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German Pages 262 Year 2000
GERNOT LISSACK
Das kommunale Selbstverwaltungsrecht nach bayerischem Verfassungs- und Verfassungsprozeßrecht
Schriftenreihe des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam Herausgegeben von Prof. Dr. Werner Jann Prof. Dr. Wolfgang Loschelder Prof. Dr. Michael Nierhaus Prof. Dr. Martin Richter Prof. Dr. Dieter C. Umbach Prof. Dr. Dieter Wagner
Band 7
Das kommunale Selbstverwaltungsrecht nach bayerischem Verfassungs- und Verfassungsprozeßrecht Ein Beitrag zur Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs unter vergleichender Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Von Gemot Lissack
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Lissack, Gernot:
Das kommunale Selbstverwaltungsrecht nach bayerischem Verfassungsund Verfassungsprozeßrecht : ein Beitrag zur Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs unter vergleichender Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts I Gemot Lissack. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriftenreihe des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam ; Bd. 7) Zugl.: München, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10063-8
Alle Rechte vorbehalten
© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0949-7730 ISBN 3-428-10063-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Meinen Eltern
Vorwort der Herausgeber Mit dieser Monographie über das kommunale Selbstverwaltungsrecht nach bayerischem Verfassungs- und Verfassungsprozeßrecht von Gernot Lissack, einem bereits literarisch ausgewiesenem Kommunalrechtler, öffnet sich die Schriftenreihe des Kommunalwissenschaftlichen Institutes der Universität Potsdam weiterhin kommunalrechtlichen und kommunalwissenschaftlichen Publikationen zu Themen, deren Bedeutung und Aktualität über das Land Brandenburg hinausreichen. Die Thematik dieses Bandes ist nicht nur für das (bayerische) Landesrecht von Interesse. Es geht um die Darstellung und kritische Würdigung des alternativen, grundrechtlich geprägten Selbstverwaltungskonzeptes, das der Bayerische Verfassungsgerichtshof auf der Grundlage der Verfassung des Freistaates Bayern dem institutionellen Verständnis der kommunalen Selbstverwaltung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes entgegenstellt. Dabei handelt es sich keineswegs um einen bayerischen Sonderweg; in der Literatur werden zunehmend Stimmen laut, wonach auch die grundgesetzliche Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG) grundrechtlich zu interpretieren ist. Deshalb gehen die Herausgeber davon aus, daß dieser gleichermaßen historische wie analytische Beitrag in der Selbstverwaltungslehre und -praxis Beachtung finden wird. Prof. Prof. Prof. Prof. Prof. Prof.
Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr.
Werner Jann Wolfgang Loschelder Michael Nierhaus Manfred Richter Dieter C. Umbach Dieter Wagner
Inhaltsverzeichnis Einleitung .............................................................
19
I. Te i I Das kommunale Selbstverwaltungsrecht in der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs unter vergleichender Berücksichtigung der des Bundesverfassungsgerichts
24
1: Kapitel
I.
Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
24
Inhalt und Umfang des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden ..........
24
I. Der Aufgabenbezug des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts: Allzuständigkeit, Aufgabenverteilungsprinzip, Bedeutung des Art. 83 I BV . 25 2. Der modale Bezug des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts . . . . . . ..
28
a) Die Gemeindehoheiten ........................................
29
b) Insbesondere: Die Finanzhoheit ................................
30
3. Die Ausgestaltung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ........
33
a) Gesetzesvorbehalt oder Regelungsvorbehalt; eine zunächst terminologische Betrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
33
b) Reichweite des Gesetzesvorbehalts .............................
35
c) Der Kembereich als Prüfungskriterium .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
36
d) Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Prüfungskriterium ............
44
e) Das Gemeinwohlerfordernis als Prüfungskriterium ............ , . ..
53
f) Das Demokratieprinzip als Prüfungskriterium ....................
53
g) Das Willkürverbot als Prüfungskriterium ........................
54
h) Sonderfall: Die Maßnahmen im Rahmen der Gemeindegebietsreform ........................................................
59
4. Zusammenfassung...............................................
72
11. Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht als institutionelle Garantie und grundrechtsähnliches Recht ..........................................
73
I. Die Ambivalenz des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts . . . . . . . . ..
76
2. Die zweifelhafte Bedeutung der "Grundrechtsähnlichkeit" ............
77
10
Inhaltsverzeichnis a) Die Grundrechtsähnlichkeit als Umschreibung einer ausschließlich verfassungsprozessualen Befugnis? ............................. aa) Der Textbaustein der jüngeren Judikatur ..................... bb) Die das grundrechtsähnliche Recht kreierende PolizeivermögenEntscheidung ............................................. b) Die Grundrechtsähnlichkeit als Konsequenz einer vorgeblichen Vorstaatlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts . . . . . . . . . .. 3. Zusammenfassung...............................................
III. Zusammenfassung des ersten Kapitels ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
77 77 78 80 83 83
2. Kapitel
I.
Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise
84
Inhalt und Umfang des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise .......... I. Der Aufgabenbezug des Selbstverwaitungsrechts der Landkreise ...... 2. Der modale Bezug des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise ....... a) Die Parallele zum gemeindlichen Selbstverwaitungsrecht .. . . . . . . .. b) Insbesondere: Die Finanzhoheit ................................ 3. Die Ausgestaltung des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise. . . . . . .. a) Die Ausgestaltung des Selbstverwaitungsrechts der Landkreise im allgemeinen ................................................. b) Sonderfall: Die allgemeine Landkreisreform ..................... 4. Zusammenfassung...............................................
85 85 87 87 87 89 89 90 93
11. Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise als institutionelle Garantie .... I. Das Fehlen einer grundrechtlichen Fundierung des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise ............................................ 2. Die rein institutionelle Ableitung des Selbstverwaitungsrechts der Landkreise. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. a) Die Politische Befreiung-Entscheidung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die Landkreis Ingolstadt-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die Polizei vermögen-Entscheidung ............................. d) Die Landkreisfinanzausgleich-Entscheidung .....................
94
III. Zusammenfassung des zweiten Kapitels ...............................
97
94 95 95 96 96 97
3. Kapitel
I.
Das Selbstverwaltungsrecht der Bezirke
98
Inhalt und Umfang des Selbstverwaitungsrechts der Bezirke ............. I. Der Aufgabenbezug des Selbstverwaltungsrechts der Bezirke ......... 2. Der modale Bezug des Selbstverwaitungsrechts der Bezirke .......... 3. Die Ausgestaltung des Selbstverwaltungsrechts der Bezirke ..........
98 99 99 99
Inhaltsverzeichnis
11
a) Die Ausgestaltung des Selbstverwaltungsrechts der Bezirke im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 99 b) Sonderfall: Die Maßnahmen im Rahmen der Gebietsreform 100
11. Das Selbstverwaltungsrecht der Bezirke als institutionelle Garantie ....... 101 III. Zusammenfassung des dritten Kapitels ................................ 101 4. Kapitel
Die Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften I.
Die Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden .............................. 1. Die Einzelfallgebundenheit des Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insbesondere: Die Berufung auf einzelne Grundrechte ............... a) Die Berufung auf die Garantie des Eigentums gemäß Art. 103, 158f. BV .................................................... b) Die Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 118 I BV ........................................................ c) Die Berufung auf die Justizgrundrechte gemäß Art. 86, 91 BV .... 3. Zusammenfassung ...............................................
102 103 104 106 106 109 111 112
11. Die Grundrechtsfähigkeit der Landkreise .............................. 112 1. Die Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 118 I BV . 112
2. Die Berufung auf die Garantie des Eigentums gemäß Art. 103, 158 f.
BV ............................................................ 114 3. Zusammenfassung ............................................... 115
III. Die Grundrechtsfähigkeit der Bezirke ................................. 115 IV. Zusammenfassung des vierten Kapitels ................................ 116
5. Kapitel
Die Popularklage I.
116
Die Antragsberechtigung ............................................ 118
11. Der Prüfungsgegenstand ............................................. 119 III. Das Erfordernis der Antragsbefugnis .................................. 1. Die Popularklagen natürlicher Personen (Bürgerklagen) .............. a) Keine Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts durch Gemeindeangehörige .............................. b) Die Berufung auf Art. 118 I BV als "Ersatzrüge" ................ aa) Die Berufung auf den "klassischen Gleichbehandlungsgrundsatz" .................................................... bb) Die Berufung auf das "allgemeine Willkürverbot" ............
119
120 120
122 122 123
12
Inhaltsverzeichnis c) Die Berufung auf die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 101 BV ......................................................... 2. Die Popularklagen von Gemeinden ................................ a) Die Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ....................................................... aa) Keine Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts durch Drittgemeinden als nicht unmittelbar betroffene Gemeinden .......................................... bb) Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts bei generell das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht betreffenden Normen .............................................. b) Die Berufung auf die Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Die Berufung auf Art. 118 I BV ............................ bb) Die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht des Art. 103 BV ... 3. Die Popularklagen von Gemeindeverbänden ........................ a) Keine Berufung der Gemeindeverbände auf deren Selbstverwaltungsrecht ................................................... b) Die Berufung der Gemeindeverbände auf die Grundrechte ......... aa) Die Berufung auf Art. 118 I BV als "Ersatzrüge" ............. bb) Die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht des Art. 103 BV ...
IV. Der Prüfungsmaßstab ............................................... 1. Die Regel ...................................................... 2. Die Ausnahmen bei Bürgerklagen gegen normgesetzte Organisationsakte ........................................................... a) Die Ausnahme ............................................... b) Die Ausnahme von der Ausnahme ..............................
124 124 124 124 125 125 125 126 126 126 127 127 127 127 127 129 129 130
V. Subsidiarität der bundesrechtlichen Kommunalverfassungsbeschwerde .... 130 1. Subsidiarität der Kommunalverfassungsbeschwerde bei Popularklagen gegen Normen das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht betreffend ... 131 2. Vorrang der Kommunalverfassungsbeschwerde bei Popularklagen von Gemeindeverbänden? ............................................ 132 VI. Zusammenfassung des fünften Kapitels .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 132 6. Kapitel
Die Verfassungsbeschwerde I.
133
Die Antragst>erechtigung . .".......................................... 134
11. Der Prüfungs gegenstand ............................................ . 134 III. Das Erfordernis der Antragsbefugnis ................................. . 1. Die Berufung auf das Selbstverwaltungsrecht ...................... . a) Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht ....................... b) Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände .. . . . . . . . . . . . ..
134 135 135 136
Inhaltsverzeichnis
13
2. Die Berufung auf die Grundrechte . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136 a) Die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137 b) Die Berufung auf Art. 118 I BV ............................... 137 IV. Der Prüfungsmaßstab ............................................... 137 V. Zusammenfassung des sechsten Kapitels ............................... 138 2. Te i I
Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
7. Kapitel Kritik im Hinblick auf die Erfindung des grundrechtsähnlichen Rechts und die Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften I.
Kritik in bezug auf die Qualifizierung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden als grundrechtsähnliches Recht ............................ 1. Fehlen eines konkreten Anlasses .................................. 2. Fehlen einer konkreten Begründung ............................... a) Fehlen einer verfassungsprozessualen Notwendigkeit ............. b) Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als vorstaatliches Recht 3. Ungewißheit bzw. Unbestimmtheit der aus der Grundrechtsähnlichkeit zu ziehenden Konsequenzen ...................................... a) Verfassungsprozessuale Konsequenzen .......................... aa) Ungleichbehandlung von Gemeinden und Gemeindeverbänden bei Rüge der Verletzung des Selbstverwaltungsrechts im Rahmen der Popularklage .................................. bb) Ungewißheit der Auswirkung dieser Ungleichbehandlung in bezug auf die bundesrechtliche Kommunalverfassungsbeschwerde gern. Art. 93 I Nr. 4b GG ......................... cc) Die Differenzierung zwischen konkret-individuell und allgemein das Selbstverwaltungsrecht berührenden Maßnahmen im Rahmen der Popularklage ..................................... dd) Die Bürgerklagen ......................................... ee) Anmerkung in bezug auf die Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden ........................ b) Materiell-verfassungsrechtliche Konsequenzen ................... aa) Auswirkungen der Grundrechtsähnlichkeit auf die Anwendung der Wesensgehaltstheorie? .................................. bb) Auswirkungen der Grundrechtsähnlichkeit auf die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips? ...........................
139
139 139 140 140 140 141 141
141
141
142 142 143 143 143 145
11. Kritik in bezug auf die Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften ........................................................ 147
14
Inhaltsverzeichnis 1. Willkürverbot und Gleichbehandlungsgrundsatz ..................... 147 2. Die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht ......................... 148
III. Zusammenfassung des siebenten Kapitels .............................. 149
8. Kapitel
Das SelbstverwaItungsrecht der Gemeinden ist kein grundrechtsähnliches Recht 1.
Die geschichtliche Ableitung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als Argument für dessen "Grundrechtsähnlichkeit"? ..................... 1. Die geschichtliche Sicht des Verfassungsgerichtshofs ................ 2. Einzelne Stationen in der Geschichte des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ..................................................... a) Entwicklungen in Frankreich seit 1789 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die Lehre des Reichsfreiherrn vom Stein ........................ c) Die belgischen Revolutionsideen und ihre Wirkungen in Deutschland für die Verfassung der Frankfurter Nationalversammlung ..... d) Gneist, Gierke und Preuss ..................................... e) Die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung gemäß Art. 127 WRV ............................................... 3. Zusammenfassung ...............................................
H. Die Bedeutung der "Ursprünglichkeit" der Gemeinden in der Bayerischen Verfassung ......................................................... 1. Die Motivation der Verfassungsgeber in Hinblick auf die "Ursprünglichkeit" der Gemeinden ......................................... a) Die Aufnahme der "Ursprünglichkeit" in die Bayerische Verfassung ........................................................ b) Kritik am Begriff der "Ursprünglichkeit" ........................ 2. Die Deutung der "Ursprünglichkeit" im Sinn einer individuellen Bestandsgarantie der bayerischen Gemeinden? ........................ 3. Die "Ursprünglichkeit" als Auslegungsregel ........................ 4. Die Deutung der "Ursprünglichkeit" als Verfassungsänderungsverbot im Sinn von Art. 75 I 2 BV ......................................... 5. Zusammenfassung ............................................... III. Grundrecht und "Grundrechtsähnlichkeit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht ist kein Grundrecht ........ a) Die Menschenwürde als Grund für die Gewährleistung von Grundrechten ............................................... . . . . . .. b) Die Erweiterung des Grundrechtsschutzes auf juristische Personen . c) Zusammenfassung ............................................ 2. Die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung als kompetenzielle Strukturgarantie .................................................
149 150 151 154 154 157 158 166 168 172 173 173 173 176 179 183 183 185 185 186 186 189 190 190
Inhaltsverzeichnis
15
a) Die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung als institutionelle Garantie bzw. Einrichtungsgarantie ............................. 190 b) Art. 11 11 BV als Staatsstrukturprinzip .......................... 192 3. Vemeinung der Grundrechtsähnlichkeit des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden ..................................................... 194 a) Zur Vergleichbarkeit im Hinblick auf die Vorstaatlichkeit der Grundrechte und die vermeintliche Vorstaatlichkeit des Selbstverwaltungsrechts ............................................... 194 b) Zur Vergleichbarkeit unter dem Gesichtspunkt der Abwehrfunktion . 195 c) Zur Vergleichbarkeit im Hinblick auf den Schutzmechanismus ..... 196 d) Ablehnung der Vergleichbarkeit im Rahmen einer ergebnisorientierten Betrachtung .............................................. 198 IV. Zusammenfassung des achten Kapitels ................................ 199
9. Kapitel
Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften? I.
200
Die Stimmen in der Literatur zur Grundrechtsflihigkeit der juristischen Personen des öffentlichen Rechts im allgemeinen und der kommunalen Gebietskörperschaften im besonderen ................................. 201 1. Subjektionstheorie .............................................. . 203 2. Nach der Rechtsform staatlichen Handeins differenzierende Ansichten . 205 3. Nach den wahrzunehmenden Aufgaben oder zu verfolgenden Interessen unterscheidende Theorien ........................................ 205 4. Nach der organisationsrechtlichen Selbständigkeit differenzierende Ansichten ...................................................... 205
11. Stellungnahme ..................................................... 206 1. Argumentativer Ausgangspunkt ................................... 206
2. Prüfungsprogramm .............................................. 208 3. Einwände gegen dieses Prinzip? ....... " .......................... 212 4. Zur Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften ..... 213 5. Einwände gegen die Vemeinung der Grundrechtssubjektivität? ........ 214 III. Zusammenfassung des neunten Kapitels ............................... 219
16
Inhaltsverzeichnis 3.Teil Materiell-verfassungsrechtliche und verfassungsprozessuale Konsequenzen der im zweiten Teil gewonnenen Erkenntnisse sowie Plädoyer für die Einführung einer landesrechtlichen Kommunalverfassungsbeschwerde 10. Kapitel
Materiell-verfassungsrechtliche und verfassungsprozessuale Konsequenzen
220
Materiell-verfassungsrechtliche Konsequenzen ......................... I. Konsequenzen für die Kembereichsdiskussion ...................... a) Konsequenz für das gemeindliche SeIbstverwaltungsrecht ......... b) Konsequenz fü: das Selbstverwaltungsrecht der Gemei~everbände . 2. Konsequenzen für die Verhältnismäßigkeits- und Willkürprüfung . . . . . .
220 220 220 221 222
11. Verfassungsprozessuale Konsequenzen ................................ I. Die verfassungsprozessuale Stellung der Gemeinden und Gemeindeverbände im Rahmen der Popularklage ............................... 2. Verfassungsbeschwerdeverfahren gemäß Art. 120 BV ................ 3. Konsequenz für die Anwendung der Subsidiaritätsklausel des Art. 93 I Nr. 4b GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Hinweis zu den Bürgerklagen .....................................
223
I.
223 223 224 225
III. Zusammenfassung des zehnten Kapitels ............................... 226 11. Kapitel
Plädoyer für die Einführung einer landesrechtlichen Kommunalverfassungsbeschwerde I.
226
Für eine umfassende landesverfassungsgerichtliche Kompetenz in Kommunalverfassungsstreitigkeiten sprechende verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Gründe ............................................. . 226
11. Entsprechende Heranziehung des Instituts der Popularklage? ............. 229 III. Gesetzgebungsvorschlag ............................................ . 1. Einführung einer Rechtssatzbeschwerde? ........................... 2. Einführung einer umfassenden Kommunalverfassungsbeschwerde ..... 3. Wortlaut der im Gesetz über den Verfassungsgerichtshof zu treffenden Regelungen .................................................... . a) Änderung des Art. 2 VfGHG .................................. b) Änderung des Art. 3 VfGHG .................................. c) Einfügung eines achten Abschnitts in das zweite Kapitel des dritten Teils des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof ..............
230 231 232 232 233 233 233
Inhaltsverzeichnis 4. Anmerkungen zum Gesetzesvorschlag ............................. a) Anmerkung zur Zuständigkeitsregelung des Art. 2 VfGHG ........ b) Anmerkung zur Besetzungsregelung des Art. 3 VfGHG ........... c) Anmerkung zur Ausgestaltung der Kommunalverfassungsbeschwerde ................................................... .
17 234 234 234 234
IV. Zusammenfassung des elften Kapitels ................................. 235
Literaturverzeichnis ................................................... 236 Anhang: Verzeichnis der zitierten Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtes ............ 250
Sachwortverzeichnis .................................................. . 259
2 Lissack
Einleitung Der Umfang der neueren Literatur zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht ist - nicht erst seit der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts I - kaum noch zu überschauen. Eine weitere diesbezügliche Schrift hinzuzufügen wäre gleichbedeutend mit dem Unterfangen, Eulen nach Athen zu tragen. So scheinen insbesondere alle erdenklichen Gesichtspunkte, unter denen man die Rastede-Entscheidung untersuchen kann, bereits gefunden, auch wenn oder gerade weil sich die Ergebnisse oft deutlich widersprechen. Wurde die Entscheidung zunächst insbesondere von Kommunalpolitikern, aber auch von Teilen der Literatur mitunter euphorisch als Stärkung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts begrüßt, so häuften sich in der folgenden Zeit die Stellungnahmen, die der Entscheidung nicht nur keine Stärkung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts, sondern eine Relativierung der früheren Rechtsposition entnehmen wollten. Wenn die Zeichen nicht trügen, dann mehren sich wieder die Stimmen, die die Rastede-Entscheidung als nicht solchermaßen weitgreifend in ihren Wirkungen ansehen wollen, wie das zum Teil zunächst angenommen wurde. Vorliegende Monographie will nicht eine erneute Exegese der RastedeEntscheidung vornehmen. Ziel dieser Arbeit ist es aber gleichwohl, die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zu vergleichen und auf die Unterschiede in dogmatischer und praktischer Hinsicht einzugehen. Dabei werden die Ansichten des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig denen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vorangestellt, weil erstere selbst dem mit den bayerischen Eigentümlichkeiten einigermaßen vertrauten Leser präsenter sein dürften. Primär geht es der Arbeit aber darum, das kommunale Selbstverwaltungsrecht speziell nach bayerischem Verfassungsrecht zu beleuchten, die Eigenständigkeit des bayerischen Verfassungsansatzes hervorzuheben, die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zum Selbstverwaltungsrecht der Gebietskörperschaften zu systematisieren und zu kritisieren, die strukturelle Gleichartigkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts und desjenigen der Gemeindeverbände aufzudecken und die sich hieraus ergebenden verfassungsrechtlichen und verfassungsprozessuaI BVerfGE 79, 127; auf die den zitierten Entscheidungen zu Grunde liegenden Sachverhalte kommt es regelmäßig nicht an. Eine Kurzcharakterisierung zitierter Entscheidungen findet sich im Anhang dieser Darstellung.
20
Einleitung
len Konsequenzen aufzuzeigen. Eine solche (Rück-)Besinnung auf die Gewährleistung des Selbstverwaltungsrechts nach Landesverfassungsrecht scheint aus dreifacher Hinsicht angezeigt: Zum ersten hat sich die Literatur in der letzten Zeit fast ausschließlich mit der bundesverfassungsrechtlichen Gewährleistung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts befaßt 2 . Dabei wird aber Art. 28 11 GG ein Stellenwert zugesprochen, der wohl oftmals über dessen tatsächliche Bedeutung hinaus geht 3 • Art. 28 11 GG stellt nämlich zunächst vor allem eine Homogenitätsbestimmung für das Bund-Länder-Verhältnis dar4 , die eine gewisse Rechtseinheit in bezug auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht gewährleistet5 • Art. 28 11 GG schreibt (lediglich) eine Mindestgarantie fest 6 . Diese Homogenitätsbestimmung hatte aber bei Inkrafttreten des Grundgesetzes für die Verfassungen der Länder Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und dann auch Saarland keine praktische Bedeutung, weil diese Länder jeweils über die bundesverfassungsrechtliche Regelung hinausgehende Gewährleistungen in die Länderverfassungen aufgenommen hatten. Für die anderen Bundesländer, vor allem für die Verfassungsgebung in den neuen Bundesländern konnte Art. 28 11 GG eine richtungsweisende Norm darstellen, besonders auch deswegen, weil in den neuen Bundesländern wegen Art. 3 des Einigungsvertrags vom Beitritt der ehemaligen DDR bis zum Erlaß der Landesverfassungen die gemeindeutsche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in dem Umfang, wie sie durch Art. 28 11 GG geWährleistet wird, unmittelbarer Prüfungsmaßstab in landesverfassungsrechtlichen Verfahren war. Über den soeben erwähnten Aspekt der objektiv-verfassungsrechtliehen Bestimmung zur Gewährleistung einer Mindesthomogenität hinaus kommt Art. 28 11 GG Bedeutung dann zu, wenn es im Rahmen eines subjektiven Rechtsschutzverfahrens auf die Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen ankommt, vor allem wenn im Rahmen einer Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG Bundesgesetze Streitgegenstand sind oder aber wenn nach Landesverfassungsprozeßrecht eine 2 Auch Brohm (DÖV 1989,429/432) beklagt die Tatsache, daß den landesrechtlichen Ausgestaltungen der kommunalen Selbstverwaltung bislang nur mäßiges Interesse zuteil wurde. Vgl. auch 1. Ipsen, Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie, ZG 1994, 194/207f.: Rastede als "Orakel". 3 In den Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee war noch keine Garantie der Selbstverwaltung aufgenommen worden, weil landesverfassungsrechtliche Sicherungen ausreichend erschienen. Allerdings war eine Aufnahme in den Grundrechtsteil wie in der Weimarer Reichsverfassung - erwogen worden (vgl. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, München 1948, S. 21). 4 A. A. Stern in: BK, Art. 28 Rn. 1. S Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 43. 6 Vgl. nur v. Mutius, Jura 1982,28/29; Brohm, DÖV 1989,429/432.
Einleitung
21
Rechtssatzbeschwerde gegen Landesnormen, die das Selbstverwaltungsrecht der kommunalen Gebietskörperschaft einschränken, nicht zur Verfügung steht7 . Da aber den Ländern die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Kommunalverfassungsrecht und im Prinzip auch für das gesamte Kommunalrecht zukommt, ist damit jedoch zugleich gesagt, daß der Großteil der kommunalrechtlichen Streitigkeiten, der die Verfassungsgerichte beschäftigt, vor den Landesverfassungsgerichten entschieden wird. Somit spricht bereits die Quantität der von den Landesverfassungsgerichten zu entscheidenden Streitigkeiten dafür, sich eingehender als bisher mit Auslegung und Anwendung der landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen zu beschäftigen. Zum zweiten fehlt eine monographische Gesamtbehandlung des Selbstverwaltungsrechts der bayerischen Kommunen - soweit ersichtlich - vollkommen. Dies verwundert einerseits, als die Bayerische Verfassung in den Art. 10, 11, 12, 83 und nunmehr auch Art. 7 n8 und Art. 83 vn 9 sehr viel ausführlicher und detaillierter das kommunale Selbstverwaltungsrecht regelt, als es die "Rahmengewährleistung" im Grundgesetz tut lO • Andererseits ist Landesverfassungsgerichtsbarkeit "ein wesentliches Attribut der Eigenstaatlichkeit der Länder und damit ein Konstitutivelement des bundesdeutschen Föderalismus" 11, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt eine 7 Davon zu unterscheiden sind die eben angedeuteten Fälle, in denen ein Landesverfassungsgericht (der neuen Länder) über vorlandeskonstitutionelle Streitigkeiten zu entscheiden hatte, vgl. ThürVerfGH 2/95 und 6/95, S. 19 f. 8 Die Änderung der Verfassung durch Volksentscheid vom I. Oktober 1995 (Gesetz zur Einführung des kommunalen Bürgerentscheids vom 27. Oktober, GVBI. 1995, 730), mit der die Einführung von Bürgerbegehren und -entscheid auf kommunaler Ebene verknüpft war und zu einer Änderung des Art. 7 II BV sowie Ergänzung des Art. 12 BV führte, wurde diesbezüglich vom Verfassungsgerichtshof gebilligt, BayVerfGH 50, 1811195ff. 9 Art. 83 BV wurde ein neuer Absatz VII durch Volksentscheid (Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freisstaates Bayern - Verfassungsreformgesetz - Reform von Landtag und Staatsregierung vom 20. Februar 1998; GVBI. 1998, 39/40) hinzugefügt, wonach die kommunalen Spitzenverbände durch die Staatsregierung rechtzeitig gehört werden sollen, bevor durch Gesetz oder Verordnung Angelegenheiten geregelt werden, welche die Gemeinden oder Gemeindeverbände berühren. IO Verglichen mit anderen Länderverfassungen rallt allerdings auf, daß die Bayerische Verfassung keine Bestimmungen enthält, die Rechtsform, Zweck und Voraussetzungen von Gemeindegebietsänderungen oder Bestandsänderungen regeln. Auch wird in Bayern nur einfachgesetzlich (Art. 6 I BayGO) bestimmt, daß die Gemeinden in ihrem Gebiet die ausschließlichen Träger der öffentlichen Verwaltung sind (sog. Totalitätsprinzip, vgl. auch BVerfGE 79, 1271147), wenn nicht durch Gesetz die Aufgabe einer anderen Stelle im öffentlichen Interesse zugewiesen ist, vgl. zum Beispiel Art. 49 I Verf. Rheinland-Pfalz. Ebenfalls enthält die Bayerische Verfassung keine Bestimmung über den kommunalen Finanzausgleich. 11 Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus in: FS 25 Jahre BayVerfGH, S. 183.
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Einleitung
besondere Befassung mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zum Selbstverwaltungsrecht der kommunalen Gebietskörperschaften angezeigt ist. Zum dritten bieten gerade die jüngeren Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht l2 Anlaß, seine diesbezügliche Rechtsprechung umfassend kritisch zu beleuchten, nicht zuletzt deswegen, weil hier gewohnte Äußerungen der hergebrachten Judikatur mit neuen Ansätzen, die aus der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bekannt erscheinen, verbunden werden, so daß eine auf den ersten Blick etwas seltsam anmutende Melange vorgefunden wird, die man als Ansatz zu einem Wandel der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ansehen könnte. Ebenfalls aber könnten diese Entscheidungen eine erforderliche Abgrenzung zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthalten. In jedem Fall ist die Frage nach der Kompatibilität von landes verfassungsgerichtlicher und in Bezug genommener bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung gestellt. Hierbei ist die Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom Wesen des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden einerseits und dem der Gemeindeverbände andererseits insbesondere insoweit bezweifelbar, als es um die Ansicht des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs geht, es handle sich beim gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht um ein "grundrechtsähnliches Recht" 13. Auch die Meinung, wonach den kommunalen Gebietskörperschaften Grundrechtssubjektivität zukommt, führt zwar zu Ergebnissen, die den Kommunen aus verfassungsprozessualen Gründen willkommen sind, widerspricht allerdings der für das Bundesverfassungsrecht vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Ansicht, was per se noch nicht zu beanstanden ist, da die Verfassungsräume von Bund und Land, abgesehen von Art. 28 und 142 GG, geschieden sind. Allerdings kann es zu Konflikten mit einem modernen Staatsverständnis, das die Gemeinden in die mittelbare Staatsverwaltung einbindet und nicht in Opposition zum Staat sieht, kommen. Vor allem aber sind die verfassungsprozessualen Rechtsfolgen der Auffassung, wonach das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht "grundrechtsähnlich" sei, das der Gemeindeverbände allerdings "bloß institutionell" gewährleistet sei, wenig überzeugend. So können sich zwar die Gemeinden zur Sicherung des Selbstverwaltungsrechts auf die Popularklage stützen, die Gemeindeverbände aber dürfen dies nicht, sondern wären auf die Kommunalverfassungs12 BayVerfGH 49, 76; BayVerfGH 50, 15; BayVerfGH 50, 181; Vf. 24-VII-94 vom 12.1. 1998, BayVBI. 1998,207. 13 Bereits 1981 stellte Bethge (Grundrechtsschutz kommunaler Selbstverwaltung in Bayern? in: GS für Riederer, S. II 7/1 18) ein Bedürfnis nach monographischer Klärung der Frage nach der Qualität des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als grundrechtsähnliches Recht fest.
Einleitung
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beschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG verwiesen, gäbe es nicht die Möglichkeit, Art. 118 I BV als Ersatzrüge mehr oder weniger unbeschränkt geltend zu machen. Dies ist der vielleicht offensichtlichste Widerspruch in der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungs gerichtshofes, der allein aus praktischer Sicht deswegen wenig nachvollziehbar ist, weil dies für die kommunalen Gebietskörperschaften in Bayern, soweit Normen des Landesrechts zur Überprüfung anstehen, zu einem gespaltenen Rechtsweg führen könnte, obwohl doch der Bayerische Verfassungs gerichtshof in jedem Fall das sachnähere Gericht wäre. Aufgabe dieser Arbeit soll es also sein, im Rahmen einer Bestandsaufnahme die charakteristischen Kernsätze der Rechtsprechung des Bayerisehen Verfassungs gerichtshofs zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht festzuhalten und die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs mit der des Bundesverfassungsgerichts zu vergleichen, soweit dies erforderlich erscheint. Dem oben konstatierten Mangel an einer gesamtmonographischen Abhandlung zum Selbstverwaltungsrecht nach bayerischem Verfassungsrecht soll der erste Teil dieser Arbeit abhelfen. Dieser erste Teil wurde dergestalt konzipiert, daß auch derjenige, der sich ausschließlich über den Inhalt der Rechtsprechung zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht informieren will, hier befriedigende Auskunft bzw. weiterführende Hinweise findet, ohne daß eine Notwendigkeit zur Lektüre der anderen bei den Teile bestünde. Aus diesem Grunde ist dieser darstellende Teil auch relativ umfangreich. Danach soll die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs einer Kritik unterzogen werden, um dann die Qualität des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden als "grundrechtsähnliches" Recht wie die Grundrechtsfähigkeit der Kommunen zu bestreiten (hierzu der zweite Teil). Schließlich sollen die aus der Kritik erwachsenden Konsequenzen in materieller und verfassungsprozessualer Hinsicht gezogen werden; da nach der hier vertretenen Ansicht eine Berufung der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften auf die Popularklage ausscheidet, soll die Arbeit einen Gesetzgebungsvorschlag darbieten, mit Hilfe dessen der Gesetzgeber die so entstandene Rechtsschutzlücke schließen und zudem das Rechtsschutzinstrumentarium der Gemeindeverbände verbessern kann (hierzu der dritte Teil).
1. Teil
Das kommunale Selbstverwaltungsrecht in der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs unter vergleichender Berücksichtigung der des Bundesverfassungsgerichts 1. Kapitel
Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden Die mit Abstand intensivste Befassung mit dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht durch die Rechtsprechung der Fach- und Verfassungs gerichte sowie der Literatur fand und findet auf dem Gebiet des gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht statt; die Rechtsstellung der Landkreise und der höheren Kommunalverbände rief bis dato nur mäßiges Interesse hervor.
I. Inhalt und Umfang des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden Art. II 11 2 BV gewährleistet den in Art. II 11 1 BV als "ursprüngliche Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts" bezeichneten Gemeinden das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwalten. Art. 11 11 BV spricht selbstverständlich zunächst eine institutionelle Rechtssubjektsgarantie der Gemeinden aus; das heißt es muß überhaupt Gemeinden als Rechtssubjekte mit Hoheitsgewalt (und nicht nur als soziale Realität) geben 1, ohne daß damit eine individuelle Garantie konkreter Gemeinden verbunden wäre 2 • Ferner beinhaltet das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht einen aufgabenbezogenen Aspeke, der traditionellerweise durch Begrifflichkeiten wie "Allzuständigkeit" der Gemeinden bzw. "Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises", daneben durch Vgl. Lissack, Bayerisches Kommunalrecht, § 1 Rn. 60ff. Vgl. bereits BayVerfGH 7, 113/118; vgl. auch BayVerfGH 31, 99/122f.; 33, 47/56; 34, 118; 34, 64172; 36, 162/168; 40, 154/161; für das Bundesverfassungsrecht vgl. nur BVerfGE 50, 50; 86, 90/107. 3 Vgl. Lissack, § 1 Rn. 65 ff. 1
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1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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ein neu kreiertes "Aufgabenverteilungsprinzip" gekennzeichnet wird. Schließlich enthält das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht einen modalen Bezug4 , womit die Eigenverantwortlichkeit der Art und Weise der Aufgabenerledigung garantiert ist. 1. Der Aufgabenbezug des gemeindlichen Selbstverwaltungrechts: Allzuständigkeit, Aufgabenverteilungsprinzip, Bedeutung des Art. 83 I BV
Für das Bundesverfassungsrecht hat die Rastede-Entscheidung5 klargestellt6 : Zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung gehört "kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog." Hingegen wird die "Universalität des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts" dahingehend beschrieben, sie sei "die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägem öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen,,7. Die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft werden dabei definiert als "diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen; auf die Verwaltungskraft kommt es hierbei nicht an"s. Dieses Erstzugriffsrecht auf bisher nicht besetzte oder wahrgenommene örtliche Angelegenheiten9 , anders formuliert, diese widerlegbare Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Gemeinden, soweit es um noch nicht besetzte Angelegenheiten geht, ist als "identitätsbestimmendes Merkmal der gemeindlichen Selbstverwaltung,,10 von der "Spezialität" einer Aufgabe nur kraft eines speziellen Kompetenztitels bei anderen Verwaltungsträgem abzugrenzen und wird vom Bundesverfassungsgericht zum Kembereich der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie gezählt", Dieses Vgl. Lissack, § 1 Rn. 77 ff. BVerfGE 79, 127ff. 6 Vgl. aus der früheren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts: BVerfGE 8, 1221134; 50, 195/201. 7 BVerfGE 79, 127 (Leitsatz 2)1146ff. 8 BVerfGE 79, 127 (Leitsatz 4)1151 f. 9 Zur Aufgabe wird eine Angelegenheit erst, wenn sich die Gemeinde ihrer annimmt. 10 BVerfGE 79,1271147. 11 Das Bundesverfassungsgericht sieht das Universalitätsprinzip - wohl an die Formulierung Sterns (Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., S. 416; ders. in: BK, Art. 28 Rn. 123) anknüpfend - als "Essentiale der gemeindlichen Selbstverwaltung" (BVerfGE 79, 1271147) an. Falsch ist in diesem 4
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungs gerichtshofs
Prinzip der Allzuständigkeit bietet jedoch gegen einen schleichenden Aufgabenentzug ("Entörtlichungsprozeß,,12) keinen Schutz, da es nicht verbietet, daß der Staat von den Gemeinden bereits wahrgenommene Selbstverwaltungsaufgaben auf die staatliche Verwaltung überträgt oder auf andere kommunale Gebietskörperschaften "hochzont" 13. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht Art. 28 11 GG außerhalb des im Kembereich des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts verorteten Universalitätsprinzips ein "Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden" entnommen, "das der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber zu berücksichtigen hat" und das auch zugunsten der Gemeinden im Verhältnis der kommunalen Gebietskörperschaften untereinander gilt l4 . In der Literatur wurde dieses Aufgabenverteilungsprinzip vielfach als eine Art Subsidiaritätsprinzip l5 angesehen, das an die Stelle des Verhältnismäßigkeitsprinzips getreten sei. Die landesverfassungsrechtliche Ausgestaltung des Aufgabenbezugs des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts gemäß der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs unterscheidet sich hiervon in einigen Punkten, was vor allem damit zu erklären ist, daß in Art. 83 BV differenzierte Aussagen zum Zusammenhang die Behauptung Schinks (VerwArch. 81 (1990),385/398), der Kernbereich der gemeindlichen Aufgabenverbürgung sei durch die Rastede-Entscheidung auf das Universalitätsprinzip des Wirkungskreises, also auf die Kompetenz der Gemeinden, sich aller nicht normierter Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft anzunehmen, begrenzt worden, so daß der Kernbereichsprüfung im gegenständlichen Bereich keine Bedeutung mehr zukomme. Das Bundesverfassungsgericht hat es nur abgelehnt, einen gegenständlich bestimmten oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbaren Aufgabenkatalog zum Kernbereich zu ziehen, BVerfGE 79, 127 (Leitsatz 2) 146. Das schließt aber nicht aus, daß im Rahmen einer konkreten Prüfung eine einzelne Aufgabe als zum Kernbereich gehörend erklärt wird. 12 Schoch, VerwArch. 81 (1990), 18/31. 13 BVerfGE 79, 127/148. 14 BVerfGE 79, 127 (Leitsatz 3a)/150. IS Der Begriff des Subsidiaritätsprinzips entstammt der katholischen Soziallehre (Papst Pius XI formulierte explizit das Prinzip in den Nummern 79 ff. der Quadragesimo anno von 1931, es hat aber zahlreiche weiter zurückreichende Wurzeln; vgl. hierzu Herzog, Subsidiaritätsprinzip in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 3564 ff.) und hat durch die Positivierung im Maastricht-Vertrag (vgl. § 3 b EGV) eine besondere Bedeutung für das Europarecht erlangt und ausufernde literarische Behandlung erfahren (vgl. nur Lambers, EuR 1993,229; Konow, DÖV 1993, 405ff.; Knemeyer, DVBI. 1990, 449ff.; Möschel, NJW 1993, 3025ff.; Schirna, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Wien 1994; Schmidhuber, DVBI. 1993, 417 ff.). Auch in der Bayerischen Verfassung findet sich in Art. 3a nunmehr ein Bekenntnis zu einem geeinten Europa, das u. a. dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist (Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Bayern - Verfassungsreformgesetz - Weiterentwicklung im Bereich der Grundrechte und Staatsziele, GVBI. 1998, 38).
I. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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Inhalt des kommunalen, insbesondere des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts getroffen werden. So enthält Art. 83 I BVeine nicht abschließende l6 Aufzählung gemeindlicher Aufgaben des eigenen Wirkungskreises, wobei die hier genannten Aufgabenfelder im wesentlichen nichts anderes darstellen als eine Erläuterung des schillernden Begriffs der Daseinsvorsorge 17 (vgl. aber auch die Erwähnung der "örtlichen Polizei"). Gerade wegen dieser Aufzählung verschiedener gemeindlicher Aufgabenbereiche mußte die Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung in Bayern zwangsläufig anders verlaufen. Detaillierte Äußerungen des Verfassungsgerichtshofs zur Allzuständigkeit der Gemeinden gibt es nicht. Der lapidare, ständig wiederkehrende Satz: "Das Selbstverwaltungsrecht sichert ihnen einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich" I 8 umschreibt wohl nicht das Prinzip der Allzuständigkeit, sondern die Aufgabengarantie des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts insgesamt. Jedenfalls wird der Universalitätsgrundsatz zum Kern des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts gezählt l9 . Der Verfassungsgerichtshof mußte sich im Rahmen der Aufgabengarantie des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts vor allem darüber Gedanken machen, welchen Stellenwert er der Regelung des Art. 83 I BV zukommen lassen wollte. Bereits in BayVerfGH 4, 251 (Beschränkung der Gemeinden im Volksschul- und Berufsschulwesen) sah der Verfassungsgerichtshof Veranlassung, auf Art. 83 I BV einzugehen. Diese Rechtsprechung wurde bis zur heutigen konsequent weiterentwickelt, wonach es dem Gesetzgeber "grundsätzlich verwehrt" sei, "den Gemeinden einen der in Art. 83 I BV aufgeführten Aufgabenbereiche ... völlig zu entziehen oder in seinem Kernbereich anzutasten,,20. Art. 83 I BV garantiert also in der Auslegung, die er durch den Verfassungs gerichtshof erfahren hat, ein unentziehbares Minimum an Aufgabenbereichen und gewährleistet damit mehr, als dies Art. 28 11 GG in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht leistet. Diese Rechtsprechung legt dem Gesetzgeber starke Bindungen auf und bedeutet in ihrer Konsequenz eine Konservierung der 1946 für die bayerischen Gemeinden als unentbehrlich erachteten Aufgabenagenden. Vor kurzer Zeit hat das "Aufgabenverteilungprinzip" des Bundesverfassungsgerichts Eingang in die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs 16 Etwas anderes wäre freilich mit dem Prinzip der Allzuständigkeit auch nicht zu vereinbaren. 17 Vgl. zum Begriff der Daseinsvorsorge Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I, S. 368 ff. IS Vgl. nur BayVerfGH 49, 79/86. 19 BayVerfGH 31, 99/122. 20 BayVerfGH 49, 79/87.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
gefunden. Ob der Verfassungsgerichtshof das Aufgabenverteilungsprinzip für kompatibel mit seiner eigenen Rechtsprechung erachtet, bleibt noch ungeklärt, da sich der Verfassungsgerichtshof auf eine zitierende, unkommentierte Wiedergabe der Ansicht des Bundesverfassunsgerichts beschränkt21 •
2. Der modale Bezug des gemeindlichen Selbstverwaltungrechts Selbstverwaltung welcher Erscheinungsform auch immer ist durch die prinzipielle Eigenverantwortlichkeit der Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung gekennzeichnet, jede Selbstverwaltung gewährleistende (Verfassungs-)Bestimmung weist also einen modalen Bezug auf. Dies gilt - in unterschiedlichem Umfang - für die berufsständische und wirtschaftliche Selbstverwaltung, die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger, der Gerichte und wissenschaftlicher Organisationen. Dies gilt selbstredend auch für die gemeindliche - vgl. Art 11 11 2 BV (" ... selbst zu ordnen und zu verwalten ... ") und Art. 28 11 1 GG (" ... in eigener Verantwortung ... ") und weitergehend die kommunale Selbstverwaltung22 • Das Bundesverfassungsgericht führt zum modalen Aspekt des Selbstverwaltungsrechts grundlegend aus: "Hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, für die die Gemeinden zuständig sind, gewährleistet Art. 28 11 1 GG ferner die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte ... Staatliche Reglementierung, die die Art und Weise der Aufgabenerledigung nach Maßgabe der Gesetze betrifft, kann die Gemeinde nur für den Umkreis ihrer örtlichen Angelegenheiten, nicht dagegen auch hinsichtlich der ihr übertragenen überörtlichen Angelegenheiten abwehren ... ,,23.
VerfGH 49, 79/88. Dieser Aspekt des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts scheint so selbstverständlich, daß er keiner besonderen Erwähnung bedürfte. Allerdings ist das Aufgabenelement des Selbstverwaltungsrechts seit den Rastede-Entscheidungen der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts solchermaßen in den Vordergrund gerückt, daß sich die Literatur vorwiegend mit diesem Aspekt des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts befaßte. Offensichtlich fürchtet der Verfassungsgerichtshof eine Vernachlässigung des modalen Bezugs, formulierte er doch: "Das Selbstverwaltungsrecht ist nicht nur dann zu beachten, wenn es um die den Gemeinden zu überlassenden Aufgaben geht" (BayVerfGH 50, 181/204). Diese Äußerung ist so selbstverständlich wie überflüssig. Zudem ist sie inhaltlich verfehlt, da den Gemeinden wegen des Prinzips der Allzuständigkeit keine Selbstverwaltungsaufgaben überlassen, sondern höchstens - nach Rechtfertigung durch den Gesetzgeber - entzogen werden. 23 BVerfGE 83, 363/382 m. w. N. 21
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1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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a) Die Gemeindehoheiten Herkömmlicherweise wird der modale Bezug durch die sogenannten Gemeindehoheiten gekennzeichnet, zu denen u. a. die Satzungs-, Planungs-, Organisations-, Personal-, Gebiets-, Finanz- und Abgabenhoheit gezählt werden 24 . Dabei sind Organisations- und Personalhoheit sogenannte übergreifende Hoheiten, das heißt "das Recht zur Organisation der Gemeindeverwaltung (einschließlich etwa der Personalhoheit oder der Haushaltsautonomie) leitet sich ... nicht nur bezüglich bestimmter Sachaufgaben, sondern für die gesamte Verwaltung her,,25. Die Planungshoheit, mithin das Recht zu eigenverantwortlicher Ordnung und Gestaltung des Gemeindegebiets, hat nicht nur modalen, sondern auch aufgabenbezogenen Charakter. Die Konturierung dieser Gemeindehoheiten hat vor allem systematisierende Bedeutung; die von ihnen ausgehende Schutzwirkung ist unterschiedlich je nach Gemeindehoheit und konkreter streitbefangener Situation. Gerade im Bereich der Organisationshoheit erweist sich allerdings der vom Bundesverfassungsgericht vennittelte Schutz des Selbstverwaltungsrechts als wenig intensiv: "Für die kommunale Organisation gilt auch nicht ein Prinzip der Eigenorganisation der Gemeinde, demgegenüber jede staatliche Vorgabe einer spezifischen Rechtfertigung bedürfte. Dies ist weder ... historisch begründet, noch entspricht dem die derzeitige Ausfonnung des Kommunalrechts. Dieses setzt mit seinen zahlreichen Regelungen zur Organisation der Gemeinden ersichtlich eine weitgehende Befugnis des staatlichen Gesetzgebers voraus, der Regelung von Organisationsstrukturen seine Vorstellungen zugrundezulegen,,26. Die umfangreichen Regelungsbefugnisse des Gesetzgebers im Bereich der Organisationshoheit begründet das Bundesverfassungsgericht also vor allem geschichtlich, wonach die Organisationshoheit "historisch als eigenes Element der Selbstverwaltungsgarantie nur eingeschränkt belegt,,27 sei. Selbstverständlich arbeitet auch der Verfassungsgerichtshof mit den Gemeindehoheiten. In einer früheren Entscheidung stellt er fest: "Gewiß ist den Gemeinden - über den hier nicht einschlägigen Tätigkeitskreis des Art. 83 I BV hinaus - außer der Verwaltungsautonomie, wozu auch die Personalhoheit gehört, die Satzungsautonomie, das heißt das Recht, die eigenen Angelegenheiten durch Satzung zu ordnen, sowie die Organisationshoheit, das heißt das Recht, unter anderem ihre Bürgenneister zu wählen, ausdrücklich anerkannt,,28. Die Allseitigkeit des gemeindlichen Wirkungs24 25
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Vgl. nur Stern in: BK, Art. 28 Rn. 94ff. BVerfGE 83, 363/382; vgl. auch BVerfGE 91, 228/240. BVerfGE 91, 228/240. BVerfGE 91, 228/236f.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
kreises im örtlichen Bereich und die Gebietshoheit sowie die Personal-, Finanz- und Verwaltungshoheit werden vom Verfassungsgerichtshof dem Kern des Selbstverwaltungsrechts zugezählt 29 • Bezugnehmend auf die Aufzählung der Aufgabenfelder in Art. 83 I BV, die den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden konturieren, formuliert der Verfassungsgerichtshof: "Kennzeichnend für das Selbstverwaltungsrecht ist die Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden in diesem Bereich. In diesem Sinn steht den Gemeinden das Selbstverwaltungsrecht für jeden einzelnen Tätigkeitsbereich des eigenen Wirkungskreises ZU,,30.
b) Insbesondere: Die Finanzhoheit Im Zusammenhang mit der Erörterung des modalen Elements der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie soll nur die Finanzhoheit behandelt werden, die naturgemäß in der letzten, durch leere Kassen der kommunalen Kämmerer gekennzeichneten Zeie l besonders die Rechtsprechung beschäftigte 32 • Sie gewährt den Gemeinden die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Regelung ihrer Finanzen im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens 33 . Das Bundesverfassungsgericht hat es bisher offengelassen, ob Art. 28 11 1 GG eine finanzielle Mindestausstattung oder eine angemessene Finanzausstattung gewährleistet34 • Eine Klärung dieser Rechtsfrage sollte auch nicht die Neufassung von Art. 28 11 GG 35 bewirken 36 . 28 BayVerfGH 20, 1011109. Es erscheint nicht als besonders glücklich, wenn der Verfassungsgerichtshof die Organisationshoheit solchermaßen definiert bzw. durch ein solches Beispiel erläutert. Zur Organisationshoheit gehört vor allem das Recht, für die Wahrnehmung der kommunalen Aufgaben Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten festzulegen sowie innerhalb des gesetzlichen Rahmens eigene Organe zu kreieren, vgl. Lissack, § 1 Rn. 81. Die ausdrückliche Garantie der Wahl der gemeindlichen Hauptorgane in Art. 11 11 2 BV findet ihre Begründung in dem Umstand, daß im Verlauf der Geschichte gemeindliche Organe oftmals staatlich bestellt wurden. 29 BayVerfGH 31, 99/122. 30 Stereotype Formulierung; vgl. nur BayVerfGH 45, 33/43; 47, 165/172; 49, 79/86. 31 Die Klage über die schlechte Finanzausstattung der Kommunen ist freilich keine neue Erscheinung, vgl. nur Henrichs, DVBI. 1954, 728/732. Vgl. auch die frühen Entscheidungen des BayVerfGH 5, 1 und 12,48. 32 Vgl. nur BayVerfGH 41, 140; 45, 33; 45, 157; 49, 37; 50, 15. 33 Vgl. nur BayVerfGH 50,15/40 m.w.N. 34 BVerfGE 83, 363/386; vgl. auch BVerfGE 86, 148/222ff. 35 Art. 28 11 3 GG lautet: "Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung." 36 Vgl. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission 5/93, S. 90ff.
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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Die Finanzhoheit ist durch Art. 83 11 BV gewährleistet. Zur Finanzhoheit rechnet der Verfassungsgerichtshof das Recht der Gemeinden, ihren Bedarf durch öffentliche Abgaben zu decken 37 • Neuerdings judiziert der Verfassungsgerichtshof, daß das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden auch einen "gegen das Land gerichteten Anspruch auf eine angemessene Finanzausstattung 38 (,finanzielle Mindestausstattung')" umfasse 39 • Diese Feststellung erstaunt insoweit, als der Verfassungs gerichtshof die Begrifflichkeiten von finanzieller Mindestausstattung und angemessener Finanzausstattung gleichzusetzen scheint. Daß aber zwischen diesen bei den topoi inhaltlich wohl doch ein Unterschied besteht, sollte auch der Verfassungsgerichtshof gesehen haben, führt er doch selbst aus: "Das Bundesverfassungsgericht hat es bisher offengelassen, ob zu der von Art. 28 11 GG umfaßten kommunalen Finanzhoheit über eine eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft hinaus auch eine angemessene Finanzausstattung oder jedenfalls eine finanzielle Mindestaustattung gehört ... ,,40. Darüber hinaus hat der Verfassungsgerichtshof auch den Begriff der "ausreichenden" Finanzausstattung eingeführt41 , so daß man daran zweifeln kann, ob dem Verfassungsgerichtshof die Vermittlung der Unterscheidung zwischen angemessener und ausreichender bzw. einer dem Mindestmaß genügenden Finanzausstattung gelungen ist. Die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs zum Anspruch auf die finanzielle Ausstattung hinterlassen den Eindruck einer gewissen Austauschbarkeit dieser Begrifflichkeiten42 . Man wird die oben erwähnten Entscheidungen jedenfalls dahingehend deuten müssen, daß den Gemeinden zwar prinzipiell ein Anspruch auf angemessene Finanzausstattung zukommt. Der Gesetzgeber kann jedoch bei "knappen finanziellen Möglichkeiten des Landes" diesen Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung reduzieren. "Der Anspruch der Kommunen auf Sicherstellung einer angemessenen Finanzausstattung wird vor allem 37 Vgl. im einzelnen Lissack, § 6 Rn. 12ff; vgl. auch BayVerfGH 41, 140/ 146ff.; BayVerfGH 45, 33 ff. 38 Einige Landesverfassungen schreiben ausdrücklich einen gegen den Staat gerichteten Anspruch auf Sicherung (zum Beispiel durch Finanzausgleich) der erforderlichen Mittel zur Durchführung der Aufgaben des eigenen und übertragenen Wirkungskreises fest, vgl. Art. 49 Verfassung von Rheinland-Pfalz, Art. 137 V Hessische Verfassung, Art. 93 Verfassung von Thüringen. 39 Vgl. BayVerfGH 49,37/51; BayVerfGH 50, 15/41; vgl. auch BayVerfGH Vf. 24-VII-94, Entscheidung vom 12. Januar 1998. Aus der früheren Rechtsprechung BayVerfGH 5, 1/9; 12, 48/54. 40 BayVerfGH 49, 37/51 und 50, 15/42 unter Verweis auf BVerfGE 83, 363/386 und BVerfGE 86, 148/220f. 41 BayVerfGH 49, 37/54. 42 Henneke geht davon aus, daß der Verfassungs gerichtshof terminologisch nicht zwischen aufgabenangemessener Finanzausstattung einerseits und einer finanziellen Mindestausstattung andererseits unterscheide. vgl. DÖV 1998, 330/332.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
begrenzt durch die finanzielle Leistungsfahigkeit des Staates. Der den Gemeinden verbleibende Spielraum für die freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben richtet sich deshalb nach den konkreten finanziellen Möglichkeiten des Landes. Da es neben dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht noch zahlreiche andere, gleichwertige Güter zu schützen und zu erhalten gilt ... , kann sich dieser Spielraum bei sehr knappen finanziellen Möglichkeiten des Landes auf ein Minimum reduzieren,,43. Der Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung ist im Rahmen des Kembereichs des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts gewährleistet44 . Diese Rechtsprechung im Auge darf die Frage gestellt werden, wer beurteilen soll, welche Finanzsituation des Landes welche Finanzausstattung der Kommunen zur Folge hat. Ob die konkreten finanziellen Möglichkeiten des Landes eine bessere Ausstattung der Gemeinden zulassen oder nicht, ob im Sinne dieser Rechtsprechung von "sehr knappen finanziellen Möglichkeiten des Landes" gesprochen werden darf, kann in Konsequenz dieser Rechtsprechung nur eine der Beantwortung des Landesgesetzgebers obliegende Frage sein. Tatsächlich hat sich jedoch damit der Verfassungsgerichtshof auf die Kontrolle der finanziellen Mindestausstattung zurückgezogen. Die finanzielle Mindestausstattung der Gemeinden ist aber erst dann nicht mehr gegeben, wenn die Finanzausstattung, die den Gemeinden zur Verfügung steht, "offensichtlich nicht ausreicht,,45, genauer: wenn den Gemeinden nur noch eine solche Ausstattung zukommt, daß diese gerade noch die Pflichtaufgaben des eigenen Wirkungskreises erfüllen können, freiwillige Aufgaben aber weitgehend nicht mehr wahrgenommen werden könnten46 . In einem solchen Fall wäre nämlich die Eigenverantwortlichkeit, wäre der modale Bezug auf das "Wie" bzgl. der Pflichtaufgaben reduziert. Die Beurteilung, "ob" eine Angelegenheit wahrgenommen wird oder nicht, würde nicht mehr im Ermessen der Gemeinden liegen. Daß aber selbst der Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung in der Rechtsprechung durchaus eine bedeutende Rolle spielen kann, zeigt die Entscheidung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 25. November 1997, in der dieser Anspruch als nicht erfüllt angesehen wurde 47 . Die Problematik des Anspruchs auf finanzielle Mindestausstattung liegt darin, daß er in letzter Konsequenz ein absoluter, bezifferbarer Anspruch sein müßte und daher als Maßstab für die Beurteilung einzelner, die Gemeindefinanzen regelnde oder jedenfalls berührende Normierungen einen großen Ermittlungsaufwand erfordert. Denn die Anwendung dieses Grund43 44 45
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BayVerfGH 50, 15/42 f. BayVerfGH 50, 15/43. BayVerfGH 50, 15/44 (Leitsatz 2). BayVerfGH 50, 15/41 f. NdsStGH NdsVBI. 1998, 43ff.
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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satzes macht es zunächst nötig. "das Gesamtvolumen der gemeindlichen Einnahmen einschließlich der staatlichen Zuwendungen" zu ermitteln und dies ins Verhältnis zu den den Gemeinden obliegenden Aufgaben zu setzen48 . Der Verfassungsgerichtshof hat die finanzielle Mindestausstattung als derzeit gegeben angesehen 49 . Soweit einzelne. die Finanzausstattung berührende Regelungen inmitten stehen. reduziert der Verfassungsgerichtshof deswegen folgerichtig die Prüfung weitestgehend auf eine Prüfung des Willkürverbots und des Prinzips der Systemgerechtigkeit. ohne daß damit aber zwingend eine Beurteilung der Höhe der zugewiesenen Mittel einhergehen müßte; vielmehr lassen diese Prinzipien auch eine rein formale Beurteilung der gesetzlichen Regelungen zu 50 . 3. Die Ausgestaltung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts a) Gesetzesvorbehalt oder Regelungsvorbehalt; eine zunächst terminologische Betrachtung
Gemäß Art. 11 11 2 BV bzw. Art. 28 11 1 GG ist den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung nur "im Rahmen der Gesetze" gewährleistet. Die Frage, ob es sich bei dem Vorbehalt des Art. 28 11 1 GG (die bayerisc he Regelung war zu keiner Zeit Anlaß zu vertiefter Diskussion) um einen echten Gesetzesvorbehalt handelt, war nie eine rein terminologische. sondern immer verbunden mit einer Diskussion um die Reichweite und Intensität gesetzgeberischer Eingriffs- oder Gestaltungsmöglichkeiten. weil die Interpretation der Formel "im Rahmen der Gesetze" Auswirkungen auf das Verständnis des Rechts- und Schutzgehalts der Selbstverwaltungsgarantie hat bzw. wechselseitige Interdependenzen zwischen Struktur des Selbstverwaltungsrechts und Ausgestaltungsmöglichkeit bestehen. Zunächst geht es hier nur um die Terminologie; vorausgreifende Ausflüge in eine materiellrechtliche und dogmatische Betrachtung sollen an dieser Stelle so weit als möglich vermieden werden. Noch vor der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes sah die Literatur diesen Vorbehalt überwiegend als einen echten Gesetzesvorbehalt an 51 • Andere Konzeptionen konnten sich nicht durchsetzen. etwa Burmeisters Ansicht im Rahmen seiner "Verfassungstheoretischen NeukonzepBayVerfGH 49. 37/53. BayVerfGH 49, 37/53ff.; eingehender 50. 15/44ff. 50 Anders wohl Henneke (DÖV 1998. 330/335). der allerdings zu dem zutreffenden Schluß gelangt, daß damit de facto der Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung im Kernbereich verankert sei. das Prinzip der aufgabenangemessenen Finanzausstattung im Randbereich der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung. 51 Vgl. nur Stern in: BK, Art. 28 Rn. 113 ff.; v. Mutius, Gutachten E zum 53. DJT 1980. S. E 37ff.; ders., Jura 1982, 28/37; Blümel, Wesensgehalt und Schran48
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
tion der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie", wonach Art. 28 11 GG mit der Formel "im Rahmen der Gesetze" einen Schrankenvorbehalt im Sinne rahmenrechtlicher Bestimmungen darstellen soll52. In Bezug auf die bundesverfassungsgerichtliehe Rechtsprechung wurde nach der Rastede-Entscheidung die Frage gestellt, ob das Bundesverfassungsgericht angesichts der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers in Art. 28 11 1 GG noch von einem Gesetzesvorbehalt spreche oder nicht. Insbesondere Schink53 ist der Ansicht, daß in der Rastede-Entscheidung nicht mehr von einem Gesetzesvorbehalt, sondern ähnlich der Regelungsbefugnis des Art. 14 I 2 GG 54 davon die Rede sei, daß die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung der gesetzlichen Ausgestaltung und Formung bedürfe55 . Zwar verwendet das Bundesverfassungsgericht in der Rastede-Entscheidung noch durchaus den Begriff des Gesetzesvorbehalts56 , was auch Sc hink sieht57 . Insbesondere benützt es den Begriff des Gesetzesvorbehalts sogar in Leitsatz 1 der Rastede-Entscheidung, so daß Schinks Ansicht unberechtigt erscheinen könnte. Allerdings vermied das Gericht in der Folgezeit strikt den Begriff des Gesetzesvorbehalts. In der Krankenhausumlage-Entscheidung58 sprach es tatsächlich nur davon, daß die Befugnis zur eigenverantwortlichen Regelung von Angelegenheiten "nur nach Maßgabe der Gesetze" bestehe, der Gesetzgeber dürfe "inhaltliche Vorgaben" machen 59 . Und im Gleichstellungsbeauftragtenbeschluß60 wurde unter Verweis auf den Krankenhausumlagebeschluß nur noch der Verfassungstext "im Rahmen der Gesetze" zitiert61 . Der Verfassungsgerichtshof spricht jedenfalls in seiner Entscheidung vom 27.2.1997 noch ausdrücklich von einem Gesetzesvorbehalt62 . Zwar vermied er in einer vorhergehenden Entscheidung63 diesen Sprachgebrauch und konzedierte dem Gesetzgeber das Recht, Inhalt und Schranken des Selbstverken des kommunalen Selbstverwaltungsrechts in: FS für von Unruh, S. 298 ff. m.w.N. 52 Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, S. 84ff./86ff. 53 Schink, VerwArch. 81 (1990), 385/395. 54 So auch Schoch, VerwArch. 81 (1990), 18/27. 55 Vgl. BVerfGE 79,127/143. 56 BVerfGE 79, 127/143, 145, 146. 57 Schink, VerwArch. 81 (1990),385/395, Fn. 61. 58 BVerfGE 83, 363 ff. Diese Entscheidung ist vom 7. Februar 1991 und erging somit nach Erscheinen des Beitrags von Schink. 59 BVerfGE 83, 363/382. 60 BVerfGE 91, 228ff. 61 BVerfGE 91, 228/238. 62 BayVerfGH 50, 15/47. 63 BayVerfGH 49, 79.
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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waltungsrechts festzulegen 64, womit er unübersehbar den Bezug zu Art. 14 I 2 GG herstellte. Allerdings läßt sich das Fehlen der Begrifflichkeit des Gesetzesvorbehalts auch darauf zurückführen, daß in dieser Entscheidung kein finaler, sondern allenfalls ein faktischer Aufgabenentzug inmitten stand65 . Auch in der Bürgerbegehren-Entscheidung wird nicht ausdrücklich von einem Gesetzesvorbehalt gesprochen, sondern vielmehr ist die Rede von der Befugnis des Gesetzgebers, die Einzelausgestaltung von Inhalt und Umfang des Selbstverwaltungsrechts vorzunehmen, wobei ihm ein weiter normativer Entscheidungsspielraum zukomme66 . In Anbetracht der oben erwähnten Entscheidung vom 27.2.1997 wird man aber nicht annehmen dürfen, daß der Verfassungsgerichtshof nicht mehr die Begrifflichkeit des "Gesetzesvorbehalts" verwenden wolle. Hätte der Verfassungs gerichtshof den Begriff des Gesetzesvorbehalts aus der Sprache des Kommunalrechts verbannen wollen, so hätte es bei all den Bezugnahmen auf die eigentumsrechtliche Institutsgarantie doch nahegelegen, entsprechend der Eigentumsdogmatik von "Regelungsvorbehalt" zu reden. Solange dies nicht geschieht, ist nicht ersichtlich, weshalb man nicht weiterhin von Gesetzesvorbehalt sprechen können sollte. Dies gilt auch deswegen, weil es sich hierbei um den eingängigsten Begriff handelt. b) Reichweite des Gesetzesvorbehalts Für das Bundesverfassungsrecht war es in der Literatur zunächst umstritten, ob sich der Gesetzesvorbehalt in Art. 28 11 1 GG nur auf das modale 67 , oder ob er sich nur bzw. auch auf das aufgabenbezogene Element des Selbstverwaltungsrechts bezieht68 • Allerdings wollte der weitaus überwiegende Teil der Literatur den Gesetzesvorbehalt sowohl auf Aufgabengarantie als auch modalen Aspekt beziehen69 . Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in der Rastede-Entscheidung seine Rechtsprechung folgen dermaBayVerfGH 49, 79/90. BayVerfGH 49, 79/90. 66 BayVerfGH 50, 181/204. 67 So Knemeyer, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden und Landkreise in: FS für von Unruh, 209/224; Clemens, Die Verfassungs garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Bild der Rechtsprechung des Bundesverfassunsgerichts, StT 1986,258/260. 68 Vgl. nur Schunck, Die verfassungsrechtliche Sicherung der Selbstverwaltung der Gemeinden in: FS für Müller, S. 478; v. Mutius in: Gutachten E zum 53. DIT, S.E37f. 69 Ein guter Überblick über den Streitstand vor der Rastede-Entscheidung findet sich bei Burmeister, Neukonzeption, S. 91 f. Im übrigen vgl. nur v. Mutius, Jura 1982, 28/37 unter Aufgabe seiner früheren Ansicht, wonach es dem Gesetzgeber lediglich gestattet sei, den Umfang der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu beschränken (vgl. diesbezüglich v. Mutius in: Gutachten E zum 53. DIT, S. E 37f.). 64 65
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
ßen: "Der Gesetzesvorbehalt des Art. 28 11 1 GG umfaßt nicht nur die Art und Weise der Erledigung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, sondern ebenso die gemeindliche Zuständigkeit für diese Angelegenheiten. Zwar ließe vom Wortlaut her die Stellung der Worte ,im Rahmen der Gesetze' innerhalb der Vorschrift auch eine andere Deutung zu. Um Sinngehalt und Tragweite der Grundrechtsbestimmungen und anderer Garantienormen, denen oft eine lapidare Sprachgestaltung zu eigen ist, richtig zu erfassen, ist jedoch der Blick auf das rechtliche und historische Umfeld der Entstehung der Verfassungsnorm sowie auf ihre Zielrichtung erforderlich, wie sie sich in den Beratungen darstellte und wie sie schließlich im Normzusammenhang ihren Ausdruck gefunden hat. Hieraus ergibt sich, daß die Abgrenzung des Aufgabenkreises der Gemeinden einer Regelung durch den Gesetzgeber stets offenstand und - mit den in Art. 28 11 1 GG enthaltenen Beschränkungen - auch nach dem Grundgesetz offenstehen soll,,70. Auch der Verfassungs gerichtshof hat von Beginn an den Gesetzesvorbehalt des Art. 11 11 2 BV nicht nur auf die Art und Weise der Erledigung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, sondern auch auf die gemeindliche Zuständigkeit für diese Angelegenheiten bezogen. Zwar wurde diese Frage in der Entscheidung zur Beschränkung der Zuständigkeit der Gemeinden im Vo1ksschul- und Berufsschulwesen 71 noch ausdrücklich offengelassen, da Art. 83 I BV in diesem Bereich als immanent beschränkt angesehen wurde 72. Ebenfalls eine immanente Beschränkung eines in Art. 83 I BV enthaltenen Aufgabengebiets nahm der Verfassungsgerichtshof für die Gewährleistung der "örtlichen Polizei" an 73. Allerdings klärte er kurz darauf, daß auch das Recht der Gemeinde, auf den in Art. 83 I BV genannten Gebieten tätig zu werden, unter dem Gesetzesvorbehalt des Art. 11 11 2 BV steht, auf den Art. 83 I BV zur Erläuterung des Begriffs "eigener Wirkungskreis" ausdrücklich verweist. Der Gesetzgeber ist also auch nach bayerischem Verfassungsrecht befugt, den Aufgabenkreis näher zu umschreiben und ihn im einzelnen festzulegen 74. c) Der Kembereich als Prüfungskriterium
Was die Reichweite gesetzgeberischer Beschränkungsmöglichkeit angeht, so unterscheidet das Bundesverfassungsgericht auch nach Rastede weiter den Kernbereich des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts von einem BVerfGE 79, 127 (Leitsatz 1)/l43ff. BayVerfGH 4, 251 ff. n BayVerfGH 4,251/279. 73 BayVerfGH 4, 251/278 f. 74 BayVerfGH 10, 113/121; st. Rspr.; aus der jüngsten Rspr.: BayVerfGH 49, 79/ 86f. 70 71
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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weniger geschützten Randbereich (sog. "Spiegeleimodell,,75; das Bundesverfassungsgericht nennt den Randbereich das "Vorfeld der Sicherung des Kernbereichs,,76 bzw. Bereich "jenseits dieses engsten Bereichs"n). Allerdings ist dieser Kernbereich in der jüngeren bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur - einem verbreiteten literarischen Vorurteil zuwider7s - nicht mehr für unantastbar erklärt. Richtig ist, daß das Bundesverfassungsgericht noch 1979 feststellte, Beschränkungen der Selbstverwaltung seien nur dann mit Art. 28 11 GG vereinbar, wenn sie den Kernbereich unangetastet ließen. Änderungen, die in der Linie einer "vernünftigen" Fortentwicklung des Systems lägen, seien zulässig, wenn sie nicht zur Aushöhlung des Selbstverwaltungsrechts führten. Diese Aussagen wurden als ständige Rechtsprechung gekennzeichnet79 . Inzwischen formuliert das Bundesverfassungsgericht allerdings anders: "Zunächst setzt der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie dem Gesetzgeber eine Grenze; hiernach darf der Wesens gehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht ausgehöhlt werden"so. Fraglich erscheint, ob das Bundesverfassungsgericht durch diese Formulierung nur eine sprachliche Straffung im Auge hatte, oder ob auch eine inhaltliche Änderung der Rechtsprechung beabsichtigt war. Denn es ist etwas anderes, ob der Kernbereich einer Garantie für unantastbar erklärt wird, oder ob der Wesensgehalt nur nicht ausgehöhlt werden darf; im ersten Fall ist bereits jede Regelung, die den Kernbereich tangiert, verfassungswidrig. Eine Aushöhlung hingegen wäre wohl eher vergleichbar einer Auszehrung. Eine solche Differenzierung dürfte aber zu weit gehen. Zunächst ist festzustellen, daß in der Literatur seit langem die Begriffe "Wesensgehalt", "Kernbereich", "Grundbestand" oder auch "unantastbares Minimum" synonym gesetzt wurdensI. Gerade in dieser Wesensgehaltgarantie der kommunalen Selbstverwaltung liegt die eigentliche Bedeutung der verfassungsrechtlichen Garantie als institutionelle Garantie im Schmittschen Sinne s2 bzw. im Sinne des Staatsgerichtshofs s3 . Damit ist zugleich aber auch Vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 516ff. BVerfGE 91, 228/239. 77 BVerfGE 79,1271147. 78 Vgl. nur Schink, VerwArch. 81 (1990), 385/394f; Bethge, Die Verwaltung 15 (1982), 205/212. 79 BVerfGE 52, 116f. 80 BVerfG 79, 1271146; vgl. auch BVerfGE 76, 1071118; 91, 228/238. 81 Vgl. nur Blümel, Wesensgehalt, S. 269, Fn. 15. 82 Schmiu, Verfassungslehre, S. 170ff; ders. Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, S. 140ff.; vgl. auch v. Mutius, Jura 1982, 28/38. 83 Vgl. StGH vom 11.12.1929 in: Lammers/Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, S. 99 ff. 7S
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
gesagt, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 84 zum Wesensgehalt bzw. Kembereich nicht der Grundrechtsschrankendogmatik (Art. 19 11 GG als positivierte "Schranken-Schranke,,85) entlehnt ist, wie dies teilweise in der Literatur behauptet worden ist86 . Vielmehr ist die Struktur der für die institutionellen Garantien schon unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung entwickelten Wesensgehaltgarantie durch Schaffung des Art. 19 11 GG der Grundrechtsschrankendogmatik dienstbar gemacht worden 87 . Weitestgehende Einigkeit bestand in Literatur und Rechtsprechung ebenfalls seit langem darüber, daß die Wesensgehalt- bzw. Kembereichsgarantie den Wesensgehalt/Kembereich der kommunalen Selbstverwaltung "absolut gesetzesfest" macht. Teilweise wurde plakativ von einer "Wesensgehaltsperre,,88 gesprochen. Das Bundesverfassungsgericht dürfte also durch die oben zltierte, neue Formulierung nicht von der bisherigen Ansicht abgewichen sein; eine solche Abwendung von der Unantastbarkeit des Kembereichs wäre wohl auch deutlicher gemacht worden. Für die Beibehaltung der alten Ansicht spricht vor allem, daß in den jüngeren Urteilen stets die gesamte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht zur Bestätigung der Wesensgehaltsrechtsprechung in Anspruch genommen wird 89 . Wahrscheinlicher ist somit eine rein sprachliche Verkürzung, die allerdings der Klarheit nicht zum Vorteil gereicht Zur Bestimmung des Inhalts des Kembereichs, der nur eine institutionelle, nicht aber "ohne weiteres" eine individuelle Absicherung der Gemeinden bewirkt90, wendet das Bundesverfassungsgericht seit jeher91 vor allem die sog. "Historische Methode,,92 an. Hierbei handelt es sich um ein Vgl. nur BVerfGE 1,167/174; 38, 258/278; 76,107/118. Ein letztlich häßlicher und auch sachlich wenig treffender Begriff, da Art. 19 II GG genauso wie die anderen "Schranken-Schranken" tatsächlich eine Beschränkung von Beschränkungsmöglichkeiten darstellt. 86 So Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, S. 29. Ebenfalls verkennt dies Frers in DVBI. 1989, 449, der über die Rastede-Entscheidung sagt, durch sie nähere das Bundesverfassungsgericht die Dogmatik zu Art. 28 II 1 GG der Grundrechtsdogmatik an, weil auch bei der Grundrechtsdogmatik zwischen der Betroffenheit der Grundrechte im Schutzbereich und im Kernbereich unterschieden werde. 8? Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 532, Fn. I. Siehe auch Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 143 ff. 88 Vgl. Blümel, Wesensgehalt, S. 269. 89 Vgl. nur BVerfGE 91, 228/238; hier wird auf BVerfGE I, 1671174f. Bezug genommen. 90 BVerfGE76, 107/119. 91 Vgl. BVerfGE 7, 358/364; 11,266/274; 17, 1721182; 22, 180/205; 23, 3531 356; 26,228/238; 38. 258/278; 50, 195/201; 59, 216/226. 84
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1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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Hilfsinstrument zur positiven Bestimmung und Umschreibung des Kembereichs, wobei in besonderer Weise der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung zu tragen 93 ist94 . Das bedeutet jedoch nicht, daß die kommunale Selbstverwaltung zur Versteinerung verdammt wäre, vielmehr ist der geschichtlichen Entwicklung (nur) Rechnung zu tragen, so daß Änderungen, die in der Linie einer Fortentwicklung des überkommenen Systems liegen, auch dann zulässig sind, wenn sie ohne Vorbild und daher neu sind95 . Das Bundesverfassungsgericht wandte die Historische Methode zum Beispiel im Krankenhausumlagebeschluß an. Dort forderte es vom Gesetzgeber, dieser habe die "überkommenen identitätsbestimmenden Merkmale - den sog. Wesensgehalt - der gemeindlichen Selbstverwaltung zu beachten; was herkömmlich das Bild der gemeindlichen Selbstverwaltung in ihren verschiedenen historischen und regionalen Erscheinungsformen durchlaufend und entscheidend prägt,,96, dürfe weder faktisch noch rechtlich beseitigt werden. Die Historische Methode leistete dem Bundesverfassungsgericht auch in jüngster Zeit bei der Entscheidungsfindung anläGlich der Frage nach der Zulässigkeit der landesgesetzlichen Einführung einer hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten durch die Gemeindeordnung Schleswig-Holsteins Hilfe. Ausdrücklich - sogar durch Leitsatz - wurde am Kembereichsdenken festgehalten 97 . Der Kembereich wird dabei denkbar klein gefaßt, er verbietet nur "Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfahigkeit der Kommunen im Ergebnis ersticken würden,,98.
92 Vgl. nur Stern, Staatsrecht I, S. 416; Nierhaus in: Sachs, M. (Hrsg.): Grundgesetz, Art. 28 Rn. 50; Schink, VerwArch. 81 (1990), 385/399. 93 BVerfGE 79,127/146; 91, 228/238. 94 Maurer weist darauf hin, daß Art. 28 II GG die tatsächliche Entwicklung nach 1945 und die Regelungen der Landesverfassungen aufnimmt. Deshalb sei es bei der historischen Betrachtung angebracht, nicht bei den Bestimmungen des 19. Jahrhunderts und der Weimarer Zeit und der dazu ergangenen Rechtsprechung und Literatur stehenzubleiben, sondern es müsse auch und vor allem die unmittelbare Vorgeschichte des Grundgesetzes beachtet werden. Wird im Rastede-Beschluß (BVerfGE 79, 1271144, 149) auf die Nachkriegsverfassungen eingegangen, so sind sie für spätere Entscheidungen wieder ausgeblendet, vgl. insbesondere BVerfGE 91, 228/236 (Maurer, Verfassungsrechtliche Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung, in: Schoch, F. (Hrsg.): Selbstverwaltung der Kreise in Deutschland, S. 1 ff.). 95 An dieser Wendung zeigt sich, daß das Gericht die Bedeutung der Historischen Methode bereits selbst relativiert hat, wohl aus der Erkenntnis, daß einerseits verfassungsgeschichtliche Entwicklungen alleine keine Legitimation vermitteln können, andererseits aktuelle Probleme mit dieser Methode nicht gelöst werden können. 96 BVerfGE 83, 363/381. 97 BVerfGE 91, 228/236f. 98 BVerfGE 91, 228 (Leitsatz 2a)/239. Auf den intellektuellen Aufwand, solcherlei Kernbereiche zu konturieren, wird aber wohl verzichtet werden können, da nicht
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I. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
Letztgenanntes Beispiel demonstriert, wie schwierig es ist, den absolut geschützten Kernbereich im streitbefangenen Einzelfall festzulegen. Letztlich forderte das Wesensgehaltsdenken zunächst eine abstrakte Betrachtung des Bestands der kommunalen Selbstverwaltung, aus dem dann das schlechthin Charakteristische und Kennzeichnende herausdestilliert werden müßte. Im Bereich der Gemeindehoheiten stellte das Bundesverfassungsgericht fest, daß die Gebietshoheit, die Organisationshoheit, die Personalhoheit, die Finanzhoheit und die Satzungshoheit zu den wesentlichen Hoheitsrechten zu zählen seien99 • Offengelassen wurde, ob bzw. inwieweit die Planungshoheit zum Kernbereich gehört. Da nun aber die sog. Gemeindehoheiten nicht vollständig, also jede in ihrer gesamten Weite dem Kernbereich zugerechnet werden können, müßte für jede Gemeindehoheit stets neu gefragt werden, welche Agenden von Verhaltensweisen und Berechtigungen den Wesensgehalt des Selbstverwaltungsrechts ausmachen 100. Da eine solche abstrakte Bestandsaufnahme wohl niemals gelingen kann und einen unerhörten Aufwand erforderte, wird de facto der "Kernbereich" durch eine Betrachtung der Eingriffswirkungen auf die kommunale Selbstverwaltung "ermittelt". Es scheint so zu sein, daß der Kernbereich vor allem durch die Intensität eines gesetzgeberischen Eingriffs und dessen Wirkungen auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht insgesamt gekennzeichnet ist 101 • Damit ist übergeleitet zur sog. Subtraktionsmethode, die darnach fragt, welche Aufgaben in quantitativer und qualitativer Hinsicht bzw. welche Entscheidungsmöglichkeiten den Gemeinden nach dem Eingriff noch verbleiben. Sie ist die eigentliche, ebenfalls ergebnisorientierte Methode zur Bestimmung des Kernbereichs, wobei letztlich eine negative Abgrenzung vorgenommen wird 102. Dies zeigt sich deutlich bei der bereits erwähnten und zitierten Gleichstellungsbeauftragten-Entscheidung: "Der Kernbereich verbietet Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen im Ergebnis ersticken würden. Dies wäre der Fall bei einer Regelungsdichte, die den Gemeinden die Möglichkeit nähme, eine Hauptsatzung zu erlassen oder ihnen hierbei keinerlei Entscheidungsspielraum mehr beließe, oder wenn die Organisation der Gemeinden durch staatliche Behörden beliebig steuerbar wäre. Ein Gesetz etwa, das Verwaltungsbehörden im Rahmen der Fachaufsicht umfassend hinsichtlich der Organisarecht einsehbar ist, welcher Gesetzgeber ein Interesse an einem diesem Kembereich zuwiderlaufenden Gesetz haben sollte. 99 BVerfGE 52, 95/l17. 100 Vgl. auch Blümel, Wesens gehalt und Schranken des kommunalen Selbstverwaltungsrechts, S. 275 f. m. w. N. 101 Vgl. Lissack, § 1 Rn. 108. 102 Vgl. v. Mutius, Jura 1982, 28/38f.
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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tion ihr unterstehender Gemeinden ein jederzeit aktualisierbares Weisungsrecht einräumte, wäre im Hinblick auf Art. 28 11 GG Bedenken ausgesetzt. Gleiches gälte für ein Verbot, überhaupt andere als gesetzlich vorgegebene Ämter zu errichten. Ebenso könnte eine die zentralen Vertretungs- und Ausführungsorgane lähmende Zergliederung der Verwaltung auf Bedenken stoßen" 103. Die Aufzählung dieser Beispiele ist Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit angesichts der Aufgabe, den Kernbereich mit Leben erfüllen zu müssen und verdeutlicht, daß das Bundesverfassungsgericht letztlich die Intensität des Eingriffs über die Berührung des Kernbereichs entscheiden läßt. Auch der Verfassungsgerichtshof unterscheidet einen absolut geschützten, unantastbaren Kernbereich bzw. Wesensgehalt und einen Randbereich ("Bereich außerhalb des Kernbereichs der Selbstverwaltung") 104, sagt aber noch ganz ausdrücklich: "Kernbereich und Wesensgehalt sind für ihn (den Gesetzgeber) unantastbar". Die Kernbereichssicherung wird - in Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht lO5 - nur institutionell, nicht ohne weiteres auch individuell in bezug auf jede einzelne von dem Gesetzesvorhaben betroffene Gemeinde gewährleistet lO6 • Der Verfassungsgerichtshof arbeitet ferner mit der oben erwähnten "Historischen Methode". Auch hier soll die Historische Methode nicht allgemein zur Umschreibung zulässiger Beschränkungen des Selbstverwaltungsrechts dienen, wie man unter Umständen folgendem - in ähnlicher Weise ständig wiederholtem - Zitat entnehmen könnte: "Der Gesetzgeber darf daher auch hier innerhalb gewisser verfassungsrechtlicher Schranken die Aufgaben und Befugnisse der Gemeinden näher umschreiben und im einzelnen festlegen. Zur Bestimmung dieser verfassungsrechtlichen Schranken bedarf es der Untersuchung, welche Bedeutung dem Selbstverwaltungsrecht in dem betreffenden Sachbereich ... in verfassungsrechtlicher und verfassungspolitischer Hinsicht unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung des Instituts zukommt ... ,,107. Vielmehr soll genauso wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassunsgerichts mit Hilfe der Historischen Methode untersucht werden, ob die gesetzgeberische Maßnahme einen "Kernpunkt des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts" trifft 108. Ausdrücklich weist jedoch auch der Verfassungsgerichtshof darauf hin, die Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung könne nicht bedeuten, "daß eine Regelung BVerfGE 91, 228/239. BayVerfGH 48, 79/87 m. w. N., st. Rspr. 105 BVerfGE 76, 107/119. 106 BayVerfGH 49, 79/91. 107 BayVerfGH 49, 79/87 m. w. N., st. Rspr.; vgl. auch BayVerfGH 45, 157/162; 47, 165/172f. 108 BayVerfGH 47, 165/175. 103
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nicht hingenommen werden könne, die neu und ohne Vorbild" sei 109. Und an anderer Stelle schließt er aus, daß "der Aufgabenkreis der Gemeinden in dem Umfang verbürgt werden müßte, wie sie ihnen zur Zeit der Verkündung zustanden ... Es kann demnach nicht davon ausgegangen werden, daß Art. 11 11 BV den historischen Bestand und den konkreten Aufgabenkreis der Gemeinden und Gemeindeverbände - wie ihn der Verfassungsgeber vorgefunden hat - habe sichern wollen" 110. Schließlich erfährt die sog. "Subtraktionsmethode" durch den Verfassungsgerichtshof eine AnwendungIlI. Eine Besonderheit ergibt sich allerdings aus der Rechtsprechung zu Art. 83 I BV. Der Verfassungsgerichtshof schränkt hierbei die Möglichkeiten des Gesetzgebers gravierend ein: "Dagegen ist es ihm verwehrt, auch nur eines der in Art. 83 I BV erwähnten Aufgabengebiete der Gemeinde völlig zu entziehen und sie auf die restlichen zu verweisen; denn das Selbstverwaltungsrecht besteht für jeden einzelnen Tätigkeitsbereich"ll2. Hingegen kann er den Gemeinden einzelne Aufgaben eines Aufgabengebiets entziehen, insbesondere kann er einzelne Aufgaben "gemäß Art. 10 11 BV zum eigenen Wirkungskreis der Gemeindeverbände" 113 erklären, anders fonnuliert, er kann einzelne Aufgaben "hochzonen,,114. Grund hierfür kann vor allem die mangelnde Leistungsfähigkeit kleinerer Gemeinden sein. Aber auch die Wahrnehmung einzelner Aufgaben durch die Staatsverwaltung selbst ist beim Bestehen unabweisbarer Bedürfnisse möglich bzw. geboten 115. Da es dem Gesetzgeber einerseits verwehrt ist, auch nur eines der in Art. 83 I BV erwähnten Aufgabengebiete der Gemeinde völlig zu entziehen und sie auf die restlichen zu verweisen, er andererseits den Gemeinden durchaus einzelne Aufgaben eines Aufgabengebiets entziehen darf, ist Art. 83 I BV als Vorschrift zu interpretieren, die die in ihr aufgezählten Aufgabengebiete prinzipiell, allerdings nicht in allen Ausprägungen und Facetten, zum Kernbereich erklärt. Man könnte Art. 83 I BV von der Warte des Verfassungsgerichtshofs auch als widerlegbare Kernbereichsvermutung ansehen: Fällt eine Aufgabe in einen in Art. 83 I BV aufgezählten BayVerfGH 49, 79/90. BayVerfGH 31, 99/122f. 111 BayVerfGH 49, 79/87 m.w.N., st. Rspr. 112 BayVerfGH 10, 1131121; relativierend formuliert in BayVerfGH 49, 79/87 ("grundsätzlich verwehrt"). 113 BayVerfGH 4, 251/279. Diese Erläuterung erstaunt, stellt der Verfassungsgerichtshof doch nur einen Absatz später - wie oben mitgeteilt - fest, daß es keiner weiteren Untersuchung bedürfe, "ob diese Zuständigkeit durch einfaches Gesetz auf Grund des Art. 11 II 2 BVeingeschränkt werden" könne. 114 Zum Begriff der "Hochzonung" vgl. BVerfGE 79, 1271148. 115 Zum Begriff des "faktischen Aufgabenentzugs" durch die Zulassung privater Konkurrenz in einem bisher nur durch die öffentliche Verwaltung wahrgenommenen Aufgabengebiet, vgl. BayVerfGH 49, 79/89ff. 109
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1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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Aufgabenbereich, so wird zunächst vennutet, daß sie zum Kernbereich gehöre. Unter Anwendung der Historischen Methode und der Subtraktionsmethode kann sich aber ergeben, daß just die betroffene Aufgabe für den Aufgabenbereich entbehrlich ist. Wahrscheinlich hat sich der Verfassungsgerichtshof dabei nicht nur für die vollständige Entziehung einer einzelnen Aufgabe, sondern auch eines ganzen Aufgabenbereichs eine Option eingeräumt: Dem Gesetzgeber ist es nämlich nur "grundsätzlich", wohl aber nicht ausnahmslos verwehrt, einen der in Art. 83 I BV aufgeführten Aufgabenbereiche zu entziehen oder in seinem Wesensgehalt anzutasten 116. In Bezug auf die Beschränkbarkeit des gegenständlichen Elements des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ergibt sich somit ein wesentlicher Unterschied zwischen bundesverfassungsrechtlicher und landesverfassungsrechtlicher Rechtslage: Weil der Verfassungsgerichtshof Art. 83 I BV eine aufgabengebietsbezogene Mindestgarantie entnimmt, kann das das Selbstverwaltungsrecht beschränkende Landesgesetz ein in Art. 83 I BV genanntes Aufgabengebiet "grundsätzlich" niemals vollständig entziehen. Nach Bundesverfassungsrecht gibt es aber keinen gegenständlich bestimmten oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbaren Aufgabenkatalog ll7 , so daß sich eine vergleichbare Frage erst gar nicht stellt. Im Bereich des modalen Charakters des Selbstverwaltungsrechts wird man für die oben dargestellte Finanzhoheit des Art. 83 11 BV festzustellen haben, daß der Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung, auf dessen Gewährleistung sich der Staat bei knappen finanziellen Mitteln beschränken darf, wohl der Kernbereichsgarantie im Segment der Finanzhoheit entspricht. Im Gegensatz zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das - soweit ersichtlich - noch nie die Verletzung des Kernbereichs bejaht hat, erweist sich der Verfassungsgerichtshof in der Annahme einer Verletzung des Kernbereichs bereitwilliger 1l8 . In der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Einführung des kommunalen Bürgerbegehrens und des kommunalen Bürgerentscheids nahm der Verfassungsgerichtshof an, daß die gemäß Art. 18 a VIII GO und Art. 25 a VIII LKrO nach Abgabe eines Drittels der für das Bürgerbegehren notwendigen Unterschriften und nach Einreichung des Bürgerbegehrens jeweils eintretende Sperrwirkung das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und Landkreise in ihrem Kernbereich verletze 1 19. Zum Kembereich des kommunalen Selbstverwaltungs116 Vgl. BayVerfGH 49, 79/87 m. w. N. Insoweit wird hier geringfügig anders formuliert als etwa in BayVerfGH 10, 113/121, wo es noch an der Andeutung einer Ausnahmemöglichkeit fehlte. 117 BVerfGE 79, 127 (Leitsatz 2)/146. 118 Vgl. auch BayVerfGH 41, 140/146, 149f. 119 Zur Kritik an dieser Entscheidung Jung, BayVBI. 1998, 225 ff.
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l. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
rechts wurde die Funktionsfähigkeit der gewählten Organe der Gemeinden und Landkreise gezählt. Diese müßten in der Lage bleiben, eigenständig und selbstverantwortlich zu handeln, was im vorliegenden Fall durch die Sperrwirkung verhindert werden könne 12D• Die eben zitierte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist übrigens ein instruktives Beispiel dafür, wie wenig systematisch, ja nachgerade intuitiv der Verfassungsgerichtshof durch Annahme einer Kernbereichsverletzung eine Entscheidung begründet: So stellt das Gericht in Leitsatz 6 der Entscheidung, der sich auf das Fehlen eines Quorums bezieht, fest: "Der Verzicht des Gesetzgebers auf ein Beteiligungs- oder Zustimmungsquorum beim Bürgerentscheid gemäß Art. 18 a XII GO, Art. 25 XI LKrO führt im Zusammenhang mit der Bindungswirkung von drei Jahren gemäß Art. 18 a XIII 2 GO, Art. 25 a XII 2 LKrO zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung des Kernbereichs der Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise". Diese Erkenntnis im Leitsatz findet allerdings keine Entsprechung in den Urteilsgründen, es taucht der Begriff des Kernbereichs oder ein Synonym in der diesem Leitsatz korrespondierenden Passage der Begründung schlechterdings nicht auf. Vielmehr spricht die Fassung der Begründung eher für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Beurteilungsmaßstab. d) Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Prüfungskriterium
Weitgehende Einigkeit in der Literatur bestand bis zur Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dahingehend, daß als Beurteilungsmaßstab verfassungsmäßiger Grenzen nicht nur administrativer Beschränkungen des Selbstverwaltungsrechts im Einzelfall, sondern auch allgemeiner gesetzgeberischer Regelungen das Verhältnismäßigkeitsprinzip mit seinen Prüfungspunkten der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn) heranzuziehen sei 121. Es wurde insoweit als allgemeines, auch den Gesetzgeber bindendes Prinzip angesehen, das meist aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird 122. Gelegentlich wurde problematisiert, ob das Überrnaßverbot zu der Wesensgehaltssperre hinzutritt, oder ob das Überrnaßverbot die Wesensgehaltsgarantie ersetzt 123. Regelmäßig wurde angenommen, das Verhältnismäßigkeitsprinzip trete
120 BayVerfGH Vf. 8-VII-96 et al., Entscheidung vom 29.8.1997, S. 40f., vgl. auch Leitsatz 5. 121 Blüme1, Wesensgehalt, S. 286f. 122 Vgl. nur v. Mutius, Jura 1982, 28/38; vgl. auch Stern, Staatsrecht 1II/2, S. 762ff. 123 Vgl. BlümeJ, Wesensgehalt, S. 283.
I. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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neben die Wesensgehaltsgarantie und begrenze Eingriffe in das Selbstverwaltungsrecht außerhalb des Kernbereichs; eine rechtliche Konstruktion, die Schmidt-Jortzig den vielzitierten und plastischen Begriff der "Spiegeleitheorie" finden ließ 124 . In der Literatur wird zum Teil die Rastede-Entscheidung (auch) insoweit als Bruch mit der früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angesehen, als angeblich seither das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht mehr als Schranke allgemeiner gesetzgeberischer Eingriffe genannt worden sei l25 • Ob sich das Bundesverfassungsgericht auch inhaltlich vom Verhältnismäßigkeitsprinzip distanziert hat, ist deswegen in der Literatur umstritten. Es ist daher nötig, auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die der anderen Gerichte bis zur Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzugehen 126: Verstärkt seit der Rastede-Entscheidung des OVG Lüneburg 127 wurde in Rechtsprechung 128 und Literatur 129 eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht und den Freiheitsgrundrechten behauptet. Dies ging soweit, daß man die Grundsätze des Elfes-Urteils 130 auf die Prüfung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts übertragen wollte l3l . Die Rastede-Entscheidung des OVG Lüneburg war wohl deswegen bahnbrechend, weil sie einerseits im Verhältnis der kreisangehörigen Gemeinde zu den Landkreisen den Zuständigkeitsvorrang zugunsten der Gemeinden herausarbeitete, andererseits dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als "Schranken-Schranke" auch in der Dogmatik des kommunalen Selbstverwaltungsrechts eine besondere Bedeutung zukommen ließ 132. Auch das Bundesverwaltungsgericht folgte insoweit dieser Rechtsprechung und anerSchmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 516ff. Zu den Ausnahmen vgl. oben 3.a. 126 Vgl. hierzu auch Ullrich, VR 1989, 289ff. = Stadt und Gemeinde 1989, 67ff. 127 DÖV 1980, 417ff. 128 Vgl. nur BVerwG 76, 321; BVerwG DÖV 1984, 548ff.; BVerwG NVwZ-RR 1989, 377 ff. 129 Vgl. nur Hinkel, NVwZ 1985, 225ff.; Wolff/BachoflStober, Verwaltungsrecht 11, § 86 Rn. 160ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 13; Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht in: v. Münch (Hrsg.): Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl., S. 119. 130 BVerfGE 6, 32ff. 131 Aus der jüngsten Zeit noch nach der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vgl. Hoppe, DVBI. 1995, 185 m. w. N. Für die Zeit vor Rastede vgl. Brohm, DVBI. 1984, 293/296; Papier, DVBI. 1984, 453/457 m. w. N.; Pietzcker, NVwZ 1989, 6011606; Blümel, Wesensgehalt und Schranken des kommunalen Selbstverwaltungsrechts, S. 296ff.; Bethge, Aktuelle Aspekte der Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung, Die Verwaltung 15 (1982), 205/212ff. 132 Allerdings reihte das ova Lüneburg die Gemeinden in die "natürliche Fortsetzung der Linie Individuum - Familie" ein, was das Bundesverfassungsgericht nicht gelten ließ und deswegen den politisch-demokratischen Gesichtspunkt der 124 125
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungs gerichtshofs
kannte das Verhältnismäßigkeitsprinzip als wesentlichen Faktor zur Begrenzung gesetzgeberischer Eingriffe in das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht l33 außerhalb des Kembereichs 134 . Was das Bundesverfassungsgericht angeht, so kann man bzgl. der Rezeption des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Bereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts aus der Zeit vor Rastede beispielsweise den sog. Wilhelmshaven-Beschluß 135 zitieren, wobei allerdings zu bedenken ist: Inhaltlich ging es um die Rechtmäßigkeit von Regelungen des niedersächsischen Raumordnungsprogramms, um Regelungen also, die sich tatsächlich weniger rechtsnormartig im Sinn einer abstrakt-generellen Geltungsanordnung, als vielmehr konkret-individuell auswirkten. Dies gilt auch für die anderen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, bei denen im Rahmen der Prüfung der Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts das Gericht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip arbeitete, wie zum Beispiel bei dem nach Rastede ergangenen Rück-Neugliederungsbeschluß I36 . Stets ging es um gebietsreformierende oder ähnlich wirkende Maßnahmen 137, nie standen echt abstrakt-generell das Selbstverwaltungsrecht ausgestaltende Rechtsnormen zur Beurteilung an. Es ist von daher schlichtweg unrichtig zu behaupten, mit der RastedeEntscheidung habe sich das Bundesverfassungsgericht vom Verhältnismäßigkeitsprinzip als Beurteilungsmaßstab abgewandt 138 • Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht das Verhältnismäßigkeitsprinzip stets ausschließlich jenseits abstrakt-genereller Ausgestaltungen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts angelegt; dabei ist es auch nach Rastede geblieben 139. Es wendete und wendet das Verhältnismäßgkeitsprinzip dann an, wenn ein Verwaltungsakt in Normgestalt einige wenige Gemeinden betraf oder Teilnahme der Bürgerschaft an der Erledigung der örtlichen Angelegenheiten betonte (BVerfGE 79, 127/153). 133 BVerwGE 67, 321(Leitsatz 1)/323. 134 Vgl. zur Kritik an dieser Rechtsprechung Papier, DVBI. 1984, 453 ff.; Knemeyer, DVBI. 1984, 23 ff. Auch das Bundesverfassungsgericht kritisierte die Entscheidungsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts insoweit, als eine "lokale Örtlichkeit" entwickelt wurde (hiergegen BVerfGE 79,127/152). 135 BVerfGE 76, 107. 136 BVerfGE 86, 90. 137 Vgl. BVerfG 50, 50/51 (Kommunalverfassungsbeschwerde der Stadt Laatzen gegen ein Gesetz über die kommunale Neugliederung im Raum Hannover); 56, 298/313, 317 (Kommunalverfassungsbeschwerde gegen Festlegung von Lärmschutzbereichen, die nur einzelne Gemeinden betreffen können; vgl. hierzu auch Blümel, VerwArch. 73 (1982), 329ff.); 59, 216/228ff. (Kommunalverfassungsbeschwerde gegen ein Neugliederungsgesetz, das den Namen einer Gemeinde änderte); BVerfG 86, 90ff. (Rück-Neugliederung). 138 So aber Schoch, VerwArch. 81 (1990), 18/32f. 139 BVerfGE 86, 90/109.
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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betrifft. Das Bundesverfassungsgericht arbeitet in diesen Konstellationen mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip auch trotz seiner Kalkar-Entscheidung l40 . Dieses die Bundesauftragsverwaltung gemäß Art. 85 GG und den Bund-Länderstreit gemäß Art. 93 I Nr. 3 GG behandelnde Erkenntnis geht auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip ein und stellt - in einem eigenem Leitsatz - fest, daß die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Schranken für die Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des Einzelnen im kompetenzrechtlichen Bund-Länder-Verhältnis nicht anzuwenden seien. Hierbei wird ausdrücklich die Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zitiert l41 . . Im übrigen behauptet das Bundesverfassungsgericht, die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung bedürfe "der gesetzlichen Ausgestaltung und Formung,,142 und erlegt damit dem Gesetzgeber eine Ausgestaltungsverpflichtung auf. Ferner gesteht das Gericht dem Gesetzgeber eine "Einschätzungsprärogative" hinsichtlich der Bewertung von Maß und Gewicht der örtlichen Bezüge einer Aufgabe zu und zieht die Konsequenz, daß die gerichtliche Kontrolle um so intensiver sei, je mehr in Folge der gesetzlichen Regelung die Selbstverwaltung der Gemeinden an Substanz verliere l43 . Daß damit trotzdem Aspekte der Verhältnismäßigkeit eine Rolle spielen, liegt auf der Hand l44. 145. Denn trotz Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft vorliegt l46 , fordert das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber, daß er gemeindliche Aufgaben nur dann entziehen und evtl. BVerfGE 81, 31Off. BVerfG 81, 310 (Leitsatz 5)/338; vgl. auch BVerfGE 79, 311/34lf. 142 BVerfGE 79, 127/143. 143 BVerfGE 79, 127/154. 144 Vgl. Maurer, Verfassungsrechtliche Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung, S. 18 f. 145 Zu beachten ist - wie oben angesprochen - , daß der Rastede-Entscheidung eine alle Gemeinden abstrakt-generell treffende Regelung des Landesgesetzgebers zugrunde lag, so daß eine konkrete VerhältnismäBigkeitsprüfung nicht vorgenommen werden konnte, es vielmehr bei einer generalisierenden bzw. typisierenden Prüfung bleiben mußte, vgl. bereits Papier, OVBl. 1984, 453/455. 146 Eine solche Einschätzungsprärogative scheint mir angesichts der außerordentlichen Unterschiede der Gemeinden hinsichtlich Größe, Fläche, sozialer Struktur und Leistungsfähgkeit vollkommen selbstverständlich, vgl. BVerfGE 79, 127/153 f.: "Bei der Einschätzung der örtlichen Bezüge einer Aufgabe und ihres Gewichts kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu. Hierbei darf nicht übersehen werden, daß sich eine Aufgabe nicht hinsichtlich all ihrer Teilaspekte und nicht für alle Gemeinden gleichennaßen als eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft darstellen muß, daß sie vielmehr auch nur teilweise oder für bestimmte größere - Gemeinden als örtlich anzusehen sein kann, im übrigen aber als überörtlich erscheint. Insoweit darf der Gesetzgeber typisieren; er braucht nicht jeder einzelnen Gemeinde und grundsätzlich auch nicht jeder insgesamt gesehen unbedeuten140 141
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I. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
"hochzonen" dürfe, wenn dies aus Gründen des Gemeininteresses erforderlich sei und die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem in Art. 28 11 1 GG festgeschriebenen Zuständigkeitsvorrang zugunsten der Gemeinden bei Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft überwögen 147. Wenn darüber hinaus das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgibt, bei einem Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht den "verfassungsgewollten prinzipiellen Vorrang einer dezentralen, also gemeindlichen, vor einer zentral und damit staatlich determinierten Aufgabenwahrnehmung zu berücksichtigen,,148, so erinnert dies an die sog. Wechselwirkungstheorie, die im Rahmen der Dogmatik zur Meinungsfreiheit entwickelt wurde und nichts anderes darstellt als die Anwendung des VerhältnismäßigkeitsprinZipS 149. Allerdings handelt es sich eben nicht um die Anwendung des klassischen, in der Grundrechtsdogmatik beheimateten Verhältnismäßigkeitsprinzips. Stattdessen fordert das Gericht auch im Bereich der Ausgestaltung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts (ausschließlich) das, was immer im grundrechtlichen wie staatsorganisatorischen Bereich - vom Gesetzgeber gefordert werden kann: Augenmaß und Abwägung der betroffenen bzw. zu berücksichtigenden Interessen. Dafür spricht auch, daß das Bundesverfassungsgericht nur prüfen will, "ob die Entscheidung des Gesetzgebers eine vertretbare Ausfüllung des Rahmens darstellt, den Art. 28 11 1 GG mit dem unbestimmten Verfassungsbegriff "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" und dem normierten Aufgabenverteilungsprinzip festlegt" 150. Scheinbar bleibt das gerichtliche Prüfungsprogramm hinter den an den Gesetzgeber gestellten Anforderungen zurück. Eine solche "Vertretbarkeitskontrolle" liefe aber unter Umständen - worauf Schink zu Recht hingewiesen hat l5l - auf eine "lediglich erhöhte Darlegungs- und Begründungspflicht hinaus .. 152 und ist gerade keine Anwendung des grundrechtstypischen Verhältnismäßigkeitsprinzips. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof bekennt sich auch in seiner jüngsten Rechtsprechung expressis verbis zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als Mittel der Begrenzung gesetzgeberischer Eingriffe in das gemeindliche den Gruppe von Gemeinden Rechnung zu tragen. Dies folgt schon aus dem notwendig generellen Charakter seiner Regelung". 141 BVerfGE 79, 127/153f. 148 BVerfGE 83, 363/382 m. W.N. 149 Vgl. nur Schmidt-Jortzig in: Isensee/Kirchhof, HBdStR, § 141, Rn. 42f.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 47; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht 11, Rn. 656. 150 BVerfGE 79,127/154. 151 Schink, VerwArch. 81 (1990), 18/38f. 152 Das verkennt Frers in DVBI. 1989, 449/452, der feststellt: "Gegenüber dieser bisher schon geltenden Kontrolldichte will das Bundesverfassungsgericht durch die Betonung der Vertretbarkeit angesichts des Zuständigkeitsvorrangs von Art. 28 11 I GG offensichtlich eine Steigerung herbeiführen".
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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Selbstverwaltungsrecht, dies auch bei abstrakt-generell wirkenden gesetzlichen Regelungen: "Darüber hinaus müssen sich nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Regelungen, die Inhalt und Umfang des Selbstverwaltungsrechts bestimmen, auch außerhalb des Kernbereichs der Selbstverwaltung an den Erfordernissen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes orientieren. Es muß jeweils eine Güterabwägung zwischen der konkret betroffenen Selbstverwaltungsaufgabe und den durch das einschränkende Gesetz zu schützenden oder zu fördernden öffentlichen Interessen vorgenommen werden. Die Regelungen zur Bestimmung von Inhalt und Umfang des Selbstverwaltungsrechts müssen sich grundsätzlich am öffentlichen Wohl ausrichten und auf hinreichenden sachlichen Gründen beruhen" 153. Nachdem dem Gesetzgeber in dem zitierten Erkenntnis noch aufgegeben wird, sich gemeindefreundlich zu verhalten, findet dann - wie bereits erwähnt - das Aufgabenverteilungsprinzip des Bundesverfassungsgerichts, das der Gesetzgeber zu berücksichtigen habe wenigstens nominellen Eingang in die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs. Diese Rechtsprechung ist aus zweierlei Gründen interessant. Zum einen meint auch der Verfassungsgerichtshof, der Gesetzgeber habe Inhalt und Umfang des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts zu bestimmen 154. Diese Kompetenz wird aber sofort mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in Verbindung gebracht und damit die Struktur des Selbstverwaltungsrechts seinem venneintlichen Charakter als grundrechtsähnliches Recht der Gemeinden angepaßt. Zum anderen verknüpft der Verfassungsgerichtshof auch das Aufgabenverteilungsprinzip mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, so daß für den bayerischen Verfassungsraum wohl nicht davon gesprochen werden kann, daß das Verhältnismäßigkeitsprinzip durch das Aufgabenverteilungsprinzip ersetzt werde 155. Leider beantwortet der Verfassungsgerichtshof nicht die Frage, inwieweit Verhältnismäßigkeitsprinzip und Aufgabenverteilungsprinzip miteinander kompatibel sind, ja es bleibt überhaupt offen, ob die zitierende Wiedergabe des Bundesverfassungsgerichts zu einer Rezeption dieser Ansicht führt. Schließlich ist an der genannten Entscheidung des Verfassungs gerichtshofs interessant, daß hier von einem Einschätzungs- und Bewertungsvorrang des Gesetzgebers die Rede ist. Allerdings bezieht sich dieser Einschätzungsvorrang nicht - wie in der Rastede-Entscheidung - auf die Bestimmung der örtlichen Bezüge einer Angelegenheit l56 , sondern auf die BayVerfGH 49, 79/87. BayVerfGH 49, 79/87; BVerfGE 79, 127/143. ISS SO aber für die Rastede-Entscheidung Schoch, VerwArch. 81 (1990), 18/27f. Vgl. nunmehr auch Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., S. 18 ff. IS6 BVerfGE 79, 127/l53f. IS3 IS4
4 Lissack
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung, die zwar nicht den Gemeinden eine Aufgabe entziehe, allerdings wegen der Zulassung privater Konkurrenz zu einem "faktischen Aufgabenentzug,,157 führen könnte. "Die Auswirkungen der angegriffenen Gesetzesänderung sind damit als nicht ohne weiteres voraussehbar und nicht als so schwerwiegend einzuschätzen, wie das die Antragstellerinnen darzutun versuchen. In einer solchen Situation kommt dem Gesetzgeber ein Prognosespielraum sowie ein Einschätzungs- und Bewertungsvorrang ZU,,158. Ein solchermaßen dem Gesetzgeber eingeräumter Einschätzungsvorrang, der sich auf noch nicht klar absehbare Folgen gesetzgeberischen Handeins bezieht, ist zwar etwas anderes als die durch das Bundesverfassungsgericht kreierte Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Einschätzung der örtlichen Bezüge einer Angelegenheit, jedoch ebenfalls unzweifelhaft unentbehrlich, da der Gesetzgeber die Auswirkungen gesetzlicher Regelungen regelmäßig nur "einschätzen" oder "prognostizieren", nicht aber kraft seherischer Fähigkeiten bis ins Letzte voraussagen kann. Besonders hervorzuheben ist allerdings, daß angesichts der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zum Verhältnismäßigkeitsprinzip eine gewisse Differenz zwischen verbalem (genauer: in den Entscheidungsgründen niedergelegtem) Bekenntnis zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als Beurteilungsmaßstab und praktischer Relevanz besteht. Pointiert könnte man auch davon sprechen, daß der Verfassungsgerichtshof zwar regelmäßig die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ankündigt, dann diesen Prüfungsmaßstab aber nicht oder wenigstens nicht klar und nachvollziehbar handhabt. Als Beispiel möge die Hindelang-II-Entscheidung I59 , die das gesetzgeberische Verbot der Erhebung einer örtlichen Aufwandsteuer auf das Innehaben einer Wohnung über Art. 3 III KAG zum Inhalt hatte, dienen: Zwar verwendet der Verfassungsgerichtshof den gewohnten Textbaustein 160 und stellt dabei ausdrücklich fest, es würde der Bedeutung des Selbstverwaltungsrechts nicht gerecht, wenn die staatlichen Willensentscheidungen, die Inhalt und Umfang des Selbstverwaltungsrechts näher bestimmen, nur durch das Willkürverbot begrenzt würden, so daß zusätzlich eine Verhältnismäßigkeitskontrolle vorgenommen werden müsse. Jedoch nimmt das Gericht eine Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzip schlechterdings nicht vor. Vielmehr konzediert es dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum für Regelungen im Bereich der kommunalen Finanzhoheit l61 , stellt fest, daß für das Verbot der Wohnungs steuer hinreichend sach157 BayVerfGH 49, 79/90f. 158 BayVerfGH 49, 79/91. 159 BayVerfGH 45, 33 ff. 160
Vgl. BayVerfGH 45, 33/43f.
161 BayVerfGH 45, 33/44f.
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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liehe Gründe vorgetragen wurden (Prüfung des Willkürverbots) und sieht keine Einwände angesichts der Gemeinwohlprüfung 162 . Hätte das Gericht eine Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorgenommen, hätte es - wie es eine klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt zunächst Sinn und Zweck der gesetzgeberischen Maßnahme herausarbeiten müssen, um dann eine Zweck-Mittel-Relation unter den Aspekten der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit herzustellen. Das Gericht hätte - es ist erklärter Wille des bayerischen Gesetzgebers, Bagatellsteuern zu verhindern - jedenfalls bei der Prüfung der Angemessenheit der Regelung einen besonderen argumentativen Aufwand betreiben müssen, weil es die gesetzliche Regelung für verfassungsmäßig hielt. Es ist nämlich nicht recht ersichtlich, was die Gemeinden von einem Steuerfindungsrecht haben, wenn die wenigen in Betracht kommenden Steuern vom Gesetzgeber verboten werden. Der Verweis des Gerichts auf andere Einnahmequellen wie Beiträge und Gebühren ist bereits deswegen unbehelflich, da die Gemeinden zur Erhebung dieser Abgaben regelmäßig verpflichtet sind und es sich eben nicht um Steuern, sondern um Entgelte für besondere Leistungen handelt. Im übrigen hätte auch eine Kernbereichsprüfung, wenn sie sorgsamer vorgenommen worden wäre, zu einem anderen Ergebnis führen können: Wenn der Verfassungsgeber den Gemeinden tatsächlich - wie vom Verfassungsgerichtshof behauptet - ein ursprüngliches Besteuerungsrecht verleihen wollte 163 , dann hätte das Gericht in Anwendung der Subtraktionsmethode danach fragen müssen, welche Steuern von den Gemeinden denn noch erhoben werden können und ob diese verbliebenen dem Kernbereich genügen. Auch hier wäre der Verweis auf sonstige Abgaben völlig unbehelflich gewesen l64 . Als weiteres Beispiel zur Verdeutlichung der Problematik um die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Prüfung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts kann die "Münchener Finanzausgleich-Entscheidung" des Verfassungsgerichtshofs 165 herangezogen werden. Gegenstand der von der Landeshauptstadt München eingelegten Popularklage war die Frage nach der Vereinbarkeit gewisser Bestimmungen des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden, des Schulförderungsgesetzes und der Ausführungsverordnung zum Schulförderungsgesetz mit Art. 11 11 2, 83 11, 118 I und 133 BV. Im Rahmen der Untersuchung dieser Bestimmungen anhand des der Finanzhoheit entnommenen Anspruchs auf finanzielle Mindestausstattung stellt der Verfassungs gerichtshof fest, daß Regelungen, die diesen Anspruch 162 163 164 165
4'
BayVerfGH 45, 33/44ff. BayVerfGH 45, 33/44. Wie hier: Schmitt Glaeser/Horn, BayVBI. 1992, 673/678 f. BayVerfGH 50, 15.
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berührten, beeinträchigten oder verminderten, nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Sachgerechtigkeit und· des Willkürverbots zu betrachten seien, sondern auch den Erfordernissen der Verhältnismäßigkeit genügen müßten. Dabei habe jeweils eine Abwägung zwischen den Belastungen oder Beeinträchtigungen der gemeindlichen Finanzausstattung und den dafür maßgebenden, am öffentlichen Wohl orientierten, hinreichend sachlichen Gründen zu erfolgen 166. Ersichtlich liegt den Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs ein an der Grundrechtsdogmatik orientiertes Eingriffsdenken zugrunde, das hier aber deswegen nicht recht passen will, weil es um die Frage geht, ob und wie ein dem Selbstverwaltungsrecht entnommener Anspruch 167 befriedigt werden kann, der mit Ansprüchen anderer an den Staat in Einklang gebracht werden muß. Gegenstand der Diskussion müßte daher nicht etwa der Eingriff in eine bereits vorgefundene Freiheit sein, sondern die staatliche Ausgestaltung des Rechtsbereichs des Finanzausgleichs, der den verschiedensten Interessen von mit Kompetenzen ausgestatteten Hoheitsträgern dient. Von daher ist es nicht verwunderlich, daß die anschließende Prüfung des Verfassungsgerichtshofs inhaltlich gerade nicht einer klassischen Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips entspricht, sondern daß "die allseitigen Belange zu einem angemessenen Ausgleich,,168 gebracht werden sollen, wobei den Gemeinden auch Rücksichtnahme auf die Interessen- und Finanzlage des Staates abverlangt wird. Entgegen dem Bekenntnis zur Verhältnismäßigkeitsprüfung, die an keiner Stelle konsequent durchgeführt wird, wird faktisch eher ein die Problematik weitaus besser erfassendes Prinzip gegenseitiger Rücksichtnahme herangezogen l69 . Damit kann festgehalten werden: Das Bundesverfassungsgericht wendet bei konkret-individuellen staatlichen Maßnahmen das Verhältnismäßigkeitsprinzip an, nicht aber bei allgemein das Selbstverwaltungsrecht betreffenden Regelungen. Statt dessen wurde für die Ausgestaltung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts im aufgaben bezogenen Element das Aufgabenverteilungsprinzip entwickelt, das einem Prinzip der besonderen Berücksichtigung des Instituts der gemeindlichen Selbstverwaltung entspricht. Das klassische, der Grundrechtsdogmatik entlehnte Verhältnismäßigkeitsprinzip wird nicht angewendet. Der Verfassungs gerichtshof hingegen, der sich ausdrücklich zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als Prüfungsmaßstab bekennt, scheut oft eine detaillierte und nachvollziehbare Anwendung dieses Prinzips und führt allenfalls eine (erweiterte) Gemein-
BayVerfGH 50, 15/43f. Deswegen wäre auch die Anwendung des Untermaßverbots angemessener gewesen. 168 BayVerfGH 50, 15/44. 169 Vgl. die Ausführungen in BayVerfGH 50. 15/42ff. 166
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I. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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wohlprüfung durch; vorzugsweise greift er auf die Kernbereichslehre zurück. e) Das Gemeinwohlerfordernis als Prüfungskriterium
Die Orientierung am Allgemeinwohl 17o spielte eine ganz besondere Rolle im Rahmen der Gemeindegebietsreform 17J. Die Bindung des Gesetzgebers an das Erfordernis des Gemeinwohls stellt allerdings kein allzu griffiges Kriterium dar, da jede staatliche Tätigkeit gemeinwohlgebunden zu sein hat; die Gemeinwohlbindung ist selbstverständliche Mindestanforderung an alles staatliche Handeln J72 • Das Kriterium der Gemeinwohlbindung ist damit zunächst nur geeignet, legitime von illegitimen Eingriffen zu sondern; es dient - anders formuliert - als Prüfungspunkt vor einer etwaigen Verhältnismäßigkeitsdiskussion und sondert aus dem Kreis der von staatlichen Organen verfolgten Zwecke solche aus, die lediglich Partikularinteressen verfolgen. Fehlt es an der Gemeinwohlorientierung, muß nicht mehr geprüft werden, ob das zur Zweckverfolgung eingesetzte Mittel geeignet und verhältnismäßig ist 173 • Allerdings wird regelmäßig versucht, eine weitere Gemeinwohlkonkretisierung durch der Verfassung entnommene Direktiven zu bewirken, indem man das Demokratieprinzip, das Kulturstaats-, Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip sowie weitere Prinzipien heranzieht l74 . Ob damit elementare Erkenntniszugewinne erreicht werden, kann in Frage gestellt werden. Auch der Verfassungsgerichtshof erkennt das Gemeinwohlerfordernis als Mittel der Begrenzung von Eingriffen in das Selbstverwaltungsrecht an; teilweise dient es aber nicht als zusätzliches Begrenzungskriterium neben dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, sondern verdrängt im Verbund mit dem Willkürverbot eine substantiierte und der herkömmlichen Vorgehensweise entsprechende Verhältnismäßigkeitsprüfung 175. f) Das Demokratieprinzip als Prüfungskriterium In der Literatur wird diskutiert, inwieweit das Demokratieprinzip als Bindung für den Gesetzgeber herangezogen werden kann, wenn dieser das Vgl. BVerfGE 83, 363/382, 384f. Vgl. nur BVerfGE 50, SOff.; 50, 195ff.; 59, 216ff. 172 BVerfGE 59, 216/229: "Die Ausrichtung an dem jeweils zu konkretisierenden Gemeinwohl ist zwingendes Erfordernis jeder rechtsstaatlich gebundenen Gesetzgebung (vgl. BVerfGE 50, 50/51)". 173 So ausdrücklich BVerfGE 59, 216/231. 174 Vgl. zum Beispiel Trute, Stadt-Umland-Probleme und Gemeindegebietsreform, S. 23 ff. 175 Vgl. nur BayVerfGH 45, 33/45f.; 50, 15/44ff. 170 171
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kommunale Selbstverwaltungsrecht berührende Gesetze erläßt. Teilweise wird behauptet, die Gemeinde müsse den Bürgern hinreichend Raum für politisch-demokratisches Engagement bieten, so daß der Gesetzgeber insbesondere bei der Ausgestaltung der Organisation der Gemeinden hinreichend die Gehalte und Wirkungen des Demokratieprinzips berücksichtigen müsse. Vom Bundesverfassungsgericht wurde das Demokratieprinzip - soweit ersichtlich - stets dann herangezogen, wenn es um Fragen der demokratischen Legitimation der Organe der Gemeinde ging l76 . Daneben fand es Anwendung im Rahmen der Diskussion des kommunalen Ausländerwahlrechts l77 . Der Verfassungsgerichtshof hat das Demokratiegebot zwangsläufig wegen Art. 11 IV BV ("Die Selbstverwaltung der Gemeinden dient dem Aufbau der Demokratie in Bayern von unten nach oben") in Zusammenhang mit dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht gebracht, deutlich insbesondere angesichts der Gemeindegebietsreform 178. Besondere Bedeutung kam ihm schließlich im Rahmen der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Einführung von kommunalem Bürgerbegehren und Bürgerentscheid durch Gesetz vom 27. Oktober 1995 179 zu, da es hier um die Problematik der Ausbalancierung von repräsentativer Demokratie und plebiszitären Elementen ging 180. Darüberhinaus kann die Heranziehung des Demokratieprinzips aber regelmäßig nicht sehr viel mehr als einen Konkretisierungsversuch der Gemeinwohlprüfung darstellen. g) Das Willkürverbot als Prüfungskriterium Eine Berufung auf Grundrechte des Grundgesetzes durch Gemeinden lehnt das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich ab 181 . Allerdings beansprucht seiner Ansicht nach das Willkürverbot auch Geltung innerhalb des hoheitlichen Staatsaufbaus l82 . Das Bundesverfassungsgericht entschied, daß auch die Länder verfassungsrechtlich gehalten seien, ihre Gemeinden und Gemeindeverbände grundsätzlich gleich zu behandeln. "Der Gleichheitsgrundsatz gilt nicht nur gegenüber dem Bürger, sondern - als Ausfluß des Rechtsstaatsgebots (Art. 28 I 1 GG) - auch im Verhältnis der Hoheitsträger BVerfGE 91, 2281244; 83, 60/72. BVerfGE 83, 37. 178 BayVerfGH 34, 87ff. 179 GVBI S. 730, BayRS 2027-1-1. 180 BayVerfGH 50, 181/198 ff. Zur Kritik an dieser Entscheidung vgl. Jung, BayVBI. 1998, 225. 181 Vgl. nur BVerfGE 61, 82; unklar Sonntag, Grundrechtsfähigkeit bayerischer Gemeinden, S. 98 ff. Vgl. auch das 4. Kapitel dieser Darstellung. 182 BVerfGE 75, 192/200. 176
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untereinander ... ,,183. Das Willkürverbot wurde vom Bundesverfassungsgericht somit "als Element des objektiven Gerechtigkeitsprinzips und damit des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit,,184 zur Beurteilung von Eingriffen in das Selbstverwaltungsrecht herangezogen. Dabei handelt es sich um einen durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Prüfung des Selbstverwaltungsrechts inkorporierten Prüfungsbestandteil, der in bezug auf seinen Ursprung gleichsam von außen, anders als z. B. die Kernbereichsprüfung, also selbstverwaltungsrechtsextern an das Selbstverwaltungsrecht herangeführt wird. In der Praxis des Bundesverfassungsgerichts ist das Willkürverbot unverzichtbarer und selbstverständlicher Prüfungsmaßstab bei Kommunalverfassungsbeschwerden gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG. Im Rahmen einer Kommunalverfassungbeschwerde gegen ein Raumordnungsprogramm, das freilich die beschwerdeführende Gemeinde weniger abstrakt-generell denn konkret-individuell betraf, wurde nicht nur die Regelung auf eine Willkürlichkeit im Sinn des Fehlens einleuchtender, nachvollziehbarer Gründe untersucht. Die Verknüpfung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und der Vergleich mit anderen Gemeinden führte in dieser besonderen Konstellation dazu, daß de facto eine Kontrollintensität vergleichbar der Prüfung gemäß der "neuen Formel" des Bundesverfassungsgerichts erreicht wurde 185. Das Willkürverbot spielte ebenfalls als Prüfungsmaßstab für Maßnahmen der kommunalen Gebietsreform eine Rolle, wobei dem Maßstab der "Systemgerechtigkeit" als Ausprägung des Willkürverbots eine besondere Bedeutung zukam I 86. Auch abstrakt-generell wirkende Gesetze wurden vom Bundesverfassungsgericht am Willkürverbot gemessen; dabei verblieb dem Gesetzgeber für die ihm obliegenden "typisierenden Grenzziehungen" allerdings ein weiter Spielraum I 87. Hier zeigte sich: Das Willkürverbot beschränkt sich auch bei Kommunalverfassungsbeschwerden nicht nur auf die Prüfung, ob die gesetzliche Regelung jeder sachlichen Rechtfertigung entbehrt. Auch im Bereich des objektiv-rechtlich begründeten und dem Rechtsstaatsprinzip entnommenen Willkürverbots vergleicht das Bundesverfassungsgericht verschiedene, unterschiedlich betroffene "Gruppen". Dies zeigt alleine die oben zitierte vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich verwendete Begrifflichkeit des "Gleichheitsgrundsatzes" I 88 . Damit kann festgehalten werden: Vom Bundesverfassungsgericht wird angesichts der Untersuchung einer das gemeindliche Selbstverwaltungrecht 183
184 185 186 187 188
BVerfGE 83, 363/393 m. w. N. BVerfGE 26, 228/244; vgl. auch Bethge, DÖV 1972, 155/157. BVerfGE 76, 107/119 f. BVerfGE 50,50/51. BVerfGE 91, 228/244. Vgl. auch BVerfGE 91, 228/244.
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betreffenden hoheitlichen Maßnahme im Rahmen der Prüfung des Selbstverwaltungsrechts gemäß Art. 28 11 1 GG auch das Willkürverbot angelegt. Das Bundesverfassungsgericht ist angesichts der Prüfungsintensität ziemlich flexibel. Vergleiche mit anderen von der Regelung gleichermaßen oder eben nicht betroffenen Gemeinden werden durchaus gezogen; im Bereich der Gebietsreformmaßnahmen wird der Gedanke der "Systemgerechtigkeit" auch als Ausfluß des Willkürverbots benutzt. Freilich findet die sog. "neue Formel" des Bundesverfassungsgerichts 189 keine direkte Anwendung, wird man doch davon auszugehen haben, daß der Schutzzweck dieser "neuen Formel" personalisiert ist 190 . Dem Verfassungsgerichtshof stellt sich diese Frage deswegen nicht in derselben Weise, da er die Grundrechtsfahigkeit der Gemeinden, anders als das Bundesverfassungsgericht, nicht prinzipiell in Abrede stellt. Der Verfassungsgerichtshof spricht den Gemeinden im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht das im Gleichheitssatz verankerte Recht auf Freiheit vor Willkür als grundrechtliche Garantie zu, "konzediert ihnen das Willkürverbot also nicht nur als selbstverständlichen Verfassungsgrundsatz objektiven Rechts, sondern als grundrechtlichen Anspruch,,191, wenn sie sich in derselben Schutz situation befinden, welche der "als allgemeines Menschenrecht ausgeprägte Gleichheitssatz und das durch ihn gesicherte Willkürverbot voraussetzt,,192, wobei der Verfassungsgerichtshof inzwischen das Vorliegen eines konkreten Schutzbedürfnisses im Sinn des Vorliegens eines Subjektionsverhältnisses im konkreten Einzelfall inzwischen nicht mehr prüft. Der Verfassungsgerichtshof unterscheidet zwischen dem Gleichheitssatz im engeren ("klassischen") Sinne und dem allgemeinen Willkürverbot: "Der Gleichheitssatz verbietet in erster Linie, also gewissermaßen in seinem klassischen Gehalt, gleiche Sachverhalte in willkürlicher Weise ungleich und ungleiche Sachverhalte in willkürlicher Weise gleich zu behandeln ... Wenn in Zusammenhang mit Art. 118 I BV vom Willkürverbot die Rede ist, wird damit häufig nur das Verbot bezeichnet, in willkürlicher Weise zu differenzieren oder gleich zu behandeln; dazu zählen auch die Fälle, in denen gerügt wird, der Normgeber habe im Einzelfall willkürlich ein ansonsten maßgebendes System durchbrochen". In diesem Falle soll es für die Darlegung der Antragsbefugnis im Rahmen eines Popularklage verfahrens ausreichen, wenn der Antragsteller "die zu vergleichenden Sachverhalte oder das System und außerdem die Gründe näher bezeichnet, aus denen er die Ungleichbehandlung, Gleichbehandlung oder SystemwidBVerfGE 55, 72/88. Wie hier Osterloh in: Sachs: Grundgesetz, Art. 3 Rdn. 29. 191 Vgl. Stettner in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfie (Hrsg.): Die Verfassung des Freistaates Bayern, Teil V, Art. 118 Rn. 8. 192 BayVerfGH 27,14120; vgl. auch VerfGH 29, 105/119. 189
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rigkeit für sachwidrig hält,,193. Später wurde der "klassische Gleichbehandlungsgrundsatz" inhaltlich der "neuen Formel" des Bundesverfassungsgerichts 194 angepaßt, wonach der Gleichheitssatz verletzt ist, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können 195. Auch der Verfassungsgerichtshof wendete die "neue Formel" bisher nur dann an, wenn Adressaten natürliche Personen waren 196. Die neue Formel hat somit keine unmittelbare Bedeutung für das kommunale Selbstverwaltungsrecht. Vom "klassischen Gleichbehandlungsgrundsatz" zu unterscheiden ist das allgemeine Willkürverbot, das der Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit und der Abwehr gemeinschädlicher Regelungen ... auch dort dient, wo es nicht um die Beurteilung konkreter Vergleichspaare oder die ausnahmslose Einhaltung eines einheitlichen Regelungssystems geht". Mangels einer Konstellation, die einen Vergleich' verschiedener Gruppen ermöglichte, ist das "allgemeine Willkürverbot" erst dann verletzt, "wenn für die getroffene Regelung jeder sachlich einleuchtende Grund fehlt, das heißt wenn die äußersten Grenzen der normativen Freiheit überschritten sind,,197. Beachtlich an dieser Unterscheidung ist auch, daß· Aspekte der Systemwidrigkeit sowohl am Maßstab des "klassischen Gleichbehandlungsgrundsatzes" als auch dem des "allgemeinen" Willkürverbots gemessen werden können. Teilweise scheint der Verfassungsgerichtshof in seinen neueren Entscheidungen zum kommunalen Selbstverwaltungsrechts sauber das "allgemeine Willkürverbot" vom "klassischen Gleichbehandlungsgrundsatz" zu trennen, wobei das "allgemeine Willkürverbot" eher dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht zugeordnet zu sein scheint, der "klassische Gleichbehandlungsgrundsatz" scheinbar isoliert an die Regelung angelegt wird l98 . Bei der Detailprüfung zeigt sich aber, daß sich die Gesichtspunkte von gemeindlichem Selbstverwaltungsrecht und "allgemeinem Willkürverbot" bzw. "klassischem Gleichbehandlungsgrundsatz" nicht lupenrein auseinander halten lassen. So gehen etwa in der Begründung zur "Münchener Finanzausgleichs-Entscheidung" die Argumentationsstränge von Ungleichbehandlung, Verstoß gegen das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht und Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot ständig ineinander über. Es ist nicht recht ersichtlich, ob nun etwa Aspekte des Willkürverbots als Bestandteil 193 194 195 196
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BayVerfGH 38, 198/204. BVerfGE 55, 72/88. BayVerfGH 40, 45/50ff. Vgl. BayVerfGH 40, 45ff. BayVerfGH 38, 1981204f. Vgl. BayVerfGH 49, 37/56f.
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des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts oder aber der Gleichbehandlungsgrundsatz in seiner grundrechtlichen Verwurzelung geprüft werden; die Grenzen zwischen "allgemeinem Willkürverbot" und "klassischem Gleichbehandlungsgrundsatz" werden nicht deutlich. So heißt es etwa: "Der in dieser Regelung vorgesehene Grenzlandansatz verstößt nicht gegen den im Rahmen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts zu prüfenden Gleichheitssatz. Der Gleichheitssatz verbietet Willkür. Er läßt Differenzierungen zu, die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt sind. Nur wenn die äußersten Grenzen des normativen Ermessens überschritten sind, wenn für die getroffene Regelung jeder sachliche Grund fehlt, ist der Gleichheitssatz verletzt. Seine Anwendung beruht stets auf einem Vergleich von Sachverhalten, die nie in allen, sondern nur in einzelnen Elementen gleich sind. Es i.st Sache des Normgebers, nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen, welche Elemente der zu ordnenden Sachverhalte dafür maßgebend sind, sie rechtlich gleich oder verschieden zu behandeln. Der Verfassungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob der Normgeber die bestmögliche oder gerechteste Lösung gewählt hat ... ". Damit läßt sich festhalten: Die Unterscheidung zwischen "allgemeinem Willkürverbot" und "klassischem Gleichbehandlungsgrundsatz" im Sinn der Terminologie wird nicht durchgehalten; es nicht nicht deutlich, wann nur das "allgemeine Willkürverbot", wann der "klassische Gleichbehandlungsgrundsatz" geprüft wird, wann dies im Rahmen einer Untersuchung des Selbstverwaltungsrechts geschieht, wann diese Prinzipien als grundrechtliche Verbürgungen isoliert an die inkriminierte Regelung gelegt werden. Dieses Ergebnis ist jedenfalls deshalb nicht verwunderlich, weil ja auch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Prüfung des Selbstverwaltungsrechts eine Willkürprüfung vornimmt, die zum Teil gleich intensiv ist, wie es eine Prüfung des grundrechtlichen Anspruchs aus Art. 118 I BV durch den Verfassungsgerichtshof sein könnte. Dieses Ergebnis ist auch vor dem Hintergrund nicht verwunderlich, daß Prüfung des Willkürverbots und Prüfung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht vollkommen unterschiedliche Aspekte beleuchten, sondern daß es wohl eher um Fragen der gerichtlichen Prüfungsintensität geht. So ist in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichbehandlung festzustellen, daß zum Teil sogar Willkürverbot und das Gebot verhältnismäßiger Gleichheit letztlich miteinander verwoben werden 199, wobei sich ohnehin eine einzelfall abhängige Kasuistik etabliert hat: "Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitsanforderungen reichen. Die Abstufung der Anforderungen folgt aus dem Wortlaut und Sinn des Art. 3 199
Vgl. aber dagegen auch BVerfGE 91, 1181l22f.
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Abs. 1 GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen,,200. Gegenstand dieser Arbeit kann und soll es nicht sein, erschöpfend die bundesverfassungsrechtliche Dogmatik zu Art. 3 I GG der des Verfassungsgerichtshofs zu Art. 118 I BV gegenüber zu stellen 201 . Hier soll nur dreierlei festgestellt werden: Erstens führt die Tatsache, daß sich die Gemeinde nach bayerischem Verfassungsrecht auch auf die grundrechtliehe Verbürgung des Art. 118 I BV berufen können, zu keinem Mehr an dogmatischer Klarheit oder Schutzwirkung für die betroffenen Gemeinden. Vielmehr entspricht die Prüfungsintensität des Verfassungsgerichtshofs teilweise durchaus der des Bundesverfassungsgerichts. Zweitens ist diese Intensität der gerichtlichen Prüfung anhand von Gleichbehandlungsgesichtspunkten regelmäßig von der konkreten Prüfungssituation abhängig; die gerichtliche Prüfungsdichte kann dabei von der bloßen Untersuchung, ob es an einem sachlichen Grund für die getroffene Regelung fehlt, bis zur güterabwägenden Herstellung einer Relation von Grund für die Differenzierung und damit verfolgtem Ziel unter Berücksichtigung der Schwere der Auswirkungen der Differenzierung reichen. Drittens ist die Tatsache, daß gerade auch der Verfassungsgerichtshof zu solchen Spannweiten in bezug auf den Prüfungsumfang kommt, deshalb nicht erstaunlich, weil er ja beharrlich die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zur Begrenzung staatlicher Regelungen propagiert. Daß damit letztlich Aspekte der Gleichbehandlung mit solchen der Güterabwägung verknüpft werden, verwundert ebenfalls nicht, da Güterabwägungsvorgänge Vergleiche voraussetzen.
h) Sonderfall: Die Maßnahmen im Rahmen der Gemeindegebietsreform Die Maßnahmen der Gesetzgeber an läßlich der sog. Gemeindegebietsund Funktionalreformen202 , die in allen Flächenstaaten der alten Bundesrepublik in den Jahren 1963 bis 1978 getroffen wurden 203 , beschäftigten insbesondere die Landesverfassungsgerichte in ganz erheblichem Umfang. Jüngst wurden Gebietsreformen in einigen der Neuen Bundesländer durchgeführt; dort wurden ebenfalls die Landesverfassungsgerichte angerufen 204 . BVerfGE 88, 87/96; 89,15/22; 98, 365/375. Eine geschlossene Darstellung zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu Art. 118 I BV zu verfassen, wäre eine verdienstvolle Aufgabe. 202 Zum Begriff der Verwaltungsreform und seinen Untergliederungen vgl. Ule, Maßnahmen der Verwaltungsreform in: FS für Müller, S. 529ff. 203 Vgl. Gunst, AfK 1990, 189. 204 Vgl. SächsVerfGH SächsVBl. 1995, 131 ff.; ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 639ff. 200 201
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Aber auch das Bundesverfassungsgericht hatte sich wiederholt zu den Gebietsreformen zu äußern, vor allem deswegen, weil in Schieswig-Holstein und Hessen (zeitweise auch in Thüringen 205 ) die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts die einzige Möglichkeit darstellte, Rechtsschutz zu erlangen 206 . Dabei formulierte es einen Textbaustein, der so oder in ähnlicher Form Anwendung fand: "Die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 11 I GG steht Veränderungen des Gebietsbestandes einzelner Gemeinden nicht entgegen. Art. 28 11 1 GG gewährleistet Gemeinden nur institutionell, nicht individuell. Auflösungen von Gemeinden, Gemeindezusammenschlüsse, Eingemeindungen und sonstige Gebietsänderungen beeinträchtigen den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts deshalb nicht. Zum Inhalt des verfassungsrechtlich geWährleisteten Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltung, so wie sich diese historisch entwickelt hat ... , gehört jedoch, daß Bestands- und Gebietsänderungen von Gemeinden nur aus Gründen des öffentlichen Wohls und nach Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften zulässig sind,,207. Das Erfordernis der vorherigen Anhörung der betroffenen Gemeinden entspricht der überlieferten Regelung in den meisten deutschen Staaten seit Mitte des 19. Jahrhunderts und wird teilweise als formelles Prinzip, als verfahrensrechtliche Anforderung angesehen 208 . Es ist aber nicht zu übersehen, daß die Anhörung nicht nur den Zweck verfolgt, den von den Neugliederungsmaßnahmen betroffenen Gemeinden Kenntnis vom wesentlichen Inhalt des Neugliederungsplans und seiner Begründung zu verschaffen, sondern auch den staatlichen die Maßnahmen verfügenden Instanzen das zur Abwägung und Entscheidungsfindung erforderliche Material zur Verfügung zu stellen. Damit hat die Anhörung auch eine besondere Bedeutung für die materiellen Erwägungen insbesondere im Rahmen der Gemeinwohlkonkretisierung 209 . Zudem ist das Anhörungsrecht Ausdruck der Eigenschaft der kommunalen Gebietskörperschaften als Rechtssubjekt und dient auch der Akzeptanzabsicherung der Neugliederungsmaßnahme21O . Vgl. BVerfGE 91, 70. Vgl. Gunst, AfK 1990, 189/190f.; Gunst hat allerdings Unrecht, wenn er behauptet, die kommunale Verfassungs beschwerde sei erst 1969 eingeführt worden. Richtig ist, daß sie in diesem Jahr - ebenso wie die Individualverfassungsbeschwerde - im Grundgesetz verankert wurde. Schon 1951 war die Kommunalverfassungsbeschwerde durch § 91 BVerfGG einfachgesetzlich eingeführt worden (Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 12 Rn. 56). 207 BVerfGE 86, 90/107; vgl. auch BVerfGE 50, 50ff.; 50, 195/201; 59, 216/ 226f.. 208 Knemeyer, Kommunale Neugliederung vor den Landesverfassungsgerichten, S. 156ff. 209 BVerfGE 50, 195/202f.; vgl. auch ThürVerfGH NVwZ-RR 1997,639/640. 210 Vgl. SächsVerfGH SächsVBI. 1994, 226/229f. 205
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Im Rahmen der Gemeinwohluntersuchung prüfte das Bundesverfassungsgericht, ob der Gesetzgeber den Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt hat und ob er alle Gemeinwohlgründe sowie Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung umfassend und nachvollziehbar abgewogen hat. Da das Bundesverfassungsgericht auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter den Aspekten der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit durchführen sowie untersuchen wollte, ob die Maßnahme die Gebote der Sach- und Systemgerechtigkeit beachtet, mußte es auch die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Prognosen des Gesetzgebers berücksichtigen, wobei aber nur damach gefragt wurde, ob die Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlsam oder eindeutig widerlegbar sind 211 . Die oben (vgl. 3.d.) vom Bundesverfassungsgericht angedeuteten Bedenken gegen die prinzipielle Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Kontrollrnaßstab konnten deswegen keine Probleme bereiten, da gebietsreformerische Gesetze nicht abstrakt-generell wirken. Allerdings wird neuerdings das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch im Zusammenhang mit Gebietsreformen nur sehr zurückhaltend angewandt 212 . Anläßlich der Überprüfung eines "Rück-Neugliederungsgesetzes" hat das Bundesverfassungsgericht wohl gleichfalls für erstmalige Neugliederungen geltend 213 - nur noch eine Beanstandung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit für möglich gehalten, wenn "der gesetzgeberische Eingriff offenbar ungeeignet oder unnötig ist, um die mit ihm verfolgten Ziele zu erreichen" oder wenn "er zu ihnen deutlich außer Verhältnis steht,,214. Selbstverständlich wurde auch das Willkürverbot herangezogen: Das Gesetz muß frei sein von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen 215 . Insgesamt ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit von gebiets reformierenden Gesetzen dadurch gekennzeichnet, daß mangels Existenz eines speziellen Prüfungsmaßstabes die üblichen und bekannten Kriterien für diese Sonderfälle fruchtbar gemacht werden: Kembereich (unter Anwendung der Historischen Methode), Verhältnismäßigkeit, Willkürverbot. Angesichts des deutlich planerischen Einschlags von Organisationsgesetzen über NeugliederunBVerfGE 50,50/51. So zu Recht Jarass/Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 13. m Zwar bezieht sich die das Verhältnismäßigkeitsprinzip erläuternde Passage ausdrücklich auf "Rück-Neugliederungsgesetze", da die darauf folgenden Äußerungen sub 3. aber ausdrücklich (die "vorgenannten Anforderungen") auch auf RückNeugliederungsgesetze bezogen werden, muß davon ausgegangen werden, daß das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch bei erstmaligen Neugliederungen nunmehr reduziert angewandt wird. 214 BVerfGE 86, 90/109; so nunmehr auch der ThürVerfGH (NVwZ-RR 1997, 639/645), der aber seine Prüfungen im Rahmen einer umfassenderen Gemeindegebietsreform in ein neuartiges "Dreistufenmodell" einkleidet und dadurch eine - wie mir scheint - größere gedankliche Klarheit erreicht, vgl. NVwZ-RR 1997, 639/642ff. 215 BVerfGE 86, 90/109. 211
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gen oder anderweitige Gebietsänderungen 216 wird aber - entsprechend den fachgerichtlichen Maßstäben zur Überprüfung von Planungsentscheidungen - nur eine eingeschränkte Kontrolle durchgeführt, soweit es um gesetzliche Zielsetzung und gesetzgeberische Prognose geht. Zum Themenkreis Gebiets- und Bestandsänderungen sowie Zusammenschluß von Gemeinden in Verwaltungsgemeinschaften217 ergingen auch zahlreiche Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs 218 , von denen als wichtigste wohl diejenige vom 20. April 1978 219 zu bezeichnen ist. Da die Bayerische Verfassung im Unterschied zu manchen anderen Landesverfassungen keine ausdrücklichen Regelungen zur Beurteilung der Zulässigkeit solcher Maßnahmen bereit hä1t 22o , mußten die verfassungsrechtlichen Anforderungen allein Art. 11 11 BV entnommen werden, nachdem eine auf Ergänzung des Art. 11 BV gerichtete Volksinitiative, die einen Art. 11 VI BVeinfügen wollte, der Bestands- und Gebietsänderungen von Gemeinden bei Widerspruch der Gemeinde (nicht präjudizierend wäre der Ausgang der vorhergehenden obligatorischen Bürgerbefragung gewesen) gegen die Maßnahme zur Aufgabe des formellen Gesetzgebers machen wollte, gescheitert war221 • Bereits früh stellte der Verfassungsgerichtshof fest, Art. 11 11 BVentha1te keine konkrete Bestandsgarantie zugunsten jeder einzelnen Gemeinde 222 , weil die Existenz der Gemeinden nur institutionell, nicht aber individuell garantiert sei. Diese zum Standard landesverfassungsgerichtlicher223 wie bundesverfassungsgerichtlicher224 Äußerungen gehörende Feststellung
BVerfGE 86, 90/108. Eine Übersicht über die Ausgangslage der kommunalen Gebietsreform bietet SchoUer, Die bayerische Gemeindegebietsreform als Konflikt zwischen grundrechtsverstandener Selbstverwaltung und staatlicher Reformpolitik, S. 3-17. Dort werden auch die zahlenmäßigen Ergebnisse der Reformanstrengungen in Tabellen übersichtlich dargestellt. 218 BayVerfGH 31, 44ff.; 31, 99ff.; 33, Iff.; 33, 47ff.; 33, 87ff.; 33, 140ff.; 34, 180ff.; 36, 15ff.; 40, 154ff. Auch der BayVGH hatte sich mehrfach zu äußern, vgl. zu dessen Rechtsprechung Schmidt, BayVBI. 1979, 129 ff. 219 BayVerfGH 31, 99; vgl. auch die wegbereitende Entscheidung des BayVGH 30, 26ff. 220 Teilweise enthalten Landesverfassungen Bestimmungen unterschiedlicher Reichweite, die Rechtsform, Zweck und Voraussetzungen von Gemeindegebietsänderungen bzw. Auflösungen regeln. Vgl. Art. 74 Verf. BaWü, Art. 59 Nds. Verf., Art. 88 Sächs. Verf., Art. 90 Verf. LSA, Art. 92 Verf. Thür. 221 Vgl. BayVerfGH 31, 77ff. Vgl. hierzu auch Scholler, Die bayerische Gemeindegebietsreform, S. 18-24; ders., Urteilsanmerkung zu BayVerfGH 31, 77ff. in BayVBI. 1978, 503 ff. 222 Vgl. bereits BayVerfGH 7, 113/118. 223 Vgl. nur BayVerfGH 31, 99/122f. 224 Vgl. nur BVerfGE 86, 901107. 216 217
I. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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knüpft an die noch genauer zu untersuchende Rechtsprechung des StGH 225 an. Auch der problematische Begriff der "Ursprünglichkeit" in Art. 11 11 1 BV wurde nicht zum Anlaß genommen, eine individuelle Bestandsgarantie festzuschreiben. Ebensowenig vermochte die bis heute in Art. 10 11 BayGO enthaltene Regelung ("Die Gemeinden haben ein Recht auf Erhaltung ihres Bestands und ihres Gebietes unbeschadet der Vorschrift des Art. 11. ") die allgemeine Gemeindegebietsreform abzuwenden 226 • Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 20. April 1978 zur Verfassungsmäßigkeit verschiedener Rechtsverordnungen zur Neugliederung der Gemeinden 227 stellt insofern eine Besonderheit unter den Erkenntnissen der Landesverfassungsgerichte dar, als zunächst auch die Frage behandelt werden mußte, ob eine ausreichende Rechtsgrundlage für die allgemeine Gemeindegebietsreform vorhanden war. Denn anders als in den sonstigen Flächenstaaten wurde die allgemeine Gemeindegebietsreform nicht in der Rechtsform des formellen Gesetzes durchgeführt 228 , sondern per Verordnungserlaß der Bezirksregierungen 229 • Eine Hauptursache für viele Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist in der Tat in der unklaren Verfassungslage in bezug auf die StGH vom 11. Dezember 1929 in: Lammers/Simons, Rechtsprechung, S. 99ff. Es würde wohl einen Gewinn an Klarheit und gesetzlicher Ehrlichkeit darstellen, wenn der Gesetzgeber diese Vorschrift beseitigte. 227 BayVerfGH 31, 99ff.; bestätigt durch BayVerfGH 33, 47/54f. 228 Vgl. zur Vorgehensweise in den anderen Bundesländern BayVerfGH 31, 99/ 126. Vgl. zur Gebietsreform in Nordrhein-Westfalen Stüer, DÖV 1978,78ff. 229 Dies hatte - ebenfalls im Gegensatz zu den anderen Aächenstaaten - den für die betroffenen Gebietskörperschaften durchaus vorteilhaften Effekt der Rechtsschutzverdoppelung zur Konsequenz, da neben dem Verfassungsgerichtshof auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gemäß § 47 I Nr. 2 VwGO i. V. m. Art. 5 AGVwGO angerufen werden konnte; eine Tatsache, die im Rahmen der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage der gebietsreformatorischen Maßnahmen zu wenig berücksichtigt wurde. Da das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden auch über einfaches Gesetzesrecht (Art. I BayGO) gewährleistet ist und war, kam zudem der Vorbehaltsklausel des § 47 III VwGO keine praktisch relevante prüfungsmaßstabvermindernde Bedeutung zu (vgl. Schmidt, BayVBI. 1979, 129). Nach Abschluß der allgemeinen Gebietsreform wurde Art. II BayGO dahingehend geändert, daß Bestandsänderungen und Gemeindeneubildungen durch Gesetz vorgenommen werden, sonstige Änderungen durch Rechtsverordnung von Landratsamt oder Regierung. Auch Verwaltungsgemeinschaften werden nunmehr durch Gesetz gebildet, erweitert oder aufgelöst, auch eine Entlassung einer Mitgliedsgemeinde erfolgt durch Gesetz. Damit ist die demokratische Legitimation für diese Einzelrnaßnahmen nun eine höhere als bei der allgemeinen Gebietsreform, obwohl gerade bei Einzelrnaßnahmen die Rechtsform der Verordnung als durchaus angemessen angesehen werden kann. Insoweit solche Maßnahmen durch Gesetz durchgeführt werden, entfällt natürlich auch die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle als neben der Popularklage stehender Rechtsbehelf. Gegen die Einführung des formellen Gesetzes als Mittel von "Gemeindegrenzänderungen" spricht sich Widtmann (BayVBI. 1980, 328 ff.) insbesondere aus geschichtlichen Erwägungen und Rechtsschutzgründen aus. 225
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Frage der Rechtsfonn von Gebiets- und Bestandsänderungen zu erblicken. Denn während die Verfassung hinsichtlich der Frage, welche Rechtsfonn gebietsrefonnerische Maßnahmen in bezug auf Gemeinden haben müssen, überhaupt schweigt, schreibt sie für die Einteilung der Kreise die Rechtsverordnung bei Zustimmung des Landtags, für Abgrenzungen der Bezirke das fonnelle Gesetz vor. Dem Einwand der Antragsteller, gebietliche Neugliederungen im Rahmen einer allgemeinen Gemeindegebietsrefonn seien überhaupt nicht "ennächtigungsfähig",vermochte der Verfassungsgerichtshof nicht zu folgen. Vielmehr sprach er sich dafür aus, daß diese auch aufgrund eines Gesetzes, das Inhalt, Zweck und Ausmaß des Eingriffs bestimmt, erfolgen könne 23o . Insoweit könne Art. 9 11 2 BV kein Argument entnommen werden. Zwar meinte auch der Verfassungsgerichtshof, daß es "im Rahmen einer demokratisch-parlamentarischen Staaatsverfassung, wie sie die Bayerische Verfassung darstellt, nahe gelegen hätte, die Entscheidung über eine allgemeine Gebietsrefonn auf Gemeindeebene, die einen Großteil der Bürger berührt, entweder durch den Gesetzgeber selbst zu regeln oder einem Rahmengesetz vorzubehalten, das die Leitlinien der Gesamtrefonn festlegte". Schließlich gewährleiste das parlamentarische Verfahren ein höheres Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und der Entscheidungssuche und damit auch größere Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen 231 . Allerdings wollte der Verfassungsgerichtshof diese Argumente nur als solche der Zweckmäßigkeit ansehen, das heißt er hielt eine gesetzliche Regelung nur für zweckmäßiger und es damit im Ergebnis für verfassungsrechtlich nicht angreifbar, wenn der Gesetzgeber sich einer Regelung durch fonnelles Gesetz verschloß. Die Schlüssigkeit dieser Argumentation ist selbstverständlich allein deshalb bezweifelbar, weil zweckmäßiger offensichtlich die Durchführung durch die Staatsverwaltung, nicht - wie vom Verfassungsgerichtshof angenommen - die durch die Legislative ist. Insgesamt ließ es der Verfassungsgerichtshof ausreichen, daß der "Refonnauftrag durch eine gesetzgeberische Entscheidung mit hinreichender Bestimmtheit erteilt worden ist"; seiner Ansicht nach führte eine Analyse der einzelnen Gesetzgebungsakte des Landtags zu dem Ergebnis, daß die Auffassung der Antragsteller, "der Gesetzgeber habe sich jeder verantwortlichen Entscheidung zur Materie Gemeindegebietsreform enthalten,,232, nicht zutrifft, vielmehr hätten der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des Ersten und Zweiten Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung sowie
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BayVerfGH 31, 99/123f. BayVerfGH 31, 99/125. BayVerfGH 31, 99/127f.
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die Novellierung von Art. 11 und 12 BayGO dafür gesprochen, daß der Gesetzgeber "sowohl die Vornahme einer landes weiten Gemeindegebietsreform als auch deren wesentliche materielle Kriterien ("Gründe des öffentlichen Wohls") in seinen Willen einbezogen hat,,233. Der Kritik der Antragsteller, Art. 11 und 12 BayG0 234 könnten nicht auf eine allgemeine BayVerfGH 31, 99/128f. Art. 11 und 12 BayGO erfuhren zahlreiche Änderungen: Art. 11 und 12 BayGO i.d.F. vom 25.1.1952 lauteten: "Art. 11 Abs.l: Die Gemeinden haben ein Recht auf Bestand. Abs. 2: Die Auflösung von Gemeinden oder die Umgemeindung von Gebietsteilen kann verfügt werden, wenn die Mehrheit der Gemeindebürger des betroffenen Gebiets dafür stimmt und die beteiligten Gemeinderäte einverstanden sind. Abs. 3: Durch Rechtsverordnung der Staatsregierung, die der Zustimmung des Landtags bedarf, kann die Auflösung von Gemeinden gegen deren Willen und die Neubildung verfügt werden. Abs. 4: Die Umgemeindung von Gebietsteilen kann gegen den Willen der beteiligten Gemeinden verfügt werden, wenn es das öffentliche Wohl erfordert. Abs. 5: Die zuständige Behörde (Art. 12) muß im Falle des Abs. 4 eine Abstimmung der Gemeindebürger des Umgemeindungsgebietes anordnen." "Art. 12 Änderungen im Bestande von Gemeinden verfügt unbeschadet Art. 9 der Verfassung I. im Falle der Auflösung oder der Neubildung von Gemeinden das Staatsministerium des Innern vorbehaltlich des Art. ll Abs. 3, 2. im Falle der Umgemeindung unbewohnter Gebietsteile des gleichen Landkreises das Landratsamt, 3. in den übrigen Fällen die Regierung." Durch Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (E 7, 113) wurde die alte Fassung des Art. 11 III GO für verfassungswidrig erklärt. Der neugefaßte (GVBI. 1955, S. 259) Art. 11 III GO erhielt folgende Fassung: "Durch Rechtsverordnung der Staatsregierung, die der Zustimmung des Landtags bedarf, kann die Auflösung oder Neubildung von Gemeinden gegen den Willen beteiligter Gemeinden verfügt werden, wenn es das öffentliche Wohl erfordert". Das Erste Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Kommunalrechts vom 9. Juli 1956 (GVBI. 1956, S. 115 ff.) brachte wesentliche Änderungen der Vorschriften Bestands- und Gebietsänderungen betreffend: Art. 10 BayGO erhielt die Überschrift "Gebiet und Bestandsgarantie" und formulierte in Abs. 2: "Die Gemeinden haben ein Recht auf Erhaltung ihres Bestands und ihres Gebiets unbeschadet der Vorschrift des Art. 11". Art. 11 GO erhielt die Überschrift "Änderungen", handelte in Abs. I Änderungen gemeindefreie Gebiete und unbewohntes Gemeindegebiet betreffend ab und formulierte in Abs. 2: .. Änderungen im Bestand oder Gebiet der Gemeinden können auf Antrag oder von Amts wegen unbeschadet des Abs. I verfügt werden, I. wenn die beteiligten Gemeinderäte einverstanden sind; 2. gegen den Willen der beteiligten Gemeinderäte, falls dringende Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen. Den Gemeindebürgern, deren gemeindliche Zugehörigkeit wechselt, soll Gelegenheit gegeben werden, zu der Änderung in geheimer Abstimmung Stellung zu nehmen". Art. 12 GO klärte die Zuständigkeit von Landratsamt, Regierung und Staatsministerium des Innern ab. Das Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern vom 26. Juni 1968 (GVBI. 1968, S. 187) verlieh Art. 10 GO nunmehr die Überschrift ..Gemeindegebiet und Bestandsgarantie" , fügte mit Art. 10 a GO eine ausführliche Regelung der Rechtsfragen die ausmärkischen Gebiete betreffend ein und ergänzte die diesbezügliche Änderungsvorschrift in Art. 11 I GO. Durch Gesetz vom 27. Oktober 1970 (GVBI. 1970, S. 469ff.) wurden Zuständigkeitsänderungen für die Änderungen vorgenommen. Es folgte eine Neubekanntma233
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
Gebietsrefonn angewandt werden, denn diese Vorschriften beträfen nur Einzeländerungen, vennochte sich der Verfassungs gerichtshof ebenfalls nicht chung der Gemeindeordnung durch Gesetz vom 14. Dezember 1970, die keine in diesem Zusammenhang relevanten Änderungen enthielt (GVBI. 1970, S. 13 ff.). Eine wesentliche Änderung des Kommunalrechts brachte aber das Erste Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vom 27. Juli 1971 (GVBI. 1971, S. 247): Dieses führte das an den Zweckverband angelehnte Institut der Verwaltungsgemeinschaft ein (Erster Teil des Gesetzes) und änderte wesentlich den Art. II GO, indem der alte Abs. 2 durch die Absätze 2-4 ersetzt wurde: "Abs. 2: Änderungen im Bestand oder im Gebiet von Gemeinden können unbeschadet des Absatzes I auf Antrag oder von Amts wegen verfügt werden, I. wenn die beteiligten Gemeinden einverstanden sind, 2. gegen den Willen beteiligter Gemeinden, wenn dringende Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, insbesondere wenn a) die Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben durch eine einheitliche Verwaltung erleichtert, vereinfacht oder in der Wirkung gesteigert werden wird, b) zentrale Orte Vorhaben, die auch eine Förderung des Umlandes erwarten lassen, nur dann verwirklichen können, wenn das Gebiet des zentralen Ortes vergrößert wird. Abs. 3: Änderungen im Bestand sind zu verfügen, wenn die Leistungs- oder Verwaltungskraft einer Gemeinde keine Gewähr dafür bietet, daß die Gemeinde, selbst wenn sie einer Verwaltungsgemeinschaft angehört, die ihr verbleibenden Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen kann. Abs. 4: Den Gemeindebürgern, deren gemeindliche Zugehörigkeit wechselt, soll Gelegenheit gegeben werden, zu der Änderung in geheimer Abstimmung Stellung zu nehmen". Auch Änderungen in Art. 12 GO wurden vorgenommen. Das Zweite Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vom 15. Dezember 1971 (GVBI. 1971, S. 450) brachte weitere zahlreiche Änderungen der GO, insbesondere wurde die Große Kreisstadt durch Art. 5a und 9 GO eingeführt. Zugleich wurde durch Art. 5 ZStärkG für eine allgemeine Gebietsreform bestimmt, daß der gerade geänderte Art. 11 IV GO, der die Bürgerbefragung zum Inhalt hatte, nicht anzuwenden sei. Durch Gesetz vom 23. Dezember 1975 (GVBI. 1975, S. 413) wurde das Verbum "verfügen" durch "vornehmen" ersetzt, zugleich wurde in Art. 12 GO die Rechtsverordnung als Instrument der Änderungen eingeführt. Durch Gesetz über die Kommunalwahlen vom 13. Juni 1977 (GVBI. 1977, S. 237 ff.) wurde durch Art. 1 I das Ende der Gemeindegebietsreform auf den 1. Mai 1978 gelegt. Die Neubekanntmachung vom 31. Mai 1978 (GVBI. 1978, S. 353ff.) faßte die diesbezüglichen Änderungen der GO zusammen. Schließlich wurde das Erste Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung in bezug auf das Institut der Verwaltungs gemeinschaft zweimal wesentlich geändert (GVBI. 1979, S. 7lf. und S. 229), indem die Stellung der Gemeinden, insbesondere die der Bürgermeister wieder gestärkt wurde, zudem wurden Art. 11 und 12 GO erneut geändert (GVBI. 1979, S. 229). Art. 11 Abs. 2 und 3 erhielten folgende Fassung: "Abs. 2: Änderungen im Bestand oder im Gebiet von Gemeinden können unbeschadet des Absatzes 1 vorgenommen werden, 1. wenn die beteiligten Gemeinden einverstanden sind, 2. gegen den Willen beteiligter Gemeinden, wenn dringende Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen. Abs. 3: Vor Maßnahmen nach Abs. 2 Nr. 2 sind die beteiligten Gemeinden zu hören". Die Änderung des Art. 12 I GO hatte zum Inhalt die Einführung des formellen Gesetzes als Mittel der Bestandsänderung oder Neubildung von Gemeinden. Sonstige Änderungen werden nach wie vor durch Rechtsverordnung vorgenommen.
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anzuschließen. Auch einen Verstoß gegen das Gebot der Bestimmtheit der Verordnungsermächtigung, der nachvollziehbar erscheinen konnte, wollte der Verfassungsgerichtshof nicht annehmen. Vielmehr war ihm die Umschreibung von Ziel, Programm und Tendenz durch den Begriff des öffentlichen Wohls ausreichend. Insgesamt erscheint es bemerkenswert, daß der Verfassungsgerichtshof - durch die Literatur weitgehend unkritisiert 235 - zunächst die allgemeine Gemeindegebietsreform nicht dem Gesetzgeber abforderte mit dem Bemerken, es reiche aus, wenn nach allgemeinen Regeln Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung hinreichend bestimmt seien, und dann in einem zweiten Schritt als hinreichend bestimmt eine Klausel ausreichen ließ, die sich im wesentlichen darin erschöpft, die Berücksichtigung des Allgemeinwohls zu fordern. Dieser Begriff wurde zum zentralen Beurteilungsmaßstab jeder materiell-rechtlichen Prüfung einer gebietsreformierenden Maßnahme, obwohl teilweise auch die Landesverfassungsgerichte und Teile der Literatur feststellten, daß der Begriff des Gemeinwohls eine nur geringe Prägnanz besitzt236 . Der Verfassungsgerichtshof sprach selbst auch davon, daß die Bindung an das Gemeinwohl dem Normgeber Raum für eigenverantwortliche Gestaltungsfreiheit gebe, wobei die "Toleranzgrenzen" weit gesteckt seien237 . Sonstige Kriterien zur Beurteilung von Maßnahmen im Rahmen der Gemeindegebietsreform erwähnt die hier in den Vordergrund gestellte Entscheidung allenfalls, eine ausfüiuliche Besprechung erfahrt das Erfordernis der vorhergehenden Anhörung der betroffenen Gemeinde nicht, es wird auch nur am Rande vermerkt, daß die Pflicht zur Anhörung der betroffenen Gemeinden zum Kernbereich des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts gehört 238 und daß durch die Verfassung eine Anhörung der Gemeindebürgerschaft nicht veranlaßt sei 239 • Auch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und die Anforderungen an eine sachgerechte Abwägung der Bedürfnisse des öffentlichen Wohls mit den Interessen der einzelnen, durch die Änderung im Bestand oder im Gebiet betroffenen Gemeinden werden nicht ausgeführt 240 . 235 Ausnahme: Scholler, Die bayerische Gemeindegebietsreform als Konflikt zwischen grundrechtsverstandener Selbstverwaltung und staatlicher Reformpolitik, 1980. 236 Vgl. Gunst, AfK 1990, 189/200; Die, Maßnahmen der Verwaltungsreform, S. 529/546. Allerdings ist der Ansatz des nordrhein-westfälischen Staatsgerichtshofs zu beachten; dieser hielt es für mit dem Gemeinwohlprinzip unvereinbar, wenn Zwecke gesetzt und Sachverhalte verwirklicht würden, die dem Staat und seinen Gebietskörperschaften im Ganzen mehr schaden als nützen würden. Das ist dann aber doch nichts anderes als eine Umsetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Vgl. auch Knemeyer, Kommunale Neugliederung, S. 175 ff. 237 BayVerfGH 33, 1/15. 238 BayVerfGH 31, 99/129; vgl auch BayVerfGH 33, 47/56. 239 Zum Zweck der Anhörung vgl. BayVerfGH 31, 99/129. 5'
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Angeführt werden darf auch die wenig später ergangene "Neuses-Entscheidung,,241, die die Eingliederung einer Gemeinde zur Stärkung eines mittelzentralen Ortes behandelt und dabei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im wesentlichen rezipiert. Ausgehend von der Erwägung, daß gebietsreformierende Maßnahmen eine planerische und organisatorische Gestaltungsfreiheit des Normgebers voraussetzen und Bewertungs-, Abwägungs- und Einschätzungsvorgänge eine große Rolle spielen, weil sich bei einer allgemeinen Gemeindegebietsreform mehrere systemgerechte Lösungen anbieten, erkennt der Verfassungsgerichtshof, daß es nicht Aufgabe des Gerichts sein kann, "organisatorische Maßnahmen dieser Art im einzelnen daraufhin zu überprüfen, ob sie die bestmögliche oder zweckmäßigste Lösung darstellen". Der Verfassungsgerichtshof habe sich vielmehr darauf zu beschränken, ob der Normgeber den für seine Maßnahmen erheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und zugrunde gelegt hat, ob er alle Gemeinwohlgründe sowie die Vor- und Nachteile der Regelung umfassend und in nachvollziehbarer Weise abgewogen hat und ob der vorgenommene normative Eingriff in den Bestand geeignet, erforderlich und verhältnismäßig war sowie ob die Gebote der Sach- und Systemgerechtigkeit 242 beachtet wurden. Seien hingegen Zielvorstellungen, Sachabwägun240 Vgl. BayVerfGH 31, 99/129, 136. Präzisere Antworten auf die Frage, welche Anforderungen an gebietsreformatorische Maßnahmen zu stellen sind, gibt auch nicht die in Bezug genommene (BayVerfGH 31, 99/127) Entscheidung BayVerfGH 24, 181 ff. zur Verfassungsmäßigkeit des Art. 9 11 BV. Auch hier werden lediglich ..Gesichtspunkte" für die Einteilung der Regierungsbezirke in Landkreise und kreisfreie Städte genannt: Der für alle Staatstätigkeit bindende Grundsatz des Gemeinwohls, vgl. Art. 3 (2) BV, der dem Rechtsstaatsprinzip entnommene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die Verpflichtung zur Anhörung der Kommunalorgane. Ebenfalls wird eine Art Wechselwirkung konstruiert, wenn festgeschrieben wird: .. Aus der Selbstverwaltungsgarantie folgt unter anderem die Bindung, bei einer mit der Neugliederung verbundenen Auflösung und Schaffung neuer Landkreise dem Sinn und Zweck der Selbstverwaltung entsprechend lebensfahige Selbstverwaltungskörper zu schaffen ... " (BayVerfGH 24, 181/194). 241 BayVerfGH 33, 47. 242 Zur Systemgerechtigkeit vgl. auch BayVerfGH 33, 1/15, 17; letztlich wird der Gedanke der Systemgerechtigkeit auch vom Verfassungsgerichtshof nur als spezielle Ausprägung des Willkürverbots angesehen; vgl. auch Knemeyer, Kommunale Neugliederung, S. 172 ff. Der ThürVerfGH hat das Prinzip der Systemgerechtigkeit greifbarer als herkömmlich formuliert. Er unterscheidet Leitbilder und Leitlinien bei gebietsreformierenden Maßnahmen: Dabei umfaßt das Leitbild die grundlegenden Aussagen zur Struktur der Selbstverwaltungskörperschaft, der Gesetzgeber setzt mithin eine Zielvorstellung. Die Leitlinien sind diejenigen Gesichtspunkte, die dazu dienen, die leitbildgerechte Körperschaft zu bilden und damit die Entscheidung des Gesetzgebers für den Einzelfall zu lenken; die Leitlinien stellen ein System zur Umsetzung des Leitbilds dar. Bei der Realisierung der Maßnahme muß nun der Gesetzgeber leitbild- und leitlinienkonsequent, also systemgerecht verfahren (ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 639/643). Vgl. zu Leitbild und Leitlinien auch Trute, Stadt-Um-
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gen, Wertungen und Prognosen des Normgebers zu würdigen, so dürfe sich der Verfassungsgerichtshof nicht an dessen Stelle setzen, sondern habe seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Einschätzungen und Entscheidungen des Normgebers offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der verfassungsrechtlichen Wertordnung widersprechen 243 . Diese Feststellungen entsprechen im wesentlichen den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes in der "Laatzen-Entscheidung,,244. Kennzeichnend für diese Formel ist eine etwas eigentümliche Verbindung von Ausführungen den Prüfungsumfang und die Prüfungskriterien betreffend. Beachtlich ist insbesondere, daß die dem Rechtsstaatsprinzip entnommene Verhältnismäßigkeitsprüfung tatsächlich durch den Verfassungs gerichtshof weitgehend zurückgenommen wird: Die Annahme eines Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip setzt nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs voraus, daß die einschlägige Lösung zur Erreichung des Reformziels "schlechthin untauglich" (Frage der Geeignetheit) ist oder "das bei der Reform angewandte Mittel zum erreichten Zweck in einem krassen Mißverhältnis,,245 (Frage der Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit i. e. S.246) steht. Ob die im Rahmen der Erforderlichkeit zu prüfende Erwägung, daß die Eingliederung einer Gemeinde in eine Verwaltungsgemeinschaft gegenüber einer Bestandsänderung das mildere und daher zu bevorzugende Mittel darstelle 247 (Frage der Erforderlichkeit), noch eine maßgebliche Rolle spielt, kann bezweifelt werden. Diese reduzierte Prüfung anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips bzw. diese geringe Prüfungsintensität wird vom Verfassungsgerichtshof aber nicht ausnahmslos durchgeführt, vielmehr zeigt es sich, daß eine Kasuistik unvermeidlich ist und die besonderen Umstände im Einzelfall eine differenzierte Anwendung der gefundenen Entscheidungmaßstäbe erfordern: In einer späteren Entscheidung an läßlich der Auflösung einer für sich lebensfähigen Gemeinde heißt es: "Die Gründe für die Auflösung einer lebensfähigen Gemeinde zum Zwecke der gebotenen Stärkung einer anderen Gemeinde müssen aber bei Beachtung des Selbstverwaltungsrechts schwerer wiegen als die Gründe für die Eingliederung von Gemeinland-Probleme und Gemeindegebietsreform, S. 26ff. sowie bereits 1995 im Rahmen eines Verfahrens, das auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die Kreisneugliederung des sächsischen Gesetzgebers gerichtet war, SächsVerfGH Vf. 20-VIII95, Entscheidung vom 9.11.1995, S. 23ff. Die Unterscheidung von Leitbild und Leitlinie ist eine bekannte allgemeine Methode zur Konkretisierung von Abwägungsvorgängen. So wird zum Beispiel im Bauplanungsrecht in § 1 V BauGB zwischen den generellen Planungszielen des § 1 V 1 und den konkreteren Planungsleitlinien des § 1 V 2 BauGB unterschieden, vgl. Brohm, Öffentliches Baurecht, § 13. 243 BayVerfGH 33, 47/57 f. 244 BVerfGE 50, 50/51. 245 BayVerfGH 33, 47/62. 246 Vgl. Knemeyer, Kommunale Neugliederung, S. 171. 247 BayVerfGH 33, 47/57.
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den, die eine sachgerechte Erfüllung der Gemeindeaufgaben in heutiger Sicht ohnehin nicht mehr erwarten lassen und deshalb gerade im Interesse der Stärkung der Selbstverwaltung auf die verbesserte Betreuung durch die leistungsfahigere kommunale Einheit angewiesen sind. Die Auflösung einer lebensfähigen Gemeinde kann im Hinblick auf die verfassungs gerichtliche Wertentscheidung zugunsten des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden nur dann als erforderlich und verhältnismäßig angesehen werden, wenn die dafür sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls bei Abwägung der objektiven Gewichtigkeit der berührten Belange gegenüber den für den Fortbestand der einzugliedernden Gemeinde sprechenden Gründe erkennbar überwiegen,,248. Erkennbar erfährt der Prüfungsmaßstab der Verhältnismäßigkeit hier eine besondere Modulierung und Akzentuierung; die Tatsache, daß Gegenstand der gebietsrefonnierenden Maßnahme eine an sich lebensfähige Gemeinde ist, führt dazu, daß die Prüfungsintensität wieder an Tiefe gewinnt. Man kann sogar behaupten, daß die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips hier im wesentlichen keine Einschränkung erfährt 249 . Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 118 I BV wird regelmäßig als Prüfungsmaßstab zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von gebietsrefonnierenden Maßnahmen herangezogen. Nicht nur - wie bereits dargelegt - in seiner objektivrechtlichen Ausprägung als Willkürverbot 250, sondern darüberhinaus als grundrechtliche Verbürgung 251 . Teilweise ist das Verhältnis zwischen grundrechtlicher Verbürgung und objektivrechtlicher Gewährleistung nicht deutlich herausgearbeitet252 , ja man wird behaupten können, daß letztlich wegen der geringen Prüfungsintensität im Rahmen von gebietsrefonnierenden Maßnahmen de facto auch dort nur eine Willkürprüfung vorgenommen wird, wo ausdrücklich von einer Anwendung des Gleichheitssatzes die Rede ist und Gleichheitssatz und Willkürverbot voneinander geschieden erscheinen (ohne daß der Verfassungsgerichtshof aber systematisch diese Begrifflichkeiten hinreichend voneinander unterschiede; BayVerfGH 34, 64/76, vgl. auch die Leitsätze I und 2. Es ist auch nicht verwunderlich, daß das Popularklageverfahren in vorliegendem Fall zugunsten der klagenden Gemeinde ausging und die Verordnung für verfassungswidrig erklärt wurde. 2SO Die dogmatische Einordnung des Willkürverbots als eines den Abwägungsvorgang steuernden Prüfungsmaßstabs macht besonders deutlich der ThürVerfGH (NVwZ-RR 1997, 639/646): "Die Notwendigkeit einer derartigen Rechtfertigung folgt aus dem Gleichbehandlungsgebot als einer verfassungsrechtlichen Direktive, die bei kommunalen Neugliederungsentscheidungen im Rahmen der erforderlichen Ausrichtung an Gründen des öffentlichen Wohls bedeutsam ist und auch vom Gesetzgeber beachtet werden muß". 251 Vgl. nur BayVerfGH 33, I/lOf.; 33,47/61; 33, 87/96. 252 Das gilt auch für Teile der Literatur, vgl. nur Knemeyer, Kommunale Neugliederung, S. 177 ff. 248 249
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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tatsächlich werden Willkürverbot und Gleichheitssatz in den die Gebietsreformen betreffenden Entscheidungen meist willkürlich synonym gebraucht)253. Hinsichtlich der Frage, ob die Eingliederung einer Gemeinde in eine Verwaltungsgemeinschaft gegen Art. 118 I BV verstößt, formulierte der Verfassungsgerichtshof nämlich: "Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der Erwägungen des Normgebers, der schon bei der Rüge einer Verletzung des Selbstverwaltungsrechts ... Grenzen gesetzt sind, muß sich bei einer Rüge der Verletzung des Willkürverbots darauf beschränken, ob der Normgeber die äußersten Grenzen der normativen Freiheit überschritten hat. Hat sich der Normgeber bei einer Kollision verschiedener Belange für die Bevorzugung der einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung der anderen entschieden, so wäre der Gleichheitssatz nur dann verletzt, wenn die konkrete organisatorische Maßnahme evident willkürlich, das heißt durch keine denkbare sachliche Erwägung zu rechtfertigen wäre . .. Bei einer Neugliederungsnorm kann von Willkür nicht schon dann die Rede sein, wenn der Normgeber im Rahmen seines bei Organisationsakten dieser Art vorhandenen Ermessensspielraums unter mehreren Lösungen im konkreten Fall nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat, sondern erst dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für die getroffene Regelung bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht finden läßt,,254. Wenn aber im Ergebnis angesichts von gebietsreformerischen Maßnahmen nur eine Prüfung am Maßstab des Willkürverbots vorgenommen wird, liegt der Unterschied zwischen Bundesverfassungsgericht und Verfassungs gerichtshof hier nur darin, daß nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts das Willkürverbot im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des Selbstverwaltungsrechts vorgenommen wird, nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs aber eine isolierte Berufung auf den Gleichheitssatz möglich ist, der allerdings angesichts der Eigenheiten der Gebietsreform zu einem reduzierten Prüfungsmaßstab verkümmert, der der Prüfung des Willkürverbots durch das Bundesverfassungsgericht entspricht. Ebenso wie andere Landesverfassungsgerichte 255 machte auch der Verfassungsgerichtshof das Demokratieprinzip (vgl. im Zusammenhang mit der gemeindlichen Selbstverwaltung den Art. 11 IV BV) im Rahmen der gebietsreformierenden Gedanken als Prüfungsmaßstab fruchtbar; allerdings wirkte es sich eher zulasten der Gemeinden aus, da dem Demokratieprinzip die Notwendigkeit funktionsfähiger Organe und Verwaltungen, die tatsächlich in der Lage sein sollten, eigenständig und selbstverantwortlich zu ent-
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BayVerfGH 34, 1/11, 12. BayVerfGH 34, 1/11 ff. Vgl. BWStGH NJW 1975, 1205ff.; NdsStGH OVGE 33, 497ff.
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I. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
scheiden, entnommen wurde 256 . Dieser Umstand sprach natürlich eher für eine Eingemeindung bzw. Einbeziehung in eine Verwaltungsgemeinschaft.
4. Zusammenfassung Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht lassen sich - insbesondere im Vergleich mit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung - folgende signifikante Besonderheiten festhalten: - Mit der Auslegung, die Art. 83 I BV durch den Verfassungsgerichtshof erfahrt, beinhaltet die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung eine Aufgabengebietsgarantie; insoweit ist der verfassungsrechtliche Schutz des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts durch den Verfassungsgerichtshof weitgehender, aber auch unfIexibler und statischer als der durch das Bundesverfassungsgericht gewährte. - Angesichts der Art. 83 11 BV entnommenen Finanzhoheit hat der Verfassungsgerichtshof de facto den Anspruch auf angemessene Finanzausstattung und finanzielle Mindestausstattung gleichgesetzt. Die Diskussion um die Verhältnismäßigkeit der Finanzausstattung orientiert sich am freiheitsgrundrechtlichen Eingriffsdenken. - Bei abstrakt-generell das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ausgestaltenden Regelungen meidet das Bundesverfassungsgericht semantisch den Begriff des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Inhaltlich fordert es vom Gesetzgeber die Vornahme von Rechtsgüterabwägungen. Anders der Verfassungsgerichtshof, der sich verbal ganz prinzipiell zum Verhältnismäßigkeitsprinzip bekennt, allerdings eine klare Prüfung anhand der aus der Grundrechtsdogmatik bekannten Gesichtspunkte der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit vermissen läßt. - Während das Bundesverfassungsgericht das allgemeine Willkürverbot als integrierten Bestandteil der Prüfung des Selbstverwaltungsrechts ansieht, bejaht der Verfassungsgerichtshof die Grundrechtssubjektivität der Gemeinden, so daß sich diese vor dem Verfassungsgerichtshof zudem direkt auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 118 I BV berufen können. Gegenstand der weiteren Erörterungen muß somit die Frage nach der Tragfähigkeit dieser Thesen sein. Da sich diese strukturellen Eigenheiten aus der dogmatischen Positionierung der "Trägergewährleistung" ableiten lassen 256 BayVerfGH 34, 87/95 f.; dieser Gedanke spielte anläßlich des Verfahrens um die Verfassungs mäßigkeit der Einführung von kommunalem Bürgerbegehren und Bürgerentscheid wieder eine tragende Rolle, vgl. BayVerfGH 50, 181/206f.
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werden, ist im weiteren auf das Wesen der gemeindlichen Selbstverwaltung gemäß der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshof einzugehen (hierzu 11.). Ferner ist zu untersuchen, ob die Gewährleistung der Selbstverwaltung der Gemeindeverbände nach Ansicht des Verfassungsgerichtshof strukturell wie wesensmäßig vergleichbar gestaltet ist (hierzu das 2. und 3 Kapitel).
11. Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht als institutionelle Garantie und grundrechtsähnliches Recht Das Bundesverfassungsgericht hat das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht stets als institutionelle Garantie und nicht etwa (gleichzeitig) als grundrechtliche Gewährleistung aufgefaßt. Dies wird bereits im OffenbachUrteil deutlich. Zwar scheint das Bundesverfassungsgericht zunächst noch offenlassen zu wollen, ob es sich bei Art. 28 11 GG um ein Grundrecht oder "nur" um eine institutionelle Garantie handelt 257 . In den weiteren Ausführungen knüpft das Bundesverfassungsgericht aber an die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs an, der bekanntlich in Anschluß an die Lehre earl Schmitts258 eine Umdeutung des Art. 127 WRV vom Grundrecht in eine institutionelle Garantie vornahm 259 , deren Kennzeichen bzw. Folge die Entwicklung der Kernbereichslehre war260 . Das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich fest, daß dieser Auslegung des Art. 127 WRV zu folgen sei 261 , so daß man davon ausgehen darf, daß das Bundesverfassungsgericht auch hinsichtlich des Rechtscharakters der Garantie dem Staatsgerichtshof folgen wollte. In der weiteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde die Gewährleistung der gemeindlichen Selbstverwaltung stets als institutionelle Garantie, als Einrichtungsgarantie bzw. Garantie der Einrichtung "kommunale Selbstverwaltung,,262 oder "Garantie der Einrichtung gemeindliche Selbstverwaltung,,263 bezeichnet, die der Verfassungsgeber nicht nur in ihrer überkommenen Gestalt aufgegriffen, sondern mit eigenen Aufgaben in den Aufbau des politischen Gemeinwesens nach der grundgesetzlichen Ordnung eingefügt habe 264 . Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei Art. 28 11 GG um eine Vorschrift, m BVerfGE 1, 167/173.
earl Schmitt, Verfassungslehre, S. 170ff.; ders. in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 213ff. Vgl. auch Klein, Institutionelle Garantien und Rechtsinstitutsgarantien, S. 128ff. 259 Vgl. hierzu 8. Kapitel, 1.2.e. 260 StGH vom 11.12.1929 in: Lammers/Simons, S. 99ff. 261 BVerfGE 1, 167/174ff. 262 BVerfGE 56, 298/313. 263 BVerfGE 79, 127/143. 264 BVerfGE 79,127/143. 258
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die die Funktionen öffentlicher Gewalt nach staatsorganisationsrechtlichen Gesichtspunkten im Sinne einer dezentralen, auf unmittelbare demokratische Legitimation gestützten Organisation verteilt. Die Ablehnung einer grundrechtlichen Betrachtung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts zeigt sich auch klar in der "Saarländisches Kommunalwahlgesetz-Entscheidung", in der es heißt: "Kommunale Selbstverwaltung - wie sie heute verstanden wird - bedeutet ihrem Wesen und ihrer Intention nach Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten, die die in der örtlichen Gemeinschaft lebendigen Kräfte des Volkes zur eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben der engeren Heimat zusammenschließt mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren,,265. Man wird annehmen dürfen, daß 1969 der verfassungsändernde Gesetzgeber durch die Einfügung des Art. 93 I Nr. 4b GG das Bundesverfassungsgericht auf eine dergestaltige Interpretation der Verfassung festlegen und eine grundrechtliche Struktur des kommunalen Selbstverwaltungsrechts durch die Abgrenzung zu Art. 93 I Nr. 4a GG verneinen wollte. Welche Rolle das Bundesverfassungsgericht den Gemeinden im Staat und damit dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht zukommen lassen will, wurde auch in der Entscheidung über die Änderung des schleswig-holsteinischen Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 2l. Februar 1989 266 veranschaulicht. Nach einer kurzen Schilderung der Entwicklung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ausgehend von der Verfassung des Deutschen Reichs von 1849 stellt das Bundesverfassungsgericht fest: "Die Gemeinden sind jedoch im Laufe der Entwicklung, bei Aufrechterhaltung oder Ausbau ihres Rechts auf Selbstverwaltung, zunehmend in den staatlichen Bereich einbezogen und eingefügt worden. Vollends in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes steht die kommunale Selbstverwaltung nicht mehr in Abwehrstellung zur Staatsorganisation. Sie wird, wie Art. 28 GG zeigt, im Rahmen der staatlichen Organisation konstituiert und in den Staatsaufbau integriert,,267. Fast deutlicher als in den verbalen Bekenntnissen zeigt sich die dogmatische Positionierung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als institutionelle Garantie unter Ablehnung eines grundrechtlichen Charakters in den Ausführungen zum Gewährleistungsinhalt des Art. 28 11 1 GG. So wird in der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht etwa zunächst der Schutzumfang des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts dargestellt, um dann etwa die Einschränkungsmöglichkeit dieses Rechts zu diskutieren. Eine solche Vorgehensweise hätte einer Grundrechtsprüfung ent265 BVerfGE 11, 266/275 f. unter Hinweis auf Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 292. 266 BVerfGE 83, 37. 267 BVerfGE 83, 37/54.
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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sprachen. Vielmehr setzt das Bundesverfassungsgericht beim Gesetzesvorbehalt an und ermittelt dessen Reichweite 268 , spricht dann Kernbereichsgarantie und das Prinzip der Allzuständigkeit 269 an, um dann das der Aufgabenverteilung zu erläutern 270 und um schließlich zu klären, was Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind 271 . Diese Prüfungsreihenfolge, die sich in der Abfolge der Leitsätze widerspiegelt, zeigt auf, daß von einer institutionellen Garantie ausgegangen wird, die von ihrer Funktion auf gesetzgeberische Aktivierung und Konkretisierung abgestellt ist. Die in der Literatur oft und zu Recht aufgezeigten Parallelen zum Eigentumsgrundrecht 272 machen dies deutlich. Genauso wie das Eigentumsgrundrecht nicht vorgegebene Realitäten oder Verhaltensweisen schützt, sondern als ein von der Rechtsordnung geprägtes Grundrecht den die Eigentumsordnung erst schaffenden Gesetzgeber voraussetzt, der Inhalt und Schranken des Eigentums regelt, soll das Selbstverwaltungsrecht der kommunalen Gebietskörperschaften darauf angewiesen sein, vom Gesetzgeber ausgestaltet zu werden. Aber nicht nur diese signifikante Prüfungsreihenfolge, die den Auftrag des Gesetzgebers, das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht zu modellieren und zu modulieren, in den Vordergrund stellt, zeigt auf, daß es sich bei dem Selbstverwaltungsrecht gemäß Art. 28 11 GG nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht um ein den Grundrechten ähnelndes Recht handelt. Auch die Kernbereichsprüfung, die der vorausgesetzten Befugnis des Gesetzgebers Grenzen setzt, sowie der oben dargelegte partielle (wenigstens begriffliche) Verzicht auf die Anwendung des die Grundrechtsdogmatik inzwischen beherrschenden Verhältnismäßigkeitsprinzips beweisen dies. Auch wenn das gemeindliche Selbstverwahungsrecht gemäß Art. 28 11 1 GG kein Grundrecht oder eine verwandte Erscheinung darstellt, erwachsen doch aus dieser institutionellen Garantie verfassungsmäßige subjektive Berechtigungen. Allerdings handelt es sich nur um reflexartige Versubjektivierungen, die den Sinn haben, "der gemeindlichen Selbstverwaltung auch verfahrensrechtlich einen besonderen Schutz zukommen,,273 zu lassen, welche vor den Fachgerichten und gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG auch vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden können. All diese BVerfGE 79, 127/143ff. BVerfGE 79, 127/146f. 270 BVerfGE 79, 127/147ff. 271 BVerfGE 79, 127/151 f. 272 Vgl. nur Schoch, VerwArch. 81 (1990), 18/27; Schink, VerwArch. 81 (1990), 385/395 f. Übrigens hat die Parallele zum Eigentumsgrundrecht bereits Glum (Das Recht der Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände nach Art. 127 der Reichsverfassung, AöR 1929 (n.F. 17), 379/414) im Jahre 1929 gesehen bzw. erahnt. 273 BVerfGE 79, 127/154 f. 268 269
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts im Auge kann Clemens beigepflichtet werden, wenn er konstatiert: "Das Bundesverfassungsgericht hat den nicht-grundrechtlichen institutionellen Charakter des Art. 28 11 GG deutlich herausgestellt,,274. 1. Die Ambivalenz des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts
Der Verfassungsgerichtshof sieht das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht als institutionelle Garantie und gleichzeitig als "grundrechtsähnliches Recht" an 275 . Diese Feststellung erstaunt insoweit, als der bereits zitierte Carl Schmitt in seinem Verfassungslehrbuch schon 1928 dem Grundrecht die institutionelle Garantie gegenüber stellte. In einer eigenen Überschrift betonte er: "Institutionelle Garantien sind von Grundrechten zu unterscheiden,,276. Weiter fahrt er fort: "Die institutionelle Garantie ist ihrem Wesen nach begrenzt. Sie besteht nur innerhalb des Staates und beruht nicht auf der Vorstellung einer prinzipiell unbegrenzten Freiheitssphäre, sondern betrifft eine rechtlich anerkannte Institution, die als solche immer etwas Umschriebenes und Umgrenztes, bestimmten Aufgaben und bestimmten Zwecken Dienendes ist, mögen auch die Aufgaben im einzelnen nicht spezialisiert sein und eine gewisse "Universalität des Wirkungskreises" zulassen". Zu den institutionellen Garantien zählte er ausdrücklich die Vorgängerbestimmung von Art. 28 11 GG, den Art. 127 WRV 277 . Da den bayerischen Verfassungsrichtern dieser Unterschied selbstverständlich, auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, bekannt ist, stellt sich die Frage, ob der Verfassungsgerichtshof mit der adjektivischen Umschreibung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als "grundrechtsähnlich" ausschließlich die prozessuale Befahigung der Gemeinden umschreiben will, Popularklage einlegen zu können, oder ob das Gericht eine anderweitige Vergleichbarkeit von gemeindlichem Selbstverwaltungsrecht und Grundrechten bejaht.
274 275 276
271
Clemens, NVwZ 1990, 834/843. Vgl. BayVerfGH 41,140/145; 45, 157/160. Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 170. Carl Schmitt, ebenda, S. 170 f.
I. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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2. Die zweifelhafte Bedeutung der "Grundrechtsähnlichkeit" a) Die Grundrechtsähnlichkeit als Umschreibung einer ausschließlich verjassungsprozessualen Befugnis?
Während bei Einlegung einer Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 120 BV lediglich die Verletzung eines "verfassungsmäßigen Rechts" behauptet werden muß, erfordert die Popularklage gemäß Art. 98 (4) BV i. V. m. Art. 55 VfGHG immerhin die Rüge der Verletzung eines Grundrechts der Bayerischen Verfassung 278 . Von daher scheint es unvermeidlich, das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden wenigstens als grundrechtsähnliches Recht zu qualifizieren, will man den Gemeinden nicht den verfassungsprozessualen Schutz des Instituts der Popularklage und damit den der prinzipalen verfassungs prozessualen Rechtssatzbeschwerde abschneiden. aa) Der Textbaustein der jüngeren Judikatur Seit längerem macht sich der Verfassungsgerichtshof keine tiefgreifenden Gedanken mehr über den Charakter des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden. Vielmehr bemüht er im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung von Popularklagen beschwerdeführender Gemeinden immer die folgende oder eine geringfügig variierte Standardformel: "Das Selbstverwaltungsrecht nach Art. 11 11 2 BV ist ein grundrechtsähnliches Recht, das einer Gemeinde die Möglichkeit gibt, Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV mit der Begründung zu erheben, Vorschriften des bayerischen Landesrechts schränkten seinen Wesensgehait ein; auch eine Verletzung des Gleichheitssatzes und des darin verankerten Willkürverbots können die Antragstellerinnen in zulässiger Weise rügen,,279. Die Tatsache, daß regelmäßig (wenn auch nicht ausnahmslos) die Qualität des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als grundrechtsähnliches Recht nur bei der Prüfung der Antragsbefugnis erwähnt wird, in der Begründetheit meist aber keine Rolle mehr spielt, könnte dafür sprechen, hierin nur ein Kürzel für die verfassungsprozessuale Befähigung der Gemeinden zu erblicken, sich bei Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts der Popularklage zu bedienen.
278
Vgl. zur Popularklage das 5. Kapitel, zur Verfassungsbeschwerde das 6. Kapi-
279
Vgl. nur BayVerfGH 47, 165171; 49, 79/85; 50, 15/39.
tel.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
bb) Die das grundrechtsähnliche Recht kreierende Polizei vennögen-Entscheidung Bei der Klärung der Frage, wie die "Grundrechtsähnlichkeit" zu interpretieren ist, müßte die Untersuchung der Entscheidung weiterhelfen, die diese Begrifflichkeit aufgebracht hat. Ausdrücklich wird die Qualität des Selbstverwaltungsrechts als grundrechtsähnliches Recht zum ersten Mal in der Polizeivennögen-Entscheidung behauptet28o . Zuvor wurde diese Frage bzw. die Frage, ob das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ein Grundrecht im Sinn von Art. 98 (4) BV darstelle, stets offengelassen, so in der "Politische Befreiung-Entscheidung,,281, weil dort nur auf die Rechtsqualität des Selbstverwaltungsrechts der Gemeindeverbände eingegangen werden mußte, als auch in der "Wirtschaftliche Unternehmen-Entscheidung,,282, weil sie nicht als entscheidungserheblich angesehen wurde 283 . In der "Flughafen-Entscheidung 1,,284 stellt der Verfassungsgerichtshof in bezug auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht sogar noch fest: "Auch wenn dieses Recht nicht als Grundrecht im Sinne von Art. 98 BV angesehen wird ... , so darf es doch in seinem Wesens gehalt ebensowenig wie ein Grundrecht angetastet werden,,285. In der Polizeivennögen-Entscheidung wurde der grundrechtsähnliche Charakter des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts folgendennaßen beschrieben: "Ist somit das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden i. S. d. Art. 11 11 BV zwar kein Grundrecht im eigentlichen Sinne, so stellt es doch ein grundrechtsähnliches Recht dar, das jedenfalls der betroffenen Gemeinde die Möglichkeit gibt, Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV gegen Vorschriften des bayerischen Landesrechts zu erheben mit der Begründung, diese schränkten den Wesens gehalt des Selbstverwaltungsrechts ein,,286. Der Verfassungsgerichtshof schildert zunächst, daß das SelbstverBayVerfGH 29, 105/123 f. (vgl. auch Leitsatz 3b). BayVerfGH 2, 141/164. 282 BayVerfGH 10, 113/121. 283 Lapidar wird festgestellt: "Der Wesensgehalt des Selbstverwaltungsrechts muß also unangetastet bleiben. Darauf räumt Art. 11 11 2 BV der Gemeinde ein subjektives öffentliches Recht ein ... Die Frage, ob es sich dabei um ein Grundrecht im Sinne des Art. 98 BV handelt, ist vom Verfassungsgerichtshof stets offengelassen worden ... ; sie braucht auch hier nicht entschieden zu werden. Denn wenn sie zu verneinen wäre, so würde jedenfalls - neben dem subjektiven Recht - eine institutionelle Garantie bestehen; daß aber der Wesensgehalt nicht angetastet werden darf, gilt in gleicher Weise für ein Grundrecht wie bei der institutionellen Garantie ... " (BayVerfGH 10, 113/121). 284 BayVerfGH 24, 48/50f. 285 Im Verfahren ging es um eine Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 66, 120 BV im Rahmen eines Raumordnungsverfahrens. Die selbe Feststellung wurde in BayVerfGH 27, 82/86 getroffen. 280 281
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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waltungsrecht gemäß Art. 28 II GG von der h. M. in der Literatur nicht als Grundrecht angesehen werde. Er legt dar, bereits früher habe er entschieden, daß das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ein subjektives verfassungsmäßiges Recht i. S. d. Art. 66, 120 BV darstelle 287 . Es wird auf die Ursprünglichkeit der Gemeinden eingegangen; diese wird dahingehend gedeutet, daß die Gemeinden als Institution keine vom Staat künstlich geschaffenen Gebilde seien wie gewisse andere Körperschaften, zum Beispiel Sozialversicherungsträger, berufliche Kammern, Universitäten (die Landkreise und Bezirke werden nicht genannt). Sodann führt er aus: "Lehnt man mit Rücksicht auf die Eingliederung der Gemeinden in den demokratischen Staatsautbau mit dem Auftrag, als Teil des Staatsganzen die öffentlichen Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze zu erfüllen, es ab, das Selbstverwaltungsrecht als Grundrecht anzuerkennen, so ist jedenfalls davon auszugehen, daß die Bayerische Verfassung die Existenz von Gemeinden und deren Recht auf Selbstverwaltung wegen der Bedeutung, die sie als Grundlage des demokratischen Staatsautbaues haben, durch eine institutionelle Garantie gesichert hat entsprechend dem späteren Auftrag des Grundgesetzes in Art. 28 II GG. Dieser verfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung entspricht einmal ein subjektives verfassungsmäßiges Recht auf Wahrung des Wesensgehalts der Selbstverwaltung, zum anderen aber auch ein besonderer verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelf, der den Gemeinden die Möglichkeit gibt, die Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung durch legislative Maßnahmen zu rügen. Andernfalls wäre die wichtige und betonte Verfassungsgarantie der Selbstverwaltung ohne verfassungsgerichtlichen Schutz gegenüber Maßnahmen des Gesetzgebers,,288. Diese Feststellungen isoliert betrachtet, spricht einiges dafür, die "Grundrechtsähnlichkeit" ausschließlich im Sinn einer prozessualen Befugnis zu interpretieren. Maßgebliches Motiv für die Annahme, Art. 11 II 2 BV stelle ein grundrechtsähnliches Recht dar, ist die behauptete verfassungsprozessuale Schutzlosigkeit der bayerischen Gemeinden, da ihnen, würde ihnen nicht die Popularklage zugänglich gemacht, kein Rechtsbehelf des bayerischen Verfassungsprozeßrechts gegen Normen des Landesrechts zustünde. Die Tatsache, daß ohne den konstruierten Schutz noch die (bundesverfassungsrechtliche) Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG zur Verfügung stünde, sieht der Verfassungsgerichtshof offensichtlich nicht als maßgeblich an 289 . Für diese rein prozessuale InterpretaBayVerfGH 29, 105/123f. BayVerfGH 29, 105/122. 288 BayVerfGH 29, 105/123f. Bestätigt zum Beispiel in BayVerfGH 31, 99/117; 33, 47/53f.; 34,1/6; 34, 64/72; 36,15/18; 45,33/40. 289 Vgl. BayVerfGH 29, 105/124 und Leitsatz 3b Satz 2. 286 287
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I. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
tion spricht auch die Fassung des Leitsatzes Ziffer 3b) der Entscheidung: "Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden im Sinne des Art. 11 BV ist ein grundrechtsähnliches Recht in dem Sinne, daß es der betroffenen Gemeinde die Möglichkeit gibt, Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV zum Schutze des Wesensgehalts des Selbstverwaltungsrechts zu erheben". Schließlich könnte hierfür auch der Umstand sprechen, daß der Verfassungsgerichtshof in dieser Entscheidung es ausdrücklich offen gelassen hat, ob angesichts der "Grundrechtsähnlichkeit" des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts den Landkreisen ebenfalls der verfassungsprozessuale Schutz der Popularklage (und der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 120 BV) wegen Rüge der Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise zugestanden werden muß 290 .
b) Die Grundrechtsähnlichkeit als Konsequenz einer vorgeblichen Vorstaatlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts Tatsächlich sprechen die Polizei vermögen-Entscheidung sowie andere Äußerungen des Verfassungs gerichtshofs insgesamt gegen die Verengung auf eine rein verfassungsprozessuale Analogie. Erstens: Da der Verfassungsgerichtshof in der genannten Entscheidung auch die grundSätzliche Grundrechtsfahigkeit der Gemeinden bejahte, zudem im konkreten Streitfall die Möglichkeit der Verletzung des Grundrechts auf Eigentum gemäß Art. 103 BV und des Grundrechts auf Gleichbehandlung gemäß Art. 118 I BV bejahte, wäre es auf die Klärung, ob die Berufung auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht die Popularklage eröffnet, gar nicht angekommen, da die Antragsbefugnis der Popularklage bereits wegen der Grundrechtsfahigkeit zu bejahen war. Will man die Entscheidung insoweit nicht auf ein obiter dictum reduzieren, muß man annehmen, daß die "Grundrechtsähnlichkeit" Ausdruck eines weitergehenden, nicht ausschließlich prozessual motivierten Verständnisses des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ist 291 • Zweitens: Daß der Verfassungerichtshof wohl von einer weiterreichenden Bedeutung der Grundrechtsähnlichkeit ausgegangen ist, zeigt eine kurze, gewissermaßen "entlarvende" Passage in der Urteilsbegründung. Hinsichtlich der nach Bundesverfassungsrecht gegebenen Möglichkeit, Normen BayVerfGH 29, 1051124. Es wurde oben dargestellt, daß der Verfassungsgerichtshof bis zu dieser Entscheidung kein Problem damit hatte, mangels Entscheidungserheblichkeit die Frage nach der Rechtsqualität des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts unbeantwortet zu lassen. 290 291
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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wegen mutmaßlicher Verletzung des Art. 28 11 GG per Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen, wird ausgeführt: "Mit der den Gemeinden nach § 91 BVerfGG eingeräumten Befugnis, gegen Beschränkungen ihrer Handlungsfreiheit in dem durch Art. 28 GG garantierten Raum der Selbstverwaltung mit der Verfassungsbeschwerde gegen ein Bundes- oder Landesgesetz vorzugehen, hat die Frage der Grundrechtsfähigkeit im Bereich der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit weitgehend ihre Aktualität verloren,,292. Als entlarvend kann diese Stelle deswegen bezeichnet werden, weil im Hinblick auf Art. 28 11 GG nicht etwa von einer Kompetenzen absichernden Verfassungsnorm des Organisationsrechts die Rede ist, sondern von einer "Handlungsfreiheit" der Gemeinden. Damit wird das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht in die Nähe einer zunächst unbeschränkten und nur durch den Gesetzgeber beschränkbaren, sämtliche Verhaltensweisen umfassenden Freiheit gebracht. Es schimmert ein am Grundrechtsdenken orientiertes Verständnis vom gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht durch. Drittens: Zwar ist die in Art. 11 11 1 BV festgeschriebene "Ursprünglichkeit" der Gemeinden nicht ausdrückliche Begründung für den grundrechtsähnlichen Charakter des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts. Allerdings führt das Gericht aus: "Art. 11 11 1 BV bezeichnet die Gemeinden als ursprüngliche Körperschaften des öffentlichen Rechts. Hiermit kommt zum Ausdruck, daß die Gemeinden als Institution keine künstlich vom Staat geschaffenen Gebilde sind ... Demnach ließen sich gewichtige Gründe dafür anführen, das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden, denen ein "durch die Natur zugewachsener Aufgabenkreis gewährleistet ist" (VerfGH 2, 143/163 unter Hinweis auf die Materialien), als Grundrecht und nicht lediglich als institutionelle Garantie anzusehen ... ,,293. Diese Äußerungen sowie die Inbezugnahme der "Politische Befreiung-Entscheidung" zeigen auf, daß der Verfassungsgerichtshof der Ansicht zuneigt, daß die Gemeinden - und damit verbunden - das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht vorstaatlicher Herkunft sind. In der letztgenannten Entscheidung - der Begriff des grundrechtsähnlichen Rechts für das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht war noch lange nicht in Gebrauch - hat das Gericht unter Berufung auf die Beratungen des bayerischen Verfassungs gebers von 1946294 ausgeführt, daß die Gemeinden älter seien als der Staat295 und daß ihre Eigenschaft als Gebietskörperschaft vom Staat nicht verliehen noch abgelei292 BayVerfGH 29, 105/119. Auch Bethge, Grundrechtsschutz kommunaler Selbstverwaltung in Bayern?, S. 117 /122, weist auf diese Besonderheit hin und moniert, die Verwendung des Begriffs der Handlungsfreiheit liege neben der Sache. 293 BayVerfGH 29, 105/123. 294 Zur Motivation des Verfassungsgebers von 1946 vgl. das 8. Kapitel, 11. 295 Dieser Ansicht ist auch Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 3 m. w. N. 6 Lissack
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
tet sei, sondern anerkannt werde. Hier wurde die These von dem durch die Natur zugewachsenen Aufgabenkreis niedergelegt 296 . Noch deutlicher heißt es kurz darauf: "Den Gemeindeverbänden kommt in der bayerischen Verfassung - im Gegensatz zu den Gemeinden - nicht die Eigenschaft als "ursprüngliche" Gebietskörperschaften zu, ihr Selbstverwaltungsrecht hat daher nicht den Charakter eines "natürlichen" Rechts, das vom Staat nur anerkannt, nicht aber geschaffen wird,,297. Diese Auffassung wurde vom Verfassungsgerichtshof nie wieder solchermaßen pointiert wiederholt 298 , jedoch weisen auch die Ausführungen in der Fischereirechte-Entscheidung, die nach der Polizei vermögen-Entscheidung ergangen ist, auf, daß der Verfassungsgerichtshof mit dem Begriff der "Grundrechtsähnlichkeit" nicht nur eine prozessuale Analogie verbindet, sondern eine grundSätzliche Aussage zum Wesen des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden: Nachdem zunächst ein salvatorischer Hinweis dahingehend erfolgt, daß man die "Ursprünglichkeit" der Gemeinden nicht dergestalt interpretieren dürfe, daß es sich bei den Gemeinden um "völlig eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtungen,,299 handle, kommt der Verfassungs gerichtshof zu dem Ergebnis: "Das Recht der Gemeinden, ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwalten (Art. 11 11 2 BV), ist ihnen jedoch weder vom Staat verliehen noch von diesem abgeleitet, sondern es handelt sich um originäre Befugnisse, wenn auch nach Maßgabe der verfassungsmäßigen Ordnung und der Gesetze,,300. Auch hierdurch wird einem Verständnis vom gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht Ausdruck verliehen, das von einer Vorstaatlichkeit der Gemeinden ausgeht und zu einer vorstaatlichen Gemeindefreiheit gelangt; die vorstaatlichen ("originären") Kompetenzen der Gemeinden sind nicht vom Staat abgeleitet und müssen auf diesen anscheinend auch nicht zurückgeführt werden. Die außerprozessuale Bedeutung des Begriffs der "Grundrechtsähnlichkeit" scheint nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs also in der vorgeblichen Vorstaatlichkeit der Gemeinden und des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts zu liegen. Dabei wird die Grundrechtsähnlichkeit postuliert, ohne daß das Gericht eine befriedigende und ausdrückliche Begründung gegeben hätte. Freilich ficht dies den Verfassungsgerichtshof nicht an, kann er doch auf eine lange, verfestigte Rechtsprechung zurückblicken und sich damit begnügen, sich selbst zu zitieren. Die Richtigkeit dieser Vergleichsziehung wird später eingehend zu untersuchen sein (vgl. hierzu das 8. Kapitel). 296 297 298 299
300
BayVerfGH 2, 143/163. BayVerfGH 2, 143/164. Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 11 Rn. 2. BayVerfGH 37, 101/107. BayVerfGH 37, 101/108.
1. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
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3. Zusammenfassung Zur Grundrechtsähnlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ist zunächst folgendes festzuhalten: - Der Verfassungsgerichtshof sieht das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als grundrechtsähnliches Recht an. - Diese Qualifikation eröffnet den Gemeinden die verfassungsprozessuale Rechtssatzbeschwerde der Popularklage, wenn diese die Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts rügen. - Darüber hinaus ist mit dem Begriff der Grundrechtsähnlichkeit wohl der Hinweis auf eine vorgebliche Vorstaatlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts verbunden.
III. Zusammenfassung des ersten Kapitels - Vor dem Hintergrund einer nicht nur verfassungsprozessual verstandenen Grundrechtsähnlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts wird die oben dargestellte Auslegung des Art. 83 I BV im Sinn einer statischen Aufgabengebietsgarantie nachvollziehbar. Art. 83 I BV konturiert einen quasi-grundrechtlichen Schutzbereich des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts. Insoweit ist die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs durchaus konsequent. - Auch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist bei Annahme eines grundrechtsähnlichen Rechts des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts unproblematisch. Allerdings läge eine Orientierung am der Grundrechtsdogmatik enstammenden Prüfungsmodell mit den Prüfungskriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit nahe. Da der Verfassungsgerichtshof aber eine nachvollziehbare und gewissennaßen schematisierte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips scheut, kann nicht beurteilt werden, ob bzw. inwieweit die Annahme der Grundrechtsähnlichkeit Ursache der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist. Eine am grundrechtlichen Eingriffsdenken orientierte Handhabung des Anspruchs auf finanzielle Mindestausstattung liegt unter dem Gesichtspunkt des grundrechtsähnlichen Rechts ebenfalls nahe. Um überprüfen zu können, inwieweit die These des Verfassungsgerichtshofs zutrifft, wonach die Grundrechtsfähigkeit für die Bejahung des Schutzes der Popularklage Voraussetzung ist, muß im folgenden allgemein untersucht werden, welcher verfassungsprozessuale Rechtsschutz den Kommunen, insbesondere den Gemeinden nach bayerischem Recht zusteht (vgl. hierzu das 5. und 6. Kapitel) und ob allein unter verfassungsprozessualem Blickwinkel die Kreation des grundrechtsähnlichen Rechts notwendig war
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l. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungs gerichtshofs
(hierzu das 7. Kapitel). Ferner muß gefragt werden, ob die Grundrechtsähnlichkeit in bezug auf die behaupteteVorstaatlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts tatsächlich bejaht werden kann (hierzu das 8. Kapitel). 2. Kapitel
Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise Die Landkreise (in der Bayerischen Verfassung dem alten Sprachgebrauch entsprechend noch "Bezirke" genannt) und die Bezirke (in der Bayerischen Verfassung "Kreise" genannt) sind in Art. 10 I BV als Gemeindeverbände legaldefiniert. Eine Verwendung dieses Begriffs für Zusammenschlüsse von Gemeinden im Rahmen kommunaler Zusammenarbeit verbietet sich daher für den bayerischen Verfassungsraum, selbst wenn der Begriff des Gemeindeverbands es semantisch eigentlich nahelegt 301 , ihn nur für solche Körperschaften zu gebrauchen, in denen als Mitglieder Gemeinden zusammengeschlossen sind und nicht, wie bei den Landkreisen und den Bezirken, die Landkreis- bzw. Bezirksbürger302 . Als Gemeindeverbände werden die Landkreise und die Bezirke von der Bayerischen Verfassung deswegen bezeichnet, weil sie eine Zusammenfassung mehrerer Gemeindegebiete und gemeindefreier Gebiete zur Wahrnehmung von Selbstverwaltungsangelegenheiten darstellen und im Gemeinderecht beheimatete Einrichtungen und Begrifflichkeiten übernehmen 303 . Hingegen sind die Gemeindeverbände i. S. d. Art. 28 11 2 GG im Grundgesetz nicht enumerativ aufgezählt. Gemeindeverbände nach Bundesverfassungsrecht sind alle Gebietskörperschaften, deren Mitglieder Gemeinden, wiederum Gemeindeverbände oder deren Einwohner sind und die im Rahmen gesetzlicher Zuständigkeitsübertragung überörtliche, gemeindeverbandsgebietsbezogene Aufgaben in Selbstverwaltung wahrnehmen 304 • Die Landkreise sind unumstritten Gemeindeverbände, wie sich mittelbar aus Art. 28 I 2, 3 GG ergibeo5 • Auch die bayerischen Bezirke erfüllen diese Merkmale 306 , so daß sie - obwohl vom Bundesverfassungsrecht nicht durch eine institutionelle Vgl. zur Begriftlichkeit Knerneyer, Bayerisches Kornrnunalrecht, Rn. 40ff. Vgl. Art. 11 I LKrO, Art. 11 I BezO. 303 Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, BV, Teil V, Art. 10 Rn. 5. 304 BVerfGE 52, 95111Of., 116; vgl. auch Gern, Deutsches Kornrnunalrecht, Rn. 95. 30S BVerfGE 52, 951110; BVerfGE 83, 363/383. 306 Vgl. Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Art. 28 Rn. 55; Stern in: BK, Art. 28 Rn. 80. Nicht zu den solchermaßen definierten Gerneindeverbänden gehören zweifelsfrei die Zweckverbände, da diese gegenstandsbezogen oder einzelaufgaben(gebiets)bezogen handeln, vgl. Gern, Deutsches Kornrnunalrecht, Rn. 95 m. w.N. 301
302
2. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise
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Rechtssubjektsgarantie abgesichert - von der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 11 2 GG profitieren und vorbehaltlich der Subsidiaritätsklausel Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG einlegen können 307 .
I. Inhalt und Umfang des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise Gemäß Art. 10 I BV besteht für das Gebiet eines jeden Kreises und Bezirks, das gemäß Art. 9 BV zunächst nichts anderes als Amtssprengel der Staatsverwaltung ist, ein Gemeindeverband als Selbstverwaltungskörper. Damit sind auch die Landkreise über das Landesverfassungsrecht als Rechtssubjekte institutionell gewährleistet. Das gleiche gilt nach Bundesverfassungsrecht für die Landkreise - nicht aber für die Bezirke - über Art. 28 11 2 i. V. m. 28 I 2, 3 GG.
1. Der Aufgabenbezug des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise Was den Aufgabenbezug des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise angeht, so ist der Unterschied zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht offensichtlich: Art. 28 11 1 GG und Art. 11 11 2 BVenthalten zugunsten der Gemeinden das bereits dargestellte Universalitäts- bzw. Allzuständigkeitsprinzip sowie das ebenfalls beschriebene Aufgabenverteilungsprinzip. Vergleichbares beinhalten die Verfassungsgarantien des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise nicht, vielmehr bestimmen Art. 28 11 2 GG und Art. 10 11, m BV, daß nicht nur die Aufgaben des übertragenen, sondern auch die des eigenen Wirkungskreises durch Gesetz bestimmt werden. Auch im eigenen Wirkungskreis haben die Landkreise lediglich eine spezielle Kompetenz kraft ausdrücklicher gesetzlicher Zuweisung 308 , wobei ihnen allerdings regelmäßig eine Allzuständigkeit kraft einfachen Landesrechts bezogen auf ihren Bereich gewährt wird 309 . Eine Art. 83 I BV entsprechende Gewährleistung zugunsten der Gemeindeverbände existiert nicht. Zunächst ist selbstverständlich, daß den Landkreisen nicht ausschließlich staatliche, sondern auch kreiskommunale Aufgaben zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung überlassen werden müssen. Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß Art. 28 11 2 GG und Art. 10 BV das Selbstverwaltungsrecht Vgl. Lissack, § 1 Rn. 60ff. BVerfGE 79, 1271147; vgl. auch BVerfGE 21,1171129; 23, 353/365. 309 Vgl. für den bayerischen Rechtsraum Art. 4 I i. V. m. 51 I LKrO; vgl. auch BVerfGE 83, 37/54. 307 308
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
bekanntennaßen nur auf die Selbstverwaltungsangelegenheiten beziehen 31o . Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß das Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der kreisangehörigen Gemeinden auch gegenüber den Kreisen gälte. Damit sichere Art. 28 11 2 GG den Kreisen aber anders als Art. 28 11 I GG den Gemeinden keinen bestimmten Aufgabenbereich 311 . Diese Äußerung ist - isoliert betrachtet - mißverständlich. Denn auch die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung des Art. 28 11 I GG gewährleistet keinen gegenständlich bestimmten oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbaren Aufgabenkatalog 312 . Der oben zitierte Aufgabenbereich ist also nicht mit dem Aufgabenkatalog zu verwechseln. Der Tenninus des Aufgabenbereichs ist im Zusammenhang mit der Universalität der Gemeinden zu sehen, der sich auf die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft bezieht313 . Man wird allerdings mit dem Bundesverwaltungsgericht davon auszugehen haben, daß das den Landkreisen zugewiesene Aufgabenfeld von Selbstverwaltungsaufgaben von einem solch substantiellen Gewicht sein muß, daß es eine kraftvolle Betätigung der Gemeindeverbände ennöglicht314 . Auch wird gefordert, daß der Gesetzgeber die Aufgaben der Landkreise nicht so exakt fonnulieren bzw. vorschreiben dürfe, daß für eine eigenständige Selbstverwaltung auf dieser Ebene kein Spielraum mehr bleibt315 . Welche Bedeutung den ergänzenden und ausgleichenden Funktionen der Kreise nach der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch zukommt, ist in der Literatur umstritten 316 , weil das Bundesverfassungsgericht zur Verfassungsmäßigkeit dieser Kreisfunktionen keine abschließende Entscheidung getroffen hae 17. Nennenswerte Äußerungen des Verfassungsgerichtshofs zum Aufgabenbezug des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise sind nicht bekannt, es sei denn, man will der Bemerkung "Nach Art. 10 11 BV wird der eigene Wirkungskreis der Gemeindeverbände durch die Gesetzgebung bestimmt. Eigener und übertragener Wirkungskreis unterscheiden sich, je nachdem die Aufgabe dem Staate oder dem Selbstverwaltungskörper zugerechnet wird.,,318 die Bedeutung entnehmen, daß sich das Gericht für befugt hält, BVerfGE 83, 363/383. BVerfGE 79, 1271150. 312 BVerfGE 79, 1271146. 313 BVerfGE 79, 1271150. 314 BVerwGE 67, 3211323; Lissack, § I Rn. 76, Fn. 102 m. w.N. Vgl. auch Lerche, DÖV 1969, 46ff. 3IS Vgl. v. Mutius, Jura 1982,28/31. 316 Vgl. nur Schmidt-Jortzig, DÖV 1993,973/981; Sc hoch, DVBl. 1995, 1047ff.; Schink, VerwArch. 81 (1990), 385/41lff. 317 BVerfGE 79, 1271152. 310
311
2. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise
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die Zuordnung einer gesetzlich zugewiesenen Aufgabe zum eigenen bzw. übertragenen Wirkungskreis hinsichtlich der Vertretbarkeit zu überprüfen 319 . Insbesondere fehlen Aussagen zur Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion der Landkreise, weil den Landkreisen nach bayerischem Landesrecht nur eine sehr eingeschränkte Ergänzungsfunktion auf Antrag zukommt 32o .
2. Der modale Bezug des SelbstverwaItungsrechts der Landkreise a) Die Parallele zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht Insoweit den Landkreisen kreiskommunale Selbstverwaltungsaufgaben zugewiesen werden, gilt in bezug auf das modale Element des kommunalen Selbstverwaltungsrechts grundsätzlich nichts anderes als für die Gemeinden. Ohne weitere Problematisierung sprachen dies das Bundesverfassungsgeriche 21 und der Verfassungsgerichtshoe 22 aus, so daß auf die Ausführungen zum modalen Bezug des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden verwiesen werden darf.
b) Insbesondere: Die Finanzhoheit Das Bundesverfassungsgericht kann sich auch im Bereich des Selbstverwaltungsrechts der Kreise einen aus Art. 28 II GG ableitbaren Anspruch auf eine "insgesamt zureichende Finanzausstattung,,323 vorstellen, läßt diese Frage aber letztlich wie bei den Gemeinden offen. Bemerkenswert ist, daß der Verfassungs gerichtshof in seiner Entscheidung hinsichtlich der Popularklagen zweier Landkreise, die Bestimmungen des kommunalen FinanzBayVerfGH 2, 143/165. Allenfalls unter Kuriosa kann man folgende Bemerkung einordnen, soweit es um das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände geht: ,,Es kann demnach nicht davon ausgegangen werden, daß Art. 11 II BV den historischen Bestand und den konkreten Aufgabenkreis der Gemeinden und Gemeindeverbände - wie ihn der Verfassungsgeber vorgefunden hat - habe ändern wollen" (BayVerfGH 31, 991 122f.). Zum einen behandelt Art. 11 BV ausschließlich das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden, nicht aber das der Landkreise, zum anderen diskutiert man die Aufgabengarantie zugunsten der Gemeinden ohnehin besser in Verbindung mit Art. 83 BV. 320 Vgl. Art. 52 LKrO, Art. 49 BezO; vgl. auch Lissack, § 2 Rn. 30ff. 32\ Vgl. nur BVerfGE 23, 353/365; vgl. insbesondere BVerfGE 83, 363/383: "Das ,Recht der Selbstverwaltung', also die Befugnis zu eigenverantwortlicher Aufgabenerledigung gemäß Art. 28 II 2 GG, bezieht sich nur auf diesen Umkreis von Aufgaben. Insofern allerdings gilt für sie nach dieser Vorschrift nichts grundsätzlich anderes als für die Gemeinden nach Art. 28 II I GG". 322 Vgl. nur BayVerfGH 50, 1811203 f. 323 BVerfGE 83, 363/386. 3\8
3\9
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
ausgleichs zum Gegenstand hatten (sog. Landkreisfinanzausgleich-Entscheidung)324, jedenfalls nicht expressis verbis den beim Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden diskutierten Anspruch auf angemessene oder ausreichende Finanzausstattung325 auf die Landkreise übertragen will. Dies verwundert deswegen, weil der gemeindliche Anspruch auf angemessene (ausreichende) Finanzausstattung Art. 83 11 2 BV entnommen wurde. Diese Bestimmung ist aber wegen des Verweises in Art. 83 VI BV auch auf die Gemeindeverbände anwendbar. Somit hätte es nahe gelegen zu problematisieren, ob auch den Gemeindeverbänden ein solcher Anspruch zukommt, insbesondere auch deswegen, weil der Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung als eine im Kembereich der gemeindlichen Selbstverwaltung angesiedelte Gewährleistung dargestellt wurde. Da aber auch das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise nicht im Kembereich berührt werden darf, hätte jedenfalls die Begrifflichkeit des Anspruchs auf finanzielle Mindestausstattung verwandt werden können. In der "Münchener Finanzausgleich-Entscheidung" hatte der Verfassungsgerichtshof noch ausdrücklich festgestellt: "Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Finanzausgleichs stellt sich unter zwei Gesichtspunkten: zum einen, ob die Finanzausstattung, die den Kommunen insgesamt zur Verfügung steht, offensichtlich nicht ausreicht; zum anderen, ob das System des kommunalen Finanzausgleichs als solches den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, das heißt ob es zum Beispiel willkürliche Festsetzungen oder vom Gleichheitssatz nicht gerechtfertigte Differenzierungen enthält, insbesondere zu nicht hinnehmbaren, systemwidrigen Benachteiligungen bestimmter Gemeinden führt, oder ohne plausible, rechtfertigende Gründe von dem selbst gesetzten Regelungssystem abweicht,,326. In der "Landkreisfinanzausgleich-Entscheidung" werden nunmehr ohne große Umschweife konkrete Anforderungen an die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs gestellt, wobei die Gestaltungsprärogative des Staates hervorgehoben wird; auch der kommunale Finanzausgleich sei Teil der gesamten Haushaltswirtschaft des Staates327 . Im weiteren werden dann die inkriminierten Vorschriften auf ihre Systemgerechtigkeit und Willkürlichkeit untersucht; der letztlich absolute und - in Konsequenz bezifferbare - Anspruch auf ausreichende Finanzausstattung spielt keine Rolle. Ob dies deswegen geschieht, weil erkannt wurde, daß angesichts der Überprüfung einzelner Bestimmungen damit kaum zu arbeiten ist, oder aber weil im Streitfall keine allgemeine Unterversorgung der Landkreise behauptet 324 BayVerfGH Vf. 24-VII-94, Entscheidung vom 12. Januar 1998, BayVBI. 1998, 207 ff. 325 Siehe hierzu 1. Kapitel, I.2.b. 326 BayVerfGH 50, 15/44. 327 BayVerfGH Vf. 24-VII-94, S. 27. So bereits BayVerfGH 12,48/56.
2. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise
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worden ist, wird nicht ausdrücklich klargestellt. Erstaunlicherweise wird jedoch später scheinbar dem Begriff nach der Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung für die Gemeinden reserviert, wenn der Verfassungs gerichtshof ausführt: "Wie bei der Frage, ob das Recht der Gemeinden auf finanzielle Mindestausstattung beeinträchtigt ist ... , ist auch im vorliegenden Zusammenhang auf das Gesamtvolumen der Einnahmen der Landkreise einschließlich der staatlichen Zuwendungen abzustellen,.328. Ob hieraus folgern soll, der Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung komme nur den Gemeinden zu, ist zweifelhaft. Allerdings wird das für den bayerischen Verfassungsraum relativ neuartige 329 Verbot der "völligen Nivellierung (oder gar Übernivellierung)" der Finanzkraftunterschiede zwischen den Landkreisen angelegt. Eine vollkommene Nivellierung oder sogar eine Übernivellierung würde mit der Eigenverantwortlichkeit der Selbstverwaltungsorgane und dem Willkürverbot in Widerspruch stehen33o , ohne daß diese These detailliert begründet worden wäre 331 • Eine im Einzelfall entstehende Nivellierung könne allerdings hinzunehmen sein, weil der Gesetzgeber die Möglichkeit haben müsse, zumindest befristet dem Ziel der Schaffung einheitlicher Lebensbedingungen stärkeres Gewicht einzuräumen als dem Interesse der einnahmestärkeren Kommunen an der Beibehaltung einer bestimmten Rangfolge im interkommunalen Finanzausgleich332 .
3. Die Ausgestaltung des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise a) Die Ausgestaltung des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise im allgemeinen Anders als Art. 28 11 2 GG, der einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt beinhaltet, fehlt Art. 10 BVein solcher. Dies schadet nicht, zum einen, weil eine Einschränkbarkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts durch Gesetz erst recht eine solche des gemeindeverbandlichen zur Konsequenz haben muß. Zum anderen ist die Einschränkungsmöglichkeit des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise dadurch bedingt, daß auch der eigene Wirkungskreis der Gemeindeverbände durch die Gesetzgebung bestimmt wird; das verlangt vom Gesetzgeber nicht nur die Festlegung des Bündels von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises, es ermöglicht ihm auch eine nähere inhaltliche Umschreibung und spätere Einschränkungen. 328 329 330 331 332
BayVerfGH Vf. 24-VII-94, S. 33. Dieses Gebot wurde vorher nur in BayVerfGH 50, 15/49ff. erwähnt. BayVerfGH Vf. 24-VII-94, S. 31f. Vgl. BayVerfGH Vf. 24-VII-94, S. 20. BayVerfGH Vf. 24-VII-94, S. 38.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
In bezug auf die Ausgestaltung des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise kann weitgehend auf die für das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht getätigten Ausführungen verwiesen werden. Das Bundesverfassungsgericht arbeitet auch hier vorwiegend mit dem unantastbaren Kernbereich als absoluter Schranke gesetzgeberischer Eingriffe333 . Der Verfassungsgerichtshof, der zur Beschränkbarkeit des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise nur im Rahmen gebietsreformierender Maßnahmen und des Finanzausgleichs Ausführungen gemacht hat, legt neben der Garantie des Wesensgehalts auch Willkürverbot und Gleichbehandlungsgebot sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip an 334 . Wie problematisch wiederum die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zur Kontrolle abstrakt-genereller Gesetze ist, zeigt gerade die "Landkreisfinanzausgleich-Entschei~ung": Zunächst wird eine Abwägung zwischen den Belastungen oder Beeinträchtigungen der gemeindlichen (!) Finanzausstattung und den dafür maßgebenden, am öffentlichen Wohl orientierten, sachlichen Gründen verlangt, als gäbe es eine der Abwägung und dem Gesetzgeber vorgelagerte, naturgegebene Finanzausstattung. Dann wird - vielleicht weil man die Unpraktikabilität eines solchen Vorgehens erahnt - eher einem Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme entsprechend gefordert, der Gesetzgeber müsse, soweit Finanzausgleichsleistungen zwischen verschiedenen kommunalen Aufgabenträgern in Rede stünden, bei deren Ausgestaltung die allseitigen Belange zu einem "angemessenen Ausgleich" bringen335 . Zu erwähnen ist jedoch, daß in dieser Entscheidung, jedenfalls soweit es um die Verfassungsmäßigkeit von Art. 8 (2) FAG geht, einigermaßen konsequent zwischen der Prüfung am Maßstab des Gleichbehandlungsgebots und des allgemeinen Willkürverbots getrennt wird, wobei der Gedanke der Systemgerechtigkeit dem allgemeinen Willkürverbot entnommen wird 336 . Das Selbstverwaltungsrecht kann dann freilich keine darüber hinausgehenden Erkenntnisse zu Tage fördern 337 .
b) Sondeifall: Die allgemeine Landkreisreform
Die in den Jahren 1971 und 1972 durchgeführte Kreisgebietsreform zur Neugliederung Bayerns in Landkreise und kreisfreie Städte338 wurde als Vgl. besonders deutlich BVerfGE 23, 353/365 ff. Vgl. BayVerfGH Vf. 24-VII-94, S. 28. 335 Vgl. BayVerfGH Vf. 24-VII-94, S. 28ff. 336 BayVerfGH Vf. 24-VII-94, S. 39ff. 337 BayVerfGH Vf. 24.-VII-94, S. 48. 338 Verordnung zur Neugliederung Bayerns in Landkreise und kreisfreie Städte vom 27. Dezember 1971, GVBI. 1971, S. 495ff., Inkrafttreten am 1. Juli 1972. Vgl. hierzu Knemeyer, AfK 1972, 44ff.; ders., DÖV 1972, 346ff. 333 334
2. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise
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Voraussetzung für eine sinnvolle Gemeindegebietsreform angesehen, unter anderem deswegen, weil bei Durchführung der Gemeindegebietsreform die neuen Landratsämter bereits voll funktionsfähig sein mußten. Daneben bedurfte es eines Gesetzes zur Neuabgrenzung der Regierungsbezirke 339 . Dabei wurde die Anzahl der Landkreise von 143 auf 71, die der kreisfreien Städte von 48 auf 25 verringert. Rechtstechnisch ist an dieser allgemeinen Landkreisreform bemerkenswert, daß die Neugliederungsverordnung sämtliche Landkreise auflöste und dann neue Landkreise unter Bestimmung eines Gesamtrechtsnachfolgers für die aufgelösten Landkreise bildete34o . Ob ein solches Vorgehen mit der institutionellen Rechtssubjektsgarantie zu vereinbaren ist, kann bezweifelt werden, weil es wenigstens für eine juristische Sekunde in Bayern keine Landkreise gab. Zahl und Umfang der Landkreise ist verfassungsmäßig nicht festgelege 41 • Gemäß Art. 9 11 2 BV wird die Einteilung der Landkreise und kreisfreien Städte durch Rechtsverordnung der Staatsregierung nach vorheriger Zustimmung342 des Landtags bestimmt. Zwar bezieht sich diese Bestimmung nur auf die Einteilung der Landkreise als staatliche Verwaltungssprengel; da sich die Gebiete der Landkreise als Verwaltungssprengel mit den Gebieten als Gemeindeverbände im Sinn von Art. 10 BV decken, erstreckt sich die Regelung zwangsläufig auch auf die Gemeindeverbände 343 . Die Einteilung im Sinn des Art. 9 11 2 BV umfaßt auch Bestandsänderungen, also die Auflösung bestehender und die Schaffung neuer Landkreise, wobei diese Vorschrift keinen Unterschied macht zwischen Maßnahmen im Rahmen einer allgemeinen Gebietsreform und isolierten Einzelrnaßnahmen. Der Verfassungsgerichtshof hat angesichts der Popularklage gegen Art. 9 11 2 BV344 Kriterien zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer das Staatsgebiet neu gliedernden Verordnung aufgestellt, Kriterien, die in späteren Entscheidungen anläßlich der Popularklage gegen die Verordnung zur Neugliederung Bayerns in Landkreise und kreisfreie Städte vom 27.12.1971 345 und sonstiger gemeindereformierender Maßnahmen erneut Vgl. Knemeyer, DÖV 1972, 346ff. Vgl. nur BayVerfGH 27, 14/33. 341 BayVerfGH 2, 181/216; 24, 1811193; die Anzahl der Regierungsbezirke und der gebietsmäßig entsprechenden Gemeindeverbände ist hingegen (angeblich) verfassungsmäßig vorgegeben, vgl. Art. 9 I i. V.m. 185 BV; vgl. 3. Kapitel, I. 342 Der Verfassungstext bezeichnet den Akt der Zustimmung als vorherige "Genehmigung"; im juristischen Sprachgebrauch ist die Genehmigung allerdings durch die Nachträglichkeit der Zustimmung gekennzeichnet, vgl. § 184 I BGB. 343 BayVerfGH 24, 1811192. 344 Mithin ging es in der Entscheidung E 24, 181 um die Frage verfassungswidrigen Verfassungsrechts. 345 GVBI. 1971, S. 495. 339
340
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
verwandt wurden: Die Einteilung der Regierungsbezirke in Landkreise müsse am öffentlichen Wohl ausgerichtet sein, der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei zu beachten. Auch die Kernbereichstheorie, wonach die institutionell gewährleistete Selbstverwaltung der Landkreise in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden darf, findet Anwendung. Aus der Selbstverwaltungsgarantie folge unter anderem die Bindung, bei einer mit der Neugliederung von Verwaltungseinheiten verbundenen Auflösung und Schaffung neuer Landkreise dem Sinn und Zweck der Selbstverwaltung entsprechende Selbstverwaltungskörper zu schaffen. Schließlich wird auch die vorherige Anhörung der Landkreisorgane - nicht aber der Bürger - als Erfordernis genanne 46 . Insgesamt also die gleichen Prüfungsmaßstäbe wie bei allgemein das kommunale Selbstverwaltungsrecht berührenden Maßnahmen beziehungsweise wie insbesondere bei der Gemeindegebietsreform. Ausgeführt werden diese Prüfungsmaßstäbe in der Landkreis IngolstadtEntscheidung 347 , deren Überzeugungskraft unter ihrem wenig durchschaubaren Aufbau leidet; allerdings wird hier der Grundstein für die spätere Rechtsprechung zu den gemeindereformierenden Maßnahmen gelegt. Mehr als eine Grundsteinlegung ist diese Entscheidung aber nicht, was am Beispiel der Verhältnismäßigkeitsprüfung deutlich gemacht werden soll: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip soll zwar auch auf Staatsorganisationsakte anwendbar sein, der Verfassungsgerichtshof zweifelt aber, ob es für "gebietliche Maßnahmen überhaupt konkretisierbar" ist. Wie wenig brauchbar hierbei das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Prüfungsmaßstab ist, zeigt sich, wenn der Verfassungsgerichtshof fortfährt: "Dieser Verfassungsgrundsatz besagt hier aber allenfalls, daß sich die Maßnahmen am Gebot einer effektiven Verwaltungsorganisation ausrichten müssen,,348. Eine effektive Verwaltungsorganisation zu erreichen, ist aber das zentrale Ziel aller im Rahmen der Verwaltungsreformen - Gebietsreform, Funktionalreform, Institutionalreform 349 - angestrengten Bemühungen der Staatsregierung bzw. des Landtags gewesen. Letztlich folgt aus dem so verstandenen Verhältnismäßigkeitsprinzip nichts anderes als ein gewisses, ohnehin selbstverständliches Maß an Systemtreue, insbesondere wenn wie hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht individuell auf den betroffenen Landkreis angewandt wird, sondern die Landkreisreform allgemein durch diese Brille betrachtet wird.
Vgl. BayVerfGH 24, 1811194; BayVerfGH 27, 14/28f., 32ff. BayVerfGH 27, 14ff. 348 BayVerfGH 27, 14/32. 349 Vgl. Buchner, Der Einfluß der Landesplanung auf die Gebietsreform in: Knemeyer, Gebietsreform und Landesplanung, S. 24 ff. 346 347
2. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise
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4. Zusammenfassung
Gemeindliches Selbstverwaltungsrecht und das der Landkreise sind strukturell vergleichbar. Mit Ausnahme des Allzuständigkeitsprinzips und des Aufgabenverteilungsprinzips laufen die Gewährleistungen des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden und der Landkreise nach Inhalt und Umfang sowie Prüfungsstruktur parallel. Die Unterschiede zwischen gemeindlichem Selbstverwaltungsrecht und dem der Landkreise sind nicht so gewichtig, daß die prinzipielle Parallelität dadurch in Frage gestellt werden müßte: Das Fehlen einer verfassungsrechtlich verbürgten Garantie der Allzuständigkeit wird durch den einfachen Gesetzgeber ausgeglichen. Wenn der Verfassungsgerichtshof in bezug auf die Landkreise den Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung nicht diskutieren will, so erstaunt dies zwar, darf aber in der Sache nicht überbewertet werden. Schließlich zeigt sich die weitgehende Kongruenz auch in der Untersuchung der Maßnahmen im Rahmen der Gebietsrefonnen, wobei jedoch betont werden muß, daß im Rahmen der Landkreisrefonn alle Landkreise zunächst aufgelöst wurden; ein Vorgehen, das niemand bei Gemeinden auch nur angedacht haben würde (auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines solchen Vorgehens soll hier nicht eingegangen werden). Insofern zeigt sich ein erhöhter Bestandsschutz der Gemeinden. Diese genießen zwar keinen individuellen Bestandsschutz, jedoch standen sie dem Gesetzgeber auch nicht dergestalt zur Disposition, daß man gleichsam aus ihrer Gesamtmasse neue Gemeindeeinheiten bildete. Die insgesamt gegebene strukturelle Vergleichbarkeit wurde durch das Bundesverfassungsgericht350 bzw. vom Verfassungsgerichtshoe 51 im Rahmen ihrer Rechtsprechung mehrfach herausgehoben. Bereits oben wurde am Rande erwähnt, daß das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände nicht als grundrechtsähnliches Recht angesehen wird. Deswegen stellt sich die Frage, welche Gründe der Verfassungsgerichtshof dafür nennt, daß das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden im Gegensatz zu dem der Landkreise ein grundrechtsähnliches Recht darstellen soll (hierzu sogleich). Zu fragen ist also nach dem wesensmäßigen Unterschied, nach dem Unterschied in der Natur der Selbstverwaltungsgarantien von Gemeinden und Landkreisen. Zu fragen ist weiter, weshalb ein prozessuales Bedürfnis nach Eröffnung der Popularklage über das Konstrukt des grundrechtähnlichen Rechts beim Selbstverwaltungsrecht der Landkreise nicht besteht (vgl. hierzu das 4. und 5. Kapitel).
350 351
Vgl. BVerfGE 23, 353/367; 83, 363/392. Vgl. BayVerfGH 2, 143/163; BayVerfGH 50, 181/202ff.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungs gerichtshofs
11. Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise als institutionelle Garantie 1. Das Fehlen einer grundrechtlichen Fundierung des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gibt es bezüglich des Charakters des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden einerseits und dem der Landkreise andererseits keinen Unterschied. In bei den Fällen handelt es sich um institutionelle Garantien, um Einrichtungsgarantien, die der etatistischen Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts entsprechend nicht durch Wesensmerkrnale geschieden werden, sondern vielmehr durch funktionale Aspekte des Gewährleistungsinhalts und -umfangs sowie der Ausgestaltungsmöglichkeiten. Die Tatsache, daß aus dem institutionell gewährleisteten Recht auf Selbstverwaltung subjektive Berechtigungen erwachsen, wird in Art. 93 I Nr. 4b GG vorausgesetzt; Art. 93 I Nr. 4b GG begründet diese subjektiven Berechtigungen nicht, sondern macht sie lediglich auch vor dem Bundesverfassungsgericht einklagbar. Eine grundrechtliche Fundierung des Selbstverwaltungsrechts der kommunalen Gebietskörperschaften liegt dem Bundesverfassungsgericht fern. Der Verfassungsgerichtshof hat von Beginn seiner Rechtsprechung an die Ansicht vertreten, daß das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise ausschließlich eine institutionelle Gewährleistung darstelle; eine grundrechtliche oder den Grundrechten annähernde Fundierung hat er in seiner ersten das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise betreffenden Entscheidung 352 genauso verneint wie in der die "Grundrechtsähnlichkeit" des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden gebärenden POlizeivermögen-Entscheidung 353 • Später war der Charakter des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise nicht mehr Gegenstand der Diskussion, sondern nur noch der Bestätigung 354 . Allerdings hat der Verfassungsgerichtshof von Anfang an auch das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise als subjektives öffentliches Recht angesehen 355 .
BayVerfGH 2, 143/161 ff. BayVerfGH 29, 105/122ff., insbes. 124. 354 Vgl. BayVerfGH Vf. 24-VII-94, S. 25f. m BayVerfGH 2, 143/163. 352 353
2. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise
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2. Die rein institutionelle Ableitung des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise a) Die Politische Befreiung-Entscheidung
In der ersten zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht Stellung nehmenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs wird das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise dezidiert im Gegensatz zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht gesehen. Bereits oben (1. Kapitel, 11.2.) wurde dargelegt, daß ausschlaggebender Grund dafür, das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise nicht als Grundrecht (i. S. d. Art. 98 (4) BV) anzusehen, die Annahme war, der genetische Ursprung von Gemeinden einerseits und Landkreisen andererseits sei ein verschiedener, da die Gemeinden älter als der Staat und deswegen als "ursprüngliche" Gebietskörperschaften anzusehen seien356 , wie das Art. 11 11 1 BV zu Recht ausspreche. Im Unterschied zu den Gemeinden habe das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise nicht den Charakter eines "natürlichen" Rechts. Ob den Gemeinden unter Berufung auf ihr Selbstverwaltungsrecht die Popularklage eröffnet sein soll, wird in dieser Entscheidung noch ausdrücklich offen gelassen, den Landkreisen wird diese Möglichkeit jedenfalls versage 57 . Gleichwohl wird über die Popularklage des antrags teIlenden Landkreises sachlich entschieden, weil ein Verstoß gegen Art. 118 I BV nicht ausgeschlossen wird. Schließlich führt der Verfassungsgerichtshof aus: "Im übrigen ist die verfassungsrechtliche Garantie der Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände in gleicher Weise gestaltet, und zwar in derselben Art, wie sie Art. 127 Weimarer Verfassung vorsah: Teils als institutionelle Garantie, teils als subjektives öffentliches Recht,,358. Damit ist diese Entscheidung in dreierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum ersten ist hier der Grundstein für die bis heute vertretene Unterscheidung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts von dem der Landkreise gelegt. Auslöser für diese Unterscheidung ist die Interpretation des Begriffs der "Ursprünglichkeit", der nach Bayerischer Verfassung nur das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ziert. Zum zweiten wird den Landkreisen die Möglichkeit zugestanden, ein Popularklageverfahren mit der Behauptung zu initiieren, das inkriminierte Gesetz verstoße gegen Art. 118 I BV. Schließlich wurde deutlich gesehen, daß das Selbstverwaltungsrecht auch der Landkreise nicht nur eine institutionelle Garantie darstellt, sondern eben auch ein subjektives Recht beinhaltet, das gleichwohl nicht ausreicht, den Schutz der Popularklage auszulösen. 356 357 358
BayVerfGH 2, 143/163. BayVerfGH 2, 143/164. BayVerfGH 2, 143/163.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungs gerichtshofs
b) Die Landkreis Ingolstadt-Entscheidung
Ganz ausdrücklich wurde in der Landkreis Ingolstadt-Entscheidung festgestellt: "Landkreise sind zu Verwaltungszwecken zusammengefaßte Gebiete. Ihnen ist die Selbstverwaltung nur institutionell, nicht jedoch als grundrechtsähnliches Recht gewährleistet". So deutlich wird die Qualität als "grundrechtsähnliches Recht" allerdings nur im Leitsatz 6 der Entscheidung abgelehne 59 . In den Entscheidungsgründen wird im Rahmen der Prüfung der Antragsbefugnis diese Frage ausdrücklich offengelassen 36o , im Rahmen der Begründetheit wird der Gegensatz zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht hervorgehoben 361 . c) Die Polizeivermögen-Entscheidung
Daß diese Entscheidung markanter Beginn der Auslegung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als "grundrechtsähnliches" Recht in einem über die verfassungsprozessuale Analogie hinausgehenden Sinne ist, wurde oben dargelegt. Bedeutsam an dieser Entscheidung für den Zusammenhang mit dem Selbstverwaltungsrecht der Landkreise ist, daß der Verfassungs gerichtshof damals durchaus die Möglichkeit sah, den Landkreisen die Popularklage unter Berufung auf Art. 10 I BV zu eröffnen, also das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise als grundrechts ähnlich im prozessualen Sinne zu verstehen, führt er doch aus: "Es bedarf hier keiner Entscheidung darüber, ob hinsichtlich der Klagebefugnis der Gemeindeverbände (Art. 10 I BV) entsprechendes zu gelten hat und ob auch diesen Gemeindeverbänden - ungeachtet dessen, daß das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände kein Grundrecht darstellt (VerfGH 2, 143/163 f.) - gegen Einzelrnaßnahmen der Landesstaatsgewalt Verfassungsbeschwerde und gegen legislative Maßnahmen des Landesgesetzgebers Popularklage zusteht, wenn sie geltend machen, daß ihnen das nach Maßgabe der Gesetze eingeräumte Recht auf Selbstverwaltung unzulässig eingeschränkt werde,,362. Ein Verständnis des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise als "vorstaatliches" , natürliches Recht hat der Verfassungsgerichtshof freilich zu keiner Zeit erwogen. Damit erweist sich diese Entscheidung als durchaus entwicklungsoffen: Zum einen hätte sie es bei Fortschreibung ihrer Aussagen ermöglicht, das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise als grundrechtsähnlich in einem rein prozessualen Sinn anzusehen. Zum anderen hätte von diesem AusgangsBayVerfGH 27, 14/15. BayVerfGH 27, 14/21. 361 BayVerfGH 27, 14/32f. 362 BayVerfGH 29, 1051124; ähnlich bereits BayVerfGH 27, 14/21 im Gegensatz zu Leitsatz 6 dieser Entscheidung. 359
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2. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise
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punkt aus auch das gemeindliche Selbstverwahungsrecht in weiteren Entscheidungen dahingehend neu umschrieben werden können, daß es ausschließlich als grundrechtsähnlich in einem prozessualen Sinne angesehen wird. Einer Annäherung von gemeindlichem Selbstverwahungsrecht und dem der Landkreise hätte nichts entgegengestanden. d) Die Landkreisjinanzausgleich-Entscheidung
Bekanntlich wurde dieser Weg nicht gegangen. Vielmehr wird auch in den neueren Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs gebetsmühlenhaft wiederholt, das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht sei "grundrechtsähnlich". Es wird nicht dargelegt, weshalb das Selbstverwahungsrecht der Landkreise nicht alleine ausreicht, die Popularklage zu aktivieren. Die Landkreise werden auf die Berufung auf Art. 118 I BV verwiesen. Gleichwohl wird das Selbstverwahungsrecht der Landkreise gemäß Art. 10 I BV als Prüfungsmaßstab herangezogen. Zwar ist damit die Frage, ob das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise ebenfalls - isoliert - den Schutz der Popularklage auslösen kann, nicht entscheidungserheblich, da in jedem Fall unter Berufung auf Art. 118 I BV die Antragsbefugnis bejaht werden kann. Gleichwohl hätte der Verfassungsgerichtshof diese Entscheidung zum Anlaß nehmen können, dieses Problem, das spätestens seit der "Polizeivermögen-Entscheidung,,363 einer Erörterung harrt, einer Lösung zuzuführen.
III. Zusammenfassung des zweiten Kapitels - Das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise stellt kein grundrechtsähnliches Recht, sondern nur eine institutionelle Garantie, verbunden mit einem subjektiven öffentlichen Recht dar. - Grund für die Annahme des Verfassungsgerichtshofs, das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise sei nicht "grundrechtsähnlich", ist offensichtlich die mangelnde Vorstaatlichkeit der Landkreise bzw. deren Selbstverwaltungsrechts. - Damit können die Landkreise allein unter Berufung auf das Selbstverwaltungsrecht nicht Popularklage einlegen; allerdings wird ihnen die Möglichkeit eingeräumt, unter Berufung auf die Grundrechte, insbesondere Art. 118 I BV die Antragsbefugnis der Popularklage zu überwinden.
363
BayVerfGH 29, 105.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
- Die strukturelle Ähnlichkeit von gemeindlichem Selbstverwaltungsrecht und dem der Landkreise nahm der Verfassungsgerichtshof bis jetzt nicht zum Anlaß, seine Ansicht zur Grundrechtsähnlichkeit zu überdenken. Zu untersuchen ist, wie sich das Selbstverwaltungsrecht der Bezirke in das bis jetzt dargestellte System einpaßt (hierzu das dritte Kapitel). Da angedeutet wurde, daß die Gemeindeverbände unter Berufung auf die Grundrechte die Popularklage aktivieren können, ist auf die Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietsverbände näher einzugehen (hierzu das vierte Kapitel). Schließlich sind die Auswirkungen aller gewonnenen Erkenntnisse auf die prozessuale Situation der Kommunen darzulegen (hierzu das fünfte und sechste Kapitel).
3. Kapitel
Das Selbstverwaltungsrecht der Bezirke I. Inhalt und Umfang des Selbstverwaltungsrechts der Bezirke Art. 28 GG erwähnt nicht ausdrücklich die höheren Gemeindeverbände, sondern begnügt sich mit einer allgemeinen Regelung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeindeverbände. Die höheren Gemeindeverbände müssen daher vom Landesverfassungsgeber nicht geschaffen werden. Kreiert er aber solche, hat er die Anforderungen des Art. 28 GG zu beachten. Damit wird den entstehenden höheren Gemeindeverbänden der Schutz der bundesverfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie zuteil, so daß sie sich nötigenfalls unter Behauptung der Verletzung des Art. 28 GG auch gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG an das Bundesverfassungsgericht wenden können. Daß die bayerischen Bezirke Gemeindeverbände im Sinn von Art. 28 GG sind, wurde bereits oben 364 dargelegt. Zur Rechtsstellung der höheren Gemeindeverbände hat sich das Bundesverfassungsgericht noch nicht geäußert. Die Bayerische Verfassung regelt in Art. 10 expressis verbis die Rechtsstellung der bayerischen höheren Gemeindeverbände, der Bezirke. Die Bezirke stellen nicht zuletzt auch deswegen eine landesverfassungsmäßige Besonderheit dar, weil ihnen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs - anders als den Gemeinden und den Landkreisen - über die institutionelle Rechtssubjektsgarantie hinaus eine individuelle Rechtssubjektsgarantie, also eine individuelle Bestandsgarantie vermittelt wird. Art. 185 BV enthalte "nämlich das inzwischen durch das Gesetz vom 364
2. Kapitel, vor I.
3. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Bezirke
99
20. April 1948 ... vollzogene Gebot, die alten Regierungsbezirke wiederherzustellen,,365. 1. Der Aufgabenbezug des SelbstverwaItungsrechts der Bezirke Zum Aufgabenbezug des Selbstverwaltungsrechts der Bezirke gibt es keine Äußerungen von Bundesverfassungsgericht bzw. Verfassungsgerichtshof. Die verfassungsrechtliche Rechtslage unterscheidet sich aber prinzipiell in nichts von derjenigen, die für die Landkreise festgestellt wurde. Insbesondere haben auch die Bezirke eine Zuständigkeit im eigenen wie im übertragenen Wirkungskreis nur kraft spezieller Kompetenz. Auch hier wird einfachgesetzlich eine Quasi-Allzuständigkeit kraft einfachen Landesrechts bezogen auf ihren Bereich gewährt366 , so daß auch das den Bezirken zugewiesene Betätigungsfeld eine kraftvolle Ausübung des Selbstverwaltungsrechts ermöglicht 367 . Dabei kommt den Bezirken - ebenso wie den Landkreisen - nur eine eingeschränkte Ergänzungsfunktion auf Antrag ZU 368 . 2. Der modale Bezug des SelbstverwaItungsrechts der Bezirke Auch in bezug auf das modale Element des Selbstverwaltungsrechts der Bezirke kann auf die Ausführungen zum Selbstverwaltungsrecht der Landkreise verwiesen werden 369 . Daß von seiten der Bezirke ebenfalls eine Popularklage zum Finanzausgleich in Erwägung gezogen worden ist, zeigen die rechtsgutachtlichen Äußerungen von Papier37o . 3. Die Ausgestaltung des SelbstverwaItungsrechts der Bezirke a) Die Ausgestaltung des Selbstverwaltungsrechts der Bezirke im allgemeinen Auch hierzu gibt es keine allgemeinen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts oder des Verfassungsgerichtshofs. Die Einschränkbarkeit des Selbstverwaltungsrechts der Bezirke folgt denjenigen Regeln, die für die Landkreise festgestellt wurden 371 , so daß letztlich die Maßgaben zu beach365
366 367 368 369 370 371
7"
BayVerfGH 24,181/192. Vgl. Art. 4 I i. V. m. 48 I BezO. Vgl. BVerwGE 67, 321/323; vgl. auch Lissack, § I Rn. 76. Art. 49 BezO. Vgl. 2. Kapitel, 1.2. Papier, Rechtsfragen zur Finanzausstattung der Bezirke, BayVBI. 1994, 737 ff. Vgl. 2. Kapitel, 1.3.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
ten sind, die bei der Beschränkung und Ausgestaltung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts gelten. Nur im Rahmen der Gebietsreform traf der Verfassungsgerichtshof einige wenige Feststellungen.
b) Sonderfall: Die Maßnahmen im Rahmen der Gebietsrefonn Art. 9 I BV, der allerdings zunächst nur für die Regierungsbezirke als Verwaltungssprengel gilt, aber wegen Art. 10 BV auch auf die Gebietskörperschaften anzuwenden ist, läßt keine "Einteilungen" wie bei den Landkreisen, sondern nur Gebiets-"Abgrenzungen" zu. Im Unterschied zu den Bestands- und Gebietsänderungen bei den Landkreisen können die Gebietsabgrenzungen nur durch formelles Gesetz vorgenommen werden. Die Neuabgrenzung der Bezirksgrenzen durch Gesetz vom 27. Dezember 1971 372 war begleitende Maßnahme anläßlich der Neugliederung Bayerns in Landkreise und kreisfreie Städte. Eine zunächst geplante Reform zur Verringerung der Anzahl der sieben kommunalen Bezirke und der dekkungsgleichen Regierungsbezirke versandete 373 , weil diese nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 10.12.1971 374 eine Verfassungsänderung erfordert hätte. Zwar hatte Hoegner ursprünglich die Ansicht vertreten, daß unter dem Ausdruck "Abgrenzung" "wohl auch die Einteilung zu verstehen" sei, "so daß eine Neueinteilung jederzeit durch die Gesetzgebung möglich,,375 sei. Der Verfassungsgerichtshof aber wollte dem Wortlaut des Art. 9 BV, der zwischen "Abgrenzung" der Regierungsbezirke und "Einteilung" der Regierungsbezirke in Landkreise unterscheidet, in Zusammenhang mit dem dem Art. 185 BV inkorporierten (und durch Gesetz vom 20.4.1948 376 vollzogenen) Gebot, die alten Regierungsbezirke wiederherzustellen, entnehmen, daß in bezug auf die Regierungsbezirke nur gebietsmäßige Änderungen zulässig seien. Die Anzahl der Regierungsbezirke war damit auf sieben festgelegt und verfassungsrechtlich verankert 377 . Interessanterweise judizierte der Verfassungsgerichtshof im Rahmen eines obiter dictums ebenfalls, daß Art. 9 I Halbsatz 2 BV, der für die Abgrenzung der Regierungsbezirke ein formelles Gesetz vorschreibt, "nach Sinn und Zweck der Verfassungsnorm nicht anwendbar [sei] auf geringfügige Gebietsänderungen, die den territorialen Bestand des Regierungsbezirks im Kern" unberührt ließen, so daß gebietsmäßige Feinabgrenzungen auch GVBI. 1971, S. 493; Inkrafttreten am 1. Juli 1972. Vgl. Knemeyer, AfK 1972, 44ff.; ders., DÖV 1972, 346ff. 374 BayVerfGH 24, 181 ff. m Hoegner, Lehrbuch des Bayerischen Verfassungsrechts, S. 29. 376 BayBS I S. 121. 377 BayVerfGH 24, 181/192f. 372
373
3. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht der Bezirke
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durch Verordnung möglich seien 378 • Dem entspricht auch die derzeitige Rechtsgrundlage für Änderungen des Bezirksgebiets, wonach nur dann, wenn mindestens ein ganzer Landkreis oder eine ganze kreisfreie Gemeinde umgegliedert wird, ein formelles Gesetz erforderlich ist. Die übrigen Verfahren werden nach Art. 8 11 - IV LKrO miterledigt379 •
11. Das SelbstverwaItungsrecht der Bezirke als institutionelle Garantie Auch das Selbstverwaltungsrecht der Bezirke ist nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs nicht grundrechtsähnlich, sondern lediglich institutionell gewährleistee so . Aussagekräftige Feststellungen des Verfassungsgerichtshofs zum Charakter des Selbstverwaltungsrechts der Bezirke liegen aber nicht vor, so daß auf das zur Natur des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise Gesagte verwiesen werden muß 3S1 .
111. Zusammenfassung des dritten Kapitels - Das Selbstverwaltungsrecht der Bezirke ist nicht grundrechtSähnlich gewährleistet. - Insoweit entfällt der Schutz der Popularklage. - Soweit eine strukturelle Ähnlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts und desjenigen der Landkreise festgestellt wurde, gilt dies auch in bezug auf das Selbstverwaltungsrecht der Bezirke. - Eine individuelle Bestandsgarantie kommt nur den Bezirken zu, insoweit genießen sie höheren verfassungsrechtlichen Schutz als die durch den "grundrechtsähnlichen" Charakter ihres Selbstverwaltungsrechts besonders hervorgehobenen Gemeinden.
378 BayVerfGH 31, 99/130f. und Leitsatz 7. Vgl. auch Verordnung zur Änderung von Grenzen der Regierungsbezirke, Landkreise und kreisfreien Städte vom 12. März 1976, GVBI. 1976 S. 37 ff. und Verordnung zur Änderung von Grenzen der Regierungsbezirke vom 25. März 1976, GVBI. 1976 S. 111 ff. 379 Vgl. Art. 8 BezO. 380 Vgl. BayVerfGH 27, 14/28. 381 V gl. 2. Kapitel, 11.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
4. Kapitel
Die Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften Die Frage nach der Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden - wie der juristischen Personen (des öffentlichen Rechts) überhaupt - scheint eine solche zu sein, die für das Bundesverfassungsrecht formaliter nach Maßgabe von Art. 19 III GG zu beantworten ist. Tatsächlich nimmt diese Bestimmung Rekurs auf das "Wesen" der Grundrechte und spricht damit Fragen des persönlichen Grundrechtsverständnisses an. Deswegen handelt es sich bei der Problematik der Grundrechtssubjektivität von juristischen Personen des öffentlichen Rechts um eine besonders umstrittene Materie. Bundesverfassungsgericht einerseits und Verfassungsgerichtshof andererseits stellen in der allgemeinen Diskussion um die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts gewissermaßen Antipoden in der deutschen Judikatur dar. Bereits vor der wegweisenden Sasbach-Entscheidung382 des Bundesverfassungsgerichts entschieden die Bundesverfassungsrichter, daß sich juristische Personen des öffentlichen Rechts jedenfalls insoweit nicht auf die Grundrechte berufen können, als sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen 383 . Dies wurde damit begründet, daß sich die Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht in Wahrnehmung unabgeleiteter Freiheiten vollziehe, sondern nach der staatlichen Kompetenzordnung zu beurteilen sei 384 . Eine Ausnahme machte das Bundesverfassungsgericht "nur für solche juristische Personen des öffentliches Rechts oder ihre Teilgliederungen, die wie die Universitäten oder Fakultäten oder Rundfunkanstalten von der ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgabe her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind oder wie die Kirchen und andere mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts versehene Religionsgesellschaften kraft ihrer Eigenart ihm von vornherein zugehören,,385. Eine weitere Ausnahme wurde für die Berufung auf die als "grundrechtsähnlich" bezeichneten Rechte der Art. 101 I 2 und 103 I GG gemacht; diese Rechte gehörten weder formell zu den Grundrechten im Sinn von Art. 19 GG noch gewährleisteten sie dem Inhalt nach Individualrechte wie die Art. I bis 17 GG. Vielmehr handle es sich hierbei um objektive Verfahrensgrundsätze, die für jedes gerichtliche Verfahren gälten
382 383 384 385
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
61, 82. 21, 362/369; 45, 63/78 61,821101 m.w.N. 61,821102 m.w.N.
4. Kapitel: Die Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften 103
und daher auch jedem zugute kommen müßten 386 . Offengelassen hat das Bundesverfassungsgericht, ob sich die kommunalen Gebietskörperschaften auf die Verletzung von Art. 19 IV GG berufen können 387 . Soweit die gerade erwähnten Ausnahmen reichen, ist verfassungs prozessuale Konsequenz, daß die juristische Person des öffentlichen Rechts Individualverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG einlegen kann 388 . Allerdings bewirken diese Ausnahmen nur eine partielle Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen des öffentlichen Rechts; in solchen Verfassungsbeschwerdeverfahren werden andere Grundrechte regelmäßig nicht geprüft.
I. Die Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden Das Neue an der Sasbach-Entscheidung ist nun, daß auch für den Bereich außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben die Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden - abgesehen von etwa denkbaren ganz speziellen Konstellationen 389 - verneint wird, "die Gemeinde befindet sich auch bei Wahrnehmung nicht-hoheitlicher Tätigkeit in keiner ,grundrechtstypischen Gefährdungslage' ... ; sie wird auch in diesem Raum ihres Wirkens durch einen staatlichen Hoheitsakt nicht in gleicher Weise wie eine Privatperson ,gefährdet' und ist mithin auch insoweit nicht ,grundrechtsschutzbedürftig",39o. Damit wird grundsätzlich und generell der Grundrechtsschutz der Gemeinden abgelehnt; obwohl der Begriff der "grundrechtstypischen Gefährdungslage" verwendet wird, wird für die Beantwortung der Frage, ob eine solche vorliegt, nicht etwa auf den konkreten Fall abgestellt. Das "Wesen" der Grundrechte im Sinn von Art. 19 III GG wird also nicht für jedes spezielle Grundrecht und für jede streitbefangene Situation im Einzelfall untersucht, vielmehr ist entscheidend das "allgemeine Wesen", das nach allgemeinem Sinn und Zweck der Grundrechte und deren geistesgeschichtlicher Tradition und Entwicklung bestimmt wird 391 . Im Vordergrund der Wesens bestimmung der Grundrechte steht dabei eine "personale" Auffassung 392 , wonach die Grundrechte zunächst Schutz- und BVerfGE 61,82/104. Vgl. auch Dreier in: Sachs: GG, Art. 19 III Rn. 25, Fn. 87. 388 Vgl. als besonders exponiertes Beispiel BVerfGE 6, 45/49f. 389 BVerfGE 61, 82/109; Mögele nennt diese Ausnahme eine salvatorische Klausel, mit der sich das Gericht ein "Schlupfloch" für ein Abweichen von seiner sehr generell gehaltenen Argumentation bereithalte (NJW 1983, 805/806). 390 BVerfGE 61, 82/105. An dieser Rechtslage soll in bezug auf die Gemeinden und Gemeindeverbände auch nach den neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsfähigkeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (BVerfGE 68, 193; 70, 1; 75, 192) festgehalten werden; vgl. BVerfGE 70, 1/21. 391 Vgl. auch Sonntag, Grundrechtsfähigkeit bayerischer Gemeinden, S. 69ff.; Domcke, NVwZ 1984,616/617. 386 387
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
Abwehrrechte sind, die "Gefahrdungen und Verletzungen der Würde, der Freiheit und der rechtlichen Gleichheit der einzelnen Menschen oder von Menschengruppen durch öffentliche Gewalten,,393 verhindern sollen. Anders als bei den juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist bei den juristischen Personen des Privatrechts deswegen meist die Grundrechtsfahigkeit zu bejahen, "weil diese regelmäßig auf der Ausübung von Privatautonomie und Vertragsfreiheit beruhen und damit eine organisatorische Erscheinungsform individueller Freiheitsentfaltung sind,,394. 1. Die Einzelfallgebundenheit des Grundrechtsschutzes
Die Bayerische Verfassung kennt eine dem Art. 19 III GG entsprechende Vorschrift niche 95 . Deswegen hat der Verfassungsgerichtshof darauf abgestellt, ob sich die auf die Grundrechte berufende Gemeinde "in einer Schutzsituation befindet, welche die betreffende Grundrechtsnorm voraussetzt,,396. Dieser Passus scheint zunächst der "grundrechtstypischen Geflihrdungs lage" des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen. Aber anders als das Bundesverfassungsgericht, mahnt der Verfassungsgerichtshof eine Prüfung im konkreten Einzelfall an, ob das "als verletzt erachtete Grundrecht seinem Wesen nach auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar ist,,397. Aus der Tatsache allein, daß die Gemeinden als Körperschaften des öffentlichen Rechts im eigenen und übertragenen Wirkungskreis überwiegend öffentliche Aufgaben wahrnähmen und in die staatliche Verwaltungsorganisation eingegliedert seien, könne nicht gefolgert werden, daß sie vom Grundrechtsschutz schlechthin ausgenommen seien. Auch eine Gemeinde könne der Ausübung der Staatsgewalt - durch Akte der Legislative wie der Exekutive - in einer Weise unterworfen sein wie eine natürliche Person. Ob eine solche als "Subjektionsverhältnis,,398 bezeichnete Situation vorliege, müsse stets im konkreten Einzelfall untersucht werden. Dabei schließe auch die Tatsache, daß die Gemeinde im konkreten Fall in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betroffen sei, nicht prinzipiell den Grundrechtsschutz aus. Eine Begrenzung der Grundrechtsfahigkeit der Gemeinden ergäbe sich allerdings zum einen aus der Fassung der Grundrechtsnorm, zum anderen daraus, daß im Bereich der Wahrnehmung von übertragenen Aufgaben regelmäßig ein Spannungsverhältnis Staat-Gemeinde nicht 392 393
394 395
396 397 398
Vgl. Badura, BayVBl. 1989, 1. BVerfGE 61, 82/100. Badura, BayVBl. 1989, 1. Vgl. BayVerfGH 29, 105/118. BayVerfGH 29, 105/119 ffi. w. N. BayVerfGH 29,105/119; 37,1011105. BayVerfGH 29, 105/120.
4. Kapitel: Die Grundrechtsrahigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften 105
vorliegen werde 399 . Entscheidend für die Bejahung des Grundrechtsschutzes ist damit die wesensmäßige und prinzipielle Anwendbarkeit des fraglichen Grundrechts sowie das Vorliegen einer grundrechtstypischen Gefahrdungslage im konkreten Einzelfall, indiziert durch ein Subjektionsverhältnis vergleichbar dem Bürger-Staat-Verhältnis. Diese Rechtsprechung bestätigte der Verfassungs gerichtshof ausdrücklich nach Ergehen der Sasbach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in seiner Fischereirechte-Entscheidung4OO . Angesichts der prinzipiellen Trennung der Verfassungsräume von Bund und Ländern (sprich: angesichts der aufgrund der Eigenstaatlichkeit der Länder vorausgesetzten Verfassungshoheit ebenderselben401 ) sieht sich der Verfassungsgerichtshof nicht gehindert, die Grundrechtsfahigkeit von Gemeinden und Gemeindeverbänden nach bayerischem Verfassungsrecht weitergehend im Sinne der Zuerkennung des Grundrechtsschutzes zu beurteilen, als es das Bundesverfassungsgericht für das Bundesverfassungsrecht tut402 . Das Homogenitätsgebot gemäß Art. 28 I und 11 GG zwinge nicht zu einer -anderen Beurteilung. Die Ausgestaltung des Grundrechtskatalogs des Grundgesetzes stelle nur einen Mindeststandard dar, so daß Inhaltsgleichheit im Sinne des Art. 142 GG nicht Dekkungsgleichheit bedeute403 . Auch lege es die besondere Stellung, die das bayerische Verfassungsrecht über Art. 11 11 1 BV ("ursprüngliche Gebietskörperschaft") den Gemeinden gewähre, nahe, die Frage der Grundrechtssubjektivität der bayerischen Gemeinden auf der Grundlage des Landesverfassungsrechts eigenständig zu beantworten404 . Während somit das Bundesverfassungsgericht für einzelne, ganz besondere Ausnahmefalle ("salvatorische Klausel,,405) den Grundrechtsschutz von Gemeinden nicht ausschließen will, erachtet der Verfassungsgerichtshof die Zulässigkeit der Berufung der Gemeinden auf die Grundrechte der Bayerisehen Verfassung eher für den Regelfall.
BayVerfGH 29, 105/119f. BayVerfGH 37, 101 ff. 401 Bethge, NVwZ 1985, 402. 402 BayVerfGH 37, 101 (Leitsatz 1)/107. 403 Erweiterungen des Grundrechtsschutzes auf der Ebene des Landesverfassungsrechts werden von der Bundesverfassung akzeptiert. Eine solche Erweiterung des landesverfassungsrechtlichen Schutzes kann nicht nur im Rahmen des sachlichen Schutzbereichs eines Grundrechts, sondern auch im persönlichen Schutzbereich durch Erstreckung der Grundrechtsrahigkeit auf juristische Personen des öffentlichen Rechts erreicht werden. 404 BayVerfGH 37, 101/107. 405 BVerfGE 61, 82/109. 399
400
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
2. Insbesondere: Die Berufung auf einzelne Grundrechte a) Die Berufung auf die Garantie des Eigentums gemäß Art. 103, 158! BV
Für das Bundesverfassungsrecht hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß Art. 14 GG als Grundrecht nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater schütze406 . Dies gelte grundsätzlich unterschiedslos sowohl bei als auch außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Allerdings wird offengelassen, ob es ganz besonders gelagerte Fälle geben kann, in denen einer Gemeinde außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben doch der Schutz des Grundrechts auf Eigentum zukommen kann407 • Letztlich ist die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, wonach grundrechtlicher Eigentumsschutz prinzipiell ausgeschlossen ist, insbesondere dann konsequent, wenn man berücksichtigt, daß das Bundesverfassungsgericht das Eigentumsgrundrecht funktional ableitet und auslegt. Die Eigentumsgarantie soll dem Grundrechtsträger einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens ermöglichen. Somit wird die Eigentumsgarantie in engen Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit gebracht408 • Bundesverfassungsrechtlicher Eigentumsschutz ist für die Gemeinden demnach im Regelfall nur über Art. 28 11 GG zu erreichen. Der Verfassungsgerichtshof gestattet den Gemeinden mehr oder weniger voraussetzungsgebunden die Berufung auf die Eigentumsgarantie der Art. 103, 158f. BV. Da die Gemeinden Eigentum erwerben und besitzen sowie am Wirtschaftsleben teilnehmen könnten, sei nicht ausgeschlossen, daß sie sich innerhalb eines Rechtsstreits auf die Eigentumsgarantie beriefen 409 • Eine klassische Eingriffssituation, in der Art. 103 BV als Abwehrrecht zur Anwendung kam, lag der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zur Verstaatlichung des gemeindlichen Polizeivermögens41O nach Popularklage einer Gemeinde gegen Bestimmungen der Polizeiorganisationsgesetze aus den Jahren 1972 und 1974 zugrunde. Hiernach wurden die von der Gemeindepolizei wahrgenommenen staatlichen Aufgaben auf die Landespolizei übertragen. Dadurch wurden den Gemeinden durch Gesetz übertragene staatliche Hoheitsaufgaben vom Staat übernommen. Die Gemeinden wurden BVerfGE 61, 82/108f. BVerfGE 61,82/109. 408 BVerfGE 61,82/108; vgl. auch BVerfGE 24,267/289; 30, 292/334; 68, 193/ 222; 79, 292/304; 83, 2011208. 409 BayVerfGH 29, 105/120f.; 37, 101/108. 410 BayVerfGH 29, 105 ff. 406
407
4. Kapitel: Die Grundrechtsfahigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften 107
dabei verpflichtet, das Eigentum an gewissen Sachen unentgeltlich auf den Staat zu übertragen, teilweise erhielt der Staat ein Recht auf unentgeltliche Nutzung des Polizeivermögens eingeräumt. Dieses gemeindliche Sacheigenturn war von den Gemeinden entweder aus eigenen Mitteln oder aus solchen, die mit der Übertragung dieser staatlichen Aufgabe den Gemeinden gemäß Art. 83 III BV und Art. 8 IV GO, insbesondere nach dem Finanzausgleichsgesetz, zur Verfügung gestellt worden waren, beschafft worden. Dabei handelte es sich um Sacheigentum des bürgerlichen Rechts, dessen Verwaltung zu den Aufgaben des eigenen Wirkungskreises gehört411 . Hier entschied der Verfassungsgerichtshof, daß sich eine Gemeinde dann nicht auf den Schutz des Eigentumsgrundrechts berufen könne, wenn "mit der Übertragung einer bisherigen gemeindlichen Hoheitsaufgabe auf den Staat das dieser Aufgabe unmittelbar und ausschließlich oder überwiegend dienende Verwaltungsvermögen vom Staat in Fortführung der Hoheitsaufgabe und unter Aufrechterhaltung der öffentlich-rechtlichen Zweckbindung in Anspruch genommen wird". In einem solchen Fall des Übergangs von Verwaltungsvermögen zur Fortführung der Verwaltungs aufgabe stehe die Gemeinde dem Staat nicht wie eine natürliche Person gegenüber, sie sei Teil der Staatsverwaltung im weiteren Sinn. "Die ... betroffenen Gemeinden sind hier selbst Teil der öffentlichen Gewalt. Sie befinden sich nicht wie eine natürliche Person in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage,,412. Allerdings gewährte der Verfassungsgerichtshof den Schutz des Art. 103 BV für diejenigen gemeindlichen Rechtspositionen, die nicht unmittelbar polizeilichen oder Verwaltungszwecken dienten. Hinsichtlich der Frage, ob eine grundrechtstypische Gefährdungslage vorliegt oder nicht, wurde nach dem Bezug der in Anspruch genommenen Vermögensposition zu einer staatlichen Aufgabe unterschieden. Anders als das staatsaufgabengebundene Vermögen ist das "allgemeine gemeindliche Finanzvermögen" grundrechtsgeschützt413 . Geklärt wurde in dieser Entscheidung auch das Verhältnis zu Art. 12 11 1 BV ("Das Vermögen der Gemeinden und Gemeindeverbände kann unter keinen Umständen zum Staatsvermögen gezogen werden"). Da Art. 12 11 1 BV wenigstens mittelbar der Erhaltung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts auf vermögensrechtlichem Gebiet diene, sei unter Berücksichtigung von Entstehungsgeschichte und Zweck dieser Norm anzunehmen, daß sie eine Ausprägung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden und Gemeindeverbände darstelle 414 . Eine der Aufgabenübertragung folgende VermöVgl. BayVerfGH 29, 1051125. BayVerfGH 29, 1051126f., vgl. auch Leitsatz 5 der Entscheidung. 413 BayVerfGH 29, 1051128. 414 BayVerfGH 29, 105/121; zu Art. 12 II I BV vgl. auch BayVerfGH 12, 48/57 ff. 411
412
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
gensübernahme war in vorliegendem Fall, in dem ja Gemeindevermögen inmitten stand, nur nach Maßgabe der Schranken des Art. 12 11 1 BV statthaft. Eine Übertragung von Gemeindevermögen sei dann zulässig, wenn hierfür ein angemessenes Entgelt gewährt wird415 , weil Art. 12 11 1 BV lediglich davor schützen wolle, daß das Vermögen der Gemeinden oder Gemeindeverbände vom Staat ohne Wertausgleich entzogen wird. Dem stehe es gleich, wenn eine Minderung des in Frage stehenden Vermögens durch eine damit zusammenhängende Entlastung von vermögenswerten Leistungen ausgeglichen werde. Dem Schutzgedanken des Art. 12 11 I BV sei Genüge getan, wenn der Bestand des Vermögens wertmäßig erhalten bleibe, wenn der Gebietskörperschaft im Zusammenhang mit dem Entzug von Vermögen ein mindestens gleichwertiger Vermögensvorteil zufließe416 . Der Bestimmung des Art. 83 I BV (Verwaltung des Gemeindevermögens) wurde keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt417 • Eine vollständig andere Konstellation lag der Fischereirechte-Entscheidung 418 zugrunde: Hier machte eine Gemeinde die Verletzung von Art. 103 BV in einem Rechtsstreit zwischen gleichgeordneten Trägem privater Rechte im Wege der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 66, 120 BV geltend419 . Die Gemeinde als Eigentümerin der streitbefangenen Gewässer wollte dabei Nutzungen eines Inhabers sog. selbständiger Fischereirechte abwehren, die sie ihm im gewissem Umfang eingeräumt hatte. Dabei sind Fischereirechte dingliche Nutzungsrechte, die regelmäßig dem Eigentümer zustehen. Eine der Besonderheiten dieser Entscheidung ist somit darin zu erblicken, daß sich die betroffene Gemeinde nicht auf das Eigentumsgrundrecht in seiner Funktion als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern auf die Mißachtung des objektiven Wertgehalts der Eigentumsgarantie bei Auslegung der streitentscheidenden Normen durch die Fachgerichte berief. Diese Besonderheit verleitete Bambey zu der Annahme, daß das Bundesverfassungsgericht hier wohl einen der "ganz besonderen Ausnahmefälle" im Sinne der Sasbach-Entscheidung angenommen hätte42o • Hier ging der Verfassungsgerichtshof jedenfalls nicht ausdrücklich auf das Erfordernis einer grundrechtstypischen Gefährdungslage ein. Vielmehr reduzierte sich die Beweisführung letztlich auf die Argumentation, eine Gemeinde könne Eigentum haben und in einem fachgerichtlichen Verfahren auch das Eigentum verteidigen, also müsse die Gemeinde diese Position auch unter Berufung auf Art. 103 BV in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren verteidi415 416
417 418 419 420
BayVerfGH 29, 105/138. BayVerfGH 29, 105/138 f., vgl. auch Leitsatz 8 c. BayVerfGH 29, 105/125. 137. BayVerfGH 37, 101 ff. BayVerfGH 37, 101/108; vgl. auch Bethge, NVwZ 1985,402. NVwZ 1985, 248/249f.
4. Kapitel: Die Grundrechtsflihigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften 109
gen können. Die Schutzwürdigkeit des allgemeinen gemeindlichen Finanzvermögens war bereits in der Polizei vermögen-Entscheidung geklärt worden, so daß der Verfassungs gerichtshof offensichtlich nicht mehr allzu viele Worte verlieren wollte. b) Die Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 118 I BV
In Bezug auf die Möglichkeit der Gemeinden, sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Bundesverfassungs- und Landesverfassungsrecht zu berufen, wurde oben421 bereits fast alles Relevante gesagt. Es wurde darauf hingewiesen, daß sich nach Bundesverfassungsrecht die Gemeinden nicht auf das Grundrecht des Art. 3 I GG berufen können, da das Bundesverfassungsgericht die Grundrechtsfähigkeit von Gemeinden prinzipiell ablehnt422 . Es war aber weiterhin zu beobachten, daß im Rahmen der Prüfung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts auch das dem Rechtsstaatsprinzip entnommene, objektiv-rechtliche Willkürverbot untersucht wird. Angesichts der Tatsache, daß der Prüfungsumfang letztlich von Fall zu Fall bestimmt wird und dieser je nach Situation relativ eng oder auch besonders großzügig bemessen ist, kann diese Rechtsprechung - was den Schutzeffekt angeht - nicht als für die Gemeinden nachteilig angesehen werden. Der Verfassungsgerichtshof hat Art. 118 I BV als Ausdruck eines der Verfassung vorausliegenden Postulats der materiellen Gerechtigkeit angesehen mit der Folge, daß auch der Verfassungsgeber hieran gebunden sei. Es handele sich beim Gleichheitssatz um überpositives Recht, um ein Menschenrecht423 , um Verfassungsrecht höheren Ranges, an dem niederrangige Verfassungsnormen zu messen seien 424 • Der Verfassungsgerichtshof spricht Vgl. I. Kapitel, l.3.g. Es ist darauf hinzuweisen, daß das Bundesverfassungsgericht erst in E 21, 362/371 ff. die Berufung juristischer Personen des öffentlichen Rechts auf Art. 3 I GG als Grundrecht verneint hat; hier wurde der Unterschied zwischen dem Grundrecht aus Art. 3 I GG und dem allgemeinen Gleichbehandlungssatz geprägt. In früheren Entscheidungen war festgestellt worden, Art. 3 I GG sei bei Ausübung aller Staatstätigkeit zu beachten, vgl. BVerfGE 1, 14/52ff.; 1, 117/140ff. 423 Auch für das Bundesverfassungsgericht gehört "die Gleichheit vor dem Gesetz so sehr zu den Grundbestandteilen unserer verfassungsmäßigen Ordnung, daß auf den überpositiven Rechtsgrundsatz zurückgegriffen werden müßte, wenn der Gleichheitssatz nicht in Art. 3 GG geschriebenes Verfassungsrecht geworden wäre", BVerfGE 1, 208/233. 424 BayVerfGH 24, 181/191 ff. m. w.N.; vgl. auch Stettner in: Nawiasky/Schweiger /Knöpfle, BV, Teil V, Art. 118 Rn. 5 m. w. N.; allgemein zum Themenkreis des "verfassungswidrigen Verfassungsrechts" vgl. Knöpfle in: Nawiasky/Schweiger/ Knöpfle, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 47f. Für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vgl. BVerfGE 3, 225/230ff. 421
422
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
den Gemeinden im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht das im Gleichheitssatz verankerte Recht auf Freiheit vor Willkür als grundrechtliche Garantie zu, "konzediert ihnen das Willkürverbot also nicht nur als selbstverständlichen Verfassungsgrundsatz objektiven Rechts, sondern als grundrechtlichen Anspruch,,425. Bereits oben wurde aber dargestellt, daß materiell-rechtlich für die bayerischen Gemeinden keine Mehrung an Rechtsschutz aus der Tatsache erwächst, daß der Verfassungs gerichtshof eine Berufung der Gemeinden auf das Grundrecht aus Art. 118 I BV zuläßt. Ungeachtet des Umstands, daß das Gericht eine klare Trennung von "allgemeinem Willkürverbot" und "klassischem Gleichbehandlungsgrundsatz" in den Entscheidungsgründen nicht durchhält, variiert es auch bei Untersuchung der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts in seiner Prüfungsintensität ähnlich, wie es das Bundesverfassungsgericht tut. Nach seinen früheren Aussagen müßte der Verfassungsgerichtshof dabei jedesmal, wenn er den grundrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 118 I BV an eine staatliche, die Gemeinde belastende Maßnahme anlegen will, zunächst prüfen, ob sich die Gemeinde in einer Grundrechtsschutz voraussetzenden Situation, also in einer "grundrechtstypischen Gefahrdungslage" befindet426 . Eine solche Untersuchung sucht man aber vergebens. Vielmehr ist für den Verfassungsgerichtshof längst prinzipiell - und damit in Abwendung von der oben gebrauchten Formulierung und Voraussetzung für die Grundrechtsanwendung - entschieden, daß sich die Gemeinden stets auf Art. 118 I BV berufen können. So wird in der FischereirechteEntscheidung eine Einzelfallprüfung angemahnt, doch findet diese nicht statt. Und auch in der Polizei vermögen-Entscheidung wurde letztlich nicht von der konkreten Situation abhängend die Schutzbedürftigkeit der Gemeinde ermittelt, sondern eher prinzipiell die Relevanz des Gleichbehandlungsgrundsatzes für den Schutz der Gemeinden betont und damit die Anwendung des Art. 118 I BV begründet427 . Bemerkenswert ist, daß in dieser Entscheidung die Beurteilung des Vorliegens einer grundrechtstypischen Gefahrdungslage für das Eigentumsgrundrecht anders ausfallt als für den Gleichbehandlungsgrundsatz: Während bei ersterem der Grundrechtsschutz nur für einen Teil der angegriffenen Regelungen bejaht und im Übrigen verneint wird, existiert der Grundrechtsschutz des Art. 118 I BVohne Einschränkung: Eine Prüfung der grundrechtstypischen Gefahrdungslage wird nicht vorgenommen. Es entspricht mittlerweile wohl ständiger Recht-
425 VgJ. Stettner in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, BV, Teil V, Art. 118 Rn. 8. BayVerfGH 29, 1051120, 124; 37, 1011107; vgJ. auch BayVerfGH 36, 15/18; 37, 1011105; 41,140/145. 426 BayVerfGH 29, 1051119. 427 BayVerfGH 29, 105/120.
4. Kapitel: Die Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften 111
sprechung des Verfassungsgerichtshofs, den Grundrechtsschutz aus Art. 118 I BV gänzlich unabhängig von der konkreten Situation zu gewähren 428 . c) Die Berufung auf die lustizgrundrechte gemäß Art. 86, 91 BV
Das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem in der Sasbach-Entscheidung festgestellt, daß sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, damit also auch Gemeinden auf die Justizgrundrechte429 der Art. 101 I 2 (gesetzlicher Richter) und 103 I (Anspruch auf rechtliches Gehör) GG berufen und damit Individualverfassungsbeschwerde gern. Art. 93 I Nr. 4a GG einlegen könnten 43o . Zum einen gehörten die Justizgrundrechte bereits formell nicht zu den Grundrechten im Sinn von Art. 19 GG, so daß sich die Frage nach der Anwendbarkeit auf inländische juristische Personen über Art. 19 III GG erst gar nicht stelle, zum anderen seien sie auch materiell keine Individualgrundrechte, sondern objektive Verfahrensgrundsätze, die für jedes gerichtliche Verfahren gälten und auch jedem zugute kommen müßten431 . Der Verfassungsgerichtshof bezeichnet das Recht auf den gesetzlichen Richter des Art. 86 I 2 BV als Grundrecht432 , das Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 91 I BV als Verfahrensgrundrecht433 . Die Terminologie des "grundrechts gleichen Rechtes" für die außerhalb des Zweiten Hauptteils der bayerischen Verfassung aufzufindenden Grundrechte wird nicht verwandt434 . Nach allem bereits zur Grundrechtsfahigkeit von Gemeinden Gesagten verwundert es nicht, wenn sich der Verfassungs gerichtshof großangelegter Äußerungen zu diesem Themenkreis enthält und für das Recht auf rechtliches Gehör lapidar feststellt: "Auch das Verfahrensgrundrecht des Vgl. nur BayVerfGH 41,140/145; 47, 165/171; 49, 37/49; 50, 15/39f. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die Justizgrundrechte teilweise auch als ..grundrechtsähnliche Rechte", vgl. BVerfGE 61, 82/104. In der Literatur werden sie überwiegend ..grundrechtsgleiche Rechte" genannt, vgl. zur Terminolgie nur Degenhart in: Sachs: Grundgesetz, Art. 101 Rdn. I, Fn. 3 sowie Pieroth in: Jarass/ Pieroth, Grundgesetz, Art. 101 Rn.!. 430 Besonders deutlich zeigt die Konsequenzen dieser Rechtsprechung bereits das Urteil des Bundesverfassungsgerichts E 6, 45/49f. auf. Dort wurde es zugelassen, daß sich der Freistaat Bayern der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG unter Rüge der Verletzung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter bedient. Leitsatz 1 der Entscheidung lautet: ..Der als Fiskus an einem Prozeß beteiligte Staat kann im Wege der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 101 GG rügen". Vgl. darüberhinaus BVerfGE 75, 192/200. 431 BVerfGE 61, 82/104. 432 BayVerfGH 31, 190/192. 433 BayVerfGH 36, 113/117. 434 Knöpfle in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, BV, Teil V, Vor Art. 98 - 123 Rn. 10. 428
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungs gerichtshofs
rechtlichen Gehörs (Art. 91 I BV) steht allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten zu, also auch einer Gemeinde,,435. 3. Zusammenfassung - Der Verfassungsgerichtshof will es von der wesensmäßigen Anwendbarkeit des einschlägigen Grundrechts einerseits und dem Vorliegen einer grundrechtstypischen Gefährdungslage andererseits abhängen lassen, ob der Verfassungsrechtsschutz suchenden Gemeinde Grundrechtsschutz zuteil wird. - Allerdings ist eine mehr oder weniger auf den Einzelfall eingehende Begründung nur für das Eigentumsgrundrecht des Art. 103 BV zu konsta. tieren. - Der grundrechtliche Schutz über Art. 118 I BV wird ausnahmslos, das heißt unabhängig vom Vorliegen einer grundrechtstypischen Gefährdungslage gewährt. Zu untersuchen ist, wie die Grundrechtsfähigkeit bei den Gemeindeverbänden beurteilt wird.
11. Die Grundrechtsfähigkeit der Landkreise Auch die Landkreise besitzen nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Grundrechtssubjektivität. Dies gilt jedenfalls für den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 118 I BV. Für das Eigentumsgrundrecht gibt es keine jüngere Entscheidung. Auffällig ist, daß Äußerungen zur "grundrechtstypischen Gefahrdungslage" vOllständig fehlen. Insgesamt hat der Verfassungsgerichtshof keine grundlegenden dogmatischen Ausführungen zur Grundrechtsfähigkeit der Landkreise gemacht. 1. Die Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 118 I BV In seinen frühen Entscheidungen war der Verfassungsgerichtshof wie selbstverständlich davon ausgegangen, daß auch die Landkreise grundrechtsfähig seien. Die Grundrechtsfähigkeit hatte er dabei von keinen weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht. So hatte er in seiner Finanzausgleichsentscheidung E 12, 48 einfach entschieden, daß Landkreise als Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts sich auf das Grundrecht der Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Art. 118 I BV berufen könnten436 . 435
BayVerfGH 36, 113/117.
4. Kapitel: Die Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften 113
Im Rahmen eines Popularklageverfahrens zur Verfassungsmäßigkeit der kommunalen Neugliederung der Region Ingolstadt437 wollte der Verfassungsgerichtshof die Frage der Grundrechtsfähigkeit der Landkreise allerdings nicht (mehr) generell bejahen. Deswegen formulierte er: "Es bedarf hier keines näheren Eingehens auf den Meinungsstreit, inwieweit auch Körperschaften des öffentlichen Rechts, die vom Staat geschaffen sind oder doch in ihrem eigenen Bereich Staatsaufgaben wahrnehmen, uneingeschränkt Grundrechtsträger sein können ... Jedenfalls kann einer Körperschaft des öffentlichen Rechts Grundrechtssubjektivität und damit der Schutz des Art. 98 (4) BV nicht abgesprochen werden, wenn sie durch legislative Maßnahmen in ihrem Bestand oder in ihrem gebietlichen Zuschnitt betroffen wird. Hier gebieten Grundrechtsidee und ihre geschichtliche Entwicklung, daß auch juristische Personen des öffentlichen Rechts ebenso wie der einzelne Bürger - den Schutz des Verfassungsgerichts gegen Maßnahmen des Staates in Anspruch nehmen können ... Der Antragsteller rügt eine Verletzung des Art. 118 I BV durch die ihn und sein Gebiet betreffenden Bestimmungen der Neugliederungsverordnung. Er befindet sich somit in derselben Schutzsituation, welche der als allgemeines Menschenrecht ausgeprägte Gleichheitssatz und das durch ihn gesicherte Willkürverbot voraussetzt. Der Antragsteller als organisatorisch verselbständigter Hoheitsträger (Art. 10 BV, Art. 28 11 GG) ist gerade jenen Akten der Staatsgewalt ausgesetzt, denen dieses Grundrecht Schranken setzt ... ,,438. Ersichtlicherweise wurde hier das Vorliegen einer "grundrechtstypischen Gefährdungslage" , verdeutlicht durch ein "Subjektionsverhältnis" bejaht; weshalb eine Schutzwürdigkeit gegeben sein soll, wird aber nicht begründet, sondern ein Schutzbedürfnis wird konstatiert. Eher beiläufig wurde nunmehr in der Landkreisfinanzausgleich-Entscheidung wieder die ursprüngliche Rechtsansicht vertreten: Die Landkreise können sich nicht nur auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen eines Popularklageverfahrens berufen, inzident wird auch ausgesprochen, daß die Landkreise selbst grundrechtsfähig sind. Da bekanntermaßen im Popularklageverfahren eine Selbstbetroffenheit nicht vorgetragen werden muß, kann zunächst nicht ohne weiteres von der Rüge des Art. 118 I BV durch die Landkreise auf deren Grundrechtsfahigkeit 436 BayVerfGH 12, 48/53 unter Hinweis auf die Entscheidungen 2, 143 und 10, 113, die allerdings Gemeinden in ihrem Selbstverwaltungsrecht betrafen. Vgl. auch BayVerfGH 5, 1. 437 BayVerfGH 27, 14. Knöpfte in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfte, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 22, Fn. 133a will aus der zitierten Entscheidung den Schluß ziehen, die Landkreise seien generell nicht grundrechtsfähig. Dem ist spätestens mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 12. Januar 1998, Vf. 24-VII-94, BayVBI. 1998, 207 der Boden entzogen. 438 BayVerfGH 27, 14/20. 8 Lissack
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
geschlossen werden. Allerdings muß es dem Verfassungsgerichtshof überhaupt als denkbar erscheinen, daß ein Grundrecht irgendeines Grundrechtsträgers verletzt ist. Zu einer solchen Einschätzung kann der Verfassungsgerichtshof nur kraft einer substantiierten Rüge der Grundrechtsverletzung gelangen. Da sich das Vorbringen der Landkreise in der genannten Entscheidung nur und ausschließlich auf eine eigene Ungleichbehandlung der beschwerdeführenden Landkreise bezieht, aber keinerlei Tatsachen vorgetragen wurden, die etwa eine Ungleichbehandlung von natürlichen Personen oder Gemeinden dargetan hätten, muß davon ausgegangen werden, daß der Verfassungsgerichtshof nunmehr grundsätzlich die Grundrechtsfahigkeit auch der Landkreise (jedenfalls in bezug auf Art. 118 I BV) bejaht. Das Erstaunliche an dieser Entscheidung ist, daß mit keinem Wort auf die Landkreis Ingolstadt-Entscheidung439 eingegangen wird, die ja die Grundrechtsfähigkeit der Landkreise auch in bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz als keineswegs selbstverständlich angesehen hat. Vielmehr wird die Entscheidung offenbar als konsequente Fortsetzung der frühesten Rechtsprechung in bezug auf Art. 118 I BV gesehen, wie die zitierten Entscheidungen zeigen 44o . Von daher verwundert es auch nicht, daß nicht ausgehend vom konkreten Einzelfall die Grundrechtsschutzwürdigkeit unter Darlegung eines "Subjektionsverhältnisses" begründet wird, sondern letztlich die Möglichkeit, sich auf Art. 118 I BV berufen zu können, nur festgestellt wird441 , wobei Voraussetzungen für die Berufung auf Art. 118 I BV nicht genannt werden.
2. Die Berufung auf die Garantie des Eigentums gemäß Art. 103, 158f. BV Mit der Grundrechtsfähigkeit der Landkreise in bezug auf die Garantie des Eigentums befassen sich nur zwei frühe Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs. In der Finanzausgleich-Entscheidung E 5, 1 hatte ein Landkreis den Antrag auf Durchführung eines Popularklageverfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit einzelner Bestimmungen des Finanzausgleichs zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden gestellt. Wie selbstverständlich hatte der Verfassungsgerichtshof konstatiert: "Durch Art. 103 I BV ist das Eigentum auch als Institut gewährleistet. Er enthält einen typischen Fall der institutionellen Garantie ... Es ist daher gleichgültig, wer Eigentümer ist, ob eine Einzelperson oder eine öffentliche oder private Körperschaft. Wenn Art. 103 BV die privaten Vermögensrechte verfassungsrechtlich schützen will, muß dieser Schutz allen Trägern solcher Rechte zugute kommen,,442. Voraussetzungen für die Möglichkeit der Land439 440
441
BayVerfGH 27, 14. BayVerfGH Vf. 24-VII-94, Entscheidung vom 12. Januar 1998, S. 25. BayVerfGH Vf. 24-VII-94, Entscheidung vom 12. Januar 1998, S. 25 f.
4. Kapitel: Die Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften 115
kreise, sich auf Art. 103 BV berufen zu können, werden nicht genannt. Das gleiche gilt für die Finanzausgleich-Entscheidung E 12, 48 443 . Jüngere Entscheidungen zur Grundrechtsfähigkeit der Landkreise in bezug auf das Eigentumsgrundrecht der Art. 103, 158 f. BV gibt es nicht. Es ist aber wahrscheinlich, daß der Verfassungs gerichtshof den Landkreisen die Möglichkeit, sich auf Art. 103 BV berufen zu können, nicht mehr vorbehaltlos gewährleisten, sondern die gleichen Voraussetzungen wie bei den Gemeinden fordern würde (Prüfung einer grundrechtstypischen Gefährdungslage im Einzelfall). Schließlich ist traditionellerweise die Stellung der Gemeinden verglichen mit der der Gemeindeverbände stärker ausgestaltet worden. Vorbehalte, die gegenüber den Gemeinden geäußert worden sind, müßten wohl auch für die Gemeindeverbände gelten.
3. Zusammenfassung - Der grundrechtliche Schutz der Landkreise lehnt sich an den der Gemeinden an. - Grundrechtsschutz über den Gleichbehandlungsgrundsatz wird voraussetzungslos, also ohne Prüfung einer "grundrechtstypischen Gefährdungslage" im Einzelfall, gewährleistet. - Hingegen ist anzunehmen, daß Eigentumsschutz nicht mehr bedingungslos, sondern nur bei Vorliegen einer "grundrechtstypischen Gefährdungslage" im Einzelfall, zugestanden würde.
111. Die Grundrechtsfähigkeit der Bezirke Zur Grundrechtsfähigkeit der Bezirke gibt es keine Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs. Es besteht aber wohl kein Zweifel daran, daß der Verfassungsgerichtshof diese Frage genauso behandeln würde wie bei den Landkreisen. Insbesondere die Grundrechtsfähigkeit in bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz ist durchaus praktisch relevant, da auch die Bezirke ein Interesse daran haben könnten, einzelne Bestimmungen des Finanzausgleichs im Popularklageverfahren in Frage zu stellen444 .
442 443 444
8"
BayVerfGH 5, 1/6. BayVerfGH 12,48/60. Vgl. Papier, BayVBI. 1994, 737 ff.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
IV. Zusammenfassung des vierten Kapitels - Die bayerischen Gemeinden und Gemeindeverbände sollen nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs insoweit grundrechtsfahig sein, als das konkrete Grundrecht seinem Wesen nach auf die kommunalen Gebietskörperschaften anwendbar ist und eine "grundrechtstypische Gefährdungslage" gegeben ist. - Die Berufung auf das Grundrecht aus Art. 118 I BV wird allerdings voraussetzungslos gewährt, eine besondere Schutzbedürfigkeit, das Vorliegen einer grundrechtstypischen Gefährdungslage wird nicht untersucht. - Die Schutzbedürftigkeit in bezug auf das Eigentumsgrundrecht wird regelmäßig durch eine "Subjektionssituation" indiziert, über deren Vorhandensein nach Prüfung des Einzelfalls entschieden wird. Da nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs eine Popularklage allein unter Berufung auf das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände unzulässig ist, bildet die Grundrechtsfahigkeit der Gemeindeverbände die Voraussetzung für die Einlegung einer Popularklage. Dies ist im Detail im folgenden Kapitel zu prüfen.
5. Kapitel
Die Popularklage Popularklage und Verfassungsbeschwerde stellen die bei den Säulen des bayerischen Verfassungsprozeßrechts dar. Während der 50-jährigen Existenz des Bayerischen Verfassungs gerichtshofs entfielen auf die Verfassungs beschwerde rund 82 % der Verfahren (davon 1,8 % erfolgreich), auf die Popularklage rund 16 % (davon 11 ,26 % erfolgreich, wenn man die erfolgreichen Popularklagen nach Aktenzeichen zählt). Gerade die hohe Erfolgsquote bei den Popularklagen bestätigt die praktische Relevanz dieses außerordentlichen Rechtsbehelfs. Gemäß Art. 98 (4) BV hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht verfassungswidrig einschränken. Der Verfassungstext selbst spricht nicht von Popularklage und hätte den Gesetzgeber auch nicht zu deren Einführung gezwungen; vielmehr hätte es dem einfachen Gesetzgeber offengestanden, das verfassungsprozessuale Normenkontrollverfahren als ein dem Individualschutz verpflichtetes und von einer Selbstbetroffenheit abhängiges Instrument der verfassungsgerichtlichen Kontrolle auszugestalten 445 . Art. 55 I BayVfGHG 445
Vgl. auch Knöpfle in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 2.
5. Kapitel: Die Popularklage
117
stellt nun klar, daß es sich um ein Popularklageverfahren und ein Verfahren handelt, das nur auf Anrufung des Gerichts hin durchgeführt wird446 ; der Verfassungsgerichtshof wird also nicht von Amts wegen ("ex officio") tätig447 . Weiterhin wird deutlich, daß es sich um ein prinzipales448 und gleichzeitig abstraktes 449 Normenkontrollverfahren handelt. Wie darzulegen sein wird, kann prinzipiell jedermann ("quivis ex populo") eine Grundrechtsverletzung ohne Rücksicht auf eine gegenwärtige unmittelbare Selbstbetroffenheit durch die angefochtene Norm geltend machen. Die Popularklage befähigt also den einzelnen, sich im Interesse der Verfassungsordnung zum Anwalt der Grundrechte der Bayerischen Verfassung zu machen. Der Verfassungsgerichtshof hat betont, daß das Popularklageverfahren nicht in erster Linie im Interesse des einzelnen Bürgers gewährleistet sei, der sich gegen ihn betreffende oder gegen befürchtete Eingriffe der öffentlichen Gewalt zu wehren beabsichtigt45o • Das Popularklageverfahren diene vorrangig dem öffentlichen Interesse 451 • Diesem Gedanken trägt Art. 55 V BayVfGHG Rechnung, der trotz Rücknahme der Popularklage bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses dem Gericht die Fortführung des Verfahrens ermöglicht. Dem entspricht es auch, wenn das Gericht trotz Erledigterklärung des Antragstellers prüft, ob an einer Fortführung des Verfahrens ein öffentliches Interesse besteht; wird dies bejaht, wird trotz Erledigterklärung das Verfahren weitergeführt452 • Auch mag es Ausdruck dieses im Vordergrund stehenden öffentlichen Interesses sein, daß die Popularklage anders als die Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 120 BV oder anders als die Individualverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4a
446 Allerdings gilt im Popularklageverfahren nicht bzw. allenfalls sehr eingeschränkt die Dispositionsmaxime, vgl. nur Art. 55 V BayVfGHG. 447 Gelangt der Verfassungsgerichtshof jedoch in einem anderen bei ihm anhängigen Verfahren zu der Überzeugung, daß eine grundrechtsverletzende Norm vorliegt, so hat er das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des für Popularklagen zuständigen Senats herbeizuführen, vgl. Art. 3 III BayVfGHG. 448 Gegenstück zur prinzipalen ist die inzidente Normenkontrolle, bei der die Nichtigkeit der Norm nicht im Tenor der ergehenden Entscheidung, sondern nur in den Entscheidungsgründen ausgesprochen wird. 449 Die abstrakte Normenkontrolle zeichnet sich dadurch aus, daß sie von einem Berechtigten ohne Vorliegen eines konkreten Anlasses für die Klärung der Rechtmäßigkeit der Norm initiiert werden kann. Gegenstück ist die konkrete Normenkontrolle ("Richterklage"), vgl. auch Knöpfle in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 3. 450 BayVerfGH 7, 69173; 25, 45/47; 28, 143/155; 29, 1/3; 32, 56/62; 33, 1/6; 35, 26/27; 36, 56/61. 451 BayVerfGH 35, 26/27. 452 Vgl. nur BayVerfGH 35, 26/27; 44, 102/104; 48, 46/48; BayVerfGH Vf. 24-VII-94, S. 22f.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
GG bzw. die Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG keinen Grundsatz der Rechtswegerschöpfung kennt453 . Da das Popularklageverfahren ein objektives und abstraktes Normenkontrollverfahren darstellt, kann es an und für sich keine Beteiligten an diesem Verfahren geben. Dennoch formuliert Art. 55 11 BayVfGHG, daß der Verfassungsgerichtshof dem Landtag, der Staatsregierung und "den übrigen Beteiligten" Gelegenheit zur Äußerung zu geben habe. Erachtet der Verfassungsgerichtshof die angefochtene Rechtsvorschrift für verfassungswidrig, so erklärt er diese für verfassungswidrig und nichtig, wobei die Entscheidung in der Regel ex tunc wirkt. Besondere Umstände, insbesondere Erwägungen des Vertrauensschutzes können aber Anlaß dafür sein, von dieser Regel abzuweichen454 . Insbesondere kann der Verfassungsgerichtshof auch den Gesetzgeber auffordern, eine als verfassungswidrig erkannte Rechtslage - unter Umständen innerhalb einer von ihm gesetzten Frist - zu bereinigen455 .
I. Die Antragsberechtigung Gemäß Art. 55 I 1 BayVfGHG kann ,jedermann,,456 die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsvorschrift des bayerischen Landesrechts durch eine Beschwerde beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof geltend machen. Dabei kommt es auf Fragen nach der Staatsangehörigkeit, dem (Wohn-)Sitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt nicht an 457 . Als ,jedermann" sind nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs auch die juristischen Personen des privaten wie des öffentlichen Rechts, also auch die kommunalen Gebietskörperschaften anzusehen458.
m Vgl. für die landesverfassungsrechtliche Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 120 BV den Art. 51 II I BayVfGHG, für die bundesverfassungsrechtliche Individualverfassungsbeschwerde bzw. die Kommunalverfassungsbeschwerde Art. 94 11 2 GG i. V. m. § 90 II BVerfGG. 4s.4 Vgl. hierzu Knöpfte in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfte, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 87ff. 455 Vgl. zum Beispiel BayVerfGH 50, 181 ff. (Entscheidungssatz 2). 4.56 Die Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 120 BV kann dagegen nur ,jeder Bewohner Bayerns" einlegen. 457 Domcke (in: Die bayerische Popularklage, S. 244ff.) will diese weitgehende Antragsberechtigung eingrenzen. Seiner Ansicht nach ist die Antragsberechtigung zu verneinen, wenn der Antragsteller keinerlei Beziehungen zum Staatsgebiet hat und in keiner Weise dem bayerischen Recht unterworfen ist. 458 So bereits BayVerfGH 2, 143/161 ff.; vgl. auch BayVerfGH 5, 113; 12,48/53; 29, 113; 29, 105/118; 40, 53/55; 47, 165/170; 49, 37/49.
5. Kapitel: Die Popularklage
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11. Der Prüfungsgegenstand Anders als der Wortlaut des Art. 98 (4) BV vermuten läßt, sind Prüfungsgegenstand nicht nur formelle Gesetze des Landesrechts und Verordnungen, sondern darüber hinaus auch Satzungen der Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts, vgl. Art. 55 I 1 BayVfGHG ("Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts,,)459. Somit sind alle norm setzenden Akte der bayerischen Staatsgewalt zulässiger Prüfungsgegenstand im Popularklageverfahren.
111. Das Erfordernis der Antragsbefugnis Der die Popularklage einlegende "Jedermann" hat darzulegen, daß ein durch die Bayerische Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird 460 . Im Unterschied zu der Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesverfassungsrecht gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG ist eine eigene, gegenwärtige und unmittelbare Beschwer des Antragstellers nicht erforderlich. Es muß nur geprüft werden, ob die inkriminierte Norm überhaupt ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verletzen kann. Dabei stehen diejenigen Rechte, die der Bayerische Verfassungsgerichtshof als grundrechtsähnliche anerkannt hat, den Grundrechten gleich, also auch das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden 461 . Darüberhinaus ist die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs dadurch gekennzeichnet, daß an die Antragsbefugnis des Antragstellers keine weiteren Anforderungen gestellt werden. Insbesondere sieht es der Verfassungsgerichtshof nicht als erforderlich an, daß der Popularkläger prinzipiell auch Träger desjenigen Grundrechts sein können muß, das er als verletzt rügt. Unabhängig davon, daß der Popularkläger nicht selbst durch die inkriminierte Norm betroffen sein muß, ist es somit auch nicht erforderlich, 459 Vgl. im Detail Knöpfle in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 33 ff.; Meder, BV, Art. 98 Rn. 8 ff.; zur Geschichte des Art. 55 VfGHG vgl. Knöpfle, ebenda, Rn. 33. 460 Richtet sich die Popularklage gegen mehrere Vorschriften eines Gesetzes, so muß diesem Erfordernis bei jeder einzelnen Vorschrift Genüge getan sein. Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn ein Gesetz insgesamt mit der Rüge angegriffen wird, es verletze das Grundrecht der Handlungsfreiheit, weil es nicht ordnungsgemäß zustandegekommen sei und deshalb nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehöre; vgl. BayVerfGH 50,181/196. 461 V gl. 1. Kapitel, 11. Ebenfalls als grundrechtsähnliche Rechte werden die subjektiven Rechte der Beamten als Ausfluß der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gemäß Art. 95 BV angesehen, vgl. BayVerfGH 31, 138ff. (Leitsatz 2)/140f.; Meder, BV, Art. 95 Rn. 2.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
daß er zu dem Kreis der vom persönlichen Schutzbereich der gerügten Verbürgung Geschützten zählt462 . 1. Die Popularklagen natürlicher Personen (Bürgerklagen)
Dem Wesen der Popularklage müßte es entsprechen, wenn auch natürliche Personen die Verletzung solcher Rechte rügen könnten, die als grundrechtsähnliche Rechte anerkannt worden sind, selbst wenn das als verletzt gerügte Recht den Rügenden nicht in seinen Schutz aufnimmt. Eine Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts durch die Gemeindebürger, aber auch durch sonstige Dritte müßte somit zulässig sein. a) Keine Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts durch Gemeindeangehörige
Im Zusammenhang mit der Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als grundrechtsähnliches Recht hat sich in der Rechtsprechung des bayerischen Verfassungsgerichtshofs eine Besonderheit gezeigt: Aus Anlaß von Popularklagen von Gemeindeangehörigen (sog. Bürgerklagen463 ) wurde judiziert, daß "die verfassungsrechtliche Garantie des kommunalen Selbstverwaltungsrechts,,464 "kein Grundrecht im Sinne des Art. 98 (4) BV" sei, "dessen Verletzung jedermann mittels Beschwerde zum Verfassungsgerichtshof geltend machen" könne. Es handle sich "hierbei vielmehr um ein grundrechtsähnliches Recht zum Schutz der Verfassungsgarantie der Selbstverwaltung entsprechend dem Auftrag des Grundgesetzes in Art. 28 11 GG". Es gäbe "lediglich den betroffenen Gemeinden die Möglichkeit, Popularklagen nach Art. 98 (4) BV gegen die Vorschriften des bayerischen Landesrechts zu erheben, mit der Begründung, diese schränkten den Wesensgehalt des Selbstverwaltungsrechts ein,,465. Hierin zeigt sich eine klare Abwendung vom Grundgedanken der Popularklage; konsequenterweise müßte - da es weder auf eine Selbstbetroffenheit ankommt noch darauf, daß der Rügende vom persönlichen Schutzbereich des gerügten Rechts erfaßt ist - auch ein Gemeindeangehöriger als verfassungsprozessuaSo aber Knöpfle in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 19ff. BayVerfGH 36, 162 Leitsatz. 464 Eine etwas ungenaue Formulierung, da der Verfassungs gerichtshof nur das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht als grundrechtsähnliches Recht ansieht, nicht aber das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände. 465 Ständige Rechtsprechung; vgl. BayVerfGH 29, 191/200; 33,117; 36, 162/ 166f.; 40,154/158, 160; 44, 41148; Vf. 8-VII-96, Entscheidung vom 29.8.1997, S. 34 m. w. N.; vgl. auch BayVerfGH 49, 37/49f.; 49, 79/85 f. 462 463
5. Kapitel: Die Popularklage
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ler "Jedermann" antragsbefugt im Sinn von Art. 98 (4) BV sein, wenn man das grundrechtsähnliche Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden erst einmal als rügefahiges Recht im Sinn des Art. 98 (4) BV anerkannt hat. Da die in Bezug genommenen Entscheidungen nicht nur Bürgerklagen im Rahmen gebietsreformierender Maßnahmen466 bzw. ähnlich konkret-individuell wirkender Maßnahmen467 betrafen, kann man diese Rechtsprechung nicht darauf zurückführen, daß es stets um legislative Organisationsakte und vergleichbare Hoheitsakte (Verwaltungsakte in Normgestalt) ging 468 . Erst jüngst hat der Verfassungsgerichtshof noch einmal grundsätzlich festgestellt, daß im Popularklageverfahren die Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts nur von der konkret betroffenen Gemeinde, nicht aber von deren Bürgern erhoben werden kann469 . Eine· Begründung für diese Rechtsprechung sucht man allerdings vergebens. Zum einen könnte die Begrenzung in einer Art "Kongruenzprinzip" eine Rechtfertigung finden: Rügeberechtigter einer grundrechtlichen oder grundrechtsähnlichen Verbürgung soll hiernach nur derjenige sein, der prinzipiell selbst Träger der gerügten Verbürgung sein kann; wer nicht vom persönlichen Schutzbereich der Verbürgung erfaßt ist, dem fehlt die Antragsbefugnis 47o . Genau an einer solchen Kongruenz fehlte es bei Bürgerklagen, insoweit die Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts geltend gemacht wird. Die Begründung könnte zum anderen darin zu sehen sein, daß das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht eben nur ein grundrechtSähnliches Recht, nicht aber ein echtes Grundrecht darstellt. Da es sich bei der Zulassung dieses Rechts als ein die Popularklage eröffnendes Recht um eine Ausnahmerechtsprechung handelt, könnte der Zweck der Beschränkung der Rügemöglichkeit auf Gemeinden in der Begrenzung der Ausnahmerechtsprechung zu suchen sein. Schließlich wurde der Zweck der Popularklage vom Verfassungsgerichtshof vor allem im Schutz der Grundrechte als Institution gesehen. Wenn das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht nun aber kein echtes Grundrecht, sondern nur ein grundrechtsähnliches Recht darstellt, dann wäre die Begrenzung der Antragsbefugnis bei Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts etwas besser nachvollziehbar. Eine solche Begründung wurde aber - jedenfalls nicht expressis verbis nicht gegeben. Die angesichts von Bürgerklagen gegen Maßnahmen der BayVerfGH 33, 1; 36, 162; 40, 154; BayVerfGH BayVBI. 1979, 143ff. BayVerfGH 44, 41. 468 So auch Knöpfte in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfte, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 23. 469 BayVerfGH 50,181/202. 470 Ähnlich: Knöpfte in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfte, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 19,23. 466 467
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
Gebietsrefonn getroffene Feststellung, daß nur die betroffene Gemeinde durch ihre Gemeindeorgane darüber entscheiden solle, ob sie den nonnativen Akt, der nur ihre Rechtsposition betrifft, hinnehmen will oder nicht471 , stellt lediglich eine Behauptung dar. Wollte man hierin eine Begründung erblicken, dann könnte sie nur für Verwaltungs akte in Nonngestalt, wie zum Beispiel Maßnahmen der Gebietsrefonn oder Festsetzungen von Naturschutzgebieten gelten. Es wäre aber noch immer nicht geklärt, weshalb der Verfassungs gerichtshof ganz allgemein feststellt, daß die Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ausschließlich von Gemeinden, nicht aber von deren Bürgern erhoben werden kann472 .
b) Die Berufung auf Art. 118 I BV als "Ersatzrüge" Allerdings kann die natürliche Person regelmäßig eine Verletzung des Art. 118 I BV vortragen. Auch an dieser Stelle ist wiederum der "klassische Gleichbehandlungsgrundsatz" vom "allgemeinen Willkürverbot" zu unterscheiden: aa) Die Berufung auf den "klassischen Gleichbehandlungsgrundsatz" Wie bereits dargestellt wurde, will der Verfassungsgerichtshof dann vom "klassischen Gleichbehandlungsgrundsatz" sprechen, wenn es um die ungleiche Behandlung gleicher Sachverhalte bzw. um gleiche Behandlung ungleicher Sachverhalte geht, kurz wenn Vergleichspaare oder -gruppen gefunden werden können. Auch die Systemwidrigkeit zählt er zum Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Hingegen findet das allgemeine Willkürverbot Anwendung, wenn es nicht um die Beurteilung konkreter Vergleichspaare oder die ausnahmslose Einhaltung eines einheitlichen Regelungssystems geht473 . Ein Beispiel für die Bejahung der Antragsbefugnis unter Berufung auf den klassischen Gleichbehandlungsgrundsatz ist die Baar-Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs: Hier bejahte das Gericht im Rahmen der Popularklagen verschiedener natürlicher Personen gegen eine Neugliederungsverordnung die Antragsbefugnis, weil die Antragsteller "zur Begründung dieser Rüge auf eine Reihe von Gemeinden hingewiesen" hätten, "die im Rahmen der allgemeinen Gemeindegebietsrefonn als Mitgliedsgemeinden von Verwaltungsgemeinschaften aufrechterhalten worden" seien, und dargetan hätten, worin nach ihrer Auffassung die Ungleichbehandlung gegenüber der betroffenen Gemeinde zu sehen war474 . 471 BayVerfGH 39, 1691173. 472
BayVerfGH 29, 191/200; BayVerfGH 50, 181/202f.
473 Vgl. 1. Kapitel, I.3.g., 4. Kapitel, 1.2.b., 11.1.
5. Kapitel: Die Popularklage
123
bb) Die Berufung auf das "allgemeine Willkürverbot" Wie weit die Möglichkeit reicht, Popularklage unter Berufung auf das allgemeine Willkürverbot einzulegen, soll zunächst eine Entscheidung außerhalb des Bereichs des Kommunalrechts verdeutlichen. In der Landesarbeitsgerichtssprengel-Entscheidung475 gelang es einer Privatperson, die Hürde der Antragbefugnis mit der Behauptung zu nehmen, die Errichtung eines zweiten Landesarbeitsgerichtes sei deshalb willkürlich, weil mit Rücksicht auf die Größe Bayerns die Errichtung eines zweiten bayerischen Landes arbeitsgerichts nicht sinnvoll sei. Damit ließ es der Verfassungsgerichtshof zu, daß ein legislativer Organisationsakt, der noch nicht einmal reflexartig in die Grundrechtssphäre der Bürger eingreifen konnte, durch Popularklage angefochten wurde. Von daher nimmt es nicht Wunder, daß der Verfassungsgerichtshof auch die Popularklage zweier natürlicher Personen gegen Art. 9 11 2 BV wegen der Behauptung zuließ, diese Vorschrift der Bayerischen Verfassung verstoße gegen das allgemeine Willkürverbot, weil die Abgrenzung der Regierungsbezirke gemäß Art. 9 I BV durch Gesetz geschehe, hingegen die Einteilung der Landkreise durch Verordnung vorgenommen werden könne476 . Ungeachtet der Tatsache, daß bei genügend Formulierungskunst auch ein Verstoß gegen den "klassischen Gleichbehandlungsgrundsatz" hätte bejaht werden können 477 , zeigen diese Beispiele, daß der Anwendungsbereich des allgemeinen Willkürverbots bei dementsprechender Rüge durch natürliche Personen im Rahmen von Popularklagen schier unbegrenzt ist. Im Bereich der Schnittstelle von gemeindlichem Selbstverwaltungsrecht und Bürgerklage wird es daher dem einzelnen immer gelingen, eine das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden betreffende Norm unter dem Vorwurf von Willkür vor den Verfassungsgerichtshof zu bringen. In der Horgau-Entscheidung, die eine Bürgerklage gegen eine Maßnahme der Gebietsreform betrifft, stellt der Verfassungsgerichtshof denn auch lapidar fest: "Die Rüge, daß die Eingliederung der Gemeinde Horgau in den Markt Zusmarshausen gegen das in Art. 118 I BV verbürgte Grundrecht der Gleichbehandlung und das darin enthaltene Willkürverbot verstoße, kann von den Antragstellern in zulässiger Weise erhoben werden. Auch Gemeindebürgern ist grundSätzlich ein Interesse an einer verfassungs gerichtlichen Nachprüfung der Willkürfreiheit von legislativen Organisationakten der Gemeindegliederung zuzubilligen,,478. Damit wird die Berufung auf Art. 118 474 475 476 477 478
Vgl. BayVerfGH 40, 154/158; vgl. auch BayVerfGH 50, 115/124f. BayVerfGH 28, 88. BayVerfGH 24, 181/189ff. Vgl. BayVerfGH 24, 1811191 ff. BayVerfGH 36, 1621166.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
I BV bzw. das Willkürverbot zur veritablen Ersatzrüge; der Umstand, daß die Bürger sich nicht auf die Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts berufen können, spielt im Ergebnis keine Rolle. c) Die Berufung auf die allgemeine Handlungsfreiheit
gemäß Art. 101 BV
Noch einen Schritt weiter ging der Verfassungsgerichtshof in den Popularklageverfahren um die Verfassungsmäßigkeit der Einführung des kommunalen Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids per Volksentscheid vom 1.1 0.1995: Die Antragsteller - natürliche Personen - rügten die Möglichkeit der Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 101 BV, weil das Volksbegehren unter Verstoß gegen Art. 7 11 und 74 VII BV durchgeführt worden sei, was zur Folge habe, daß das Gesetz nicht verfassungsgemäß zustandegekommen sei und nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehöre. Der Verfassungsgerichtshof hielt es für grundsätzlich möglich, daß der Schutzbereich der in Art. 101 BV gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit durch das Gesetz zur Einführung des kommunalen Bürgerentscheids insgesamt berührt worden sein konnte479 und ließ die Popularklagen zu. Hier gelang es den Antragstellern, das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit zu bemühen, obwohl es doch nicht um den Eingriff in grundrechtsgeschützte Freiheit ging, sondern vielmehr um die verfassungsund einfachrechtliche Ausgestaltung der unmittelbaren Ausübung der Staatsgewalt durch die Staatsbürger. 2. Die Popularklagen von Gemeinden
Daß die Qualifizierung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden als "grundrechtsähnliches Recht" diesen die Popularklage eröffnet, wurde bereits erwähnt. Sie können zudem die Popularklage auf die Behauptung der Verletzung eines Grundrechts stützen. a) Die Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts
aa) Keine Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts durch Drittgemeinden . als nicht unmittelbar betroffene Gemeinden Aus Anlaß von Bürgerklagen gegen konkret-individuell einzelne Gemeinden betreffende Normen hat der Verfassungsgerichtshof dargelegt, daß sich nur die konkret betroffene Gemeinde auf die Verletzung des - in 479
BayVerfGH Vf. 8-VII-96 et al., Entscheidung vom 29.8.1997.
5. Kapitel: Die Popularklage
125
diesem Fall "ihres" - Selbstverwaltungsrechts berufen kann, weil allein die von solchen Akten konkret betroffene Gemeinde durch ihre verfassungsmäßigen Organe entscheiden soll, ob sie einen legislativen Akt, der nur ihre eigene Rechtsposition betrifft, hinnehmen oder durch Anrufen des Verfassungsgerichtshofs am gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht messen lassen wolle. Damit ist ausgeschlossen, daß etwa eine Nachbargemeinde sich unter Berufung auf das Selbstverwaltungsrecht zum Anwalt ihrer von einer gebiets- oder bestands ändernden Rechtsnorm betroffenen Nachbargemeinde macht. Dies ist eine weitere Abweichung vom Grundgedanken der Popularklage, die ebenfalls nicht ausdrücklich begründet wurde, obwohl - wie oben unter 1.a. gezeigt - durchaus eine plausible Begründung hätte gegeben werden können. bb) Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts bei generell das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht betreffenden Normen Bei abstrakt-generell das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht berührenden Normen stellt der Verfassungsgerichtshof nicht auf die konkrete Betroffenheit der antragstellenden Gemeinde ab, sondern darauf, ob die angegriffene Vorschrift als solche abstrakt geeignet ist, das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht verfassungswidrig einzuschränken 48o • b) Die Berufung auf die Grundrechte
Wie dargelegt, können sich Gemeinden auf Art. 118 I BV und auf das Eigentumsgrundrecht gemäß Art. 103 BV berufen. aa) Die Berufung auf Art. 118 I BV Nachdem die Gemeinden zur Begründung der Antragsbefugnis das Recht der Selbstverwaltung als "grundrechtsähnliches Recht" anführen können, hat die Möglichkeit, sich auf Art. 118 I BV isoliert zu berufen, keine besondere Bedeutung. Gleichwohl wird regelmäßig die Antragsbefugnis unter Berufung auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht und Art. 118 I BV begründet. Soweit ersichtlich, hat der Verfassungsgerichtshof nicht die Frage beantwortet, ob eine Nachbargemeinde einen legislativen Organisationsakt unter Berufung auf Art. 118 I BV rügen kann, so daß - ähnlich wie bei den Bürgerklagen - die Beschränkung der Berufungsmöglichkeit 480
BayVerfGH 49, 37/50. Vgl. auch BayVerfGH 49, 79/85; 50, 15/40.
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I. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
auf das Selbstverwaltungsrecht der betroffenen Gemeinde jedenfalls 1m Rahmen der Prüfung der Antragsbefugnis ohne Bedeutung bliebe. bb) Die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht des Art. 103 BV Selbständige Bedeutung kann die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht - angesichts der Tatsache, daß das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht als grundrechtsähnliches Recht angesehen wird - dann nicht haben, wenn der Staat einseitig auf das Gemeindevennögen zugreift, weil Art. 83 I BV mit dem Schutz der Vennögensverwaltung als Ausprägung des Selbstverwaltungsrechts eingreift. Eigenständige Bedeutung könnte der Berufung auf das Eigentumsgrundrecht nicht in der Situation der Popularklage, sondern der Verfassungsbeschwerde zukommen, wie die Fischereirechte-Entscheidung zeigt481 . 3. Die Popularklagen von Gemeindeverbänden
Ausdrückliche Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof haben nur Popularklagen von Landkreisen erfahren; die prozessuale Stellung der Bezirke wurde allenfalls am Rande erörtert. Die für die Landkreise getroffenen Feststellungen dürften aber entsprechend für die Bezirke gelten. a) Keine Berufung der Gemeindeverbände auf deren Selbstverwaltungsrecht
Weder die Landkreise noch die Bezirke können sich zur Begründung der Antragsbefugnis auf die Verletzung ihres durch Art. 10 BV gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts berufen482 . Da deren Selbstverwaltungsrecht nicht als grundrechtsähnliches Recht ausgestaltet sei, könne es nicht als "Grundrecht" im Sinn der Antragsbefugnis des Art. 98 (4) BV gewertet werden. Allerdings scheint der Verfassungsgerichtshof früher durchaus die Möglichkeit gesehen zu haben, den Gemeindeverbänden bei Berufung auf deren Selbstverwaltungsrecht die Popularklage zu eröffnen483 • Diese Option hat der Verfassungsgerichtshof nicht mehr aufgegriffen. So verschwendete er in der Landkreisfinanzausgleich-Entscheidung nicht ein einziges Wort auf die Diskussion der. Möglichkeit, das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise als klageeröffnend anzusehen484 •. 481 482 483 484
BayVerfGH 37, 101. 2. Kapitel, 11.; 3. Kapitel, 11. BayVerfGH 29, 105/l24; ähnlich bereits BayVerfGH 27, 14/21. BayVerfGH Vf. 24-VII-94, Entscheidung vom 12. Januar 1998, S. 25f.
5. Kapitel: Die Popularklage
127
b) Die Berufung der Gemeindeverbände auf die Grundrechte
aa) Die Berufung auf Art. 118 I BV als "Ersatzrüge" Damit kommt der Möglichkeit, sich auf eine etwaige Verletzung des Art. 118 I BV berufen zu können, entscheidende Bedeutung zu, soweit es um die Fähigkeit der Landkreise geht, Popularklage einzulegen. Die Berufung auf Art. 118 I BV stellt hier eine konstitutive Ersatzrüge dar, weil ein sonstiges, die Popularklage eröffnendes Recht typischerweise nicht in Betracht kommt. bb) Die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht des Art. 103 BV In der Finanzausgleich-Entscheidung E 5, 1 scheint es so, als wäre das Eigentumsgrundrecht zur Begründung der Antragsbefugnis der Popularklage herangezogen worden. Spätere Entscheidungen befassen sich nicht mehr mit Art. 103 BV als klageeröffnendem Grundrecht485 . Angesichts der Tatsache, daß die allumfassende Ersatzberufung auf Art. 118 I BV immer zu konstruieren ist, läßt sich auch kaum noch ein Fall denken, in dem die Berufung auf Art. 103 BV eine Rolle spielen könnte. Rein theoretisch müßte der Verfassungsgerichtshof aber die Antragsbefugnis dann bejahen, wenn ein Subordinationsverhältnis im oben dargelegten Sinn vorliegt.
IV. Der Prüfungsmaßstab Nicht notwendigerweise entsprechen die die Antragsbefugnis begründenden Normen dem Kreis der den Prüfungsmaßstab bildenden Vorschriften. Eine solche Identität gibt es etwa bei der verwaltungsprozessualen Anfechtungsklage, bei der die Klagebefugnis des § 42 11 VwGO einen im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfenden Filter darstellt, in dessen Gewebe nur diejenigen subjektiv-öffentlichen Rechtsvorschriften hängenbleiben, die im Rahmen der Begründetheitsprüfung den Prüfungsmaßstab ergeben. 1. Die Regel
Gerade bei prinzipalen Normenkontrollen ist das - wie zum Beispiel bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle - aber vielfach anders. Regelmäßig ist der Kreis der den Prüfungsmaßstab bildenden Normen erheblich größer als derjenige, der durch die Normen gebildet wird, die die 485 Bereits in der Finanzausgleichsentscheidung BayVerfGE 12, 48 wird zur Begründung der Antragsbefugnis ausschließlich Art. 118 I BV herangezogen.
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
Antragsbefugnis auslösen können. Der Verfassungsgerichtshof vertritt hierzu in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, daß in Popularklageverfahren seine Prüfungsbefugnis in der Regel weiter reicht als die Antragsbefugnis der Antragsteller486 . Prüfungsmaßstab einer zulässig erhobenen Popularklage sind nicht nur etwa die Grundrechte und grundrechtsähnlichen Rechte der Bayerischen Verfassung, sondern die Normen der Bayerischen Verfassung insgesamt. Ist eine Popularklage zulässig erhoben, so erstreckt der Verfassungs gerichtshof seine Prüfungskompetenz auch auf Verstöße gegen andere, objektives Verfassungsrecht darstellende, Normen der Bayerischen Verfassung 487 , und zwar unabhängig davon, ob diese gerügt wurden oder nicht. Untergesetzliche Normen werden auch dahingehend untersucht, ob sie auf einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhen ~nd sich in deren Rahmen halten488 . Die schwierige Frage, inwieweit Bundesrecht Prüfungsmaßstab im Rahmen einer Popularklage, insbesondere integriert in die Prüfung von Art. 3 BV sein kann, kann hier offengelassen werden 489 . Diese Regel, wonach bei zulässig eingelegten Popularklagen alle Vorschriften der Bayerischen Verfassung den Prüfungsmaßstab der inkriminierten Norm bilden, wenn die Hürde der Antragsbefugnis übersprungen wurde, gilt in den meisten und unterschiedlichsten Konstellationen auch im Bereich der Schnittstelle von kommunalem Selbstverwaltungsrecht und Popularklage: Stehen Regelungen inmitten, die generell für den Inhalt des Selbstverwaltungsrechts von Bedeutung sein können, dann findet eine umfassende Überprüfung an allen Normen der Bayerischen Verfassung inklusive des kommunalen Selbstverwaltungsrechts statt, und zwar unabhängig davon, ob eine kommunale Gebietskörperschaft (Gemeinde wie Gemeindeverband)49o oder 486 BayVerfGH 27, 139/143; 31, 138/141; 36, 162/167; 48, 79/92ff.; 50, 15/40; 50, 181/198 ff.; Vf. 24-VII-94, S. 26. 487 Knöpfte (in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfte, BV, Teil V, Art. 98, Rn. 66) bemerkt, daß diese Rechtsprechung nunmehr in Art. 2 Nr. 7 und 55 I I VfGHG eine gesetzliche Stütze findet. 488 Vgl. hierzu Knöpfte, ebenda, Rn. 66. 489 Denkbar ist es nämlich, jede Verletzung von Bundesrecht zugleich als Verletzung des Rechtsstaatsgebots des Art. 3 BV anzusehen. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof führt hierzu aus: "Art. 3 I I BV ist erst dann verletzt, wenn ein bayerischer Normgeber den Bereich der Rechtsordnung des Bundes verläßt und Landesrecht eindeutig ohne Rechtsetzungbefugnis schafft" (vgl. Meder, BV, Art. 98 Rn. 14ff., Knöpfte in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfte, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 64). Zudem kann ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip erst dann angenommen werden, wenn der Widerspruch zum Bundesrecht offensichtlich zu Tage tritt und auch inhaltlich seinem Gewicht nach als schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung zu werten ist.
5. Kapitel: Die Popularklage
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ein Bürger Popularklage einlegt. Letzteres begründet der Verfassungsgerichtshof damit, daß es in diesen Konstellationen nicht zu einer Kollision zwischen dem Willen der antragstellenden Bürger einerseits und dem Willen einer bestimmten Gemeinde andererseits kommen kann491 . Diese Regel gilt auch dann, wenn ein betroffener Gemeindeverband eine normgesetzte Organisationsmaßnahme492 unter Berufung auf Art. 118 I BV angreift. So wurde in der Landkreis Ingolstadt-Entscheidung, nachdem die Antragsbefugnis mit Art. 118 I BV begründet wurde, wie selbstverständlich im Rahmen der Begründetheit das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise gemäß Art. 10 I BV als Prüfungsmaßstab herangezogen493 .
2. Die Ausnahmen bei Bürgerklagen gegen normgesetzte Organisationsakte
a) Die Ausnahme Es wurde dargelegt, daß im Rahmen der Popularklagen von natürlichen Personen gegen normgesetzte Organisationsmaßnahmen, die nur einzelne kommunale Gebietskörperschaften betreffen, der Bayerische Verfassungs gerichtshof die Antragsbefugnis allein bejaht, insoweit die Antragsteller die Verletzung des Art. 118 I BV geltend machen; die Rüge der Verletzung des Selbstverwaltungsrechts ist unzulässig 494 . Bei den Ausführungen zum Prüfungsmaßstab formuliert der Bayerische Verfassungsgerichtshof dann wie folgt 495 : "Eine Überprüfung am Maßstab des verfassungsrechtlich verbürgten Selbstverwaltungsrechts ... scheidet . .. aus. Im Rahmen einer lediglich von Bürgern erhobenen Popularklage mißt der Verfassungsgerichtshof eine Neugliederungsvorschrift grundsätzlich nicht am Maßstab des Art. 11 11 2 BV, weil eine Gemeinde durch ihre Organe selbst entscheiden soll, ob sie einen legislativen Organisationsakt, 490 BayVerfGH 49, 37/50ff.; 49, 79/85ff.; 50, 15/40ff.; BayVerfGH Vf. 24-VII94, S. 26ff. 491 BayVerfGH Vf. 8-VII-96 et al., Entscheidung vom 29.8.1997, S. 35 f. 492 Es soll in dieser Darstellung der vom Verfassungsgerichtshof geprägte Begriff der "Iegislativen Organisationsmaßnahme" ersetzt werden durch den der "normgesetzten Organisationsmaßnahme", weil ersterer deswegen nicht ganz treffend ist, da selbstverständlich auch die Exekutive Organisationsakte insbesondere im Zusammenhang mit der Gebietsreform traf. 493 BayVerfGH 27, 14/32ff. 494 Vgl. BayVerfGH 40, 154/158; vgl. auch BayVerfGH 33, 162ff.; BayVerfGH 50, 115/124. 495 BayVerfGH 50, 115/124f.; BayVerfGH 40, 154/160; vgl. auch BayVerfGH 36, 162/167 ff.; 39, 169 ff. (Leitsatz 2). 9 Lissack
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1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
der ihren Status als Selbstverwaltungskörperschaft betrifft, hinnehmen oder auf eine Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts überprüfen lassen will." In diesen Fällen bliebe als Prüfungsmaßstab in der Regel nur der im Rahmen der Antragsbefugnis bereits gerügte Art. 118 I BV496 . Hierbei handelt es sich um eine Ausnahmerechtsprechung. Diese findet lediglich Anwendung, wenn Prüfungsgegenstand eine Norm ist, die spezifisch den Status einer einzigen oder einer kleineren Anzahl konkretisierbarer Gemeinden betrifft.
b) Die Ausnahme von der Ausnahme Aber: "Eine Ausnahme hat der Verfassungsgerichtshof dann zugelassen, wenn eine Gemeinde vor ihrer Auflösung eindeutig zu erkennen gegeben hat, daß sie eine Verletzung des Art. 11 11 BV beim Verfassungsgerichtshof gelten machen wolle. In einem solchen Fall kann die Überprüfung der Neugliederungsvorschrift am Maßstab des Art. 11 11 BV nicht dem Willen der untergegangenen Gemeinde widersprechen." Somit ist der Umfang des Prüfungsmaßstabes bei Bürgerklagen gegen normgesetzte Organisationsakte einerseits davon abhängig, ob im Rahmen einer konkret-individuell die Gemeinde betreffenden Regelung diese selbst gegen den Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht vorgehen will. Für diese Fälle kann es bei der "im Popularklageverfahren allgemein geltenden Regel verbleiben, daß der Verfassungsgerichtshof eine mit zulässigen Rügen angefochtene Rechtsvorschrift umfassend am Maßstab aller Normen der Bayerischen Verfassung prüft,,497. Bei dieser Regel bleibt es andererseits - wie oben gesehen wurde - auch immer, wenn generell das Selbstverwaltungsrecht betreffende Regelungen inmitten stehen.
V. Subsidiarität der bundesrechtlichen Kommunalverfassungsbeschwerde Die Kommunalverfassungsbeschwerde ist eine Rechtssatzbeschwerde, nicht auch eine Urteils- oder Einzelaktsbeschwerde. Offenbar wollte man bei ihrer Einführung498 das Bundesverfassungsgericht nicht durch eine weitgehende Anrufungsmöglichkeit belasten499 . Zudem wird Rechtsschutz der Vgl. BayVerfGH 50, 115/125. beide Zitate: BayVerfGH 40, 154/160. 498 Einfachgesetzlich eingeführt wurde die Kommunalverfassungsbeschwerde bereits im Jahre 1951 (§ 91 BVerfGG), im Grundgesetz wurde sie erst durch Gesetz vom 29. Januar 1969 (BGBI. I S. 97) verankert. 499 Vgl. Schmidt-Bleibtreu in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 91 Rn. 2, 12. 496 497
5. Kapitel: Die Popularklage
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kommunalen Gebietskörperschaften hinlänglich durch die Verwaltungs gerichtsbarkeit gewährleistet. Die Kommunalverfassungsbeschwerde folgt weitestgehend den Regelungen über die Individualverfassungsbeschwerde, wie §§ 90ff. BVerfGG zeigen. Prüfungsgegenstand sind formelle und auch nur materielle Gesetze 5OO • Es ist der Grundsatz der Rechtswegerschöpfung zu beachten, § 90 11 1 BVerfGG50I . Probleme bereitet im Rahmen der Beschwer die unmittelbare Betroffenheit502 . Auch das Annahmeverfahren der §§ 93 a ff. BVerfGG findet Anwendung. Das Bundesverfassungsgericht besitzt für den Fall, daß Prüfungsgegenstand Bundesgesetze sind, eine originäre, das heißt von der Subsidiaritätsklausel des § 91 (2) BVerfGG unabhängige Kompetenz zur Verwerfung der das gemeindliche bzw. das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände einschränkenden Bundesgesetze. Die sogenannte Subsidiaritätsklausel spielt nur für das kommunale Selbstverwaltungsrecht einschränkende Landesgesetze eine Rolle. Die Subsidiarität der Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht tritt schon mit der bloßen Existenz der Rechtsschutzmöglichkeit bei einem Landesverfassungsgericht ein. Sie wirkt darüberhinaus nicht nur bis zum Abschluß des landesverfassungsgerichtlichen Verfahrens. Das Bundesverfassungsgericht kann nicht als zweite Instanz in Anspruch genommen werden; die Normprüfungsentscheidung eines Landesverfassungsgerichtes kann nicht zur Nachprüfung dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden 503 . 1. Subsidiarität der Kommunalverfassungsbeschwerde bei Popularklagen gegen Normen das gemeindliche SelbstverwaItungsrecht betreffend
Die Subsidiarität der bundesverfassungsrechtlichen Kommunalverfassungsbeschwerde wirkt sich - wegen der unterschiedlichen Qualifikation des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts einerseits und des Selbstverwaltungsrechts der Landkreise und Bezirke andererseits - unterschiedlich aus: Gegen Normen des bayerischen Landesrechts, die das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht verletzen, ist abschließend die Popularklage gemäß Art. 98 500 BVerfGE 76, 107 Leitsatz I: "Angriffsgegenstand einer Kommunalverfassungsbeschwerde können alle Arten vom Staat erlassener Rechtsnormen sein, die Außenwirkung gegenüber Gemeinden entfalten". 501 Zum zu erschöpfenden Rechtsweg gehört auch die Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO, vgl. BVerfGE 76, 107 (Leitsatz 2)/114f. 502 Vgl. BVerfGE 76, 107/112f. 503 Vgl. Hoppe, Die kommunale Verfassungsbeschwerde vor Landesverfassungsgerichten, S. 260.
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I. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
(4) BVeröffnet. Insoweit entfallt die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht504 .
2. Vorrang der Kommunalverfassungsbeschwerde bei Popularklagen von Gemeindeverbänden ? Da das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise und der Bezirke nicht als grundrechtsähnliches Recht qualifiziert wird, können die Gemeindeverbände die Popularklage allein unter Berufung auf ihr in Art. 10 BV gewährleistetes Selbstverwaltungsrecht nicht einlegen. Sie scheinen vielmehr auf die Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG, § 91 (2) BVerfGG verwiesen zu werden. Allerdings können sie regelmäßig ein Popularklageverfahren unter Berufung auf Art. 118 I BV initiieren. Fraglich ist, wie sich dies auf die Subsidiaritätsklausel auswirkt. Der Verfassungs gerichtshof hat diese Frage nicht geklärt505 .
VI. Zusammenfassung des fünften Kapitels Der Rechtsschutz der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften im Rahmen der Popularklage ist durch Widersprüche gekennzeichnet: - Der Unterscheidung von gemeindlichem Selbstverwaitungsrecht als grundrechtsähnliches Recht und dem Selbstverwaitungsrecht der Gemeindeverbände als rein institutionelle Gewährleistung kommt bei Anrufung des Verfassungsgerichtshofs mittels der Popularklage durch die kommunalen Gebietskörperschaften im Ergebnis keine besondere Bedeutung zu. Zwar können sich die Gemeindeverbände bei der Prüfung der Antragsbefugnis nicht auf ihr Selbstverwaltungsrecht berufen. Dies schadet aber in der Praxis des Verfassungsgerichtshofs nicht, da die allmächtige "Ersatzrüge" des Art. 118 I BV zu bewältigende Anforderungen stellt. Angesichts der Begründetheitsprüfung wird diese Unterscheidung dann gegenstandslos, da Prüfungsmaßstab die Bayerische Verfassung insgesamt ist. - Ungeklärt ist dabei das Verhältnis von Popularklage, die ein Gemeindeverband unter Rüge der Verletzung des Art. 118 I BV einlegt, zu der bundesverfassungsrechtlichen Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG. Die von einer Gemeinde unter Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts eingelegte Popularklage schließt hingegen die Kommunalverfassungsbeschwerde aus. ~04 ~o~
So ausdrücklich BayVerfGH 29, 105 (Leitsatz 3b)/124. BayVerfGH 27, 14/22.
6. Kapitel: Die Verfassungs beschwerde
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- Bemerkenswert ist schließlich die Rechtsprechung zu den Bürgerklagen gegen normgesetzte Organisationsakte. Zwar kann ein Bürger ein Verfahren nicht unter Berufung auf die Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts, wohl aber auf die vorgebliche Willkürlichkeit des hoheitlichen Akts anstrengen. Dem entspricht die Handhabung des Prüfungsmaßstabs. Zu untersuchen ist noch Bedeutung und Handhabung der Verfassungsbeschwerde (hierzu das sechste Kapitel), bevor die im darstellenden ersten Teil dieser Arbeit erlangten Resultate insgesamt und eingehend gewürdigt werden.
6. Kapitel
Die Verfassungsbeschwerde Die bayerische Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 66, 120 BV, 51 ff. BayVfGHG ist eine Einzelaktsbeschwerde, teilweise wird auch etwas ungenau formuliert: eine Urteils- und Verwaltungsaktsbeschwerde 506 . Für unmittelbare Rechtssatzbeschwerden besteht die Popularklage. Allerdings ist denkbar, daß es anläßlich einer Einzelaktsbeschwerde zur inzidenten Überprüfung der zugrundeliegenden Norm kommt. In diesem Fall kann nicht etwa der entscheidende Senat die ermächtigende Rechtsgrundlage verwerfen, vielmehr hat er im Wege einer internen Verfassungsgerichtshofvorlage die maßgebliche Norm dem für Popularklagen zuständigen Senat vorzulegen, vgl. Art. 3 III BayVfGHG. Im Unterschied zur Popularklage erfordert die Verfassungsbeschwerde nach bayerischem Landesrecht die Selbstbetroffenheit des Antragstellers. Sie ist fristgebunden, Art. 51 11 2, III BayVfGHG und von der Rechtswegerschöpfung abhängig, Art. 51 11 1 BayVfGHG (vgl. auch Art. 69 BV)507. Anders als nach Bundesrecht gibt es allerdings kein Vorprüfungs- oder Annahmeverfahren508 . Schließlich hat die Verfassungsbeschwerde keinen Suspensiveffekt, nötigenfalls ist eine einstweilige Anordnung gemäß Art. 26 BayVerfGHG anzustrengen 509 . Wird der inkriminierte Einzelakt für verfassungswidrig erkannt, so entscheidet der Verfassungsgerichtshof gern. Art. 54 BayVfGHG, wie abzuhelfen ist. Eine Kassation des Akts wird auch ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage für möglich gehalten 51O • 506 Vgl. Schumann, Verfassungsbeschwerde (Grundrechtsklage) zu den Landesverfassungsgerichten, S. 183 f. 507 Vgl. Meder, BV, Art. 120 Rn. 26ff. 508 Vgl. §§ 93aff. BVerfGG. 509 Vgl. Meder, ebenda, Rn. 42. 510 Vgl. Meder. ebenda, Rn. 38 ff.
134
1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungs gerichtshofs
I. Die Antragsberechtigung Beschwerdeberechtigt ist ,jeder Bewohner Bayerns". Deutschen, die keine "Bewohner Bayerns" sind, steht die Antragsberechtigung dabei ohne wie auch immer geartete örtliche Beziehung ZU 511 • Auch Ausländer gelten als "Bewohner Bayerns" unter der Voraussetzung, daß sie eine dauernde örtliche Beziehung zum bayerischen Staatsgebiet durch Begründung des Wohnsitzes oder des dauernden Aufenthalts haben 512 . Juristische Personen des Privatrechts wie des öffentlichen Rechts werden ebenfalls als Bewohner Bayerns angesehen, wenn sie ihren Sitz in Bayern haben 513 , so daß auch die bayerischen kommunalen Gebietskörperschaften antrags berechtigt sind.
11. Der Prüfungsgegenstand Prüfungsgegenstand der Verfassungsbeschwerde sind Maßnahmen bayerischer "Behörden". Die etwas unklare Formulierung in Art. 120 BV wird durch Art. 51 I BayVfGHG dahingehend erläutert, daß Handlungen und Unterlassungen von Behörden und Gerichten Gegenstand verfassungsgerichtlicher Klärung sein können. Somit ist die Verfassungsbeschwerde auch Urteilsverfassungsbeschwerde, was angesichts des Erfordernisses der Rechtswegeerschöpfung selbstverständlich ist. Allerdings ergibt sich aus der Existenz der Popularklage bezüglich der denkbarerweise der Verfassungsbeschwerde unterliegenden Maßnahmen der Exekutive eine Einschränkung: Rechtsetzende Maßnahmen der Exekutive, also Satzungs- und Verordnungserlaß können prinzipal nur im Wege der Popularklage untersucht werden 514 •
111. Das Erfordernis der Antragsbefugnis Der Beschwerdeberechtigte muß ein "verfassungsmäßiges Recht" als möglicherweise verletzt rügen, wobei ihm selbst das Recht zustehen muß. Ferner muß er eine gegenwärtige und unmittelbare Beschwer darlegen 515 . Verfassungsmäßige Rechte sind nicht nur die Grundrechte und nicht nur Rechtsverbürgungen des Zweiten Hauptteils der Verfassung. Es ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Rechtsnorm der Bayerischen Verfassung, gleichgültig wo sie angesiedelt ist, ein verfassungsmäßiges Recht i. S. d. Art. 120 BV darstellt bzw. beinhaltet. Insoweit das verfassungsmäßige ~II BayVerfGH 20, 1531156; kritisch Meder, BV, Art. 120 Rn. 2. m BayVerfGH 42, 65/68. m Vgl. Meder, BV, Art. 120 Rn. 2. ~14 BayVerfGH 18,37/38 m.w.N. SIS Vgl. Meder, BV, Art. 120 Rn. 14ff.
6. Kapitel: Die Verfassungsbeschwerde
135
Recht in einem speziellen verfassungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden kann, entfällt die Verfassungsbeschwerde.
1. Die Berufung auf das Selbstverwaltungsrecht a) Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als grundrechtsähnliches Recht 516 stellt nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs ein "verfassungsmäßiges Recht" im Sinn des Art. 120 BV dar5I7 . Weitere Ausführungen erübrigen sich jedenfalls insoweit, als es um den Charakter des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden als grundrechtsähnliches Recht geht, weil das Entscheidende hierzu bereits gesagt wurde 518 • Allerdings darf die praktische Relevanz der Tatsache, daß auch Gemeinden unter Rüge der Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts Verfassungsbeschwerde einlegen können, aufgezeigt werden. Die Verfassungsbeschwerde ermöglicht es, nach Erschöpfung des Rechtsweges den Verfassungsgerichtshof beispielsweise gegen staatsaufsichtliche Maßnahmen anzurufen. Die Hindelang-I-Entscheidung ist auch bester Beleg dafür, wie notwendig ein solcher Rechtsbehelf aus verfassungspolitischer Sicht sein kann, versagte doch die Rechtsaufsichtsbehörde mit Billigung beider verwaltungsgerichtlicher Instanzen die erforderliche Genehmigung der vom Markt Hindelang eingeführten (und nun durch Gesetz wieder verbotenen) Zweitwohnungs steuer, zu deren Erteilung der Verfassungsgerichtshof mit der erforderlichen Deutlichkeit verurteilte 519 • Gerade dieser Umstand, daß es nach bayerischem Verfassungsprozeßrecht derzeit den Gemeinden ermöglicht wird, gegen aufsichtliehe Verfügungen vorzugehen, ist deswegen bemerkenswert, haben doch die meisten Bundesländer nur eine der bundesverfassungsrechtlichen Regelung entsprechende kommunale Rechtssatzbeschwerde vorzuweisen 52o • Vgl. 1. Kapitel, 1I. BayVerfGH 24, 48/50f.; 27, 82/86; 29,105/122; 36,113/117; 41,140/145; 45, 157/160f.; vgl. auch Nawiasky in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, BV, Teil V, Art. 120 Rn. lUf., 15; Meder, BV, Art. 120 Rn. 13. 518 Vgl. 1. Kapitel, 1I. 519 BayVerfGH 41, 140. 520 Vgl. Art. 76 Verfassung des Landes Baden-Württemberg (§§ 8 I NT. 8, 54 Staatsgerichtshofgesetz), Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (§§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz), Art. 53 I Nr. 8 Verfassung des Landes MecklenburgVorpommem (§§ 11 I NT. 10, 51 ff. Landesverfassungsgerichtsgesetz), Art. 54 Nr. 5 Niedersächsische Verfassung, Art. 75 NT. 4 Verfassung für das Land NordrheinWestfalen i. V. m. § 12 Nr. 8, 52 Verfassungsgerichtshofgesetz, Art. 123 Verfassung des Saarlandes (§§ 9 Nr. 13, 55 Verfassungsgerichtshofgesetz), Art. 90, 81 I Nr. 5 516 517
136
I. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungs gerichtshofs
b) Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände ist nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs jedenfalls kein grundrechtsähnliches Recht 521 . Deswegen wird in der Literatur teilweise behauptet, eine Verfassungsbeschwerde allein unter Berufung auf das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise und Bezirke sei nicht zuzulassen522 . Der Verfassungsgerichtshof hat es in der Polizei vermögen-Entscheidung offengelassen, ob er das Selbstverwaltungsrecht als "verfassungsmäßiges Recht" im Sinn des Art. 120 BV ansehen will 523 . Allerdings könnte just der in Bezug genommenen "Politische BefreiungEntscheidung" des Verfassungsgerichtshofs etwas anderes entnommen werden. Dort wird festgestellt, daß die verfassungsrechtliche Garantie der Selbstverwaltung - unabhängig von der Qualifikation als grundrechtsähnliches Recht - bzgl. der Gemeinden und Gemeindeverbände in gleicher Weise ausgestaltet sei. Einerseits als institutionelle Garantie, andererseits als subjektives öffentliches Recht 524 . Wenn das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände aber auch als subjektives öffentliches Recht bezeichnet und dieses durch die Bayerische Verfassung geWährleistet wird, so müßte dies für die Qualifizierung als "verfassungsmäßiges Recht" im Sinn von Art. 120 BV ausreichen 525 , da eine grundrechtliche Qualität - anders als bei der Popularklage - nicht gefordert wird. Ausdrücklichere Entscheidungen als die dargestellten gibt es hierzu allerdings nicht. Ein Bedürfnis für die Zulassung der Verfassungs beschwerde ist aber genauso festzustellen wie bei der von den Gemeinden eingelegten Verfassungsbeschwerde, unterliegen doch auch die Gemeindeverbände aufsichtlichen Verfügungen.
2. Die Berufung auf die Grundrechte Selbstverständlich können die Gemeinden und die Gemeindeverbände, soweit die Grundrechtsfahigkeit bejaht worden ist, sich auch auf die Verletzung von Grundrechten berufen, allerdings wiederum nur dann, wenn Selbstbetroffenheit vorliegt. Verfassung des Freistaates Sachsen (§§ 7 Nr. 6, 36 Verfassungsgerichtshofgesetz), § 2 Nr. 8 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt. 521 Vgl. 2. Kapitel, 11., 3. Kapitel, 11. 522 Meder, BV, Art. 10 Rn. 4. 523 BayVerfGH 29, 105/124. 524 BayVerfGH 2, 143/163. 525 Vgl. auch BayVerfGH 22, 43/47; diese Entscheidung zeigt relativ deutlich, daß an das verfassungsmäßige Recht im Sinn des Art. 120 BV keine allzu großen Anforderungen gestellt werden.
6. Kapitel: Die Verfassungs beschwerde
137
a) Die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht Die bereits mehrfach angesprochene Fischereirechte-Entscheidung ist Paradebeispiel für die - erfolgreiche - Rüge der Verletzung des Eigentumsgrundrechts aus Art. 103 BV. Im Rahmen dieser Entscheidung machte eine Gemeinde die Verletzung von Art. 103 BV in einem Rechtsstreit zwischen gleichgeordneten Trägern privater Rechte im Wege der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 66, 120 BV geltend526 . Eine der Besonderheiten dieser Entscheidung ist somit darin zu erblicken, daß sich die betroffene Gemeinde nicht auf das Eigentumsgrundrecht in seiner Funktion als Abwehrrecht, sondern auf die Mißachtung des objektiven Wertgehalts der Eigentumsgarantie bei Auslegung der streitentscheidenden Normen durch die Fachgerichte berief.
b) Die Berufung auf Art. 118 I BV Der Berufung auf Art. 118 I BV, insbesondere das allgemeine Willkürverbot kommt auch angesichts der Verfassungsbeschwerde eine besondere Bedeutung zu, da vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde der Rechtsweg erschöpft sein muß, so daß regelmäßig nicht nur behördliche Entscheidungen, sondern auch die bestätigenden verwaltungsgerichtlichen Urteile vom Verfassungs gerichtshof zu überprüfen sind. Da es aber nicht selten an der Anwendbarkeit des "klassischen Gleichbehandlungsgrundsatzes" mangels Vergleichsfallen fehlen wird, bleibt auch hier wieder die Berufung auf Art. 118 I BV in der Ausprägung des "allgemeinen Willkürverbots". In diesem Zusammenhang untersucht der Verfassungsgerichtshof dann, ob "die gerichtliche Entscheidung unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar" ist, ob sie "unhaltbar, offensichtlich sachwidrig und eindeutig unangemessen ist,,527. Besondere Anforderungen hat die Körperschaft im Rahmen der Darlegung der Antragsbefugnis nicht zu erfüllen528 .
IV. Der Prüfungsmaßstab Anders als bei der Popularklage ist Prüfungsmaßstab nicht die Gesamtheit der Normen der Bayerischen Verfassung. Vielmehr ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren nur zu prüfen, ob gegen die vom Beschwerdeführer bezeichneten, subjektive Rechte verbürgenden Normen der Bayerischen Verfassung verstoßen wurde 529 . Objektives Verfassungsrecht wird nur inso526 527 528
BayVerfGH 37, 101/108; vgl. auch Bethge, NVwZ 1985,402. BayVerfGH 45, 157/165. Vgl. nur BayVerfGH 45,157/161.
138
1. Teil: Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
weit geprüft, als es in den Schutzbereich des ausdrücklich gerügten, verfassungsmäßigen Rechts hineinwirkt530, also soweit es einen besonderen thematischen Bezug zu dem gerügten Grundrecht hat. Dieser im Vergleich zur Popularklage eingeschränkte Prüfungsmaßstab ist damit zu erklären, daß die Verfassungsbeschwerde im Gegensatz zur Popularklage nicht in erster Linie dem öffentlichen Interesse an einer verfassungsmäßigen Rechtsordnung, sondern dem Individualinteresse dient 531 .
V. Zusammenfassung des sechsten Kapitels - Gemeinden können eine Verfassungsbeschwerde auf eine Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts nach Art. 11 11 2 BV und Ausprägungen des Selbstverwaltungsrechts wie der in Art. 83 11 2 BV gewährleisteten kommunalen Finanzhohe~t oder des Verbots der Einziehung gemeindlichen Vermögens gemäß Art. 12 11 I BV stützen. Sie können sich auch auf eine Verletzung des in Art. 118 I BVenthaltenen Willkürverbots und des in Art. 103 I BV verbürgten Eigentumsgrundrechts berufen. - Ob das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände als verfassungsmäßiges Recht im Sinn der Verfassungsbeschwerde angesehen würde, ist ungeklärt. Jedenfalls wäre eine Rüge des Willkürverbots jederzeit zulässig.
529 530 531
BayVerfGH 45, 157/161. VgJ. Meder, BV, Art. 120 Rn. 35 ff. VgJ. bereits 5. Kapitel, vor I.
2. Te i I
Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs 7. Kapitel
Kritik im Hinblick auf die Erfindung des grundrechtsähnlichen Rechts und die Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften I. Kritik in bezug auf die Qualifizierung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden als grundrechtsähnliches Recht Im Hinblick auf die Erfindung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden als grundrechtsähnliches Recht muß Kritik wegen Fehlens eines konkreten Anlasses, einer tragfahigen Begründung und wegen der Ungewißheit bezüglich der aus der Grundrechtsähnlichkeit zu ziehenden Folgerungen geäußert werden. 1. Fehlen eines konkreten Anlasses Fraglich ist zunächst, weshalb der Verfassungsgerichtshof die Grundrechtsähnlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts apostrophiert hat. Einen konkreten Anlaß hierfür bot das prozessuale Umfeld der das grundrechtSähnliche Recht schaffenden Polizeivermögen-Entscheidung nicht. Wie bereits im ersten Kapitel unter II.2.b. dargelegt, bejahte der Verfassungsgerichtshof zunächst grundsätzlich die Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden und zudem im konkreten Fall die Möglichkeit der Verletzung der Art. 103 und 118 BV. Bereits aus diesem Grund war die Popularklage zulässig. Da im Rahmen der Begründetheitsprüfung einer Popularklage die Gesamtheit aller Normen der Bayerischen Verfassung angelegt wird, war auch aus Gründen des Prüfungsmaßstabes die Erfindung des grundrechtsähnlichen Rechts überflüssig.
140
2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
2. Fehlen einer konkreten Begründung Kritik muß weiterhin insoweit geäußert werden, als zu keiner Zeit eine tragfähige bzw. ausdrückliche Begründung bezüglich der Erfindung des grundrechtsähnlichen Rechts gegeben wurde. a) Fehlen einer verj'assungsprozessualen Notwendigkeit
In der Polizei vermögen-Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof die Notwendigkeit zur Erfindung des grundrechtsählichen Rechts damit gerechtfertigt, daß andernfalls "die wichtige und betonte Verfassungsgarantie der Selbstverwaltung insoweit ohne verfassungsgerichtlichen Schutz gegenüber Maßnahmen des Gesetzgebers"l sei. Diese Aussage ist nach allem im ersten Teil Gesagten falsch. Da mangels Anforderungen eine Berufung auf Art. 118 I BV stets gelingen muß, wird eine Popularklage einer kommunalen Gebietskörperschaften auch ganz grundsätzlich nie an der Antragsbefugnis scheitern. Und weiter spielt es im Rahmen einer Popularklage keine Rolle, welche Rechtsvorschrift als verletzt gerügt wurde bzw. werden kann, da Prüfungs maßstab immer die Bayerische Verfassung insgesamt ist. Es konnte somit nicht behauptet werden, daß die Kreation des grundrechts ähnlichen Rechts notwendig war, um den Kommunen einen Schutz vor dem Gesetzgeber zu verschaffen. Insofern ist dieser Begründungsansatz nicht tragfähig. b) Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als vorstaatliches Recht
Im ersten Kapitel unter II.2.b. wurde dargelegt, daß die vorgebliche Vorstaatlichkeit der Gemeinden und deren Selbstverwaltungsrechts wohl maßgebliche Motivation zur Annahme eines grundrechtsähnlichen Rechts ist. Insoweit in der POlizeivermögen-Entscheidung2 das grundrechtsähnliche Recht kreiert bzw. in späteren Entscheidungen3 das grundrechtsähnliche Recht bestätigt wurde, ist die "Ursprünglichkeit" der Gemeinden bzw. die Vorstaatlichkeit des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden jedoch niemals ausdrückliches Argument gewesen. Eher beiläufig und nebenbei wird hierauf abgestellt. Kritisiert werden muß insoweit das Fehlen einer konkret bzw. detailliert entfalteten Begründung für die Qualität als grundrechtsähnliches Recht. I
2 3
BayVerfGH 29, 105/123. BayVerfGH 29, 105/122ff. BayVerfGH 37, 1011108.
7. Kapitel: Erfindung des grundrechtsähnlichen Rechts
141
3. Ungewißheit bzw. Unbestimmtheit der aus der Grundrechtsähnlichkeit zu ziehenden Konsequenzen a) Verj'assungsprozessuale Konsequenzen
aa) Ungleichbehandlung von Gemeinden und Gemeindeverbänden bei Rüge der Verletzung des Selbstverwaltungsrechts im Rahmen der Popularklage Die augenfälligste Inkonsequenz in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zum Selbstverwaltungsrecht der kommunalen Gebietskörperschaften findet sich bei der Zulassung der Gemeinden zum Verfassungsrechtsbehelf der Popularklage einerseits, der Ausschließung der Gemeindeverbände andererseits, soweit es um die Rüge deren Selbstverwaltungsrechts geht. Man kann es nur als kurios bezeichnen, wenn den Gemeindeverbänden die Berufung auf diejenige Rechtsposition versagt wird, die das Wesen der kommunalen Selbstverwaltung geWährleistet und wenn sie statt dessen auf die grundrechtliche Garantie des Art. 118 I BV, die oben als "Ersatzrüge" gekennzeichnet wurde, verwiesen werden. bb) Ungewißheit der Auswirkung dieser Ungleichbehandlung in bezug auf die bundesrechtliche Kommunalverfassungsbeschwerde gern. Art. 93 I Nr. 4b GG Problematisch ist diese Konstruktion nicht zuletzt deswegen, weil ihre Abstimmung mit der subsidiären Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG vollkommen unklar ist4 : Wenn sich ein Gemeindeverband mit Hilfe der "Ersatzrüge" an den Verfassungsgerichtshof wendet, so wird im Rahmen der Begründetheit doch wieder das Selbstverwaltungsrecht als Maßstab geprüft. Die zwangsläufige Frage ist dann aber, wie sich dieses Prüfungsverhalten auf die Auslegung bzw. Anwendung der Subsidiaritätsklausel des Art. 93 I Nr. 4b GG auswirkt. Einerseits spräche wohl Sinn und Zweck der Subsidiaritätsklausel dagegen, den Gemeindeverbänden die bundesrechtliche Kommunalverfassungsbeschwerde zu eröffnen, da es auch im Rahmen einer Popularklage unter Rüge der Verletzung des Art. 118 I BV zur inhaltlichen Prüfung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeindeverbände im Rahmen der Begründetheit kommt. Landesverfassungsrechtlicher Rechtsschutz ist geWährleistet. Andererseits fordert Art. 93 I Nr. 4b GG, daß eine Kommunalverfassungsbeschwerde "wegen Verletzung des 4 Vgl. Stern, Staatsrecht 11, S. 1026; Schmidt-Bleibtreu in: Maunz u.a.: BVerfGG, § 91 Rn. 40; v. Mutius, JuS 1977, 99; Hoppe, Die kommunale Verfassungsbeschwerde vor den Landesverfassungsgerichten, S. 263.
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Rechts auf Selbstverwaltung" angestrengt wird. Die Rüge der Verletzung des Selbstverwaltungsrechts gemäß Art. 28 11 GG muß also, wenn man den reinen Wortlaut des Art. 93 I Nr. 4b GG maßgeblich sein läßt, Kennzeichen sem. Die Berücksichtigung dieser Erkenntnis würde aber zu einem besonders erstaunlichen Ergebnis führen: Nicht nur wäre der Verfassungsrechtsschutz zwischen Gemeinden einerseits, den Gemeindeverbänden andererseits in dem Sinn geteilt, daß nur erstere Popularklage wegen Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts einlegen könnten, letztere aber den Weg nach Karlsruhe einschlagen müßten. Es wäre auch möglich, daß ein Gemeindeverband wegen der Verletzung des Selbstverwaltungsrechts durch ein Landesgesetz einerseits Popularklage unter Rüge der Verletzung des Art. 118 I BV der Bayerischen Verfassung einlegt, andererseits ein Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG unter Rüge der Verletzung des Selbstverwaltungsrechts gern Art. 28 11 2 GG beim Bundesverfassungsgericht anstrengt. Da der Verfassungsgerichtshof nicht befugt ist, über die Auslegung des Art. 93 I Nr. 4b GG zu entscheiden, könnte er diese Problematik nur dadurch entschärfen, daß er das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände als rügefähiges Recht im Sinn der Popularklage anerkennt. Ob die Mitberücksichtigung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeindeverbände im Rahmen einer wegen der Rüge einer Grundrechtsverletzung zugelassenen Popularklage zur Auslösung der Subsidiaritätswirkung führt, kann hingegen nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden. cc) Die Differenzierung zwischen konkret-individuell und allgemein das Selbstverwaltungsrecht berührenden Maßnahmen im Rahmen der Popularklage Allein die Tatsache, daß die Abweichung vom Grundgedanken der Popularklage nicht begründet wurde, ist kritikwürdig. Fraglich ist aber insbesondere, ob es dem Verfassungsgerichtshof zusteht, letztlich durch seine Rechtsprechung vom einfachen Gesetzesrecht abzuweichen. Sache des Verfassungsgerichtshofs ist es, die Verfassung auszulegen, nicht das vom einfachen Gesetzgeber geschaffene Recht zur Regelung der verfassungsprozessualen Zuständigkeiten und Verfahrensarten. Die Erfindung des grundrechtsähnlichen Rechts führt hier zu Systemabweichungen. dd) Die Bürgerklagen Dem Einwand fehlender Begründung und Systemabweichung sieht sich auch die Einschränkung des Grundgedankens der Popularklage im Bereich
7. Kapitel: Erfindung des grundrechtsähnlichen Rechts
143
der Bürgerklagen ausgesetzt. Abgesehen davon, daß auch hier wieder die "Ersatzrüge" des Art. 118 I BV zu unverhofftem Einsatz kommt und hierbei der Verfassungsgerichtshof begründen müßte, wessen Recht auf Gleichbehandlung - das der Gemeinde oder/und das der Bürger - als verletzt vorgetragen ist, kann man im Bereich des Prüfungsmaßstabs das RegelAusnahme-Ausnahme-von-der-Ausnahme-Prinzip nur als juristische Regellosigkeit bezeichnen, die wohl auch nicht mehr mit der Funktion der Popularklage als Instrument des öffentlichen Interesses an der Wahrung der Verfassungsordnung 5 gerechtfertigt werden kann. Ersichtlich geht es dem Verfassungs gerichtshof darum, das initiierte Verfahren dazu zu nutzen, Rechtssicherheit zu erzeugen. Es ist allerdings durchaus gewagt, den Prüfungsmaßstab von Erklärungen der kommunalen Gebietskörperschaften abhängig zu machen, die gerade keinen Antrag auf Popularklage gestellt haben. ee) Anmerkung in bezug auf die Verfassungs beschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden stellt ein verfassungsmäßiges Recht im Sinn des Art. 120 BV dar, für das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände ist dies nicht geklärt. Sollte der Verfassungsgerichtshof der Ansicht sein, daß das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände als verfassungsmäßiges Recht im Sinn des Art. 120 BV anzusehen ist, dann ergibt sich eine nicht selbstverständliche prozessuale Situation: Zwar könnten die Gemeindeverbände nicht unter Berufung auf ihr Selbstverwaltungsrecht Popularklage einlegen, gegen die das Institut der Selbstverwaltung der Gemeindeverbände nicht berührenden, weil sich individuell auswirkenden Maßnahmen wäre aber verfassungsprozessualer Rechtsschutz zu erlangen. b) Materiell-verfassungsrechtliche Konsequenzen
Der Verfassungsgerichtshof legt nicht dar, ob bzw. welche materiell-verfassungsrechtlichen Folgerungen aus der Erfindung des grundrechtsähnlichen Rechts zu ziehen sind. aa) Auswirkungen der Grundrechtsähnlichkeit auf die Anwendung der Wesensgehaltstheorie? An sich ist gegen die Anwendung der Wesensgehaltstheorie mit ihren Kriterien Historische Methode und Subtraktionsmethode nicht zu erinnern. S
Vgl. oben 5. Kapitel, vor I.
144
2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Die Historische Methode ist gängiges Auslegungsprinzip aller Rechtsnormen. Dabei geht es im allgemeinen darum, die Regelungsabsicht, die Zwecke und die Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers zu ermitteln, um diese für die Auslegung der fraglichen Norm fruchtbar zu machen 6 . Im speziellen umschließt dies den Problemkreis, von welchen vorgegebenen Ausprägungen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und von welchen Vorstellungen über das Wesen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts die Verfassungsgeber ausgegangen sind. Darüberhinaus ist die Historische Methode allgemeines Mittel zur positiven Umschreibung des Inhalts von kompetenzrechtlichen, also im Organisationsrecht verwurzelten institutionellen Garantien, wie die Garantie des Berufsbeamtentums (vgl. Art. 33 V GG) zeigt. Auch gegen die Subtraktionsmethode ist nichts vorzu~ringen, ist sie doch an sich geeignet, als negative Methode zur Bestimmung des Kernbereichs die Historische Methode zu ergänzen. Allerdings sollte mehr Wert auf eine umfassende Würdigung auch der dem inkriminierten Akt voraus gegangenen Regelungen gelegt werden, um einer "scheibchenweisen Verkürzung" des Selbstverwaltungsrechts entgegenzuwirken. Auch insoweit bereits oben kritisiert wurde, daß der Verfassungsgerichtshof die Wesensgehaltstheorie eher intuitiv anwendet, handelt es sich um keinen ursächlich mit dem Postulat des grundrechtsähnlichen Rechts zusammenhängenden Mangel. Es wäre allerdings zu fordern, daß aus den Entscheidungsgründen stets klar ersichtlich ist, weshalb von einer Wesensgehaltsverletzung ausgegangen wird. Dazu gehört, daß man nicht nur negativ die Wirkungen der Regelung auf das Institut der gemeindlichen Selbstverwaltung darstellt, sondern zuvor auch überzeugend die Zugehörigkeit der in Frage stehenden Aufgaben oder Verhaltensweisen zum Kernbereich begründet. In der Bürgerbegehren-Entscheidung7 ist dies jedenfalls nicht geschehen. Allerdings könnte die die Aufgabengebiete des Art. 83 I BV tabuisierende Rechtsprechung in innerem Zusammenhang mit der Grundrechtsähnlichkeit stehen; die in Art. 83 I BV genannten Aufgabenfelder erweisen sich als Quasi-Grundrechte der Gemeinde, so daß unter diesem Gesichtspunkt das Verbot des Entzugs ganzer Aufgabenfelder jedenfalls nicht inkonsequent ist. Ein Abweichen von der Rechtsprechung, wonach die in Art. 83 I BV genannten Aufgabenfelder zum unentziehbaren Kernbereich gehören, hat der Verfassungsgerichtshof trotzdem in Aussicht gestellt ("grundsätzlich,,)8. Ein Festhalten an der Aufgabengebietsgarantie des Art. 83 I BV würde nämlich anderen eigenen, allerdings allgemein gehaltenen Feststel6 7
8
Vgl. im einzelnen Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 313 ff. BayVerfGH 50, 181/204ff. Vgl. oben I. Kapitel, I.3.c.
7. Kapitel: Erfindung des grundrechtsähnlichen Rechts
145
lungen des Verfassungsgerichtshofs widersprechen: Das Gericht schließt aus, daß "der Aufgabenkreis der Gemeinden in dem Umfang verbürgt werden müßte, wie sie ihnen zur Zeit der Verkündung zustanden ... Es kann demnach nicht davon ausgegangen werden, daß Art. 11 11 BV den historischen Bestand und den konkreten Aufgabenkreis der Gemeinden und Gemeindeverbände - wie ihn der Verfassungsgeber vorgefunden hat - habe sichern wollen,,9. Zu einer solchen Zementierung führt es aber, wenn die Aufgabengebiete des Art. 83 I BV für sakrosankt erklärt werden. bb) Auswirkungen der Grundrechtsähnlichkeit auf die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips? Wird das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als grundrechts ähnliches Recht bezeichnet, so liegt es nahe, Auswirkungen auf die Praxis der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu mutmaßen. Eine konsequent an der Grundrechtsdogmatik orientierte Prüfung anhand der Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit findet jedoch - wie bereits oben erläutert wurde lO - nicht statt. Dies liegt offensichtlich daran, daß im Bereich der allgemeinen Ausgestaltung des Selbstverwaltungsrechts das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Sinn der Grundrechtsdogmatik an Grenzen zu stoßen scheint, was wohl damit zusammenhängt, daß eine grundrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der klassischen Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit einen "Eingriff' in eine vorgegebene Freiheit voraussetzt. Im Bereich des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen kann man aber meist nicht von einem "Eingriff' reden, vielmehr wird das Selbstverwaltungsrecht ausgestaltet und konkretisiert. Exemplarisch läßt sich dies an den Entscheidungen festmachen, die bereits oben im Zusammenhang mit der Darstellung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erläutert wurden. Soweit der interkommunale Finanzausgleich inmitten stand, wurde gezeigt, daß der Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung dem Kernbereich zuzuordnen ist. Eine nachvollziehbare Diskussion des Verhältnismäßigkeitsprinzips wurde trotz Ankündigung nicht vorgenommen, was nicht verwundern darf. Bei der Regelung des Finanzausgleichs geht es eben nicht um den Eingriff in eine vorgefundene Freiheit, sondern um einen gerechten Ausgleich der finanziellen Bedürfnisse der Bedarfsträger. Nicht die Anwendung des Übermaßverbots, sondern allenfalls die des Untermaßverbots wäre anzusprechen gewesen; allerdings kann die Anwendung des Untermaßverbots ohnehin nichts anderes darstellen als eine semantische, nicht aber inhaltliche Variante des Anspruchs auf finan9 10
BayVerfGH 31, 99/122f. Vgl. 1. Kapitel, l.3.d.
10 Lissack
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
zielle Mindestausstattung. Auch bei organisatorischen Regelungen wie zum Beispiel der Einführung des Gleichstellungsbeauftragten 11 oder des Bürgerbegehrens l2 handelt es sich nicht um einen Eingriff im Sinn der Grundrechtsdogmatik. Zwar läßt sich ein legislatorisches Ziel problemlos ausmachen, so daß auch eine Prüfung der Legitimität und Tauglichkeit des eingesetzten Mittels möglich ist. Bereits eine Prüfung der Erforderlichkeit muß schnell an Grenzen stoßen, weil diese letztlich politischen Entscheidungen dadurch gekennzeichnet sind, daß auch die eingesetzten Mittel Ziel- bzw. Zweckcharakter haben. Zwar können mit solcherlei organisatorischen Regelungen Belastungen einhergehen, die man zum Anlaß nehmen könnte, nach der Existenz eines milderen Mittels zu fragen. Allerdings wird sich eben wegen des Zweckcharakters der organisatorischen Regelungen die Suche nach gleich effektiven, aber weniger "belastenden" Mitteln verbieten. Zudem stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien ennittelt werden sollte, was für eine Belastung Folge der Regelung ist. Auf die politische Erwünschtheit der Regelung kann es nicht ankommen, weil diese Frage von jeder betroffenen Gemeinde, ja sogar von jedem einzelnen Mandatsträger bzw. Bürger unterschiedlich beurteilt werden wird. Vielmehr müßte nach einem objektiven Maßstab der Belastungen gesucht werden, wie ihn die Betrachtung der finanziellen Folgelasten darstellen könnte. Allerdings ist es doch etwas anderes, ob einem Privaten finanzielle Lasten zugemutet werden, die dieser selbst zu tragen hat, oder einer Kommune, deren veränderte Situation im Finanzausgleich zu berücksichtigen wären. Schließlich wäre auch eine Güterabwägung nur schwer durchzuführen, weil zum Beispiel bei der Einführung eines kommunalen Bürgerbegehrens Aspekte der mittelbaren gegen solche der unmittelbaren Demokratie abgewogen werden müßten. Schließlich können auch Fragen des Entzugs gemeindlicher Aufgaben - unter Umständen verbunden mit ihrer Hochzonung - nur schwerlich an einem grundrechtsdogmatikorientierten Prinzip der Verhältnismäßigkeit untersucht werden. Anders als die natürliche Person, die frei entscheidet, ob sie von einer Freiheit Gebrauch macht oder nicht, kann sich die Gemeinde ihrer dem Selbstverwaltungsrecht korrespondierenden Pflicht zur Selbstverwaltung nicht entziehen. Die Aufgabe ist zugleich Auftrag. Selbst wenn es sich um eine freiwillige Aufgabe handelt, kann sich eine Handlungspflicht ergeben. Ein Maßnehmen an Kategorien, die einen Eingriff in Freiheit voraussetzen, erscheint schwer möglich. Hieraus folgt, daß die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips offensichtlich nicht vom Postulat der Grundrechtsähnlichkeit beeinflußt ist. Vielmehr wird darnach gefragt, ob der Gesetzgeber die besondere Bedeutung der Einrichtung der gemeindlichen Selbstverwaltung für die staatliche 11 12
BVerfGE 91, 228. BayVerfGH 50, 181.
7. Kapitel: Erfindung des grundrechts ähnlichen Rechts
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Rechtsordnung berücksichtigt hat. Auch hier kommt es durchaus zur Herstellung einer praktischen Konkordanz, allerdings unter den Vorzeichen einer gewissen Befreiung des Gesetzgebers von allzu strengen Prüfungsmaßstäben; dieser Befreiung entspricht die Zubilligung weiter Einschätzungsprärogativen. Im Wesentlichen geht es also um eine Vertretbarkeitsprüfung, um verfassungsgerichtlichen Nachvollzug der gesetzgeberischen Erwägungen. Von daher spräche auch nichts gegen eine Rezeption des Aufgabenverteilungsprinzips des Bundesverfassungsgerichts durch den Verfassungsgerichtshof. Wenn das Bundesverfassungsgericht das Verhältnismäßigkeitsprinzip nur im Bereich konkret-individueller Regelungen, die also auch als Eingriffe bezeichnet werden können, anwendet, ansonsten aber diese Begrifflichkeit meidet, so handelt es sich doch wohl eher um eine semantische Askese 13, denn um eine inhaltliche Meidung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Lediglich Gründe sprachlicher Sauberkeit könnten dafür sprechen, jedenfalls bei allgemeinen Regelungen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts den Begriff der Verhältnismäßigkeit zu streichen, um ihn durch einen zu ersetzen, der die Besonderheiten des Abwägungsprozesses im Rahmen der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung besser zum Ausdruck bringt.
11. Kritik in bezug auf die Grundrechtsrähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften 1. Willkürverbot und Gleichbehandlungsgrundsatz Die Kritik in bezug auf die Anwendung von Willkürverbot und grundrechtlichem Gleichbehandlungsgebot als Prüfungsmaßstab ist - beschränkt auf den materiell-verfassungsrechtlichen Aspekt - schnell formuliert: Zum einen muß sich der Verfassungs gerichtshof vorhalten lassen, seine eigenen Maßgaben nicht zu beachten. Der Umstand, daß der Verfassungsgerichtshof nicht mehr untersucht, ob sich die kommunalen Gebietskörperschaften in einer Schutzsituation befinden, welche der Gleichbehandlungsgrundsatz voraussetzt, führt dazu, daß die Rüge der Verletzung des Art. 118 I BV stets geltend gemacht werden kann, also stets das Selbstverwaltungsrecht und Art. 118 I BV nebeneinander geprüft werden können. Vollkommen unerfindlich ist, weshalb der Verfassungsgerichtshof für ein und denselben Sachverhalt einmal die Grundrechtssubjektivität in bezug auf das Eigentumsgrundrecht (zum Teil) ablehnt, dann aber in bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz ohne weiteres bejaht 14. Entweder ist ein Sachverhalt im grundrechtlich geschützten Milieu verortet oder nicht. 13 14
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Vgl. Lissack, § 1 Rn. 100ff. BayVerfGH 29, 1051125ff.; vgl. bereits oben 4. Kapitel, 1.2.b.
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Zum anderen hat sich gezeigt, daß dem Verfassungsgerichtshof die Vermittlung einer sauberen Scheidung der Prüfungsmaßstäbe von Gleichbehandlungsgebot und Willkürverbot nicht gelingt. Stattdessen ist letztlich unabhängig vom Prüfungsmaßstab die konkrete Streitsituation maßgeblich für die Anforderungen, die an den Gesetzgeber gestellt werden. Aus einer rein materiell-verfassungsrechtIichen Warte ist also die zusätzliche "Absicherung" über den Gleichbehandlungsgrundsatz überflüssig, da das Nebeneinander der zwei Schutz wirkungen zu keinem inhaltlichen Zuwachs an Rechtsschutz führt. Es spräche also an sich nichts dagegen, Aspekte der Gleichbehandlung und der Sachgerechtigkeit in die Prüfung des Selbstverwaltungsrechts zu integrieren, ohne daß deswegen Art. 118 I BV noch einmal isoliert angesprochen werden müßte. Schließlich greift der Begründungsansatz, die Grundrechtsähnlichkeit des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden spreche für den Schutz des Art. 118 I BV, deswegen zu kurz, weil der Verfassungsgerichtshof auch die Grundrechtsfähigkeit der Gemeindeverbände - regelmäßig in bezug auf Art. 118 I BV - befürwortet.
2. Die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht Hier kann an das soeben Vorgetragene angeknüpft werden. Wenn nach der prinzipiellen, wesensmäßigen Anwendbarkeit des Grundrechts zusätzlich das Vorliegen einer grundrechtstypischen Gefährdungslage geprüft werden soll, dann stellt sich die Frage, wann eine solche anzunehmen ist. Solange die Begrifflichkeit der "Subjektionslage" vom Verfassungsgerichtshof inhaltlich nicht angereichert wird, kann diese allein nicht aussagekräftig sein. Denn zum einen zeichnen sich staatliche Regelungen gegenüber den Kommunen stets durch ein rechtsrnachtmäßiges Gefälle aus, da der Staat einseitig von dem Gesetzesvorbehalt, also von seiner Ausgestaltungsbefugnis Gebrauch macht. Zum anderen zeigt gerade die Fischereirechte-Entscheidung, daß es Konstellationen geben kann, in denen nicht der Staat, sondern ein privater Dritter die eigentumsrechtliche Position beeinträchtigt, so daß von Subjektion nicht die Rede sein kann. Fraglich ist also, ob die Unterscheidung von staatsaufgabenbezogenem Vermögen und Finanzvermögen dem Problem der Grundrechtssubjektivität dienlich gemacht werden kann. Diese Differenzierung erscheint zum einen deswegen als nicht vollkommen unproblematisch, weil auch das Finanzvermögen jedenfalls mit seinen Erträgen der hoheitlichen Aufgabenerfüllung zugeordnet ist. Ferner steht auch das gemeindliche Finanzvermögen unter dem Vorbehalt einer zukünftigen Aufgabenzuführung. Schließlich stellt sich die grundsätzliche Frage, ob nicht Überschneidungen zwischen grundrechtlichem Schutz und dem durch Art. 12 11 BV und 83 I BV ("Verwaltung des Gemeindevermögens") vermittelten Schutz ausgeschlossen werden könnten. Außerdem wäre
8. Kapitel: Selbstverwaltungsrecht ist kein grundrechtsähnliches Recht
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es wünschenswert, eine Fonnel zu finden, die für alle Grundrechte gleichermaßen das Vorliegen einer grundrechtstypischen Gefährdungslage diagnostizieren kann.
111. Zusammenfassung des siebenten Kapitels Nach den zwangsläufig ausführlichen Darlegungen im ersten Teil und den dargestellten Inkonsequenzen dürfte sich herauskristallisiert haben: Die Thesen von der Grundrechtsähnlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts und der Grundrechtssubjektivität der Kommunen erweisen sich als gordische Knoten der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht und ihren verfassungsprozessualen Folgerungen. Das naturrechtlich überhöhte "Wesen" des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als grundrechtSähnliches Recht könnte Auswirkungen auf die Auslegung des Art. 83 I BV haben. Als Argument für die Grundrechtssubjektivität der Gemeinden und der Gemeindeverbände wird die Grundrechtsähnlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts genannt. An die Grundrechtsähnlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts werden in bezug auf die Praxis der Popularklage die kuriosesten Folgerungen geknüpft. Und schließlich ergibt die unkonventionelle Handhabung des Grundrechts auf Gleichbehandlung kombiniert mit dem Institut der Popularklage einen prozessualen Zauberstab. Demzufolge ist das 8. Kapitel dem ersten "Knoten" der Grundrechtsähnlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts gewidmet; das 9. Kapitel befaßt sich mit der Grundrechtssubjektivität der kommunalen Gebietskörperschaften.
8. Kapitel
Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ist kein grundrechtsähnliches Recht Zunächst soll untersucht werden, inwieweit auf im Verlauf der Rechtsgeschichte fonnulierte Thesen zurückgegriffen werden kann, um einen grundrechtlichen Charakter des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden im Hinblick auf die Genese der Gemeinden zu bejahen (hierzu unter 1.). Sodann wird auf die Verfassungsgebung von 1946 und die Aufnahme der "Ursprünglichkeit" eingegangen (hierzu unter 11.), weil diese Umschreibung in Art. 11 11 1 BV die Ansicht des Verfassungsgerichtshofs doch mehr geprägt haben dürfte, als dieser selbst zuzugeben bereit ist. Schließlich wird
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
der Frage nachzugehen sein, was ein Grundrecht kennzeichnet, denn eine grundrechtsähnliche Verbürgung müßte wenigstens im Ansatz eine gewisse verwandtschaftliche Beziehung zu den Grundrechten aufweisen (hierzu unter III.).
I. Die geschichtliche Ableitung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als Argument für dessen "Grundrechtsähnlichkeit"? Der Verlauf der Geschichte ist oft eingestanden, häufiger hingegen uneingestanden Grund für eine rechtliche Betrachtungsweise oder eine konkrete Entscheidung. Gerade im Bereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ist die Orientierung an der geschichtlichen Entwicklung durch die Historische Methode zur Ennittlung des Schutzumfangs des Kernbereichs ausdrückliches Hilfsmittel. Das Problem aller geschichtlichen Betrachtungen liegt vor allem in der Gefahr, inkommensurable Größen miteinander zu vergleichen. Ist Gegenstand geschichtlicher Erforschung das Kommunalrecht, so ergeben sich bereits daraus Schwierigkeiten, daß regional und in den Ländern Europas sehr unterschiedliche Bewegungen zu beobachten waren, deren gegenseitige Beeinflussung schwer einzuschätzen ist. In bezug auf die Frage, inwieweit die geschichtliche Entwicklung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts die Ansicht des Verfassungsgerichtshofs zur Grundrechtsähnlichkeit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts befördern oder stützen kann, zeigen allein zwei Verfassungsbestimmungen die Erörterungswürdigkeit auf: Art. 184 der Reichsverfassung vom 28. März 1849 und Art. 127 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Während Art. 184 der Paulskirchenverfassung noch ausdrücklich das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht als Grundrecht der Gemeinde bezeichnete, ist in Art. 127 WRV nicht explizit von einem Grundrecht die Rede. Allerdings befindet sich diese Bestimmung im 11. Abschnitt ("Das Gemeinschaftsleben") des 11. Hauptteils, der die "Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen" regelt. Da es nicht Aufgabe dieser Arbeit ist, eine Geschichte der unterschiedlichen Selbstverwaltungsbegriffe zu verfassen, wird auf die einzelnen Auffassungen vom "Wesen" der Selbstverwaltung im Lauf der Geschichte nicht oder nur am Rande eingegangen; die Diskussion um den "richtigen" Selbstverwaltungsbegriff, die insbesondere zum Ende des 19. und während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts auch quantitativ zu einem literarischen Höhepunkt gekommen ist, ist zu einem guten Teil dem Umstand zu verdanken, daß sich die Rechtswissenschaft in Abkehr von naturrechtlichen und geschichts-philosophischen Betrachtungsweisen dem Positivismus zuwandte, zu einem anderen Teil dem Umstand, daß mit Art. 127 WRV
8. Kapitel: Selbstverwaltungsrecht ist kein grundrechtsähnliches Recht
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eine weitgehend anämische Aussage getroffen wurde, die der inhaltlichen Anreicherung bedurfte. In diesem Zusammenhang fand der Begriffspositivismus in Hans Peters l5 einen der wichtigsten Vertreter, der bei aller Schärfe seiner Analysen einen Begriff der Selbstverwaltung formulierte, der als solcher praktisch wohl nicht verwertbar war. Trotzdem trugen solche Begriffsbestimmungen dazu bei, präzisere gesetzliche Regelungen zu ermöglichen. So ist es auch nicht verwunderlich, daß Art. 28 11 GG oder die Regelungen in der bayerischen Gegenwartsverfassung das kommunale Selbstverwaltungsrecht ungleich detaillierter umschreiben, als dies noch Art. 127 WRV tat l6 .
1. Die geschichtliche Sicht des Verfassungsgerichtshofs Der Verfassungsgerichtshof hat in der Politische Befreiung-Entscheidung l7 ein geschichtliches Credo abgegeben und die gemeindliche Selbstverwaltung auf eine "vierfache Wurzel" zurückführen wollen: "Das Rechtsgebilde der Selbstverwaltung, wie es sich im deutschen Recht herausgestaltet hat, läßt sich auf eine vierfache geschichtliche Wurzel zurückführen: Die belgische Lehre von pouvoir municipal et provincial, die französische Lehre von der Dezentralisation, Gneists Lehre vom Selfgouvernment und die Lehre von der Genossenschaftshierarchie (Frhr. v. Stein). In dem hier interessierenden Zusammenhang kommt entscheidend die belgisc he Lehre von pouvoir municipal et provincial in Betracht, die ihrerseits auf Gedankengänge zurückgeht, die in der französischen Constituante von 1789 hervortraten ... Damach steht die Gemeindegewalt und die Provinzialgewalt neben den 3 ,nationalen' Gewalten, der gesetzgebenden, vollziehenden und richterlichen Gewalt. Es wird damit das öffentliche Recht der Gemeinden und Provinzen auf selbständige und ausschließliche Regelung ihrer eigenen Interessen (Angelegenheiten) anerkannt, um sie vor der Allgewalt der staatlichen Gesetzgebung und Voll ziehung zu sichern. In Artikel 31 und 108 der belgischen Verfassung von 1831 fand diese Theorie ihren verfassungsrechtlichen Niederschlag. Diese Bestimmungen waren die Vorläufer des sog. ,eigenen Wirkungskreises' der Gemeinden und Gemeindeverbände im deutschen Recht. In Deutschland wurde die Lehre von der 4. Gewalt durch die konstitutionelle Doktrin bei Rotteck, Brater usw. unter dem Einfluß naturrechtlicher Gedankengänge (des 18. Jahrhunderts: Lehre vom Staatsvertrag!) zum Grundrecht umgestaltet: Auf die Ausübung haben die Gemeinden ein natürliches Recht, ein ,Grundrecht': das Recht auf 15 16 17
Vgl. Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen. Vgl. Roters in: v. Münch, GG, Art. 28 Rn. 31. BayVerfGH 2, 143.
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Selbstverwaltung. Demzufolge hat die deutsche Gesetzgebung in den Jahren 1848-1850 in den damals neu erlassenen Verfassungen das Recht auf Selbstverwaltung zum Grundrecht erhoben, so insbesondere der Entwurf der Frankfurter Reichsverfassung (Art. XI § 184). Im weiteren Verlauf der Entwicklung wurde der Grundrechtsgedanke völlig in den Hintergrund gedrängt. Er lebte erst in der Weimarer Verfassung in neuer, wesentlich veränderter Form wieder auf. Art. 127 der Weimarer Verfassung gestaltet das Grundrecht der Gemeinden und Gemeindeverbände 1. als institutionelle Garantie; 2. als subjektives Recht darauf, daß die vollziehende Gewalt Eingriffe in die Selbstverwaltung unterläßt, die der formell-gesetzlichen Grundlage entbehren. Der Landesgesetzgebung war es sonach lediglich verwehrt, das Selbstverwaltungsrecht überhaupt aufzuheben oder es ohne gesetzliche Grundlage zu beeinträchtigen. Im übrigen waren ihr keine Grenzen für die Einschränkung des Selbstverwaltungsrechts gesetzt . .. Im bayerischen Recht, auch in der Verfassung von 1919, ist das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und Gemeindeverbände nicht als Grundrecht ausgestaltet worden. Es hat diesen Charakter nur durch die Weimarer Verfassung gewonnen. Dagegen ist durch die Gemeindeordnungen von 1869 und das Distriktsratsgesetz von 1852 das Recht der Ortsgemeinden und Distriktgemeinden, ihre eigenen Organe zu bestellen und einen eigenen Aufgabenkreis zu besitzen (sog. ,eigener Wirkungskreis') anerkannt worden. Die bayerische Verfassung vom 14. August 1919 hat dieses Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und Gemeindeverbände in seinen Grundzügen verfassungsrechtlich gewährleistet. Der bayerische Verfassungsgeber 1946 legte, wie sich aus den Beratungen des Verfassungsausschusses ergibt, ein besonderes Gewicht darauf, das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und Gemeindeverbände verfassungsrechtlich zu verankern und sicherzustellen. In diesen Beratungen kam zum Ausdruck, daß der geschichtliche Ursprung der Gemeinden und der Gemeindeverbände ein verschiedener ist. Bei den Gemeinden handelt es sich um , ursprüngliche Gebietskörperschaften', weil sie älter sind als der Staat. Ihre Eigenschaft als Gebietskörperschaft wird daher vom Staat nicht verliehen, sondern nur anerkannt ... Es kommt ihnen ein ,durch die Natur zugewachsener Aufgabenkreis' zu ... Die Gemeindeverbände sind hingegen keine , ursprünglichen' Gebietskörperschaften, sie haben keinen durch die Natur zugewachsenen Aufgabenkreis: während der eigene Wirkungskreis der Gemeinden in seinem wesentlichen Inhalt in Art. 83 I BV umschrieben und dadurch verfassungsrechtlich verankert ist, wird der Inhalt der Selbstverwaltung der Gemeindeverbände ausschließlich durch die Gesetzgebung bestimmt. Im übrigen ist die verfassungsrechtliche Garantie der Selbstverwaltung der Gemeinde und Gemeindeverbände in gleicher Weise gestalten (sie!), und zwar in derselben Art, wie sie Art. 127 der Weimarer Verfassung vorsah: Teils als institutionelle Garantie, teils als subjektives öffentliches Recht.
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Trotzdem kann das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände nicht als Grundrecht im Sinn des Art. 98 BV anerkannt werden. Das Grundrecht des Art. 127 der Weimarer Verfassung stand ausdrücklich unter dem Gesetzesvorbehalt, es war ein sogenanntes ,leerlaufendes Grundrecht', soweit in ihm der objektiv-rechtliche Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zum Ausdruck kam ... Die durch die bayerische Verfassung 1946 gewährleisteten Grundrechte dürfen dagegen grundsätzlich eingeschränkt werden 18. Die institutionelle Garantie für sich allein gibt noch nicht Grundrechtscharakter. Den Gemeindeverbänden kommt in der bayerischen Verfassung - im Gegensatz zu den Gemeinden - nicht die Eigenschaft als ,ursprüngliche' Gebietskörperschaft zu, ihr Selbstverwaltungsrecht hat daher nicht den Charakter eines ,natürlichen' Rechts, das vom Staat nur anerkannt, nicht aber geschaffen wird. Ob etwa aus diesem Grunde das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als Grundrecht im Sinn des Art. 98 BV anzusprechen ist, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls trifft dieser Gesichtspunkt auf die Gemeindeverbände nicht zu." 19 Soweit das Zitat. Im hier interessierenden Zusammenhang ist zunächst festzuhalten: Der Verfassungsgerichtshof legt besonderen Wert auf die Bedeutung der belgischen und französischen Lehre; deren Inhalt wird zu untersuchen sein. Ferner macht er sich die Ansichten des Verfassungsausschusses zu eigen, wonach die "Ursprünglichkeit" der Gemeinden in einem "naturrechtlichen" Sinne zu verstehen ist. Es wird auch die Bemerkung, die Gemeinden seien älter als der Staat, vom Verfassungsgerichtshof übernommen. Hieraus wird geschlossen, das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände sei nicht grundrechtlich gewährleistet; diese Feststellungen führen daher direkt zu der bekannten Unterscheidung zwischen gemeindlichem Selbstverwaltungsrecht und dem der Gemeindeverbände. Es wird untersucht werden, inwiefern die zitierten und weitere Ansichten und Entwicklungen, die im Verlauf der Geschichte aufgekommen sind, einer solchen Konstruktion ent- oder widersprechen.
18 Anmerkung des Verfassers: Diese Aussage des Verfassungsgerichtshofs ist jedenfalls mit dem Wortlaut des Art. 98 (I) BV nicht zu vereinbaren, da dort verankert ist, daß die durch die Bayerische Verfassung gewährleisteten Grundrechte grundsätzlich nicht eingeschränkt werden dürfen. 19 BayVerfGH 2, 143/162ff.
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2. Einzelne Stationen in der Geschichte des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts Im Rahmen dieser Darstellung mag es genügen, mit dem Ende des 18. Jahrhundert zu beginnen und vorhergehende Entwicklungen unberücksichtigt zu lassen 2o • a) Entwicklungen in Frankreich seit 1789
Der Verfassungsgerichtshof bezieht sich bei seinen geschichtlichen Darlegungen zur Rechtsnatur des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden auf "die französische Lehre von der Dezentralisation" und die Gedankengänge der französischen Constituante von 178921 • Da die Entwicklung in Frankreich überaus widerspf'Jchsvoll ablief, ist es problematisch, punktuell auf diese Entwicklung zu verweisen. Die Constituante anerkannte drei Verwaltungseinheiten: Staat, Departements und Gemeinden 22 • Auf Gemeindeebene wurde von den Bürgern ein corps municipal gewählt, das aus dem conseil municipal für die Willensbildung und dem bureau municipal für die Vollziehung bestand, wobei letzteres vom corps municipal gewählt wurde und aus dem maire und weiteren Mitgliedern bestand. Der conseil general trat nur zu besonderen Beratschlagungen zusammen. Von Bedeutung ist, daß bereits eigene und vom Staat delegierte Aufgaben unterschieden werden konnten 23 . Allerdings blieb den Gemeinden eine öffentliche Gliedstellung im Staate versagt, vielmehr wurde der pouvoir municipal aus der Natur der Gemeinde erklärt, auf Ver20 Zur geschichtlichen Entwicklung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts vgl. vor allem Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I. Siehe auch Becker, Die Selbstverwaltung des Volkes in den Gemeinden des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart in: FS für Steinbach; Brauweiler, Kommentierung zu Art. 127 WRV in: Nipperdey: Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 11, S. 193 ff.; Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, S. 100ff.; ders., Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, S. 5 ff.; Stier-Soml0, AöR 1929 (n. F. 17) 1/11 ff.; Melzer, Die Wandlung des Begriffsinhalts der deutschen kommunalen Selbstverwaltung im Laufe der politischen Geschichte; Steinbach/Becker, Geschichtliche Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland; Gönnenwein, Gemeinderecht, §§ 1-8. 21 BayVerfGH 2, 143/162. 22 Zu diesem Fragenkreis vgl. Knothe, Die Gemeindegesetzgebung der französischen Revolution, S. 14 ff. 23 "Les corps municipaux ... ont deux especes de fonctions a remplir: Les unes qu'on peut appeler domestiques et privees, et qui decoulent de la nature me me du pouvoir municipal, les autres, qui sont propres a l'administration generale de I'Etat et qui sont deleguees parlui aux municipalites" (zitiert nach Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 206; vgl. auch Knothe, Die Gemeindegesetzgebung der französischen Revolution, S. 29).
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nunftgründe gestützt. Der pouvoir municipal sollte allein dem Privatinteresse dienen, so daß die Gemeinden nur als Privatrechtssubjekte anerkannt waren. Die Gemeinde war eine Vereinigung von Bürgern in Ansehung ihrer lokalen Beziehungen, eine private Korporation, soweit es sich um die Wahrnehmung eigener Angelegenheiten handelte, ein staatlicher Verwaltungsbezirk, soweit eine Mitwirkung der Bürger an der staatlichen Verwaltung inmitten stand. Eine Anerkennung als öffentliches Grundrecht hatte der pouvoir municipal nicht erhalten24 . Insoweit kann das Gedankengut der Constituante nur herangezogen werden, um die Wurzeln der Unterscheidung der Aufgabenbereiche zu finden, der Grundrechtsgedanke ist hier gerade noch nicht entwickelt. Zudem ist die weitere Entwicklung in Frankreich zu beachten: Die Kantonalverwaltung von 1795 führte zu einer völligen Unterordnung der Munizipalverwaltung unter die Departementsverwaltung; die Unterscheidung zwischen eigenen und übertragenen Angelegenheiten wurde überflüssig, weil eine eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung unmöglich wurde. Auf unmaßgebliche Details muß nicht eingegangen werden. Jedenfalls gipfelte der Zentralismus mit der Verwaltungsordnung von 1800 in der Beseitigung der Kantonalverwaltung von 1795 durch Schaffung einer Verwaltungsorganisation, die auf Gemeinden, Arrondissements und Departements basierte. Der vom Präfekten ernannte maire war nun unterste Staatsbehörde, Verkörperung der staatlichen Gewalt und vollständig den übergeordneten Staatsbehörden unterworfen. Der Munizipalrat war bedeutungslos, da alle seine Maßnahmen der Gegenzeichnung des Präfekten bedurften 25 . Die Gemeinden waren zu staatlichen Verwaltungseinheiten degradiert und völlig entrechtet. Erst Jahrzehnte später konnte man eine vorsichtige Lösung von der weitgehenden Zentralisation beobachten: 1831 Wahl der Munizipalräte, 1837 und 1867 Erweiterung der Befugnisse der Räte um einige Aufgaben, 1882 Wahl des maire durch die Munizipalräte, 1926 Erweiterung der Zuständigkeiten des Munizipalrates. Für die Rechtslage von 1926 stellte Becker fest: "Was damals für einen Fortschritt gehalten wurde, bedeutete aber keineswegs einen Übergang zur Dezentralisation. Trotz der Eigenverwaltung, die die Amtsträger der Munizipalverwaltung ausüben, handelt es sich lediglich um ein Stück dekonzentrierter Verwaltung, wenn man an die Genehmigungspflicht aller Gemeindebeschlüsse durch den Präfekten und an die staatliche Zuweisung des Aufgabenbereichs an die Mairieverwaltung denkt ... So kommt es, daß der Einfluß, den das französische Gemeinderecht auf die Gestaltung der deutschen Gemeinden - besonders im 19. Jahr24 Hierzu Knothe, Die Gemeindegesetzgebung der französischen Revolution, S. 19; Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung Bd. I, §§ 18-20 passim mit weiteren Hinweisen insbesondere auf die französische Literatur. 25 Hierzu Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, S. 207 ff.
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hundert - auszuüben vennochte, sich allein auf die Organisation, nicht aber für längere Zeit auf die Rechtsstellung der Gemeinden erstreckt hat,,26. Für das Bayern des beginnenden 19. Jahrhunderts muß angesichts der zu schildernden Maßnahmen berücksichtigt werden, daß Bayern zum souveränen Staat wurde, wobei zahlreiche Gebietsneuerwerbungen vorangingen. Montgelas knüpfte bei seinen Staatsrefonnen gerade an die zentralisierenden Bewegungen Frankreichs an. Titel I § IV der Konstitution für das Königreich Baiern vom 1. Mai 1808 entsprechend wurde durch Verordnung vom 21. Juni 1808 ("ohne Rücksicht auf die bis daher bestandene Eintheilung in Provinzen") das Staatsgebiet in 15 Kreise gegliedert, die in französischer Weise nach Flüssen benannt wurden. Bereits durch Verordnung vom 23. September 1810 wurde der Staat nunmehr in neun Kreise gegliedert, durch Verordnung vom 20. Februar 1817 in acht Kreise {die Vorläufer der heutigen Bezirke)27. Die Rechtsverhältnisse der Gemeinden wurden im wesentlichen durch das organische Edikt über die Bildung der Gemeinden vom 28. Juli 1808 und das Edikt über das Gemeindewesen vom 24. September 1808 geregelt, wobei allerdings auch schon ab 1802 gemeinderechtliche Regelungen mit einschränkender Tendenz ergingen. Die Ausgangslage, die Montgelas vorfand, war eine verheerende Rechtszersplitterung und eine Cliquenwirtschaft sondergleichen, was noch durch die bayerischen Gebietserweiterungen verstärkt wurde. Das Edikt vom 24. September 1808 beschnitt nun allerdings alles, was an se1bstverwaltender Kraft vorhanden gewesen war. Zwar waren die Gemeinden als Körperschaften anerkannt, jedoch wurden sie rechtlich gleichsam als Minderjährige behandelt und unter vollständige Kuratel des Staates gestellt. Die Gemeinden konnten ohne Genehmigung keine gültigen Beschlüsse fassen. Piloty stellt fest: "Die Verhältnisse der Gemeinden wurden durch die Edikte über die Bildung der Gemeinden vom 28. Juli 1808 und über das Gemeindewesen vom 24. September 1808 geordnet. Die Nachahmung französischer Vorbilder erwies sich als verhängnisvoll. Da die Gemeinden (Ruralgemeinden, Städte und größere Gemeinden) in unbedingte Abhängigkeit von den Staatsbehörden gesetzt wurden, konnte ein selbständiges Gemeindeleben sich nicht entwikkeIn. Das Verdienst der Gesetzgebung von 1808 war nur ein verneinendes: die Beseitigung unhaltbar gewordener Zustände,,28. Angesichts dieser auf eine vollständige Lähmung der gemeindlichen Selbstverwaltung hinauslaufenden gesetzlichen Regelungen und der prakti26 Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, S. 221; vgl. auch Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 279ff. 27 Zur diesbezüglichen Verwaltungsorganisation vgl. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, 2. Aufl., S. 120f. 28 Piloty, Bayerisches Staatsrecht, Bd. I, S. 46; vgl. auch v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, 2. Aufl., S. 121 f.
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schen Probleme bei ihrer Verwirklichung, wohl auch, weil in den Gemeinden der rechte Wille zur Realisierung fehlte, ist es nicht verwunderlich, daß die Gemeindeedikte in der Praxis niemals vollständig umgesetzt wurden 29 . Vor allem die größeren Städte leisteten Widerstand, weil ihre Munizipalräte gegenüber den staatlichen Statthaltern völlig bedeutungslos geworden waren. Ab 1815 wurde den Gemeinden deswegen wieder ein wenig Selbst- oder eher Mitbestimmung zurückgegeben, so vor allem in der Armenpflege und in der Verwaltung des Stiftungs- und Gemeindevermögens. Die Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 schließlich forderte in ihrem Vorspruch eine "Wiederbelebung der Gemeinde-Körper durch Wiedergabe der ihr Wohl zunächst berührenden Angelegenheiten", eine Forderung, der sich kurz zuvor das Gemeindeedikt vom 17. Mai 1818 angenommen hatte (1817 war Montgelas entlassen worden). Allerdings brachte dieses Gemeindeedikt nur eine Linderung, nicht aber einen großen Fortschritt3o . Dies insbesondere deswegen, weil nach wie vor die Gemeinden unter Kuratel standen, wobei die Rechte der Kuratel nicht eingehend kodifiziert waren und Rechtsschutz gegen deren Maßnahmen nicht zu erlangen war. Auch scheint die Kuratel oft zu Ungunsten der Gemeinden vollzogen worden zu sein 31 • Diese Situation änderte sich deutlich erst mit dem Gesetz vom 29. April 1869. Immerhin enthielt die Verfassungsurkunde von 1818 in Titel VII, § 21 die Verbürgung, jede Gemeinde dürfe sich wie jeder einzelne Staatsbürger wegen der Verletzung konstitutioneller Rechte an die Ständeversammlung wenden. Damit kann für den bayerischen Raum festgehalten werden: Die französischen Einflüsse zeigten sich nicht nur in Fragen der Staatsorganisation, insbesondere durch Einteilung des Staatsgebiets in Kreise. Es fand auch eine durchaus langanhaltende Lähmung der gemeindlichen Selbstverwaltung statt. Für die Frage nach der Rechtsnatur des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ist weder die Constituante noch die darauffolgende Rechtsentwicklung in Frankreich beziehungsweise in Bayern aussagekräftig. Die Constituante nicht, weil sie kein Grundrecht etablierte, die darauffolgende Entwicklung nicht, weil die zentralistischen Bestrebungen die Selbstverwaltung zerstörten. b) Die Lehre des Reichsfreiherrn vom Stein So bedeutend die Steinsche Städteordnung 32 auch für den bayerischen Raum war, insbesondere als es darum ging, das Gemeindeedikt von 1808 29
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Hierzu v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. 11, S. 5 f. Vgl. Piloty, Bayerisches Staatsrecht, Bd. I, S. 50Sff. Vgl. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. 11, S. 6ff.
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zu überwinden, so wenig kann seine Lehre zur Begründung der Grundrechtsqualitität des Selbstverwaltungsrechts herangezogen werden. Dem Reichsfreiherrn vom und zum Stein ging es vor allem darum, "die Tätigkeit der Staatsbürger bei der Staatsverwaltung in Anspruch zu nehmen,,33, um durch die Selbstverwaltung die Nation zum Gemeingeist, "der nur durch unmittelbare Teilnahme am öffentlichen Leben sich bildet, zunächst aus der Liebe zur Genossenschaft, zur Gemeinde, zur Provinz entspringt, und sich stufenweise zur Vaterlandsliebe erhebt,,34, zu erziehen. Ihm lag eine grundrechtliche Betrachtung vollkommen fern, war es doch sein Ziel, den einzelnen über die Gemeinden organisch in den Staat einzugliedern und ihn zum Staatsbürger zu machen. Nicht die freie Gemeinde in Opposition zum Staat, nicht Gemeindefreiheit, sondern tätige Anteilnahme des einzelnen an den Angelegenheiten der Gemeinschaft, der er angehört, war sein Ziel. Stein wollte die Einheit von Gesellschaft und Staat erreichen durch "zweckmäßige Wirksamkeit der städtischen Gemeinde durch Repräsentation, Befreiung von den Fesseln unnützer und schwerfälliger Formen, Wiederbelebung von Gemeingeist und Bürgersinn, Beseitigung der Vormundschaft der Staatsbehörden über die Städte. Auf Selbsttätigkeit, eigene Verantwortlichkeit und Gemeinnützigkeit,,35 sollte das städtische Gemeinwesen gegründet sein. Seine Reformen waren vor dem Hintergrund der Ereignisse im Jahr 1806 Mittel zur Herstellung und Erhaltung der nationalen Einheit auf der Grundlage der politischen Aktivierung der bürgerlichen Schicht; der für die nächsten Jahrzehnte prägende Gegensatz von Staat und Gesellschaft war von ihm bereits geahnt worden und sollte nach seiner Vorstellung über die Selbstverwaltung überwunden werden, was bekanntermaßen mißlang. Der Freiherr vom Stein hat zwar für die Entwicklung der Selbstverwaltung in Deutschland insgesamt eine hervorragende Bedeutung, darf jedoch für die Frage nach der Grundrechtsqualität des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts nicht bemüht werden.
c) Die belgischen Revolutionsideen und ihre Wirkungen in Deutschland
für die Verfassung der Frankfurter Nationalversammlung
Die belgischen Revolutionsideen sind für den deutschen Bereich insofern von Bedeutung gewesen, als durch sie den konstitutionellen Ideen Antrieb verliehen wurde; zur Zeit dei Frankfurter Nationalversammlung wurden vor 32 "Ordnung für sämtliche Städte der Preußischen Monarchie" vom 19. November 1808. 33 Zitiert nach v. Unruh, HKWP, § 5, S. 62. 34 Zitiert nach Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 201. 35 Becker, DÖV 1957,740.
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dem Hintergrund dieser Ideen Forderungen formuliert, die auf die Verfassungsgebung in Deutschland einwirkten. In der belgischen Verfassung vom 7. Februar 1831 wurde eine besondere Gemeindegewalt anerkannt und als solche gewährleistet36 . Während der französische pouvoir municipal aus der Natur der Gemeinde erklärt wurde, allein dem Privatinteresse dienen sollte und den Gemeinden insoweit eine öffentliche GliedsteIlung versagt blieb, sie nur als Privatrechtssubjekt anerkannt wurden, war die Situation in Belgien eine andere: Zwar wurde auch in Belgien die Gemeindegewalt als natürliches Recht, das allen Gemeinden gleichmäßig zustehen sollte, angesehen. Ob in den Artikeln 31 und 108 der belgischen Verfassungsurkunde ein verfassungsmäßiges· Grundrecht der Gemeinden und Provinzen etabliert wurde, wie Becker behauptee 7 , erscheint jedenfalls nach der systematischen Stellung dieser Bestimmungen fraglich 38 . Auf alle Fälle wurde ein Recht auf ein selbständiges Dasein und einen eigenen Wirkungskreis öffentlicher Angelegenheiten festgeschrieben. Neben den bekannten drei Staatsgewalten wurde eine gemeindliche und eine Gewalt der Provinzen anerkannt, so daß letztlich drei allgemeine und zwei lokale Gewalten (pouvoir communal und pouvoir provinciae 9 ) existierten, wobei die lokalen Gewalten neben der Staatsgewalt standen. Auch die lokalen Gewalten wurden wie die Staatsgewalt aus der obersten Gewalt des Volkes abgeleitet4o . Die belgische Entwicklung von den drei Staatsgewalten nebst zwei Kommunalgewalten fand statt mit Rückenstärkung durch französische und deutsche Literaten, die im Anschluß an d' Argenson41 die Anerkennung einer besonderen Gemeindegewalt, abgeleitet aus der Natur der Sache und der Vernunft forderten. Von Bedeutung für die zu behandelnden Fragen des geltenden bayerischen Verfassungsrecht ist dabei, daß hier zum ersten Mal die Gemeindegewalt neben die drei Gewalten des Staates gestellt und auch die ursprüngliche Rechtsnatur der Gemeindegewalt behauptet wurde. Darüber 36 Bereits zuvor wurde das "Dekret über Reorganisation der Gemeinden ohne Unterschied" vom 8. Oktober 1830 erlassen. 37 Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 223. 38 Art. 31 und Art 108 finden sich in Titre III (Des Pouvoirs), der den Grundsatz der Volkssouveränität und den der Gewaltenteilung festschreibt sowie die Kompetenzen der Staatsorgane und eben der "institutions provincales ou communales" regelt. 39 Nicht aber - wie der Verfassungsgerichtshof annahm - ein pouvoir municipal. vgl. BayVerfGH 2, 143/162. 40 Vgl. hierzu Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 222 ff. 41 D' Argenson, Considerations sur le gouvernement ancien et present de la France, zitiert nach Becker, Die gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 226 Fn. 61. Vgl. hierzu auch Melzer, Die Wandlung des Begriffsinhalts der deutschen kommunalen Selbstverwaltung im Laufe der politischen Geschichte, S. 17 ff.
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hinausgehend wurde zum Teil in der französischen Literatur postuliert, der Staat sei nur ein Zusammenschluß von Gemeinden42 . earl von Rotteck, der für die verfassungsrechtliche und literarische Entwicklung in Deutschland wohl wichtigste Zeitgenosse, stark von Rousseaus Lehre vom Gesellschaftsvertrag beeinflußt, knüpfte nunmehr an die oben geschilderten Theorien an~ ob auch er eine vierte, gemeindliche Gewalt kreieren wollte, ist seinen Äußerungen nicht mit Sicherheit zu entnehmen43 . Jedenfalls wollte auch er eine Ursprünglichkeit der Gemeinden konstruieren: "Das Natürliche in der Gemeinde ist der selbsteigene Ursprung, das heißt der freie Verband der Gemeindegenossen, und es ist, um ein solches Entstehen zu begreifen, ganz unnötig, einer Staatsgewalt, die es befohlen, zu gedenken". Die Gemeinden sind für ihn "Staaten im Kleinen, vereint mit anderen Gemeinden und einzelnen zum größeren Staate". "Nicht als Staatsanstalten, wohl aber als Staatsglieder sind die Gemeinden der Gesamtregierung unterworfen, und rias Prinzip ihrer Unterwürfigkeit ist kein anderes als der - vernünftig aufgefaßte - Staatszweck in seinen natürlichen Beziehungen einerseits auf das selbsteigene Bedürfnis der einzelnen Gemeinden, andererseits auf die Ansprüche aller übrigen Staatsglieder und der Gesamtheit,,44. Die Gemeinden sind "frühere" und "organischere" Vereinigungen als die Staaten, sie sind "kleine Staaten, und sie haben beim Eintritt in einen größeren Staatsverband ebensowenig der selbsteigenen Erstrebung alles dessen, was sie dergestalt zu erstreben fähig sind, das heißt also der Autonomie und ihrem freien Gesamtleben entsagt, als die Familien ihrem eigenen Familienrecht und Familienleben". Die Gemeinden seien Träger einer eigenen, vom Staate nicht abgeleiteten Gewalt45 . Überhaupt ist für Rotteck der Vergleich mit den Familien die Begründung für die natürliche Entstehung der Gemeinden und der Gemeindegewalt schlechthin: "Es hat sonach mit den Gemeinden fast dieselbe Bewandtnis, wie mit den Familien46 . Auch die letzten nämlich entstehen ohne den Staat, und besitzen ein durch die Vernunft diktiertes, auf die verschiedenen inneren Verhältnisse 42 Vgl. Henrion de Pansey, Du pouvoir municipal et des biens communaux, 1821: "Quoique au dessus des trois autres pouvoirs (Je It!gislatif, executif et judiciaire) le pouvoir municipal est cependant le plus ancien de tous". Vgl. auch De Barante, Des communes et de I' aristocratie, 1821: "Les communes sont plus anciennes que les monarchies. L'histoire assigne aux nations pour origine une association des communes"; heide FundsteIlen zitiert nach Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 227 Fn. 64 und 65. 43 Dagegen Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 259. 44 v. Aretin und v. Rotteck, Staatsrecht der konstitutionellen Monarchie, Bd. III, S. 30ff. 45 v. Rotteck, Staatsrecht, Bd. 11, 2. Abt., S. 22 ff. 46 Ob das OVG Lüneburg an v. Rotteck dachte, als es bei seiner Rastede-Entscheidung die Gemeinden in die "natürliche Fortsetzung der Linie Individuum-Familie" (DÖV 1980, 417/418) einreihte, ist nicht bekannt. Der vom OVG Lüneburg
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jeder einzelnen Familie leicht anwendbares und auch der näheren Festsetzung durch Einverständnis zwischen den Familiengenossen empfängliches Recht, so wie den Anspruch auf ein nach außen unabhängiges und selbständiges Gesamtleben, welcher Anspruch durch den etwa später geschehenen Eintritt in den Gemeinde- oder in den Staatsverband durchaus nicht aufgehoben, sondern bloß etwa denjenigen Beschränkungen oder näheren Bestimmungen unterworfen wird, welche zur Erreichung der weiter reichenden Zwecke solcher bürgerlichen Vereine notwendig oder rätlich sind. So wie mit rein persönlichen, also auch mit Familien- und mit Gemeinderechten versehen tritt man, nach dem naturgemäßen Gange der Dinge, in den Staat ein; und weit entfernt davon, diese Rechte durch solchen Eintritt hinzugeben an denselben, verlangt man von ihm vielmehr ihre Gewährleistung und Beschirmung,,47. Das Selbstverwaltungsrecht wird somit in erster Linie als ein vernunftrechtlich hergeleitetes Recht48 des Individuums angesehen, erst in zweiter Linie als eines einer Korporation. Wenn Rotteck darlegt, welche Vorzüge der Staat als "politisches Gemeinwesen betrachtet" aus einer "guten Gemeindeordnung" zieht, weil der Bürger, "auch mit Liebe erfüllt für den Staat, der solches Glück ihnen verleiht oder gewährleistet", "auch zu Opfern bereit für die Verteidigung und Erhaltung der ihr Recht und ihre Wohlfahrt schirmenden Regierung,,49 sein wird, so klingt hier ein wenig der Freiherr vom Stein an. Der Unterschied zwischen v. Stein und v. Rotteck liegt aber auf der Hand: Wollte v. Stein gemeindliche Selbstverwaltung als Mittel des Staates einsetzen, um den besitzenden Bürger für den Staat zu erziehen, war also sein Konzept der gemeindlichen Selbstverwaltung Mittel zu einem weiterreichenden Zweck, so liegen bei v. Rotteck die Dinge umgekehrt. Die naturrechtlich begründete Gemeindefreiheit ist - so behauptet er - Selbstzweck5o , in Wirklichkeit aber Mittel zur Erlangung bürgerlicher Freiheit, deren Folge die Befriedung des Staates ist, die auch Rotteck am Herzen liegt. Nach alledem ist offensichtlich, daß Rotteck aus seiner Ansicht über die Entstehung und die Natur der Gemeinden deren Rechtsverhältnis zum Staat und damit das Wesen des Selbstverwaltungsrechts ableitet. Weil die Gemeinden älter sind als der Staat, weil sie "ursprünglich zu Zwecken, zitierte Hans Peters wäre mit dieser Sicht der Dinge jedenfalls nicht einverstanden gewesen. 47 v. Rotteck, Artikel Gemeinde in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. VI,
S. 390/39lf. 49
Vgl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 279ff. v. Rotteck, Artikel Gemeinde in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. VI,
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v. Rotteck, ebenda, S. 390/397.
48
S.390/395. 11 Li,sack
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welche jenen des Staates analog sind,,51, sind, ist auch das "Recht der Gemeinde" ein natürliches und ursprüngliches 52 . Zwar gab es durchaus auch etatistische Selbstverwaltungsmodelle, wie zum Beispiel das des Julius Stahl, der die Funktion der Selbstverwaltung ausschließlich vom Staat und seinen Bedürfnissen her beurteilt53 . Tatsächlich entsprach aber Rottecks Doktrin dem - wie man heute formulieren würde - Zeitgeist. Seit dem Wiener Kongreß zeigte sich in aller Deutlichkeit, daß das Werk Steins mißlungen war; es war eine klare Trennung zwischen staatsbeherrschender Obrigkeit, der der Staat "gehörte", und dem nach Mitbestimmung, Freiheit und Eigentumssicherung heischenden Bürgertum zu erkennen. Die Theorie der kommunalen Selbstverwaltung mußte hierauf eingehen. Das Bürgertum wollte sich und seinen Lebensbereich von allem Staatlichen klar abgrenzen, um eine Freiheitssphäre, geschützt vor staatlicher Intervention zu erreichen. Damit ist der Ruf nach kommunaler Selbstverwaltung ein solcher nach bürgerlicher Freiheit. Die Gemeinde ist nicht Stätte der staatspolitischen Schulung, sie dient nicht der Integration des einzelnen in den Staat, sondern der Sicherheit und Entfaltung der Person und deren Eigentums. Von daher ist es selbstverständlich, daß sich der Naturrechtsgedanke auch der Selbstverwaltungstheorie bemächtigt und die Gemeinde zu einem Instrument des Bürgertums machen will. Eine grundrechtliche Betrachtungsweise des Selbstverwaltungsrechts setzt einen Dualismus Staat - Gesellschaft voraus bzw. der Dualismus hat eine grundrechtliehe Betrachtung des Selbstverwaltungsrechts zur Folge. Dieser Dualismus zeichnet sich dadurch aus, daß der Staatsverwaltung als von einem monarchischen Willenszentrum ausgehende, der Bevölkerung nicht verantwortliche, hierarchisch, autoritär und zentralistisch organisierte Verwaltung gegenübergestellt wird die Selbstverwaltung als eingegrenzte Mitwirkungsmöglichkeit insbesondere besitzender Bürger im Bereich eines lokal und gegenständlich eingegrenzten Rahmens 54 . Die Selbstverwaltung wird dem Bereich der Gesellschaft zugewiesen und erhält damit eine Distanz zu allem Staatlichen. Auf der Folie der belgisehen Verfassung von 1831 und vor allem der Ansichten von Rottecks 55 gestaltete die Frankfurter Nationalversammlung das Recht auf Selbstverwaltung56 zu einem Grundrecht der Gemeinden v. Rotteck, ebenda, S. 390/397. v. Rotteck, ebenda, S. 390/402. 53 Julius Stahl, Rechtsphilosphie, Bd. II, Abt. II, 3. Auf!. 1856, S. 38 ff. 54 Vgl. Naßmacher, Kommunalpolitik in der Bundesrepublik, S. 21. 55 Vgl. Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 229ff.; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 281 ff. 56 Vgl. auch Art. 103 der preussischen Verfassung vom 5. Dezember 1848 und § 33 der österreichischen Verfassung vom 4. März 1849. 51
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aus 57 , aus dem der einzelne unmittelbar allerdings keinerlei Rechte ableiten konnte 58 . Hier werden nicht die Steinsehen Grundgedanken verwirklicht, es geht nicht mehr um organische Integration in das Staatsgefüge, sondern um Trennung von Gemeinden und Staat im Sinn einer Zuordnung der Gemeinden in den Bereich des Gesellschaftlichen. Zu beachten ist hinsichtlich der Qualifizierung des § 184 der Frankfurter Reichsverfassung als Grundrecht dabei, daß zum ersten Mal mit dieser Verfassungsurkunde der Begriff des Grundrechts Eingang in eine deutsche Verfassung fand; auch in der Literatur tauchte dieser Begriff erst kurz zuvor auf59 . Von daher verwundert es nicht, wenn die Frankfurter Grundrechte substantiell nur dergestalt auf negative Weise erfaßt werden können, daß man zu ihnen all diejenigen Regelungen zählt, die die Reichsebene nicht unmittelbar oder überwiegend betreffen60 , so daß auch die kommunale Selbstverwaltung als Grundrecht in Übereinstimmung mit der zeitgenössischen Literatur - geWährleistet wurde. In der bayerischen Gesetzgebung zeigten diese Gedanken wenig Resultat. Zu keiner Zeit wurde ein Grundrecht der Gemeinden auf Selbstverwaltung festgeschrieben 61 • Wie bereits geschildert, erwachten die bayerischen Gemeinden erst langsam aus dem Lähmungszustand, in den sie Montgelas vesetzt hatte. Allerdings wurden per Gesetz vom 4. Juni 1848 immerhin die Kuratelbefugnisse der Standes- und Gutsherren beseitigt und sämtliche Gemeinden den Behörden des Staates allein unterstellt. Zudem erklärte eine königliche Verfügung vom 5. September 1848 das Vorhaben, das Gemeindeedikt einer gründlichen Untersuchung unterwerfen zu lassen und sprach dem allgemeinen Wunsch entsprechend "die Öffentlichkeit der Beratungen in den die Gemeinden berührenden Angelegenheiten als Regel" aus 62 . Am 28. Mai 1852 erging das Gesetz die Distriktsräte betreffend, das als untere 57 § 184 der Reichsverfassung vom 29. März 1849 lautete: "Jede Gemeinde hat als Grundrechte ihrer Verfassung: a) die Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter; b) die selbständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten mit Einschluß der Ortspolizei, unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht des Staates; c) die Veröffentlichung des Gemeindehaushalts; d) Öffentlichkeit der Verhandlungen als Regel". 58 Vgl. aber Berg, JuS 1990, L 411L 43. 59 Vgl. Kleinheyer, Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte in: Brunner u.a. (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1076f. 60 Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 159ff., insbes. S. 202f. 61 Freilich wurden auch in den bayerischen Verfassungsurkunden von 1808 und 1818 jegliche Anklänge an die naturrechtliche Ableitung von Rechten vermieden; so spricht Titel IV (Von allgemeinen Rechten und Pflichten), § 8 der Verfassungsurkunde von 1818 davon, daß der Staat den Einwohnern Sicherheit der Person, des Eigentums und der "Rechte" "gewähre". Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich bereits in der Verfassungsurkunde von 1808 im Ersten Teil, § VII. Vgl. auch Kleinheyer, Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte, S. 1072. 62 Vgl. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. II, S. 11.
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Gemeindeverbände die Distriktsgemeinden etablierte. Am selben Tag erging ferner das Gesetz die Landräte betreffend, das als höhere Gemeindeverbände die Kreisgemeinden schuf. Gesetzlich wurde diesen Gemeindeverbänden das Selbstverwaltungsrecht aber erst 1919 zuerkannt. Die bayerische Gemeindeordnung aus dem Jahre 186963 , nach deren Art. 1 die Gemeinden öffentliche Körperschaften mit Recht der Selbstverwaltung nach Maßgabe der Gesetze sind, ist von liberalen Gedanken nicht beeinflußt. Allerdings hatten die Gedanken Rottecks und seiner Parteigänger wohl auch noch einen gewissen Einfluß auf Max v. Seydel (und auch auf die sogleich zu behandelnden Staatsrechtler v. Gierke und Preuss). Seydel kann sicher nicht als Anhänger, sondern muß eher als Kritiker v. Rottecks angesehen werden. In all seinen literarischen Äußerungen kehrt er ganz den Etatisten hervor, den Dogmatiker, der die zweckmäßige Verfolgung der Staatszwecke in den Vordergrund stellt und dem es nicht in erster Linie auf historisch-philosophische oder gar naturrechtliche Begründungen ankommt, wenngleich v. Seydel auf die geschichtliche Einordnung zu kommentierender Regelungen allein aus Gründen der systematischen Erfassung aller vorhandenen Quellen stets Wert legte64 . "Daß, wo Gemeindeverbände unterer und höherer Ordnung65 vorhanden sind, deren Verfassung nach einem einzigen Muster gleichartig zugeschnitten sei, ist nicht notwendig, ja nicht einmal zweckmäßig. Man muß, wenn man sich die Frage vorlegt, welche Stellung den Gemeindeverbänden im Staate naturgemäß zukommt, vor allem sich gegenwärtig halten, daß Staatseinrichtungen nach Rücksichten der Zweckmäßigkeit, nicht nach vorgefaßten Lehrmeinungen gestaltet werden,,66. Trotzdem finden sich bei v. Seydel wohlbekannte Äußerungen, was sicherlich auch darauf zurückzuführen ist, daß er die französische Kommunalgesetzgebung und auch die Literatur des auf die französische Revolution folgenden Jahrhunderts bestens kannte. Typisch für v. Seydel ist, daß er die Frage nach der Entstehung der Gemeinden in einen größeren Zusammenhang stellt, allerdings der Antwort auf diese Frage eine ganz eigene Wendung zukommen läßt: "Vor allem ist hervorzuheben, daß geschichtlich die Ortsgemeinden und die höheren Gemeindeverbände nicht Gemeinwesen von einerlei Art sind. Die Ortsgemeinde wird zwar durch die staatliche Rechtsordnung beherrscht und gestaltet und ist, so wie sie ist, rechtlich deren Geschöpf. Aber die Ortsgemeinde ist geschichtlich kein Geschöpf des Staates, sie ist vom Staate nicht erfunden, ja sie ist sogar älter als der Staat. Jene nachbarlichen Beziehungen und Bedürfnisse, aus 63 Gesetz vom 29. April 1869, die Gemeindeordnung für die Landestheile diesseits des Rheins betr. 64 Vgl. Piloty, Ein Jahrhundert bayerischer Staatsrechts-Literatur, S. 277ff. 65 Damals wurden auch die Gemeinden als Gemeindeverbände bezeichnet. 66 v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. 11, S. 2.
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denen die Ortsgemeinde entstanden ist, hat der Staat nicht hervorgerufen. Er hat sie vorgefunden und ihnen, je nach dem Stande der jeweiligen Verhältnisse und der jeweiligen Einsicht, die Rechtsform zu geben versucht, die ihrem Wesen entspricht. Das umfassende Maß selbständiger örtlicher Interessen. das in den Ortsgemeinden vorhanden ist. hat ein umfassendes Maß selbständiger Verwaltung verlangt und im Laufe der Entwicklung der Gesetzgebung auch wirklich erhalten. Man kann sagen, daß hier die Hand des Gesetzgebers nur mit festeren Strichen nachgezeichnet hat. was die Hand der Natur vorzeichnete. Anders liegt die Sache bei den höheren Gemeindeverbänden. Sie sind nicht ein Erzeugnis geschichtlicher Entwicklung. Der Staat hat ihnen nicht etwas Naturnotwendiges anerkannt, wie bei den Ortsgemeinden. Das Band gemeinsamer Interessen und innerer Zusammengehörigkeit ist für die Genossen des höheren Gemeindeverbandes kein wesentlich engeres. wie für die Genossen des Staatsverbandes. Die höheren Gemeindeverbände sind willkürliche Schöpfungen des Staates, welche Zweckmäßigkeitserwägungen der Verwaltung ihren Ursprung verdanken. So schließen sie sich denn auch in ihrem Umfange nicht an irgend eine natürliche Gliederung des Volkes, sondern an die staatliche Verwaltungseinteilung an und ändern sich sogar mit dieser. Diese Aufgaben. welche ihnen zugewiesen sind. sind aus verschiedenartigen Gründen der Nützlichkeit dem Gebiete der Staatsverwaltung entnommen und bleiben mit diesem in innerem Zusammenhange, während sie unter sich selbst kein für sich geschlossenes Ganzes bilden. Der Wirkungskreis der höheren Gemeindeverbände ist räumlich ein ausgedehnterer als der Wirkungskreis der Ortsgemeinden, sachlich ist er in engere Grenzen gebannt,,67. Hier zeigt sich. daß Max v. Seydel zwar die These übernimmt, die Gemeinden seien älter als der Staat. Das Selbstverwaltungsrecht wird jedoch nicht als grundrechtliehe Garantie begriffen. vielmehr wird der genetische Unterschied zwischen Gemeinden und Gemeindeverbänden dazu herangezogen, die Differenz von Gemeinden und Gemeindeverbänden in bezug auf die wahrzunehmenden Aufgaben zu erklären. Seydel ist daher nachgerade "modern", weil seine historischen Ausführungen allein praktische Zwecke verfolgen. Deutlich hat hier ein praxisbezogener Etatismus den naturrechtlichen Mythizismus überwunden. Freilich klingen in dieser Zeit ganz allgemein die Versuche ab. durch naturrechtliehe Betrachtungsweisen Legitimierungen für grundrechtliehe Bestrebungen zu erhalten, die Zeit des Positivismus beginnt langsam68 , aber mit beachtlichen Ausnahmen.
v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. 11. S. 3 f. Vgl. Kleinheyer. Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte. S. 1080. 67
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Für den bayerischen Raum ist es noch einmal wert, zu betonen, daß eine grundrechtliche Verankerung des Selbstverwaltungsrechts in bayerischen Gesetzeswerken vergebens gesucht würde. Mit v. Seydel wurden in der Literatur die naturrechtlichen Ansichten durch zweckorientierten Etatismus ersetzt, die grundrechtliehe Einordnung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts durch die Paulskirchenverfassung war durch v. Seydel bereits Jahrzehnte vor Erlaß der Weimarer Reichsverfassung und Carl Schmitts Umdeutung des Art. 127 WRV überwunden worden. d) Gneist, Gierke und Preuss Im Rahmen dieser Darstellung muß auf Rudolf von Gneist und dessen Lehre vom selfgovernment nicht besonders eingegangen werden. Die erstrebte Beseitigung des Gegensatzes von Staat und Gesellschaft69 wollte er durch ehrenamtliche Betätigung der Bürger an den Angelegenheiten des Staates erreichen. In Anknüpfung an den von ihm nicht ganz richtig erfaßten Inhalt des englischen selfgovernments versteht Gneist unter Selbstverwaltung letztlich rein formal die Ausübung von Funktionen der inneren Landesverwaltung durch unbesoldete Ehrenbeamte im Gegensatz zu besoldeten Berufsbeamten7o . Für ihn ist Selbstverwaltung eine besondere Form der Staatsverwaltung7l . Deswegen lieferte Gneist auch keine Charakterisierung des Verhältnisses der kommunalen Selbstverwaltung zur staatlichen Verwaltung, da er Selbst- und Staatsverwaltung nicht qualitiativ nach Art der wahrzunehmenden Aufgaben und Art der Aufgabenwahrnehmung unterschied, sondern Selbstverwaltung für ihn nur eine Frage der Bestellung der die Aufgaben erfüllenden Personen war. Für eine grundrechtliehe Betrachtungsweise des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts kann er somit nicht herangezogen werden, eine naturrechtliehe Lesart der gemeindlichen Selbstverwaltung lag ihm ohnehin fern. Vielmehr wollte er die Selbstverwaltung als staatlichen Grundsatz konstruieren 72. Zeitgleich mit Rudolf von Gneist und Max von Seydel, aber in bezug auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht ganz andere Ansichten vertretend, die letztlich wieder an die des Vormärz anknüpfen und insbesondere viele Ähnlichkeiten zu den Auffassungen von Rottecks aufweisen, sind Otto von Gierke sowie Hugo Preuss zu nennen:
Vgl. Vgl. 71 Vgl. 72 Vgl. S.738ff. 69
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auch Lorenz von Stein, Verwaltungslehre, Bd. I, S. 201. Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, S. 6f. Forsthoff, Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, S. 17 f. hierzu Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert,
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Nach Otto von Gierkes genossenschaftsrechtlicher Theorie73 muß die Gemeinde als ein genossenschaftliches Gemeinwesen anerkannt werden, das nach unten Allgemeinheit, nach oben Teil einer höheren Allgemeinheit, gegenüber Individuen ein Individuum ist. So wenig die Gemeinde ein mittelalterlicher Staat im Staate sei, so wenig sei sie Staatsanstalt mit verliehener juristischer Persönlichkeit. Vielmehr komme ihr eine eigene, originäre Persönlichkeit zu, weIche der Staat so wenig wie die des einzelnen Staatsbürgers schaffe. Die Gemeindepersönlichkeit sei im Privatrecht nicht mehr und nicht weniger als ein Individuum, soweit nicht der Natur der Sache nach ihre Sphäre beschränkt sei. Im öffentlichen Recht sei sie einmal Glied des Staates, nach der anderen Seite für ihre Glieder selbst wieder Quelle eines ihren besonderen Kreis beherrschenden öffentlichen Rechts und Trägerin einer eigenen öffentlichen Gewalt. Zur Lösung aller rechtlichen Fragen müsse stets davon ausgegangen werden, daß die Gemeinde eine originäre Persönlichkeit darstelle 74. Diese Ansicht sollte - auch - dazu dienen, zumindest auf gemeindlicher Ebene dem Demokratiegedanken zur Geltung zu verhelfen. So schreibt von Gierke: "Man entschließe sich endlich einmal, wenigstens im Kreise der Gemeinde den Ursprung einer öffentlichen Gewalt im Volke zu finden!,,75. Dieser Ansicht folgt mit wenigen Modifikationen Hugo Preuss. Seiner Ansicht nach sind die Gemeinden nicht geschaffene, sondern "gewordene" Rechtspersönlichkeiten, die "begrifflich" älter sind als der Staat und eben nicht als dessen Produkte erscheinen. Nicht der Staat übertrage ihnen sein Recht, vielmehr sei das Staatsgesetz nur die moderne Fonn, um das immanente Recht der Gemeinden zum positiven Ausdruck zu bringen. Nicht weil der Staat ihnen Rechte verleihe, sondern weil sie ihrem Wesen nach Personen, d. h. Rechtsträger sind, deklariere das Staatsgesetz positiv ihre Rechte. Aber nicht nur begrifflich, sondern auch historisch seien die Gemeinden das Primäre, der Staat das Sekundäre, das Reich das Tertiäre 76 • Schließlich stellt Preuss Gemeinde und Staat auch qualitativ auf die gleiche Stufe77 •
73 Seine Theorie von der Rechtsnatur der juristischen Person wird als "Theorie der realen Verbandsperson" bezeichnet; dies in pointierter Gegenüberstellung der "Fiktionstheorie" v. Savignys; vgl. hierzu Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Teil 2, S. 1ff.; K. Schmidt, Einhundert Jahre Verbandstheorie im Privatrecht, S. 13 f.; Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Spalte 1147 m.w.N. 74 v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, S. 759f. 75 Vgl. v. Gierke, ebenda, S. 761. 76 Preuss, Gemeinde, Staat, Reich, S. 206f. 77 Preuss, ebenda, S. 224ff.; vgl. auch Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, S. 53.
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Nach diesen Ansichten Otto von Gierkes und Hugo Preuss' sind die Gemeinden keine vom Staat geschaffenen, sondern eben "ursprüngliche", also originäre, Rechtspersönlichkeiten, deren Hoheitsgewalt nicht vom Staat abgeleitet werden muß und die aus ihrer natürlichen Rechtspersönlichkeit zu erklären ist. Es handelt sich somit um Ansichten, die eine grundrechtliche Lesart des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts unterstützen könnten, weil mit der Vorstaatlichkeit der Gemeinden die Rechtsbefugnis, das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht ausüben zu können, verbunden wird und somit eine Parallele zu den vorstaatlichen Menschenrechten gezogen werden kann. e) Die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung gemäß Art. 127 WRV Art. 127 WRV gewährleistet wenig aussagekräftig im Grundrechtsteil der Verfassung: "Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht der Selbstverwaltung innerhalb der Schranken der Gesetze". Im Verlauf des Verfassungsgebungsprozesses war zunächst umstritten gewesen, ob eine Regelung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts überhaupt in die Reichsverfassung gehöre. Noch Hugo Preuss machte den Vorschlag, im staatsorganisatorischen Teil der Verfassung folgendes zu bestimmen: "Den Gemeinden und den Gemeindeverbänden steht die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten zu. Ihre Vorstände werden entweder unmittelbar nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt oder durch eine aus solchen Wahlen hervorgegangene Vertretung gewählt. Die Aufsicht des Staates beschränkt sich auf die Gesetzmäßigkeit und Lauterkeit der Verwaltung und die Grundlage der Finanzgebarung,,78. Die Länder waren hingegen entschieden gegen diese als Eingriff in die gliedstaatliche Regelungskompetenz empfundene Bestimmung, so daß sie diesen Entwurf ablehnten. In dem dem Staatenausschuß vorgelegten Entwurf vom 17. Februar 1919 fehlte eine Regelung des Selbstverwaltungsrechts deshalb vollständig. Erst der Unterausschuß des Verfassungsausschusses fügte die als Art. 127 WRV bekanntgewordene Regelung in den 11. Hauptteil, der die Grundrechte und die Grundpflichten der Deutschen behandelt, ein. Weshalb das Selbstverwaltungsrecht gerade an diesem Ort behandelt wurde, ist aus den Materialien nicht zu ersehen79 • Jedenfalls glaubte man, durch Anfügung der Worte "innerhalb der Schranken der Gesetzgebung" die Einwände der Gliedstaaten zu zerstreuen. Im übrigen entsprach Preuss die Positivierung des Selbst-
Zitiert nach Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 299f. Vgl. Glum, AöR 1929 (n.F. 17), 379/384; vgl. auch Forsthoff, Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, S. 23 f. 78
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verwaltungsrechts als Grundrecht - wie oben angesprochen - mehr als die Einordnung dieses Gedankens in den staatsorganisatorischen Teil. Weil die Grundrechtsdogmatik sich in der Zeit der Weimarer Republik erst langsam und nicht ohne Widersprüche entwickelteSO, ist es selbstverständlich, daß auch die Vorschrift des Art. 127 WRV in bezug auf ihren Inhalt und Rechtscharakter umstritten war. Betreffend den Inhalt des Art. 127 WRV zeigten sich die gleichen Auslegungsschwierigkeiten, die allgemein die Grundrechtsdogmatik jener Zeit kennzeichneten. Von einer Gewährleistung konnte jedenfalls nicht die Rede. sein, wenn man der Ansicht Anschütz' folgte: "Dieser Artikel hat eine rein formale Bedeutung, materiell ist er inhaltlos"sl; eine weitverbreitete Meinung, die diese Bestimmung auf eine ausschließlich formale Aussage reduzierte, deren einziger Inhalt darin bestand, die Beachtung des Grundsatzes vom Gesetzesvorbehalt auch im Bereich des Selbstverwaltungsrechts abzusichern. Grund für diese verfassungsinterpretatorische Askese war die vorherrschende Ansicht, Art. 127 WRV spreche lediglich aus, was ohnehin schon Realität sei s2 . Erst gegen Ende der Weimarer Republik setzten sich - wohl im Anschluß an Thomas und Smends effektivierende Grundrechtsauffassungen sowie earl Schmitts Interpretation des Art. 127 WRV als institutionelle Garantie - die Bestimmung mit mehr Inhalt erfüllende Ansichten durch. Nicht zuletzt aufgrund der Ansiedelung des Art. 127 WRV im 11. Hauptteil der Verfassung wurde auch die Garantie der Selbstverwaltung bisweilen als Ausdruck einer liberal-individualistischen Auffassung betrachtet, wie sie eher der Ideenwelt der Mitte des 19. Jahrhunderts entsprochen hätte. Die Tatsache, daß eine grundrechtliche Einordnung des Selbstverwaltungsrechts einen Dualismus Staat - Gesellschaft voraussetzt, der mit der restlosen bürgerlichen Emanzipierung der Gesellschaft in der demokratischen Verfassungsordnung der Weimarer Republik nicht mehr gegeben war, scheint (zunächst) nicht allzu bewußt gewesen zu sein. Besonders deutlich zeigt sich das an den Äußerungen Stier-Somlos, der Art. 127 WRV dahingehend auslegen wollte, daß diese Norm die Auflösung einzelner Gemeinden verbiete. Er vergleicht die Gemeinde mit dem Individuum: "Was aber für eine einzelne physische Person gilt, muß auch für eine juristische Person gelten s3 ". Genauso wenig wie der Staat einen Menschen töten könne, um dann festzustellen, dieser besäße keine Grundrechte mehr, die ihn schützen Vgl. Stier-Somlo, AöR 1929 (n. F. 17), lf. Zitiert nach Glum, Das Recht der Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände nach Art. 127 der Reichsverfassung, AöR 1929 (n.F. 17) 379/392. Vgl. auch die weiteren FundsteIlen bei Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 301. 82 Vgl. Glum, AöR 1929 (n. F. 17), 380; Forsthoff, Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, S. 23; Stier-Somlo, AöR 1929 (n. F. 17), 4 ff. 80 81
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könnten, könne man nicht den schwerwiegendsten Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht, die Auflösung einer Gemeinde zulassen, weil sie dann eben ihr Selbstverwaltungsrecht nicht mehr besäße 84 . Stier-Somlo glaubt, die Auflösung einer Gemeinde beschränke nicht das Selbstverwaltungsrecht, sondern vernichte es. Dies kann freilich nur behaupten, wer Art. 127 WRV eine individuelle Garantie zugunsten jeder einzelnen Gemeinde entnimmt. Die in bezug auf die Dogmatik des kommunalen Selbstverwaltungsrechts wohl folgenreichste literarische Darlegung dieser Zeit war die Umdeutung, die Art. 127 WRV vom Grundrecht zur sog. institutionellen Garantie durch Carl Schmitt erfahren hat. Zuvor hatte Martin Wolff bewiesen, daß die Eigentumsgarantie des Art. 153 WRV nicht nur einen "Schutz der bestehenden und der neu entstehenden konkreten Privatrechte jedes einzelnen Rechtssubjekts" gewährleistet. Die Bestimmung enthalte "darüber hinaus auch die Zusicherung, daß das Privateigentum als Rechtsinstitut" erhalten bleibe. Diese Gewährleistungformel habe den Sinn der Institutsgarantie s5 . Im Anschluß daran unterschied Carl Schmitt die Institutsgarantie von der institutionellen Garantie, bezeichnete gerade die Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung als durch eine institutionelle Garantie geschützt und verneinte den Grundrechtscharakter des Art. 127 WRV. In seinem Verfassungslehrbuch von 1928 stellte er dem Grundrecht die institutionelle Garantie gegenüber. In einer eigenen Überschrift stellte er fest: "Institutionelle Garantien sind von Grundrechten zu unterscheiden"s6. Weiter fuhr er fort: "Die institutionelle Garantie ist ihrem Wesen nach begrenzt. Sie besteht nur innerhalb des Staates und beruht nicht auf der Vorstellung einer prinzipiell unbegrenzten Freiheitssphäre, sondern betrifft eine rechtlich anerkannte Institution, die als solche immer etwas Umschriebenes und Umgrenztes, bestimmten Aufgaben und bestimmten Zwecken Dienendes ist, mögen auch die Aufgaben im einzelnen nicht spezialisiert sein und eine gewisse ,Universalität des Wirkungskreises' zulassen"s7. Dieser Ansicht schlossen sich alsbald zahlreiche Stimmen in der Literatur mehr oder weniger deutlich an ss ; der Staatsgerichtshof folgte: Sein bereits 83 Stier-Soml0, AöR 1929 (n. F. 17) 35; diese Äußerung tätigt er allerdings im Zusammenhang mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 109 WRV. 84 Stier-Somlo, AöR 1929 (n. F. 17), 23 f. 85 Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, S. 5 f. 86 Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 170. 87 Carl Schmitt, ebenda, S. 170 f. 88 Vgl. insbesondere: Forsthoff, Die Krise der Gemeindeverwaltung, S. 24 ff.; ders., in: Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, S. lOOff. (Art. 127 WRV als organisatorische Garantie); Brauweiler, Kommentierung zu Art. 127 WRV, S. 199ff.; Anschütz, Kommentierung zu Art. 127 WRV in: Die Verfassung des Deutschen Reichs, S. 582 ff.; Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in
8. Kapitel: Selbstverwaltungsrecht ist kein grundrechtsähnliches Recht
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erwähntes Urteil vom 11. Dezember 1929 zur Frage der Rechtsgültigkeit des preußischen Gesetzes über die kommunale Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes bestätigte inzident die institutionelle Sichtweise. Hätte der Staatsgerichtshof die systematische Einordnung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts als Grundrecht wie durch die Weimarer Reichsverfassung vorgegeben nachvollzogen, so wäre unvermeidlich eine individuelle Bestandsgarantie anzunehmen gewesen, da eine Bestandsänderung den für eine kommunale Gebietskörperschaft schwerwiegendsten Eingriff darstellt. Was hätte man aber von einem Grundrecht halten sollen, das zwar verschiedene Verhaltensweisen der Kommune, nicht aber auch die Grundlage des Verhaltens, die Existenz sichert? Die den Grundrechten eigene individualistische Sichtweise wäre mit der Zulassung von für nötig erachteten Bestandsänderungen unvereinbar gewesen 89 . Von daher kann zusammenfassend Becker zitiert werden: "Es ergibt sich somit, daß Art. 127 tatsächlich ein ,echtes' Grundrecht auf Selbstverwaltung nicht aussprach. Die Lehre von der sog. institutionellen Garantie hat die Meinung, Art. 127 der Weimarer Reichsverfassung enthalte ein Grundrecht, überwunden,,9o. In der Tat kann angesichts der Neuinterpretation des Art. 127 WRV von einer Überwindung oder Umdeutung gesprochen werden. Zum Teil ausdrücklich war in der Literatur behauptet worden, die Verfassungsgeber hätten ein Grundrecht schaffen und an die belgische Verfassung von 1831 bzw. an die Paulskirchenverfassung und an deren naturrechtliche Betrachtungsweisen anknüpfen wollen. Aus welchen Gründen auch immer von dieser Sicht abgegangen wurde, jedenfalls hielt man die Einschätzung der Verfassungsgeber nicht für so wesentlich, als daß man sie nicht im Rahmen einer Umdeutung überwinden könnte91 , teilweise hat man die geschichtlichen Wurzeln des Selbstverwaltungsrechts auch für wenig aussagekräftig angesehen 92 • Die systematische Stellung des Art. 127 WRV93 und die histoPreußen, S. 26, 42ff.; Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 299ff., insbes. 309f.; Glum, AöR 1929 (n.F. 17), 379ff. 89 Vgl. auch Bethge, 205/207. 90 Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 310. 91 Vgl. Glum, AöR 1929 (n.F. 17), 379/4ooff.; Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. I, S. 308 ff.; Forsthoff, Die Krise der Selbstverwaltung im heutigen Staat, S. 24ff.; Peters, Die Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, S.23ff. 92 Glum (AöR 1929 (n. F. 17), 379/400) stellt zutreffend fest: "Heute verhältnismäßig uninteressant ist es, ob das Recht auf den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden originären oder staatlichen Ursprungs ist. Es hat zweifellos eine deutschrechtliche wie eine natur-rechtliche Wurzel. Selbst wenn man mit Holstein ,konstituierte' oder ,akzeptierte' Selbstverwaltung unterscheidet, je nach dem, ob die Selbstverwaltung erst vom modernen Staat geschaffen oder vom Staat als bereits
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
rische Ableitung dieser Verbürgung wurden zugunsten einer Methode, die den Sinn der Regelung erfassen und ihr eine eigenständige Bedeutung zukommen lassen wollte, zur Seite geschoben. Dies verwundert nicht, weil diese Umdeutung in einer Zeit geschah, in der wohl zum ersten Mal möglichst effektiver Grundrechtsschutz durch Grundrechtsauslegung bewerkstelligt werden sollte. Richard Thoma, der allerdings das Fehlen der Grundrechtsqualität in bezug auf Art. 127 WRV selbst noch nicht gesehen hat94 , forderte doch für die Grundrechtsauslegung (bis heute geltend 95 ), "daß die Jurisprudenz, wenn nicht Treu und Glauben verletzt werden sollen, von mehreren, mit Wortlaut, Dogmengeschichte und Entstehungsgeschichte vereinbaren Auslegungen einer Grundrechtsnorm allemal derjenigen den Vorzug zu geben hat, die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet,,96. Wenn hier auch noch die Entstehungsgeschichte der Norm als quasi zwingend zu berücksichtigen genannt wird, so ist doch der Anfang für eine wirklich teleologische Methode gemacht, die - weil am überzeugendsten - eben auch historische Argumente überwinden kann.
3. Zusammenfassung - In seiner Politische Befreiung-Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof eine dezidiert naturrechtliche97 bzw. an die genossenschaftsrechtlichen Ideen v. Gierkes und die Ansichten Preuss' anknüpfende Ableitung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts vertreten, ohne den Verlauf der Rechtsgeschichte umfassend zu würdigen. angetroffen und anerkannt worden ist, wird man auch bezüglich der letzteren ein von der Rechtsschöpfung des Staates gänzlich unabhängiges Recht der Selbstverwaltung, wie es das Naturrecht vielleicht gekannt haben mag, nicht mehr annehmen". 93 Glum (AöR 1929 (n.F. 17),379/414) bezeichnet den Art. 127 WRV als einen "verrutschten Rechtssatz". 94 Dies muß - auf den ersten Blick - verwundern. Denn einerseits anerkennt er als Grundlage aller Grundrechte das allgemeine Freiheitsrecht, das zwar nicht in der WRV enthalten war, seiner Ansicht nach aber gleichwohl existierte (Thoma, Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze der deutschen Reichsverfassung im allgemeinen, S. 16ff.). Hätte er diese Erkenntnis befolgt, hätte er nicht wenig später Art. 127 WRV unter die Grundrechte zählen dürfen. Dies hängt allerdings damit zusammen, daß er andererseits bei der Prägung seines Grundrechtsbegriffs feststellt, zum Grundrecht könne ,jedes einem unterstaatlichen Subjekt gegenüber der Staatsgewalt eingeräumte öffentliche oder private subjektive Recht" erhoben werden (ebenda S. 18). 95 Vgl. BVerfGE 6, 55/72. 96 Thoma, Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze, S. 9. 97 Insoweit die Constituante von 1789, die belgische Verfassung von 1831 und die Lehre von Rottecks in Bezug genommen werden.
8. Kapitel: Selbstverwaltungsrecht ist kein grundrechtsähnliches Recht
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- Wenn er weiterhin das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als grundrechtsähnlich ansieht, obwohl eine solche Betrachtungsweise angesichts der von ihm bejahten Möglichkeit, Art. 118 I BV als ausreichende Rüge zu bemühen - so wie er das bei den Gemeindeverbänden tut - durch kein praktisches Erfordernis gerechtfertigt ist, setzt er sich dem Verdacht aus, weiterhin an diesen Doktrinen festzuhalten. - Freilich wird eine solche Begründung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts durch die - anachronistische - Umschreibung der Gemeinden als "ursprüngliche Gebietskörperschaften" in Art. 11 11 1 BV von Verfassungs wegen nahe gelegt. Es ist also zu untersuchen, welche Intention die Verfassungs geber von 1946 mit dieser Charakterisierung verfolgten und welche Bedeutung ihr heute noch zukommen kann.
11. Die Bedeutung der "Ursprünglichkeit" der Gemeinden in der Bayerischen Verfassung Zunächst ist auf die Entstehungsgeschichte des Attributs der "Ursprünglichkeit" der Gemeinden in Art. 11 11 1 BV einzugehen und Kritik hieran zu formulieren. Im weiteren soll untersucht werden, welche aktuelle Interpretation der Ursprünglichkeit verliehen werden kann. 1. Die Motivation der Verfassungsgeber in Hinblick
auf die "Ursprünglichkeit" der Gemeinden
a) Die Aufnahme der .. Ursprünglichkeit" in die Bayerische Verfassung Die Entstehungsgeschichte der landesverfassungsrechtlichen Gewährleistung der gemeindlichen Selbstverwaltung zeigt auf, daß die Mehrheit der Mitglieder des Verfassungsausschusses der bayerischen verfassunggebenden Landesversammlung Ansichten zuneigte, wonach die Gemeinden und deren Gemeindegewalt vorstaatlichen Ursprungs sind. Allerdings ist fraglich, ob die Mitglieder sich dessen bewußt waren, daß mit der "Ursprünglichkeit" an Überzeugungen angeknüpft wurde, die sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts verfestigt hatten, mit den genossenschaftsrechtlichen Ansichten v. Gierkes eine Modifizierung erfahren hatten, und durch den Dualismus von Staat und Gesellschaft geprägt waren. Ausnahme unter den Ausschußmitgliedern war Nawiasky, der als Sachverständiger mit beratender Funktion teilnahm und in weiten Teilen federführend war; er versuchte bis zuletzt, den Ausschuß von der Aufnahme der "Ursprünglichkeit" abzubringen. Wie damit angedeutet, gab es in bezug auf die Fundierung der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie Meinungsunterschiede. Ziel der Überle-
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gungen des Berichterstatters Schwalber war es, das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht als in der natürlichen Ordnung begründet und vom Staat nicht abgeleitet oder entziehbar im Verfassungstext positiv zu kennzeichnen98 . In diesem Zusammenhang sollte die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung seiner Ansicht nach zunächst wie folgt umschrieben werden: "Der Bayerische Volksstaat baut sich auf der Selbstverwaltung der Gemeinden auf. Die Gemeinden werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt,,99. Es sollte "nicht die Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts erscheinen, weil sie in der Verfassung dazu erklärt ist, sondern die Verfassung" sollte "dieses ursprüngliche, eigenständige Recht der Gemeinden anerkennen"IOO. "In den Gemeinden sehen wir die natürlichen Gemeinschaften, die auf der Raum- und Lebensverbundenheit der Gemeindemitglieder beruhen ... Die dem natürlichen Aufgabengebiet dieser örtlichen Gemeinschaften zugehörigen Angelegenheiten müssen den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden bilden. Das hat eine wirklich weittragende Folge ... Dieses Selbstverwaltungsrecht, das in der natürlichen Ordnung begründet ist, ist nicht vom Staat abgeleitet und kann daher vom Staat auch nicht entzogen werden ... Der staatliche Gesetzgeber kann den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden lediglich näher umschreiben, ihn nicht aber verleihen"lOl. Symptomatisch ist auch die Äußerung des Ausschußvorsitzenden Krapp: "Es handelt sich um die alte naturrechtliehe Frage, die ich mit der Frage vergleichen möchte, was zuerst war, die Henne oder das Ei. Aristoteles hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß das Ei, nämlich die Gemeinde, der Henne, die das Ei legt, aber aus dem Ei stammt, voranginge. Seit dem 16. Jahrhundert haben sich die Naturrechtsphilosophen den Kopf darüber zerbrochen, was der Wirklichkeit entspricht. Wir haben einen Anschauungsunterricht in dem Entstehen der amerikanischen Staaten erhalten. Die Pilgerväter haben ein Dorf gegründet, ebenso die Settler, etwa in Illinois. Da sind zuerst die Dörfer oder die Gemeinden entstanden und daraus ist erst der Staat erwachsen. Ein anschauliches Beispiel haben wir auch im Vorjahr erhalten, als das Reich und der Staat zerfallen waren. Als wir in Bamberg saßen und der Staat uns unerreichbar war, da haben wir gesehen, daß das Originäre die Gemeinde ist. Insofern würde ich raten - es ist durchaus kein Hintergedanke, sondern sauberes staatsrechtliches Denken, das auf eine schon von Aristoteles in diesem Sinn entschiedene Frage des Naturrechts zurückgeht -, auch diese Feinheit in unsere Verfassung hineinzuschreiben, 98 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassungsgebenden Landesversammlung, Band I, S. 133. 99 Art. 5 des Entwurfs; vgl. Stenographische Berichte, Band I, S. 134. 100 Stenographische Berichte, Band. I, S. 134. 101 Stenographische Berichte, Band. I, S. 133.
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nachdem wir so vielfach schon Grundsätze des Naturrechts eingebaut haben" 102. Dem schloß sich wenig später Hoegner an: "Die Gemeinden sind entstanden durch Sippengründungen. Diese haben den Gemeinden auch zum großen Teil Namen gegeben. Das reicht in eine Zeit zurück, da der Staat noch nicht bestanden hat. Nach der wohl richtigen soziologischen Staatstheorie ist der Staat entstanden durch die Unterdrückung irgendeiner Gruppe von Ackerbauern durch eine andere kriegerische Gruppe. In der Soziologie sind die verschiedenen Stadien dieser allmählichen Staatswerdung bekannt. In der Regel ist der Staat dadurch entstanden - wir können das noch in der Zeit der Völkerwanderung verfolgen -, daß eine kriegerische Gruppe über eine andere hergefallen ist, und sie zu ihrem Nutzen ausgebeutet hat. Ursprünglich kam diese fremde Gruppe jedes Jahr und holte sich ihre Beute. Später nahm das die Form eines ordentlichen Tributs an. Noch später ließen sich dann die fremden Eroberer in der ackerbautreibenden Bevölkerung nieder, errichteten Garnisonen, wie wir das bei den Langobarden des 6. Jahrhundert sehen, und schließlich ging die Siegergruppe in der Gruppe der Besiegten vollständig auf. Aber der Apparat des Staates, die Zwangsgewalt, blieb, nur daß sie im Laufe der Jahrhunderte selbstverständlich ihren Charakter völlig verändert hat. Während sie ursprünglich nur ein Mittel der Ausbeutung gegenüber den Unterdrückten war, wurden später die Bedürfnisse der gesamten Staatsbürgerschaft berücksichtigt. Wir sind heute im Fortschreiten zum sozialen Staat. Die Gemeinden haben damit nichts zu tun, sie beruhen auf einer Organisation von Freien und Gleichen, von denen der Älteste der Familie eine gewisse Herrschaft ausübte. Das ist eine ganz andere Art der Entstehung als die der Zwangsorganisation des Staates. Infolgedessen ist es berechtigt, hier einen Unterschied zu machen. Geschichtlich richtig ist nur, daß der Staat des 18. Jahrhunderts und des beginnenden 19. Jahrhunderts - wir können das genau in Bayern verfolgen - auf die Gemeinden nicht mehr die geringste Rücksicht genommen, sondern sie zu staatlichen Verwaltungseinheiten gemacht hat. Erst sehr spät ist auch der Gedanke der Selbstverwaltung der Gemeinden wieder durchgedrungen, nachdem man die Erfahrung gemacht hat, daß die Gemeindebürger kein Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten hatten, weil sie ihres ursprünglichen Mitbestimmungsrechts beraubt worden waren. Da kam man wieder auf den Gedanken der Selbstverwaltung zurück, und heute hat er sich durchgesetzt,,103. Nawiasky sowie der erste Schriftführer Ehard, der ebenfalls stets um größte Versachlichung bemüht war, konnten die anderen Ausschußmitglie102 103
Stenographische Berichte, Band II, S. 390. Stenographische Berichte, Band II, S. 392.
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der nicht von der Überflüssigkeit einer solchen Diskussion überzeugen. Immer wieder brach die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung gemeindlicher Siedlungsform und den für eine Gegenwartsverfassung daraus zu ziehenden Konsequenzen auf. Die Kritik Nawiaskys daran, daß es keinen Sinn gebe, "staatstheoretische Ausführungen zu machen, ob es ein ursprüngliches Recht der Gemeinden gibt oder nicht"I04, blieb unbeachtet. Schließlich machte Ehard den Vorschlag, dem Wunsch der Ausschußmehrheit nach verfassungsrechtlicher Verankerung der Entstehung der Gemeinden entsprechend, diese mit Hilfe des Begriffs der "Ursprünglichkeit" zu umschreiben 105. Nawiasky versuchte in einem letzten - erfolglosen - Anlauf, die Ausschußmitglieder von der Mißverständlichkeit dieses Passus zu überzeugen: "Ich habe in der Fassung, die ich vorgeschlagen habe, das Wort ,ursprüngliche' wieder eingeklammert, und zwar muß ich hier mein rechtliches Gewissen verteidigen. Die Sache ist so, daß die Gemeinden sicher nach der soziologischen Entwicklung ethisch, moralisch und im Hinblick auf alle möglichen Epitheta ursprüngliche Gebietskörperschaften sind, rechtlich sind sie es aber nicht. Da ist es so, daß der Staat über die Gemeinden verfügen kann, aber nicht die Gemeinden über den Staat. Der Staat kann durch seine Gesetzgebung Gemeinden vereinigen, er kann sie aufteilen. Das ist unbestritten und infolgedessen haben sie rechtlich gesehen keine ursprüngliche Gewalt"I06. Der Unterschied zwischen dem Verfassungstext gewordenen Entwurf und dem nüchternen Vorschlag Nawiaskys liegt darin, daß Art. 11 11 I BV auch die Begründung liefert, weshalb die Väter der Verfassung meinten, nicht anders zu können, als die Gemeinden mit Rechtspersönlichkeit, Hoheitsgewalt und Selbstverwaltungsrecht auszustatten. Offensichtlich lag den Schöpfern der Verfassung daran, nachvollziehbar für den Leser nicht nur die Sanktion, sondern auch den Grund der Sanktion offenzulegen. b) Kritik am Begriff der" Ursprünglichkeit"
Die mit der Aufnahme der "Ursprünglichkeit" in den Verfassungstext verbundene Anknüpfung an die verfassungsrechtlichen Theorien des Vormärz, die genossenschaftsrechtliche Theorie Otto von Gierkes bzw. die Ansichten des ihm weitgehend folgenden Hugo Preuss muß verwundern. Zwar wird zum Teil auch noch heute vertreten, das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden sei ein natürliches, nicht vom Staat abgeleitetes Recht 107. AllerStenographische Berichte, Band I, S. 135. Stenographische Berichte, Band 11, S. 392. 106 Stenographische Berichte, Band 11, S. 452. 107 Vgl. z.B. BayVerfGH 37,1011108; Gunst, AfK 1990, 189/197; Schunck, Die verfassungsrechtliche Sicherung der Selbstverwaltung der Gemeinden, S. 476f.; 104
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dings wurde bereits Jahrzehnte vor Erlaß der Bayerischen Verfassung von 1946 insbesondere durch Hans Peters die Unhaltbarkeit solcher Ursprungsmythen bewiesen. Dabei ist das oft in den Vordergrund gestellte Argument, die Gemeinden und damit deren Selbstverwaltungsrecht könnten nicht ursprünglich sein, weil die Gemeinden im Laufe der Jahrhunderte vielfachen Gebiets- und Bestandsänderungen, die der Staat vorgenommen habe, ausgesetzt gewesen wären 108, nicht unbedingt stichhaltig. Denn zweifelsohne kann die Aussage, die Gemeinden seien "ursprünglich", also vorstaatlich und deswegen älter als der Staat, auch auf die Gattung "Gemeinde" bezogen werden, so daß einzelne Umgestaltungen von Gemeinden noch nicht zwingend gegen die "Ursprünglichkeit" sprechen. Die Kritik muß vielmehr aus einer anderen Richtung erfolgen: Wird der Begriff der "Gemeinde" zum Inhalt einer Verfassung gemacht, so wird er spätestens zu diesem Zeitpunkt zu einem Rechtsbegriff lO9 • Daraus folgt aber, daß der gegenständlich-tatsächliche Ursprung der Gemeinden, die ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt betrachtet und auf die Gattung insgesamt bezogen tatsächlich älter als der Staat sind, rechtlich vollkommen unerheblich ist. Denn die Frage des gegenständlich-tatsächlichen Ursprungs der Gemeinden darf nicht mit der Frage nach deren rechtlicher Existenz, die durch die Begriffsmerkmale Gemeindeangehörige, Gemeindegebiet und darauf bezogene Gemeindegewalt gekennzeichnet ist, verwechselt werden. Selbst wenn die Gemeinden faktisch die genuine Siedlungsform darstellen, wird der natürliche Personenverband erst durch die konstitutive Versehung mit einem Rechtsstatus zur juristischen Person "Gemeinde". Da der rechtliche Status der Gemeinde der eines Hoheitsträgers ist, kann dieser Status genetisch wie inhaltlich nur vom Staat abgeleitet werden. Nur der demokratische Staat ist unmittelbar und unteilbar aus dem Volke heraus als Herrschaftsverband legitimiert, hoheitliche Funktionen und hoheitliche Macht auszuüben. Von daher kann auch nur er die von anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts auszuübende Hoheitsgewalt weitergewähren. Da zur Ausübung von Selbstverwaltung auch immer die Ausübung von Hoheitsgewalt gehört, handelt es sich bei den Gemeinden im Rechtssinn um staatliche Schöpfungen, weil alle hoheitliche Machtausübung vom Volke ausgehend von den besonderen Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung beständig auch auf das Volk hin Hoegner, BayVBI. 1963, 97; weitere FundsteIlen bei Sachs in: Stern, Staatsrecht III/ I, S. 384. 108 Vgl. Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung, S. 21 ff.; vgl. auch die im Laufe der Verfassungsgebung 1946 geäußerte Ansicht Nawiaskys, Stenographisehe Berichte, Band 11, S. 452. 109 Vgl. die Definition der Gemeinde in Art. 22 Abs. I BayGO; vgl. auch Klüber, Das Gemeinderecht in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, S. 12f. 12 Lissack
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zurückführbar sein muß. Dieser Legitimationsfluß gestattet keine Unterbrechung, kein selbständiges Dazwischentreten möglicher dritter Autorisierungsinstanzen 110. Damit mögen die Gemeinden ihrer Gattung nach unter rein tatsächlichgegenständlichem Gesichtspunkt "ursprünglich" sein. Rechtliche Bedeutung für die Rechtsnatur des Selbstverwaltungsrechts kann dies aber nicht haben 111. Tatsächlich kann man somit die "Ursprünglichkeit" als "mystisch-antiquierte Ursprünglichkeitsdeklamation"112 bzw. als Ausdruck eines "Schöpfungsmythos"l13 bezeichnen. Ob das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht grundrechtlich oder grundrechtsähnlich gewährleistet wird, ist somit ein von der Qualifizierung der Gemeinden als ursprüngliche Gebietskörperschaften unabhängig zu lösendes Problem, das ausschließlich damit zusammenhängt, inwieweit eine grundsätzliche Ähnlichkeit der Grundrechte mit dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht bejaht werden kann (hierzu III.). Damit verbleibt allerdings die Frage, ob mit der Ursprünglichkeit nicht eine andere - konkrete - Rechtsaussage verbunden werden kann (hierzu 11. 2-4). Es zeigt sich, daß die Aufnahme der "Ursprünglichkeit" in den Text der Bayerischen Verfassungs urkunde einen verfassungsgeberischen Mißgriff und Anachronismus darstellt. Denn mit der Qualifizierung der Gemeinden als vorstaatliche, originäre Gebilde, die älter als der Staat seien, wird der Verfassungsinterpret, der aus Rechtssätzen auch regelmäßig Rechtsfolgen ableiten Will 114, der Gefahr ausgesetzt, in der "Ursprünglichkeit" nicht nur eine rein auf die gegenständlich-tatsächliche Genese der Gemeinden bezogene Aussage zu sehen, sondern damit die Behauptung zu verbinden, die rechtliche Existenz der Gemeinden und deren Hoheitsgewalt seien nicht vom Staat abgeleitet. Eine solche Aussage verfolgte in vordemokratischen 110 Vgl. hierzu nur Schmidt-lortzig, Kommunale Organisationshoheit, S. 125, 134ff.; Schmidt-lortzig spricht zu Recht davon, daß diejenigen Ansichten, die eine "Ursprünglichkeit" der Gemeinden befürworten, sich gegenüber einem Verständnis des Staates als der umfassenden und immer erst von der Gesellschaft selbst konstituierten Hoheitsorganisation kompromittierten. Vgl. auch Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung, S. 21 ff. 111 Vgl. nur Badura, DÖV 1963, 561; Henrichs, DVBl. 1951, 7281734; Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung, S. 20ff., S. 53 ff.; Stern in: BK, Art. 28 Rn. 70. 112 Bethge, Das Selbstverwaltungsrecht im Spannungsfeld zwischen institutioneller Garantie und grundrechtlicher Freiheit, S. 150. Vgl. auch Roters (in: v. Münch, GG, Art. 28 Rn. 33), der die Aussage des Art. 1 I 1 GO, die dem des Art. 11 11 I BV entspricht, als aussageblasses Relikt einer genossenschaftlichen Vorstellung bezeichnet. 113 Steiner in: Berg/Knemeyer/PapierlSteiner, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, S. 114. 114 Vgl. Badura, DÖV 1963,561.
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Zeiten den politischen Zweck, den Demokratiegedanken wenigstens auf kleinster Ebene zu befördern. Mit der Ableitung aller Hoheitsgewalt vom Volke ist dieses Erklärungsmodell aber nicht nur überflüssig geworden, sondern nachgerade außerdemokratisch und verfassungsrechtlich unhaltbar. Daß solche vordemokratischen Ansichten - offensichtlich angeregt durch die verfassungsrechtliche "Ursprünglichkeitsideologie" - in der gegenwärtigen Verfassungsrealität ihren Platz einnehmen, wurde bereits dargestellt. Wenn der Bayerische Verfassungsgerichtshof in der Fischereirechte-Entscheidung feststellt, daß das Recht der Gemeinden, ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwalten, den Gemeinden weder vom Staat verliehen noch von diesem abgeleitet sei, sondern das Selbstverwaltungsrecht eine originäre Befugnis sei 115, erliegt das Gericht oben geschilderter Gefahr 1 16. Für die Verfassungsdiskussion darf die "Ursprünglichkeit" somit weder ausdrücklich noch inzidenter dazu benutzt werden, verfassungsrechtliche Gräben zwischen den Gemeinden einerseits und den Gemeindeverbänden andererseits aufzureißen. Insbesondere kann sie nicht die Qualität des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als grundrechtsähnlich erklären, da das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden vom Staate verliehen ist und nicht eine vor- oder außerstaatliche Befugnis darstellt. 2, Die Deutung der "Ursprünglichkeit" im Sinn einer individuellen Bestandsgarantie der bayerischen Gemeinden? Auch die Interpretation als Kürzel einer verfassungsmäßig gewähr(leiste )ten individuellen Bestandsgarantie scheidet aus. Den Architekten der Bayerischen Verfassung ging es nicht darum, eine solche Bestandsgarantie der Gemeinden zu verorten. In diesem Zusammenhang wiegt allerdings die Stimme Hoegners - des mit Nawiasky wichtigsten Schöpfers der Landesverfassung - schwer. In seinem Lehrbuch zur Bayerischen Verfassung nimmt er zur Ursprünglichkeit der bayerischen Gemeinden wie folgt Stellung: "In dieser Begriffsbestimmung ist die Rechtsauffassung der Verfassunggebenden Landesversammlung niedergelegt, daß die Gemeinden nicht etwa nur Gegenstand staatlicher Gebietseinteilung, nicht bloße Verwaltungseinrichtungen des Staates sind und deshalb nach Belieben aufgehoben werden könnten, sondern daß sie ihren Bestand aus vorstaatlichem Recht, gewissermaßen aus Naturrecht herleiten. Daraus ergibt sich zwinBayVerfGH 37,1011108. Es muß schon verwundern, daß auf diese Äußerung hin - soweit ersichtlich kein Aufschrei durch die Literatur ging. Dies zeigt erneut, daß die Wissenschaft die Befassung mit dem Landesverfassungsrecht in sträflicher Weise vernachlässigt. 115
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gend das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden. Sie können gegen den Mehrheitswillen ihrer Bürger in ihrem Bestande nicht geschmälert werden"ll7. Hieraus läßt sich ablesen, daß Hoegner anscheinend der Auffassung gewesen ist, die "Ursprünglichkeit" der Gemeinden beinhalte auch eine individuelle Bestandsgarantie. Zur Untermauerung dieser Ansicht zitiert Hoegner den Berichterstatter Schwalber, der das Selbstverwaltungsrecht als in der natürlichen Ordnung begründet und somit als nicht vom Staat abgeleitet und nicht vom Staat entziehbar angesehen hat l18 . Und weiter erklärt Hoegner, daß Nawiasky Hoegners Ansicht, "daß die Gemeinden nicht willkürlich vom Staate beseitigt werden könnten" I 19, beistimmte 120. Sollte Hoegner tatsächlich der Ansicht gewesen sein, daß sich im Verfassungsausschuß die Meinung etabliert hatte, daß mit der "Ursprünglichkeit" eine individuelle Bestandsgarantie der Gemeinden verbunden sein sollte, so stimmt das jedenfalls mit den von Hoegner selbst zur Untermauerung seiner Ansicht herangezogenen Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassungsgebenden Landesversammlung nicht überein. In bezug auf die Frage nach der Auflösung von Gemeinden ist regelmäßig nur davon die Rede, daß die Gemeindebevölkerung vor solchen Maßnahmen befragt werden müsse 121 . Dem zitierten Berichterstatter Schwalber geht es bei all seinen Äußerungen als Referent für das kommunale Selbstverwaltungsrecht vor allem um die seiner Ansicht nach naturrechtliehe Herleitung und geschichtliche bzw. soziologische Fundamentierung der gemeindlichen Selbstverwaltung. Eine individuelle Bestandsgarantie spricht er zu keiner Zeit an, so daß nicht recht ersichtlich ist, ob er sich bewußt war, daß seine Thesen mit einer individuellen Bestandsgarantie in Verbindung gebracht werden konnten. Der von Hoegner zur Festigung seiner Ansicht herangezogene Nawiasky hat lediglich festgestellt, die Gemeinden dürften nicht willkürlich beseitigt werden. Aus dieser Aussage kann aber auch der Schluß gezogen werden, Nawiasky habe betonen wollen, daß die Auflösung einzelner Gemeinden eines rechtfertigenden Grundes bedarf. Auch wäre vorstellbar, daß er mit dem Passus "die Gemeinden" das Institut der gemeindlichen Selbstverwaltung gemeint hat. Jedenfalls lag Nawiasky nichts ferner, als einer verfassungsrechtlich fixierten individuellen Bestandsgarantie das Wort zu reden. Wie selbstverständlich ging er davon aus, daß Gemeinden im Bestand oder Hoegner, Lehrbuch des Bayerischen Verfassungsrechts, S. 34 f. Zitiert nach Hoegner, ebenda, S. 35; entspricht Stenographische Berichte, Band. I, S. 133. 119 Hoegner, Lehrbuch, S. 35. 120 Hoegner, ebenda, S. 35 unter Berufung auf Stenographische Berichte, Band I, S. 136. 121 Vgl. Stenographische Berichte, Band. I S. 139 und Band. III S. 732. 117 118
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im Gebiet geändert werden könnten. Ausdrücklich äußerte er - ohne daß Hoegner oder ein sonstiges Mitglied im streitbaren Ausschuß Widerspruch einlegten - folgende Ansicht: "Der Staat kann durch seine Gesetzgebung Gemeinden vereinigen, er kann sie aufteilen. Das ist unbestritten und infolgedessen haben sie rechtlich keine ursprüngliche Gestalt" 122. Deutlich wird hier der von Hoegner in seinem Lehrbuch offensichtlich vertretenen Deutungsmöglichkeit der Ursprünglichkeit im Sinne einer verfassungsrechtlich festgeschriebenen individuellen Bestandsgarantie der Gemeinden eine im Aussschuß widerspruchslos hingenommene Absage erteilt. Auch wird man annehmen dürfen, daß der Verfassungsgeber eine individuelle Bestandsgarantie ausdrücklicher geregelt hätte, wenn er tatsächlich eine solche in die Verfassung hätte aufnehmen wollen. Schließlich dürfte den Vätern der Bayerischen Verfassung noch deutlich das Urteil des Staatsgerichtshofs vom 11. Dezember 1929 zur Frage der Rechtsgültigkeit des preußischen Gesetzes über die kommunale Neugliederung des rheinischwestfälischen Industriegebietes vom 29. Juli 1929 in Erinnerung gewesen sein. Zur Auslegung des Art. 127 WRV wurden die Legende gewordenen und vielfach auch noch unter der Geltung des Bonner Grundgesetzes zitierten Sätze geprägt: "Art. 127 WRV bedeutet kein bloßes Programm ohne rechtlichen Gehalt, er setzt vielmehr bindend fest, daß den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung zusteht. Die Landesgesetzgebung darf daher dieses Recht nicht aufheben und die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten nicht den Staatsbehörden übertragen. Sie darf die Selbstverwaltung auch nicht derart einschränken, daß sie innerlich ausgehöhlt wird und nur noch ein Scheindasein führen kann. Nicht aber ist aus Art. 127 herzuleiten, daß er den Gemeinden die Selbstverwaltungsrechte in ihren Einzelheiten verbürge, die ihnen zur Zeit der Verkündung der Verfassung zustanden, oder daß er den einzelnen Gemeinden, die damals vorhanden waren, ihre dauernde Erhaltung zusichere. Dafür läßt sich weder aus seinem Wortlaut etwas entnehmen noch aus der Entstehungsgeschichte'd23. Und auch die in der zitierten Entscheidung folgenden Erwägungen zu Art. 70f. der Preußischen Verfassung vom 20. November 1920 124 waren den Stenographische Berichte, Band. 11, S. 452. StGH vom 11. Dezember 1929 in: Lammers/Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, S. 991107 und Leitsätze 4 und 5, auch abgedruckt in GRZ Bd. 126, Anhang S. 14ff. 124 Art. 70 PrVerf.: "Den politischen Gemeinden und Gemeindeverbänden wird das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten unter der gesetzlich geregelten Aufsicht des Staates gewährleistet" Art. 71 PrVerf: ,,(1) Der Staat gliedert sich in Provinzen. (2) Die Gliederung der Provinzen in Kreise, Städte, Landgemeinden und andere Gemeindeverbände sowie die Verfassung, die Rechte und Pflichten der Gemeindeverbände werden durch Gesetz geregelt." 122 123
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um das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht besonders besorgten 125 Schöpfern der Bayerischen Verfassung sicherlich noch bekannt: "Art. 70 findet seine Erläuertung und Ergänzung durch Art. 71 ... Damit ist der Gesetzgebung die Gliederung in allen ihren Beziehungen übertragen ... Gerade wenn der verfassunggebenden Landesversammlung als Ziel der Ausbau der Selbstverwaltung vor Augen stand, wäre es unzweckmäßig gewesen, die Bewegungsfreiheit des Gesetzgebers zu beschränken. Dem Ausbau einer kraftvollen Selbstverwaltung kann die Aufhebung unzweckmäßiger Gemeindegrenzen ebenso dienen, wie die Übertragung einzelner bisher von den Gemeinden verwalteter Angelegenheiten auf staatliche Stellen,,126. Der bayerische Verfassungsgeber hat also wohl nicht eine individuelle Bestandsgarantie der Gemeinden in Erwägung gezogen, so daß Hoegners Ansicht zur diesbezüglichen Interpretation der "Ursprünglichkeit" in den von ihm herangezogenen stenographischen Berichten keine Stütze findet. Noch nicht einmal Hoegner selbst äußerte dort eine solche Ansicht. Zudem wurde oben dargelegt, daß aus der tatsächlich-gegenständlichen Ursprünglichkeit der Gemeinden keine Rechtsfolgen abzuleiten sind, da sie ihre rechtliche Existenz dem Staat verdanken. Dieser kann damit auch über die individuelle Existenz einer Gemeinde verfügen. Hoegners Ansicht ist also Konsequenz und Opfer der verfehlten Gleichstellung von Gemeinde im rechtlichen und Gemeinde im tatsächlichen Sinn. Von daher verwundert es nicht, wenn der Verfassungs gerichtshof zu keiner Zeit daran dachte, eine gemeindliche Bestandsgarantie aus der Verfassung abzuleiten 127. Deshalb stellte er zu Recht fest: "Die kommunale Selbstverwaltung muß als solche erhalten bleiben; nicht gewährleistet ist hingegen der Bestand der einzelnen Gemeinde ... Die wissenschaftliche Kontroverse aus der Zeit der Weimarer Reichsverfassung zur Frage, ob die Selbstverwaltungsgarantie zugleich eine Bestandsgarantie der Gemeinden ist ... , war den Mitgliedern der Verfassungsgebenden Landesversammlung bekannt. Es ist mithin davon auszugehen, daß der Wille nach Ausdehnung der institutionellen Garantie für die Gemeindeautonomie im Sinne einer Sicherung des Bestandes der einzelnen Gemeinde gegen staatliche Eingriffe in den Beratungen und der Bayerischen Verfassung ihren Niederschlag gefunden hätte; das ist jedoch nicht der Fall. Lediglich im Zusammenhang mit dem Begriff der Gebietskörperschaft war davon die Rede, daß eine 125 Nawiasky macht sich teilweise über die das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht naturrechtlieh verklärenden Väter der Bayerischen Verfassung lustig, vgl. nur Stenographische Berichte, Band 11, S. 390: "Die Herren, die die Gemeinden mit einer Gloriole umgeben wollen ... ". Vgl. auch S. 391: "Es wird aber festgestellt, daß auch in diesem Heiligtum, der Gemeinde, das Prinzip der Demokratie gilt". 126 StGH vom 11.12. 1929 in: Lammers/Simons, S. 991108. 127 Vgl. nur BayVerfGH 7, 1131118; 31, 991123.
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Gemeinde gefragt werden müsse, wenn eine Änderung des Gemeindegebiets erforderlich wird; an anderer Stelle ist davon die Rede, daß die Gemeindebevölkerung gefragt werden müsse ... Art. II 11 BV besagt, daß in die Selbstverwaltung der Gemeinden nicht anders als auf gesetzliche Weise eingegriffen werden darf. Hingegen ist dieser Verfassungsnorm keine Aussage zu entnehmen über die Entstehung und die Auflösung der Gemeinden und über die Veränderung der Grenzen derselben. Auch folgt aus ihr nicht, daß die einzelne Gemeinde ein verfassungskräftiges Recht auf Fortbestand habe"I28.
3. Die "Ursprünglichkeit" als Auslegungsregel Die "Ursprünglichkeit" könnte aber als verfassungsrechtlich poslt!vlerte Auslegungsregel interpretiert werden. Gemeindliche Selbstverwaltung ist über die Jahrhunderte gewachsen. Teilweise wird behauptet, gewisse gemeindliche Aufgaben ließen sich sogar bis ins Spätmittelalter nachweisen l29 . Dann läge es nahe, die "Ursprünglichkeit" der Gemeinden dahingehend zu verstehen, daß der Gesetzgeber bei Ausgestaltung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts die besondere historische Dimension der Gemeinden und deren Selbstverwaltungsrechts zu berücksichtigen habe. Diese Interpretation hätte allerdings keinen besonderen Erkenntniswert, da die geschichtliche Rückkoppelung durch die Anwendung der sog. Historischen Methode sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom Verfassungsgerichtshof als wohl wichtigste Auslegungsmethode zur Bestimmung des Wesensgehalts des Selbstverwaltungsrechts bzw. zur Beurteilung der Zulässigkeit von das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden berührenden Maßnahmen herangezogen wird.
4. Die Deutung der "Ursprünglichkeit" als Verfassungsänderungsverbot im Sinn von Art. 75 I 2 BV Allerdings kann man vor dem Hintergrund der geschilderten Entstehungsgeschichte des Art. 11 BV und insbesondere auch angesichts der speziellen Feststellung in Art. 11 IV BV zu der Auffassung gelangen, daß die "Ursprünglichkeit" nicht nur eine Unterstreichung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts 130 darstellt, sondern ein sprachlich kaschiertes, aber positiviertes Verfassungsänderungsverbot, das dem bayerischen verfassungs128 129 130
BayVerfGH 31, 99/123. Vgl. Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 3 f. Vgl. Hoegner, Lehrbuch, S. 35.
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ändernden Gesetzgeber engere Schranken auferlegt, als dies Art. 79 GG dem verfassungsändernden Bundesgesetzgeber aufgibt. Art. 79 III GG kann keine unabänderbare Gewährleistung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts entnommen werden l3l , weder über das Demokratie- noch das Bundesstaatsgebot. Der Bundesverfassungsgeber hätte sich einer Regelung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts auch ganz enthalten können. Eine Inkorporation der bundesverfassungsrechtlichen Gewährleistung des kommunalen oder auch nur des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts würde verkennen, daß die Bezugnahme in Art. 79 III GG auf Art. 1 GG und vor allem in diesem Zusammenhang auf Art. 20 GG eine ausschließende Wirkung hat. Eine andere, hiervon zu scheidende Frage ist aber, inwieweit der bayerische verfassungs ändernde Gesetzgeber gehindert ist, die gemeindliche oder kommunale Selbstverwaltung gänzlich zu beseitigen 132. Der Qualifizierung der Gemeinden als "ursprünglich" fällt nach hier vertretener Ansicht die Bedeutung zu, außer Streit zu stellen, daß die Institution der gemeindlichen Selbstverwaltung verfassungs änderungs fest im Sinn von Art. 75 I 2 BV ist, gerade weil es - auch mit Blick in andere Demokratien - umstritten ist, ob es sich hierbei um ein Wesensmerkrnal des demokratischen oder des bundesstaatlichen Staatsaufbaus handelt l33 . Vorzug dieser Interpretation ist, daß auf der einen Seite der Wille des Verfassungsgebers weitgehend berücksichtigt werden kann und die gemeindliche Selbstverwaltung tatsächlich eine besondere Wertigkeit, auch im Vergleich zu der Selbstverwaltung der Gemeindeverbände erhält. Auf der anderen Seite kann dem Begriff der "Ursprünglichkeit" auf diese Weise eine rein funktionale Bedeutung zugemessen werden. Diese Auslegung des Begriffs der Ursprünglichkeit legt auch Art. 75 I 2 BV nahe, da es nach dieser Bestimmung darauf ankommt, ob die in Frage stehende Verfassungsänderung dem demokratischen Grundgedanken der Bayerischen Verfassung - und nicht etwa allgemeiner Staatsrechtsdoktrin - widerspricht. Die Verknüpfung zum demokratischen Gedanken wird darüberhinaus auch durch Art. 11 IV BV hergestellt, der die Selbstverwaltung der Gemeinden als Fundament staatlicher Demokratie nennt.
131 Vgl. Lissack, § 1 Rn. 61 unter Verweis auf BVerfGE vom 29. Oktober 1993 2 BvR 2203/93 -, nicht veröffentlicht. 132 Vgl. Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 28 Fn. 2. 133 Hierzu Stern, Staatsrecht I, S. 471; Frotscher, Selbstverwaltung und Demokratie, S. 143.
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5. Zusammenfassung - Die Schöpfer der Bayerischen Verfassung hingen in ihrer Mehrheit einem durch den Dualismus von Staat und Gesellschaft geprägten Denken an, das die Gemeinde pauschal als vorstaatlich ansieht, ohne daß hinreichend zwischen Gemeinde im tatsächlich-gegenständlichen und Gemeinde im rechtlichen Sinn differenziert worden wäre. Anders als der Verfassungsgeber des Grundgesetzes, der mit Art. 28 11 GG an den zur institutionellen Garantie umgedeuteten Art. 127 WRV anknüpfte, diesen aber inhaltlich stark anreicherte, scheint der bayerische Verfassungsgeber - vielleicht unbewußt - eher "das staatsgerichtete Grundrecht gesellschaftlicher Prägung,.t34 des § 184 der Paulskirchenverfassung zum Vorbild gehabt zu haben. - Weil es in einer zu konstituierenden Demokratie aber nicht mehr um die Errichtung bürgerlicher Freiheitssphären unter dem Schutzmantel des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts gehen konnte, erschöpft sich die "Ursprünglichkeit" in einer verfassungshistorisierenden Deklamation der besonderen Bedeutung der gemeindlichen Selbstverwaltung für den dezentral gegliederten Staat. Besondere Rechtsfolgen kann man heute mit der "Ursprünglichkeit" nicht verbinden. Dies gilt auch für eine individuelle Bestandsgarantie der Gemeinden. Will man der Bestimmung eine aktuelle Bedeutung zukommen lassen, so bietet sich allenfalls die Interpretation als eine Vorschrift an, die die Bayerische Verfassung in bezug auf die gemeindliche Selbstverwaltung als Institution veränderungs fest im Sinn von Art. 75 12 BV macht. - Jedenfalls zwingt die adjektivische Charakterisierung der Gemeinden als "ursprünglich" nicht dazu, das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht nach bayerischem Verfassungsrecht als grundrechtsähnliches Recht aufzufassen. Vielmehr ist vom Verfassungsinterpreten unabhängig von einer "Ursprünglichkeit" zu untersuchen, ob eine grundrechtliche oder grundrechtsähnliche Garantie vorliegt.
111. Grundrecht und "Grundrechtsähnlichkeit" Will man mit dem Begriff der Grundrechtsähnlichkeit operieren und ihn auf das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden anwenden, muß geklärt werden, was ein Grundrecht ist und ob das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden bereits als ein solches anzusehen ist.
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Stern in: BK, Art. 28 Rn. 67.
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1. Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht ist kein Grundrecht Der Begriff des Grundrechts taucht in einer deutschen Verfassung zum ersten Mal in der Paulskirchenverfassung auf. Allerdings wurde ein Grundrechtekatalog bereits am 17. Dezember 1848 als "Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes" im Reichsgesetzblatt verkündet; die Grundrechte wurden dann mit einigen Ergänzungen in den Abschnitt VI der Verfassung des Deutschen Reichs vom 28. März 1849 aufgenommen 135 . In den bayerischen Verfassungs urkunden von 1808 und 1818 finden sich bereits wenige dem Inhalt nach grundrechtliche Bestimmungen: In der Verfassungsurkunde von 1808 wird im Ersten Titel, § VII, erklärt, der Staat "gewähre" allen Staatsbürgern Sicherheit der Person und des Eigentums, ~ollkommene Gewissensfreiheit sowie bedingte Pressefreiheit. In der Verfassungsurkunde von 1818 finden sich insgesamt etwas ausführlichere Rechtekodifikationen, wobei die in der Verfassungs urkunde von 1808 genannten Rechte weitgehend wortlautgleich übernommen werden. Niemals ist dabei aber - typisch für die Konstitutionen des Vormärz 136 - von Grund- oder Menschenrechten die Rede, allenfalls von allgemeinen Rechten und Pflichten (Verfassungsurkunde von 1818). In beiden bayerischen Verfassungsurkunden handelt es sich daher nur um "Gewährungen" von Rechten durch den Souverän, nicht um Gewährleistungen, natur- oder menschenrechtliche Anklänge werden vermieden 137. Erst in der Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern vom 14. August 19l9finden wir den Dritten Abschnitt mit dem Begriff "Grundrechte" überschrieben. a) Die Menschenwürde als Grund für die Gewährleistung von Grundrechten In der aktuellen (insbesondere Kommentar-)Literatur besteht keine allzu große Neigung, einen allgemein gültigen, verfassungsübergreifenden Begriff der Grundrechte zu prägen; vielmehr wird regelmäßig von der konkret zu interpretierenden Verfassung ausgegangen, um das dort vorzufindende System der Grundrechte zu erschließen. Hingegen ist der Grund für die Gewährleistung von Grundrechten Gegenstand breiter, insbesondere auch verfassungshistorischer Erörterungen. Insoweit besteht ein grundsätzlicher Konsens in Literatur und Rechtsprechung:
135 Vgl. Stern, HStR V, § 108 Rn. 24 ff. Vgl. zur Geschichte des Begriffs der Grundrechte Kleinheyer, Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte, S. 1047ff., insbes. 1070ff. 136 Vgl. hierzu Würtenberger, VVDStRL 58 (1998), 165ff. 137 Kleinheyer, a.a.O., S. 1070ff.; Stern, HStR V, § 108 Rn. 23.
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Der Mensch ist kraft seiner Existenz mit Menschenwürde und Personenhaftigkeit versehen, das Individuum hat einen sittlichen Eigenwert. ..Der Mensch als Person ist Träger höchster geistig-sittlicher Werte und verkörpert einen sittlichen Eigenwert, der unverlierbar und auch jedem Anspruch der Gemeinschaft, insbesondere allen rechtlichen und politischen Zugriffen des Staates und der Gesellschaft gegenüber eigenständig und unantastbar ist,,138. Diese Erkenntnis ist, unabhängig davon, ob sie theologisch, philosophisch, juristisch, politisch oder durch andere Sichtweisen veranlaßt begründet wird, unbezweifelbar. Aus der Menschenwürde ergeben sich unmittelbar Rechte, die dem Einzelnen zunächst als überpositive, vorstaatliche Menschenrechte zukommen und losgelöst von ihrer Positivierung bestehen. Diese natürlichen Rechte sind unveräußerlich und voraussetzungslos. Sie kennzeichnen die menschliche Persönlichkeit, ihren Wert und ihre Würde. Solange diese Menschenrechte, die ursprünglich durch die Trias Leben, Freiheit und Eigentum charakterisiert wurden l39 , nicht verfassungsmäßig niedergelegt sind, haben sie allerdings keinerlei besondere juristische Durchsetzungskraft, zum einen, weil in einem gewissen Grenzbereich nicht klar ist, welche Verhaltensweisen bzw. Rechtsgüter als von den Menschenrechten erfaßt zu zählen sind, zum anderen, weil erst die Positivierung in einer Urkunde die Bereitschaft der staatlichen Gewalt beweist, diese als für sich bindend anzuerkennen. Solange die Menschenrechte nicht positiviert sind, haben sie nicht die Qualität von ..Berechtigungen", sondern sind allenfalls objektive Maßstäbe für die Ausübung staatlicher Herrschaft, die die staatliche Gewalt berücksichtigen, aber auch übergehen kann. Erst mit ihrer Positivierung werden die Menschenrechte zu Grundrechten. Man kann die Positivierung der Menschenrechte nun als einen Akt der Trivialisierung hehrster und heiligster Werte bezeichnen; beklagen darf man dies aber nicht, weil erst die Positivierung dieser Werte die Respektierung und Anerkennung des Individuums durch den Staat beweist. Deswegen läßt sich sagen: Grundrechte sind institutionell verbürgte Menschenrechte l4o . Natürlich ist diese Aussage plakativ und deswegen in Randbereichen zu korrigieren. Insbesondere ist nicht jedes Grundrecht ein Menschenrecht, weil es dem Verfassungsgeber bei der Festlegung von Grundrechten freisteht, über das durch die Menschenwürde geforderte Mindestmaß hinauszugehen l41 . Von daher ist nicht zwingend jedes einzelne Grundrecht Ausprägung des obersten Rechtssatzes, der die Menschenwürde zum Inhalt hat. Allerdings steckt in dieser letztlich auch Art. I GG zugrunde liegenden BayVerfGH 1,29/32. Vgl. nur Oestreich. Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß. S. 12. 140 Kriele, Zur Geschichte der Grund- und Menschenrechte, in: FS für Sorpin, S. 188. Vgl. auch Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft im Bundeststaat, S. 107f. 138 139
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Sichtweise l42 der Ausgangsgedanke, daß die Menschenwürde Urgrund aller grundrechtlichen Gewährleistungen - egal welcher Ausprägung - ist. Dies unabhängig davon, ob etwa ein politisches oder wirtschaftliches Grundrecht inmitten steht. Weil der Mensch Zweck als solcher ist, ist er von Geburt an Rechtssubjekt, Träger von Menschenrechten bzw. Grundrechten. Diese sollen verhindern, daß die staatliche Gewalt über das Individuum als Mittel zum staatlichen Zweck verfügt. Grund der Gewährleistung von Grundrechten ist damit das in der Menschenwürde im allgemeinen und in den einzelnen Menschenrechten im speziellen liegende Verbot, den Menschen als staatliche Funktion zu betrachten oder zu behandeln. Daraus folgt, daß das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht kein Grundrecht ist, weil das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht nicht auf die Menschenwürde zurückgeführt werden kann und zudem den Gemeinden gerade und damit im Unterschied zum Menschen eine staatliche Funktion zukommt bzw. zukommen so1l143. Die Gemeinden haben nicht die Wahl, das Selbstverwaltungsrecht auszuüben oder auf die Ausübung zu verzichten, wohingegen Grundrechte auch immer die Möglichkeit in sich tragen, von einer Freiheit gerade keinen Gebrauch zu machen 144. Dem Recht auf Selbstverwaltung korrespondiert vielmehr eine Pflicht zur Selbstverwaltung l45 . Gewiß hat die gemeindliche Selbstverwaltung für die Ausübung der Grundrechte durchaus eine Bedeutung, und zwar in ähnlicher Weise wie das Prinzip der (horizontalen, aber auch vertikalen) Gewaltenteilung. Wenn in der französischem Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 formuliert wurde, "Toute societe, dans laquelle la garantie des droits n'est pas assuree, ni la separation des pouvoirs determinee, n'a point de constitution,'d46, dann zeigt sich darin, daß das Prinzip der Gewaltenteilung Grundbedingung für die Schutzwirkung der Grundrechte ist, ohne daß
141 Insbesondere sind nicht nur die "Iiberalen" Menschenrechte der Einzelperson, sondern auch die politischen Staatsbürgerrechte Grundrechte, vgl. aber Schmitt, Verfassungslehre, S. 163 ff. 142 Vgl. Dürig, AöR 81 (1956), 1l7ff.; vgl. auch Stern, Staatsrecht III/1, S. 33ff. m. w. N.; ders., HStR § 109. 143 Das hat das Bundesverfassungsgericht in aller Deutlichkeit und mit wenigen Worten treffend umschrieben: "Indem der Verfassungsgeber die Institution gemeindlicher Selbstverwaltung nicht nur in ihrer überkommenen Gestalt aufgegriffen hat, sondern mit eigenen Aufgaben jn den Aufbau des politischen Gemeinwesens und der grundgesetzlichen Ordnung eingefügt hat, hat er ihr eine spezifische Funktion beigemessen, die der Gesetzgeber zu berücksichtigen hat" (BVerfGE 79, 127/155). 144 Von daher ist der Verzicht auf die Einführung einer Wahlpflicht durchaus systemkonform. 14S Vgl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte. S. 292. 146 Zu deutsch: "Eine Gesellschaft, in der die Verbürgung der Rechte nicht gesichert und auch die Gewaltenteilung nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung".
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dem Prinzip allerdings selbst Grundrechtscharakter zukäme. Erst im gewaltengeteilten Staat können positivierte Grundrechte eine über die philosophische Bekräftigung hinausgehende praktische Wirkung haben, weil bei Grundrechtsbeeinträchtigung durch eine Gewalt eine andere angerufen werden kann. In weit abgeschwächtem Umfang gilt das auch für die Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung. Zwar ist diese nicht zwingende Grundvoraussetzung für die praktische Ausübung von Grundrechten, doch wird die Gefahr der Beeinträchtigung oder Verkürzung grundrechtlicher Freiheit durch die Existenz kommunaler Selbstverwaltung verringert, da die für die gemeindliche Selbstverwaltung typische Nähe von hoheitlicher Gewalt ausübendem Amtsträger und Grundrechtsbetroffenem einerseits für ein besonderes Maß an Aussprache und Abstimmung sorgen wird 147 , andererseits gerade die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenerfüllung zu einem erhöhten Verantwortungsbewußtsein und damit insgesamt zu besonders schonendem Ausgleich von öffentlichen und individuellen Interessen führen wird, da sich die Amtsträger einer gesteigerten Überwachung ihrer Tätigkeit durch die Bürger sicher sein müssen. Gleichwohl ist kommunale Selbstverwaltung nur Katalysator grundrechtlicher Freiheit und nicht grundrechtliche Freiheit selbst. b) Die Erweiterung des Grundrechtsschutzes auf juristische Personen 148 Für die Qualität des Selbstverwaltungsrechts als Grundrecht spricht auch nicht die Erstreckung von Grundrechtsnormen auf juristische Personen. Ob nun grundrechtlicher Schutz gemäß Art. 19 III GG auf juristische Personen (des öffentlichen Rechts) übergeleitet wird oder dies aus dem Verfassungskontext geschlossen wird, immer geht es um eine Erstreckung von grundrechtlichen Gewährleistungen, deren Inhaber und Berechtigter zunächst der Mensch ist, auf juristische Personen. Ein Grundrecht bleibt auch dann ein Grundrecht, wenn das berechtigte Subjekt ausgetauscht wird. Voraussetzung für die Bejahung eines Grundrechts ist aber immer, daß originärer Inhaber das Individuum ist. Damit bestätigt gerade eine Vorschrift wie Art. 19 III GG, daß das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht kein Grundrecht darstellt, weil Träger des Selbstverwaltungsrechts niemals eine natürliche Person sein kann 149. 147 Vgl. nur Schmidt-Aßmann, Kommunale Selbstverwaltung "nach Rastede", S. 124ff. 148 An dieser Stelle soll die Problematik der Erweiterung des Grundrechtsschutzes auf juristische Personen nur angerissen werden. Eine detailliertere Darstellung findet sich im 9. Kapitel. 149 Vgl. in diesem Zusammenhang Bleckmann/Helm, DVBI. 1992,9/14.
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c) Zusammenfassung
- Grundrechte sind positivierte Menschenrechte. Der Grund für die Gewährleistung von Grundrechten liegt in der Idee von der Menschenwürde. Die Grundrechte sollen dem Individuum ein menschenwürdiges Dasein in selbstverwirklichender Freiheitsentfaltung sichern. Weil der Mensch Zweck per se ist, verfügt er über Menschenrechte. - Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht stellt kein Grundrecht dar l50 . Weil die Gemeinden Mittel zum Zweck sind, weil den Gemeinden eine Funktion zukommt, die sie zu erfüllen haben, ist ihr Selbstverwaltungsrecht kein Grundrecht. - Für die grundrechtliche Absicherung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts spricht auch nicht die (partielle) Grundrechtsfahigkeit von juristischen Personen, da sich die Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf juristische Personen damit erklären läßt, daß Inhaber der inmittenstehenden Freiheiten immer auch der einzelne sein könnte, was beim kommunalen Selbstverwaltungsrecht selbstverständlich nicht der Fall ist. 2. Die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung als kompetenzielle Strukturgarantie a) Die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung als institutionelle Garantie bzw. Einrichtungsgarantie
Bekanntlich wurde der Begriff der Einrichtungsgarantie von F. Klein in die deutsche Rechtssprache eingeführt l51 , nachdem M. Wolff die Institutsgarantie im Rahmen der Eigentumsgarantie des Art. 153 WRV erfand 152. Auf earl Schmitt geht die Unterscheidung von Institutsgarantie (Garantie privatrechtlicher Normkomplexe) und institutioneller Garantie (Garantie öffentlich-rechtlicher Normkomplexe) zurück 153, die sich alsbald in der Literatur der Weimarer Staatsrechtslehre durchgesetzt hatte l54 und die nach wie vor üblich ist l55 . Zu beachten ist ferner, daß die Unterscheidung zwischen institutioneller Garantie und Institutsgarantie wohl weniger bedeutend 150 Ganz herrschende Meinung; vgl. statt aller Stern, Kommentierung in BK, Art. 28 Rn. 68 m.w.N. 151 Klein, Institutionelle Garantien und Rechtsinstitutsgarantien, S. 2. 152 Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, S. 5 f. 153 Schmitt, Verfassungslehre, S. 170; ders., in: Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 140ff. 154 Vgl. die Nachweise bei Klein, Institutionelle Garantien, S. 50ff. 155 Vgl. die umfangreichen Nachweise bei Stern, Staatsrecht III/!, S. 776, Fn. 129.
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(dafür umso gebräuchlicher) sein dürfte als die Unterscheidung zwischen grundrechtlichen und nichtgrundrechtlichen Einrichtungsgarantien 156. Hauptschwierigkeit im Bereich der Dogmatik der Einrichtungsgarantien ist, daß überaus heterogene Erscheinungen unter dieser Kategorie zusammengefaßt werden, so daß praxistaugliche Definitionen für die Einrichtungsgarantien kaum gegeben werden können. In der grundlegenden Arbeit von Schmidt-Jortzig über die Einrichtungsgarantien der Verfassung wird folgende Definition formuliert: "Einrichtungs garantien sind die erkennbar gesteigerten, verfassungsgesetzlichen Fixierungen von bestimmten, rechtlich wie tatsächlich determinierten Faktoren grundlegend und eigengewichtig ordnender Funktion für das verfaßte Gemeinwesen,,157. Stern gibt eine besonders komplizierte Beschreibung: "Eine Einrichtungsgarantie ist dann gegeben, wenn die in ihr enthaltenen Objektivationen (Einrichtungen, Organisationsgebilde und rechtliche Grundfiguren) durch Normenkomplexe und tatsächliches Wirken formiert und abgrenzbar vorgefunden werden und im gewährleistenden Verfassungsrechtssatz so ausgestaltet sind, daß sie gewährleistet sein sollen, d. h. aufgrund ihrer historischen Verwurzelung und ihres Eigenwerts auch für die Zukunft des Gemeinschaftslebens besondere Stabilität und Kontinuität erhalten sollen"158. Von daher verwundert es nicht, daß große Unsicherheit darüber besteht, welche verfassungsrechtlichen Verbürgungen im einzelnen als Einrichtungsgarantien angesehen werden können. Genannt werden u. a. die akademische Selbstverwaltung, die staatliche Schulaufsicht, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach, die Gewährleistung der privaten Schulen, die kommunale Selbstverwaltung, das Berufsbeamtenturn, das unabhängige Richterturn, Ehe und Familie, Eigentum und Erbrecht, die Garantie der deutschen Staatsangehörigkeit, freie Presse, Rundfunkfreiheit, Koalitionsfreiheit und viele andere l59 . Demzufolge wird in der Gegenwart immer wieder die Frage gestellt, ob die dogmatische Figur der Einrichtungsgarantien nicht überholt sei 160. Tat156 Vgl. Dürig in: MaunzlDürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 1 Abs. III Rn. 97f. (1958 erschienen). Vgl. insbesondere auch Bethge, der zwischen kompetenzrechtlichen !lnd organisationsrechtlichen Institutionsgarantien unterscheidet und dabei die kompetenzrechtlichen Garantien dem staaatsorganisatorischem und die organisationsrechtlichen Garantien dem grundrechtlichen Bereich zuordnet: Bethge, Die Verwaltung 15 (1982), 205ff.; ders.: Das Selbstverwaltungsrecht im Spannungsfeld zwischen institutioneller Garantie und grundrechtlicher Freiheit In: FS für von Unruh, S. 149ff.; ders.: Grundrechtsschutz kommunaler Selbstverwaltung in Bayern?, in: GS für Riederer, S. 117ff. Vgl. auch Waechter, Die Verwaltung 23 (1990),48/49. 157 Schmidt-Jortzig, Die Einrichtungsgarantien der Verfassung, S. 31 f. 158 Stern, Staatsrecht III/l, S. 791. 159 Vgl. Schmidt-Jortzig, Die Einrichtungsgarantien der Verfassung, S. 32; Stern, Staatsrecht III/l, S. 797f.; Sachs in: ders. (Hrsg.): Grundgesetz, Vor Art. 1 Rn. 18.
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sächlich wird man davon auszugehen haben, daß für das Bestehen von Einrichtungsgarantien und damit auch für das Bestehen der institutionellen Garantien "keine apriorischen und damit für sich ableitungsfahigen Festlegungen in der Verfassung vorhanden sind". Es handelt sich bei der Lehre von den institutionellen und Institutsgarantien um das Resultat der Untersuchung verfassungsrechtlicher Anordnungen. Die Lehre von den Einrichtungsgarantien hat somit ihre Berechtigung in der systematisierenden Erfassung von wiederkehrenden Strukturen einzelner Verfassungsbestimmungen. Der Versuch, Gemeinsamkeiten einzelner Verfassungsbestimmungen unter den Begriff der Einrichtungsgarantien zu subsumieren, ermöglicht wiederum ein tieferes Verständnis der Einzelvorschriften. "Die Lehre von den Einrichtungsgarantien ist damit ein systematisiertes Zwischenergebnis der ~echtsanwendung und nicht ein Teil des Rechtes selbst oder gar ein Element der Rechtsgestaltung. Nur so kann das Theorem heute wissenschaftliche Geltung beanspruchen, so unklar das auch oft bleibt,,161. Damit ist aber zugleich gesagt, daß für die grundlegende Positionierung der gemeindlichen Selbstverwaltung der Begriff der Einrichtungsgarantie bzw. derjenige der institutionellen Garantie außer Betracht bleiben kann, weil aus diesen Begriffen nichts folgt, was nicht bereits in der Verfassungsbestimmung des Art. 11 11 2 BV angelegt wäre.
b) Art. 11 II BV als Staatsstrukturprinzip Aufgabe dieser Arbeit ist es nicht, eine Neuausdeutung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts darzubieten. Über die dogmatischen Grundlagen und die Ausgestaltung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts besteht im Grundsatz weitgehende Einigkeit. Hervorgehoben werden sollen an dieser Stelle nur diejenigen Charakteristika, die es ermöglichen, einen Vergleich der Grundrechte mit dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht anhand verschiedener Kriterien durchzuführen, so daß eine Ablehnung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als "grundrechtsähnliches Recht" unter sachgerechten Aspekten vollzogen werden kann. Die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung gemäß Art. 11 11 BV ist nicht nur zufällig im Ersten Hauptteil der Bayerischen Verfassung, der den Aufbau und die Aufgaben des Staates behandelt. verankert. Es handelt sich bei der Entscheidung für die gemeindliche, und darüber hinausgehend die kommunale Selbstverwaltung, um eine grundsätzliche Entscheidung zugunsten eines staatsrechtlichen Ordnungsprinzips. Die Gemeinden 160 Die Frage verneinend Schmidt-Jortzig. Die Einrichtungsgarantien der Verfassung, S. 10, 59 ff. Die Frage für den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung bejahend: Kenntner. DÖV 1998. 701 ff. sowie Waechter. Die Verwaltung 23 (1990), 48ff. 161 Schmidt-Jortzig, Die Einrichtungsgarantien der Verfassung, S. 24.
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werden, wie die in Art. 10 BV genannten Gemeindeverbände, den staatlichen Gebietskörperschaften an die Seite gestellt. Den Gemeinden und Gemeindeverbänden sind insbesondere auch wegen des verfassungs- oder einfachrechtlich zugewiesenen umfassenden gebietskörperschaftlichen Aufgabenzuschnitts Strukturmerkmale zu eigen, wie sie auch einen staatlichen Verband kennzeichnen 162. Die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung statuiert dabei die Absicherung eines öffentlich-rechtlichen Kompetenzkomplexes zugunsten der Gemeinden. Es handelt sich um die Garantie einer bestimmten Verwaltungsform und eines Komplexes von Verwaltungsfunktionen l63 . Mit der Entscheidung für die gemeindliche Selbstverwaltung wird über die Bestimmung in Art. 11 11 BV die Existenz einer staatlichen Funktion im weiteren Sinn gewährleistet, die durch die Kriterien der Eigenverantwortlichkeit und der Aufgabengarantie gekennzeichnet sind. Gerade aus dem Verständnis der Selbstverwaltungsgarantie als der Garantie einer bestimmten Verwaltungsform heraus wird ersichtlich, weshalb die Gerichte zu Recht davon ausgehen. daß das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht "institutionell, nicht aber individuell" garantiert sei. Die Gemeinden sind als Teil der Staatsgewalt selbst verfaßt, sie sind als Träger öffentlicher Gewalt "selbst ein Stück Staat" 164. Insbesondere durch die klarstellende Bestimmung des Art. 11 IV BV werden die Gemeinden als demokratisch legitimierte Verwaltungseinheiten in den Staat organisch integriert, so daß es zu einer institutionellen Synthese zwischen Staat und Gemeinden im Rahmen einer gegliederten Demokratie kommt l65 . Gemeindliche Selbstverwaltung kann dabei durchaus als mittelbare Staatsverwaltung bezeichnet werden, da die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben unter Einsatz der vom Staat abgeleiteten Hoheitsgewalt erfolgt und damit die gemeindliche Autonomie nur heteronom vorgegeben ist l66 . Berücksichtigt werden muß allerdings, will man diesen Begriff verwenden, daß die "Mittelung" gerade darin besteht, den Verwaltungsträgern eine weitestgehende Selbständigkeit zu gewähren l67 . Vgl. Schmidt-Aßmann, Kommunale Selbstverwaltung "nach Rastede", S. 125. Vgl. Stern in: BK Art. 28 Rn. 64; vgl. auch Brohm, DÖV 1989, 429/430; Frotscher. Selbstverwaltung und Demokratie, S. 127 ff., 135. 164 Schmidt-Jortzig, Gemeinde- und Kreisaufgaben, DÖV 1993, 1973 ff. 165 Vgl. Bethge, Das Selbstverwaltungsrecht im Spannungsfeld zwischen institutioneller Garantie und grundrechtlicher Freiheit, S. 159; Frotscher, Selbstverwaltung und Demokratie, S. 130. Vgl. auch Roters in: v. Münch, GG, Art. 28 Rn. 33; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 288 ff. 166 Vgl. Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, S. 7; Frotscher, Selbstverwaltung und Demokratie, S. 142. 167 Vgl. Lissack, § I Rn. 49. 162
163
13 Lissack
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Für ein solches Verständnis des Art. 11 11 BV als Staats struktur- und Kompetenzbestimmung spricht nicht zuletzt der soziale Befund: Die gemeindliche Verwaltung tritt dem Individuum als staatliche Verwaltung gegenüber, sie wird nicht als Produkt bürgerlicher Freiheitsausübung angesehen. Die gemeindliche Selbstverwaltung ist nicht mehr Ergebnis genossenschaftlicher Interessenvertretung für die Einwohner, die den Zweck verfolgt, individuelle Freiheit wenigstens auf unterster staatlicher Ebene zu erreichen, sondern Ausübung vom Staate abgeleiteter Befugnisse. Gemeindliche wie insgesamt kommunale Selbstverwaltung erscheinen eher als Ausprägung vertikaler Gewaltenteilung, die auf dem Gedanken repräsentativer Parteiendemokratie beruht.
3. Verneinung der Grundrechtsähnlichkeit des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden Angesichts dieser Ableitung der Grundrechte unter 1. und der Positionierung der gemeindlichen Selbstverwaltung unter 2. wird deutlich, daß das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht nicht als grundrechtsähnliches Recht bezeichnet werden kann, sondern im Gegenteil als grundrechtskonträre 168 bzw. grundrechtsferne 169 Gewährleistung angesehen werden muß. a) Zur Vergleichbarkeit im Hinblick auf die Vorstaatlichkeit der Grundrechte und die vermeintliche Vorstaatlichkeit des Selbstverwaltungsrechts
Im Hinblick auf diese Parallelenziehung ist oben unter 11. bereits alles Relevante gesagt worden. Offensichtlich handelt es sich hierbei auch um die für den Verfassungsgerichtshof mehr oder weniger ausgesprochen im Vordergrund stehende Parallele. Dies zeigt sich daran, daß das Gericht das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände nicht als grundrechtsähnliches Recht ansieht, so daß für den Verfassungs gerichtshof ausschließlich der vermeintliche "genetische" Unterschied zwischen Gemeinden und Gemeindeverbänden als erheblich zur Scheidung von Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden einerseits und der Gemeindeverbände andererseits angesehen wird. Eine Vergleichbarkeit kann jedoch unter diesem Gesichtspunkt nicht bejaht werden, so daß eine auf diese Weise begründete Grundrechtsähnlichkeit ausscheidet. 168 Bethge, Das Selbstverwaltungsrecht im Spannungsfeld zwischen institutioneller Garantie und grundrechtlicher Freiheit, S. 158; ders., Die Verwaltung 15 (1982), 208f. 169 Stern, Staatsrecht I1I/1, S. 874f.
8. Kapitel: Selbstverwaltungsrecht ist kein grundrechtsähnliches Recht
195
b) Zur Vergleichbarkeit unter dem Gesichtspunkt der Abwehifunktion Eine gewisse Parallele zwischen Grundrechten und Selbstverwaltungsrecht kann unter dem Aspekt gesehen werden, daß sowohl den Grundrechten als auch dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht eine Abwehrfunktion zukommt. Abgesehen davon, daß dies selbstverständlich auch für das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände gilt, so daß konsequenterweise - wollte man diese Parallele für maßgeblich halten - auch das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände als "grundrechtsähnlich" gekennzeichnet werden müßte, kann diese Parallele als nicht ausreichend zur Legitimierung einer Grundrechtsähnlichkeit angesehen werden. Während die Grundrechte in erster Linie die Freiheitssphäre des einzelnen schützen wollen, enthält die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung ein subjektives Abwehrrecht zur Verteidigung der eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Kompetenzen unter regelmäßigem Einsatz hoheitlicher Gewalt. Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die Gemeinden ist nicht Ausdruck unabgeleiteter, ursprünglicher Freiheiten, sondern vollzieht sich aufgrund der Wahrnehmung von Kompetenzen, die vom positiven Recht zugeordnet und inhaltlich bemessen und begrenzt sind 170. Für die Freiheitsgrundrechte ist die Abwehrfunktion dem Grundsatz nach das Primäre. Beim subjektiven Abwehrrecht, das von der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung beinhaltet wird, handelt es sich hingegen um eine bloß reflexartige Verstärkung der objektiv-rechtlichen Funktionsbestimmung innerhalb der staatsorganisationsrechtlichen Kompetenzordnung. Zwar gibt es vereinzelt Grundrechte, die auf eine Ausgestaltung des Nonnkomplexes, der erforderlich ist, um bürgerliche Freiheit lebendig werden zu lassen, angewiesen sind und bei denen die objektiv-rechtliche Einrichtungsgarantie im Vordergrund der verfassungsrechtlichen Ausleuchtung der Grundrechtsnonn steht. So ist insbesondere für die Eigentums- und Erbrechtsgarantie, genauso für die Garantie von Ehe und Familie, anerkannt, daß vor der Freiheit vor dem Gesetzgeber zunächst die Freiheit durch den Gesetzgeber steht. Diese - herkömmlich ausgedrückt - Institutsgarantien sind mithin nicht allein durch eine Abwehrfunktion gekennzeichnet; die verfassungsrechtlichen Sicherungen können erst dann ein Mindestmaß an Effektivität gewährleisten, wenn der Gesetzgeber die Institute ausgefonnt hat, die Voraussetzung für die Verwirklichung nonnkomplexbezogener und nicht außerrechtlicher Freiheit sind. Im Unterschied zur gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie steht aber stets das Ziel der Gewährleistung bürgerlicher und individueller Freiheit im Vordergrund 171 •
170 171
13'
Vgl. BVerfGE 68, 193/206. Vgl. nur Dreier, Grundgesetz, Vorb. Rn. 68; Stern, HStR, § 109 Rn. 39.
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Hingegen handelt es sich bei dem den Gemeinden über Art. II 11 BV zur Verfügung gestellten Abwehrrecht um die Versubjektivierung hoheitlicher Kompetenzen, wie sie das Staatsrecht in den unterschiedlichsten Ausformungen schon seit langem kennt. Insgesamt ist die Versubjektivierung von Kompetenzen auch auf dem Gebiet des einfachen Rechts eine Erscheinung, die stetig zunimmt. Hintergrund der Versubjektivierung hoheitlicher Kompetenzen ist die Erkenntnis, daß allein diese Subjektivierung garantiert, daß im Streitfall die Gerichte als Entscheider angerufen werden können. Besonders kennzeichnend sind hierfür die Verfahren gemäß Art. 64 BV, Art. 93 I Nr. I, 3 GG sowie die Anerkennung der Kommunalverfassungsstreitigkeiten im Kommunalrecht. Die Anerkennung solcher subjektiven Rechte, insbesondere die Anerkennung des Selbstverwaltungsrechts als reflexartige Versubjektivierung ist dogmatisch nicht ohne weiteres zu erklären, sondern historisch bedingt 172 • Man wird davon ausgehen können, daß die Tendenz zur Versubjektivierung weiter zunehmen wird l73 , da im perfekten Rechtswegestaat nichts als unerträglicher empfunden wird als ein "gerichtsfreier" Rechtsraum. Festzuhalten ist also, daß das Abwehrrecht des Selbstverwaltungsrechts nicht für das Ganze gehalten werden darf. Neuere Ansichten, die das kommunale Selbstverwaltungsrecht mehr oder weniger ausschließlich als subjektives verfassungsmäßiges Recht verstehen wollen,. können nur eine Komponente der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung erklären. Der gesamte Bereich des "Institutionellen" kommt bei einer Reduzierung auf das subjektive Recht zu kurz und kann kaum erklärt werden l74 . Wollte man eine Parallelenziehung zwischen gemeindlichem Selbstverwaltungsrecht und Grundrechten unter dem Gesichtspunkt der Abwehrfunktion befürworten, so müßte dies gleichermaßen für alle sonstigen subjektiven (verfassungsmäßig garantierten) Rechte gelten. c) Zur Vergleichbarkeit im Hinblick auf den Schutzmechanismus
Gelegentlich werden die Einrichtungsgarantien im allgemeinen und das Institut der kommunalen Selbstverwaltung im speziellen mit den Grundrechten im Hinblick auf die Schutzwirkung miteinander verglichen, so daß diesbezüglich von einer Grundrechtsähnlichkeit der kommunalen Selbstver172 Vgl. Bethge, Das Selbstverwaltungsrecht im Spannungsfeld zwischen institutioneller Garantie und grundrechtlicher Freiheit, S. 164; ders., Die Verwaltung 15 (1982), 2llff. 173 Vgl. Burmeister, Grundfragen der kommunalen Wirtschaftsbetätigung, S. 627ff. 174 In einem solchen reduzierten Sinne dürfen nicht die Anmerkungen bei Lissack, § I Rn. 86ff. verstanden werden.
8. Kapitel: Selbstverwaltungsrecht ist kein grundrechtsähnliches Recht
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waltungsgarantie gesprochen wird. In bezug auf die Schutzdichte der Einrichtungsgarantien, insbesondere der der gemeindlichen Selbstverwaltung könne zu den Grundrechten deswegen eine Parallele gezogen werden, weil es in beiden Fällen darum ginge, die Institution gegen eine völlige und existenzielle Abschaffung, Aufhebung, Aushöhlung, Beeinträchtigung, Denaturierung, Durchlöcherung, Einschränkung, Entleerung zu schützen 175. Insbesondere die Tatsache, daß auch im Rahmen der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung mit Wesensgehaltstheorie, präzisiert durch Historische Methode und Subtraktionsmethode gearbeitet werde, zeige ein für die Einrichtungsgarantien typisches Bild, so daß insoweit von einem grundrechtsähnlichen Schutz gesprochen werden könne. Freilich kann diese Parallele in bezug auf die Schutzwirkung von Grundrechten einerseits, gemeindlicher Selbstverwaltung andererseits nicht ausreichen, um eine Ähnlichkeit mit der Wirkung zu postulieren, daß Grundrechte und Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung auf derselben Ebene stehen. Es darf nicht verkannt werden, daß die Einrichtungsgarantie als Rechtsfigur entwickelt wurde, um den in der Weimarer Republik vorherrschenden Tendenzen entgegenzuwirken, dem einfachen Gesetzgeber völlig freie Hand bei Ausgestaltung eines grundrechtlichen bzw. institutionellen Bereichs zu lassen und damit verfassungsrechtliche Bestimmungen ungeschützt dem einfachen Gesetzgeber zu überlassen 176. Wenn unter dem Gesichtspunkt der Schutzwirkung von Grundrechten bzw. Einrichtungsgarantien eine "Grundrechtsähnlichkeit" behauptet wird, so könnte letztlich jede Verfassungsbestimmung als grundrechtsähnlich angesehen werden, weil heute die von einer Erhebung in den Rang einer Verfassungsbestimmung ausgehende besondere Schutzwirkung eine allgemeine ist. Insbesondere darf - ahistorischen Betrachtungen zum Trotze 177 - nicht übersehen werden, daß die Grundrechtsdogmatik bei der Dogmatik der Einrichtungsgarantien Anleihen genommen hat. So wurde insbesondere oben schon dargestellt, daß die Wesensgehaltstheorie letztlich nicht originär grundrechtsdogmatischen Ursprungs ist, sondern gerade dem allgemeinen Bereich der Dogmatik der Einrichtungsgarantien entstammt 178.
175
37.
Vgl. Schmidt-Jortzig, Die Einrichtungsgarantien der Verfassung, S. 28, 33 ff.,
Vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, S. 83. Vgl. Burmeister, Grundfragen der kommunalen Wirtschaftsbetätigung, S. 650ff. 178 Vgl. oben 1. Kapitel, I.3.c. 176
177
198
2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
d) Ablehnung der Vergleichbarkeit im Rahmen einer ergebnisorientierten Betrachtung
Nach dem vorstehend Gesagten kann festgestellt werden, daß sich eine Gleichstellung von grundrechtlicher Freiheit und Selbstverwaltungsrecht verbietet. Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als "grundrechtsähnliches Recht" anzusehen, müßte mit der Konsequenz enden, individuelle Freiheit und hoheitliche Kompetenzausübung ähnlichen Schutzmechanismen zu unterstellen. Insbesondere würden die Gefährdungen vollständig übersehen, die damit einhergehen, wenn hoheitliche Gewaltausübung auf die Ebene grundrechtlicher Freiheit gestellt würde. Die Ausübung hoheitlicher Gemeindefunktionen würde überhöht mit der Folge, daß Konflikte zwischen gemeindlicher Hoheitsgewalt und bürgerlicher Freiheit als Konflikte von gleichermaßen Grundrechtsberechtigten erscheinen müßten. Wenn jedwede Verhaltensweise eines Individuums einem Grundrecht zugeordnet werden kann, folgt daraus, daß jeder hoheitliche Eingriff in individuelle Freiheit besonders rechtfertigungsbedürftig ist. Der Grad an Rechtfertigungsbedürftigkeit wäre aber geringer, wenn die hoheitliche Ausübung von gemeindlicher Gewalt mit den Insignien der "Grundrechtsähnlichkeit" versehen wird. Der Eingriff in individuelle Freiheit durch die Gemeinden im Rahmen ihres durch das Selbstverwaltungsrecht geschützten Kompetenzbereichs wäre weniger rechtfertigungsbedürftig als die Eingriffe durch die unmittelbare Staatsverwaltung. Damit würde die Versehung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als "grundrechtsähnlich" zum Gegenteil dessen führen, was sie offensichtlich bewirken soll. Die Demontage elementarster grundrechtlicher Sicherungen stünde zu befürchten 179, grundrechtlicher bzw. als grundrechtsähnlich verbrämter Schutz der Gemeinden trägt mithin die Gefahr der Entwertung des grundrechtlichen Schutzes des Individuums in sich. Gerade diese Wertung zeigt auf, daß die "Grundrechtsähnlichkeit" des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts nur von demjenigen befürwortet werden kann, der ausschließlich das Verhältnis des Staates im engeren Sinn zu den von ihm und insbesondere seinen Gesetzgebern "drangsalierten" Gemeinden betrachtet. Fügt man aber in dieses rein bipolare Panorama den Bürger ein, der Beeinträchtigungen von bei den Seiten ausgesetzt ist, so verbietet sich eine Gleichstellung bzw. Parallelenziehung zwischen den Grundrechten und dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht, da es nicht angehen kann, eine Erhöhung des gemeindlichen Schutzes mit der Erniedrigung des Schutzes der Bürger zu erkaufen. Anerkennt man, daß es sich bei der Vorschrift des Art. 11 11 BV um eine kompetenzielle Strukturgarantie handelt, dann wird damit auch impliziert, daß es nicht nur um die Begründung der gemeindlichen Kompetenz geht, sondern 179 Vgl. Bunneister, Verfassungsrechtliche Grundfragen der kommunalen Wirtschaftsbetätigung, S. 636.
8. Kapitel: Selbstverwaltungsrecht ist kein grundrechtsähnliches Recht
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auch um deren Beschränkung, die als ergänzende Sicherung bürgerlicher Freiheit neben die Grundrechte tritt, ohne selbst Grundrecht zu sein.
IV. Zusammenfassung des achten Kapitels - Grundrechtliche Verankerung kommunaler Selbstverwaltung erfüllte so lange einen politischen Zweck, als geschichtlich ein Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft bestand. Mit restloser Verwirklichung des Demokratieprinzips kann die Ausübung kommunaler, insbesondere gemeindlicher Selbstverwaltung nicht mehr der als in Opposition zum Staate stehenden bürgerlichen Sphäre zugeordnet angesehen werden. - Eine Parallele zwischen Grundrechten einerseits und gemeindlicher Selbstverwaltung andererseits kann insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt der venneintlichen "Ursprünglichkeit" der Gemeinden gezogen werden. Während grundrechtliche Freiheit des Individuums tatsächlich vorstaatlichen Ursprungs ist, sind die Gemeinden unter rechtlichem Aspekt Schöpfungen der staatlichen Ordnung. Diese besitzen keine originäre Freiheit, sie leiten ihre im Rahmen der staatlichen Kompetenzordnung auszuübende Hoheitsgewalt vom Staate ab. - Die Tatsache, daß das Institut der gemeindlichen Selbstverwaltung durch ein verfassungsmäßiges, subjektives Recht abgesichert ist, ennöglicht ebenfalls keine ausreichende Begründung einer "Grundrechtsähnlichkeit", weil andernfalls sämtliche verfassungsmäßigen subjektiven Rechte als grundrechtsähnlich gekennzeichnet werden könnten. - Auch eine Vergleichbarkeit in bezug auf die Schutzwirkung von Grundrechten einerseits, der Einrichtungsgarantien andererseits würde nicht den Kern der Sache treffen, da gerade der Schutz der Wesensgehaltstheorie nicht grundrechtlichen, sondern kommunalrechtlichen Ursprungs ist. - Vor allem muß gesehen werden, daß jede Kennzeichnung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als "grundrechtsähnlich" die Gefahr in sich birgt, individuelle Freiheit und staatsabgeleitete Kompetenzausübung auf dieselbe dogmatische Stufe zu stellen. In einem Konflikt der Verfassungsgüter grundrechtliche Freiheit einerseits, gemeindliches Selbstverwaltungsrecht andererseits bestünde die Gefahr, daß die Ausübung gemeindlicher Gewalt als Eingriff in grundrechtliche Freiheit nur noch reduziert begründungsbedürftig wäre. Ein Streit zwischen Bürger und Gemeinde wäre dann ein Streit Gleichgestellter auf letztlich "zivilrechtlicher" Ebene, so daß die speziellen grundrechtlichen Absicherungen der individuellen Freiheit in höchster Bedrängnis wären. Damit kann das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht nicht als "grundrechtsähnliches Recht" angesehen werden. Das gemeindliche Selbstverwal-
200
2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
tungsrecht ist allein als kompetentielle Strukturgarantie anzusehen. Die reflexartige Subjektivierung der von Verfassungs wegen zugeordneten Kompetenzen stellt keine Besonderheit im Verfassungs- bzw. einfachen Recht dar. 9. Kapitel
Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften? Es kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, allumfassend die Grundrechtsfähigkeit der bayerischen kommunalen Gebietskörperschaften zu untersuchen. Man mag sich über diesen salvatorischen Hinweis im Rahmen einer monographischen Darstellung wundem. Wirft man aber einen Blick auf die Literatur zu den Problemkreisen der Grundrechtsfahigkeit der juristischen Personen des öffentlichen Rechts im allgemeinen und der Kommunen im speziellen, so wird schnell deutlich, daß allein die Behandlung des letztgenannten Themenbereichs den Umfang einer Monographie mehr als erschöpfen würde 180. Zwar hat vor allem die Sasbach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 181 dafür gesorgt, daß an der Schnittstelle von kommunalem Selbstverwaltungsrecht und Grundrechtssubjektivität wenigstens in der neueren bundesverfassungsrechtlichen Kommentarliteratur eine gewisse Beruhigung eingetreten ist. Tatsächlich ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Literatur und Rechtsprechung auch größtenteils auf Zustimmung gestoßen l82 . Wie bereits im 4. Kapitel dargestellt, hinderte aber das Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts den Bayerischen Verfassungsgerichtshof nicht, auf seinem Standpunkt, der die Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände prinzipiell bejaht, zu beharren. Wenigstens für diejenigen, die sich mit der bayerischen Verfassungslage auseinandersetzen l83 , bleibt das Thema aktuell. Aber auch über den bayerisehen Verfassungsraum hinaus ist das Thema in der Literatur aktuell geblie180 Vgl. die Monographien von Sonntag, Grundrechtsfalligkeit bayerischer Gemeinden und Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums im Geltungskonflikt von Bundes- und Landesverfassung. 181 BVerfGE 61, 82. 182 Vgl. die Nachweise bei Stern, Staatsrecht III/1, S. 1157 Fn. 380 und 381. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Bundesverfassungsgericht seine Einstellung zur Grundrechtsfalligkeit kommunaler Gebietskörperschaften auch nicht durch die Entscheidungen BVerfGE 68, 193 ff.; 70, Iff. geändert hat; vgl. BVerfGE 70, 1/21; vgl. auch Seidl, Grundrechtsschutz juristischer Personen, S. 1459/1467. 183 Vgl. Meder, BV, Vorbem. vor Art. 98 Rn. 5; Knöpfle in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, BV, Teil V, Art. 98 Rn. 22; Knemeyer, BayVBI. 1988, 129ff.; Badura, BayVBI. 1989, 1ff.; Bambey, NVwZ 1985, 248ff.; Domcke, NVwZ 1984, 616ff.; Bethge, Grundrechtsschutz kommunaler Selbstverwaltung?
9. Kapitel: Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften?
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ben, so daß nach wie vor Bethges Wort aus dem Jahre 1979 zitiert werden kann, wonach die mit dieser Problematik verbundenen dogmatischen Kontroversen ein Paradebeispiel für den literarischen Positionskampf auf dem Turnierfeld der aktuellen Grundrechtsdiskussion seien 184. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht auch in neueren Judikaten 185 die Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen des öffentlichen Rechts erneut auf eine differenzierende Weise problematisiert, was aber in der Literatur noch keinen rechten Widerhall gefunden hat l86 . Eine alle an der Diskussion Beteiligten überzeugende prinzipielle Lösung dieses Problemfelds dürfte deswegen schwer zu erreichen sein, weil es sich bei der Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen .des öffentlichen Rechts um einen Fragenkreis handelt, der - wie Art. 19 III GG für das Bundesverfassungsrecht aufzeigt -, an das Wesen der Grundrechte anknüpft, so daß an dieser Stelle nicht nur der fehlende Konsens über die den Grundrechten zugrundeliegende allgemeine Grundrechtstheorie l87 , den Charakter der Grundrechte und deren allgemeine Funktion schlechthin seine Wirkungen zeitigt l88 . Es geht letztlich um eine Frage des individuellen Grundrechtscredos.
I. Die Stimmen in der Literatur zur Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen des öffentlichen Rechts im allgemeinen und der kommunalen Gebietskörperschaften im besonderen Die Ansichten des Bundesverfassungsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs zur Grundrechtsfahigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften wurden im 4. Kapitel behandelt; es sollen daher (nur) noch die wichtigsten in der Literatur vertretenen Meinungen vorgestellt werden, bevor eine Stellungnahme abgegeben wird (hierzu unter 11.). Der Schwerpunkt der literarischen Meinungsäußerungen zur Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen des öffentlichen Rechts liegt auf der Behandlung des Art. 19 III GG, dem die Funktion einer Grundrechtserstrek184 Bethge, Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen, AöR 104 (1979), 54/86. 185 BVerfGE 68, 193ff.; 70, 1ff.; 75, 192ff. 186 Ausnahmen: Seidl, Grundrechtsschutz juristischer Personen des öffentlichen Rechts in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums. 187 Vgl. Kröger, JuS 1981,26/27. Bethge (AöR 104,54/63) spricht sogar davon, daß der "Ruf nach der einen richtigen Grundrechtsauslegung nur als Suche nach der blauen Blume der Einheit der Rechtsordnung ausgehen" könne. Vgl. auch v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 15. 188 Zum "Wesen des Wesens" vgl. W.A. Scheuerle, AcP 163 (1964), S. 429ff.
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
kungsnorm zugunsten juristischer Personen zukommt. Eine speziell die Grundrechtsfahigkeit bayerischer Kommunen erörternde Literatur ist nur in geringem Umfang auszumachen l89 . Gleichwohl kann die bundesverfassungsrechtliche Diskussion weitgehend auch auf die bayerische Verfassungslage übertragen werden. Denn einerseits ist die grammatische Auslegung des Art. 19 III GG unergiebig, da dem Wortlaut weder zwingend eine Verpflichtung zur Berücksichtigung des "Wesens" der Grundrechte im allgemeinen noch ausschließlich des einschlägigen Grundrechts entnommen werden kann. Auch ist anerkannt, daß die historische Auslegung keine weiterführenden Ergebnisse zeitigt, da in den Beratungen die Frage der Grundrechtsfahigkeit der juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht ausdrücklich behandelt wurde 190. Somit steht einzig das zu ermittelnde "Wesen" der Grundrechte inmitten, Art. 19 III GG kann gewissermaßen auch als lediglich deklaratorische Vorschrift gewertet werden l91 . Andererseits hat der Verfassungs gerichtshof ausdrücklich und zu Recht erklärt, daß, obwohl die Bayerische Verfassung keine dem Art. 19 III OG entsprechende Nonn kenne, auch nach bayerischem Verfassungsrecht die Grundrechte auf juristische Personen erstreckt würden, sofern sie ihrem Wesen gemäß auf die juristische Personen anwendbar seien 192. Aus diesem Grunde ist die Ausgangslage nach Bundes- wie nach bayerischem Verfassungsrecht gleich 193. In der Literatur werden im wesentlichen die nachstehenden Theorien angeboten, wobei sich zeigen wird, daß diese sich in ihren Aussagen zum Teil überschneiden l94 . Extrempositionen haben dabei aber ausgedient bzw. sind nicht auf den bayerischen Verfassungsraum übertragbar. Ansichten, die ohne weiteres die Grundrechtsfahigkeit auch zugunsten juristischer Personen des öffentlichen Rechts bejahen, können ausgeschieden werden, weil sie mit dem angeblich eindeutigen Wortlaut des Art. 19 III GG argumentie189 Vgl. Sonntag, Grundrechtsfähigkeit bayerischer Gemeinden; Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums im Geltungskonflikt von Bundes- und Landesverfassung; Badura, BayVBI. 1989, I ff.; Knemeyer, BayVBI. 1988, 129ff.; Bambey, NVwZ 1985, 248ff.; Domcke, NVwZ 1984, 616ff. 190 Vgl. Bethge, AöR 104 (1979), 98 ff., der auch zutreffend darauf hinweist, daß, selbst wenn es - wie gelegentlich behauptet - punktuelle Hinweise in der Entstehungsgeschichte geben sollte, das Grundgesetz eben klüger sein müßte als einige seiner Redakteure und Interpreten. Ein etwa zu berücksichtigender Wille des Verfassungsgebers muß sich objektiv im Gesetz niedergeschlagen haben; vgl. auch v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 23, Fn. 13 m. w. N. und Rn. 89 f. 191 Vgl. auch Bethge, AöR 104 (1979), 54/63f. 192 Vgl. BayVerfGH 29, 1051118. 193 Vgl. auch v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 99. 194 Überblicke über die verschiedenen Meinungen sind zu finden bei: Krüger, JuS 1981,26/27; v. Mutius, BK, Art. 19 III Rn. 80ff.; Dürig in: MaunzlDürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 33; Broß, VerwArch. 77 (1986), 65ff.
9. Kapitel: Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften?
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ren 195; eine vergleichbare Vorschrift enthält die Bayerische Verfassung nicht. Und auch die vorgeblich prinzipiell die Grundrechtssubjektivität vernein den Stimmen weisen in Wirklichkeit ein durchaus weites Differenzierungspotential auf. Gerade die oft als Beispiel für eine Extremposition im Sinn der prinzipiellen Vemeinung der Grundrechtssubjektivität genannte Ansicht Dürigs ist tatsächlich Exempel für eine feinsinnig differenzierende Theorie 196. 1. Subjektionstheorie
In Anschluß an Bettermann 197 entstand eine Ansicht, die als Subjektionstheorie bezeichnet werden kann. Die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts und damit auch der Kommunen wird dann bejaht, wenn sich die Rechtsschutz suchende juristische Person des öffentlichen Rechts in einer grundrechtsähnlichen Gefährdungslage befindet, weil sie den allgemeinen Gesetzen wie der Bürger unterworfen ist (sog. grundrechtliehe oder zivile Subjektion l98 ; teilweise wird auch von einer "funktionalen Grundrechtsbeziehung,,199 zwischen juristischer Person und Grundrechtsadressaten gesprochen; die sog. hierarchische Subjektion, die vor allem durch Weisungsverhältnisse gekennzeichnet ist, führt hingegen nicht zur Grundrechtsfähigkeit). Am deutlichsten hat wohl v. Mutius diese grundrechtstypische Gefährdungslage beschrieben und dabei die Theorie konsequent fortentwickelt. Von einer Subjektion kann damach nicht bereits dann gesprochen werden, wenn lediglich ein "rechtsmäßiges Gefälle" vorliegt. Vielmehr muß sich die juristische Person des öffentlichen Rechts, in unserem Zusammenhang also die Gemeinde oder der Gemeindeverband, zum Staat in einer dem Bürger-Staat-Verhältnis parallelen Situation befinden. Entscheidend sind dabei die dieses Rechtsverhältnis regelnden Rechtsnormen: "Gehören sie dem materiellen öffentlichen Recht, dem Verwaltungsverfahrens- und dem Prozeßrecht an dergestalt, daß ihr Tatbestand auf der Verpflichtungsseite ebenso durch Träger öffentlicher Gewalt wie durch zivile Rechtspersonen erfüllt werden kann, dann handelt es sich um Außenrechtsbeziehungen; regeln sie hingegen Pflichten und Befugnisse der Staatsorgane und Organwalter zueinander sowie in ihrem Verhältnis zum "Staatsorganismus", dann sind sie dem Staatsorganisationsrecht ... zuzuordnen,,200. Zwar seien staatliche und bürgerliche Sphäre prinzipiell von einan195 196 197 198 199
200
Vgl. hierzu die Nachweise bei v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 80. Vgl. Dürig in: MaunzlDürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 36ff. NJW 1969, 1321 ff. Vgl. Bettermann, NJW 1969, 1321/1326. Vgl. Siepermann, DÖV 1975,263/267. v. Mutius in: BK, Art. 19 III 115.
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungs gerichtshofs
der getrennt, allerdings müsse dann eine Ausnahme gemacht und die Grundrechtsfähigkeit bejaht werden, wenn die Rechtsordnung diese Trennung überwinde und öffentlich-rechtliche Funktionsträger denselben Regeln unterwerfe wie die Staatsbürger2ol . Negativ gewendet kann man daher auch von einer Art Sonderrechtstheorie sprechen: Werden die Rechtsverhältnisse juristischer Personen des öffentlichen Rechts durch spezielle Normen, deren Adressaten gerade und ausschließlich sie sind, geregelt oder werden diese Normen vollzogen, so ist Grundrechtsschutz ausgeschlossen. Grundrechtssubjektivität ist somit (partiell) zu bejahen in den Fällen der Ordnung von Rechtsverhältnissen durch Zivilrecht, durch Verwaltungsrecht, soweit es sich auch an den Bürger wendet, in den Fällen der Gewaltunterworfenheit unter die rechtsprechende Gewalt, die den Prozeßordnungen folgt 202 . Allerdings entfällt nach v. Mutius immer dann der Grundrechtsschutz, wenn ein verfassungsrechtliches Schutzbedürfnis deswegen nicht gegeben ist, weil die die juristische Person des öffentlichen Rechts betreffende Maßnahme zugleich eine Kompetenzverletzung darstellt und subjektive Abwehrrechte mit Verfassungsrang vorhanden sind. Diese gehen dann als leges speciales den Grundrechten vor203 . Der Verfassungsgerichtshof scheint sich dieser Ansicht (im Grundsatz) angeschlossen zu haben, arbeitet er doch mit den Begrifflichkeiten des "Subjektionsverhältnisses", der "funktionalen Grundrechtsbeziehung" und der "grundrechtstypischen Gefährdungslage,,204. Zudem verweist er auf Bettermann und v. Mutius, so daß angenommen werden kann, daß er deren wesentliche Argumentationsstränge und Schlußfolgerungen übernehmen wollte. Auch das Bundesverfassungsgericht hat gelegentlich von einer "grundrechtstypischen Gefährdungslage" gesprochen 205 ; allerdings ausschließlich in einem Grundrechtsschutz verneinenden Zusammenhang und ohne jeglichen Verweis auf die Literatur. Tatsächlich wird vielmehr bis heute an Dürigs "Durchgriffstheorie" angeknüpft, so daß nicht davon die Rede sein kann, das Bundesverfassungsgericht habe an Bettermann und v. Mutius anschließen wollen.
v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 117. Zu weiteren Beispielen von grundrechtstypischen Gefährdungslagen vgl. v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 118. 203 v. Mutius, ebenda Rn. 125. 2M Vgl. BayVerfGH 29, 1051119ff. 205 BVerfGE 45, 63/78f.; 61, 821102. 201
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9. Kapitel: Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften?
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2. Nach der Rechtsform staatlichen Handeins differenzierende Ansichten Hier wird teils pauschal dem "Staat" als Rechtssubjekt Grundrechtsfähigkeit abgesprochen, teils wird im Bereich privatrechtlichen fiskalischen Handelns Grundrechtsfahigkeit zugesprochen, weil er wie jeder Private tätig sei 206 . Jedenfalls bei hoheitlichem Handeln ist darnach die Grundrechtssubjektivität zu verneinen. Diese Ansicht überschneidet sich teilweise mit den Subjektionstheorien.
3. Nach den wahrzunehmenden Aufgaben oder zu verfolgenden Interessen unterscheidende Theorien Hiernach wird Grundrechtsfahigkeit bei Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben verneint, sie ist in Betracht zu ziehen, wenn und soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts als Träger zusammengefaßter individueller und in ihrer Interessenlage dem im Staat verkörperten Gemeininteresse entgegengesetzter Rechte oder als Sachwalter von Individualrechten auftreten 207 . Auch hier ergeben sich Überschneidungen zu den vorgenannten Ansichten. Der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, daß regelmäßig bei Wahrnehmung von Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises der Grundrechtsschutz entfalle 208 • Das Bundesverfassungsgericht läßt in jedem Fall den Grundrechtsschutz bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben entfallen; für den Bereich der Innungen hat es allerdings partiellen Grundrechtsschutz bejaht, soweit sie nicht in ihrer Funktion als Teil der staatlichen Verwaltung, sondern als Interessenvertretung ihrer Mitglieder angesprochen würden 209 .
4. Nach der organisationsrechtlichen Selbständigkeit differenzierende Ansichten Schließlich wird teilweise auf die organisationsrechtliche Unabhängigkeit vom Staat abgestellt; besitzen die Organisationseinheiten eigenen Handlungsspielraum, dann spricht dies für die Grundrechtsfahigkeit. Dies treffe 206 Fuß, DVBI. 1958, 740ff.: Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 14. Vgl. auch v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 82 m.w.N.; Kröger, JuS 1981,26/27; Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 33. 207 Vgl. v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 84 m.w.N.; Kröger, JuS 1981,26127; Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 33. 208 BayVerfGH 29, 105/l19f. 209 BVerfGE 70, 1/l5ff.
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
für die Universitäten, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaften, aber auch für die Gemeinden und Gemeindeverbände ZU21O. Der Verfassungsgerichtshof steht offensichtlich dieser Theorie nicht ablehnend gegenüber, argumentiert er doch auch zugunsten der Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden mit deren besonderer Stellung im Staate211 ; eine Argumentation, die bereits als nicht allzu schlüssig gekennzeichnet wurde, weil sie nichts über die Grundrechtsfahigkeit der Gemeindeverbände sagt.
11. Stellungnahme 1. Argumentativer Ausgangspunkt Nach dem oben zum Grund für die Gewährleistung der Grundrechte Gesagten 212 ist offensichtlich, daß im Rahmen dieser Darstellung der grundsätzliche Ansatz des Bundesverfassungsgerichtes zur Bestimmung der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, der sich an Dürigs Konzeption anlehnt, weitgehend geteilt wird. Das Bundesverfassungsgericht stellt zu Recht an den Anfang seiner Argumentation Idee, Ursprung und geistesgeschichtliche Tradition der Grundrechte: "Das Wertsystem der Grundrechte geht von der Würde und Freiheit des einzelnen Menschen als natürlicher Person aus. Die Grundrechte sollen in erster Linie die Freiheitssphäre des Einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen und ihm insoweit zugleich die Voraussetzungen für eine freie, aktive Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen sichern. Von dieser zentralen Vorstellung her ist auch Art. 19 III GG auszulegen und anzuwenden. Sie rechtfertigt eine Einbeziehung der juristischen Personen in den Schutzbereich der Grundrechte nur, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Person sind, besonders wenn der "Durchgriff' auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen dies als sinnvoll oder erforderlich erscheinen läßt,,213. An dieser Dürigschen Durchgriffsformel hat das Bundesverfassungsgericht· trotz zum Teil vehementer literarischer Kritik bis heute festgehalten, freilich mit gewissen Modifikationen 214 . Auch Dürig hat seine Ansicht, die er selbst als mißverständlich bezeichnete, später verdeutlicht: "Gemeint war und ist, daß 210 Vgl. v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 83 m.w.N.; Dürig in: MaunzlDürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 33; Kröger, JuS 1981,26/27. 211 Vgl. nur BayVerfGH 37, 101/107f. 212 Vgl. oben 8. Kapitel, 111.1. 213 BVerfGE 21, 362/369. 214 Vgl. nur BVerfGE 68, 1931205ff.; 75, 192/195ff.
9. Kapitel: Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften?
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der Schutz des Einzelnen als eines einzelnen oder innerhalb von Zusammenschlüssen, die im Interesse der Entfaltung des Menschen erfolgen, Ziel und Aufgabe der Grundrechte ist,,215. Dieser argumentative Ausgangspunkt ist deswegen richtig, weil einzig der Mensch, das Individuum, seine Personalität und die daraus gefolgerte Würde Zentrum des Grundrechtssystems216 , das Krone eines anthropozentrischen Rechtssystems ist, sind. Dem Grundgesetz wie der Bayerischen Verfassung liegt eine personale Gesamtsicht zugrunde 217 . Auch juristische Personen genießen Grundrechte nur, weil sie der personalen Entfaltung des einzelnen dienen können218 . Akzeptiert man diesen Ausgangspunkt, so hat man sich gleichwohl nicht - wie es auf den ersten Blick vielleicht erscheinen könnte - für ein statisches Prinzip entschieden, das in aller Regel juristischen Personen des öffentlichen Rechts keinen Grundrechtsschutz zukommen läßt. Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht. die Grundrechtssubjektivität bejaht im Rahmen der Trias von Kirchen bzw. anerkannten Religionsgemeinschaften, Universitäten (und Fakultäten) und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Ferner hat es die Berufung auf die Justizgrundrechte zugelassen. Und schließlich hat es weitergehende Flexibilität angesichts der berufsständischwirtschaftliche Interessen verfolgenden Innungen angedeutet und bewiesen219 : "Grund der Nicht-Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts ist nicht die Rechtsfonn als solche. Maßgebend ist vielmehr, ob und inwieweit in der Rechtsstellung als juristische Person des öffentlichen Rechts eine Sach- und Rechtslage Ausdruck findet, welche nach dem ,Wesen' der Grundrechte deren Anwendung auf juristische Personen entgegensteht. Diese Frage wird sich nicht in einer generellen Fonnel beantworten lassen. Es kommt namentlich auf die Funktion an, in der eine juristische Person des öffentlichen Rechts von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird. Besteht diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben, so ist die juristische Person zumindest insoweit nicht grundrechtsfahig,,22o. Es zeigt sich, daß auch ein personales Grundrechtsverständnis im Einzelfall zur Bejahung der Grundrechtsfahigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts gelangen kann; allerdings wird dabei jeweils ein relativ großer argumentativer Aufwand erforderlich sein. Im folgenden soll nur knapp ein Modell zur Untersuchung der Grundrechtsfahigkeit juristischer 215 216 217 218 219 220
Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 1. Vgl. Stern, Staatsrecht III/1, S. 1102. Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 19 III Rn. 3. Vgl. Dürig in: MaunzlDürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 6. BVerfGE 68, 193/207ff.; 70, 1/15ff. BVerfGE 68, 193/207f.; vgl. auch BVerfGE 75, 192/196f.
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Personen des öffentlichen Rechts vorgestellt werden; auch sollen die Fälle, in denen Grundrechtssubjektivität bejaht wurde, allenfalls angesprochen werden (hierzu 2. und 3.). Der Schwerpunkt liegt auf der Behandlung der Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften (hierzu 4. und 5.). 2. Prüfungsprogramm
Leitlinie bei der Bestimmung der Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person ist nach dem Vorstehenden das allgemeine Wesen, die allgemeine Funktion und Aufgabe sowie die geistesgeschichtliche Tradition der Grundrechte 22l ; in dieser Leitlinie drückt sich die Forderung aus, daß für die Anerkennung von Grundrechtsschutz ein unmittelbarer Bezug der juristischen Person zum Individuum vorhanden sein muß 222 • Ferner kommt es auf das konkrete, vorgeblich Schutzwirkung entfaltende Grundrecht an, das in bezug auf seine thematische Einschlägigkeit und Erstreckbarkeit untersucht werden muß. Schließlich ist aber auch die Rechtsform, die Organisation sowie das Betätigungsfeld der juristischen Person, die Schutzwirkung erstrebt, von Bedeutung223 , da diese Faktoren Aufschluß darüber geben können, inwieweit der Grundrechtsschutz der juristischen Personen im Hinblick auf "dahinter stehende" Individuen vorstellbar und erforderlich ist. Bei der Beantwortung der Frage, ob einer juristischen Person des öffentlichen Rechts Grundrechtsschutz zuzusprechen ist, wird zunächst in einem ersten Schritt die Rechtsform und die Genese 224 der juristischen Person untersucht; hierbei wird auch danach gefragt, ob die Organisation von "Staates Gnaden" existiert bzw. ob der Staat über die Organisation verfügen darf. In einem zweiten Schritt wird sodann die (konkrete) Betätigung der juristischen Person und ihr Aufgabenbereich betrachtet. Hier ist insbesondere zu untersuchen, ob und inwieweit die juristische Person öffentliche Aufgaben erfüllt225 • Liegt eine juristische Person des Privatrechts vor, so spricht die Vermutung dafür, daß ihre Entstehung Ausdruck privatautonomen Handeins ist, in der sich die freie Entfaltung des Einzelnen verwirklicht 226 ; es besteht also eine Vermutung für die Grundrechtsfähigkeit der juristischen Person des Privatrechts. Da juristische Personen des öffentlichen Rechts in aller Regel nicht durch privatautonome Willensentscheidungen zu solchen werden, sonVgl. auch v. Mutius, in: BK, Art. 19 III Rn. 24. Vgl. Bethge, AöR 104 (1979), 54/91 ff., 99 f.; vgl. auch Hoppe/Beckrnann, OVBI. 1990, 177/181 f. 223 Vgl. auch Stern, Staatsrecht III/l, S. 1105. 224 Vgl. auch Stern, Staatsrecht III/l, S. 1115. m Vgl. auch Oürig in: Maunz/Oürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 37. 226 Vgl. Stern, Staatsrecht III/l, S. 1158. 221
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9. Kapitel: Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften?
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dem (wenigstens) die Mitwirkung des Staates erforderlich ist, spricht die Vermutung zunächst gegen die Grundrechtsfähigkeit. Aber die Rechtsform kann nur eine Vermutung abgeben, eine weitere Untersuchung der Genese der juristischen Person ist vonnöten, wie ein Blick auf die Religionsgemeinschaften zeigt. Hier liegt es durchaus im Ermessen einer noch nicht korporierten Religionsgemeinschaft, den Status der öffentlich-rechtlichen Körperschaft gemäß Art. 140 GG i. V.m. Art. 137 V WRV zu erlangen; der über die Verleihung des Körperschaftsstatus entscheidenden Landesbehörde kommt ein Ermessen hingegen nicht zu. Hier zeigt (auch) der Entstehungsvorgang, daß die Grundrechtsfahigkeit zu bejahen ist, weil die Entstehung der juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht der Disposition des Staates unterliegt, sondern von der gewillkürten Entscheidung der Religionsgemeinschaft abhängt. Im übrigen beruht die Rechtsform der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts (vgl. Art. 143 BV, Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 V WRV) auf verfassungsgeschichtlichen Bedingtheiten, die an dieser Stelle nicht weiter zu erörtern sind 227 . Insgesamt steckt hinter der Rechtsform der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts mehr verfassungshistorischer Zufall denn nachvollziehbare verfassungsrechtliche Logik. Begründungsbedürftig ist weniger die Frage, weshalb den Kirchen Grundrechtsfähigkeit zukommt, sondern vielmehr, weshalb die Verfassungsgeber im sich neu konstituierenden Deutschland an der Kompromißentscheidung der Weimarer Reichsverfassung festgehalten haben 228 . Die Kirchen haben also einen verfassungs rechtlichen wie rechtsformmäßigen Sonderstatus inne 229 . Damit ist zugleich auch erklärt, weshalb sich die Kirchen auf den grundrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und das Eigentumsgrundrecht berufen können 23o • 227 Vgl. Kirchhof, Die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts in: Listl/Pirson, HdBStKirchR, § 22, S. 658ff. 228 In diesem Zusammenhang müssen entschieden diejenigen Ansichten zurückgewiesen werden, die kirchliche Verhaltensweisen im Rahmen der Religionsausübung (zum Beispiel das vieldiskutierte liturgische Läuten) dem öffentlichen Recht zuweisen wollen. In dem Maße, in dem solche Verhaltensweisen als öffentlichrechtlich qualifiziert werden sollen, besteht die Gefahr, eine allgemeine Grundrechtsbindung der gerade insoweit grundrechtsberechtigten Kirchen anzunehmen. 229 Vgl. v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 121; Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 41; Stern, Staatsrecht III/I, S. 1114. 230 Vgl. nur BVerfGE 18, 392/396ff.; 19, 1/5; 19, 129/133ff. Vgl. auch BVerfGE 42, 312/321 f.: "Die Kirchen sind ungeachtet ihrer Anerkennung als Körperschaften des öffentlichen Rechts dem Staat in keiner Weise inkorporiert, also auch nicht im weitesten Sinn ,staatsmittelbare' Organisationen oder Verwaltungseinrichtungen. Ihre wesentlichen Aufgaben, Befugnisse, Zuständigkeiten sind originäre und nicht vom Staat abgeleitete. Sie können also unbeschadet ihrer besonderen Qualität wie der Jedermann dem Staat ,gegenüber' stehen, eigene Rechte gegen den Staat geltend machen. Sie sind unter diesem Gesichtspunkt grundrechtsfähig". 14 Lissack
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Nach einem Blick auf die Entstehung der juristischen Person muß noch die Betätigung der juristischen Person untersucht werden: Dienen die juristischen Personen des öffentlichen Rechts den Bürgern zur Verwirklichung ihrer Grundrechte, zeichnet sich das Handeln der juristischen Person des öffentlichen Rechts also durch einen unmittelbaren Individualbezug aus, so kann (partielle) Grundrechtsfähigkeit zu bejahen sein, wenn das Handeln nicht im Kompetenzvollzug vom Staat übertragener Aufgaben besteht. Dieser Individualbezug ist gegeben bei den Universitäten und öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten 231 : Staatlich gestützte Universitäten sind zwingende Voraussetzung für die Ausübung von wissenschaftlicher Freiheit; sie sind als Körperschaften geradezu "freiheitskonstituierend". Damit ist natürlich nicht gesagt, daß Universitäten praktisch zwingend der Rechtsform der öffentlich-rechtlichen Körperschaft bedürften; weder ist die Rechtsform der Körperschaft zwangsläufig erforderlich noch müssen die Universitäten zwingend öffentlich-rechtlich organisiert sein. Gerade das verdeutlicht aber den freiheitskonstituierenden Charakter dieser Einrichtungen für die Grundrechtsverwirklichung des Einzelnen. Die grundrechtsverwirklichende Bedeutung des öffentlich-rechtlich aber staatsfrei organisierten Rundfunks bedarf in Zeiten der Überflutung des Individuums mit privaten Anbietern keiner Kommentierung mehr; das Bundesverfassungsgericht und der Verfassungs gerichtshof haben wiederholt die besondere Bedeutung des öffentlichen Rundfunks im Rahmen einer dualen Rundfunkordnung für die unerläßliche Grundversorgung des einzelnen, die notwendige Voraussetzung für Freiheitsbetätigung im Bereich der Kommunikationsgrundrechte dargestellt232 . Da öffentlich-rechtlicher Rundfunk staatsfrei sein muß und damit auch zu den für die freiheitlich demokratische Ordnung unerläßlichen Bedingungen gehört, ferner es dem Staat deswegen selbst untersagt ist, den Rundfunk in staatlicher Verwaltung zu betreiben, ist die Grundrechtsfähigkeit des öffentlichen Rundfunks die zwingende Folge einer grundrechtlichen Gewährleistung der Rundfunkfreiheit. Auch die Probleme der Grundrechtsfähigkeit von Handwerksinnungen und Innungsverbänden im Handwerk lassen sich durch einen Blick auf die Genese und Betätigung in den Griff bekommen. Für die Grundrechtsfähigkeit von Handwerksinnungen spricht es, wenn diese keine Zwangsmitgliedschaft kennen, und die Eigenschaft als juristische Person des öffentlichen Rechts an den freiwilligen Zusammenschluß der selbständigen Handwerker des gleichen Handwerks oder sich nahestehender Handwerke anknüpft; in dem freiwilligen Zusammenschluß und der freiwilligen Mitgliedschaft 231 Vgl. zur Grundrechtsfahigkeit der Universitäten und Rundfunkanstalten auch: Bethge, AöR 104 (1979), 280ff.; v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 97ff.; Stern, Staatsrecht IIII1, S. 1152ff. 232 BVerfGE 74, 297/325f; 83, 238/297f.; BayVerfGH 39, 961135; 42,11196.
9. Kapitel: Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften?
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äußert sich nämlich die autonome Willensbetätigung des Individuums. Freilich kann eine Grundrechtsfähigkeit nur außerhalb der Ausübung von staatlichen Kompetenzen angenommen werden 233 . Auch in bezug auf die Innungsverbände hilft ein Blick auf deren Genese weiter; zwar handelt es sich bei ihnen um eine juristische Person des Privatrechts, so daß die Vermutung zunächst für die Grundrechtsfähigkeit der Innungsverbände spricht; allerdings setzen sie sich ausschließlich aus den Innungen zusammen, die als juristische Personen des öffentlichen Rechts organisiert sind; damit kommt eine Grundrechtsfähigkeit nicht in Betracht, weil ein unmittelbarer Individualbezug fehlt; ein allenfalls mittelbarer - gemittelt über die nur partiell grundrechtsfähigen Innungen - reicht nicht aus. Abzulehnen ist in Konsequenz dieses vorgestellten Modells die unqualifizierte und grundsätzliche Bejahung der Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen des öffentlichen Rechts in bezug auf die Justizgrundrechte: Auch hier kann Grundrechtsschutz nur gewährt werden, wenn die fragliche juristische Person des öffentlichen Rechts nach ihrer Entstehungsgeschichte und Betätigung einen unmittelbaren Individualbezug aufweist. Von daher kann der Begründung des Bundesverfassungsgerichts nicht gefolgt werden, insoweit angenommen wird, daß sich alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf die Justizgrundrechte berufen könnten; die Tatsache, daß diese Rechte außerhalb des Grundrechtsteils des Grundgesetzes verortet sind, kann ohnehin keine Rolle spielen, weshalb das Bundesverfassungsgericht auch von einem formalen Argument spricht234 . Als solches darf es außer Acht gelassen werden. Die Behauptung, diese Rechtspositionen gehörten auch materiell nicht zu den Grundrechten, ist schlicht falsch 235 , insbesondere wenn man auf das von Kriele zum Muttergrundrecht erhobene Grundrecht vor willkürlicher Verhaftung, Art. 104 GG blickt236 . Der regelmäßig in der Literatur vorgebrachte Einwand, aus Gründen der "Waffengleichheit,,237 müsse sich auch eine staatliche Prozeßpartei auf die diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen berufen können (in Betracht kommt ohnehin nur der Anspruch auf rechtliches Gehör), ist wohl eher leichtgewichtig: Weshalb soll zugunsten der staatlichen Prozeßpartei im Rechtlichen Waffengleichheit herrschen, wo faktisch zuungunsten der "zivilen" Partei gerade keine Waffengleichheit existiert, zum Beispiel deswegen, weil sich in aller Regel der Staat als Prozeßbeteiligter keine ernsten Vgl. BVerfGE 68, 193/205ff.; BVerfGE 70, 1/l5ff. BVerfGE 21, 362/373; 61, 82/l04; vgl. auch BVerfGE 6, 45; 13, 132. m Vgl. Stern, Staatsrecht III/l, S. 1108; v. Mutius, BK, Art. 19 III Rn. 96; Bettermann, NJW 1969, 132111322 f. 236 Vgl. Kriele, Zur Geschichte der Grund- und Menschenrechte, S. 187ff. 237 Vgl. Stern, Staatrecht IIIII. S. 1156 m. w.N.; Bethge AöR 104 (1979), 541 101 und 293. 233 234
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Sorgen über die anfallenden Prozeßkosten machen muß? Und weshalb soll schließlich in einem Prozeß zwischen zwei Hoheitsträgern die Berufung auf die Grundrechte möglich sein? Vielmehr wäre auch hier zu fordern, daß sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts nur dann auf die Justizgrundrechte berufen kann, wenn ein konkreter Individualbezug gegeben ist, d. h. wenn es um die Verfolgung spezifischer materiell-verfassungsrechtlicher Positionen geht 238 . 3. Einwände gegen dieses Prinzip? Dieser hier vorgestellten Ansicht kann nicht entgegengehalten werden, sie ginge von einer längst überwundenen Impermeabilität des Staates aus, also von einem Verständnis, das auch selbständige juristische Personen des öffentlichen Rechts als Teil der einheitlichen Staatsperson ansieht, wobei zwischen Staatsperson und juristischer Person demzufolge nur kompetenzielle Beziehungen bestehen könnten 239 • Ebenfalls kann diesem Modell nicht vorgehalten werden, es arbeite mit einem Konfusions-/Konfundierungs-/Identitätsargument 24o • Bekanntlicherweise wurde dem Bundesverfassungsgericht nicht selten angelastet, es leugne die Möglichkeit von Grundrechtsbeziehungen im staatlichen Geflecht, hatte es doch festgestellt: "Danach bestehen grundsätzlich Bedenken dagegen, die Grundrechtsfahigkeit auf juristische Personen des öffentlichen Rechts im Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zu erstrecken. Wenn die Grundrechte das Verhältnis des Einzelnen zur öffentlichen Gewalt betreffen, so ist es damit unvereinbar, den Staat selbst zum Teilhaber oder Nutznießer der Grundrechte zu machen; er kann nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter der Grundrechte sein .....241. Abgesehen davon, daß im Rahmen dieser Arbeit nicht das Konfusionsargument bemüht wird, muß festgestellt werden, daß auch das Bundesverfassungsgericht dem Konfusionsargument gerade nicht gefolgt ist, wie die Grundrechtsberechtigung von Universitäten und öffentlich-rechtlichem Rundfunk zeigt 242 .
Wie hier wohl auch BroB, VerwArch. 77 (1986), 65/76. Vgl. hierzu nur Bethge, Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen, AöR 104 (1979), 103 ff. 240 Vgl. auch Bethge, ebenda, 89/90 und 94ff.; v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 92; Stern, Staatsrecht IIIIl, S. 1113 und 1153 ff.; Knemeyer, BayVBI. 1988, 129/130. 241 BVerfGE 21, 362/370. 242 Ihrerseits sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht nur grundrechtsberechtigt, sondern können auch grundrechtsverpflichtet sein, z. B. wenn sie Sendezeiten an politischen Parteien verteilen, vgl. Stern, Staatsrecht IIIIl, S. 1155. 238 239
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Vorhalten kann man diesem Modell genauso wie der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine "rein individualistische" Sichtweise 243 der Grundrechte. Tatsächlich ist allerdings ausgesprochener Ausgangspunkt der Argumentation die Personalität des Grundrechtsverständnisses gewesen; von daher kann der Verfasser mit diesem Einwand gut auskommen. Im Gegenzug kann man der Gegenansicht vorhalten, sie läse in Art. 19 III GG nicht ein von Art. 19 III GG zunächst unbeeinflußtes, vorgegebenes "Wesen" der Grundrechte ein, sondern das Wesen werde vielmehr bereits von Art. 19 III GG abhängig gemacht und in einer Wechselbeziehung gesehen. Man kann der Gegenmeinung also - soweit es um die Grundrechte des Grundgesetzes geht - vorwerfen, sie argumentiere auf die Weise: "Weil es Art. 19 III GG gibt, kann das Wesen der Grundrechte nicht ausschließlich im Schutz des Individuums liegen". Damit wird aber übersehen, daß Art. 19 III GG nicht bereits das Wesen der Grundrechte verändern kann, bevor es im Rahmen der Erstreckung auf juristische Personen erörtert wird. Zudem wird dem Art. 19 III GG ein über eine bloß deklaratorische Vorschrift gehender Stellenwert zuerkannt. Die Gegenansicht tut sich deswegen naturgemäß schwer, wenn sie die Grundrechtserstreckung im Rahmen einer Verfassung erklären muß, die keine dem Art. 19 III GG entsprechende Vorschrift kennt.
4. Zur Grundrechtsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften Nach dem oben vorgestellten Prüfungsprogramm ergibt sich, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände ausnahmslos nicht grundrechtsfahig sind. Soweit man das geschichtliche Schicksal der Gemeinden betrachtet, wird man feststellen, daß diese mannigfachen staatlichen Veränderungen und Beeinflussungen unterlagen; von den ca. 40000 bayerischen Gemeinden zu Zeiten Montgelas' blieben bis heute ungefähr 2000 übrig. Die kommunalen Gebietskörperschaften genießen prinzipiell keinen Bestandsschutz244 . Es handelt sich bei den Gemeinden wie bei den Gemeindeverbänden keineswegs um privatautonome Zusammenschlüsse, sondern um jedenfalls in unserer Zeit - nach staatlichen Zwecken geformte Verwaltungseinheiten, die Ergebnis einer rational planenden, sich auch an den vorgefundenen geographischen, soziologischen, geschichtlichen Tatbeständen orientierenden staatlichen Verwaltung sind. Somit spricht bereits die Genese der Gemeinden und Gemeindeverbände gegen deren Grundrechtsfahigkeit. 243 Vgl. v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 10, 26ff., 34; Dürig in: MaunzlDürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 35; Bethge, AöR 104 (1979), 69, 93; Knemeyer, BayVBI. 1988, 129113lff. 244 Nach dem Verfassungsgerichtshof bilden die Bezirke eine Ausnahme; daß diese Rechtsprechung angesichts des Übergangsregelungscharakters des Art. 185 BV verfehlt ist, wurde dargelegt.
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Freilich wäre es denkbar, daß ein Blick auf deren Betätigungsfelder zur Anerkennung partieller Grundrechtsfähigkeit führt, also z. B. im Rahmen des fiskalischen HandeIns, insbesondere bei Eingriffen des Staates in die wirtschaftende Tätigkeit der Kommunen. Doch auch hier ist die Grundrechtsfähigkeit abzulehnen. Es gibt nämlich kein privatautonomes Agieren der Gemeinden, das einen unmittelbaren Individualbezug hätte. Vielmehr ist sämtliches Handeln der kommunalen Gebietskörperschaften am öffentlichen Wohl und an öffentlichen Zwecken ausgerichtet; es gibt gerade keine Entscheidungen, die ausschließlich in Verwirklichung von Individualinteressen getroffen werden dürften. Auch soweit die Kommunen am Rechtsverkehr nach den Regeln des Bürgerlichen Rechts teilnehmen, weil sie ihr Eigentum zum Einsatz bringen oder ein wirtschaftliches Unternehmen verwalten, ist stets dieser Aufgaben- und Zweckbezug vorhanden (bzw. muß er vorhanden sein)245. 5. Einwände gegen die Verneinung der Grundrechtssubjektivität? In bezug auf die bayerische Verfassungslage wird diesem Ergebnis entgegengehalten werden, es berücksichtige nicht die besondere Stellung der bayerischen Gemeinde im Staat246 . Worin diese besondere Stellung der bayerischen Gemeinde zu erblicken sein soll, hat allerdings der Verfassungsgerichtshof noch nicht für jedermann ganz nachvollziehbar gemacht 247 . Allein die Tatsache, daß die Gemeinden geographisch, soziologisch und politisch betrachtet ein Fundament des demokratischen Staates sind, der ihnen eine eigene, auch von ihm selbst zu beachtende Rechtsstellung eingeräumt hat 248 , reicht als Begründung nicht aus, denn das gilt in gleichem Maße für nicht-bayerische Gemeinden. Weiter ist zu berücksichtigen, daß die "besondere Stellung der bayerischen Gemeinde" nicht die Grundrechtsfähigkeit der Gemeindeverbände begründen könnte, welche aber bekanntlicherweise vom Verfassungsgerichtshof angenommen wird. Eine besondere Stellung der bayerischen Gemeindeverbände wurde auch soweit ersichtlich - noch nicht postuliert. Schließlich spräche eine etwaige besondere Stellung der bayerischen Gemeinden ausschließlich dafür, diese pointiert im Rahmen der Selbstverwaltungsgarantie zu berücksichtigen 249 . Im übrigen hat der Verfassungs gerichtshof wie das Bundesverfassungsge245 Vgl. auch Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 48; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1166ff.; Badura, BayVBl. 1989, 1/5; Berg, JuS 1990, L 41/L 43. 246 Vgl. vor allem Knemeyer, BayVBl. 1988, 129/130 unter Verweis auf BayVerfGH 37, 101/107f. 247 Vgl. z.B. Bambey, NVwZ 1985,248 Fn. 16. 248 BayVerfGH 37, 101/107f. 249 In diesem Sinne auch Bambey, NVwZ 1985,248.
9. Kapitel: Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften?
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richt festgestellt, daß die Gemeinden gerade keine völlig eigenständigen, vom Staat unabhängigen oder jedenfalls distanzierten Einrichtungen seien 25o . Auch das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich mit Art. 11 IV BV argumentiert, um die Bedeutung der Gemeinden für den demokratischen Staatsaufbau hervorzuheben 251 . Von daher scheinen die beiden Gerichte ersichtlich von vergleichbaren Ausgangsdaten auszugehen 252 ; gerade die Einbindung der Gemeinden (auch der bayerischen!) in den demokratischen Staatsaufbau, gerade deren "Fundamentstellung" spricht gegen die Bejahung der Grundrechtsfähigkeit. Ein weiterer Einwand wird sich mit der vorgeblich bewirkten Schutzlosigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände befassen. Allerdings ist der Wunsch nach Gewährung verfassungsprozessualen Rechtsschutzes als Rechtfertigung eines Schutzbedürfnisses untauglich; prozessuale Vorschriften werden vor dem Hintergrund des materiellen Rechts, dessen Durchsetzung das Verfahrensrecht gewährleisten soll, ausgelegt 253 , der umgekehrte Schluß ist unzulässig. Anders formuliert: Zunächst muß die Grundrechtsfähigkeit bejaht worden sein, daran knüpfen sich dann die verfassungsprozessualen Rechtsfolgen 254 . 250 BayVerfGH 29, 1011107 und BVerfGE 61, 821103; beide unter Hinweis auf Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 48. 251 BVerfGE 79, 1271149. 252 Freilich stellt der Verfassungs gerichtshof dann doch wieder die unglückselige und schlechterdings falsche These auf, das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden sei ihnen weder vom Staat verliehen noch von diesem abgeleitet, sondern es handle sich hierbei um eine originäre Befugnis, vgl. BayVerfGH 37, 1011108. 253 Broß, RiA 1980, 5/6ff.; Schnapp, StT 1969,534/537. 254 Freilich scheint der Wunsch nach lückenlosem verfassungsprozessualem Rechtsschutz oft Mutter der materiell-verfassungsrechtlichen Konstruktionen zu sein. In einem perfekten Rechtswegesystem ist offensichtlich nichts unerträglicher als der Gedanke, eine Streitgkeit könne nicht bis zum Landes- bzw. Bundesverfassungsgericht ausgetragen werden (vgl. auch Schmidt-Aßmann in: Besonderes Verwaitungsrecht, 10. Aufl., Kommunalrecht, Rn. 28; Dürig in: Maunz/Dürig/Herzogl Scholz, GG, Art. 19 III Rn. 39). Fachgerichtlicher Rechtsschutz allein, der in jedem Fall gegeben ist (zu den Einzelheiten vgl. Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums, S. 34ff.; vgl. auch Seidl, Grundrechtsschutz juristischer Personen in: FS für Zeidler, S. 145911472) scheint vielen nicht auszureichen. Dabei ist gerade das Grundgesetz im Bereich der verfassungsprozessualen GeWährleistung des kommunalen Selbstverwaitungsrechts von vornherein "auf Lücke" konzipiert, stellt die Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG doch ohnehin nur eine Rechtssatzbeschwerde dar. Dem Verfassungsgerichtshof könnte man unterstellen, er lasse eine Berufung auf Art. 118 I BV zu, um auch den Gemeindeverbänden verfassungsprozessualen Rechtsschutz zukommen zu lassen. Eine solche Begründung hat er - expressis verbis - nicht gegeben, allerdings laufen seine Ausführungen in der Landkreis Ingolstadt-Entscheidung darauf hinaus (BayVerfGH 27, 14/20). Auch das Bundesverfassungsgericht und Stimmen in der Literatur (vgl. Bethge, AöR 104 (1979),
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2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Also stellt sich die Frage, ob sich bei Ausschluß der Grundrechtsfahigkeit tatsächlich materiell-verfassungsrechtlich Schutzdefizite ergeben können. Hierzu wird regelmäßig vorgetragen, es gäbe Eingriffe des Staates, die nicht zwingend Kompetenzkonflikte darstellten und von daher nicht am Maßstab der Selbstverwaltungsgarantie gemessen werden könnten 255 • Die Enteignung einer Gemeinde sei am Maßstab des Art. 103 BV zu messen, den Maßstab des Selbstverwaltungsrechts zu bemühen, stelle eine verfassungsrechtliche Umwegkonstruktion dar256 , die nicht nur weit hergeholt, sondern auch der Schutzsituation selbständiger Rechtspositionen nicht angemessen sei. Insbesondere Knemeyer brennt ein ganzes Feuerwerk von Beispielen ab, die angeblich für die Grundrechtsfähigkeit der Gemeinde (die Gemeindeverbände werden nicht erwähnt) sprächen: die Räumlichkeiten der Gemeindeverwaltung stehen hiernach unter dem Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 106 III BV), wenn die Gemeinde ein Theater betreibt kann sie sich auf die Kunstfreiheit berufen (Art. 108 BV), auch die Berufung auf die Meinungsäußerungs-, Presse- und Vereinigungsfreiheit sowie das Briefgeheimnis erscheint Knemeyer denkbar. Selbst einer Berufung auf die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 101 BV (eine dem Art. 12 I GG entsprechende Vorschrift enthält die Bayerische Verfassung nicht) wird das Wort geredet, wenn sich Gemeinden im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit gegen staatliche Regelungen wenden wollen, deren Adressat auch sie sind257 . Ein materiell-verfassungsrechtliches Schutzdefizit kann aber nicht konstatiert werden, es sei denn, man konstruiert es herbei: Am unproblematischsten ist die verfassungsrechtliche Situation dann, wenn die Rechtsstellung kommunaler Gebietskörperschaften durch "kommunales Sonderrecht" oder in dessen Vollzug final berührt wird; hier kann nur das Selbstverwaltungsrecht als Maßstab der Maßnahme fungieren. Die Zulässigkeit von Regelungen über die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen beispielsweise (vgl. z.B. Art. 89ff. BayGO a.F.) kann nur vor dem Hintergrund dieses Maßstabs erklärt werden 258 . Grundrechtsschutz im Bereich finaler Sonderrechtsmaßnahmen würde zu dem erstaunlichen Ergebnis führen, daß die kommunalen Gebietskörperschaften doppelten verfassungsrechtlichen Schutz genießen würden: Schutz vermittelt über das Selbstverwaltungsrecht und 541102ff.) haben gelegentlich (aus vorgenannten Erwägungen unzulässigerweise)
mit der Existenz der Kommunalverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4b GG argumentiert, um die Ablehnung der Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden bzw. der Gemeindeverbände zu begründen (vgl. BVerfGE 21, 362/371). 255 Vgl. statt aller v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 94. 256 Vgl. Knemeyer, BayVBl. 1988, 129/132. 257 Vgl. Knemeyer, BayVBl. 1988,129/133. 258 Dieser Ansicht ist auch die ganz h. M.; vgl. nur v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 122ff. m.w.N.
9. Kapitel: Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften?
217
gleichzeitig über die Grundrechte. Aber auch die vielzitierte Enteignung der Gemeinde 259 muß nicht an der Eigentumsgarantie gemessen werden; Art. 12 11 BV trifft ersichtlich eine brauchbare Sonderregelung, so daß der Rückgriff auf Art. 103 I BV vollkommen überflüssig ist 260 • Selbst wenn es eine solche Vorschrift nicht gäbe 261 , wäre wenig ersichtlich, weshalb nicht die Selbstverwaltungsgarantie als Prüfungsmaßstab herangezogen werden sollte: Auch wenn der betreffende Vermögensgegenstand nicht aktuell der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe gewidmet sein sollte, untersteht er doch der kommunalen Vermögensverwaltung (vgl. Art. 83 I BV), so daß bereits unter diesem Gesichtspunkt ein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht gegeben ist. Zudem steht der Vermögensgegenstand stets unter dem Vorbehalt einer späteren (aufgabenbezogenen) Verwendung; nicht zur Befriedigung individueller Bedürfnisse, sondern zum allgemeinwohlbezogenen Einsatz im Rahmen der Daseinsvorsorge dient gemeindliches Eigentum. Unter diesem Aspekt erscheint auch die Selbstverwaltungsgarantie ein sehr viel geeigneterer Prüfungsmaßstab als es das Eigentumsgrundrecht ist. Steht zum Beispiel der Staat vor der Frage, ob er einen Privaten oder eine Gemeinde zur Erfüllung zwingender hoheitlicher Aufgaben enteignet, so ist zu berücksichtigen, daß dem Privaten unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinwohlverpflichtung des privaten Eigentums eine Enteignung nur gegen Entschädigung zugemutet werden kann. Einer Gemeinde dürfte aber unter der Perpektive, daß staatliche wie gemeindliche Zwecke stets auf die Förderung des Gemeinwohls gerichtet sein müssen, sicherlich mehr an staatlicher Belastung zuzumuten sein als dem Privaten. Diese Folge ergibt sich aber eindeutig nur aus dem Selbstverwaltungsrecht als Prüfungsmaßstab für solche Maßnahmen. Von daher erscheint es gerade nicht als Umwegkonstruktion, das Selbstverwaltungsrecht zu bemühen, sondern der von der Verfassung vorgegebene, direkte Weg. Überdies würde die Bejahung der Grundrechtsfähigkeit der Kommunen auch in diesen Konstellationen dazu führen, daß ihr verfassungsmäßiger Schutz im Rahmen einer Abwägung latent ausgeprägter wäre als derjenige der Bürger, weil letztere sich stets nur auf die 259
265ff.
Vgl. nur Betterrnann, NJW 1969, 1321/1325f.; Bethge, AöR 104 (1979),
260 Dieser Ansicht würden auch diejenigen Autoren zustimmen, die die Selbstverwaltungsgarantien lediglich als "leges speciales" zu den Grundrechten ansehen (und damit eine prinzipielle Anwendbarkeit der Grundrechte bejahen), vgl. nur v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 125, 133; vgl. auch Stern, Staatsrecht III/1, S. 1115ff. 261 Um noch ein weiteres Beispiel zu bemühen: Die Gemeinden können sich nicht, wenn sie ein Theater betreiben, auf die Kunstfreiheit berufen, wenn beispielsweise eine aufsichtliche Verfügung eine Darstellung verbieten sollte. Die Gemeinden nehmen eine klassische Aufgabe der Daseinsvorsorge wahr, so daß dieser Eingriff ausschließlich am Selbstverwaltungsrecht zu messen ist. Das hindert natürlich den einzelnen Künstler nicht, sich gegebenfalls wegen eines mittelbaren Eingriffs in dessen (!) Grundrecht der Kunstfreiheit gegen die Maßnahme zu wehren.
218
2. Teil: Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
Grundrechte berufen können, zugunsten der kommunalen Gebietskörperschaft aber möglicherweise zwei Gewährleistungen eingriffen. Grundrechtsschutz von Gemeinden und Gemeindeverbänden könnte dann denjenigen der Individuen relativieren und sogar mindern; der einzelne Bürger würde in der Ausübung seiner Freiheitsgrundrechte nicht mehr ausschließlich mit anderen Bürgern konkurrieren, sondern auch mit Trägern öffentlicher Gewalt. Darüberhinaus würden die unterschiedlichen Garantien und Sicherungsmechanismen nivelliert und um ihre spezifische Wirkung gebracht 262 . Gerade dies läßt aber der Verfassungs gerichtshof zu, wenn er es den Gemeinden gestattet, sich sowohl auf ihr Selbstverwaltungsrecht (und der besonderen Ausprägung des Art. 12 11 und 83 I BV) als auch auf die Grundrechte des Art. 103 I BV und des Art. 118 I BV zu berufen. . Oben genannte Folgerungen weisen aber zugleich den richtigen Pfad zur Behandlung derjenigen Fälle, in denen die Gemeinden und Gemeindeverbände (angeblich) wie private Dritte durch staatliche Maßnahmen betroffen werden, in denen also eine "Subjektionslage" vorliegen soll. Diese Subjektionstheorien gehen von der falschen Ausgangsüberlegung aus, daß eine kommunale Gebietskörperschaft in gewissen Konstellationen genauso wie ein Privater in ihrem Rechtskreis betroffen sein könne 263 . Diese Ansicht ist jedoch irrig. Wenn der Staat von dem Einzelnen Einsicht in die Vernünftigkeit seiner Maßnahmen erwarten kann, und dies im Einzelfall im Rahmen einer Güterabwägung dazu führt, daß die Rechtsstellung des Privaten nach Herstellung einer praktischen Konkordanz geschmälert wird, weil andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtgüter danach verlangen, so ist das Selbstverwaltungsrecht als "vagere" Rechtsverbriefung, als es die Grundrechte sind, geeignet, das im Vergleich zum Individuum gesteigerte Maß an Rücksichtnahmeverpflichtung einer Kommune gegenüber dem Staat auszudrücken. Wenn ein Bürger und eine Gemeinde von "der gleichen" staatlichen Maßnahme betroffen werden, dann ist es eben nicht "das Gleiche,,264, sondern die Verschiedenheit der "Wesen" der Betroffenen spiegelt sich in der unterschiedlichen Belastbarkeit und den unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben wider. Insgesamt ist es angemessener, gemeindliche Belastungen an dem (u. U. extensiv ausgelegten) Selbstverwaltungsrecht zu messen, als zunächst eine materielle Rechtsschutzlücke zu konstatieren, um dann lük262 Vgl. Schmidt-Aßmann in: Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Kommunalrecht, Rn. 28. 263 Vor diesem Hintergrund muß es fast verwundern, daß noch niemand auf die zugegebenermaßen groteske Idee gekommen ist, dem Bürger die Berufung auf die Selbstverwaltungsgarantie zu gestatten, wenn dieser "wie eine Gemeinde" durch eine staatliche Maßnahme betroffen ist. So könnte sich der Bürger angesichts von Abgabenbelastungen auf die Finanzhoheit berufen, ein wirtschaftliches Unternehmen auf die Personal hoheit. 264 Vgl. auch Dürig in: Maunz/DüriglHerzog/Scholz, GO, Art. 19 III Rn. 45.
9. Kapitel: Grundrechtssubjektivität kommunaler Gebietskörperschaften?
219
kenfüllend die Grundrechte heranzuziehen 265 . In diesem Sinn ist auch das Wort des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, es handle sich auch bei Eingriffen und Übergriffen des einen Hoheitsträgers in die Funktion und das Vermögen eines anderen um "Kompetenzkonflikte im weiteren Sinne,,266. Damit zeigt sich, daß auch Bedarfsdeckungsgeschäfte und wirtschaftendes Handeln der Kommunen niemals grundrechtsgeschützt sein können. Die Gemeinde ist immer und ohne Ausnahme Hoheitsträger. Sie verliert ihre "Amtstracht" auch nicht in Wahrnehmung privatrechtlicher Rechtsgeschäfte. Sie hat keine Privatangelegenheiten und handelt nicht aus privater Initiative; sie hat auch keine "Persönlichkeit", die sie frei entfalten könnte. Selbst ihre privatrechtlichen Rechtsgeschäfte sind Verwaltungshandlungen zur Erfüllung von öffentlichen Aufgaben, und nur in diesem Rahmen und unter dieser Bindung ist ihr Handeln überhaupt zulässig. In letzter Konsequenz kann sich hiernach eine kommunale Gebietskörperschaft auch in einem Zivilrechtsstreit, deren andere Partei ein Privater ist, nicht auf die Eigentumsgarantie berufen, um ein verfassungsgerichtliches Verfahren zu initiieren; dabei ist es genauso wenig wie bei den Justizgrundrechten angebracht, mit einer vorgeblich zu wahrenden "Waffengleichheit" zu argumentieren 267 .
III. Zusammenfassung des neunten Kapitels - Die nach wie vor umstrittene Frage nach der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts läßt sich allgemein weder zugunsten noch zulasten der Grundrechtsfahigkeit beantworten. Vielmehr ist eine differenzierende Untersuchung nicht nur des einschlägigen Grundrechts, sondern auch der betroffenen juristischen Personen hinsichtlich ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Funktion und hinsichtlich ihres (konkret betroffenen) Betätigungsfelds vonnöten. Dabei muß die allgemeine Funktion der Grundrechte als - nicht ausnahmslos zu beachtende - Wegweiser beachtet werden. - Die kommunalen Gebietskörperschaften sind auch nach bayerischem Verfassungsrecht nicht grundrechtsfahig. Dies ergibt sich daraus, daß jedwedes Handeln der Kommunen an öffentlichen Zwecken orientiert und privatautonomes Handeln nicht möglich ist. Kommunalem Handeln fehlt der für die Bejahung der Grundrechtssubjektivität notwendige unmittelbare Individualbezug. Dies gilt auch für die Berufung auf die Justizgrundrechte. 265 266 267
Vgl. auch Sieperrnann, DÖV 1975,263/268. BVerfGE 21, 362/368ff. Vgl. oben 11.2. Anders aber Bambey, NVwZ 1985, 248/249f.
3. Te i I
Materiell-verfassungsrechtliche und verfassungsprozessuale Konsequenzen der im zweiten Teil gewonnenen Erkenntnisse sowie Plädoyer für die Einführung einer landesrechtlichen Kommunalverfassungsbeschwerde 10. Kapitel
Materiell-verfassungsrechtliche und verfassungsprozessuale Konsequenzen I. Materiell-verfassungsrechtliche Konsequenzen Angesichts der Einsicht in die Strukturparallelität von gemeindlichem Selbstverwaltungsrecht und dem der Gemeindeverbände' sowie angesichts der Ablehnung eines grundrechtsähnlichen Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden 2 können die materiell-verfassungsrechtlichen Konsequenzen für Gemeinden und Gemeindeverbände miteinander verbunden dargestellt werden.
1. Konsequenzen für die Kernbereichsdiskussion a) Konsequenz für das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht Dem institutionellen Charakter des Selbstverwaltungsrechts entsprechend stellt die Kernbereichsprüfung durch den Verfassungsgerichtshof nicht nur praktisch den wichtigsten Prüfungspunkt dar; sie ist für die institutionelle Garantie schlechthin kennzeichnend. Nach Ablehnung des grundrechtlichen Charakters des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ist die Qualifizierung des Art. 83 I BV als unüberwindbare Ausprägung des Kernbereichs I
2
Vgl. oben 2. Kapitel, 1.4 und 3. Kapitel, III. Vgl. oben das 9. Kapitel.
10. Kapitel: Materiell-verfassungsrechtliche Konsequenzen
221
nicht weiter beizubehalten. Die zu einer Zementierung desjenigen Rechtszustands, den die Verfassungsgeber 1946 für das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht als schlechthin konstituierend empfunden haben mögen, führende Betrachtungsweise, wonach jedes einzelne der in Art. 83 I BV genannten Aufgabenfelder durch den Gesetzgeber respektiert werden muß, kann mit Preisgabe des Begriffs vom grundrechtsähnlichen Recht ad acta gelegt werden. Art. 83 I BV schreibt nicht für alle Ewigkeit einen aufgabenmäßigen Besitzstand der Gemeinden fest. Diese Bestimmung bildet keine quasi-spezialgrundrechtliche Garantie von "Handlungsfreiheiten", es geht nicht um die Verbürgung von gewissermaßen vorstaatlichen den Gemeinden zustehenden Grundfreiheiten. Vielmehr stellt die Aufzählung der in Art. 83 I BV genannten Aufgabenfelder lediglich eine Vermutung dahingehend auf, daß es sich hierbei um "eigene Angelegenheiten" im Sinn des Art. 11 11 2 BV handelt (also um Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinn des Art. 28 11 I GG). Dies hindert den Gesetzgeber aber nicht, im Rahmen seines Auftrags, das Selbstverwaltungsrecht inhaltlich auszugestalten, diese Vermutung dergestalt zu widerlegen, daß die inmittenstehende und in Art. 83 I BV genannte Aufgabe oder das gesamte Aufgabenfeld nicht (mehr) als örtliche(s) anzusehen ist bzw. aus Zweckmäßigkeitsgründen eine Übertragung an einen anderen Verwaltungsträger auszusprechen. Von daher stellt Art. 83 I BV keine unüberwindbare Verfassungsbarriere dar, sondern erhöht lediglich die Anforderungen an die Begründung der gesetzgeberischen Maßnahme. b) Konsequenz für das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände Die Kernbereichsgarantie ist im Bereich der Aufgabengarantie der Gemeindeverbände weitaus weniger aussagekräftig. Zum einen folgt diesbezüglich aus der Kernbereichslehre, daß an die Gemeindeverbänden überhaupt eine den institutionellen Aufwand lohnende Zuweisung von Selbstverwaltungsagenden erfolgen muß 3 . Hat der Gesetzgeber einmal den Gemeindeverbänden eine Aufgabe als Selbstverwaltungsaufgabe zugewiesen, muß er jedenfalls bei deren Entzug darlegen, daß unter Anwendung der Subtraktionsmethode den Gemeindeverbänden noch ausreichend andere Selbstverwaltungsaufgaben zukommen. Nur ausnahmsweise läßt es sich denken, daß gerade eine spezifische Aufgabe unter historischen Gesichtspunkten, also unter Handhabung der Historischen Methode den Gemeindeverbänden nicht entzogen werden darf. Die Kernbereichstheorie wirkt sich hier noch viel stärker als beim gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht im
3
Vgl. BVerwGE 67, 321/323; vgl. bereits Lissack, § I Rn. 76 m. w. N.
222
3. Teil: Konsequenzen
Sinn einer bilanzierenden Gesamtbetrachtung aus; konkret einzelaufgabenbezogene Aussagen werden sich selten treffen lassen. Die strukturelle Ähnlichkeit mit dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht beweist sich daher vor allem im modalen Bereich; insbesondere kann auch beim Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände mit dem Art. 83 11 BVentnommenen Begriff der finanziellen Mindestausstattung gearbeitet werden, vgl. auch Art. 83 VI BV. 2. Konsequenzen für die Verhältnismäßigkeitsund Willkürprüfung
Im 7. Kapitel wurde festgestellt, daß die "Grundrechtsähnlicheit" des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts keine besonderen Auswirkungen auf die Handhabung des Verhältnismäßigkeitsprinzips hat. Ungeachtet der semantischen Skrupel, die das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf den Begriff der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Fragen der Staatsorganisation im engeren und weiteren Sinn hat, dürfte nichts dagegen sprechen, ganz prinzipiell diesen Begriff beizubehalten. Hierfür spricht zunächst, daß bei konkret-individuell eine oder wenige Gemeinde(n) treffenden Maßnahmen, die sich durch Eingriffscharakter auszeichnen, problemlos mit den aus der Freiheitsgrundrechtsdogmatik bekannten und bewährten Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit gearbeitet werden kann. Aber auch im Bereich abstrakt-generell das Selbstverwaltungsrecht ausgestaltender Normen ist nicht so recht einzusehen, weshalb der Begriff der Verhältnismäßigkeit nicht verwandt werden können sollte. Schließlich hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht nur das Verhältnis von Eingriff und Rechtsposition, sondern eben auch und vielleicht vor allem das Verhältnis von Maßnahme und Ziel zum Inhalt4 . Das Verhältnismäßigkeitsprinzip versucht ganz allgemein konfligierende verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter im Sinn der Einheit der Verfassung dergestalt in Einklang zu bringen, daß ohne Zurücksetzung des einen oder anderen Rechtsguts für beide eine optimale Wirksamkeit erreicht werden kann. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um grundrechtsgeschützte Güter, Kompetenzvorschriften oder noch weitergehend Strukturnormen handelt5 . Auch im außergrundrechtlichen Bereich geht es also .um die Herstellung praktischer Konkordanz durch verhältnismäßige Zuordnung kollidierender Rechtsgüter. Nicht ohne Grund werden die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaß-
4 5
Vgl. J. Ipsen, ZG 1994, 194/209. Vgl. z.B. Stern, DVBI. 1997,309/314.
10. Kapitel: Materiell-verfassungsrechtliche Konsequenzen
223
verbots als übergreifende Leitregeln allen staatlichen Handelns 6 angesehen, die (auch) im Rechtsstaatsprinzip verankert sind7 . Zu beachten ist allerdings, daß nach Verneinung der Grundrechtssubjektivität der kommunalen Gebietskörperschaften Aspekte von Gleichbehandlung und Willkür nicht weiterhin gleichsam "von außen" über Art. 118 I BV als Prüfungsmaßstab an die inkriminierte Maßnahme angelegt werden, sondern daß diese Maßstäbe in die Verhältnismäßigkeitsprüfung integriert werden, sofern es nicht bereits an der Gemeinwohlorientierung der Maßnahme mangelt. Ist nämlich eine staatliche Maßnahme von vornherein auf die Diskriminierung einzelner Kommunen gerichtet, ohne daß sich dafür rechtfertigende Gründe benennen ließen, so ist sie willkürlich, und es wird regelmäßig bereits an der Gemeinwohlorientierung fehlen. Ansonsten werden bei konkret-individuellen "Eingriffen" in das Selbstverwaltungsrecht Aspekte der Gleichbehandlung im Rahmen der Erforderlichkeit untersucht werden. Bei abstrakt-generellen Regelungen werden diese Aspekte möglicherweise erst im Rahmen der Güterabwägung zu tragen kommen.
11. Verfassungsprozessuale Konsequenzen 1. Die verfassungsprozessuale Stellung der Gemeinden und Gemeindeverbände im Rahmen der Popularklage Die Gemeinden können sich nicht (weiterhin im Wege der Popularklage) auf die Verletzung des Selbstverwaltungsrechts berufen, dieses hat keine Grundrechtsqualität, es ist kein grundrechtsähnliches Recht. Auch eine Berufung auf die "Ersatzrüge" des Art. 118 I BV kann grundsätzlich jedenfalls dann keinen Erfolg mehr haben, insoweit Regelungen inmitten stehen, die ausschließlich die kommunalen Gebietskörperschaften durch Erlaß bzw. Vollzug "kommunalen Sonderrechts" betreffen, da in diesen Fällen überhaupt keine Grundrechtsverletzung zu konstruieren ist. Das Gleiche gilt für die Gemeindeverbände. Damit kann de facto die Popularklage (mit all den vom Verfassungs gerichtshof vertretenen Inkonsequenzen) von den kommunalen Gebietskörperschaften nicht mehr bemüht werden.
2. Verfassungsbeschwerdeverfahren gemäß Art. 120 BV Davon unberührt bleibt die Option der Gemeinden (konsequenterweise auch die der Gemeindeverbände ), bei nicht rechtssatzmäßigen Eingriffen in das Selbstverwaltungsrecht die Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 120 BV, 6 7
BVerfGE 23, 127/133. BVerfGE 19, 342/348.
224
3. Teil: Konsequenzen
Art. 51 ff. VfGHG einzulegen, da das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde wie der Gemeindeverbände reflex artig ein verfassungsmäßiges Abwehrrecht enthält. Zu beachten ist dabei, daß es im Rahmen eines Verfassungs beschwerdeverfahren zu einer internen Verfassungsgerichtshofvorlage kommen kann; es ist durchaus denkbar, daß die entscheidende Spruchgruppe im Rahmen einer internen Verfassungsgerichtshofvorlage die maßgebliche Norm der für Popularklagen zuständigen Spruchgruppe vorlegt, vgl. Art. 3 III BayVfGHG, und diese die inkriminierte Norm verwirft und für nichtig erklärt, Art. 27 VII VfGHG. Ferner ist zu beachten, daß die Verwaltungsgerichte, sind sie der Überzeugung, daß der inkriminierte Akt auf einer verfassungswidrigen Norm beruht, eine Vorlage gern. Art. 92 BV beim Verfassungsgerichtshof initiieren müssen, die die Nichtigkeitserklärung der Norm ~ur Konsequenz hat, so daß auf diesem Weg die Kassation einer verfassungswidrig das Selbstverwaltungsrecht berührenden Rechtsvorschrift erreicht werden kann. In beiden Fällen muß jedoch die Voraussetzung erfüllt sein, daß ein per Verfassungsbeschwerde angreifbarer Akt des Normvollzugs vorliegt.
3. Konsequenz für die Anwendung der Subsidiaritätsklausel des Art. 93 I Nr. 4b GG Konsequenz aus Vorstehendem wäre, daß die bayerischen Gemeinden und Gemeindeverbände einheitlich die Kommunalverfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht bemühen müssen, wenn sie die Verletzung des Selbstverwaltungsrechts aus Art. 28 11 GG durch eine Rechtsnorm darlegen können und verfassungsprozessualen Rechtsschutz suchen wollen. Das Bundesverfassungsgericht kann selbstverständlich - seiner Rechtsprechung folgend - nur Art. 28 11 GG und weitere bundesverfassungsrechtliche Komplementärsicherungen anlegen; die facettenreichen Garantien der Bayerischen Verfassung können im Wesentlichen nur in lansdesverwaltungsgerichtlichen Verfahren angelegt und ausgelegt werdenS. Die Subsidiaritätsklausel des Art. 93 I Nr. 4b GG, § 91 (2) BVerfGG steht nicht entgegen, da es keinen verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen Rechtsbeeinträchtigungen durch staatliche Normsetzung vor dem Bayerischen Verfassungs gerichtshof gibt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Verfassungsbeschwerde gern. Art. 120 BV vor dem Hintergrund einer für verfassungswidrig erachteten Rechtsnorm deswegen nicht eingelegt werden kann, weil ein nicht rechtsnormmäßiger Hoheitsakt nicht provoziert werden kann oder aus sonstigen Gründen eine interne Verfassungsgerichtshofvorlage scheitert und ferner im Rahmen eines verwaltungs gerichtlichen Verfahrens es zu keiner 8 Das gilt auch für das Verfahren der Normenkontrolle vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichthof. da die Subsdiaritätsklausel des § 47 III VwGO nicht griffe.
10. Kapitel: MaterielI-verfassungsrechtliche Konsequenzen
225
- erfolgreichen - Vorlage gern. Art. 92 BV gekommen ist. Legt man Art. 93 I Nr. 4b GG dahingehend aus, daß diese Bestimmung bundesrechtliche Verfahren verhindern will, wenn landesverfassungsgerichtliches Maßnehmen an der Landesverfassung und damit auch Entlastung des Bundesverfassungsgerichts möglich ist. so ist die bundesrechtliche Kommunalverfassungsbeschwerde immer dann ausgeschlossen, wenn gegen eine Rechtsnorm landesverfassungsgerichtlicher Rechtsschutz über die "Hintertüre" des Art. 120 BV bzw. des Art. 92 BV erreicht werden kann, weil die inkriminierte Norm eines (verfassungsbeschwerdefahigen) Vollzugsakts fähig ist bzw. ein solcher provoziert werden kann. Allerdings kann diese Methode nicht als stets funktionierendes Mittel angesehen werden, da z. B. Bestandsänderungen durch formelles Gesetz nicht vollzugsbedürftig sind und wohl auch kein Exekutivakt, gegen den mittels der Verfassungsbeschwerde vorgegangen werden könnte, provoziert werden kann.
4. Hinweis zu den Bürgerklagen Die Popularklage erfordert zwar nicht eine Selbstbetroffenheit des Antragstellers, wohl aber die Möglichkeit, daß überhaupt ein Rechtssubjekt durch eine Maßnahme der Rechtssetzung in einem Grundrecht verletzt sein kann. Bürgerklagen im oben beschriebenen Sinn vor dem Verfassungsgerichtshof kann es nach alledem nicht mehr geben: Durch gebietsreformierende Maßnahmen ist ausschließlich das kommunale Selbstverwaltungsrecht betroffen. Niemals kann hingegen die grundrechtliche Verbürgung des Art. 118 I BV, weder im Hinblick auf die kommunale Gebietskörperschaft als Grundrechtsträger noch im Hinblick auf den in keinerlei Weise in Grundrechten verletzten Gemeindeangehörigen, einschlägig sein. Anders formuliert: Die bloße Möglichkeit, daß eine gebietsreformierende Maßnahme willkürlich sein kann, löst keinerlei Grundrechtsschutz aus. Die Kommunen sind insoweit nicht Grundrechtsträger, weil ausschließlich das Selbstverwaltungsrecht Maßstab zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit ist (dies gilt auch dann, wenn man Grundrechtsschutz ausnahmsweise für denkbar hält; in diesem Fall wäre die Maßnahme als Sonderrecht, das ausschließlich Kommunen betreffen kann, zu qualifizieren, so daß eine zivile Subordination ausscheidet). Der Bürger kann nicht in seinem Anspruch auf grundrechtliche Gleichbehandlung berührt sein, weil Art. 118 I BV keinen Anspruch auf verfassungsfehlerfreie Staatsorganisation gibt, solange sich diese Organisation nicht zu seinen Lasten auswirkt.
15 Li,sack
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3. Teil: Konsequenzen
IH. Zusammenfassung des zehnten Kapitels - Art. 83 I BV kann nicht länger als Garantie eines aufgabenmäßigen Besitzstandes der Gemeinden aufgefaßt werden; diese Bestimmung fordert lediglich eine besondere Berücksichtigung bei der hinsichtlich des Aufgabenentzugs stattfindenden Abwägung. - Die Willkürprüfung ist dabei ein Element der Verhältnismäßigkeitsprüfung; sie wird nicht isoliert, gleichermaßen von außen als Grundrechtsprüfung durchgeführt. - Die Gemeinden können sich nicht auf das Selbstverwaltungsrecht als "grundrechtsähnliche" Garantie zur Eröffnung der Popularklage berufen; eine solche Vorgehensweise war den Gemeindeverbänden bis dato ohnehin verwehrt. Auch die Berufung auf das Grundrecht des Art. 118 I BV kann nicht weiterhelfen. - Für Eingriffe durch sonstige Maßnahmen verbleibt es bei der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 66, 120 BV, da sowohl das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als auch der Gemeindeverbände ein "verfassungsmäßiges Recht" im Sinn dieses Rechtsbehelfs darstellt. Im Rahmen dieses Verfahrens kann es zu einer internen Verfassungsgerichtshofvorlage gern. Art. 92 BV, zuvor zu einer Vorlage gern. Art. 92 BV kommen. Bei extensiver Auslegung des Art. 93 I Nr. 4b GG wäre die bundesrechtliche Kommunalverfassungsbeschwerde stets ausgeschlossen, wenn ein (verfassungsbeschwerdefähiger) Vollzugsakt auf der Grundlage der inkriminierten Norm vorliegt bzw. provoziert und damit die verfassungsprozessuale Kassation der Norm über eine inzidente Normenkontrolle per Vorlage gern. Art. 92 BVoder durch eine interne Verfassungsgerichtshofvorlage im Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens erreicht werden kann. 11. Kapitel
Plädoyer für die Einführung einer landesrechtlichen Kommunalverfassungsbeschwerde I. Für eine umfassende landesverfassungsgerichtliche Kompetenz in Kommunalverfassungsstreitigkeiten9 sprechende verfassungsrechtliche und verfassungs politische Gründe Nach oben Gesagtem ist jedenfalls gegen formelle Gesetze, die keines Vollzugsakts fähig und bedürftig sind, kein landesverfassungsgerichtlicher Rechtsschutz zu erreichen. Für eine allumfassende Kompetenz des Verfas-
11. Kapitel: Kommunalverfassungsbeschwerde
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sungsgerichtshofs, in allen Fragen der Verfassungsmäßigkeit von rechtssatzmäßigen Regelungen selbst am Maßstab der Landesverfassung zu entscheiden (anstatt einer subsidiären Auffangkompetenz des Bundesverfassungsgerichts, das den Maßstab des Grundgesetzes anwendet), lassen sich aber zahlreiche verfassungsrechtliche, vor allem aber auch verfassungspolitische Gründe anführen: Zunächst sprechen die ausführlichen Regelungen der Bayerischen Verfassung die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und ihr Selbstverwaltungsrecht betreffend selbst unmittelbar für eine landesverfassungsrechtliche Entscheidungskompetenz. Zwar könnten auch die bayerischen Verwaltungsgerichte, insbesondere der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle für eine einheitliche Auslegung der Verfassungsbestimmungen sorgen. Allerdings könnten gerade die zahlreichen durch formelles Gesetz ergehenden Regelungen das kommunale Selbstverwaltungsrecht betreffend allenfalls an läßlich einer Inzidentprüfung untersucht werden; in den Fällen einer Vorlage gemäß Art. 92 BV durch das Verwaltungsgericht bzw. einer internen Verfassungsgerichtshofvorlage käme es auch zu einer Prüfung der einschlägigen Norm durch den Verfassungsgerichtshof. Insgesamt steht allerdings zu befürchten, daß ein solches Verfahren nicht allzu oft initiiert würde bzw. ein Exekutivakt nicht provoziert werden könnte. Gerade die Bestimmungen des Art. 83 I, 11 BV, die den formellen Gesetzgeber voraussetzen, damit es zu einer Verfassungsstreitigkeit kommen kann, würden wohl oft der verfassungsgerichtlichen Erörterung entgehen und damit in ihrer praktischen Bedeutung verkümmern. Aber auch unter Berücksichtigung der staatsrechtlichen Funktion und Bedeutung der Landesverfassungsgerichtsbarkeit im allgemeinen muß einer allumfassenden landesverfassungsgerichtlichen Entscheidungskompetenz das Wort geredet werden. Landesverfassungsgerichtsbarkeit gehört untrennbar zur Eigenstaatlichkeit der Länder und ist damit auch ein konstituierendes Element des bundesdeutschen Föderalismus 10. Entzieht man aber der Landesverfassungsgerichtsbarkeit einen so wesentlichen Gegenstand wie die Überprüfungskompetenz im Bereich der landeseigenen Organisation auf kommunaler Ebene, so würde dies zu einer weiteren "Verödung des Verfassungslebens .. 11 innerhalb des Freistaats führen. Kennzeichen der derzeitigen 9 Damit sind in diesem Zusammenhang nicht die herkömmlicherweise mit diesem Begriff erfaBten Streitigkeiten verwaltungsrechtlicher Natur zwischen Organen ein und derselben Körperschaft bzw. die Streitigkeiten innerhalb eines solchen Organs gemeint; vgl. hierzu Lissack, § 4 Rn. 142ff. 10 Vgl. Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus, S. 183. II Vgl. Leisner, ebenda, S. 184.
15'
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3. Teil: Konsequenzen
Verteilung von Kompetenzen zwischen Bund und Ländern ist ohnehin, daß die Länder nur noch auf wenigen Sektoren gesetzgebungsbefugt sind; gerade das Kommunalrecht gehört hierzu. Würde die verfassungsrechtliche Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer landesrechtlichen Regelung auf das Bundesverfassungsgericht übertragen, so könnte man eine weitere Kompetenzeinbuße konstatieren; zwar nicht im gewaltengeteilten Segment der Gesetzgebung, allerdings - bedeutend genug - in demjenigen, das die Gesetzgebung kontrolliert. Eine Kompetenzeinbuße zulasten der bayerisehen Verfassungsrichter auf einem Feld, das den Landesverfassungsrichtern bisher noch mehr Entscheidungsfreiheiten beließ als sonstige Materien. So kann beispielsweise für die Auslegung der Grundrechte ein überstarker Einfluß von Bundesseite her festgestellt werden, der mehr und mehr die landesrechtlichen Verbürgungen bzw. deren originäre Auslegung und Anwendung in den Hintergrund drängt. Abgesehen von der Befürchtung, daß eine weitere Verödung des landesrechtlichen Verfassungslebens eintreten könnte, darf auch nicht die rechtspolitische Bedeutung unterschätzt werden, die davon ausginge, wenn zum Beispiel über Fragen der Bestandsänderung einer Gemeinde, u. U. auch solche des kommunalen Finanzausgleichs nicht mehr der Verfassungsgerichtshof, sondern das Bundesverfassungsgericht entschiede. Inwieweit wäre es den beschwerdeführenden Gemeinden oder Landkreisen vermittelbar, wenn nicht mehr das sach- und auch faktisch nähere Gericht, sondern das feme Karlsruhe entschiede? In diesem Zusammenhang seien auch der Symbolcharakter und die integrierende Wirkung erwähnt, die von der Verfassungsgerichtsbarkeit und ihren Judikaten ausgehen. Landesverfassungsrechtliche Gewährleistungen verkümmern zu Gewährungen, sie werden schließlich ganz vergessen, wenn sie nicht auch vor dem Landesverfassungsgericht eingeklagt werden können. Auch können landesverfassungsgerichtliche Judikate eine nicht zu unterschätzende Impulswirkung für die bundesverfassungsrechtliche Rechtsfindung haben. Erkenntniszugewinn aller Beteiligten ist am ehesten im Rahmen einer wechselseitigen Befruchtung durch Diskurs zu erlangen. Rezeptionistische Einbahnstraßen sind zu vermeiden und nicht wünschenswert l2 . Es darf darauf hingewiesen werden, daß gerade die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs der ersten Nachkriegsjahre wesentlich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beeinflußte.
12 So ist meines Erachtens gerade die jüngere Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte in Sachsen und Thüringen zum Thema Gebietsreform ein gutes Beispiel dafür, welche Beiträge die Landesverfassungsgerichte für eine gesamtdeutsche Diskussion auch im Bereich des Kommunalrechts leisten können.
11. Kapitel: Kommunalverfassungsbeschwerde
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Schließlich kann der Subsidiaritätsklausel des Art. 93 I Nr. 4b GG auch ein Auftrag an die Landesgesetzgeber, Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren vor den Landesverfassungsgerichten zu schaffen, entnommen werden. Ein dem Bundesverfassungsgericht angenehmer Nebeneffekt wäre die Entlastung von Verfahren, die aus Grunden der Sach- und der Rechtsnähe vor den Landesverfassungsgerichten besser aufgehoben sind. Der bayerische Landesgesetzgeber, der so gern das Abwandern von landesrechtlichen Zuständigkeiten beklagt, sollte diesem Art. 93 I Nr. 4b GG entnommenen Auftrag nachgehen und überprufen, ob eine (ausdruckliehe) Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs in diesen Fragen zu schaffen ist. Zuletzt darf darauf hingewiesen werden, daß eine etwa einzuführende landesverfassungsrechtliche Kommunal verfassungsbesch werde verfassungshistorisch auf Vorläufer rekurrieren kann. Die Bayerische Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 enthielt in Titel VII, § 21 ein Beschwerderecht an die Stände-Versammlung (!) zugunsten jedes einzelnen Staatsbürgers wie jeder Gemeinde, wenn ein verfassungsmäßiges Rechte als verletzt gerugt wurde. Die Verfassungsurkunde vom 14. August 1919 (sog. Bamberger Verfassung) schließlich sah in § 93 I eine Beschwerde an den Staatsgerichtshof vor, die jede natürliche, aber auch jede juristische Person einlegen konnte 13. Insgesamt erscheint es also als verfassungsrechtlich wie verfassungspolitisch wünschenswert, daß der Verfassungsgerichtshof auch fürderhin über sämtliche im Kommunalverfassungsrecht beheimateten Streitigkeiten entscheidet.
11. Entsprechende Heranziehung des Instituts der Popularklage? Fraglich erscheint, ob eine Entscheidungskompetenz des Verfassungs gerichtshofs in Streitigkeiten, bei denen die Verfassungsmäßigkeit von Rechtsnormen inmitten steht, durch eine entsprechende Anwendung des Instruments der Popularklage herbeigeführt werden kann. Dies wäre nach vorstehend Gesagtem nur unter den Prämissen möglich, daß einerseits auf den Begriff der Grundrechtsähnlichkeit verzichtet und andererseits die entsprechende Anwendung zugunsten aller kommunalen Gebietskörperschaften durchgeführt wird, so daß sich auch die Gemeindeverbände unter Berufung auf ihr kommunales Selbstverwaltungsrecht an den Verfassungsgerichtshof wenden könnten. Hierfür spräche insbesondere die Tatsache, daß das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und dasjenige der Gemeindever13 Vgl. v. Mutius in: BK, Art. 19 III Rn. 1 ff.; Stern, Staatsrecht II11l, 1091 ff.; Badura, BayVBl. 1989, 1.
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3. Teil: Konsequenzen
bände auch angesichts der mannigfachen Unterschiede in Reichweite und grundsätzlicher Konstruktion doch eine zu beachtende Strukturparallelität aufweisen. Diese Möglichkeit hat der Verfasser an anderer Stelle vorgeschlagen 14 und spricht sich nun dagegen aus: Zunächst ist fraglich, inwieweit in diesem Zusammenhang von einer durch entsprechende Anwendung zu schließenden Lücke die Rede sein kann, wenn doch gerade die bundesverfassungsrechtliche Kommunalverfassungsbeschwerde als Auffangrechtsbehelf zur Verfügung steht. Man müßte also die Frage beantworten, ob Bundesrecht geeignet ist, eine landesrechtliche Lücke zu schließen (hiervon scheint jedenfalls Art. 93 I Nr. 4b GG auszugehen), oder ob Bundes- und Landesrecht solchennaßen voneinander geschieden sind, daß eine wechselseitige Lückenfüllung nicht in Betracht kommt. Ungeachtet dieser Frage ergibt sich aber ein anderes Problem: Wollte man auf die entsprechende Anwendung des Instituts der Popularklage verweisen, so bliebe es weiter bei den etwas müßigen Fragen, ob - in Abweichung vom Grundgedanken der Popularklage - nur die betroffene Gemeinde Antragsteller sein kann, wenn nicht eine abstrakt-generell das Selbstverwaltungsrecht betreffende Maßnahme Beschwerdegegenstand ist und welcher Prüfungsmaßstab in welchen Konstellationen anzulegen ist; es handelte sich mit anderen Worten um verfassungsrechtliche bzw. verfassungsprozessuale Notlösung, die sich unter Umständen den Vorwurf machen lassen muß, an der klaren Dezision des Gesetzgebers, der die Popularklage eben nur zum Schutz der Grundrechte einsetzen wollte, wenig interessiert zu sein.
III. Gesetzgebungsvorschlag Von daher soll dem Gesetzgeber ein Gesetzgebungsvorschlag unterbreitet werden, der diejenigen verfassungsprozessualen Probleme, denen ein großer Teil dieser Darlegung gewidmet war, mit wenigen Federstrichen beseitigen kann: Es geht um die gesetzliche Einführung einer Kommunalverfassungsbeschwerde, die aus wenig nachzuvollziehenden Gründen bislang im Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof fehlt, während in den meisten anderen Bundesländern eine solche Zuständigkeit gegeben ist. Zu beachten ist dabei, daß wegen Art. 67 BV (vgl. auch Art. 2 Nr. 9 VfGHG) eine Verfassungsänderung nicht nötig ist, um eine solche Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs einzuführen.
14
Vgl. Lissack. § 1 Rn. 90ff.
11. Kapitel: Kommunalverfassungsbeschwerde
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1. Einführung einer Rechtssalzbeschwerde? Die bundesverfassungsrechtliche Kommunalverfassungsbeschwerde des Art. 93 I Nr. 4b GG ist eine reine Rechtssatzbeschwerde, wobei unter Gesetz im Sinn dieser Bestimmung auch das materielle Gesetz (des Bundes oder eines Landes) zu verstehen ist l5 . Dieser Regelung haben sich zahlreiche Bundesländer angeschlossenl 6 , zum Teil unter weitgehender Übernahme des Gesetzestextes. Teilweise wird allerdings von den Landesverfassungsgerichten unter Gesetz nur das Parlamentsgesetz verstanden 17, so daß sich in diesen Fällen die (leidige) Frage stellen muß, ob in bezug auf die von der landesverfassungsgerichtlichen Entscheidungskompetenz nicht erfaßten nur materiellen Gesetze nach Erschöpfung des Rechtswegs die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegeben ist, oder ob hierüber ausschließlich die Verwaltungsgerichte entscheiden. In jedem Fall ist Voraussetzung für die Einlegung einer solchen Beschwerde die Behauptung einer Selbstbetroffenheit der beschwerdeführenden Kommune; eine Popularkommunalverfassungsbeschwerde gibt es nicht. Für den bayerischen Rechtsraum wird von der Einführung einer bloßen Rechtssatzbeschwerde abzusehen sein. Wollte man eine bloße Rechtssatzbeschwerde einführen, die nicht auch andere Beeinträchtigungen erfaßt, ergäben sich Schwierigkeiten mit der Abgrenzung zur Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 66, 120 BV. Sofort würde sich die Frage stellen, ob neben der Rechtssatzbeschwerde auch die Verfassungsbeschwerde eingelegt werden kann, oder ob der Gesetzgeber mit der Einführung der Rechtssatzbeschwerde das verfassungsprozessuale Rügerecht der Kommunen abschließend regeln wollte.
Vgl. BVerfGE 26,288/337; 28, 119/133; 56, 298/309; 71, 25/34. Vgl. Art. 76 Verfassung des Landes Baden-Württemberg (§§ 8 I Nr. 8, 54 Staatsgerichtshofgesetz), Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (§§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz), Art. 53 I Nr. 8 Verfassung des Landes MecklenburgVorpommern (§§ II I Nr. 10, 51 ff. Landesverfassungsgerichtsgesetz), Art. 54 Nr. 5 Niedersächsische Verfassung, Art. 75 Nr. 4 Verfassung für das Land NordrheinWestfalen i. V. m. §§ 12 Nr. 8, 52 Verfassungsgerichtshofgesetz, Art. 123 Verfassung des Saarlandes (§§ 9 Nr. 13, 55 Verfassungsgerichtshofgesetz), Art. 90, 81 I Nr. 5 Verfassung des Freistaates Sachsen (§§ 7 Nr. 6, 36 Verfassungsgerichtshofgesetz), § 2 Nr. 8 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt. 17 So in Baden-Württemberg (vgl. VGH Baden-Württemberg BWVBI. 1968, 184ff; StGH Baden-Württemberg ESVGH 27, 185), in Niedersachsen (vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 843) und in Sachsen-Anhalt (Verfassungsgericht von Sachsen-Anhalt LKV 1996,413; vgl. auch Pestalozza, LKV 1994, 11/14). 15
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3. Teil: Konsequenzen
2. Einführung einer umfassenden Kommunalverfassungsbeschwerde Vielmehr haben die Ausführungen des sechsten Kapitels gezeigt l8 , daß auch eine verfassungsgerichtliche Zuständigkeit gegen nicht rechtssatzmäßige Beeinträchtigungen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ihre Berechtigung hat. Umfassende Kommunalverfassungsbeschwerden bzw. Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte finden sich zwar nur in wenigen Bundesländern l9 , gleichwohl verlangt ein effektiver verfassungsprozessualer Schutz der bayerischen Kommunen, nicht an der Rechtslage, wie sie in der Mehrheit der Bundesländer gilt, Maß zu nehmen, sondern vielmehr eine umfassende Kommunalverfassungsbeschwerde in das Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof zu integrieren, die auch die Verfassungsmäßigkeit exekutiver Maßnahmen bzw. fachgerichtlicher Entscheidungen untersucht. Gewisse verfassungsrechtliche (Korrespondenz-) Gewährleistungen der Bayerischen Verfassung, wie zum Beispiel die Regelung des Aufsichtsrechts in Art. 83 IV BV werden ohnehin eher in Fällen einer nicht rechtssatzmäßigen Beschwer der kommunalen Gebietskörperschaft ihre eigentliche Wirksamkeit entfalten. Außerdem spricht für die Einführung einer umfassenden Kommunalverfassungsbeschwerde auch die (hier vertretene) konsequente Beschränkung der Kommunen auf die Selbstverwaltungsgarantien als Schutzmechanismen unter Ausschaltung grundrechtlicher Absicherungen sowie die Tatsache, daß es in der Praxis - insbesondere bei Organisationsfragen oder im Planungsrecht - oft eine eher zufällige Entscheidung sein kann, ob etwas durch Rechtsnorm oder durch sonstigen hoheitlichen Akt geregelt wird.
3. Wortlaut der im Gesetz über den Verfassungsgerichtshof zu treffenden Regelungen Im folgenden soll der Wortlaut der im Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof zu treffenden Regelungen vorgeschlagen werden:
18
140.
Erinnert sei insbesondere an die Hindelang-I-Entscheidung BayVerfOH 41,
19 So in Rheinland-Pfalz (vgl. Art. 130 I, 135 Ia der Verfassung und §§ 3 Nr. la, 23, 25, 26, 44 des Verfassungsgerichtsgesetzes; vgl. auch VerfOH RhPf DÖV 1995, 908) und Thüringen (vgl. Art. 80 I Nr. 2 und Art. 91 I, 11 der Verfassung).
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a) Änderung des Art. 2 VfGHG Art. 2 VfGHG lautet nach seiner Änderung: ,,9. über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen der Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung, 10. in den übrigen durch Gesetz zugewiesenen Fällen (Art. 67 der Verfassung)."
b) Änderung des Art. 3 VfGHG Art. 3 11 Nr. 2 VfGHG lautet nach seiner Änderung: ,,2. in den Fällen des Art. 2 Nm. 5, 7, 8 und, wenn der Organstreit oder die Verfassungsbeschwerde von Gemeinden oder Gemeindeverbänden die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsvorschrift betreffen, auch in den Fällen des Art. 2 Nr. 4 bzw. des Art. 2 Nr. 9, der Präsident und acht berufsrichterliche Mitglieder, von denen drei dem Verwaltungsgerichtshof angehören,".
c) Einfügung eines achten Abschnitts in das zweite Kapitel des dritten Teils des Gesetzes über den Veifassungsgerichtshof Nach Art. 55 VfGHG wird in das zweite Kapitel ("Besondere Verfahrensvorschriften") des dritten Teils ("Verfahren") ein achter Abschnitt eingefügt, der mit "Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden (Art. 2 Nr. 9)" überschrieben ist. Der einzufügende Art. 55a VfGHG lautet: "Art. 55a Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden Abs. 1: Gemeinden und Gemeindeverbände können Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, in ihrem Recht auf Selbstverwaltung verletzt zu sein. In der Beschwerde ist die Handlung oder Unterlassung des verfassungsmäßigen Organs, des Gerichts oder der Behörde, durch die sich der Beschwerdeführer verletzt fühlt, zu benennen. Abs. 2: Ist gegen die behauptete Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Art. 51 VfGHG gilt mit der Maßgabe entsprechend, daß für den Fall, daß Beschwerdegegenstand ein Gesetz ist, die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden kann. Abs. 3: Bezüglich der Gelegenheit zur Äußerung anderer Behörden, des Verfahrens und des Inhalts der Entscheidung gelten die Art. 52 bis 54 entsprechend; wenn Beschwerdegegenstand eine Rechtsvorschrift des bayerischen Landesrechts ist, gilt Art. 55 entsprechend."
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3. Teil: Konsequenzen
4. Anmerkungen zum Gesetzesvorschlag a) Anmerkung zur Zuständigkeitsregelung des Art. 2 VfGHG
Art. 2 VfGHG ist zu ergänzen um eine weitere Zuständigkeit. Dabei ist es am einfachsten und zugleich systematischsten, wenn die bisherige Zuständigkeit der Nr. 9 (übrige durch Gesetz zugewiesene Fälle) der Kommunalverfassungsbeschwerde Platz macht, so daß diese zur Nr. 9 und die Auffangzuständigkeit zur Nr. 10 wird. b) Anmerkung zur Besetzungsregelung des Art. 3 VfGHG
. Die Besetzung im Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren orientiert sich an der Regelung der Organstreitigkeiten gemäß Art. 64 BV, Art. 2 Nr. 4 VfGHG, wonach zwischen Streitigkeiten, die die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm betreffen und sonstigen Streitigkeiten zu unterscheiden ist. Diese etwas komplizierte Regelung lehnt sich an den vorgegebenen Grundgedanken des VfGHG an, wonach über die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsvorschrift nur Berufsrichter entscheiden sollen (vgl. insbesondere auch Art. 3 III VfGHG). Fraglich ist allerdings, ob der Gesetzgeber weiterhin die Notwendigkeit für solch differenzierende Regelungen bejaht, oder ob er nicht eine pauschale, für alle Zuständigkeiten gleichennaßen geltende Besetzungsregelung finden will. c) Anmerkungen zur Ausgestaltung der Kommunalverfassungsbeschwerde
Die einzuführende Kommunalverfassungsbeschwerde kann sich im wesentlichen an der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 66, 120 BV, Art. 2 Nr. 6, 51 ff. VfGHG orientieren. Das gilt insbesondere auch für die Notwendigkeit einer Beschwer. Unabhängig vom Beschwerdegegenstand, das heißt unabhängig davon, ob eine Rechtsvorschrift oder eine sonstige Maßnahme Beschwerdegegenstand ist, ist stets die Behauptung einer eigenen Beschwer des Beschwerdeführers zu fordern; ein Ergebnis, dem sich die Rechtsprechung für die Behandlung der Popularklage in kommunalrechtlichen Streitigkeiten nach der bisherigen Rechtslage ohnehin bereits angenähert hat. Eine Beschwerdefrist ist auch dann zu fordern, wenn Beschwerdegegenstand eine Nonn ist. Da die Popularklage einen Ausnahmerechtsbehelf bildet, dessen vornehmstes Ziel die Wahrung der objektiven Rechtsordnung ist, die Kommunalverfassungsbeschwerde aber ein beschwerabhängiges Rechtsinstitut darstellen soll, ist auch eine Beschwerdefrist von einem Jahr
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einzubauen, wenn Beschwerdegegenstand ein Gesetz im formellen Sinn ist; bei Verordnungen oder Satzungen als Beschwerdegegenstand, richtet sich die Beschwerdefrist nach Art. 51 VfGHG entsprechend. Ansonsten kann auf die vorhandenen Regelungen zur Verfassungsbeschwerde bzw. Popularklage zurückgegriffen werden; Differenzierungskriterium ist, ob eine Rechtsvorschrift des bayerischen Landesrechts vorliegt (dann Art. 55 VfGHG entsprechend) oder eine sonstige Maßnahme einer Behörde oder eines Gerichts (dann Art. 52 bis 54 VfGHG entsprechend).
IV. Zusammenfassung des elften Kapitels Dieses Kapitel und zugleich diese Arbeit endet mit der Hoffnung, der Gesetzgeber möge das Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof dahingehend ändern, daß eine umfassende Kommunalverfassungsbeschwerde eingeführt wird. Der Verfasser ist der Ansicht, daß wenigstens einige der geschilderten Inkonsequenzen in der Rechtsprechung des Bayerisehen Verfassungsgerichtshofs beseitigt werden könnten, wenn den bayerisehen kommunalen Gebietskörperschaften eine eigene, geschriebene Verfassungsbeschwerde verschafft wird, wie sie in ähnlicher Form bereits in der Mehrzahl der anderen Bundesländer existiert. Dem Verfassungsgerichtshof jedenfalls würde hierdurch manche Argumentationslast genommen, müßte er doch nicht mehr darlegen, weshalb die Gemeinden, aber auch die Gemeindeverbände berechtigt sind, die Popularklage bzw. Verfassungsbeschwerde zu bemühen.
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Anhang: Verzeichnis der zitierten Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtes Im Folgenden wird die zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs bzw. des Bundesverfassungsgerichts zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht aufgelistet. Häufig angeführte Entscheidungen haben aus Gründen der besseren Zitierbarkeit einen vom Verfasser erfundenen Namen erhalten.
I. Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes BayVerfGH 2, 143 (Politische Befreiung-Entscheidung): Popularklage eines Landkreises wegen Feststellung der Verfassungswidrigkeit einzelner Bestimmungen des Gesetzes zur Überführung der bei der politischen Befreiung tätigen Personen in andere Beschäftigungen: Charakter des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden als Grundrecht bleibt offen, das der Gemeindeverbände ist kein grundrechtsähnliches Recht. BayVerfGH 4, 251 (Beschränkung der Gemeinden im Volksschul- und Berufsschulwesen) BayVerfGH 5, 1 (Landkreis Hof/Saale-Entscheidung): Popularklage des Landkreises Hof/Saale zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit einzelner Bestimmungen des Finanzausgleichs zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden. Art. 103 BV schützt auch das Eigentum juristischer Personen. BayVerfGH 7, 113 (Wangen-Entscheidung): Vorlage des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gern. Art. 92 BV bzgl. der Verfassungsmäßigkeit von Art. 11 III GO i.d.F. vom 25.1.1952 und Art. 7 I LKrO i.d.F. vom 16.2.1952; keine individuelle Bestandsgarantie der Gemeinden. BayVerfGH 10, 113 (Wirtschaftliche Unternehmen-Entscheidung): Popularklage dreier Städte auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Art. 75 I Nr. I und Nr. 3 sowie des Art. 75 11 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern vom 25. Januar 1952: Wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinden; WesensgehaIt des Se1bstverwaltungsrechts; Selbstverwaltungsrecht als subjektives öffentliches Recht. BayVerfGH 12, 48: Popularklagen mehrerer Städte und Landkreise auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit einzelner Vorschriften des Finanzausgleichs zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden. Berufung auch der Landkreise auf Art. 118 I BV; Bedeutung des Art. 1211 I BV.
Anhang: Verzeichnis der zitierten Entscheidungen
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BayVerfGH 13, 45: Popularklage einer Stadt auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 9 H, III des Gesetzes über den Schutz der Sonn- und Feiertage vom 15. Dezember 1949. Berufung einer Gemeinde auf Art. 101 BV. Gemeinde macht Grundrechtsverletzung Privater geltend. BayVerfGH 22, 43 = BayVBI. 1969, 210 (Prettelshofen-Entscheidung): Popularklage einer Gemeinde auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Rechtsverordnung der Regierung von Schwaben vom 3. 9. 1968 über die Auflösung und Errichtung von öffentlichen Volksschulen Art. 135 kein Grundrecht, das im Popularklageverfahren gerügt werden könnte, wohl aber ein subjektives verfassungsmäßiges Recht i.S.v. Art. 66, 120 BV. BayVerfGH 24, 48 = BayVBI. 1971, 184, 225 (Flughafen-Entscheidung I): Verfassungsbeschwerde einer Gemeinde gegen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wegen mangelnder Information und Anhörung in einem Raumordnungsverfahren. Zur Erschöpfung des Rechtswegs. BayVerfGH 24, 181 = BayVBI. 1972, 43 (Bezirkseinteilung-Entscheidung): Zur Verfassungsmäßigkeit des Art. 9 II 2 BV; Abgrenzung der Regierungsbezirke, Einteilung der Regierungsbezirke in Landkreise. BayVerfGH 25, 57 = BayVBI. 1972, 326 (Kommunalwahlengesetz-Entscheidung): Popularklage auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Art. 2 III 1 des Gesetzes über die Kommunalwahlen 1972 vom 27. Juli 1971. Zur vorzeitigen Beendigung der Amtszeit der Landräte als kommunale Wahl beamte aus Anlaß der Neugliederung der Gemeindeverbände; Neugliederung der Landkreise gern. Art. 9 H BV. BayVerfGH 25, 83 = BayVBI. 1972, 662: Zu den Voraussetzungen, unter denen der Vollzug einer Gebietsneugliederungsvorschrift durch einstweilige Anordnung ausgesetzt werden kann. BayVerfGH 25, 92: Zum Rechtsnormcharakter der Verordnung zur Neugliederung Bayerns in Landkreise und kreisfreie Städte vom 27.12.1971. Zur Frage des verfassungsmäßigen Rechts der Gemeinden auf Selbstverwaltung und seiner Ge1tendmachung im verfassungsgerichtlichen Verfahren (es bleibt offen, ob das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ein subjektives Recht i.S.v. Art. 120 BV ist). Einstweilige Anordnung. BayVerfGH 27, 14 = BayVBl. 1974, 308 (Landkreis Ingolstadt-Entscheidung): Popularklage des Landkreises Ingolstadt auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit einzelner Bestimmungen der Verordnung zur Neugliederung Bayerns in Landkreise und kreisfreie Städte vom 27.12.1971: "Einer Körperschaft des öffentlichen Rechts kann Grundrechtssubjektivität und damit der Schutz des Art. 98 (4) BV nicht versagt werden, wenn sie durch legislative Maßnahmen in ihrem Bestand oder ihrem Gebietszuschnitt betroffen wird. Es bedarf keines Eingehens darauf, ob diese institutionelle Garantie der Gemeindeverbände Grundrechtscharakter genießt." BayVerfGH 27, 82 = BayVBI. 1974, 613 (Flughafen-Entscheidung 11): Verfassungsbeschwerde mehrerer Gemeinden: Gemeindliches Selbstverwaltungsrecht kein Grundrecht i.S.v. Art. 98 BV, sondern ein institutionell garantiertes subjek-
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ti v-öffentliches Recht, das in seinem Wesensgehalt ebenso wenig angetastet werden darl wie ein Grundrecht. BayVerfGH 28, 88 ::: BayVBI. 1975, 502 (Landesarbeitsgerichtssprengel-Entscheidung): Popularklage einer Privatperson auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Art. 1 des Gesetzes über die Organisation der Gerichte für Arbeitssachen im Freistaat Bayern vom 12. Juni 1973, soweit mit Wirkung vom 1. Januar 1974 ein Landesarbeitsgericht Nürnberg errichtet worden ist. BayVerfGH 29, 1 ::: BayVBI. 1976, 205 (KreisverwaItungssitz-Entscheidung): Popularklage einer Stadt und einer natürlichen Person auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 3 Nr. 1 der Verordnung zur Bestimmung der Namen der Landkreise und der Sitze der Kreisverwaltungen vom 10. April 1973, soweit die Stadt Amberg zum Sitz der Kreisverwaltung bestimmt wird, sowie Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung: Selbstverwaltungsgarantie gibt der Gemeinde keinen Anspruch auf Sitz der Kreisverwaltung (Kreisstadt kein rechtlich relevanter Begriff); Art. 118 I BV. BayVerfGH 29, 105 ::: BayVBI. 1976, 589 (Polizeivermögen-Entscheidung): Popularklage einer Gemeinde auf Feststellung der Verfassungs widrigkeit des Art. 51 I I, III I und IV I sowie des Art. 52 des Gesetzes über die Organisation der Polizei in Bayern in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Oktober 1974 (GVBI. S. 746): Inanspruchnahme des gemeindlichen Polizeivermögens durch den Staat aus Anlaß der Polizeiverstaatlichung. Zur Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden. Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als grundrechtsähnliches Recht. BayVerfGH 29, 191 ::: BayVBI. 1977, 81 (Kindergartengesetz-Entscheidung): Popularklage einer Privatperson mit dem Antrag der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Bayerischen Kindergartengesetzes vom 25. Juli 1972. Einschränkung der Antragsberechtigung bei Popularklagen natürlicher Personen, die eine Norm zum Verfahrensgegenstand machten, die das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht einschränkt. BayVerfGH 31, 33 ::: BayVBI. 1978, 269 (Einstweilige Anordnung zur Autbebung des KommunalwahItermins): Antrag von 210 Gemeinden auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf Aufhebung des Wahltermins für die Kommunalwahlen 1978. BayVerfGH 31, 44 ::: BayVBI. 1978, 426 (VerwaItungsgemeinschafts-Entscheidung): Popularklage der Stadt Merkendorf auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 25 11 und des § 41 Buchstabe c der Verordnung der Regierung von Mittelfranken zur Neugliederung der Gemeinden im Landkreis Ansbach vom 7. April 1976: Grundsatzurteil zur Verfassungsmäßigkeit des Instituts der Verwaltungsgemeinschaft; teilweise überholt durch Reformgesetzgebung. BayVerfGH 31, 77 ::: BayVBI. 1978,334 (Bürgerfreundliche Gemeindegebietsreform-Entscheidung): Entscheidung über die Vorlage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern betreffend den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens über den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 11 BV: Zu den gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Volksbegehrens zur Ergänzung des Art. 11 BV (Normierung der Voraussetzungen einer allg. Gemeindegebietsreform).
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BayVerfGH 31, 99 = BayVBI. 1978, 497 (Starentscheidung zur Gebietsreform): Popularklagen von 212 Gemeinden mit dem Ziel der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Rechtsverordnungen der Regierungen zur Neugliederung der Gemeinden und der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einzelner Bestimmungen der Rechtsverordnung der Bayerischen Staatsregierung zur Änderung von Grenzen der Regierungsbezirke, Landkreise und kreisfreien Städte vom 12. März 1976 und der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Rechtsverordnung des Bayerischen Staatsministeriums des Innem zur Änderung von Grenzen der Regierungsbezirke vom 25. März 1976: Gemeindegebietsänderung nur durch Gesetz? Abgrenzung der Regierungsbezirke; geringfügige Gebietsänderungen. BayVerfGH 33, 1 = BayVBI. 1980, 284 (VerwaItungsgemeinschaftsreform-Entscheidung): Popularklagen auf Feststellung gesetzgeberischen Unterlassens im Zusammenhang mit dem Gesetz über die Zugehörigkeit von Gemeinden zu Verwaltungsgemeinschaften vom 10. August 1979: Zur Geltendmachung gesetzgeberischen UnterJassens im Zusammenhang mit der Korrektur der Gemeindegebietsreform im Bereich der Verwaltungsgemeinschaften. BayVerfGH 33, 47 (Neuses-Entscheidung): Popularklage einer Gemeinde auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 6 Buchstabe g der Rechtsverordnung der Regierung von Oberfranken zur Neugliederung der Gemeinden im Landkreis Kronach vom 7. April 1976: Zur Eingliederung einer Gemeinde zur Stärkung eines mittelzentralen Ortes. Bestätigung von VerfGH 31, 99. Rezeption von BVerfGE 50,50. BayVerfGH 33, 87 = BayVBI. 1980, 400 (Markt Grafengehaig-Entscheidung): Popularklage einer Gemeinde auf Feststellung der Verfassungs widrigkeit des § 11 der Rechtsverordnung der Regierung von Oberfranken zur Neugliederung der Gemeinden im Landkreis Kulmbach vom 7. April 1976: Zur Eingliederung einer Gemeinde in eine Verwaltungsgemeinschaft nach Neubekanntmachung der VGemO durch Gesetz vom 25.9.1979; Personalhoheit; Gemeinden müssen über funktionsfähige Organe und Verwaltungen verfügen. BayVerfGH 34, 1 = BayVBI. 1981, 143 (Staufen-Entscheidung): Popularklage einer Gemeinde auf Feststellung der Verfassungs widrigkeit des Art. 50 des Gesetzes über die Änderung der Zugehörigkeit von Gemeinden zu Verwaltungsgemeinschaften vom 10. August 1979. BayVerfGH 34, 64 = BayVBI. 1981, 399 (Edling-Entscheidung): Popularklage der ehemaligen Gemeinde Edling auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 21 Buchstabe b der Rechtsverordnung der Regierung von Oberbayern zur Neugliederung der Gemeinden im Landkreis Rosenheim vom 12. April 1976: Zu den Voraussetzungen für die Auflösung einer lebensfähigen Gemeinde. BayVerfGH 36, 113 = BayVBI. 1984, 109 (Schulsprengel-Entscheidung): Verfassungsbeschwerde der Gemeinde Ergersheim gegen eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, bei der es um die Sprengeleinteilung für Grund- und Hauptschüler ging: Eine Gemeinde kann sich auf das Verfahrensgrundrecht des Art. 91 I BV (rechtliches Gehör) berufen. Das Anhörungsrecht im Normenkontrollverfahren gern. § 47 VwGO kann auch auf Art. 11 11 2 BV gestützt werden.
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BayVerfGH 36, 162 (Horgau-Entscheidung): Popularklage von 712 Privatpersonen auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 9 Buchstabe c der Verordnung der Regierung von Schwaben zur Neugliederung der Gemeinden im Landkreis Augsburg vom 8. April 1976 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 19. Dezember 1977: Zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht als Profungsmaßstab bei Bürgerklagen in einem Popularklageverfahren. BayVerfGH 36, 173 ::: BayVBI. 1984, 235 (Irlbach-Entscheidung): Antrag der Gemeinde Irlbach auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Vorschriften der Verordnung der Regierung von Niederbayern vom 15. Dezember 1977 (Gebietsreform). BayVerfGH 37, 101 ::: BayVBI. 1984, 655 (Fischereirechte-Entscheidung): Verfassungsbeschwerde einer Gemeinde gegen zivilrechtliches Urteil unter Berufung auf Art. 103 BV. Zur Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden. Die Gemeinden als Fundament des Staates. BayVerfGH 38, 198 ::: BayVBI. 1987, 47 (Kleinziegenfelder-Tal-Entscheidung): Popularklage natürlicher Personen gegen Verordnung des Bezirks Oberbayern zur Änderung der Anordnung zur endgültigen Sicherstellung von Landschaftsteilen in den Landkreisen Bamberg und Lichtenfels. Grundrechtsschutz des Art. 141 III BV (kein Grundrecht auf unveränderten Bestand bestimmter Landschaftsgebiete; kein Grundrecht gegen Maßnahmen mit naturverändernder Wirkung). Unterscheidung des "klassischen Gleichheitssatzes" vom allgemeinen Willkürverbot. Systemwidrigkeit als Unterfall des "klassischen Gleichheitssatzes" und des allgemeinen Willkürverbots. BayVerfGH 39, 169 ::: BayVBI. 1987, 207 (Tandern-Entscheidung): Popularklage von 588 Einwohnern der Gemeinde Tandem auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 10 der Rechtsverordnung der Regierung von Oberbayern zur Neugliederung im Landkreis Dachau vom 12. April 1976. Im Rahmen einer "Bürgerklage" mißt der Verfassungsgerichtshof eine Neugliederungsvorschrift grundsätzlich auch dann nicht am Maßstab des Art. II 11 BV, wenn die Popularklage mit einer anderen Rüge zulässigerweise erhoben worden ist. BayVerfGH 40, 45 ::: BayVBI. 1987, 458: Freistellung berufsschulpflichtiger Berufsschüler von den Mehrkosten einer auswärtigen Unterbringung. Annahme einer Ungleichbehandlung durch gesetzgeberisches Unterlassen. Übernahme der neuen Formel des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 55, 72/88). BayVerfGH 40, 154 ::: BayVBI. 1988, 330 (Baar-Entscheidung): Popularklage natürlicher Personen auf Feststellung der Verfassungs widrigkeit einer Bestimmung der Verordnung der Regierung von Schwaben zur Neugliederung der Gemeinden im Landkreis Augsburg vom 8. April 1976: Keine Berufung natürlicher Personen auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht im Rahmen einer gebietsreformierenden Maßnahme, Möglichkeit der Berufung auf Art. 118 I BV. BayVerfGH 41, 140 ::: BayVBI. 1989, 237 (Hindelang-I-Entscheidung): Verfassungsbeschwerde des Marktes Hindelang gegen rechtsaufsichtliche Verfügung, mit der der Gemeinde die Genehmigung zur Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer versagt wurde. Steuerfindungsrecht, Finanzhoheit, Art. 83 11 2 BV als Ausfluß des Art. 11 11 2 BV. Zum Prüfungsumfang der Rechtsaufsichtsbehörden.
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BayVerfGH 44, 41 = BayVBI. 1991, 461 (Naturpark-Entscheidung): Popularklage von Privatpersonen auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Verordnung über den "Naturpark Oberer Bayerischer Wald" vom 24. Oktober 1989: Keine Berufung natürlicher Personen auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht bei Naturschutzverordnung. BayVerfGH 45, 33 = BayVBI. 1992, 365 (Hindelang-II-Entscheidung): Das Verbot des Art. 3 III KAG, eine Steuer auf das Innehaben einer Wohnung zu erheben, verstößt nicht gegen Normen der Bayerischen Verfassung. BayVerfGH 45, 157 = BayVBI. 1993, 177 (Forstwirtschaft-Entscheidung): Verfassungs beschwerde einer Gemeinde gegen Bescheid der Oberforstdirektion, der die Gemeinde anteilig zu den Kosten der Erstellung eines Forstwirtschaftsplans heranzieht. Zu Inhalt und Umfang des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts einschließlich der kommunalen Finanzhoheit. BayVerfGH 47, 165 = BayVBI. 1994, 685 (Bezirksausschuß-Entscheidung): Popularklage der Landeshauptstadt München zur Frage, ob Art. 60 11 I GO (a. F.), wonach die Bezirksausschüsse lediglich eine vorberatende Funktion haben, gegen Normen der Bayerischen Verfassung verstößt. Hilfsweise wurde die Feststellung beantragt, die Gemeindeordnung verbiete beschließende Bezirksausschüsse nicht. BayVerfGH 49, 37 = BayVBI. 1996, 462 (Schulfinanzierungsgesetz-Entscheidung): Popularklage von vier Städten auf Feststellung der Verfassungs widrigkeit einzelner Bestimmungen des Schulfinanzierungsgesetzes sowie der Ausführungsverordnung. BayVerfGH 49, 79 = BayVBI. 1996, 590 (Krematorium-Entscheidung): Popularklagen von sechs Städten auf Feststellung der Verfassungs widrigkeit des § I Nr. 8 des Gesetzes zur Änderung des Bestattungsgesetzes vom 10. August 1994: Feuerbestattungsanlagen in privater Trägerschaft. Inhalt des Selbstverwaltungsrechts; Aufgabenverteilungsprinzip; faktischer Aufgabenentzug; gesetzgeberischer Prognosespielraum/Einschätzungs- und Bewertungsvorrang. BayVerfGH 50, 15 = BayVBI. 1997, 303 (Münchener Finanzausgleich-Entscheidung): Popularklage der Landeshauptstadt München gegen Bestimmungen des FAG, BaySchFG, AVBaySchFG: Finanzielle Mindestausstattung der Gemeinden, Finanzhoheit. BayVerfGH 50, 115: Popularklagen natürlicher Personen gegen Rechtsverordnung zur Neugliederung der Gemeinden im Landkreis Passau vom 12. April 1976 und gegen Unterlassen der Ausgliederung der Gemeinde Pleinting aus der Stadt Vilshofen: Verwirkung einer Popularklage und Berufung auf Art. 118 I BV. BayVerfGH 50, 181 (Bürgerbegehren-Entscheidung): Popularklagen natürlicher Personen auf Feststellung der Verfassungs widrigkeit des Gesetzes zur Einführung des kommunalen Bürgerentscheids vom 27. Oktober 1995 (GVBI. S. 730, BayRS 2027-1-1): Zum Prüfungs maßstab einer von natürlichen Personen eingelegten Popularklage, die kommunales Organisationsrecht zum Prüfungsgegenstand hat; zur Funktionsflihigkeit der kommunalen Organe.
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BayVerfGH vom 12. Januar 1998, Vf. 24.VII-94 = BayVBI. 1998, 207 (Landkreisfinanzausgleich-Entscheidung): Popularklage zweier Landkreise auf Feststellung der Verfassungs widrigkeit verschiedener Bestimmungen des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1994 bzw. vom 29. Februar 1996.
11. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes BVerfGE 1, 167: Kommunalverfassungsbeschwerde der Stadt Offen burg gegen Bestimmungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 GG fallenden Personen. Scheinbar wird offengelassen, ob das kommunale Selbstverwaltungsrecht ein Grundrecht ist, tatsächlich wird aber an die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs angeschlossen, daß das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht eine institutionelle Garantie darstellt. BVerfGE 11, 266: Individualverfassungsbeschwerde gegen Bestimmungen des saarländischen Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 9. Februar 1960 (ABI. S. 101). Geschichtlicher Kurzaufriß der Entwicklung der gemeindlichen Selbstverwaltung. BVerfGE 21, 362: Verfassungsbeschwerde der Landesversicherungsanstalt Westfalen: Die Grundrechte gelten grundsätzlich nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen. BVerfGE 21, 117: Vorlage gern. Art. 100 I GG wegen vorgeblicher Unvereinbarkeit des § 69 I des Zweiten Wohnungsbaugesetzes vom 27. Juni 1956 mit dem Grundgesetz. Eingriff in den Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden und Landkreise verneint. BVerfGE 23, 353: Vorlage gern. Art. 100 I GG zur Frage der Vereinbarkeit der sog. Vorbelastungsregelung in § 14 11 Nr. I des Finanzausgleichsgesetzes des Landes Hessen vom 27. März 1958 (GVBI. S. 43) mit Art. 28 11 GG. Funktionale Verflochtenheit von kreisangehöriger Gemeinde und Kreis. BVerfGE 27, 240 (Norderstedt-Beschluß): Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des Schleswig-Holsteinischen Gesetzes einer Neuordnung von Gemeinde- und Kreisgrenzen: zur Parteifähigkeit eines Kreises im Verfahren gern. Art. 93 I Nr. 4 GG. BVerfGE 45, 63 (Stadt Hameln-Entscheidung): Zur Grundrechtssubjektivität von kommunalen Gebietskörperschaften. BVerfGE 48, 64: Individualverfassugsbeschwerde gegen Art. 31 IV Nr. 3 GO i. d. F. vom 8. Juli 1977: Art. 28 GG berechtigt nicht zur Einlegung einer Individualverfassungsbeschwerde. BVerfGE 50, 50: Bestands-/Gebietsänderung der Stadt Laatzen; Leitentscheidung zur Gemeindegebietsreform. BVerfGE 50, 195: Bestimmung des Namens im Rahmen einer kommunalen Neugliederung.
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BVerfGE 52, 95: Normenkontrollantrag gern. Art. 99 GG zur verfassungsrechtlichen Prüfung von § 9 der Amtsordnung für Schieswig-Hoistein in der Fassung vom 11. November 1977 (GVOBl. Schl-H S. 448). Zum Begriff der Gemeindeverbände. BVerfGE 56, 298: Kommunalverfassungsbeschwerde gegen die Verordnung über die Festsetzung des Lärmschutzbereichs für den militärischen Flugplatz Memmingen vom 23. Juni 1975 - BGBl. I S. 1490. BVerfGE 58, 177: Individualverfassungsbeschwerde gegen Bestimmung der niedersächsischen Gemeindeordnung/Landkreisordnung: Art. 28 GG keine Bestimmung, die zur Erhebung einer Individualverfassungsbeschwerde geeignet ist. BVerfGE 59, 216: Kommunalverfassungsbeschwerde gegen Art. UI des niedersächsischen Gesetzes zur Bildung der Gemeinden Bad Laer, Glandorf und Didderse sowie zur Umbenennung der Gemeinde Söhlde vom 20. Februar 1981 (GVBl. S. 13). BVerfGE 61, 82 (Sasbach-Entscheidung): Grundrechtsfähigkeit von Gemeinden auch außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben verneint. BVerfGE 68, 193/205: Landesinnungsverband für das Zahntechnikerwesen: Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts. BVerfGE 70, 1: Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts. BVerfGE 75, 192: Zur Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlicher Sparkassen. Willkürverbot beansprucht auch Geltung für Beziehungen innerhalb des Staatsaufbaus. BVerfGE 76, 107: Kommunalverfassungsbeschwerde gegen ein Raumordnungsprogramm: Gegenstand auch nur materielle Gesetze; Rechtswegeerschöpfung; Unmittelbarkeit; zur Planungshoheit; Kernbereich nur institutionell, nicht individuell. BVerfGE 79, 127 (Rastede-Entscheidung): Zur Verfassungsmäßigkeit von § 1 I, 11 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Abfallbeseitigungsgesetz vom 9. April 1973 (GVBl. S. 103); sog. Hochzonung von Aufgaben kreisangehöriger Gemeinden im Bereich der Abfallbeseitigung auf die Landkreise; Umfang des Gesetzesvorbehalts des Art. 28 11 GG; Wesensgehaltstheorie; Aufgabenverteilungsprinzip, Definition der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. BVerfGE 82, 310: Einstweilige Anordnung bei Neurückgliederungsgesetz (Hauptsache = BVerfGE 86, 90). BVerfGE 83, 37: Abstrakte Normenkontrolle gern. Art. 93 I Nr. 2 GG mit dem Ziel, das schleswig-holsteinische Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 21. Februar 1989 für nichtig zu erklären. Stellung der Gemeinden im Staat. BVerfGE 83, 363 (Krankenhausumlage-Entscheidung): Konkrete Normenkontrolle gern. Art. 100 GG zur Frage der Vereinbarkeit einer in Rheinland-Pfalz erhobenen Krankenhausfinanzierungsumlage mit dem GG und sonstigem Bundesrecht. 17 Lissack
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BVerfGE 86, 90 (Rückneugliederungsbeschlufi): Zulässigkeit einer Rückneugliederung; geringfügige Modifizierung der Rspr. zu den Gebietsreformen (einstweilige Anordnung = BVerfGE 82, 310). BVerfG 86, 148: Das Gebot des Art. 107 II I HS 2 GG, Finanzkraft und Finanzbedarf der Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen, ist dem Ziel eines angemessenen Ausgleichs der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder zu- und untergeordnet. BVerfGE 91, 70: Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze zur kommunalen Neugliederung Gebietsreform in Thüringen). BVerfGE 91, 228 (Gleichstellungsbeauftragten-Entscheidung): Zur Verfassungsmäßigkeit der landesgesetzlichen Einführung einer Gleichstellungsbeauftragten.
Sachwortverzeichnis Allzuständigkeit siehe: Selbstverwaltungsrecht, gemeindliches Anhörung 60 ff. Aufgabenentzug 26 Aufgabenverteilungsprinzip siehe: Selbstverwaltungsrecht, gemeindliches Ausgleichsaufgaben 86 f. Baar-Entscheidung 122 Belgien, Rechtsgeschichtliche Entwicklungen in 151, 158ft. Bestandsgarantie 38, 62 ff., 93, 98 ff., 179ff. Bürgerbegehren-Entscheidung 43, 54, 144 Bürgerklagen siehe: Popularklage Constituante 154 ff. Demokratieprinzip
53!. 71
Ehard, Hans 175 f. Eigentumsgarantie 80, 106ft. 114. 125 ff. Einigungsvertrag 20 Einrichtungsgarantie 73, 94, 190ft. Elfes-Urteil 45 Ergänzungsaufgaben 86 Ersatzrüge 23 Finanzausgleich 51 f., 57 f., 88 ff., 114f. Finanzhoheit - gemeindliche 30ff.. 43, 50 f. - der Landkreise 87ft. Fischereirechte-Entscheidung 82, 105, 108, 137, 148 Flughafen-Entscheidung I 78 Frankfurter Nationalversammlung 162, 186
Frankreich, Rechtsgeschichtliche Entwicklungen in 154 ff. Gebietsreformen 53 f., 55, 59ft.. 90 - Gemeindegebietsreform 53 f., 59ft. - Landkreisreform 90ft. - Bezirksreform 100 f. Gemeindehoheiten siehe: Selbstverwaltungsrecht, gemeindliches Gemeindeverbände 84 Gemeinwohlerfordernis 53ft.. 61 ff., 92 Gesetzesvorbehalt 33ft. Gesetzgebungsvorschlag 230 ff. Gierke, Otto v. 164ff., 176 Gleichbehandlungsgrundsatz 54ft.. 70ft.. 77, 88ff., 109ft., 112ff.. 122ff., 125 ff., 137, 147 f., 223 Gleichstellungsbeauftragtenbeschluß 34,39 Gneist, Rudolf v. 151,166ft. Grundrecht, Begriff 185 ff. Grundrechtsähnlichkeit 22, 23, 73, 76ff.. 3, 96ff., 120, 135, 139ft.. 149ft.. 185ft.. 194ft. Grundrechtsähnliches Recht siehe: Grundrechtsähnlichkeit Grundrechtsfähigkeit 102ft.. 200ft. - der Bezirke 115 - der Gemeinden 80, 102ft. - der kommunalen Gebietskörperschaften 22,23 - der Landkreise 112ft. - juristischer Personen des öffentlichen Rechts 200ft. Grundrechtssubjektivität siehe: Grundrechtsfähigkei t Grundrechtstypische Gefährdungslage 103ff., 148, 203! Handlungsfreiheit 124 Hindelang-I-Entscheidung 135 f.
260
Sachwortverzeichnis
Hindelang-II-Entscheidung 50 f. Historische Methode 38ff., 61, 143, 150 Hochzonung 26, 42, 48, 146 Hoegner, Wilhelm 175 f., 179 ff. Homogenitätsgebot 20 Horgau-Entscheidung 123 f. Institutionelle Garantie 22, 37, 73Jf., 94ff., 101, 170ff., 190Jf. Institutionelle Rechtssubjektsgarantie 24, 91 Justizgrundrechte 102f., 111f Kalkar-Entscheidung 47 Kembereich 25, 32, 36ff., 45, 51, 60ff., 73, 75, 88ff., 92, 143f., 22Of. Kommunalverfassungsbeschwerde 20, 22f., 130f., 141 f., 230ff. Kompetenzielle Strukturgarantie 190 ff. Krankenhausumlage-Entscheidung 34, 39 Laatzen-Entscheidung 69 Landesarbeitsgerichtssprengel-Entscheidung 123 Landkreisfinanzausgleich-Entscheidung 88f., 90, 97, 113f., 126 Landkreis Ingolstadt-Entscheidung 92, 96, 113 f., 129 Landkreisreform siehe: Gebietsreformen Menschenwürde 186 ff. Montgelas, Maximilian Graf v. 156, 163 Münchener Finanzausgleich-Entscheidung 51 f., 57 f., 88 Nawiasky, Hans 174, 180f. Neuses-Entscheidung 68 Offenbach-Urteil 73 Organisationshoheit 29 Peters, Hans 151, 177 Politische Befreiung-Entscheidung 81,95, 136, 151
78,
Polizei vermögen-Entscheidung 78 ff., 94, 96, 106ff., 136, 139 Popularklage 22, 77 f., 95 ff., 116fJ. 133, 223, 229 f. - Antragsbefugnis 119 ff. - Antragsberechtigung 118 - Bürgerklagen 120ff., 129f., 142f., 225 - PTÜfungsgegenstand 119 - PTÜfungsmaßstab 127 ff. Preuss, Hugo 164 ff., 176 Rastede-Entscheidung 25 ff., 45 ff., 74, 86 Rechtssatzbeschwerde 231 Rechtssubjektsgarantie 91, 98 Regelungsvorbehalt 33Jf. Reichsverfassung vom 28. März 1849 150 Rotteck, Carl v. 160ff., 164 Rückneugliederungsbeschluß 46, 61 f. Saarländisches KommunalwahlgesetzEntscheidung 74 Sasbach-Entscheidung 102 ff., 20lff. Schmitt, Carl 37, 73ff., 169Jf.. 190 Schranken-Schranken 38 Selbstverwaltungsrecht der Bezirke 98Jf. - Aufgabenbezug 99 - Gebietsreform 100 f. - Inhalt 98 ff. - modaler Bezug 99 Selbstverwaltungsrecht, gemeindliches 24ff. - Allzuständigkeit 24Jf., 75, 85 - Aufgabenbezug 25Jf., 35 f. - Aufgabenverteilungsprinzip 25Jf., 75,86 - Eigenverantwortlichkeit siehe: modaler Bezug - Gemeindehoheiten 29Jf. - Institutionelle Garantie siehe dort - modaler Bezug 25, 28Jf.. 32, 35 f. Selbstverwaltungsrecht der Landkreise 84Jf. - Aufgabenbezug 85 ff. - Inhalt 85 ff.
Sachwortverzeichnis - modaler Bezug 87 ff. - Landkreisreform 90ff. Seydel, Max v. 164ff. Spiegelei modell 37,45 Stahl, Julius 162 Stein, Reichsfreiherr vom 151, 157/, 162 Strukturgarantie 190 ff. Subjektionstheorie 56, 104jf. , 148,
203/
Subsidiarität der Kommunalverfassungsbeschwerde 131f., 224f., 229 Subsidiaritätsprinzip 26 Subtraktionsmethode 40, 51, 143 Systemgerechtigkeit 55 f., 61, 88, 122 Universalität siehe: Allzuständigkeit Ursprünglichkeit 24, 63, 79, 81, 95, 149 ff., 173jf. - Bedeutung 173 ff. - Kritik am Begriff 176 ff. - verfassungsgeschichtlicher Hintergrund 173 ff.
261
Verfassungsänderungsverbot 183 f. Verfassungsbeschwerde 77, 116, 133Jf, 143, 223f. - Antragsbefugnis 134 f. - Antragsberechtigung 134 - Prüfungsgegenstand 134 - Prüfungsmaßstab 137 f. Verhältnismäßigkeitsprinzip 26, 44Jf, 55ff., 61ff., 72, 90ff., 145ff., 222f. Verwaltungsgemeinschaft 62, 71 Vorstaatlichkeit 82f., 140 Wechselwirkungstheorie 48 150, Weimarer Reichsverfassung 168Jf Wesensgehaltstheorie siehe: Kernbereich Wilhelmshaven-Beschluß 46 Willkürverbot 54Jf, 61 ff., 70ff., 77, 88ff., J09Jf, 112Jf, 122ff., 125f., 137, 147f., 223 Wirtschaftliche Unternehmen-Entscheidung 78