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German Pages 184 Year 2000
Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht
Band 56
Leistung und Verfassung Das Leistungsprinzip in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Von
Hartmut Malinka
Duncker & Humblot · Berlin
Hartmut Malinka· Leistung und Verfassung
Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit Martin HeckeI, Karl-Hermann Kästner Ferdinand Kirchhof, Hans von Mangoldt Thomas Oppermann, Günter Püttner Michael Ronellenfi tsch sämtlich in Tübingen
Band 56
Leistung und Verfassung Das Leistungsprinzip in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Von Hartmut Malinka
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Malinka, Hartmut:
Leistung und Verfassung: das Leistungsprinzip in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts I Hartmut Malinka. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Tübinger Schriften zum Staats- und VelWaltungsrecht ; Bd. 56) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09354-2
D21
©
Alle Rechte vorbehalten 2000 Duncket & Humblot GmbH, Berlin Satz: W. März, Stuttgart Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-09354-2
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068
Geleitwort An die Stelle des Vorworts des Autors muß aus traurigem Anlaß dieses Geleitwort treten. Am 10. Juli 1998 ist Hartmut Malinka überraschend einer schweren Krankheit erlegen. Er hat die Vollendung des vorliegenden Werks, seiner Dissertation, nur um wenige Monate überleben dürfen. Dankenswerterweise haben Frau Susanne Roth-Malinka und wissenschaftliche Weggefährten des Autors - Dr. Tatjana Geddert-Steinacher und Prof. Dr. Wolfgang März - die Publikation der Schrift in unseren "Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht" ermöglicht. Sie ist es wahrhaft wert. Eine übergreifende verfassungsrechtliche Analyse über die Verankerung des Leistungsgedankens im Grundgesetz fehlte bisher. In Verfolg langjähriger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in besonders ausgewählten "leistungsträchtigen" Bereichen gelingt es dem Autor, Bedeutung und Grenzen des Leistungsprinzips als einer freiheitlichen "Entfaltung der Persönlichkeit" in der praktischen Rechtsanwendung dogmatisch sichtbar werden zu lassen. Er beleuchtet damit die Strukturen des grundgesetzlichen Grundrechtskatalogs zwischen Freiheit und Gleichheit in erhellender Weise, indem Leistung als Legitimation von Differenzierung gewürdigt wird. Hartmut Malinka stand nach Jahren wissenschaftlicher Mitarbeit an meinem Tübinger Lehrstuhl und anschließend bei demjenigen meines Schülers Michael Kilian in Halle a.d. Saale am Anfang einer vielversprechenden wissenschaftlichen Laufbahn. Der Tod hat ihn jäh aus seinen Plänen gerissen. Die wichtigen Überlegungen dieses Buchs werden ihn überdauern und alle, die ihm nahestanden, an den gebildeten und gedankenreichen Menschen erinnern, der Hartmut Malinka war.
Tübingen, im Frühjahr 2000
Prof. Dr. Dr. h. c. Thomas Oppermann
Inhaltsverzeichnis Einleitung: Rechtspolitische Bedeutung und dogmatische Relevanz der Leistung
11
Grundlagen des Untersuchungsgegenstandes: Begriff und Genese der Leistung
13
I. Aspekte des Leistungsbegriffs in den Wissenschaften . . . . . . . . . . . . .
13
11. Zur Genese des Leistungsprinzips: Leistung als legitimierender Begriff bürgerlicher Emanzipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
I. Leistung als gesellschaftliches Ordnungsmodell . . . . . . . . . . . . . . .
16
2. Die Genese der Leistung im Prozeß fortschreitender Verweltlichung . .
18
3. Die Leistung in der postreformatorischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Erster Teil
Leistung und Eigentum im Grundgesetz
r.
Die Leistung als Element einer differenzierten Eigentumsordnung
H. Leistung und Vermögenswerte des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 30 35
1. Der Beginn der Leistungsrechtsprechung aus dem Horizont der Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
2. Der Eigentumsschutz schöpferischer Leistungen
..............
37
3. Leistung und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
III. Leistung und Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten . . . . . . . . .
40
I. Der lange Weg bis zur Entscheidung zum Versorgungsausgleich - Leistung als eigentumslimitierender Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
2. Die Anerkennung subjektiver öffentlicher Rechte als Eigentum - Leistung als Merkmal der Eigentumsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . .
44
IV. Die Leistung in der Normstruktur des Art. 14 GO
..............
47
I. Die Leistung zwischen Instituts- und Bestandsgarantie . . . . . . . . . .
47
2. Die Leistung als Element institutioneller Kontrolle des Gesetzgebers.
51
8
Inhaltsverzeichnis
57
V. Inhalt und Funktionen des Leistungskriteriums I. Der Inhalt des Leistungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
2. Die Funktionen des Leistungskriteriums
60
.................. .
a) Leistung und funktionale Eigentumsinterpretation
60
b) Die Leistung als eigentumsgestaltende Direktive
62
c) Die liberale Funktion der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
VI. Die Antinomie von Leistung und Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
I. Eigentum, Leistung und Homogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
2. Die Differenziertheit der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
............... .
70
I. Die Struktur der institutionellen Eigentumsgewährleistung . . . . . . . .
70
2. Leistung als typisierender Begriff der Privatnützigkeit . . . . . . . . . . .
72
VIf. Leistung, Typik und das Institut des Eigentums
Zweiter Teil
Leistung und AusbUdungsfreiheit
77
I. Leistung, Bildung, Chancengleichheit ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
11. Gleichheit versus Chancengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
JIJ. Die Leistung in der Normstruktur des Art. 3 Abs. I GG
......... .
83
I. Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . .
83
a) Der allgemeine Gleichheitssatz als Willkürverbot . . . . . . . . ... .
84
b) Die neue Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
2. Gleichheit und Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
a) Die Leistung als Differenzierungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
b) Die Leistung als Differenzierungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . .
91
IV. Inhalt und Funktionen der Leistung als Differenzierungskriterium . . . . .
93
I. Der Inhalt der Leistung im Recht der Hochschulzulassung . . . . . . . .
93
2. Die Funktionen des Leistungskriteriums im Recht der Hochschulzulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
a) Die chancenstabiJisierende Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
b) Die gestaltungs limitierende Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
c) Leistung und Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
Inhaltsverzeichnis
9
3. Das Leistungsprinzip unter gesamtgesellschaftlichen Bindungen
99
a) Die Grenze gesellschaftlicher Desintegration . . . . . . . . . . . . . . .
99
b) Zeitliche und situative Bedingtheiten der Leistung ... . . . . . . ..
102
V. Freiheit, Leistung, Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104
I. Das Leistungsprinzip in der Kontroverse . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
104
2. Leistung und fonnale Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
106
Dritter Teil
Leistung als Strukturmerkmal des öffentlichen Dienstes
r.
108
Leistungsprinzip und öffentliche Ämter . . . . . . . . . . . . . . . .
108
JI. Leistungsprinzip und Berufsbeamtenturn . . . . . . . . . . . . . . .
111
I. Die Leistung im Besoldungssystem . . . . . . . . . . .
113
2. Angemessene Amtsbezeichnung und Leistungsprinzip
116
3. Leistung und angemessenes Ruhegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
119
4. Die leistungsgemäße Förderung des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . .
124
lH. Das Leistungsprinzip in der Nonnstruktur des Art. 33 GG
.........
126
1. Das Leistungsprinzip als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns
126
2. Leistung, öffentliches Amt und Berufsbeamtenturn
133
a) Der Anwendungsbereich des Leistungsprinzips
133
b) Das Leistungsprinzip als Grundlage subjektiver Rechte . . . . . . ..
136
c) Aspekte des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienstrecht . . . . ..
144
3. Die leistungsgesteuerte Differenzierung im öffentlichen Dienst . . . . .
145
IV. Inhalt und Funktionen des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst . . ..
146
I. Der Inhalt des Leistungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
146
2. Die Funktionen des Leistungskriteriums im Berufsbeamtenturn . . . . .
148
a) Die Konkretisierung hergebrachter Grundsätze
148
b) Die stabilisierende Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
150
c) Die gestaltungslimitierende Funktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
152
10
Inhaltsverzeichnis Ausblick: Leistung und Verfassung
I. Die Nonnativität der Leistung
...........................
11. Die Leistung in der Verfassungskonkretisierung
154 154 157
111. Die Leistung als Wertung im Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .
160
IV. Das Leistungsprinzip in der reformpolitischen Diskussion . . . . . . . . . .
162
Literaturverzeichnis
168
Einleitung: Rechtspolitische Bedeutung und dogmatische Relevanz der Leistung Der Begriff der Leistung hat in einer einzigen Bestimmung unmittelbar Eingang in den Verfassungstext gefunden. Das ist die Regelung des Zugangs zu den öffentlichen Ämtern in Art. 33 Abs. 2 GG. Die eigentliche Bedeutung des verfassungsrechtlichen Leistungsbegriffs liegt in der Verfassungsinterpretation. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Leistungsprinzip als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums zu beachten I , bildet das Kriterium für die Schutzbereichskonkretisierung der Eigentumsgarantie2 und reguliert den Hochschulzugang im Rahmen der Berufsfreiheie. Inhalt und Reichweite des Leistungsprinzips sind umstritten. In der Konkurrenz mit weiteren hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums ist sein Gewicht Gegenstand rechtspolitischer Diskussionen. Soll das Leistungsprinzip in der Strukturreform des öffentlichen Dienstes etwa gegenüber dem Lautbahnprinzip stärker akzentuiert werden? In Zeiten knapper Kassen, insbesondere der Rentenversicherungsträger, stehen Inhalt und Reichweite des verfassungsrechtlich gebotenen Eigentumsschutzes von Sozialansprüchen sowie der Handlungsspielraum des Sozialstaates auf dem Prüfstand. Wo und in welchem Rahmen unterliegt der Gesetzgeber der Legitimitätskontrolle der Eigentumsgarantie? Trägt das Leistungsprinzip dazu bei, die Klasse der subjektiven öffentlichen Rechte zu markieren, die von der Eigentumsgarantie erfaßt werden? Beirr. Hochschulzugang entscheidet das Kriterium der Leistung über Bildungschancen und damit über den gesellschaftlichen Aufstieg und Status. Kann das Leistungskriterium den grundrechtlich verbürgten Anspruch gleichberechtigter Teilnahme an den staatlichen Bildungsstätten einlösen? Die Fülle dieser Fragen kann und soll in dieser Arbeit nicht gelöst werden. Die Komplexität der aufgeworfenen Probleme in den einzelnen Bereichen würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Sie will dazu beitragen, die Konturen des Leistungsbegriffs zu klären, um die Chance einer rationalen Diskussion I BVerfGE 11,203,216 f.; 21, 329, 345; 38. I, 12; 39,196,201; 44. 249. 265; 56. 146, 163.
2 Zum Urheber- und Patentrecht vgl. BVerfGE 31. 229. 240 f.; 49. 382, 392; 51. 193. 217; 77,263,270 f. Zum Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte vgl. BVerfGE 53,257,290; 69.272,301; 72, 9, 18 f. 3
BVerfGE 33, 303, 348; 37,104,113 f.; 39, 258, 271; 43. 34, 44; 43, 291, 317 ff.
12
Einleitung
zu erhöhen. Im Mittelpunkt des Interesses steht der vergleichende Blick auf das Leistungskriterium in den verschiedenen Rechtsbereichen. Grundlage der Analyse ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Hier wird der Leistungsbegriff im Eigentum, im Beamtenrecht und beim Hochschulzugang praktisch relevant. Dabei zeigt sich, daß eine abstrakte, kontextunabhängige Bestimmung des Leistungsbegriffs nicht möglich ist. Sein Gehalt kann lediglich in der konkreten Norminterpretation fruchtbar gemacht werden. Im Vordergrund stehen seine dogmatischen Funktionen als verfassungskonkretisierendes Argument. In der folgenden Untersuchung wird der Leistungsbegriff in der Rechtsprechung zum Eigentum (Erster Teil), zur Ausbildungsfreiheit (Zweiter Teil) und zum Beamtenrecht (Dritter Teil) auf seine dogmatischen Funktionen analysiert. Es steht die Leistungsfähigkeit dieses Kriteriums als Verfassungsbegriff auf dem Prüfstand.
Grundlagen des Untersuchungsgegenstandes: Begriff und Genese der Leistung J. Aspekte des Leistungsbegriffs in den Wissenschaften Der Begriff der Leistung besitzt in den unterschiedlichsten Wissenschaften Aktualität. Er ist keine Neuschöpfung des Verfassungsgerichts. Bereits ein kursorischer Blick in die verschiedenen Fachdisziplinen zeigt, wie mannigfaltig der Begriff Leistung verwendet wird. Hier dient er vor allem der Typisierung der unterschiedlichsten Phänomene, die sich entsprechend der differierenden Erkenntnisinteressen der Einzelwissenschaften als Gegenstand ableiten. Seine breite Verwendung läßt es fraglich erscheinen, ob sich aus diesem Spektrum Aussagen hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Leistungsbegriffs im Sinne eines heuristischen Prinzips gewinnen lassen. Ausgangspunkt der Bewertung ist ein durch die Naturwissenschaft und Technik geprägter Leistungsbegriff als Arbeit pro Zeiteinheit. Mit dem Aufkommen der modemen Industriegesellschaft hat er sich in den Einzeldisziplinen von diesem Ausgangspunkt entfernt und entsprechend gewandelt. Der Leistungsbegriff zeigt mittlerweile viele Facetten4 • Als formaler Leistungsbegriff, wie er den Naturwissenschaften zugrunde liegt, besitzt er nur eine begrenzte gesellschaftswissenschaftliche Tauglichkeit. Das gilt ebemo für das Recht. Die gesellschaftlichen Verhältnisse lassen sich mit seiner Hilfe nicht angemessen fassen. Dies wird deutlich, sobald Leistungszusammenhänge in der Gesellschaft oder gesellschaftliche Leistungsnonnen in den Blick genommen werdenS und rechtliche Wertungen daran anknüpfen. So versucht der psychologische Leistungsbegriff, das Verhältnis des Menschen zur Handlung sowie zum Handlungsergebnis zu klären. Eine Situation gilt dann als leistungsrelevant, wenn die Handlungen oder Handlungsergebnisse auf einen Tüchtigkeitsmaßstab bezogen werden, der als verbindlich anerkannt wird, so daß am Ende eine Bewertung als Erfolg oder Mißerfolg möglich ist6 • In der Pädagogik ist das Leistungsprinzip 4 Vgl. dazu das Symposion "Sinn und Unsinn des Leistungsprinzips" der earl Friedrich von Siemens Stiftung sowie die Beiträge bei Har(fiel (Hrsg.), Das Leistungsprinzip.
S
Harifiel, Das Leistungsprinzip, S. 8.
Heckhausen, Leistung - Wertgehalt und Wirksamkeit einer Handlungsmotivation und eines Zuteilungsprinzips, S. 170; del:f., Hoffnung und Furcht in der Leistungsmotivation; b
Grundlagen des Untersuchungsgegenstandes
14
Ausdruck der Chancengleichheie. Die Ausrichtung am Leistungsprinzip ermöglicht die Emanzipation 8 aus sozial verwurzelten Schichten und vermittelt gesellschaftliche Aufstiegschancen. Der pädagogische Lei stungsbegri ff wird aus einer Orientierung an legitimierbaren Zielen der Erziehung und der Schule in einer sich als demokratisch verstehenden Gesellschaft gewonnen9 • Wurde der Begriff der Leistung von der Soziologie mangels klarer Konturen als wissenschaftlicher Begriff seIten ernst genommen lO , so gewinnt er diese Relevanz, sobald er sich als geselIschaftliches OrdnungsmodelI etabliert und die GeselIschaft zur Leistungsgesellschaft prägt!!. Untersuchungsgegenstand sind einzelne Aspekte, Bedingungen und Wirkungszusammenhänge von Leistung sowie die gesellschaftliche Realität der Leistungsnormen im Sinne empirisch beschreibbarer Phänomene. Eine Gemeinsamkeit der Leistungsbegriffe scheint in dem Bestreben zu liegen, Handlungen und Handlungsergebnisse in den unterschiedlichsten Teilbereichen vermittels einer übergreifenden Norm zu integrieren und als Leistung bewertbar zu machen. Der Begriff soll einen gemeinsamen Nenner im allgemeinen Werte- und Zielpluralismus bilden. Diese minimale Homogenität ist jedoch nur scheinbar. So tritt in der WissenssozioJogie Max Schelers eine völlig andersartige Facette der Leistung auf: Das Herrschaftswissen in Form des Leistungswissens. Vor dem Hintergrund einer Triebstruktur des Herrschafts- und Machtwissens bezeichnet Scheler mit dem Leistungswissen das Wissen, das der praktischen Beherrschung und Umbildung der WeIt für menschliche Zwecke dient!2, also das Wissen der positiven Wissenschaften überhaupt. Neben dieser strukturelIen Inhomogenität der unterschiedlichen Leistungsbegriffe ist der allgemeine Sprachgebrauch 13 schillernd!4. Dies betrifft vor alIem grundlegend zur Motivationstheorie: Weber, Die protestantische Ethik und der "Geist" des Kapitalismus; McClelland, Die Leistungsgesellschaft. 7 Klo/ki, Sinn und Unsinn des Leistungsprinzips in der Erziehung; Rothe, Chancengleichheit, Leistungsprinzip und soziale Ungleichheit - Zur gesellschaftspolitischen Fundierung der Bildungspolitik. ~ Dazu kritisch Lempert, Leistungsprinzip und Emanzipation. 9
Klo/ki, Sinn und Unsinn des Leistungsprinzips in der Erziehung, S. 87 f.
10
Ptfe,
11
Dreitzel, Soziologische Reflexionen über das Elend des Leistungsprinzips, S. 33.
Leistungsprinzip und industrielle Arbeit, S. 7.
I~ Seheler, Philosophische Weltanschauung, S. 114. 11 In seiner etymologischen Entwicklung hat sich das Wort "leisten" von dem früher enthaltenen "Gebot" zur "Verpflichtung" und zu einem "Gewähren" bis zuletzt zu der "Fähigkeit oder Freiheit, etwas zu tun" verändert. Seine Bedeutung hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch bis.zum "tun" und "machen" abgeschwächt, so daß beinahe jedes Handeln als Leistung qualifiziert werden kann; vgl. Sehlie, Die Vielfalt der Leistungsbegriffe, S. 50 ff., 55 f.
l. Aspekte des Leistungsbegriffs in den Wissenschaften
15
den Bezug auf das Leistungssubstrat. Wenn der Begriff der Leistung eingefUhrt wird, kann zweierlei gemeint sein: der Leistungserfolg, also das Ergebnis, oder der Leistungsprozeß, selbst wenn er zu keinem greifbaren Ergebnis fUhrt. Die Leistungsbewertung knüpft in der Regel an den Leistungserfolg im Gegensatz zum Leistungsprozeß an. Bewertungsmaßstab bildet eine aus dem entsprechenden Wissenschaftsbereich entnommene Norm. Dies stößt bei der Bewertung des Leistungsprozesses auf Schwierigkeiten. Dennoch steckt diese Doppelsinnigkeit im Begriff der Leistung. Diese janusköpfige Struktur ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß Leistung und Leistungsbewertung Handlungen zum Gegenstand haben, in denen diese Differenzierung bereits angelegt ist '5 . Dieser kurze Blick in die Nachbarwissenschaften zeigt bereits, daß ein einheitlicher Leistungsbegriff nicht zu erwarten ist. Vielmehr hat sich der Begriff innerhalb einer sich ausdifferenzierenden Wissenschaft verselbständigt. Ansatzpunkte zu seiner Interpretation können also nur noch aus seiner Funktion innerhalb der Fachdisziplin gewonnen werden. Dem Begriff der Leistung liegt im Kontext der Verfassung ein eigenständiges Problemfeld zugrunde. Der Leistungsbegriff hat im Verfassungsrecht die Besonderheiten des rechtswissenschaftlichen Gegenstandsbereichs sowie seine spezifische Aufgabe im Rahmen des Verfassungsrechts zu beachten. Mit den anderen Bereichen, insbesondere mit den Ergebnissen soziologischer Forschungen, können sich mannigfache Überschneidungen ergeben '6 . Gemeinsamer Nenner bleibt die Organisation gesellschaftlichen Zusammenlebens - wenn auch aus unterschiedlicher Perspektive 17.
14 Zu den unterschiedlichen Sinnzusammenhängen Dreitzei, Soziologische Reflexionen über das Elend des Leistungsprinzips, S. 31; Braun, Leistung und Leistungsprinzip. S. 195 f.; Bamherg, Argumente zum Leistungsprinzip, S. 26 f. IS SO bereits die aristotelische Differenzierung zwischen Poiesis und Praxis, Aristoteles. Nikomachische Ethik I 1094a I ff., VI 4 f. An diese Unterscheidung knüpft Hannah Arendt an, grenzt jedoch zwischen Arbeit, Handeln und Herstellen ab; vgl. Arendt, Vita Activa. Zum Problem des Handlungsbegriffs; s.a. Buhner, Handlung, Sprache und Vernunft, insbesondere zur primären Distinktion von Handeln und Arbeit, S. 66 ff. 16 Dies zeigt sich besonders deutlich an der Kontroverse zwischen Rechtsphilosophie. Rechtssoziologie und Rechtstheorie um den Rechtsbegriff, dazu Dreier, Der Begriff des Rechts, NJW 1986, S. 890 ff., 894; ders. Recht und Moral, in: ders., Recht - Moral Ideologie, S. 180 ff., 194 ff.; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 23 ff. 17 Die konkrete Rechtsordnung ist ein Element der Gesamtkultur; vgl. Radhruch, Rechtsphilosophie S. 114 f.; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 131 ff., 158 ff.; für das Verfassungsrecht Häherle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft; ders. Kulturverfassungsrecht im Bundesstaat; ders. (Hrsg.) Kulturstaatlichkeit und Kulturverfassungsrecht.
16
Grundlagen des Untersuchungs gegenstandes
11. Zur Genese des Leistungsprinzips: Leistung als legitimierender Begriff bürgerlicher Emanzipation 1. Leistung als gesellschaftliches Ordnungsmodell Das Leistungsprinzip ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Selbstverständnisses, das sich als Leistungsgesellschaft l8 begreift. In dieser Form ist sein Inhalt nicht unumstritten. So wurde die Leistung, das Leistungsprinzip sowie die Leistungsgesellschaft einer eingehenden Kritik unterzogen l9 • An Sinn und Unsinn des Leistungsprinzips20 scheiden sich die Geister. Indes handelt es sich nicht um einen Begriff oder ein Prinzip, das als gesellschaftliches Ordnungsmodell rur freiheitliche Staaten reserviert ist. Auch das Konzept sozialistischer Gesellschaftsordnungen erkennt die Leistung als Verteilungsprinzip an 21 • Das Leistungsprinzip bildet eine notwendige Differenzierungsstufe im Durchgang zur kommunistischen Gesellschaftsordnung. Leistung und Leistungsprinzip erscheinen universal. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß der Begriff der Leistung Eingang in das bundesdeutsche Verfassungsrecht gefunden hat - dies nicht nur in Form von verfassungsrechtlichen Garantien, die eine Entfaltung der individuellen Leistung begünstigen. Die Verfassung des Grundgesetzes enthält eine Grundordnung, in deren Zentrum Wert und Würde der Person stehen, die in I~ In einer offenen und weiten Bestimmung definiert McClelland (Die Leistungsgesellschaft, S. 109) die Leistungsgesellschaft als ,,[ ... ] die Gesellschaften, die sich rascher entwickelt haben [ ... ]". Für de Jouvenel, Jenseits der Leistungsgesellschaft, S. 127 ff. ist der Kult der Effizienz kennzeichnend für die Leistungsgesellschaft. I. Marcuse, Der eindimensionale Mensch; Habermas, Technik und Wissenschaft als "Ideologie"; Negt. Gesellschaftsbild und Geschichtsbewußtsein der wirtschaftlichen und militärischen Führungsschicht. Zur Ideologie der autoritären Leistungsgesellschaft; Schoeck. Ist Leistung unanständig?; ders., Das Recht auf Ungleichheit; Young. Es lebe die Ungleichheit; Offe, Leistungsprinzip und industrielle Arbeit; Lempert, Leistungsprinzip und Emanzipation; Lenk, Sozial philosophie des LeistungshandeIns; Bamberg, Argumente zum Leistungsprinzip. 20 So der Titel eines Symposions der earl Friedrich von Siemens Stiftung im Sommer 1973. Vgl. dazu den gleichnamigen Sammelband. 21 Förster, Rolle und Wertung des Leistungsprinzips in den kommunistischen Staaten. Im Gegensatz zum kommunistischen Bedürfnisgrundsatz wird das Leistungsprinzip als ein spezifisches Merkmal sozialistischer Gesellschaftsordnungen angesehen, Reich / Reichel, Einführung in das sozialistische Recht, S. 20. So wurde das Leistungsprinzip beispielsweise in die Art. 2 Abs. 3, Art. 24 und 26 der Verfassung der DDR vom 6.4. 1968 (i.d.F. vom 7.10.1974) nach dem Vorbild des Art. 12 der Verfassung der UdSSR von 1936 (i.d.F. von 1955) als gesellschaftspolitische Leitlinie aufgenommen; s. DDRHandbuch. Stichwort "Leistungsprinzip"; Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Art. 2 Anm. V, 4.
11. Zur Genese des Leistungsprinzips
17
freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt 22 und sich gemäß der Ordnungsidee des Leistungsprinzips frei entfalten kann. Die Verfassung schafft solchermaßen den Rahmen. Infolgedessen wird aus einzelnen Verfassungsstrukturbestimmungen der Art. 20 Abs. I GG und Art. 28 Abs. I GG auf ein verfassungsrechtliches Leistungsprinzip im Sinne einer von der Verfassung vorausgesetzten Leistungsgesellschaft geschlossen 2J • Die Einfiihrung des Leistungsbegriffs in die verfassungsrechtliche Norminterpretation des Bundesverfassungsgerichts ist gekennzeichnet durch den Verweis auf allgemein herrschende Auffassungen und die Geschichte. Dies zeigt sich an hand des Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte durch Art. 14 GG. Die an den privaten Arbeitsertrag anknüpfende solidarische Daseinsvorsorge wird als historisch von jeher eng mit dem Eigentumsgedanken verknüpft ausgewiesen24 • Neben den subjektiven Rechten ist vor allem die Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Institutionen durch geschichtliche Bezüge geprägt. Dies betrifft zunächst das Eigentum in seiner objektiv-rechtlichen Dimension als Institut sowie die Institution des Berufsbeamtentums25 • Bereits der Begriff des hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums weist eine historische Perspektive auf. Wenn das Bundesverfassungsgericht und mit ihm die Rechtsdogmatik sich im Verfassungsrecht auf den Begriff der Leistung beziehen, so geschieht dies im Kontext des Grundgesetzes als einer neuzeitlichen Grundordnung, die durch eine liberale Freiheitskonzeption im Grundrechtsteil und einen eingeschränkten Individualismus gekennzeichnet ist. Der Begriff der Leistung findet hier die Bedingungen vor, die ihn erst zur Rechtfertigung verfassungsrechtlicher Auslegungsergebnisse tauglich machen. Dazu gehört eine verfassungsrechtlich abgesicherte Gesellschaftsordnung, die dem individuellen Beitrag prinzipiell aufgeschlossen gegenübersteht und nicht die individuelle Perönlichkeitsentfaltung durch überlagernde Prinzipien vorformt oder nur in partiell vorgegebenen Sektoren zuläßt. Ihr liegt ein Bekenntnis zur Freiheit des Individuums zugrunde, das unter der Garantie freier Persönlichkeitsentfaltung selbstbestimmt agiert und durch seinen grundrechtlich geschützten Handlungsfreiraum selbst über seinen gesellschaftlichen Status entscheidet. So hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sehr früh die grundgesetzliche Ordnung als ein Wertsystem 22
BVerfGE 65, \,4\ (st. Rspr.).
2J
Benda, Der soziale Rechtsstaat, S. 789.
24
So BVerfGE 40,65,84; 53, 257, 290.
Zum Leistungsprinzip als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums Thiele, Zur Problematik der sogenannten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, DÖV 1981, S. 773 ff.; Lecheier, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), S. 349 ff. 25
2 Malinka
Grundlagen des Untersuchungsgegenstandes
18
qualifiziert, in dessen Mittelpunkt die innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltende menschliche Persönlichkeit und ihre Würde stehen26 • Daraus hat die Rechtsprechung ein Menschenbild des Grundgesetzes entwickelt, das die Spannung zwischen individueller Entfaltung und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person gelöst hat, ohne jedoch deren Eigenwert anzutasten 27 • Dem Grundgesetz liegt das Menschenbild einer sozialbezogenen Persönlichkeit zugrunde 28 • Um die gewährleistete Entfaltungsfreiheit auch gegenüber dem Gefährdungspotential von seiten privater Vormachtstellungen abzusichern, ermöglicht die Verfassung des Grundgesetzes Eingriffe in den Freiraum privatwirtschaftlicher Betätigungen. Der Gesetzgeber ist gehalten, der Selbstbestimmung des einzelnen im Rechtsleben einen angemessenen Betätigungsraum zu eröffnen29 • Daraus ergibt sich das Prinzip einer offenen und durchlässigen Gesellschaftsordnung sowie eine klare Absage an konkurrierende gesellschaftliche Ordnungsmodelle, die von einer individuell nicht zu beeinflussenden Ordnungsidee ausgehen, wie beispielsweise das Anciennitätsprinzip oder das Geburtsprinzip.
2. Die Genese der Leistung im Prozeß fortschreitender Verweltlichung Der Freiraum, den der Leistungsbegriff verlangt, um seine legitimatorische Kraft in der Verfassung entfalten zu können, ist aus mehreren konstituierenden Faktoren hervorgegangen. Als Begriff des Verfassungsrechts ist er das Ergebnis der verfassungsgeschichtlichen, der sozial- und rechtsphilosophischen sowie der ethischen Entwicklung. In einer geraffien Perspektive der Jahrhunderte bilden die Trennung von Staat und Kirche und die sich später daraus entwickelnde Trennung von Staat und Gesellschaft30 den verfassungspolitischen und verfas2'
BVerfGE 7, 198, 205 (st. Rspr.).
BVerfGE 4, 7, 15 f. (st. Rspr.). Dieses Menschenbild wurde weitgehend in der Literatur rezipiert, Dürig, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. I Abs. I Rn. 46 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 116; Häherle, Das Menschenbild im Verfassungstaat, S. 44 ff.; kritisch Ridder, "Das Menschenbild des Grundgesetzes". Zur Staatsreligion der Bundesrepublik Deutschland, DuR 7 (1979), S. 123 ff. 2~ BVerfGE 6, 389, 422. 27
29 Böckenforde, Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht. Neben der Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 16 GG folgt dies vor allem aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte. In seiner neueren Rechtsprechung stützt das Bundesverfassungsgericht die Privatautonomie des wirtschaftlich schwächeren Vertragspartners durch eine stärkere Akzentuierung des objektiv rechtlichen Grundrechtsgehaltes des Art. 2 Abs. I GG, BVerfGE 89, 214 ff., 232. )0 Zu der kategorialen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft grundlegend Heget,
11. Zur Genese des Leistungsprinzips
19
sungsgeschichtlichen Hintergrund. Hier liegt die Wurzel des modemen Staates und der heute alIgemein anerkannten individual schützenden Dimension der Staatsverfassung. Der verfaßte .Individualismus spiegelt sich in der Entstehungsgeschichte 31 des Leistungsprinzips wieder. Seit der Zeit, in der die christlich legitimierten ständischen Sozialstrukturen aufbrachen und einer neuen Ideenkonkurrenz Platz verschafften, stelIt das Leistungsprinzip eine konsequente Fortsetzung der subjektivistischen Theorien des Humanismus dar. Seine ethische Rechtfertigung konnte es aus der Reformation und ihrer Aufwertung der Arbeit beziehen. Gleichzeitig eröffnete in der Wirtschaft die Abkehr vom Bedarfsdekkungsprinzip32 Raum für neue kompetetive Sozialstrukturen. Auf diese Weise konnten sich Wettbewerb und Leistung als geselIschaftliche Ordnungsideen etablieren und ihre gesellschaftlichen Bedingungen im beginnenden Konstitutionalismus eine verfassungsrechtliche Absicherung finden. Vorausgesetzt ist dabei die prinzipielIe Anerkennung und Zurechenbarkeit menschlicher Handlungen als verursachender Faktor der Geschichte und damit vor allem der Mensch selbst als der eigentliche Zweck staatlicher Ordnungen. Diese Voraussetzungen konnten erst entstehen, nachdem sich Staat und Gesellschaft aus ihren religiösen Bindungen gelöst hatten und ihre Legitimation aus einer neuen Geschichts- und Sozial philosophie bezogen. Die Schwächung des christlich gestützten Staates setzte eine neue Sphäre des Politischen frei, die einer neuen theoretischen Fundierung zu ihrer Rechtfertigung bedurfte. So orientiert sich die frühchristliche Philososphie auf das Heilsgeschehen hin, in das die menschliche Geschichte und damit auch der Staat, eingebunden war 3• Die Geschichte wird nicht als kontingent begriffen, sondern ist auf die Versöhnung mit Gott im Jüngsten Gericht und der Wiederkunft Jesu gerichtet. Für den Geschichte prägenden Menschen bleibt in dieser Konstruktion kein Raum. Die legitimierende Kraft des Leistungsgedankens verlangt jedoch eine zurechenbare Handlungsbewertung. Die Anerkennung der menschlichen Handlung als des verursachenden Faktors gesellschaftlicher Prozesse stellt eine notwendige Voraussetzung für die Durchsetzung des Leistungsprinzips als gesellschaftlicher Ordnungsidee dar. Erst als sich das menschliche Handeln als verantwortlich gestaltender Faktor der Geschichte von den religiösen Bindungen emanzipiert hatte 34 , Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 182 ff.; Forstho.ff, Der Staat der Industriegesellschaft, S. 21 ff.; Heller, Staatslehre, S. 124 ff., S. 141 ff., sowie die Beiträge bei Böckenforde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft. 31 Zur Entstehungsgeschichte der Leistungsgesellschaft vgl. Arzberger, Über die Ursprünge und Entwicklungsbedingungen der Leistungsgesellschaft.
J2
Braun, Leistung und Leistungsprinzip, S. 114 f.
Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, S. 129 ff.; Buhner, Geschichtsprozesse und Handlungsnormen, S. 73 ff. 34 Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, passim; Schnädelhach, Über historische Aufklärung, S. 27. 33
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Grundlagen des Untersuchungsgegenstandes
rückte das Individuum in das Zentrum, und es konnte eine Sphäre des Politischen und deren verfassungsrechtliche Ausgestaltung entstehen. Die verfassungsgeschichtliche Grundlage für diese Entwicklung ist im Investiturstreit und seiner neu definierten Begrifflichkeit von "geistlich - weltlich" zu suchen J5 . Einen weiteren Faktor bildet die Reformation. Sie vollendet die Auflösung des christlichen Einheitsstaates. In ihrer Ethik vertieft sie den Individualismus und begründet die Aufwertung des Berufs und der Arbeit. Die im Rahmen des Investiturstreits durch Ivo von Chartres neu entwickelte polare Begrifflichkeit von "geistlich-weltlich" sollte der Abwehr kaiserlicher Herrschaftsansprüche dienen, ohne damit die Entlassung weltlicher Herrschaft aus der Sphäre kirchlicher Vorherrschaft über die politische Ordnung zu intendieren 36 • Ganz im Gegenteil sollte die solchermaßen theologisch neu definierte Weltlichkeit die Bindungen der politischen Ordnung an die Kirche weiter festigen 31, denn die geistlich-weltliche Einheit des Staates wollte man gerade nicht aufgeben. Es handelte sich um eine strikt theologisch definierte Form der "Weltlichkeit"J8. Obwohl als Entwertung gedacht, bewirkte dies die Emanzipation des Politischen J9 • Begrifflich entstand ein neues ausfüllungsbedürftiges Legitimationsvakuum staatlicher Herrschaft40 • Hier konnten die neuzeitlichen Theorien der Neubestimrnungen weltlicher Herrschaft ansetzen, die schließlich in einem naturrechtlich fundierten Katalog von Individualrechten mündeten41 • Sie verschafften dem Individuum den notwendigen Freiraum. Bereits der Nominalismus der 35
Böcke'!forde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, S. 43 f.
3~ In diesem Zusammenhang wird häufig von dem Prozeß der "Säkularisation" im
Sinne einer Kennzeichnung der neuzeitlichen Entwicklung gesprochen. Dies birgt jedoch Mißverständnisse. Zur Begriffsgeschichte der Säkularisation s. Lübbe, Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs. Zum Begriff der Säkularisation und zu seinem differenzierten geisteswissenschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Inhalt Heckel, Das Säkularisationsproblem in der Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts. 37 Heckel, Das Säkularisationsproblem in der Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts, S. 41 f. Vielmehr sollte durch die solchermaßen definierte Zuständigkeit die kirchliche Vorherrschaft im weltlichen Bereich stabilisiert werden. Der weltliche Herrscher blieb als Christ weiter an die Gebote der Kirche gebunden, deren Auslegung nun allerdings in die geistliche Alleinzuständigkeit fallen sollte; vgl. Böckenforde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, S. 46 f.
3R Hecke!, Das Säkularisationsproblem in der Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts, S. 42.
39
Böckenforde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, S. 45 f.
40
Böcke'!fOrde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, S. 46.
Punt, Die Idee der Menschenrechte; zur Entwicklung in Deutschland vgl. Berber, Das Staats ideal im Wandel der Weltgeschichte, S. 365 ff. 41
11. Zur Genese des Leistungsprinzips
21
Spätscholastik setzte den Primat des Willens42 und begründete das Recht als Setzung, das "ex institutione" durch Gott über die Fürsten vermittelt wird4J • Von der göttlichen Setzung bis zum "princeps legibus solutus", dessen Herrschaft sich allein auf souveräne Willensmacht gründet, ist es nur noch ein kleiner Schritt. In dem Primat des Willens ist bereits die prinzipielle Verfligbarkeit der Rechtsordnung und ihrer Ordnungs idee angelegt. Dieser Gedanke erfuhr im utopischen Denken seine Ausformulierung. Den Staatsentwürfen der Utopien liegt die Vorstellung einer grundsätzlichen VerfUgbarkeit und Veränderbarkeit der Weltordnung zugrunde. Zuvor hatte noch Thomas von Aquin den breit angelegten Versuch unternommen, der mittelalterlichen Rechts- und Sozial ordnung ihren Platz im scholastischen System der göttlichen Weltordnung zuzuweisen. Die sich im Nominalismus andeutenden Konsequenzen wurden nach der Reformation gezogen. Eine christliche Legitimation des Staates war nach den Religionskriegen unmöglich geworden. Aus den Religionskriegen, die als Kriege um Wahrheiten unerbittlich geführt worden waren, ging die Sphäre des Politischen als einzige noch einheitsverbürgende und Einheit ermöglichende Sphäre hervor. Die Religion konnte keine Grundlage für die Rechtfertigung des Staates und seiner Herrschaft mehr bieten, ohne seine Einheit zu gefährden. Mit der Kirche konkurrierte nun die neue Weltlichkeit eines von christlicher Legitimation losgelösten Staates, die ihr Eigenrecht gegenüber den Kirchen geltend machte und mit eigenen Argumenten zur Rechtfertigung des Staates und seiner Herrschaft aufwartete44 • Die Fragen der Religion mußten sich der Politik beugen, um Frie-
42
Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, S. 79 ff.
Die verfassungspolitischen Konsequenzen des begonnenen Umschwungs zeigen sich paradigmatisch anläßlich der Kaiserkrönung Ludwigs des Bayern: Die veränderte Legitimationsfrage fand in der Krönung durch das römische Volk im Jahre 1327 ihren ersten weltlich orientierten Ausdruck. Im Anschluß an Marsilius von Padua, einem Erzieher Ludwig des Bayern, der in seiner späteren programmatischen Schrift "defensor pacis" (Der Verteidiger des Friedens) erstmals kraftvoll für den Gedanken der Volkssouveränität eintrat, nahm Ludwig die Krone aus der Hand des römischen Volkes - ein Schritt, dessen Legitimation noch in Deutschlands jüngster Vergangenheit auf leidenschaftliche Ablehnung stieß. Siehe dazu den scharfen Brief König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen an den Gesandten Freiherr v. Bunsen vom Dezember 1848, in dem er die ihm angebotene Kaiserkrone als ,,[ ... ] imaginären Reif, aus Dreck und Lettern gebacken [ ... ]" bezeichnet, behaftet mit dem ,,[ ... ] Ludergeruch der Revolution [ ... ]"; im Auszug abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, Nr. 104. 4.>
44 Interessanterweise hat der eingeleitete Prozeß der staatlichen Loslösung aus kirchlicher Vorherrschaft im Staat des Grundgesetzes wieder zu einer stärkeren Kooperation zurückgeführt. Diese ist gerade in der weltanschaulichen Neutralität des Staates begründet. Einem Staat, der die Glaubens- und Gewissensfreiheit als subjektives Grundrecht gewährleistet, sind bei der im aktuellen Konfliktfall notwendigen Festlegung des Schutzbereichs aufgrund des Neutralitätsdogmas die Hände gebunden.
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Grundlagen des Untersuchungsgegenstandes
den und Stabilität der Herrschaft zu erreichen45 • Diese wachsende Sensibilität gegenüber dem Staat findet seinen Ausdruck in den neuzeitlichen Naturrechtskonzeptionen zur Begründung staatlicher Herrschaft, die den Menschen und seine unverftigbaren Eigenrechte in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen46 • Mit der Auflösung des christlichen Einheitsstaates im Zeitalter der Reformation wurde gerade die reformatorische Ethik für die spätere politische Wirkung des Leistungsbegriffs zentral bedeutsam. Bereits die Mystik und Laienbewegung signalisierte ein neues Bewußtsein des einzelnen, das schließlich im Zeitalter der Reformation manifest wurde. Die Reformation begründete die ethische Aufwertung der Arbeit und stellte das Individuum sowie den Autonomiegedanken in den Vordergrund. Die Vermittlung der Kirche als Verwalterin des Gnadenschatzes Christi wurde abgelehnt. Die Gläubigen empfanden sich selbst als maßgebliche Instanz, so daß sich die Rechtfertigung des Handelns auf eine Gesinnungsethik verschob. Mit dieser Umwertung war eine Neubewertung der Arbeit und der individuellen Tüchtigkeit verbunden. In der Ethik des frühen Christentums trat das Berufsethos noch hinter die Endzeiterwartung zurück. Kennzeichnend ist die weite Verbreitung chiliastischer Mythen. Dem entsprach ein gewisser Sozialfatalismus47 , der im allgemeinen Bewußtsein verankert war. Im Zeitalter der Reformation wandelte sich dieses Denken. Während die christliche Laienbewegung zunächst nur bei einer Aufwertung der Armut ansetzte, ohne an dem bestehenden Zustand etwas zu ändern, wurde mit Luther der weltliche Beruf zur Berufung und zum Gottesdienst am gottgewiesenen Platz48 • Am schärfsten trat dieser Zusammenhang zwischen Arbeit und Beruf sowie der religiösen Motivation zur Leistung im Calvinismus hervor49 • Ausgehend von 45 Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, S. 52; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 40 f.
4~ Im Humanismus findet der einsetzende Individualismus seine Vertiefung. So setzte Pico Della Mirandola (De dignitate homine = Über die Würde des Menschen) 1486 der theologischen Kosmologie den natürlichen Menschen als freien Gestalter seiner Lebensweit entgegen. 47
Har(fiel (Hrsg.), Das Leistungsprinzip, S. 12.
Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 66 ff., der allerdings darauf hinweist, daß Luther in der mehrstufigen Entwicklung seiner Berufskonzeption letztlich doch dem traditionalistischen Berufsbild seiner Zeit verhaftet blieb (ebd., S. 70 f.); ebenso Troeltsch, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modemen Welt, S. 64 f.; ders., Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, S. 575, 654. Die refonnatorische Theologie Luthers hat an der Einheit von Staat und Kirche festgehalten. 4R
49 Punt, Die Idee der Menschenrechte, S. 64; Troeltsch, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modemen Welt, S. 67 ff. In seiner grundlegenden Schrift "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" hat Max Weber den Zusammenhang zwischen den refonnatorischen Heilslehren und ihren Auswirkungen auf das kapitalistische Erwerbsleben herausgearbeitet. Er geht von der These aus, daß gerade
]1. Zur Genese des Leistungsprinzips
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dem Gedanken der Prädestination konnte der einzelne sein Heil an hand seiner innetweltlichen Tüchtigkeit überprüfen, seinen Glauben bewähren. Die Arbeit am gottgewollten Platz bildete damit nicht das Mittel, sich sein Heil zu erkaufen, sondern vielmehr die Angst um die Seligkeit loszuwerden, also seine religiösen Angstaffekte abzureagieren50 • Damit wurde dem Beruf nicht allein eine ethische Breitenwirkung verliehen, die sich vorher nur auf bestimmte Stände konzentrierte. Die Ethik der Reformation begründete eine konsequente Rationalisierung des Alltagslebens, da die religiösen Grundanschauungen universalen Charakter hattensI. Nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an Religiosität begann die gesamte Lebensfiihrung des Gläubigen zu umklammern. Die Verknüpfung von beruflichem Erfolg mit der Selbstvergewisserung des individuellen Heilsschicksals erfaßte die Berufsarbeit als Ganzes. 3. Die Leistung in der postreformatorischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung Eine Idee von solch strikt ethischer Bindung konnte sich erst gesellschaftlich durchsetzen, als ihr die notwendige Breitenwirkung zukam. Diese war in der Religion und dem religiös institutionalisierten Gemeinschaftsleben garantiert. Verbunden mit der ethischen Rechtfertigung der Arbeit setzte sich in der Reformation eine entscheidende Individualisierungstendenz fort, die im Calvinismus ihren Gipfel in der inneren Vereinsamung des Subjekts gegenüber einem jeder Erkenntnismöglichkeit transzendenten Gott erreichte52 • Die Idee der Gottesgedem Bewährungsgedanken aus der Perspektive der Prädestinationslehre eine zentrale Stellung für den Beruf und den Berufsethos zukomme. Während er diese These am Calvinismus eindrucksvoll belegt, sieht er sich jedoch bald gezwungen, von dem Eingangsargument abzurücken, da die Prädestinationslehre nicht in allen protestantischen Sekten gleichermaßen scharf auf das Berufsethos durchgeschlagen ist, vgl. Weher, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus S. 143, 151 f., 153 f., 161 f. Das Phänomen des "kapitalistischen Geistes", welcher das Berufsbild zu durchdringen und zu formen begann, läßt sich nicht monokausal auf den religiös motivierten Aktivismus als zentrale religiöse Doktrin reduzieren. Zur kritischen Auseinandersetzung mit Max Webers "Protestantismus-Kapitalismus-These" vgl. Sey(arth / Sprondel, Religion und gesellschaftliche Entwicklung; Eisenstadt, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Eine analytische und vergleichende Darstellung; Arzherger, Über die Ursprünge und Entwicklungsbedingungen der Leistungsgesellschaft, S. 30 ff., 37 ff. 50 Grundlegend Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 129, 131. Verschärft wurde diese seelische Konfliktlage durch die Abschaffung der Beichte, da hier ein Mittel zur Beruhigung des Schuldbewußtseins beseitigt wurde, Weher, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 124. 51 Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 134. 52 Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 121 f.
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meinschaft ging gegenüber der Gotteskindschaft verloren SJ • Konsequenz dieses religiösen Individualismus ist die Autonomie des Subjekts. Die Vermittlung der Heilsgewißheit wurde der Kirche entzogen und in das moralische Gewissen des innerweltlich handelnden Gläubigen verlegt. Damit wurde die Bedeutung des Individuums herausgestel1t und der Boden für die individuelle Zurechnung des Arbeitserfolgs als Leistung bereitet. Vor alIem die Berufsidee des Calvinismus bildet die Brücke zum modemen Berufsmenschentum54 • Das neue Berufsethos hätte auf Dauer keine Chance auf Realisierung gehabt, wenn es nicht auf Herrschaftsstrukturen gestoßen wäre, die seine Durchsetzung begünstigt haben. Die Herrschaftsordnung des Mittelalters war durch einen strengen "Ordo-Gedanken" gekennzeichnet. Dieser zeigte sich in der starren Herrschaftsstruktur der LehenspyramideSs sowie wirtschaftlich in dem festgefügten Zunft- und Gildewesen. Arbeit und Güterproduktion waren autoritativ einzelnen Gruppen, Rängen oder Klassen zugewiesen. Die Einhaltung dieser Ordnungsstruktur garantierten Gesetz oder traditionale Normen, die jede Gruppe auf eine Art der Arbeit beschränkten und neben der Entlohnung auch - wie im Zunft- und Gildewesen - das weitere Privatleben umgriffen. Dem entsprach das Weltbild der Scholastik, wie es in den Summen des Thomas von Aquin zum Ausdruck kommt, oder spiegelt sich in der mittelalterlichen Dichtung wider 6 • Das Zeitalter der Reformation hatte alIe Faktoren ausgebildet, die der neuen Rationalität zu einem breiten Durchbruch verhalfen. Die kapitalistische Frühwirtschaft in Form des Fernhandels - verbunden mit der oberitalienischen Geldwirtschaft - begann die traditionalen städtischen Marktstrukturen zu sprengen. Die Herrschaftsordnung S7 blieb von der wirtschaftlichen Entfaltung relativ unberührt, solange sie die neue Entwicklung zu integrieren vermochte. Die Fürsten hatten in der Zeit der Auseinandersetzung des Kaisers mit dem universellen Machtanspruch des Papsttums entscheidend profitiert und sich zu Territorialher-
53
Schluchter, Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus, S. 250 f.
54
Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, S. 653.
Das Lehen erfaßte bald die gesamte Rechtsstruktur, etwa Dienstlehen oder Lehen an Rechten. Kimminich (Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 87) spricht hier von einer "Verlehensrechtlichung" des gesamten Herrschaftsverbandes. 56 Thomas von Aquin, Summe der Theologie. In der Dichtung zeigt sich dies paradigmatisch an Dantes "Göttlicher Komödie". Der Dichter beschreibt eine rein kontemplative Wanderung durch auf Ewigkeit festgefügte Kreise, in denen sich die göttliche Gerechtigkeit ausdrückt. Die untergeordnete Bedeutung des Individuums in der mittelalterlichen Weitsicht zeigt sich an der fehlenden Handlung des Helden. 57 Die beginnende Verflechtung von Herrschaftsmacht und Wirtschaftskraft zeigt 1519 sich in der Kaiserwahl Karl V. Das Geld rur die erforderlichen Wahlbestechungen lieferte die Kaufmannsfamilie der Fugger, die ihre wirtschaftliche Kraft aus dem Fernhandel gewonnen hatte. 55
11. Zur Genese des Leistungsprinzips
25
ren entwickelt58 • Nach dem Westfälischen Frieden, der die Religionskriege zunächst beendete, erhielten sie schließlich die volle Souveränität59 über ihr Territorium und konnten sich nun daran machen, ihre Machtstellung auszubauen. Dies geschah vor allem durch eine planmäßige Machtkonzentration und indem sie die aufblühende Wirtschaft in ihrem Herrschaftsgebiet unterstützten. Es entwickelten sich die typischen Instrumentarien des neuzeitlichen Staates: die Steuer60 und das Beamtenwesen61 • Neben dem Beamtenwesen ergaben sich weitere finanzielle Belastungen aus der Aufstellung von Söldnerheeren. Die Notwendigkeit einer veränderten Wirtschaftspolitik in den Territorialstaaten wurde offenkundig62 • Der gesteigerte Finanzbedarf wirkte auf die Wirtschaftsförderung beschleunigend zurück. Hier öffnete sich der Raum fiir das neue Berufsethos und eine Rationalisierung der Wirtschaftsformen, deren Entfaltung von staatlicher Seite gefordert wurde. Das Bürgertum, das sich zunächst in den Städten herausgebildet hatte, gewann mit seiner Finanzkraft zunehmend an Bedeutung. In dieser Konsequenz förderten die Feudalherren die aufkeimende Wirtschaft auf ihrem Territorium und waren zu Zugeständnissen in bezug auf die Lockerung der ständischen Ordnung bereit63 • Ein wirksames Steuersystem öffnete die notwendigen Finanzquellen. In dieser Phase des Merkantilismus bildete sich ein einheitliches Wirtschaftsgebiet im Territorialstaat aus. Der Merkantilismus übertrug die wirtschaft5~ Zu dieser Entwicklung grundlegend Brunner, Land und Herrschaft.
Der Begriff der Souveränität wandelt sich hier von einem politischen Kamptbegriff zu einem Rechtsbegriff, vgl. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte S. 215 ff. f,() Die auf dem Reichstag zu Worms (1495) beschlossene Steuer in Form des "gemeinen Reichspfennigs" ist später praktisch gescheitert. ~I Die Grundlage für die Verwaltung bildete das Rittertum neben den deutschen Juristen, die in den oberitalienischen Universitäten ausgebildet worden waren. Das ausgeprägte Standesbewußtsein des Rittertums verhinderte seine Partizipation an der neuen Wirtschaft, während der Dienst für den Landesherren ehrenhaft war, Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte S. 187. Max Weber (Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 11, 19) hebt besonders das Fachbeamtenturn und die rationalen Strukturen der Verwaltung als die "Eckpfeiler" des modernen Staates und der modernen Wirtschaft des Okzidents hervor. 59
(,2 Auf dem Reichstag von I 654 wurde die Pflicht der Landstände begründet, für dcn Unterhalt der militärischen Einrichtungen des Landesherrn beizutragen, Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 155. Damit schuf der Beschluß die Rechtsgrundlage für eine allgemeine Steuererhebung. 63 So ist es bezeichnend, daß trotz des staatsrechtlichen Partikularismus 1731 die Fürsten eine Einigung über die Einrichtung einer Reichsgewerbeordnung erzielen konnten. Dadurch wurde das starre Zunftwesen gelockert. Die Zünfte verloren ihre Zunftgerichtsbarkeit und unterstanden nun der Staatsaufsicht. Daneben wurde der Zugang erleichtert, s. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 248.
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liche Struktur des einzelnen Unternehmens auf die Gesellschaft64 • Seine Wirtschaftsphilosophie forderte eine größtmögliche Entwicklung der wirtschaftlichen Kräfte. Dies bedeutete die Abkehr von einer festgelegten Bedürfnisproduktion hin zur Überschußproduktion. Der "Geist des Kapitalismus" löste das Bedarfsdeckungsprinzip zünftisch gebundenen Wirtschaftens durch das Erwerbsprinzip ab und setzte an die Stelle berufsständischer Solidarität das rational wirtschaftende IndividuumM • Das Leistungsprinzip begann sich in der Sphäre der privaten Wirtschaft zu etablieren, die sich nun ihrerseits von den religiösen Wurzeln 66 befreite, die aus Sicht der neuen Wirtschaftsrationalität ein metaphysisches Hemmnis darstellten. Gleichzeitig entwickelte sich eine eigenständige Sphäre der Gesellschaft. Im Beamtenwesen, der Finanzverwaltung und dem veränderten Militärwesen trat der Staat als öffentliche Gewalt seinem Bürger gegenüber67 • In der gleichen Zeit wandelte sich die territoriale Herrschaftsmacht zum Amt68 • Die Landesherren hatten es bis dahin verstanden, die Herrschaftsgewalt planmäßig auf ihre Person zu konzentrieren und damit eine einheitliche innere Staatsgewalt zu organisieren, deren Befugnisse nun als Ämter weiter übertragen werden konnten. Das Bürgertum wurde in die Rolle der Untertanen gedrängt und reagierte auf die staatlich reglementierte Förderung der Individualwirtschaft, indem es eine Privatsphäre bildete. Die zwei Bereiche des "Staatlichen" und des "Privaten" begannen sich voneinander zu scheiden. Je stärker die Herrschaft die legitimen Herrschaftsmittel auf eine Person konzentrierte, desto größer wurde der Kreis der unmittelbar dieser Herrschaft unterstellten Menschen. Es entstand eine vom Staat getrennte Wirtschaftsgesellschaft. Das staatliche Wirtschaftsforderungsinteresse wandelte sich zum Eigeninteresse des freigesetzten Individuums, das sich gegen die staatliche Reglementierung zu richten begann69 • Das Prinzip der Stärkung der Zentralgewalt durch Förderung der Wirtschaft wurde von seiten der Wirtschaft in Frage gestellt. Mit der Freisetzung der Kräfte des Marktes gewannen die privaten Träger der Wirtschaft Autonomie, die der Herrschaftsordnung gefährlich wurde. Das Bürgertum wandte die Grundsätze des freien Wirtschaftens und seine Rationalitätsbedingungen auf die staatliche Ordnung an. Von daher erscheint es konsequent, wenn die Rechtfertigung des Staates aus dem Institut 64 Arzberger, Über die Ursprünge und Entwicklungsbedingungen der Leistungsgesellschaft, S. 42.
M
Braun, Leistung und Leistungsprinzip in der Industriegesellschaft, S. 114 f.
Conze, Staat und Gesellschaft in der frührevolutionären Epoche Deutschlands, S. 41. ~7 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 31.
1>6
~ Forstho.ff. Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S. 33.
Angermann, Das Auseinanderfallen von "Staat" und "Gesellschaft" im Denken des 18. Jahrhunderts, 124 ff.; Zycha, Die wirtschaftsliberalen Refonnen: Grunderwerbsfreiheit, Gewerbe- und Vertragsfreiheit, S. 375 f. 6q
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des Vertrages hergeleitet wurde, der eine prinzipielle Gleichberechtigung der vertragsschließenden Subjekte voraussetzt. Die postrefonnatorische Legitimationskrise des Staates und der Staatsgewalt begünstigte die Verfestigung des Individualismus und seiner Eigenrechte. Im politischen Denken bildete das "Gottesgnadentum" der absolutistischen Fürsten ein vom Papsttum emanzipiertes Surrogat des früheren christlichen Einheitsstaates. Der Herrscher implizierte mit der Souveränität nach innen, daß er unmittelbar im Gewissen an Gott gebunden iseo. Diese Legitimation verlor mit dem Aufkommen der Aufklärung an Überzeugungskrafe ' , ja erschien geradezu als Willkür. Die Suche nach neuen einheitsverbürgenden Wahrheiten führte im Zusammenhang mit dem aufkommenden Interesse an den empirischen Wissenschaften zur Natur. Sie verhalf dem modemen, rationalen Naturrecht zum Durchbruch. Wenn dieses zunächst den Absolutismus stützte, so wurden hier die Begriffe der späteren bürgerlichen Revolutionen vorausgedacht, nämlich die Gleichheit des Menschen, seine naturrechtliche Freiheit und das Eigentum. Damit begann das Naturrecht, die einsetzende Trennung von Herrschaft und Untertanen, von Staat und Gesellschaft rational zu vertiefen. Es stellte dem "Gottesgnadentum" des absolutistischen Souveräns die autonome Sphäre des Vernunftrechts entgegen, aus der heraus das Bürgertum seine Rechtfertigung zog. Ein neuer Begriff der Gesellschaft wird gedacht72 , die vom Staat getrennt ist. Das aus ständischen Bindungen gelöste Prinzip der Rechtsgleichheit wird universal. Die wechselseitige Durchdringung einer freigesetzten Arbeitsgesellschaft und der Legitimation von Herrschaft läßt sich an Hobbes' Theorie der Rechtfertigung einer allumfassenden Zentralgewalt illustrieren73 • Sie gründet in Voraussetzungen, die er einer Analyse der Gesellschaft seiner Zeit entnommen hat. Kennzeichnend ist ein freigesetzter radikaler Individualismus, der in seiner triebhaften Begierde 74 dem Mitmenschen gefahrlich werden klOn. Hobbes nennt diesen Zustand zwar Naturzustand, doch kann damit nicht der Zustand einer primitiven Gemeinschaft gemeint sein75 , sondern die Entwicklung einer zivilisierten Ge70
Brunner, Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip, S. 294.
71
Conze, Staat und Gesellschaft in der frührevolutionären Epoche Deutschlands, S. 41.
n In der politischen Philosophie wird die Trennung von Staat und Gesellschaft erst im deutschen Idealismus durch Hegel auf den Begriff gebracht. Die Gesellschaft als "System der Bedürfnisse" bildet eine Differenzstufe bei der Entwicklung zum Staat als substantieller Sittlichkeit, s. Heget, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 182 ff. 73 Im Gegensatz zu Frankreich und England hatte sich in Deutschland keine Theorie herausgebildet, die die neuen Verhältnisse der Staatsgewalt und ihre Bedingungen angemessen reflektierte; dazu Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 43. Diese erreichte in Deutschland erst mit dem deutschen Idealismus ihren angemessenen Ausdruck. 74 Hobbes, Leviathan, S. 95 nennt drei: Konkurrenz, Mißtrauen und Ruhmsucht. 75 Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 32 ff.
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Grundlagen des Untersuchungsgegenstandes
meinschaft, die einer zentralen Ordnungsrnacht entbehrt. Dies zeigt sich daran, daß die Objekte der Begierden und damit die Gegenstände der Auseinandersetzungen dem zivilisierten Standard der Gesel1schaft seiner Zeit entsprechen. Inwieweit die Rationalität des "homo oeconomicus" bereits die gesellschaftliche Ordnung bestimmt, zeigt sich daran, daß Hobbes zu den Leidenschaften, die geeignet sind, den Menschen rur friedliche Zustände unter einer Zentralgewalt zu interessieren, auch die Hoffnung zählt, sich durch Fleiß ein angenehmes Leben verschaffen zu können. Der Fleiß bedarf zu seiner Entfaltung einer Ordnungsmacht, die den Erhalt seiner Früchte garantiert76 • Damit ist der Leistungsgedanke gesellschaftlich anerkannt. Erst das Prinzip der frei transferierbaren Arbeitsleistung in einem freien Markt ruhrt zum Wettstreit der Individuen untereinander, der die Gesellschaft insgesamt erfaßt77 • Hobbes setzt in der Begründung der zentralen Ordnungsrnacht die auf Arbeit gegründete Ausbildung kompetitiver Gesellschaftsstrukturen voraus, die als Wettbewerb um Macht einer streitschlichtenden Instanz bedürfen 78 • Dies bildet eine der Bedingungen, aus denen heraus die Notwendigkeit einer zentralen Ordnungsrnacht begründet wird. Die vernunftrechtlichen Grundannahmen von Eigentum, Freiheit und Gleichheit der Person bereiteten der zentralen Herrschaftsgewalt in kurzer Zeit Schwierigkeiten. Die theoretische Neubegründung der Staatsgewalt schuf nicht nur eine neue Legitimationsgrundlage, sondern bildete aus ihren Prämissen heraus zugleich Bindungen, die sich aus den Staatszwecken ergaben, die der Theorie zugrunde gelegt wurden. Nur aus dieser Perspektive konnte Herrschaft einsichtig gemacht werden, nachdem sie der traditionalen Begründung des Gottesgnadentums entbehrte. Mit der Festsetzung von Staatszwecken sind jedoch notwendigerweise negativ solche Positionen ausgegrenzt, die nicht Staatszweck sein können oder nicht sein sollen. In diesem Bereich erscheint staatliches Handeln gegenüber den Gewaltunterworfenen illegitim, so daß die Freiheit in den Staatszwecken ruhen sollte 79 • Daraus entwickelte sich eine staatsfreie Sphäre oder, anders ausgedrückt, die Sphäre bürgerlicher Freiheit vom Staat. In der Phase des Merkantilismus hatte sich bereits eine staatlich geförderte Sphäre der privaten Wirtschaft etabliert, der die strukturel1en Hemmnisse der Gemeinschaftsordnung soweit geopfert worden waren, wie es der staatliche Finanzbedarf erforderte. Im Zusammenhang mit der Bindung staatlicher Gewalt an Staatszwecke machte sich das wirtschaftlich erstarkte Bürgertum daran, die 7h
Hobbes, Leviathan, S. 96, 98.
Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 65, 74. 7R Vgl. dazu Macpherson. Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 74. Kritisch gegenüber dieser These vom Naturzustand als Abbild einer auf Wettbewerb gegründeten Erwerbsgesellschaft ohne Rechtssicherheit ist Weimayr, Bürgerkrieg und Machtzerfall, Der Staat 35 (1996), S. 167 ff., 170. 79 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 11111, S. 100 f. m.w.N. 77
11. Zur Genese des Leistungsprinzips
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letzten Barrieren zu beseitigen. Eine beschränkte Wirtschaftsfreiheit und Gleichheit schufen den Rahmen für das leistende Individuum. Seine wirtschaftlichen Erfolge wurden durch das Eigentum abgesichert. Daneben beförderten diese Prinzipien den Wandel der starr strukturierten ständischen Gemeinschaft hin zu einer Gesellschaftsordnung, in der die Hemmnisse einer wirtschaftlichen Entfaltung beseitigt wurden so. Die Abkehr vom merkantilen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem vollzieht sich bei Adam Smith. Die Quelle des gesellschaftlichen Wohlstandes entspringt fortan der Arbeit und der freien wirtschaftlichen Leistung der Individuen. Die Arbeit wird zur Grundlage von Wirtschaft und Gesellschafts, . Das Prinzip der "invisible hand"s2 als Mechanismus gesellschaftlicher Selbstregulierung verlangte einen freien Wettbewerb, den das rational wirtschaftende Individuum in Fonn politischer Grundfreiheiten politisch durchzusetzen suchte. Gleichzeitig hielt das Arbeitsethos, aus dem das Bürgertum seine Legitimation und sein Selbstbewußtsein zog, in die Sphäre der Staatsgewalt Einzug. Der Leistungsgedanke übertrug sich auf die vom Adel dominierten öffentlichen Ämter83 • Hier liegt die Wurzel des Leistungsprinzips als eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtenturns. Der wirtschaftlichen Macht der neuen Gesellschaftssphäre stand eine politische Ohnmacht gegenüber. Die vemunftrechtlich fundierte Forderung nach Menschen- und Bürgerrechten erhob sich gegen den Staat und verlangte ihre verfassungsrechtliche Einlösung in Fonn politischer Mitwirkungsrechte. Im Zeitalter der Revolutionen fanden schließlich die Prinzipien der neuen Erwerbsgesellschaft ihre rechtliche Absicherung: Die Anerkennung der Person als autonomer sittlicher Instanz und damit die Freiheit der Person, die Vertragsfreiheit, die rechtliche Gleichheit und die Garantie des Eigentums. Damit verbunden war eine neue Herrschaftsstruktur, die den mittelalterlichen Gedanken der Volkssouveränität84 aufgriff, ihn zunächst auf die Straße trug, um ihn von dort in der Verfassung zu etablieren. Das Bürgertum gab sich selbst die Verfassung, die seinem Bedürfnis entsprach.
RO Angermann, Das Auseinanderfallen von "Staat" und "Gesellschaft" im Denken des 18. Jahrhunderts, S. 124 ff.
RI "The annual labour of every nation is the fund which originally supplies it with aB the necessaries and conveniences of life which is annually consumed, and which consist always, either in the immediate produce of that labour, or in what is purchased with that produce from other nations", Smith, An Inquiry into the Nature and Causes ofthe Wealth of Nations, S. 10. R2 Smith, Wealth of Nation, S. SS f. R3 Mikl-Horke, Industrie- und Arbeitssoziologie, S. 43. m.w.N. R4 Marsilius von Padua, Defensor Pacis (Der Verteidiger des Friedens).
Erster Teil
Leistung und Eigentum im Grundgesetz I. Die Leistung als Element einer differenzierten Eigentumsordnung Die Eigentumsordnung des Grundgesetzes ist das Ergebnis der bürgerlichen Revolutionen und einer freigesetzten Erwerbsgesellschaft85 • Mit dem Eigentum entsteht eine Sphäre äußerer Freiheit86 • Das Bild der Eigentumsordnung in der Verfassung des Grundgesetzes bestimmt sich durch eine Reihe differenzierender Kriterien 87 • Die zentrale Regelung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes bildet Art. 14 GG. Mit der Befugnis des Art. 14 Abs. I Satz 2 GG zur Inhaltsund Schrankenbestimmung eröffnet die Normstruktur dem Gesetzgeber eine wesentliche Differenzierungsmöglichkeit. Daneben lassen Art. 14 Abs. 2 und Abs. 3 GG die Differenzierung nach der Gemeinwohlbezüglichkeit einzelner Eigentumsobjekte zu. Das Grundrecht des Art. 14 GG stellt nicht die einzige Aussage dar, die das Grundgesetz zur Eigentumsordnung trifft. Bereits die Sozialisierungsmöglichkeit des Art. 15 i.V.m. Art. 74 Nr. 15 GG hebt die Sonderstellung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln hervor. Sie eröffnet entsprechend ihrer Bedeutung für ein wirtschaftsorientiertes Gemeinwesen eine weitergehende Zugriffsmöglichkeit für den Staat. Daneben finden sich in den Kompetenznormen der Art. 73 und 74 GG Hinweise auf eine Reihe differenzierender Gesichtspunkte88 , die den nach Art. 14 GG einheitlich ~5 Zur Entwicklung der Eigentumsordnung vgl. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem; Scheuner, Die Garantie des Eigentums in der Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte. ~6 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 41, 45. R7 Die Befugnis des eigentumsgestaltenden Gesetzgebers, nach Eigentumsarten zu differenzieren wird vom Bundesverfassungsgericht unmittelbar aus Art. 14 Abs. I Satz 2 GG i.V.m. Art. 14 Abs. 3 GG abgeleitet: BVerfGE 21, 73, 83. Der Gedanke einer differenzierten verfassungsrechtlichen Eigentumsordnung druckt sich auch in den Verhandlungen des Parlamentarischen Rats zum heutigen Art. 14 GG (fruher Art 17) aus, vgl. JöR N.F. I (1951), S. 145 f. Zur Differenzierungsthese: Häberle, Vielfalt der Property Rights und der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff, AöR 109 (1984), S. 36 ff., 58 f.; Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 315. ~R ZU den Differenzierungskriterien der Verfassung vor dem Hintergrund der ökonomischen Rechtstheorie Häberle, Vielfalt der Property Rights und der verfassungsrecht-
I. Die Leistung als Element einer differenzierten Eigentumsordnung
31
gewährleisteten Eigentumsbegriff sektoral zerlegen. Sie geben dem eigentumsgestaltenden Gesetzgeber die Befugnis, den Eigentumsinhalt entsprechend dem zu regelnden Sachbereich differenziert auszugestalten. Darin zeigt sich der Entwurf eines Programms der unterverfassungsrechtlichen Eigentumsentwicklung, die den möglichen Inhalt des verfassungsrechtlich gewährleisteten Eigentums strukturiert und ihn in vorgezeichnete Bahnen lenkt. Eigentum wird konkreter als in der Verfassung. Schließlich bildet die verfassungsrechtliche Garantie dynamischer Handlungsrechte eine notwendige Komplementärgarantie zum statischen Bestandsschutz des ErworbenenK9 • Neben der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. I GG sind dies vor allem die Berufsfreiheit des Art. 12 GG und die Garantien des Art. 5 Abs. 3 GG. Nicht nur der Verfassungstext enthält Grundaussagen zur verfassungsrechtlichen Eigentumsordnung. Rechtsprechung und Wissenschaft haben weitere Kriterien zur Differenzierung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs entwickelt. Einzeln oder kumulativ bestimmen sie die Eigentumsdiskussion um Art. 14 GG maßgeblich. Sie ergeben sich aus der Verfassung selbst oder sind Ausfluß der Verfassungsrechtsprechung und der Verfassungsdogmatik. Im Vordergrund steht die Frage, ob eine Rechtsposition dem Schutz des Art. 14 GG überhaupt unterstellt sein soll. Daran schließen sich Probleme der Reichweite und Intensität des Schutzumfangs eigentumsgeschützter Rechtspositionen an. Ein Kriterium, das die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits früh zur Lösung dieser Problematik herangezogen hat, ist die Leistung. Auf der Grundlage allgemein herrschender gesellschaftlicher Auffassungen erklärt das Gericht das, was der einzelne sich durch eigene Leistung und eigenen Kapitalaufwand erworben hat, im besonderen Maße als sein Eigentum und gegenüber Eingriffen fiir schutzwürdig90 • Der persönliche Einsatz in Form von Arbeit und Leistung hat sich als Differenzierungskriterium neben dem Urheberrecht91 vor allem im Bereich des Eigen-
liehe Eigentumsbegriff, AöR 109 (1984), S. 36 ff., 46 f. Häberle (ebd., S. 50 Fn. 37) gelangt allerdings entgegen der einheitlichen Konzeption des Art. 14 GG zu einem pluralen Eigentum bereits auf Verfassungsebene. M9 Zum Verhältnis von Art. 12 Abs. 1 GG zu Art. 14 Abs. 1 GG, BVerfGE 30, 292, 334 f.; 38, 61, 102; 50, 290, 365; 68, 237, 248 mit Schutz der Leistungstätigkeit nach Art. 12 Abs. I GG und Schutz des Leistungsergebnisses durch Art. 14 Abs. I GG. Zum Verhältnis von Art. 2 Abs. I GG und Art. 14 Abs. I GG s. BVerfGE 14,288,293; 31, 229, 239; 58, 81, 112 mit dem ausdJiicklichen Hinweis auf die wechselseitige Komplementarität der beiden Grundrechtsnormen. 90 BVerfGE 1,264,277 f.; 50,290,340; 58, 81, 112. 91
40.
BVerfGE 31, 229, 240 f., 243; 42, 263, 294; 49, 382, 400; 77, 263, 270 f.; 79, 29.
32
I. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
tumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechten etabliert. Das Bundesverfassungsgericht hat den Leistungsgedanken sowohl rur die Frage nach der Eigentumsqualität der zu qualifizierenden Rechtsposition, als auch rur den Schutzumfang, bzw. die Bindungsintensität des eigentumsgestaltenden Gesetzgebers, herangezogen 93 • Von dort wurde er auf die Grundsätze der Beamtenversorgung nach Art. 33 Abs. 5 GG erstrecktQ4 • In der Literatur wird die Leistung als typische causa des Eigentumsschutzes aufgefaßtQS oder ihr die Bedeutung eines vermittelnden Bindeglieds zwischen Freiheit und Eigentum zugesprochenQ6 • In der Leistung werde eine Grundfunktion der Eigentumsgarantie überhaupt sichtbarQ7 • Obgleich das Leistungskriterium als modifizierte Arbeitstheorie eine tiefe rechtsphilosophische Tradition besitztQS , tritt es nicht isoliert auf. Zur Legitimation des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes aus Art. 14 GG zieht die Rechtsprechung unterschiedliche Kriterien heran. Diese Differenzierungskriterien bilden das Argumentationsraster, in das der Leistungsbegriff eingebettet ist. Dadurch lassen sich spezifische Elemente des inhaltlich unscharfen LeistungsbegriffsQQ zumindest abgrenzend verdeutlichen. Dem Schutz des leistenden Individuums dienen dynamische Handlungsfreiheiten, die in einer Wechselbezüglichkeit zu dem Bestandsschutz des Art. 14 Abs. I GG stehen. Dies hat zur Konsequenz, daß nicht nur die Schutzbegründung, sondern insbesondere der Schutzumfang im Vergleich zu anderen Eigentumsobjekten unter Leitlinien gestellt ist, die sich mit den Begriffen der Konnexität und Komplementarität des Eigentums zu anderen Grundrechtsinhalten beschreiben lassen, deren Aktualisierung von der Garantie des Eigentumsschutzes abhängt 'oo. Diese Konnexitäts- und Komplementaritätsthese zeigt ihren 92
BVerfGE 53, 257 ff.; 69, 272 f.; 72, 9 ff.
Zuerst BVerfGE 1,264,277 f.; im folgenden BVerfGE 14,288,293 f.; 16,94, 113; 18, 392, 397. 22, 241. 253; Zusammenfassung der bis dahin ergangenen Rechtsprechung in BVerfGE 40, 65. 83; schließlich rur Versichertenrenten und Anwartschaften die zentrale Entscheidung zum Versorgungsausgleich, BVerfGE 53, 257 ff.; Fortführung dieser Rechtsprechung zum Arbeitslosengeld in BVerfGE 72, 9 ff. 94 BVerfGE 76, 256. 299. 9J
9S Dürig, Der Staat und die vermögenswerten öffentlich-rechtlichen Berechtigungen seiner Bürger, S. 31. % Friauf, Eigentumsgarantie. Leistung, Freiheit im demokratischen Rechtsstaat, S. 446. 97
Fria,,!f. Eigentumsgarantie, Leistung, Freiheit im demokratischen Rechtsstaat, S. 446.
9R
Dreier. Eigentum in rechtsphilosophischer Sicht, ARSP 1987, S. 159 ff.
99
Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, S. 59,61 f., insb. S. 65 f.
Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 82 f., 255. Wendt (ebd., S. 85) unterscheidet zwischen einer freiheitssichernden Bedeutung des Eigentums primärer und sekundärer Art. Primärer Freiheitsschutz soll durch die Sicherung der eigentlichen Eigentumsfreiheit erreicht werden. Der sekundäre Freiheitsschutz der Eigentumsgarantie ergibt sich aus der Sicherung der auf das Eigentum gestützten anderen Grundrechtsfreiheiten. A.A. Kloepfer, 100
I. Die Leistung als Element einer differenzierten Eigentumsordnung
33
eigentumsdifferenzierenden Gehalt im Hinblick auf die Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 GG. Sowohl die Frage nach der eigentumsmäßigen Zuordnung, also das "ob", als auch die Frage nach dem Schutzumfang der Eigentumsgarantie, d.h. das "wie", wissenschaftlicher oder künstlerischer Leistungen werden durch die ökonomischen Grundlagen der geschützten Tätigkeit mitbestimmt, so daß die Zuordnung des vennögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung im Wege privatrechtlicher Nonnierung garantiert sein muß lO1 • Ein weiteres Kriterium bildet die existenzsichemde Bedeutung, die das bereits verfassungsrechtlich anerkannte Eigentum oder die als Eigentum zu qualifizierende Rechtsposition in der Hand Privater erhalten kann ,02 • Dieses Kriterium hat die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor allem zur Begründung des Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte, insbesondere sozialrechtlicher Positionen, herausgestellt '03 • Neben der Privatnützigkeit und der persönlichen Arbeitsleistung tritt die Existenzsicherung als weiteres eigentumskonstitutives Kriterium hinzu. In der für die Materie des Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte zentralen Entscheidung zum Versorgungsausgleich lO4 ließ es das Gericht noch bei den Kriterien der Privatnützigkeit und der persönlichen ArbeitsleistunglOS bewenden. Der Topos der Existenzsicherung ist in der Literatur auf breiten Widerspruch gestoßen lO6 • Diese legt ihrer Kritik Grundrechte als Entstehungssicherung und Bestandsschutz, S. 15. der die wesentliche Funktion der Eigentumsgarantie in der Stützung anderer Grundrechte erblickt. so daß sich eine "Hintereinanderschaltung von Grundrechten" ergibt. 101 So das BVerfG zum verfassungsrechtlichen Schutz des Urheberrechts durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG, BVerfGE 31,229,240 f.; 31, 248, 252; 31,270,271 f.; 49, 382, 392; 51,193,217; 77,263,270 f. Zum Patentschutz BVerfGE 36, 281, 290 unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum Urheberrecht. 102 Der Gedanke der existenzsichemden Funktion des Eigentums kommt in den Beratungen des Parlamentarischen Rates zu Art. 17, dem heutigen Art. 14 GG, zum Ausdruck, JöR N.F. I (1951) S. 145. Die existenzsichemde Bedeutung der Eigentumsgarantie wird in der modernen Industriegesellschaft allgemein als gering eingestuft. S. dazu Meyer-Abich, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 71 ff., sowie Wendt. Eigentum und Gesetzgebung, S. 86 ff. m.w.N. Damit wird jedoch nicht die existenzsichemde Bedeutung des Eigentums überhaupt geleugnet, sondern das Gewicht der Existenzsicherung im Rahmen einer differenzierten Eigentumsordnung herabgestuft. 103 BVerfGE 69, 272, 300; 72, 9, 18 f. 104
BVerfGE 53, 257 ff.
105 BVerfGE 53, 257, 290 f. Der spätere Gedanke der Existenzsicherung in BVerfGE 69, 272, 300 findet sich hier bereits in dem Hinweis auf die gewandelte Bedeutung der Arbeit und der Art der Daseinsvorsorge, der auf ein Sondervotum der Richterin Rupp-v. B1"Ünneck zurückgeht, BVerfGE 32, 129 ff. In ihrem Sondervotum wies Rupp-v. Brünneck ausdrücklich auf die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Berechtigungen für eine wirtschaftliche Existenzsicherung hin, BVerfGE 32, 129, 142. 106 Rü/ner, Eigentumsschutz für sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, Jura 1986, S. 473 ff., 477 f.; Ossenbühl, Der Eigentumsschutz sozialrechtlicher Positionen in der
3 Malinka
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I. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
jedoch die Prämisse einer Reduktion der Eigentumsgarantie auf ihre existenzsichernde Funktion zugrunde. Dies ist weder vom Bundesverfassungsgericht noch in der Literatur in dieser Form vertreten worden. Ein wichtiges Differenzierungskriterium innerhalb der Eigentumsordnung stel1t vor al1em die Persönlichkeitsnähe dar. Das Bundesverfassungsgericht betont regelmäßig den engen Zusammenhang zwischen der Persönlichkeitsentfaltung und dem Schutz ihrer materiel1en Grundlage durch Art. 14. GG. Das Leitmotiv bildet die Ermöglichung einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung"17 und die Schaffung einer Grundlage der privaten Eigeninitiative 108. Eng damit verwandt ist der Begriff des sozialen Bezuges. Dieser zeigt sich als Kehrseite der Persönlichkeitsnähe. Je stärker der soziale Bezug des Eigentumsobjektes, desto geringer ist sein Persönlichkeitsbezug und umgekehrt. Im Mitbestimmungsurteil '09 hat das Bundesverfassungsgericht diesen Zusammenhang besonders betont, nachdem es ihn in früheren Entscheidungen herausgearbeitet hat llO • Hier greifen Leistung und Persönlichkeitsnähe ineinander. Die Intensität des personalen Bezugs bestimmt sich nicht zuletzt nach dem Anteil der persönlichen Leistung" I. Aus dieser Sicht ergibt sich eine Eigentumsdifferenzierung im Sinne eines nach dem Sozialbezug gestuften Eigentumsschutzes. Dieser hat die Konsequenz einer zunehmenden Erweiterung des Handlungsspielraumes für den eigentumsgestaltenden Gesetzgeber, je weiter sich der Persönlichkeitsbezug verflüchtigt '12 . Schließlich werden bestimmte Merkmale eines Eigentumsobjektes als Anknüpfungspunkt für eine Differenzierung herausgegriffen und zum Ausgangspunkt einer besonderen Ausgestaltung gemacht. Dies betrifft vor al1em das Eigentum an Grund und Boden 113, das Eigentum an Objekten besonderer kultureller Bedeutung"4 oder das Eigentum in seiner sozialen Funktion"5. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 632 ff.; Leisner, Eigentum als Existenzsicherung?, S. 69. 107 BVferfGE 24, 367, 389; 68, 361, 374 f. (st. Rspr.). 10_ BVerfGE 52, I, 30; 61, 82, 108. IM BVerfGE 50, 290, 340 f. 110 Vgl. etwa BVerfGE 21, 73, 82 f.: im Zusammenhang mit Grund und Boden argumentiert das Gericht mit Gerechtigkeitsmaximen im Hinblick auf eine "gerechte Rechtsund Gesellschaftsordnung". Ebenso BVerfGE 37, 132, 140 f. mit dem Argument einer "sozialgerechten Eigentumsordnung"; s.a. BVerfGE 42, 263, 294. 111 BVerfGE 53, 257, 292. 112 Besonders deutlich BVerfGE 50, 290, 340 f. - Mitbestimmung -, fortgeführt in BVerfGE 52, 1,29, 32 - Kleingarten-. lIJ BVerfGE 21, 73, 82 f. verknüpft Grund und Boden mit Gerechtigkeitsmaximen im Hinblick auf eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung. 114 Dies betrifft vor allem den Denkmalschutz sowie die Einschränkung der grundsätzlich bestehenden Verwertungsrechte an Kunstwerken.
11. Leistung und Vennögenswerte des Privatrechts
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11. Leistung und Vermögenswerte des Privatrechts 1. Der Beginn der Leistungsrechtsprechung aus dem Horizont der Weimarer Reichsverfassung
Bereits zu Beginn seiner Eigentumsrechtsprechung führt das Bundesverfassungsgericht in der Schornsteinfegerentscheidung den Begriff der Leistung in die Dogmatik des Art. 14 GG ein l16 • Das Gericht hatte über die Verfassungsmäßigkeit der Einführung von Altersgrenzen für Bezirksschornsteinfeger zu befinden. Die Eigentumsrelevanz der Regelung lag darin, daß Bezirksschornsteinfeger, die bei Inkrafttreten des Gesetzes Inhaber ihrer Kehrbezirke auf Lebenszeit gewesen waren, diese bei Erreichen der Altersgrenze verloren. Damit stellte sich die Frage nach dem Bestandsschutz eines Gewerbeausübungsrechtes. Die Besonderheit ergab sich im Falle der Bezirksschornsteinfeger daraus, daß dem Gewerbe die öffentlich-rechtliche Verleihung des Kehrbezirkes zugrunde lag, also ein subjektives öffentliches Recht. Ausgangspunkt der Überlegung ist die Frage, ob der Gewerbebetrieb als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG anzusehen ist. Daran schließt sich das Folgeproblem des Schutzumfanges an. Wird das im konkreten Fall betroffene subjektive öffentliche Recht ebenfalls erfaßt? Seinen Begriff des verfassungsrechtlichen Eigentums gewinnt das Gericht aus dem bürgerlichen Recht. Es begründet dies einerseits mit der Lehre und Rechtsprechung, die sich am Bild des freien Handwerks- und Gewerbebetriebs orientiere, sowie den gesellschaftlichen Anschauungen 117. Beide Argumente werden schließlich auf die Begriffe der Leistung und der Arbeit zugespitzt. Ein freier Gewerbebetrieb sei wesentlich durch den Einsatz von Arbeit, persönlichen Fähigkeiten und Kapital gekennzeichnet, während die allgemein herrschende gesellschaftliche Anschauung das durch eigene Leistung Erworbene in besonderem Maße als Eigentum anerkennen würde ll8 • Wenn das Gericht seiner Argumentation einen zivilrechtlichen Eigentumsbegriff zugrundelegt, so steht seine Eigentumskonkretisierung zu dieser Zeit noch in der Tradition des Art. 153 der Weimarer Reichsverfassung l19 • Die herrBVerfGE 50, 290, 340 ff., 347 ff. - Mitbestimmung-. BVerfGE 1,264,277 f. - Altersgrenze rur Schornsteinfeger-. 117 BVerfGE I, 264, 278: ,,[ ... ] das Grundgesetz wollte hier das Rechtsinstitut des Eigentums, so wie es das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen gefonnt haben, schützen [ ... ]". Vgl. zur Argumentationsstruktur s. Meyer-Ahich, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 45. IIR BVerfGE 1,264,277 f. 119 Der Art. 153 WRV bestimmte: Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. 115
116
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I. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
schende Lehre und Rechtsprechung lehnte die Einbeziehung subjektiver öffentlicher Rechte in den Eigentumsschutz generell ab. Lediglich der Eigentumsschutz vermögenswerter Rechte des Privatrechts durch Art. 153 WRV vermochte sich durchzusetzen l2O • Vor diesem Hintergrund zeigt sich der Beginn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 14 Abs. 1 GG noch wesentlich durch das zivilrechtliche Verständnis des Eigentums geprägt. Dabei wurde auch die Ausweitung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes auf vermögenswerte Rechte und Forderungen des Privatrechts in die Dogmatik zu Art. 14 GG übernommen. Diese Vorstellung liefert in der Schornsteinfegerentscheidung den Bezugsrahmen für die als Eigentum zu qualifizierenden Rechtspositionenl 2I, und so schließt das Bundesverfassungsgericht von den zivilrechtlichen Strukturen des Gewerbebetriebs auf den Betrieb der Bezirksschornsteinfeger und gelangt folgerichtig zu einer Verneinung des Eigentumsschutzes. Dies wirkt sich auch negativ auf den Schutz subjektiver öffentlicher Rechte als nicht leistungsvermittelt aus, ohne daß das Gericht zu dieser Frage abschließend Stellung bezieht. Die Argumentation erscheint vor dem dogmatischen Hintergrund des Art. 153 WRV konsequent. Sie geht jedoch an der veränderten Situation des Eigentumsschutzes unter der Verfassung des Grundgesetzes vorbei. Im Gegensatz zu Art. 153 WRV hat sich der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz des Art. 14 GG zu einem Grundrecht mit unmittelbarem Geltungsanspruch verändert, das als liberales Abwehrrecht von der Idee des Bestandsschutzes getragen wird. Demgegenüber Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber Ländern, Gemeinden und gemeinützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung erfolgen. Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste. 120 Unter der Weimarer Verfassung plädierte allein Stödter (Öffentlich-rechtliche Entschädigung, S. 158 ff. m.w.N.) für die Einbeziehung der subjektiv-öffentlichen Rechte in den Eigentumsschutz. Dagegen wurde schon sehr früh das Schutzobjekt "Eigentum" des Art. 153 WRV vom reinen Sacheigentum des § 903 BGB abgelöst und nach der Vorarbeit von Martin Wo(ff(Reichsverfassung und Eigentum) auf alle vermögenswerten Rechte des Privatrechts erstreckt. Dies stand mit dem weiten Enteignungsbegriff des Art. 153 Abs. 2 WRV im Zusammenhang. Der Schutz des Eigentümers sollte gegenüber der Ausweitung der Enteignungsbefugnis sichergestellt werden. Dieser weite Eigentumsbegriff, der zwar nicht das Vermögen als solches erfaßt, sondern alle vermögenswerten Rechte, ist auch für den Schutzumfang des Art. 14 GG, wenn auch für einzelne Kategorien streitig, so doch zur herrschenden Lehre geworden; vgl. Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 75. Zur Entwicklung der Eigentumsgarantie des Art. 153 WRV im einzelnen v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, S. 21 ff. 121 BVerfGE 1,264,278: ,,[ ... ] das Rechtsinstitut des Eigentums, so wie es das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen geformt haben, [ ... ]".
11. Leistung und Vennögenswerte des Privatrechts
37
beschränkte sich der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums durch Art. 153 WRV auf eine reine Wertgarantie, die allein den entschädigungslosen Entzug vermögenswerter Rechtspositionen verhindern sollte. 2. Der Eigentumsschutz schöpferischer Leistungen In späteren Entscheidungen, die den eingeschlagenen Weg fortsetzen, wird deutlich, daß das Bundesverfassungsgericht in dem Leistungskriterium zunächst ein konstitutives Begriffsmerkmal des Eigentums überhaupt erblickte. Die Rechtsprechung zum Urheberrechtsschutz 122 geht davon aus, daß die verfassungsrechtliche Anerkennung des geistigen Eigentums auf die darin enthaltene schöpferische Leistung zurückzufiihren sei. Ausgangspunkt war die Frage nach der Eigentumsrelevanz einer Verwertung schöpferischer Werke in Sammelwerken, die vor allem dem Unterricht dienen sollten. Das Gericht stellte die im Werk verkörperte persönliche Leistung als den konstituierenden Schutzgrund heraus, der eine Zuordnung als Eigentum gebiete 123. Damit hebt es die eigene Arbeit besonders deutlich als schützenswert hervor l24 • Vor allem der personale Bezug zum geschützten Gegenstand, wie er sich in der Leistung und Arbeit ausdrückt, konstituiert das Leistungsergebnis als schützenswertes Eigentum. Indem das Gericht Leistung und Arbeit synonym behandelt, tritt der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Leistung plastisch hervor. Damit weist der verfassungsrechtliche Leistungsbegriff gegenüber anderen Leistungsbegriffen, wie beispielsweise der abstrakt zivilrechtlichen Leistung im Sinne einer Zuwendung, einen weitergehenden anthropologisch motivierten Inhalt auf. Der Leistungsbegriff dient der Sicherung der autonomen Verfugungsbefugnis und damit der Freiheitssicherung des Individuums gegenüber staatlichen Zugriffen.
122
BVerfDE 31, 229 ff.; 42, 263 ff.; 49, 382 ff.; 77, 263 ff.
m BVerfDE 31, 229, 240 f.: ,,Zu den konstituierenden Merkmalen des Urheberrechts als Eigentum im Sinne der Verfassung gehört die grundsätzliche Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung an den Urheber [ ... ]". So auch BVerfDE 49, 382, 392; besonders deutlich auch in Abgrenzung des Urheberrechts zum Warenzeichen BVerfDE 51, 193, 217: "Die verfassungsrechtliche Gew~hrleistung findet dort [im Urheberrecht] ihre Rechtfertigung darin, daß der Künstler durch eine persönliche Leistung schutzwürdige Werte geschaffen hat." In einem solchen Fall "gebiete" Art 14 Abs. I Satz 1 GG als Institutsgarantie die Zuordnung an den Werkschöpfer. Vgl. auch BVerfDE 77, 263, 270 f.; zum Patentschutz BVerfDE 36, 281, 290 unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum Urheberrecht. 124 BVerfDE 31, 229, 243: ,,[ ... ] nach dem Inhalt der Eigentumsgarantie grundsätzlich einen Anspruch darauf, daß ihm der wirtschaftliche Nutzen seiner Arbeit zugeordnet wird, [ ... ]" und ,,[ ... ] zu berücksichtigen, daß es um das Ergebnis der geistigen und persönlichen Leistung des Urhebers geht, nicht aber etwa um einen unverdienten Vermögenszuwachs"; so auch BVerfDE 42, 263, 294; 49, 382, 400; 77,263,270 f.
38
I. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
3. Leistung und Wirtschaft Es stellt sich die Frage, ob das Leistungskriterium in dieser Form auch für den Eigentumsschutz von Unternehmen fruchtbar gemacht werden kann. Die Ausführungen des Gerichts zu diesem Problem sind in dem zentralen Urteil zur betrieblichen Mitbestimmung schillernd 125 • Das Bundesverfassungsgericht führt in dieser Entscheidung neben den Anteilseignern die Unternehmen selbst als Grundrechtsträger ein 126 • Der anthropologische Gehalt der Leistung wird somit implizit verneint, wenn das Leistungskriterium auch für den Eigentumsschutz des Unternehmens mit heranzuziehen wäre. Daneben ist der dort eingeschlagene Weg zwischen dem Schutzgrund der Leistung und dem sozialen Bezug des Eigentums für die Untersuchung der Leistungsrechtsprechung instruktiv. Zur Entscheidung stand die Frage, ob die betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu einer qualitativen Veränderung des Anteilseigentums am Unternehmen führt 127. Zunächst stellt das Gericht die Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis in das Zentrum des verfassungsrechtlichen Eigentums. Daran schließt sich eine funktionale Argumentationsstruktur an, die dem Eigentum die Funktion der Sicherung individueller Freiheit zuschreibt. In diesem Zusammenhang wird auf die Leistung als besonderen Schutzgrund der Eigentümerposition verwiesen 128. Diese konkretisiert sich hier in dem Anteilseigentum, das über seine mitgliedschaftsrechtlichen und vermögensrechtlichen Elemente als gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum qualifiziert wird 129 , obwohl sich die Konnexität zur Freiheitssicherung bereits weitgehend gelöst hat. Die dem Eigentum immanente Verfügungsbefugnis kann sich gerade bei Großunternehmen bis zur Bedeutungslosigkeit verftüchtigen 130 mit der Folge, daß sich eine Leistungsvermittlung nicht mehr aufspüren läßt. Dies wird auch im Hinblick auf den Kapitaleinsatz deutlich, der das Anteilseigentum im wesentlichen prägt. Hatte das Gericht noch in der Schomsteinfegerentscheidung Leistung und Kapitalaufwand gleichberechtigt nebeneinander gestellt und als besonderen Schutzgrund für den Eigentumsschutz qualifiziert, so stuft es nun die Bedeutung des Kapitaleinsatzes gegenüber der sozialen Funktion des Anteilseigentums herunter J31 • Leistung und Kapitaleinsatz werden gegenüber der Grenze der Som BVerfGE 50, 290 ff. m BVerfGE 50, 290, 339, 351. 127 BVerfGE 50, 290, 339 ff. 12R BVerfGE 50, 290, 339 f. 129 So bereits BVerfGE 14,263,276; 25, 371, 407. 130 BVerfGE 50, 290, 342. IJI BVerfGE 50, 290, 348: ,,[ ... ] bedeutet das Anteilseigentum typischerweise mehr Kapitalanlage, als Grundlage untemehmerischer Betätigung, die sie mit ihrer Person verbinden".
11. Leistung und Vermögenswerte des Privatrechts
39
zialpflichtigkeit des Eigentums aus Art. 14 Abs. 2 GG nicht mehr deutlich abgegrenzt. Statt dessen wird die Bedeutung des Eigentums fur den Nichteigentümer in den Vordergrund gestellt. Auch im Hinblick auf den Eigentumsschutz der Gesellschaft selbst geht das Gericht nicht auf den eingefuhrten Schutzgrund der Leistung ein. Dies erklärt sich daraus, daß das Gericht den zu Beginn in die Prüfung des Art. 14 GG eingeführten Telos der Eigentumsgarantie stillschweigend auswechselt. Dieser wurde in Fortfuhrung der bis dahin ergangenen Rechtsprechung in der Aufgabe des Grundrechts gesehen, seinem Träger einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm daraus eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen 132. Aus dieser Perspektive ist auch das Anteilseigentum Privater diskutiert worden. Diese ausdrücklich personenbezogene Argumentation kann jedoch nicht auf den Schutz des Großunternehmens durchschlagen, nachdem das Gericht selbst auf die weitgehende Verflüchtigung des Personal bezugs hingewiesen hat. Die ratio des Eigentumsschutzes des Großunternehmens fließt an anderer Stelle im Zusammenhang mit der Prüfung des Art. 12 GG ein. Die Erstreckung der über Art. 12 GG geschützen Unternehmerfreiheit auf Großunternehmen wird mit ihrer Bedeutung für eine hochentwickelte und leistungsfahige Volkswirtschaft begründet 133 • Diese Prämisse allein ist für die Begründung des Eigentumsschutzes nicht hinreichend, sondern bedarf der Ergänzung. Die Rechtfertigung des Eigentumsschutzes von Großunternehmen läßt sich mit Hilfe der schon früher entwickelten Komplementaritätsthese stützen, derzufolge die Eigentumsgarantie die Handlungsfreiheit, d.h. hier die Unternehmerfreiheit, um ihr materielles Substrat ergänzt 134 • Dieser weitere Schritt wird vom Gericht offenbar stillschweigend vorausgesetzt. Daraus ergibt sich, daß das Gericht den Leistungsgedanken im Rahmen des Unternehmensschutzes nicht fruchtbar machen kann, da er zu dem nachgeschobenen Telos des Unternehmensschutzes aus volkswirtschaftlichen Gründen nicht paßt. Die Unklarheiten in bezug auf den leistungsvermiuelten Eigentumsschutz juristischer Personen rühren bereits aus der Entscheidung zur Mineralölbevorratungspflicht her, die dem Mitbestimmungsurteil vorausgegangen ist J35 • Auch dort traten Unternehmen als Beschwerdefuhrerinnen auf, die in Form einer GmbH organisiert waren. Die Unternehmen sahen in der gesetzlichen Bevorratungspflicht ohne entsprechende Kostenentlastung eine existentielle Belastung ihres Unternehmens, die einen Eingriff in das Eigentum am eingerichteten und aus ge132 BVerfGE 50, 290, 339; so bereits im Deichurteil, BVerfGE 24, 367, 389, und im Zusammenhang mit dem Urheberrecht BVerfGE 31, 229, 239. 133 BVerfGE 50, 290, 364. Dazu Meyer-Abich, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 78 ff., 104. 134 BVerfGE 14,288,293; 30, 292, 334; 31, 229, 239; 53, 257, 291 f.; 58, 81,112. 1.15 BVerfGE 30, 292 ff.
40
I. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
übten Gewerbebetrieb darstellen würde. Die Passagen der Urteilsgründe, die sich mit der Verletzung des Art. 14 GG befassen, setzen zunächst ebenso wie die Ausführungen zu Art. 12 GG IJ6 bei den juristischen Personen an m , um dann zum Unternehmer als Grundrechtsträger überzuwechseln lJ8 • Beides wäre aber angesichts des Art. 19 Abs. 3 GG deutlich auseinanderzuhalten gewesen. Daraus ergibt sich eine Argumentation, die nicht zwischen der juristischen Person und dem Unternehmer differenziert, sondern schematisch die bis dahin entwickelten Grundsätze des Eigentumsschutzes anwendet. Diese bestehen in der Sicherung eines Freiraums im vennögensrechtlichen Bereich und der Sicherung der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung. Arbeit und Leistung werden darin dem Bestandsschutz zugeordnet 1J9, dem das Gericht in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung eine komplementäre Schutzfunktion zur Handlungs- und Gestaltungsfreiheit zuschreibt. Letztlich bleibt auch in dieser Entscheidung, wie bereits im Mitbestimmungsurteil, der Zusammenhang zwischen Leistung und Unternehmen offen.
III. Leistung und Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten 1. Der lange Weg bis zur Entscheidung zum Versorgungsausgleich - Leistung als eigentumslimitierender Faktor Das eigentliche Zentrum des Leistungsbegriffs in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bildet die Frage nach der Eigentumsqualität subjektiver öffentlicher Rechte. Diese ist erst in jüngerer Zeit verstärkt in die Auseinandersetzungen um den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff eingedrungen l40 • Anlaß für diese Diskussion bilden die sich abzeichnenden strukturellen und die damit verbundenen finanziellen Entwicklungen im Rentenrecht und der Krankenversicherung. Der Optimismus, der noch zu erheblichen Leistungserweiterungen im Rentenreformgesetz von 1972 geführt hatte, ist einer Ernüchterung über das noch Finanzierbare gewichen l41 • Die Praxis der Sozialgesetzgebung war bis 1977 im wesentlichen von einer allgemeinen Leistungserweiterung und dabei unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit, also durch Art. 3 Abs. I I]~
BVerfGE 30, 292, 312 ff.
1>7
BVerfGE 30, 292, 334.
m BVerfGE 30, 292, 335. BVerfGE 30, 292, 334.
139
140 Dieser Problematik widmete sich bereits 1982 die 2. Sozialrechtslehrertagung unter dem Thema "Verfassungsrechticher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen" sowie 1984 der 55. Deutsche Juristentag. 141 Katzen.~tein, Verfassungsrechtlicher Schutz der Rentenansprüche - nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 179.
111. Leistung und Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten
41
GG, geprägt. Die neuere Entwicklung im Rahmen des Art. 14 GG stellt sich nun als eine Konsequenz der Gesetzgebung dar, die dem drohenden Defizit des Sozialleistungssystems entgegenzusteuem versucht, während der in seiner Existenzsicherung bedrohte Bürger mit Hilfe der Grundrechte dieser Entwicklung Schranken setzen möchte '42 • Den entscheidenden Anstoß in diese Richtung gab die Ablösung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs vom Zivilrecht. Daneben hat die Ausweitung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs auf vermögenswerte Rechtspositionen des Privatrechts wie etwa Aktien I43, vermögensrechtliches Anteilseigentum '44 , aber auch schuldrechtliche Ansprüche '45 das Terrain vorbereitet. Mit der grundsätzlichen Anerkennung vermögenswerter Rechtspositionen als Eigentum erscheint die jüngere Rechtsprechung zum Eigentumsschutz sozialrechtlicher Leistungsansprüche bereits im Kern vorgezeichnet. Die zu qualifizierenden Rechtspositionen können nur vermögenswerte Leistungsansprüche sein. Ein materiales Substrat im Sinne des klassischen Sacheigentums ist bereits strukturell ausgeschlossen. In konsequenter Ausformung eines gegenüber dem bürgerlichen Recht verselbständigten verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs sind für das Gericht nicht mehr die privatrechtlichen Elemente einer Rechtsposition für den Schutz durch Art. 14 GG entscheidend, sondern ihre Bewertung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten. Damit tritt die Wertungsthese in den Vordergrund '46 • Sie verändert den Bezugsrahmen für die Argumentation mit der Leistung. Insgesamt lassen sich zwei Phasen der Rechtsprechungsentwicklung feststellen. Zunächst geht das Gericht von der Vorstellung aus, subjektive öffentliche Rechte seien kein Eigentum im Sinne des Art. 14 GG. In diesem Zusammenhang wird das Leistungskriterium als eigentumslimitierendes Argument verwandt, das die Klasse der eigentumsgeschützen Rechtspositionen begrenzt. Dennoch hält sich das Gericht die Möglichkeit einer Erweiterung offen, indem 142 Vgl. dazu Katzenstein, Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsschutz sozialrechtlicher Positionen, S. 847 f. Kritisch zu dieser Tendenz auch Stofleis, Der Schutz der Vermögensrechte des Bürgers gegenüber dem Staat - aus verfassungsgeschichtlicher Sicht, S. 116 f., 120 ff. 143
BVerfGE 14, 263, 277: "Als Vermögensrecht genießt sie den Schutz des Art. 14
144
BVerfGE 14,263,276; 25, 371, 407; 50,290,341 f.
GG."
145 BVerfGE 42, 263, 292 f. - Contergan -. Dies gilt jedenfaIls dann, wenn die schuldrechtlichen Ansprüche bei funktionaler Betrachtungsweise vom Schutzzweck der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG erfaßt werden, da sie von hervorragender und existentieIler Bedeutung sind. 146 BVerfGE 16, 94, 111 f. (unter KlarsteIlung von BVerfGE 4, 219 ff.): "Hier wird deutlich, daß die Rechtsposition gewertet werden muß: Sie muß so stark sein, daß es nach dem rechtsstaatlichen Gehalt des Grundgesetzes als ausgeschlossen erscheint, daß der Staat sie ersatzlos entziehen kann. Dann kann es aber nicht entscheidend sein, ob sie ,privatrechtliche Elemente' aufweist."
42
I. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
es bereits früh auf einen möglichen Bedeutungswandel der Verfassungsbestimmung hinweist l47 • Die zweite Phase setzt mit der prinzipiellen Anerkennung des Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte in der Entscheidung zum Versorgungsausgieich l4H ein. Hier kehrt das Gericht zu der Funktion des Leistungsbegriffs zurück, wie sie zum Eigentumsschutz privatrechtlicher Rechtspositionen entwickelt wurde. Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich zunächst zum Eigentumsschutz öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen insgesamt zurückhaltend. In der Sc hornsteinfegerentscheidung l49 , die als erste Entscheidung zu dem Problem des Eigentumsschutzes öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen erging, wurde die Schutzbereichserstreckung des Art. 14 GG auf öffentlich-rechtliche Rechtspositionen verneint. So eindeutig diese Ablehnung aber auch zunächst erscheinen mochte, sie enthielt bereits die grundsätzliche Möglichkeit, subjektive öffentliche Rechte als Eigentum zu schützen, wenn sie das Element der Leistung enthalten. Diese Deutung ist durch den Wortlaut der Entscheidung jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen I so. In weiteren Entscheidungen wird diese Möglichkeit des Eigentumsschutzes offengelassen l51 , jedoch festgestellt, daß jedenfalls nicht alle vermögenswerten Ansprüche des öffentlichen Rechts von der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG erfaßt würden l52 • Das Gericht bezieht sich dabei weiterhin auf einen Eigentumsbegriff, wie er durch das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen geformt sei ls3 • Erst allmählich löst es sich von dieser Vorstellung und beginnt einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff zu entwickeln, der für die weitere Eigentumsrechtsprechung die Grundlage bilden soll. Dieser Prozeß vollzieht sich in zwei Schritten. Zunächst bekennt sich das Gericht zu einer differenzierenden Interpretation des Art. 14 GG, die eine Einbeziehung subjektiver öffentlicher Rechte nicht von vornherein ausschließt l54 • Damit ist die Frage nach dem Differenzierungskriterium und der damit verbundenen Anerkennung einer wertenden Interpretation des Art. 14 GG 147 14R 14Q
BVerfGE 2, 380, 401. BVerfGE 53, 257 ff. BVerfGE I, 264 ff.
ISO Brammen, Die Ausdehnung der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie auf Rechte des öffentlichen Rechts, S. 57. 151 So insbes. BVerfGE 2, 380, 399-403, LS 3: "grundsätzlich" und ,jedenfalls" in Reaktion auf die Entscheidung des Großen Zivilsenats des BGH, BGHZ (GS) 6, 270, 278: ,,[ ... ] wenn die staatliche Enteignung nach dem ganzen Vermögen der Bürger greift, muß die Eigentumsgarantie auch das ganze Vermögen der Bürger decken". 152 BVerfGE I 1,221,226; im übrigen wurde die Frage offengelassen. 153 BVerfGE 2, 380, 402. Das Gericht geht hier ausführlich auf die Entwicklung des Eigentumsbegriffs unter der Weimarer Reichsverfassung ein, den das Grundgesetz vorgefunden hat, BVerfGE 2, 380, 399 f.; BVerfGE ll, 64, 70. 154 BVerfGE 4, 219, 240 f.
III. Leistung und Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten
43
aufgeworfen. Im Anschluß daran stellt das Gericht fest, daß die zu qualifizierende Rechtsposition an Hand der Verfassung gewertet werden muß l5 ,. Diese Hervorhebung der für den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff wesentlichen Wertung konnte erst nach der Differenzierungsthese in den Blick geraten. Jetzt kommt es nicht mehr darauf an, ob die Rechtsposition im Privatrecht oder dem öffentlichen Recht entsprungen ist l56 • Als maßgebliches Wertungskriterium tritt die eigene Leistung in den Vordergrund, die in dem anfänglichen Rekurs auf die bürgerlichen Anschauungen wurzelt, aber dieses Argument in der weiteren Rechtsprechung zu Art. 14 GG zunehmend verdrängt. Dies geschieht im Rahmen einer teleologischen Interpretation der Eigentumsfreiheit als Komplementärgarantie zur Handlungs- und Gestaltungsfreiheit, die sich in der Leistung niederschlägt. Der Leistungsgedanke dient damit sowohl der Konkretisierung dieser Handlungsfreiheiten 157 , als auch der Bewertung der Rechtsposition in Abgrenzung zum Bereich staatlicher Daseinsvorsorge l58 • Solchermaßen gerüstet, ließ das Gericht weiterhin offen, welche Rechtspositionen des öffentlichen Rechts als verfassungsrechtliches Eigentum denkbar wären. Diese zögerliche Haltung wurde über zwei Jahrzehnte beibehalten, obwohl sich die Frage nach dem Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche regelmäßig aufdrängte. Das Problem konnte letzi ich dahinstehen, da selbst bei unterstelltem Schutz durch Art. 14 GG dieser als nicht verletzt angesehen wurde l59 • Den eigentlichen Anstoß gab die abweichende Meinung der Richterin Ruppv. Brünneck l60 , die in ihrem Sondervotum die existenzschützende Funktion der Eigentumsgarantie herausstellte. Die Schutzbereichskonkretisierung der Eigentumsgarantie könne an der Tatsache der verbreiteten Existenzsicherung durch den Erwerb subjektiver öffentlicher Rechte insbesondere im Bereich der Sozialversicherung nicht mehr vorbeigehen. Wesentliches Kriterium ist weniger der Leistungsbezug, als vielmehr der Wandel in der Praxis individueller Daseinsvorsorge. Diese hat sich durch Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse immer mehr von der privaten zur staatlichen Daseinsvorsorge verschoben, ohne daß sich an ihrer freiheitssichernden Bedeutung etwas verändert hat. Die subjektiven öffentlichen Rechte unterschieden sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht mehr von privatrechtlichen Leistungsansprüchen l61 • Dieses Sondervotum löste in der Rechtsprechung zum Eigentumsschutz öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen langfristig gesehen einen Wandel aus. 155 BVerfGE 14,288, 293 f; besonders deutlich in BVerfGE 16,94, 111 f 15hBVerfGE 16,94, 112. 157
15M 159 IIiO Ihl
Meyer-Abich, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 46. BVerfGE 14,288, 294.
So BVerfGE 11, 221, 226; 16, 94, 111; 40, 65, 84. BVerfGE 32, 129 ff BVerfGE 32, 129, 142.
44
I. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
Angesichts der bis dahin ergangenen Eigentumsrechtsprechung verhalf es dem Leistungskriterium zu einer neuen Dynamik, indem der funktionale Interpretationsrahmen des Art. 14 GG, in den das Leistungskriterium eingefügt ist, auf die subjektiven öffentlichen Rechte erweitert wurde. In einem klassischen obiter dictum 162 griff das Gericht die Gesichtspunkte des Minderheitenvotums auf, doch konnte auch diesmal die Frage offenbleiben. So behielt das Gericht die bis dahin geübte Praxis weiterhin bei l63 • Nachdem das Gericht bereits sehr früh den Zusammenhang von Leistung und Eigentum herausgestellt hat, wird dieser Ansatzpunkt in der Folgezeit vertieft. Immer wieder wird auf die Leistungsbezogenheit der eigentumsgeschützten Rechtsposition abgestellt - dies vor allem mit dem Anliegen, den Kreis der von Art. 14 GG erfaßten subjektiven öffentlichen Rechte einzugrenzen. Dabei hatte das Gericht vor allem die sozial versicherungsrechtlichen Rechtspositionen im Blick. Damit verbunden ist eine leichte Verschiebung der Perspektive zwischen privatrechtlichem Eigentum und solchem an subjektiven öffentlichen Leistungsansprüchen. Diente das Leistungskriterium im Bereich des Privatrechts zur Grenzziehung für die gesetzgeberische Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, so verschiebt sich die Bedeutung im Bereich der subjektiven öffentlichen Rechte zu einem Kriterium, das einen prinzipiellen Regelungsbereich für den Gesetzgeber offenhalten soll. Hinter diesem Perspektivenwechsel stand die Sorge, durch eine verfestigte Eigentumsrechtsprechung den Gesetzgeber zu weit zu binden, so daß letztlich nur noch Verbesserungen von staatlich gewährten Leistungen möglich erscheinen. Dieses "Blockadeargument" spielt seit Beginn der Rechtsprechung zum Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte, insbesondere der Ansprüche gegen die Sozialversicherung, eine wesentliche Rolle l64 • 2. Die Anerkennung subjektiver öffentlicher Rechte als Eigentum - Leistung als Merkmal der Eigentumsbegründung Die Wende in der Rechtsprechung zum Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Rechtspositionen brachte die Entscheidung zum Versorgungsausgleich, in der das Gericht zu dieser Problematik eine Teilantwort gegeben hat l65 • 162 BVerfGE 42, 65, 82 ff. mit einer Übersicht über die bisherige Rechtsprechung und den Stand der Literatur. Hier wurde bereits die Frage nach dem möglichen Eigentumsschutz von Ansprüchen aus dem Sozialrecht auf "sozialversicherungsrechtliche" Positionen begrenzt. 1M BVerfGE 42, 176, 190; 51, I, 30.
1M BVerfGE 2, 380, 402: ,,[ ... ], so dürfte der Gesetzgeber solche Positionen auch für die Zukunft nur noch verbessern, nicht aber - ohne Entschädigung oder vorherige Änderung des Grundgesetzes - verschlechtern. Art. 14 GG könnte damit die einfache Gesetzgebung weitgehend blockieren [ ... ]". 1M
BVerfGE 53, 257, 290. Vgl. dazu Katzenstein, Verfassungsrechtlicher Schutz der
III. Leistung und Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten
45
Danach können sozialversicherungsrechtliche Positionen grundsätzlich Eigentum im Sinne des Art. 14 GG sein. Mit dieser Entscheidung hat sich das Gericht dem Weg des Bundessozialgerichts '66 und einzelner Stimmen in der Literatur '67 angeschlossen. Die Entscheidung bezieht sich nur auf die Versichertenrenten und diesbezügliche Anwartschaften. In dem Verfahren war zu prüfen, ob der nach dem durch das Erste Eherechtsreformgesetz geänderten Scheidungsfolgenrecht bei der Ehescheidung durchzuführende Versorgungsausgleich gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG verstieß. Die Eigentumsrelevanz lag in dem völligen Entzug der abgesplitteten Rentenanwartschaften des Ausgleichspflichtigen. Im Gegensatz zum obiter dictum der Entscheidung vom 9.6.197516~ spricht das Gericht nicht von sozialversicherungsrechtlichen Positionen. Diese Frage wurde ausdrücklich offen gelassen. Die Argumentation stellt auf zwei Gesichtspunkte ab: Zum einen würden die zu qualifizierenden rentenrechtlichen Positionen durch die Funktion der Eigentumsgarantie gedeckt, zum anderen wiesen sie auch die konstituierenden Merkmale des durch Art. 14 GG geschützen Eigentums auf'69. Der Bezug zur Leistung wird doppelt hergestellt. Wenn die Funktion der Eigentumsgarantie in der Sicherung eines vermögensrechtlichen Freiraums besteht, die dem Grundrechtsträger dadurch eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung auf gesicherter materieller Basis ermöglichen soll, so fließen die realen Gegebenheiten wirtschaftlicher Existenzsicherung in die Schutzbereichskonkretisierung des Art. 14 GG ein. Diese vollzieht sich in der modemen Gesellschaft weniger durch privates Sachvermögen, als vielmehr unmittelbar durch den Arbeitsertrag und die daran anknüpfende solidarisch getragene Daseinsvorsorge. Damit hat das Gericht die Tatsache berücksichtigt, daß die weitaus größte Bürgerzahl ihren LebensunterRentenansprüche - nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 180; Krause, Zum Urteil des BVerfD v. 28.2.1980 betr. den Versorgungsausgleich, FamRZ 1980, S. 534. I"" Das Bundessozialgericht (BSGE 5, 40, 42 f.; st. Rspr.) hat bereits früh den Einsatz der Arbeitskraft als Schutzgrund flir den Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen anerkannt. 167 Vgl. Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, S. 158 tf.; ders., Über den Enteignungsbegriff, DÖV 1953, S. 97 tf., 98; grundlegend Dürig, Der Staat und die vermögenswerten öffentlich-rechtlichen Berechtigungen seiner Bürger, S. 13 ff.; ders., Zurück zum klassischen Enteignungsbegriff, JZ 1954, S. 4 ff., 9 Fn. 27; Rohwer-Kahlmann, Die Krise des Eigentums, ZSR 1956, S. 239 ff.; ders., Zum Eigentumsschutz sozialrechtlicher Positionen, DVBI. 1964, S. 7 ff.; Wannagat, Die umstrittene verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie flir die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 171 f.; Weber, Öffentlich-rechtliche Rechtsstellung als Gegenstand der Eigentumsgarantie in der Rechtsprechung, AöR 91 (1966), S. 382 ff.; ders., Eigentum und Enteignung, S. 354. 16R BVerfDE 42, 176 ff. 169 BVerfDE 53, 257, 290.
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I. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
halt aus abhängigen Beschäftigungsverhältnissen bestreitet, und den Kerngedanken des dissenting vote der Richterin Rupp-v. Brünneck l70 aufgenommen. Die Existenzsicherung allein aus privater Daseinsvorsorge dürfte den Ausnahmefall bilden. Wird der Gedanke der Arbeitsleistung hier bereits in die Schutzfunktion eingebracht, so findet er seinen deutlichsten Ausdruck in der zweiten Bedingung, nämlich den konstitutiven Merkmalen des verfassungsrechtlichen Eigentums. Diese beschreibt das Bundesverfassungsgericht mit den Begriffen der Privatnützigkeit, d.h. die Zuordnung zu einem Rechtsträger, in dessen Hand das Eigentum als Grundlage privater Initiative und im eigenverantwortlichen privaten Interesse von Nutzen sein soll, und der davon nicht immer deutlich abgrenzbaren grundsätzlichen VerfUgungsbefugnis J7J. Die besondere personale Zuordnung drückt sich nicht nur in der späteren Nutzung aus, sondern bestimmt sich vor allem durch die persönliche Arbeitsleistung, die fUr den Umfang der erworbenen Berechtigung von Bedeutung ist 172 • Bemerkenswert fUr den Begriff der Leistung ist, daß hier nicht von Leistung schlechthin, sondern von der eigenen Arbeitsleistung gesprochen wird, obwohl auch die Beitragsleistung nahe gelegen hätte l7J • Damit erscheint ein weitgehend formalisierter und abstrakter Leistungsbegriff ausgeschlossen, der Leistung als zweckgerichtete Zuwendung beliebigen Inhalts l74 in einem abstrakten Austauschverhältnis begreift. Die Person als Leistender, als Arbeitender, tritt in den Blick. Der Leistungsbegriff zeigt eine doppelte Dimension: Zum einen gewinnt das personale Zuordnungsverhältnis zwischen Eigentümer und Eigentum eine besondere Bedeutung durch die persönliche Entäußerung, die sich in dem eigentumsgeschützten Gegenstand niederschlägt, zum anderen wird der Äquivalenzgedanke betont, indem zwischen Eigentümer und Eigentum die Arbeitsleistung als vermittelndes Bindeglied heraustritt. Diese Rechtsprechung fand in weiteren Entscheidungen ihre Bestätigung. Zunächst wurde klargestellt, daß bei der Bestimmung der verfassungs170
BVerfGE 32, 129 ff.
171
BVerfGE 53, 257, 290.
BVerfGE 53, 257, 291 f.: "Die Berechtigung des Inhabers steht also im Zusammenhang mit einer eigenen Leistung, die als besonderer Schutzgrund für die Eigentümerposition anerkannt ist [ ... ]" unter Bezug auf die frühere offene Rechtsprechung zum Eigentumsschutz in der Sozialversicherung. Diese Bezugnahme spart bemerkenswerterweise die bis dahin ergangenen Entscheidungen zur Privatrechtsordnung aus, in denen ebenfalls der Bezug zwischen "Eigentum" und "Leistung" hergestellt worden ist und die für ein umfassendes Verständnis der Leistung als eines konstitutiven Elements des verfassungsrechtlichen Eigentums durch das BVerfG sprechen. 172
173 Katzenstein (Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsschutz sozialrechtlicher Positionen, S. 853) weist darauf hin, daß mit dieser Formulierung die Leistungen nach dem Fremdrentengesetz unter den Eigentumsschutz gezogen werden sollten, da diese nicht auf Beitragsleistungen beruhen. 174 In diesem Sinne etwa die Beitragsleistung als eine Leistung in einem auf Leistungsaustausch gerichteten Schuldverhältnis.
IV. Die Leistung in der Nonnstruktur des Art. 14 GG
47
rechtlichen Rechtsstellung des Eigentümers bürgerliches und öffentliches Recht gleichrangig zusammenwirken, sich also der Umfang des konkreten Eigentums in der Hand des jeweiligen Eigentümers aus der Zusammenschau privat- und öffentlich-rechtlicher Eigentumsregelungen zusammen ergibt 175 • Unter Fortführung des eingeschlagenen Weges wurden die Ansprüche der Versicherten auf Beitragsleistungen der Rentenversicherungsträger zur Krankenversicherung der Rentner dem Eigentumsschutz unterstellt '76 sowie das Arbeitslosengeld und die im konkreten Falle streitige Anwartschaft in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie aufgenommen 177 •
IV. Die Leistung in der Normstruktur des Art. 14 GG 1. Die Leistung zwischen Instituts- und Bestandsgarantie
Soweit das Bundesverfassungsgericht auf den Leistungsbegriff zurückgreift, um Rechtspositionen als eigentumsgeschützt auszuweisen, ist der Ort des Leistungskriteriums innerhalb der Normstruktur des Art. 14 GG schillernd. Hinsichtlich der umstrittenen Frage, ob subjektive öffentliche Rechte den Schutz der Eigentumsgarantie genießen können 178, stellt das Gericht auf die konstituierenden Merkmale des Eigentumsbegriffs ab 179 • In der zentralen Entscheidung zum Versorgungsausgleich '80 hat das Gericht den Eigentumsschutz der Renten und Rentenanwartschaften bejaht. Der Anteil eigener Leistung, wie er in der einkommensbezogenen Beitragsleistung zum Ausdruck kommt, läßt nach Auffassung des Gerichts den verfassungsrechtlich wesentlichen personalen Bezug hervortreten und mit ihm einen tragenden Grund des Eigentumsschutzes 'R' . Unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung stellt das Gericht die Leistung 175 176
BVerfGE 58, 300, 336. BVerfGE 69, 272 ff.
177 BVerfGE 72, 9 ff. Im Hinblick auf die Anwartschaft des Arbeitslosengeldes ist das Gericht zurückhaltender gewesen als bei den Anwartschaften der Versichertenrenten, die in der Versorgungsausgleichsentscheidung (BVerfGE 53, 257 ff.) pauschal dem Schutz des Art 14 GG unterstellt wurden; s. Katzenstein, Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsschutz sozialrechtlicher Rechtspositionen, S. 855. Hier läßt das Gericht eine differenzierte weitere Rechtsprechung erwarten, die mit dem veränderten Finanzierungsrisiko der Arbeitslosenversicherung zusammenhängt, denn hier können Anwartschaften bereits in wesentlich kürzeren Beitragszeiten erworben werden als in der gesetzlichen Rentenversicherung.
17M Dürig, Der Staat und die vennögenswerten öffentlich-rechtlichen Berechtigungen seiner Bürger; Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten. 179 BVerfGE I, 264, 278 f.; 11, 221, 226 . . 100 BVerfGE 53, 257 ff.
IRI
BVerfGE 53, 257, 291 f.
48
I. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
als einen anerkannten besonderen Schutzgrund für die Eigentümerposition heraus J82 • Die konkrete Reichweite des Schutzes soll sich jedoch erst aus der gesetzgeberischen Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. I Satz 2 GG ergeben. Der Anteil der eigenen Leistung fUhrt im Ergebnis zu einem gestuften Eigentumsschutz J83 • Soweit sich dieser auf subjektive öffentliche Rechte bezieht, wird er zum Teil nicht als Ausdruck der Institutsgarantie des Art. 14 GG angesehen J84 • Der Eigentumsschutz wäre dann das Ergebnis einfachgesetzlicher Normierung. Die Leistung des Berechtigten erscheint so als ein Element der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums. Sie hätte ihren systematischen Ort in Art. 14 Abs. I Satz 2 GG. Andererseits hat das Gericht für das Urheberrecht betont, daß der Urheber nach dem Inhalt der Eigentumsgarantie grundsätzlich einen Anspruch auf Zuordnung des wirtschaftlichen Nutzens seiner Arbeit hat J85 • Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß es sich um das Ergebnis der geistigen und persönlichen Leistung des Urhebers handeltl 86 • Die in dem geschaffenen Werk verkörperte geistige Leistung qualifiziert das Gericht in vermögensrechtlicher Hinsicht als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. I Satz I GG J87 • Es stellt damit auf die Institutsgarantie ab.
Diese systematischen Unklarheiten durchziehen auch zunächst die Rechtsprechung zum Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Eigentumsqualität subjektiver öffentlicher Rechte kann der Leistungsbegriff eine doppelte Funktion übernehmen J88 : Als eigentumslimitierendes Kriterium, das die Klasse der eigentumsrelevanten subjektiven öffentlichen Rechte begrenzt, oder als eigentumsbegründendes Merkmal, das den Schutzbereich des Art. 14 GG auch auf die Klasse der subjektiven öffentlichen Rechte erstreckt. In beiden Fällen ist jedoch die grundsätzliche Frage nach der Bedeutung der Leistung für den Begriff des verfassungsrechtlichen Eigentums zu klären, da auch die eigentumslimitierende Bedeutung Leistung als konstitutives Merkmal bereits voraussetzt. Ferner ist nach dem Ort der Leistung in der Struktur des Art. 14 GG zu fragen, der seinerseits ein differenziertes Normprogramm enthält. Der Beginn der Leistungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist durch eine unscharfe Strukturierung des Art. 14 Abs. I GG gekennzeichnet. Das 182
BVerfGE 53,257,291; 1,264,277 f.; 14,288,293; 22, 241, 253; 24, 220, 226.
Moritz. Der "gestufte" Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen, Jura 1987, S. 643 ff. IR3
187
Krause, Eigentum BVerfGE 31, 229, BVerfGE 31, 229, BVerfGE 49, 382,
IRR
Meyer-Abich, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 25.
IM
IR5 IR6
an subjektiven öffentlichen Rechten, S. 64 f. 243. 243. 392.
IV. Die Leistung in der Nonnstruktur des Art. 14 GG
49
Gericht setzt regelmäßig bei der Frage an, ob die zu qualifizierende Rechtsposition die konstituierenden Merkmale des Eigentumsbegriffs trage l89 , ohne zunächst strikt zwischen der Institutsgarantie und dem konkreten Bestandschutz zu unterscheiden. Beides wird seit der erstmaligen Einführung des Leistungsbegriffs in der Schornsteinfegerentscheidung '90 nicht auseinandergehalten. Als Grundrecht ist Art. 14 GG daraufhin angelegt, dem Grundrechtsträger einen Freiraum vor staatlichen Übergriffen zu sichern. Dieser Freiraum wird vennittels der Begriffe Eigentum und Erbrecht spezifiziert und in einer differenzierten Garantie des Nonntextes strukturiert. So enthält Art. 14 Abs. I Satz I GG zunächst die grundlegende Gewährleistung des Eigentums, während im weiteren Nonntext von den konkreten Bindungen und Ausgestaltungsdirektiven die Rede ist. Diese ergeben sich aus der Befugnis des Gesetzgebers zur Inhaltsund Schrankenbestimmung, der Sozialpflichtigkeit und nicht zuletzt aus der an das Gemeinwohl gebundenen Enteignungsbefugnis. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner neueren Rechtsprechung die Nonnstruktur und dabei das wechselseitige Verhältnis zwischen Gewährleistung und Regelungs- bzw. Eingriffsbefugnis deutlich herausgestellt. In der Naßauskiesungsentscheidung l91 stellte sich die Frage, ob das Grundeigentum auch zur Grundwassernutzung berechtigt, so daß der gesetzliche Ausschluß einer etwaigen Grundwassernutzung einen entschädigungspflichtigen Eingriff in das Eigentum darstellen würde. Der Bundesgerichtshof ging in der Begründung seiner Vorlage davon aus, daß eine Überschreitung der Sozialbindung in eine Enteignung mündeln. Die Vorlage gab dem Gericht die Gelegenheit, zur Nonnstruktur des Art. 14 GG grundsätzlich Stellung zu nehmen. Danach stehen sich die Bestands-, Wert- und Institutsgarantien als selbständige Garantieebenen gegenüber. Die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG unterliegt einer doppelten Bindung: der Beachtung der Institutsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und des Sozialstaatsgebotes in Art. 14 Abs. 2 GG I9J . Beides zieht dem eigentumsgestaltenden Gesetzgeber eine Grenzen. Darüber hinaus wird in die Eigentumsgarantie ein über das allgemeine Rechtsstaatsprinzip hinausgehendes besonderes Vertrauensschutzprinzip hineingelesen l94 .
Iql
BVerfGE 11,221,226; 14,288,293; 24, 220, 225 f. BVerfGE 1,264,277 f. BVerfGE 58, 300 ff.
192
BVerfGE 58, 300, 310 ff.
IR9 190
BVerfGE 58, 300, 338 f. Diese Grundsätze waren bereits im "Hamburger Deichurteil" enthalten, BVerfGE 24, 367, 389 f.; Böhme/', Grundfragen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1988, 2561 ff., 2563. 194 Dieser Gesichtspunkt hat sich erst durch die jüngere Rechtsprechung zum Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen herauskristallisiert, da dieser Bereich angesichts seiner langfristigen Dauerschuldverhältnisse besonders sensibel für den 19)
4 MaIinka
50
I. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
Für die Frage nach der Zuordnung und damit auch die Frage nach der dogmatischen Funktion des Leistungsbegriffs sind die unterschiedlichen Garantieebenen strikt auseinanderzuhalten. Die Regelung des Art. 14 Abs. I Satz I GG enthält neben dem Schutzobjekt Eigentum in dem Begriff "gewährleistet" eine doppelte Garantie, nämlich des Instituts Eigentum in seiner objektivrechtlichen Dimension sowie die subjektivrechtliche Bestandsgarantie der konkreten vermögenswerten Rechtspositionen in der Hand des Eigentümers. Steht fest, daß die Rechtsprechung dem Leistungskriterium eine eigentumsbegründende Funktion beimißt, so ist an dieser Stelle fraglich, ob es der Institutsgarantie oder dem subjektiven Recht zuzuordenen ist. Mit dieser Strukturierung der Norm erteilt das Bundesverfassungsgericht der liberalstaatlichen Vorstellung eines verfassungsrechtlich vorgegebenen Eigentumsbegriffs eine klare Absage. Eine solche Konzeption zeigt sich vor allem in der Diskussion um die Sozialbindung nach Art. 14 Abs. 2 GG und ihre Abgrenzung zur Enteignung. Unter der Vorgabe eines der Verfassung vorausliegenden Eigentumsbegriffs erscheint die gesetzgeberische Befugnis des Art. 14 Abs. I Satz 2 GG zur Inhalts- und Schrankenbestimmung von vornherein durch die Sozialbindungsklausel determiniert, so daß sich die gesetzgeberischen Befugnisse allein auf die Konkretisierung des Art. 14 Abs. 2 GG reduzieren würde '95 . Sind die Bestands- und Wertgarantie zunächst als subjektive Abwehrrechte ausgestaltet, so erschöpft sich die objektivrechtliche Dimension des Art. 14 GG keineswegs in der Gewährleistung des Instituts Eigentum '96 , sondern umfaßt ein grundsätzliches Verbot, auf das Eigentum in seiner konkreten Gestalt in der Hand des Eigentümers Zugriff zu nehmen 197. Vor allem dieses Verbot wird durch Art. lAbs. 3 GG aktualisiert. Die Bestands- und Wertgarantie sichert dem Träger des Grundrechts einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich. Sie hat die Aufgabe, ihm dadurch eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu ermöglichen '98 , oder anders ausgedrückt: Der Art. 14 GG ergänzt insoweit rechtsstaatlichen Vertrauensschutz ist; BVerKiE 53, 257, 309; 58, 81, 120 f.; 64, 87, 104; 70,101,114; 71, I, 11 f.; Rüjner, Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen, S. 157, 161 f.; Pieroth, Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz des Vertrauensschutzes, JZ 1984, 971 ff., 974 f.; ders., JZ 1990, 279 ff., 281 f. 195 Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 389. Diese Vorstellung hat insbesondere die Rechtsprechung des BGH zur Enteignung geprägt. Dazu grundlegend BGHZ 6, 270 ff. 19' So aber Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 Rn. I. 197 Böhmer, Grundfragen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1988, 2561 ff., 2563; BVertDE 20, 351, 355; 74, 264, 281, 283. 19R St. Rspr. des BVerKiE, E 24, 367, 389; 68, 361, 374 f.
IV. Die Leistung in der Normstruktur des Art. 14 GG
51
die allgemeine Handlungsfreiheit l99 des Art. 2 Abs. I GG um ihr materielles Substrat und bildet von daher die vermögensrechtliche Komplementärgarantie. 2. Die Leistung als Element institutioneller Kontrolle des Gesetzgebers Von der Garantieebene des Grundrechts ist ihr Gegenstand oder auch das Schutzobjekt zu unterscheiden. Dieses ist im Schutzbereich des Art. 14 GG neben dem Erbrecht das Eigentum, welches den eigentlichen Kampfplatz in der jüngeren Dogmatik zu Art. 14 GG bildet. Die Frage nach dem Schutzobjekt Eigentum ist entsprechend der doppelten Garantieebene des Art. 14 Abs. I Satz I GG unterschiedlich zu beantworten. Die Konkretisierung des Begriffs Eigentum als Institut hat zunächst die Besonderheit einer verfassungsrechtlichen Regelung zu beachten und damit die formell höherrangige Bedeutung des Eigentums als Verfassungsbegriff in einer hierarchisch organisierten Normstruktur gegenüber einfachgesetzlichen Regelungen. Daraus folgt, daß der verfassungsrechtliche Begriff des Eigentums aus dem Kontext der Verfassung selbst zu entwickeln ist2°O. Dadurch ist es auf jeden Fall ausgeschlossen, die einfachgesetzlichen Ausgestaltungen des Eigentums als Eigentum im Sinne der Verfassung heranzuziehen, da dies die Maßstäbe in ihr Gegenteil verkehren würde. Dies gilt auch dann, wenn das konkret geschützte Eigentum in der Hand des Grundrechtsberechtigten nur nach Maßgabe der gesetzlichen Ausgestaltung verfassungsrechtlichen Schutz genießt, denn dies stellt sich als eine Folge der Regelungsbefugnis des Art. 14 Abs. I Satz 2 GG dar, die sich auf das konkrete subjektive Recht bezieht, nicht jedoch auf die objektivrechtliche Institutsgarantie. Der Umkehrschluß von dem einfachgesetzlich ausgestalteten Eigentum auf das verfassungsrechtliche Eigentum darf hier also nicht ohne weiteres gezogen werden. Das Unterverfassungsrecht kann lediglich zur Verdeutlichung des an Hand der Verfassung gewonnenen Ergebnisses dienen, etwa im Sinne eines heuristischen Prinzips. Es muß sich allerdings verfassungsrechtlich legitimieren. Würde sich der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff als Institut in den einfachgesetzlichen Regelungen im Sinne des Art. 14 Abs. I Satz 2 GG vollständig auflösen, würde die wesentliche Bedeutung des Art. 14 Abs. I Satz I GG gerade als spezifisch verfassungsrechtliche Gewährleistung und damit der Legitimationsmaßstab für den eigentumsregelnden Gesetzgeber verloren gehen 20I • Der spezifische Kern der verfassungsrechtlichen Garantie würde ausgehöhlt. Insofern bildet die in Art. 14 Abs. I Satz I GG enthaltene Institutsgarantie des Eigentums neben der Wesensgehaltsgarantie des 199
BVerfGE 14,288,293; 30, 292, 334; 31, 229, 239; 53,257,291 f.; 58, 81, 112.
200
BVerfGE 58, 300, 335.
201
Meyer-Abich, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 23.
52
1. Teil: Leistung und Eigentum im Grundgesetz
Art. 19 Abs. 2 GG und dem Sozialstaatsgebot des Art. 14 Abs. 2 GG die inhaltliche Schranke rur den eigentumsgestaltenden Gesetzgeber. Diese Schranken werden besonders dort aktuell, wo unter den Legitimationsbedingungen des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs grundsätzliche Umgestaltungen in der vorgefundenen Eigentumsordnung vorgenommen werden sollen, die über den Bereich individueller Rechtsbeeinträchtigungen hinausweisen 202 • Der Schutzumfang der Institutsgarantie des Eigentums wird vom Bundesverfassungsgericht seit dem Hamburger DeichurteiJ203 mit den Begriffen der Korrelation zwischen Eigentum und der Sicherung einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung, der Privatnützigkeit, der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis und der Sicherung eines normativen Grundbestandes umschrieben, der den Namen Eigentum noch verdient204 • Von der Garantie des Eigentums als Institut zu trennen ist die Frage nach dem subjektiven Grundrecht des Art. 14 Abs. I Satz I GG. Dies führt zunächst auf die gesetzgeberische Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Abs. I Satz 2 GG, die keinen Gesetzesvorbehalt im klassischen Sinne darstellt, sondern Ausdruck der abstrakten Inhaltslosigkeit des Begriffs Eigentum ist205 • Eigentum als Rechtsbegriff bedarf der rechtlichen Ausformung, um überhaupt Eigentum zu sein. Erst die rechtliche Ausgestaltung verschafft der tatsächlichen, rein faktischen Verfügungsrnacht die Qualität des Eigentums als eines Rechtsverhältnisses 206 • So hat das Bundesverfassungsgericht das Eigentum stets als einen Gegenstand angesehen, der in seiner konkreten gesetzlichen Ausgestaltung das Substrat der Eigentumsgewährleistung als subjektives Recht darstellt und nur in dieser Form verfassungsrechtlichen Schutz genießt 207 • Zwar gibt es rur den inhaltsgestaltenden Gesetzgeber vorgegebene Rechtsstrukturen, die bereits als Eigentum verfassungsrechtliche Anerkennung gefunden haben. Der eigentumsgestaltende Gesetzgeber handelt stets in eine vorhandene Eigentums20~ eh/osta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 20 f. 203
BVerfGE 24, 367 ff.
204
BVerfGE 24, 367, 389 f.
205 Deshalb stellt die Regelungsbefugnis des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG keinen Eingriff in das Eigentum dar, da sich dieses als Rechtsbegriff noch gar nicht konstituiert hat. 206 Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 121 ff. spricht hier vom Eigentum im Sinne eines "qualifizierten normativen Zugehörens". 207 BVerfGE 24, 367, 396; 37, 132, 141. Damit wird ein verfassungsrechtlich vorgegebener Eigentumsbegriff verneint. Die Regelung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG enthält keine Eigentumsgewährleistung, an die von außen die Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG herangetragen würde. Das Grundgesetz kennt kein "an sich" unbeschränktes Eigentum, so Böhmer, Grundfragen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1988, 2561 ff., 2569.
IV. Die Leistung in der Nonnstruktur des Art. 14 GG
53
ordnung hinein. Einen verfassungsrechtlich vorgegebenen Eigentumsbegriff gibt es allerdings nicht. Sofern Leistung als Kriterium des verfassungsrechtlichen Eigentums anzusehen ist, bildet der Begriff ein Element des Art. 14 Abs. 1 Satz I GG. der die grundsätzliche Gewährleistung des Eigentums enthält. Diese Gewährleistung ist jedoch eine doppelte, wie die Struktur des Art. 14 Abs. 1 GG zeigt, da sie sowohl das Institut, als auch das subjektive Abwehrrecht umfaßt. Insofern ist die Zuordnung der Leistung als konstituierendes Element des Eigentums in der Schornsteinfegerentscheidung ambivalent geblieben, da dieser Unterschied nicht deutlich herausgestellt wurde20R • So könnte einmal die Gewährleistung des Instituts Eigentum gemeint sein, da das Bundesverfassungsgericht diesen Begriff direkt heranzieht. Dem würden aber die bereits dargelegten normstrukturellen Einwände gegenüberstehen, da das Institut Eigentum als Legitimationsmaßstab rur den eigentumsgestaltenden Gesetzgeber aus der Verfassung selbst gewonnen werden muß, um diese Funktion gegenüber der unterverfassungsrechtlichen Eigentumsordnung überhaupt wahrnehmen zu können. Das Bundesverfassungsgericht spricht jedoch statt dessen vom bürgerlichen Recht und den gesellschaftlichen Anschauungen. Schließlich könnte das subjektive Recht gemeint sein. Dafür spricht das geltend gemachte Interesse des Beschwerderuhrers und der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf das bürgerliche Recht. das im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmungen den Schutzbereich des subjektiven Grundrechts Eigentum bestimmt. Allerdings werden in der Systematik der Entscheidung Arbeit und Leistung als Schranken in Ansatz gebracht. Es wird also die rur den Schutz des Rechtsinstituts typische Perspektive eingenommen20O Die theoretische Fundierung dieser Idee der Gleichheit findet ihren klarsten Ausdruck in der Ethik Kants und seinem formalen Prinzip des kategorischen Imperativs, wie er in der Typologie der drei Formeln des Naturgesetzes, der Person und der Autonomie zur unmittelbaren Anschauung gebracht wird; s. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 52 (Naturgesetz), BA 67 (Person) und BA 77 (Autonomie).
361 A.A. Kloep.{er, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 56 ff., der mit der Konstruktion eines Grundrechtstatbestandes des allgemeinen Gleichheitssatzes - Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln - den allgemeinen Gleichheitssatz der Struktur der Freiheitsrechte (Schutzbereich - Eingriff-Rechtfertigung) öffnen möchte. 362 Zu dieser traditionellen Interpretation des allgemeinen Gleichheitssatzes vgl. Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, S.48.
86
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit
Das Willkürverbot wandelt sich zum Begründungsgeboe63 • Diese Begründung leistet nicht der allgemeine Gleichheitssatz. Er setzt sie als Wertung voraus 364 • Der Art. 3 Abs. I GG stellt keine materialen Wertungskriterien für die Gleichoder Ungleichbehandlung auf. Das Leistungsprinzip hat die Bedeutung, dieses Wertungsdefizit des allgemeinen Gleichheitssatzes für die Auswahl der Studienbewerber auszufüllen. Das Leistungsprinzips als Wertungskriterium ist abhängig von der Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die differenzierende Wertung kann das Ziel der Regelung betreffen oder die zur Differenzierung herangezogenen Prädikate des zu regelnden Lebenssachverhaltes. Diese Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, die zwischen dem Differenzierungsziel des Gleichheitssatzes und dem Differenzierungskriterium unterscheidet, ergibt sich aus dem Bedürfnis, dem allgemeinen Gleichheitssatz eine stärkere Effektivität zu verleihen. Da der allgemeine Gleichheitssatz als Willkürverbot gegenüber den einzelnen Wertungskriterien offen ist, wäre jede Begründung geeignet, eine Differenzierung zu rechtfertigen. Dies setzt die Bedeutung des Art. 3 Abs. I GG als Legitimationshürde für staatliche Gleich- oder Ungleichbehandlung deutlich herab. Eine neuere Auffassung in der Literatur versucht daher, dem aIlgemeinen Gleichheitssatz zu einer stärkeren Wirkkraft zu verhelfen. Der Schlüssel zum effektiveren Schutz durch den allgemeinen Gleichheitssatz liegt in der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips 365. Die Verhältnismäßigkeit verlangt nach einer Relation. Diese ergibt sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz, wenn das Differenzierungsziel und das Differenzierungskriterium getrennt betrachtet und zueinander in Bezug gesetzt werden. Dadurch erhöht sich die Möglichkeit, die differenzierende Wertung innerhalb des Gleichheitssatzes genauer zu erfassen. Ansätze zu dieser Entwicklung haben sich in der Rechtsprechung herausgebildet. Die Kriterien, die zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Differenzierungen von der Rechtsprechung im Rahmen ihrer Willkürformel herangezogen werden, lassen eine strukturelle Analogie zu den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit erkennen, wie sie vom Gericht für Eingriffe in die grundrechtlich geschützten Freiheitsbereiche der anderen Grundrechte gefordert werden. Dies wird bei .1~3 Zu dieser Entwicklung in der Rechtsprechung Huster, Rechte und Ziele, S. 50 ff.
So besonders deutlich Kriele, Kriterien der Gerechtigkeit, S. 92: ,,[ ... ] der Gleichheitsgrundsatz sagt aber weder etwas darüber, warum Absurditäten nicht erlaubt sein sollten, noch darüber, wo die Grenze zwischen dem Absurden und dem Vernünftigen liegt". Vgl. auch Schoch, Der Gleichheitssatz, DVBI 1988,863 ff., 873 f.; Hesse, Der Gleichheitssatz in der neueren deutschen Verfassungsentwicklung, AöR 109 (1984), 174 ff., 177; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 363. •1114
3~5 Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 484; Gusy, Der Gleichheitssatz, NJW 1988, 2505 ff., 2507; Schoch, Der Gleichheitssatz, DVBI. 1988,863 ff., 874; Stein, Staatsrecht, S. 394, 399, 402. Dieser Ansatz ist nicht unumstritten. Vgl. zum Streitstand Huster, Rechte und Ziele, S. 61 ff.
III. Die Leistung in der Normstruktur des Art. 3 Abs. I GG
87
der näheren Umschreibung der Willkür in der Rechtsprechung des Gerichts deutlich. Die Willkür wird zunächst im Sinne objektiver Willkür interpretiert und schließlich neben dem Hinweis auf eine Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken366 und der Evidenz der Unsachlichkeif 67 mit dem Begriffsinstrumentarium der allgemeinen Verhältnismäßigkeit inhaltlich aufgefüllt. Danach ist die aus Art. 3 Abs. I GG verfassungsrechtlich zu beanstandende Willkür durch eine tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der gesetzlichen Maßnahme im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation gekennzeichnet36s • Parallel zur Konkretisierung der Willkür im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes ist der Begriff der Unangemessenheit auch in der Struktur der Verhältnismäßigkeit, wie sie das Gericht begreift, von Bedeutung. Der Begriff der Verhältnismäßigkeit wird durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in die Grundsätze der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne untergliedert169 • Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, im folgenden Proportionalität370 genannt, beschreibt das Gericht als Relationsbegriff. Eine Maßnahme darf im Verhältnis zum angestrebten Zweck weder übermäßig belastend wirken noch unzumutbar sein J71 • Für die Relation zwischen angestrebtem Zweck und eingesetzten Mittel wird nicht nach der Angemessenheit des Verhältnisses gefragt, sondern auf die Unangemessenheit der ZweckMittel-Relation abgestellt372 • Die WiIlkürformel zeigt Bezüge zum allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzip. Ein Verstoß gegen das WilIkürverbot als allgemeine Grenze impliziert gleichzeitig einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, insbesondere 31>1> BVerfGE 1,264,275 f.; 2, 118, 119 f.; 9, 124, 129 f.; 9, 137, 146; 9, 201, 206; 12, 341,348; 14,221,238; 15, 167,201; 21, 6, 9; 21,12,26 f.; 21, 73, 84; 32,157, 167 f.; 38, 154, 166; 45, 376, 387; 48, 281, 288; 49, 192, 208; 50, 177, 191; 52, 277, 281; 71, 364,384. 367 BVerfGE 1,264,276; 2, 118, 119; 9, 124, 130; 12,326,333,337 f.; 12,341,348; 14,142,150; 18, 121, 124; 19, 101, 115; 23,135,143; 52,277,281; 55, 72, 90; 71, 39, 58.
36K BVerfGE 2, 266, 281; 4, 144, 155; 42, 64, 73; 48, 227, 237; 51, 1,23,27; 55, 72. 90; 58, 81, 128; 63, 152, 171; 64, 243, 249; 69, 161, 169; 70,93,97; in anderen Entscheidungen wird auf diese Konkretisierung der "Willkür" als ständige Rechtsprechung verwiesen, BVerfGE 55, 114, 128. 369 BVerfGE 19, 330, 337; 21, 150, 155; 26, 215, 228; 27, 211, 219; 27, 344, 352; 28, 264, 280; 30, 292, 316 (st. Rspr.). 370 Nach einem Vorschlag von Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 98 (1973), 568 ff., 57\, 575 ff. 371
Seit der "Apothekenentscheidung", BVerfGE 7, 377, 405 f. (st. Rspr.).
372 Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 98 (\973), 568 ff., 576.
88
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit
gegen den Grundsatz der ProportionalitätJ73 • Diese strukturelle Analogie zeigt sich in einer weiteren Parallelität. Die Beschreibung der Relation als unangemessen statt angemessen erfüllt in bei den Fällen die gleiche Funktion. Sie soll dem Gesetzgeber einen erweiterten Handlungsspielraum eröffnen, oder anders ausgedrückt: Aus Gründen der Gewaltenteilung hält sich die Rechtsprechung mit ihrer negativen Bestimmung der Zweck-Mittel-Relation zurück374 • Daraus ergibt sich folgende Struktur: Die Ungleichbehandlung muß einen legitimen Zweck verfolgen. Das wirft die Frage nach dem Differenzierungsziel auf. Das Mittel zur Erreichung dieses Zieles muß sich seinerseits an der Verfassung legitimieren können, muß also geeignet und erforderlich sein. Im übrigen darf dieses Differenzierungskriterium nicht unangemessen sein, muß also in einem proportionalen Verhältnis zum Differenzierungsziel stehen375 • Dies entspricht der Verhältnismäßigkeit, wie sie bei den Eingriffen in Freiheitsrechte gefordert wird. Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. I GG enthält in seiner Fassung als Willkürverbot eine dreifache Legitimationsschranke für den Gesetzgeber: Die Legitimation des Differenzierungsziels, die Legitimation des Differenzierungskriteriums und die Legitimation der Relation zwischen Differenzierungsziel und Differenzierungskriterium. b) Die neue Formel
Während der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts an der von ihm entwickelten Willkürformel festhält, hat der erste Senat eine konkurrierende Formel zu Art. 3 Abs. I GG entwickelt. Dies ist insofern von besonderem Interesse, als die maßgeblichen Entscheidungen auf dem Gebiet der Hochschulzulassung vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts gefallt wurden 376 , der auch das Leistungskriterium einer verfassungsrechtlichen Prüfung an Hand des Gleichheitssatzes unterzogen hat. Nach dieser neuen Formel gebietet der allgemeine Gleichheitssatz, "alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und J73 So auch Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 98 (1973), 568 ff., 599. 374 Robbers, Der Gleichheitssatz, DÖV 1988, 749 ff., 755, der darauf hinweist. daß bereits das "Willkürverbot" in funktionalrechtlicher Interpretation eine Begrenzung der Macht des Bundesverfassungsgerichts bedeute.
m Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 484; Gusy, Der Gleichheitssatz, NJW 1988. 2505 ff., 2507; Schoch, Der Gleichheitssatz. DVBI. 1988, 863 ff., 874; Stein, Staatsrecht, S. 394, 399, 402. 37~ BVerfGE 33, 303 ff.; 37, 104 ff.; 39, 258 ff.; 39, 276 ff.; 43, 34 ff.; 43. 47 ff.; 43, 291 ff.; 59. 1 ff.; 59. 172 ff.
III. Die Leistung in der Nonnstruktur des Art. 3 Abs. I GG
89
solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten"m. Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und ihrer Relation zwischen Ziel und Prädikat der Differenzierung wird in dieser neueren Rechtsprechung besonders deutlich. Die Formel weist gegenüber dem Willkürverbot zwei Besonderheiten auf: Zum einen kennzeichnet der ausdrückliche Bezug auf die Gruppe der Normadressaten eine stärkere Hinwendung auf den Wortlaut der Norm "alle Menschen"m, zum anderen wird in der Formulierung "von solcher Art und solchem Gewicht" der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit deutlich hervorgehoben 379 • Der ausdrückliche Bezug auf eine Gruppe ist kein Novum in der Rechtsprechung zum allgemeinen Gleichheitssatz38o • Da der Gesetzgeber die einzelnen Lebenssachverhalte als Massenerscheinungen nur mit Hilfe der typisierenden Methode zu regeln vermag, ist in dieser Methode bereits das Merkmal der Gruppe angelegt. Dieses Verfahren typisierender Regelung ist von der Verfassungsrechtsprechung grundsätzlich anerkannt worden und neben der SystemgerechtigkeieSI zu einem Topos der Gleichheitsprüfung geworden JRZ • Neu ist der Begriff der Normadressaten im Rahmen des Art. 3 Abs. I GG. Mit den Normadressaten können nicht allein die im Tatbestand der Norm aufgeführten Gruppen angesprochen sein, da es sonst an der erforderlichen Vergleichsgrundlage fehlen würde. Vielmehr muß sich dieser Begriff auf den Kreis der Personen insgesamt beziehen, die dem geregelten Lebensbereich angehören, in dessen normative Ausgestaltung die neue Regelung hinein wirkt JR3 • Ferner ver377 Zuerst BVerfGE 55, 72, 88 (st. Rspr.), BVerfGE 71, 146, 154; 71,364,384; 72, 84,89 f.; 72,141,150; 73, 301, 321; 74,9,24; 74,129,149; 74, 203, 217; 75, 78, 105; 75,166, 179; 75,246,277; 75, 284, 300; 75,348,357; 75, 382, 393; 82,126, 146; 83, 395,401; 84, 348, 359; 85, 360, 383. Der Zweite Senat hat diese Rechtsprechung nur marginal beTÜcksichtig und ist ihr nur selten gefolgt: BVerfGE 65,377,384; 71,39,58 f.; 76, 256, 329 f. Im übrigen zieht er die neue Fonnel nur beispielhaft heran. Er billigt ihr also nur einen typisierenden Charakter im Rahmen der Willkürfonnel zu: BVerfGE 71, 39, 58 f.; 76, 256, 329 f.
m Hesse, Der Gleichheitssatz in der neueren deutschen Verfassungsentwicklung, AöR 109 (1984), 174 ff., 188 f. J7Q Hesse, Der Gleichheitssatz in der neueren deutschen Verfassungsentwicklung, AöR 109 (1984), 174 ff., 189; ders., Der allgemeine Gleichheitssatz in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtssetzungsgleichheit, S. 122 ff.
JRO SO bereits im Rahmen der Willkürfonnel der Zweite Senat in BVerfGE 22, 387, 415. Dort werden neben den Personen zwei Vergleichsgruppen gebildet, ohne jedoch das Differenzierungskriterium enger an diese Gruppen zu binden. Es wird lediglich im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung danach gefragt, ob ein rechtlich zureichender Grund rur die Differenzierung vorhanden ist.
3RI
Vgl. dazu Peine, Systemgerechtigkeit.
m BVerfGE 9, 20, 32; 11,50,60; 11,245,254; 17,1,23; 71,146,157; 75,108,161 (st. Rspr.). m Robbers, Der Gleichheitssatz, DÖV 1988, 749 ff., 751.
90
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit
ändert diese neue Formel den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, der in der Willkürformel des zweiten Senats regelmäßig herausgestellt wurde. An die Stelle einer Evidenzkontrolle durch die Willkürformel ist aufgrund der klareren Konturierung der Norm eine engere Bindung des Gesetzgebers getreten 3R4 • Es kommt nicht mehr allein darauf an, ob sich irgendein beliebiger sachlicher Gesichtspunkt finden läßt, der die Differenzierung verfassungsrechtlich trägt 385 , sondern der Kreis relevanter Differenzierungskriterien wird einerseits durch den Gruppenbezug geprägt, andererseits durch die Betonung von Art und Gewicht besonders qualifiziert. Für die allgemeine Struktur des Gleichheitssatzes hat sich mit dieser Formel nichts geändert. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das nun als Novum herausgestellt wird386, lag bereits in der Struktur der Willkürformel vor 87 • Die neue Formel hat diesen Grundsatz explizit gemacht und schärfer gefaßt. Im übrigen bleibt es bei der Problematik, die legitimen Differenzierungsziele und relevanten Differenzierungskriterien rur eine gerechtfertigte Gleich- oder Ungleichbehandlung herauszukristallisieren. Nach der neuen Formel hat sich der Bezugsrahmen relevanter Gründe verengt, da lediglich qualifizierte Gründe zur Differenzierung herangezogen werden können. Die näheren Anforderungen an diese Qualifizierung sind nach wie vor offen geblieben.
2. Gleichheit und Differenzierung a) Die Leistung als Differenzierungsziel
Das Gericht würdigt das Leistungskriterium vor allem unter dem Ziel sozialgerechter Bildungschancenverteilung, die gleichzeitig eine Entscheidung über spätere Lebenschancen beinhaltet. Das Leistungskriterium erscheint neben den Gerechtigkeitserwägungen388 einerseits in den Telos optimaler Freiheitssicherung unter dem bindenden Grundrechtsschutz des Art. 12 Abs. 1 GG als Ausbildungsfreiheif 89 , andererseits in die weitergehenden Ziele der HochschulaufgaJM
So besonders deutlich Richter Katzenstein, Sondervotum BVerfGE 74, 28, 30 .
.'85 Hesse, Der Gleichheitssatz in der neueren deutschen Verfassungsentwicklung, AöR 109 (1984), 174 ff., 189; Schoch, Der Gleichheitssatz, DVBI. 1988,863 ff., 874; Robbers, Der Gleichheitssatz, DÖV 1988, 749 ff., 751. JR6 SO Richter Katzenstein in seinem Sondervotum, BVerfGE 74, 28, 30.
m Robbers, Der Gleichheitssatz, DÖV 1988, 749 ff., 752.
BVerfGE 33, 303, 334 f. Das Gericht weist unermüdlich auf die Gerechtigkeit der Auswahl hin, BVerfGE 33, 303, 345; 37, 104, 116; 39,258,271; 43, 34, 44; 43, 291, 314. 388
389 Zur unterschiedlichen Terminologie s. Hirtschulz, Numerus clausus und Verfassungsverwirklichung, S. 38.
III. Die Leistung in der Normstruktur des Art. 3 Abs. I GG
91
ben eingebettet, ohne mit diesen zu konvergieren. Das Leistungskriterium ist diesen Zielvorstellungen untergeordnet. Durch dieses Kriterium soll die liberale Bedeutung des Art. 12 Abs. I GG mit seinem Gewährleistungsinhalt der freien Wahl des Ausbildungsplatzes und die Gleichberechtigung aller Studienbewerber auf Zulassung in Einklang gebracht werden. Das Differenzierungsziel ist ein gerechtes Auswahlverfahren, in dem die gleichberechtigten Zulassungsanspruche aller Bewerber in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden sollen. Nur so kann der gleichermaßen gewährleistete Freiheitsgehalt des Art. 12 Abs. I GG rur alle Bewerber unter der Bedingung knapper Studienplätze optimiert werden. Diese Zielvorstellung wird aus der Perspektive des Art. 12 Abs. I GG deutlich. Die beiden Gesichtspunkte der freien Wahl der Ausbildungsstätte und die Funktionsfähigkeit der Hochschule setzt das Gericht auf der Basis seiner Stufentheorie zu Art. 12 GG390 zueinander in Beziehung. Die Einschränkung des Hochschulzugangs über das Regulativ der Leistung ist aufgrund der Gewährleistung des Art. 12 GG nur zum Schutze eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes möglich. Dieses erblickt das Gericht in der Funktionsfähigkeit der Hochschule als Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Studienbetriebs391 • Dieser ist kein reiner Selbstzweck. Er orientiert sich an dem allgemeinen Aufgabenkatalog der Hochschule, der nicht mit dem Leistungsprinzip identisch ist. Die Ausbildung qualifizierter Fachkräfte stellt einen Ausschnitt aus dem gesamten Aufgabenbereich der Hochschule dar392 • Auch aus dieser Blickrichtung dient das Leistungskriterium nicht der Konkretisierung einer Hochschulaufgabe, die ihrerseits das über Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheitsschutzinteresse des Studienbewerbers zuruckdrängt, sondern es soll im Rahmen freiheitseffektivierender Willkürkontrolle dem individuellen Freiheitsschutzinteresse dienen. Der Schwerpunkt der Problematik liegt in der chancengerechten Auswahl zulassungsbegrenzender Kriterien, über die das Freiheitsrecht des Art. 12 GG nichts aussagt. Das Gericht ordnet das Leistungskriterium weitergehenden Zielvorstellungen unter und stellt es in bezug zu der Freiheitsgewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG sowie zu allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen. Das Leistungskriterium stellt kein Differenzierungsziel, sondern ein Differenzierungskriterium dar, das über die wilIkürfreie Verteilung knapper staatlicher Leistungsangebote bei überschießender Nachfrage entscheiden soll. b) Die Leistung als Differenzierungskriterium
Der Hochschulzugang wird als Wahl der Ausbildungsstätte vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfaßt. Gleichzeitig nimmt der Staat im Hoch390
BVerfGE 7, 377 ff.
391
BVerfGE 33, 303, 339; 43, 34, 45.
392
Zu den weiteren Aufgaben s. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, Rn. 10 ff.
92
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit
schul bereich ein weitgehendes Ausbildungsmonopol für sich in Anspruch. Die Verwirklichung grundrechtlich geschützter Ausbildungsfreiheit hängt mit der Sphäre staatlicher Leistungstätigkeit zusammen 393 • Der Hochschulzugang wird zu einer Frage der gleichberechtigten Verteilung des staatlichen Leistungsangebots. Diese wird über den allgemeinen Gleichheitssatz gesteuert. Das Gericht hat den Hochschulzugang neben seiner grundsätzlichen Fundierung in Art. 12 und Art. 3 Abs. I GG auch über das Sozialstaatsprinzip abgestützt. Der Kernpunkt der Rechtsstruktur bleibt die Ausgestaltung als Freiheitsrecht, dessen Schutz von jedem, der die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt, in Anspruch genommen werden kann394 • In der Struktur des Rechts auf freien Hochschulzugang sind zwei konstruktive Phasen in der Rechtsprechung zu erkennen. Zunächst wird über Art. 12 Abs. I GG das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte, hier der Hochschule, begründet. Die gleiche Grundrechtsberechtigung als allgemeine Rechtsgleichheit bedingt eine allgemeine Gleichberechtigung aller Bewerber. Das Gericht geht von der Vorstellung aus, daß zunächst alle Studienbewerber durch den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife für ein Studium gleich qualifiziert sind. Es stellt auf einen Zustand prinzipieller Gleichheit unter den Bewerbern ab. Auf dieser Stufe setzen die Gleichheitserwägungen und die Differenzierungsproblematik an, die das Auswahlverfahren unter gleichberechtigten Bewerbern betreffen. Die Selektion über das Leistungskriterium greift erst auf dieser zweiten Stufe, indem es dem notenmäßig besseren Bewerber eine erhöhte Chance auf Zulassung einräumt. Der Paradigmenwechsel von dem Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG zur Gleichheitsproblematik, wie er in dem Begriff der Leistung als Auswahlkriterium zum Ausdruck kommt, beruht auf dem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage im Sektor bildungspolitischer Staatsleistungen. Erst unter der Perspektive des Mangels wird die Auswahl und damit die Gleichheitsfrage virulent395 • Das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG gerät unter die Notwendigkeit einer ergänzenden Willkürkontrolle durch den allgemeinen Gleichheitssatz396 • Die Formel des Gerichts von der Ungleichbehandlung prinzipiell Gleichberechtigterm bringt diese Stufung deutlich zum Ausdruck. Das Leistungskriterium hat die Funktion, eine Selektion aus dem Kreis der Gleichberechtigten herbeizuführen.
393
BVerfGE 33, 303, 331 f.
394
Thieme, Deutsches Hochschulrecht, Rn. 556 .
.195
Thieme, Deutsches Hochschulrecht, Rn. 557 .
Zum Teil wird hier von einem Wandel des Rechts auf freie Wahl des Ausbildungsplatzes in ein Recht auf willkürfreie Auswahl gesprochen, Hirtschulz, Numerus c1ausus und Verfassungsverwirklichung, S. 48 f., Fn. 41 m.w.N. 397 BVerfGE 33, 303, 345; 37, 104, 113; 39, 258, 270; 43, 291, 314. .196
IV. Inhalt und Funktionen der Leistung als Differenzierungskriterium
93
IV. Inhalt und Funktionen der Leistung als Differenzierungskriterium 1. Der Inhalt der Leistung im Recht der Hochschulzulassung
Das Bundesverfassungsgericht definiert den Begriff der Leistung in der Hochschulzulassung ebensowenig wie in seiner Eigentumsrechtsprechung. Es setzt statt dessen einen konsensfähigen Inhalt als bekannt voraus 398 • Das Leistungsprinzip erscheint dem Gericht nicht weiter begründungsbedürftig399 • Eine geringe Klärung bringt die Verwendung des Leistungsprinzips im Zusammenhang mit weiteren Begriffen, die das Gericht als sinnverwandt betrachtet. In der ersten Numerus-clausus-Entscheidung400 stellt das Gericht den Begriff der Leistung in den Zusammenhang mit der Eignung. Der zuverlässige Nachweis einer außerordentlichen Leistung gilt dem Gericht als Indikator der Eignung40I • Den Leistungsnachweis bildet das Abiturzeugnis. Das Gericht steht dieser Form des Leistungsnachweises skeptisch gegenüber. Bereits der Begriff des Abiturzeugnisses als Nachweis der allgemeinen Hochschulreife läßt seine Anwendung für die Selektion eines besonderen Studienganges zweifelhaft erscheinen. Es berechtigt zum Hochschulstudium insgesamt402 • Daneben sieht das Gericht das Problem einer kompatiblen Leistungsbewertung, die eine unabdingbare Voraussetzung für ein gleichberechtigtes Auswahlverfahren darstellt403 • Das Problem der unterschiedlichen Leistungsbewertungen sollte im Wege eines Staatsvertrages der Länder über das bonus-malus-System ausgeglichen werden. Die dagegen eingelegte Verfassungs beschwerde gab dem Gericht noch einmal die Möglichkeit, zur (Schul-)Leistung als Differenzierungskriterium Stellung zu nehmen404 • Zu entscheiden war die Frage, ob eine Zurücksetzung von Bewerbern 39R In der Literatur definiert Oppermann (Schule und berufliche Bildung, Rn. 44) den Begriff der Leistung als individual bezogene Leistung im Sinne eines Vermögens, "die eigenen Entwicklungschancen zu erkennen und wahr zu nehmen". Dieser Leistungsbegriff ist funktional allein auf den Bildungssektor bezogen.
399 Zu diesem Verfahren vgl. Hir/schulz, Numerus clausus und Verfassungsverwirklichung, S. 97 f., der das Leistungsprinzip in der Rechtsprechung als außerrechtlichen Faktor der Entscheidungsfindung begreift. Es wird als grundlegender Konsenspunkt vorausgesetzt. 400
BVerfGE 33, 303 ff.
401
BVerfGE 33, 303, 349.
402 Vgl. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, S. 215: ,,[ ... ] kennt die Reifeprüfung grundsätzlich keine Begrenzung in den Fortbildungschancen, die sie ermöglicht".
403 So bereits in der ersten Numerus-clausus-Entscheidung, BVerfGE 33, 303, 349. Vgl. ferner BVerfGE 37, 104, 118; 43,291,320; zur Problematik der Leistungsbewertung im allgemeinen der Erste Senat, BVerfGE 80, I ff. (multiple-choice-Verfahren).
404
BVerfGE 37, 104 ff.
94
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit
gegenüber gleichqualifizierten Mitbewerbern mit der Verfassung und den Grundsätzen der ersten Numerus-clausus-Entscheidung vereinbar ist. Die Zurücksetzung geschah entsprechend dem Staatsvertrag allein aufgrund der Tatsache, daß der Bewerber sein Reifezeugnis in einem Bundesland erworben hatte, dessen Durchschnittsnote die Gesamtdurchschnittsnote aller Länder überschritt. Durch diese bonus-malus-Regelung wollten die vertragsschließenden Länder eine gerechte Zuteilung der Studienplätze nach dem Grad der Qualifikation erreichen, wie dies in der ersten Numerus-clausus-Entscheidung gefordert wurde. Das Gericht räumt dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum ein. Das System der unterschiedlichen Leistungsbewertung trotz formal gleicher Qualifikation in der Durchschnittsnote wird unter dem Gesichtspunkt des derzeitigen Erkenntnisstandes und fehlender einheitlicher Bewertungsmaßstäbe toleriert, obwohl es von der individuellen Leistung als Auswahlkriterium wegfiihrt405 • Das Problem der Leistungsbewertung steht auch im Zentrum der zweiten großen Entscheidung zum Numerus clausus406 • Die Studienplatzvergabe nach der individuellen Leistung der Bewerber hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine chancenausschließende Qualität erreicht. Das Gericht verwirft den Leistungsnachweis durch überhohe Durchschnittsnoten vor dem Hintergrund ihres ungesicherten Prognosewertes fiir den Studien- oder Berufserfolg407 • Entscheidend fiir die Leistung als Auswahlkriterium ist der Individualbezug. Die Leistung muß beeinflußbar bleiben, um als taugliches Auswahlkriterium zu fungieren. Die Rechtsprechung verlangt speziellere Eignungsnachweise und damit veränderte Leistungen. Das Gericht gibt deutlich zu verstehen, daß der Schwerpunkt einer akzeptablen Differenzierung auf der Eignung liegt, die lediglich mangels anderer Konkretisierungsmöglichkeiten über den Leistungsnachweis der Schulnote festzustellen sei 408 • Der differenzierende Leistungsinhalt wird abhängig von der angestrebten Studienwahl409 • Das Gericht hält im Gegensatz zu seiner Leistungsrechtsprechung im Eigentumsbereich strikt an dem Individualbezug der Leistung fest. Selektionsverfahren, die diesen Zusammenhang in Frage stellen, begegnen Bedenken, sobald sie sich von dem Individualbezug entfernen4lo • Dies findet in der ersten Stufe des 40~
BVerfGE 37, 104, 119 f.
406
BVerfGE 43, 291 ff.
407
BVerfGE 43, 291, 320.
BVerfGE 43, 291, 318: ,,[ ... ] praktisch unvermeidlich [ ... ]". Das Kriterium der Eignung ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits seit langem eingeflihrt, vgl. etwa BVerfGE 9, 338; 13, 97; Richter, Verteilungsprobleme im deutschen Bildungswesen, S. 215. 40R
40'1 Der Gesetzgeber hat aus dieser Rechtsprechung in der Regelung des § 32 Abs. 3 Nr. I HRG die Konsequenzen gezogen, s. Reich, Hochschulrahmengesetz, § 32 Rn. 10. 410
So im Länderausgleich nach dem bonus-malus-Verfahren, den das Gericht nur unter
IV. Inhalt und Funktionen der Leistung als Differenzierungskriterium
95
zwei stufigen Rechts auf Hochschulzulassung seine causa, da die Freiheit der Berufswahl fiir die subjektive Einflußnahme des Grundrechtsträgers solange wie möglich offen bleiben muß. Die Möglichkeit der individuellen Einflußnahme ist innerhalb der Stufentheorie des Art. 12 GG411 bereits ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. In dem Individualbezug sieht das Gericht den Schutz der Freiheit der Person und seiner Entfaltungsmöglichkeiten angelegt4l2. Die Leistung ist Ausdruck der freien Entfaltung der Person4l3 . Daran zeigt sich, daß dem Leistungskriterium in der Rechtsprechung kein eindeutiger Inhalt zuzuordnen ist. Der Zusammenhang mit der Eignung und der freien Entfaltung der Person beläßt das Kriterium inhaltlich so unbestimmt wie sein Kontext. Sowohl die Eignung als auch die Persönlichkeitsentfaltung bedürfen weiterer inhaltlicher Ausdeutungen, die über den konkreten Verwendungszusammenhang zu leisten sind. Auch die Gerechtigkeitsüberlegungen fiihren nicht weiter. Das Gericht verlangt eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Selektionsentscheidung. Da es seine Gerechtigkeitskonzeption nicht offen legt, ist eine materiale Ausdeutung, die Rückschlüsse auf einen materialen Inhalt des Leistungsprinzips erlauben könnten, zweifelhaft. Es bleibt eine Klärung der Funktionen, die der Begriff im Bildungswesen übernehmen so1l414.
2. Die Funktionen des Leistungskriteriums im Recht der Hochschulzulassung a) Die chancenstabilisierende Funktion
Die einzelnen Funktionen des Leistungskriteriums lassen sich zu zwei Gruppen zusammenfassen: der liberalen Bedeutung im Sinne der Freiheitsoptimierung und der Konkretisierung abstrakter Regelungsmaximen. In seiner grundrechtsoptimierenden Bedeutung soll das Kriterium chancenerhöhend wirken, in seiner konkretisierenden Bedeutung dagegen einerseits die Bindung des Gesetzgebers umsetzen sowie andererseits das Differenzierungskriterium der Eignung verdeutlichen.
den Bedingungen der Verbesserung der Gesamtlage und dem derzeitigen Stand der Erkenntnis zu billigen bereit ist, BVerfGE 37, 104, 120. 411 BVerfGE 7, 377 ff. 412
BVerfGE 33, 303, 334; 43, 34,46; 43, 291, 320.
Vgl. dazu die Beiträge in Adam (Hrsg.), Kreativität und Leistung - Wege und Irrwege der Selbstverwirklichung. 414 So weist auch Oppermann (Schule und berufliche Bildung, Rn. 44) daraufhin, daß der Leistungsbegriff "am ehesten aus den [... ] Funktionen heraus bestimmt [ ... ]" werden kann. 413
96
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit
Mit dem Begriff der chartcenstabilisierenden Funktion soll die Aufgabe des Leistungskriteriums bezeichnet werden, die ihm im Rahmen der grundrechtseffektivierenden Anwendung des Gleichheitssatzes zukommt. Das dem Recht auf freien Hochschulzugang zugrundeliegende Freiheitsrecht aus Art. 12 Abs. I GG wird durch den faktischen Mangel aufgeweicht. Das Grundrecht verliert seine grundrechtstypische Unbedingtheit im Hochschulbereich, da sich seine unbedingte Durchsetzung nicht mehr für alle Grundrechtsberechtigten realisieren läßt. Die Freiheitsfrage wird zur Gleichheitsfrage. Das Problem läßt sich nicht über das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. I GG lösen. Der Art. 12 Abs. I GG besagt nichts über die Zulässigkeit einer Differenzierung gegenüber an sich gleichberechtigten Grundrechtsträgem untereinander. Um den Freiheitsschutz angesichts der Knappheit soweit wie möglich zu realisieren, sind Differenzierungskriterien erforderlich, die sich an dem Gebot der grundrechtlichen Freiheitsoptimierung orientieren. Es ist Aufgabe des Leistungskriteriums, eine Auswahl herbeizuführen, die der gleichen Grundrechtsberechtigung aller Bewerber Rechnung trägt. Während die (Grund-)Rechtsgleichheit jedem das Recht auf freie Wahl des Ausbildungsganges garantiert, führt der Mangel zu einer faktischen Ungleichbehandlung. Nur wenige können ihre Wahl auch realisieren. Das Bundesverfassungsgericht hat diese faktische Ungleichheit soweit gebilligt, wie legitime Differenzierungskriterien diese Ungleichbehandlung rechtfertigen. Die faktische Ungleichbehandlung schlägt in eine Rechtsungleichheit um. Dieser Verlust an unbedingter Grundrechtsgeltung 'läßt sich an Hand des strukturtheoretischen Prinzipienmodells415 der Grundrechte illustrieren. Zwei norm strukturelle Besonderheiten der Grundrechte sind zu unterscheiden: RechtsregeIn und Rechtsprinzipien. Die strukturelle Differenz zwischen diesen beiden Bereichen zeigt sich in ihrem qualitativen Unterschied. Regeln werden als Normen gedeutet, die stets entweder nur erfüllt oder nicht erfüllt werden können, während Prinzipien als Optimierungsgebote nach einer größtmöglichen Realisierung verlangen. Sie können von kollidierenden Prinzipien überspielt und zurückgedrängt werden416 • Sie begründen im Gegensatz zu Rechtsregeln relative Gebo415 Das Prinzipienmodell der Grundrechtsinterpretation, das Alexy in seiner "Theorie der Grundrechte" vorgelegt hat, geht auf Dworkin zurück. Dworkin (Bürgerrechte ernstgenommen) hat mit Hilfe des Prinzipienarguments versucht, den positivistischen Rechtsbegriff zu wiederlegen. Seine Version des Rechtsprinzips enthält zwei Varianten: Einmal bezieht sie sich auf die Rechtsstruktur, zum anderen auf die Rechtsgeltung. In seiner "Theorie der Grundrechte" hat Alexy lediglich die strukturtheoretische Variante unter Modifikation der eigentlichen Stoßrichtung rur seine Theorie der Grundrechtsinterpretation übernommen. Alexys "Theorie der Grundrechte" richtet sich nicht mehr gegen den Rechtspositivismus, sondern versucht, die normstrukturellen Ergebnisse für die Grundrechtsinterpretation fruchtbar zu machen. 416 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f. Zur weiteren Klärung des Rechtsprinzips als Optimierungsgebot ders., Zum Begriff des Rechtsprinzips, S. 59 ff.; ders., RechtsregeIn und Rechtsprinzipien, S. 13 ff.; ders., Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen.
IV, Inhalt und Funktionen der Leistung als Differenzierungskriterium
97
te. Wird diese Strukturierung dem Wandel des Grundrechts aus Art. 12 Abs. I GG zugrunde gelegt, zeigt sich sein Verlust an normativer Bindung. Der Gewährleistungsinhalt des Art. 12 Abs. I GG als subjektives Recht ist als Rechtsregel zu qualifizieren, die entweder gilt oder nicht gilt. Sie erlaubt keinen gleitenden Optimierungsmaßstab. Diesen starken Regelgehalt verliert das Grundrecht unter der Perspektive gleichheitsorientierter Teilhabe an staatlichen (Ausbildungs-)Leistungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von vornherein "unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann"417 steht. Die starke Rechtsregel der freien Wahl der Ausbildungsstätte relativiert sich unter diesem Vorbehalt des Möglichen zu einem weichen Prinzip optimaler Chancenverwirklichung. Der unbedingte Grundrechtsschutz verflüchtigt sich in den schwächeren Prinzipienschutz. Dennoch verlangt auch dieser Prinzipienschutz nach bestmöglicher Realisierung, sofern nicht gegenläufige Gründe erkennbar sind. Hieraus erschließt sich die chancenstabilisierende Funktion des Leistungskriteriums. Das Gericht betont die grundsätzliche Freiheit des Grundrechts aus Art. 12 Abs. I GG, die jedem hochschulreifem Bewerber an sich ein Recht zum Studium seiner Wahl zuerkennt. Diese gebietet immer dann die Bewahrung der Chancen, wenn die Ausübung der geschützten Handlungsfreiheit trotz faktischer Beschränktheiten noch möglich ist. Die Differenzierungskriterien müssen zumindest diese Chance auf Grundrechtsausübung offenhalten. Das Gericht erkennt die individuelle Leistung als Differenzierungskriterium grundsätzlich an, sofern sie die Eignung für den gewählten Studiengang zuverlässig nachweist. Unter dieser Konstellation wird das Leistungskriterium toleriert, solange es eine chancenerhöhende Wirkung entfaltet418 • Diese chancenerhöhende Wirkung bedeutet die optimale Realisierung des Prinzipiengehalts im Recht auf freien Zugang zur Hochschule für alle Bewerber419 . Der Prinzipiengehalt zwingt entgegenstehende Gründe zu einer erhöhten Rechtfertigung, bevor sein Rechtsgehalt überspielt und zurückgedrängt werden kann. Das Gericht stellt dem Gesichtspunkt der chancenerhöhenden Wirkung zusätzlich den Prognosewert des Auswahlkriteriums zur Seite. Differenzierungen zwischen den grundrechtlich gleichberechtigten Hochschulbewerbern müssen einen gewissen Prognosewert aufweisen, um eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Das Erfordernis des Prognosewertes wird auf den Studienerfolg und den Berufserfolg zusammen bezogen 42o . 417
BVerfGE 33, 303, 333; 43, 291, 314.
41R
BVerfGE 33, 303, 350; 43, 291, 318 f.
Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 400: Dieses Recht werde erst dann zu einem definitiven Recht, wenn gegenläufige Gründe nicht etwas anderes fordern. 419
420
Lüthie, Ausbildungsfreiheit im Hochschulwesen, JZ 1977, 577 ff., 583.
7 MaJinka
98
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit b) Die gestaltungslimitierende Funktion
Das Bundesverfassungsgericht hat der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich der Hochschulzulassung enge Grenzen gesetzt. Diese Grenzen werden durch das Leistungskriterium nicht begründet, sondern umgesetzt. Die Begründung erfolgt aus dem Schutzbereich der beteiligten Grundrechte. Aus dem Recht auf freien Hochschulzugang in Art. 12 Abs. I GG ergeben sich zwei Bedingungen, unter denen eine zulassungseinschränkende Regelung verfassungsrechtlich legitim erscheint: Die Realisierung des Rechts aus Art. 12 Abs. I GG muß entsprechend der Stufentheorie42I individuell beeinflußbar bleiben. Der subjektive Anknüpfungspunkt für die Beschränkung des Rechts ist bereits ein Gebot der Verhältnismäßigkeit422 • Daneben gilt, es eine Auswahl aus dem Kreis gleichberechtigter Grundrechtsträger zu treffen. Beide Bindungen sind abstrakt und bedürfen der konkretisierenden Umsetzung. Sie sollen durch das Leistungskriterium aktualisiert werden. In der Anknüpfung an die persönlichen Leistungen kommt ein klassisches Merkmal der Individualität zum Ausdruck. In diesem Kriterium ist die Möglichkeit der persönlichen Einflußnahme angelegt. Als formales Kriterium bewahrt es die prinzipielle Gleichberechtigung der einzelnen Studienbewerber. Das bedeutet nicht, daß der Gesetzgeber die Leistung als solche zwingend zu berücksichtigen hat. Dies können auch andere Kriterien sein, die den Bindungsinhalt realisieren. Das Leistungskriterium bildet nur eine mögliche Konkretisierung. c) Leistung und Eignung
Das Gericht zieht den Begriff der Leistung zur Konkretisierung der Eignung heran. An Hand der Eignung soll der vorzugswürdigere Bewerber für das betreffende Studienfach ermittelt werden. Eignung und Studienwahl stehen in einem engen Verhältnis. Das Leistungskriterium erscheint durch den beabsichtigten Studiengang determiniert. Die Rechtsprechung wendet sich gegen eine undifferenzierte Verwendung des Leistungsprinzips423. Statt dessen sollen Schulleistungen, die in einem besonders engen Verhältnis zur Studienwahl stehen, sowie der Leistungsnachweis über ein gesondertes Feststellungsverfahren in Form von Eignungstests besonders berücksichtigt werden424 . Insgesamt zeigt sich eine klare Tendenz zur Differenzierung an Hand des konkreten Studienziels, aus der heraus die Leistung und mit ihr die Eignung beurteilt werden soll. Maßgebliches Kriterium als Oberbegriff bleibt die Eignung. Die persönliche Leistung als Differen421
BVerfGE 7, 377 ff.
m So grundlegend BVerfGE 7, 377 ff., LS 6 cl, ferner BVerfGE 13, 97, 104; 25, I, 12; 30. 292, 313 (st. Rspr.). m BVerfGE 33, 303, 349. 424 BVerfGE 33, 303, 349,43,291,323.
IV. Inhalt und Funktionen der Leistung als Differenzierungskriterium
99
zierungskriterium erscheint unter den Vorbehalt des Eignungsnachweises gesteilt. Die Anknüpfung an die Leistung ist nur dann legitim, wenn sie den Eignungsnachweis zuverlässig fuhren kann. Während mit Hilfe der Leistung auf das Erfordernis einer Handlungsbewertung abgestellt wird, eröffnet das Kriterium der Eignung den konkreten Bezugsrahmen für die Klasse der Bewertungskriterien, die zu einer differenzierten Leistungsselektion fuhren. Die Eignungskriterien konturieren Einzelleistungen im Hinblick auf das gewünschte Studienziel. Sie geben den Rahmen vor, in dem eine Leistungsbewertung erfolgen kann. Die Bewertungskriterien, die eine Leistung als solche auszeichnen, sind auf diesen Rahmen bezogen. 3. Das Leistungsprinzip unter gesamtgesellschaftlichen Bindungen a) Die Grenze gesellschaftlicher Desintegration
In der Schule findet die Leistungsdifferenzerung ihre Grenze am Auftrag des Gesetzgebers, gleiche Bildungschancen für alle herzustellen. Das hochbegabte Kind hat Einschränkungen seiner Förderung hinzunehmen425 • In der Hochschulzulassung läßt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen gewissen "Widerwillen"426 gegen das Leistungsprinzip als Zuteilungskriterium erkennen. Es wird lediglich unter kumulativer Verwendung weiterer Kriterien akzeptiert. Dies gründet in der gleichberechtigten Stellung der einzelnen Bewerber untereinander, die das Gericht unter den Begriff der Chancengleichheit zusammenfaßt. Jeder Inhaber der allgemeinen Hochschulreife hat das verfassungsrechtlich verbürgte Recht. an einer Hochschule das Fach seiner Wahl zu studieren. Dies stellt das Bundesverfassungsgericht deutlich heraus. Die Legitimitätsanforderungen an gebotene Einschränkungen dieses Grundrechts, die über die Selektion und über die Frage entscheiden. ob überhaupt zugelassen wird oder nicht, ob das Grundrecht aktualisiert werden kann oder nicht, sind besonders hoch, da über den Grundrechtsgebrauch als solchen entschieden wird. Die Zulässigkeit dieser Entscheidung ist von der verfassungsrechtlichen Haltbarkeit des im Rahmen des Gleichheitssatzes heranzuziehenden Differenzierungskriteriums abhängig. Das Leistungskriterium wird für das Gericht fragwürdig, sobald es zum Chancenausschluß des größten Teils der Bewerber fuhrt427 und die Grundrechtsausübung insgesamt unterbindet. Es kann als Hilfsmittel neben anderen Auswahlkriterien im Sinne einer Teilquote berücksichtigt werden. Diese ist davon abhängig, wie hoch der Prognosewert fur den späteren Studien- und Be425 426
427
BVerfGE 34, 165, 189.
Oppermann, Hochschulzugang in der Bundesrepublik Deutschland, S. 263, 265. BVerfGE 43, 291, 320.
100
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit
rufserfolg zu veranschlagen ist428 • Schon in seiner ersten Numerus-clausus-Entscheidung429 hat das Gericht darauf hingewiesen, daß durch die Leistungsselektion ein Teil der Bewerber in vollem Umfang in den Genuß der Staatsleistung komme, während die abgewiesenen Bewerber leer ausgingen. Unter diesen Umständen bewege sich der Numerus clausus am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren43o • Nachdem das Gericht festgestellt hat, daß grundsätzlich für jeden Bewerber eine Zulassungschance gegeben sein muß43 \ , erscheint eine Studienplatzvergabe unter ausschließlicher Anwendung des Leistungsprinzips verfassungsrechtlich unzulässig432 • Das Gericht betont, daß die Auswahl eine Differenzierung zwischen Gleichberechtigten bedeute433 • Nicht die für ein Hochschulstudium ungeeigneten Bewerber sollen abgewiesen werden, sondern es ist eine Auswahl unter gleich geeigneten Bewerbern zu treffen. Aus diesem Gebot grundsätzlicher Chancenoffenheit des Bildungsbereichs gelangt die Rechtsprechung zu der Forderung nach ergänzenden Kriterien, die geeignet sind, diesen Gehalt des subjektiven Rechts auf freien Zugang zur Hochschule für alle Berechtigten zu effektivieren, ohne ganze Gruppen von vornherein auszuschließen. Da sich dem Gericht das Problem der Auswahl als eine Ungleichbehandlung Gleichberechtigter darstellt, ist der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum hinsichtlich der einzelnen Differenzierungskriterien bis zur Unerheblichkeit eingeschränkt434 • Die trotz allem notwendige Differenzierung stellt sich als Notmaßnahme zur Verwaltung eines Mangels435 dar. Sie bildet rechtssystematisch die Ausnahme des Regelsatzes der Gleichberechtigung aller Bewerber. Als Ausnahme stehen alle Differenzierungskriterien, die zur Selektion herangezogen werden, unter den Bedingungen der aus der Regel abzuleitenden Direktive weitestgehender Annäherung an die Gleichberechtigung der einzelnen Bewerber. Das gilt auch für das Leistungsprinzip. Die aus dem Grundrecht des Art. 12 Abs. I GG herzuleitende gleichberechtigte Stellung der einzelnen Bewerber setzt der Anwendung des Leistungsprinzips Grenzen. Diese Grenze ist erreicht, sobald die leistungsgesteuerte Zulassung zu einem Privileg Weniger wird436 • Die Bil42ft BVerfGE 43,291,320; Lüthje, Ausbildungsfreiheit im Hochschulwesen, JZ 1977, 577 ff., 583. Vgl. dazu die Regelung des § 32 HRG. 429 BVerfGE 33, 303 ff.
430
BVerfGE 33, 303, 333.
BVerfGE 43, 291, 317; Oppermann, Verfassungsrechtliche Fragen des Hochschulzuganges, S. 263. 432 BVerfGE 33, 303, 350. 43\
433 434
BVerfGE 33, 303, 345; 37, \04, 113; 39,258,270; 43, 291, 314. BVerfGE 33, 303, 345; 37, \04, 113.
435 BVerfGE 43, 291, 316; Haas, Das Zulassungswesen im Spiegel der Rechtsprechung, DVBI. 1978, 238 ff. 436 BVerfGE 43, 291, 318.
IV. Inhalt und Funktionen der Leistung als Differenzierungskriterium
101
ligung des Leistungskriteriums durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schlägt in eine deutliche Ablehnung um, sobald sich der Schwerpunkt der leistungsabhängigen Selektion von seiner chancenerhöhenden Funktion zu einem endgültigen Ausschluß großer Gruppen verschiebt. Das Gericht spricht von einer qualitativen Veränderung des Auswahlverfahrens 437 • Diese Verpflichtung zur Wahrung einer realen Zulassungschance fUr alle Bewerber verlangt ein erträgliches Maß438 der Leistungsanforderungen. Das Gericht verweist auf den gesellschaftlichen Bezug übersteigerter Leistungsanforderungen. Der Ausschluß ganzer Gruppen durch eine strikte Anwendung des Leistungsprinzips bei gesteigerten Leistungsanforderungen könne letzlieh zu einer mangelnden Akzeptanz der Verfassung bei den endgültig abgewiesenen Bewerbern fUhren. Daraus könne dem Gemeinwesen Schaden erwachsen4J9 • Die dauerhaft ausgeschlossenen Gruppen könnten den Eindruck gewinnen, an den verfassungsrechtlich gewährleisteten Kernaussagen der freien Persönlichkeitsentfaltung und Freiheitlichkeit nicht mehr zu partizipieren440, sondern als Gruppe von dieser Freiheitsordnung ausgegrenzt zu werden. Damit spricht das Gericht eine der grundlegenden Legitimitätsbedingungen der Verfassung an, nämlich ihre integrierende Kraft. Das Gericht hat bereits zu Beginn der Numerus-c1ausus-Rechtsprechung den ursprünglichen Zusammenhang von Bildungschancen und späteren Lebenschancen hervorgehoben, der in der Tat als geballte Frustration gegen den Staat zu wenden geeignet ist, sobald die Verfassung durch den dauerhaften Ausschluß an sich grundrechtlieh verbürgter Lebenschancen ihre integrierende Kraft verliert44l . Diese Abhängigkeit des Gemeinwesens von der Mitwirkung seiner Bürger hat die Rechtsprechung anläßlich der politisch umstrittenen Volkszählung 1983 noch einmal deutlich betont442 . Mit dem Hinweis auf die drohende Desintegration deutet das Gericht eine verfassungsrechtliche Grenze bedingungsloser Selektion nach dem Leistungsprinzip an. Eine Gesellschaftsordnung, die "darwinistischen Leistungsexzessen"443 huldigt, entspricht nicht dem Bild des Grundgesetzes.
437
BVerfGE 43, 291, 319.
43R
BVerfGE 43, 291, 318.
439
BVerfGE 43, 291, 326.
440
BVerfGE 43, 291, 326.
Jochimsen (Die verfassungspolitische Dimension der Regelung des Hochschulzuganges, S. 327) weist darauf hin, daß die Legitimierung von Auswahlentscheidungen im Bildungssystem eine Lebensfrage der Demokratie schlechthin ist. 442 BVerfGE 65, I, 43. 441
4-43
Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, S. 62.
102
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit
b) Zeitliche und situative Bedingtheiten der Leistung
Regelmäßig hat das Bundesverfassungsgericht die Bedingtheit des einschränkenden Auswahlverfahrens durch die konkrete Situation hervorgehoben, die eine Beschränkung und damit ein differenzierendes Auswahlverfahren überhaupt erst notwendig mache. Unter dem Grundrechtsschutz ist dieses Verfahren und seine Auswahlkriterien lediglich als Notmaßnahme in der zugespitzten Mangelsituation haltbar444 • Alle Differenzierungskriterien, die zur Selektion herangezogen werden wie das Leistungsprinzip, stehen als Ausnahme des Regelsatzes grundrechtsgestützter Gleichberechtigung von vornherein unter der Bedingung zeitlich begrenzter Situationsabhängigkeit. Diese Situation hat sich recht bald von der Notmaßnahme zu einer feststehenden Dauereinrichtung verfestigt445 • Die Frage nach den Auswahlkriterien bekommt eine andere Qualität. Das Gericht war bereit, Mängel und vereinzelt auftretende Härten rur einige Gruppen im Rahmen des Auswahlverfahrens unter der grundsätzlichen Annahme eines zeitlich begrenzten Engpasses zu tolerieren. Diese Duldung wurde verknüpft mit der fortlaufenden Pflicht des Gesetzgebers, sich auf dem Stand der neuesten Erkenntnisse zu halten 446 • Die Orientierung am Stand der Erkenntnis dient der Optimierung des Freiheitsrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. Sämtliche Differenzierungskriterien einschließlich der Auswahl nach Leistung bleiben einer fortlaufenden Legitimitätskontrolle unterworfen. In der Folgezeit hatte sich das Problem zunehmend verschärft, so daß diese Pflicht für sich genommen nicht mehr genügen konnte. Das Gericht brachte diese qualitativen Veränderungen 1977 in der klaren Forderung nach einer Novelle des Hochschulzulassungsrechts zum Ausdruck447 • In dieser Entscheidung wird die Tauglichkeit des Leistungskriterium zur Selektion deutlich relativiert. Als situationsbedingte Notmaßnahme darf es nicht zu einer Stabilisierung der Ungleichbehandlung führen, die als Ausnahme zu begreifen ist, denn das Grundrecht und die grundrechtsgestützte Zulassungschance begreift das Gericht unabhängig von zeitbedingten Mängeln des Verteilungsverfahrens. Dies ist jedoch angesichts der faktischen Zustände der Fall. Bei einem weiterhin anwachsenden Bewerberandrang wird der Überhang der Nachfrage gegenüber dem verfügbaren Angebot an Studienplätzen immer drastischer und verlangt eine Steigerung der Bewertungskriterien im Rahmen leistungsgesteuerter Selektion. Die Beibehaltung des 444
BVerfGE 39, 258, 271; 43, 34, 44; 43, 291, 316.
Zur Entwicklung s. Hirtschulz, Numerus c1ausus und Verfassungsverwirklichung, S. 25 ff. 445
446 Das Gericht hebt vor allem in der Entscheidung zum bonus-malus-Verfahren der Länder auf die zeitliche Bedingtheit ab, BVerfGE 37, 104, 116: ,,[ ... ] ist unter derzeitigen Gegebenheiten nicht zu beanstanden [ ... ]", des weiteren S. 118, 120; ebenfalls unter dem Vorbehalt der faktischen Situation BVerfGE 39, 258, 271; 43, 34, 44. 447 BVerfGE 43, 291 ff.
IV. Inhalt und Funktionen der Leistung als Differenzierungskriterium
103
Leistungskriteriums fUhrt folgerichtig in die Progression erhöhter Leistungsanforderungen, die schließlich in einer endgültig chancenausschließenden Selektionsentscheidung mündet448 • Diese Konsequenz ist Ausdruck der formalen Natur der Leistung. Die situative Abhängigkeit weist auf eine weitere Besonderheit. Das Leistungskriterium bedarf offensichtlich seinerseits einer bewertenden Ausdeutung. Leistungskriterien sind keine objektiv vorgegebenen Gegebenheiten 449 , deren schematische Anwendung in jedem Fall zu einer legitimen Gleichheitsdifferenzierung fUhrt. Vielmehr wurzeln sie in Bewertungen, die teils staatlich begründet, teils im nicht staatlich beeinflußten Bereich ihre Grundlage haben. Die Ermittlung dieser Bewertungskriterien ist aus den Gegebenheiten zu gewinnen, die vermittels des Leistungskriteriums bewertet werden sollen450 . Die Bewertung ist von den angestrebten Zielen abhängig, die eine Selektionsentscheidung verlangen. Das Leistungskriterium untersteht weitergehenden Zielvorstellungen, denen es in seiner Bewertung untergeordnet ist. Bildet die Bewahrung der (chancen-)gleichen Grundrechtsberechtigung das Ziel, stellt diese grundrechtsgestützte Wertung die Vorgabe, der die Leistungsseiektion zu dienen hat. Das Leistungskriterium als solches sagt nichts über die Art der Anforderungen aus und ist von daher formal gesehen weiterhin tauglich, eine Selektion herbeizufUhren. Seine Tauglichkeit wird jedoch aufgrund der Wertungen, wie sie in den Begriffen "erträgliches Maß", "überhöht", "geeignet"45I zum Ausdruck kommen, in Frage gestellt. Diese Wertungen werden aus dem Horizont verfassungsrechtlicher Ziel vorgaben getroffen, die sich nach der Rechtsprechung aus dem Erhalt der grundrechtsgestützten gleichberechtigten Chance auf Zulassung und der verfassungsrechtlich garantierten freien Entfaltung der Persönlichkeit ergeben. Die Verwirklichung dieser verfassungsrechtlichen Ziel vorgaben verläuft immer mit Blick auf die Verfassungswirklichkeit und die konkrete Situation. Ändert sich die Verfassungswirklichkeit, ändert sich auch der normative Bezugsrahmen fUr die Verfassungskonkretisierung. Die Ausdeutung des Leistungsprinzips gerät mit der gewandelten Verfassungsinterpretation in einen Zielkonflikt, aus dem heraus die bewertenden Maßstäbe gewonnen werden, die das Ergebnis als "über" höht" oder "erträgliches Maß" ausweisen. Die Handlungsbewertung als Leistung und mit ihr die Leistung als solche hat sich gewandelt. Das Kriterium der Leistung erweist sich aufgrund dieser Abhängigkeit von einer situativ wertenden Ausdeutung fUr das Gericht nur noch beschränkt tauglich. 44R
BVerfGE 43, 291, 319 f.
449
Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung, S. 106.
In diesem Sinne ist auch die Forderung des Bundesverfassungsgerichts im ersten Numerus-cJausus-Urteil zu verstehen, daß Leistungen, die in einem engen Zusammenhang mit dem gewählten Studium stehen, besonders zu berücksichtigen seien, BVerfGE 33, 303, 349. Offengelassen wird, ob dies eine verfassungsrechtliche Pflicht sei. 451 BVerfGE 34, 291, 319 f. 450
104
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit
v. Freiheit, Leistung, Teilhabe 1. Das Leistungsprinzip in der Kontroverse Die Kritik an der Rechtsprechung zur Hochschulzulassung hat sich weniger am Leistungsprinzip4s2 als vielmehr an der dogmatischen Konstruktion dieses Rechts als Teilhaberecht entzündet4S3 • Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts neigt im Zusammenhang mit der Hochschulzulassung zu weiten, generalisierenden Formulierungen. Dies betrifft die These der Komplementarität von Freiheitsrecht und grundrechtlich verbürgter Teilhabe an staatlichen Leistungen 454 • Nach einer Analyse der Rechtsstruktur liegt darin lediglich ein Zusammenspiel von Freiheitsrecht und Gleichheitssatz verborgenm, der den allgemeinen Bezugsrahmen für die Diskussion des Leistungskriteriums darstellt. Die Berücksichtigung der persönliche Leistung als Differenzierungskriterium hat nur vereinzelt Kritik erfahren. Da im Gegensatz zur Eigentumsrechtsprechung das Kriterium positivrechtlich vorgegeben ist, betrifft die Kritik vor allem die verfassungsrechtliche Bewertung, die dieses Kriterium in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfahren hat. Insgesamt ist festzustellen, daß das Kriterium auf einen breiten Konsens trifft. Soweit sich die Kritik in der Literatur speziell mit dem Leistungskriterium beschäftigt, würdigt sie die Rechtsprechung unter zwei konträren Gesichtspunkten: Entweder wird in den Urteilsbegründungen ein Zuwenig an Leistungsfreundlichkeit456 oder ein Zuviel457 gesehen. 452 Die beiden großen Numerus-cIausus-Urteile sind, abgesehen von den Ausführungen zur Teilhabe, in ihrem Ergebnis auf breite Zustimmung gestoßen: Haas, Das Zulassungswesen im Spiegel der Rechtsprechung, DVBI. 1978, 238 ff., 239; Häberle. Das Bundesverfassungsgericht im Leistungsstaat. Die Numerus cIausus-Entscheidung vom 18.7.1972, DÖV 1972, 729 ff., 737; Kimminich, Anmerkung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.7.1972, JZ 1972,696 ff.; Gerhardt, Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Numerus cIausus, RuG 1972, 290 ff.; Hall, Das Ne-Urteil und seine Folgen. JuS 1974, 87 ff. 453 Aus der Fülle der Literatur: Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechtsverständnisses, S. 29 ff.; Ossenbühl, Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. NJW 1976,2100 ff., 2104 f.; Böckenforde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, S. 136 ff.; Hirtschulz, Numerus cIausus und Verfassungsverwirklichung, S. 329 ff.; Theis, Ausbildungs- und Wissenschaftsfreiheit, S. 20 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 289. 454
So in der ersten Numerus-cIausus-Entscheidung, BVerfGE 33, 303. 330.
m Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechtsverständnisses, S. 29 ff. 456 Salzwedel, Zur Bedeutung der Numerus cIausus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Grundrechtsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, S.240.
V. Freiheit, Leistung, Teilhabe
105
Die Befürworter der leistungsgesteuerten Selektion bemängeln die deutliche Skepsis des Gerichts gegenüber der strikten Anwendung des Leistungsprinzips. Das Gericht hält das Leistungskriterium nur in Kombination mit weiteren Kriterien, die seine einschneidenden Folgen entschärfen, für verfassungsrechtlich haltbar. Diese Zurückhaltung wird in der Literatur nicht von allen geteilt. Es sei kein Grund ersichtlich, der die Selektion al1ein nach dem Leistungsprinzip verfassungsrechtlich unmöglich mache4S8 • Die Begründung verweist auf die Praxis anderer Länder oder die Notwendigkeit der persönlichen Leistung als Voraussetzung für den leistenden Staat459 • Von Rechts wegen könne nur schwerlich ein Vorzug weniger geeigneter Bewerber zu Lasten besser qualifizierter Konkurrenten gefordert werden, so daß die Studienplatzvergabe allein nach dem Leistungsund Eignungsprinzip verfassungsrechtlich unbedenklich sei 460 • Diese Kritik ist vereinzelt geblieben angesichts der weithin übereinstimmenden Bedenken gegenüber den Abiturdurchschnittsnoten als Indikator der Studieneignung461 • Gegen die ausschließlich am Leistungsprinzip orientierte Selektion wird eine verfassungsrechtlich problematische Elitebildung eingewandt, die zur Verfestigung von Sozialstrukturen bis hinein in den Hochschulbereich führe 462 • Ebenfalls werden die bereits vom Gericht geltend gemachten Gründe mangelnder Ver-
457
Hirtschulz, Numerus clausus und Verfassungsverwirklichung, S. 329 f.
45R Besonders deutlich Salzwedel, Zur Bedeutung der Numerus clausus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Grundrechtsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 240 f. 459 Häherle, Grundrechte im Leistungsstaat, S. 113: "Keine öffentliche Leistungen ohne persönliche Leistungen". Dennoch stimmt Häherle (Das Bundesverfassungsgericht im Leistungsstaat. Die Numerus clausus-Entscheidung vom 18.7.1972, DÖV 1972, 729 ff., 737) der Relativierung des Leistungsprinzips, wie sie das Gericht in seiner Rechtsprechung vorgenommen hat, grundsätzlich zu. 460 Bode, Verfassungsrechtliche Probleme des neuen Hochschulzulassungsrechts, JZ 1976, 569 ff., 575.
461 Karpen, Neuordnung des Hochschulzugangs, WissR 7 (1974),192 f.; Ce/larius, Die bundesdeutsche Rechtsprechung zur Problematik des Numerus clausus aus der Sicht der Grundsätze des sozialen Rechtsstaates, S. 68. Auch Bode (Verfassungsrechtliche Probleme des neuen Hochschulzulassungsrechts, JZ 1976, 569 ff., 575) weist darauf hin, daß unbefriedigende Methoden der Eignungsbewertung und Leistungsmessung unmittelbar auf die leistungsgesteuerte Selektionsentscheidung Einfluß haben müssen und dort verfassungsrechtliche Relevanz bekommen. 462 Hirtschulz, Numerus clausus und Verfassungsverwirklichung, S. 329 f.; Heymann / Stein. Das Recht auf Bildung, AöR 97 (1972),185 ff., 205; Schwarzmann, Die Numerus clausus-Richtlinien. JuS 1972, 141 ff., 144. Ausführlich zu diesem Phänomen des "sozialen Numerus clausus" Dietze, Berechtigungswesen und Rechtsstaatsprinzip, JZ 1976, 114 ff., 117 ff.; Ce/larius, Die bundesdeutsche Rechtsprechung zur Problematik des Numerus clausus aus der Sicht der Grundsätze des sozialen Rechtsstaates, S. 68.
106
2. Teil: Leistung und Ausbildungsfreiheit
gleichbarkeit der einzelnen Abiturdurchschnitte angeführt463 • Ferner erscheine die verfassungsrechtliche Verpflichtung aus Art. 3 Abs. I GG auf ein rationales Selektionsverfahren bezüglich der Durchschnittsnoten nicht mehr gegeben, wenn schließlich minimale Differenzen über Zulassung oder Nichtzulassung und damit über spätere Lebenschancen entscheiden könnten464 • Dasselbe Rationalitätsdefizit zeige sich in der Praxis der schulischen Leistungsbewertung465 • Schließlich wird auf die Mehrdeutigkeit der Abiturdurchschnittsnote verwiesen. Sie zeige nicht unbedingt eine besondere Eignung, sondern könne auch lediglich als Indikator für besonderen Fleiß und Ausdauer interpretiert werden466 • Der Leistungsnachweis allein über das Abiturzeugnis wird daher in der Literatur zum Teil abgelehnt467 •
2. Leistung und formale Selektion Die Kritiker des leistungsorientierten Selektionsverfahrens beziehen sich in aller Regel auf das Kriterium des Abiturzeugnisses. Diese Kritik ist berechtigt, seit der allgemeinen Hochschulreife unter der Mangelverwaltung neue Aufgaben zugewachsen sind468 • Dieser Funktionswandel führt mit der ursprünglichen Konzeption, den Nachweis einer allgemeinen Studienberechtigung zu führen 469 , zu Konflikten. Die Kritik trifft indes nicht den Kern des Leistungsprinzips, sondern den Bewertungmaßstab der Leistungsmessung. In aller Regel wird übersehen, daß das Gericht den Notendurchschnitt lediglich als einen Leistungsindikator ansieht. Die Kritik am Abitur und seiner Bedeutung unter veränderten Vorzeichen trifft nicht das Leistungsprinzip als solches. Aufgrund der formalen Offenheit des Leistungsbegriffs und seiner Abhängigkeit von Bewertungsmaßstäben sind andere Selektionskriterien denkbar, die mit veränderten Bewertungsmaßstäben das Leistungsprinzip als solches ausfüllen können. Eine durchschlagende 463 Naujoks, Numerus c1ausus - geschlossene Universität in einer offenen Gesellschaft?, S. 123.; ders., Anmerkung zu BVerwG, Urt. v. 22.6.1973 - VII C 7.71 -, DÖV 1974,65 ff., 66; Karpen, Neuordnung des Hochschulzugangs, WissR 7 (1974), 193.
41>4 Richter, Verteilungsprobleme im deutschen Bildungswesen, S. 216; Jochimsen, Die verfassungspolitische Dimension der Regelung des Hochschulzuganges, S. 327. 465
Dietze, Berechtigungswesen und Rechtsstaatsprinzip, JZ 1976, 114 ff., 120.
- Naujoks, Numerus c1ausus - geschlossene Universität in einer offenen Gesellschaft?, S. 124, der (ebd., S. 125) zum Ergebnis der Rechtswidrigkeit des Differenzierungskriteriums "Abitumote" kommt. 467 Ausdrücklich Karpen, Neuordnung des Hochschulzugangs, WissR 7 (1974), 192 f.; Richter, Verteilungsprobleme im deutschen Bildungswesen, S. 216. 46K
Dietze, Berechtigungswesen und Rechtsstaatsprinzip, JZ 1976, 114 ff., 114.
Dies ist der primäre Inhalt des Abiturs neben seiner weiteren Bedeutung als Indikator einer breiten Persönlichkeitsentwicklung, Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, S. 215 f. 469
V. Freiheit, Leistung, Teilhabe
107
Kritik am Leistungsbegriff müßte eine generelle Abkehr von der individuellen Handlungsbewertung, wie beispielsweise im Losverfahren, implizieren. Das Losverfahren ist das Paradigma eines gänzlich inhaltsleeren, rein formalen Ausleseverfahrens. Dies begegnet aufgrund der Konstruktion des Rechts auf freien Hochschulzugang Bedenken. Aus der Begründung über Art. 12 Abs. I GG folgt eine Bindung an individuell beeinflußbare Faktoren. Auch dem Losverfahren müßte ein leistungsgesteuertes Verfahren vorgeschaltet werden. Das Leistungsprinzip als Form individueller Handlungsbewertung erfährt eine gewisse Rechtfertigung durch die Rechtsprechung, sofern diese prinzipiell an der individuellen Beeinflußbarkeit festhält. Der individuelle Bezug ist wesentlich. Dies ist bereits ein Gebot der Verhältnismäßigkeit innerhalb der Stufentheorie47o des Art. 12 GG. Das wird an Hand der Entscheidung zum bonus-malus-Verfahren der Länder47 1 besonders deutlich. Eine Modifikation der individuell beeinflußbaren Faktoren wird dort nur unter zwei Bedingungen akzeptiert: der Verbesserung der Lage insgesamt - und das heißt nichts anderes als eine optimale Grundrechtseffektivität unter den gegebenen Umständen -, sowie dem Fehlen von weniger belastenden Alternativen, also ganz im Sinne der Proportionalität. Selbst wenn sich die Kritik nicht explizit gegen den Leistungsnachweis des Abiturzeugnisses richtet472 , mündet sie nicht in eine staatlich reglementierte Zuteilung, sondern will den Kern des Freiheitsrechts erhalten473 . Dies impliziert eine Anknüpfung in Form individueller Handlungsbewertung, deren Freiheitsschutzgehalt zur Diskussion steht, und verweist in die Problematik der Handlungsbewertung zurück.
470
BVerfGE 7, 377 ff.
471
BVerfGE 37, 104, 120.
472
Hirtschulz, Numerus c1ausus und Verfassungsverwirklichung S. 329 f.
473 Hirtschulz, Numerus c1ausus und Verfassungsverwirklichung, S. 336 f., der (ebd., S. 322 ff.) die vier Alternativen Abwehr-, Leistungs-, Teilhaberecht und Verfassungsauftrag im Hinblick auf ihren Vennittlungsgehalt zur Verfassungsverwirklichung und damit im Kern auf ihre Grundrechtsoptimierung diskutiert.
Dritter Teil
Leistung als Strukturmerkmal des öffentlichen Dienstes I. Leistungsprinzip und öffentliche Ämter Im öffentlichen Dienstrecht gilt das Leistungsprinzip als Garant der Stabilität und Effektivität der modemen Verwaltung474 . Die "Leistungsbürokratie"475 ist eine der wichtigsten Errungenschaften des neuzeitlichen Staates476 . Schon Max Weber hat die Entwicklung des Fachbeamtentums als ein wesentliches Element der Entstehung des modernen Staates gekennzeichnet477 , und Ernst Forsthoff sieht den Staat als Schöpfung der beamteten Verwaltung478 . Maßgeblich ist die Abkehr der erblichen, ständischen oder erwerbsmäßigen Ämterbesetzung zugunsten einer rationalen und effizienten Verwaltung, die sich an den Belangen des Gemeinwohls orientiert. Im Gegensatz zur Eigentumsrechtsprechung und dem leistungsgesteuerten Hochschulzugang ist das Leistungsprinzip für den öffentlichen Dienst in der Verfassung selbst normiert. Der Art. 33 Abs. 2 GG nimmt bei der Vergabe öffentlicher Ämter ausdrücklich auf das Leistungsprinzip Bezug, und Art. 33 Abs. 5 GG enthält das Leistungsprinzip als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums. Für das Recht des öffentlichen Dienstes ist das Leistungsprinzip dem Zugriff des einfachen Gesetzgebers entzogen. Es bleibt allein dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten. Dadurch genießt es im Vergleich zum Hochschulzugang und der Eigentumsdogmatik eine besonders hervorgehobene Stellung und Stabilität, die eine Diskussion um Sinn und Unsinn der Einführung des Leistungsprinzips, wie sie in den genannten Rechtsbereichen geführt wird, 474
Krüger, Das Leistungsprinzip als Verfassungsgrundsatz, passim.
475
MOl'stein-Mal'x, Einführung in die Bürokratie, S. 88 ff.
47h Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik, S. 214; Strnnk, Beamtenrecht, S. 47. So im Ergebnis bereits die Staatsrechtslehrertagung 1931 in Halle, vgl. Gerber und Merkl, Entwicklung und Reform des Beamtenrechts, VVDStRL 7 (1932), S. 2 ff., S. 55 ff. Kritisch dazu Rudo?f, Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, VVDStRL 37 (1979), S. 175 ff., 176. 477
Weber, Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 11.
47M
Fo,.sth~ff,
rechts, S. 21.
Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienst-
I. Leistungsprinzip und öffentliche Ämter
109
obsolet erscheinen läßt. Allein Inhalt, Funktion und Reichweite der Verfassungsgarantie sind auszuloten. Das Leistungsprinzip hat in Art. 33 Abs. 2 GG unmittelbar Eingang in die Verfassung gefunden. Der Wortlaut des Art. 33 Abs. 2 GG bezieht das Leistungskriterium auf den Zugang zu jedem öffentlichen Amt und stellt es zugleich in den Zusammenhang mit der Gleichheit. Angesichts dieser klaren Aussage des Verfassungstextes erscheint die Tatsache nicht wenig überraschend, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG nur beiläufig berücksichtigt479 • Das Gericht geht in aller Regel von einem hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtenturns im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG aus, sobald es sich mit dem Leistungsprinzip im Zusammenhang öffentlicher Ämter befaßt. Entscheidungen, die sich unmittelbar und ausschließlich mit dem Leistungsprinzip in Art. 33 Abs. 2 GG auseinandersetzen, sind so gut wie nicht vorhanden. Einzig die Entscheidung zum Sonderkündigungstatbestand des Einigungsvertrages befaßt sich mit Art. 33 Abs. 2 GG4RO • Das Gericht hatte die Frage zu entscheiden, ob der Dienstherr im Zuge der Wiedervereinigung nachträgliche Eignungsanforderungen stellen kann. Diese Entscheidung führte zu einer Klärung der Eignung im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG 4R1 , ohne zu den Anforderungen des Leistungsprinzips Stellung zu nehmen. Die Bedeutung des in Art. 33 Abs. 2 GG zum Ausdruck gekommenen Leistungsprinzips bleibt in der Rechtsprechung schillernd482 • Eine klare Strukturierung der Norm fehlt. Aus dieser Tatsache drängt sich der Schluß auf, daß das Gericht dem Leistungsprinzip in Art. 33 Abs. 2 GG keinen selbständigen Raum zubilligt, soweit es um die Belange des öffentlichen Dienstes geht. Es betrachtet die Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG als Konkretisierung der allgemeinen, hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG. Das Gericht hat sich in dieser Hinsicht noch nicht klar geäußert. Auch in der literatur wird des öfteren auf die geringe Bedeutung des Art. 33 Abs. 2 GG hingewiesen 48J • In der Normstruktur spricht Art. 33 Abs. 5 GG vom öffentlichen Dienst und den Grundsätzen des Berufsbeamtentums, während in Art. 33 Abs. 2 GG vom öffentlichen Amt die Rede ist. Dies ebenso wie die Tatsache, daß es 479
So beispielsweise BVerfGE 56, 146, 163 f.; 61.43.57; 62, 374. 382 f.
4MO Vgl. Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Ziffer 1 Abs. 4 Nr. 1 des Einigungsvertrages, BVerfGE 92, 140, 151 ff. 4RI "Geeignet im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG ist nur. wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Dazu gehört auch die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, seine dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten [ ... ]", BVerfGE 92. 140, 151. 482 Vgl. etwa BVerfGE 56, 146, 163 f.; 61, 43, 57. 4M3 Vgl. Maunz, in: MaunzlDürig, Grundgesetz, Art. 33 Abs. 2 Rn. 11 m.w.N.; Jung. Der Zugang zum öffentlichen Dienst nach Art. 33 Abs. 2 GG.
110
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
sich bei Art. 33 Abs. 2 GG um einen eigenständig nonnierten Rechtssatz der Verfassung handelt, spricht für einen originären Anwendungsbereich der Nonn und des darin enthaltenen Leistungsprinzips. Für sich betrachtet zeigt die Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG eine eigenständige Struktur. Neben seiner Bedeutung als Teil der verfassungsrechtlichen Gesamtrechtsordung und damit als Satz des objektiven Rechts enthält Art. 33 Abs. 2 GG ein subjektives öffentliches Recht, das als grundrechtsgleiches Recht mit dem Institut der Verfassungsbeschwerde durchgesetzt werden kann. Es verleiht dem jeweiligen Rechtsträger einen Anspruch auf sachgerechte Prüfung seiner Bewerbung an Hand der genannten Auswahlkriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung. Der Art. 33 Abs. 2 GG errichtet den Grundsatz der Bestenauslese484 • Während die Verfassung in Art. 33 Abs. 5 GG die nonnsetzenden Hoheitsträger auf die Beachtung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns verpflichtet, diese also einer rechtssatzmäßigen Umsetzung bedürfen, ergibt sich die Verpflichtung auf das Leistungsprinzip über Art. 33 Abs. 2 GG unmittelbar aus der Verfassung selbst. Der Art. 33 Abs. 2 GG verpflichtet zur strikten Beachtung des Leistungsprinzips. Die Vorschrift enthält keinen Regelungsvorbehalt, der eine Modifizierung erlauben würde. Einschränkungen oder Durchbrechungen des Regelungsgehalts bedürfen des Nachweises einer besonderen verfassungsrechtlichen Legitimation. Sie können nur im Wege kollidierenden Verfassungsrechts eingebracht werden485 • Der Verfassungstext läßt den Begriff der Leistung offen. Der Begriff bedarf, wie etliche Begriffe des Verfassungsrechts, der Konkretisierung. Eine nähere Bestimmung für den öffentlichen Dienst treffen die Laufbahnverordnungen des Bundes und der Länder, die den Leistungsgrundsatz von der Eignung und der Befähigung abgrenzen. In der Literatur ist die Tenninologie uneinheitlich. Teilweise wird zwischen einem weiten und einem engen LeistungsbegritT in Art. 33 Abs. 2 GG differenziert486 • Der engere Gebrauch ist durch die Verwendung ergänzender Prädikate, wie beispielsweise "fachlich", gekennzeichnet. Das Leistungsprinzip in einer umfassenderen Verwendung schließt die in Art. 33 Abs. 2 4R4
Zu diesem Grundsatz vgl. BVerfGE 56, 146, 163 f. für den öffentlichen Dienst.
4R5 Hier sind vor allem das Demokratie- und das Sozialstaatsprinzip zu nennen. Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, Leistungsgrundsatz des Art. 33 11 GG und soziale Gesichtspunkte bei der Regelung des Zugangs zum Beamtenverhältnis, NJW 1980, 16 ff., 18 ff. m.w.N.; Ule, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Refonn des öffentlichen Dienstrechts, S. 516; Köpp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 69. - Die Diskussion um die leistungsabhängige Quotenregelung für Frauen im öffentlichen Dienst hat durch die Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG um den Förderungsauftrag neuen Auftrieb erfahren, vgl. Jachmann, Die Quotenregelung im öffentlichen Dienst - Chancengleichheit, fürsorgliche Diskriminierung oder ungerechtfertigte Bevorzugung der Frau im Beruf?, ZBR 1996, 161 ff., 163 ff., 167 ff. 4R6 Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, S. 216 f.
11. Leistungsprinzip und Berufsbeamtentum
III
GG genannten Begriffe der Eignung und der Befähigung mit ein487 . Die Kennzeichnung des Leistungsprinzips erfolgt ohne Differenzierung zwischen den einzelnen in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Begriffen488 • Zum Teil wird eine von der normativen Struktur der Absätze 2 und 5 des Art. 33 GG losgelöste Unterscheidung vorgenommen. Danach ist zwischen einem aIIgemeinen Leistungsgrundsatz, der sich auf die Zulassung zum öffentlichen Dienst bezieht, einem besonderen Leistungsgrundsatz, der den Aufstieg innerhalb der Ämterordnung regelt, dem laufbahnrechtlichen Leistungsgrundsatz, der sich auf die Beförderung bezieht, und dem besoldungsrechtlichen Leistungsprinzip zu differenzieren 489 • Nach anderer Auffassung bildet der Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG einen Teilaspekt des Leistungsgrundsatzes als hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG 490 • Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt in dieser verwirrenden Terminologie keine Klärung herbei. Es gehört zur ständigen Praxis des Gerichts, aus dem Horizont der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG auf das Leistungsprinzip in Art. 33 Abs. 2 GG zu verweisen 491 •
11. Leistungsprinzip und Berufsbeamtenturn Das Bundesverfassungsgericht hat das Leistungsprinzip bereits früh zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gezählt. Anläßlich einer konkreten Normenkontrolle zur Verfassungsmäßigkeit des Beförderungsschnitts bei der Berechnung des Ruhegehalts der Beamten rechnete das Gericht die Wah487 Wiese, Der Staatsdienst, S. 216 f., der den weiten Leistungsbegriff als den des Grundgesetzes in Art. 33 Abs. 2 GG betrachtet. Die einzelnen Begriffe des Art. 33 Abs. 2 GG werden danach als Teilaspekte und damit als unselbständige Elemente des Leistungsprinzips im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG .qualifiziert. Damit geht diese Auffassung von einer Eigenständigkeit des Art. 33 Abs. 2 GG gegenüber der Regelung des Art. 33 Abs. 5 GG aus. 488 Krüger, Das Leistungsprinzip als Verfassungsgrundsatz, S. 5. So im Ergebnis auch Wiese, Der Staatsdienst, S. 216 f. 489 Leisner, Grundlagen des Berufsbeamtentums mit einer Studie über das Leistungsprinzip, S. 62, der zumindest die Dichotomie zwischen al1gemeinem und besonderem Leistungsgrundsatz einerseits und dem laufbahn- und besoldungsrechtlichen Leistungsprinzip als dogmatisch gesichert ansieht. Ferner Ule, Öffentlicher Dienst, S. 588; Fees, Der Leistungsgrundsatz im Öffentlichen Dienst, ZBR 1967,203 ff.; Neeße, Der Leistungsgrundsatz im öffentlichen Dienst, S. 51, der zwischen dem allgemeinen Leistungsprinzip für den Zugang zum Amt und dem besonderen Leistungsgrundsatz für den Aufstieg im Amt unterscheidet.
490 So Ule, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, S.507. 491 So BVerfGE 61, 43, 57; 62, 374, 383.
112
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
rung des Leistungsprinzips als Berechnungsgrundlage zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums492 • In den folgenden Entscheidungen billigt das Gericht streng genommen dem Leistungsprinzip als eigenständigem, hergebrachtem Grundsatz keinen originären Anwendungsbereich zu, den es alleine beherrschen würde. Obwohl es seine Bedeutung regelmäßig als eigenständigen Grundsatz heraushebt, läßt sich lediglich ein Zusammenwirken des Leistungsprinzips mit weiteren Grundsätzen feststellen. Diese werden mittels der gleichzeitig gebotenen Beachtung des Leistungsprinzips näher konkretisiert. Die Rechtsprechung hat den Anwendungsbereich des Leistungsprinzips stetig ausgedehnt. Ein entscheidender Schritt war die Erweiterung des Art. 33 Abs. 5 GG über den Wortlaut hinaus um eine individualschützende Dimension als subjektives Grundrecht des Beamten. Den Ausgangspunkt bildete die Frage, welchen Lebensunterhalt der Beamte als angemessen von seinem Dienstherrn fordern kann. Das Gericht hat dem Beamten aus Art. 33 Abs. 5 GG ein verfassungsmäßig verbürgtes Grundrecht auf Überprüfung der besoldungsrechtlichen Mindestanforderungen eingeräumt493 • Zur Begründung stützt sich das Gericht auf die These eines den gesetzgeberischen Mindestanforderungen komplementären Individualrechtsschutzes des Beamten. Diese These leitet das Gericht aus einem dem Grundgesetz immanenten Prinzip des verstärkten Individualrechtsschutzes ab494 • In dem zentralen Beschluß zur Fürsorgepfticht des Dienstherrn erweitert das Gericht seine Argumentation um die These einer allgemeinen Tendenz, den verfassungsrechtlichen Schutzvorschriften eine möglichst hohe Wirkkraft zu verleihen495 • Der Beschluß hatte die Mindeststandards eines ordentlichen und fairen Verfahrens als Ausdruck der Fürsorgepfticht des Dienstherrn anläßlich der Übernahmeentscheidung eines Beamten auf Probe zum Gegenstand. Das Gericht faßt die Ausweitungen der mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbaren subjektiven Rechte aus Art. 33 Abs. 5 GG beispielhaft zusammen496 • Durch diese paradigmatische Auftistung gibt das Gericht zu erkennen, daß der Prozeß noch nicht abgeschlossen ist, sondern sich hinsichtlich der subjektiven Rechte noch in der Entwicklung befindet. Vor diesem Hintergrund bilden vier Bereiche den Schwerpunkt der Rechtsprechung zum Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst: Das Besoldungsrecht, die Amtsbezeichnung, die Bemessung eines amtsangemessenen Ruhegehalts sowie die Fürsorgepfticht zu leistungsentsprechender Förderung497 • Innerhalb 492
BVerfGE 11,203,215 f.
493
BVerfGE 8, I, 17.
494
BVerfGE 8, 1, 17 f.
49~ BVerfGE
43, 154, 167 - Fürsorgebeschluß -.
49h
BVerfGE 43, 154, 167.
497
BVerfGE 43, 154, 165.
H. Leistungsprinzip und Berufsbeamtenturn
113
dieser vier Themenkreise hat sich die in der Verfassungsrechtsprechung früh zu beobachtende Tendenz, den besoldungs- und versorgungsrechtlichen Grundsätzen gegenüber den anderen Bereichen des Art. 33 Abs. 5 GG einen großzügigen Raum zuzubilligen498 , über die Jahre hinweg verstärkt. 1. Die Leistung im Besoldungssystem Da das Gericht das Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst den hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums zuordnet, liegt der dogmatische Schwerpunkt auf der Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG. Das Leistungsprinzip gewinnt für das Besoldungsrecht eine zweifache Bedeutung. Diese ergibt sich aus der Doppelstruktur des Art. 33 Abs. 5 GG als institutioneller Garantie und grundrechtsgleichem Individualrecht. In dem Beschluß zur Gemeindeordnung des Landes Schleswig-Holstein folgert das Gericht aus der Zusammenschau des Art. 33 Absatz 2, 3 und 4 GG die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums, die sich auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung gründet499 • Sie hat die Funktion, eine stabile Verwaltung zu sichern und einen ausgleichenden Faktor gegenüber den politischen Kräften zu bilden 5°O. Die institutionelle Garantie schützt einen überlieferten Kembestand an Strukturprinzipien, der sich über einen längeren Zeitraum gebildet haben muß. Die erforderliche Länge des Zeitraums wird an Hand seines Traditionen bildenden Charakter bemessen. Als Mindestmaß sieht das Gericht den Kanon an Strukturprinzipien an, der bereits unter der Weimarer Reichsverfassung als verbindlich anerkannt und gewahr worden ist50I • Die Angemessenheit der konkreten Alimentierung ergibt sich für das Gericht aus einer funktionalen Betrachtungsweise. Dem institutionalisierten Berufsbeamtentum fällt die Aufgabe zu, eine stabile Verwaltung zu sichern und einen ausgleichenden Faktor gegenüber den Zentrifugalkräften der pluralen politischen Willensbildung innerhalb des Staatslebens zu bilden502 • Diese Funktion kann ein sowohl rechtlich wie wirtschaftlich abgesichertes Berufsbeamtentum nur erfüllen, wenn eine angemessene Besoldung gewährleistet ist. Die angemessene Besoldung bildet einen stabilisierenden Faktor für die Institution des Berufsbeamtentums. Das Leistungsprinzip ist bereits auf der institutionellen Seite bei der Festsetzung der angemessenen Besoldung zu berücksichtigen. Es gewinnt einen über das 49R So bereits die Feststellung von Leche/er, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BundesverwaJtungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 356. 499
BVerfGE 7, ISS, 162.
500
BVerfGE 7,155,162.
501
BVerfGE 62, 374, 382 f.
502
BVerfGE 8, I, II ff. 16 f.
8 MaJinka
114
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
Individuum hinausweisenden staatsstabilisierenden Bezug. Das Leistungsprinzip kommt über die Konkretisierung der angemessenen Besoldung zum Tragen. Aus der Tradition der Weimarer Reichsverfassung heraus fordert das Alimentationsprinzip als angemessene Besoldung, daß dem Beamten nach seinem Dienstrang, nach der mit seinem Amt verbundenen Verantwortung und nach Maßgabe der Bedeutung des Berufsbeamtenturns rur die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards durch Gesetz ein angemessener Lebensunterhalt zu gewähren ist503 • An anderer Stelle faßt das Gericht die vom Gesetzgeber zu berücksichtigenden Grundsätze der Festsetzung angemessener Dienstbezüge zusammen. Dazu gehört das Leistungsprinzip im Sinne einer "Beanspruchung des Amtsinhabers..504 • Im Dienstrang und dem konkret bekleideten Amt drückt sich die förmliche Anerkennung des Leistungsprinzips aus 505 • Die Leistungen des Beamten sind von der Art des Amtes abhängig, das er bekleidet. Das Institut des Berufsbeamtenturns bezieht sich nicht auf die individuelle Leistung. Das Ämtergefuge und die dem Ämtergeruge folgende Besoldungsordnung knüpfen an die durchschnittliche Leistung aller zu einer Besoldungsgruppe gehörenden Beamten506 im Sinne einer Gruppenleistung an.
503
BVerfGE 8, 1, 14; 44, 249, 265.
BVerfGE 44, 249, 265 f.: "Der Gesetzgeber, der die Angemessenheit der Dienstbezüge einschließlich der Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu konkretisieren hat, muß dabei außer den schon genannten Gesichtspunkten - Bedeutung der Institution des Berufsbeamtenturns, Rücksicht darauf, daß das Beamtenverhältnis für qualifizierte Kräfte anziehend sein muß, Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft, vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung, Verantwortung des Amtes, Beanspruchung des Amtsinhabers (häufig als ,Leistung' bezeichnet) - auch berücksichtigen, daß heute nach allgemeiner Anschauung zu den Bedürfnissen, die der arbeitende Mensch soll befriedigen können, nicht nur die Grundbedürfnisse des Menschen nach Nahrung, Kleidung und Unterkunft, sondern im Hinblick auf den allgemeinen Lebensstandard und die allgemeinen Verbrauchs- und Lebensgewohnheiten auch ein Minimum an ,Lebenskomfort' gehört [ ... ]." 504
50S SO bezüglich der Frage, wann eine Amtsbezeichnung "amtsangemessen" ist, BVerfGE 38, I ff., 12: "Hinzu kommt, daß die Übertragung des Amtes [ ... ] etwas mit dem im deutschen Beamten- und Richterrecht hergebrachten ,Leistungsprinzip' zu tun hat [ ... ]"; zur Richterbesoldung BVerfGE 55, 372, 392: "Immer aber hat der Dienstherr dem Beamten und seiner Familie den nach der jeweiligen Amtsstellung, nach der mit dem Amt verbundenen Verantwortung [ ... ] angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren [ ... ]"; s.a. BVerfGE 56, 146, 165: "Zu diesen Bemessungsmerkmalen gehört [ ... ] auch die Berücksichtigung der dem Bediensteten aufgrund seiner persönlichen Eignung und fachlicher Leistung [ ... ] verliehenen statusrechtlichen Positionen." S(I(,
Ule, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Refonn des öffentlichen Dienstrechts,
S.518.
11. Leistungsprinzip und Berufsbeamtenturn
115
Die institutionelle Seite ist nicht das einzige Problemfeld der angemessenen Besoldung. Die angemessene Besoldung bildete den Anlaß fur die Entwicklung des grundrechtsähnlichen subjektiven Rechts des einzelnen Beamten aus Art. 33 Abs. 5 GG 507 • Sie setzte die weitere Ausdehnung der aus Art. 33 Abs. 5 GG abgeleiteten subjektiven Garantien in Gang. Der einzelne Beamte besitzt einen verfassungsmäßig verbürgten Rechtsanspruch gegen seinen Dienstherrn auf Gewährleistung eines angemessenen Lebensunterhalts. Dieser Rechtsanspruch erstreckt sich in zwei Richtungen: Der Beamte kann geltend machen, daß seine derzeitigen Bezüge nicht mehr der gewährleisteten Mindestausstattung einer angemessenen Besoldung im Sinne der hergebrachten Grundsätze entsprechen. Er rügt die Verletzung einer Handlungspflicht durch gesetzgeberisches Unterlassen. Oder er wendet sich schlicht gegen die Kürzung seiner Bezüge508 • In bei den Fällen bleibt die Konkretisierung der Angemessenheit des Lebensunterhalts grundsätzlich der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen 509 • Das subjektive Recht beinhaltet lediglich einen Anspruch auf sachgerechte Entscheidung. Einen Maßstab für die gesetzgeberische Konkretisierung bildet der Begriff des Amtes. Die Besoldung stellt kein Entgelt für geleistete Dienste dar5lO • Sie knüpft unmittelbar an das bekleidete Amt und der damit verbundenen Dienstleistung an. Eine Leitlinie der Besoldung ist das Ämtergefüge innerhalb der Staatsorganisation 511 , so daß das Gericht nicht nur von einer angemessenen Besoldung spricht, sondern von einer amtsangemessenen Besoldung. Auf den konkreten Unterhaltsbedarf des einzelnen Beamten kommt es also nicht an 5l2 • Die Verpflichtung zur Berücksichtigung des Ämtergefüges zieht dem Gesetzgeber den Rahmen, innerhalb. dessen das Besoldungsrecht gestaltet werden muß513 • Zwar ist der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Besoldungsgruppen innerhalb dieses Rahmens weitgehend frei. Das subjektive Recht des einzelnen Beamten richtet sich nicht auf einen konkret zu beziffernden Betrag514 , da es einen über Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf Erhaltung des Besitzstandes eines einmal erreichten Einkommens nicht gibt. Dieser Rahmen beinhaltet die Gewährleistung eines Mindeststandards an Versorgung für den Beamten und errichtet eine Schranke, die der Gesetzgeber nicht überschreiten darf. Der Mindeststandard sichert dem Beamten einen Kernbestand an standesgemäßem 507
BVerfGE 8, 1,17.
50M
BVerfGE 8, I, 18 f.
510
Seit BVerfGE 8, I, 16 (st. Rspr.). BVerfGE 21, 329, 344.
511
BVerfGE 44, 249, 265.
509
BVerfGE 39, 196, 202 f. BVerfGE 4, 115, 135. 514 BVerfGE 8, I, 12 unter Verweis auf die Rechtslage unter der WRV; BVerfGE 15, 167, 198; 21, 329, 344; 44, 249, 263; 49, 260, 272; 53, 257, 307; 55,372,392. m
5IJ
116
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
Unterhalt, den er sich durch seine Dienstleistung erworben hat5l5 . In der Leistung berühren sich das institutionalisierte Ämtergefüge mit der grundrechtsgleichen Individualrechtsposition des Art. 33 Abs. 5 GG. Die Sicherung dieses Kernbestandes an standesgemäßem Unterhalt über Art. 33 Abs. 5 GG besitzt die gleiche Qualität wie seine Sicherung über die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG SI6 • Zwischen beiden Regelungsbereichen bildet das Leistungsprinzip eine Gemeinsamkeit. Gerade für den Bereich der Besoldung hat das Gericht mit aller Deutlichkeit herausgestellt, daß diese - ebenso wie die Beamtenversorgung - aufgrund ihrer gemeinsamen Wurzel im Beamtenverhältnis immer im Zusammenhang mit der Dienstverpflichtung und der konkreten Dienstleistung des Beamten gesehen werden müsse5l7 • Das Gericht verlangt für die Besoldung regelmäßig die Orientierung am Leistungsgrundsatz als Gebot der Verfassung. Indes läßt sich in der Praxis eine Abkehr von der tatsächlichen Anwendung dieses Grundsatzes feststellen. Dies geschieht nicht allein durch das Dienstalterprinzip, sondern auch durch die Praxis der Beförderung bei gleichbleibender Tätigkeit. Das hat zu einer Lockerung, wenn nicht gar zu einer Lösung der Besoldung von der ausgeübten Tätigkeit geführt, so daß der Leistungsgrundsatz in seiner individual schützenden Gestalt eher programmatischen Charakter besitzt5IR • Der Gesetzgeber hat daraus die Konsequenzen gezogen. Um dieser Praxis entgegenzuwirken, wurde aufgrund der anhaltenden Forderung nach einem einheitlichen Schlüssel der Dienstpostenbewertung das Prinzip der funktionsgerechten Besoldung in das Bundesbesoldungsgesetz aufgenommen. 2. Angemessene Amtsbezeichnung und Leistungsprinzip Das Leistungsprinzip wirkt sich als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns auf den Begriff der angemessenen Amtsbezeichnung aus. Die einzelnen m BVerfGE 21, 329, 344 f.; 16,94, 113. 51fi BVerfGE 16,94, 112 f., 115; 21, 329, 344 f.; 44, 249, 281; 49, 260, 272; 53, 257, 307; 55,372,392. Es handelt sich um die gleiche Problematik, aus der sich die zurückhaltende Rechtsprechung zur konkreten Höhe der Besoldung erklärt, nämlich das "Blokkadeargument", das die beginnende Rechtsprechung zum Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte geprägt hat.
m BVerfGE 21, 329, 344. m Vgl. dazu Achterberg, Das Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst, DVBI. 1977, 541 ff., 546. Dieser Umstand bildete auch die Grundlage für die Änderungsvorschläge der Kommissison zur Refonn des öffentlichen Dienstrechts 1973 und des Aktionsprogramms zur Dienstrechtsrefonn 1976; vgl. ForsthojJ/von Münch/Schick/Thieme/Ule/ Mayer, Studienkommission für die Refonn des öffentlichen Dienstrechts, Bd. V; Bundesminister des Innern (Hrsg.), Aktionsprogramm zur Dienstrechtsrefonn.
11. Leistungsprinzip und Berufsbeamtentum
117
Amtsbezeichnungen sind von den Funktionsbezeichnungen zu unterscheiden. Die Amtsbezeichnungen bilden die Grundlage der Besoldungsordnung. Die mit den Amtsbezeichnungen verknüpften Funktionsbezeichnungen dienen der abstrakten oder konkreten Kennzeichnung des von dem Beamten wahrgenommenen Amtes im organisatorischen Sinne5l9 • Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts würdigt allein die Amtsbezeichnung unter Leistungsgesichtspunkten. Die Funktionsbezeichnungen werden vernachlässigt und haben keinerlei Bedeutung rur das in der einzelnen Amtsbezeichnung konkretisierte beamtenrechtliche Leistungsprinzip. Der Amtsbezeichnung kommt eine Doppelfunktion zu. Sie weist neben der individuellen leistungsgerechten Kennzeichnung des Amtsträgers einen Bezug zur Öffentlichkeit auf. In der individuellen Kennzeichnung des Amtsträgers drückt sich seine SteIlung im Ämtergeflige aus. Darin spiegelt sich seine Befähigung und Leistung wieder'lo. Der Aufbau des Ämtergeruges stellt eine Konkretisierung des Leistungsprinzips als bestimmender Grundsatz des Beamtenrechts dar l '. In der konkreten Amtsbezeichnung liegt die förmliche Anerkennung der individuellen Befähigung und Leistung des Amtsträgers. Sie verdeutlicht das allgemeine Leistungsprinzip als Strukturmerkmal des Beamtenrechts. Der Beamte kann die in der Amtsbezeichnung ausgedrückte förmliche Anerkennung seiner individuellen Eignung und seiner fachlichen Leistung, die es ihm erlaubt, gerade dieses Amt zu bekleiden, als subjektives Recht im Wege der Verfassungsbeschwerde durchsetzenm. Die dogmatische Grundlage bildet das von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelte subjektive Rechts des Art. 33 Abs. 5 GG, obwohl das Leistungsprinzip zunächst unter Hinweis auf Art. 33 Abs. 2 GG in die Begründung eingeruhrt wird 523 • Das Gericht macht deutlich, daß die angemessene Amtsbezeichnung keineswegs nur den Belangen des Amtsinhabers dient524 • Sie ist auch rur das öffentliche Interesse von Bedeutung. Die Amtsbezeichnung macht den Verwaltungsaufbau rur die Öffentlichkeit transparent. Sie kennzeichnet nach außen die Bedeutung des Amtes unter Berücksichtigung des Amtsinhalts zur Unterscheidung 519 Unter Funktionsbezeichnungen faUen Bezeichnungen wie: Sachbearbeiter, Referent, Abteilungsleiter in Verbindung mit dem konkreten Tätigkeitsbereich. Vgl. dazu Wiese, Beamtenrecht, S. 219. 520
BVerfGE 38, I, 12; 62, 374,384; 64, 323, 352.
m BVerfGE 62, 374, 384; 64, 323, 352. 522 Vgl. BVerfGE 62, 374 ff. (Verfassungsbeschwerde deutscher Lehrer bezüglich der Amtsbezeichnung "Studienrat") sowie BVerfGE 64, 323 ff. (Verfassungsbeschwerde deutscher HochschuUehrer gegen die einheitliche Amtsbezeichnung "Professor"). 52J BVerfGE 62, 374, 383; 64, 323, 351. 524 BVerfGE 64, 323, 353.
118
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
von anderen Ämtern'2'. Aufgrund der Amtsbezeichnung kann der Bürger die Qualifikation und Kompetenz des Beamten ersehen, sobald er mit einer Behörde in Kontakt tritt. Die Transparenz des Ämtergeftiges ermöglicht es dem Bürger, sein Verhalten entsprechend einzurichten. Dies ist vor allem für den Rechtsschutz und die Kontrollmöglichkeiten von Bedeutung526 • Erst die Amtsbezeichnung bringt deutlich zum Ausdruck, ob sich der Bürger einem Angestellten im öffentlichen Dienst oder einem Beamten, der in ein besonderes Treueverhältnis eingebunden ist, gegenübersieht527 • Die Schutzwürdigkeit des Öffentlichkeitsbezugs ist ein Gebot der Rechtssicherheit und der Rechtsstaatlichkeit528 • Nicht jede Amtsbezeichnung wird dem Leistungsprinzip gerecht. Das Gericht ist in seiner Rechtsprechung um die Entwicklung von Kategorien bemüht, die diese Vermittlung zwischen Amtsbezeichnung und Leistungsprinzip plausibel machen. Es verlangt ftir die Umsetzung des Leistungsgrundsatzes als Strukturmerkmal des öffentlichen Dienstes eine angemessene Amtsbezeichnung. Der Begriff des ,,Angemessenen" bedarf einer weiteren inhaltlichen Ausdeutung. Das Gericht sieht eine Amtsbezeichnung immer dann als angemessen an, wenn sie eine wirklichkeitsgerechte Aussage trifft529 • Eine Amtsbezeichnung ist wirklichkeitsgerecht im Sinne der Rechtsprechung, sobald sie im Ralunen des Möglichen die Stellung des Amtes im Ämtergeftige entsprechend der vom Amtsinhaber geforderten Befähigung und fachlichen Leistung aufzeigt5Jo • Damit hat das Gericht den Bogen zum Leistungsprinzip geschlossen. Ob die Amtsbezeichnung diese Bedingung der Wirklichkeitsgerechtigkeit erftillt, ist an Hand ihrer Doppelfunktion für den individuellen Amtsträger und das öffentliche Interesse zu beurteilen. Das Leistungsprinzip setzt an der Kennzeichnung des individuellen Amtsträgers an. Es bildet die Bewertungsgrundlage ftir eine aussagekräftige Amtsbezeichnung, die die Bedingung der Wirklichkeitsgerechtigkeit erftillt. Die Amtsbezeichnung muß in doppelter Hinsicht sowohl bezüglich des konkreten Amtsträgers, als auch gegenüber der Öffentlichkeit deutlich machen, wo das Amt von seiner Funktion und Bedeutung her im Ämtergefüge der Verwaltung einzugruppieren ist. Eine allgemeine Nivellierung der Amtsbezeichnungen ist rur den Gesetzgeber verfassungsrechtlich unmöglich. Der über Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verankerte Leistungsgrundsatz errichtet eine nicht überm BVerfGE 62, 374, 383 f.; 64, 323, 353.
52~ Leisner, Amtsbezeichnungen als Gebot der Rechtsstaatlichkeit, DÖV 1973, 145 ff.,
147 f.
m Leisner, Amtsbezeichnungen als Gebot der Rechtsstaatlichkeit, DÖV 1973, 145 ff., 147 f.
52~ Vgl. dazu bereits Leisner, Amtsbezeichnungen als Gebot der Rechtsstaatlichkeit, DÖV 1973, 145 ff. 529 BVerfGE 62, 374, 383 f.; 64, 323, 353. 530
BVerfGE 62, 374, 384; 64, 323, 351 f.
11. Leistungsprinzip und Berufsbeamtenturn
119
schreitbare Grenze bei der Neuordnung des öffentlichen Dienstes und seines Ämtergefüges. Daraus ergibt sich keine Fixierung der einmal eingeführten Amtsbezeichnungen. Das Bundesverfassungsgericht relativiert das subjektive Recht des einzelnen Beamten auf eine angemessene Amtsbezeichnung ebenso wie im Rahmen der amtsangemessenen BesoldungS31 • Der hergebrachte Grundsatz des öffentlichen Dienstes auf eine angemessene Amtsbezeichnung erstreckt sich weder auf die Änderungsfestigkeit einer bereits verliehenen Amtsbezeichnung, noch auf den Schutz vor der Einführung neuer Bezeichnungenm . Das Leistungsprinzip setzt dem Gesetzgeber aHein durch das Gebot der Wirklichkeitsgerechtigkeit der Aussagekraft Grenzen für die Änderung einzelner Bezeichnungen. Solange die Neuregelung die Stel\ung des Amtes im Ämtergefüge hinreichend deutlich zum Ausdruck zu bringen vermag, hat der Gesetzgeber einen Gestaltungsfreiraum. 3. Leistung und angemessenes Ruhegehalt Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat kein anderes Feld des Beamtenrechts so weit ausgeformt wie den Bereich der Beamtenversorgung. Die Festsetzung des angemessenen Ruhegehalts zeigt eine analoge Problematik zum Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Rechtspositionen. Die Rechtsprechung zu bei den Bereichen steht unter wechselseitiger Beeinflussung. Nach Auffassung des Gerichts steHt Art. 33 Abs. 5 GG für die Besoldung und das Ruhegehalt eine Sonderregelung gegenüber Art. 14 GG dar, die diesen im Wege der Spezialität verdrängtm. Aufgrund der strukturellen Affinitäten der Problematik sind die zu Art. 14 GG entwickelten Maßstäbe der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Anwendung des Art. 33 Abs. 5 GG zugrundezulegens34 • Die Spezialität des Art. 33 Abs. 5 GG beschränkt sich auf die Berufsbeamten. Der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab für alle weiteren Be531 LecheIer, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 370, spricht hinsichtlich der Beamtenbesoldung von einem Danaergeschenk des Bundesverfassungsgerichts.
m BVerfGE 38, I, 11 unter Hinweis auf die gegenüber Art. 129 Abs. I Satz 3 WRV veränderte Rechtslage unter dem Grundgesetz. 533 So die st. Rspr.: BVerfGE 3, 58, 153; 8, 332, 360; 16,94, 114 f.; 17, 337, 355; 38, I, 21; 52, 303, 344 f.; 76, 256, 294. Lediglich bereits entstandene Forderungen auf Geldleistungen können als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG zu interpretieren sein. Das Gericht (E 3, 58, 153 f.) hat diese Möglichkeit zwar angedeutet, aber offen gelassen. 534 So BVerfGE 16, 94, 112 f. zu der Abgrenzung zwischen dem unentziehbaren verfassungsrechtlich garantierten Kernbestand des Individualanspruches auf standesgemäßen Unterhalt und der gesetzgeberischen Dispositionsfreiheit.
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3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
schäftigten im öffentlichen Dienst bleibt weiterhin die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG 535 • Das angemessene Ruhegehalt des Beamten gehört ebenso wie die amtsangemessene Besoldung systematisch zur Alimentation. Es bildet einen Spezialfall. Besoldung und Versorgung haben ihre gemeinsame Wurzel im Beamtenverhältnis und müssen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit der Dienstverpflichtung und der Dienstleistung des Beamten gesehen werden5J6 • Das Leistungsprinzip verlangt als Strukturmerkmal des Berufsbeamtentums eine Berechnung der Versorgungs bezüge auf der Grundlage des zuletzt ausgeübten Amtes 537 • Das Gericht betont, daß es sich nicht um Grundsätze des Versorgungsrechts handele, sondern um Prinzipien, auf denen die Institution des Berufsbeamtentums ruhe. Es hat zuvörderst das Leistungsprinzip in seinen Auswirkungen auf die objektiv-rechtliche Dimension des Art. 33 Abs. 5 GG als Institut im Blick. Daraus ergeben sich dieselben Grundsätze wie bei der amtsangemessenen Besoldung. Auch im Rahmen der Beamtenversorgung stellt das Gericht auf die Funktion des Berufsbeamtentums ab, einen ausgleichenden Faktor innerhalb der politischen Kräfte zu bilden. Die Sicherung dieser Funktion erfordert seine wirtschaftliche und rechtliche Unabhängigkeit. Diese gewährleisten die Prinzipien des Beamtenversorgungssystems 53R • Ebenso wie bei der amtsangemessenen Besoldung berühren sich die beiden Perspektiven des institutionalisierten Ämtergefüges mit der grundrechtsgleichen Individualrechtsposition in Art. 33 Abs. 5 GG. Während bei der amtsangemessenen Besoldung die Sicherung der Funktion des Berufsbeamtentums im Vordergrund steht, zeigt sich in der Versorgung eine Parallele zum Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen: Maßgeblich ist die individuelle Leistung oder die Arbeit des Beamten. Das betrifft das grundrechtsgleiche Individualrecht des Beamten aus Art. 33 Abs. 5 GG. Die Annahme eines gemeinsamen Berührungspunktes sowie einer strukturellen Analogie zwischen Art. 14 Abs. I GG und Art. 33 Abs. 5 GG erscheint für die Altersversorgung auf der Grundlage der Sozialstaatsklausel fraglich. Die Haltung des Zweiten Senats ist uneinheitlich 539 • Das betrifft die Frage, ob die m BVerfGE 16,94, 110 f. 5."
BVerfGE 21, 329, 344; 61, 43, 56 f.
m BVerfGE 11, 203, 216. m Zur Beamtenversorgung: BVerfGE 11,203,216 f.; 21, 329, 345, 350; 37, 167, 179; 39, 196,201; 44, 249, 265. m Zu dieser mehrdeutigen Haltung des BVerfG zu dem Verhältnis von Alimentation und Sozialstaatsprinzip bereits Lecheier, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 372.
H. Leistungsprinzip und Berufsbeamtenturn
121
Unterhaltsverpflichtung des Dienstherrn gegenüber dem Ruhestandsbeamten einschließlich seiner versorgungsberechtigten Familienangehörigen eine Form der Sozialleistung darstellt. In dem Beschluß zum Hamburgischen Beamtengesetz vom 11. April 1967 wendet sich der Zweite Senat gegen eine Zuordnung der hergebrachten Grundsätze der angemessenen Alimentation im Sinne einer Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips aus Art. 20 und 28 GG 540 • In einer Vorlage der konkreten Normenkontrolle stand die Verknüpfung der Witwerversorgung mit bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen zur Überprüfung. Das Gericht sieht die gemeinsame Wurzel der Besoldung sowie der Versorgung des Beamten und seiner Familie in der Dienstverpflichtung und der Dienstleistung. Dem Beamten stehe, wenn auch nicht hinsichtlich der ziffernmäßigen Höhe, so doch hinsichtlich des Kernbestandes seines Anspruchs auf standesgemäßen Unterhalt ein durch seine Dienstleistung erworbenes Recht zu, das durch Art. 33 Abs. 5 GG ebenso gesichert sei wie das Eigentum durch Art. 14 GG 541 • Als Grundlage dieses Anspruchs verweist das Gericht auf die Pflicht des Beamten, seine ganze Persönlichkeit flir den Dienstherrn einzusetzen und seine volle Arbeitskraft zur Verfligung zu stellen 542 • Zuvor hatte derselbe Senat in seinem früheren Beschluß zur Anrechnung von Rententeilen auf die Versorgungsbezüge vom 21. April 1964 die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums als Konkretisierung der Sozialstaatsklausel gekennzeichnet543 • Diese Grundsätze sichern, daß die Besoldung und Versorgung der Beamten den Mindestanforderungen genügen, die sich aus dem Sozialstaatsprinzip der Verfassung ergeben544 • In seiner Begründung stützt sich der Zweite Senat auf den Beschluß des Ersten Senats zur Besoldungsänderung vom 11. Juni 1958. Nach diesem Beschluß sind die einzelnen hergebrachten Grundsätze in ihrer Bedeutung flir die Institution des Berufsbeamtenturns in einer rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zu würdigen 545 • Daraus kann jedoch nicht auf ein Verhältnis der Konkretisierung zwischen Sozialstaat und einzelnen Grundsätzen im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG geschlossen werden. In dem späteren Beschluß zum Familienlastenausgleich vom 30. März 1977 differenziert der Zweite Senat erneut zwischen Alimentation und staatlichen Sozialleistungen 546 • Die Alimentation des Beamten und seiner Familie wird als etwas anderes und eindeutigeres als die Erhaltung eines Mindeststandards sozialer Sicherung qualifiziert547 • Der Zweite Senat greift in dem 540
BVerfGE 21, 329, 344.
541
BVerfGE 21, 329, 344.
542
BVerfGE 21, 329, 344 f. unter Verweis auf BVerfGE 16, 94 ff.
543
BVerfGE 17, 337, 355.
544
BVerfGE 17, 337, 355.
545
BVerfGE 8, 1, 16.
54h
BVerfGE 44, 249, 264 f.
547
BVerfGE 44, 249, 264 f.
122
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
Beschluß zur Baden-Württembergischen Beihilfe vom 23. Juni 1981 548 die Entscheidung vom 21. April 1964549 erneut auf und fuhrt diese Rechtsprechung entgegen seiner früheren Rechtsprechung 550 weiter fort S51 • Kann im Sozialstaatsprinzip kein eindeutig gemeinsamer Anknüpfungspunkt rur den verfassungsrechtlichen Schutz der Renten und Versorgungsbezüge gefunden werden, so findet sich dieser in der Leistungsrechtsprechung zu Art. 14 Abs. I GG. Ebenso wie der Erste Senat in der dogmatischen Konstruktion verfassungsrechtlich geschützen Eigentums stellt der Zweite Senat bezüglich der Altersversorgung des Ruhestandsbeamten auf den individuellen Beitrag ab. Nach ständiger Rechtsprechung beruhen das Ruhegehalt und die Hinterbliebenenversorgung auf dem persönlichen Einsatz des Beamten, der aufgrund des persönlichen Dienst- und Treueverhältnisses seine ganze Persönlichkeit und Arbeitskraft in den Dienst des Staates stellt552 • Die Festsetzung der Altersversorgung erscheint trotz der besonderen Ausformung durch das Alimentationsprinzip, das nicht im Sinne einer Entlohnung verstanden werden darf, als Gegenleistung des Staates für erbrachte Dienste. Das Gericht spricht vom erdienten Ruhegehalt5S3 • Der Topos des "Erdienten" ist rur den verfassungsrechtlichen Schutz einzelner Besoldungs- und Versorgungsbezüge maßgeblich. Ebenso wie der Erste Senat zum Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen orientiert sich die Rechtsprechung des Zweiten Senats bezüglich der Beamtenversorgung an den Eckpfeilern des "Erdienten" einerseits sowie der Gewährung von Staatsleistungen aus sozialen Motiven auf der anderen SeiteS54 •
54R
BVerfGE 58, 68, 78 f.
549
BVerfGE 17, 337, 355.
550
BVerfGE 21, 329, 344.
551 Die Auffassung in der Literatur, Art. 33 Abs. 5 GG stelle für den Bereich der Beamtenbesoldung und Beamtenversorgung eine Konkretisierung der Sozialstaatsklausel dar, kann sich also nicht auf eine gefestigte Rechtsprechung stützen. So jedoch Wiese, Beamtenrecht, S. 182 f. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVerfG ordnet Wiese die Sicherung eines Mindeststandards der Besoldung und Versorgung durch die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums den Prinzipien des Sozial staats aus Art. 20 und 28 GG zu.
m BVerfGE 21, 329, 345, 350; 37, 167, 179; 44, 249, 265; 55,207,236 f.; 71,39, 60; zur besonderen personalen Bindung vgl. BVerfGE 79, 223, 231. m BVerfGE 21, 329, 345; 39,196,201. So beispielsweise zum Ortszuschlag, BVerfGE 49, 260, 272: "Einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf Erhaltung des Besitzstandes im Sinne unkürzbarer ,erdienter' Dienstbezüge gibt es nicht [ ... ]. Dies gilt insbesondere für die Bemessung des Ortszuschlags, des Teils der Beamtenbesoldung, der nur in gewissem Umfang nach ,leistungsbezogenen' Gesichtspunkten ausgerichtet ist, im übrigen aber vornehmlich von sozialen Komponenten bestimmt wird." 554
11. Leistungsprinzip und Berufsbeamtenturn
123
Ein strukturbedingter Unterschied besteht im Anknüpfungspunkt. Während die konkrete Berechnung der Beamtenversorgung an das zuletzt inngehabte Amt anknüpfen muß, ist dies beim Eigentumsschutz rentenrechtlicher EinzeIpositionen nicht möglich. Dieser unterliegt einem völlig anderen Prinzip 555. Eine Anknüpfung an das letzte Einkommen in der Wirtschaft würde die Kontingenz in der Entwicklung des privaten Wirtschafts- und EIWerbslebens in die Rentenberechnung und in den Umfang des leistungsvermittelten Eigentumsschutzes hineintragen. Daher ist bei der konkreten Rentenberechnung über die persönliche Bemessungsgrundlage und die anrechenbare Versicherungszeit des Rentenanwärters im Gegensatz zur beamtenrechtlichen Altersversorgung auf eine durchschnittliche Einkommensentwicklung während des Berufslebens abzustellen. Die Berücksichtigung des Erdienten und der darin enthaltene Persönlichkeitsbezug fuhrt im Gegensatz zur Eigentumsrechtsprechung nicht zu einem gestuften Schutz der einzelnen Rechtspositionen. Während in Art. 14 GG der Grad des leistungsvermittelten Individualbezugs als gleitender Maßstab die Schutzintensität mitbestimmt, errichtet das persönliche Element des Erdienten über Art. 33 Abs. 5 GG eine starre Grenze fur den Gesetzgeber. Die einzelne Leistung führt über den Topos des Erdienten zur Garantie eines festen Kembestandes 556 • Liegt die förmliche Anerkennung der fachlichen Leistung in Form einer Beförderung vor, so ist diese bis in die Zeit des Ruhestandes hinein zu beachten557 • Eine weitergehende Wirkung der Leistung wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht thematisiertS5R • Eine dem leistungsvermittelten Eigentumsschutz analoge Stufung in der Beamtenversorgung ergibt sich allenfalls über die vermittelnde Zwischenstufe des Ämtergefuges. Die am Amt orientierte Abstufung der angemessenen Beamtenbesoldung setzt sich in die Ruhestandszeit fort Ss9 • Der Leistungsgrundsatz bindet den Gesetzgeber bei der Festsetzung des Ruhegehalts an die Höhe des letzten Diensteinkommens 56o, da dieser die in der Beförderung des Beamten liegende förmliche Anerkennung seiner fachlichen m
Riifner, Beamtenversorgung und Sozialversicherung, S. 152.
556
BVerfGE 16, 94, 113; 21, 329, 344.
m
BVerfGE 76, 256, 324.
55R An eine weitere Parallele hinsichtlich eines gestuften Schutzes wäre vor allem deshalb zu denken gewesen, weil das Gericht im Zusammenhang mit dem Schutz der Beamtenversorgung das Verhältnis zwischen Art. 33 Abs. 5 GG und Art. 14 GG im Sinne der Spezialität interpretiert. So BVerfGE 3, 58, 153; 8, 332, 360; 16,94, 114 f.; 17,337,355; 38, 1,21; 52, 303, 344 f.; 76, 256, 294. Daneben werden die Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes, die nicht vom personalen Schutzbereich des Art. 33 Abs. 5 GG erfaßt werden, hinsichtlich ihrer über Art. 14 GG geschützten Versorgungsansprüche dennoch den spezielleren Maßstäben des Art. 33 Abs. 5 GG unterworfen, BVerfGE 16,94, 1\7; 44, 249, 281; 65,141,147; 76, 256, 294 f. 559 BVerfGE 76, 256, 324.
560
BVerfGE 21, 329, 345; 39, 196, 20\.
124
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
Leistung bis in den Ruhestand hinein nicht nur zu berücksichtigen, sondern zu beachten hat561 • Das Leistungsprinzip mündet in den Grundsatz auf amtsgemäße Versorgung 562 • Dem Amt fällt die Bedeutung eines Leistungsindikators zu. Das Gericht begründet dies mit dem engen Zusammenhang von Versorgung und Besoldung während der aktiven Dienstzeit563 • Vor dem Hintergrund des Leistungsprinzips wirkt die im Amt enthaltene Anerkennung der Leistung in die Zeit des Ruhestandes hinein. Obwohl der Anspruch sich auf eine Sicherung des Kernbestandes richtet, beinhaltet er keine Änderungsfestigkeit der bestehenden Versorgungsregelungen, insbesondere keine Garantie einer unverminderten Höhe der Versorgungsbezüge 564 • Das subjektive Recht aus Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistet einen der Höhe nach variablen Anspruch, so daß die Anrechnung anderweitiger Einkünfte auf einzelne Versorgungsbezüge möglich ist565 • Der Gesetzgeber ist ebenso frei wie im Rahmen der Besoldungsfestsetzung, sofern er den standesgemäßen Unterhalt des Beamten nicht beeinträchtigt566 •
4. Die leistungsgemäße Förderung des Beamten Die Förderung des Beamten durch seinen Dienstherrn ist Ausdruck des persönlichen Dienst- und Treueverhältnisses zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn. Dieses Verhältnis begründet eine besondere Fürsorgepflicht für den Staat gegenüber der Gruppe seiner Berufsbeamten. Die Fürsorgepflicht bildet als hergebrachter Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG das komplementäre Korrelat zur verfassungsrechtlichen Treuepflicht des Beamten567 • Der Fürsorgeanspruch ist selten Gegenstand der Verfassungsrechtsprechung gewesen 568 • Als Satz des objektiven Rechts wendet er sich mit einem Regelungsauftrag an den Gesetzgeber. Gleichzeitig errichtet er eine Regelungsgrenze. Aufgrund der extensiven Interpretation enthält Art. 33 Abs. 5 GG ein subjektives Recht des einzelnen Beamten auf Fürsorge durch den Dienstherrn569 • Der Inhalt dieser 5hl
BVerfGE 61, 43, 58.
5h2
BVerfGE 61, 43,58.
5M
BVerfGE 76, 256, 324.
5M
BVerfGE 8, 1, 12 ff.; 18, 159, 166 f.; 70, 69, 79; 76, 256, 3\0.
5~5 BVerfGE
17,337,355; 32, 157, 166; 46, 97, \07; 76,256,298.
SM
BVerfGE 3, 288, 342; 11,203,215; 16,94, 115; 76, 256, 3\0 ff.
Sh7
BVerfGE 8, 332, 356 f.; 43, 154, 165.
8, 332, 356; 9, 268, 286 f.; 19,76,85; 43, 154, 167. Auch die einzelnen Gutachten im Bericht der Studienkommission für die Refonn des öffentlichen Dienstrechts von 1973 berücksichtigen den allgemeinen Fürsorgeanspruch und seine Bindungswirkung für den Gesetzgeber nur marginal. Sh9 BVerfGE 43, 154, 167. Demgegenüber zieht die Rechtsprechung des BVerwG noch den allgemeinen Gleichheitssatz zur Begründung eines individuellen Anspruchs des Beamten heran, BVerwGE 41, 253, 258 f. 5~R Vgl. BVerfGE
11. Leistungsprinzip und Berufsbeamtenturn
125
Fürsorgepflicht läßt sich nach der Rechtsprechung nicht im einzelnen fixieren, sondern nur für den Einzelfall konkretisieren 570 • Diese durch Verfassungsauslegung gewonnenen Einzelergebnisse bedürfen nicht mehr den Nachweis eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums m . Die einzelnen Konkretisierungen der staatlichen Fürsorgepflicht bilden den verfassungsrechtlichen Prüfungsrahmen für die beamtenrechtlichen Einzelakte des Dienstherrn 572 • Die Fürsorgepflicht gewinnt über Art. 33 Abs. 5 GG Verfassungsrang, soweit sie Bestandteil der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums ist m . Die Grundlage bildet nicht das Leistungsprinzip, da die staatliche Fürsorgepflicht als eigener Grundsatz in der Rechtsprechung anerkannt ist 574 • Jedoch wirken das Leistungsprinzip und die staatliche Fürsorgepflicht zusammen. In seinem Fürsorgebeschluß hat das Bundesverfassungsgericht in einer paradigmatischen Auflistung einzelner Fürsorgepflichten die verfassungsrechtliche Pflicht des Dienstherrn zur Förderung des Beamten entsprechend seiner persönlichen Eignung und Leistung herausgestelltm. Die Grundsätze des Leistungsprinzips bilden den Ausgangspunkt. Aus diesem Zusammenwirken bei der Grundsätze ergibt sich insbesondere die Pflicht des Dienstherrn, dem Beamten die Möglichkeit einer dienstlichen Aus- und Fortbildung zu eröffnen. Zu diesem Zweck ist der Besuch von Veranstaltungen zur fachlichen Weiterbildung zu fördern 576 und die Entfaltung der Leistungsfähigkeit zu unterstützen. Dies ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Leistungsprinzips um so dringlicher, als Vor- und Ausbildung, die bei der Einstellung auf der Grundlage des Art. 33 Abs. 2 GG als Eignung, Befähigung und fachliche Leistung berücksichtigt werden, innerhalb der Laufbahn mit der Zeit an Bedeutung verlieren. Dadurch kommt der Weiterbildung innerhalb des Aufstiegssystems eine erhöhte Bedeutung zum, denn der Aufstieg im Wege der Beförderung ist ebenfalls von dem verfassungsrechtlich 570 BVerfGE 43, 154, 165 f. Dies folgt bereits aus dem generalklauselartigen Charakter der Fürsorgepflicht. 571 So die Mehrheit in BVerfGE 43, 154, 165 f., 168. Dieses Verfahren zur Bestimmung konkreter Sätze im Einzelfall wird im Minderheitenvotum aufgrund seiner konstruktiven Unklarheiten und der ausufernden Tendenz hinsichtlich der über Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich geschützter Grundsätze kritisiert, BVerfGE 43, 154, 177 ff., 188.
m Lecheier, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 377.
m BVerfGE 46, 97, 117. Damit wird das weite Ergebnis aus dem Fürsorgebeschluß, BVerfGE 43, 154 ff. wieder etwas relativiert. 574
BVerfGE 8, 332, 356 f.; 43, 154, 165.
m BVerfGE 43, 154, 165. j76
Wiese, Beamtenrecht, S. 175.
mAchterherg, Das Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst, DVBI. 1977,541 ff., 545.
126
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
garantierten Leistungsprinzip des Art. 33 Abs. 2 GG erfaßt57R • Das Leistungsprinzip wird durch das Lautbahnprinzip im öffentlichen Dienst überlagert. Das Lautbahnprinzip dient einer rationalen leistungsgemäßen Entwicklung des öffentlichen Dienstes, so daß die leistungsgesteuerte Selektion die Möglichkeit der Fort- und Weiterbildung voraussetzt. Die Fort- und Weiterbildung eröffnet gleichzeitig Aufstiegschancen. Die künftige Beförderung stellt einen wesentlichen Leistungsanreiz rur qualifizierte Beamte dar und dient der Effektivitätssteigerung im öffentlichen Dienst. Dies gilt vor allem rur die gewandelten Anforderungen, die an die staatliche Verwaltungstätigkeit gestellt werden. Die Erfüllung neuer Aufgaben verlangt ein fortlaufend qualifiziertes Beamtentum.
III. Das Leistungsprinzip in der Normstruktur des Art. 33 GG 1. Das Leistungsprinzip als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums Das Bundesverfassungsgericht rechnet die Leistung und das Leistungsprinzip zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Diese Rechtsprechung ist gerade fiir das Leistungsprinzip nicht unproblematisch. Der Begriff der hergebrachten Grundsätze ist unbestimmt. Das betrim den erforderlichen Zeitraum. Die Entwicklung des Leistungsprinzips ist das Ergebnis eines vielschichtigen Prozesses, der sich aus verfassungs- und sozial geschichtlichen, ethischen und rechtsphilosophischen Faktoren zusammensetzt. Das trifft nicht minder auf die Entwicklung des Berufsbeamtentums zu, das die Verfassung mit dem Leistungsprinzip verknüpft. Das Gericht bezieht die Leistung und das Leistungsprinzip in eine funktionale Argumentation ein. Das läßt den historischen Kontext ebenso wie den Begriff der "Grundsätze" mehrdeutig erscheinen. Das Gericht hat den Begriff der "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" aus Art. 33 Abs. 5 GG näher erläutert und zu präzisieren versucht. Zwei Grundannahmen sind für die weitere Entwicklung der Rechtsprechung von Bedeutung. Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes grenzt das Gericht die Grundsätze des Berufsbeamtentums in einer historischen Argumentation von der verfassungsrechtlichen Garantie der wohlerworbenen Rechte 57R Ganz h.M.; vgl. Maunz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 33 Rn. 18; Wind / Schimana / Wallerius, Öffentliches Dienstrecht, S. 13; Scheerbarth / HöfJken / Bauschke / Schmidt, Beamtenrecht, S. 79 f.; A.A. Wenger, Leistungsanreize flir Beamte, S. 80; kritisch hierzu Battis, Berufsbeamtentum und Leistungsprinzip, ZBR 1996, 193 ff., 195. Z.T. wird die leistungsgemäße BefOrderung nach Art. 33 Abs. 2 GG als besonderer Leistungsgrundsatz aufgefaßt, s. etwa Neeße, Der Leistungsgrundsatz im öffentlichen Dienst, S. 51.
III. Das Leistungsprinzip in der Normstruktur des Art. 33 GG
127
der Beamten, wie sie Art. 129 Abs. I Satz 3, Abs. 4 WRV vorsah, ab m . Die Weimarer Reichsverfassung faßte unter den wohlerworbenen Rechten der Beamten die aus dem Beamtenverhältnis selbst entstandenen Rechte. Das sind diejenigen Rechte, die aus dem Verhältnis des Beamten zum Staat als seinem Dienstherrn innerhalb des Dienstverhältnisses entstanden sind580 • Das Gericht wendet sich gegen eine allzu strikte Anlehnung an die Regelungen der Weimarer Reichsverfassung. Es möchte den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum aus Art. 33 Abs. 5 GG nicht zu weit einengen. Das Regelungsziel des Art. 33 GG besteht nicht in der nahtlosen Übernahme des öffentlichen Dienstes, wie er unter der Weimarer Reichsverfassung geregelt war. Das Gericht ist bestrebt, die Elastizität des öffentlichen Dienstes und vor allem des Berufsbeamtenturns zu bewahren. Daraus ergibt sich eine einschränkende Interpretation des Art. 33 GG. Es soll die Möglichkeit erhalten bleiben, die Ausgestaltung des Berufsbeamtenturns im einzelnen den veränderten Erfordernissen unter der Verfassung des Grundgesetzes anzupassen 581 • Neben dem Bestreben, die Elastizität des öffentlichen Dienstes zu erhalten, stellt das Gericht auf die Funktion des Berufsbeamtenturns ab. Das Berufsbeamtenturn als Institut wurde im Grundgesetz nicht im Interesse des einzelnen Beamten und seiner Rechtsstellung, sondern im Interesse der Allgemeinheit und um des Staates willen verfassungsrechtlich ausgeformt5R2 • Dem Berufsbeamtenturn fällt innerhalb einer freiheitlichen, rechts- und sozialstaatlichen Demokratie die Aufgabe zu, eine stabile Verwaltung zu sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften zu bilden583 • Vor diesem Hintergrund qualifiziert das Gericht den Begriff der "hergebrachten Grundsätze" als einen Kernbestand an Strukturprinzipien, der über einen längeren Zeitraum als verbindlich anerkannt und gewahrt wurde 584 • Die erforderliche Länge des Zeitraums als einem konstruktiven Begriffselement wird an Hand seines Traditionen bildenden Charakters bemessen. Das Gericht knüpft an die Interpretation der Institution des Berufsbeamtenturns an. Diese kann als Institution erst aus der zeitlichen Perspektive sachgerecht beurteilt werden 5X5 • BVerfGE 3, 58, 137. 580 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 129 Anm. 3. Im übrigen waren Umfang und Inhalt der wohlerworbenen Rechte unter der WRV umstritten. 581 BVerfGE 3, 58, 137 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Art. 33 Abs. 5 GG; ferner BVerfGE 8, 332, 343; 64, 323, 351. 582 BVerfGE 3, 58, 137; 8, I, 11 f., 8, 332, 343 (st. Rspr.). 581 BVerfGE 7, 155, 162 f.; 8, I, 16. 584 So die Festlegung in BVerfGE 8, 332, 343. m Leche/er, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns" in der Recht579
128
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
Das Mindestmaß bildet der Kanon an Strukturprinzipien, der bereits unter der Weimarer Reichsverfassung verbindlich anerkannt und gewahrt worden ist5R6 • Das sind insbesondere die Pflicht zu Treue und Gehorsam gegenüber dem Dienstherrn, die Pflicht zur unparteiischen Amtsführung, die fachliche Vorbildung, die hauptberufliche Tätigkeit, die lebenslange Anstellung, der Rechtsanspruch auf Gehalt, das Ruhegehalt sowie die Witwen- und Waisenversorgung 587 • Beachtet worden sind diese Grundsätze innerhalb dieses Zeitraumes dann, wenn sie Teil der Verfassungswirklichkeit sind. Die Verfassungswirklichkeit zeigt sich an der zu beobachtenden Gesetzgebungspraxis58R • Der Zeitraum der Weimarer Reichsverfassung ist nicht der allein maßgebliche. So stellt das Gericht an anderer Stelle für den erforderlichen Zeitraum zur Ausbildung eines hergebrachten Grundsatzes auf die sechzig Jahre vor 1933 ab 589 • Es scheint offenbar an das Reichsbeamtengesetz vom 31.3.1873 590 anzuknüpfen 591 • Die in diesem Gesetz aufgelisteten Rechte der Reichsbeamten gaben die Grundlage für die weitere Entwicklung der Beamtengesetzgebung. Zur Konkretisierung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG knüpft die Verfassungsdogmatik an das Verzeichnis der Rechte und Pflichten des Beamten im Reichsbeamtengesetz regelmäßig an 592 • Zwei weitere Entscheidungen stellen auf die beamtenrechtlichen Regelungen des Deutschen Reichs und Preußens in der Zeit nach 1871 ab 59J • Für den Grundsatz der gesetzlich bestimmten Richterbesoldung greift das Gericht auf die geschichtliche Entwicklung seit 1860 zurück594 • Das Gericht hat sich hinsichtlich des Beginns des traditionenbegründenden Zeitraumes nicht festgelegt. Jedenfalls räumt es der Zeit seit Inkrafttreten des Grundgesetzes keine traditionenbildende Kraft ein595 • sprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 353. 5R~ BVerfGE 8, 332, 343; 62, 374, 382 f. (st. Rspr.). 5K7
BVerfGE 9, 268, 286.
SRR
BVerfGE 8, 332, 349.
SR9
BVerfGE 38, I, 11.
500 Reichsgesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31.3.1873, RGBI. S. 61.
591
Maunz, in: Maunz! Dürig, Grundgesetz, Art. 33 Rn. 55.
sn Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III, S. 971. 59)
BVerfGE 11, 203, 210 f.
594
BVerfGE 12,81,89.
LecheIer, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 353. Nach anderer Ansicht ist dieser Zeitraum ausreichend: Mayer, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns" - eine angemessene Verfassungsantwort auf die gesellschaftliche Herausforderung?, S. 99 Fn. 6, unter Hinweis auf die Geltungsdauer des Grundgesetzes im Vergleich zur Weimarer Verfassung. 595
III. Das Leistungsprinzip in der Normstruktur des Art. 33 GG
129
Nicht alle beamtenrechtlichen Regelungen, die sich in der Folgezeit entwikkelt haben, sind als hergebrachte Grundsätze anzusehen 596 • Das Gericht spricht von Strukturprinzipien. Für die Annahme eines Strukturprinzips reicht allein der Nachweis seiner Überlieferung im Rahmen des geforderten Mindestzeitraums nicht aus. Das Gericht zieht den Bereich der hergebrachten Grundsätze enger als die wohl erworbenen Rechte der Beamten, wie sie unter der Weimarer Reichsverfassung geschützt waren 597 • Es spricht von einem Kembereich oder Kernbestand an Regeln grundsätzlicher Art598 • Entscheidender Maßstab ist die Bedeutung der zu qualifizierenden Regelung rur die Institution des Berufsbeamtenturns generell599 • Sie muß einen das Bild des Berufsbeamtenturn prägenden Charakter haben und für das Wesen der Institution von Bedeutung sein6°O. Das Wesen der Institution des Berufsbeamtentums sieht das Gericht gegründet auf Sachwissen, fachlicher Leistung und loyaler Pflichterfüllung60' • Die nähere Bestimmung geschieht über seine Funktion im Verfassungsleben602 • Das Gericht bezieht sich auf den Gedanken, daß der moderne, auf Pluralität angelegte Parteienstaat eines stabilisierenden Gegengewichts bedarf, welches in einem sachorientierten, politisch neutralem Berufsbeamtenturn besteht603 . Dieses Verfahren zur Bestimmung eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtenturns bildet den Hintergrund zur Qualifizierung des Leistungsprinzips als Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG. Das Verfahren ist nicht unproblematisch. Es bleibt vage und unbestimmt. Für die Konkretisierung im Einzelfall fehlen klare dogmatisch Maßstäbe. Diese sind von Bedeutung. Das Gericht differenziert in der Anwendung der einzelnen ennittelten Grundsätze zwischen dem Grundsatz im allgemeinen und dem Grundsatz im besonderen. Diese Unterscheidung hat Konsequenzen. Der Grundsatz im allgemeinen bedarf des Nachweises des Hergebrachten, während dieser Nachweis fur den Grundsatz 596 Eine Übersicht der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Grundsätze bei Leche/er, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 354 ff.; ders., Der öffentliche Dienst, Rn. 50 ff. 591 Leche/er, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 353 Fn. 23. 59R BVerfGE 62, 374, 383; 71, 255, 268. 599
BVerfGE 11,203,215.
MO
BVerfGE 11,203,216; 43, 242, 278; 52, 303, 335; 56, 146, 162 (st. Rspr.).
601
BVerfGE 7, 155, 162; 39, 334, 358.
602
BVerfGE 7, 155, 162; 8,1, 16.
Forsthoff, Verfassungsrechtliche Prolegomena zu Art. 33 Abs. 5 GG, DÖV 1951, 460 ff., bezeichnet diesen Gedanken als ein Jahrzehnte altes Gemeingut der Staatsrechtslehre. I>())
9 Malinka
130
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
im besonderen entfällt604 • Dahinter steht derselbe Gedanke, der bereits der restriktiven Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG im Hinblick auf die Regelung der Weimarer Reichsverfassung zugrunde lag. Diese Auslegung der hergebrachten Grundsätze soll den einzelnen Grundsatz für künftige Veränderungen elastisch halten 605 • Das Minderheitenvotum des Fürsorgebeschlusses kritisiert diese konstruktiven Unklarheiten 606 • Diese hätten zur Folge, daß letztlich jeder Rechtssatz des einfachen Beamtenrechts, der einen allgemeinen Grundsatz konkretisiere, zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG zu rechnen wäre und damit in Verfassungsrang gehoben würde607 • Nach Auffassung der dissentierenden Richter ist für die Annahme eines hergebrachten Grundsatzes eine dreistufige Überprüfung notwendig: Die Geltung des konkreten Rechtssatzes des Beamtenrechts, auf die sich die Entscheidung stützt, muß historisch erwiesen sein. Der Verfassungsgeber muß die Fortgeltung dieses Rechts über Art. 33 Abs. 5 GG angeordnet haben. Der Inhalt des hergebrachten Grundsatzes muß mit dem Grundgesetz vereinbar sein. Aufgrund dieser dogmatischen Vorgaben wäre nun hinsichtlich des Leistungsprinzips als eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG entweder eine Überprüfung seines hergebrachten Charakters als allgemeiner Grundsatz oder seine Qualifizierung als besonderer Grundsatz zu erwarten gewesen. Als besonderer Grundsatz wäre der Nachweis des Hergebrachten entbehrlich. Das Gericht schlägt weder den einen, noch den anderen Weg ein. Die Begründung des Leistungsprinzips als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ist bemerkenswert. Das Gericht betreibt einen wesentlich geringeren Begründungsaufwand als beim hergebrachten Charakter anderer Grundsätze 608 • Das herkömmliche Wesen dieses Grundsatzes scheint dem Gericht unproblematisch. Die an sich erforderliche Überprüfung seines traditionalen Gehalts als überkommener Grundsatz erschöpft sich in aller Regel im schlichten Hinweis, daß das Prinzip zu den hergebrachten Grundsätzen zähle609 • Eine Überprüfung findet nicht statt. Die Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG ersetzt nicht den BVerfGE 43, 154, 168. 605 BVerfGE 43, 154, 168. BVerfGE 43, 154, 177 ff. 607 BVerfGE 43, 154, 188. 60K Vgl. dazu die ausführlichen Nachforschungen hinsichtlich des Grundsatzes der gesetzlichen Nonnierung der Richterbesoldung als Bestandteil der richterlichen Unabhängigkeit, BVerfGE 12,81, 88 ff. 6()Q Besonders deutlich BVerfGE 56, 146, 163: "Zu den die Institutionen des Berufsbeamtenturns seit jeher prägenden Grundsätzen gehört allerdings der Leistungsgrundsatz [... unter Hinweis auf die bisherige st. Rspr., vgl. BVerfGE 11, 203, 216; 21, 329, '\04
f>(1(,
r
345; 38, I, 12; 39, 196,201; 44, 249, 265.
Ill. Das Leistungsprinzip in der Normstruktur des Art. 33 GG
13 I
erforderlichen Nachweis. Der Art. 33 Abs. 2 ordnet die Geltung des Leistungsprinzips ausdrücklich an und hebt es in Verfassungsrang. Er regelt jedoch nur einen Ausschnitt des öffentlichen Dienstes, nämlich Berufung und Beförderung. Insoweit bleibt das Gericht am Wortlaut des Verfassungstextes und verweist lediglich im Zusammenhang der Einstellung auf Art. 33 Abs. 2 GG. Im übrigen wird das Leistungsprinzip ausdrücklich dem Nonnbereich des Art. 33 Abs. 5 GG im Sinne eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums zugewiesen6lO • In dieser Eigenschaft beeinflußt es die Besoldung und Versorgung des Beamten sowie die Fürsorgepflicht des Dienstherrn und die Amtsbezeichnung. Für diese Anwendungsfelder ist in Konsequenz der Rechtsprechung nach dem Fürsorgebeschluß611 eine Überprüfung der geschichtlichen Legitimation dieses Grundsatzes erforderlich. Der erforderliche Nachweis des Zeitfaktors "hergebracht" kann auch nicht durch die Regelung des Art. 128 Abs. I WRV geführt werden, die das Leistungsprinzip ausdrücklich aufgenommen hat. Zwar setzt das Gericht bekanntlich den traditionenbildenden Zeitraum mindestens ab der Weimarer Reichsverfassung an. Jedoch regelt der Art. 128 Abs. I WRV ebenso wie Art. 33 Abs. 2 GG allein die Zugangsfrage und erfaßt allenfalls die Beförderung innerhalb des öffentlichen Dienstes, nicht die Grundsätze des öffentlichen Dienstes generell. Der Nachweis des Hergebrachten wäre entsprechend den im Fürsorgebeschluß612 aufgestellten Grundsätzen entbehrlich, wenn es sich bei dem Leistungsprinzip um einen besonderen Grundsatz handeln würde. Dies wäre dann der Fall, wenn sich das Leistungsprinzip als eine durch Auslegung gewonnene Konkretisierung eines anderen hergebrachten Grundsatzes darstellen würde. Das widerspricht der grundlegenden Bedeutung, die das Gericht gerade dem Leistungsprinzip beimißt. Es bildet die Grundlage der Beamtenbesoldung und Versorgung, verpflichtet den Dienstherrn zur leistungsgerechten Fürsorge durch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und steuert die wirklichkeitsgerechte Amtsbezeichnung. Als selbständiger Grundsatz steht es in keinem Ableitungszusammenhang eines anderen Grundsatzes. In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, der Nachweis des Leistungsprinzips als eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums sei ganz genereW 13 oder durch die Aufnahme des Leistungsprinzips in Art. 33 610
Vgl. BVerfGE 56, 146, 163.
611
BVerfGE 43, 154 ff.
m
BVerfGE 43, 154, 168.
m So konnte Krüger (Das Leistungsprinzip als Verfassungsgrundsatz, S. 9) in einer der ersten Auseinandersetzungen mit dem Leistungsprinzip im Beamtenrecht unter dem Grundgesetz bereits 1957 formulieren: "Es bedarf keines Beweises dafür, daß das Leistungsprinzip zu den ,hergebrachten Grundsätzen' des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. V GG gehört, ja, ich würde es sogar zur, verfassungsmäßigen Ordnung' im Sinne der Art. 2 und 20 rechnen."
132
3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
Abs. 2 GG entbehrlich614 • Auf der Basis des Verfassungstextes kann diese Interpretation nicht überzeugen. Die Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG ist als selbständige Normierung aufzufassen. Sie regelt einen eigenen Gegenstandsbereich. Aus der systematischen Stellung des Leistungsprinzips in Art. 33 GG und seinem Bezug zum Recht des öffentlichen Dienstes folgt noch nicht sein Charakter als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns. Dies zeigt sich an der unterschiedlichen normativen Struktur der Absätze 2 und 5 des Art. 33 GG. Aus der Tatsache, daß das Leistungsprinzip über das grundrechtsgleiche Recht des Art. 33 Abs. 2 GG hinsichtlich des Zugangs zu öffentlichen Ämtern als subjektives Recht aufgrund der Bindung des Art. lAbs. 3 GG strikte Beachtung gebietet, folgt noch nicht sein Charakter als ein hergebrachtes Strukturprinzip im Sinne der Grundsätze, wie sie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht tUr Art. 33 Abs. 5 GG entwickelt hat. Die Geltung des Leistungsprinzips müßte vielmehr entsprechend den vom Gericht aufgestellten Grundsätzen entweder historisch erwiesen und in der Gesetzgebungspraxis zu beobachten sein oder sich als Konkretisierung eines hergebrachten Grundsatzes darstellen. Auf der Grundlage des Minderheitenvotums müßte es zunächst im einfachen Recht aufzusuchen sein, in einem weiteren Schritt seine Geltung als anerkannter und bewahrter Grundsatz der Verfassungswirklichkeit herausgestellt werden und der solchermaßen gewonnene Grundsatz schließlich daraufhin befragt werden, ob der Verfassungsgeber diesen Grundsatz als allgemeinen Grundsatz, losgelöst von der Frage des Zugangs oder der Beförderung, als Strukturprinzip des Berufsbeamtenturns in Geltung setzen wollte. Statt dessen begründet die Rechtsprechung die Geltung des Leistungsprinzips mit Hilfe einer reinen Folgenabschätzung. Aus der drohenden Instabilität tUr den modernen Verfassungsstaat, soUte dieser Grundsatz nicht berücksichtigt werden, schließt das Gericht auf seinen Charakter als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums 615 • Diese Begründung steht im Widerspruch zu dem sonstigen Begründungsverfahren eines hergebrachten Grundsatzes. Seine Bedeutung tUr 614 So Ule, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Refonn des öffentlichen Dienstrechts, S. 507 unter Hinweis auf Art. 128 WRV, der sich jedoch ebenfalls nur auf die Zugangsfrage beschränkt, undeutlich dagegen Maunz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 33 Rn. 74. 61S BVerfGE 56, 146, 164 zur Besoldung bei Berufsrichtern: "Mit dem herkömmlichen Rechtszustand wäre es unvereinbar, wenn der Besoldungsgesetzgeber im Rahmen einer Neuregelung die förmliche Beförderung eines Beamten oder die Berufung eines Richters in ein herausgehobenes, höherwertiges Amt ignorieren würde oder gar rückgängig machte. Eine solche Eingriffsmöglichkeit wäre geeignet, die Grundlage für die im Interesse des Staates und der Allgemeinheit zu fordernde Unabhängigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung (vgl. Art. 97 GG) in Frage zu stellen." Auch hier wird im Kern von einem Eingriff ausgegangen. Eingegriffen werden kann aber erst, wenn eine Rechtsposition überhaupt besteht und damit eingriffsfahig ist. Diese Rechtsposition ist über den Begriff der "hergebrachten Grundsätze" erst zu konstituieren.
III. Das Leistungsprinzip in der Normstruktur des Art. 33 GG
133
die Funktion des Berufsbeamtenturns im modemen Verfassungsstaat, sein Charakter als Strukturprinzip 616, kann den Nachweis des Hergebrachten nicht ersetzen. Die Verfassung verlangt klar ein zeitliches Element. Das Gericht bleibt bei der funktionalen Betrachtungsweise stehen. Die Wahrung des Leistungsprinzips ist erforderlich, damit die Verwaltung ihre Rolle als ausgleichender Faktor im politischen Wechselspiel gegenüber den politischen Kräften wahrnehmen kann. Das Leistungsprinzip steht neben weiteren Bedingungen, die rur die Funktionsfähigkeit der Verwaltung von Bedeutung sind. Sie knüpfen im Zusammenspiel mit dem Leistungsgrundsatz an die Unabhängigkeit des Beamten an 6l7 • Das Gericht bleibt den Nachweis schuldig, daß es sich bei dem Leistungsprinzip um einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtenturns im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG handelt, der die dazu erforderlichen Strukturen des "Hergebrachten", also Überlieferung und Gesetzgebungspraxis, aufweist. Es setzt seine historische Geltung als unbestritten voraus oder stützt sich auf einen stillschweigenden Konsens. Dadurch verliert das Leistungsprinzip als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns seinen historischen Kontext, der gerade das Berufsbeamtenturn als Institut kennzeichnet. Neben dem Verlust an begrifflicher Klarheit verlagert diese Ablösung des historischen Kontextes die Bedeutung des Leistungsprinzips im Gegensatz zu anderen hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtenturns auf eine rein funktionale Ebene. Das Leistungsprinzip wird so in einem stärkeren Maße auf die Ausgestaltung des Berufsbeamtenturns unter dem Grundgesetz bezogen.
2. Leistung, öffentliches Amt und Berufsbeamtenturn a) Der Anwendungsbereich des Leistungsprinzips
Das Verhältnis des Leistungsprinzips in Art. 33 Abs. 2 GG zu Art. 33 Abs. 5 GG ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schillernd. Diese Unklarheiten setzen sich in der Literatur fort. Das Leistungsprinzip in Art. 33 Abs. 2 GG wird als ein den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtenturns übergeordnetes Prinzip618, als besondere Ausprägung619 oder als Teilaspekt620 des 616 In der Entscheidung vom 5.7.1983 hat der 2. Senat des BVerfG (E 64. 367. 385) dies für die Bedeutung der Unabhängigkeit des Beamten dargelegt. Der Leistungsgrundsatz trage durch seine bewahrende, auf den Schutz der erdienten Statusrechte ausgerichtete Komponente Wesentliches zur Garantie der Unabhängigkeit der Beamten bei und sichere damit die Funktionsfähigkeit der Institution des Beamtenturns. 617 Zu den einzelnen Bedingungen Zippelius, Die Rolle der Bürokratie im pluralistischen Staat, S. 221 ff.; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 367, der die Hauptberuflichkeit. die Ernennung auf Lebenszeit sowie die angemessene Besoldung und Versorgung dazu rechnet. 61K Hack, Das Leistungsprinzip, Sp. 955.
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3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
Leistungsprinzips im Sinne eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtenturns des Art. 33 Abs. 5 GG aufgefaßt. Seine Eigenständigkeit als gesondertes Prinzip wird in Frage gestellt. Im Gegensatz dazu weisen die beiden Absätze des Art. 33 GG einen unterschiedlichen Gehalt in ihrem Anwendungsbereich und ihrer normativen Struktur auf. Sie verleihen dem jeweiligen Leistungsprinzip einen eigenständigen Charakter. Der Regelungsgehalt des Art. 33 Abs. 2 GG erfaßt den Zugang zu öffentlichen Ämtern und bindet diesen an die Beachtung des Leistungsprinzips. Dagegen spricht Art. 33 Abs. 5 GG vom öffentlichen Dienst überhaupt. Er urnfaßt das Dienstverhältnis bezogen auf die Institution des öffentlichen Dienstes insgesamt. Der Art. 33 Abs. 2 GG regelt mit dem Recht auf Zugang einen Ausschnitt des öffentlichen Dienstes. Er öffnet diesen Zugang allen Deutschen. Die Verpflichtung aus Art. 33 Abs. 5 GG zur Berücksichtigung des Leistungsprinzips in seiner Form als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns besitzt einen engeren personalen Anwendungsbereich. Er bezieht sich auf solche Personen, die in einem öffentlichen Dienst- und Treueverhältnis im Sinne des Art. 33 Abs. 4 GG stehen, also Berufsbeamten und Berufsrichter621 • Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Anwendung dieser Grundsätze über Art. 131 GG bereits früh auf weitere Berufsgruppen erweitert. Diese Erweiterung stellt eine Ausnahme dar, die sich aus dem Gedanken der Gleichbehandlung herleitet. Sie betrifft Berufsgruppen, die unter der Weimarer Reichsverfassung von den Regelungen des Beamtenverhältnisses erfaßt wurden622 • Die Erweiterung ist temporärer Natur, so daß nicht von einer grundsätzlichen Ausdehnung des Anwendungsbereichs gesprochen werden kann. Der Begriff der hergebrachten Grundsätze des 619
Maunz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 33 Rn. 74.
So Ule, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Refonn des öffentlichen Dienstrechts, S.507. "20
621 Den Umfang der unmittelbaren Geltung des Art. 33 Abs. 5 GG schränkt die Rechtsprechung zunächst auf die Berufsbeamten ein, BVerfGE 16,94, 110 f. Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst scheiden danach aus dem Regelungsbereich des Art. 33 Abs. 5 GG aus. Seine Anwendung auf andere Gruppen im öffentlichen Dienst ist schwankend. So wird das Rechtsverhältnis der Soldaten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von Art. 33 Abs. 5 GG nicht erfaßt (BVerfGE 3, 288, 289; 16,94, 110), wohl aber die Stellung der Berufsrichter (BVerfGE 12, 81, 87; 15,298, 302). "22 BVerfGE 3, 288, 334 f. zu den ehemaligen Angehörigen der Wehnnacht. Das Gericht stellt klar, daß die Gruppe der Berufssoldaten grundsätzlich nicht von der Regelung des Art. 33 Abs. 5 GG erfaßt wird. Jedoch sind die Berufgsruppen, die unter der Weimarer Reichsverfassung von den Regelungen des öffentlichen Dienstes erfaßt wurden, als ehemalige Angehörige des öffentlichen Dienstes bei einer Regelung nach Art. 131 GG grundsätzlich gleich zu behandeln, so daß für die Gruppe der ehemaligen Wehnnachtsangehörigen die Grundsätze des Art. 33 Abs. 5 GG als Maßstab mit heranzuziehen sind.
III. Das Leistungsprinzip in der Normstruktur des Art. 33 GG
135
Berufsbeamtenturns dient der weiteren Einschränkung des Begriffsverständnisses des öffentlichen Dienstes auf das Bild des Berufsbeamten62}. Im Gegensatz dazu ist der Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG durch den Begriff des öffentlichen Amtes weiter gefaßt. Der Begriff des öffentlichen Amtes, auf den sich das Leistungsprinzip in Art. 33 Abs. 2 GG bezieht, ist ein eigenständiger Begriffund grundsätzlich weiter, als die Begriffe des öffentlichen Dienstes und des Berufsbeamtenturns. Beides wird von dem Begriffsinhalt "öffentliches Amt" des Art. 33 Abs. 2 GG mitumfaßt. Der Begriff des "öffentlichen Amtes" im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG lehnt sich an Art. 128 Abs. I WRV an. Er umgreift sämtliche Bereiche in Staat, Gemeinden und sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, in denen hoheitliche Staatsfunktionen ausgeübt werden, gleichgültig, ob diese Tätigkeiten ehrenamtlich oder hauptberuflich zur Deckung der Erwerbsgrundlage wahrgenommen werden 62 \ ob es sich um die Ausübung hoheitlicher Befugnisse oder um schlichte Verwaltungstätigkeit handelt625 • Die Verfassung dehnt den Anwendungsbereich des Leistungsprinzips hinsichtlich des Berufsbildes "öffentliches Amt" im Verhältnis zum öffentlichen Dienst von einem engeren Bezugspunkt auf einen breiteren aus. Obwohl das verfassungsrechtliche Leistungsprinzip des Art. 33 GG in zwei unterschiedliche Normbereiche Eingang gefunden hat, ergeben sich Überschneidungen. Dies betrifft die Einstellung und Beförderung im öffentlichen Dienst. Die Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG mit seinem besonderen Zugangserfordernis der Leistung greift in den Bereich des öffentlichen Dienstes des Art. 33 Abs. 5 GG über. Allein an dieser Stelle ist es berechtigt, den Normbereich des Art. 33 Abs. 2 als Teilaspekt des Art. 33 Abs. 5 GG aufzufassen. Indes darf diese Sicht nicht verabsolutiert werden. Beide Leistungsbegriffe sind auf unterschiedliche Anwendungsfelder bezogen. Sie beinhalten unterschiedliche Funktionen, die bei einer undifferenzierten Betrachtungsweise aus dem Blick geraten. Das Leistungsprinzip des Art. 33 Abs. 2 GG enthält keinen Regelungsvorbehalt, während das Leistungsprinzip als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns zu seiner Wirksamkeit der einfachgesetzlichen Ausformung bedarf. Die Konse62J Vgl. BVerfGE 16,94, 110 f. Damit werden Arbeiter und Angestellt im öffentlichen Dienst nicht von Art. 33 Abs. 5 GG erfaßt. Hinsichtlich weiterer Gruppen ist der Anwendungsbereich in der Rechtsprechung offen, vgl. BVerfGE 15, 298, 302: "Es [das Gericht] hat weiter die institutionelle Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG dahin interpretiert, daß sie auch die hergebrachte Stellung besonderer Gruppen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes, wie z.B. Richter, umfaßt." Allerdings gehören zu dieser Gruppe der Berufsbeamten auch die kommunalen Wahlbeamten, BVerfGE 7, 155, 163 f., sowie die auf Widerruf eingegangenen Beamtenverhältnisse, BVerfGE 39, 344, 355. Jedoch besteht ein weiter Regelungsspielraum sowie eine differenzierte Anwendung einzelner Grundsätze. 624 So bereits für die WRV Anschüfz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 128 Anm. 7. 625
Maunz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz Art. 33 Rn. 12.
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3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
quenz zeigt sich in den unterschiedlichen Anforderungen, die an die legitime Eingrenzung des Leistungsprinzips zu stellen sind. Der Anwendungsbereich des Leistungsprinzips aus Art. 33 Abs. 2 GG läßt sich allenfalls auf der Ebene kollidierenden Verfassungsrechts regeln. Dem Gesetzgeber ist dies in Art. 33 Abs. 5 GG auf der unterverfassungsrechtlichen Ebene möglich. Der Art. 33 Abs. 2 GG errichtet eine deutlich höhere Barriere, die sich als Konsequenz aus der unterschiedlichen normativen Struktur der Absätze 2 und 5 des Art. 33 GG darstellt. Das Leistungsprinzip genießt als Differenzierungskriterium des Zugangs zu öffentlichen Ämtern eine stärkere Absicherung und Stabilität. b) Das Leistungsprinzip als Grundlage subjektiver Rechte
Die im Verhältnis zu Art. 33 Abs. 2 GG andersartige Struktur der Regelung des Art. 33 Abs. 5 GG zeigt sich besonders deutlich, sobald sie auf ihren individualschützenden Gehalt befragt wird. Der Art. 33 Abs. 2 GG bringt das subjektive Recht auf Gleichheit in klassischer Weise zum Ausdruck. Der Wortlaut des Art. 33 Abs. 5 GG stellt bei unbefangener Lektüre eine verfassungsrechtlich gebotene Handlungspflicht für normsetzende Hoheitsträger626 auf. Die angeordnete Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums bildet ein vorgegebenes Regelungsprogramm, in dessen Rahmen sich die Gestaltungsfreiheit artikulieren kann. Dieser Rahmen bildet den Prüfungsmaßstab für die im einzelnen getroffenen Regelungen. Demgemäß wird der Art. 33 Abs. 5 GG in der Literatur zum Teil allein als Satz des objektiven Rechts ohne jeglichen subjektivrechtlichen Gehalt verstanden627 • Die nähere Ausgestaltung und konkrete Rechtsstellung des Beamten bleibt dem Gesetzgeber überlassen. Von dieser Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG geht auch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich aus. Für das Verhältnis von Art. 33 Abs. 2 GG zu Art. 33 Abs. 5 GG würde das bedeuten, daß der Beamte im öffentlichen Dienst allein bei der Einstellung und vor allem der Beförderung ein verfassungsrechtlich abgesichertes subjektives Recht besitzt. Im übrigen wäre er darauf angewiesen, daß der Gesetzgeber seine verfassungsrechtlichen Handlungspflichten aus Art. 33 Abs. 5 GG erftillt. 626 In der Regel wird hier von einer Handlungspflicht des Gesetzgebers gesprochen. Dies erscheint ungenau, da Art. 33 Abs. 5 GG grundsätzlich alle diejenigen staatlichen Bereiche in die Pflicht nimmt, die auf die Regelung des öffentlichen Dienstes Einfluß nehmen, beispielsweise auch den Verordnungsgeber. Darauf weist das Bundesverfassungsgericht hin, BVerfGE 11, 299, 303 f.; 43, 177, 178 (Minderheitenvotum): Hier ist umstritten, wie weit die Bindung reicht, ob also auch behördliche Einzelfallentscheidungen unmittelbar an hand des Art. 33 Abs. 5 GG zu überprüfen sind. Davon zu trennen ist die Frage, weIche Bereiche aufgrund des Parlamentsvorbehalts gesetzlich geregelt werden müssen. 627
Ule, Öffentlicher Dienst, S. 565 ff.
III. Das Leistungsprinzip in der Nonnstruktur des Art. 33 GG
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Das Gericht ist bei dieser Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG nicht stehengeblieben. Es hat den Wortlaut der Verfassung verlassen628 und die RechtssteIlung des Beamten mit Hilfe einer extensiven Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG um ein subjektives Recht erweitert. Die Frage nach dem subjektivrechtlichen Gehalt des Art. 33 Abs. 5 GG wurde zunächst offengelassen. Dies bedurfte keiner abschließenden Klärung, da die verfassungsrechtliche Überprüfung einzelner Grundsätze an Hand des Art. 33 Abs. 5 GG bereits durch andere Grundrechte, verbunden mit dem Grundsatz der umfassenden Prüfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, eingeleitet worden war629 • Das Gericht hat seine anfängliche Zurückhaltung alsbald aufgegeben und den Regelungsbereich des Art. 33 Abs. 5 GG um ein grundrechtsähnliches Individualrecht erweitert630 • Die Begründung verweist auf die Eigenart des beamtenrechtlichen Rechtsverhältnisses631 • Darin erscheint der Beamte im Hinblick auf die Durchsetzung seiner Berufsinteressen, insbesondere seiner vermögensrechtlichen Interessen, dem Dienstherrn ohne die Annahme eines qualifizierten Schutzes ausgeliefert. Das Mittel kollektiver wirtschaftlicher Kampfmaßnahmen sei dem Beamten versagt, ebenso wie es an sonstigen Einflußmöglichkeiten im Rahmen des bestehenden Dienst- und Treueverhältnisses ermangele 632 • So gesehen bliebe ihm nichts, als in der gegebenen Rechtsposition zu verharren, im Vertrauen darauf, daß der Gesetzgeber seiner Regelungsverpftichtung aus Art. 33 Abs. 5 GG nachkommt. Diese Stellung weist das Gericht mit rechts- und sozialstaatlichen Argumenten als unbefriedigend zurück. Vielmehr muß dem Betroffenen nach Auffassung des Gerichts ein den Mindestanforderungen des Gesetzgebers komplementäres Recht zur Durchsetzung seiner Interessen eingeräumt werden 633 • Das Gericht entnimmt dem Grundgesetz ein immanentes Prinzip des verstärkten Individualrechtsschutzes634 • Im Fürsorgebeschluß wird diese Interpretation aus der allgemeinen Tendenz heraus begründet, den verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen der Bürger und hier insbesondere den Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten eine möglichst große Wirkkraft zu verleihen 635 • Die 62R BVerfGE 43, 154, 167: "Über diesen dem Wortlaut zu entnehmenden Gehalt des Art. 33 Abs. 5 GG sind Lehre und Rechtsprechung längst hinausgegangen [ ... ]." 629
So noch zurückhaltend BVerfGE 3, 58, 136; 3, 288, 333; 4, 205, 210.
6)0
BVerfGE 8, I, 17; 12,81,87.
6)1
BVerfGE 8, I, 17; 12,81,87.
632
BVerfGE 8, I, 17; 12,81,87.
63) BVerfGE 8, I, 17; 12,81,87. Zur Kritik dieser weiten Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG vgl. Leche/er, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 361 f. 634 BVerfGE 8, I, 17 f. 6); BVerfGE 43, 154, 167. Kritisch zu diesem Auslegungsprinzip Rottmann, Der Beamte als Staatsbürger, S. 20, der darauf hinweist, daß dieses Auslegungsprinzip weitere Auslegungsprinzipien wie die grammatische und genetische Interpretation verdrängt.
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3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
extensive Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG rechtfertigt das Gericht methodisch mit der Aufgabe der Verfassungsrechtsprechung, die unterschiedlichen Funktionen einer Verfassungsnorm allererst zu erschließen636 • Der Beamte besitzt danach ein subjektives Recht auf Beachtung des Leistungsprinzips. Dies drückt sich im Anspruch auf leistungsgerechte Alimentierung, leistungsgerechte Förderung und eine leistungsgerechte Amtsbezeichnung aus. Diese Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG ist dogmatisch fragwürdig. Allein das Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit des Beamten durch die Regelungen des öffentlichen Dienstes vermag ein subjektives Recht nicht zu begründen. In dieser Dimension ist jeder in einer Rechtsordnung Lebende im Sinne eines Rechtsreflexes 637 betroffen. Das bezieht sich auf die Rechtsordnung insgesamt einschließlich der Regelung von Teilbereichen, die den institutionellen Teil eines Gesamtkomplexes ausformt. Die klassische Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht638 verlangt eine Norm, deren Regelungsprogramm auch dem Schutz des individuellen Interesses zu dienen bestimmt ist639 • Dieser herrschenden Ansicht folgt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Qualifizierung Ablehnend zum Interpretationsprinzip der Grundrechtseffektivität Müller, Juristische Methodik, S. 223 f. 636 BVerfGE 43, 154, 167 unter Bezugnahme auf BVerfGE 6, 55, 72. Damit stützt es sich im Kern aufseine Funktion als "Hüter der Verfassung", zu dieser Fonnulierung vgl. bereits BVerfGE 1, 184, 197,200; 17, 108, 118. Schon in BVerfGE 4,205,210 ist das Gericht von der Möglichkeit unterschiedlicher Funktionen des Art. 33 Abs. 5 ausgegangen, ohne diese zu vertiefen. 6.17 Jellinek (System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 67 ff.) hat die Differenzierung zwischen Reflexrecht und subjektivem Recht für das subjektive öffentliche Recht fruchtbar gemacht und damit auf eine Unterscheidung von Jhering zurückgegriffen; vgl. dazu von Jhering, Die Reflexwirkungen oder die Rückwirkung rechtlicher Tatsachen auf dritte Personen, JherJb. 10 (1871), 245 ff.
m Vgl. zur Entwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III / 1, S. 508 ff. 639 Diese sogenannte Schutznonnlehre geht auf Bühler (Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, S. 22) zurück, der das subjektive öffentliche Recht als die rechtliche Stellung des Untertanen zum Staat, "in der er aufgrund eines [ ... ] zwingenden, zum Schutze seiner Individualinteressen erlassenen Rechtssatzes, auf den er sich der Verwaltung gegenüber soll berufen können, vom Staat etwas verlangen kann oder ihm gegenüber etwas tun darf', definierte. Kritisch zu dieser Schutznonntheorie Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, S. 161 ff. Auch der Hinweis von Maunz (in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 33 Rn. 82) überzeugt nicht, man müsse die hinter der Organisation stehenden Menschen mitberücksichtigen, deshalb bestünden einzelne Grundsätze auch zu Gunsten des einzelnen Beamten. Es ist vielmehr nach der Qualität dieser Begünstigung zu fragen, d.h. ob sie gerade dem individuellen Interesse des einzelnen Beamten zu dienen bestimmt ist.
III. Das Leistungsprinzip in der Normstruktur des Art. 33 GG
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eines Rechtssatzes als eines subjektiven öffentlichen Rechts640 • Wenn diese Feststellung für die Qualifizierung subjektiver Rechte ganz allgemein zutrifft, so hat sich die Rechtsprechung hinsichtlich der Kriterien zur Qualifizierung des subjektivrechtlichen Gehalts einer Verfassungsbestimmung bisher nicht festgelegt. Eine Begründung für die Annahme eines subjektivrechtlichen Gehalts, etwa im Sinne der Schutznonntheorie, wird in aller Regel nicht gegeben. Sie wird allein durch den Hinweis auf die tatsächliche Begünstigungswirkung ersetzt641 • Dies sowie die Tatsache, daß das Gericht die Schutznonntheorie seiner Qualifizierung subjektiver öffentlicher Rechte zugrunde legt, läßt den Schluß zu, daß die Rechtsprechung dieses Verfahren auch der Ausdeutung des subjektivrechtlichen Charakters einzelner Verfassungsbestimmungen zugrunde legt642 • Jedenfalls fehlt eine d~zidiert gegenteilige Äußerung. Im Qegensatz zu diesem Verfahren hat die Rechtsprechung regelmäßig hervorgehoben, daß das Instituts des Berufsbeamtenturns und vor allem die Orientierung an den hergebrachten Grundsätzen nicht dem Interesse des einzelnen Beamten, sondern der Allgemeinheit diene. Die Nennung des Art. 33 GG in der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. I Nr. 4a GG kann die erweiterte Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG um ein subjektives Recht ebenfalls nicht stützen. Art. 33 Abs. 2 GG enthält ein subjektives (Gleichheits-)Recht, und es ist grundsätzlich von einem getrennten Schutzbereich der Absätze 2 und 5 des Art. 33 GG auszugehen. Zusätzlich bedarf die Begründung des subjektiven Gehalts in Art. 33 Abs. 5 GG über den Gedanken einer Kompensation der weiteren Rechtfertigung dieses Kompensationserfordernisses64J • Die weitergehenden Fragen, weIche Anforderungen an ein Kompensationserfordernis zur Begründung eines subjektiven Rechts zu stellen sind oder weIche objektivrechtlichen Nonngehalte geeignet sind, subjektive Rechte zu begründen644 , insbesondere wie weit diese Kompensation reichen kann, bleiben im dunkeln. Dieses BegründungsMO SO BVerfGE 27, 297, 307; 31, 364,369; 46, 214, 220 f.; 51, 193,212; 54, 341, 356; 57, 9, 26. MI Vgl. dazu die Zusammenstellung bei Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III 11, S. 541 m. Fn. 280, 542 f.
M! In diesem Sinne ist auch die Abstützung der Argumentation bezüglich des subjektivrechtlichen Gehalts des Art. 33 Abs. 5 GG unter Hinweis auf das dem Grundgesetz immanente Prinzip des verstärkten Individualrechtsschutzes in BVerfGE 8, I, 17 f. zu verstehen. 1>43 Lecheler, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 361 f. Das Argument der Kompensation trat auch in der Entscheidung zum vorgezogenen Altersruhegeld für Frauen auf und sollte die Durchbrechung des Diskrimierungsverbotes nach Art. 3 Abs. 3 GG rechtfertigen, BVerfGE 74, 163 ff. Es wurde in dieser Entscheidung jedoch nicht isoliert verwandt, sondern aus schutzbereichsstrukturellen Überlegungen zusätzlich gerechtfertigt. 644 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III / I, S. 544.
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3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
defizit kann nicht alleine durch den Hinweis auf die Optimierung einzelner subjektiver (Grund-)Rechte ersetzt werden. Das Argument ist für die Begründung des subjektivrechtlichen Gehalts des Art. 33 Abs. 5 GG wenig überzeugend. Es enthält einen Zirkelschluß. Die besondere Effektivität gründet sich bereits auf eine Rechtsposition des Bürgers645 • Diese wird in dem Effektivitätsargument implizit vorausgesetzt. Das Argument wäre sonst sinnlos, da es nichts zu effektivieren gäbe. Das Gericht zieht dieses Argument jedoch zur Schaffung einer Rechtsposition heran. Der Art. 33 Abs. 5 GG schützt das Institut des Berufsbeamtenturns im Interesse der Allgemeinheit. Das Effektivitätsargument soll die Erweiterung der Normstruktur des Art. 33 Abs. 5 GG um die Dimension eines subjektiven Rechts rechtfertigen. Trotz dieser dogmatischen Schwierigkeiten tendiert die mittlerweile überwiegende Auffassung in der Literatur dahin, die Möglichkeit einer Ableitung subjektiver Rechte aus institutionellen Garantien, wie dem Berufsbeamtenturn des Art. 33 Abs. 5 GG, anzunehmen646 • Als Konsequenz dieser erweiternden Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG können die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums und auch das Leistungsprinzip Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte sein. Es ergeben sich abgesehen von den genannten normstrukturellen Begründungsproblemen weitere Unsicherheiten mit der Identifizierung des subjektivrechtlichen Gehalts einzelner von Art. 33 Abs. 5 GG erfaßter Rechtspositionen. In diesem Zusammenhang ist eine Differenzierung von Bedeutung, die die Rechtsprechung in den Begriff der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns eingezogen hat. Das subjektive Recht des Beamten aus Art. 33 Abs. 5 GG soll jedenfalls dort entstehen, wo ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns nicht nur zu berücksichtigen, sondern zu beachten ist647 • Diese Differenzierung wurde in der Literatur häufig gerügt648 • Der Wortlaut des Art. 33 Abs. 5 GG bietet keinen Anknüpfungspunkt. Sie scheint dem System der Gesetzesbindung fremd, die in Art. 20 Abs. 3 GG ihren Ausdruck 1>45
BVerfGE 43, 154, 167.
Vgl. dazu Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 270; ders .• Bd. III / I, S. 874 f. m.w.N .• der das Problem nicht mehr in der Ableitung subjektiver Rechte aus Einrichtungsgarantien sieht, sondern in der Festlegung ihres Inhalts und Umfanges. In diese Richtung ist auch die Auffassung von Maunz (in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 33 Rn. 82) zu verstehen. 64f>
1>47 BVerfGE 3, 58, 127; 7,155,162; 8, I, 16; 12,81,87 (st. Rspr.). Ablehnend Ule, Öffentlicher Dienst, S. 566.
1>4~ Maunz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 33 Rn. 58; Lecheier, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 363 f.; von Münch, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Refonn des öffentlichen Dienstrechts, S. 103; Schick, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Refonn des öffentlichen Dienstrechts, S. 204 ff.
III. Das Leistungsprinzip in der Normstruktur des Art. 33 GG
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gefunden hat. Der Verfassungstext spricht einheitlich von der Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze. Weicht der Gesetzgeber von hergebrachten Regelungen ab, ist dies entweder über eine Interpretation des Begriffs des "Grundsatzes" im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG möglich, da dieser allein fundamentale Prinzipien umfaßt, oder durch eine harmonisierende Interpretation der Grundsätze über kollidierendes Verfassungsrecht. Das Gericht sieht jedoch in der Bestimmung zwei qualitativ unterschiedliche Klassen von Grundsätzen angelegt, die mit einer unterschiedlichen Bindungsintensität ausgestattet sind. Unter "berücksichtigen" wird eine Bindung verstanden, die dem Gesetzgeber einen Spielraum zur Fortentwicklung des Beamtenrechts belassen soll64Q. Mit dem Begriff des "beachten" soll eine intensivere Bindung an die entwickelten Grundsätze einher gehen 650 • Das Gericht argumentiert aus der Funktion des Berufsbeamtenturns im modernen Verfassungsstaat. Maßstab rur die qualitativ gestufte Bindung des Gesetzgebers ist die Bedeutung des einzelnen Grundsatzes rur die Institution des Berufsbearntentums in der freiheitlichen, rechts- und sozial staatlichen Demokratie. Je nach seiner funktionalen Relevanz soll sich das Ausmaß der Bindung des Gesetzgebers zeigen 65l • Das Gericht hält diese Differenzierung nicht konsequent durch. Diese Begriffe werden öfter synonym gebraucht652 • In keinem einzigen Fall hat das Gericht einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtenturns angenommen, der nur zu berücksichtigen statt zu beachten gewesen wäre653 • Es liegt in der Konsequenz dieser Rechtsprechung, daß alle als hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtenturns identifizierten Rechtssätze zu beachten sind. Sie weisen zugleich einen subjektivrechtlichen Gehalt auf. Das trifft auch auf das Leistungsprinzip in Gestalt eines Grundsatzes im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG zu. Die Erweiterung des Art. 33 Abs. 5 GG um subjektive Rechte hat zur Folge, daß die speziell auf die subjektiven (Grund-)Rechte zugeschnittene Bindung des Art. lAbs. 3 GG greift: Sie ruhrt zu einer Erweiterung des Kreises der Normadressaten 654 • Es ist allgemein anerkannt, daß sich der Anwendungsbereich des 649
BVerfGE 3, 58, 137; 7, 155, 162.
BVerfGE 7, 155, 162: ,,[ ... ] nicht [ ... ] unter allen Umständen zu beachten, sondern nur [ ... ] zu berücksichtigen." MO
651 BVerfGE 8, 1, 16; 11, 203, 215; 43, 242,278; 44, 249, 273; 52, 303, 336; 56, 146, 162; 64, 367, 379.
M2 So BVerfGE 8, 1, 16 f.: ,,[ ... ] Grundsatz [ ... ] ist als ,hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums' bei der Regelung des öffentlichen Dienstes zu berücksichtigen [ ... ]." und ,,[ ... ] als ein besonders wesentlicher ,hergebrachter Grundsatz' anzusehen ist, zu dessen Beachtung der Gesetzgeber verpflichtet ist"; vgl. auch BVerfGE 56, 146, 162. 653 Diese Feststellung von Lecheler, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 (1978), 349 ff., 363 f. trifft auch heute noch zu. 654 Rottmann, Der Beamte als Staatsbürger, S. 21.
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3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
Art. lAbs. 3 GG nicht nur auf die Grundrechte im formellen Sinne des I. Abschnitts des Grundgesetzes, sondern auf sämtliche grundrechtsgleichen Rechte bezieht~55. So erfaßt der Art. lAbs. 3 GG die von der Rechtsprechung entwikkelten grundrechtsgleichen Rechte des Art. 33 Abs. 5 GG. Aufgrund dieser universalen Grundrechtsbindung kann die Differenzierung zwischen zu beachtenden und zu berücksichtigenden Grundsätzen keine Anwendung finden. Die Regelung des Art. lAbs. 3 GG gebietet eine strikte Grundrechtsbindung. Sie läßt keinen Raum für eine dogmatische Differenzierung zwischen Grundrechten im strengen Sinne mit aktueller Geltung und grundrechtsgleichen Rechtsgrundsätzen, die erst einer aktualisierenden Umsetzung bedürfen, wie dies für die Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung diskutiert wurde656 • Eine Differenzierung zwischen formellen Grundrechten des I. Abschnitts und grundrechtsgleichen Rechten ist ebensowenig möglich wie eine Differenzierung zwischen zu beachtenden und zu berücksichtigenden Grundsätzen. Diese Unterscheidung kann nicht in den Bereich des grundrechtsgleichen subjektiven Rechts hineinragen. Die Rechtsprechung ist konsequent, wenn sie klarstellt, daß mit der Formulierung "grundrechtsähnliches Individualrecht"657 in Art. 33 Abs. 5 GG kein Grundrecht zweiten Ranges gemeint ist. Es handelt sich um vollwertige Rechtspositionen, die den klassischen Grundrechten gleichgestellt sind. Sie können mit dem Institut der Verfassungsbeschwerde durchgesetzt werden 658 . Das subjektive (Grundrecht-)Recht aus Art. 33 Abs. 5 GG steht gleichberechtigt neben den weiteren Regelungsgehalten der Norm 659 • Das Gericht geht den eingeschlagenen Weg einer extensiven Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG konsequent fort660 • 655
Statt vieler Diirig, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 3 Abs. I Rn. 92.
S. dazu Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 505 ff., 514; Thoma, in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. I, S. I ff. Diese Differenzierung wurde von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings in einem anderen Zusammenhang aufgegriffen und bildete dort den Ausgangspunkt zum Auslegungsprinzip der Grundrechtseffektivität, vgl. BVerfGE 6,55, 72. Dieses Auslegungsprinzp diente schließlich zur Begründung des subjektivrechtlichen Gehalts des Art. 33 Abs. 5 GG. 656
657 Die Tenninologie ist schwankend. In späteren Entscheidungen ist von "grundrechtsgleichen" subjektiven Ansprüchen des Beamten aus Art. 33 Abs. 5 GG die Rede; vgl. BVerfGE 43, 154, 167. 65R BVerfGE 8, I, 14, 16 ff.; 12,81,87.
659
So deutlich BVerfGE 43, 154, 167 f.
660 Der Auffassung von Lecheler (Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR 103 [1978], 349 ff., 360 Fn. 90), der in dieser Rechtsprechung einen Widerspruch sieht, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr ist festzustellen, daß das Gericht die Frage nach dem subjektiven Gehalt zunächst offengelassen hat, sich dann dafür entschieden hat und nun die dogmatischen Konsequenzen aus der Qualifikation des Art. 33 Abs. 5 GG als grundrechtsgleichem Recht zieht. Kritisch zu dieser mit BVerfGE 8, I ff.
1II. Das Leistungsprinzip in der Normstruktur des Art. 33 GG
143
Der Art. 33 Abs. 5 GG enthält die gleiche Doppelstruktur wie der Art. 33 Abs. 2 GG, da er neben seinem objektivrechtlichen Gehalt zusätzlich eine über den Wortlaut hinausweisende subjektivrechtliche Dimension aufweist. Die Folge dieser Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG ist die entsprechende Anwendung des Art. 1 Abs. 3 GG auf die "grundrechtsähnlichen Individualrechte", die den Kreis der aus Art. 33 Abs. 5 GG verpflichteten Normadressaten erweitert60' . Neben den normsetzenden Hoheitsträgern, die aus dem Regelungsauftrag verpflichtet sind, treten sämtliche Träger hoheitlicher Gewalt, die über Art. I Abs. 3 GG gebunden werden. Das hat die weitere Konsequenz, daß sich gleichzeitig die Bindung an das objektivrechtliche Regelungsprogramm des Art. 33 Abs. 5 GG erweitert. Die in Art. lAbs. 3 GG angeordnete strikte Grundrechtsbindung bezieht sich auf die öffentliche Gewalt insgesamt, also auch auf die Verwaltung und damit im Kern auf Einzelfallentscheidungen. Während die Regelung des Art. 33 Abs. 5 GG ursprünglich einen Rahmen fiir die Regelung des Berufsbeamtentums abgeben sollte, werden in Konsequenz dieser Rechtsprechung alle Einzelfallentscheidungen der Legitimitätsprüfung des Art. 33 Abs. 5 GG und den darin enthaltenen hergebrachten Grundsätzen unterworfen662 • Dies gilt vor allem fiir das Leistungsprinzip, das als Basis der subjektiven Rechte des Beamten den Prüfungsmaßstab bildet. Die Rechtsprechung erweitert den Schutzumfang des grundrechtsgleichen subjektiven Rechts aus Art. 33 Abs. 5 GG. Während in früheren Entscheidungen der Anspruch auf die verfassungsrechtliche Überprüfung der gesetzlichen Grundlage der Einzelfallentscheidung gerichtet eingeleiteten Entwicklung Wiese, Beamtenrecht, S. 23, der in dieser extensiven Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG das "Einfallstor für die Gruppeninteressen der Beamten" sieht. MI
Rot/mann, Der Beamte als Staatsbürger, S. 21.
Diese Konsequenz bildete die Grundlage der Kritik des Minderheitenvotums im Fürsorgebeschluß des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 43, 154, 177 ff. In ihrer abweichenden Meinung bestreiten die Richter den Charakter des Art. 33 Abs. 5 GG als PTÜfungsmaßstab für behördliche Einzelfallentscheidungen. Der Regelungsgehalt des Art. 33 Abs. 5 GG richte sich zuvörderst an den Gesetz- und Verordnungsgeber, so daß zur Annahme einer Verletzung der Bestimmung der Nachweis erforderlich sei, daß in der Ausgestaltung des öffentlichen Dienstes eine Lücke vorhanden sei, weil der Gesetzgeber seiner Handlungspflicht nicht nachgekommen und diese Lücke regelungsbedürftig sei, BVerfGE 43, 154, 177 ff., 179. Damit stellt das Minderheitenvotum auf die Bindung der normsetzenden Hoheitsträger aus Art. 33 Abs. 5 GG ab, bevor eine Bindung der öffentlichen Gewalt insgesamt in Betracht kommt. Allerdings setzt sich das Minderheitenvotum nicht mit den Konsequenzen des Art. 1 Abs. 3 GG auseinander, der gerade keine isolierte Bindung des Gesetzgebers anordnet, sondern die öffentliche Gewalt insgesamt in die Pflicht nimmt, Rottmann, Der Beamte als Staatsbürger, S. 21. Das weite Ergebnis des Fürsorgebeschlusses wurden hinsichtlich der Fürsorge dahingehend eingeschränkt, daß die Fürsorge nur als Bestandteil der hergebrachten Grundsätze Verfassungsrang genießt, BVerfGE 46, 97, 117. M2
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3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
warM]. ist nun die Anfechtung einer behördlichen EinzeImaßnahme möglich. Die Bindung an das Leistungsprinzip als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes verschärft sich. Prüfungsmaßstab bildet der aus den allgemeinen hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtenturns konkretisierte besondere Grundsatz, der eines Nachweises seines traditionalen Gehaltes nicht mehr bedarf. Der Beamte übernimmt durch den Topos der Kompensation die Rolle eines Sachwalters und wirkt an der Kontrolle über die Einlösung des Regelungsauftrages aus Art. 33 Abs. 5 GG mit. Aus dieser Doppel struktur, die neben der objektivrechtlichen Institutsgarantie des Berufsbeamtenturns den weiteren eigenständigen individualschützenden Gehalt eines subjektiven Rechts aufweist, erklärt sich die geringe Bedeutung des Art. 33 Abs. 2 GG im öffentlichen Dienst. Die extensive Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG durch das Gericht verlagert den Schwerpunkt des Leistungsprinzips in den Art. 33 Abs. 5 GG, so daß das subjektive Recht des Art. 33 Abs. 2 GG und der darin enthaltene Leistungsgrundsatz nur noch eine untergeordnete Rolle spielt664 • c) Aspekte des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienstrecht
Das Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst zeigt eine komplexe Struktur. Als Element des objektiven Rechts tritt es in einer doppelten Bedeutung auf. nämlich in der Regelung des Zugangs zu allen öffentlichen Ämtern in einem umfassenden Sinne und in einem engeren Anwendungsbereich als Struktunnerkmal des Berufsbeamtenturns. Diese doppelschichtige Bedeutung des Leistungsprinzips setzt sich in den subjektiven Rechten fort. Das Leistungsprinzip bildet über Art. 33 Abs. 2 GG als subjektives Recht für jedennann den Bezugsrahmen des Beurteilungsspielraumes hinsichtlich des Zugangs zu öffentlichen Ämtern. Als Element des subjektiven Rechts aus Art. 33 Abs. 5 GG verleiht das Leistungsprinzip dem Berufsbeamten die Grundlage zur Durchsetzung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns, soweit sie seinem subjektiven Interesse dienen. Folgende Bereiche des Leistungsprinzips sind auseinanderzuhalten: (I) die Verpflichtung der öffentlichen Gewalt auf Beachtung des Leistungsprinzips bei der Ausgestaltung der Zugangsämter und der Aufstiegsmöglichkeiten - sie wirkt ebenso für den öffentlichen Dienst; (2) die Verpflichtung der öffentlichen Gewalt auf Beachtung des Leistungsprinzips bei der Ausgestal663 Vgl. dazu ausdrücklich BVerfGE 15, 298, 301. Darauf weist insbesondere das Minderheitenvotum des Fürsorgebeschlusses hin, BVerfGE 43, 154. 177 ff., 183. 664 Maunz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 33 Rn. 11 sieht dagegen die Bedeutung des Art. 33 Abs. 2 GG gerade in seiner Ausgestaltung als "gerichtlich durchsetzbares Recht"; in diesem Sinne auch Ule, Öffentlicher Dienst, S. 585 ff. Diese Bedeutung ist jedoch für den öffentlichen Dienst durch die extensive Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG im Sinne eines subjektiven Rechts durch das Bundesverfassungsgericht stark gemindert und kann lediglich zu Konkurrenzfragen zwischen den bei den Vorschriften im Zusammenhang mit der Zugangs- und Beförderungsproblematik führen.
III. Das Leistungsprinzip in der Normstruktur des Art. 33 GG
145
tung des öffentlichen Dienstes, insbesondere der Alimentation, dem Ämtergefüge und der Fürsorge. Als Element subjektiver Rechte bildet das Leistungsprinzip ein Differenzierungskriterium des besonderen Gleichheitssatzes aus Art. 33 Abs. 2 GG. Im öffentlichen Dienst stützt es die Ansprüche der Beamten auf leistungsgerechte Alimentation, Fürsorge und Amtsbezeichnung.
3. Die leistungsgesteuerte Differenzierung im öffentlichen Dienst Nachdem Art. 33 Abs. 5 GG den eigentlichen Ansatzpunkt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Leistungsprinzip bildet, lassen sich zwei Arten der leistungsgesteuerten Differenzierung feststellen: die (berufs-) gruppenbezogene Differenzierung und die individuelle. Die gruppenbezogene Differenzierung fordert, daß jeder Angehörige einer (Berufs-)Gruppe im Verhältnis zu den anderen Mitgliedern vergleichbarer Gruppen unter Orientierung an den Geboten des verfassungsrechtlichen Leistungsprinzips gleichbehandelt wird. Die individuelle Anwendung des Leistungsprinzips stellt auf die Würdigung des Verhältnisses einzelner Gruppenmitglieder zueinander ab, die sich miteinander in einer konkurrierenden Situation befinden665 • Stellen im ersten Fall die Grundsätze des öffentlichen Dienstes allgemein den Bezugspunkt der Vergleichbarkeit dar, so verengt sich im letzteren Fall der Bezugspunkt auf die konkrete (Berufs)Gruppe. Die besonderen Struktunnerkmale des Berufsfeldes kommen neben den allgemeinen Leitprinzipien zusätzlich zur Anwendung. Diese beiden Arten der Differenzierung erweisen sich als Konsequenz der extensiven Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG und der darin entwickelten Doppelstruktur des verfassungsrechtlichen Regelungsprogramms. Die gruppenbezogene Differenzierung ist Ausdruck des Ämtergefüges innerhalb des öffentlichen Dienstes. Sie stellt sich als Bestandteil der institutionellen Regelung des Berufsbeamtenturns dar. Der Ansatzpunkt leistungsgesteuerter Differenzierung ist ein kollektiver Leistungsbegriff, der sich an der durchschnittlichen Leistung aller zu ein und derselben Gruppe zugehörigen Beamten orientiert. Die individuelle Leistung fließt als Mittelwert in die Konkretisierung ein. Notwendige Differenzierungen richten sich nach der kollektiven Leistung, wie beispielsweise im Bereich der Besoldung, die an das Ämtergefüge und damit an die Gruppenzugehörigkeit anknüpft666 • 1>65 Scheerbarth, Gleichheitssatz und Leistungsprinzip, S. gruppenbezogene Differenzierung bietet BVerfGE 56, 146 ff. terämtern in ein neues Besoldungsrecht. Eine individuelle derselben Berufsgruppe lag dagegen in BVerfGE 56, 353 ff. linearen Besoldungserhöhungen vor.
346. Ein Beispiel rur die zur Überleitung von RichDifferenzierung innerhalb zur Richteramtszulage bei
I>M Ule, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, S. 518. Besonders deutlich bereits BVerfGE 3, 58, LS 17 und ebd., S. 160 unter Bezugnahme auf den Maßstab der einzelnen Beamtengruppen.
10 Malinka
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3. Teil: Leistung als Struktunnerkmal des öffentlichen Dienstes
Die individuelle Leistung beeinflußt den Status des einzelnen Beamten und dient zur Differenzierung innerhalb der Gruppenmitglieder. Sinnfälligster Ausdruck individueller leistungsgesteuerter Differenzierung bietet die Beförderung und der Aufstieg von einer Gruppe in die nächsthöhere, durch die die individuelle Leistung des beförderten Amtsträgers förmlich anerkannt wird 667 .
IV. Inhalt und Funktionen des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst 1. Der Inhalt des Leistungsbegriffs Der Begriff der "fachlichen Leistung" in Art. 33 Abs. 2 GG sowie das in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten Leistungsprinzip als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums sind unbestimmte Rechtsbegriffe mit offenem Inhalt. Das Bundesverfassungsgericht gibt in einer einzigen Entscheidung eine andeutungsweise Definition des Begriffs der Leistung im Sinne einer Beanspruchung des Amtsinhabers66~. Im übrigen deutet das Gericht den Begriff entsprechend seiner Praxis der Eigentumsrechtsprechung sowie der Rechtsprechung zum Hochschulzugang durch die Verwendung synonymer Begriffe aus, ohne daß eine nähere inhaltliche Klärung erfolgt. Offensichtlich setzt die Rechtsprechung einen konsensfähigen Inhalt voraus. Darur spricht die Tatsache, daß an den Nachweis des Leistungsprinzips als eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums weit geringere Anforderungen gestellt werden als an die übrigen hergebrachten Grundsätzen. Das Gericht konkretisiert das Leistungsprinzip im Zusammenhang mit der leistungsgerechten Bemessung der amtsangemessenen Besoldung und des Ruhegehalts über den Topos des "Erdienten"669. Neben dem Prädikat "fachlich" des Verfassungstextes verbindet es den Begriff der Leistung zu dem Begriff der "DienstIeistung"67o. Im Rahmen der Alimentationsverpflichtung des Dienstherm stellt es die Verpflichtung des Beamten heraus, sowohl seine ganze Persönlichkeit als auch seine volle Arbeitskraft in das Dienst- und Treueverhältnis ein667
BVerfGE 11,203,216; 56, 146, 163 f.; 61, 43,57; 64, 367, 380.
66R BVerfGE 44, 249, 265 im Rahmen einer paradigmatischen Auflistung der bei der Besoldung zu berücksichtigenden allgemeinen Grundsätze: "Der Gesetzgeber [ ... ] muß dabei außer den schon genannten Gesichtspunkten - Bedeutung der Institution des Bcrufsbeamtenturns, Rücksicht darauf, daß das Beamtenverhältnis flir qualifizierte Kräfte anziehend sein muß, Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft, vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung, Verantwortung des Amtes, Beanspruchung des Amtsinhabers (häufig als ,Leistung' bezeichnet) - auch berücksichtigen [ ... ]." 669
BVerfGE 21, 329, 345 und BVerfGE 39, 196,201; 64, 367, 385.
h70
BVerfGE 16, 94, J\ 3; 2\, 329, 344.
IV. Inhalt und Funktionen des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst
147
zubringen 671 • Die Begriffe der Dienstleistung, der Arbeitskraft sowie der Einsatz der Persönlichkeit bilden Ausforrnulierungen für den Begriffsinhalt des Leistungsprinzips, die diesen näher spezifizieren und faßbarer machen. In diesem Sinne kann zwischen einem weiten und einem engen Inhalt des Leistungsbegriffs unterschieden werden672 , der sich auch in der Rechtsprechung wiederspiegelt. Der engere Gebrauch ist durch die Verwendung ergänzender Prädikate gekennzeichnet, während der umfassendere Gebrauch die in Art. 33 Abs. 2 GG genanntem Begriffe der Eignung und der Fähigkeit mitumschließt. Dabei ist der Gebrauch sowohl im engen, wie im weiten Sinne nicht mit der Differenzierung zwischen dem leistungsvermittelten subjektiven Recht und der objektivrechtlichen Garantie der Institution des Berufsbeamtenturns identisch, sondern bezieht sich in doppelter Hinsicht auf beide Dimensionen der Grundrechte des Art. 33 Abs. 2 und 5 GG671 • Weiterreichende dogmatische Konsequenzen lassen sich aus diesem differenzierten Gebrauch in der Rechtsprechung aIlerdings nicht beobachten. Für den weiten Gebrauch des Leistungsbegriffs in der objektivrechtlichen Dimension des Art. 33 Abs. 2 GG läßt sich feststeIlen, daß seine inhaltliche Bedeutung fast völlig durch die extensive Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht absorbiert wird. Sie besitzt eine weitgehend theoretische Eigenständigkeit, die aIlein von dogmatischem Interesse ist. Der weite Gebrauch des Leistungsbegriffs drückt sich in Begriffen wie Leistungsgrundsatz und Leistungsprinzip aus, die synonym zur Kennzeichnung eines beamtenrechtlichen Strukturprinzips verwendet werden674 • Der enge Gebrauch ist durch die Verwendung ergänzender Prädi671
BVerfDE 21, 329, 345.
672 So Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, S. 216 f. Daneben werden in der Literatur zum Teil andere Einteilungen vorgenommen; vgl. Leisner, Grundlagen des Berufsbeamtentums mit einer Studie über das Leistungsprinzip, S. 62; Fees, Der Leistungsgrundsatz im Öffentlichen Dienst, ZBR 1967,203 ff.; Ule, Öffentlicher Dienst, S. 588; Neeße, Der Leistungsgrundsatz im öffentlichen Dienst, S. 51. 67.1 Das Gericht verwendet also im Zusammenhang mit dem subjektiven Recht des Beamten sowohl den engen als auch den weiten Leistungsbegriff, vgl. z.B. flir die Verwendung des engen Leistungsbegriffs BVerfDE 70, 69, 80: "Art. 33 Abs. 5 GG sichert dem Beamten ein durch seine Dienstleistung erworbenes Recht hinsichtlich des Kernbestandes seines Anspruchs auf standesgemäßen Unterhalt." sowie flir den weiten Leistungsbegriff BVerfGE 61, 43,57: "Zu jenen hergebrachten Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums zählt der Leistungsgrundsatz [ ... ]. Er erfordert, daß Ernennungen nur nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorgenommen werden dürfen [ ... ]."
674 So werden die Begriffe "Leistungsgrundsatz" und "Leistungsprinzip" in identischer Verwendungsweise auch innerhalb derselben Entscheidung gebraucht, vgl. etwa BVerfDE 61, 43, 57 ("Leistungsgrundsatz"), 58 ("Leistungsprinzip"); ebenso BVerfDE 62, 374, 383, 384. Auf die methodische Differenzierung zwischen "Grundsatz" und "Prinzip" geht die Rechtsprechung des BVerfD an dieser Stelle nicht ein. Zu dieser Differenzierung vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.
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3. Teil: Leistung als Strukturmerkmal des öffentlichen Dienstes
kate gekennzeichnet, die der Abgrenzung des Leistungsbegriffs von weiteren persönlichen Merkmalen wie der Eignung und der Befahigung dienen675 • Sie stellen neben der fachlichen Leistung weitere Aspekte der Leistung im weiteren Sinne dar. Das Verfahren der inhaltlichen Abgrenzung zwischen diesen Begriffen im einzelnen, die Spezifika der fachlichen Leistung gegenüber der Eignung676 und der Befähigung, bleibt in der Rechtsprechung offen. Die Bestimmungen der Laufbahnverordnungen des Bundes und der Länder677 können als unterverfassungsrechtliche Regelungen keinen Beitrag leisten, da das Leistungsprinzip als Begriff des Verfassungsrechts aus diesem selbst zu gewinnen ist. 2. Die Funktionen des Leistungskriteriums im Berufsbeamtentum a) Die Konkretisierung hergebrachter Grundsätze
In der Rechtsprechung tritt das Leistungskriterium als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit weiteren Grundsätzen des Art. 33 Abs. 5 GG auf. Seine Bedeutung ist schillernd. Ein Zusammenhang scheint darin zu bestehen, daß das Leistungskriterium die Basis des einzelnen hergebrachten Grundsatzes bildet. Der einzelne hergebrachte Grundsatz stünde in einem Ableitungsverhältnis zum Leistungsprinzip und wäre als Hervorhebung eines Teilaspektes des umfassenderen übergeordneten Prinzips zu verstehen. Das Verhältnis zwischen dem Leistungsprinzip und weiteren hergebrachten Grundsätzen ließe sich auch anders deuten. Danach fällt dem Leistungskriterium die Aufgabe zu, für einzelne Grundsätze einen normativen Maßstab zu bilden. Die einzelnen Grundsätze bedürfen durch die Verwendung offener Prädikate, insbesondere des Prädikats "angemessen", in aller Regel einer weiteren inhaltlichen Aufbereitung: Sie beziehen sich geradezu auf einen ergänzenden normativen Maßstab. Der einzelne hergebrachte Grundsatz behielte so seine Eigenständigkeit und würde mit Hilfe des Leistungskriteriums näher konkretisiert. Ein Ableitungsverhältnis würde nicht begründet. Für die letztere Interpretation spricht der Umstand, daß die Rechtsprechung für die Begründung der einzelnen Grundsätze als hergebracht jeweils einen eigenen Nachweis verlangt. Stünde der zu qualifizierende Grundsatz in einem Ableitungsverhältnis zum anerkannten Leistungsprinzip, so würde eine Begründung seines Charakters als Teilaspekt eines anerkannten Grundsatzes für die Begründung seiner hergebrachten Natur bereits genügen, da das Leim BVerfGE 61, 43,58. 676
Zum Begriff der Eignung BVerfGE 92,140,151 ff.
Vgl. zu diesen Abgrenzungen Schnellenbach, Leistungsprämien und Leistungszulagen im öffentlichen Dienst, ZBR 1995, 1153 ff., 1156 f. 677
IV. Inhalt und Funktionen des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst
149
stungsprinzip als übergeordneter Grundsatz selber nicht in Frage steht. Es würde allein eine besondere Eigenschaft der Klasse der in ihm enthaltenen Begriffe verdeutlicht werden 678 • Die Rechtsprechung ruhrt zu diesem begrifflichen Verhältnis und seiner dogmatischen Konsequenz für die Begründung hergebrachter Grundsätze keine Klarheit herbei. Diese Ambivalenz im funktionalen Gebrauch des Leistungskriteriums läßt sich am Begriff des "Angemessenen" zeigen, der auf die Besoldung, die Altersversorgung und die Amtsbezeichnung gleichermaßen bezogen wird. Zur Beamtenversorgung hebt das Gericht hervor, daß die Berücksichtigung des Leistungsprinzips nicht aus den Grundsätzen des Versorgungs rechts geboten ist. Das Leistungsprinzip bildet vielmehr als Prinzip das Fundament, auf dem die Institution des Berufsbeamtenturns überhaupt beruht67Q • Das Leistungsprinzip kann als allgemeines Prinzip angesehen werden, das die weiteren Grundsätze der Beamtenversorgung steuert. Eine Verschiebung der Perspektive tritt in dem Moment ein, in dem das Gericht dieses fundamentale Prinzip des Berufsbeamtenturns mit Hilfe einer funktionalen Argumentation weiter entwickelt. Wenn das Leistungskriterium als allgemeines Prinzip des Berufsbeamtenturns auf die Sicherung der ausgleichenden Funktion des Berufsbeamtenturns in einer pluralen Gesellschaft bezogen wird und zum Garant der Unabhängigkeit sowohl der Institution als auch des einzelnen Beamten bestellt wird, so wandelt es sich von einem allgemeinen Prinzip zu einem Prinzip, dessen Aufgabe in der Konkretisierung dieser Funktion liegt. Da diese Funktion über eine wirtschaftliche Sicherung erfolgt, soll das Leistungsprinzip Auskunft darüber geben, wie das Maß an wirtschaftlicher Sicherung zu bestimmen ist. Es fließt in den Begriff des "Angemessenen" ein, den es näher ausdeuten und praktikabler machen soll. Ebenso verhält es sich mit dem Gebrauch des Leistungskriteriums in der Rechtsprechung zur Besoldung. Die Rechtsprechung bezieht die angemessene Besoldung auf die Funktion der Sicherung der Unabhängigkeit nicht nur des einzelnen Beamten, sondern im Sinne einer durchgeführten Gewaltenteilung auf die Verwaltung insgesamt. Dieser funktionale Gesichtspunkt vermag für sich gesehen nicht zu konkretisieren, was unter angemessen zu verstehen ist. Der 678 Dies bedeutet nichts anderes als die von Frege herausgearbeitete sprachliche Unterscheidung zwischen Merkmalen und Eigenschaften. Der Begriff, unter den die einzelnen Grundsätze fallen würden, wäre der Begriff der Leistung, so daß dieser Begriff die Eigenschaft der einzelnen hergebrachten Grundsätze begründen würde. Vgl. Gahriel, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Stichwort "Merkmal"; Frege, Über Begriff und Gegenstand, Vjschr. wiss. Philos. 16 (1892), 192 ff., 201 ff. 679 BVerfGE 11, 203, 215 f.; 61, 43, 58: "Bei dieser überkommenen Bemessungsgrundlage der Beamtenversorgung, nach der unter Wahrung des Leistungsprinzips und in Anerkennung aller Beförderungen das Ruhegehalt und die Hinterbliebenenbezüge aus dem letzten Amt zu berechnen sind, handelt es sich um einen jener Grundsätze, auf denen die Einrichtung des Berufsbeamtentums ruht [ ... ]."
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3. Teil: Leistung als Strukturmerkmal des öffentlichen Dienstes
Begriff des "Angemessenen" schließt etwa eine Besoldung nach Bedürfnis nicht aus, da dieser Zuteilungsgesichtspunkt nicht notwendigeIWeise die wirtschaftliche Sicherung des Berufsbeamtenturns und ihre Unabhängigkeit gefährdet. Die stabilisierende Funktion der Besoldung bliebe durchaus gewahrt6Ro • Das Gericht räumt dem Gesetzgeber bei der Konkretisierung des Angemessenen im Rahmen des Art. 33 Abs. 5 GG einen weiten Beurteilungsspielraum ein. Er bleibt aber an die Grundsätze gebunden, die traditionsgemäß für die Bemessung der Bezüge bestimmend waren 681 • Diese Grundsätze engen den Bereich des Angemessenen weiter ein. Als wesentlicher Grundsatz, dem diese Funktion der Eingrenzung und Konkretisierung der Angemessenheit der Bemessung dient, wird der Leistungsgrundsatz herangezogen. Dies geschieht unmittelbar als auch mittelbar über die Pflicht des Gesetzgebers, sich am Amt zu orientieren, das ebenfalls ein vermittelter Ausdruck des Leistungsgedankens darstellt682 • In der Amtsbezeichnung tritt der Zusammenhang zum Leistungsprinzip besonders deutlich hervor. Zwar wird an dieser Stelle ganz allgemein auf das Leistungsprinzip als ein das Beamtenrecht bestimmender Grundsatz velWiesen. Leistungsprinzip und konkrete Amtsbezeichnung stehen allerdings nicht in einem Ableitungsverhältnis zueinander. Die Amtsbezeichnung stellt eine Konkretisierung des Leistungsprinzips dar, indem die Amtsbezeichnung entsprechend ihrer individuellen und rechtsstaatlichen Doppelfunktion die Bedeutung des einzelnen Amtes verdeutlicht und die individuellen Fähigkeiten des Beamten kennzeichnet6R3 • b) Die stabilisierende Funktion
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung regelmäßig die Bedeutung des Leistungsprinzips für die Institution des Berufsbeamtentums insgesamt herausgestellt. Bei dem Leistungsgrundsatz handele es sich um einen jener Grundsätze, der die Institution des Berufsbeamtenturns seit jeher geprägt 6RO Der hinter einer solchen Lösung stehende Sozialstaatsgedanke wird nach allgemeiner Auffassung in der Literatur allenfalls zur Modifizierung des Leistungsprinzips verwandt, vgl. Ule, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, S. 516. Die Rechtsprechung hat sich hinsichtlich der sozialstaatlichen Motive nicht festgelegt; vgl. BVerfGE 8, I, 16; 17,337,355; 21, 329 ff., 344; 44, 249, 264 f.; 58, 68, 78 f. Dazu auch Lecheler, Die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR \03 (1978), 349 ff., 372. 6RI BVerfGE 11,203,210; 61, 43,58.
6R2 BVerfGE 11,203,215 f.; 61, 43, 58: ,,[ ... ] unter Wahrung des Leistungsprinzips und in Anerkennung aller Beförderungen [ ... ] aus dem letzten Amt zu berechnen sind [ ... ]". 6M3 BVerfGE 62, 374, 384; 64, 323, 352.
IV. Inhalt und Funktionen des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst
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habe und sein Fundament im sozialen Rechtsstaat finde 684 . Die wesentlichste institutionelle Funktion des Leistungskriteriums besteht in der Sicherung und Erhaltung einer leistungsfahigen VerwaItungsorganisation 685 , die eine stabile und unabhängige Institution des Berufsbeamtentums voraussetzte 686 • Die Rechtsprechung weist dem Leistungsprinzip als eigenständigem hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums diese Funktion ausdrücklich ZU687 • Das gleiche Ergebnis läßt sich aus einer anderen Überlegung herleiten. Das Gericht würdigt die einzelnen hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in ihrer Gesamtheit auf die Bedeutung, die sie für die Institution des Berufsbeamtentums in der freiheitlichen rechts- und sozialstaatlichen Demokratie besitzen68x • Der Frage nach ihrer Bedeutung für die Institution des Berufsbeamtentums liegt bereits die Anerkennung ihrer Funktion als Sicherung der Institution voraus6X9 • Die Bedeutung des einzelnen Grundsatzes ist für sich genommen nur noch für den Grad der Bindung relevant. Da dies für sämtliche hergebrachten Grundsätze des Be~R4 BVerfGE
11,203,215 f, 38, I, 12 f; 39,196,201; 56,146,163.
~R5 Damit wird kein Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit der Verwaltung und der einzelnen Leistung des Beamten und ihrer Bewertung hergestellt; so zu Recht der Hinweis von Leisner, Grundlagen des Berufsbeamtentums mit einer Studie über das Leistungsprinzip, S. 62 f Vielmehr steht die Institution des Berufsbeamtentums als solche als Adressat des Leistungsprinzips im Vordergrund. Allerdings vertritt Lei.me,. im Interesse einer klaren Konturierung des Leistungsprinzips einen engen Begriff der Leistung, der sich nur auf die Einstellung und jedes Vorwärtskommen des Beamten im Dienst beziehen soll, also sich vornehmlich an der Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG orientiert. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist über diesen Ansatz durch ihre extensiver Interpretation des Art. 33 Abs. 5 GG hinausgegangen und hat die praktische Bedeutung des Art. 33 Abs. 2 GG weitgehend verdrängt. Das Leistungskritcrium kann nicht mehr allein auf seinen individuellen Gehalt beschränkt werden, sondern es muß entsprechend der Doppelstruktur des Art. 33 Abs. 2 und 5 GG bei der Begriffsanalyse eine doppelte Dimension des Leistungskriteriums zugrunde gelegt werden, die sich neben dem individualschützenden Gehalt auch auf die Institution des Berufsbeamtentum als solcher bezieht. ~"~
So bereits BVerfGE 7,155,162; 8, I, 16 f
367, 385: "Der Leistungsgrundsatz [trägt] durch seine bewahrende, auf den Schutz der ,erdienten Statusrechte' ausgerichtete Komponente Wesentliches zur Garantie der Unabhängigkeit der Beamten bei [ ... ] und [sichert] damit die Funktionsfähigkeit der Institution." ~RR BVerfGE 8, I, 16. ~R7 Besonders deutlich BVerfGE 64,
6R9 SO besonders deutlich BVerfGE 15, 167, 195: "Die zurückhaltende Fassung des Art. 33 Abs. 5 GG deutet allerdings darauf hin, daß die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nicht unter allen Umständen zu beachten sind, sondern nur soweit sie mit den Funktionen vereinbar sind, die das Grundgesetz dem öffentlichen Dienst in der freiheitlichen, rechts- und sozial staatlichen Demokratie zuschreibt [ ... ]." In der Anerkennung als "zu beachtender Grundsatz" liegt also gleichzeitig die Anerkennung ihrer stabilisierenden Funktion.
152
3. Teil: Leistung als Strukturmerkmal des öffentlichen Dienstes
rufsbeamtentums gilt, folgt daraus, daß das Leistungsprinzip als ein ebensolcher Grundsatz die Funktion dieser Grundsätze teilt, dem Schutz der Institution des Berufsbeamtentums und ihrer Aufgaben zu dienen. Aus dieser funktionalen Sichtweise wurde zuvor die Geltung des Leistungsprinzips als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG begründet, da seine Mißachtung die Unabhängigkeit der Verwaltung gefährden würde690 • Dies zeigt sich auch in dem Zusammenwirken einzelner Grundsätze mit dem Leistungskriterium, insbesondere an der Stellung des Leistungskriteriums zur rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit des Berufsbeamtentums. Aus der Aufgabe der Institution des Berufsbeamtenturns, einen ausgleichenden Faktor zwischen den politischen Kräften des Staatslebens zu bilden, schließt das Gericht auf die dazu notwendige Unabhängigkeit. Diese erfordert eine rechtliche und wirtschaftliche Sicherung der Institution des Berufsbeamtenturns, die sich am Maßstab der Leistung zu orientieren hat. Das Leistungskriterium dient der Sicherung der Unabhängigkeit des Berufsbeamtenturns, da nach der Rechtsprechung die Sicherung der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit auch die Grundsätze mitumfaßt, die das Versorgungssystem insgesamt und seine Bedeutung für die Unabhängigkeit des Berufsbeamtenturns wesentlich prägen691 • Zu diesen prägenden Grundsätzen gehört die Wahrung des Leistungsprinzips, so daß sich die stabilsierende Funktion auch vor dem Hintergrund allgemeiner Überlegung aus der Natur und den Aufgaben der hergebrachten Grundsätze in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat ergibt. c) Die gestaltungslimitierende Funktion
Die wesentlichste Bedeutung auf dem Feld der subjektiven Rechte des Art. 33 Abs. 5 GG kommt der Funktion des Leistungskriteriums zu, die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einzuengen. Es dient dem Schutz der Individualrechtspositionen. Das Leistungskriterium tritt regelmäßig im Zusammenhang mit weiteren hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums auf. In diesem Sinne errichtet das Leistungsprinzip dem das Beamtenrecht gestaltenden Gesetzgeber Schranken, die einen Kerngehalt individueller Rechtspositionen der Beamten sichern. Die Bedeutung des Leistungsprinzips zur Kernbereichssicherung liegt in dem Verfahren zur Ermittlung des Kernbereichs. Dies geschieht über den Begriff des "Angemessenen", der mit Hilfe des Leistungskriteriums näher spezifiziert werden soll. Hinsichtlich der Besoldung bestimmt sich der Kernbereich über den Begriff der "Amtsangemessenheit", in dem bereits über das Ämtergefüge das Leistungsprinzip präsent ist. Die Regelungsgrenze der angemessenen Amtsbezeichnung 0'10
BVerfGE 56, 146, 164 hinsichtlich der Richterbesoldung.
691
BVerfGE 11,203,216 f.
IV. Inhalt und Funktionen des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst
153
wird über den Begriff der "Wirklichkeitsgerechtigkeit" festgelegt. Dieser beurteilt sich danach, ob die Neuregelung die leistungsbezogene Stellung des Amtes im gesamten Ämtergeruge deutlich zum Ausdruck bringen kann. Im Rahmen der Altersversorgung bildet die Pflicht zur Berücksichtigung des zuletzt ausgeübten Amtes bei der Berechnung des Ruhegehalts eine Grenze, die sich über den in dem Amt enthaltenen Leistungsstandard als auch den synonym zur Leistung gebrauchten Begriff des "Erdienten" konkretisiert. Neben dem Schutz vor Übergriffen in die Individualrechtsposition durch den Gesetzgeber bezieht sich die einengende Bedeutung des Leistungskriteriums auf die Institution des Berufsbeamtentums insgesamt. Das Leistungskriterium errichtet rur den Gesetzgeber eine Schranke, die bei der Neuregelung des Berufsbeamtentums nicht überschritten werden darf.
Ausblick: Leistung und Verfassung I. Die Normativität der Leistung Der verfassungsrechtliche Leistungsbegriff unterscheidet sich von dem benachbarter Disziplinen durch seine Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit als Teil des Rechtssystems. Dieses bestimmt seine spezifischen Funktionen. Er ist von dem normativen Kontext abhängig, innerhalb dessen er verwendet wird. Der Begriff ist im Zusammenhang mit der Rechtspraxis zu sehen und hat dadurch teil an dem rechtsimmanenten Zwangscharakter. Das über den Begriff der Leistung implizierte Leistungsprinzip bekommt als Teil der Rechtsordnung eine höhere Chance auf Realisierung. Die Rechtsbindung verleiht der Leistung und der damit verbundenen sozialen Ordnungsidee eine nonnative Relevanz, die das Leistungsprinzip als allgemeines gesellschaftliches Ordnungs- und Verteilungsprinzip stabilisiert. Diese Stabilität des Leistungsprinzips vermittels der Rechtsbindung drückt sich in abgestuften Formen aus. Das Leistungsprinzip hat allein in der Regelung der öffentlichen Ämter des Art. 33 Abs. 2 GG unmittelbar Eingang in den Verfassungstext gefunden. Es ist als Differenzierungsgebot Tatbestandsmerkmal einer Verfassungsnorm. Dadurch genießt das Leistungsprinzip die stärkste Sicherung. Als Tatbestandsmerkmal wird es von der allgemeinen Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG erfaßt. Da es sich bei der Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG um ein grundrechtsgleiches Recht handelt, ist diese Bindung zusätzlich über Art. 1 Abs. 3 GG 692 abgesichert. Innerhalb der Verfassungsurkunde ist das Leistungsprinzip durch eine erhöhte Änderungsfestigkeit gekennzeichnet. Eine ähnlich starke Stellung genießt das Leistungsprinzip als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums. Die Beachtung dieser Grundsätze ist durch die Verfassung vorgeschrieben. Sie besitzen Verfassungsrang. Das Leistungsprinzip bildet ein wesentliches Strukturmerkmal der Institution des Berufsbeam6q2 Nach Sinn und Zweck der in Art. lAbs. 3 GG angeordneten Grundrechtsbindung kann sich diese nicht allein auf die formellen Grundrechte des I. Abschnitts im Grundgesetz beschränken, sondern soll das mit den Grundrechten verbundene Schutzsystem insgesamt sicherstellen, vgl. statt vieler Dürig, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. I Abs. 3 Rn. 92.
1. Die Nonnativität der Leistung
155
tentums und stellt einen zentralen Grundsatz dar. Der Verfassungstext verpflichtet allein auf die Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. ohne das Leistungsprinzip zu erwähnen. Dieses muß sich innerhalb des traditionalen Zeitraumes in der Gesetzgebungspraxis zeigen. bedarf also einer rechtssatzmäßigen Konkretisierung. die die Verfassungsauslegung des Begriffs der hergebrachten Grundsätze stützt. Die Beachtung des Leistungsprinzips zeigt sich in den Kodifikationen des Laufbahnprinzips des Bundes und der Länder. Das Leistungsprinzip als Strukturmerkmal des öffentlichen Dienstes steht unter Verfassungsvorbehalt. Das gilt ebenso für das grundrechtsgleiche Individualrecht des Beamten aus Art. 33 Abs. 5 GG. Es stellt nach der Rechtsprechung ein vollwertiges Grundrecht dar693 • das der Bindung des Art. lAbs. 3 GG unterliegt. Innerhalb des Rechts auf freien Hochschulzugang entspringt das Leistungsprinzip der einfachgesetzlichen Normierung. Das Hochschulrahmengesetz schreibt vor. sich bei der Studienplatzvergabe an den Leistungen der Bewerber zu orientieren. Als Regelung unterhalb der Verfassungsebene bildet das Leistungsprinzip ein Differenzierungskriterium im wertungsoffenen Gleichheitssatz auf gleichen Hochschulzugang. Es steht unter dem Vorbehalt einer optimalen Realisierung der Ausbildungschance. die über das Grundrecht der Berufsfreiheit verfassungsrechtlich verbürgt ist. Die Bindung an das Leistungskriterium genießt als Regelung des Hochschulrahmengesetzes den Schutz der allgemeinen Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG. ohne an der erhöhten Änderungsfestigkeit der Verfassung zu partizipieren. Die zweideutigste Bindung des Leistungskriteriums zeigt die Interpretation und Konkretisierung einzelner Verfassungsbestimmungen. In der Auslegung der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie694 bildet es ein Argument. das nicht durch die Verfassung oder einfachgesetzliche Kodifikationen zwingend vorgeschrieben ist. Im Gegensatz zu den öffentlichen Ämtern und dem leistungsgesteuerten Hochschulzugang findet es an dieser Stelle keinerlei positivrechtliche Stützung. Es stellt sich allein als ein Element der Verfassungskonkretisierung dar. Seine Verwendung wird im Rahmen einer juristischen Auslegung durch die Sachstrukturen des in Bezug genommenen Regelungsbereichs nahegelegt. Es liegt nicht unter dem Gesichtspunkt strikter Rechtsbindung zwingend fest. Die richterliche Rechtsfortbildung stellt keine Rechtsquelle dar695 • Das Kriterium 693
BVerfGE 8. I. 14, 16 ff.; 12,81,87.
694 BVerfGE 31, 229, 240 f. 243; 42, 263, 294; 49, 382,400; 53, 257, 69, 272 ff.; 72, 9, 18 f.; 77, 263, 270 f.; 79, 29, 40. Vgl. auch der 4. Zivilsenat des BGH, BGHZ 74, 38, 59 ff. sowie die frühe Entscheidung des BSG, BSGE 9, 127 f Im Anschluß an das BVerfG vgl. BSGE 25, 170, 172 f; 26,255,257; 33, 177, 178 f.; 43, 128, 130; 45, 251, 253. 695 Vgl. dazu Ipsen. Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 60 f. Zum richterlichen Anteil an der Rechtsbildung vgl. Roellecke, Die Bindung des Richters an Gesetz und
156
Ausblick: Leistung und Verfassung
kann jederzeit aufgegeben werden. So fordern Stimmen in der Literatur, auf das von der Verfassungsrechtsprechung herangezogene Merkmal der Leistung als Kriterium zur Schutzbereichsbestimmung des Eigentums zu verzichten696 • Eine Bindung ergibt sich nicht aus übergeordneten Verfassungsgrundsätzen. Die Verfassungsrechtsprechung unterliegt ebensowenig wie die übrige höchstrichterliche Rechtsprechung dem rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutz697 • Auch über den allgemeinen Gleichheitssatz ergibt sich keine der Verwaltungspraxis entsprechende Bindung der Rechtsprechung. Rechtsentwicklung und Rechtsfortbildung bedürfen einer ungehinderten Entfaltung. Die äußerste Grenze einer Änderung ständiger Rechtsprechung bildet allein die Willkür698 • Unterliegt das Leistungskriterium als Element richterlicher Verfassungskonkretisierung keiner normativen Bindung, so kann sich eine faktische Verfestigung aus der Rechtsprechung ergeben. Dies triffi vor allem für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu. Die Autorität der Verfassungsgerichtsentscheidungen und Gründe der Rechtssicherheit führen zu einer vorlaufenden Orientierung an den Rechtsprechungsergebnissen und den sie tragenden Gründen. Sie werden faktisch wie Rechtssätze behande\t699 • Diese Wirkung ist um so intensiver, je weiter sich die Rechtsprechung verfestigt7oo. Die Rechtsprechung kann eine mittelbare (Rechts-)Bindung über einen im Normtext verwendeten Terminus erzeugen, dessen Inhalt mit Hilfe des Begriffs der Leistung näher konkretisiert werden soll und dessen Verwendung in einem rechtsförmigen Verfahren institutionalisiert und stabilisiert wird70I . Verfassung, VVDStRL 34 (1976), S. 7 ff., 9 ff.; Starck, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, VVDStRL 34 (1976), S. 43 ff., 49 ff.; Müller, Juristische Methodik, S. 91. h9h Paptistella, Eigentum und eigene Leistung. Zum Kriterium der eigenen Leistung beim Eigentumsschutz öffentlichrechtlicher Rechtspositionen, S. 108 f., 112, 126; MeyerAbieh, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 35 ff. 56 f.; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 118 ff., 120. Zu Art und Ausmaß der Bindungen im Rahmen juristischer Argumentation vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 261 ff. mit einer über die Rechtsbindung vermittelten Stufung der Auslegungsargumente (ebd., S. 303 ff.). h97
Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 432 ff.
BVerfGE 18,224,240. Vgl. dazu Riggert, Die Selbstbindung der Rechtsprechung durch den allgemeinen Gleichheitssatz. h9R
h99 Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 243 f. spricht von einer präsumptiven Verbindlichkeit.
700 Starck, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, VVDStRL 34 (1976), S. 43 ff., 74. 701 Ein Beispiel für eine solche dem Gesetzestext nachfolgende Institutionalisierung von Argumentationen bildet die Regelung des § 31 BVerfGG, die in BVerfGE 19, 377 ff. wie folgt beschrieben wird: Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entfalten "gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungs-
11. Die Leistung in der Verfassungskonkretisierung
157
11. Die Leistung in der Verfassungskonkretisierung Die VelWendung des Begriffs der Leistung im Verfassungsrecht zeichnet seinen Gegenstandsbereich vor. Seine Aufgaben ergeben sich aus den Funktionen der Verfassung und der daraus resultierenden besonderen Problematik der Verfassungsinterpretation. Der eigentliche Schwerpunkt des Leistungsbegriffs liegt in der konkretisierenden Verfassungsinterpretation. In der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG übernimmt der Begriff der Leistung die Funktion einer typologischen Konkretisierung des institutionellen Gehalts. Die Leistung setzt den abstrakten Gehalt der institutionellen Bindung des Gesetzgebers für einzelne Rechtspositionen in faßbarere Kriterien um. Das betrifft die Zuordnung der schöpferischen Tätigkeit als geistiges Eigentum oder den leistungsvermittelten Schutz subjektiver öffentlicher Rechte 702 . Im Rahmen des freien Hochschulzuganges 703 dient das Leistungsprinzip der Optimierung der Berufsfreiheit. Als Strukturmerkmal des öffentlichen Dienstes704 untermauert es hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums. Der Grundsatz amtsangemessener Alimentierung in Form der Besoldung und des Ruhegehalts bezieht aus dem Leistungsprinzip seinen Maßstab. Das gilt ebenso für die Amtsbezeichnung, die auf die im Amt verkörperte Leistung bezogen wird, sowie die leistungsgerechte Förderung der Beamten. Wesentliche Aufgabe der Verfassung ist neben der freiheitssichernden Bedeutung ihre stabilisierende und einheitsbildende Funktion. Diese Funktion kann auf Dauer nur dann erfolgreich sein, wenn die Verfassung keine Normierung des "hier und jetzt" ist, sondern als Grundordnung diese Funktion auch in der Zukunft wahrnehmen kann. Diese Perspektive wird durch die These der Verfassung als Dezision weitgehend vernachlässigt70s. Die Verfassungsfunktion setzt wirkung, insofern die sich aus dem Tenor und den tragenden Gründen der Entscheidung ergebenden Grundsätze für die Auslegung der Verfassung von den Gerichten und Behörden in allen künftigen Fällen beachtet werden müssen", E 19,377,392 (st. Rspr.). Vgl. . zur Bindung selbst von Verfassungsorganen über § 31 Abs. I BVerfGG im Falle der Nichtigerklärung eines Gesetzes nach § 31 Abs. 2 BVerfGG schon BVerfGE I, 15, 36 f. (st. Rspr., zuletzt E 69, 92, 103). Mit den "Grundsätzen" wird auf den Begründungszusammenhang und die darin vorgetragenen wesentlichen Argumente Bezug genommen. Daraus folgt eine argumentative Bindung unterhalb des geschriebenen Rechts, vermittelt durch die Auslegung des Rechts. Im übrigen ist hier vieles streitig. Vgl. zum Streitstand Rennert, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 31 Rn. 70 ff. 702
29 ff.
BVerfGE 31, 229 ff.; 42,263 ff.; 49, 382 ff.; 53, 257 ff.; 72, 9 ff.; 77, 263 ff.; 79,
703
BVerfGE 33, 303, 350; 43, 291, 318 f.
704
BVerfGE 11,203,215 f.; 38, I, 12 f.; 39, 196,201; 56, 146, 163.
705 So Schmitt, Verfassungslehre, S. 23 ff.; dagegen Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 186 ff.
158
Ausblick: Leistung und Verfassung
eine entsprechende Offenheit fiir den gesellschaftlichen Wandel voraus. Eine fortlaufende Verfassungsänderung, die ständig bemüht wäre, den Wandel der Lebensformen adäquat einzufangen, würde die Verfassung in den Strudel der Alltagswertungen ziehen und ihre Bedeutung als Grundordnung sowie ihre stabilisierende Funktion entscheidend beeinträchtigen. Aus der notwendigen Offenheit der Verfassung gegenüber dem gesellschaftlichen Wandel resultieren die spezifischen Probleme der Verfassungsinterpretation. Werden einerseits Fragen der Staatsorganisation detailliert geregelt, so fällt dagegen der weite Rahmen in den Regelungsbereichen gesellschaftlicher Verhältnisse auf. Besonders deutlich wird dies im Grundrechtskatalog. Mit einem oder wenigen Begriffen werden komplexe Lebensbereiche bezeichnet, deren konkreter Rechtsinhalt im Konfliktfall erst zur Entscheidung aufbereitet werden muß. Dies ist die Aufgabe konkretisierender Verfassungs interpretation, über deren Verfahren alles andere als Einigkeit bestehe06 • Hier liegt die EinbruchsteIle fiir die Verwendung des Leistungsbegriffs außerhalb des Normtextes als Element konkretisierender Verfassungsinterpretation. Vor allem in den offen kodifizierten Teilen der Verfassung wird das Ergebnis der über den konkreten Rechtsgüterschutz angeleiteten Verfassungsinterpretation mit dem Hinweis auf vorgefundene Wirklichkeitsstrukturen gerechtfertigt707 • Die Weite und Unbestimmtheit der einzelnen verfassungsrechtlichen Regelungsbereiche erfordert den Rückgriff auf präzisierende und ergänzende Argumente. Diese Aufgabe kommt dem Begriff der Leistung zu. Das Wesen der Verfassung als Grundordnung ohne Anspruch auf abschließende Detailregelungen begünstigt dies. Rechtsnorm und geregelter Wirklichkeitsbereich stehen unter wechselseitigem Einfluß. Der durch die Norm in Bezug genommene Lebensbereich weist Strukturen auf, an denen die Auslegung nicht vorbeigehen kann, will sie ihr Regelungsziel nicht verfehlen 708 • Dies zeigt 7&0 Schneider und Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRL 20 (1963) S. 1 ff., S. 53 ff.; Böckenforde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation, NJW 1976, 2089 ff.; Schwegmann / Dreier (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, Dokumentation einer Kontroverse; Schlink, Bemerkungen zum Stand der Methodendiskussion in der Verfassungsrechtswissenschaft, Der Staat 19 (1980), 73 ff.; Dreier, Zur Problematik und Situation der Verfassungsinterpretation, S. 106 ff.; Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 20 I ff.
707 Ein plastisches Beispiel dazu bietet BVerfGE I, 264 ff. (Schornsteinfeger) vom 30.4.1952, wo die "Leistung" von der Rechtsprechung zum ersten Mal in die Auslegung des Art. 14 GG eingeflihrt wurde. Die These der Gleichstellung von reinem Sacheigenturn mit der Sach- und Rechtsgesamtheit des Gewerbebetriebs wird über die legitimatorische Kraft der "Leistung" begründet. Diese wird wiederum aus "den heute allgemein herrschenden gesellschaftlichen Auffassungen" gewonnen, s. BVerfGE 1,264, 277 ( Zur Argumentationsstruktur Meyer-Abich, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 45. 70R Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 49 ff. Zum Prozeß der Grundrechtskonkretisierung vor allem Müller, Juristische Methodik, S. 38 ff., 107 ff.; ders., Strukturierende Rechts-
11. Die Leistung in der Verfassungskonkretisierung
159
die notwendige Anerkennung der Leistung rur den Eigentumsschutz im UrheberrecheOQ. Würde diese nicht anerkannt, wäre der Verlust der wirtschaftlichen Grundlage die Folge. Zugleich wäre die Funktionsfähigkeit dieses Tätigkeitsbereichs grundsätzlich in Frage gestellt. Die immer neue Konkretisierung des Rechtssatzes durch Entscheidungen im praktischen Konfliktfall wirkt umgekehrt auf den Regelungsbereich ein und bildet einen konstitutiven Faktor dieser Struktur, entwickelt diese weiter. Das Leistungskriterium als regelmäßig wiederkehrender Begriff der Rechtsprechung vermittelt praktische Orientierungsgewißheit. Schließlich steht der Leistungsbegriff im Zusammenspiel mit anderen Normen, die seinen Inhalt und seine Funktionen maßgeblich beeinflussen. Die Funktionen sind abhängig vom Rechtssystem, in dem der Leistungsbegriff Verwendung findet. Auch im Verfassungsrecht steht kein einheitlicher Leistungsbegriff zur Verfiigung. Dies zeigt der unterschiedliche Gebrauch des Leistungsbegriffs in der Eigentumsrechtsprechung, dem Recht des Hochschulzugang und dem öffentlichen Dienstrecht. In der Eigentumsrechtsprechung hat der Leistungsbegriff seinen personalen Bezug weitgehend verloren. Dem Leistungskriterium kommt im wesentlichen die Funktion zu, die gesellschaftliche und staatliche Sphäre zu scheiden. Es bildet eine institutionelle Direktive zur Bindung des eigentumsgestaltenden Gesetzgebers. Innerhalb des Rechts der Hochschulzulassung hat es die Funktion, das Grundrecht der Ausbildungsfreiheit zu optimieren. Im Gegensatz zur Eigentumsrechtsprechung ist dort der personale Bezug ein wesentliches Kriterium des Leistungsbegriffs. Je weiter sich die individuelle Beeinflußbarkeit der Leistung durch überzogene Anforderungen oder situationsbedingte Engpässe verflüchtigt, desto stärker sinkt die Tauglichkeit der Leistung als Kriterium der SeIektion 71O • Bereits eine Übertragung des Leistungsbegriffs aus dem Bildungsbereich in die Sphäre der Eigentumsproblematik zeigt die Unmöglichkeit einer gemeinsamen Funktion 7l1 • Der Leistungsbegriff im Recht des öffentlichen Dienstes schwankt zwischen seinem Bezug zur Institution des Berufsbeamtenturns und dem Individualschutz. Die Abhängigkeit des Leistungsbegriffs von seinem Verwendungszusammenhang führt zu einer Verschiebung der Interessen- und Konfliktlagen. Daraus resultiert eine differenzierte Verwendungsweise. lehre, S. 33 f., 115 ff., 328 ff. Während über die Beeinflussung der Norminterpretation durch Wirklichkeitsstrukturen weitgehende Einigkeit besteht, ist die einzelne Konstruktion äußerst streitig. Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 128 ff. mit einer Übersicht über den Streitstand, sowie S. 200 f. 709 BVerfGE 31, 229, 240 f. 710
BVerfGE 43, 291, 320.
711 Die auf den Bildungsbereich bezogene Definition der Leistung von Oppermann, Schule und berufliche Bildung, Rn. 44, die Leistung als ein Vermögen betrachtet, die eigenen Entwicklungschancen zu erkennen und wahrzunehmen, ist kaum tauglich, eine Entscheidung über den Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen oder einer wirklichkeitsgerechten Amtsbezeichnung herbeizuführen.
160
Ausblick: Leistung und Verfassung
IU. Die Leistung als Wertung im Verfassungs recht Der verfassungsrechtliche Leistungsbegriff weist trotz seiner unterschiedlichen Verwendung eine Reihe gemeinsamer Probleme auf. Der Begriff der "Leistung" ist durch sprachliche Unschärfe 712 gekennzeichnet, die sich als Folge einer fortschreitenden Differenzierung der Anwendungsbereiche und der zunehmenden Fülle seiner Funktionen darstellt. Selbst wenn Affinitäten zum Begriff der "Arbeit" bestehen, hat er sich mittlerweile davon gelöst und eigenständige Funktionen übernommen. Insofern hat sich auch die Rechtsprechung von dem ursprünglich in Bezug genommen Begriff der "Arbeit" entfernt. Das zeigt nicht nur die Eigentumsrechtsprechung deutlich. Die Leistung ist aus der ursprünglich ökonomischen Konzeption herausgetreten und wird auf die berufliche Tätigkeit insgesamt bezogen. Die Grenzen zu allgemein zweckrationalem Handeln beginnen im Hinblick auf die Erfüllung vorgegebener Normen zu verschwimmen. Diese ergeben sich aus dem Lebensbereich, in dem die Leistung erbracht werden soll. Leistung ist zur umfassenden Kategorie menschlichen Handeins in fast allen Lebensbereichen geworden. Dies hat zur Konsequenz, daß es keinen einheitlichen Leistungsbegriff gibt. Dem Leistungsprinzip liegt kein einheitliches Konzept zugrunde 713 • Die Leistung ist auf den Aufgabenbereich bezogen. Aus diesem werden die Handlungsnormen geschöpft, die zu einer Handlungsbewertung führen, die als Leistung zu qualifizieren ist. Die Leistung ist ihrerseits wertungsabhängig. In der Verfassungsinterpretation bedingt diese Wertungsabhängigkeit eine Verschleierung des Auslegungsergebnisses. Das beginnt mit dem vielschichtigen Sprachgebrauch des Leistungsbegriffs. Die juristische Begründung verlangt ein Mindestmaß an sprachlicher Bestimmtheit. Der Begriff der Leistung ist demgegenüber vage und kontextabhängig. Soweit die Rechtsprechung das Leistungsprinzip und den Leistungsbegriff zur Rechtfertigung verfassungsrechtlicher Auslegungsergebnisse heranzieht, wird die Rechtfertigung der Leistung ausgeblendet. Die Rechtsprechung setzt einen allgemein konsens fähigen Begriff voraus. Die Leistung bedarf jedoch ihrerseits einer Begründung als Leistung. Soweit diese Wertung des Leistungsbegriffs in der Argumentation nicht aufgedeckt wird, fließen die unterschiedlichen Leistungskonzeptionen als Wertungen ungefiltert in die Verfassungsinterpretation ein. Es geht ein wesentliches Element der Verfassungsinterpretation als Rechtsanwendung verloren: Die Rekonstruktion des Ableitungszusammenhangs, die eine Überprüfung stringenter Begründung aus der Verfassung ermöglicht. So wäre zumindest für die Eigentumsrechtsprechung eine weitergehende Begründung für die Anwendung des Leistungsprinzips m Sehlie, Die Vielfalt der Leistungsbegriffe, S. 50 ff., 55 f.; Dreitzel, Soziologische Reflexionen über das Elend des Leistungsprinzips, S. 31; Braun, Leistung und Leistungsprinzip. S. 195 f. 713
Lenk, Sozialphilosophie des LeistungshandeIns, S. 38 ff.
III. Die Leistung als Wertung im Verfassungsrecht
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erforderlich gewesen, da es an dieser Stelle nicht positivrechtlich vorgegeben ist. Das Gericht begnügt sich statt dessen mit dem Hinweis auf die gesellschaftlichen Anschauungen 71 \ um den Leistungsbegriff einzuführen. Ebenso hätte das Leistungsprinzip als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums einer näheren Begründung bedurft. Dies wird bereits durch die Verfassung gefordert, da nicht jeder Grundsatz Verfassungsrang genießt. Das Argumentationsproblem trifft nicht die Verwendung des Leistungsprinzips als solches. Das Leistungsprinzip ist mit Ausnahme der Eigentumsrechtsprechung gesetzlich vorgegeben und die Eigentumsrechtsprechung kann als topische Fortsetzung der philosophischen Arbeitstheorien unter den veränderten Bedingungen der Leistungsgesellschaft gefaßt werden. Das Problem betrifft vielmehr die dem Leistungsbegriff immanente Wertungsoffenheit. Die Leistung ist kein objektives Faktum. Sie bedarf der Wertung. Die Wertung gelangt ungeprüft in die Verfassungsinterpretation und wird über den Leistungsbegriff in Verfassungsrang gehoben. Vor allem die Eigentumsrechtsprechung ist von diesem Verfahren betroffen. Sie setzt die Anerkennung als Leistung voraus, ohne den Wertungshorizont offen zu legen. Das gilt jedoch ebenso für das Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst und den leistungsgesteuerten Hochschulzugang. Das Bundesverfassungsgericht operiert mit einer Reihe von Synonyma wie "Arbeit" oder "Dienst", läßt aber letztlich die Frage offen, welche Handlungen als Leistung zu bewerten sind und damit tauglich sind für die funktionale Verfassungsinterpretation. Die funktionale Interpretation ersetzt eine Auseinandersetzung mit dem Leistungsbegriff. Die Leistungsrechtsprechung berührt an dieser Stelle die viel gescholtene Wertordnungsrechtsprechung 7l5 • In der Verfassungsinterpretation teilen sich Leistung und Wertordnung die Unbestimmtheit. Die Abhängigkeit des Leistungsprinzips von einer Bewertung, die die Handlung als Leistung ausweist, führt auf ein der Verfassungsinterpretation vorausliegendes Bewertungskonzept. Es wird extern in die Verfassungsauslegung eingeführt7l6 • Diese Problematik ist nicht identisch mit dem Problem der Leistungsmessung. Die Leistungsmessung setzt eine Leistung voraus. Gleichzeitig stellt sie - ohne das Leistungsprinzip in der Eigentumsrechtsprechung zu berühren - ein sektorales Problem des Rechts des Hochschulzugangs 717 und des Beamtenrechts718 dar. 714
BVerfGE 1,264,277 f.
m Vgl. statt vieler Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, S. 140 ff., der die Wertordnung als ein arcanum der Verfassungsinterpretation bezeichnet. 716 Insoweit bildet es weniger ein "arcanum" der Verfassungsinterpretation als vielmehr ein "Trojanisches Pferd"; so schon Vergil, Aeneidos H, 49: "[00'] timeo Danaos et dona ferentes [00']", 717 Zur Schu\1eistung BVerfGE 33, 303, 349; 37,104, 118; 43, 291,320. Vgl. zum Problem einer gerechten Leistungsbenotung als Wertung Podlech, Wertungen und Werte im Recht, AöR 95 (1970), 185 ff., 215 ff.
11 Malinka
162
Ausblick: Leistung und Verfassung
IV. Das Leistungsprinzip in der reform politischen Diskussion Das Leistungsprinzip bildet unter verschiedenen Aspekten den Gegenstand reformpolitischer Überlegungen. Die haushaltspolitische Lage verlangt Einschnitte in das System sozialer Sicherheit. Das betrifft den Schutz sozialer Rechtspositionen durch die Eigentumsgarantie. Innerhalb der Eigentumsdogmatik kommt der Leistung die Funktion einer Direktive der institutionellen Garantie des Eigentums zu. Sie soll den Bereich des geselIschaftlich Erwirtschafteten vor staatlichen Zugriffen schützen, indem sie den Zugriff einer LegitimitätskontrolIe unterwirft. Aufgrund der weitgehenden Konturenlosigkeit des Leistungsbegriffs und seiner Lösung von der individuellen Arbeit hat sich das Argument in ein stumpfes Schwert verwandelt. Seine praktische Relevanz ist gering. So hat das Bundesverfassungsgericht noch keine Vorschrift aufgehoben, weil der Gesetzgeber die leistungsvermittelten Grenzen überschritten hat. Ebensowenig lassen sich über den weiten Leistungsbegriff der Eigentumsrechtsprechung zuverlässige Aussagen über den Schutz vor alIem sozialrechtlicher Rechtspositionen treffen. Das betrifft Fragen sozialpolitischer Reformen, wie beispielsweise den Anspruch auf Sozialhilfe719 oder die Höhe der Altersversicherung 720 • Viele Grundfragen sind nach wie vor offen. Dies liegt in der Eigenart der dogmatischen Konstruktion. Diese verlangt eine Einzelfallprüfung der jeweiligen Rechtsposition. Vor allem im Bereich sozialrechtlicher Rechtspositionen ist das Gericht bemüht, dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum zuzubilligen, der ihm eine flexible Sozialpolitik ermöglicht721 • Dennoch ist das Leistungsprinzip als Element der Eigentumsordnung mehr als reine Rhetorik des Gerichts. Die maßgebliche Problematik der Eigentumsgarantie als normgeprägtem Begriff besteht in der Ermittlung der Grenzen für den regelnden Gesetzgeber. Das betrifft vor allem die erforderlichen Eingriffe in das Netz der sozialen Sicherheit, die durch die Eigentumsgarantie einer Legitimitätskontrolle unterworfen werden. Das Leistungskriterium als Ausdruck der institutionellen Direktive der Eigentumsgarantie wirkt als eine weit verstandene MißbrauchskontrolIe gegenüber dem Gesetzgeber; es verlangt in zukünftigen Regelungen der Sozialreform Beachtung 722 • 71R Vgl. Hager/van der Laan, Perspektiven der Leistungsbewertung im öffentlichen Dienst, S. 103 ff. 719 Zum Eigentumsschutz der Sozialhilfe durch einen auf der Grundlage Kants erweiterten Sozialrechtsimperativ vgl. Süchting, Eigentum und Sozialhilfe.
720 Depenheuer, Wie sicher ist verfassungsrechtlich die Rente? Vom liberalen zum solidarischen Eigentumsbegriff, AöR 120 (1995), 417 ff., 444. 721 Vgl. zu dieser Entwicklung Katzenstein, Aspekte einer zukünftigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsschutz sozialrechtlicher Positionen.
IV. Das Leistungsprinzip in der refonnpolitischen Diskussion
163
Einen immer wiederkehrenden Gegenstand der Reform bildet das Beamtenrechen . Das Augenmerk richtete sich vor allem auf Aspekte des Leistungsprinzips. Nun ist das Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst erneut in die Diskussion geraten. Die erhöhte Sensibilität für Fragen der Gleichberechtigung hat im Zuge der Grundgesetzreform zu einem staatlichen Gleichstellungsauftrag 724 geführt. Das hat der Diskussion um die Frauenförderung im öffentlichen Dienst725 neue Schubkraft verliehen. Es stellt sich insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Leistungsprinzip und Quotierungsregeln. Angesichts haushaltspolitischer Probleme726 hat der Gesetzgeber den "schlanken Staat"m in sein Programm aufgenommen. Dieses Programm beinhaltet zugleich ein Reformkonzept für den öffentlichen Dienst insgesamt 72R , das nicht nur Maßnahmen der Privatisierung 729 umfaßt, sondern das Leistungsprinzip durch Anreize 730 , durch Spitzenpositionen auf Zeie31 oder durch Zulagen 732 stärker betonen soll. m von Brünneck, Eigentumsschutz der Renten - eine Bilanz nach zehn Jahren, JZ 1990, 992 tf., 996. 123 Vgl. bereits die Staatsrechtslehrertagung 1931 in Halle mit den Referaten von Gerber und Merkl, Entwicklung und Refonn des Beamtenrechts, VVDStRL 7 (1932), S. 2 ff., S. 55 ff. - Mit der Neuordnung des Beamtenrechts befaßte sich auch der 48. Deutsche Juristentag 1970. Vgl. dazu die Beiträge von Thieme, Schäfer und Quaritsch unter dem Thema "Empfiehlt es sich, das Beamtenrecht unter Berücksichtigung der Wandlungen von Staat und Gesellschaft neu zu ordnen?" - Grundlegend der Bericht der Studienkommission für die Refonn des öffentlichen Dienstrechts sowie das daran anknüpfende Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Dienstrechtsrefonn 1976. Vgl. dazu Kroppenstedt, Das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Refonn des öffentlichen Dienstrechts, DÖV 1977, 12 ff.; von Hammerstein / Geyer / Schröder / Schwegmann, Das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Refonn des öffentlichen Dienstrechts, DÖV 1977, 149 ff.; Becker / Wunderer / König / Summer / Mayer, Das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Refonn des öffentlichen Dienstrechts, DÖV 1977, 339 ff. Eine Übersicht über die unterschiedlichen Dienstrechtsrefonnen bei Siedentopf, Dienstrechtsrefonn - eine Bilanz nach 10 Jahren, ZBR 1986, 153 ff.
724 Vgl. dazu Bumke, Art. 3 GG in der aktuellen Verfassungsrefonndiskussion. Zur ergänzenden Änderung des Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, Der Staat 32 (1993), 117 ff.
m Jachmann, Die Quotenregelung für den öffentlichen Dienst - Chancengleichheit, fürsorgliche Diskriminierung oder ungerechtfertigte Bevorzugung der Frau im Beruf?, ZBR 1996, 161 ff. 726 Die Minderung der Kostenbelastung für den öffentlichen Haushalt ist bereits 1976 in das Aktionsprogramm zur Dienstrechtsrefonn als Refonnziel aufgenommen worden und bildet seitdem unter dem Gesichtspunkt der Kostenneutralität einen kontinuierlichen Faktor der Dienstrechtsrefonnen.
m Busse, Verfahrenswege zu einem "schlankeren Staat", DÖV 1996, 389 ff. m BT-Drs. 13/3994. Vgl. dazu die Übersicht bei Battis, Berufsbeamtenturn und Leistungsprinzip, ZBR 1996, 193 ff. Kritisch zu den Erfolgsaussichten des Refonnvorhabens Lecheler, Die Zukunft des Berufsbeamtenturns, ZBR 1996, I ff. 729
Vgl. dazu die Staatsrechtslehrertagung 1994 in Halle unter dem Thema "Privatisie-
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Ausblick: Leistung und Verfassung
Die Frage nach Quotierungen im öffentlichen Dienst berührt das Leistungsprinzip in zweifacher Hinsicht: Die Quotierung kann sich auf den Zugang zu öffentlichen Ämtern im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG beziehen oder den Zugang und den Aufstieg innerhalb des Berufsbeamtentums betreffen. Die beiden Regelungsbereiche sind in ihrem Anwendungsbereich nicht identisch. Gemeinsamer Nenner ist das Leistungsprinzip, da die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fur den Zugang und die Beförderung innerhalb des Beamtenwesens auf die Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG im Sinne eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums verweist7J3 • Das Verhältnis von Leistungsprinzip und Quotenregelung war bisher kein Gegenstand einer Verfassungsgerichtsentscheidung 734 • Allein der Europäische Gerichtshof hat aufgrund einer Vorlage des Bundesarbeitsgerichtes eine nationale Quotenregelung im öffentlichen Dienst fur gemeinschaftsrechtswidrig erklärt. Die Entscheidung betrifft jedoch nicht das Leistungsprinzip im öffentlichen Dienstm. Die Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG errichtet den Grundsatz der Bestenauslese736 • Eine starre Quotierung, die unabhängig von den gebotenen Auswahlkriterien einen faktischen Proporz erreichen will, ist mit diesem Grundsatz unvereinbar. Zwar ist eine Durchbrechung des Leistungsgrundsatzes auf der Grundlage kollidierenden Verfassungsrechts, insbesondere durch das Sozialstaatsprinzip, anerkannt737 • Indes setzt eine Durchbrechung die Wahrung der Verfassung insgesamt voraus. Quotenregelungen, die rung von Verwaltungsaufgaben", VVDStRL 54 (1995), mit den Referaten von Hengstschläger, ebd. S. 165 ff., Osterloh, ebd. S. 204 ff., Bauer, ebd. S. 243 ff., und Jaag, ebd. S. 287 ff. 730 Summer, Leistungsanreize/Unleistungssanktionen, ZBR 1995, 125 ff.; Wenger, Leistungsanreize für Beamte in Form von individuellen Zulagen: Grundlagen, rechtliche Möglichkeiten und Grenzen.
731 Böhm, Besetzung von Spitzenpositionen auf Zeit, DÖV 1996,403 ff.; Günther, Führungsamt auf Zeit: unendliche Geschichte?, ZBR 1996, 65 ff.
m Schnellenbach, Leistungsprämien und Leistungszulagen im öffentlichen Dienst, DVBI. 1995, 1153 ff. m BVerfGE 56, 146, 163 f.; 61,43, 57; 62, 374, 382; Schnellenbach, Leistungsprämien und Leistungszulagen im öffentlichen Dienst, DVBI. 1995, 1153 ff., 1156. 734 Die Problematik der Frauenquote im öffentlichen Dienst ist derzeit aufgrund einer Vorlage des VG Amsberg beim 2. Senat des BVerfG anhängig (Az.: 2 BvL 44/93). Vgl. i.ü. die Rechtsprechungsübersicht bei Laubinger, Die "Frauenquote" im öffentlichen Dienst, VerwArch. 87 (1996), 305 ff., 473 ff.
m Kalanke/Freie Hansestadt Bremen (C-450/93). Vgl. dazu und zur Prozeßgeschichte Laubinger, Die "Frauenquote" im öffentlichen Dienst, VerwArch. 87 (1996), 305 ff., 306 ff. 7]6 BVerfGE 56, 146, 163 f. m Schmidt-Aßmann, Leistungsgrundsatz des Art. 33 11 GG und soziale Gesichtspunkte bei der Regelung des Zugangs zum Beamtenverhältnis, NJW 1980, 16 ff., 18 ff.; Köpp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 69.
IV. Das Leistungsprinzip in der reformpolitischen Diskussion
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an das Geschlecht anknüpfen, bedürfen vor dem Hintergrund des Diskriminierungsverbotes in Art. 3 Abs. 3 GG einer gesonderten Rechtfertigung. Die Quotenregelung stellt sich zuvörderst als Gleichheitsproblem dar7.18 und weniger als eines des Leistungsgrundsatzes. Dieser wird durch eine leistungsabhängige Quotierung, die nach Ausschöpfung der Differenzierungsgebote der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung ansetzt, gewahrt739 • Das Anliegen des 13. Deutschen Bundestags, durch eine weitere Reform des Beamtenrechts das Leistungsprinzip effektiver auszugestalten, ist mittlerweile reformpolitisches Gemeingut. Dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche vorausgegangenen Reformvorhaben. Die verstärkte Akzentuierung des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst wird allgemein begrüßt. Auf dieser abstrakten Ebene besteht Konsens 74o • Die Kontroverse beginnt bei der Umsetzung. Den Maßstab der angestrebten Reform bildet, wie bei jeder vorausgegangenen Reform, die Funktion des Beamtentums. Diese beschreibt das Bundesverfassungsgericht durch die Aufgabe, eine stabile Verwaltung zu sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darzustellen 741 • Dies bedingt eine sowohl rechtliche wie wirtschaftliche Sicherheit. Das Gericht verlangt die Gewährleistung eines angemessenen Lebensunterhalts742 • Dessen Festsetzung unterliegt der Gesetzesbindung 743 und richtet sich nicht auf einen konkreten Betrag744 • Dieser ist als amtsangemessene Besoldung auf das Amt bezogen 745. Innerhalb dieser Grenzen beläßt die Rechtsprechung dem Reformgesetzgeber einen Spielraum. Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion um Leistungsprämien und Leistungszulagen zu sehen, wie sie im Zuge der Postreform bereits eingefuhrt wurden. Beide sind 738 Maidowski, Umgekehrte Diskriminierung: Quotenregelungen zur Frauenförderung im öffentlichen Dienst und in den politischen Parteien, S. 44; Sachs, Gleichberechtigung und Frauenquoten, NJW 1989, 553 ff., 554. 739 Jachmann, Die Quotenregelung für den öffentlichen Dienst - Chancengleichheit, fürsorgliche Diskriminierung oder ungerechtfertigte Bevorzugung der Frau im Beruf?, ZBR 1996, 161 ff., 164; Sachs, Gleichberechtigung und Frauenquoten, NJW 1989,553 ff., 554; Battis / Schulte- Trux / Weber, "Frauenquoten" und Grundgesetz, DVBI. 1991, 1165 ff., 1166 f.; Ebsen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Rn. 18. 740 Busse, Verfahrenswege zu einem "schlankeren Staat", DÖV 1996, 389 ff., 396; Leche/er, Die Zukunft des Berufsbeamtenturns, ZBR 1996, 1 ff.; Battis, Berufsbeamtenturn und Leistungsprinzip, ZBR 1996, 193 ff. 741 BVerfGE 7,155,162; 8, I, 16 f.; 11,203,216 f. (st. Rspr.). 742
BVerfGE 8, 1, 16 f.; 44, 249, 263; 55,372,392; 65, 146, 165; 76, 256, 298.
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BVerfGE 8, I. 15; 8, 28, 35; 44, 249, 264.
BVerfGE 8, I, 12; 15, 167, 198; 21, 329, 344; 44, 249, 263; 49, 260, 272; 53,257, 307; 55, 372, 392; 81, 363, 375. 74S BVerfGE 44, 249, 265. 744
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Ausblick: Leistung und Verfassung
mit diesen Grundsätzen vereinbar, soweit sie nicht die Alimentierung ersetzen746 oder durch Art und Umfang zur Haupteinnahmequelle mutieren. In der Literatur wird die Besetzung von Spitzenpositionen auf Zeie47 diskutiert. Die Reformüberlegungen begnügen sich dagegen mit der Einführung von Führungspositionen auf Probe. Fraglich ist, ob die Akzentuierung des Leistungsprinzips geeignet ist, das Lebenszeitprinzip zu modifizieren. Beide Prinzipien stellen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtenturns dar748 • Die Besetzung von Spitzenpositionen auf Zeit ist sicher geeignet, einen besonderen Leistungsanreiz zu bieten. Die befristete Übertragung von Führungspositionen wird mit der Erwartung einer Verlängerung verknüpft. Sie tangiert jedoch die Unabhängigkeit des Beamten, die durch den Grundsatz der Ernennung auf Lebenszeit gesichert werden soll. Mit einer ähnlich gelagerten Problematik hatte sich das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Bremer Schulverwaltungsgesetz auseinanderzusetzen 749 • Das Gesetz sah die auf acht Jahre befristete Bestellung eines Schulleiters vor. Dadurch wurde allein ein Amt im funktionellen Sinne übertragen. Die Verleihung im statusrechtlichen Sinne blieb ausgeschlossen. Die Differenz zwischen dem Amt im funktionellen Sinne und dem verbleibenden Status sollte finanziell durch eine Zulage ausgeglichen werden, die erst nach zehn Jahren ununterbrochener Funktionsausübung ruhegehaltsfähig sein sollte. Das Gericht hat dieses Zulagenmodell aufgrund der dauerhaften Entkoppelung von Status und Funktion als Verstoß gegen Bundesrecht verworfen. Eine verfassungsrechtliche Klärung blieb ausdrücklich offen7so • In einem "obiter dictum" hat das Gericht jedoch die dauerhafte Trennung von Amt und Funktion als unvereinbar mit den Grundsätzen der Besoldung und dem Alimentationsprinzip als hergebrachtem Grundsatz des Berufsbeamtenturns erklärt7sl • Vor dem Hintergrund des Alimentationsprinzips gebietet die amtsangemessene Besoldung und die darin liegende Anerkennung der (Dienst-)Leistung die Zusammenschau von Amt im statusrechtlichen und Amt im funktionellen Sinne. Gleichzeitig hat das Gericht 746 Schnellenbach, Leistungsprämien und Leistungszulagen im öffentlichen Dienst, DÖV 1995, 1153 ff., 1157; Summer, Leistungsanreize/Unleistungssanktionen, ZBR 1996, 125 ff., 134. 747 Summer, Die Spitzenposition auf Zeit im Beamtenrecht - verfassungskonforme Fortentwicklung oder grundgesetzwidriger Systemeinbruch?, DÖV 1986, 713 ff.; Günther, Führungsamt auf Zeit: unendliche Geschichte?, ZBR 1996, 65 ff.; Böhm, Besetzung von Spitzenpositionen auf Zeit, DÖV 1996, 403 ff. Dieser Vorschlag geht zurück auf Thieme. Empfiehlt es sich, das Beamtenrecht unter Berücksichtigung der Wandlung von Staat und Gesellschaft neu zu ordnen?, D 37 f. 74R BVerfGE 11,203,215 f.; 38, I, 12 f.; 39, 196,201; 56,146, 163; 70, 251, 264 f. 749 BVerfGE 70, 251 ff. 750 751
BVerfGE 70, 251, 266. BVerfGE 70, 251, 267.
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hervorgehoben, daß dieses Zulagenmodell nicht mit der zeitlich begrenzten Übertragung eines Amtes im Beamtenverhältnis auf Zeit vergleichbar ist. Dem Beamten auf Zeit wird für die Dauer seiner Amtszeit ein Amt im statusrechtlichen Sinne übertragen 7S2 • Als Beamtenverhältnis sui generis hat das Beamtenverhältnis auf Zeit vor dem verfassungsrechtlichen Gebot der hergebrachten Grundsätze Bestandm . Vor diesem Hintergrund beschränkt sich die Reform auf die Einführung von Führungspositionen auf Probe. Die Ableistung einer Erprobungszeit in Führungspositionen dient dem Leistungsprinzip des Art. 33 Abs. 2 GG. Sie läßt das Lebenszeitprinzip unberührt. Insoweit bescheinigen die Untersuchungen, die sich mit der aktuellen Reform des Beamtenrechts befassen, diesem Instrument der Personalsteuerung seine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeie54 •
m BVerfGE 70, 251, 265. 753
BVerfGE 7, 155, 164; 70, 251, 265.
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