird aus uns werden ? Ich hätte mich noch nicht herauf gewagt, wenn du mich nicht durch diesen Herrn hättest rufen lassen.
KARL.
LOTTCHEN.
Durch diesen Herrn?
KARL. Ja wohl! Er kam heute zu mir auf den Markt und sagte, du hättest ihn geschickt, mich zu dir zu führen, wenn dein Vater ausgeht. Aber Karl, was ist denn das ? Ich kenne ja diesen Herrn gar nicht ?
LOTTCHEN.
KARL.
Wie?
Ja, wisse Sie, warum Sie mich nicht kennt? Sie hat mich noch nie gesehe.
AJAXERLE.
Herr, wie können Sie sich unterstehen, mit uns Spaß zu machen ?
KARL.
Ich will mir aber ein Spaß machen. Ich will euch glücklich machen, ihr Tausendsappermenter 1 Schlagts ein, und verlaßt euch auf mich, ich bin ein ehrliches Büble. Ich will euch noch nicht sagen, was ich bin, aber unter uns gesagt — ich bin was. Erstens bin ich ein Schwabe, und dann bin ich noch was, und wenn binne zwey Tage nicht Hochzeit wird, so könnt'smir was anthun. Verlaßts euch nur auf mich, ich werde den Bauer schon herumkriege, und sagt er: Nein, so ist bis heute Abend doch die ganze Pastette in Ordnung. Zu Karl. Gehen Sie nur getrost nach Haus, und warte Sie auf mich in Ihrer Hütte.
AJAXERLE.
springt vor Freude. Ists möglich? Ach Karl, wir wollen ihm vertrauen.
LOTTCHEN
Seena 11
25
von innen. Aufdecken lassen!
WURZEL
Himmel, der Vater kommt zurück I Ach, wenn er dich sieht, so ist alles verloren.
LOTTCHEN.
KARL.
Lebe wohl, ich entspringe. Will abgehen.
D U läufst ihm ja entgegen. Ich will sehen, ob er nach dem Garten geht, dann schnell hinab, sonst sind wir verloren. Eilt schnell ab.
LOTTCHEN.
AJAXERLE KARL.
ihr nachrufend.
Fürchte Sie sich nicht, bleibe Sie da!
Verdammte Geschichte! Der Alte kommt ja herauf.
Das macht nichts, er wird uns nicht beiße. Aber weil ich das Ding gar fein anstelle will, so schlupfe Sie derweil in den Kasten hinein.
AJAXERLE.
KARL
probirt am Kasten.
Er ist verschlossen.
Warte Sie, er wird gleich offen seyn, ich habe ja mein Werkzeugle bey mir. Zieht schnell einen Zauberkreis, ein kleines Buch und ein kurzes Stäbchen aus der Tasche, stellt sich in den Kreis, und schnattert die Worte. Pitschili, Putschili, Frisili! sauf I Kästerle! Kasterle! thu dich doch auf! Schlägt mit dem Stabe auf das Buch, der Kasten springt auf, und verwandelt sich dadurch in eine Laube mit einem Rasensitze. Karl springt erstaunt hinein; die Flügel schließen sich, und der Kasten steht wieder, wie vor da. Ajaxerle steckt seine ZauberRequisiten ein.
AJAXERLE.
stürmt herein. Es ist umsonst, er folgt mir auf dem Fuße 1 Wo ist Karl?
LOTTCHEN
AJAXERLE. LOTTCHEN.
Den hab ich aufghobe im Kasten da drin. Unter der alten Wäsche?
Ja wohl, bey die alten Strümpf, damit doch ein neuer auch dabey ist.
AJAXERLE.
LOTTCHEN.
Stille, der Vater kommt. Seena n WURZEL.
VORIGE.
Nun, was ist für ein Gejage über die Stiegen? Sieht Ajaxerle. Was ist das für eine Figur? Wer hat denn das Gesicht
WURZEL.
26
Erster Aufzug
hereingelassen? Nun, was gibts? Sind wir das? Wollen Sie was? mit Ihrer dreyeckigten Physiognomie ? AJAXERLE.
Könnt' ich nicht die Ehre haben, mit Ihnen zu sprechen?
Nun, die Ehre hat Er ja schon. Nur heraus mit der Katz aus dem Sacke.
WURZEL.
AJAXERLE. WURZEL.
Sie werden mich wahrscheinlich schon kenne ? Ich? Woher denn?
Ich bin der Martin Haugerle, und bin Schneckenhändler aus dem Reich.
AJAXERLE.
Und wegen dem soll ich Ihn kennen ? Vielleicht weil Er so schlampicht ist, wie ein Schneck? Hinaus mit Ihm, oder Er wird mich kennen lernen.
WURZEL.
O , ich habs schon gehört, Sie sind ein Tiger, mir hats mein Vetter geschrieben, der arme Fischer Karl, daß Sie so unbarmherzig mit ihm umgehe, und darum bin ich herabgereist, und will für ihn um das Mädle anhalte. Sie haben ihm vor drey Jahren Ihr Ehrenwort gegebe, und das müssen Sie halten.
AJAXERLE.
Was sind das für Keckheiten! Ich werd unsinnig. Erstlich untersteht Er sich, dem Taugenichts sein miserablicher Vetter zu seyn, und zweytens wagt Er es, und halt um meine Tochter an, für den liederlichen Fischerl
WURZEL.
Schimpfe Sie nicht, er ist ein bravs Männle, und ein Bürschle, wie die gute Stund.
AJAXERLE.
LOTTCHEN.
Ach ja Vater, er trübt kein Wasser.
Ein Fischer — 1 und trübt kein Wasser, und pritschelt den ganzen Tag darinn herum. Strenge Lottchen. Du schweigst, und wenn du dich nicht in meinen Willen fügst, mir noch einmahl dein Bauerngewand heimlich anziehst, was du da drin in einem Bünkel versteckt hast, nichts als Fisch und Wasser im Kopf hast, und immer vom Wald phantasierst, du melancholische Wildanten, so gib acht, wie ich dich recht durchwassern werde, einen Wolkenbruch laß ich auf deinen Buckel niedergehen, wannst nicht den alten Millionair heyrathest.
WURZEL.
LOTTCHEN.
Ach, was bin ich für eine arme Närrinn!
Scena n
27
Just, wenn man eine arme Närrinn ist, muß man suchen, auch Millionärrinn zu werden, so verzeihen einem doch die Leute die Narrheit leichter. — Einen Fischer heyrathen zu wollen I dieses unsichere Metier! bis er einen Fisch fangt, kommen ihm hundert aus. Da heyrath lieber Einen von den seinen Schnecken, so kriegst doch einen Hausherrn.
WURZEL.
Vater, bringen Sie mich nicht auf das Äußerste. Hören Sie meinen Schwur: ich verachte alle Reichthümer Ihrer Stadt, und werde nie, nie von meinem armen Karl lassen. Es donnert sehr stark.
LOTTCHEN.
AJAXERLE.
Haben Sie gehört?
War das ein Donner? desto besser, vielleicht schlagt der Donner drein, so darf ichs nicht thun. Zu Lottchen. Du willst also nicht von dem Burschen lassen?
WURZEL.
Nein, und recht hatsl Wissen Sie das? Und wenn Sie ihr den Burschen nicht geben, so wird es Ihnen reuen, so viel Haare Sie auf Ihrem Strobelkopf habe, auf Ihrem bockbeinigen.
AJAXERLE.
Nun gut! So hören Sie denn auch meinen Schwur, Sie Vorsteher der würdigen Schneckenzunft. In diesem Augenblick kommt hinter Wurzel ein kleiner SATYR mit Pferdefüßen, auf einer abgebrochenen Säule sitzend, ei Coulissen tief ein angenehmes Thal vor, in welchem sich die Natur einfach und kräftig ausspricht. Links eine praktikable Hütte, auf deren Strohdach Tauben nisten. Die Hütte ist von einem kleinen Gärtchen umgeben, in welchem sich Lilien, aber keine bunten Blumen befinden. Die Cortine stellt hohes Gebirge vor. Die Hälfte dieser Hinterwand nimmt ein breiter, in den Vordergrund tretender Blumenberg mit vielen sich verschieden krümmenden Wegen ein, auf denen sich dort und da, wie in einem Garten, silberne Statuen befinden und Rosenbrücken angebracht sind. Auf der andern Hälfte dieser Hinterwand sind in weiterer Entfernung ¡¡wei ausgezeichnete Alpen zu sehen. Die niedere erglänzt silberartig und ist mit goldenem Gesträuche bewachsen : auf ihrem Gipfel erblickt ?nan die Statue des Reichthums mit einem goldenen Füllhorn. Die noch höhere Alpe ist steil, mit Lorbeerbäumen bewachsen, auf ihrer Spitze steht der goldene Tempel des Ruhms, aus welchem eine Sonne strahlt, die den ganzen Horizont um das Haupt des Berges röthet. Zwischen diesen Gebirgen und dem Thale liegt ein dichter Wald, durch welchen sich ein steiler einsamer Weg in das Thal abwärts windet. Unter passender Musik kömmt I L L I , ein Genius, als Klepperpostillion angezogen, mit dem Klapperbret tiein lärmend, durch die Luft auf einem großen Stieglitz geflogen, welcher ein Paquet Briefe im Schnabel hält. Er steigt ab, nimmt einen Brief aus dem Paquete und klappert vor der Hütte. He! Die Kiepperlpost ist da, aufgemacht! Das Fenster in der Hütte öffnet sich. Illi spricht zum Fenster hinein. Ein Brief aus Wolkenhayn vom Geisterschekel mit Rezcpiß. Gleich unterschreiben. Gibt den Brief hinein. Nach einer Pause, während er ein Paarmahl ungeduldig auf und wiedergetrippelt. Ein bißel gschwind! Ich muß wieder weiter! Eine Hand gibt das Rezepiß zurück,. So! Was? Nichts franco! Acht gute Kreuzer. Die Hand gibt ihm das Geld. So I Sieht das Geld an. Keinen Pfennig gibts mehr als acht Kreuzer, und kein neues Jahr auch nicht. Wann ich nur da keinen Brief herbringen dürfte, das ist schon mein größter Zorn. Indem er sich aufsetzt. Gar so eine Schmutzerey! Den Stieglitz schlagend. Nu weiter! Wirst fliegen oder nicht? Der Stieglitz fliegt ohne Musik ab, und unterm Fliegen raisonirt Illi noch immer fort. Da wollens Geister seyn. Ja Bettelleut Umkehr! Schmutziges Volk! Pfuy! Ab.
ILLI.
Scena 2 und }
33
Seena 2 Sanfte Musik.
LOTTCHEN
tritt auf, ihren Strohhut anhängend.
LOTTCHEN. WO befinde ich mich? Welch ein angenehmes Thal! Gehöre ich schon den Geistern an? A m Eingange des Waldes nahm mein freundlicher Führer von mir Abschied, und sprach: »Weiter darf ich dich nicht geleiten, doch folge deinem Herzen, und du wirst mich nicht vermissen.« Ich ging und ging, und unwillkührlich hat es mich daher gezogen. Dieses schöne Gärtchen, diese Hütte 1 Wie wird mir so sonderbar bey ihrem Anblicke! Warum wird es auf Einmahl so stille, so ruhig in meiner Brust ? Wer bewohnt sie ? Über der Thür erscheinen schnell die transparenten Worte: «.Die Zufriedenheit». In diesem Augenblicke ertönt ein sehr schmelzendes Adagio von einigen Tacten. Die Zufriedenheit ? Der Vater sagte ja, die wohne nur in der Stadt — wie kommt sie hierher? Ich weiß es schon, sie wird in der Stadt erkrankt seyn und gebraucht jetzt die Landluft. Ich will anklopfen, und sie um Beystand bitten, vielleicht braucht sie ein Dienstmädchen; sie wird wohl eine vornehme Frau seyn. Klopft an. Ew. Gnaden, ein armes Mädchen möchte gerne die Ehre haben.
Seena 3 D I E ZUFRIEDENHEIT.
LOTTCHEN.
mit innerer Ruhe und heiterem Gemütbe. Ihr Anzug ist griechisch, eine einfache graue Toga, unbedecktes Haupt. Sie tritt aus der Thür, einen Brief in der Hand. Was verlangst du von mir, mein Kind?
ZUFRIEDENHEIT
LOTTCHEN
erstaunt. Wer ist denn das?
ZUFRIEDENHEIT.
Nur näher! Ich bin die Dame, die du suchst.
Wirklich? Sie sind eine recht liebe Person, aber für eine Dame hätte ich Sie nicht gehalten.
LOTTCHEN.
Nicht ? Und doch bin ich noch mehr, ich bin die Königinn dieses Thaies, und von meiner Stirne strahlt das Diadem der Heiterkeit.
ZUFRIEDENHEIT.
fällt ängstlich auf die Knie. Ach, so verzeihen mir Eure Hoheit, aber da wäre ich in meinem Leben nicht darauf gekommen.
LOTTCHEN
4 Komedia XI
34
Zweiter Aufzug
Steh auf! Du bist mir in diesem Briefe, den ich vor Kurzem erhielt, von mächtigen Geistern schon angekündiget, und ich will dich in meine Dienste nehmen. Du hast wenig Geschäfte, das Aufbetten wirst du ersparen, denn ich schlafe auf einem Stein. Küche und Keller werden dir wenig Mühe verursachen, denn mich nähren die Früchte des Bewußtseyns, mich tränkt die Quelle der Bescheidenheit.
ZUFRIEDENHEIT.
LOTTCHEN.
Ach, ich bin ja mit allem zufrieden!
ZUFRIEDENHEIT. LOTTCHEN.
Hast du denn meine Hütte so leicht gefunden?
Ach ja, das ist gar nicht schwer.
Glaubst du? — Viele Tausende wandern nach mir aus, und finden mich nicht, denn der dürre Pfad, der zu mir führt, scheint ihnen nie der rechte zu seyn. Siehst du dort oben die bunten Auen, wo des Glückes Blumen farbig winken ? Deutet auf den Blumenberg. Dort wollen sie mich finden, und je reizender der Pfad sie aufwärts lockt, desto tiefer entschwindet meine niedre Hütte aus ihrem getäuschten Auge; denn wer mich ängstlich sucht, der hat mich schon verloren.
ZUFRIEDENHEIT.
Aber auf jenen hohen Bergen muß doch eine schöne Aussicht seyn?
LOTTCHEN.
Nicht für dich mein Kind, du gehörst ins Thal. Siehst du dort den hohen flimmernden Berg? Das ist die Alpe des Reichthums, und ihm gegenüber sein noch glänzenderer Nebenbuhler, der Großglockner des Ruhms! Das sind schöne Berge, doch sende deine Wünsche nie hinauf, stark und erhebend ist die Luft auf ihren Höhen, aber auch der Sturmwind des Neides umsaust ihre Gipfel, und kann er die Flamme deines Glückes nicht löschen, so löscht er doch den schönen Funken des Vertrauens in deiner Brust auf immer aus.
ZUFRIEDENHEIT.
LOTTCHEN.
Das verstehe ich nicht.
Darin bestehet ja dein Glück. Weil du mich nicht verstehst, bist du mit mir verwandt.
ZUFRIEDENHEIT.
Verwandt? Und doch haben sich Euer Hoheit nie um mich bekümmert?
LOTTCHEN.
Glaube das nicht. Ich habe dich mir ja erzogen, und will nun deine Freundinn seyn. Der Mann, der heute dich verstieß, ist nicht dein Vater, sonst hätt er es nie gethan; doch
ZUFRIEDENHEIT.
Scena 3
35
eine Mutter hast du noch, die dich innig liebt, und die du bald umarmen wirst. Bis dahin reiche mir deine Hand und nenne mich Schwester. Recht gerne I Ach was ist das Schönes, wenn man eine Schwester hat. Aber da muß ich hernach auch du zu Ew. Hoheit sagen, und bin so viel als Ew. Hoheit selbst.
LOTTCHEN.
Allerdings! Du sitzest neben mir auf meinem Moosbewachsenen Thron, und über uns spannt sich der schönste Baldachin, der heitre Himmel aus.
ZUFRIEDENHEIT.
LOTTCHEN.
Ach du liebe Schwester I Wie soll ich dir danken ?
ZUFRIEDENHEIT.
abgetragen.
Bleibe, wie du bist, und du hast den Lohn schon
LOTTCHEN freudig.
Ach ja, wie ich bin •— doch — nun ja — wie ich bin, nicht wahr?
ZUFRIEDENHEIT. LOTTCHEN.
Nun
ja.
Da muß ich aber auch immer ledig bleiben ?
lächelnd. Ja so I — Und du hast den schönen Wunsch zu heyrathen ?
ZUFRIEDENHEIT
Ja freylich. Doch sey nicht böse, liebe Schwester, seit ich bey dir bin, wünsche ich mir fast gar nichts mehr» Aber wenn ich an meinen Karl denke, kann ich doch mit dem Wünschen noch nicht recht fertig werden.
LOTTCHEN.
Das sollst du auch nicht, liebes Lottchen! Tröste dich, ich werde dich mit Karl vereinen. Er verdient dich, ich kenne ihn genau.
ZUFRIEDENHEIT.
LOTTCHEN.
DU
kennst ihn?
Ich war stets um ihn, wie noch der muntere Hirsch das Sinnbild seiner kräftigen Freude war, und nur du hast uns entzweyt, du hast ihn mir entrissen.
ZUFRIEDENHEIT.
LOTTCHEN.
Das ist mir unbegreiflich.
Doch komml Du wirst deinen Karl heute noch erhalten. Er soll uns Beyde wiederfinden, dich und mich durch dich. Und hab' ich euch vereint, geb' ich auch meinem Herzen dann ein Fest, durchziehe froh die Welt, und wo ich einen Armen finde, der krank liegt am Verlust der Freude, will ich schnell
ZUFRIEDENHEIT.
36
Zweiter Aufzug
die Hand ihm reichen, und sie überströmen lassen aus meinem Herzen in das Seinige! Vielleicht gelingt es mir, ein Bündniß mit der Welt zu schließen, die ich so innig liebe und die so hart mich von sich stößt. Führt Lottchen ab. Seena 4 Saal mit Lustern und Wandleuchtern. Punschtableau. Beym Aufziehen der Cortine ein rauschender Tusch von allen Instrumenten. An der rechten Seite eine hohe Glasthür, gegenüber die Eingangsthüre. W U R Z E L . A F T E R L I N G . MUSENSOHN. ALLE
SCHMEICHELFELD.
übermüthig schreyend. Der Hausherr soll leben! Ein Paar werfen die Gläser an die Wand.
Schlagts nicht so viel Gläser zusammen, ich bin ja kein Glasfabrikant —
WURZEL.
Aber jetzt ist es aus, meine Herren, es ist fünf Uhr, und ich muß heute Abend noch geschwinde den letzten Akt von meinem Trauerspiele schreiben.
MUSENSOHN.
Was Trauerspiel I — Lustig wollen wir von unserm theuern Herrn von Wurzel scheiden, dem aimabelsten Mann in der ganzen Stadt. Singen wollen wir, und dazu machen Sie uns Verse, wenn Sie ein Dichter seyn wollen.
SCHMEICHELFELD.
MUSENSOHN.
Schön 1 Wir wollen die Freundschaft besingen.
der einen starken Rausch hat. Ja singen I Schön singen wollen wir, und hernach kerzengerad nach Haus. Er taumelt. Alle lachen.
AFTERLING
WURZEL.
Der hat ihn heut.
Lachen? Ihr Spitzbuben, seyd nichts nütze •— alle seyn nichts nutz. — Herr von Wurzel, alle, bis auf den auf den Dichter geigend — und der ist auch nichts nutz. — Aber Sie, Herr von Wurzel, sind ein großer Mann. Aber sind Sie aufrichtig, Herr von Wurzel! Beschwörend. Herr von Wurzel, sind Sie aufrichtig ! — Haben Sie — keinen Punsch mehr ? —
AFTERLING.
Nun so gebt ihm noch ein Glas, so fallt er gar hinunter untern Tisch.
WURZEL.
Herr von Wurzel 1 Fällt ihm um den Hals. Sie sind unser Vater, und wie Sie sich heute auf mich stützen können,
AFTERLING.
Scena 4
37
so können Sie sich auf uns Alle stützen. — Punsch her 1 Punsch! — Der Herr von Wurzel soll leben I Taumelt gegen die Thüre und fällt vor Rausch in einen Stuhl. Nun, der hat's überstanden. Zu Habakuk. Führ ihn hinüber in das rauschige Zimmer und legt's ihn in das Bett, was ich hab herrichten lassen, wenn einem von meinen guten Freunden übel wird.
WURZEL.
Ja es liegen schon drey drinnen, und Einer vor der Thür, man kann gar nimmer hinein.
HABAKUK.
So lege ihn in das blaue Zimmer, wo der große Spiegel ist, und das Porzellain. Aber bindet ihn an, sonst schlägt er uns Alles zusammen.
WURZEL.
und s^tvey Bediente tragen Afterling fort. Nun, das sind schöne Herrschaften!
HABAKUK
hat bey einem Tisch mit Bleistift geschrieben und springt auf. Fertig sind die Verse. Jetzt meine Herren, stimmen Sie sichl
MUSENSOHN
ALLE.
Bravo! Bravo!
Die Fantasie hat mich begeistert. Herr von Wurzel, schlägt ihn auf die Achsel wollen Sie ihre Stimme hören ?
MUSENSOHN.
WURZEL.
Lassen Sie sie los! Trinklied singt vor. Freunde, hört die weise Lehre, Die zu euch Erfahrung spricht, Schickt die Freude ihre Heere, öffnet alle Thore nicht; Mann für Mann laßt nur herein, Wollt ihr lang ihr Feldherr seyn.
MUSENSOHN
Mann für Mann laßt nur herein, Wollt ihr lang ihr Feldherr seyn.
CHOR.
Wenn des Lebens Bajadere Hält den gold'nen Wagen still Und für ihres Glücks Chimäre Euren Frieden tauschen will:
MUSENSOHN.
Zweiter Aufzug
38
Jagt die feile Dirne fort, Denn Fortuna hält nicht Wort 1 C H O R . Jagt die feile Dirne fort. Denn Fortuna hält nicht Wort. MUSENSOHN. Doch wenn voll der Becher blinket, Bachus' Geist den Saal durchrauscht, Euch die Freundschaft zu sich winket, Und Gefühle mit euch tauscht: Drückt sie Beyde an die Brust, Sie gewähren Götterlust 1 CHOR. Drückt sie Beyde an die Brust, Sie gewähren Götterlust! Alle ab. Seena 5 und BEDIENTE räumen die Tische ab. W U R Z E L . Das war ein prächtiges Mittagmahl heut. Ich bin so gut aufgelegt — heut' Nacht leg' ich mich wieder nicht schlafen. Habakuk, bring einen Champagner herauf. W U R Z E L . LORENZ. HABAKUK
LORENZ. WURZEL. LORENZ
Allol Das ist ein Leben! Juhel Stoß an, Lorenzl Alle Rauschigen sollen leben — Hoch I Donnerschlag. Die Glocke schlägt zwölf Uhr.
Was ist denn das? — Zwölfe? — Hat denn die Uhr einen Rausch? Es ist ja erst sechs Uhr, und der schönste Abend. Alle sehen auf die Uhren. Schauts auf die Uhr.
WURZEL.
LORENZ.
Uhr.
Was ist denn das? Es geht ja keine. Bey mir ists zwölf
A L L E BEDIENTEN.
Bei uns auch.
Ich glaube gar, ihr macht euch einen Spaß mit mir? RedetI Man hört an der Thüre stark pochen. Was ist denn das? Schau' hinaus! Es pocht stärker. Mir scheint, der schickt die Grobheit voraus, daß sie statt ihm anklopfen soll. Lorenz &ebt hinaus. Jetzt weiß ich nicht, bin ich im Narrenthurm oder zu Haus ?
WURZEL.
kommt zurück. Euer Gnaden, ein junger Herr ist gefahren kommen in einem goldenen Wagen, der voller Blumen ist, und
LORENZ
Scena 6
39
zwey Rappen vorn, die er kaum erhalten kann, und hintern Wagen tanzen lauter Pagen, und rosenfarbene Kammerjungfern. Er will mit Ihnen reden. WURZEL.
Wie heißt er denn?
LORENZ.
Das weiß ich nicht. Er sagt, er ist die Jugend.
Ah, ein Jugendfreund wird er gesagt haben. Gleich laßt ihn herein. Das ist eine prächtige Visite. — Champagner tragt herauf, ihr verdammten Kerls! Ich bin doch ein glücklicher Mann, die schönsten Leute kommen zu mir.
WURZEL.
Loren^ ö f f n e t die Thür. Seena 6 Sechs PAGEN und sechs M Ä D C H E N , weiß gekleidet mit rosenrothen Spensern, welche samt den Hüten mit blühenden Rosen verliert sind, tanken herein, und gruppiren sich auf beyden Seiten der Thüre. Dann hüpft die J U G E N D herein, ein weiß kasimirne kurye Hose, weiß atlaßne Weste mit silbernen Knöpfeben, am Kragen mit Rosen garnirt. Rosenrothes Fräckchen, weiß atlaßnen runden Hut mit einem Rosenband. Das Beinkleid am Knie mit silbernen Knöpfen und rosenrothen Bändern gebunden. Sie spricht im hochdeutschen Dialecte mit einem Anklänge des preußischen. V O R I G E . Grüß dich der Himmel, Brüderchen 1 Du nimmst es doch nicht übel, daß ich dir meine persönliche Aufwartung mache ?
JUGEND.
Das ist ein prächtiger Menschl Hundsjung und gaisnärrisch I Hat mich noch nie gesehn, und gleich Brüderl.
WURZEL.
JUGEND.
Ja Bruder, ich komme in einer besonderen Angelegenheit I
Nun Bruder, mit was kann ich dir dienen? Für Der braucht gewiß ein Geld.
WURZEL.
sieb.
Ja — nimm es nicht übel, Brüderchen, aber mit uns ist es aus. Ich bin hier, um dir meine Freundschaft aufzukündigen.
JUGEND.
Nun, das war' nicht übel, Bruder, jetzt lernen wir uns erst kennen, Bruder, und sollen schon wieder böse aufeinander seyn, Bruder, das wär g'fehlt.
WURZEL.
Hahal Was fällt dir ein Brüderchen? FehlgeschossenI Das endigt ja eben unsere Freundschaft, weil wir schon gar zu lange mit einander bekannt sind. Wir sind ja schon zusammen auf die Welt gekommen, weißt du denn das nicht mehr?
JUGEND.
Zweiter Aufzug
40
Ja, ja! Ich erinnere mich schon, Nachmittag wars, und geregnet hats auch.
WURZEL.
Wir sind auch miteinander in die Schule gegangen. Weißt du denn das auch nicht, wir sind ja auf einer Bank gesessen.
JUGEND.
Ist richtig! Auf der Schandbank sind wir gesessen. Für sieb. Ich kenn ihn gar nicht.
WURZEL.
Ja freylich I Sie haben uns ja dadurch zwingen wollen, daß wir etwas lernen sollen.
JUGEND.
Nun ja, was das für Sachen waren; aber wir haben nichts dergleichen gethan. O, wir waren ein Paar feine Kerls! Für sieb. Ich habe ihn mein Leben nicht gsehen noch.
WURZEL.
Und wie wir Beyde zwanzig Jahre alt waren, haben wir die ganze Gemeinde geprügelt. O, das war ja prächtig,Brüderchen!
JUGEND.
WURZEL.
davon.
JUGEND. WURZEL. JUGEND.
O, das war ein Hauptjux I Für sich. Ich weiß kein Wort Und getrunken haben wir Bruder, das war mörderisch. O,
das war schändlich, Bruder!
Ja, und was wir alles getrunken haben!
Nu, einmal haben wir, glaub' ich, gar einen Wein getrunken — das Verbrechen!
WURZEL.
JUGEND.
Ja, und was für einen!
WURZEL.
Einen Luttenberger.
JUGEND.
Und einen Grinzinger!
WURZEL
für sich. Ist alles nicht wahr.
Du hast mich ja in alle Wirthshäuser herumgeschleppt, wir waren ja alle Tage sternhagelvoll besoffen, kurz, wir waren ein Paar wahre Lumpen.
JUGEND.
bey Seite. Er muß doch eine Spur von mir haben, er kennt mich doch. Laut. Bruder, wir wollens noch seyn! Schlag ein Bruderherz!
WURZEL
Bruder, nein! Jetzt ist es gar. Du mußt jetzt solid werden, du mußt dich um sieben Uhr zu Bette legen, darfst dir keinen Rausch mehr trinken, kurz, was du zu thun hast, das wirst du
JUGEND.
Scena 6
41
von einem andern hören, der dir alles pünktlich auseinander setzen wird. WURZEL. Bruder, was war denn das ? — Ich keinen Rausch — und das ist das Edelste an mir. Ich bin so gesund, daß ich mit einer Armee raufen könnt. JUGEND. Ja, Brüderchen, jetzt so lange ich noch bey dir bin. Stark. Doch bey dem ersten Schritt, den ich aus diesem Saal mache, wird dich die Lust verlassen, auf eine so unedle Weise dein Schicksal ferner zu versuchen. WURZEL. Ich fange mich völlig zu fürchten an. Auf die Letzt kann mich der Kerl verhexen! Das wäre eine hantige Bruderschaft. JUGEND. Also adieu, lieber Bruder I Verzeihe mir, was ich dir Leides gethan habe, du lieber, guter Kerl dul Ich bin gewiß ein fideler Junge, habe es lange genug mit dir ausgehalten, du warst mein intimster Freund, aber du bist gar ein liederliches Tuch, darum lebe wohl, Brüderchen, sey nicht böse auf mich, und sage mir nichts Schlechtes nach. Duetto JUGEND. Brüderlein fein! Brüderlein fein! Mußt mir ja nicht böse seynl Scheint die Sonne noch so schön, Einmahl muß sie untergeh'n. Brüderlein fein, Brüderlein fein, Mußt nicht böse seyn. WURZEL. Brüderlein fein! Brüderlein fein, Wirst doch nicht so kindisch seyn! Gib zehntausend Thaler dir, Alle Jahr bleibst du bey mir. JUGEND. Nein! Nein! Nein! Nein! Brüderlein fein! Brüderlein fein! Sag mir nur, was fällt dir ein? Geld kann Vieles in der Welt — Jugend kauft man nicht ums Geld; Drum Brüderlein fein, Brüderlein fein, 's muß geschieden seyn.
Zweiter Aufzug
42
Beyde. JUGEND.
Brüderchen, bald flieh ich fort von dir.
WURZEL.
Brüderchen, halt, geh' nur nicht von mir.
Unter dem Ritornell tan%t die Jugend und ihr Gefolge. Brüderlein fein! Brüderlein feinl Wirst mir wohl recht gram jetzt seyn? Hast für mich wohl keinen Sinn, Wenn ich nicht mehr bey dir bin ? Brüderlein fein, Brüderlein fein, Mußt nicht gram mir seynl
JUGEND.
Brüderlein fein, Brüderlein fein, Du wirst doch ein Spitzbub seyn I Willst du nicht mit mir bestehn, Nun, so kannst zum Teuxel gehnl
WURZEL.
Nein, nein, nein, nein! Brüderlein fein, Brüderlein fein, Zärtlich muß geschieden seyn. Denk manchmahl an mich zurück, Schimpf nicht auf der Jugend Glück! Drum, Brüderlein fein, Brüderlein fein, Schlag zum Abschied ein I B E Y D E . Brüderlein fein! Brüderlein fein! Schlag zum Abschied ein I JUGEND.
Umarmen sieb. Die Jugend tarnet ab, ihr Gefolge nach. Wurzel geht nach einer Flasche Wein, will trinken, stellt sie aber mißmuthig zurück, und set^t sich in einen Stuhl.
Seena 7 LORENZ. LORENZ WURZEL. LORENZ.
WURZEL.
nähert sich Wurzel langsam. Wie ist denn Ew. Gnaden ? Gar nicht gut, so gewiß dumm ist mir. Ja, man sieht es Ihnen an, völlig vernagelt schauen Sie aus.
Scena 7 WURZEL.
Fieber ?
43
Und warum ists denn so kalt herinn? Hab' ich denn 's
sieht %um Fenster hinaus. Ja, ich glaubs, es fangt ja zum Schneyen an. Ah, das ist spaßig, da schauen Sie hinaus in den Garten, alles ist weiß, und die Bäume — alle Blätter werden gelb.
LORENZ
WURZEL.
J a , was ist denn das für eine Hexerey ?
HABAKUK bringt Champagner. Der Champagner ist dal Marschirstl Einen Kamillentee laß mir machen, und einheizen, man möcht ja erfrieren. Es wird im Kamin eingeheilt. Die Turmuhr schlägt Eilf. Jetzt hat es eilf gschlagenl Erst war es zwölf Uhr, jetzt ist es wieder eilf Uhr. Hat denn die Zeit einen Krebsen verschluckt, daß sie zurück geht? Es wird ja stockfinster. Bringts Lichterl Es wird Nacht. Jetzt ists zu Mittag schon finster geworden, ohne daß man g'wußt hat, warum, und jetzt wieder. Das ist heute schon die zweyte Sonnenfinsterniß. Kat^engeschrey von außen: Miau, Miau. So! Jetzt singen die vierfüßigen Nachtigallen, das ist eine falsche Stund! Heftiges Poeben von außen. Ist schon wieder wer da? Verdammtes Gesindel! Ist denn keine Ruhe! Schau hinaus. Wird wieder geklopft. Und das Klopfen! Wollens denn aus meinem Haus eine Stampfmühle machen? Bediente bringen Lichter.
WURZEL.
hält den Kopf srur Glasthür hinaus. Ui je! Ui je! Ein alter Herr mit einem Leiterwagen ist draußen, er will mit Ihnen reden.
LORENZ
WUREL. LORENZ
Wer ist er denn? ruft hinaus. Wo sind wir denn her?
DAS ALTER von innen. Aus Eisgrub. A U S Eisgrub ? Nein, was das für Visiten seyn, da kenn ich gar keinen Menschen.
WURZEL.
von innen. Nun, nur aufmachen. Ich bin das hohe Alter. Ich will hinein!
ALTER
Das Alter ? — Die Tür sperrst zu, und unterstehst dich nicht, daß du ihn hereinlaßt.
WURZEL.
von außen. A h so? Nun, so komm ich schon mit Gewalt hinein!
ALTER
44
Zweiter Aufzug
Die Glasthür wird aufgerissen vom Wind, so daß die Scherben davonfliegen. Das Alter fliegt berein auf einem Wolkenleiterwagen. Zwey Schimmel, alte Bauernpferde, sind vorgespannt. Der Wagen ist mit gelbem Gesträuche ausgefüllt. Das Alter sitzt in einem alten Hausrock, der bis an die Knie reicht, darin, den Kopf mit einer Pel^schlafhaube bedeckt, die Füße in Polster gewickelt, auf dem Schoß einen schlafenden Mops, und auf der Achsel eine Eule. Ein kleiner uralter Kutscher ist auf dem Bocke. Der Wagen ist etwas heschneyt. mit kränklieber Freundlichkeit und persiflirendem Wohlwollen, steigt aus dem Wagen, mit einem Krückenstocke, hält einen Zettel in der Hand. Sie verzeihen, daß ich so frey bin, meine mühselige Aufwartung zu machen. Ich weiß nicht, ob Sie mir es ansehen werden, oder nicht, ich bin das hohe Alter, Ihnen miserablichst zu dienen: ich hab da einen Einquartierungszettel bei Ihnen.
ALTER
WURZEL.
Bey mir ? Glaubt der Herr, bey mir ist ein Spital ?
Wird schon eins werden, wenn ich eine Weile da bin. Sein Sie nicht böse, daß ich so unerwartet komme. Gewöhnlich korrespondiren die Leute schon vorher mit mir, aber Sie haben ein braves Kind, die es mit Ihnen gut gmeint hat, aus dem Haus gjagt, und da habens mich dafür gschickt; nehmen Sie mich an Kindesstatt an.
ALTER.
Ja, aber zu Haus bhalt ich Ihn nicht, ich gib Ihn in die Kost nach Yps.
WURZEL.
I bewahre I Wir werden uns schon miteinander vertragen, ich bin ein spaßiger Kerl. Ich mach' noch an mancher Tafel, bey manchem Hausball meine Lazzi, ich hupf' noch bei manchen Eccossais mit, bis mir einen rechten Riß gibt, hernach setz' ich mich geschwind nieder.
ALTER.
WURZEL.
Ja, ja, gscheider ists!
Wenn wir eine Weile bekannt sind, werden schon meine Verwandten auch ihre Aufwartung machen. Mein liederlicher Vetter, der verdorbene Magen, das wird der Erste seyn, der Ihnen die Honneurs machen wird, und meine Cousine, die Gicht, die hat mich schon versichert, sie kann es gar nicht erwarten, Sie an ihr gefühlvolles Herz zu drücken. O, hören Sie, das ist eine unterhaltliche Person. Ich seh Ihnen schon ordentlich nach Pistyan ins Bad mit ihr reisen. Und treu ist sie —
ALTER.
Ich weiß, man bringts gar nicht mehr da hast du s', ich mags nicht.
WURZEL.
LOSI
Ein jeder sagt:
Scena 7
45
Und was thun Sie denn, mein lieber Herr von Wurzel ? Was gehen Sie mir denn so kühl herum? Werden Sie gleich einen Schlafrock anziehen? Sapperment hineinI So schaut doch auf euren Herrn I Ist ja ein alter Herr, müßt ja hübsch Acht geben auf ihm; wenn er euch stirbt, seyds brotlos. Gleich bringt ihm einen Schlafrock! Bediente wollen fort.
ALTER.
WURZEL.
Nicht unterstehen, oder ich schlag einen hinters Ohr!
Was, schlagen? Gleich niedersetzen! Nimmt Hand, und set%t ihn in einen Stuhl.
ALTER.
WURZEL.
ihn an der
Himmel! wie wird mir!
Nicht unterstehn und schlagen. Die Pferde schlagen aus, nicht die Leut; damit Sie aber nimmer ausschlagen — berührt sein Haupt, und Wurzel bekommt gan% weißes Haar. So! — jetzt ist aus dem Bräundl ein Schimmel geworden. S o ! hotto, mein Schimmerl! N u , nichts hotto?
ALTER.
WURZEL
weinend. Lorenz, meinen Schlafrock.
So, mein lieber Herr von Wurzel! Thun Sie mich nur gut pflegen, damit wir lang beysammen bleiben, mit mir muß man gar haiklich umgehn.
ALTER.
WURZEL. ALTER. WURZEL.
Aber was soll denn das heißen? Das sind die Wintertage. Ach, ich hätt geglaubt, die Hundstägel
Wie man es nehmen will. Aber jetzt leben Sie wohl! Ich habe meine Post ausgerichtet. Wenn S' mich auch nicht mehr sehen, Sie werden mich schon spüren. Für einhundert und dreißig Jahre können Sie sich schon ausgeben. Adieu! Umarmt ihn. Also, schön merken: In der Früh ein Schalerl Suppen und ein Semmerl drinnen, und um eilf ein Bißerl in der Sonne Spazierengehen, aber immer ein Hafendeckerl auf den Magen legen, daß Sie sich nicht erkühlen. Z u Mittag ein eingmachtes Henderl, und ein halbes Seiterl Wein, und auf die Nacht eine haibete Biskoten, und gleich ins Betterl gehn. S o ! Jetzt ba, ba, bal alter Papa, und befolgen Sie meinen Rath. Keinen Thee müssen S' nicht trinken, den haben S' so schon. Steigt in den Wagen. Hansel! Langsam fahren, daß wir kein Unglück haben mit die Teufeln von Rossen. Macht Ba's aus dem Wagen. Gute Nacht, mein lieber Herr von Wurzel! gute Nacht! Fliegt ab.
ALTER.
46
Zweiter Aufzug Seena 8 W U R Z E L . LORENZ.
Ja wohl, gute Nacht! So weit hab' ichs gebracht! Lorenz, gib mir einen Spiegel! Lorenz gibt ihm den Schlafrock und den Spiegel: man \ieht ihm den Schlafrock so an, daß er zugleich sein Bauernkleid ansieht, dessen Ärmeln in den Ärmeln des Schlafrocks stecken. Ah, die Positur! Jetzt kann ich in der Häßlichkeit Lection geben. Nein, ich halts nicht aus, ich geh durch! Will fort. Es geht nicht, ich habs Podagra! Lacht verzweifelnd. Haha! Nichts mehr hotto!
WURZEL.
LORENZ.
Freylich, lieber Tschihi ins Bett. Lacht laut mit.
WURZEL.
Ich glaub, der Kerl lacht mich noch aus ?
LORENZ.
Nein, einen Neid werd' ich haben, wegen dem.
auffahrend. Der Neid! Das ist ein schöner Spitzbub! Ja, der ist an meinem Unglück Schuld, und jetzt laßt er mich sitzen. Was hab' ich jetzt von dem verdammten Geld? Ich kanns ja nicht genießen. Ich werfs zum Fenster hinaus, vielleicht wird wieder alles wie vorher.
WURZEL
SO sein Sie doch gscheid. Wann S'Ihren Reichthum verwünschen, so ist er ja hin. Sie haben mir es ja selbst erzählt.
LORENZ.
Er soll hin seyn, ich will ihn nimmer haben; ich will lieber arm seyn und gesund. Hilf mir, du verdammter Neid, nimm dein Gold, ich mags nimmermehr. O, wäre ich nur, wo ich hingehöre, wäre ich nur wieder bey die Meinigen 1
WURZEL.
Ein Blitzstrahl fährt herab. Schnelle Verwandlung in ein düsteres Thal, an der Seite eine halbverfallne Hätte Würfels: die vordere Gegend ist finster gehalten und herbstlich mit gelben Blättern. Zwischen zwej sehr dunkeln, sich hereinlegenden Bergen erhebt sich in der Mitte ein hoher Gletscher. Der Sitz, auf welchen Wurzel nach seiner Verwünschung zurückgesunken ist, verwandelt sich in einen Baumstamm: er und seine Diener verwandeln sich in arme Bauern. Neben Wurzel liegen sechs große Ochsen, worein sich ein Paar Seitenkredenzen verwandelten, und mehrere andere weiden auf dem Berge, und perspektivisch in den Wald hinein, daß es das Änsehen einer weidenden Herde hat. Die Musik drückt das Brüllen der Ochsen aus. So, da haben Sie es, Sie übermüthiger Ding! Jetzt sind S' bei die Ihrigen.
LORENZ.
Die haben doch eine Freud über mich, wenn s' mich sehen. Gelts, meine Kinder ? Das ist eine rührende Anhänglichkeit. Alle Ochsen weinen über mich!
WURZEL.
Scena 9 LORENZ.
47
Und ich wein doch nicht.
Hast denn kein Gefühl ? Schämst dich denn nicht vor die Ochsen? Die werden sich was Schönes denken vor dir, du undankbarer Bursch dul
WURZEL.
Was war das ? Kein Geld mehr haben, und grob auch noch seyn? Ah, jetzt muß ich andre Saiten aufziehen. Was glaubst denn du, grober Mensch? Du hast ja nichts mehr. Da schau an, deine verfallene Hütten, da steht jetzt dein Pallast, w o die Mäus Frau Gvatterinn leih mir d' Scher spielen. Zu gut ists ihm gegangen, z' übermüthig ist er geworden, und jetzt ist alles hin — aber alles I Sein Sachen und mein Sachen. Weinerlich. Ich bin nur ein armer Dienstboth, und er bringt mich um das Meinige. Ist denn das eine Herrschaft? Jetzt hab ich ihn drey Jahr lang betrogen, und jetzt hab' ich nicht einmal was davon. Wenn du dich noch einmahl unterstehst, und kommst mir unter die Augen, so reiß ich einen Felberbaum aus, und wichse dich herum damit, daß d' an mich denken sollst, du verdorbener millionistischer Waldhansel du! Geht ab.
LORENZ.
WURZEL.
sagt?
Ist denn kein Mensch mehr da, der mir eine Grobheit
Seena 9 Wolken fallen vor. Der NEID kommt auf einer grünen Wolke, die sich an eine rothe schließt, worauf der HASS steht, aus den Coulissen gerollt. Diese Erscheinung muß äußerst schnell vor sich gehen. Der Neid ist römisch gekleidet, doch ganz Das Kleid hat eine Bordüre von gestickten Schlangen, einen Turban mit Nattern umwunden. Der Haß in römischer rother Kleidung mit goldener Stickerey, Brustharnisch und Helm von rotem Folio, auf dem Helm eine Spiritus flamme. antwortet schnell auf Würfels Frage. Schurke I Was hast du gethan ? Warum hast du das Mädchen nicht schon lange vermählt, wie ichs befahl? Fort aus meinen Augen, Mißgestalt, oder ich schleudre dir eine Natter in deinen hohlen Schädel, daß dir der Wahnsinn zu allen Knopflöchern herausspringen soll.
NEID
kann sich vor Zorn kaum fassen, ganz erschöpft. Gelt ? Jetzt hast leicht reden mit mir! Jetzt kommst erst daher, du — du Eiernschmalzbruder du ? Neid und Haß lachen. Wurzel verzweifelnd. J a lacht nur, ihr habt es nothwendig! Einer sieht aus, wie das gelbe Fieber, und der andere wie ein Gimpel, der den Rothlauf hat. Aber dich will ich rekommandiren, du Galläpfellieferant. Weint heftig. Drucken laß ich mein Unglück, und lauf selber
WURZEL
48
Zweiter Aufzug
damit herum und schrey: Einen Kreuzer die schöne Beschreibung, die mir erst kriegt haben, von dem armen unglücklichen Mann, schluchzend der aus einen jungen Esel ein alter geworden ist. Gebt schluchzend ab. S e e n a 10 N E I D und
HASS.
Freund, ich bitte dich, verfolge mir diesen Dummkopf, so lang er lebt.
NEID.
Sorge dich nicht, gegen wen der Neid auftritt, der hat auch den Haß gegen sich.
HASS.
Was soll ich jetzt thun ? Ich kann es nicht erdulden, daß diese Lakrimosa, die mir einen Korb gegeben hat, nun triumphieren soll. So nahe am Ziele, und nun dieß Komplott I
NEID.
HASS.
Wenn wir's nur früher erfahren hätten!
Und wenn ich auch dagegen etwas unternehmen wollte, so kann ich nicht. Es ist nur mehr die heutige Nacht und der morgige Tag übrig, und ich muß nach England, dort ist eine große Kunstausstellung, wo wenigstens fünfhundert Künstler um den Preis kämpfen, und da kann doch der Neid nicht wegbleiben. Ich habe ja auch schon elf Zimmer gemiethet, damit man sich doch ein Bischen ausbreiten kann.
NEID.
Der Neid ist doch ein erbärmlicher Wicht; da ist der Haß ein anderer Mann. Ich will hier bleiben, ich will ihnen einen Streich durch die Rechnung machen.
HASS.
NEID.
Bruder, wenn du das imstande wärst I
HASS.
Warte, hier kommt mein Spürhund. Seena n TOPHAN. V O R I G E .
HASS.
Hast du etwas erfahren?
geheimnißvoll. Alles I Die Geister haben heute Mittags auf der Spitze des Geisterscheckeis Folgendes beschlossen: Sie werden sich an dem Bauer durch die Erfüllung seines frechen Schwures rächen; er hat das Mädchen aus dem Hause gejagt, doch die Nacht hat sie in Schutz genommen, und sie in die Arme der
TOPHAN
Scena n
49
Zufriedenheit geführt. Den Fischer hat der Magier Ajaxerle über sich, der bestellte auf heute abend eine geflügelte Wurst, damit wird er den Fischer und die beyden Weiber aus ihrer Wohnung abholen, und alle vier werden nach dem Scheckel fliegen, wo die Geister ihrer harren, und Hymen sie um Mitternacht verbinden wird. Dieß alles habe ich durch den Kammerdiener der Fee Antimonia erfahren. Das ist ein schändlicher Plan, so wahr ich Neid heiße, und ein rechtschaffener Mann bin.
NEID.
Doch der Magier muß dem Fischer noch nichts davon entdeckt haben. Der Tag ist vorüber, und er sitzt noch vor seiner Hütte und verzweifelt.
TOPHAN.
Ha! Nun ists gewonnen. Hurtig, lege dich auf die Lauer und suche den Magier abzuhalten.
HASS.
Du hast reichen Lohn verdient. Hier hast du zwey Vipern für deine Nachricht.
NEID.
Ich küß die abgezehrte Hand dafür. Küßt ihm die Hand, dann im Abgehen für sich. Vergiften könnt' ich ihn damit I Geht ab.
TOPHAN.
fährt aus einem kurzen Nachdenken empor. Triumph I Fertig ist der Plan. Seine Liebe ist zu heftig, er muß durch List in meine Hände fallen, sonst vermag ich nichts über ihn. Schwingt seine Fackel. Erscheine, Zauberhayn! Donnerschlag. Der Haß deutet in die Coulisse. Was siehst du dort?
HASS
Einen herrlichen Garten mitten im See, mit einem Lusthause und einer Kegelbahn.
NEID.
Den laß ich oft erscheinen in der Welt, er ist ein Geschenk des bösen Dämons, dem wir Beyde dienen. — In dem Lusthause dieses Gartens wird ein Brillantring, der unermessene Reichthümer gewährt, von neun bösen Geistern bewacht; ihre Büsten aber sind als Kegel aufgestellt. Wer diese neun Kegel trifft, stürzt die neun Geister, und gewinnt den Ring, den ihm keine Zaubergewalt entreißen darf. Doch trifft er weniger als neun, stürzt er todt zur Erde nieder. Wenn er aber diesen Ring neun Tage besitzt, erfüllen ihn die Geister mit dem höchsten Menschenhaß, und er ruhet nicht, bis er sich und Tausende zu Grunde richtet. Nur wenn er ihn vor dieser Zeit freywillig von sich wirft, ist er gerettet, doch Macht und Reichthum ziehen als Nebel fort. — Nun höre meinen Plan. Lakrimosens Tochter muß bis
HASS.
4 Komedia XI
50
Zweiter Aufzug
morgen um Mitternacht mit diesem armen Fischer vermählt seyn, sonst bleibt ihre Mutter auf ewig verbannt. Wir locken also den Fischer nach der Kegelbahn; fehlt er die Kegel, ist er verloren, und Lakrimosa mit ihm; trifft er sie, ist er von dem Augenblick an, als er meinen Ring am Finger trägt, ein reicher Mann, und kein armer mehr, selbst die Geister haben ihre Gewalt über ihn verloren, und dann werde ich schon Mittel anwenden, daß er entweder im Besitz seines Reichthums sich mit ihr vermählt, oder die Vermählung zu verhindern suchen. In beyden Fällen ist Lakrimosa gestürzt. fällt ihm um den Hals. Bruder, ich beneide dich um diesen Plan, das ist der einzige Dank, den ich dir dafür geben kann.
NEID
S O komm, du ohnmächtiges Ungeheuer, ich will dich mit der Rache vermählen I Du bist ein seltner Bräutigam, dich führt der Haß ins Brautgemach. Beyde Arm in Arm ab.
HASS.
Seena 12 Verwandlung. Der Zaubergarten. Auf der Hinterwand ist ein großes Lusthaus gemalt. Quer über die Bühne eine ideale Kegelbahn, mit Gold sehr verliert. Neun kleine ausgeschnitzte Büsten von Geistern sieht man statt der Kegel, den Kopf der Büste ziert ein Helm, auf welchem wie bei den Geistern eine verhältnismäßig kleinere Spiritusflamme brennt. Der mitterste Kegel hat eine kleine Krone auf dem Helm. Eine goldne Kugel. Der Stand für die Scheiber ist ideal pompös und eine Art Rosenlaube. An beyden Seiten des Theaters stehen weiße Denksteine mit schwarten Schriften: »Anton Prey traf nur drey« — »Gottlieb Pracht alle acht« — »Philipp Thier schob nur vier« — »Michael Koch Ein Loch«.. Kein schlechters Brot kann es schon nimmer geben, als ein Genius, der als Buchhalter bey einer Kegelstatt angstellt ist. Das Passen, und 's kommt Niemand. Da werden die Leut Narren seyn, und werden bey der Lotterie das Leben einsetzen; es ist oft um zehn Gulden Schad. Keiner hat noch getroffen, so viele noch geschoben haben. Um den letzten war mir gar leid, das war ein Tischlergesell, der hat mir noch vorher seine letzten zwey Gulden geschenkt, hat sich angestellt, scheibt ein Loch — pums! — gar wars. Da steht er aufgeschrieben: »Michael Koch, ein Loch.« — Sapperment, dort kommt Einer, und unser Paperl, der die Leut herlockt, voraus. Wer muß denn das sein? Zieht sich zurück.
NIGOWITZ.
51
Scena IJ Seena 13 PAPAGEY.
KARL.
VORIGER.
fliegt vor Karl und schreyt. Bist schon dal Bist schon dal Fliegt ab.
PAPAGEY
S O warte doch, kleiner Spitzbube! Ist schon fortl Sonderbares Thier! Kömmt zu meiner Hütte geflogen, verspricht mir Lottchens Hand, lockt mich hierher, und fliegt mir jetzt vor der Nase davon. Wo bin ich denn ? Ist vielleicht hier ein Schatz vergraben?
KARL.
tritt vor. Nun, wenn der Herr was g'spannt. Wer auf der Pudel alle neun scheibt, wird ein wilder Millionär.
NIGOWITZ
Ein Millionär? Himmel, da kann ich mein Lottchen heyrathen! Her mit der Kugel!
KARL.
Nur langsam! Nicht so geschwind! Gib mir der Herr zuerst mein Neunegulden.
NIGOWITZ.
KARL.
Wenn ich gekegelt habe, Freund!
Nichts! Da ist der Herr schon lange hin, da krieg' ich nichts mehr.
NIGOWITZ.
KARL.
Was?
Freylich. Da muß man ja nicht so gäh seyn. Da lese der Herr zuerst!
NIGOWITZ.
liest. »Wem der große Wurf gelungen, Hier zu treffen alle Neun, Hat den Zauberring errungen, Tritt zum Saal des Reichthums ein. Doch der Freche, dem's mißlungen, Daß das Glück er neunfach zwingt, Wird von einem Reif umschlungen, Den der Tod ums Leben schlingt.«
KARL
NIGOWITZ.
nicht?
Das heißt: der Herr ist hin. — Also will der Herr oder
Was liegt mir an dem Leben, wenn ich mein Lottchen nicht habe. Ich habe ja auf jedem Kirchtag die Neune getroffen. Her mit der Kugel!
KARL.
4'
52 NIGOWITZ.
Zweiter Aufzug
Schreib sich der Herr ein.
schreibt schnell sich in das Buch ein. So I Und nun Brillant, du sollst ihr Brautring seyn. Er stellt sich %um Scheiben und Nigowitz Zu Kegeln. Die Cortine geht auf, man sieht einen Wolkensaal. N E U N GEISTER stehen auf einer Stiege mit vier breiten Stufen: sie sind mit Pfeilen bewaffnet, und das Haupt deckt ein Helm mit einer Spiritusflamme. Auf einem Postamente steht das Wort: »Zauberring« geschrieben, dieses bewachen sie, und drohen auf Karl. Auf jeder Seite stehen vier, der Kegelkönig auf dem Postamente. KARL
CHOR.
Laß abl Laß
abl
Die Kugel rollt ins Grab! Laß ab! Lottchen heißt die Schnur! Mein muß sie seyn! Er scheibt hinaus, die Kegel fallen Alle um.
KARL.
schreit aus vollem Halse. Alle Neune! Heftiger Donnerschlag. Bahn und Kegel verschwinden. Zwey Blitze fahren auf die Geister, welche von den Stufen stürben, »Weh!« rufen und in dieser Gruppe verbleiben. Die Denksteine verwandeln sich in goldne Vasen mit Blumen. Hinter dem Postament steigt ein ungeheurer blauer A D L E R auf mit goldgesäumtem Gefieder, welcher den Ring im Schnabel hält, und jetzt auf dem Postamente sitztNIGOWITZ
steigt die Stufen hinan, nimmt ihm den Ring aus dem Schnabel und ruft. Mein ist der Ring! Der Adler breitet die Flügel aus, welche halb so breit, als das ganze Theater sind, schwingt sich über Karl auf, und reißt einen idealen Thron in seinen Krallen mit, dessen Breite sich nach der Breite der Stiege richtet. Karl sitzt auf dem Postamente, welches sich jetzt in den Thronstuhl verwandelt: GENIEN erscheinen mit Blumentöpfen, andere bringen einen kostbar gestickten Mantel, hängen ihn Karl um, und bilden mit andern, die ihm ein reich mit Schmuck und Federn geziertes Barett über das Hattpt halten, ein Huldigungstableau. Alles huldiget ihm, und so fällt der Vorhang langsam zuKARL
DRITTER AUFZUG Seena i Das Äußere eines herrlichen Pallastes aus hellrothem Marmor und mit Goldverzierten Säulen. Auf der linken Seite eine Treppe, die zum Portale führt, an jeder Seite ein Sphinx. Der Hof, welchen die Bühne vorstellt, ist mit Blumen gegiert, und scheint von einem Gitter eingeschlossen zu seyn> wozu ein prächtiges Gitterthor an der Coulisse den Eingang bildet. Die G E I S T E R DES H A S S E S sind theils in rothen Livreen gegenwärtig, theils sieht man sie als Furien gerade den Bau des Pallastes beenden. Die Musik drückt vor dem Aufziehen der Cortine das Hämmern und Schlagen der Arbeiter aus. Beym Aufziehen hört man nur den Schluß des Chores, welcher vor dem Aufziehen schon hörbar war. Jubelt hoch, des Hasses Geister! Freue dich, erhabner Meister! Nach dem Aufziehen der Cortine. Fertig ist der Baul
CHOR.
Seena 2 DER
HASS. TOPHAN.
GEISTER.
HASS modern schwarz gekleidet. Federhut, rothe Haare und Backenbart. Er tritt rasch ein. Bravo! das heiße ich Temperament des Hasses 1 In Einer Nacht haben meine Geister dieses Werk vollendet, und ehe noch um den Preis der höhern Rothe der Abendstrahl mit den blutigen Streifen dieses Marmors ringt, kann er einziehen in dies glänzende Haus, der Dieb, der aus dem Reiche des Neptuns die floßbewachsenen Bewohner stiehlt. Was ist sonst vorgefallen ? Habt ihr den Magier nicht gesehen? TOPHAN.
Nein, keinen der verhaßten Brut.
Merkt es euch. Ich stelle seinen Haushofmeister vor. Was glaubst du wohl, Tophan, wird uns der Streich gelingen?
HASS.
TOPHAN.
Die Hölle giebsl Wie benimmt er sich?
Sonderbar. Als er gestern Abends des Ringes Eigenthümer wurde, befahl er den Furien, schnell diesen Pallast zu erbauen, um seine Braut heute im Triumphe einzuführen. Wir andern Geister aber mußten am frühesten Morgen mit ihm nach der
HASS.
54
Dritter Aufzug
Stadt, wo er Mittags in einer glänzenden Carosse, mit sechs Rappen bespannt, nach dem Hause des stolzen Bauers fuhr, und um das Mädchen werben wollte, doch als man ihm berichtete, das Bauernvolk wäre sammt dem Hause verschwunden, sah er lange starr auf Einen Fleck; doch wie vom Blitz begeistert fuhr er plötzlich freudig auf, und befahl uns, schnell zurück zu reisen. Auf halbem Wege schickte er mich voraus, um hier doch Alles zur Vermählung zu bereiten, und Kraft dieses Ringes muß ich seine Befehle erfüllen. Er scheint verwirrt zu seyn, gleichviel! daß er den Ring indessen nicht vom Finger zieht, verhüten die neun Geister als sein Gefolge, und hier will ichs verhüten, bis die Nacht erscheint und der Streich gelungen ist. Jetzt an die Arbeit. Gehorcht ihm, Antipoden der Liebe, denn auch der Haß gehorcht zum Schein, um desto sicherer zu verderben. Alle geben ab. Seena 3 Beyde letztere sind als Bauernmädchen modest gekleidet. Alle drey schleichen herein.
A M O R . D I E ZUFRIEDENHEIT. LOTTCHEN.
Wir sind am Ziele. Nun seyd vorsichtig und verlaßt euch auf Amor und die Geister.
AMOR.
ZUFRIEDENHHEIT.
Ich sehe den Magier auch hier nicht.
Er muß hier seyn. Ich will ihn suchen, vielleicht hat ihn sein Muth hinter eine Hecke getrieben. Geht ab.
AMOR.
Himmel, wie soll das enden? Gestern Abends versprachst du mir, daß mein Karl an des schwäbischen Kaufmanns Hand mich zur Vermählung holen würde. Den ganzen Abend und die lange Nacht warten wir vergebens, erst heute Mittag kommt der kleine Knabe geflogen, bringt dir einen Brief, und ohne ein Wort zu sagen, verkleidest du dich, und ziehst an der Hand des Knaben mit mir bis hierher. Ich kenne die Gegend, doch stand hier eine Fischerhütte, und kein Pallast. Was ist aus ihm geworden? Wo ist er?
LOTTCHEN.
BehutsamI Sey nur ruhig; ich will dir den Brief lesen, den die Geister mir durch Amor gesendet haben. Liest. »Hochzuverehrendes WesenI Beneidenswerthe Zufriedenheit! In größter Eile berichten wir Ihnen: der Magier Ajaxerle hat durch Unvorsichtigkeit unsern Plan vernichtet, indem er die Zeit ver-
ZUFRIEDENHEIT.
Scena 4
55
säumte, Sie und den Fischer abzuholen. Wir müssen nun zu einem neuen schreiten. Der Fischer befindet sich in der Gewalt des Hasses, der seine Hütte in einen Pallast umzauberte. Reisen Sie daher schnell in Verkleidung an Amors Hand nach seiner neuen Wohnung. Vor dem Hause wird der Magier Sie erwarten und Ihnen Alles aufklären. Den Fischer werden wir sogleich nach Hause expediren. Wir Geister dürfen uns dem Haß nicht nähern, sonst entzweyt er uns, und wir kommen nicht zum Zweck, darum halten wir uns verborgen, und verlassen uns ganz auf Ihre Klugheit, denn nur die Zufriedenheit kanns mit dem Haß aufnehmen. Bis Mitternacht muß die Sache beendet seyn. Mit ausgezeichneter Achtung und namenloser Verwirrung Dero ergebenster Geisterverein auf dem Scheckel.« Ja wohl Verwirrung! Arme Lakrimosal Warum besitze ich keine Zauberkräfte! Wenn ich nur Karl sprechen könnte, dann würde ich mich schon in die Sache finden. Seena 4 TOPHAN. ZUFRIEDENHEIT.
sprechen ?
VORIGE.
Pst, Freund, ist der Herr des Hauses nicht zu
trotzig. Nein! Er kömmt erst heute Abend an. Er holt seine künftige Frau; es ist schon alles zur Vermählung bereitet.
TOPHAN
LOTTCHEN.
Himmel!
ZUFRIEDENHEIT. LOTTCHEN.
SO
führ' uns zu dem Hausinspector.
Ach ja, wenn du deinen Herrn liebst, so —
wild. Schweigt! Ich liebe Niemand, ich kann mich selbst nicht leiden, und mein Handwerk ist der Haß.
TOPHAN
ZUFRIEDENHEIT.
SO
melde uns aus Haß.
Das will ich thun, aus Mißgunst meld' ich euch an, aus Liebe nicht. Ärgerlich. Wenn es nur keine Frauenzimmer auf der Welt gäbe. Ab.
TOPHAN.
E r hat mich vergessen, und liebt vielleicht jetzt eine Königstochter.
LOTTCHEN.
ZUFRIEDENHEIT.
Nur ruhig, daß man uns nicht erkennt.
Dritter Aufzug
56
Seena 5 VORIGE. HASS.
HASS.
HASS. TOPHAN.
DIENER.
sind die Mädchen?
WO
TOPHAN.
Der
Hier! Sie scheinen mir verdächtig.
Was wollt ihr?
LOTTCHEN.
Ah I Zur Zufriedenheit ängstlich. Was wollen wir denn ?
E W . Gnaden verzeihen, wir sind zwey arme Verwandte des Herrn vom Hause, die zu ihm gereist sind, ohne von seinem Reichthum noch unterrichtet zu seyn. Unser Bruder ist im nächsten Dorfe zurückgeblieben, und wird gleich nachkommen.
ZUFRIEDENHEIT.
HASS.
Das ist Betrug! Ergreift sie schnell!
LOTTCHEN.
O
Himmel! Wer beschützet uns jetzt?
springt aus dem Blumengebüsche und tupft schnell den Haß mit seinem Pfeile ans Her%, schalkhaft. Stille, still! Ich hab ihn schon verletzt! Läuft ab.
AMOR
den Dienern. Haltet! Ich war zu rasch! Hm I Ein hübsches Mädchen. Kneipt sie in die Wange. Ich vergesse beynahe, daß ich der Haß bin! Nun, womit kann ich euch dienen?
HASS
Wenn Sie uns nur ein kleines Plätzchen gönnen wollten, um dort die Ankunft des Herrn abzuwarten.
ZUFRIEDENHEIT.
LOTTCHEN.
Wir bitten recht schön!
Nein! Zum Fortjagen sind sie zu hübsch, und zum Betrug zu unschuldsvoll. Zu den Dienern. Zeigt ihnen das DomestikenGebäude, dort können sie ihn erwarten. Wo kommt ihr her?
HASS.
ZUFRIEDENHEIT.
Aus dem Salzburgischen.
Wirklich? glückliches Salzburg; ein zweytes Sachsen, wo die hübschen Mädchen wachsen. Für sich. Das ist ein Kapital-Mädchen! Wenn ich nur der Haß nicht wäre — das ist doch fatal 1 Die könnte mich glücklich machen; denn wenn sie mich alle Tage mit ihren schönen Augen nur hundertmahl anblickt, so habe ich die Woche hindurch siebenhundert schöne Augenblicke. Nachdenkend. Das ist doch fatal, daß ich der Haß bin, jetzt war ich viel lieber ein Salzburger. Adieu, schöne Salzburgerin! Gebt ab, und wirft ihr im Abgehen Küsse
HASS.
57
Scena 8
macht ihm einen Knix nach. Adieu, schöner Salzburger! Vielleicht gelingt es uns, dir die Suppe zu versalzen. Zu Lottchen. Komm! Geht mit ihr in das Nebengebäude ab. Die Bühne ist leer.
ZUFRIEDENHEIT
Seena 6 AJAXERLE
im Zauberhabit.
sieht zum Gitter herein, tritt furchtsam ein und sieht sich vorsichtig überall um, schleicht sich dann auf den Zehen bis %ur Stiege des Pallast es. Plötzlich hört man: Halt\ wer da? ritfen. Er sieht in die Coulisse, erschrickt, schreyt. Gut Freund! Und springt, mehrere Stufen zusammennehmend, über die Stiege in den Pallast. Nachdem er darinnen ist, springt gleich eine F U R I E , mit einer Keule, die ihn bemerkt hat, in größter Eile ihm nach auf die nähmliche Weise wie Ajaxerle, über die Stiege und in das Thor ab.
AJAXERLE
Seena 7 Man hört in der Coulisse Würfels Stimme-. Ein Aschen 1 Ein Aschen! WURZEL
tritt ein als Aschenmann mit einer Butte auf dem Rücken und einer Aschenkrücke in der Hand.
Ein Aschen! — Au weh! Stützt sich auf die Krücke. Was bin ich für ein miserabler Mensch! Ein Aschen! Was war ich, und was bin ich jetzt ? Ein Aschen! Hört denn kein Mensch ? Die Köchinn hat gewiß einen Amanten bei ihr, weil s' nicht hört. Schreyt aus vollem Halse. Ein Aschen!
WURZEL.
Seena 8 D I E ZUFRIEDENHEIT und ZUFRIEDENHEIT.
IFURZEL.
Wer lärmt denn so entsetzlich?
Der Aschenmann ist da, Ew. Gnaden Fräulein Köchinn. Sie werden noch nicht die Ehre haben, mich zu kennen? Ich bin ein Neuer, der Alte ist g'storben, ich hab es erst heute übernommen. Ich bitte um Verzeihung, ich habe noch keine Visitkarten herumgeschickt. Ich heiße Fortunatus Wurzel.
WURZEL.
Er ist mein einst so fröhlicher Bauer? Ich hätte Ihn nicht erkannt.
ZUFRIEDENHEIT.
58
Dritter Aufzug
Ich weiß, wenn man so ausschaut, kennen einen die Weibsbilder nicht mehr.
WURZEL.
für sich. Nu, den haben die Geister schön zugerichtet. Laut. Du armer Narr!
ZUFRIEDENHEIT
Ja wohl, bin ich arm, und ein Narr bin ich auch gewesen I Ja, meine liebe Köchinn, ich hab schön abkocht, mit mir ists vorbey.
WURZEL.
ZUFRIEDENHEIT.
Wie alt bist du denn?
Ich hätte sollen die Vierziger kriegen, aber die Zeit hat sich vergriffen, und hat mir einen Hunderter aufgemessen, und den halt der Zehnte nicht aus. Die Zeit ist ein wahrer Korporal, der mit die Jahr zuschlagt. Im Anfang hats ein Rütchen von lauter Maiblümchen, da gibt s' einem alle Jahre so einen leichten Tupfer, das g'freut einem, da springt man wie ein Füllerl. Hernach kommts mit einen Besen von lauter Rosen, da sind schon Dornen dabey, nach und nach schlagen sich die Rosen weg, ist der Haslinger da. Endlich kommts mit einem Wiesbaum daher, laßt ihn nur umfallen, aus ists. Aber es g'schieht mir recht, warum bin ich kein Bauer geblieben?
WURZEL.
ZUFRIEDENHEIT.
Kennst du den Fischer?
Freylich. Er hätte ja mein Schwiegersohn werden sollen. Wenn ich ihm's nur geben hätte 1 Viel tausendmal hat's mich schon gereut.
WURZEL.
Für sich. Äußerung Ernst?
ZUFRIEDENHEIT
Er dauert mich. Laut. Ist dir diese
O meine liebe Jungfer Köchinn, wenn Sie mein verwurlte Geschichte wußten, so täten Sie nicht so dumm fragen.
WURZEL.
Ich weiß deine Geschichte, ich habe sie im Buche des Schicksals gelesen.
ZUFRIEDENHEIT.
WURZEL.
liest?
So? Sind Sie auch eine solchene, die statt dem Kochen
ZUFRIEDENHEIT. WURZEL.
Bereust du, was du gethan hast ?
Von ganzem Herzen.
ZUFRIEDENHEIT.
Beneidest du den Fischer um sein Glück ?
Scena 8
59
Um kein Schloß nicht! Den wird es reuen, das ganze Dorf red't davon. Ich kenn schon die Geister, die einem solche Häuser schenken. Heute nacht haben sie es ihm aufgebaut von Diamanten und rothen Rüben, glaub ich. Wie sie ihn erwischt haben, weiß ich nicht.
WURZEL.
ZUFRIEDENHEIT.
Würdest du ihm jetzt deine Ziehtochter geben?
Um keinen Preis. Erstens weil ich sie nicht habe, zweitens weil sie mit dem Reichthum eine unglückliche Person würde.
WURZEL.
ZUFRIEDENHEIT.
Wenn er aber wieder würde, wie er war?
Nachher soll er sie haben, aber suchen muß er sie zuerst, denn die ist vielleicht gar in der chinesischen Schweiz.
WURZEL.
Er wird sie finden, und ist er ihrer Liebe würdig, so seyd ihr alle gerettet, und auch du wirst wieder glücklich werden.
ZUFRIEDENHEIT.
War' das möglich! Ausgestanden hätt' ich mir schon genug. Aber was können Sie wissen ? Reden wir von was Gscheiden. Haben S' kein Aschen?
WURZEL.
Ich wollte, ich könnte schon die Asche dieses Schlosses in deinen Kübel leeren.
ZUFRIEDENHEIT.
O mein liebe Mamsell Köchinn, das war eine schöne Gegend; ein jedes Stammerl kenne ich davon, der einzige Baum da drauß ist stehen geblieben. Da ist die Fischerhütten gestanden, da ist just ein Rosenberg darüber gezaubert, der Gipfel ist gerade so hoch, als das Dach von der Hütten war.
WURZEL.
Gut, auf die Spitze dieses Hügels setze dich, und erwarte meinen Wink. Siehst du die Sonne untersinken, und ich habe dich noch nicht gerufen, so sieh es als ein Zeichen an, daß dein und Anderer Glück mit ihr hinuntersinkt, doch wirst du sie in unserer Mitte schauen, so geht dir eine neue auf, dafür bürge ich dir mit meinem Wort.
ZUFRIEDENHEIT.
O du mein Himmel, was reden Sie für eine schöne Sprache, als wie ein verkleideter Professor. Gelten S', Sie sind keine Köchin ?
WURZEL.
ZUFRIEDENHEIT WURZEL.
lächelnd. Nein, das bin ich nicht.
Was sind Sie denn?
60
Dritter Aufzug
ZUFRIEDENHEIT.
befahl.
Das wirst du erfahren. Jetzt befolge, was ich dir
Ja, ich will es gern thun. Aber wenn ich etwa ein Paar Monat oben sitzen muß, bis Sie mich rufen, so bringt mich der Hunger um. Haben Sie denn gar nichts für meinen aschgrauen Magen ?
WURZEL.
ZUFRIEDENHEIT
lächelnd. Nun so warte. Geht in die Thür ab.
Das ist eine gute Person. Wenn ein Herr so eine Köchin hätte, wär' es manchem lieber, als der geschickteste Koch.
WURZEL.
ZUFRIEDENHEIT
kommt zurück und bringt ihm eine Linker forte und eine
Flasche Wein. So mein Alter! Labe dich. Sie hält ihm die Torte hin. WURZEL.
Werfen S' die Torten nur in die Butten hinein.
Sie ist ja voll Asche. Das macht nichts, das ist gut für die Brust. Den Wein schütten wir vorne hinein. So! Ich danke. ZUFRIEDENHEIT. Nun lebe wohl. Tröste dich und hoffe. Sie geht in den Pallast, nicht in das Nebengebäude, ab. ZUFRIEDENHEIT.
WURZEL.
Ich habe die Ehre zu sehen. Wenn sie nur nicht auf mich vergißt, daß ich etwa aufs Jahr um die Zeit noch oben sitze. Wegen meiner! Ich bleib halt oben sitzen, schau hinunter, auf die Leut, und wenn ich was Dalketes sehe, so schreye ich: Einen Aschen!
WURZEL.
Arie So Mancher steigt herum, Der Hochmuth bringt ihn um, Trägt einen schönen Rock, Ist dumm als wie ein Stock; Von Stolz ganz aufgebläht, O Freundchen, das ist öd! Wie lang stehts denn noch an, Bist auch ein Aschenmann! Ein AschenI Ein Aschen! Ein Mädchen kommt daher, Von Brüßlerspitzen schwer, Ich frag' gleich, wer sie wär ?
Scena 9
61
Die K ö c h i n v o m Traiteur! Packst mit der Schönheit ein, Gehst gleich in d' Kuchel 'nein! Ist denn die Welt verkehrt? Die Köchin g'hört zum Herd. Ein Aschen! Ein Aschen! D o c h vieles in der Welt, Ich mein nicht etwa 's Geld, Ist doch der Mühe werth, D a ß man es hoch verehrt. V o r alle braven Leut', V o r Lieb' und Dankbarkeit, V o r treuer Mädchen Gluth, Da zieh ich meinen Hut. Nimmt den Hut ab. Kein Aschen! Kein Aschen! Ab. Seena 9 Verwandlung. Zimmer im Pallaste mit grellrothen Tapeten. Mitten in Lebensgröße das Sinnbild des Hasses. In der Ecke ein weißer schöner irdener Ofen, oben mit einer Vase. An der ersten Coulisse ein Fenster. Zwey Seitenthüren mit Vorhang. Auf der andern Seite ein großer Alkoven mit einem Vorhang. Die ZUFRIEDENHEIT tritt %ur Seite ein. ZUFRIEDENHEIT. Der Abend kommt, und er noch nicht. Wäre ich nicht die Zufriedenheit selbst, ich würde ihr schon nicht mehr anghören. W o nur der unglückselige Magier weilt? AJAXERLE öffnet ein Thürchen im Ofen und sieht mit dem Kopfe heraus. Pst 1 — Verzeihe Sie, sind Sie die Zufriedenheit ? ZUFRIEDENHEIT. Ja, mein Herr! AJAXERLE. Warte Sie, ich komme gleich. Friesele, sauf, ö f e l e , thu dich g'schwind auf! Donnerschlag. Der Ofen theilt sich in der Mitte auseinander, so %war, daß das rußige Innere des ganzen Ofens sichtbar wird. Der Herd bleibt aber in der Mitte stehen, auf welchem Ajaxerle auf einem eisernen Dreyfuß sit^t, und das kleine Zauberbüchlein, und den Stab in der Hand hält. Nun dem Himmel sey D a n k , daß wir uns einmal sehe! Ich sitze schon über eine halbe Stunde da im O f e und thu auf Sie passe.
62 ZUFRIEDENHEIT.
Dritter Aufzug Endlich einmal! Sie sind doch —
Freylich I ja, ich bin der Magier Ajaxerle, und muß Ihnen Nachricht bringe.
AJAXERLE.
ZUFRIEDENHEIT.
Sprechen Sie schnell.
Ein schönes Kompliment von die Geister, und der Fischer Karl hat von dem Spitzbuben, dem Haß, einen Ring bekommen, der ihn so reich macht, und Sie solle Alles aufbiete, daß er ihn wegwerfe thut. Und dann solle Sie die zwey Leut gleich herunten vermähle, sonst ist Alles verlöre. Sein Reichthum thut nur so lange dauern, als er den Ring am Finger hat. Kurz, wenn Sie da die Geister brauche sollten, so möchte Sie da die Schnur Perle von einander reiße, da sind zwölf Geister angefädelt, die werden Alles vollbringe. Die andern stehen auch schon auf der Paß. Gibt ihr eine Schnur Perlen.
AJAXERLE.
ZUFRIEDENHEIT.
Aber warum haben Sie uns denn nicht abgeholt?
Weil ich mich verschlafe hab. Ich hab mich über den Bauer so zürnt, daß mir völlig übel war, und da bin ich nach dem hohen Berg, nach dem Geisterscheckle, und hab mit die Geister erst den Plan abgemacht, bin wieder fortg'loffe, und hab ein Würstle bestellt, und dann hab' ich aus Müdigkeit mich auf ein Paar Minute niedergelegt, und bin erst heute in der Früh munter geworde, und derweile hat der Haß den Fischer abg'fange, und wie ich daher komme bin, hab ich den Pallast gesehe, und er war mit dem Haß nach der Stadt gfahre. Da bin ich gleich zu die Geister hinauf g'sprunge und hab ihnen Alles erzählt, da haben sie mich brav ausgemacht, haben Ihnen den Amor geschickt, und mich haben sie mit einem kleinen Scheckle über den großen heruntergeplescht, daß ich da auf Ihnen warte soll. Sie haben zwar anfangs durchaus wem anderen schicke wolle, aber ich hab' mir's nicht nehme lasse, ich muß mein Bäsle rette.
AJAXERLE.
ZUFRIEDENHEIT.
Ofen deutend.
Und wie kommen Sie denn dort hinein? Auf den
Wie ich über die Stiege herauf bin, ist mir einer mit einem Prügel nachgelaufe, und da bin ich geschwinde in den Ofen hineingschlupft, und bin nimmer heraus. Ich hab' mir gedacht, Sie müssen schon zufälliger Weise heraufkomme.
AJAXERLE.
ZUFRIEDENHEIT.
Wenn ich aber nicht gekommen wäre?
Seena 10
63
AJAXERLE. Ja, da wär' ich drin stecke bliebe. Ich werd mich doch wegen Ihnen nicht schlage lasse. ZUFRIEDENHEIT. Wissen Sie ihn denn nicht zu finden? E s ist die höchste Zeit. AJAXERLE. E r muß gleich kommen. Der Bustorius ist ihm schon nach in die Stadt, der wird ihn schon herprügle. Lärmen von außen: »Er kommt! Vivat der gnädige Herrl« ZUFRIEDENHEIT. E r kommt. Machen Sie, daß Sie fortkommen, und die Geister sollen in der Nähe seyn. AJAXERLE. Ja, wie komm' ich denn hinaus? Die Kerls passen ja auf michl ZUFRIEDENHEIT. SO machen Sie sich unsichtbar. AJAXERLE. Das kann ich ja nicht. Ich bin ja nur ein Magier, ich bin ja kein Geist. Ich muß mich ja in etwas verwandle. ZUFRIEDENHEIT. Nun so verwandeln Sie sich, aber nur geschwinde. AJAXERLE. J a , das geht ja nicht so geschwind, ich lerne ja die Zauberey erst drey Jahr, ich bin ja nicht frey gesprochen. Ich muß erst nachdenke. Wissen Sie was? Ich geh wieder hinein deutet auf den Ofen und verwandle mich drinnen in ein Ofenruß. In einer halben Stund kommt der Schornsteinfeger und kehrt mich hinaus. Sol Jetzt lebe Sie wohl. Steigt in den Ofen, welcher sich wieder schließt. ZUFRIEDENHEIT. Endlich ist er fort. Man hört von außen Polier abfeuern, und Vivatgeschrei.
S e e n a 10 LOTTCHEN stürmt zur Mitte herein. LOTTCHEN. E r kommt! E r kommt! Sie öffnet hastig das Fenster. E r ist es! E r ist allein! Sie streckt die Arme nach ihm aus. Ach Karl I
37VA/ sie schnell vom Fenster zurück. Du verdirbst Alles. Folge mir! Zieht sie schnell in den Alkoven, und läßt den Vorhang vor.
ZUFRIEDENHEIT
64
Dritter Aufzug Seena n VORIGE.
HASS.
ES
KARL.
Der
HASS
zur Mitte herein.
ist alles besorgt I
in sehr schönen Reisekleidern. Schweig, sag' ich dir I Wer waren die Mädchen, welche hier am Fenster standen? Warum sind sie entflohen? Sprich!
KARL
HASS.
Sie haben sich für höchst Dero Verwandte ausgegeben.
D U lügst I Suche sie, ich will sie sehen. Für sich. Mir sagt mein Her2, sie ists!
KARL.
für sich. Sollten mich die Weiber doch betrogen haben? Laut. Ich werde die Bedienten rufen.
HASS
KARL.
Nein, du selbst, und schnell.
Ja, ja! Nur erlauben mir Ihro Gnaden vorher, Sie noch Einmal zu warnen, diesen Ring ja nicht abzulegen, wenn Sie nicht mit ihm Ihre Geliebte und Ihren Reichthum auf immer verlieren wollen.
HASS.
Besorge es nicht. Er macht mich klug. Doch, um die Mädchen fort, und komme nicht ohne sie zurück, das rate ich dir.
KARL.
Ich bringe sie. — Nun wartet, ihr verdammten Weiber! Geht durch die Seitenthüre ab.
HASS.
allein. Nein, die Erscheinung hat mich nicht getäuscht, als ich verzweiflungsvoll den leeren Platz betrachtete, wo gestern Wurzeis Haus noch stand, da füllte sich die Luft mit Dampf, und aus einer Rauchwolke von achtem Knaster trat, meinen Dienern unsichtbar, ein ungarischer Geist, der mir befahl, ich möchte schnell nach Hause reisen, wo mein Lottchen mich erwartet, um heute noch mein Weib zu werden; und er hat wahr gesprochen, ich habe sie erkannt, es ist mein Lottchen.
KARL
Seena 12 VORIGER.
LOTTCHEN.
ZUFRIEDENHEIT. KARL.
ZUFRIEDENHEIT
treten aus dem Alkoven.
J a , sie ist es.
Lottchen! Will ihr in die Arme stürben.
LOTTCHEN.
Karl! Eben so.
Scena 13 ZUFRIEDENHEIT KARL.
65
tritt zwischen Beyde. Haltet I
Was soll das?
Karl, aus meinen Händen nur kannst du dein Lottchen erhalten. Der Bauer hat sie nur erzogen; ich bin die Bevollmächtigte ihrer Mutter, und wenn du deinem Reichthume nicht entsagst, wirst du sie nicht erhalten.
ZUFRIEDENHEIT.
Wie ? Ich sollte wieder ein elender Fischer werden, da ich sie jetzt glücklich machen kann?
KARL.
Nie wird sie durch diesen Reichthum glücklich werden, denn ein böser Geist hat ihn geprägt.
ZUFRIEDENHEIT.
Du lügst! Mit Gefahr meines Lebens habe ich ihn errungen. Du bist ein böser Geist, der mir mein Glück entreißen will! Fort! ich erkenne dich nicht.
KARL.
LOTTCHEN.
Karl, sie meint es gut —
Glaub es nicht. Sie hat dich nur bethört. Lottchen, wenn du mich liebst, so eilst du zur Vermählung. Alles ist bereitet. Sieh mich zu deinen Füßen, ich habe Jahre lang um dich gelitten. Kannst du mich verlassen?
KARL.
Nein, nein, das kann ich nicht! Verzeih mir, theure Freundinn, aber mein Karl ist mir das Theuerste auf dieser Welt, ich folge ihm.
LOTTCHEN.
ZUFRIEDENHEIT. LOTTCHEN.
Du gehst in dein Unglück.
Sey es auch, es geschieht für ihn. Sie will auf Karl
die noch immer in der Mitte steht. Nun denn, Geister, sendet eure Macht. Zerreißt die Perlenschnur.
ZUFRIEDENHEIT
S e e n a 13 Unter einem Trommelwirbel kommt B U S T O R I U S aus der Versenkung mit einer Windbüchse. V O R I G E . BUSTORIUS. Succurs ist da! Da hab' ich kleine Windbüchsen, seyn zwölf Geister darinnen; wie ich losschieß', fahrt einer nach dem andern heraus. Du Paidäs, wirst parieren oder nicht ? Was ist dir lieber, Geld oder Madel? KARL.
Ich will Beyde.
5 Komedia XI
Dritter Aufzug
66
Ich glaub gern I So Narren gibts mehr. Nichts da, kannst nur eins haben.
BUSTORIUS.
sanft. Karl, gib mir den Ring, den du am Finger trägst, und ich bürge dir für dein Glück.
ZUFRIEDENHEIT
Ha Betrügerinn 1 Jetzt hast du dich entlarvt 1 Ich will den Ring und sie. Du fängst mich nicht.
KARL.
BUSTORIUS. KARL.
Das ist ein bockbeiniger Kerl!
Laßt sie los, oder ich rufe meine Geister!
ZUFRIEDENHEIT. KARL.
DU
opferst ihr den Ring nicht?
Nein!
faßt plötzlich einen Gedanken, entreißt Bustorius seinen Zauberstab, und berührt damit Lottchens Her%- So nimm sie hin!
ZUFRIEDENHEIT
KARL.
Komm, Lottchen!
will freudig auf ihn bleibt aber plötzlich stehen, und sieht ihn ernst an. Ich kann dir nicht folgen. Fort von mir — ich liebe dich nicht — ich hasse dich!
LOTTCHEN
Wie ? Sprichst du irre ? Mich, deinen Karll Er schlägt mit der rechten Hand, an welcher er den Ring hat, an die Brust. Lottchen erblickt den Ring, stößt einen Schrey aus, und fällt in Ohnmacht. Die Zufriedenheit fängt sie auf. Was ist das ? Hülfe! Hülfe! Zauberey! BEDIENTE kommen. Entreißt ihr das Mädchen, und schützt mich vor der Macht dieser Zauberer!
KARL.
Wie Einer kommt her, schieß ich ihm ein Paar Geister vor den Schädel.
BUSTORIUS.
KARL.
Lottchen, was ist dir geschehen ? Er naht sich ihr.
Fort! Ich kann den Ring nicht sehen. Sieht den Ring, schreyt und sinkt in Ohnmacht.
LOTTCHEN.
BUSTORIUS. KARL.
Nutzt dir nichts, sie liegt schon wieder da.
Weh mir! Er will auf sie
Sie ist bezaubert!
Ja, ich habe sie bezaubert. So lange sie lebt, wird sie keinen lieben, der auch nur Einen Edelstein besitzt, und beim Anblick eines jeden Brillantes wird sie ohnmächtig zu Boden stürzen. Wirf den Ring von dir, wenn du sie erhalten willst; oder ich entziehe sie auf immer deinen Augen!
ZUFRIEDENHEIT.
Scena 14
67
Seena 14 DER HASS.
VORIGE.
Was geht hier vor? Zurück von ihm, oder ich vernichte dich ! Kennst du den Haß ? Schlägt auf seine Brust.
HASS.
ZUFRIEDENHEIT.
Nein! Denn ich bin die Zufriedenheit.
erschrickt. Pardon, Mademoiselle! Je suis désarmé. Alle ihm Angehörigen fliehen sich demüthig zurück. ZUFRIEDENHEIT. Karl, du siehst unsere Macht! Zum Letztenmal rufe ich dir zu: Wirf den Ring von dir, oder du siehst sie nie wieder — du zauderst ? Wohlan, lebe wohl ! Sie steht mit Lottchen auf der Seitenversenkung. Aus dieser erhebt sich eine schmale Wolke, und geht mit ihnen ungefähr vier Schuh hoch in die Höhe, so daß Lottchen ohnmächtig kniet, und die Zufriedenheit sie in den Armen hält. Wenn die Wolke %wey Schuh hoch aus der Versenkung sich erhoben hat, springen ^wey Nebenwolken oder Nebentheile hervor, so daß die Wolke eine breitere Form erhält, und das Garnie ein Tableau bildet. HASS
heftig. Halt ein! Und wenn die Welt am Finger glänzte, ohne sie gilt sie mir nichts ! Fort mit ihm ! Er wirft den Ring weg. Blitzstrahl. Die Furien entfliehn.
KARL
HASS.
Verwünschtes Weibervolk! Versinkt.
Seena 15 Verwandlung in die Gegend der Fischerhütte. K A R L S Kleid fällt ab, er steht als Fischer da. W U R Z E L sit^t auf dem Rosenhügel, welcher bey der Verwandlung sich in die Fischerhütte changirte, so daß Wurzel auf dem Dache sit%t. Wenn L O T T C H E N und die Z U FRIEDENHEIT herab sind, verschwindet die Wolke. LOTTCHEN KARL.
erwacht.
Karl, ich danke dir!
Lottchen, du bist mein!
der eingeschlafen war, und durch den Donner erwachte, Ein Aschen!
WURZEL
KARL
1
LOTTCHEN
J
f sehen sich um. Wer ist das ?
ZUFRIEDENHEIT. WURZEL. 5*
Der bestrafte Fortunatus.
Ich segne euch!
ruft.
68
Dritter Aufzug
ZUFRIEDENHEIT.
Und Hymen soll euch verbinden. Winkt.
kommt aus der Versenkung mit einem kleinen Opferaltar, in ihre Mitte und spricht. Auf ewig!
HYMEN
WURZEL.
tritt
Ein Aschen 1
BUSTORIUS. Feuer! Er schießt los. Donnerschlag. Alle GEISTER der Introduktion kommen auf Seitenwolken und Versenkungen schnell herbey.
sinkt in einem Wolkenwagen nieder, über dem ein Genius schwebt mit der Schrift: »Erlösungen.
LAKRIMOSA
LAKRIMOSA.
Dank euch, meine Lieben, ich bin glücklich! Ist gern geschehen! Schaffen Sie ein andersmahl wieder.
BUSTORIUS.
ZUFRIEDENHEIT.
Füßen.
hebt sie auf.
LAKRIMOSA WURZEL.
Dieß ist deine Mutter. Lottchen sinkt zu ihren An mein Herz!
Ein Aschen I
sieht ihn. Du hast gebüßt, sey, was du stets hättest bleiben sollen. Winkt.
LAKRIMOSA
verwandelt sich auf dem Dache in einen Bauer, springt herab. Alloh! Jetzt bin ich wieder in mein Element! Mein Schönheit war im Versatzamt, jetzt haben sie's ausg'löst.
WURZEL
mit ihm der kleine SATYR mit der Würfels Schwur steht. Ajaxerle nimmt ihm hält sie Wurzel vor. Der Schneckenhändler ren hast, ist geschehen. Jetzt sind wir Punktum I Löscht den Schwur von der Tafel.
AJAXERLE
schwarten Tafel, worauf selbe aus der Hand, und ist da; was du g'schwowieder gute Freund'!
Brillanten darf ich dir nicht zum Brautschatz geben, aber das schönste Fischergut mit ewig reichem Fang sey sein.
LAKRIMOSA.
Verwandlung Romantische Fischergegend an einem reifenden See. In der Ferne blaue Gebirge. G E N I E N , als Fischer gekleidet, schiffen auf einem Kahn, werfen Net%e aus, und formieren ein Tableau. LAKRIMOSA.
Stets bleibt auch die Liebe eurer Mutter.
ZUFRIEDENHEIT.
Und die Freundschaft der Zufriedenheit.
Scena 15
69
Sind Sie die Zufriedenheit? Da lassen wir Ihnen heute nicht mehr aus.
WURZEL.
Dieß sey mein Brautgeschenk. Sie winkt, ein kleiner Wasserfall entsteht, worüber sich die Worte befinden: »Quelle der Vergessenheit des Üblen.« Ein Genius sitzt an der Quelle, und reicht allen Becher.
ZUFRIEDENHEIT.
Da trinken wir gleich jetzt auf Ihre Gesundheit den zufriedensten Rausch.
WURZEL.
Schlußgesang Vergessen ist schön, und es ist gar nicht schwer, Denn was man vergißt, von dem weiß man nichts mehr. Und wer uns ein Geld leiht, den führt man schön an, Man laßt ihn nur trinken, er weiß nichts davon.
WURZEL.
Und wer uns ein Geld leiht, den führt man schön an, Man laßt ihn nur trinken, er weiß nichts davon.
CHOR.
Vergessenheit trinket dem Haß und dem Neid, Damit uns das Leben bloß liebend erfreut. Doch bringt man den Gönnern der Dankbarkeit Zoll, Da senkt man die Becher, das Herz nur ist voll.
WURZEL.
Doch bringt man den Gönnern der Dankbarkeit Zoll, Da senkt man die Becher, das Herz nur ist voll.
CHOR.
Hier ist der Zufriedenheit herrlichste Perl, Ich habs bei der Falten, ich glücklicher Kerl; Doch kommts mir allein nicht zu, glücklich zu sein, Wir nehmen s' in d' Mitten und schließen sie ein.
WURZEL.
Er stellt die Zufriedenheit in die Mitte: auf heyden Seiten schließt sich alles an sie an, umschlingt sich und bildet einen Halb%irkel. Doch kömmts ihm allein nicht zu, glücklich zu seyn, Wir nehmens in d'Mitten, und schließen sie ein.
CHOR.
Sie dürfen auf keinen Fall mehr von dem Ort, Man läßt die Zufriedenheit nicht so leicht fort; Und Eine Gnad bitt ich mir heute noch aus: Begleitens voll Achtung das Publikum z' Haus!
WURZEL.
Und eine Gnad bitt er sich heute noch aus: Begleiten S' voll Achtung das Publikum z' Haus!
CHOR.
70
Dritter Aufzug
Repetition. Wir leb'n doch wahrhaftig in herrlichen Zeiten, Jetzt kommt die Zufriedenheit von allen Seiten. Hier steht noch die unsre, sie ist uns noch treu: An das Publikum. Und Sie schenkn uns Ihre, jetzt hab'n wir gar zwey. CHOR. Hier steht noch die unsre, sie ist uns noch treu, Und Sie schenkn uns Ihre, jetzt hab'n wir gar zwey.
WURZEL.
Erlaub'n S' nur, daß beyde jetzt Hand in Hand gehn, Denn unsre kann ja nur durch Ihre bestehn. Und dieß Kapital ist ein ewiger Kauf, Denn Sie sind zu gütig, Sie kündens nie auf.
WURZEL.
Und dies Kapital ist ein ewiger Kauf, Denn Sie sind zu gütig, Sie kündens nie auf.
CHOR.
Ende
ANHANG Repetitionsstrophen zum »Aschenlied« Des A s c h e n m a n n e s W i e d e r k e h r Es zieht auf stiller Heid', Ganz winterlich beschneit, Das Heimatland im Sinn, Ein grauer Wandrer hin. Wer mag es denn wohl sein? Er wandert so allein! Kein Mädchen blickt ihn an, Ach, 's ist der Aschenmann! Ein 'Aschen! Er eilt von Ort zu Ort Ganz unbekümmert fort Und denkt: Wem alles fehlt, Geht sicher durch die Welt. Ein Räuber fällt ihn an, Das freut den Aschenmann; Er leert die Butten aus, Sein Reichtum fällt heraus: Ein' Aschen! Er ruht am Waldes Saum, Da teuscht ihn goldner Traum: Die Jugend kehrt zurück, Es krönt ihn neu das Glück. Doch kaum ist er erwacht, Deckt ihn die alte Nacht, Da treibts ihn durch den Wald, Sein Schwanenlied erschallt: Ein' Aschen! Doch plötzlich hält er an, Es endet seine Bahn, Er sieht das holde Wien Im Morgenstrahl erglühn.
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Anhang So nahe seinem Ziel, Erfaßt ihn das Gefühl: Die Stadt, so reich beschenkt, Ob sie noch dein gedenkt ? Nur kein' Aschen I Doch kaum tritt er hinein, Erkennt ihn groß und klein, Und mancher ruft ihn an: Willkommen Aschenmann 1 Erinnrung, die nie schlief, Ergreifet ihn nun tief, E r jauchzt mit trunknem Sinn: Hoch leb' mein theures Wien! Kein' Aschen I Mich macht kein Beifall müd', Ich wiederhol' mein Lied, Wenn ich dadurch gefall', Wohl siebzehnhundertmal: Wenn's Ihnen Freude macht, Sing' ich die ganze Nacht, Und bricht der Morgen an, Kräh' ich noch statt dem Hahn: Ein' Aschen I
(Gesungen am 10. Januar 1833 im Theater in der Josefstadt, als Raimund nach einer Gastspielreise erstmals wieder in Wien auftrat. Zit. nach Glossy und Sauer III, 379 f.)
MATERIALIEN ZUM V E R S T Ä N D N I S DES T E X T E S Editionsbericht Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär ist in folgenden wichtigen Ausgaben erschienen: a) Ferdinand Raimund: Sämtliche dramatische und poetische Werke. 4 Bde. Hrsg. von J O H A N N N E P O M U K V O G L . Wien: Rohrmann und Schweigerd 1837. Diese Ausgabe beruht auf den Manuskripten der Stücke, die Raimund in den letzten Jahren bei seinen Gastvorstellungen in Wien und Deutschland verwendete. Der Anhang enthält eine kleine Sammlung von Raimunds Gedichten und Prosa. Wenn auch V O G L wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt, bietet er dennoch keinen willkürlich veränderten Text, wie ihm vorgeworfen wurde. b) Ferdinand Raimund: Sämtliche dramatische und poetische Werke. Wien: Karl von Hölzl 1855. (Unveränderter Nachdruck von a). c) Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke, nach den Originalund Theatermanuskripten nebst Nachlaß und Biographie hrsg. von C A R L G L O S S Y und A U G U S T S A U E R , 3 Bde. Wien: Carl Conegen 1881 (zit. Glossy und Sauer). Grundlage dieser Ausgabe sind die Niederschriften von Raimunds 8 Dramen im ersten Entwurf, die T O N I W A G N E R besessen hatte und nach ihrem Tod von der Wiener Stadtbibliothek erworben wurden. Die Konzepte sind unverändert abgedruckt. Ein Apparat enthält ausgewählte Varianten nicht näher bezeichneter Theaterhandschriften. Ein geplanter 4. Band, Anhang genannt, ist nicht erschienen. d) 2. Auflage von c, doch ohne Nachlaß, ib. 1891. Damit lagen zwei Ausgaben vor: die von V O G L , die einen späteren Wortlaut wiedergibt, der geprägt ist von jahrelanger Erprobung des Textes in der Praxis der Wiener Bühnen und teilweise auch anderer deutschsprachiger Theater, und G L O S S Y S und S A U E R S Edition von Raimunds Konzepten. e) Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke in drei Teilen, hrsg. von E D U A R D C A S T L E . Leipzig: Max Hesse 1 9 0 3 (zit. Castle). C A S T L E bietet einen aus V O G L und G L O S S Y / S A U E R gewonnenen »Ideal«-Text. Im allgemeinen folgt er V O G L . Lediglich dort, wo die Abweichungen vom Konzept eindeutig nur von der Rücksicht auf
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bessere Verständlichkeit (z. B. Tilgung mundartlicher Eigenheiten für nichtösterreichisches Publikum) und von der Rücksicht auf die Zensur veranlaßt worden sind, gibt er die Fassung der ersten Niederschrift. f) Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke, historisch-kritische Säkularausgabe in 6 Bänden, hrsg. von FRITZ BRUKNER und E D U A R D C A S T L E . Wien: Anton Schroll u. Co. 1924—34. Bde 1 und 2: Dramen; Bd. 3: Nachlaß, mit einem Anhang »Aktenstücke zu Raimunds Lebensgeschichte«, gesammelt von FRANZ HADAM O W S K Y ; Bd. 4: Briefe; Bde 5, 1 und 5, 2: Chronologie seiner Rollen nebst Theaterreden und lebensgeschichtlichen Nachrichten, gesammelt von F R A N Z H A D A M O W S K Y ; Bd. 6: Die Gesänge der Märchendramen in den ursprünglichen Vertonungen, hrsg. von ALFRED OREL (zit. Brukner und Castle). CASTLE und BRUKNER berücksichtigen die gesamte Texttradition der Stücke von der ersten Niederschrift bis zu Raimunds Reisemanuskripten. Es wird wiederum ein Idealtext konstruiert, der nun aber auf einer viel breiteren Textgrundlage steht. Das Verhältnis zur ersten Niederschrift läßt sich an der Ausgabe von GLOSSY/ SAUER nachprüfen. Wie aber mit den Bühnenhandschriften verfahren worden ist (für Das Mädchen aus der Feenwelt werden sieben Theaterhandschriften genannt), läßt sich nicht beurteilen, da der umfangreiche Lesartenapparat, von Ausnahmen abgesehen, aus Ersparnisgründen nicht gedruckt werden konnte. Der direkte Rückgriff auf wichtige Textquellen blieb der Forschung auch mit dieser Ausgabe verwehrt. g) Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Barocktradition im österreichisch-bayrischen Volkstheater. 6 Bde, hrsg. von O T T O R O M M E L . Leipzig: Reclam 1931fr. (Enthält außer »Der Alpenkönig und der Menschenfeind« sämtliche Bühnenwerke Raimunds.) Das Mädchen aus der Feenwelt in Bd. 5, S. 28—86. Dieser Text des Mädchens aus der Feenwelt folgt der Theaterhandschrift der Wiener Nationalbibliothek Series nova 3374. Sie hat VOGL als Druckvorlage gedient. Sie trägt das Akzept des Theaterdirektors CARL vom 18. November und die Zensurbewilligung vom 24. November 1830 für Raimunds Gastspiel im Theater an der Wien am 14. Dezember. Zu dieser Zeit war das Stück schon gegen 150 Mal gespielt worden. Raimund konnte dem benachbarten Theater einen erprobten Bühnentext vorlegen. h) Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke, nach dem Text der v o n FRITZ BRUKNER u n d E D U A R D CASTLE b e s o r g t e n
Gesamtaus-
gabe hrsg. und mit einem Nachwort versehen von S C H R E Y V O G L . München: Winkler i960.
FRIEDRICH
Zur Entstehungsgeschichte
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i) Ferdinand Raimund: Der Bauer als Millionär oder Das Mädchen aus der Feenwelt. Reclams Universalbibliothek 120. Stuttgart 1964. (Text nach B R U K N E R und C A S T L E , doch modernisiert. Nachwort von W I L H E L M Z E N T N E R ) . Der v o r l i e g e n d e T e x t bringt den Wortlaut der Theaterhandschrift von 1830. E r ist ein getreuer Abdruck der Ausgabe von O T T O R O M M E L , die als einzige einen unveränderten Bühnentext bietet. R O M M E L hat die Rechtschreibung der Vorlage belassen. Lediglich die Schreibung der Eigennamen Lacrimosa und Lakrimosa hat er vereinheitlicht, ebenso die Schreibung der Anredewörter. Das Personenverzeichnis stimmt genau mit dem Theaterzettel der Erstaufführung vom 14. Dezember 1830 überein. Die von den anderen Ausgaben abweichende Bezeichnung Seena 1 statt »1. Szene« steht in einer Tradition, die bis auf die lateinischen Jesuitendramen zurückgeht. Zur
Entstehungsgeschichte
Ferdinand Raimund (1790—1836) begann nicht als »Dichter«, er begann als Schauspieler. Nach einer kurzen Schulzeit, während der er u. a. auch die Anfangsgründe des Violinspiels erlernt hat, wird er vom Vater zu einem Zuckerbäcker in die Lehre gegeben, der im Burgtheater Erfrischungen verkauft. Als »Numero« kommt Raimund Tag für Tag mit dem Theater in Berührung. 1808 entläuft er seinem Meister und findet bei einer Wandertruppe ein Unterkommen. Meidling, Pressburg, Steinamanger, Oedenburg, Raab sind die Orte seiner theatralischen Lehrjahre. Sein organischer Sprachfehler, das gequetschte R, bestimmt ihn zum Komiker. Doch wird er dieser Schwierigkeit einigermaßen Herr und darf auch ernste Rollen spielen, zu denen es ihn besonders hinzieht. E r sucht dabei die großen Vorbilder der Burg zu imitieren. 1814 wird er von J O S E F G L E I C H ans Josefstädter Theater engagiert, der dritten der Wiener Vorstadtbühnen (nach dem Leopoldstädter Theater und dem Theater an der Wien). Hier spielt er u. a. den Franz Moor. Sein erster großer Erfolg wird der eifersüchtige Musiker Adam Kratzerl in G L E I C H S »Musikanten auf dem hohen Markt«; sein humoristisches Geigenspiel trägt wesentlich dazu bei. Das Stück erfreut sich solcher Beliebtheit, daß ihm in kurzer Zeit vier Fortsetzungen folgen —• immer mit Raimund als Adam Kratzerl. 1817 engagiert ihn L E O P O L D H U B E R für die Leopoldstädter Bühne. Im Unterschied zu seinem großen Rivalen, dem Komiker I G N A Z S C H U S T E R , versteht sich Raimund aufs Extemporieren. Daraus entstehen Einlagen, die als Raimunds erste eigenschöpferische sprach-
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liehe Leistung anzusehen sind. Ein paar Witze sind überliefert, z. B . : »Der Richter und der Schuster haben miteinander eine Tafel machen lassen mit der Aufschrift: Hier bekommt man Wichs!« E s sind harmlose, unschuldige Späße — von N E S T R O Y S spöttischem Geist hat Raimund nichts besessen. In verschiedenen fremden Theatermanuskripten stößt man auf Änderungen in Raimunds Handschrift. Raimund steht selbst den bekannten Namen und Autoren der Leopoldstadt kritisch gegenüber. »Mit unsern Dichtern«, heißt es in einem Brief an T O N I W A G NER, »geht es immer miserabler; sie betreiben ihre Kunst, bloß um Geld herauszulocken, nicht um Ehre zu ernten, und es ist zum Verzweifeln, was man für Schmierereien lesen muß. Da ist erstlich mein Schwiegervater, der Gleich, und dann der Beamte Meisl. Die Leute übergeben mir ihre Stücke zur Durchsicht, und ich muß zwei Akte kassieren, ehe ich einen halben brauchen kann.« Auf den Vorschlag, doch selber ein Stück zu schreiben, unter eigenem Namen, soll er erwidert haben: »Hab' i so nit Feind gnua? Soll i mir die Dichter auch noch zu Feinden machen?« 1 1823 schreibt aber Raimund sein Benefizstück selber: »Der Barometermacher auf der Zauberinsel«. Die Theaterzeitung, von A D O L F B Ä U E R L E redigiert (er war wie G L E I C H und M E I S L ein äußerst fruchtbarer Theaterautor), weiss zu berichten, »es soll eine sehr heitere und gelungene Arbeit sein und Herrn R. Gelegenheit geben, sein eminentes Talent als Schauspieler vielfach zu entwickeln.« 2 Dasselbe gilt vom zweiten Stück, »Der Diamant des Geisterkönigs«, nach einem Märchen aus 1001 Nacht, in dem Raimund den Diener Florian Waschblau spielt und das er wieder zu seinem Benefiz geschrieben hat. »Als dieses Stück so glücklichen Erfolg hatte, wie es ihn gewiß nicht verdient hat, wurde ich schon kühner und erfand mir selbst einen Stoff, und so entstand der 'Bauer als Millionär', in dem sich viele läppische Kleinigkeiten befinden, welche ich nur angebracht habe, weil ich fürchtete, das Publicum möchte ihn zu ernsthaft finden. Durch die fortwährende geistige und physische Anstrengung und Kränkungen im Leben verfiel ich im Jahre 1824 in eine bedeutende Nervenkrankheit, welche mich der Auszehrung nahe brachte und fünf Monate von der Bühne entfernt hielt. Diese Krankheit verzögerte die Aufführung des 'Bauern als Millionär' um ein ganzes Jahr. Bei seinem Erscheinen hatte er das Glück, so sehr zu gefallen, dass mich meine Neider gar nicht als den Verfasser wollten gelten lassen.«3 1 2 3
Castle, Einleitung S. Lf. ebd. S. CI. Glossy und Sauer III, S. 524.
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So berichtet Raimund in der kurzen Selbstbiographie, die am 15. September 1836 in der Allgemeinen Theaterzeitung erschien. Bezeichnend ist vor allem, daß Raimund mit seiner Kunst mehr als Lachtheater bieten will. Die Uraufführung in der Leopoldstadt war am 10. November 1826. Auch sie wurde gegeben »zum Vorteile des Unterzeichneten«, als Benefizvorstellung für den Autor, Regisseur der Bühne und Hauptdarsteller. Daß er seinen Stoff selber erfunden hat, darauf weist auch die neuartige Bezeichnung des Stücks als Original Zaubermärchen. Der Bauer als Millionär (schon Raimund nennt das Spiel meist mit seinem zweiten Titel) schlug ein: Es wurde ein großer Erfolg. Das Mädchen aus der Feenwelt ist das chronologisch dritte der in den Ausgaben der sämtlichen Werke abgedruckten Stücke, aber das erste, in dem Raimunds Eigenart, auch ohne Kenntnis seines schauspielerischen Stils, schon allein im Text faßbar wird. Die Entstehungsgeschichte beginnt und endet im Theater. Wurde 4 T I E C K S Komödie »Die verkehrte Welt« erst 150 Jahre nach ihrem Erscheinen in Buchform auf der Bühne uraufgeführt, so steht bei Raimund die Aufführung am Anfang. Das Stück ist im Hinblick auf ganz bestimmte Darsteller geschrieben. Der Apparat der Aufführung hatte mehr als bloß vermittelnde Bedeutung; seine Aufgabe war eine eigentlich schöpferische. Das gilt in besonderem Maß für den Schauspieler und Regisseur Raimund, ohne die der Dichter Raimund nie gewesen wäre, was er tatsächlich war. Es gilt aber auch für die andern Namen des Personenzettels. Wir greifen nur drei davon heraus: K A T H A R I N A E N N Ö K L , F R I E D R I C H J O S E F KORNTHEUER
und
THERESE
KRONES.
die Darstellerin der Zufriedenheit, war von 1804 bis 1829 am Leopoldstädter Theater engagiert. Sie war eine traditionsfremde Schauspielerin. Ihr Engagement hing mit der zu Beginn des Jahrhunderts herrschenden Tendenz zusammen, auch die Vorstadttheater dem hochdeutschen Repertoire anzugleichen — denn man glaubte, die »Volkskomödie« sei erschöpft. Ganz zu Unrecht, wie sich bald herausstellen sollte. Das ursprüngliche Fach der E N N Ö K L waren erste Liebhaberinnen, Heldinnen, tragische Charaktere, daneben aber auch naive Mädchen. Ihr Spiel »atmete nichts als Natur«, schrieb die Kritik, d. h. ihr Stil war bestimmt vom Prinzip der Wahrheit, der auch die Darstellungskunst eines G A R R I C K , eines S C H R Ö D E R und I F F L A N D verpflichtet war. Zum lokalen Fach, d. h. zu den soubrettenartigen Wiener Mädchen niederen Standes, kam die E N N Ö K L durch die komödiantischen Verwandlungsrollen der Lustspiele, worin sie als ein wahrer Proteus KATHARINA
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ENNÖKL,
Vgl. Komedia Bd. 7.
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brillierte. Sie war u. a. die erste Aline in A D O L F B Ä U E R L E S »Aline oder: Wien in einem anderen Weltteil«. Eine Darstellerin, die der Bildung, der Kultur und dem ursprünglichen Fach nach ganz zur Burg tendierte, hatte sehr wohl Platz auf der Vorstadtbühne. Sie war außerordentlich beliebt. Spielte sie die Zufriedenheit, so schien für das Publikum in ihrer Gestaltung der Figur die ganze Reihe ihrer anderen Rollen durch. Wenn Wurzel in der 8. Szene des dritten Aufzugs als Aschenmann zu ihr sagt: 0 Du mein Himmel,
was reden Sie für eine schöne Sprache, als wie ein verkleideter
Professor.
GeltenS', Sie sind keine Köchin ? und sie lächelnd antwortet Nein, das bin ich nicht, so wird auch für uns noch hörbar, wie sehr ihr Raimund diese Rolle auf den Leib geschrieben hat, wie sehr er mit ihrer Persönlichkeit dichtete. Ebenfalls vom hohen Theater kommt F R I E D R I C H J O S E F K O R N Ubers Liebhabertheater zum Berufsschauspieler geworden, ging er über Klagenfurt zur Burg. Ein breitschultriger Riese, spielte er gern martialische Rollen, Militärs und Tyrannen. Erst allmählich vollzog sich der Ubergang zum Komiker. »An Korntheuer war alles lang«, berichtet ein Zeitgenosse. Phlegmatische Steifheitskomik war seine Eigenart. Als Longimanus in Raimunds »Diamant des Geisterkönigs« konnte er sich selber spielen. Auch mußte er sich wegen der feuchten Wolkenkissen verlachen lassen. Jedermann verstand die Anspielung auf K O R N T H E U E R S Blasenleiden. Sie war nicht respektlos gemeint. Es war eine ungewöhnliche Art, einem Liebling Zuneigung zu bezeigen. Im Mädchen aus der Feenwelt setzt ihn Raimund gleich zweimal ein: Einmal als harmlosen Komiker, der als Zauberer Bustorius sein Phlegma brillieren lassen kann. In der Rolle des hohen Alters aber benützt Raimund seine komische Eigenart nur noch als Ornament einer im tiefsten Grunde ernsten Rolle. Und wieder bedient sich Raimund eines Darstellers, der vom Bildungstheater herkommt, auf eine ganz persönliche Weise.
THEUER.
Einen andern Ton ins Ensemble brachte T H E R E S E K R O N E S , Raimunds erste fugend. Sie stammte aus dem Sumpf der Wanderbühnen. Sie war in keiner Weise »Interpretin«, sie lebte und spielte, sie war in ihrem ganzen Wesen Komödiantin und ging ganz auf im Augenblick. 20jährig kam sie 1821 ans Leopoldstädter Theater. Ihr Vater war mit seiner Familie und einem Karren, der mit einem Stapel papierner Kulissen beladen war, Jahre hindurch von einem ungarischen Dorf ins andere gezogen, um den Bauern in einer Scheune oder dem Schuppen einer Weinschenke immer die gleichen kleinen Stücke vorzuspielen. Vertretungen für arrivierte Lokalsängerinnen rücken sie in den Vordergrund. Als Zilli in B Ä U E R L E S Aline schlug ihre große Stunde. Die K R O N E S kann als Inbegriff
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des »entfesselten« Theaters gelten. Ihre Kunst und ihre Affären haben die Belletristik, ja sogar den Film angeregt. B A U E R N F E L D schrieb von ihr: »Hoffmanns Gestalten, von phantastischen Prinzessinnen, einer Brambilla u. dgl. schwebten mir beständig vor, wenn ich die schlanke, kühne, dabei zierliche Frau über die Bretter schreiten und sich selber parodieren sah, wenn ich ihre tollen Possen, ihre wilden Gesänge vernahm, die man keinem weiblichen Munde verzeihen konnte als dem ihrigen — denn wie Ophelia Schwermut und Leid, so war die KRONES imstande, Zweideutigkeiten, ja offenbare Zötlein in Anmut und Zierlichkeit umzuwandeln.« Was die KRONES in Raimunds Augen war, erfährt man am besten, wenn man die Rollen, die er für sie geschrieben hat, mit jenen vergleicht, die LOUISE G L E I C H , T H E R E S E G R Ü N T H A L oder andern Darstellerinnen des Ensembles zugedacht waren. Mariandl (im »Diamant«), die »Gefesselte Phantasie« und vor allem die Jugend besitzen einen Zauber des Weiblichen, der allen andern Frauenrollen Raimunds abgeht. Nur das Frivol-Zweideutige, worauf sie sich verstand, konnte sie bei Raimund nicht einsetzen. Denn auch das Niedrigkomische bleibt bei ihm unschuldig. Sie ist durch die Gestalt der Jugend verewigt worden. Sie hat an ihr aber ebenso großen Anteil wie Raimund selber. Was von drei Rollenträgern hier in Stichworten angedeutet wurde, ließe sich beim ganzen Ensemble nachweisen: Das Material, für das Raimund arbeitete, hatte einen großen Einfluß bei der Entstehung des Stücks. Davon zu sprechen, ist kein theaterhistorischer Ballast. Gattungsgeschichtliche Einordnung So wenig sich die Mitglieder des Raimundensembles auf ein Fach, auf eine Richtung der Darstellung festlegen lassen, so wenig läßt sich Raimunds Bauer als Millionär in eine Schublade der Poetik des Lustspiels einordnen. O T T O ROMMEL verwendet als Oberbegriff den Ausdruck »Alt-Wiener Volkskomödie«. In diesem Begriff haben Platz: Commedia dell' arte, Opera buffa, Posse, Schwank; Tragödie, bürgerliches Schauspiel, Sittenstück, Oper, Singspiel; Melodrama, Ballett, Pantomime, Kindertanz, Tierdressuren, Schauund Spektakelstück . . . Was bindet ihre divergenten Elemente? Was ist ihnen gemeinsam? Nur dies eine: Die Wirkung um jeden Preis. Der Effekt, der Erfolg beim Publikum. Mit einer rein literarischen Betrachtung kommen wir nicht weit. Die Vorstellung, ein Theaterstück sei eine organische Einheit, in dem die Teile unter mannigfachen Gesichtspunkten auf das Ganze
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bezogen sind und umgekehrt, wird den Stücken, die in den Wiener Vorstadttheatern gespielt wurden, nicht gerecht. O T T O R O M M E L hat das Wesen dieser Stücke und den Prozeß, wie sie entstanden, so beschrieben: »Fingerfertige Librettisten zauberten aus einem internationalen Vorrat fluktuierender Motive, auf die niemand irgendein Eigenrecht geltend machen konnte, Hunderte und Aberhunderte leichtgefügter Stücke hervor, in deren Rahmen sich Abend für Abend lachendes Wiener Leben entfaltete. Aber keiner von ihnen, weder Spieler noch Librettist, hielt sich für etwas Besonderes. Sie alle gaben einfach dem Theater, was das Theater nach ihrem höchst sachkundigen Urteil gerade brauchte.« 5 So wenig ist die literarische und schöpferische Einheit eines Stücks v o n Bedeutung, daß ein Theaterabend nicht unbedingt von e i n e m Autor stammen muß. Ebenso wirksam kann eine geschickte Folge von beliebten Szenen aus verschiedenen Stücken sein — also ein »Pasticcio«, wie eine solche Zusammenstellung in der italienischen Oper heißt. Raimund selber hat in solchen Szenenfolgen brilliert. Wir kennen noch Programm und Text solcher dramatischen oder komischen Szenenreihen, in denen das Wort nicht mehr ist als das Sprungbrett für die Leistung des Schauspielers 6 . E s ist »mimisches» Theater, kein Wort-Theater, zu dem Raimunds Zaubermärchen gehört. Raimunds Kunst wurde nicht nur in fremden, auch in seinen eigenen Stücken in erster Linie als mimische Leistung und erst in zweiter oder gar dritter Linie als literarisches Werk gewürdigt. Als Raimund in Berlin als Wurzel gastierte, erschien im »Sammler« eine Kritik, die zu den wichtigsten Zeugnissen über Raimund als Schauspieler gehört. »Der Meister zeigt sich in den Übergängen, jede Muskel, jede Sehne, jede Miene, jede Bewegung spielt mit, indem er altert. Der Greis ist fertig; aber ein eben so widerwärtiger Greis, als er ein unangenehmer Mann war. Man fühlt es in aller Wahrheit, aber diese Wahrheit zieht noch nicht an. Nun kommt das Unglück hinzu und die Zufriedenheit reicht dem armen Aschenmann die Hand. E r wird neu geboren, das Gefühl spricht aus dem Druck des Alters in der Not, man sieht, es war etwas Besseres in ihm, das nur lange erdrückt und verborgen war. E r bekommt L u f t und der Mann wird ein anderer, ein tief tragischer Charakter. Hier ist Raimunds Hauptstärke; das, wird jeder inne, ist Wahrheit, das spricht v o m Herzen zum Herzen. Diese Töne des Aschenlieds berühren in ihren einfachsten Worten, ihrer einfachen Weise; Schmerzen, die, 5 5
Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 17. Brukner und Castle III.
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durch das ganze Weltall vibrierend, den Widerhall in jeder Brust finden. Dazu diese rührende Gestalt, diese rührende Miene, es zittert alles, und nur die Hoffnung hält wie ein letzter schwacher Faden das zerbrechliche Gebäude zusammen. A b e r wir tun dem Darsteller damit Unrecht, daß er hier ein anderer gewesen sein soll. A u f schärfere Beobachtung erkennt man, daß der tragische Grundton sich überall durchzieht. Raimund ist als Dichter und Schauspieler durch und durch ernst. Die, die es selbst nicht sind, merken es nur nicht. Er ist nie ausgelassen; w o er es scheint, trennt nur eine dünne Florwand den Humor v o n der Aussicht auf das Ende aller Dinge, von denen der Humor eines ist. Die tiefe, rührende Wahrheit übermannte bei dieser Stelle das Publikum, der Applaus ging in Sturm über und Raimund wurde gerufen.« 7 Das literarisch-geistige Element tritt als solches nur wenig in Erscheinung. Und doch war es, im Unterschied zu der Dutzendware der Zeitgenosssen, so sehr vorhanden, daß BAUERLE sich über Raimunds dichterische Ambitionen spottend ausließ 8 . So selbstverständlich war es der Zeit, daß die Kunst des Schauspielers in den Wiener Vorstadttheatern darin bestehe, Unverbesserliches besser zu machen, daß Raimunds Stücke nicht als Vollendung, vielmehr als Niedergang der Alt-Wiener Volkskomödie angesehen werden konnten. Es versteht sich von selbst, daß der Bedeutung des Darstellers auch die Bedeutung des Publikums entspricht. Kein Publikum der Welt, vielleicht das elisabethanische ausgenommen, war derart sachverständig wie die Wiener. »Es ist kaum möglich, jede Feinheit schneller aufzufassen, jeder glücklichen Darstellung der Natur, jedem Wort und Laut, die von dem Schauspieler kommen, gefühlvoller zu huldigen. W o jeder Wink errathen wird, ergreift den Künstler eine Begeisterung, die alle Schätze seines Vermögens hervorruft. Man wird mich nicht überreden, daß es ein dankbareres P u b l i k u m g e b e . « S o hatte s c h o n FRIEDRICH LUDWIG SCHRÖDER
die Wiener gerühmt 9 . Der Dank ans Publikum ist ein Topos, der in jedem Stück wiederkehrt. Das Publikum der Vorstadttheater war das »Volk«. Darunter ist auch, aber nicht nur, der niedere Stand zu verstehen. In der Alt-Wiener Volkskomödie waren alle Schichten der Bevölkerung zu Gast (im Unterschied zum Hoftheater). Was sie verband, war ein eigenartiger Geist der Masse (das Wort ohne den modernen, abschätzigen Beiklang verstanden). Grillparzer hat ihn im »Armen ' ebd. V/i, S. 344. 8 ebd. V/i, S. 514. 9 Zit. nach Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 134fr.
6 Komedia X[
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Spielmann« beschrieben, in der Schilderung des Volksfestes in der Brigittenau. Haben wir einmal begriffen, daß die Grundlage von Raimunds Kunst nicht die Literatur, sondern das Theater ist, so können wir abzugrenzen versuchen, in welcher Tradition der Alt-Wiener Volkskomödie Der Bauer als Millionär steht. Verschiedene Stränge von Verwandtschaft und Abhängigkeit lassen sich feststellen. Die Rahmenhandlung um Lakrimosa stellt Raimunds Stück zu den Ritter- und Geisterstücken, die von V O L T A I R E , W I E L A N D und Gozzi her zu Ende des 18. Jahrhunderts Eingang ins Wiener Theater gefunden haben. Eine vertrackte Situation, die den Keim des Tragischen in sich trägt, kann unter ganz bestimmten Bedingungen zum Guten gewendet werden. Dadurch wird der betroffene Mensch »erlöst« — über Lakrimosas Wolkenwagen schwebt am Schluß des Zaubermärchens ein Genius mit der Schrift »Erlösung». O T T O R O M M E L hat die beliebte Gattung unter dem Aspekt der Theodizee gedeutet: Der Geist der Aufklärung sucht die oft schwer durchschaubare Weisheit Gottes dadurch rational verständlich zu machen, daß er sie verschlungene Pfade gehen läßt, deren Windungen aber dem klar sind, der die Kette der Kausalität, die Reihe der Bedingungen kennt. Das glückliche Ende steht zum vornherein fest: das ist weltanschauliche, gesellschaftliche wie theatertechnische Konvention. Es ist klar, daß für eine Kunst, die dem Effekt auf dem Theater alles andere unterordnet, die Kompositionsregel gilt: je verwickelter, desto wirksamer. Eine kalte Phantasie, ein kapriziöses Gehirn ist am Werk, wenn der Erlösungsplan ausgeheckt wird. Dies ist die schwierige Situation in Raimunds Stück: Die einst so mächtige Fee Lakrimosa lebt machtlos auf ihrem Wolkenschloß. Sie hat sich gegen die Gesetze der Feenwelt vergangen und sich auf der Erde mit einem Sterblichen vermählt. Das Mädchen, das aus dieser Verbindung sproß, will sie in Reichtum erziehen und zur Gattin des Sohns der Geisterkönigin machen. Der Königin erscheint dieser Plan als Hybris und sie bestraft Lakrimosa-, »Nur wenn ihre Tochter, in Tugend und Armut erzogen, allen Reichtum hasset und sich in ihrem 18. Jahre mit einem ebenso armen und tugendhaften Jüngling vermählt, ist der Bann ihrer Mutter gelöst und die Stunde dieser Vermählung die von Lakrimosens Befreiung.« 10 Lottchen, das Mädchen aus der Feenwelt, ist zum armen Bauer Wurzel gebracht worden. Sie liebt den armen Fischer Karl. Der
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Raimunds »Plan« zum »Mädchen aus der Feenwelt«. Siehe Glossy und Sauer III, 349 fr.
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18. Geburtstag steht nahe bevor. Die Zwillingsbrüder Neid und Haß suchen seit langem die Erfüllung der Bedingungen mit allen Mitteln zu hintertreiben. Deshalb haben sie auch Wurzel zum Millionär gemacht, der niemals einwilligen wird, daß Lotlchen den armen Karl heiratet. Ihnen entgegen arbeiten die Zufriedenheit und ein ganzes Heer von guten Geistern. Auch der Kampf zwischen den guten und bösen Geistern um das Geschick des Liebespaars und die Erlösung Lakrimosas steht in einer langen Tradition. Seit H O M E R gibt es die doppelläufige, die zweigeschossige Handlung: oben die Götter, unten die Menschen. Beide scheinen voneinander unabhängig. Und doch erklären, schüren oder schlichten Götterkämpfe die Zwiste der Menschen. Aus diesem Schema entwickelt das christliche Theater eine eigentliche szenische Theologie. Als Modell einer barocken doppelbödigen Handlung kann das Drama »Pietas victrix sive Flavius Constantinus de Maxentio tyranno victor« von A V A N C I N I gelten. Der Heide Maxentius und der christliche Kaiser Konstantin kämpfen miteinander. Ihr Zwist wird begleitet und gedeutet vom Kampf der Frömmigkeit und der Gottlosigkeit. Der Sieg der Frömmigkeit bedeutet auch den Sieg Konstantins. Die individuelle Geschichte steht so immer unter dem Aspekt der Theodizee. Gott erweist seine Schöpfung als gut durch den Sieg der christlichen Mächte. Auf den überpersönlichen Charakter des Ereignisses weist schon der Doppeltitel hin. Das religiöse Schema bestimmt lange auch das rein weltliche Theater, z. B. L U L L Y S Opern. Nur sind es hier statt christliche Allegorien antike Götter, statt Teufel Dämonen, statt Engel Genien. Und später wird die klassische Mythologie erweitert und abgelöst von Gestalten des Märchens, der orientalischen Feenwelt und des Geisterromans. Der theologische Grund ist immer schwerer zu erkennen. Der Geisterapparat wird zum Selbstzweck. Satirische, frivole, parodistische Züge mischen sich ein. Die Doppeltitel verkünden nur noch Spiel und Spaß, keine tiefere Bedeutung. In S C H I K A N E D E R S »Zauberflöte« ringt der gute Zauberer Sarastro mit der bösen Königin der Nacht um das Heil des Liebespaars. Daß eine eindeutige Trennung des guten und bösen Prinzips nicht möglich ist, ja daß man sogar von einem Bruch in der Konzeption des Librettos sprechen konnte, beweist, wie das barocke Schema durch jahrhundertlangen Gebrauch abgenützt und seines Gehalts beraubt worden ist. Es ist nur noch Gerüst für ein rein ästhetisches, theatralisch-szenisches Spiel, für »entfesseltes« Theater. Erst M O Z A R T S Musik hat dem Libretto der »Zauberflöte« metaphysische Tiefe gegeben. Ohne sie wäre es vergessen wie Tausende von ähnlichen Stücken.
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Die nächste Stufe in der Entwertung des theologischen Hintergrundes stellt K A R L M E I S L S »parodierende Posse« »Die travestierte Zauberflöte« dar. Da wird die Königin der Nacht zu einer Frau von Putzweg, »verwitweten Nachtkönigin«, die in ihrem Landhaus in der Brühl wohnt. Ihr Mann war ein Unternehmer für Fäkalien abfuhr. Sarastro ist ein wienerischer Fresser kolossalen Zuschnitts. Hier endet der Prozeß der Vermenschlichung der Götter und Geister. In diesem Stadium der Entwicklung hat Raimund Das Mädchen aus der Feenwelt geschrieben. Er hat das Rad der Geschichte gleichsam zurückgedreht. Er will wieder mehr als Spaß und Lachen bieten. Beides ist ihm nur Grund für Höheres. Schon der Doppeltitel seines Stücks weist wieder deutlich hin auf zwei verschiedene Ebenen der Handlung. Betrachten wir sein Spiel nicht vom Geisterrahmen, sondern vom zweiten Teil des Titels her, so stellt sich Raimunds Stück in die Reihe der Komödien, die man »Besserungsstücke« nennt. C A S T L E meint, daß Raimund vielleicht eine Figur aus dem Leben vorschwebte, das stadtbekannte Schicksal eines durch Heulieferungen für die Armee reichgewordenen Bauern. Es ist Komödientradition, daß Lachen »bessern« soll. Viele antike und barocke Komödien überspitzen eine lächerliche Eigenschaft und rügen dadurch den Fehler. Zur gesellschaftskritischen Funktion erhebt die Aufklärung das Theater, indem sie das Lustspiel zur vernünftigen Tadlerin macht, die durch Lachen erzieht. Maßstab der Wiener Volkskomödie und des Besserungsstücks im engern Sinn ist natürlich nicht die Vernunft. Eine Kunst, die vornehmlich aufs Wort und den expliziten Geist gestellt ist, konnte in Wien trotz aller Anstrengungen von S O N N E N F E L S u. a. nie Fuß fassen. Die Liebe des Publikums zum Schaubaren stand einer an L E S S I N G geschulten Komödie stets im Wege. Das Besserungsstück wendet sich deshalb mehr an die Sinne als an den Sinn. Es will dem Geist nichts beweisen, es will sinnbildlich überzeugen. Maßstab der Komödie ist das phäakische Behagen des Durchschnittswieners. Dieser ist nicht unvernünftig, nur ist sein Geist wenig entwickelt. Ein berühmtes Besserungsstück waren die »Musikanten am Hohenmarkt«, in denen, wie schon erwähnt, Raimund als eifersüchtiger Ehemann brillierte, der von seiner Krankheit auf deutliche Weise geheilt wird. Es kann nicht erstaunen, daß die Verwicklungen, denen die Titelfigur während ihrer Kur ausgesetzt wird, wichtiger sind als die Darstellung einer inneren Wandlung der Figur. Psychologisch angepackt haben das Thema nur RAIM U N D und G R I L L P A R Z E R . Raimund im Bauer als Millionär und später in »Alpenkönig und Menschenfeind«. Von G R I L L P A R Z E R S »Der Traum ein Leben« soll er gesagt haben: »Sehen s', das hab ich
Gattungsgeschichtliche Einordnung
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selbst immer wollen, und eigentlich hat mein >Bauer als Millionär< ganz denselben Gedanken 1 1 .« Dem Rollenfach nach steht der Wurzel in einer Tradition, die bis auf den Hanswurst zurückgeht. Wichtige Namen in der Reihe sind: J O S E P H A N T O N S T R A N I T Z K Y , G O T T F R I E D P R E H A U S E R , J O S E F FELIX
KURZ,
JOHANN
LAROCHE,
EMANUEL
SCHIKANEDER,
ANTON
sind alles rein komische Typen, die ihre Figur, die ursprünglich als Episoden- und Nebenrolle zu gelten hatte, mehr und mehr zur Hauptsache machten. Ihr Charakter ist gewöhnlich von einer dominierenden Eigenschaft bestimmt: sie sind gefräßig, geil, vorwitzig; naiv, schüchtern, ehrlich; schusselig, eingebildet, phlegmatisch. Eindeutig in diese Reihe gehört der Florian Waschblau aus Raimunds »Diamant des Geisterkönigs«. Bei Wurstel kommt man sofort in Zweifel. Zwar ist auch Wurzel gefräßig, auch trinkt er gern. Darin unterscheidet er sich nicht von Papageno. Doch im Grunde überwiegen Züge, die nicht dem Hanswurst, vielmehr dem Charakterfach angehören, wie sie z. B. dem Kohlenbauer Gluthahn in Raimunds Stück »Moisasurs Zauberfluch« eigen sind. Raimund teilte seine Rollen selber ein in komische und solche, die zum Charakterfach gehören. Eine scharfe Trennung ist aber nicht möglich. In den Charakterrollen scheint oft der Hanswurst durch, und die heiteren Züge einer komischen Rolle bekommen unter Raimunds Hand mit einem Mal ernsten Stellenwert. Wenn er als Wurzel mit dem Ruf »Ein Aschen, au weh!« hereinhumpelte, so fühlten sich die Zeitgenossen gewiss noch an das »Auwedl« erinnert, mit dem Kasperl L A R O C H E beim Auftritt Lachstürme erregte 12 . Raimund aber weckt kein blosses Lachen. Seine Wirkung ist auch nicht die des Schreckens oder des Mitleids. Was er erregt, ist eine Rührung, die Lachen, Lächeln und Weinen in einem ist. Das Komische wird zum Humoristischen — »Humor« im Sinn von J E A N P A U L verstanden. — HASENHUT, ANTON BAUMANN.
ES
Raimunds Stück kann gattungs- und rollengeschichtlich nicht befriedigend eingeordnet werden. Die Traditionen, denen es angehört, haben uns aber verschiedene Aspekte eröffnet, die das Verständnis seiner Eigenart erleichtern. Die verschiedenen Stränge, die wir im Anschluß an R O M M E L herauszulösen suchten, haben sich nicht erst bei Raimund vereinigt. Die Vermischung der geistigen Gewalten, der Feen und Allegorien, mit den Formen des bürgerlichen Lebens, haben z. B . bereits B Ä U E R L E und M E I S L gepflegt. Raimunds Verdienst aber ist es, daß er aus den überlieferten Elementen als erster ein geschlossenes Ganzes, ein Kunstwerk gestaltet hat. 11 12
Brukner und Castle V/z, S. 1015. Sauer, Gesammelte Reden, S. 253.
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A n a l y s e des S t ü c k s Raimund hat für B Ä U E R L E S Theaterzeitung anläßlich der Uraufführung des Bauer als Millionär einen Aufsatz geschrieben: eine minutiöse Inhaltsangabe. Die verschiedenen Stränge des Stücks laufen in dieser Darstellung gleichwertig nebeneinander. Nichts steht im Licht, nichts im Schatten. Alles ist gleichmäßig beleuchtet. E s ist gut möglich, daß Raimund als Dichter wie Regisseur tatsächlich alles gleich wichtig war — denn seine Arbeit war von einem hypochondrischen Ernst getragen. Liest man aber das Stück oder erlebt man es im Theater und stellt man sich darauf das Werk als Ganzes vor — dann ist der Eindruck ein ganz anderer. Dann erscheint als wichtigste Eigenschaft von Raimunds Spiel gerade die Stufung der verschiedenen Schichten, die Unterschiede der künstlerischen Intensität. Auf der untersten Stufe steht, wofür Bühnenbildner und Maschinenmeister fast allein verantwortlich sind. Vieles ist reiner Szenenzauber, nicht anders als noch im »Diamant des Geisterkönigs«. Z. B. der Schluß des ersten Aufzugs: Graue Wolkenschleyer senken sich langsam über die gan^e Bühne herab, dann sinkt die Nacht personifixirt nieder; eine kolossale Figur, welche an Breite den grössten Teil der Mitte des Theaters einnimmt . . . Mit der Linken gebiethet sie Schweigen. Sie schwebt ernst und feierlich herab und sinkt in das geöffnete Podium. Die Nebel vergehen und lassen die vorige Strasse im Mondenglanz^ zurück. Die Luft ist rein und mit transparenten Sternen besäet, auch die Mondessichel ist transparent auf der Cortine sichtbar. Szenenzauber sind auch die 12 Geister der Nacht, über deren Häupter die Worte sichtbar werden: Entflieh nur der Pracht, Dich rächet die Nacht. Reiner Theaterspaß ist der Auftritt des Postgeistes Illi, der auf einer großen Schwalbe durch die Luft geflogen kommt. Hier darf der Maschinenmeister zeigen, was er kann. Die Szene ist barockes Erbe. Wir erinnern uns an die drei Genien aus der »Zauberflöte«, die aus dem Schnürboden herunterfliegen. Wie sie treten bei Raimund auch die Geister auf, die in der EröfFnungsszene des Stücks Leckereien servieren. Raimund steht hier scheinbar noch ganz in einer Reihe mit BÄuE R L E , M E I S L und G L E I C H . Wenn aber am Schluß der Begegnung zwischen dem Hohen Alter und Wurzel ein Blitzstrahl herabfährt und sich die Bühne aus dem reichen Saal im Nu in ein düsteres Tal verwandelt, wenn Wurzel, der eben noch Millionär war, wieder als armer Bauer dasitzt, dann wird mit optisch-theatralischen Mitteln, nicht anders als im Theater der Jesuiten, wieder etwas Geistiges sichtbar: Vergänglichkeit.
Analyse des Stücks
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Raimund hat sich auf die technischen Dinge des Theaters sehr gut verstanden. Schon seine Szenenangaben verraten auf Schritt und Tritt den Mann vom Bau. So wird meist vermerkt, wo die Dekoration praktikabel zu sein hat und was lediglich gemalt werden kann. E r nimmt Rücksicht auf die beschränkten technischen Möglichkeiten des Leopoldstädter Theaters. So heißt es z. B. beim Aufbruch der Geister am Schluß der 3. Szene des ersten Aufzugs: Die Wolkenwagen fahren vor und gerade in die Coulisse ab, aber nicht durch die Luft. Denn ein Teil der Züge ist bereits durch die bedienenden Genien besetzt und in den restlichen Zügen hängen bereits die Elemente, die am Schluß des ersten Aufzuges die niedersinkende Nacht versinnbildlichen sollen. Der Beginn des Stücks hört sich an wie ein Geistersouper bei M E I S L oder B Ä U E R L E . Die überirdischen Wesen sind ganz dem Menschlichen angenähert. Raimund scheint sich selber zu kopieren — nämlich die entsprechenden Szenen des »Diamants des Geisterkönigs«. Doch wieder fehlt alles Frivole. Die Späße um Antimonia und Borax bleiben harmlose Gesellschaftssatire. Figuren wie der Ungar Bustorius und der Schwabe Ajaxerle sind altbewährte Typen, deren Komik vom fremden Dialekt und fremden Temperament lebt. Man soll über sie lachen, fast wie man im Zirkus über den dummen August lacht. Die Fee Lakrimosa dagegen ist ernst gemeint, ernster als jede entsprechende Figur bei den Großen Drei. Aus ihrem Mund hören wir die verschlungene Vorgeschichte und die schwierigen Bedingungen ihrer Erlösung. Daß sie sich auf ihrer Erdenfahrt in den bankrotten Direktor einer Seiltänzergruppe verlieben mußte, ist von Raimund nicht satirisch gemeint. Der menschlich-allzumenschliche Z u g soll uns die hohe Frau nur etwas näherbringen. Die lange Exposition ist natürlich künstlerisch ein Übel. Raimund wußte das genau. Deshalb darf sich Ajaxerle auch darüber lustig machen I Nicht anders als bei den Zeitgenossen scheinen zuerst auch die Allegorien verwendet, zumal dort, wo sie (wie zu Beginn des Stücks) in großer Menge und fast ballettmäßig eingesetzt werden. Neid und Hass als »Großhändler im Geisterreich« erinnern an Allegorien, wie sie z. B. in M E I S L S »Lustigem Fritz« auftreten. M E I S L bietet auf: »Das Laster in spanischer Tracht mit schwarzen Federn auf dem Hute, die Begierde als Pilgrim, barfuß, mit weißem Barte . . . die Mode im kurzen Kleide, halb rot, halb blau, einem roten und einem blauen Strumpf, einer Sandale und einem Schuhe, einem Spiegel an der Seite hängend, auf dem Kopf ein Regenbogen.« 13 Weiter treten auf der Wahnsinn, die Kaprice, der Luxus, das Kompliment, 13
Zit. nach Heibig, Das Wiener Volkstheater. S. 134fr.
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die Armut, die Schande, die Schulden, die Hoffnung. Die Lehre der Emblematik könnte im einzelnen Fall erklären, aus welcher Tradition die Figuren stammen und wie ihre Attribute zu deuten sind. In den meisten Fällen dürfte aber ein ernster Hintergrund fehlen. Die gedankliche Bedeutung der Allegorien ist längst verblaßt. Ihr Auftritt wird zum Selbstzweck. E r hat bei M E I S L genau den Charakter einer modernen Revue. Mit M E I S L Z U vergleichen sind bei Raimund höchstens die stummen Allegorien des Geistersoupers. Nur fehlt ihnen M E I S L S mondäner, ja verruchter Glanz. Sie geben sich allesamt bieder und harmlos. Raimunds Haß, Neid, Zufriedenheit, Jugend und Hohes Alter gehören zu einer andern Art von Allegorie. B Ä U E R L E hat sich darüber lustig gemacht: »Hat man je gehört, daß die Zufriedenheit gegen den Haß einen Verfolgungskrieg führt, und die Jugend ihr Adieu sagend, gleich das Hohe Alter nach sich zieht?« 14 E r nennt dies »Alfanzereien ohne Geschmack«. Nicht die Verwendung von Allegorien stört ihn, aber er steht fassungslos der Tatsache gegenüber, daß zu einer Zeit, die auf der Bühne der Vorstadttheater nur Stoff zum Lachen sehen will, ein Mann wie Raimund kommt und an die Allegorien glaubt, wie Kinder die Gestalten des Märchens für wahr halten und ernst nehmen. — Wie ist es zu erklären, daß bei Raimund die bereits satirisch und mondän verbrauchten allegorischen Figuren wieder diesen Hauch von Wahrheit und Unschuld bekommen? Woher stammt er? E r kommt von Raimunds eigentümlicher Einbildungskraft. A m psychologischen Grund seines Schaffens kann keine Werkinterpretation ganz vorbeigehen. Was seine Phantasie ist, sagt sie mit aller wünschbaren Deutlichkeit selbst — als »gefesselte Phantasie« aus Raimunds gleichnamigem Original-Zauberspiel: »Ich bin ein Wesen leichter Art, ein Kind mit tausend Launen, das Niedres mit dem Höchsten paart, s' ist wirklich zum Erstaunen.« Klischees der hohen Tragödie und Reime der Posse verbinden sich, ohne sich im geringsten zu stören, zu einem höheren ästhetischen Ganzen. »In dichterischem Übermut durchschweb ich weite Fernen, Ich steck' die Sonne auf den Hut 14 16
Brukner und Castle V/i, S. 514. ebd. V/z, S. 685.
Analyse des Stücks
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Und würfle mit den Sternen. Doch vor des Beifalls Harmonie, Beugt sich selbst die Phantasie.« Vom Schluß hat der Kritiker S A P H I R gemeint: »Zwei Ohrfeigen tun nicht so weh als dieser Ikarussturz.« Raimunds Kunst ist ihm verschlossen geblieben. Es gehört zur Kraft dieses szenischen Poeten, das Divergenteste, auch die »Captatio benevolentiae«, zu einem Ganzen zu binden, in dem für jeden, der in ästhetischen Dingen normativ zu denken pflegt, die Stillosigkeit zum Prinzip erhoben scheint. Die Einheit gewährleistet eine kindliche bildnerische Freude. Nun ist aber Raimund, anders als man es nach dem eben Gesagten erwarten könnte, kein munterer Seifensieder, der selig in sich selbst lebt, keine Hanswurstnatur, die sich begnügt mit den primitiven Freuden dieser Welt. Raimund ist ein höchst problematischer Charakter. Das Glück ist ihm nicht selbstverständlich. »Wenn man froh ist, muß man nie fragen, warum. Die Freude ist ein Dieb, der vergnügte Stunden stiehlt. Ruft man sie an, läuft sie davon.« Raimunds Selbstmord ist das hypochondrische Ende eines schwermütigen Menschen. »Ein tief Gemüt bestimmt sich selbst zum Leid«, hat er von sich gesagt. Und an T O N I W A G N E R schrieb er: »Du weißt, wie wenig wahre Freuden mir das Leben bringt, weil mein Gemüt zum Leid geboren ist. Doch hat die Trauer besserer Menschen einen tröstenden Begleiter: Höheres Bewußtsein 16 .« E r ist traurig, auch wenn er fröhlich scheint. E r beklagt die Gewöhnlichkeit und die Gemeinheit der Welt. Sie im Kreis des Theaters zu bestehen, hat ihm die Natur einen großen Ehrgeiz geschenkt. E r leidet darunter, daß die Welt — und darin auch er selber — vor den Idealen einer höhern Wirklichkeit nicht bestehen kann. Von ihnen zu künden, ist die Aufgabe der Kunst. In ihr sieht er den Abglanz einer bessern Welt, in ihr und in seiner Liebe zu T O N I W A G N E R . »Reine Liebe ist des Herzens Poesie.« »Die Poesie ist jener goldgewebte Traum, Der nur vor das geweihte A u g des doppelt Wachen tritt. Sie ist der Seele edelste und reinste Schwärmerei, Weil sie den Schwärmer nicht allein, Weil sie durch ihn die Welt erfreuen kann, Weil sie ein Traum ist, der sich schriftverkörpern läßt.» 17 16 17
Glossy und Sauer III, S. 347, 480. ebd. III, S. 342, 447.
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Etwas wie ein säkularisierter Begriff von Sünde steht — neben der Kindlichkeit — am Grund von Raimunds Wesen. Nur der mühevolle Dienst für die Kunst und die von den Menschen nicht anerkannte Liebe zu T O N I W A G N E R können das Übel büßen. Dabei hat Raimund mit Recht gespürt, daß die Abgründe seines Wesens der eigentliche Quell seiner Kunst sind: »Es kunt schon sein, daß Sie mi herstölleten von meiner Hypochondrie; aba vielleicht putzeten Sie mir auch alles mit heraus, wovon ich meine Komödien schreib.« 18 Für Raimund hat die Kunst eine Mission. Echte Kunst verschönert das Leben. Großer Kunst errichtet man Statuen — Raimund glaubt an das Marmordenkmal, das zu seiner Zeit zu S C H I L L E R S Ruhm errichtet wird 19 . Wir glaubten nur an ein Denkmal, das Raimund auf seiner Bühne enthüllte — nur im Rahmen seines Stils wirken verbrauchte Worte und Vorstellungen wieder echt. Der Menschen überdrüssig, zieht Raimund in die freie Natur. Gutenstein ist sein bevorzugter Platz. »Ich bin zwar nicht ausgelassen lustig, doch bin ich so inniglich froh bei dem Anblick meiner lieben, mit immer grünenden Tannen gekrönten Berge, daß ich nach langer Zeit wieder fühle, daß ich ein Herz besitze, das fähig ist, die Welt mit Leidenschaft zu lieben, und daß die heilige Natur fähig ist, uns mit den Beleidigungen auszusöhnen, womit ihre abtrünnigen Söhne das schlichte, arglose Gemüt ihrer bessern Brüder so grausam zu verletzen und zu verderben suchen.« 20 Wie sieht Raimund die Natur? Alles, was nicht Menschengestalt hat, erscheint dem Theatermann in überhöhte, doch immer noch menschliche Figur verwandelt. Man lese daraufhin die beiden Gedichte »An Gutenstein«. Allegorie ist für Raimund kein bloßer Schmuck. Das Unbelebte wie das Abstrakte zu personifizieren, ist die ihm angeborene Weise, in die Welt zu blicken. Mit der Liebe zur Natur steht Raimund in seiner Zeit nicht allein. BEETHOVEN zog, das Skizzenbuch auf dem Rücken, über Land. S C H U B E R T wanderte mit dem Sänger V O G L durch halb Österreich. Auch Raimund unternahm Naturfahrten bis ins Tirol. Sie verraten die Liebe des Städters zum Land und die Empfindsamkeit der Zeit. Mit der Fahrt über den Gerlospaß aber sprengte Raimund den Rahmen der Konvention. »Weil ich Wege befuhr, deren Befahrung mit zwei Pferden man bis jetzt für unmöglich hielt; 11 Stunden einen schändlichen Weg über steile Bergklippen unter heftigem Regen. Brukner und Castle V/i, S. 672. Vgl. Raimunds Gedicht »An Schillers Nachruhm«. Glossy und Sauer III, S. 340. 20 ebd. i n , S. 485. 18 18
Analyse des Stücks
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Ich mußte diesen Weg nicht nur zu Fuß machen, was mich auch nicht ermüdete, sondern den Wagen oft viertelstundenlang zurückhalten, daß er nicht über die Felsen wegstürzte, Zäune ausreißen, wo der Weg zu schmal war, einen großen Baum, den der Wind quer über den Weg geworfen hatte, über denselben hinabschaffen und so gelangten wir doch glücklich in Zell an, wo man uns nicht glauben wollte, daß es wahr sei, daß wir allein herübergekommen wären 21 .« Im »Alpenkönig und Menschenfeind« (II, 4) ist dies Erlebnis theatralische Szene geworden: »Waldige Felsengegend. Im Hintergrund ein hoher praktikabler Fels . . . Auf ihm ist eine gedeckte Reisekalesche mit zwei Schimmeln sichtbar, die Pferde stehen schon ganz an dem Abhänge des Felsens.« Raimund empfand eine solche Darstellung als Wahrheit, nicht als technische Virtuosität des Bühnenbildners. Er sah sich als »Realist« der Szene. Deshalb fehlt die Ironie im Einsatz der übernommenen Mittel. Störungen der Illusion, die bei den Zeitgenossen sehr beliebt waren, muß man bei Raimund suchen. So erreicht er im gemischten Medium des Zauberspiels Wirkungen der hohen Tragödie. Der Schauspieler H E I N R I C H A N S C H Ü T Z berichtet von einer Vorstellung, die er mit L U D W I G D E V R I E N T besucht hat: ». . . bei der Darstellung der Szene, wo das hohe Alter eintritt, war mein Nachbar so ergriffen, daß er in die Worte ausbrach: 'Der Mann ist so wahr, daß ein so miserabler Mensch wie ich ordentlich mitfriert und leidet'.«22 — Raimund ist bis in Kleinigkeiten der Tradition und den Zeitgenossen verpflichtet. Positivistische Forschung könnte kein dankbareres Arbeitsfeld finden. Und doch müßte ihr das Wichtigste entgehen: die ernst gemeinte ideale Welt, die bei Raimund durch die »Hecke von lustigen Unsinnigkeiten«23 hindurchscheint. Er wirkt in seiner Zeitlosigkeit anachronistisch. Das Soziale und das Revolutionäre der neuen Zeit ist für Raimund gar nicht vorhanden — oder nur als störendes Element. Man hat gesagt, Raimund entspreche ganz und gar M E T T E R N I C H S Bild des Theaters, das die Menschen unterhalten und dadurch von umstürzlerischen Gedanken abhalten soll. Hat er tatsächlich einer restaurativen Kunstpolitik gedient? War er reaktionär ? Von solcher Gesinnung kann bei Raimund keine Rede sein. Raimund war weder politisch noch apolitisch, er war politisch ahnungslos. Er kannte nur eine »Politik«: »Ich bin ganz ein ruhiger Mann, s' Politische geht mich nichts an, 21
ebd. III, S. 494t. Heinrich Anschütz, Erinnerungen, Wien 1866. S. 411. 23 Vgl. Hegel über den Kasperl im Brief an seine Frau vom 25. Sept. 1824. 22
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Materialien doch bin ich politisch vor allen und such hübsch dem Publikum z'gfallen, denn s' Publikum geht mich was an 24 .«
Was Raimund interessiert, ist das »Menschliche«, jenseits oder vor seinen politischen und gesellschaftlichen Bindungen — das Menschliche in dem Sinn, wie L E S S I N G (»Nathan der Weise«), G O E T H E (»Hermann und Dorothea«) und M O Z A R T (»Zauberflöte«) es verstanden und dargestellt haben. Freilich, ihre Humanität ist bei Raimund nur noch angetupft, nicht mehr eigentlich artikuliert, nur Hintergrund, Voraussetzung, Lichtquelle. Es ist, als leuchteten die letzten Strahlen einer scheidenden Zeit auf manchen von Raimunds schönsten Szenen. Z. B. im Aschenlied, dessen letzte Strophe lautet: Doch vieles in der Welt, Ich mein nicht etwa 's Geld, Ist doch der Mühe werth, Dass man es hoch verehrt. Vor alle braven Leut', Vor Lieb' und Dankbarkeit, Vor treuer Mädchen Gluth, Da zieh ich meinen Hut. Kein Aschenl Kein Aschenl So barock und aufwendig Raimunds Bühnenapparat auch erscheint, im Grunde ist er nur der Rahmen für intime Szenen, in deren Mittelpunkt das Gespräch zweier Menschen steht. Und hier erst gewinnt Raimund seinen unverwechselbaren Ton. Schon die Zeitgenossen haben erkannt, daß der Bauer als Millionär ein Stück für eine kleine Bühne ist 25 . In einem Raum, der sich für Ballett und Spektakel eignet, ginge sein Zauber verloren. Unschuld, Naivität, Kindlichkeit, die wir bei Raimund finden, scheinen sich nun allerdings schlecht zu vertragen mit der Feststellung, er sei ein Spätling, er stehe am Ende einer Tradition, deren Errungenschaften er sich bedient. Doch der Schein trügt. Mit seinen Spielen verhält es sich ähnlich wie mit dem Volkslied. Nur am Ende einer theatralischen Tradition ist der szenische Apparat so geschmeidig geworden, daß er dem Autor, Schauspieler und Regisseur kaum noch Widerstand leistet. Erst jetzt können Gebilde entstehen, die auf der Basis künstlichster Konventionen 24 25
Brukner und Castle III, S. 37. ebd. V/i, S. 323.
Analyse des Stücks
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wie »Natur« wirken. Gedanken, Inhalt, Welt haben sie kaum mehr zu vermitteln. Ihr Reiz ist auf weite Strecken optisch-musikalischer Art, eine Folge von vielfältigen Anklängen und Erinnerungen, eine Symbiose der Künste, die untereinander keine Rivalität mehr kennen. Die Oper lebt immer wieder von der Spannung der Künste (parola e música: wer ist »padrona«, wer »serva«?). In einem Werk wie D ' A N N U N Z I O S »Le martyre de St. Sébastien« schlagen sich Wort, Musik, Tanz und Ausstattung gegenseitig tot. Dieselben Elemente verbinden sich aber bei Raimund zu einem friedlichen Ganzen, in dem sich die Künste ergänzen, stützen, ineinander übergehen, einander ablösen, bald dienen, bald führen, doch nie sich den Rang streitig machen. Teil des künstlerischen Mediums ist auch die Sprache. Daß sie nur Teil ist im Gesamtwerk der Alt-Wiener Volkskomödie, haben wir schon ausgeführt. Bei Raimund ist sie aber ein besonderer Teil. E r ist dafür verantwortlich, daß Der Bauer als Millionär heute noch lebendig ist — im Unterschied zu den Tausenden von Stücken, die S C H I K A N E D E R , M E I S L , G L E I C H , B Ä U E R L E und ihre Zeitgenossen geschrieben haben. Diese gingen mit den ersten Interpreten verloren und vergessen. Raimunds Stück blieb erhalten dank seiner sprachlichen Gestalt. Auf ihr gründet seine Dauer. Wie das szenische Gesicht einer MozART-Oper in der Partitur festgelegt ist, der szenische Stil von G R I L L P A R Z E R S »Ottokars Glück und Ende« in der Dichtung, so die theatralische Gestalt des Bauer als Millionär in Raimunds »Regiebuch«. Die drei genannten Bühnenwerke sind Gesamtkunstwerke — genau wie S C H I K A N E D E R S »Spiegel Arkadiens«, B Ä U E R L E S »Aline« und zahllose ähnliche Stücke. In diesen aber hat der Autor f ü r die Bühne gearbeitet. E r spekuliert auf die fremde Leistung, von der er abhängig bleibt. M O Z A R T , G R I L L P A R Z E R , R A I M U N D aber haben m i t der Bühne gearbeitet. Ihre Kunstwerke sind selbständig. V o n ihnen gilt: »In the theatre, as in the study, the poet's words are all that count. For them alone is it possible to create his play over again.«. 26 Raimunds Sprache ist zum größeren Teil Dialog. Das Wiener Volkstheater hatte zu Raimunds Zeit eine besondere Art von K o n versationsprosa entwickelt. In M E I S L S »Travestierter Zauberflöte« z. B. unterhält sich Papageno/Wastl mit seiner Suserl so: »Wastel: Du liebst mich also? — du bist verloren in meinen Anblick? So was man sagt: hin und w e g ? — Suserl: Es war ja nit schön, wenn ich den Herrn anlügen soll — hin und weg bin ich noch nit. 26 Vgl. B . L . J o s e p h , Elizabethan Acting. Oxford 1951. S. 153. — Urs Helmensdorfer, Grillparzers Bühnenkunst. Bern 1960, S. 115 ff.
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Tamino
(versteckt): Jetzt, Flöte, übe deine Gewalt. — (bläst)
Wastel:
O du jerum — wie wird mir — schwarz's Suserl ? komm an mein Herz. —
Suserl:
Auf einmal bin ich ihm recht gut — o du mein Gott! ich krieg einen Mann •— wie heisst denn der Herr ?
Wastel:
Sebastian Wastel! —
Suserl:
Mein Wastl — mein du! —•
Wastel:
Mein SuserlI — und du mein Weib, und in einigen Monaten ein Kreis von ein Dutzend lieben Kindern um uns — bald ein kleiner Wastel.
Suserl:
Bald eine kleine Suserl. —
Beide:
Bald ein Wastel — bald ein Suserl.
Wastel:
Und alle so einfältig wie wir, und daher alle so glücklich.
Tamino
(hervor): Ich übernehme eure Ausstattung . . ,« 27 .
Das ist ein Dialog, neben dem die Natürlichkeit D I D E R O T S und ja selbst K O T Z E B U E S und I F F L A N D S als künstlich und stilisiert erscheint. Es ist eine »Schlafrockprosa«, die erst durch die Schauspieler Gestalt und Form erhält. Das Gespräch ließe sich beliebig verlängern, aber auch kürzen, ohne daß die Szene verlöre. Im Stil von M E I S L S Dialog sind in Raimunds Stück etwa die Auseinandersetzung zwischen Lorenz u n d Habakuk abgefaßt oder die Szene der Trinkgesellschaft. In einer reinem Welt aber stehen wir in den Dialogen zwischen Wurzel und der Jugend, Wurzel und dem Hohen Alter. Da kristallisieren sich die verbrauchten Elemente des Komödiendialogs zu einer Sprache, die wieder Welt erschließt. Nicht mehr tragen die Schauspieler die Szene, hier tragen die Worte die Darsteller. Seelisches wird hörbar in Wendungen, die sich geben, als wären sie bloße Nachschrift einer alltäglichen Begegnung zwischen alten Bekannten. Hier erreicht Raimund jene Verbindung von Idealem und Realem, um die ihn G R I L L P A R Z E R wie H O F M A N N S T H A L beneidet haben. LESSINGS,
Eine besondere Bedeutung haben Raimunds Theaterlieder. Manche unterscheiden sich in nichts von ähnlichen Stücken der Zeitgenossen. So die Chöre der Geister, das Trinklied Afterlings, auch Würfels Auftrittslied. Da gilt, was ein Zeitgenosse so formuliert hat: »Wenn man die Expositionslieder Raimunds in seinen Märchen liest, 27
Carl Meisl, Theatralisches Quodlibet oder Sämtl. dram. Beiträge für die Leopoldstädter Schaubühne. 4. Bd. Wien 1820. S. 6iff.
Analyse des Stücks
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so kommen sie einem fad und albern vor, und wie ungeheuer war die Wirkung, wenn Raimund sie sang I Hat Raimund etwas Aergeres getan als der berühmte Schröder, der uns seine trockenen, unpoetischen Schauspiele durch seinen Geist in der Vorlesung zu hohen Poesien umschuf?« 28 Selbst in Raimunds »selbständigen« Stücken gibt es Stellen, die nicht das Werk des Dichters, sondern das Werk des Mimen Raimund waren. Um so stärker heben sich die Gesänge ab, in denen nicht der Mime dem Dichter, vielmehr der Dichter dem Mimen dient. E s sind dies das Duett Brüderlein fein und das Aschenlied. Sie sind zusammen mit dem »Hobellied« Raimunds berühmteste Lieder geworden. In die Gattung »Wiener Theaterlied« bringen sie ein ganz neues Element. Ließen sich die früheren Lieder (seit J O S E P H K U R Z ' deutschen Theaterarien) alle als Einlagen verstehen, waren sie auswechselbar, so kommt ihnen bei Raimund erstmals eine »dramaturgische« Funktion zu. Sie wachsen aus der Situation heraus, sind Teil der »Handlung« und können nirgends sonst stehen, als wo sie stehen. Selbst ein Berufslied fällt nie ganz aus dem Rahmen der Situation — nicht einmal in den Repetitionsstrophen. Textlich stehen Raimunds Thaterlieder in einer Tradition, die sich bis auf den deutschen Minnesang und das italienische Madrigal der Renaissance zurückführen läßt. Jüngste Vorgänger sind z. B. S T E P H A N I E D E R J Ü N G E R E , der Librettist der »Entführung«, S C H I K A N E D E R (»Zauberflöte«) und A D O L F B Ä U E R L E (»Aline oder Wien im andern Erdteil«), ferner sind besonders zu erwähnen die Übersetzer italienischer Operntexte, so C H R I S T I A N G O T T L O B N E E F E , der den »Don Giovanni« erstmals ins Deutsche übertragen hat. Raimund steht am Ende einer langen Traditionskette. Was f ü r seine Zaubermärchen im allgemeinen gilt, nämlich daß ihre geistesgeschichtliche Situation der des Volkslieds verwandt ist, gilt für die Theaterlieder im besonderen. In einem Lied wie Brüderlein fein verbinden sich handwerkliche Routine und unbewußtes dichterisches Genie in einem Zeitpunkt, in dem die Sprache papieren zu werden droht, zu einem Gebilde, das wieder vom Ursprung her frisch wirkt. H E I N E , auf der Suche nach der verlorenen künstlerischen Unschuld, zitiert es im Vorwort zum »Buch der Lieder«. »Und scheint die Sonne noch so schön, A m Ende muß sie untergehn.« Das Zitat ist falsch. H E I N E hat das Original rhythmisch verändert. E r macht die trochäischen Zeilen Raimunds Zu jambischen. Das ist keine geringfügige Änderung. Daß sie stört, beweist allein schon, daß Raimund (entgegen H E I N E S Meinung) mehr ist als ein »wackerer 28
Brukner und Castle V/2, S. 779.
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Komiker«. In der Szene und dem Duett mit der Jugend ist er vielmehr ein Sprachschöpfer, an dessen Gebilden nicht der kleinste Teil verändert werden kann, ohne daß ihr Sinn verfälscht und zerstört würde. In H E I N E S Version wirken die beiden Zeilen geschwätzig, papieren, trivial. Im Original aber erscheint der fehlende Auftakt wie ein Mittel, die zersungene, verbrauchte Sprache wieder zu stärken, ihren Fluß zu bremsen, ihr eine neue Ursprünglichkeit zurückzugeben. Raimunds Theaterlied ist außer durch die dramaturgische Funktion und die sprachliche Qualität noch durch ein drittes Merkmal ausgezeichnet: durch die enge Verbindung des Worts mit der Musik. Allgemein gilt für die Rolle des Komponisten im Altwiener Volkstheater: Auch seiner Arbeit fehlt die Emphase des Schöpferischen. Auch er fühlt sich vor allem als Handwerker, der schlicht und sauber seinen Beitrag zum Gesamtkunstwerk leistet. Unverwechselbare Handschrift ist nicht sein Ehrgeiz. Den besten Zugang zu seiner Arbeit geben für Raimunds Zeit die deutschen Singspiele von K A R L D I T T E R S V O N D I T T E R S D O R F , Z . B. »Der Apotheker und der Doktor«29. Hier ist die Grazie des musikalischen Rokoko schon ein wenig bieder und bürgerlich geworden, das Kunstvolle eingängig, der Witz gemütvoll. Das leichte Parlando der Opera buffa nähert sich schwerflüssigerem Sprechgesang. Von hier führt ein direkter Weg zu den Hauskomponisten der Wiener Vorstadttheater. Ihre Arbeit als Kapellmeister und Komponisten war immens. Sie waren zur Massenproduktion gezwungen. Ihre Arbeit zeugt durchweg für ein richtiges Gespür für Szene und Wirkung. Selbständig erscheinen sie als Musiker nur in den Ouvertüren und Chören. Sonst üben sie die hohe Kunst des Dienens, Begleitens und Stützens. Der berühmteste Name ist W E N Z E L M Ü L L E R , bei dessen Liedern man in Zweifel kommen konnte, ob das Volk sie wohl ihm oder er sie dem Volk gestohlen habe. Bis Raimund blieb die Verbindung von Wort und Ton lose. Die Musik war selbst in B Ä U E R L E / W E N Z E L M Ü L L E R S »Ja, nur ein' Kaiserstadt, ja, nur ein Wien« (aus »Aline«) kaum mehr als ein Mittel, die Worte zu tragen und den Tanz rhythmisch zu leiten. Bei Raimund wird es anders. Für ihn ist der »sentimentale« Wert der Musik ein grundlegendes Gestaltungselement. »Die Kirche besitzt eine Orgel, deren Töne mir Tränen entlockten, da der Organist einige ergreifende Musikstücke unseres unsterblichen Mozart vortrug, in dessen Vaterstadt ich mich jetzt befinde.«30 So Raimund an T O N I aus Salzburg. Der Ton wird für Raimund zum Träger des Gefühlswertes eines 29 30
Siehe Schallplatten im Literaturverzeichnis. Glossy und Sauer III, S. 492.
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Textes. Die Musik wird erstmals in der Geschichte der Volkskomödie als »romantische« Kunst eingesetzt. Es kommt zu einer ganz eigentümlichen Verschmelzung von Wort und Ton. Sie ist brüchiger als in den volkstümlichen Liedern der »Zauberflöte« oder gar in ScHUBERT-Liedern. Begriffe des Belcanto darf man sowieso nicht anwenden. Der Sänger soll sprechen, der Schauspieler singen: Man darf merken, daß er sich nicht in seiner eigentlichen Domäne bewegt. Raimund verlangt eine Art Rezitation zur Musik, wobei sich der Vortrag zwischen Deklamation und Gesang mitten inne hält, sich bald mehr dem einen, bald mehr dem andern zuwendet. Aber, und das ist das Neue bei Raimund, die Musik ist von allem Anfang an als Gestaltungsmittel eingerechnet, kein entbehrliches oder nur zusätzliches Element. Deshalb schrieb Raimund mit dem Text auch oft gleich die Melodie nieder. Der Entwurf zu »Brüderlein fein« z. B. ist in Raimunds Handschrift erhalten. Die Arbeit des Theaterkapellmeisters und Hauskomponisten J O S E P H D R E C H S L E R , der später Domkapellmeister zu Sankt Stephan wurde, beschränkte sich auf die Begleitung und deren Instrumentation. Aber die Art, wie er accompagniert, mit gebrochenen Akkorden und Resten von selbständigen Melodien, ist nur scheinbar ohne Kunst und von einem besonderen Zauber der Diskretion. Im Dialog und den Theaterliedern bedient sich Raimund des Dialekts. Es ist das übliche Medium der Vorstadttheater. E r bewegt sich darin ganz selbstverständlich. Freilich ist Raimunds Mundart keine Sprache, die den Dialektologen interessieren könnte. Sie ist nicht einmal so »wienerisch« wie die »Briefe des Eipeldauer« 31 . Raimunds Sprache ist eine wienerisch gefärbte Allerweltsprosa, wie sie im ganzen deutschen Sprachbereich verstanden werden kann. Darin unterscheidet sich sein Stück grundsätzlich von einem Werk wie N I E B E R G A I X S »Datterich«32, der mit linguistischer Akribie in darmstädtischer Mundart abgefaßt ist. Die zahlreichen Austriazismen in Aussprache, Grammatik und Wortschatz erschweren das Verstehen kaum. Für den Nicht-Wiener sind sie nur ein Reiz mehr, nicht anders als die raunzerische Art, mit der Raimund selber gesprochen haben muß, wovon in unseren Tagen vielleicht die Diktion H A N S M O S E R S einen Begriff gegeben hat. — Es gibt einen Bereich in Raimunds Stück, in dem er sich unfrei bewegt: in den erhabenen Partien. Da bemüht er sich angestrengt, »poetisch« zu sein: 31 Josef Richter, Die Briefe des Eipeldauer 1785—1813. Hrsg. von E. v. Paunel, 2 Bde., München 1917. (Satirisch-komische Anmerkungen zum Tage.) 32 Vgl. Komedia Bd. 3.
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Materialien Wem der große Wurf gelungen, Hier treffen alle Neun, Hat den Zauberring errungen, Tritt zum Saal des Reichthums ein. Doch der Freche, dem's mißlungen, Daß das Glück er neunfach %n>ingt, Wird von einem Reif umschlungen, Den der Tod ums heben schlingt. (II, 13)
Stünden solche Partien allein, wären sie genau so unerträglich wie entsprechende Stellen in Gedichten von M A Y R H O F E R oder den Dramen der Gebrüder C O L L I N . Wir dürften auch sie mit bestem Gewissen als unfreiwillig komisch empfinden, als Sammlung von Klischees, von Wendungen, die längst den himmelstürmenden, gewaltsamen Atem, den sie einst bei S C H I L L E R hatten, verloren haben. Doch bei Raimund stehen sie nicht allein: Die erhabenen Stellen wachsen heraus aus dem mundartlichen Dialog und den Theaterliedern. Von dort her, aus Raimunds natürlichem Sprachgrund, aus dem Kontrast stammt auch ihre Lebenskraft. Daß in der »Gefesselten Phantasie«, »Moisasurs Zauberfluch« und der »Unheilbringenden Zauberkrone« Raimund fast durchgehend »hohe« Poesie zu schreiben versucht hat, ist der Hauptgrund, daß diese Stücke Totgeburten waren. Die Episoden um den Harfenisten Nachtigall und den Schneider Zitternadel sind zu schwach und zu kurz, um den erhabenen Versen der Haupthandlung als tragender Grund dienen zu können. Es ist ein Unterschied, ob ausgesprochene Literaten »hohe« Poesie schreiben oder ob es Raimund tut. M A Y R H O F E R , K O T Z E B U E , die beiden C O L L I N sind Routiniers der Rhetorik. Raimund aber bewegt sich darin wie im Allerheiligsten. Sich hoher Bilder, Personifikationen und Abstrakta zu bedienen, hat für ihn die Weihe einer liturgischen Handlung. Er übernimmt die Floskeln der Verseschmiede und ScHiLLER-Epigonen, als wären es unverbrauchte Wunder der Natur. Im Ernst hält er einen vorgestellten Genetiv für erhabener als einen nachgestellten. Raimund bewundert G R I L L P A R Z E R S »Sappho«, deren Wortreichtum der spätere G R I L L P A R Z E R möglichst zu vermeiden sucht. Er hätte nicht begreifen können, weshalb der reife G R I L L P A R Z E R auf die Verwendung von Abstrakta fast ganz verzichtet hat. Raimund bedient sich selbst in den Briefen an T O N I abgegriffener Bilder, wenn es ihm besonders ernst und tragisch zumute ist. »Ich will diese beiden Tage ganz von der Tafel unseres Gedächtnisses verwischen, es sind Blätter, die wir aus unserm Liebesroman herausreißen wollen, denn sie würden dem Leser eine ungünstige Meinung
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von den folgenden Kapiteln beibringen . . . Ich sende dir als ein Zeichen der Versöhnung diesen Blumenstrauß, wir leben ja noch den Sommer unserer Liebe, das beweisen die vielen Gewitter, mit denen sich der Himmel überzieht, und darum wollen wir unserer Liebe Rosen streuen 33 .« Doch auch hier gilt: Unter Raimunds Hand gewinnen selbst Klischees neue Ursprünglichkeit zurück. Sie wirken mit einmal wieder so, als stammten sie aus archaischer Zeit. Raimund lebt in aufgeklärter Zeit. Ein reiches Arsenal metonymischen Schmuckes steht zu seiner Verfügung, Überreste alter Mythen. Er verwendet sie als Epigone, als Spätgeborener, doch mit einer Ausdruckskraft, als lebte er auf der Stufe H O M E R S . Er glaubt wieder daran, daß das Element ein Gott ist, daß eine geistige Kraft als Person erscheinen kann. Neid, Haß, Zufriedenheit, Hohes Alter, die Jugend sind für Raimund Abstrakta, etwas Geistiges, Prinzipien des Lebens — aber zugleich real, sichtbar, von Fleisch und Blut. Es sind Allegorien, aber solche, die — im Unterschied zur überzüchteten allegorischen Sprache des Barock — nichts anderes aussagen, als was sie darstellen, leben und sind. Das Geistige geht ganz ein in die Anschauung. Der Sinn wird völlig sinnlich. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheinen die Szenen Wur%elj Jugend und Wur%el\Hohes Alter als der Inbegriff von Raimunds Kunst. Die Handlung (daß nämlich Wurzel und Jugend alte Kameraden sind) verbietet zum Glück den Gebrauch einer gehobenen Ausdrucksweise. So wird Raimund gezwungen, das betont Geistige im alltäglichen Medium zu gestalten, in dem er sich völlig frei bewegt. Was er erreicht, hat nicht seinesgleichen. Es muß immer ein hilfloser Versuch bleiben, die Erscheinung der Jugend zu beschreiben. Ausgangspunkt der Figur war wohl die Partnerin T H E R E S E K R O N E S und der besondere Reiz, der von ihr ausging, wenn sie männliches Gewand trug. Doch hatte Raimund nicht nur einen »stofflichen«, er hatte auch einen geistigen Grund für die Hosenrolle. Die Jugend, als Idee und Allegorie seit je weiblich, wenn auch als Bild schon strapaziert, ist bei ihm kein Femininum. Sie ist ein »liederliches Tuch«, ein Bub, ein Kamerad, der einst gemeinsam mit Wurzel gesoffen hat, der mit ihm eins, der er selber war. Doch nun gehen für Wurzel die Jahre des Ubermuts zu Ende. Die Jugend trennt sich von ihm und nimmt Abschied für immer. Ihre Figur ist Würfels Ich in einem früheren Lebensabschnitt, wie der Alte aus Eisgrub seine Zukunft bedeutet. Doch dies ist schon viel zu analytisch ausgedrückt für die zaubrische Begegnung der Lebensalter, in der sich Sinne und Sinn, Eros 33 7*
Brukner und Casde IV, S. i j j f .
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und Geist zu anschaulicher Identität verbunden haben. Ein einfacher Gedanke, das Älterwerden, ist hier gestaltet worden zu einer der wenigen ganz großen und wirklich theatralischen Szenen des Welttheaters. — Raimund hat als erster die Alt-Wiener Volkskomödie zu einem geschlossenen Kunstwerk gemacht. Der Begriff »geschlossen« bedarf noch einiger Differenzierung. In der Gattung des Bühnenkunstwerks ist die geschlossenste Form die Tragödie, das »dramatische« Schauspiel; »dramatisch« so verstanden, wie E M I L S T A I G E R den Begriff entwickelt hat. Jeder Teil ist bedingt, alle Teile sind aufeinander bezogen in einer geistigen Spannung auf das Ende hin. Vom Schluß her bekommt alles seinen Sinn. Das verknüpfende Element ist oft wichtiger als das, was verknüpft wird. Die Kategorien der Funktionalität und Kausalität stehen vor jener der Substantialität. Dies ist der Grund dafür, weshalb ausgesprochen »dramatische« Theaterstücke, wie z. B. Stücke H E B B E L S , oft untheatralisch wirken, da der sichtbare einzelne Teil nur deshalb etwas ist, weil er zu etwas führt, und der Dichter sich um das Optische gar nicht kümmert. Dieser Begriff der Geschlossenheit läßt sich auf Raimund nicht anwenden. Wie die meisten Werke der antiken, spanischen, englischen und französischen Bühne ist er nur wenig »dramatisch«, dafür aber um so theatralischer. In Raimunds Bauer als Millionär erscheint das Ende nur als ein spannungsloses Verklingen des Stücks. Die Teile des Ganzen sind nur lose aufeinander bezogen. Sie sind von einer ausgeprägten Selbständigkeit. Das gilt vom Solo des Postboten//// (2. Aufzug, 1. Szene) wie von Würfels Aschenlied. Jede Szene interessiert nicht so sehr, weil sie zu etwas führt, als deshalb, weil sie schon selber etwas ist. Besonders stark ist das stationäre Interesse natürlich in den gesungenen Szenen. — Das »dramatische« Element ist also bei Raimund kaum mehr als das Band, an dem eine wohldosierte Folge von interessanten, selbständigen Szenen aufgereiht wird. E r hat die Neigung, die Szene an wichtigen Stellen zum Tableau gerinnen zu lassen: zur epischen, theatralischen, in sich selbst ruhenden Gegenwart. Auch der Begriff des »Organischen« läßt sich auf Raimunds Zaubermärchen nicht anwenden. Nur Raimunds minutiöse Inhaltsangabe erweckt den Eindruck, als seien alle Teile gleich wichtig und »organisch« miteinander verknüpft. Das ausgeführte Stück wirkt anders. »Läppische Szenen«, die sich selbst genügen, stehen neben ernsten Partien, die eine Funktion haben. Stoffliches Rohmaterial steht neben Traditionselementen, die zu neuer Bedeutung umgestaltet worden sind. Räumlich ausgedrückt kann man sagen: Das Stück hat einen profilierten Vordergrund und gestaltlosere
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Hintergründe. Zeitlich bedeutet das: Das Stück hat keine durchgehende Handlung. Verschiedene, in ihrer Relevanz unterschiedene Handlungsstränge werden sichtbar. Ihre Verknüpfung aber bleibt lose. Und in Bezug auf die Wirkung gilt: Der Grad des Interesses, das wir an den einzelnen Szenen nehmen, wechselt. Am stärksten sind wir engagiert, wenn Wurzel auf der Bühne steht, am schwächsten in jenen Lakrimosas. Wen interessiert schon nach Würfels Aschenlied noch der Kampf gegen Haß und Neid, wen das Happy End für Karl und Lottchen? Wen Würfels Verjüngung? Und wer, der von Szene zu Szene mit allen Sinnen mitgegangen ist, erinnert sich noch daran, daß vom Ausgang des Kampfes die Erlösung der Feenkönigin Lakrimosa abhängt ? Ob der Fülle der köstlichen Einzelheiten haben wir ihr Schicksal möglicherweise längst vergessen. Wir wundern uns über ihre Erscheinung, erinnern uns dann an das Geisterdiner des Anfangs, lächeln und stimmen vergnügt ein ins Lob der Zufriedenheit, womit das Märchen endet. Raimunds Stück kann dennoch »geschlossen« heißen. Die Handlungsfäden um Lakrimosa, der Kampf der Geister, die Liebe von Lottchen und Karl bilden gewissermaßen nur das Bühnengelände, auf dem sich das Eigentliche, die Szenen von Wurzel mit der Jugend, dem Alter und der Zufriedenheit abspielen. Der Schauplatz, wenn auch nur Hintergrund, ist aber nicht zufällig, nicht belanglos. Er könnte nicht beliebig verändert werden. Die Höhepunkte des Spiels könnten auch nicht losgelöst bestehen. Ganz sein, was sie sind, können sie nirgends sonst als im durchgestalteten »Pasticcio« dieses und keines andern romantischen Original-Zaubermärchens. Es ist künstlerisch begründet, daß der zweite Stücktitel den ersten so stark verdrängt hat, daß derjenige, der Raimund nicht sehr gut kennt, leicht auf den Gedanken kommt, Das Mädchen aus der Feenwelt sei ein ganz anderes Stück. Die meisten Theater, auch für den praktischen Gebrauch bestimmte Ausgaben, stellen Raimunds Titel deshalb um: Der Bauer als Millionär oder Das Mädchen aus der Feemvelt. Wer Raimund liebt, wird früher oder später auch die Frage nach der geistigen Relevanz seines Zauberspiels stellen. Die Frage entspringt dem Bereich des idealistischen Dramas. In S C H I L L E R , K L E I S T und H E B B E L haben Philosophie und Theater eine Verbindung eingegangen wie nie zuvor. Darf man auch Raimund am Rande dieses Kreises sehen, darf man sein Stück als Weltanschauung lesen? Die Analyse hat uns vorsichtig gemacht. Wohl läßt sich die Lehre des Stücks »formulieren«: als »Heilung der Eroberungssucht«, mit dem Sprichwort »Schuster bleib bei Deinen Leisten« oder mit den Versen aus G R I L L P A R Z E R S »Der Traum ein Leben«:
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Was aber auf der Bühne, im kaleidoskopischen Medium mannigfacher Traditionen echt wirkt, wird, auf den simplen Gedanken reduziert, mit einem Mal banal — wie ein dürrer Moralsatz. In jedem Kunstwerk ist der Gedanke, der sich von ihm loslösen läßt, nur ein Aspekt. Es kann eine wichtige oder eine unwichtige Seite sein. Bei Raimund ist es eine belanglose. Raimund ist wahrhaftig nicht geistlos. Seine Stärke ist aber der immanente, der unartikulierte, der implicite Geist, der Geist, der als solcher noch nicht freigelegt ist, der sich selber noch gar nicht entdeckt hat. Darin liegt seine einzigartige Stellung in einem philosophischen, literarischen, ja papierenen Zeitalter. Der innerste Kern seines Stils ist, daß bei ihm, wie H O F M A N N S T H A L gesagt hat, das Triviale wieder naiv wird. Mit philosophischen Kriterien kann man ihm deshalb nicht gerecht werden.
Wirkungsgeschichte Der Bauer als Millionär wurde am 10. November 1826 uraufgeführt. Bereits am 19. Dezember wurde in der Pause ein Walzerpotpourri von D I A B E L L I gespielt, das die beliebtesten Melodien des Stücks enthielt. Die wichtigsten Figuren, so vor allem Raimund als Wurzel und T H E R E S E K R O N E S als Jugend, waren bald als Lithographien an der Theaterkasse zu haben. Nach einem Jahr war das Stück über 84mal gegeben worden. Bester Beweis für seinen Erf o l g : Das Theater an der Josef Stadt brachte eine Pantomime »Columbine aus der Feenwelt«, in welcher der Tänzer P F L A N Z E R L eine getreue Kopie von Raimunds Darstellung gab. Und so populär war das Stück, daß es auch eine Parodie hervorbrachte. K A R L M E I S L schrieb sie unter dem Titel »Fee Sanftmut und Fee Gefallsucht«. In spätem Jahren fand Raimund bei Gebirgsleuten am Karvendel sogar einen gefangenen Vogel, einen Steinrötel, der die Melodie von Würfels Auftrittslied sang: Ja, ich lob mir die Stadt . . . Die künstlerische Nachwirkung war am stärksten auf Raimund selber. Der Erfolg, den er damit errungen hatte, daß er das Lachtheater mit ernstem Gehalt erfüllte, führte ihn zwar zuerst auf einen
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Irrweg: »Die gefesselte Phantasie«, »Moisasurs Zauberfluch« und die »Unheilbringende Zauberkrone« erinnern nur in unwichtigen Nebenszenen an den Stil des Bauer als Millionär. Ihre Hauptszenen sind ernst und bleiben, nach G R I L L P A R Z E R S richtigem Urteil, gestaltlos. »Das Ernste ist in Ihnen bloß bildlose Melancholie; wie Sie es nach außen darzustellen suchen, zerfließt es in unkörperliche Luft. Im Komischen haben Sie mehr Freiheit und gewinnen Gestalten.«34 Ein direkter Weg führt aber vom Mädchen aus der Feenwelt zum »Alpenkönig und Menschenfeind« und zum »Verschwender«. Mit dem Wurzel, dem Rappelkopf und dem Valentin hat Raimund einen neuen Schauspielertypus, ein neues Rollenfach geschaffen. Wer seine Figuren nachspielte, hatte sich auch vor seiner Interpretationsart zu bewähren, die beim Publikum lange Zeit in genauer und später in verklärter Erinnerung blieb. Die Geschichte des Theaters kennt Namen, die nur als Nachahmer Raimunds erwähnt werden. A U G U S T S A U E R hat sie aufgezählt35. Die Reihe ließe sich wohl fortsetzen bis zum heutigen Tag. Noch jetzt ist es der Ehrgeiz des (nicht nur wienerischen) Komikers, den Valentin oder den Wurzel zur Zufriedenheit des Publikums zu spielen. Von den Künstlern, in denen Raimunds Geist auch heute noch lebendig ist, nennen wir nur J O S E F M E I N R A D . Was Raimund war, wurde den Zeitgenossen erst richtig deutlich, als J O H A N N N E S T R O Y seine Rollen nachspielte. Die Kritik meinte, in N E S T R O Y S Darstellung fehle die Einheit; er lasse das zauberfähige Kolorit der schönen, reinen Menschlichkeit vermissen, die Raimund eigen war 36 . So etwas zu erreichen, lag freilich gar nicht in N E S T R O Y S Absicht. »Reine Menschlichkeit« lag ihm denkbar fern — als Schauspieler wie als Autor. Raimund erkannte, daß N E S T R O Y einen neuen Geist in seine Märchenwelt brachte. Er sah in ihm einen Zerstörer. Vor dem Plakat, auf dem der »Lumpazivagabundus« angekündigt war, meinte er zu B A U E R N F E L D , so einen gemeinen Titel hätte er nicht niederschreiben können3'. Blickten Raimunds Augen zu den Sternen, war S C H I L L E R sein Idol, so reibt N E S T R O Y seine Nase am Rücken und an den Schwächen der Zeitgenossen. Raimund hob das Besondere ins Ewig-Menschliche, so, wie er es verstand. N E S T R O Y schärft das Besondere zur sozialkritischen Spitze. Hält Raimund sein Theater von der Aktualität fern und rühmt er sich, nie mit der Zensur in Konflikt gekommen zu sein, so ist Nestroy der Klassiker 31 85 36 37
Grillparzer an Raimund. Zit. nach Brukner und Castle V/i, S. 516. Sauer, Gesammelte Reden. S. 272. Brukner und Castle V/i, S. 485. ebd. V/2, S. 598.
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der Aktualität. Begreiflich, daß er sich oft mit der Kritik und der Zensurbehörde streitet. NESTROY hat als A u t o r eine sozialkritische Funktion. Verglichen mit ihm ist Raimund ein weltfremder Priester des Wahren, Guten und Schönen. Der Unterschied zwischen Raimund und NESTROY läßt sich besonders gut fassen in der verschiedenen Bedeutung, die bei ihnen dem Refrain zukommt. Bei Raimund ist er gemütlich, besinnlich, musikalisch — bei NESTROY pointiert, aggressiv. Raimund sang mehr, als daß er sprach. Bei NESTROY aber ist der K l a n g ohne eigenen Wert, kaum mehr als der Träger der Worte. NESTROY spricht mehr, als daß er singt. Die Einheit v o n Wort und T o n , Raimunds Errungenschaft, wird bei ihm wieder lose. Anders als bei Raimund verdirbt man wenig, wenn man die originalen Melodien der NESTROYSchen Couplets durch neue Kompositionen ersetzt. Es ist sogar möglich, die zeitlose Angriffigkeit seiner Texte dadurch zu verstärken, indem man sie v o n Klängen tragen läßt, die unsern Ohren näher liegen. Raimund hatte auch als A u t o r Nachfolger. Ihre Stücke sind wieder geschickt arrangierte Folgen v o n unterhaltsamen Szenen. V o n »geistiger« Einheit ist nichts mehr zu spüren. A b und zu entstehen auch Kostbarkeiten, z. B. das folgende »Uhrenlied« v o n Louis GROIS, einem Schauspieler der Leopoldstadt. Es steht in seinem »ländlichen Spaß« »Der Angschmiert'«. Die Musik dazu schrieb Adolf Müller sen., Nestroys Hauptkomponist. Das Stück wurde 1844 uraufgeführt. 1. Ja i möcht pariern, i werd ned verliern, die menschliche Natur is wie-r-an Uhr. Einer kommt ned weiter, der rennt wie-r-a Schneider; er möcht vorwärts gehn, bleibt allweil stehn. D e r hat a prächtigs Haus — und drin, da schauts recht aus, es hilft ka Repratur, denn Uhr bleibt Uhr. D e r tuat zur Unzeit schlagn, soll man da net sagn: Die menschliche Natur is wie-r-an U h r ? 2. A Zylinderuhr, die kummt mer grad so vur,
Wirkungsgeschichte wie die Mädchen sein, ganz zart und fein. Sie kommn hoch zu stehn, denn sie tuan ja gehn, sinds au no so klein auf echte Stein. Und wie sie heiklig sind, denn blasts a der Wind, so fürcht man, daß die Gschicht au glei zerbricht. Und wann s' a mal verliert, wird etwas repariert, fangt sie zum Schlechtgehn an, is nix mehr dran. ) . Und a Sonnenuhr, die kommt mer grad so vur wie so mancher Freund: So lang d'Sunn scheint, halt er sicher aus; doch er geht nach Haus, zeigen Wolken sich, verlaßt er dich. Und die Herrn, die reichen, kann man vergleichen mit die Turmuhrn droben; die muess man loben. Denn schlagts droben neune, rieht a jeder seine, gangns' au no so schlecht — die drobn han recht 1 Repetition:
D'Spieluhrn, die sich brüsten, san die Konzertisten, die jahraus, jahrein die selben sein. D'Modeherrn mit Sporen san die Bilderuhren, s'Güfterl is recht schön — nix nutz tuets gehn. Doch a Schwarzwalduhr, das is a derb Natur; denn is der Rock au schlecht, dafür gehts recht. Ich selber bin hie jetzt
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als eine Uhr versetzt: Sie habens ausprobiert, obs repetiert.38 Dies Lied ist ohne Raimunds Vorbild nicht zu denken. Doch hat es bei G R O I S wieder den Charakter einer Einlage erhalten. Sein Stellenwert im Gefüge des ganzen Stücks interessiert uns gar nicht. Es erinnert uns an etwas sehr Bekanntes, das eben zu dieser Zeit entsteht und von Raimunds beliebtesten Melodien stark beeinflußt wird: an das Wienerlied. Sein Sentiment ist identisch mit dem, was wir als »wienerisch« anzusprechen pflegen. Das »Wienerische« ist zwar allerdings in Wien entstanden, kann aber nie als Inbegriff wienerischen Wesens gelten. Diese Vorstellung ist ein Mißverständnis. Daß sie möglich wurde, daran ist Raimund selbst, ohne sich dessen bewußt zu sein, nicht ganz unschuldig. Als er in den spätem Jahren auf Gastspielreisen ging und in Hamburg, Berlin, München und vielen andern Städten in seinen eigenen Stücken auftrat, wurde das wienerische Theater zum ersten Mal exportiert. War man früher nach Wien gereist und hatte man dort als eine besondere Sehenswürdigkeit auch den Kasperl besucht, so kam nun dessen moderne Form selber ins Ausland. Es war nur verständlich, daß ein Lied wie »Brüderlein fein« daraufhin als typisch »wienerisch« gelten konnte. Wir wissen, daß es nicht »wienerisch« sondern Raimunds Schöpfung war, ein Produkt seiner Phantasie. Es lebte vom Gegensatz zur herzlosen Welt der Großen Drei. Sein Gefühl wurde gehalten von Raimunds raunzerischer Art des Vortrags und von dem burlesken Rahmen, in dem es stand, aus dem es herauswuchs. So wurde es vor dem Zerfließen, vor der Gefühlsseligkeit bewahrt. Doch wie das Wienerische international und populär zu werden begann, wurde Raimunds Sentiment aus seinem Rahmen gelöst und isoliert. Das hatte einschneidende Folgen. Die Apolitie, bei Raimund »existenziell«, wird im Wienerlied bald zur genüßlichen Resignation, das Menschliche zur schwächlichen Idylle. Trugen Raimunds Märchengesänge eine ganze Welt, so steht das Wienerlied bald nur noch betrachtend an ihrem Rande. War Raimunds Schlichtheit kindlich und echt, so gleitet sie nun langsam ab ins Triviale. Zeigte Raimund weniger Gefühl, als er hatte, so drückt das Wienerlied meist mehr aus, als hinter ihm steht. War Raimund liebenswürdig und wahr, so verkehrt sich nun sein Ton allmählich ins Süßliche. Bei Raimund standen Wort und Ton im Gleichgewicht. Im Wienerlied überwiegt bald einmal der Klang, d. h. die gefällige Melodie 38 Niederschrift nach der Schallplattenaufnahme mit Julius Patzak (Favorit Klassik Nr. 50 112).
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des Refrains. Darin wird der Einfluß der Wiener Operette spürbar. Auch sie ist ein Kind der Jahre, die das Wienerlied fälschlich die »Raimundzeit« nennt. Operette und Vorstadttheater gehen bald eine eigentliche Symbiose ein. Sie zeigt sich schon darin, daß dasselbe Ensemble beide Gattungen pflegt. Das Neue der Operette ist die Rolle der Musik, vor allem des Walzers. Im Gegensatz zu den alten Zauberspielen ist das Wort nur noch von zweitrangiger Bedeutung. Die Musik verbindet sich, von Glücksfällen wie »Fledermaus« und »Boccaccio«, abgesehen, nur noch lose mit dem Libretto. Und dennoch zündete die Wiener Operette in ihrer großen Zeit gerade durch die überzeugende Einheit von Wort und Ton. Das war das Verdienst ihrer ersten Interpreten, die ihre Bühnenreife in der Wiener Volkskomödie erworben hatten und weiter bewährten. In ihnen blieb Raimunds Stil durch alle Veränderungen hindurch lebendig. Der Star der Wiener Operette war A L E X A N D E R G I R A R D I . Er war ein Meister der Kunst, das Wort durch den Ton, den Ton durch das Wort zu beseelen. Was er sagte und sang, klang wie aus dem Stegreif. »Es war für mich immer ganz gleichgültig«, berichtet Morssi, »in was für einem Stück Girardi spielte. Er war da, und das genügte mir. Wenn er vor dem Vorhang erschien, um sich zu bedanken, machte das auf mich genau denselben Eindruck, als wenn er im Stück die vorgeschriebenen Worte der Rolle sprach.« Als G I R A R D I , der keine Noten kannte, Gesangsunterricht nehmen wollte, wehrte J O H A N N S T R A U S S verzweifelt ab. Nur mit dem Naturtalent, »mit Gott und Girardis Hilfe«, konnte er seine Operetten von Erfolg zu Erfolg führen. Auch Raimund und S C H I K A N E D E R waren keine Kammersänger, sonst wären sie nicht gewesen, was sie waren. Ein letzter Versuch, das Volkstheater vom Wort her zu regenerieren, war das Werk L U D W I G A N Z E N G R U B E R S . Zieht man die Summe, so scheiterte er aus künstlerischen wie soziologischen Gründen. Den spezifisch lokalen Geist der »Masse«, der im Theater der Leopoldstadt Reich und Arm, Hoch und Niedrig, Philosoph und Schneider verbunden hatte, kannte das Publikum des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht mehr. Masse, Volk, Menge bekommen pejorativen Klang. Das soziale Gefüge des alten Wien bricht auseinander. Das kann auch A N Z E N G R U B E R nicht verhindern. Wohl sprach und spricht er die »Menge« an. Doch ungeachtet seiner ehrlichen Absicht ist er des Publikums wegen, bei dem er Erfolg hat, für den Gebildeten zum Vertreter einer fragwürdigen Volkskunst geworden. Auf Autoren, die nach A N Z E N G R U B E R geschrieben haben, hat Raimund keinen oder nur einen geringen Einfluß ausgeübt. K A R L
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oder ödon von H O R V A T H stehen viel mehr in der Tradition Nur H O F M A N N S T H A L hat eine engere Beziehung zu Raimund. In seiner »Phantasie über ein Raimundsches Thema« deutet er die »geistlose« Geschichte des »Diamants des Geisterkönigs« um in eine Darstellung der »Präexistenz«. Als direkter Nachfahre von Raimunds Valentin kann die Titelrolle seiner Komödie »Der Unbestechliche« gelten. Einflüsse von Raimunds Stil lassen sich noch in T H O R N T O N W I L D E R S »Dreiminutenspielen« feststellen, auch in der »Heiratsvermittlerin«, der Komödie nach dem Stoff zu N E S T R O Y S »Einen Jux will er sich machen«. In W I L D E R S Fassung ist N E S T R O Y S aggressiver Ton auf eine mildere, Raimund näherstehende Gemütlichkeit gestimmt. Ferne Erinnerungen an Raimund wecken auch Tänze der G R E T H E W I E S E N T H A L und H A R A L D K R E Ü T Z B E R G S . In direkter Begegnung mit Raimunds Mädchen aus der Feenrvelt ist im 20. Jahrhundert nur ein kleines Singspiel entstanden, ein Operetteneinakter von J U L I U S W I L H E L M mit Musik von L E O F A L L . E S trägt den Titel »Brüderlein fein« und wurde am 1. Dezember 1909 in Wien uraufgeführt. Damals ein großer Erfolg und oft nachgespielt, ist er heute zu Unrecht vergessen: Ein Traum versetzt den Kapellmeister J O S E P H D R E C H S L E R , der eben das 40jährige Hochzeitsfest feiert, in die Zeit, als er die Musik zu Raimunds »Bauer als Millionär« komponierte. Miteins hüpft die Jugend herein und schenkt ihm nochmals eine Stunde des ersten Hochzeitstages. Daß die Titelmelodie des Stücks gar nicht von D R E C H S L E R , sondern von Raimund selber stammt, ist natürlich ein Irrtum, der aber fürs Theater keine Rolle spielt. Zwar verniedlicht auch L E O F A L L das große Vorbild, nicht anders als viele Wienerlieder. Er bleibt aber in seiner Art immer geschmackvoll. Mehr als das »Dreimäderlhaus«, das H O F M A N N S T H A L im Rahmen der Gattung »herrlich« genannt hat38, verdiente F A L L S »Brüderlein fein« dieses Prädikat. KRAUS
NESTROYS.
Literatur (Auswahl) Das große Welttheater. Hamburg 1959. (Beste Einführung in die Struktur des barocken Theaters.) B A U E R N F E L D , E D U A R D : A U S Alt- und Neuwien. In: Ausgewählte Werke. 4 Teile in einem Band. Hrsg. von E. Horner. Leipzig 1905. (Erinnerungen eines Zeitgenossen. Vergnüglich geschrieben. Sachlich mit Vorsicht zu benutzen.) ALEWYN, RICHARD/SÄLZLE, K A R L :
89 Hofmannsthal an Richard Strauss am 22. 12. 1927. Briefwechsel Strauss/Hofmannsthal, hrsg. von Willy Schuh, Zürich 1952. S. 607.
Literatur (Auswahl)
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BEUTLER, ERNST: Raimunds Alpenkönig. In: Essays um Goethe. Bd. I. Leipzig 1941. (Liebenswürdige allgemeine Einführung in Raimunds Welt.) BIETAK, WILHELM: Das Lebensgefühl des Biedermeier in der österreichischen Dichtung. Wien/Leipzig 1931. (Beispiel einer auf den umstrittenen Begriff des »Biedermeier« ausgerichteten Darstellung.) CASTLE, EDUARD: Ferdinand Raimunds Sämtliche Werke. Einleitung. Leipzig 1903. (Wertvolle, reiche und doch knappe Information über Raimunds Leben und Werk unter Berücksichtigung der Theatertradition.) ENZINGER, MORITZ: Die Entwicklung des Wiener Theaters vom 16. zum 19. Jahrhundert. Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte X X V I I I f. Wien 1918/19. (Versuch einer nach Motiven geordneten Materialsammlung.) EULENBERG, HERBERT: Ferdinand Raimund. In: Mein Leben für die Bühne. Berlin 1919. (Beispiel einer fragwürdigen journalistischen Annäherung an den Gegenstand.) FUHRMANN, K A R L : Raimunds Kunst und Charakter. Berlin 1913. (Versuch, Raimund von der normativen Aesthetik her zu verstehen.) HADAMOWSKY, FRANZ: Raimund als Schauspieler. Chronologie seiner Rollen nebst Theaterreden und lebensgeschichtlichen Nachrichten. In zwei Teilen. Bd. 5 der Sämtlichen Werke, hrsg. von Brukner und Castle. 1925. (Unentbehrliches, vorzügliches Quellenwerk.) HADAMOWSKY, FRANZ/OTTE, HEINZ: Die Wiener Operette. Eine Theaterund Wirkungsgeschichte. Wien 1947. (Kompetente Darstellung unter Verwendung von oft erstmals verwerteten Zeugnissen und Werkausschnitten.) HELBIG, GERHARD : Das Wiener Volkstheater in seinen schönsten Stücken. Leipzig i960. (Kleine Anthologie, enthält neben je drei Werken von Raimund und Nestroy je eines der Großen Drei: Die Bürger von Wien (Bäuerle), Der Eheteufel auf Reisen (Gleich), Der lustige Fritz (Meisl). Einleitung soziologisch orientiert.) HOPMANNSTHAL, HUGO VON: Ferdinand Raimund. In: Prosa III. Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Hrsg. von H. Steiner. Frankfurt a. M. 1952. (Erstmals 1920 gedruckte, achtseitige Einleitung zu einer von Richard Smekal zusammengestellten Sammlung von Raimunds Lebensdokumenten.) KINDERMANN, HEINZ: Ferdinand Raimund. Lebenswerk und Wirkungsraum eines Volksdramatikers. Wien 1940. (Versuch, Raimund in die allgemeine deutsche Entwicklung einzuordnen, ohne auf die Tradition des Alt-Wiener Theaters näher einzugehen. Zeitbefangen in Fragestellung und Diktion.) HOLZER, RUDOLF: Die Wiener Vorstadtbühnen. Alexander Girardi und das Theater an der Wien. Wien 1951. (Reiche, doch mangelhaft gestaltete Stoffsammlung. Eine kompetente Monographie über das Thema steht noch aus.) KREMSER, EDUARD: Wiener Lieder und Tänze. 3 Bde. Leipzig und Wien 1911—24. (Große Sammlung von Noten — in Form eines Klavierauszugs — und Texten.)
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Materialien
Die Gesänge aus Raimunds Märchendramen in den ursprunglichen Vertonungen. Bd. 6 der Sämtlichen Werke, hrsg. von Brukner und Castle, Wien 1924. (Enthält in Form eines Klavierauszugs sämtliche originalen Gesänge. Ouvertüren und Zwischenmusiken bleiben ausgeschlossen. Wesentliche Einleitung.) P E R F A H L , J O S T : Wien Chronik. Salzburg/Stuttgart 1961. (Wertvolle, bebilderte Sammlung von kulturhistorischen Dokumenten mit Quellennachweisen.) P I R C H A N , E M I L : Therese Krones, die Theaterkönigin Alt-Wiens. Wien 1942 (Sensationell aufgemachte Darstellung, doch brauchbar.) R O M M E L , O T T O : Barocktradition auf dem österreichisch-bayrischen Volkstheater. In: Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. 6 Bände (die ursprünglich geplanten Bände 7 und 8 sind nicht erschienen). 1931 ff. R O M M E L , O T T O : Die Alt-Wiener Volkskomödie. Wien 1952. (Das große Standardwerk. 1096 Seiten. Souveräne Gestaltung des ungeheuren Materials. Verbindet Information und Deutung. Fesselnd geschrieben.) S A U E R , A U G U S T : Ferdinand Raimunds Rede zur Enthüllung der Gedenktafel in Pottenstein (5. September 1886). Ferdinand Raimund. Eine Charakteristik (1888). Beides in: Gesammelte Reden und Aufsätze zur Geschichte der Literatur in Österreich und Deutschland. Wien Leipzig 1903. (Erste gründliche Darstellung. Nicht überholt.) S C H R E Y V O G L , F R I E D R I C H : Ferdinand Raimund. Werk und Leben. Nachwort zur Raimund-Ausgabe in den Winkler-Klassikem. München i960. (Einseitig biographisch orientiert.) S M E K A L , R I C H A R D : Altwiener Theaterlieder. Vom Hanswurst bis Nestroy. Wien/Berlin 1920. (Vorzügliche Anthologie von Liedertexten.) OREL, ALFRED:
Schallplatten (Auswahl): Hermann Thimig singt Raimund-Lieder. Amadeo AVRS 2023. Mit kleinem Orchester. Mitwirkende: Inge Konradi und Alma Seidler. Enthält u. a. »Brüderlein fein« und »Aschenlied«. Julius Patzak singt Altwiener-Lieder. Amadeo AVRS Ep 15544. Mit kleinem Orchester. Enthält u. a. Raimunds »Lied des Nachtigall« (aus »Die gefesselte Phantasie«) und das »Hobellied« (aus »Der Verschwender«). Theaterl O Theater, Dul Elfriede Ott und Julius Patzak singen Wiener Komödienlieder. Favorit Klassik F K 50 112. Mit kleinem Orchester. Arien und Duette von Dittersdorf bis Franz von Suppe in meist originaler Gestalt. Enthält u. a. das »Uhrenlied« von Louis Grois und Adolf Müller sen. Julius Patzak singt Wiener Heurigenlieder. Decca PLX 3122. Mit kleinem Orchester (Schrammein). Wort- und Sacherklärungen Abgemxt: durchtrieben gescheit, durchgebläut. aimabel: liebenswert. Ampbion: Sohn des Zeus und der Antiope. Einer der thebanischen Dioskuren. Rührte durch sein Leierspiel selbst die Steine.
Wort- und Sachverzeichnis
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Anton Prey, Gottlieb Pracht, Philipp Thier usw.: Namen von früheren Opfern des Kegelspiels, ohne weitere Bedeutung. Applikator-, Fingersatz im Geigenspiel. Bauernzplpel: dicke, plumpe Person. Biskotew. Gebäck aus Eiweisschnee. Budel: Kegelbahn. BUnkel: Bündel. Bussel: Kuß. Butte\ faßartiges Rückentraggefäß aus Holz. Charge: Aufgabe, im Theater: Nebenrolle. Confitaren: kandierte Früchte, süßes Gebäck. Cortine: Vorhang, Mittelvorhang beim Theater. Csakan: der nationale Beilstock der ungarischen Schweinehirten. Eccossais: schottischer Tanz. Eisgrub: von Raimund erfundener Ort ? Es gibt einen Ort dieses Namens im südlichen Mähren. ErdökX: ungarisch: Teufel! (?) Felberbaum: Weidenbaum. Fluggang: technische Vorrichtung im Theater, »Zug«, womit Personen und Gegenstände von oben auf die Bühne gesenkt und von der Bühne nach oben gehoben werden können. Frass: Fraisen, Krämpfe. geissnärrisch: übermütig wie eine junge Ziege. Geisterscheckle-, das »Schöckel«, ein sagenumwobener Berg bei Graz, soll Raimund die Anregung zu diesem Namen gegeben haben. Godel: Patin. Halter: Hirte. hantig: bitter, anstrengend. Haslinger: Stock aus dem Holz der Haselstaude, mit dem die Prügelstrafe verabreicht wurde. Amtsabzeichen der Grundwächter. Het^endorf: Ort bei Wien. ideal-, stilisiert. Jalougitter: die Vorsatzbretter an den Fenstern. Jstenutzekl: ungarisch: Meiner Seel! Kapaun-, Poularde. Kaput: Überrock, Mantel. Klapperpost-. Die Klapper- oder Klepperpost, 1772 in Wien nach dem Beispiel ähnlicher Einrichtungen in Paris und London eingeführt, vermittelte den Briefverkehr im Stadtgebiet. Sie sammelte Briefe ein und trug sie aus. Um sich bemerkbar zu machen, waren die Boten mit Klappern ausgerüstet. Zuerst ein Privatunternehmen, wurde die K. 1784 mit dem Oberst-Hofpostamt verbunden. Krauthappeln-. Krautköpfe. Laternbüble: der bürgerliche Ersatz für den herrschaftlichen Fackelträger, bei der mangelhaften Straßenbeleuchtung unentbehrlich. Sie fanden sich bei Theaterschluß ein, um ihre Dienste anzubieten. LazX0'- Band. Lazzi: Späße, die im italienischen Theater die Szenen der ernsten Handlung unterbrachen und verbanden. Len^el-, Koseform für Lorenz.
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Materialien
lernen: wienerisch = lehren. Luttenberger : wie der Grinzinger ein Wein eines Orts vor Wien. Mehadia: ungarisches Thermalbad. Metten, eine schöne Metten: Umstände, Schwierigkeiten, laute Unterhaltung bei Nacht. modest : bescheiden. öd: abgeschmackt Paidds: ungarisch: Kamerad. Pöstyen : ungarisches Thermalbad. Polakel: junges gemästetes Huhn, kleine Poularde. portiert: porté, geneigt, zugeneigt. praktikabel: Ausdruck der Bühnentechnik: real, benützbar. Gegensatz von Attrappe oder gemalt. Pumperer-. Donner. rauschig-, ein rauschiges Zimmer; Raum für vom Rausch übermannte Gäste. Rezepiss: bis Ende des 19. Jahrhunderts die amtliche Bezeichnung für Empfangsschein. Schilling: Münze, auch: Tracht Prügel. Schneckenhändler: im Vormärz eine typische Figur der Wiener Straßen. Schneckensensal: Schneckenhändler. Sensal: Makler. Schnur: der Einsatz beim Kegelspiel. Seiter/: Glas Wein, Weinmaß. sekieren: belästigen. Strobelkopf: Schimpfwort für einen dummen oder auch nur ungekämmten Menschen. Superborte: oberer Schmuckfries. Tableau: zum malerischen Bild arrangierte Stellung der in einer Szene Beteiligten, verwandt dem »lebenden Bild«. Tee trinken: »jemand Tee geben« heißt »jemandem die Leviten lesen.« Temeswar: Hauptstadt des Banats. traktieren: bewirten, freihalten. Traiteur: Speisewirt. Tremmel: grober Balken. Tschihi: so nennt Lorenz seinen Herrn, der den Schnupfen hat? Tuch: ein liederliches Tuch: ein liederlicher Kamerad. vampieren: modisch, auffallend. verwurlt: verworren. Vierziger: Hautausschlag, harmlose Kinderkrankheit. Warasdin : ungarische Stadt. Wiesbaum: Balken, Bindbaum, mit welchem das Heu auf dem hochbeladenen Wagen zusammengehalten wird. Wurst: volkstümliche Bezeichnung für einen langgestreckten Gesellschaftswagen (Art Jagdwagen). Yhs: In Ybbs an der Niederdonau befand sich ein Heim für alte Rentner. Zuspeis: Gemüse, Beilage zum Fleisch.
Zu S. 1 1 4 L : Originalvertommg der Arie „So mancher steigt herum" (Dritter Aufzug, Seena 8, S. 6of.) Aus: Ferdinand Raimund. Die Gesänge der Märchendramen in den ursprünglichen Vertonungen. Hrsg. von Alfred Orel. Raimunds sämtl. Werke, hrsg. von Brukner und Castle, Bd. 6. Wien: Kunstverlag Schroll 1924.
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