Das Heilige Römische Reich deutscher Nation und seine Territorien: 1493-1648 [2 ed.] 3534270622, 9783534270620

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation als monumentale Gesamtdarstellung der Zeit zwischen Mittelalter und Napoleon

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German Pages 1672 [850] Year 2018

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Table of contents :
Front Cover
Titel
Widmung
Impressum
Inhalt
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Danksagungen
Zu Terminologie und Sprachgebrauch
Abkürzungen
I. Deutschland und das Heilige Römische Reich im Jahr 1500
1. Ursprünge und Grenzen
2. Das Reich als politisches Gemeinwesen
3. Der Flickenteppich der Territorien
4. Das Reich und die deutsche Nation
II. Die Reform von Reich und Kirche, ca. 1490–1519
5. Die Ära der Reformation in der deutschen Geschichte
6. Das Reich unter Maximilian I.
7. Reich, Papsttum und Reichskirche
8. Religiöse Erneuerung und die Laienschaft
9. Humanismus im Reich
10. Buchdruck und Öffentlichkeit: eine Revolution
11. Die Ökonomie: Landstriche, Gemeinden und ihre Belastungen
12. Die »Luthersache« und der Reformator, 1517–1519
III. Karl V. und die Reformation in den 1520er Jahren
13. Das Reich im ersten Jahrzehnt der Regierung Karls V.
14. Luther und die Reichspolitik, 1517–1526
15. Luther und die deutsche Reformbewegung
16. Alternative Reformationsansätze und die Vorherrschaft des Luthertums
17. Der Ritterkrieg, 1522–1523
18. Der Bauernkrieg, 1525
19. Die Reformation in den Städten
IV. Die Revolution wird gezähmt, 1526–1555
20. Die Entstehung protestantischer Territorien
21. Das Beharrungsvermögen des Katholizismus
22. Karl V., Ferdinand und das Reich in Europa
23. Der Protestantismus etabliert sich, 1526–1530
24. Der Schmalkaldische Bund, seine katholischen Gegenstücke und die Reichspolitik, 1530–1541
25. Karl V. als »Herrscher von Deutschland«, 1541–1548
26. Der Triumph des Reichs, 1548–1556
V. Die Verwaltung des Friedens, 1555–1618
27. Die Konturen des »konfessionellen Zeitalters«
28. Monarchen, Reichsbeamte und Stände nach dem Augsburger Friedensschluss
29. Verfassungsentwicklung nach 1555: Reichstag, Kreise, Gerichte, Gesetzgebung
30. Das Reich in Europa
31. Die Verwaltung des Friedens im Innern, 1555 bis um 1585
32. Der Konsens wird rissig, ca. 1585–1603
33. Lähmung, 1603–1614
34. Probleme im Haus Habsburg
35. Das Reich unter Kaiser Matthias, 1612–1619
36. Die Krise in den Habsburger Landen
37. Staatsrecht und Verfassungsstreit im Reich
38. Irenik und Patriotismus am Vorabend des Krieges
VI. Die deutschen Territorien und Städte nach 1555
39. Probleme der Interpretation
40. Günstige Bedingungen?
41. Staatenbildung?
42. Innenpolitik und Verteidigung
43. Konfessionalisierung?
44. Finanzen, Steuern und Stände
45. Die Wiederkehr der Fürstenhöfe
46. Die Reichsstädte
47. Umgang mit Krisen
VII. Der Dreißigjährige Krieg, 1618–1648
48. Der Dreißigjährige Krieg in der deutschen Geschichte
49. Welche Art von Konflikt?
50. Die Wiedereroberung von Österreich und Böhmen, 1618–1623
51. Ferdinand der Siegreiche
52. Dänemark und der Krieg für das Reich, 1623–1629
53. Welche Art von Reich? Schweden und die Verteidigung der deutschen Freiheiten, 1630–1635
54. Wallenstein und danach
55. Frankreich, Schweden und der deutsche Weg, 1635–1648
56. Der Westfälische Friede
57. Der Einfluss des Kriegs auf die deutsche Gesellschaft
58. Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche politische Gemeinwesen
Literatur
Register
Karten
Back Cover
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Das Heilige Römische Reich deutscher Nation und seine Territorien: 1493-1648 [2 ed.]
 3534270622, 9783534270620

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Joachim Whaley, geb. 1954, ist Mitglied der Royal Historical Society und Professor of German History and Thought an der Universität Cambridge, wo er deutsche Geschichte und Kultur nach 1500 am Gonville and Caius College lehrt.

Joachim Whaley

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und seine Territorien Band I Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden 1493–1648 Aus dem Englischen von Michael Haupt Mit einem Vorwort von Axel Gotthard

Die Übersetzung wurde gefördert durch den Wilhelm-Weischedel-Fonds der WBG

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Germany and the Holy Roman Empire bei Oxford University Press (2012) © Joachim Whaley

wbg Academic ist ein Imprint der wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt © 2018 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt durchgesehene Sonderausgabe der 1. Auflage 2014 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Redaktion: Dirk Michel, Mannheim Satz: SatzWeise, Föhren Karten im Anhang: Peter Palm, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27062-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74408-4 eBook (epub): 978-3-534-74409-1

Inhalt Vorwort zur deutschen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagungen

9

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Zu Terminologie und Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

Einführung: Narrative deutscher Geschichte der frühen Neuzeit . . . . . . . .

19

I. Deutschland und das Heilige Römische Reich im Jahr 1500 1. Ursprünge und Grenzen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

2. Das Reich als politisches Gemeinwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

3. Der Flickenteppich der Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

4. Das Reich und die deutsche Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

II. Die Reform von Reich und Kirche, ca. 1490–1519 5. Die Ära der Reformation in der deutschen Geschichte

. . . . . . . . . .

91

6. Das Reich unter Maximilian I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

7. Reich, Papsttum und Reichskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

115

8. Religiöse Erneuerung und die Laienschaft

. . . . . . . . . . . . . . . .

131

9. Humanismus im Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140

10. Buchdruck und Öffentlichkeit: eine Revolution . . . . . . . . . . . . . .

157

11. Die Ökonomie: Landstriche, Gemeinden und ihre Belastungen . . . . . .

164

12. Die »Luthersache« und der Reformator, 1517–1519 . . . . . . . . . . . . .

189

6

Inhalt

III. Karl V. und die Reformation in den 1520er Jahren 13. Das Reich im ersten Jahrzehnt der Regierung Karls V. . . . . . . . . . . .

203

14. Luther und die Reichspolitik, 1517–1526 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

218

15. Luther und die deutsche Reformbewegung . . . . . . . . . . . . . . . .

236

16. Alternative Reformationsansätze und die Vorherrschaft des Luthertums .

244

17. Der Ritterkrieg, 1522–1523 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267

18. Der Bauernkrieg, 1525 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

280

19. Die Reformation in den Städten

304

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV. Die Revolution wird gezähmt, 1526–1555 20. Die Entstehung protestantischer Territorien

. . . . . . . . . . . . . . .

321

21. Das Beharrungsvermögen des Katholizismus . . . . . . . . . . . . . . .

342

22. Karl V., Ferdinand und das Reich in Europa . . . . . . . . . . . . . . . .

357

23. Der Protestantismus etabliert sich, 1526–1530 . . . . . . . . . . . . . . .

370

24. Der Schmalkaldische Bund, seine katholischen Gegenstücke und die Reichspolitik, 1530–1541 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

381

25. Karl V. als »Herrscher von Deutschland«, 1541–1548 . . . . . . . . . . . .

397

26. Der Triumph des Reichs, 1548–1556 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

406

V. Die Verwaltung des Friedens, 1555–1618 27. Die Konturen des »konfessionellen Zeitalters« . . . . . . . . . . . . . .

423

28. Monarchen, Reichsbeamte und Stände nach dem Augsburger Friedensschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

427

29. Verfassungsentwicklung nach 1555: Reichstag, Kreise, Gerichte, Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

441

30. Das Reich in Europa

461

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Inhalt

31. Die Verwaltung des Friedens im Innern, 1555 bis um 1585 . . . . . . . . .

475

32. Der Konsens wird rissig, ca. 1585–1603

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

501

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

518

34. Probleme im Haus Habsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

530

35. Das Reich unter Kaiser Matthias, 1612–1619 . . . . . . . . . . . . . . . .

542

36. Die Krise in den Habsburger Landen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

553

37. Staatsrecht und Verfassungsstreit im Reich . . . . . . . . . . . . . . . .

563

38. Irenik und Patriotismus am Vorabend des Krieges

569

33. Lähmung, 1603–1614

. . . . . . . . . . . .

VI. Die deutschen Territorien und Städte nach 1555 39. Probleme der Interpretation

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

587

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

591

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

596

42. Innenpolitik und Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

603

43. Konfessionalisierung?

610

40. Günstige Bedingungen? 41. Staatenbildung?

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44. Finanzen, Steuern und Stände

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

626

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

637

46. Die Reichsstädte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

648

47. Umgang mit Krisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

660

45. Die Wiederkehr der Fürstenhöfe

VII. Der Dreißigjährige Krieg, 1618–1648 48. Der Dreißigjährige Krieg in der deutschen Geschichte

. . . . . . . . . .

685

49. Welche Art von Konflikt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

688

50. Die Wiedereroberung von Österreich und Böhmen, 1618–1623 . . . . . . .

696

51. Ferdinand der Siegreiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

701

52. Dänemark und der Krieg für das Reich, 1623–1629 . . . . . . . . . . . . .

709

8

Inhalt

53. Welche Art von Reich? Schweden und die Verteidigung der deutschen Freiheiten, 1630–1635 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

720

54. Wallenstein und danach

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

734

55. Frankreich, Schweden und der deutsche Weg, 1635–1648 . . . . . . . . .

741

56. Der Westfälische Friede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

751

57. Der Einfluss des Kriegs auf die deutsche Gesellschaft . . . . . . . . . . .

767

58. Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche politische Gemeinwesen . . .

773

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

783

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

828

Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

846

Vorwort zur deutschen Ausgabe Der eine und andere hat es geahnt, hatte mal davon gehört: dass da ein englischer Historiker seit vielen Jahren an einem Opus magnum zur vormodernen deutschen Geschichte arbeite. Und wer Joachim Whaley – Professor of German History and Thought an der Universität Cambridge – einmal persönlich kennenlernte, den frappierte seine stupende Kenntnis der deutschen Geschichte genauso wie seine kaum stillbare Neugierde allem gegenüber, was mit Deutschlands vormoderner Vergangenheit, und sogar mit seiner Gegenwart, zu tun hat. Als im Jahr 2012 die beiden voluminösen Bände Whaleys über »Germany and the Holy Roman Empire« erschienen sind, waren dann doch alle überrascht. So etwas hatte schon lang keiner mehr versucht, so etwas gab es nicht auf dem deutschen Buchmarkt: eine umfassende deutsche Geschichte, die all die vielen Spezialinteressen eines mit fortschreitender Arbeitsteilung immer kleinteiliger fragmentierten Wissenschaftsbetriebs zusammenbindet. Eine ausführliche Synthese, die sich nicht in weltgeschichtlichen Betrachtungen verliert oder von »deutschem Wesen« schwadroniert, sondern von Daten und Fakten fast schon überquillt; die in dichter chronologischer Abfolge die für die vormoderne deutsche Geschichte wichtigen und signifikanten Ereignisse und Entwicklungen schildert, dabei zahlreiche Menschen aus Fleisch und Blut handelnd vorführt und doch die großen Strukturen – vom ökonomischen Auf und Ab bis hin zur komplizierten Verfassung des Reichsverbandes mit seinen vielen geschriebenen und mindestens so komplexen ungeschriebenen Spielregeln – nie aus dem Auge verliert. Whaleys Bände sind eine Synthese, die Entwicklungen in den vielen deutschen Territorien nachspürt und doch nie Gefahr läuft, die Addition zahlreicher Landesgeschichten zu betreiben, eben weil das Ganze, der mitteleuropäische Dachverband namens Reich mit seinen Institutionen und Interventionen, stets präsent ist. Es ist eine Synthese entstanden, in der insgesamt die politische Geschichte führend bleibt, in der aber auch Geistesgeschichte und Mentalitäten, Religionsgeschichte und die Geschichte politischer Ideen, kulturelle Praktiken, administrative Strukturen, ökonomische und sogar technologische Entwicklungen zu ihrem Recht kommen. Vor dem Auge des Lesers erscheinen Kaiser und vermeintliche »Hexen«, stille Gelehrte und derb polternde Pamphletisten, die »immerwährenden« Verhandlungsroutinen des Regensburger Reichstags und aufmüpfige Bauern; man besucht Akademien und Manufakturen, erfährt von vormodernen Verwaltungsreformen

10

Vorwort zur deutschen Ausgabe

und von den Auswirkungen der Kleinen Eiszeit, von höfischem Glanz und aufklärerischen Debatten über die Toleranz, von Kriegsleid und der Kunst, den Frieden zu finden – und das alles (ja, noch viel mehr) wird nie romanhaft, ist nie nur unterhaltsames Kaleidoskop, weil es durchgehend in analytischem Duktus auf große Entwicklungsstränge bezogen und weil es stets auf dem Forschungsstand präsentiert sowie genau belegt wird. Whaley begegnet dem Alten Reich, diesem langlebigen Gebilde mit einzigartiger »Zeitelastizität« (um den Ausdruck für die zeitliche Erstreckungsfähigkeit eines politischen Systems von Niklas Luhmann zu borgen), mit kritischer Sympathie. Das Alte Reich habe in den letzten 350 Jahren seiner Geschichte zahlreiche Herausforderungen glänzend gemeistert, sei bis in seine Spätphase hinein innovativ und flexibel geblieben, betont er immer wieder zu Recht. Er weiß (anders als viele deutschsprachige Darstellungen noch der jüngeren Vergangenheit), dass das Reich auch nicht nach oder wegen »1648«, also seit dem Westfälischen Frieden, versteinert und erstarrt ist. Vielmehr kann Whaley zeigen, dass die Kohäsionskräfte im Reichsverband in den Jahrzehnten vor und um 1700 wieder anwuchsen und wie der Kaiser, beispielsweise über den mittlerweile permanent tagenden Reichstag, beispielsweise durch eine zielstrebig vergrößerte Klientel, wieder präsenter wurde. Aber Whaley erliegt auf der anderen Seite auch nicht der Versuchung, Deutschlands konfessionelles Zeitalter, um nur das Reich als besonders interessanten Forschungsgegenstand herausstreichen zu können, etwa schönzufärben oder den Dreißigjährigen Krieg im falsch verstandenen Interesse einer Europäisierung der Erinnerung zu internationalisieren: Nein, der Konfessionsdissens riss das Alte Reich wiederholt in schwere Krisen, stürzte es 1546 in einen ersten, seit 1618 in seinen verheerenden dreißigjährigen Konfessionskrieg, aber mit dem Ersten Religionsfrieden von Augsburg (1555) und dem Zweiten von 1648 (Artikel V des Osnabrücker Friedensvertrags) fand es auch für diese Herausforderung Lösungen, die in ihrer Zeit avantgardistisch gewesen sind. Auch als das Reich ab 1740 erneut polarisiert wurde, nun nicht mehr vorrangig nach konfessionellen Loyalitäten, sondern im Zeichen des preußisch-österreichischen Dualismus, war es nicht zwangsläufig am Ende, wie Whaley mit guten Argumenten herausstreicht. Als ein Franzose aus Kraft und Willen die europäische Landkarte ummalte und den Kontinent unter seinem korsischen Clan aufteilte, war – wie so viele europäische Länder und Reiche – auch das Heilige Römische Reich deutscher Nation am Ende. Aber für den Briten Whaley prägt sein Erbe die politische Kultur Mitteleuropas bis heute. Es ist gerade für deutsche Leser reizvoll, sich das von einem außenstehenden Beobachter aufzeigen zu lassen, der in die deutschen Forschungskontroversen der letzten Jahrzehnte nicht verwickelt, doch bestens eingeweiht ist. Man merkt, dass die beiden Bände in vieljähriger Arbeit heranreifen durften,

Vorwort zur deutschen Ausgabe

da gab kein ungeduldiges Lektorat oder gar ein Jubiläumsjahr den Takt vor. Dass das Manuskript langsam wachsen durfte, hat ihm fast nur genützt. Es verschreibt sich keiner gerade modischen Methode oder Terminologie, was seiner Haltbarkeit zugutekommen wird. Wiewohl mit dem aktuellen Forschungsstand vertraut, stützt sich sein Autor doch explizit auch auf Historiker, die hierzulande zuletzt eher aus dem Blick geraten sind, beispielsweise den viel zu jung verstorbenen Volker Press, dessen frühe Arbeiten die Erforschung des Reichsverbandes methodisch wie inhaltlich auf ein neues Niveau gehoben haben; die Rückblicke ins ausgehende Mittelalter verdanken viel den trefflichen Arbeiten von Ernst Schubert. Press, der Reichskenner mit dem Faible für tausend landesgeschichtliche Verästelungen; Schubert, der Landeshistoriker mit dem weiten Blick aufs Große und Ganze der deutschen und europäischen Geschichte: Sind sie auch deshalb wichtige Gewährsleute Whaleys, weil sie so gern die Nahtstellen (zwischen Landes- und Reichsgeschichte, zwischen politischer und Kulturgeschichte) inspizierten? Whaleys Monografie jedenfalls akzeptiert solche angeblichen Grenzen, die ja im Zeichen zunehmender Spezialisierung für einen Einzelnen immer unübersteigbarer zu werden scheinen, keinesfalls. Joachim Whaley versucht Deutschlands Vormoderne nicht von einigen zentralen Knotenpunkten her in den Griff zu bekommen und deshalb gleichsam grob gerastert zu präsentieren (was ja, insbesondere in der noch recht jungen Gattung des »Studienbuchs«, etwa für Bachelor-Studenten, durchaus legitim ist), er breitet einen gleichmäßig dicht gewebten Teppich aus. Es handelt sich wirklich um eine Gesamtdarstellung: eine Darstellung nämlich, die alle nennenswerten Ereignisse und Prozesse in Deutschlands Früher Neuzeit anspricht, prägnant umreißt, konzise einordnet. Eine ähnlich umfangreiche, dichte, präzise und durchdachte Gesamtdarstellung gab es bisher auch in Deutschland nicht. Whaleys »Germany and the Holy Roman Empire« ist die wichtigste Veröffentlichung eines englischen Historikers zur vormodernen deutschen Geschichte seit Jahrzehnten; dass man sie nun zeitnah übersetzt hat, wird auch den deutschen Buchmarkt sehr bereichern. Axel Gotthard

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Für Alice

Danksagungen Die Arbeit an diesem Projekt hat mich einer Vielzahl von Leuten gegenüber zu Dank verpflichtet und es ist mir eine Freude, einige von ihnen hier aufzuzählen. Die Liste der Institutionen dürfte vollständig sein, aber sicherlich habe ich viele Einzelpersonen übersehen, die ich hiermit um Nachsicht bitte. Die British Academy ermöglichte mir mit einem großzügigen Wolfson European Fellowship Studienaufenthalte in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Zuschüsse für Bücher und Forschungsstipendien des Gonville and Caius College in Cambridge waren in jedem Stadium eine unschätzbare Hilfe. Zudem gewährte mir das College einen weiteren Zuschuss zu den Kosten des Registers. Ich danke den Juroren des Tiarks German Scholarship Fund für die Finanzierung von Kartenmaterial und anderen Aufwendungen bei der Erstellung des Manuskripts. Im Endstadium der Durchsicht des Manuskripts zur Einreichung und Vorbereitung der Publikation unterstützte mich der Newton Trust mit einem generösen Stipendium. Unter den vielen, denen ich für ihre Hilfe und Unterstützung über die Jahre Dank schulde, sind: Geoff Bailey, Derek Beales, Ilya Bercovich, Tim Blanning, Nicholas Boyle, Annabel Brett, Anita Bunyan, Paul Castle, Stephanie Chan, Christopher Clark, Christophe Duhamelle, Richard Duncan-Jones, Richard Evans, Stephen Fennell, Axel Gotthard, der verstorbene Trevor Johnson, Andreas Klinger, Charlotte Lee, Neil McKendrick, Ian Maclean, Alison Martin, Sharon Nevill, Barry Nisbet, Sheilagh Ogilvie, William O’Reilly, Michael Parkin, Roger Paulin, der verstorbene Volker Press, Ritchie Robertson, Heinz Schilling, Anton Schindling, Alexander Schmidt, Georg Schmidt, Luise Schorn-Schütte, Brendan Simms, Ingrid Sindermann-Mittmann, Gareth Stedman Jones, Mikuláš Teich, Alice Teichova, Andrew Thompson, Maiken Umbach, Helen Watanabe-O’Kelly, Siegrid Westphal, Peter Wilson, Charlotte Woodford und Chris Young. Meine Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die Mithilfe des Bibliothekspersonals der Universität Cambridge. Unersetzlich waren vor allem David Lowe und Christian Staufenbiel, der bereitwillig (viel zu viele) »dringende« E-Mails beantwortet und mir neue Bücher gleich nach Erscheinen zugänglich gemacht hat. Dank David Lowe und ihm ist die Universitätsbibliothek mit Sicherheit einer der besten Orte der Welt für Studien zur deutschen Geschichte. Am Gonville und Caius College unterstützten mich Yvonne Holmes, Wendy Fox und Louise Mills an entscheidenden Punkten. Das gemeinsame Bemühen von Harvey Barker, Maki Lam, Matt Lee und Richard Pettit im Computerbüro des College

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Danksagungen

verhinderte, dass ich versehentlich große Teile des Texts löschte; sie retteten mich prompt und stets gut gelaunt aus den vielen »Rechnerkrisen«. In der Caius-Bibliothek konnte ich zudem stets auf die unermüdliche Unterstützung von Sonia Londero und Mark Statham zählen. Ich danke Philip Stickler und David Watson von der geografischen und kartografischen Fakultät in Cambridge für ihre Hilfe bei der Ausarbeitung der beiden Bänden beigefügten Karten. Großen Dank schulde ich meinen unglaublich hilfsbereiten Lektorinnen bei der Oxford University Press, Stephanie Ireland und Emma Barber. Auch Elizabeth Stone (Korrektur) und Fiona Barry (Schlusskorrektur) haben gründliche und tüchtige Arbeit geleistet. Robert Evans, der den Anstoß zu diesem Projekt gab, stand mir seither kontinuierlich zur Seite und wartete geduldig auf das Ergebnis. Ich danke ihm zutiefst für sein Vertrauen und für die Sorgfalt, mit der er über die Jahre viele Teile des Textes und im Sommer 2010 die Rohfassung des gesamten Buchs gelesen hat. Dankbar bin ich, neben vielen anderen, auch David Theobald und Peter Crabbe für viele Tassen Tee und Unterhaltungen über andere Dinge als »das Buch« sowie Reverend Margaret Mabbs, die jedes Jahr nachgefragt hat. Am meisten Dank, die Widmung lässt es ahnen, schulde ich Alice. Joachim Whaley

Cambridge 31. Oktober 2011

Zu Terminologie und Sprachgebrauch Schon die Frage, wie »Deutschland« in der Frühneuzeit zu nennen sei, hat zu Kontroversen geführt. Ich verwende unterschiedliche Bezeichnungen, die jeweils treffend erschienen. »Deutsche Lande« erfreute sich ab der Mitte des 14. Jahrhunderts zunehmenden Gebrauchs. Im humanistischen Diskurs um 1500 findet sich »Deutschland« häufig; in Politik und Literatur blieb dieser Begriff gebräuchlich. Der Titel »Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation«, der sich um 1500 einbürgerte, unterstreicht ebenfalls die Betrachtung des Reichs als spezifisch deutsches Gemeinwesen. Er wurde auf unterschiedliche Weise abgekürzt, wobei sich zunehmend »Deutsches Reich«, »das Reich« sowie schlicht »Deutschland« durchsetzten. Ich verwende durchgehend die Bezeichnung »Reich« sowie »deutsche Länder« beziehungsweise »Deutschland«, womit mehr oder weniger dasselbe Territorium (samt Österreich) gemeint ist. Ebenso generell werden deutsche Ortsnamen verwendet, auch für Orte, die daneben polnische, tschechische beziehungsweise ungarische Namen tragen. Da dies in der Vergangenheit zu bitteren Auseinandersetzungen geführt hat, in denen sich die problematische Geschichte der Beziehungen zwischen den Deutschen und ihren östlichen Nachbarn widerspiegelt, sei festgestellt, dass die Verwendung deutscher Ortsnamen in diesem Werk keine Parteinahme in diesen Streitigkeiten darstellt, ebenso wie die stillschweigende Ausweitung der Bezeichnung »deutsch« auf Österreicher nicht als Anzeichen einer Sympathie oder Nostalgie des Autors für ein »Großdeutschland« zu werten ist. Das gilt auch für die Verwendung deutscher Namen für Orte im Elsass und anderswo. Problematisch ist überdies die Bezeichnung »calvinistisch«, weil die Deutschen, die man gemeinhin als »Calvinisten« bezeichnet, tatsächlich eher Erben von Zwingli und Bullinger als Anhänger Calvins waren, der in Frankreich größere Wirkung entfaltete. Der Begriff »Calvinist« war im späten 16. Jahrhundert gängig, bekam jedoch bald einen abwertenden Beiklang. Die deutschen reformierten Kirchen nannten sich selbst im Allgemeinen »reformiert« beziehungsweise später »deutsch-reformiert« (zur Unterscheidung von den hugenottischen Einwanderern des späten 17. Jahrhunderts, die tatsächlich Calvinisten waren und in Deutschland als »französisch-reformiert« bezeichnet wurden). Ich verwende die Begriffe »calvinistisch« und »Calvinist« nur im passenden Kontext und ziehe ansonsten »reformiert« und »deutsch-reformiert« vor. Das Vokabular der Währungen, Gewichts- und Maßeinheiten der deutschen

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Zu Terminologie und Sprachgebrauch

Frühneuzeit ist von beinah unfassbarer Vielfalt. Als Leitmünzen waren im Reich Gulden (aus Gold) und (silberne) Taler in Umlauf, wobei der Taler zunehmend dominierte. Kleinere Münzen unterschieden sich von Region zu Region und manchmal sogar von Ort zu Ort. Das gilt auch für Maße und Gewichte, wobei ein und dasselbe Wort für höchst unterschiedliche Einheiten stehen konnte. Ich habe nicht versucht, hier etwas zu vereinheitlichen oder Entsprechungen aufzuzeigen, weder zeitgenössisch noch modern. Das wäre schon für ein einzelnes Jahr eine gewaltige Herausforderung, ganz zu schweigen von drei Jahrhunderten. Die besten Führer durch diesen Dschungel sind Fritz Verdenhalvens Alte Maße, Münzen und Gewichte aus dem deutschen Sprachgebiet (Neustadt a. d. Aisch 1968) und Wolfgang Trapps Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung (6. Aufl., Ditzingen 2012). Das für dieses Buch wichtigste Flächenmaß ist die Quadratmeile, die in Quadratkilometer umgerechnet wurde (eine Quadratmeile = 55,05 km 2). Titel historischer Werke sind nach dem Original angeführt, lateinische Titel zudem übersetzt, soweit sich die Bedeutung nicht aus dem Kontext erschließt. Geburts-, Todes- und Regierungsdaten werden genannt, wo dies angebracht schien.

Zu Karten und Internetressourcen Landkarten sind ein ernstes Problem für Historiker des Heiligen Römischen Reichs. Nur die größten Formate, die die Möglichkeiten normaler Bücher weit übersteigen, können die komplexe territoriale Einteilung des frühneuzeitlichen Reichs angemessen wiedergeben. Selbst manche Kleinregion müsste man in enormer Größe darstellen, um die Zersplitterung vieler Gegenden oder zum Beispiel den Unterschied zwischen den Grenzen eines Fürstbistums, in dem ein Bischof als Fürst herrschte, und der Diözese aufzuzeigen, deren geistliches Oberhaupt er war. Die Karten in diesem Buch können daher nur eine sehr grobe Orientierung bieten. Eine hervorragende Auswahl detaillierterer Karten findet sich online in der vom Institut für Deutsche Geschichte in Washington D.C. zusammengestellten Sammlung German History in Documents and Images (GHDI) unter germanhistorydocs.ghi-dc.org (letzter Zugriff am 17. September 2013). Relevant sind hierbei die Sektionen Von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg (1500–1648), herausgegeben von Thomas A. Brady Jr. und Ellen Yutzy Glebe, und Vom Absolutismus bis zu Napoleon (1648–1815), herausgegeben von William Hagen. Der beste im Druck erhältliche historische Atlas ist wohl Putzgers Historischer Weltatlas, herausgegeben von Ernst Bruckmüller und Peter Claus Hartmann (104. Aufl., Berlin 2011). Das unverzichtbare siebenbändige Handbuch von Anton

Zu Terminologie und Sprachgebrauch

Schindling und Walter Ziegler, Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung (zitiert als Schindling/Ziegler: Territorien), bietet für jedes besprochene Gebiet eine Karte um das Jahr 1500. Der beste Atlas zur Religions- und Kirchengeschichte ist derzeit der Atlas zur Kirche in Geschichte und Gegenwart: Heiliges Römisches Reich – deutschsprachige Länder (herausgegeben von Erwin Gatz unter Mitarbeit von Rainald Becker, Clemens Brodkorb und Helmut Flachenecker; Regensburg 2009). Weiteres hilfreiches Kartenmaterial zur allgemeinen Religionsgeschichte sowie speziell zur Reichskirche findet sich im Atlas zur Kirchengeschichte: Die christlichen Kirchen in Geschichte und Gegenwart, herausgegeben von Hubert Jedin, Kenneth Scott Latourette und Jochen Martin (Neuauflage der 3., aktualisierten Auflage von 1987, Freiburg 2004) auf den Seiten 64–94. Das Internet macht einen reichen Schatz an biografischen Informationen zugänglich. Die Allgemeine Deutsche Biographie und Neue Deutsche Biographie, das Österreichische Biographische Lexikon und das Historische Lexikon der Schweiz können unter biographie-portal.eu durchsucht werden (Zugriff am 17. September 2013), Constantin Wurzbachs Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich (in 60 Bänden 1856–1891) unter www.literature.at/collection.alo?objid=11104 (Zugriff am 17. September 2013). Das unschätzbare Biographisch-bibliographische Kirchenlexikon von Friedrich Wilhelm Bautz ist in aktualisierter Form unter www. bbkl.de (Zugriff am 17. September 2013) verfügbar. Online finden sich überdies auch Bilder von Orten und Gebäuden. Oft liefert schon eine simple Suche über Google oder andere Suchmaschinen Abbildungen, die einen vortrefflichen Eindruck geben. So zeigt sich etwa, dass viele Gebäude, die in der Literatur als von Versailles beeinflusst beschrieben werden, überhaupt keine Ähnlichkeit aufweisen! Und schließlich sollte jeder, der die deutsche Geschichte studiert oder weiterführende Literatur zu bestimmten Themen sucht, den Redakteuren der Jahresberichte für deutsche Geschichte an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften dankbar sein. Ihre Onlinebibliografie, die alles umfasst, was seit 1974 zur deutschen Geschichte publiziert wurde, wird täglich aktualisiert und ist schlicht und einfach unvergleichlich. Man findet sie unter www.jdg-online.de (Zugriff am 17. September 2013).

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Abkürzungen ADB BWDG

Allgemeine Deutsche Biographie, 56 Bde. (München und Leipzig, 1875–1902). Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte, hg. von Karl Bosl, Günther Frantz und Hanns Hubert Hofmann, 2. Aufl., 3 Bde. (München 1973/74). DBE Deutsche Biographische Enzyklopädie, hg. von Walther Killy und Rudolf Vierhaus, 13 Bde. in 15 Tln. (Darmstadt, 1995–2003). DVG Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band I: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, hg. von Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl und Georg Christoph von Unruh (Stuttgart 1983). HBayG Handbuch der Bayerischen Geschichte, hg. von Max Spindler, Franz Brunhölzl und Hans Fischer, 4 Bde. in 6 Tln. (München, 1967–1975). HdtBG, I Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Band I: 15. bis 17. Jahrhundert, hg. von Notker Hammerstein (München 1996). HdtBG, II Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Band II: 18. Jahrhundert, hg. von Notker Hammerstein (München 2005). HbDSWG Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Band I: Von der Frühzeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, hg. von Herman Aubin und Wolfgang Zorn (Stuttgart 1978). HDR Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Berlin 1964–) HLB http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/base/start (letzter Zugriff am 17. September 2013). HLS Historisches Lexikon der Schweiz, hg. von Marco Jorio (Basel 2002–). IPM Instrumentum Pacis Monasteriense (Friedensvertrag von Münster 1648). IPO Instrumentum Pacis Osnabrugense (Friedensvertrag von Osnabrück 1648). LdM Lexikon des Mittelalters, 10 Bde. (München, 1980–1999). NDB Neue Deutsche Biographie (Berlin 1953–). RGG Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, hg. von Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski und Eberhand Jüngel. 4. Aufl., 9 Bde. (München, 1998–2005). TRE Theologische Realenzyklopädie, hg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller, 38 Bde. (Berlin, 1977–2007).

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ie Geschichte Deutschlands stellt den Historiker vor besondere Schwierigkeiten. Die uneinheitliche und häufig turbulente Entwicklung des Landes seit Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich kontinuierlich in den Auseinandersetzungen deutscher Historiker mit der Vergangenheit niedergeschlagen. In der Tat ist die deutsche Geschichtsschreibung seit dem 19. Jahrhundert in ungewöhnlich hohem Maß politisch und beeinflusst von Vorstellungen über die historische Identität des deutschen Volkes. Im 19. Jahrhundert spielten Historiker eine herausragende Rolle bei der Bestimmung dessen, was eine Nation sei, und im 20. Jahrhundert führte jeder Bruch oder Neubeginn in der Geschichte der Nation zu einer Neubewertung der nationalen Vergangenheit. Unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dann noch einmal in den 1930er Jahren sorgte dieser Prozess für einschneidende Veränderungen bei den während des 19. Jahrhunderts entwickelten Interpretationsmustern. Nach 1945 jedoch wurde die gesamte deutsche Geschichte einer radikalen Revision unterzogen, die viele der bis dahin für gültig erachteten Grundannahmen historischer Forschung in Deutschland infrage stellte. Dieser Prozess, der in der Bundesrepublik einen anderen Verlauf nahm als in der einstigen DDR und der nach der Wiedervereinigung neue Wendungen nahm, hat unsere Sicht auf die Geschichte des Heiligen Römischen Reichs in der Frühmoderne erheblich verändert. Will man die deutsche Geschichte insgesamt und darüber hinaus die Bedeutung und Gewichtung, die bestimmten Epochen dieser Geschichte zugeschrieben werden, verstehen, muss man unbedingt jene wechselnden Wahrnehmungen berücksichtigen. Wahrscheinlich lässt sich, im Unterschied zu den meisten anderen Nationalgeschichten, die deutsche Geschichte nur verstehen, wenn man die Historiografie früherer Generationen im Auge behält. Mithin will dieses Buch auch zeigen, auf welche Weise deutsche Historiker die Geschichte des späteren Heiligen Römischen Reichs im Kontext ihrer eigenen nationalen Geschichte aufgefasst und wie ihre eigenen geschichtlichen Erfahrungen den Zugang zur frühen Moderne geprägt haben. Die Einführung wird sich darum mit einigen Interpretationen beschäftigen, die sich im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte entwickelt haben. Thema dieser Arbeit ist die Entwicklung der deutschsprachigen Region Mitteleuropas im Rahmen des Heiligen Römischen Reichs vom späten 15. bis zum frühen 19. Jahrhundert. Um 1500 führten die Reformbestrebungen des späteren Kaisers

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Maximilian I. zur Entstehung einer neuen Art politischer Ordnung im Reich. Zwar blieben dem Kaiser Erfolge bei seinen finanziellen und militärischen Forderungen versagt, doch markierte die Übereinkunft – der Ewige Landfriede und das zu seiner Erhaltung eingerichtete Reichskammergericht – sowie die ihr folgenden Verhandlungen mit dem Reichstag einen Wendepunkt. Die politische Ordnung war auf einen neuen Weg gebracht, dem sie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts folgen sollte. Die in Deutschland vorherrschende verfassungsmäßige Balance unterschied sich wesentlich von jener, die für die britische, französische oder spanische Monarchie kennzeichnend waren, ähnelte jedoch dem Verfassungssystem des polnisch-litauischen Königreichs oder den föderalen Republiken, die zur gleichen Zeit von den Schweizern oder etwas später von den Holländern hervorgebracht wurden. Im Heiligen Römischen Reich beschrieb die Formel Kaiser und Reich ein duales System, das auf zwei unterschiedlichen, aber vielschichtig miteinander verbundenen Ebenen funktionierte. Auf der einen Ebene entwickelte sich das Reich aus einem auf persönlichen Beziehungen zwischen dem König und seinen adligen Vasallen beruhenden mittelalterlichen Feudal- zu einem eher föderalen System, wobei das Binnengerüst – der König mitsamt Lehnsgefolge – bis zur Auflösung des Reichs 1806 unangetastet blieb. Kaum sonst in Europa war die Autorität des Monarchen so stark begrenzt und so strengen und explizit formulierten Einschränkungen unterworfen. Sicher sehen Historiker anderer europäischer Länder die Entwicklung der auf Erbfolge beruhenden Monarchien mittlerweile mit relativierendem Blick und heben ihre Schwächen und Beschränkungen hervor. 1 Die composite monarchies, die aus ehemals selbstständigen Fürstentümern und Königreichen zusammengesetzte Monarchien Großbritanniens, Frankreichs und Spaniens bestanden aus unterschiedlichen Provinzen, Fürstentümern oder Königreichen, die gegen die Zentralgewalt der Monarchen und ihrer Beamten an ihren tradierten Rechten und Institutionen festhielten. 2 Allerdings ist der Fall für Deutschland wiederum etwas anders geartet. Denn hier haben, was die zweite Ebene betrifft, die Fürsten und andere untergeordnete Verbände und Individuen ein viel größeres Maß an Autonomie gegenüber dem Monarchen bewahrt. Und auf dieser Ebene entwickelten sich viele der zentralen Aufgaben des Staates: Besteuerung, Sozialregulierung, Truppenaushebung und so weiter. In manchen größeren Territorien führte dies ab dem späten 15. Jahrhundert zur Herausbildung von Strukturen, die einige deutsche Historiker als Staaten bezeichneten. Der Ausdruck mag angemessen sein, soweit er sich auf die internen Funktionen bezieht, doch blieben diese territorialen Herrscher Vasallen des Kaisers. Sie waren die Oberherren ihrer Völker, besaßen aber keine Souveränität. In ihren Machtbefugnissen waren sie den Gesetzen des Reichs und der kaiserlichen

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Autorität unterworfen; an den Kaiser als übergeordnete Autorität konnten sich die Untertanen der Fürsten wenden. Die strukturelle Verfasstheit dieses dualen Systems mitsamt seinen Auswirkungen auf die Entwicklung der deutschen Länder haben Generationen von Historikern jeweils ganz unterschiedlich interpretiert. In der nationalen Tradition des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die frühe Neuzeit als Epoche des Niedergangs und Verfalls begriffen. 3 Einerseits gab es romantische Vorstellungen von einem mittelalterlich-christlichen deutschen Reich, die in scharfem Kontrast zu den Teilungsvorgängen im Heiligen Römischen Reich und seinem offenkundigen Mangel an universeller Bedeutung nach der Reformation standen. Für viele katholische Gelehrte des 19. Jahrhunderts stellte die Reformation das Ende des mittelalterlichen Universalismus dar. Andererseits beklagten nationalistische Historiker den Niedergang eines angeblich starken mittelalterlichen deutschen Reichs oder Königtums, dem nach 1500 eine Epoche anarchischer Zersplitterung und Uneinigkeit gefolgt sei. Protestantische Historiker wiederum, sei es in Preußen oder anderswo in Deutschland, sahen die Reformation als heroische deutsche Errungenschaft. Immerhin war man sich darin einig, dass in der Zeit um 1500 das Reich endgültig zerfiel. Der angebliche Triumph der Fürsten über den Kaiser und die Durchsetzung des Partikularismus führte im folgenden Jahrhundert zu bitterer Zersplitterung und langwierigen religiösen Konflikten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts nahmen diese Konflikte internationale Dimensionen an und die deutschen Länder wurden dreißig Jahre lang zum Schlachtfeld. Die Nationalisten sahen im Ende des Kriegs die deutsche Einheit auf dem Tiefpunkt angelangt. Die deutschen Länder waren verheert und ausgeplündert, die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert und die Kultur nahezu ausgelöscht. In den Ruinen errichteten, so hieß es, die deutschen Fürsten, keiner mäßigenden Autorität mehr unterworfen, absolutistische Staaten. Der Westfälische Friede, mit dem 1648 die Feindseligkeiten endeten, galt als Magna Charta des Partikularismus: Er schrieb die Rechte der Fürsten ebenso fest wie andererseits die Ohnmacht von Kaiser und Volk. Die nächsten eineinhalb Jahrhunderte überlebte das Reich, jedenfalls gemäß der traditionellen Lesart, nur als mottenzerfressene Hülle, korrupt und todgeweiht, ein Hohngebilde des einst starken mittelalterlichen Reichs mit seiner universellen Mission. 1918 ging ein junger amerikanischer Literaturwissenschaftler der zweiten Generation an der Universität von Minnesota, der die Schriften deutscher Historiker des 19. Jahrhunderts genau kannte, sogar noch weiter: Er kam zu dem Schluss, dass das Reich nach 1648 keine wirkliche Geschichte mehr gehabt und nur noch seine »elende und bedeutungslose Existenz fortgesetzt« habe, »weil

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seinen geduldigen und trägen Untertanen die Initiative und vielfach auch die Intelligenz fehlte, die formelle Auflösung zu bewerkstelligen«. 4 Dem nationalistischen Mainstream zufolge führten zwei Entwicklungen, die im 18. Jahrhundert ihren Anfang nahmen, aus der Sackgasse heraus. Zum einen erwuchs mit Brandenburg-Preußen eine starke, zur Führerschaft befähigte Monarchie, und damit die Grundlage für die spätere deutsche Vereinigung. Allerdings verlief der Prozess langsam. Selbst Friedrich dem Großen gelang es nicht, die deutschen Herrscher im Fürstenbund der 1780er Jahre zusammenzuschließen. Seine Nachfolger retteten Deutschland in den Kriegen gegen Napoleon, doch selbst ihr Appell an die nationale Einheit blieb letztlich wirkungslos, sodass spätere Herrscher und Staatsmänner den Faden wieder aufnehmen mussten. Zum Zweiten erlebte das 18. Jahrhundert angeblich den tatsächlichen Beginn einer genuin nationalen deutschen Kultur, die sich anfänglich in unpolitischer Distanz zum Staat als kosmopolitischer Idealismus entwickelte, allmählich jedoch durch Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution und Napoleon politisiert wurde. Diese beiden Entwicklungsstränge, so der nationalistische Mainstream, fanden im Nationalstaat von 1871 zueinander, und damit war der Anschluss an die im späten Mittelalter abgerissene Nationalgeschichte der Deutschen wiederhergestellt. Diese Sichtweise konnte, in diversen Variationen und mit unterschiedlichen regionalen (z. B. preußischen oder süddeutschen) oder religiösen (protestantischen oder katholischen) Tönungen, bis 1945 unwidersprochene Vorherrschaft behaupten. Auch nichtdeutsche Historiker eigneten sich diese Sichtweise an, was nicht zuletzt auf den Einfluss von James Bryces klassischer Darstellung des Heiligen Römischen Reichs zurückzuführen ist. Das Werk erschien zuerst 1864 und steht erkennbar im Bann Rankes und seiner Zeitgenossen. 5 Bezeichnenderweise widmete Bryce nur 28 Seiten, etwa 16 Prozent des Textes, den letzten drei Jahrhunderten des Reichs. In der sechsten (überarbeiteten und erweiterten) Ausgabe von 1906 erhielt die Entstehung des neuen deutschen Reichs im 19. Jahrhundert ebenso viel Raum wie die Darstellung des Reichs in der frühen Neuzeit. Natürlich gab es zu der, wie man sagen könnte, »offiziellen« preußisch-deutschen Interpretation der Vergangenheit, die in hohem Maß auch von nichtpreußischen deutschen Protestanten vertreten wurde, Alternativen, die jedoch nie Prominenz erlangten. In den ersten Jahrzehnten nach 1815 entstand eine Vielfalt von katholischen und österreichischen Darstellungen deutscher Geschichte, die jedoch auch die allgemeine Auffassung von der Geschichtstragödie nach 1648 teilten, wiewohl sie dazu neigten, den »nichtdeutschen« Charakter Preußens hervorzuheben. 6 Allerdings konzentrierten sich die österreichischen Historiker zunehmend auf ihre eigene »nationale« Geschichte, der gegenüber das Reich eher an den Rand rückte. 7 Nur wenige verfolgten weiter eine »gesamtdeutsche« Perspektive, in der

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das frühneuzeitliche Österreich Teil jenes im Heiligen Römischen Reich eingeschlossenen »Deutschlands« war. Nach dem Zusammenbruch von Österreich-Ungarn 1918 wurde diese Sichtweise im Kontext von Diskussionen um die Vereinigung von Deutschland und Österreich und insbesondere um den »Anschluss« von 1938 politisch kontrovers diskutiert. 8 Bezeichnenderweise wurden in dieser Epoche von österreichischen Gelehrten wie Heinrich von Srbik (* 1878, † 1951) wichtige Arbeiten über das frühneuzeitliche Reich publiziert. 9 Nach dem Ende des »Dritten Reichs« neigten österreichische Historiker erneut dazu, die deutsche Dimension ihrer Geschichte zu marginalisieren. Die Tatsache, dass der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, Franz II., 1804, also zwei Jahre vor der Auflösung des Reichs, den neuen Titel eines Kaisers von Österreich annahm, war für die österreichische Geschichtsschreibung von entscheidender Bedeutung und wirkte sich auch auf die Historiografie des Reichs allgemein aus. Die Erforschung der Vorgeschichte der österreichischen Monarchie führte zu einer Konzentration auf jene Faktoren, die ab dem frühen 16. Jahrhundert eine Unterscheidung Österreichs vom übrigen Heiligen Römischen Reich begünstigten. Die Frage, ob Österreich irgendwann einmal das Reich »verlassen« habe, wird im Rahmen dieser Arbeit immer wieder auftauchen. In anderen deutschen Ländern außerhalb von Preußen entwickelten sich nach 1806 vergleichbare Interpretationen des Heiligen Römischen Reichs. 10 Entscheidend war hier, dass im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts neue souveräne Staaten entstanden, zu deren hauptsächlichen Ziele es gehörte, sich der Oberherrschaft des Kaisers zu entledigen. Sofern sie dazu in den Jahren nach 1801 mit Napoleons Hilfe in der Lage waren, erwarben sie ausgedehnte Ländereien zur Befestigung ihrer neuen Existenz als souveräne Staaten des Deutschen Bundes nach 1815. Diese Aneignung neuer Gebiete und damit auch weiterer Untertanen ging einher mit der Bildung einer neuen historischen Identität. Man entfernte die kaiserlichen Herrschaftssymbole von den öffentlichen Gebäuden und gab Straßen und Plätzen in den Städten neue Namen. Die Geschichtsschreibung sprach nun auftragsgemäß von einem »Reich Württemberg« oder einem »Reich Bayern«; es war die Historiografie unabhängiger Staaten statt von Territorien, die dem Heiligen Römischen Reich untergeordnet gewesen waren. In den nach 1815 neu entstandenen deutschen Staaten wurde das vergangene Reich häufig nur als Hindernis auf dem Weg zum modernen politischen Staatswesen im Deutschen Bund verstanden. Angesichts der Katastrophe des »Dritten Reichs« wandte sich die deutsche Geschichtsschreibung nach 1945 ganz bewusst gegen die Tradition des Nationalstaats und unterzog nach und nach einige historische Mythen der Vergangenheit einer Revision. 11 Es schälte sich eine neue Sichtweise heraus, deren Implikationen heute noch erforscht und bearbeitet werden. Dabei hat sich der Blick auf die Geschichte des Heiligen Römischen Reichs grundlegend gewandelt.

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So ist die Überzeugung, es habe zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert ein starkes Reich gegeben, mittlerweile weitgehend revidiert worden. Des Weiteren haben Spezialisten für das späte Mittelalter wie Peter Moraw die traditionelle Interpretation des 14. und 15. Jahrhunderts als Epoche des Verfalls und Absinkens in die Anarchie ebenfalls einer kritischen Prüfung unterzogen. 12 Er ist dabei zu völlig gegenteiligen Ansichten gelangt: In dieser Epoche habe sich, so heißt es bei ihm, die Binnenstruktur des Heiligen Römischen Reichs in einem langwierigen Prozess der »Verdichtung« von Regierungsformen und Kontrollmechanismen erst herausgebildet und verfestigt, und zwar auf der Ebene der kaiserlichen Institutionen wie auch in den Ländern der bedeutenderen Vasallen des Reichs. Hier wie dort habe der Prozess gegen Ende des 15. Jahrhunderts ein kritisches Stadium erreicht, das in einer Reformbewegung gipfelte, in der sowohl Kaiser Maximilian I. wie auch die Fürsten zugleich unterschiedliche Interessen und mehr oder weniger ein gemeinsames Ziel verfolgten. Der aus dieser Reformbewegung um 1500 resultierende Kompromiss bildete den Rahmen für die nächsten 300 Jahre. Auch hier haben die Forschungen von Gelehrten wie Hanns Hubert Hoffmann, Karl Otmar von Aretin, Gerhard Oestreich, F. H. Schubert, Heinrich Lutz und Volker Press für eine neue Sichtweise gesorgt. 13 Im Unterschied zu den umfassend-systematischen Kompendien von Rechtsgelehrten des 18. Jahrhunderts wie Johann Jakob Moser und Stephan Heinrich Pütter, die das Reich als statisches System betrachteten, sieht die moderne Geschichtsforschung darin ein dynamisch sich entwickelndes politisches System. Zwar bewahrte es einerseits seinen mittelalterlich-feudalen Charakter wie auch das vom Mittelalter überkommene Erbe des Dualismus zwischen Kaiser und Reich (das heißt den kaiserlichen Ländern), entwickelte sich andererseits aber als ein System mit politischer Verfassung. Demzufolge hat das Reich in den letzten 300 Jahren seiner Existenz keineswegs stagniert, sondern eine bemerkenswerte Reihe von Veränderungen durchlaufen. Es mag paradox erscheinen, dass all jene Ereignisse, in denen vorherige Historiker Meilensteine des Abstiegs erblickten, tatsächlich vielschichtige Ursachen für den Wandel darstellten. Die Reformation führte zu religiös motivierten Teilungen, beförderte aber zugleich die Suche nach einem verfassungsmäßigen modus vivendi, der das politische Gemeinwesen bewahren sollte. Der mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 erzielte Kompromiss war unangemessen, weil er zu weiteren Auseinandersetzungen führte, aber er sorgte auch für neue Formen der Koexistenz. Der Dreißigjährige Krieg war ein vorwiegend auf deutschem Boden ausgetragener europäischer Konflikt und zugleich eine durch den Krieg verschärfte Verfassungskrise des Reichs. Im Westfälischen Frieden wurde die 1555 erreichte Verfassungsordnung neu ausgehandelt und der Rahmen für die nächsten 150 Jahre abgesteckt. Auch hier sahen vorherige Historiker nur Erkrankung und Stagna-

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tion auf dem Weg zu vollständigem Stillstand, während neuere Forscher ein System erblickten, das in vielerlei Hinsicht effektiv war, insofern es zu einer europäischen balance of powers ebenso beitrug wie zur Stabilisierung der deutschen Territorien und ihrer Bewohner. Zweifellos wurde das nach 1648 hergestellte Gleichgewicht durch die Entwicklung der Vormachtstellung Brandenburg-Preußens im Norden erheblich bedroht. Die ehrgeizigen Bestrebungen der Hohenzollern, vor allem Friedrichs des Großen zwischen 1740 und 1786, zielten über die traditionellen Formen der deutschen Territorialregierungen hinaus auf Souveränität, nicht auf Oberherrschaft. Dennoch wurde das Reich dadurch nur implizit bedroht, seine Auflösung nicht de facto betrieben. Zudem wurden Preußens Bestrebungen durch eine vergleichbare Entwicklung in Österreich konterkariert. Möglicherweise hat Joseph II. die Reichsverfassung sehr viel radikaler und offener angegriffen als Friedrich II. es jemals tat. Allerdings blieben die Bemühungen beider Herrscher erfolglos: Das Reich wurde durch die revolutionären Armeen Frankreichs und durch Napoleon zerstört. In dem entstehenden Machtvakuum erlangten nicht nur Österreich und Preußen, sondern auch große Länder wie Baden, Bayern, Hessen und Württemberg volle staatliche Souveränität. Diese endgültige Verwandlung des Reichs wird in den Schlusskapiteln analysiert. Meine Einschätzung hebt diverse Kontinuitäten hervor, die die frühneuzeitliche Epoche mit der Moderne verbinden: Das moderne Deutschland ging auf unterschiedlichen Wegen aus dem Heiligen Römischen Reich hervor, durch dessen Institutionen und historische Erfahrungen es zugleich geformt wurde. Allein das Vorhandensein solcher Kontinuitäten reicht aus, um all jene negativen Interpretationen der letzten drei Jahrhunderte des Reichs, die sich der nationalistischen Tradition der deutschen Geschichtsschreibung verdanken, ad acta zu legen. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 hat sich die Aufmerksamkeit auf vier Themenbereiche konzentriert. Zum einen plädierten manche Historiker, allen voran Georg Schmidt, dafür, das Reich als Staat zu betrachten, der in mancher Hinsicht in Personalunion regierten Monarchien (composite monarchies) wie Großbritannien und Frankreich vergleichbar war, sich von ihnen aber darin unterschied, dass es ihm gelang, Mechanismen zur Vermeidung von religiös motivierten Bürgerkriegen oder revolutionären Aufständen zu entwickeln. 14 Zum Zweiten wurde von anderen Forschern hervorgehoben, dass die deutsche Geschichte europäische Geschichte sei. Sie betonen die Funktion des Reichs als Garanten von Gesetz und Ordnung im Zentrum Europas oder hegen die Vorstellung, dass das Reich mit seinen Kreisen eine Art Vorläufer der Europäischen Union ist. 15 Zum Dritten haben Georg Schmidt und andere auch die nationale Dimension der frühneuzeitlichen deutschen Geschichte betont und erneut auf die patriotischen Traditionen im Reich selbst verwiesen. 16 Zum Vierten schließlich ließ sich eine Tendenz erkennen,

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auf die in vielfacher Hinsicht relative Modernität des frühneuzeitlichen Reichs abzuheben: Ein Beispiel ist der zwischen 1555 und 1648 währende religiöse Friede, der auch gewöhnlichen Untertanen gewisse Rechte hinsichtlich ihres Glaubens und ihres Besitztums einräumte; ein anderes Beispiel ist die Übertragung legislativer Befugnisse an die Regionen und die Entwicklung interterritorialer Zusammenarbeit in Sachen Sozial- und Wirtschaftspolitik. Diese neuen Sichtweisen wurden häufig kontrovers diskutiert. 17 Manche Kritiker wenden ein, dass der Staatsbegriff allzu weit ausgedehnt würde, andere halten die Perspektive des Reichs als Vorläufer der EU für eine unhistorische Idealisierung. Wieder andere sträubten sich gegen die Vorstellung, es habe in einer ihrer Ansicht nach pränationalen Epoche bereits so etwas wie Patriotismus oder Nationalismus gegeben. Und Kritikern, die das Reich für antiquiert und anachronistisch halten, muss jeder Hinweis auf dessen mögliche Modernität als absurd erscheinen. Trotz alledem haben diese neuen Ansätze unzweifelhaft reale und als solche von vielen Kommentatoren des 18. Jahrhunderts anerkannte Eigenschaften des Reichs beleuchtet. Vor allem aber haben sie die Aufmerksamkeit einer neuen Generation von Historikern auf die Geschichte des Reichs gelenkt und während der letzten zwei Jahrzehnte einen wahren Forschungsboom ausgelöst, der sich auf praktisch alle Aspekte der Reichsgeschichte in der frühen Neuzeit erstreckt. Die jüngeren Ansätze in der Erforschung der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte jener Epoche haben auch zu einer neuen Einschätzung der letzten Jahrhunderte des Reichs geführt. Zwar gibt es für diese Ära eine lang währende, bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Forschungstradition, doch hat auch hier die nach 1945 einsetzende Zurückhaltung in puncto Nation und Staat die Fokussierung der Interessen beeinflusst. Zum Teil ist die neue Wahrnehmung der frühneuzeitlichen Gesellschaft und ihrer Entwicklung das Resultat auch der Auseinandersetzung mit Argumenten, die marxistische Historiker der DDR nach 1949 vortrugen. Sie gingen davon aus, dass Deutschland um 1500 eine – allerdings fehlgeschlagene – »frühbürgerliche Revolution« erlebt habe. In dieser Interpretation spielte das Reich eine rein negative Rolle.18 Als das Reich seine Blütezeit erlebte, verhinderten Universalismus und die Bindung an das Papsttum die nationale Entwicklung; in der Epoche des nachmittelalterlichen Niedergangs wurden die deutschen Gebiete zum Schauplatz europäischer Kriege, während zugleich das erneute Erstarken des Feudalsystems der Entstehung eines bürgerlichen Kapitalismus im Weg stand. In diesem Zusammenhang galt die Reformation als Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Krise. Luthers Protest richtete sich gleichermaßen gegen Rom wie gegen den Feudalismus. Sein Scheitern und die Niederlage der aufständischen Bauern öffnete der Refeudalisierung der Gesellschaft Tür und Tor. Der Sieg der Fürsten und ihre politische Beteiligung an den religiösen Auseinandersetzungen wie auch an den europäischen Machtkämpfen führten zur Katastrophe des Drei-

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ßigjährigen Kriegs. In den Ruinen des verwüsteten Deutschlands konnten die Fürsten mit dem Aufstieg des Absolutismus ihre Macht erneut befestigen; er war die letzte vormoderne Gestalt der Feudalordnung. Erst im 18. Jahrhundert, so hieß es, entwickelten sich allmählich die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen für die Entstehung des Kapitalismus. Die fortschrittliche, antifeudale Ideologie der Aufklärung warf der alten Ordnung den Fehdehandschuh hin, ohne sie überwinden zu können. So sollte das Ausbleiben einer Revolution à la française fatale Folgen zeitigen, weil dadurch die Entstehung einer besonders aggressiven Form von Kapitalismus und Imperialismus begünstigt wurde. Einerseits hatte die ungeschminkt doktrinär vorgetragene Theorie einer fehlgeschlagenen »frühbürgerlichen Revolution« samt ihren langfristigen Folgen keinen bedeutsamen Einfluss auf die Interpretation der frühneuzeitlichen Geschichte Deutschlands. Andererseits gab sie jedoch den Anstoß für die Erforschung der sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge. Außerdem gab es parallel dazu ab Beginn der 1960er Jahre in der Bundesrepublik ein neu erwachtes Interesse an der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, das von der Geschichtsschreibung in der DDR Impulse empfing und ebenso sich kritisch mit ihr auseinandersetzte. In der Bundesrepublik legte man den Forschungsschwerpunkt vor allem auf die Untersuchung der wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft, der Sozialstruktur der deutschen Länder, ihrer Höfe und Regierungen, der Entwicklung und Funktion der Städte und Ortschaften sowie der Rolle der nichtadligen Gruppen (insbesondere der theologisch und juristisch gebildeten und ausgebildeten Bürger). Nicht zuletzt ging es auch um die Frage, ob der »gemeine Mann« das passive Opfer einer fehlgeschlagenen Revolution war oder eher als an der Entwicklung der deutschen Länder aktiv Beteiligter, sei es als Bürger, Adliger oder Fürst, verstanden werden müsse. Zwei neuere Arbeiten beziehen solche sozial- und wirtschaftshistorischen Forschungen auf eine umfassendere Darstellung der deutschen Geschichte. Peter Blickles 2003 veröffentlichte Geschichte der Freiheit vom späten Mittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert verbindet die langjährige Erforschung des bäuerlichen Widerstands mit Einblicken in frühneuzeitliche Diskurse über Freiheit sowie Regierungs- und Gesellschaftskonzeptionen. 19 Thomas Bradys Geschichte Deutschlands zwischen 1400 und 1650 erschien gerade, als das vorliegende Werk fertiggestellt war. Sein zentrales Interesse gilt der Reformation und ihren Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft und Politik. Bedeutsam ist, dass Brady den Beginn auf das Jahr 1400 legt, denn damit betont er die lange soziale und religiöse Vorgeschichte der Reformation. Mit dem Schlussdatum 1650 will Brady zeigen, dass von den vielen Optionen, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch offen waren, sich nun keine mehr verwirklichen ließ. 20 Das frühneuzeitliche Reich, einst eine ziemlich vernachlässigte Periode der

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deutschen Geschichte, gehört jetzt zu den boomenden Forschungsgebieten. Damit ist auch der Blick auf diese Epoche differenzierter geworden. Das konventionelle Bild einer zurückgebliebenen, unterdrückten und bildungsarmen Gesellschaft ist durch die kritische Erörterung jener Kriterien, mittels derer Zurückgebliebenheit definiert wird, infrage gestellt worden. Zweifellos gab es rückständige Gebiete, in denen sich wenig oder gar nichts änderte, deren Regierungen sich durch Inkompetenz und tyrannische Rohheit auszeichneten. Jedoch gilt die Tatsache, dass sich in den deutschen Territorien weder ein Nationalstaat herausbildete noch ein revolutionärer Wandel stattfand, nicht mehr notwendigerweise als Zeichen einer allgemeinen Zurückgebliebenheit. Als sehr viel problematischer erwies sich die Darstellung der geistigen und kulturellen Dimensionen dieser Epoche. Bis zu einem gewissen Grad zeigt sich darin, welche Abgründe im deutschen Universitätssystem zwischen Fächern wie Geschichte, Theologie, Philosophie und Literaturwissenschaft klaffen. Ähnliches gilt übrigens für das britische Bildungssystem. Allerdings schlägt sich darin auch das Beharrungsvermögen traditioneller historischer Darstellungen innerhalb dieser Fächer nieder. Insgesamt betonten sie die Bedeutung der Reformationsperiode und des 18. Jahrhunderts, während sie die dazwischenliegenden eineinhalb Jahrhunderte völlig unterbewerteten. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten haben modernere Untersuchungen damit begonnen, ein neues Geschichtsbild dieser Epoche zu entwerfen. In der Theologie ging man lang davon aus, dass die Errungenschaften Luthers und seiner Zeitgenossen alles Folgende bis zur Aufklärung in den Schatten gestellt hätten. Hier hat die von Martin Brecht et al. herausgegebene monumentale Studie zur Geschichte des Pietismus in umfassender Weise eine Lücke geschlossen. 21 Die Beiträge in diesem Handbuch beleuchten nicht nur die vielfältigen Ursprünge des Pietismus im 16. und frühen 17. Jahrhundert, sondern auch seine zahllosen Verzweigungen, die für die Entwicklung des Protestantismus nicht nur in Deutschland im späteren 17. und im 18. Jahrhundert entscheidend waren. An den Universitäten wurde die vorkantische Epoche der Philosophie lange Zeit höchst stiefmütterliche behandelt; vielfach bezweifelte man sogar, dass es damals überhaupt in Deutschland ein eigenständiges politisches und sozialphilosophisches Denken gegeben habe. Siegfried Wollgasts bemerkenswerte Studie zur Entwicklung der Philosophie von 1550 bis 1650, veröffentlicht 1988 in der DDR, blieb lange Zeit unbeachtet. 22 Erst vor Kurzem haben Gelehrte wie Howard Hotson und Martin Mulsow damit begonnen, das Gelände neu zu vermessen und viel versprechende Alternativen zu den überkommenen Meistererzählungen, die sich auf die großen Texte der kanonischen Denker konzentrierten, zu entwickeln. 23 Eine unentbehrliche Grundlage für weitere Forschungen bilden auch die Handbücher zur Entwicklung der deutschen Philosophie im 17. Jahrhundert, die Bestandteil

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von Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie (1863–1866) sind, jenes dreibändigen Klassikers aus dem 19. Jahrhundert, der jetzt neu herausgegeben wird. 24 Auch in der Literatur- und Kulturwissenschaft hat man sich lange auf die Aufklärung und die Goethe-Zeit, die Anfänge der literarischen Moderne in Deutschland, konzentriert. Demgegenüber gilt die frühneuzeitliche Periode häufig als zugleich ein Anfang und ein Ende, ohne Vermittlung zwischen den Polen. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts finden wir eine brillante humanistische Kultur, deren allmähliches Verlöschen eine Leere hinterließ, die erst wieder ab der Mitte des 18. Jahrhunderts durch eine Entwicklung gefüllt wurde, deren überragendes Symbol der »Olympier« Goethe werden sollte. Selbst das in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten neu erwachte Interesse an der Barockliteratur konnte wenig dazu beitragen, das Bild des 17. Jahrhunderts als saeculum obscurum der deutschen Geschichte zu revidieren. 25 Immerhin ist seit 1945 viel geschehen, um die Entwicklung der politischen Ideen im Deutschland dieser Epoche nachzuzeichnen. Die Arbeiten von Forschern wie Leonard Krieger in den 1950er und Hans Maier in den 1960er Jahren boten entscheidende Impulse für ein neues Verständnis der grundlegenden Differenz zwischen der deutschen Tradition und der des Westens. 26 Zuvor hatte man eher grob zwischen konservativer, wenn nicht gar autoritärer Konzeption von Staat und Gesellschaft und westlicher, Recht und Rechte betonender Tradition unterschieden. Neuere Arbeiten haben vor allem die Theorie des Reichs zum Thema gemacht und sich damit beschäftigt, wie ein Begriff von Regierung entstehen konnte, der umfassender ist als entsprechende Ansätze etwa in der französischen oder englischen Tradition. Gerald Strauss hat die politischen und sozialen Folgen der Rezeption des römischen Rechts im 16. Jahrhundert beleuchtet. 27 Robert von Friedeburg hat für den gleichen Zeitraum gezeigt, auf welche Weise die Idee einer Selbstverteidigung gegen einen ungerechten Monarchen die Entwicklung von Vorstellungen eines gerechtfertigten Widerstands gegen Anmaßungen der Autorität in England zwischen 1530 und 1680 beeinflusst hat. 28 Deutlicher geworden ist auch der Einfluss von Denkern wie Pufendorf, dessen Werke häufig nur als Beiträge zu einer europäischen Tradition des Naturrechts gesehen wurden, auf Diskussionen in Deutschland selbst. 29 Horst Dreitzel hat untersucht, wie Monarchie und Fürstenherrschaft vom frühen 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert begrifflich gefasst wurden. 30 Und Michael Stolleis hat erforscht, wie sich die deutsche Tradition des öffentlichen Rechts im Reich und in seinen Territorien auf die politische Theorie ausgewirkt hat. 31 Indes müssen diese Forschungen noch mit den Entwicklungen in der Theologie, Philosophie und Literatur sowie mit den neuen Denkweisen über die Ge-

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Einführung: Narrative deutscher Geschichte der frühen Neuzeit

schichte des Heiligen Römischen Reichs in Einklang gebracht werden. Darüber hinaus gehört es zu den vordringlichen Zielen dieser Arbeit, die einschlägige Literatur Studenten und jenen Gelehrten, die keine Spezialisten auf diesem Gebiet sind, näherzubringen. 32 Die aktuellen englischsprachigen Studien zur europäischen Geschichte behandeln das Heilige Römische Reich nur am Rand und erwähnen selten Namen wie Melchior von Osse, Dietrich Reinkingk oder Veit Ludwig von Seckendorff, um nur drei bedeutende politische Theoretiker des 16. und 17. Jahrhunderts zu nennen. Natürlich lassen sich in einer Arbeit wie dieser die Implikationen der erwähnten verfassungsgeschichtlichen, wirtschaftlichen, sozialen geistigen und kulturellen Darstellungen nicht en détail erörtern. Doch wird der Gang der Argumentation insgesamt von zwei umfassenden Fragestellungen bestimmt. Die eine betrifft politische Traditionen, die andere weiter gefasste Aspekte kollektiver historischer Erfahrung und Identität. Die erste Fragestellung lässt sich als moderne Version eines traditionellen Themas charakterisieren: Es geht um die Unterschiede zwischen Deutschland und dem Westen. Dieses Thema ist seit Langem Gegenstand von Diskussionen; diente es vielen deutschen Historikern vor 1945 als Quelle nationalen Stolzes, sahen viele Historiker außerhalb von Deutschland, ebenfalls vor 1945, darin eines der langfristigen Probleme deutscher Geschichte, wie auch Historiker innerhalb und außerhalb von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine ganz andere und fruchtbarere Perspektive gewinnt man, wenn man sich auf die Tatsache konzentriert, dass es am Ende des 18. Jahrhunderts in den deutschen Landen keine Revolution gegeben hat. Das scheint für deutsche Historiker im 19. und 20. Jahrhundert recht häufig von grundlegender Bedeutung gewesen zu sein. So begann etwa Hans Ulrich Wehler seine monumentale Gesellschaftsgeschichte mit dem Satz: »Am Anfang steht keine Revolution.« 33 Für ihn, wie für viele andere Historiker des modernen Deutschlands, ist das kein Positivum. Folglich steht für sie die frühneuzeitliche Epoche im Zeichen des Fehlschlags. Das Reich und seine Territorien hätten, so heißt es, der Modernisierung Steine in den Weg gelegt. Gesellschaft und Wirtschaft seien es schuldig geblieben, der alten Ordnung entschlossen entgegenzutreten. Das gelte für die Reformation ebenso wie für das 18. Jahrhundert. Aber auch von den geistigen oder kulturellen Traditionen sei kein Impuls für den Wandel ausgegangen. Doch ist das Ausbleiben einer Revolution nicht mit Stillstand gleichzusetzen und Wandel durch Evolution muss nicht unbedingt konservativ oder unpolitisch sein. Im Deutschland der Vormoderne gab es zwar keine Revolution, dafür aber Reformen. Tatsächlich lässt sich die Einheit der frühneuzeitlichen Epoche durch die Tatsache charakterisieren, dass es im Reich wie auch in seinen Territorien eine bemerkenswert dichte Folge von Reformphasen gab. Marksteine in diesem Prozess

Einführung: Narrative deutscher Geschichte der frühen Neuzeit

sind die Jahre 1517, 1555, 1648, 1700, 1740–1750 und schließlich 1789; um sie herum gruppieren sich die Abschnitte dieses Buchs. Die Kontinuität dieser Reformbewegungen zu betonen, heißt zugleich, das Jahr 1648 nicht, wie vielfach üblich, als die große Wasserscheide der deutschen Geschichte zu betrachten. Diese idée fixe der deutschen Historiografie ist von einigen bedeutenden Arbeiten explizit infrage gestellt worden, so etwa von Volker Press in seiner 1996 erschienenen Studie über Deutschland im 17. Jahrhundert und von Georg Schmidts Arbeit über das Reich von 1495 bis 1806 (erschienen 1999). 34 Jede dieser zwischen dem späten 15. und dem späten 18. Jahrhundert sich ereignenden Reformphasen wurde von einer komplexen wie zugleich multikausalen Infragestellung des Status quo begleitet. Jede Krise wurde auf eine Weise gelöst oder zumindest beigelegt, die als konservativ zu beschreiben unangemessen wäre. Vielmehr brachte der Verlauf dieser Reformen eine Vielzahl einzigartiger Phänomene hervor, die eher als fortschrittlich angesehen werden können: einen imperialen Rahmen, der letztlich das friedliche Zusammenleben der großen christlichen Glaubensrichtungen erleichterte; ein imperiales System, das noch der kleinsten subsidiären Einheit Unabhängigkeit gegenüber den raubgierigen Neigungen und Ambitionen der größten Einheiten sicherte und für Mittel und Wege sorgte, damit alle Untertanen gegen ihre jeweiligen Oberherren vor ein kaiserliches Gericht ziehen konnten; Regierungssysteme, die in vielen Territorien in der Lage waren, umfassendere rechtliche, soziale und wohlfahrtsorientierte Ziele als viele der angeblich fortschrittlicheren westlichen Monarchien zu verfolgen. Und das sind nur einige der bemerkenswerteren Ergebnisse der deutschen Geschichte nach 1500. Natürlich waren die Regierungen im frühneuzeitlichen Deutschland ähnlichen Beschränkungen unterworfen wie die jedes anderen Staats der damaligen Zeit. So geht man heute allgemein davon aus, dass der Absolutismus keineswegs absolut war. Die Rechtsprechung wurde beispielsweise häufig neu bestätigt wie auch berichtigt, was einiges über ihre mangelnde Effizienz aussagt. Die ehrgeizigen Ziele von Fürsten und Räten wurden durch das eigensinnige Verhalten von Individuen und Gruppen ebenso an der Verwirklichung gehindert wie durch den hartnäckigen Widerstand der Gesellschaft gegen von oben verfügte Reglementierungen. Doch trotz aller Ineffizienz formten die Ziele und Handlungen einer Regierung die Entwicklung der Gesellschaft in merklicher Weise. Widerstand von unten war, ebenso wie die Beteiligung des »gemeinen Mannes« am Regierungsprozess, zweifellos ein wichtiger Charakterzug der frühneuzeitlichen Gesellschaft in Deutschland und wurde von den Regierenden, seien es Fürsten oder Räte, auch als solcher anerkannt. Die vielfältigen Formen von Beteiligung und Widerstand wirkten ihrerseits auf die Entwicklung des die Gesellschaft prägenden Regierungsprozesses und sein Ethos ein.

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Einführung: Narrative deutscher Geschichte der frühen Neuzeit

Ähnliches gilt für das Reich. Kursorische Betrachtungen des Heiligen Römischen Reichs zitieren gern einige der zahlreichen kritischen Stimmen aus dem 18. Jahrhundert, die Klage über das Reich anstimmten oder es abschätzig als monströs, sklerotisch oder einfach nur absurd beurteilten. Doch lassen sich dagegen ohne Schwierigkeiten positive Einschätzungen anführen, die emphatisch leugneten, dass die Deutschen zurückgeblieben seien. Vielmehr priesen sie die »deutsche Libertät« als kennzeichnende Eigenschaft einer historisch einzigartigen »Rechtsordnung«. Tatsächlich begriffen die meisten deutschen Kommentatoren des späteren 18. Jahrhunderts, und sogar jene, die 1805 oder 1806 schrieben, das Reich als Staat, als begrenzte Monarchie, wenngleich mit spezifischen Traditionen, durch die es sich von seinen Nachbarn unterschied. Wenn die Aufmerksamkeit auf diese positiven Bewertungen der deutschen Situation gelenkt wird, ist damit keine nostalgische Sehnsucht nach dem Alten Reich vermacht. Ebenso wenig soll geleugnet werden, dass das Reich dringend reformbedürftig, zugleich aber außerstande war, das dafür Notwendige in die Wege zu leiten. Immerhin aber ist es möglich, den Blick dafür zu schärfen, wie das Reich als politisches Gemeinwesen funktionierte und welche geistigen, religiösen und kulturellen Kräfte seine Entwicklung zum nationalen Gerüst für die deutschen Territorien formten. Das erste Hauptthema dieser Arbeit geht also von der Frage nach der Funktionsweise des Reiches aus und leitet von dort den Umgang mit geistigen und kulturellen wie auch mit wirtschaftlichen und sozialen Phänomenen ab. Geistige und kulturelle Phänomene sind auch für das zweite Hauptthema – kollektive historische Erfahrung und Identität – von Bedeutung. Die Auseinandersetzung deutscher Historiker mit dieser Epoche war nach 1945 häufig durch die sorgfältige Vermeidung von Begriffen wie Staat und Nation geprägt. In gewisser Weise spiegelt sich darin – Ironie der Geschichte – das Bestreben ihrer nationalistisch argumentierenden Vorgänger, nur dass jetzt die frühe Neuzeit als Epoche der Zwietracht, wenn nicht gar der Dysfunktionalität gesehen wird, die eine »verspätete Nation« erst im 19. Jahrhundert beseitigen konnte. 35 Diese raumgreifende Perspektive könnte auf offenkundige historische Tatsachen verweisen. Das Reich hatte keine Hauptstadt. Es bestand aus mehreren Hundert Untereinheiten, die im Reichstag repräsentiert waren (1521 waren es 405, 1780 immer noch 314). Abgesehen davon, gab es noch mehr als tausend häufig winzig kleine Einheiten, die keinen Sitz im Reichstag hatten. Allein die reine Vielfalt scheint jeden Versuch einer Verallgemeinerung unmöglich zu machen. Gerhard Köblers Historisches Lexikon der deutschen Länder etwa enthält Einträge zu über 5000 Territorien, die seit dem Mittelalter rechtlich verbürgt waren und deren weit überwiegende Mehrheit irgendwann zwischen 1500 und 1800 einmal existiert hatte. 36 Zudem umfasste das Reich zwischen Rhein und Oder, zwischen Baltikum und

Einführung: Narrative deutscher Geschichte der frühen Neuzeit

Alpen eine außerordentliche Vielfalt von Landschaften, Wirtschaftsformen, sozialen Bedingungen und kulturellen Regionen. Und schließlich waren die Gebiete auch religiös aufgeteilt – seit der Reformation ein unüberbrückbarer Riss und eine Wunde, die nicht heilen wollte. All dies scheint für den Allgemeinplatz zu sprechen, dass die Deutschen eine bestenfalls regional geprägte Identität entwickelten, die an den Ort – Stadt oder Territorium –, an dem sie lebten, gebunden war. Das Wort »Vaterland« beschreibt häufig eher diese lokale oder regionale Gebundenheit, bezieht sich aber durchaus auch auf das Reich, und es gibt mehr als genug Hinweise auf ein starkes Gefühl der Identifikation mit dem Reich in der frühen Neuzeit. 37 Wenn man nationale Identität mit dem modernen Begriff von Nationalität in eins setzt, wird es schwerfallen, das in den deutschen Territorien herrschende Identitätsgefühl, das dem modernen Nationalismus voranging, angemessen zu begreifen. Natürlich lässt sich nicht einfach sagen, wie das Reich en détail von dem »gemeinen Mann« wahrgenommen wurde. Doch gibt es im Verlauf der frühneuzeitlichen Epoche nachweisbar ein wachsendes Bewusstsein für das Reich als Deutsches Reich und als eine Rechtsordnung, zu deren Institutionen sogar Bauern Zugang hatten. Darüber hinaus brachten die vom Reich geführten Kriege, insbesondere die gegen die Türken und Franzosen, ebenfalls patriotische Reaktionen hervor, die zur Verstärkung der Solidarität und des Gefühls einer gemeinsamen Identität und Schicksalsbestimmtheit beitrugen. Solche Gefühle finden in den Denkweisen gebildeter Gruppen expliziteren Ausdruck und treten um 1500 als Bestreben nach einer Reform des Reichs ans Licht. Ebenso finden sie sich in den Überlegungen jener juristisch ausgebildeten Politiker des späteren 16. Jahrhunderts, die den durch die Reformation hervorgerufenen Konflikt durch Kompromisse beheben wollten. Sie finden deutlichen Ausdruck in den Schriften solcher Gestalten des frühen 17. Jahrhunderts wie Melchior Goldasts von Haiminsfeld. Sie finden sich mit zunehmender Häufigkeit ab dem späten 17. Jahrhundert. Und sie erhalten besondere Bedeutung im 18. Jahrhundert, etwa in Johann Christoph Gottscheds und Johann Gottfried Herders Reflexionen über die Unterschiede zwischen den »nationalen« Eigenschaften der Deutschen und der Franzosen oder in den umfassenden Kompendien über die imperialen Verfassungen und Gesetze von Gelehrten wie Johann Jakob Moser oder Stephan Heinrich Pütter. Diese Haltungen werden häufig missverstanden und als Ausdrucksformen eines enttäuschten deutschen Nationalismus falsch dargestellt. Insbesondere die Wiederentdeckung von Tacitus’ Germania durch die Humanisten und die Konstruktion einer Mythologie des germanischen Ursprungs der Deutschen sind oft als Vorgeschichte der modernen nationalistischen Ideologie gedeutet worden. 38 Untersucht man diese Traditionen jedoch im Licht der Tendenz, die das späte

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Einführung: Narrative deutscher Geschichte der frühen Neuzeit

19. und frühe 20. Jahrhundert ihnen zusprach, verfehlt man die Bedeutung, die sie in der frühen Neuzeit besaßen. Erst in diesem Zusammenhang werden Klischeevorstellungen vom enttäuschten Nationalisten um 1500 oder vom unpolitischen Künstler um 1800 zu Anachronismen. Was sich stattdessen herausschälte, ist eine gleichermaßen spezifische, doch keineswegs düstere deutsche »Ideologie«, die mit Ideen vom Nationalstaat und dergleichen nichts anfangen konnte. Ihr ging es vielmehr um unterschiedliche Ebenen der Identifikation, die von der Region bis zum Reich reichen konnten, um eine Vielzahl von aufeinander bezogenen »Vaterländern«, was in der zeitgenössischen Formel »Einheit in Vielfalt« seinen Ausdruck fand. 39 Dieses Einheitsgefühl war in den Diskussionen über »Deutschland« und deutsche Identität zwischen 1750 und 1830 sogar ein Gemeinplatz, in dem sich die kollektive historische Erfahrung der deutschen Territorien seit etwa 1450 widerspiegelte. Denn ungeachtet des Nachdrucks, mit dem einige Gelehrte den Ursprung deutscher Identitätsgefühle in das Mittelalter verlegten, war die Erfahrung, auf der dieser so kontinuierliche wie omnipräsente patriotische Diskurs samt den juristischen, kulturellen und religiösen Traditionen, die ihn gestalteten, beruhte, die Erfahrung des frühneuzeitlichen Reichs. Die Geschichte der deutschen Länder in dieser Epoche ist nicht nur die Geschichte von Orten, Regionen und Territorien, sondern auch die Geschichte der Vereinigung dieser Unterschiedlichkeiten. Es ist die Geschichte ihres Überlebens als rechtliche und kulturelle Gemeinschaft, die seit der Reformation mit Herausforderungen konfrontiert war, an denen sie eigentlich hätte scheitern müssen. Es ist die Geschichte ihrer Solidarität angesichts permanenter äußerer Bedrohungen. Und nicht zuletzt ist es die Geschichte eines mitteleuropäischen politischen Gemeinwesens, das in der Politik des frühneuzeitlichen Europas insgesamt eine Schlüsselrolle spielte. Es ist vielleicht unvermeidlich, dass ein Werk wie dieses die Betonung auf die Vereinigung, wo nicht gar auf die Einheit, zu legen scheint. Die Erörterung allgemeiner Trends muss den Anschein erwecken, die vielen Ausnahmen, die es zu jeder Regel gibt, nicht angemessen zu berücksichtigen. Dennoch gehören Mannigfaltigkeit und, zeitweise, auch Inkohärenz zu den Phänomenen, die für ein Verständnis der deutschen Geschichte der frühen Neuzeit grundlegend sind, denn die wesentliche Eigenschaft des Reichs war die Bewahrung von Individualität und Differenz.

Anmerkungen 1 2 3

Bonney, Dynastic states, 305–360. Elliott, »Composite monarchies«. Faulenbach, Ideologie, 38–42; Eckert und Walther, »Frühneuzeitforschung«; Puschner, »Reichsromantik«; Thamer, »Reich«; Langewiesche, »Reichsidee«.

Einführung: Narrative deutscher Geschichte der frühen Neuzeit

4 Zeydel, Holy Roman Empire, 15. Eine zweite Auflage erschien erst 1966, eine dritte 2009 in der Columbia University Press. Zeydel (* 1893, † 1973) machte Karriere als Professor für Deutsch an der Universität von Cincinnati, wo er von 1926 bis 1961 lehrte. 5 Bryce, Holy Roman Empire. Noch 1968 erschien die sechste Ausgabe von 1904 (überarbeitete Version 1906) in 14. Auflage. 6 Brechenmacher, Geschichtsschreibung, 209–239. 7 Fellner, »Reichsgeschichte«; Gnant, »Reichsgeschichte«; Klueting, Reich, 2–5. 8 Nützliche Einsichten bieten: Blänsdorf, »Staat«; Brechenmacher, »Österreich«. 9 Derndarsky, »Srbik«. 10 Burgdorf, Weltbild, 227–251, 277–283. 11 Langewiesche, »Reich, Nation und Staat«, 215–216; Schulze, Geschichtswissenschaft, 160. 12 Moraw, Reich. Nützlich sind auch folgende Werke: Prietzel, Reich, und Schubert, Spätmittelalter. 13 Schnettger, »Reichsverfassungsgeschichtsschreibung«, 146–151; Klueting, Reich, 7–17. 14 Schmidt, »Reich und die deutsche Kulturnation«, sowie ders., Geschichte, passim. 15 Vgl. etwa Schilling, »Reich«, und Hartmann, »Heiliges Römisches Reich«, 11–12, 21–22. 16 Vgl. insbesondere die in der Bibliografie aufgeführten Arbeiten von Horst Dreitzel, Caspar Hirschi, Alexander Schmidt, Georg Schmidt, Joachim Whaley und Martin Wrede. 17 Einige wichtige Kontroversen werden erörtert in Whaley, »Old Reich«, und Schnettger, »Reichsverfassungsgeschichtsschreibung«, 146–151. 18 Dorpalen, German history, 99–186; Vogler, »Konzept«. 19 Blickle, Leibeigenschaft. 20 Brady, German histories. 21 Geschichte des Pietismus, Bd. I und II. 22 Wollgast, Philosophie. 23 Hotson, Commonplace Learning; Mulsow, Moderne; vgl. auch die Essays in Mulsow, Spätrenaissance-Philosophie. 24 Vgl. Holzhey, Schmidt-Biggemann und Mudroch, Philosophie, sowie Schobinger, Philosophie. 25 Zuletzt: Meid, Literatur. Die umfangreiche Bibliografie ist in das Buch selbst nicht aufgenommen worden. 26 Krieger, Idea; Maier, Staats- und Verwaltungslehre. 27 Strauss, Law. 28 Friedeburg, Self-defence. 29 Dreitzel, »Zehn Jahre«, 383–395; Dreitzel, »Pufendorf«; Hammerstein, »Pufendorf«. 30 Dreitzel, Monarchiebegriffe. 31 Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I und II. 32 Eine bemerkenswerte Ausnahme ist Wilson, Reich, der sich mit wichtigen Aspekten der Epoche zwischen 1558 und 1806 beschäftigt. 33 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. I, 35. 34 Press, Kriege; Schmidt, Geschichte. 35 Dieser in Diskussionen über deutsche Geschichte in der Moderne seit gut sechzig Jahren häufig benutzte Ausdruck stammt vom Titel der zweiten Auflage eines Werks von Helmuth Plessner: Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes, das 1959 erschien und unter dem Titel Das Schicksal deutschen Geistes in seiner bürgerlichen Epoche zuerst 1935 publiziert worden war. 36 Köbler, Lexikon, VIII.

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Einführung: Narrative deutscher Geschichte der frühen Neuzeit

37 Whaley, »Reich«, passim. 38 Krebs, »Dangerous book«. 39 Whaley, »Kulturelle Toleranz«, 201, 216–224.

I. Deutschland und das Heilige Römische Reich im Jahr 1500

1. Ursprünge und Grenzen

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ill man im Jahr 1500 von Deutschland sprechen, sieht man sich mit grundlegenden Fragen nach der Geschichte des frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reichs konfrontiert. Schon der Begriff »Deutschland« ist problematisch. Im späten 15. Jahrhundert gab es unzweifelhaft ein wachsendes Gespür dafür, was »deutsch« war. Dieses beruhte auf der Sprache und auf dem Bewusstsein einer gemeinsamen ethnischen Identität und historischen Erfahrung. Und es wurde dadurch verstärkt, dass es in einigen deutschsprachigen Territorien die Empfindung für gemeinsame politische Interessen gab, die verteidigt werden und mithin in juristischen und institutionellen Formen ihren Ausdruck finden müssten. Während des 15. Jahrhunderts wurden die Begriffe »deutsche Lande« und »deutsche Nation« zunehmend gebraucht, um diesen gemeinsamen Interessen Ausdruck zu verleihen; 1474 wurde das Reich zum ersten Mal in einem Dokument als »Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation« bezeichnet und diese Namengebung wurde 1512 formell bekräftigt. 1 Die darin ausgedrückte Verbindung zwischen Reich und »Nation« wurde jedoch nicht in präzise Begriffe gefasst. Allerdings können zu dieser Zeit weder »Reich« noch »deutsche Nation« ohne Schwierigkeiten definiert werden. »Reich« hieß es, weil Karl der Große das Römische Reich als Erbschaft nach Norden übertrug und die deutschen Könige nach Otto I. (* 912, † 973) den Titel »Kaiser« übernahmen. Otto I. wurde 936 deutscher König, unterwarf Italien, wurde 951–952 König der Lombardei und 962 zum Kaiser gekrönt. 2 Für den Geist des Reichs war die Idee einer translatio imperii grundlegend: Das Ansehen des Kaisers wurde durch die Vorstellung, seine Macht leite sich von den römischen Kaisern her, ins Unermessliche gesteigert. Heinrich IV. (* 1050, † 1106) hatte noch den Titel Rex Romanorum hinzugefügt, der fortan dem gewählten König (übersetzt als römisch-deutscher König) vor seiner Krönung zum Kaiser verliehen wurde. 3 Das Beiwort »heilig« fügte der Hohenstaufenkaiser Friedrich I. 1157 hinzu, um seinem Ziel, Italien und das Papsttum ebenso wie die Gebiete nördlich der Alpen zu beherrschen, Ausdruck zu verleihen. Die so ganz unterschiedlichen Ursprünge und der facettenreiche Charakter des Reichs spiegeln sich in den Titeln und Krönungsriten der Herrscher. Die deutsche Monarchie war und blieb eine Wahlmonarchie, was unzweifelhaft dazu beitrug, dass der Hofstaat durch die Lande ziehen musste und es kein eindeutiges geografisches Zentrum oder eine Hauptstadt gab. Auch die Namen des Reichs waren vage

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I. · Deutschland und das Heilige Römische Reich im Jahr 1500

und benannten kein geografisch festlegbares Territorium: Imperium Romanum, Imperium Christianum, Imperium mundi – römisch, christlich und weltumfassend, so lauteten die Epitheta. Insofern überhaupt geografisch fixierbare Punkte anklangen, bezeichneten sie Orte, die aus Regierungssicht ziemlich bedeutungslos waren. Die Krönung des Herrschers zum deutschen König (mit dem Titel »König der Römer«) wurde von Karl dem Großen an bis 1531, der Krönung Ferdinands I., in Aachen vollzogen, danach in Frankfurt am Main, bisweilen einfach an dem Ort, an dem die Wahl stattgefunden hatte. Im Mittelalter wurde die anschließende Krönung zum Kaiser im Petersdom in Rom durch den Papst vollzogen. Der erste Herrscher, der nicht auf diese Weise zur Kaiserwürde gelangte, war Maximilian, der sich 1508 einfach selbst zum Erwählten Römischen Kaiser ernannte. Die letzte Krönung durch den Papst wurde Karl V. 1530 in Bologna zuteil. Zwischen den Krönungsvorgängen wurden die kaiserlichen Insignien, die theoretisch in Aachen lokalisiert waren, durch die Lande getragen und erst ab 1424 erhielten die wichtigsten Insignien (darunter Krone, Zepter, Reichsapfel, Schwert und die heilige Lanze) einen festen Platz in Nürnberg. 4 Allerdings hatten deutsche Herrscherdynastien wiederholt den Versuch unternommen, die geografischen Implikationen der Kaisertitel zu konkretisieren, indem sie neben den umfangreichen cis- und transalpinen Territorien große Teile Osteuropas in die Konstellation einbezogen. Die Luxemburger Kaiser Karl IV. (1347– 1378), Wenzel (1378–1400) und Sigismund (1411–1437) wollten dem Reich als Stammland Böhmen, Schlesien, die Lausitz, die Mark Brandenburg und vor allem (jedoch außerhalb des Reichs) Ungarn sichern, jedoch war ihre Herrschaft über diese Gebiete zu keinem Zeitpunkt sicher oder stabil, sondern im Gegenteil durch Rebellionen gekennzeichnet; zudem tauchten immer wieder Rivalen auf, die eigene Ansprüche anmeldeten. Doch gelang es den Luxemburger Kaisern durch Heirats- und Vererbungsstrategien, einen Katalog von möglichen Besitzansprüchen zusammenzustellen, der mit Sigismunds Tod 1437 auf die Habsburger überging. Sigismunds Tochter Elisabeth hatte 1421 nämlich Albrecht V. von Habsburg geheiratet, der bei seiner Wahl zum Kaiser 1438 zum ersten Mal die Kronen Böhmens, Ungarns und Deutschlands auf sich vereinigte. Mittlerweile jedoch war das Königreich Burgund unwiderruflich verloren; der letzte deutsche Kaiser, der zum König von Burgund gekrönt wurde, war 1356 Karl IV.; nach seinem Tod 1378 wurde das Königreich aufgelöst und größtenteils von Frankreich einverleibt. Zu dieser Zeit hatten die Kaiser auch schon weitgehend die Kontrolle über die Restbestände des Königreichs Italien verloren. Die Luxemburger Kaiser hatten ihren Ehrgeiz auf den Osten konzentriert und so in gewisser Weise die deutschen Territorien an den Rand gedrängt, wodurch sie den neuen Herrschern über Burgund, die dem Haus Valois angehörten (und von 1363 an Herzöge von Burgund waren), ermöglichten, sich zu konsolidieren und die

1. Ursprünge und Grenzen

unter deutschen Fürsten entstandene Unzufriedenheit auszunutzen. So waren die Habsburger alsdann gezwungen, ihre Aufmerksamkeit dem Westen zuzuwenden. Sie reagierten auf die Herausforderung durch Karl den Kühnen wechselweise mit Annäherungsversuchen, militärischer Gewalt und schließlich, wirkungsvoller, durch ein Heiratsbündnis zwischen Karls Tochter wie Erbin Maria und Maximilian, dem Erben Friedrichs III. Die Heirat fand 1477 statt, kurz nach Karls Tod. Auf diese Weise konnten die Habsburger das Burgund und auch noch die Franche-Comté dem Reich einverleiben. Das war das Vorspiel zu weiteren Plänen, die vorsahen, dass – erneut durch Heirat – Ansprüche auf Aragon und Kastilien bekräftigt wurden. Diese Ausweitung war eine Reaktion auf die wachsende Feindseligkeit Frankreichs, wo nacheinander Ludwig XI. (1461–1483), Karl VIII. (1483–1498) und Ludwig XII. (1498–1515) ein Auge auf das burgundische Erbe, darüber hinaus aber auch auf die kaiserlichen Territorien in Italien warfen. Der territoriale Ehrgeiz der Luxemburger und nach ihnen der Habsburger, der seinen Höhepunkt mit Maximilian I. erreichte (er war nach 1486 König und Mitherrscher neben seinem Vater Friedrich III., ab 1493 Alleinherrscher, von 1508 bis 1519 Kaiser), führte zu Macht, aber auch zu Unsicherheit. Die Habsburger schufen ein Reich, das universeller war als alles, was die vorherigen Dynastien besessen hatten. Aber sie benötigten Ressourcen, um ihre Ansprüche durchsetzen oder gegen benachbarte Feinde wie etwa die Könige Frankreichs verteidigen zu können, und das nötigte sie, Druck auf die deutschen Territorien auszuüben. Ihre Forderung nach einer Reform des Reichs, nach Gesetzen und Institutionen, mit denen sie ihre Rechte sichern konnten, ist Ausdruck dessen. Die Landkarte Europas wurde von Maximilians Besitztümern beherrscht – von den Herrschaftsgebieten und Territorien, die er ererbt hatte, und von denen, die er durch Heirat erworben und deren Oberherrschaft er mit dem Kaisertitel übernommen hatte. Aber diese territoriale Ansammlung war nur dem Anschein nach ein monolithischer Block. Der Kaiser hatte zwar Macht und Einfluss, aber je nach Gebiet in höchst unterschiedlichem Ausmaß. Es gab Rechtssatzungen verschiedensten und mitunter beträchtlichen Alters, deren wahre Bedeutung und Werthaltigkeit für die Ausübung kaiserlicher Macht dadurch sehr uneinheitlich ausfielen.Wohl waren alle unter dem Schirm des Heiligen Römischen Reichs versammelt, aber im Hinblick auf die realen Möglichkeiten der Institutionen und des Regierens bedeutete der Titel zu verschiedenen Zeiten recht Unterschiedliches. Jeder Versuch, eine genaue Karte des Reichs zusammenzustellen, stößt auf zwei Schwierigkeiten. Zum einen sind die äußeren Grenzen nie mit Sicherheit zu bestimmen. Sie veränderten sich sehr häufig und sind nirgendwo mit wirklicher Genauigkeit anzugeben. Zum anderen ist es rein technisch fast unmöglich, die inneren Grenzen so wiederzugeben, dass ihre Komplexität mit dem bloßen Auge überhaupt wahrgenommen werden kann. Dieses Problem wird weiter unten im

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I. · Deutschland und das Heilige Römische Reich im Jahr 1500

Hinblick auf die Struktur des kaiserlichen Herrschaftssystems erörtert. Zunächst jedoch soll eine Skizzierung der Außengrenzen um 1500 nicht nur die Frage der geografischen Ausdehnung beleuchten, sondern auch Faktoren, die die Funktionsweise des Systems in bestimmten Gebieten einschränkten. 5 In gewisser Hinsicht ist schon die Frage nach den Grenzen des Heiligen Römischen Reichs anachronistisch. Sie waren weder festgelegt noch eindeutig, denn, weil sie sich aus den feudaladligen Beziehungen zwischen König und Vasallen ergaben, wandelten sie sich mit der Veränderung dieser Beziehung, sei es, dass Dynastien oder Adelslinien erloschen, sei es durch Heiratsverträge. Überdies konnte ein Adliger als Vasall zwei Oberherren gleichzeitig dienen, woraus sich ein kompliziertes Geflecht von Rechten, Ansprüchen und Ambitionen ergab. Ebenso wichtig war die Tatsache, dass das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation« mehr als nur ein deutsches Reich war. In seinen Gebieten lebte ein multinationales Gemisch von Gruppen mit ganz unterschiedlichen Sprachen: Französisch, Holländisch, Friesisch, Sorbisch, Tschechisch, Slowenisch, Italienisch, Ladinisch und Rätoromanisch. Zudem umfasste das Reich keineswegs alle deutschsprachigen Gebiete, denn die sogenannten Sprachinseln, die deutschsprachigen Siedlungen in Osteuropa, gehörten nicht dazu. 6 Dennoch kann in den Jahrzehnten um 1500 von der Entstehung eines »deutschen« Reichs gesprochen werden. Theoretisch bestand das Reich im 15. Jahrhundert aus drei großen Blöcken oder Gebietsgruppen: Italien, Deutschland und Burgund. In der Praxis blieb davon jedoch nur das Königreich Deutschland übrig. Zu Maximilians ständigen Bestrebungen gehörte die Wiedereingliederung der verlorenen italienischen und burgundischen Territorien; einmal versuchte er sogar, die Provence und damit das alte Zentrum des burgundischen Königreichs, Arles und die umliegenden Gebiete, zurückzuerobern. Aber all diese Pläne schlugen fehl und so bestand das Reich am Ende seiner Regierung mehr als je zuvor fast ausschließlich aus dem Königreich Deutschland. Vielleicht hat Maximilian die drei Königreiche als Einheit auffassen wollen, aber weder Italien noch Burgund gehörten ganz zum Reich der frühen Neuzeit, insoweit es sich als ein die deutschen Territorien einigendes Band entwickelte. Zugleich verlor die Idee einer universellen christlichen Monarchie zunehmend an Einfluss und wurde schließlich mehr zum Bestandteil der dynastischen Mythologie der Habsburger, als dass sie noch im System selbst eine Rolle gespielt hätte, dem in erster Linie all jene angehörten, die »Sitz und Stimme« im Reichstag hatten.Von den drei Erzkanzlern (die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln für jeweils Deutschland, Burgund und Italien) trug nur der Erzbischof von Mainz den Titel eines sacri imperii per Germaniam archicancellarius (Reichserzkanzler für Deutschland). Dieser Prozess der Segmentierung, der Ausdifferenzierung zwischen der Peripherie und den deutschen Kerngebieten, lässt sich am besten mit Blick auf den

1. Ursprünge und Grenzen

Süden beobachten. So hatten beispielsweise die italienischen Territorien einen erheblichen Teil des Reichs der Hohenstaufen ausgemacht. Einige Gebiete – wie etwa Venedig am Ende des 15. Jahrhunderts – fanden den Weg in die Unabhängigkeit, während andere dem Reich erhalten blieben: Savoyen, die Herzogtümer von Mailand, Modena und Parma, desgleichen die Republiken von Genua, Lucca, Pisa, Florenz und Siena. Sie alle betrachteten den Kaiser weiterhin als Oberherrn. Jedoch waren sie, mit Ausnahme von Savoyen, im Reichstag nicht vertreten und in den »Reichskreisen«, jenen regionalen Institutionen, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts geschaffen wurden, war auch Savoyen nicht enthalten. 7 Die – oft von hohen Tributzahlungen und Bestechungen begleiteten – Rituale der Lehensvergabe wurden bei der Inthronisierung einer lokalen Dynastie oder eines Kaisers auch weiterhin durchgespielt. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts erstreckte sich Reichsitalien über 250 bis 300 Lehen mit insgesamt 50 bis 70 Familien. 8 Aber diese Territorien waren nicht der Rechtsprechung der kaiserlichen Gerichte unterworfen und zahlten dem Kaiser keine Steuern. Johann Jakob Moser, der bedeutende Kommentator der Reichsgesetze im 18. Jahrhundert, konstatierte in seinen Werken wiederholt, dass Italien unzweifelhaft zum Reich gehöre, aber keine wirkliche Verbindung mit Deutschland besitze. Er sei, fügte er hinzu, selbst als Experte des deutschen Rechts nicht in der Lage, dessen Verfassung zu erklären. 9 Die italienischen Territorien wurden schließlich Teil eines enger definierten habsburgischen Patrimoniums und bildeten die Grundlage für den Anspruch der Dynastie auf Gebiete in Italien bis ins 19. Jahrhundert hinein. Während der Erzbischof von Köln den Titel sacri imperii per Italiam archicancellarius (Reichserzkanzler für Italien) bis zum Ende des Reichs beibehielt, wurden die kaiserlichen Interessen in Italien de facto durch in Wien bestellte Gesandte vertreten, so etwa während der Herrschaft Josephs II. durch Leopold II., den Großherzog der Toskana. Trotz aller Interessen und Absichtserklärungen spielten die italienischen Gebiete für das frühneuzeitliche Reich jedoch keine besondere Rolle und bleiben daher in dieser Arbeit unberücksichtigt. 10 Eine andere Art von Ausschließung betrifft die Schweizer Eidgenossenschaft. Eine gewisse Kluft zwischen der Konföderation mit ihren kommunalen Traditionen und dem wesentlich aristokratischen Reich hatte es bereits gegeben; sie vertiefte sich im Lauf des 15. Jahrhunderts, als die Schweizer sich den territorialen Ansprüchen und Bestrebungen der Habsburger widersetzten. Nach 1471 kamen die »eidgenössischen Orte« nicht mehr zum Reichstag, sondern hielten ihre eigenen Zusammenkünfte, die sogenannten Tagsatzungen, ab. Ein letzter Versuch Maximilians, sie zu unterwerfen, scheiterte 1499; danach waren sie in der Lage, sich die Unabhängigkeit von der Rechtsprechung des Reichs bestätigen zu lassen. Zwar verblieben sie formell im Reich, doch nahmen selbst Grenzstädte wie Basel und Schaffhausen nach 1530 nicht mehr am Reichstag teil und die Eidgenossenschaft

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hielt an ihrer Autonomie innerhalb des Reichs fest, bis ihre Souveränität im Westfälischen Frieden von 1648 endlich anerkannt wurde. 11 Im Westen bot die Grenze ein differenzierteres Bild. Viele Bereiche des Elsass gehörten zum Territorium der Habsburger, während Straßburg und die zehn oberelsässischen freien Reichsstädte eindeutig zum Reich gehörten. Weiter nördlich waren die Herzöge von Lothringen Vasallen des Kaisers, aber auch, im Hinblick auf das Herzogtum Bar, dessen Bindung an das Reich nur nominell war, des Königs von Frankreich. 12 Komplizierter war die Lage, was die burgundischen Gebiete betraf. Die Freigrafschaft Burgund (auch Franche-Comté), eingezwängt zwischen Lothringen im Norden und Savoyen im Süden, hatte (ab dem 9. Jahrhundert) eindeutig zum Reich gehört, wobei die freie Reichsstadt Besançon im Zentrum eine wichtige Enklave bildete. Das Ausmaß der Integration der Freigrafschaft ins Reich wurde jedoch durch ihren Status als Habsburger Gebiet eingeschränkt. Zudem ging sie 1556 in die Hände der spanischen Linie der Habsburger über und spielte eine entscheidende Rolle im Dauerkonflikt zwischen Frankreich und Spanien, bis sie 1674–1678 schließlich an Frankreich fiel. Die nördlichen Teile der burgundischen Erbschaft lagen in Brabant, Flandern und den Niederlanden; auch sie blieben gegenüber dem eigentlichen Reich randständig.13 Während jene Teile der südlichen Niederlande, die bei Habsburg blieben (und bis 1713/14 spanisch, danach österreichisch waren), formell einem burgundischen Reichskreis zugeordnet wurden, waren sie ab 1548 von der Rechtsprechung des Reichs ausgenommen und von Abgaben an das Reich befreit. So gehörte die allmählich entstehende Holländische Republik formell bis 1648 zum Reich. Während die politischen, geistigen und kulturellen Entwicklungen in diesen Gebieten großen Einfluss auf die deutschen Territorien ausübten, können sie selbst in keiner Weise als »Reichsstände« betrachtet werden. Zwar spielten sie eine erheblich größere Rolle als die italienischen Gebiete, doch liegt das an ihrer größeren Bedeutung für die machtpolitischen Interessen der österreichischen Habsburger. Wie dem Erzbischof von Köln erging es auch dem von Trier: Sein Status wurde durch den ihm verliehenen Titel eines sacri imperii per Galliam et regnum Arelatense archicancellarius (Reichserzkanzler für Frankreich und das Königreich Arles) eher aufgebläht als wirklich angehoben. 14 Noch am klarsten verlief die Grenze im Norden, obgleich es auch hier eine Besonderheit gab, die für das frühneuzeitliche Reich von erheblicher Bedeutung war. Das Herzogtum Holstein gehörte zum Reich, während Schleswig dänisch war. Im Vertrag von Ripen 1460 wurden beide vereinigt, als Christian I. von Dänemark die Gebiete der mittlerweile erloschenen herzoglichen Linie von Schauenburg erbte (er beanspruchte sie als Erbe des Hauses Oldenburg). So wurde der König von Dänemark Vasall des Kaisers und war, was Holstein anging, der Rechtsprechung des Reichs unterworfen. Daraus entstand eine Situation, die in der späteren Ge-

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schichte des Reichs häufiger wiederkehren sollte, so etwa im Hinblick auf Savoyen und Polen oder auf Hannover und Großbritannien. Die Existenz nichtdeutscher Monarchen als Vasallen des Kaisers und Fürsten des Reichs bildete eine Art Grundlage für ein europäisches Staatensystem. Zugleich waren diese Monarchen keine Habsburger und schränkten somit deren Macht im Reich weiter ein, weshalb Übergriffe von ihrer Seite zumindest potenziell zu Ursachen für Kriege in Europa werden konnten. Im Nordosten gestalteten sich die Dinge wieder auf eine andere Weise kompliziert. Während Pommern, Brandenburg und Schlesien Lehnsgebiete des Reichs waren, galt dies nicht für die umfangreichen Ländereien des Deutschen Ordens. 15 Dessen Besitzungen erstreckten sich über Nordpolen bis nach Litauen, Lettland und Estland. Ihre Aneignung war das Ergebnis der Eroberungen im 13. Jahrhundert, als der Deutsche Orden sich vom Heiligen Land abwandte und seine Energien der Eroberung und Christianisierung des heidnischen Ostens widmete. Der Orden war dem Kaiser durch die auf 1226 datierte Goldene Bulle von Rimini zur Loyalität verpflichtet, doch entwickelte sich die Beziehung zum Reich größtenteils aufgrund der drohenden Haltung, die Polen und Russland den Eroberern gegenüber einnahmen, weil sie deren aggressives Vordringen zutiefst missbilligten. Eine polnische Gegenoffensive im 15. Jahrhundert führte zu umfassenden territorialen Verlusten für den Orden und praktisch zu seiner Teilung: Die preußischen Gebiete wurden nun Polen und dem Papsttum unterstellt, während die weiter nördlich gelegenen Territorien des litauischen Zweigs zum Zankapfel zwischen Polen und Russland wurden. Dadurch konnte der Orden dort ein gewisses Maß an Unabhängigkeit behalten, während der preußische Zweig Polen dadurch in Schach zu halten suchte, dass er Adlige aus deutschen Fürstenhäusern zu Hochmeistern wählte, so 1498 (Friedrich von Sachsen) und 1511 (Albrecht von Brandenburg-Ansbach). Dennoch wurde das Gebiet 1525, anlässlich der Säkularisierung des Ordens, zum Herzogtum Preußen. Allerdings blieb es im Besitz des Hauses Hohenzollern, was die weitere Verbindung zum Reich gewährleistete. Hingegen wurden die Gebiete des litauischen Zweigs 1561, aufgrund der Säkularisierung durch Landmeister Gotthard Ketteler, zum Herzogtum Kurland und lagen somit außerhalb des Reichs. Direkt südlich an Brandenburg grenzend, lag ein Gebietskomplex, der zum Königreich Böhmen gehörte und besondere Privilegien genoss, die es anderswo im Reich in dieser Art nicht gab. Um 1500 gehörten zu diesem Territorialgebilde, außer Böhmen selbst, das Herzogtum Schlesien sowie die Markgrafschaften Mähren und Ober- wie Niederlausitz. Diese Länder fielen 1526 durch Erbschaft direkt an die Habsburger. Anders als ihre burgundischen Besitzungen jedoch, deren Sonderprivilegien mit der Oberherrschaft der Habsburger einhergingen, hatte die böhmische Krone im Reich schon seit langer Zeit eine Sonderstellung eingenommen. Zum einen war Böhmen (ab 1198) das einzige dem Kaiser untergeordnete König-

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tum im Reich. Der Böhmische König hatte, wie von der Goldenen Bulle 1356 bestätigt, als Kurfürst das Recht, den deutschen König zu wählen, doch nahm er nicht an den Beratungen des Wahlkollegiums teil. Sein Land war, wie das aller Kurfürsten, von der kaiserlichen Rechtsprechung insoweit ausgenommen, als die Untertanen sich nicht an kaiserliche Berufungsgerichte wenden konnten (privilegium de non appellando) und die niedere Gerichtsbarkeit des Kaisers sich nicht auf die böhmischen Territorien erstreckte (privilegium de non evocando). 16 Wohl noch wichtiger, und später von großer Bedeutung, war, dass es in Böhmen besondere politische und religiöse Traditionen gab. Das Recht der böhmischen Stände, ihren König zu wählen, wurde bei jeder sich bietenden Gelegenheit bekräftigt, so auch 1471, als Georg von Podiebrad starb. Die Stände wählten daraufhin Ladislaus II., einen polnischen Prinzen aus dem Geschlecht der Jagiellonen. Selbst als der Habsburger Ferdinand I. die Krone 1526 durch Erbschaft übernahm, beharrten die Stände auf dem Recht, ihn vor der Krönung zu »wählen«. Verstärkt wurde diese Tradition politischer Unabhängigkeit durch die spezifisch böhmische Religion der Hussiten oder Utraquisten, die sich gegen die Anfeindungen seitens des Reichs und der katholischen Kirche wie auch gegen die Aufstände der radikalen Taboriten (einer Hussitenfraktion) behaupten konnte. So bestärkte in Böhmen, wie sonst nirgendwo im Reich, eine »nationale« Religion eine von den Ständen vertretene »nationale« Ideologie. Am Ende des 16. Jahrhunderts wurde diese Konstellation zum Katalysator für den Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs. 17 Der Kreis schließt sich mit den direkt in habsburgischem Besitz befindlichen Territorien im Südosten. Mit Ausnahme von Ungarn, das 1526 nach dem Tod des letzten jagiellonischen Königs von Böhmen und Ungarn durch (eine allerdings umstrittene) Erbschaft an die Habsburger fiel, gehörten ihre Kernländer sämtlich zum Reich. Zusammen mit den Herzogtümern Steiermark, Kärnten und Krain sowie den Grafschaften Tirol und Görz (an der Adria gelegen) bildete das Erzherzogtum Österreich einen mehr oder weniger kohärenten Block. Wie die anderen habsburgischen Territorien genossen auch sie Ausnahmeregelungen und Sonderprivilegien. Eine weitere Eigenschaft dieser Grenze war die extreme Spreizung der habsburgischen Lande, wobei Ungarn außerhalb des Reichsgebiets lag. 18 In Norditalien grenzten die Bistümer von Brixen und Trient an das Gebiet der Habsburger und ihre Herrscher waren bis 1803 Fürsten des Reichs. Allerdings spielten sie in der Reichspolitik keine bedeutende Rolle. Ab den 1440er Jahren mussten die Habsburger das Reich und insbesondere die österreichischen Territorien vor den Türken schützen und gegen sie verteidigen. Das verwickelte sie, und damit auch das Reich, mehr als zwei Jahrhunderte lang in sporadische und häufig langwierige bewaffnete Konflikte. Dadurch wurde das Reich zwar zusammengehalten, aber auf lange Sicht wurde auch die Abgrenzung der Habsburger vom Reich selbst befördert. Diese beiden Prozesse sind zentrale

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Themen des Buches. Vor allem aber hatte die Tatsache, dass die Habsburger selbst mit ihren Stammlanden an der Peripherie des Reichs angesiedelt waren, tief greifende Folgen für die zukünftige Entwicklung des Systems insgesamt. Zwar waren die Habsburger zweifellos die mächtigste aller deutschen Dynastien, doch entglitt ihnen die Hegemonie immer wieder. Wäre eine Macht wie die ihre in der Mitte des Reichs oder wenigstens fest im Norden, Süden oder Westen verankert gewesen, hätte sich das Reich ganz anders entwickelt, vielleicht gar zu einer »nationalen« Monarchie nach Art der Franzosen. Der Überblick über die wesentlichen Grenzgebiete des Reichs vermittelt einen Eindruck von den vielen Abstufungen der kaiserlichen Herrschaft an der Peripherie. Die direkte Herrschaft der Habsburger im Südosten wird durch halbautonome Formen in den Schweizer Kantonen ergänzt, und dies wiederum steht im Kontrast zu der informellen, doch nicht weniger bedeutsamen Nichtmitgliedschaft der Deutschordensgebiete (dem späteren Preußen) im Nordosten. In jedem Gebiet führten jeweils unterschiedliche dynastische und juristische Traditionen zu graduellen Differenzen in der Rechtsprechung des Reichs und in einigen Fällen zu Unterschieden zwischen der Rechtsprechung des Kaisers als Angehörigem des Hauses Habsburg und der des Reichs als juristischer Größe. Einige dieser Gebiete – Italien, die Schweiz, die Niederlande – lösten sich allmählich vom Reich, was bei den verbleibenden Gebieten zu einem Prozess der Konsolidierung und schließlich zu einem Deutschen Reich führte. Im Hinblick auf die Schweiz und die Niederlande war diese Ablösung jedoch zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch keineswegs absehbar, sondern das Ergebnis eines Prozesses, der sich über die folgenden einhundert Jahre hinzog. Der Vielfalt in den Randgebieten entsprach die Vielfalt im Inneren des Reichs. Ihr nähert man sich am besten, indem man sich zuerst mit der Verfassung beschäftigt, bevor man die Landkarte des »deutschen« Reichs selbst in Augenschein nimmt. Sie stellt einen wahrhaften Flickenteppich dar, in dem sich die Entwicklung der Binnenstruktur des Reichs im Spätmittelalter spiegelt. Höhepunkt dieser Entwicklung war eine Reihe von Reformen des Systems um 1500. Sie besiegelten die grundlegenden Charakteristika der Landkarte und legten so den Grundstein für die weitere Entwicklung des Reichs in der frühen Neuzeit.

Anmerkungen 1 2

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Zur Entwicklung dieser Namensgebung vgl. Nonn, »Heiliges Römisches Reich«. Die folgenden Passagen beruhen auf den Studien von Boockmann, Stauferzeit, Leuschner, Deutschland, sowie Herbers und Neuhaus, Reich, 1–127. Einen guten Überblick in Englisch bietet Du Boulay, Germany. Vgl. dazu LdM, V, 1304–1309, und VII, 777–778.

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4 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 317–318, 326–327, und Bd. II, 66–74; Rabe, Geschichte, 109–111. 5 Eine Erörterung der Grenzen findet man in Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 339–343, und Bd. II, 106–111, sowie in Rabe, Geschichte, 13–23. 6 Neuhaus, Reich, 5; vgl. auch die Kommentare zur Sprache S. 80–82. 7 Vgl. S. 60–61. 8 Köbler, Lexikon, 315–316; Aretin, Das Reich, 76–163; Aretin, Altes Reich, Bd. I, 112–115; Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 110–111. 9 Moser, Grund-Riss, 75–77, 690–713. 10 Zu weiteren Informationen vgl. Schnettger, Genua, 23–38; Schnettger, »Imperio Romano«; Aretin, Altes Reich, Bd. I, 112–115, 201–208, 310–312, Bd. II, 85–96, 128–134, 194–215, 351–380, 458–467, sowie Bd. III, 63–71, 168–171; Aretin, Das Reich, 76–163. 11 Blickle, »Eidgenossen«; Stadler, »Schweiz«. 12 Monter, Bewitched duchy, 21–58. 13 Mout, »Niederlande«; Press, »Niederlande«; Israel, Dutch Republic 1476–1806, 9–40, 64, 66, 68–70. 14 Regnum Arelatense hieß es, weil die burgundischen Krönungen ursprünglich in Arles stattfanden. 15 Du Boulay, Germany, 110–114; Boockmann, Orden, 197–224. 16 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 160, 164, 168; vgl. auch Begert, Böhmen, passim. 17 Vgl. S. 553–562. 18 Evans, Making, 157–160.

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ie Hauptschwierigkeit bei der Beschreibung der Reichsverfassung, wie sie sich vor 1500 darbot, liegt darin, dass sie nicht in systematischer Form schriftlich niedergelegt war. Ebenso gab es kein klar definiertes Ensemble von Institutionen mit einer kontinuierlichen Geschichte oder gar augenfälliger Effizienz. Die im 15. Jahrhundert vorherrschenden Einrichtungen hatten sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten entwickelt und die Historiker sind sich über die wesentlichen Aspekte dieses Prozesses uneins. Die Auseinandersetzungen kreisen unter anderem darum, ob die den Fürsten gewährten Privilegien seitens der Hohenstaufen ein Zeichen der Schwäche dieser Herrscher und ihrer Nachfolger waren. Ebenso umstritten ist für jeden beliebigen Zeitpunkt zwischen dem 11. und dem 15. Jahrhundert die Reichweite des Einflusses der kaiserlichen Regierung wie auch Motivation und Wesen der 1495 und 1500 durchgeführten zentralen Reformen. Einige Forscher sehen darin die Rückkehr zu einem wie auch immer idealisierten Status quo ante, andere interpretieren sie als radikalen Neubeginn. Uneinigkeit herrscht auch darüber, inwieweit sich die Absichten der Reformer in den Folgen der Reformen niedergeschlagen haben und ob die Ergebnisse nur einen mehr oder weniger faulen Kompromiss darstellten. Die im Reichstag 1495 und 1500 gefällten Entscheidungen sind zweifellos von erstrangiger Bedeutung für die frühneuzeitliche Periode, denn auf sie bezogen sich alle folgenden Versuche, die Reichsverfassung neu beziehungsweise überhaupt erst festzulegen. Die Reformen selbst jedoch artikulierten in gewisser Weise Entwicklungen, die sich während der vorangegangen zwei oder drei Jahrhunderte vollzogen hatten. Unabhängig davon, ob man nun die Geschichte der Monarchie nach den Hohenstaufen als Epoche des Verfalls sieht oder nicht, sind einige Dinge offenbar gewiss. Zum Ersten bestand das Reich als eine Wahlmonarchie fort, in der keine Dynastie dauerhaft zur Vorherrschaft gelangte. Zum anderen wurden das Wahlprinzip und die wachsende Macht der Fürsten dadurch verstärkt, dass sich eine ganze Reihe von Kaisern mit Angelegenheiten außerhalb der deutschen Territorien befasste, vor allem solchen in Italien, und zudem einige von ihnen Höfe an der Peripherie der deutschen Territorien besaßen, vor allem im Osten. Ferner gab eine ganze Reihe von Herrschern Privilegien in immer größerer Anzahl aus der Hand, um Kriege führen oder einfach eine Machtbasis nördlich der Alpen gewinnen zu können. Folglich entstand eine königliche Bürokratie, deren Mitglieder schließlich

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in der Lage waren, sich im Feudalwesen als Erbadlige einzurichten. Um 1400 waren fast alle Hoheits- und sonstigen bedeutenden Rechte der Souveränität verloren. Demgegenüber war die Stellung der Fürsten seit der Regierungszeit von Friedrich Barbarossa (1152–1190) stetig stärker geworden. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts waren wichtige Privilegien vergeben und in weithin anerkannten Gesetzen wie dem statutum in favorem principum von 1231/32 bestätigt worden. Dieses Gesetz sicherte den Fürsten die Gerichtsbarkeit über ihre Untertanen. 1 Zudem hatte der Konflikt zwischen Kaiser und Papst im Investiturstreit damit geendet, dass Ersterer alle politischen und juristischen Rechte über die Kirche aufgab. Im Wormser Konkordat von 1122 hatte er das Recht der freien Wahl von Bischöfen und Äbten durch Domkapitel und Klostergemeinschaften anerkannt. Die Umwandlung einer formellen Investitur, der Überreichung von Bischofsstab und -ring durch den Herrscher, in einen Akt der Lehnsvergabe ebnete der Kirche den Weg in das Feudalsystem des Reichs. Dieser Kompromiss sollte schon bald Folgen zeitigen. 1220 gab die Monarchie jeden Anspruch auf kirchlichen Grundbesitz auf, den sie bislang beim Tod eines Bischofs oder Abts erhoben hatte. Somit galten diese Würdenträger jetzt anerkanntermaßen als Fürsten des Reichs (confoederatio cum principibus ecclesiasticis). 2 Parallel dazu entwickelten sich auch die Freien Städte und die Reichsstädte zu einer besonderen Körperschaft; allerdings wurden sie nicht so schnell in die Verfassung des Reichs integriert wie die weltlichen und kirchlichen Fürsten. 3 Während des 13. Jahrhunderts wurden die Reichsstädte vom Kaiser aus steuerlichen Gründen gefördert. Anfänglich unterstanden sie einem kaiserlichen Aufseher, gewannen aber zunehmend an Unabhängigkeit, als Stadträte nicht nur die Aufsicht, sondern auch Verwaltung und Gerichtsbarkeit übernahmen. Zu den Freien Städten gehörten unter anderen Augsburg, Köln und Straßburg, also Ortschaften, die ursprünglich einem Bischof unterstanden. 4 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts gab es die Unterscheidung zwischen Freien Städten und Reichsstädten praktisch nicht mehr. Viele trugen beide Bezeichnungen im Titel und an die siebzig Städte waren nunmehr zu einem Reichsstand zusammengefasst. Ihre Gemeinsamkeit als Körperschaft wurde durch die Bildung von Städtebünden wie dem Rheinischen Städtebund von 1254 oder dem Schwäbischen Bund von 1488 gestärkt. Ab 1471 gab es auch zunehmend regelmäßig stattfindende Treffen von Vertretern aller Freien wie Reichsstädte und ab 1489 bildeten sie ein eigenes Kollegium im Reichstag (das »Reichsstädtekollegium«), das bis 1648 allerdings nur beratende Funktion und Stimme hatte (votum consultativum). 5 Die stetige Herausbildung der Reichsstände wurde von einer weniger konsequenten Entwicklung institutioneller Strukturen begleitet. Die wichtigste vollzog sich im 13. Jahrhundert, als sich aus der Vielzahl der weltlichen und kirchlichen Fürsten eine klar umgrenzte Gruppe der wahlberechtigten Fürsten, der

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sogenannten Kurfürsten, herausschälte. 6 Sie bestand aus den Erzbischöfen von Mainz, Trier und Köln sowie den weltlichen Inhabern der bedeutenden (in der frühen Neuzeit rein ehrenamtlich versehenen) Hofämter (Kämmerer, Marschall, Truchsess, Mundschenk). Das waren der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen-Wittenberg, der Markgraf von Brandenburg und (nach etlichen Auseinandersetzungen zwischen 1257 und 1289 mit den Herzögen von Bayern) der König von Böhmen. Ihre Aufgabe als Kurfürsten wurde zunehmend wichtiger, weil sich keine starke Herrscherdynastie entwickelte, ebenso spielte der Konflikt zwischen den Kaisern und dem Papsttum eine Rolle. Zwar trugen sie selbst auch zu den im 13. Jahrhundert vorherrschenden chaotischen Zuständen durch Doppelwahlen und die zeitweilige Unterstützung eines der ihren als »Gegenkönig« bei, doch stärkte das ihre Stellung noch. 7 Mit der Zeit wuchs ihre Aufgabe über das reine Wahlamt hinaus: Die Gruppe entwickelte sich zu einer Ratsversammlung, die bestrebt war, die Monarchen in ihrer Freiheit zu leiten und, wo es notwendig erschien, auch einzuschränken. 8 Endgültig bestätigt wurde der Status der Kurfürsten in der Goldenen Bulle von 1356, deren Text die Vielschichtigkeit vieler kaiserlicher Dekrete oder Konzessionen augenfällig macht. 9 Sie gilt häufig als Triumph der Fürsten, wurde aber tatsächlich von Karl IV. in Auftrag gegeben, weil er damit seinen eigenen Nachfolgern den Königsthron sichern wollte, indem er die Zusammensetzung eines ihm günstig gesinnten Wahlkollegiums festschrieb, dessen Mitgliedern er Privilegien gewährte. Allerdings führten die in der Bulle gewährten Konzessionen nicht zur erhofften Festigung einer dynastischen Erbfolge seitens der Luxemburger. Immerhin war jedoch das Wahlverfahren nun ebenso formell bestimmt wie die Rolle der Kurfürsten im Reich. Detailliert wurden die Prozedur für eine Wahl und das Prinzip der Mehrheitsentscheidung festgelegt. Die Kurfürsten hatten die Aufgabe, den Herrscher zu beraten, und sollten zu diesem Zweck jährliche Versammlungen abhalten. Zusätzlich erhielten die Pfalzgrafen bei Rhein und die Herzöge von Sachsen den Titel »Reichsvikar«. Sie konnten bei Abwesenheit des Monarchen oder während eines Interregnums die Angelegenheiten des Reichs verwalten. Auch bestimmte die Bulle, dass die Grundbesitztümer eines Kurfürsten nicht aufgeteilt werden durften und im Fall von weltlichen Fürsten dem Erstgeburtsrecht unterlagen. 10 Allerdings fanden die von der Bulle vorgesehenen Jahrestreffen der Kurfürsten, auf denen sie Probleme des inneren Friedens und der Reform des Reichs erörtern sollten, nicht statt. Dennoch dienten diese Bestimmungen der Verstärkung oligarchischer Strukturen: Teilung der Macht bedeutete auch Teilung der Verantwortung.Vor allem aber schien die Bulle die implizite Erkenntnis zu enthalten, dass die periodisch stattfindenden Versammlungen von Fürsten – die Hoftage (später »Reichstage« genannt) – diese Funktion nicht angemessen erfüllten. Tatsächlich fanden diese Treffen bis ins späte 15. Jahrhundert hinein unregelmäßig und mit

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wechselnden Besetzungen statt. Nur ausgewählte Fürsten wurden geladen, um anliegende Probleme zu besprechen, sodass viele, die nicht erschienen, getroffene Entscheidungen oder verabschiedete Dekrete entweder ignorierten oder ihnen die Anerkennung nachdrücklich versagten. 11 Im 13. und 14. Jahrhundert stieß das Bemühen, andere zentrale Institutionen zu entwickeln, auf ähnliche Unsicherheiten und Hindernisse. Seit der Herrschaft Rudolfs von Habsburg (1273–91) gab es halbwegs kontinuierlich eine königliche Kanzlei, die sich jedoch im Wesentlichen darauf beschränkte, gegen relativ geringe Geldsummen Bestätigungen auszustellen. Ebenso scheinen königliche Gerichte, wie etwa das Hofgericht zu Rottweil in Schwaben, nur zeitweilig wirksam gewesen zu sein. Zweifellos förderte die dauerhafte Existenz solcher Institutionen das Entstehen einer juristisch ausgebildeten Beamtenschaft, aber als Regierungsinstrumente blieben sie untauglich. 12 Symptomatisch für das Fehlen königlicher Autorität war die Entstehung von Einrichtungen wie den westfälischen Femegerichten. Die Feme (oder Veme), eine verschwiegene Organisation, florierte von etwa 1300 bis 1450 und übte eine ziemliche raue Schnelljustiz aus, bisweilen auch in Gebieten weit außerhalb von Westfalen und immer dort, wo monarchische Autorität fehlte. Die Mitglieder der Femegerichte beriefen sich im Wesentlichen selbst, genossen aber die Protektion des Erzbischofs von Köln und gelegentlich die Anerkennung des Kaisers. Sie konnten in Aktion treten, weil ihre Rechtsprechung genau jene Durchsetzungsfähigkeit hatte, die den Reichsinstitutionen fehlte. 13 Zwar entstand keine Zentralregierung, doch war das Reich als politisches Gemeinwesen weiterhin präsent und durchaus nicht zur bloßen Idee verkommen, wie traditionelle Historiker häufig behaupteten.Vielmehr hatte sich um 1600 eindeutig eine neue Struktur entwickelt. In ihr waren das Verhältnis von Kaiser und Reich sowie der Sinn und Zweck des Reichs an sich klarer definiert. Obwohl sich diese Struktur erst im Verlauf des 16. Jahrhunderts entfaltete, war das neue System wesentlich das Ergebnis der Reformbewegung, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstanden war und sich in den Reichstagen von Worms 1495 und Augsburg 1500 manifestierte. In den vergangenen Jahrzehnten waren sich die Historiker über den Ursprung dieser Reformen uneins. Manche sahen darin den fehlgeschlagenen Versuch, zum ersten Mal einen wirklichen Staat ins Leben zu rufen. Andere begriffen sie als Beschwörung der Vergangenheit, sei diese auch idealisiert und fern der ehemaligen Wirklichkeit. Wieder andere hinterfragten die Vorstellung einer das 15. Jahrhundert kontinuierlich durchziehenden Reformtradition. Peter Moraw meint sogar, man solle den Begriff »Reform« aufgeben, denn er lasse nicht erkennen, wie sehr der Prozess im Fluss und wie offen seine möglichen Ergebnisse gewesen seien. 14 Das allerdings erscheint als eine übertriebene Reaktion auf die Ungewissheiten eines Prozesses, den viele damalige Zeitgenossen zweifellos als auf Reformen an-

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gelegt verstanden. Die praktische Bedeutung des Begriffs »Reform« entwickelte sich im Lauf des 15. Jahrhunderts. Praktische Initiativen gab es nur sporadisch und sie wurden zu jedem entscheidenden Zeitpunkt durch neue Variationen alter Probleme bestimmt. Das Ergebnis, das sich 1495 und 1500 herauskristallisierte, bestand in einer Reihe von Kompromissen, die nicht den Anspruch erhoben, eine endgültige Lösung zu sein. Doch sind die Reformideen in Thematik und Inhalt von einer Kontinuität geprägt, die grundlegend ist für ein Verständnis des Reichs in der frühen Neuzeit. Die Vorstellung weitreichender Reform und Erneuerung erwuchs aus einer Anzahl von inneren und äußeren Faktoren, die ab dem späten 14. Jahrhundert die verbreitete Instabilität des Reichs verschärften. An erster Stelle geht es um Unordnung und Konflikte im Inneren. Die Pest sorgte in manchen Gebieten für verheerende Entvölkerung (40 bis 50 Prozent in Hessen und Schlesien), deren wirtschaftliche Folgen zu erheblichen sozialen Spannungen führten. Zwar blühten die Städte auf, doch konnte das dort, wo die Verhältnisse schlecht waren, nicht für Beruhigung sorgen. Vielmehr entstanden neue Friktionen, die nun das Verhältnis von Städten und Fürsten betrafen. Große Teile der deutschen Territorien wurden durch sporadisch aufflammende Fehden und bewaffnete Konflikte, die schnell zu kleinen Kriegen eskalieren konnten, unsicher gemacht. In vielen Gebieten schien nur noch das Faustrecht zu herrschen. Die Lage verbesserte sich auch nicht, als sich nach 1450 die wirtschaftlichen Bedingungen wieder erholten, denn nun waren insbesondere die westlichen Gebiete einer neuen Bedrohung ausgesetzt: Marodierende Söldnerheere, die nach dem Ende des Hundertjährigen Kriegs (1453) nicht mehr gebraucht wurden, machten die Gegenden unsicher. Gegen diese Bedrohung richtete sich in den Regionen eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen. Sporadisch bildeten sich Fürsten-, Ritter- oder Städtebünde, um die gerade für kleine Territorien und Städte bedrohliche, Handel und Wandel gefährdende Anarchie zu bekämpfen. Einige dieser Bünde erhielten Unterstützung von Monarchen, die fortwährend nach Gelegenheiten suchten, sich im Reich eine feste Operationsgrundlage zu schaffen. Doch blieben die meisten dieser Bündnisse unwirksam und selbst die langlebigeren wie etwa der Schwäbische Bund, der, 1488 gegründet, bis 1534 währte, konnten das zugrunde liegende Problem nicht lösen. Dieses Versagen ist gerade deshalb von Bedeutung, weil die Gründung von Friedrich III. aktiv gefördert wurde. Der Kaiser verfolgte damit das Ziel, bayrische Ambitionen einzudämmen, indem er die Städte im Südwesten mit der Kaiserkrone vereinigte. Zwar konnte der Bund auch Erfolge verzeichnen – so gelang es ihm 1519, Herzog Ulrich von Württemberg von seinen Besitzungen zu vertreiben, und 1525 machte er gegen die aufständischen Bauern mobil. Dennoch blieb das Bündnis mit der Krone unsicher. Trotz beträchtlicher Anstrengungen konnte Maximilian I. nicht auf dessen Schlagkraft bauen und entsprechende Ver-

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suche Karls V. wurden durch die religiösen Konflikte zunichtegemacht, die der Bund nicht überlebte. 1534 war er am Ende. So stand man wieder vor dem alten Problem, wie im Reich ein allgemeiner Landfriede hergestellt werden konnte. Die internen Schwierigkeiten des Reichs wurden noch durch eine Reihe von äußeren Bedrohungen seiner Integrität verschärft, am nachhaltigsten durch die Hussitenkriege von 1419 bis 1436 und durch das Osmanische Reich nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453. Beides gab Anlass zur Entwicklung von Kreuzzugsplänen, um das Reich gegen heidnische Invasoren zu verteidigen; beides trug letztlich dazu bei, dass Kaiser und Reichsstände nun gemeinsam nach Möglichkeiten suchten, organisiert zu handeln und vor allem die dafür nötigen Geldmittel zu beschaffen. Nach den 1470er Jahren wurde der Konflikt zwischen Habsburg und Burgund/Frankreich zu einer weiteren Facette der äußeren Bedrohung. Die auf dem Reichstag von 1495 beschlossenen Reformen waren nicht zuletzt mit der Frage verbunden, in welchem Ausmaß die Stände bereit sein würden, sich an einem Konflikt zu beteiligen, den viele eher als Angelegenheit der Habsburger denn der »deutschen Nation« sahen. In diesem Sinn trug die Reform als Reaktion auf kaiserliche Geldwünsche zur Herausbildung einer spezifisch »nationalen« Identität des Reichs bei. Die ersten ernsthaften und weitgespannten Vorschläge für eine Reform des Reichs wurden im Zusammenhang mit den Kirchenkonzilen von Konstanz (1414– 1418) und Basel (1431–1437) laut. Hauptziele in Konstanz waren die Überwindung des Kirchenschismas, der Kampf gegen die Hussiten und die Reform der Kirche. Aber diese Themen hingen mit dem Problem der Reichsreform eng zusammen. So jedenfalls sah es Kaiser Sigismund, die treibende Kraft hinter der Einberufung des Konzils, das, ebenfalls auf Wunsch des Kaisers, auf deutschem Boden stattfand. Er wusste genau um die Unsicherheit des Reichs und hatte den Ehrgeiz, eine dauerhafte Lösung zu finden. Sigismunds Absicht, die kaiserlichen Ansprüche auf breiter Basis erneut geltend zu machen, findet möglicherweise einen symbolischen Ausdruck in seiner 1422 vorgenommenen Einführung des byzantinischen Doppeladlers als Reichssymbol. 15 Die in Konstanz 1417 vom pfälzischen Juristen Job Vener vorgetragenen Reformvorschläge scheinen die spätere (1422 erfolgende) Einführung der »Reichsmatrikel« inspiriert zu haben, in denen die Anzahl der Bewaffneten aufgeführt war, die jeder Reichsstand für einen Kreuzzug gegen die Hussiten bereitstellen sollte. 16 Auf dem 1427 abgehaltenen Reichstag in Frankfurt am Main wurde die erste allgemeine Steuer, der Gemeine Pfennig, eingeführt. Wirtschaftliche Bedeutung hatte sie zunächst nicht, denn es gab zwar einen (einzigen) Schatzmeister, aber keinen Schatz. 17 Vor allem gehörte sie zu Sigismunds Versuch, die Reichsregierung auf eine sichere Grundlage zu stellen. Zu weiteren Maßnahmen gehörten Versuche, mit Städte- und Ritterbünden Verbindungen zu knüpfen und sich mit

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dem kurzlebigen, 1424 gegründeten Kurverein von Bingen, einem reformerisch gesinnten Bündnis von Kurfürsten, zusammenzuschließen. Ferner wollte er Adlige durch Bestechung auf seine Seite ziehen; so belehnte er 1417 den Burggrafen von Nürnberg mit Brandenburg und 1423 den Markgrafen von Meißen aus dem Haus Wettin mit dem Kurfürstentum Sachsen-Wittenberg. Die von Sigismund in den 1420er Jahren unternommenen Vorstöße führten jedoch zu keiner dauerhaften Lösung. Immerhin tauchte die Idee einer Reform schon bald erneut auf, diesmal im Rahmen des Konzils von Basel. Dort ging es unter anderem um Nikolaus von Kues’ (Cusanus) De concordantia catholica (Von der universellen Harmonie, 1433–1434), worin er Pläne zur gleichzeitigen Reform von Kirche und Reich entworfen hatte. Für Letzteres sah er die Einrichtung jährlich stattfindender Reichstage und die Förderung des Landfriedens vor. Jedoch waren die im Rahmen des Konzils formulierten Vorschläge nach dessen Ende 1437 kaum noch von erheblichem Einfluss. 18 Die Verbindung von Kirchen- und Reichsreform wurde erneut in der 1439 anonym erschienenen Schrift Reformatio Sigismundi (Reformation des Kaisers Sigismund) vorgetragen. Dort wurden Reformen zum Wohl nicht nur der Fürsten, sondern auch des einfachen Volks gefordert. Aber schon in den 1430er Jahren rückte das Problem der Kirchenerneuerung zugunsten der Reichsreform in den Hintergrund. Immer häufiger und nachdrücklicher ging es um spezifisch deutsche Probleme, um inneren Frieden, effektive Verwaltung, realisierbare Staatseinkünfte, stabile Währung und ein schlagkräftiges Heer zur Verteidigung des Reichs. Wiederholt gab es dazu Vorschläge seitens der Fürsten und Kurfürsten wie auch von Sigismund und, nach ihm, Friedrich III., die aber sämtlich zu nichts führten. Eine 1442 eingeführte »Landfriedensordnung« erwies sich als Fehlschlag. Die Idee einer zentralen Exekutivmacht brachten der Kurfürst von Trier (1453–1454) und dann der König von Böhmen (1464) ins Spiel, aber vergeblich. 19 Auf dem Reichstag von Regensburg (auch »Christentag«) 1471 wurde, als Reaktion auf den Ruf Kaiser Friedrichs III. nach einem Kreuzzug gegen die Türken, für eine Heeressteuer gestimmt. Doch blieb das Reich nach dem Ende des Reichstags von all dem unbeeindruckt und der Kreuzzug kam nicht zustande. Immer wieder führte die Spannung zwischen Kaiser und Fürsten, führten Zwistigkeiten zwischen Reformbefürwortern und Skeptikern dazu, dass Vorschläge abgewiesen wurden und Übereinkünfte unwirksam blieben. Dennoch signalisierte der Reichstag eine veränderte Haltung. Zum einen war Friedrich III. ins Reich zurückgekehrt, das er 1444 verlassen hatte. 20 Zum anderen brachte ihn der Reichstag auf den Gedanken, seinen Sohn Maximilian mit der Tochter und Erbin Karls von Burgund zu verheiraten, was 1477 in die Tat umgesetzt wurde. Das wiederum verstärkte Friedrichs Interesse an den Angelegenheiten im Westen des Reichs. Auf diese Weise entwickelte sich der Konflikt mit Frankreich,

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der die Politik in den 1490er Jahren bestimmen sollte. Zu einer Zeit, als die Stellung des Kaisers im Osten durch den Aufstieg von Matthias Corvinus in Ungarn gefährdet wurde, war es besonders wichtig, eine neue Machtbasis im Westen aufzubauen. Allerdings erwuchsen daraus rasch neue Probleme. Zwischen den ersten Verhandlungen Friedrichs mit Karl dem Kühnen 1473 in Trier und der Heirat Maximilians mit Maria von Burgund vier Jahre später rief Karl selbst noch eine militärische Krise hervor, als er 1475 die Stadt Neuss (nördlich von Köln am Rhein) belagerte. Er starb kurz vor der Heirat während eines Feldzugs gegen die Schweizer Kantone und so fiel das burgundische Erbe an die Habsburger. Karls Intervention von 1475 trug auch entscheidend zu einer Neubelebung der Reformideen bei. Die Ereignisse der 1470er Jahre zeigten den Habsburgern wie auch den Reichsständen, wie notwendig eine Neuordnung der militärischen Schlagkraft des Reichs war. Maximilians Heirat führte sofort zu Konflikten, zuerst mit Frankreich um das Artois und Burgund, dann mit den Niederlanden. Zugleich gab es weitere Auseinandersetzungen mit Corvinus im Osten. 1490 konnte Maximilian das 1485 verlorene Wien und danach auch die Erblande (die östlichen österreichischen Länder) zurückerobern, was ihm die Aussicht auf die Wiedereinnahme einer Machtposition im Osten eröffnete. Hinzu kamen noch Tirol und die Vorlande, die 1489 durch Erbschaft an ihn fielen, sowie das durch den Frieden von Pressburg 1491 gesicherte Nachfolgerecht in Böhmen und Ungarn (wo sich zunächst die Jagiellonen etabliert hatten). Aber schon 1495 gab es eine neue Frontstellung durch den französischen Angriff auf Italien, wo Maximilian durch seine zweite Frau, Bianca Maria Sforza von Mailand, Ansprüche erheben konnte. Maximilian reagierte auf zweifache Weise. Zum einen plante er ein Bündnis mit Spanien durch Verheiratung seiner Kinder Philipp und Margarete mit der Infantin Juana und dem Infanten Juan. Zum anderen suchte er militärische Unterstützung im Reich. Aus Sicht der Reichsstände ergaben sich aus diesen Entwicklungen ganz unterschiedliche Anforderungen. 21 Einerseits waren sie durchaus bereit, Maximilian 1486 zum römischen König und damit zum Nachfolger seines Vaters zu wählen. Das führte zwangsläufig 1493, nach dem Tod Friedrichs III., zur Alleinherrschaft Maximilians, der jedoch erst 1508 Kaiser wurde. Andererseits entwickelten die Stände allmählich eine eigene, auf ihren Erfahrungen aus den 1470er Jahren beruhende Agenda. Die Bedrohung durch die Türken und der Angriff Karls des Kühnen auf Neuss hatten gezeigt, wie notwendig es war, das Reich wirksam gegen jedwede Aggression von außen zu verteidigen. Dazu brauchte es aber Geld, und das war nicht ohne Reform und Reorganisation des Systems zu haben. Allerdings folgte für die Stände daraus nicht, dass sie sich unter allen Umständen mit den zunehmend als solchen eingeschätzten dynastischen Interessen der Habsburger identifizieren mussten. Die wiederholten Geldforderungen, die von Friedrich III. und insbesondere Maximilian an sie gestellt wurden, schärften das Bewusstsein für die Pro-

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blemlage und die Stände reagierten nun zunehmend nicht nur auf äußere Bedrohungen, sondern auch auf den Habsburger Umgang mit diesen Bedrohungen. Die Reformen wurden also von zwei Kräften betrieben: von den Kaisern einerseits und den Ständen andererseits. 22 Zu dieser Zeit entwickelte der Reichstag ein Gefühl für seine Identität als Verfassungsorgan eines spezifisch deutschen Reichs. Die Tatsache, dass der Terminus »Reichstag« nun den früheren »Hoftag« ersetzte, zeigte die wachsende Unabhängigkeit von Hof und Person des Königs. 23 Zwar wahrten die Zusammenkünfte noch viele der tradierten Funktionen als Treffen der Vasallen des Herrschers, bei denen Lehen gewährt oder erneuert wurden, wie auch als erweiterte Familientreffen, um Heiraten auszuhandeln oder zu feiern. 24 Dennoch trat die politisch-verfassungsrechtliche Dimension immer stärker zutage. Koordiniert wurden die Bemühungen der Stände durch den Erzbischof von Mainz, Berthold von Henneberg. 1486 erlangte er die Kontrolle über die königliche Kanzlei als Gegenleistung für seine Unterstützung Maximilians bei der Wahl zum König. Nun konnte Berthold die Reform des Reichstags in Angriff nehmen: Die Geschäfte wurden in Kurien oder Kollegien geführt; es gab den Kurfürstenrat, den Reichsfürstenrat und ab 1489 den Reichsstädterat. Es entwickelte sich eine komplizierte Prozedur aus Beratungen im Vorfeld, Vorschlägen und Diskussionen, sowohl in den Kollegien als auch zwischen dem Reichstag und dem Herrscher. Dazu kamen Gegenvorschläge, Abstimmungen und formelle Entscheidungen, Reichsschlüsse genannt. Diese wurden am Ende eines Reichstags in einem offiziellen Dekret, dem Reichsabschied, verkündet und waren damit Gesetz. 25 Die Formalisierung dieser Prozedur, die bis zum Ende des Reichs 1806 gültig blieb, war die wesentliche Vorbedingung für die auf den Reichstagen von Worms 1495 und Augsburg 1500 erreichten Reformen. In Worms waren die Fürsten dagegen, Maximilians Feldzug gegen die Franzosen in Italien finanziell zu unterstützen, weil sie darin eine rein habsburgische Angelegenheit sahen. Dennoch erkannten beide Seiten die Notwendigkeit einer Reform an. So gab es etwa Übereinstimmung darin, durch die Veröffentlichung des »Ewigen Landfriedens« die Fehde für ungesetzlich zu erklären. Als es um die Einrichtung eines Reichsgerichtshofs ging, konnten Henneberg und die Stände die Unabhängigkeit des Reichskammergerichts vom königlichen Hof durchsetzen. Während der Herrscher das Recht hatte, den vorsitzenden Richter oder »Kammerrichter« zu ernennen, konnten die Stände die gewöhnlichen Richter berufen, von denen die eine Hälfte ausgebildete Rechtsgelehrte – nichtadlige Doktoren des kanonischen und römischen Rechts –, die andere Hälfte Adlige waren. In welchem Ausmaß das Gericht Funktionen übernahm, die einstmals zu den königlichen Vorrechten gehört hatten, ergibt sich aus der Bestimmung seiner Aufgabe: Es sollte für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens und die Beilegung von Konflikten zwischen den Vasallen des Herrschers sorgen. 26

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Die Frühgeschichte des Gerichts wurde von Auseinandersetzungen zwischen dem Herrscher und den Ständen über das Recht der Ernennung geprägt; 1498 unternahm Maximilian den Versuch, den Einfluss des Gerichts durch die Einrichtung einer Konkurrenzinstitution, des Reichshofrats, einzudämmen. 27 Aber das Reichskammergericht konnte seine Stellung als erstrangige Rechtsinstitution des Reichs bewahren. Zudem setzte es fest, dass lokale oder regionale Gesetze nur dann als gültig anerkannt wurden, wenn sie nicht zum römischen Recht in Widerspruch standen. Auf diese Weise förderte das Gericht die Ausbreitung des römischen Rechts, das dann rasch zur Grundlage für das Rechtssystem im gesamten Reich und zum Modell für die Städte und Länder wurde. Binnen weniger Jahrzehnte wurde eine juristische Ausbildung zur Vorbedingung auch für die adligen Richter, was dem Gericht insgesamt ein einigendes Gepräge verlieh und so seine Unabhängigkeit noch verstärkte. Zwei weitere 1495 beschlossene Maßnahmen dienten auf unterschiedliche Weise dazu, dem Reich eine stärkere Kontur zu geben. Zum einen resultierte die Diskussion darüber, wie der öffentliche Friede herzustellen sei, in einer Kompromissformel namens »Handhabung des Friedens und Rechts«. Sie sollte den Herrscher an seine Pflichten gegenüber dem Reich erinnern und insbesondere an seine Verpflichtung, jedes Jahr einen Reichstag einzuberufen. Zwar schien die Formulierung an sich nur das Offensichtliche festzustellen, tatsächlich war sie jedoch ein großer Erfolg für die Stände. Sie stärkte deren Stellung durch offensives Vorgehen und deren verfassungsrechtliche Position als dem Herrscher nahezu gleichgestelltes Kollektiv war im Reichstag festgeschrieben. Außerdem bahnte die Formel den Weg für die formelleren Abkommen zwischen dem Herrscher und den Ständen, die ab 1519 vor einer Kaiserwahl ausgehandelt wurden: In der sogenannten Wahlkapitulation wurden die Versprechungen festgelegt, deren Einlösung der Kandidat den Wählenden für den Fall seiner Wahl zusicherte. Die »Handhabung des Friedens und Rechts« diente somit der Festlegung der Grenzen der herrscherlichen Macht und der Bestimmung ihrer Funktionen im Reich: Dem Herrscher kam damit eher die Stellung eines Schiedsrichters im Rechtssystem als die eines Souveräns zu. Ebenso waren die Entscheidungen über die Besteuerung von Einfluss auf die zukünftige Struktur des Reichs als eines politischen Gemeinwesens. Aber der Versuch, eine allgemeine Steuer, den sogenannten Gemeinen Pfennig, einzuführen, um das Reichskammergericht und das kaiserliche Heer zu finanzieren, zeigte der Reichspolitik ihre Grenzen auf. Die Steuer sollte eine Mischung aus Einkommens-, Vermögens- und Kopfsteuer sein und zunächst vier Jahre lang erhoben werden. Aber das funktionierte in der Praxis nicht, denn ihr Prinzip, dem auf dem Reichstag Fürsten und Lehnsherren zugestimmt hatten, geriet vielfach in Konflikt mit deren eigenen lokalen Ständen, die das Recht hatten, bei solchen Übereinkünften mitzuentscheiden. Einige von den mächtigeren Fürsten sahen schon in der Idee

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einer für Reichsbelange zu erhebenden Steuer eine Herabstufung ihrer Position. Zudem erwies sich die Eintreibung durchweg als schwierig: Es fehlten Unterlagen zur Feststellung der Steuerpflichtigen, es gab keine Behörden zur Eintreibung und die kirchlichen Gemeindeorganisationen waren schlichtweg unfähig. Da außer Maximilian in seinen eigenen Territorien nur wenige Fürsten und Verwaltungen Anstrengungen zur Steuererhebung unternahmen, wurde das Vorhaben bald schon wieder aufgegeben. Weitere im Jahr 1507 getroffene Vereinbarungen führten zu zwei Formen der Besteuerung im Reich, die auf einer Überarbeitung der traditionellen »Matrikel«, einer Liste aller Reichsstände, beruhten und auch eine Einschätzung darüber abgaben, welchen Anteil an einer allgemeinen Steuer jeder Stand beitragen könne. 28 Der zur Finanzierung des Reichskammergerichts erhobene »Kammerzieler« wurde zu einer ständigen Steuer. 29 Für die Militärausgaben wurde jedoch keine entsprechende Lösung gefunden. Die Finanzierung musste weiterhin durch Sondersteuern aufgebracht werden, die bei jeder Bedrohung des Reichs neu auszuhandeln waren und auf traditioneller Grundlage berechnet wurden. Mithilfe der Matrikel kalkulierte man die jeweiligen Kosten einer bestimmten Quote von Bewaffneten für die Dauer eines Monats (zugrunde gelegt wurden dabei die sogenannten Römermonate, was sich auf den mittelalterlichen Ursprung der Steuer bezog, die damals zur Finanzierung von Feldzügen in Italien benötigt wurde). Was diese Prozedur für die Regierungen der Territorien mit sich brachte, wird im Hinblick auf die Steuern für die Feldzüge gegen die Türken in den 1570er und 1580er Jahren erörtert. 30 Die Bedeutung dieser Ergebnisse für die verfassungsmäßige Struktur des Reichs zeichnete sich jedoch schon sehr viel eher ab. Noch bevor die längerfristigen Folgen der Abkommen von 1495 zutage traten, war schon klar, dass die unmittelbaren Probleme nicht gelöst worden waren. Maximilian brauchte weiterhin die militärische Unterstützung durch das Reich. Zudem gab es jetzt zwar das Reichskammergericht, aber keine Möglichkeit, seine Entscheidungen auch durchzusetzen. Der Landfriede wiederum blieb bloßes Ideal, solange man seine Einhaltung nicht beaufsichtigen konnte. Aber gerade die Notwendigkeit einer Exekutivmacht brachte das Problem des Gleichgewichts zwischen Herrscher und Ständen erneut auf den Prüfstand. 1495 hatte Maximilian der Einrichtung einer zentralen Exekutive noch erfolgreich Widerstand geleistet, aber fünf Jahre später benötigte er so dringend militärische Unterstützung, dass er sich gezwungen sah, auf den Vorschlag zur Einrichtung eines Reichsregiments einzugehen. Das war ein Rat, bestehend aus 20 Mitgliedern, darunter die sieben Kurfürsten und andere Repräsentanten der Stände, dessen Vorsitz der Herrscher oder sein Stellvertreter innehatte. 31 Das Reichsregiment hatte seinen Sitz in Nürnberg, war aber nur kurzlebig. Es hatte weder Geldmittel noch Macht, zudem sah Maximilian darin von Anfang an eine

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Beschränkung seiner Machtbefugnisse. Als Henneberg begann, Gespräche mit französischen Unterhändlern zu führen, wandte er sich entschieden gegen diese Institution, die indes auch von den Reichsständen selbst nicht unterstützt wurde, weil viele darin eine Bedrohung ihrer eigenen Position erblickten. 32 Das 1. Reichsregiment wurde 1502 aufgelöst und erst in anderer Form 1521 wiederbelebt. Es überdauerte zehn Jahre und war eher ein Regierungsratsgremium in Abwesenheit Karls V. 1524 wurde es von Nürnberg nach Esslingen verlegt, in die Nähe des Stuttgarter Hofs (der nach der Vertreibung des Herzogs Ulrich von Württemberg unter habsburgischer Kontrolle stand, bis Ulrich 1534 in seine alte Position zurückkehrte). Auf diese Weise wurde das 2. Reichsregiment zum allgemeinen Misstrauen ein Instrument der Habsburger Politik, nicht aber die von Henneberg und anderen Reformern angestrebte zentrale Exekutive. 33 Eine eindeutigere Stellung im aus dem deutschen Mittelalter stammenden System der Machtkontrolle hatten die Reichskreise, die 1500 eingeführt wurden, um die regionale Durchsetzung der Reichsgerichtsbarkeit und die Organisation militärischer Unterstützung zu gewährleisten. Die Einrichtung dieser (zunächst sechs) Kreise beruhte auf einer auf das Jahr 1383 zurückdatierenden Idee und war ursprünglich als Mittel für die Wahl der sechs Vertreter der Reichsstände im Reichsregiment gedacht. 34 Aber nach dessen Auflösung blieben nur noch die Kreise übrig. Ihnen wurde 1507 die Aufgabe übertragen, für die Berufung der Richter (Assessoren) am Reichskammergericht zu sorgen. 1512 erweiterte man ihre Anzahl, um die Länder derjenigen Repräsentanten mit einzubeziehen, die zuvor direkt im Reichsregiment vertreten waren. Das waren die habsburgischen Lande selbst (im Burgundischen und Österreichischen Kreis), ferner die der kirchlichen Kurfürsten: der Kurrheinische Kreis und der Obersächsische Kreis (die Einbeziehung von Sachsen und Brandenburg führte zur Teilung des Sächsischen Kreises in die Regionen Ober- und Niedersachsen). Was zuerst wie eine weitere Zerfallsgeschichte aussah, war in Wirklichkeit genau das Gegenteil. Nach und nach, aber beharrlich, entwickelten die Kreise intern feste Regeln für die Wahrnehmung verfassungsrechtlicher Aufgaben nicht nur in der Verwaltung. Die 1555 beschlossene Reichsexekutionsordnung war dabei ein besonders wichtiger Meilenstein. Jedem Kreis stand neben einem Direktor (dem ranghöchsten geistlichen Fürsten) ein kreisausschreibender Fürst (ein prominenter weltlicher Fürst, der zugleich das militärische Kommando innehatte) vor. Letzterer kontrollierte die Kanzlei und berief den nach dem Modell des Reichstags gestalteten Kreistag ein, bei dem er auch den Vorsitz innehatte. Im Verlauf ihrer weiteren Entwicklung übernahmen die Kreise für das Reich wichtige integrative und exekutive Funktionen. Sie stellten Truppen auf und sorgten dafür, dass die von den Mitgliedern erhobenen Matrikelsteuern dem Herrscher zuflossen. Auch waren sie mit der Durchsetzung herrscherlicher Dekrete und der Aufrechterhal-

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tung des Friedens in der Region beauftragt, sei es durch Vermittlung im Konfliktfall oder durch direkte militärische Intervention. Später übernahmen sie noch weitere Aufgaben, waren zuständig für den Straßenbau, für Gefängnisse und Armenhäuser, für die Bekämpfung von Bettlern und Räuberbanden und für die Wahrung der Reinheit des Münzgelds. Nicht alle diese Aufgaben wurden ihnen sofort zugewiesen; wichtig waren zunächst die Organisation des Militärs und die Wahrung des Landfriedens, später kam das Übrige hinzu. Zudem funktionierten die Kreise keineswegs so effizient, wie es eine schematische Zusammenfassung ihrer Strukturen und Pflichten erscheinen lässt. Einige kamen ihren Aufgaben überhaupt nicht nach und auf lange Sicht leisteten der Schwäbische und der Fränkische Kreis die beste Arbeit. Das waren Regionen mit extremer territorialer Zersplitterung und ohne ausreichende Vorherrschaft von Territorialfürsten. Zudem waren einige Kreise durch immer wiederkehrende Auseinandersetzungen über Vorrechte, Rangordnungen und Verfahrensfragen gelähmt, wie sie ähnlich auch schon den Reichstag und praktisch jede andere Reichsinstitution mattgesetzt hatten. Doch war schon die reine Existenz der Kreise Garant einer wichtigen Infrastruktur regionaler Netzwerke im Reich und eines relativ formellen Beziehungsgeflechts. Die Kreise erleichterten die Kommunikation nicht nur zwischen ihren einzelnen Mitgliedern, sondern auch zwischen den Regionen und dem Herrscher. Sie fügten dem Reichstag einen weiteren komplexen Konsultationsapparat hinzu, bei dem die Partizipation mit dem Recht einherging, konsultiert zu werden und Maßnahmen abzulehnen, die den Interessen einzelnen Stände als abträglich galten. Die Kreise trugen zur Entstehung und Akzeptanz der, wie man es nennen könnte, »Rechtskultur« des Reichs bei, das heißt zu den Normen und Konventionen, auf denen das Rechtssystem beruhte. Und schließlich gab es nun eine neue Elite von Fürsten im Reich: Die kreisausschreibenden Fürsten sorgten neben der Gruppe der Kurfürsten dafür, dass ohne ihre Zustimmung und Kooperation der Monarch, wo nicht das Reich selbst, handlungsunfähig war. 35 Viele mittelbare Folgen der Abkommen von 1495 und 1500 traten erst nach und nach zutage. Eine ganze Anzahl der detaillierten Verfahren für die Funktionsweise des Reichskammergerichts oder der Kreise wurde auf den Reichstagen zwischen 1500 und dem Beginn der 1520er Jahre entwickelt. Noch länger dauerte es, bis klar wurde, was die Ergebnisse der Verhandlungen insgesamt zu bedeuten hatten, als es darum ging, auf die Reformation zu reagieren und in den 1550er Jahren eine juristisch-politische Formel zur Überwindung religiöser Spaltungen zu finden. Erst im späteren 16. Jahrhundert, nach weiteren Veränderungen und Anpassungen, begannen juristische und politische Kommentatoren mit der Konstruktion eines historischen Narrativs, dem zufolge das moderne Reich aus den Reformreichstagen von 1495 und 1500 erwuchs. 36 Sicher ist immerhin, dass sich einige

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grundlegende Positionen um 1500 herauskristallisierten und damals auch schon als solche sichtbar waren. Allerdings sollte man das Ausmaß von Klarheit, das zu der Zeit herrschte, auch nicht überschätzen, weshalb es angemessen sein mag, die Grundzüge der Situation in jenem Jahr zu skizzieren. Ursprünglich war die Reformbewegung von Plänen für die parallele Erneuerung von Römischer Kirche und Römischem Reich ausgegangen, konzentrierte sich zum Schluss aber fast ausschließlich auf das Deutsche Reich. Allerdings war die Idee einer Kirchenreform nicht ad acta gelegt worden. Henneberg selbst war in gewisser Weise ein Nachfolger des Nikolaus von Kues. Er war beseelt vom Glauben an die Einheit von Kirche und Reich und damit an die Notwendigkeit eines neuen Konkordats. Die Behebung von Missbrauch in der Kirche war notwendiger Bestandteil der Reichsreform. 37 Auch Maximilian war, wenngleich auf ganz andere Weise, bestrebt, die Einheit von Römischer Kirche und Römischem Reich aufrechtzuerhalten. Seine politische Auseinandersetzung mit dem Papsttum führte dazu, dass er als erster Herrscher nicht vom Papst in Rom gekrönt wurde, was ihn dazu verpflichtete, den Titel Erwählter Römischer Kaiser anzunehmen. Allerdings gab er seine ererbten Ansprüche auf Vorherrschaft in Rom und Schutzherrschaft über die Kirche nicht auf. 1511 spielte er sogar mit der Idee, sich selbst zum Papst wählen zu lassen. Die Stände jedoch setzten zunehmend das Reich mit der »deutschen Nation«, also mit dem Reich nördlich der Alpen, gleich. Auch sie hielten an der Idee einer Kirchenreform fest: Von 1456 an wurden die Gravamina nationis germanicae, ein Katalog von Beschwerden aus dem deutschsprachigen Raum über die Römische Kirche, bei jedem Reichstag verlesen und ausgeweitet. Sie werden weiter unten detaillierter im Zusammenhang mit den Ursprüngen der Reformation erörtert. 38 Für uns sind sie in diesem Zusammenhang von Bedeutung als weiterer Hinweis darauf, dass die Stände das Reich mit der »deutschen Nation« identifizierten. Hier ging es nämlich hauptsächlich um das politische Problem der Macht und Autorität des Monarchen im Reich. Daran lässt sich zeigen, dass es zwischen dem Monarchen und den Ständen durchaus sehr unterschiedliche Auffassungen über das Reich und seine raison d’être gab. Beide waren in symbiotischer Gemeinschaft aneinander gebunden. Beide hatten gemeinsame Interessen, nicht zuletzt in der Verteidigung des Reichs gegen die Türken und andere mögliche Feinde. In Bezug auf die Türken herrschte Einigkeit, nicht aber bei der Festlegung dessen, wer sonst noch als Feind zu gelten hatte. Maximilians Auffassung vom Reich wurde durch seine dynastische Erbschaft geprägt. Von seinem Vater hatte er eine Vision der Neuentstehung kaiserlicher Macht übernommen, die zum einen auf den habsburgischen Territorien, zum anderen auf Möglichkeiten im Osten (von der Adria über Österreich bis nach Böhmen und Schlesien, unter Einschluss Ungarns) und zum Dritten auf einer vergleich-

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baren Masse von Territorien im Westen (vom Sundgau über die Franche-Comté bis zu den Niederlanden) beruhte. Zu dieser Vision gehörte auch Italien, und damit die traditionelle Beziehung zwischen Reich und Papsttum, als religiös-ideologisches Symbol wie auch als Sphäre politischen Einflusses. Friedrich III. hatte das Fundament gelegt, jedoch, abgesehen von seinem 53 Jahre währenden Leben und Überleben als Monarch, wenig getan, um die Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Zwar wird ihm sein späterer Ruf als »des Hl. Röm. Reiches Erzschlafmütze« nicht gerecht, 39 doch ist der Unterschied zwischen ihm und seinem Sohn augenfällig. 40 Ab den 1480er Jahren war Maximilian unermüdlich darauf bedacht, seine Rechte durchzusetzen und an allen Fronten alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Das führte unvermeidlich zu fortwährenden bewaffneten Konflikten: mit Frankreich, mit Venedig und sogar mit dem Vatikan. Dazu kamen langwierige Kämpfe in Böhmen und Ungarn sowie gegen die Türken. Allerdings wurden Maximilians Unternehmungen jederzeit von brillanter Propaganda begleitet. Führende Humanisten wie Conrad Celtis wurden gewonnen, um den Ruhm der Habsburger in leuchtenden Farben zu schildern. 41 Aber Geldnöte und die Notwendigkeit militärischer Unterstützung führten zu Konflikten mit dem Kernbereich des Imperiums, mit dem deutschen Reich. Während Friedrich und Maximilian einer imperialen Ideologie huldigten, hatten die Reichsstände spätestens ab den 1470er Jahren ihre eigene Perspektive entwickelt. Sie betrachteten die Ambitionen der Habsburger mit Zurückhaltung, wo nicht gar mit direktem Misstrauen. Überdies sollte das Reich aus ihrer Sicht ein Verteidigungsbündnis sein. 42 Demzufolge waren die Interessen der Habsburger an Italien oder die Verwicklungen in Burgund und mit Frankreich rein dynastische Angelegenheiten, die das »deutsche« Reich nichts angingen. Also verweigerten die Stände dem Monarchen die Unterstützung in dem von ihm geforderten Umfang, als er in den 1490er Jahren gegen Frankreich zu Feld zog, und versagten ihm jegliche Hilfe bei seinem Konflikt mit Venedig zwischen 1509 und 1517. Damit sah sich Maximilian zunehmend genötigt, auf eigene Ressourcen zurückzugreifen. Seine österreichischen Gebiete musste er erzwungenermaßen reformieren, weil es ihm nicht gelang, sich das Reich dazu dienstbar zu machen. Die Mittel, die er als Herrscher nicht auftreiben konnte, musste er sich als Landesherr besorgen. Die langfristigen Folgen waren schwerwiegend. Da es nun einerseits Maximilians »Hausmacht« und andererseits das deutsche Reich gab, entwickelte sich eine dauerhafte Spannung zwischen Österreich und »Deutschland«. Blieben also noch die Türken und jenes Element des Konflikts mit Burgund/ Frankreich, das potenziell die westlichen Gebiete des Reichs bedrohte. Das war im Jahr 1500 noch nicht vorherzusehen. Vielmehr schufen die zwei Gefahren eine lebenskräftige Interessengemeinschaft: Maximilian benötigte immer noch die Unterstützung der Stände, mochte er auch noch so begrenzt und von Bedingungen

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abhängig sein. Die Stände wiederum brauchten den Herrscher. Kein anderer deutscher Fürst konnte seine Rolle übernehmen. Infolgedessen waren beide, Monarch und Stände, gleichermaßen an der militärischen Erholung des Reichs interessiert. Die Auseinandersetzung drehte sich grundlegend um die Frage, wessen Autorität sich dabei durchsetzen würde. Im Endeffekt hatte keine Seite gewonnen. Dem Monarchen gelang es nicht, ein Steuerrecht durchzusetzen und das Reich in eine den Namen tatsächlich verdienende Monarchie zu verwandeln. Den Ständen wiederum blieb eine Regierung in Form des Reichsregiments versagt, mittels derer sie die Macht des Monarchen hätten begrenzen und ihren eigenen Herrschaftsbereich errichten können. Vollends versagten Henneberg und seine Verbündeten bei ihren Versuchen, unabhängig vom Monarchen eine eigenständige Außenpolitik zu betreiben. Symbolisch dafür steht die Tatsache, dass Henneberg 1503 das Reichssiegel, das er als Erzkanzler bewahrte, zurückgeben musste. Auch war es ihm nicht gelungen, die Fürsten hinter sich zu versammeln. Sie misstrauten einer starken regierenden Körperschaft aus von ihnen selbst ernannten Mitgliedern ebenso sehr wie den Ambitionen eines starken Monarchen. Jenseits des Patts zwischen Herrscher und Ständen blieb jedoch eine Reihe von Grundsätzen, auf denen die Reichsverfassung bis zum Ende beruhte: der kooperative Entscheidungsfindungsprozess des Reichstags mit seinem System der Machtbalance, die Idee des Reichs als eines Verteidigungsbündnisses der Stände gegen äußere Angriffe sowie das Reich als »Rechts- und Friedensordnung«. Auf diese Grundsätze sollten sich die Fürsten und Magistrate des Reichs in den nächsten Jahrhunderten immer wieder besinnen – es war der Kern, auf den alle folgenden Abmachungen, Verträge und Institutionen sich gründeten. Wer sie berücksichtigte, würde davon profitieren, wer es nicht tat, hatte das Nachsehen. Zudem waren es Grundsätze, von deren Implikationen die Habsburger ebenso wie die Fürsten und Magistrate in Schach gehalten wurden: Alle Ausbruchsversuche schlugen fehl, bis Napoleon 1806 die Auflösung des Reichs erzwang. Allerdings muss dieses Bild eines drei Jahrhunderte lang auf wenigen Grundsätzen beruhenden politischen Gemeinwesens in zweierlei Hinsicht eingeschränkt werden. Zum einen war das Reich insofern nicht statisch, als seine institutionellen und juristischen Strukturen sich fortwährend weiterentwickelten.Vor allem erhielt das Reich mit dem Augsburger Frieden von 1555 und mit dem Westfälischen Frieden von 1648 neue Konturen. Diese Friedensschlüsse wurden ganz bewusst auf der Grundlage der Prinzipien von 1495 formuliert, doch war dergleichen um 1500 noch keineswegs absehbar. Zum anderen funktionierte das institutionelle Gefüge des Reichs selbst in der mit den Grundsätzen erreichten Form nicht einheitlich in der Gesamtheit der deutschen Territorien. So nahmen nicht alle Reichsstände am Reichstag teil und nicht jeder Vasall des Monarchen war von Anfang an am ent-

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stehenden politischen System beteiligt. In der Zeit um 1500 war das, was man als politische Nation bezeichnen könnte, im Wesentlichen auf den Süden beschränkt, das heißt auf die alten Kerngebiete der Hohenstaufen südlich von Main und Saale, auf die Gebiete zwischen dem Elsass im Westen und den österreichischen Herzogtümern im Osten, wohin die Habsburger mitsamt ihrer Gefolgschaft ihre Territorien ausgeweitet hatten. Die Gebiete im Norden und vor allem im Nordwesten wurden erst im Verlauf des späteren 16. Jahrhunderts integriert. So konnte man erst nach 1648 von einem Reich sprechen, das von den Alpen bis zur Nordsee und zum Baltikum als politisches Gemeinwesen existierte. 43

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Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 428. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 387–391, 429. Leuschner, Deutschland, 185–196; Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 440–461. Bisweilen wird auch Magdeburg zu den Freien Städten gerechnet, doch wurde seine Freiheit nie formell anerkannt; Köbler, Lexikon, 402–403. Schmidt, Städtetag, 1–18. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 306–314, sowie Bd. II, 94–96. Leuschner, Deutschland, 109–110. Schubert, »Stellung«; Cohn, »Electors«. Vgl. dazu das jüngst erschienene Buch von Hohensee u. a., Goldene Bulle. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 311. Isenmann, »Kaiser«, 192–203; Moraw, Reich, 178–179; Moraw, »Entstehung«. Du Boulay, Germany, 76–83. Du Boulay, »Law enforcement«. Moraw, Reich, 416–421; Boockmann, Stauferzeit, 348–353; Leuschner, Deutschland, 201– 219; Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 13–30. Hye, »Doppeladler«, 73–83. »Matrikel« (Stammrolle) bezeichnet ein Namensregister oder eine Namensliste. Die Liste war immer ungenau; auf ihr standen die Namen von Personen, die beim Reichstag nicht anwesend waren, während die Namen von Anwesenden fehlten. Dennoch bietet sie eine ungefähre Übersicht über die Reichsstände. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 376–377; Isenmann, »Reichsfinanzen«; Rowan, »Imperial Taxes«. Boockmann, Stauferzeit, 350–352. Isenmann, »Kaiser«, 151–155. Koller, Friedrich III., 168–197. Schröder, Deutsche Nation, 31–95; Isenmann, »Kaiser«, 167–184. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 150–164. Isenmann, »Kaiser«, 185–194. Stollberg-Rillinger, Verfassungsgeschichte, 23–91; Neuhaus, »Wandlungen«. Schubert, Reichstage, 34–65; Rabe, Geschichte, 118–120. Smend, Reichskammergericht, 23–67; Press, Reichskammergericht.

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27 Gschließer, Reichshofrat, 1–3. 28 Vgl. dazu oben, Anm. 16. 29 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 135–136. Der Name bezog sich darauf, dass die Steuer an bestimmten Daten erhoben wurde, z. B. zur Herbst- und Fastenmesse in Frankfurt/Main. 30 Vgl. S. 506–507, 629. 31 Angermeier, »Reichsregimenter«. 32 Baron, »Imperial Reform«, 300. 33 Vgl. S. 210–212. 34 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 101–105; Dotzauer, Reichskreise, 23–79. 35 Schmidt, »Deutschland«, 13; Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 101–105; Dotzauer, Reichskreise, 579–582. 36 Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 48, 72–73. 37 NDB, Bd. II, 156–57; ADB, Bd. II, 524–529. 38 Vgl. S. 121–123, 148, 152, , 219, 222, 226–228. 39 Koller, Friedrich III., 20–32. 40 Boockmann, Staufer, 324–326; Leuschner, Deutschland, 209–216; NDB, Bd.V, 486. 41 Benecke, Maximilian I., 178. 42 Isenmann, »Kaiser«, 163–167. 43 Schmidt, »Integration«.

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ie Reformen von 1495 und 1500 bewahrten in gewisser Weise das Reich vor dem Zerfall, während sie zugleich die Grenzen der Integration sichtbar machten. Der Schaffung einer zentralen Regierung, sei es unter herrscherlicher oder ständischer Kontrolle, standen mächtige dezentrale Tendenzen im Weg. Nationalistische Historiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts schilderten diesen Prozess als Triumph der Fürsten, als Durchsetzung des Territorialstaats, der die Konsolidierung des Nationalstaats im 15. und 16. Jahrhundert verhindert habe. Diese Darstellung verzerrt die Wirklichkeit des Reichs und unterschätzt die in seinem System angelegten Möglichkeiten der Integration. Sie verzerrt auch die tatsächliche Situation in den Territorien und überschätzt das Ausmaß an Konzentration, das sie um 1500 erreicht hatten. Während man bei einigen Territorien im späteren 15. Jahrhundert von zunehmender Stabilisierung sprechen kann, lässt sich jedoch nicht sinnvoll von einem allgemeinen Prozess der Herausbildung staatlicher Strukturen sprechen. Zwar ist es bequem, sich das Reich als eine Art Bundesstaat vorzustellen, doch ist es zugleich irreführend und strukturell ungenau. Ebenso wenig waren die zum Reich gehörenden Territorien ein Ensemble von in sich geschlossenen oder kohärenten Einheiten. Vor allem waren sie nicht souverän. Ihre jeweilige »Landeshoheit« oder »Landesherrschaft« war der Autorität von Kaiser und Reich untergeordnet. 1 Aber selbst wenn man sie als untergeordnete Gebiete betrachtet, waren sie von einer im Entstehen begriffenen Staatlichkeit weit entfernt. Andererseits kam es um 1500 zumindest in einigen Territorien, als Reaktion auf eben jene Probleme von Gesetzlosigkeit und Unsicherheit, die Reformen im Reich begünstigten, zu einer größeren Konzentration von Machtbefugnissen. Wie kompliziert die territorialen Gegebenheiten im Reich waren, ist bereits in den Erörterungen der Grenzgebiete angedeutet worden. Ohne diese Problematik lässt sich die frühneuzeitliche Geschichte Deutschlands nicht begreifen. Und die außergewöhnliche Vielfalt unterschiedlichster Bedingungen und Konstellationen in den deutschen Territorien macht selbst einen groben Überblick schwierig. 2 Alles war in konstanter Veränderung begriffen, sodass selbst die detailliertesten Karten bestenfalls die Situation in einem bestimmten Jahr wiedergeben können, während sie das Mosaik zersplitterter Territorien und einander überlagernder Rechtsprechungen, die weite Gebiete kennzeichneten, kaum angemessen darzustellen in der Lage sind. Zudem wird die Problematik noch dadurch kompliziert, dass Erst-

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geburtsrechte erst allmählich, ab dem späten 15. Jahrhundert, an Boden gewannen. Folglich ist die Geschichte vieler Gebiete die Geschichte fortwährender Teilungen, Wiedervereinigungen und erneuter Teilungen, je nachdem, wie sich die Fruchtbarkeit der Dynastie in der Aufspaltung oder Zusammenführung der Ländereien niederschlug. 3 Ein genauer Blick würde zeigen, dass viele Gebiete eher einer Masse von Amöben glichen, so sehr veränderten sie fortwährend ihre Gestalt durch Erbschaft, Heirat, Landkauf oder die weitverbreitete Methode, Land oder Jurisdiktionsrechte zu verpfänden. Dieses Mittels bedienten sich alle, vom Monarchen angefangen, sei es, um Geld aufzubringen, sei es, um Einfluss zu erlangen, je nach Interesselage. 4 Schon die reine Anzahl der quasiunabhängigen Gebiete macht eine einfache Auflistung problematisch. Dennoch ist eine ungefähre Schätzung von Anzahl, Größe und jeweils unterschiedlichen Bedingungen von entscheidender Bedeutung für die genaue Bestimmung jenes Ausmaßes an »Staatsbildung« bei einer Minderheit von Territorien und für die Rolle, die das Reich als politische Gemeinschaft für den Schutz aller Gebiete spielte. Von allen dem Reich untergeordneten Territorien nahmen die Reichsstände sicherlich den ersten Rang ein. Ihre Herrscher oder Vertreter hatten Sitz und Stimme im Reichstag. Dennoch ist eine Übersicht schwer zu gewinnen, weil ihre Anzahl trotz einer 1521 erstellten, angeblich definitiven Liste im 15. und 16. Jahrhundert nicht eindeutig festzulegen war. 5 Einige verschwanden mit dem Aussterben von Dynastien, andere kamen durch die (bis zum Ende des Reichs bewahrte) Prärogative des Monarchen hinzu. Für das späte 15. Jahrhundert ergibt sich folgende grobe Schätzung: Ganz oben auf der Liste standen die sieben Kurfürstentümer, danach 25 große weltliche Fürstentümer, dann an die 90 Erzbistümer, Bistümer und Abteien. Letztere waren von niedrigerem Status als die Bistümer und ungefähr auf der Ebene der nächsten Abstufung des höheren Adels, der Gruppe von annähernd 100 Grafschaften. Zur untersten Kategorie gehörten die um 1500 etwa 65 Freien Städte und Reichsstädte. Auch ihre Anzahl schwankte. Ihre Hauptprobleme waren Schulden oder die Feindseligkeit benachbarter Fürstentümer. Dadurch wurde ihre Anzahl ständig geringer, bis der Westfälische Frieden, zumindest in rechtlicher Hinsicht, ihre Lage stabilisierte. In ihrer Größe und Bedeutung waren sie, politisch wie wirtschaftlich, ständigem Wandel unterworfen. Im späten 15. Jahrhundert reichte die Skala von Köln als größter Stadt mit etwa 30.000 Einwohnern, über Lübeck, Danzig, Hamburg, Straßburg, Ulm und Nürnberg mit um die 20.000 bis zu Kleinstädten wie Dinkelsbühl in Franken, das weniger als 5.000 Einwohner hatte. Dazu kamen viele andere noch kleinere Städte, und einige waren mit ihren weit unter 1.000 Einwohnern kaum größer als Dörfer. 6 Die Anzahl territorialer Einheiten, die entweder Reichsstände waren oder, wie

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die Reichsstädte gegen Ende des 15. Jahrhunderts, solche wurden, schwankt zwar, kann aber mit einiger Genauigkeit berechnet werden, was für jene Einheiten, die ein gewisses Maß an Unabhängigkeit von ihren mächtigeren Nachbarn genossen, ohne zu den Reichsständen zu gehören, nicht gilt. Einzeln waren sie vielleicht eher bedeutungslos, dennoch ist ihre Existenz in zweierlei Hinsicht wichtig. Zum einen zeigt ihr Überleben wie das der Reichsstädte und Reichsgrafschaften, dass der von den größeren geistlichen und weltlichen Fürsten betriebene Prozess territorialer Konsolidierung seine Grenzen hatte. Zudem waren diese Fürsten, zusammen mit den Reichsstädten und -grafschaften, im 15. und 16. Jahrhundert die natürlichen Verbündeten der Monarchen in ihrem Kampf gegen die vollständige »Territorialisierung« des Reichs. 7 Und schließlich unterstreicht ihr Überleben auch, wie wirksam die auf Recht gegründeten Friedensbestrebungen des Reichs waren. Andererseits hatten diese im Einzelnen machtlosen Gebiete sogar das instabile und vergleichsweise rechtsfreie 15. Jahrhundert überlebt. Zum anderen verleiht die Tatsache, dass sie in einem breiten Bogen, der vom Südwesten durch Schwaben und Franken bis hinauf nach Hessen und Thüringen führte, konzentriert waren, der Landkarte ein völlig anderes Aussehen, als es die relativ massiven Gebietsblöcke taten, die für die Unterrheinregion, den Norden und Nordosten sowie Bayern und die österreichischen Herzogtümer charakteristisch waren. Die wichtigste dieser »Reichsunmittelbarkeit«, aber nicht »Reichsstandschaft« genießenden Gruppen bildeten die Reichsritter, die als Adlige nur dem Monarchen unterstellt, aber im Reichstag nicht vertreten waren. 8 Ursprünglich gehörten sie dem niederen Adel an, der außerhalb fürstlicher Territorien blieb. Die Reichsritter waren vor allem in Schwaben, Franken und den Ober- und Mittelrheinregionen vertreten. Bis zum 16. Jahrhundert überlebten sie in Bündnissen, Gemeinschaften und Gesellschaften wie etwa in der Adelsgesellschaft mit dem Esel im Kraichgau oder in der Gesellschaft mit Sanktjörgenschild im oberschwäbischen Allgäu. Aber erst nach 1500 bildeten sich umfassendere regionale Gesellschaften in Schwaben, Franken sowie im Rheinland und erst ab 1577 schlossen sie sich zum Corpus liberae et immediate imperii nobilitatis (Körperschaft des freien und reichsunmittelbaren Adels) zusammen. Diese Entwicklungen gehörten ihrerseits zu einem umfassenderen Prozess. Die Umwandlung von einer traditionellen militärischen Ritterschaft zu einem unabhängigen Dienstadel vollzog sich vom späten 15. bis zum späten 16. Jahrhundert. 9 Die Faktoren, die dazu führten und den Prozess in der Reformationsepoche prägten, werden später detailliert erörtert. 10 Im augenblicklichen Zusammenhang geht es nur um das Überleben dieser kleinen Stände außerhalb größerer territorialer Einheiten sowie um ihre Fähigkeit, solche Einheiten im Lauf des 16. Jahrhunderts zu verlassen. In dieser einigermaßen uneinheitlichen Gruppe gab es viele unterschiedliche Organisationsformen, deren bemerkenswerteste wohl die sogenannte Ganerb-

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schaft, eine adlige Erbengemeinschaft, war. 11 So teilten sich zum Beispiel in der »Adelsrepublik« von Friedberg in Hessen zwölf Familien ein einziges Schloss (wo sie allerdings in unterschiedlichen Anlagen wohnten). Gemäß der zwischen 1337 und 1498 entwickelten Schlossverfassung wählte das Netzwerk adliger Familien, das im Schloss Rechte besaß, einen Burggrafen, zwei Baumeister und zwölf Regimentsburgmannen, um die Gemeinschaft zu repräsentieren, ihre Bauten in Ordnung zu halten und ihre Angelegenheiten zu regeln. Im 15. Jahrhundert erlangten die Familien die Kontrolle über die vor ihren Toren gelegene Reichsstadt Friedberg (als der Monarch sie verpfändete), erwarben einen Anteil an der adligen Ganerbschaft des hessischen Staden und kauften die nahegelegene Grafschaft Kaichen in der Wetterau. Welchen Status die Familiengemeinschaft genoss, zeigt sich darin, dass ihr Burggraf von 1492 bis 1729 Anführer der Wetterauer Ritterschaft und von 1536 bis 1764 Hauptmann der mittelrheinischen Ritterschaft war. 12 Ungewöhnlich an der Adelsrepublik Friedberg war nicht nur die große Anzahl von Familien, sondern auch die Tatsache, dass ihre Organisation durch eine Verfassung geregelt wurde. Andere Erbgemeinschaften wie die von Schloss Staden oder der Burg Eltz an der Mosel agierten direkter und waren auf kleinere Gruppen beschränkt. 13 Im Fall der Burg Eltz schlossen sich mehrere Zweige einer Familie zu einer familiären Erbengemeinschaft zusammen. Warum Reichsstädte, Reichsgrafschaften und Reichsritterschaften als unabhängige Gemeinschaften überleben konnten, erklärt sich zum großen Teil daraus, dass sie im Reich eine wirtschaftliche (so die Städte) oder politische (so in allen Fällen) Funktion besaßen.Vor allem bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts galten sie als potenzielle Partner des Monarchen bei seinen wiederholten Versuchen, im Süden und Westen Netzwerke zu errichten, mittels derer er Einfluss und Macht gewinnen konnte. Aber die Anzahl der Städte verringerte sich, als ungünstige Wirtschaftsbedingungen sie dem Druck von mächtigen territorialen Nachbarn auslieferten. Dagegen konnten die Grafen und Ritter sich erfolgreich zu regionalen Gruppen zusammenschließen, um ihre Interessen zu organisieren und sich militärisch zu verteidigen, während ihr Beharren auf der Praxis teilbarer Erbschaften dafür sorgte, dass die Zahlen auch dann hoch blieben, wenn der Umfang einer Gemeinschaft selbst bedeutungslos zu werden drohte. So gab es etwa noch in den 1790er Jahren wohl an die 1.700 »Territorien« von Reichsrittern. Viel schwieriger zu erklären ist das Überleben unabhängiger bäuerlicher Gemeinschaften, die weder eine politische Funktion noch die Möglichkeit zur Selbstverteidigung besaßen. Im Norden erlagen solche Gebiete relativ früh der systematischen »Territorialisierung«. Die Stammgemeinschaften Frieslands, die einen vereidigten Rat und eine kommunale Regierung besaßen, deren Siegel die Inschrift Universitas Frisonum trug, wurden zuerst Opfer Krieg führender Häuptlinge, unterlagen dann dem mächtigen Herrschergeschlecht der tom Brok (ca. 1350–1464)

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und wurden schließlich von der Dynastie der Grafen Cirksena (1464–1744) regiert. 14 Eine ähnliche »Bauernrepublik« oder Oligarchie von Regenten gab es in Dithmarschen, am rechten Ufer der Elbmündung. Sie überlebte bis 1559 und wurde dann dem Herzogtum Holstein einverleibt. 15 Regierungsmäßig waren die Dithmarscher besser organisiert als die Schweizer Kantone, denen sie an Reichtum in nichts nachstanden. Aber sie verloren ihre Eigenständigkeit, weil ihnen ein natürliches Zentrum fehlte. Und im Gegensatz zu den niederländischen Provinzen fehlten ihnen unmittelbar angrenzende natürliche Verbündete. Ihre isolierte Position im Nordwesten war lange ein geografischer Vorteil gewesen, musste aber angesichts der unnachgiebigen Feindseligkeit der dänischen Könige und des Fehlens kaiserlicher Macht zum Niedergang führen. Im Süden und Westen und im Elsass hingegen konnten viel kleinere Gemeinschaften überleben. Dort gab es ein Ensemble sogenannter Reichsdörfer, die die kleinsten und unbedeutendsten selbstständigen Einheiten des Reichs bildeten. Die Einwohner waren seit dem Mittelalter, als sie zur Domäne der Hohenstaufenkönige gehört hatten, freie Untertanen des Monarchen geblieben, der ihr einziger Oberherr war. Allerdings gehörten sie nicht zu den Reichsständen und waren auch nicht im Reichstag vertreten. Ursprünglich hatte sich ihre Anzahl auf etwa 120 belaufen, doch schafften nur wenige den Weg in die frühe Neuzeit und 1803 waren noch ganze fünf übrig geblieben. 16 Dennoch ist die Geschichte dieser Gemeinschaften in Gochsheim und Sennfeld bei Schweinfurt, der »Freien auf Leutkircher Heide« im Allgäu bei Ravensburg, in Soden (Taunus) und Sulzbach bei Frankfurt/Main mehr als nur ein historisches Kuriosum. Alle diese Gemeinschaften kämpften mehrere Jahrhunderte lang erfolgreich gegen die Folgen von Pfandverträgen und Streitigkeiten mit benachbarten »Schutzmächten« um hohe und niedere Gerichtsbarkeit, um schließlich ganz ohne Waffengewalt Anerkennung für ihren unabhängigen Status zu finden. Das zeugt von der zunehmenden »Verrechtlichung« des Reichs, die im frühen 16. Jahrhundert begann. Im Hinblick auf die kontinuierliche Existenz von mehr als 1.000 kleineren Territorien im Reich lässt sich die These vom »Aufstieg des Territorialstaats« nicht unangefochten vertreten. Sicher gab es umfangreichere Gebiete, die während des 15. und 16. Jahrhunderts entstanden und sich dann stabilisierten, wobei ihr Wachstum vor allem durch die Notwendigkeit bestimmt wurde, in der Region für Ruhe und Ordnung zu sorgen, bevor sie zu Machtinstrumenten in der Hand ehrgeiziger Fürsten wurden. Die größten zusammenhängenden Gebiete entstanden (wohl kaum überraschend) im Norden und Nordosten, wo Monarchen im 15. Jahrhundert ihre Macht zu erweitern und die Lande zu befrieden suchten, indem sie sich die Hilfe von Gefolgsleuten wie den Markgrafen von Brandenburg aus dem Haus Zollern oder den Herzögen von Sachsen aus dem Haus Wettin sicherten. Anderswo entstanden mächtige Territorialblöcke ebenfalls in einem allmäh-

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lichen Prozess. Es waren zunächst keine fest umgrenzten Gebiete, sondern feudale Netzwerke, dem Reich ähnlich, aber ihm nachgeordnet: Aus einer Ansammlung von Herrschaftsrechten wurden nach und nach Fürstentümer unter einer Art von einheitlicher Verwaltung. Bei näherem Hinsehen fransten diese scheinbar massiven Blöcke an den Rändern in eine Masse von einander überlagernden und oftmals gemeinsam betriebenen Gerichtsbarkeiten aus. So wurden die Grenzen durch Kauf und Verkauf, durch Verpfändung oder Landtausch, häufig auch durch brutale und ungesetzliche Gewalt bereinigt, ein Prozess, der sich durch die ganze frühe Neuzeit hindurch zog. Ebenso häufig kam die Entwicklung einer solchen territorialen Einheit plötzlich zum Stillstand, bisweilen für ein bis zwei Generationen, bisweilen auch für immer. Das geschah dann, wenn ein Oberherr bei seinem Tod mehr als einen Sohn hinterließ, sodass das Erbe geteilt werden musste. So geriet etwa die Markgrafschaft Baden, ein viel versprechendes Gebiet, entstanden aus dem Erbe der mächtigen Zähringer, durch wiederholte Teilungen während der frühen Neuzeit ins Hintertreffen. 17 Die Wettiner in Sachsen wären vielleicht noch mächtiger geworden, wenn sie nicht ihre Ländereien 1485 zwischen der kurfürstlichen Linie der Ernestiner und der herzoglichen Linie der Albertiner geteilt hätten. Und das war nur die erste von zahlreichen weiteren Teilungen, wodurch Thüringen im 17. Jahrhundert zur klassischen Region der deutschen Kleinstaaterei wurde. Die Ernestiner und Albertiner umfassten zusammen nicht weniger als 27 Höfe und Verwaltungen. 18 Im Gegensatz dazu konnte sich Bayern zu einem mächtigen und einheitlichen Territorium entwickeln, weil es nach dem Erlöschen der Landshuter Linie der Wittelsbacher 1503 zu einer Vereinigung der verbliebenen Herzogtümer Bayern-München und Bayern-Ingolstadt gekommen war. Danach führten die Münchner 1506 das Erstgeburtsrecht ein. Allerdings gab es während der nächsten Jahrzehnte heftige Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern Wilhelm IV. und Ludwig X. aufgrund der Interpretation dieses Rechts. Die Lage klärte sich erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. 19 Erbkonventionen und Familienpolitiken waren nicht die einzigen Hindernisse für die Stabilisierung und Konsolidierung eines Territoriums. So, wie die Monarchen nicht gegen die Adelsstände regieren konnten, so mussten die Fürsten auf die eigenen Stände Rücksicht nehmen: auf den landsässigen Adel, auf die Städte und in manchen Landesteilen sogar auf die Bauern. 20 Ein Reichsgesetz von 1231 verpflichtete die Fürsten dazu, für alle neuen Gesetze oder Veränderungen jeglicher Art die Zustimmung des Adels einzuholen. Im 15. Jahrhundert, als mächtigere Fürsten sich der Aufgabe widmeten, für öffentliche Ordnung zu sorgen, hieß dies häufig genug, um Zustimmung zu neuen finanziellen Belastungen zu werben. Der erste Schritt hin zu einer einheitlichen Regierung bestand also zumeist darin, die untergeordneten Stände in Generalstände zu verwandeln.

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Dieser Prozess ging nur selten reibungslos vonstatten und führte in einigen Fällen, wie etwa der Pfalz im 15. oder Württembergs und anderer Territorien im 16. Jahrhundert, zu einem entschiedenen Bruch zwischen den Fürsten und dem niederen Adel – Grafen oder Ritter –, der sodann seine »Reichsunmittelbarkeit«, die Vasallenpflicht allein dem Monarchen gegenüber, betonte. Der Landtag bestand dann nur noch aus Vertretern des Klerus und der Städte. In Sachsen, Böhmen und den östlichen Erblanden von Österreich hingegen entwickelten sich Zweikammersysteme mit einer Herrenkurie (für die Grafen und den sonstigen Herrschaftsadel) und einer Ritterkurie. In Brandenburg schlossen sich die Bischöfe mit den Grafen und dem Herrschaftsadel in einem »Oberhaus« zusammen, während Ritter und Städte das »Unterhaus« bildeten. In einigen größeren Bistümern übernahmen die Domkapitel die Rolle der Stände, während in den Gebieten der schwäbischen Prälaturen (Reichsabteien und dergleichen) bäuerliche Gemeinschaften ähnliche Funktionen in der »Landschaft« übernahmen. 21 In der Unterschiedlichkeit der Stände – manche hatten echte politische Macht, andere dienten nur zur Erhebung von Steuern oder als Garanten fürstlicher Schulden, manche entwickelten sorgsam durchdachte Verwaltungen, andere blieben ad hoc einberufene Versammlungen – spiegelt sich die Unterschiedlichkeit der Territorien. Überall jedoch war ihre grundlegende Funktion die gleiche. Ihre raison d’être lag darin, dass die Herren des jeweiligen Landes in zunehmendem Maß Geld benötigten, um ihr Gebiet verwalten und militärisch verteidigen zu können. Von den 1490er Jahren an verstärkte die wachsende Anzahl der vom Reichstag beschlossenen Steuern die Bedeutung der Stände. Damit wuchs auch ihre politische und wirtschaftliche Macht in einem Maß, das nach 1550 in vielen Territorien problematisch wurde. 22 Das wiederum unterstreicht eine zweite Funktion der Stände. Sie vermittelten zwischen Fürsten und Untertanen, garantierten Stabilität und Kontinuität bei Schuldenkrisen, nicht volljährigen Herrschern oder in kürzeren Teilungsperioden, wenn die Stände als in sich gefestigte Körperschaft weiterbestanden, während die Herrschaft zwischen mehreren männlichen Erben aufgeteilt wurde. 23 Zwar konnten sie die Einheit bei längerfristiger Aufspaltung einer Dynastie nur selten bewahren (die mecklenburgischen Stände, die ihre Einheit von 1523 bis 1918 bewahrten, sind eine absolute Ausnahme), doch gelang es ihnen vielfach, solche Teilungen zu verhindern und für eine die Einheit des Territoriums wahrende Regelung zu sorgen. Es wäre verführerisch, dem Vorschlag von F. L. Carsten zu folgen und diese Institutionen mit dem vertrauteren Begriff Parlament zu bezeichnen, aber das würde ihrer Realität nicht gerecht. 24 Die Stände waren der institutionelle Ausdruck einer körperschaftlich organisierten Gesellschaft und an den Oberherrn gebunden, so, wie dieser an sie.25 Sie vermittelten zwischen konkurrierenden Interessen und zielten dabei eher auf Konsens als auf Konflikt. Zwar waren sie

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politisch einflussreicher als beispielsweise das englische Parlament, aber sie sahen ihre Aufgabe nie darin, ihre Oberherren zu provozieren. Die Bedeutsamkeit der Stände wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass selbst Fürsten, die über umfangreiche hoheitsrechtliche Einkommen verfügten, die Stände oder ihresgleichen als Geldquellen benutzten. Die rheinischen Kurfürsten von Mainz, Köln und der Pfalz zogen reiche Gewinne aus Flusszöllen und die sächsischen Kurfürsten verfügten über höchst profitable Schürfrechte. Den Herzögen von Bayern, den österreichischen Gebieten und von BraunschweigLüneburg kam die Salzgewinnung zugute. So waren sie besser gestellt als die Herzöge von Mecklenburg, die über größere, aber weitaus weniger gewinnträchtige Ländereien verfügten. Aber sie alle setzten in zunehmendem Maß auf Kredite und Steuern. Zum Großteil diente das Geld militärischen Ausgaben oder musste für Reichssteuern abgeführt werden.Viele Aufwendungen betrafen aber auch den Auf- oder Ausbau von Verwaltungen. Der Prozess, in dem sich frühmoderne territoriale Verwaltungen aus dem mittelalterlichen Hof entwickelten, war langwierig und steinig. Aber um 1500 waren einige Territorien dem von Köln 1469 gegebenen Beispiel gefolgt und hatten einen dauerhaft existierenden fürstlichen Rat eingerichtet, der dafür verantwortlich war, den Herrscher zu beraten und entscheidende Maßnahmen der Regierung zu beaufsichtigen. Parallel dazu wurde die Verwaltung durch die Beschäftigung juristisch ausgebildeter »gelehrter Räte« zunehmend professionalisiert, was wiederum das Interesse an der Gründung oder Reform von Universitäten förderte; so wurde 1477 die Universität Tübingen von Eberhard dem Bärtigen gegründet und die Heidelberger Universität 1452 von Friedrich I. reformiert. 26 Die Professionalisierung im Zentrum breitete sich bald aus und erfasste auch parallele Institutionen wie die Kirche. Um 1500 waren beispielweise die Pfalz, Württemberg, Trier und Teile von Brandenburg in Verwaltungsdistrikte (die sogenannten Ämter) aufgeteilt, wobei eine Beamtenhierarchie aus Adligen und Notabeln sowie bezahlten »Experten« die Peripherie mit dem Zentrum verknüpfte. Zur selben Zeit waren solche Territorien, lange vor der Reformation, bestrebt, ihren Einfluss auf die Kirche zu vergrößern. Sie wollten sich den Rechtsanspruch auf kirchliche Lehen (und östlich der Elbe sogar das Recht auf die Ernennung von Bischöfen) sichern. Sie kämpften für die Begrenzung kirchlicher Gerichtsbarkeit und wollten ein gewisses Maß an Kontrolle über die kirchlichen Finanzen gewinnen. Die Besteuerung des Klerus und in einigen Gebieten die Umwandlung des Kirchenzehnten in eine weltliche Steuer, die Forderung nach Beteiligung an Gewinnen aus dem Ablasshandel oder gar die Verwendung solcher Gewinne für den Brücken- oder Straßenbau wurden von einer wachsenden Ablehnung bischöflicher oder päpstlicher Abgaben begleitet. 27 Um 1500 waren selbst die größten und am besten entwickelten Territorien

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noch weit davon entfernt, Staatsgebilde mit festen Grenzen zu sein. Keineswegs hatten die Fürsten ihre oftmals zersplitterten Gebiete vollständig unter Kontrolle; sie verließen sich auf feudale Netzwerke, die sich auch auf Landstriche jenseits ihres Einflusses erstreckte. Zwar hatten sie den Landfrieden hier und da in ihren Territorien durch entsprechende Maßnahmen gesichert, doch steckten viele Fürsten weiterhin beträchtliche Summen in militärische Aktivitäten, sei es, um sich gegen Angriffe zu verteidigen, sei es, um Fehden gegen Nachbarn auszutragen, auf deren Ländereien oder Gerichtsbarkeit sie ein Auge geworfen hatten, sei es schließlich, um ihre Ansprüche gegen Brüder oder Vettern durchzusetzen. In dieser Hinsicht war das Reich immer noch in einem Maß instabil und unsicher, wie es in England, Frankreich, Spanien und sogar Italien schon nicht mehr der Fall war. 28 Dennoch, und zum Teil auch als Reaktion auf die durch diese Zustände bedingten finanziellen Erfordernisse, hatten die Territorien Infrastrukturen und Instrumente politischer Partizipation entwickelt, die den Vergleich mit Verhältnissen in anderen Ländern nicht zu scheuen brauchten. 29 Eben zu jener Zeit änderten sich auch die Auffassungen über die Aufgaben einer Regierung. Traditionellerweise beschäftigte sich diese mit der Durchsetzung und Aufrechterhaltung von »Friede und Recht«, nun aber trat die Idee des »Gemeinwohls« hinzu. Juristisch ausgebildete Beamte interpretierten es in der Sprache des römischen Rechts, was schon bald nach 1500 in Gesetzesform gegossen wurde: Luxusgesetze und andere Maßnahmen sollten die Lage der Armen mildern. 30 Zunehmend waren Regierungen nicht nur bestrebt, die Ordnung aufrechtzuerhalten, sie wollten auch das moralische Wohlergehen ihrer Untertanen fördern, eine Kombination, die im Begriff Policey ihren Ausdruck fand. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts schlugen sich die zur Förderung einer guten Ordnung oder Policey notwendigen Reglements und Statuten in umfassenden, schriftlich fixierten »Policeyordnungen« nieder, und Policey galt nun als eine der Hauptaufgaben der Regierung.31 Die Entwicklung der Policey und die damit verbundenen neuen Interventionsaufgaben der Regierung (oder zumindest das Bestreben danach) wären ohne die vor 1500 entwickelten Verwaltungsstrukturen undenkbar gewesen. Ebenso aber steht dieser Prozess für die nach 1500 veränderten Umstände. Eine wichtige Vorbedingung war die relative Stabilität, die sich nach 1495 als Folge des allgemeinen Friedens im Reich ausbreitete. Eine weitere war die Notwendigkeit, auf die Herausforderungen zu reagieren, die von der Reformationsbewegung ausgingen. In gewisser Weise glich die Situation in den Territorien um 1500 der im Reich selbst. Rückblickend mag es so aussehen, dass eine Wasserscheide erreicht und die bedeutenderen Territorien unwiderruflich auf dem Weg zur »Staatsbildung« gewesen seien. Häufig ist das Ergebnis der Reformdiskussionen von 1495 und 1500 mit diesen Entwicklungen in Verbindung gebracht und der Schluss gezogen worden,

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dass die Jahrzehnte um 1500 den Triumph der Fürsten über ein nur noch als leere Hülle existierendes Reich bedeuteten. Damit aber wird das Reich unter- und die Macht der Territorien überschätzt, denn große Teile des Südens und Westens waren territorial zersplittert. Dort hatten im Wesentlichen Reichsstädte, Reichsgrafen und Reichsritter überlebt. Und selbst dort, wo es nennenswerte fürstliche Territorien gab, war die Macht der Fürsten begrenzt. Im Inneren mussten die Fürsten einerseits auf die Stände, andererseits auf die Rechte der Untertanen (insbesondere adlige, doch zunehmend auch bürgerliche) Rücksicht nehmen, weil das Reichsgesetz von 1231 sie dazu verpflichtete, für Neuerungen Zustimmung zu erlangen. Mehr noch hatten sie den weitverbreiteten Grundsatz quod omnes tangit, ab omnibus approbari debet (was alle betrifft, erfordert die Zustimmung aller) zu berücksichtigen. Nach außen war die Macht der Fürsten durch die des Monarchen begrenzt. Die theoretische Klärung dieser Lage ergab sich erst später, als deutsche Rechtsgelehrte darüber nachsannen, wie Jean Bodins Theorie des souveränen Staats auf deutsche Verhältnisse übertragen werden könnte. (Bodins Six livres de la République von 1576 wurden zum ersten Mal 1592 ins Deutsche übersetzt.) Doch schon lange vorher zeigten sich die Begrenzungen fürstlicher Macht in den Begriffen, mit denen sie beschrieben wurden. Im 15. Jahrhundert stand der Begriff Landesherrschaft nicht für unbeschränkte fürstliche Macht oder Autorität, sondern für ein Ensemble von Rechten juristischer und prärogativer Art, von denen die meisten sich aus herrschaftlichen, vom Monarchen gewährten Vorrechten ableiteten. 32 Diese Rechte wurden dann zusammengefasst und als »landesfürstliche Obrigkeit« in eine einheitliche Regierungspraxis umgesetzt (begleitet allerdings von einer ähnlichen Zusammenfassung der Rechte der Untertanen in den »Landständen«). Dem entsprach ein höherer Grad von Autorität, der sich in den umfassenden gesetzgebenden Initiativen nach 1500 niederschlug und später als »Landeshoheit« bezeichnet wurde. 33 Die Terminologie entwickelte sich keineswegs einheitlich, ebenso wenig wie die allgemeine Übereinkunft hinsichtlich dieses oder jenes Begriffs. Die Frage, ob die Reichsritter, die zweifellos »Landesherrschaft« genossen, ebenso über »Landeshoheit« verfügten, ist bis heute umstritten. 34 Unumstritten ist jedoch, dass selbst der territorial mächtigste Fürst nicht über Souveränität verfügte. Er blieb, wie alle anderen auch, durch seine feudalen Verpflichtungen an den Monarchen und das Reich gebunden, anders gesagt, dem herrscherlichen Gesetz, wie es der Reichstag formulierte, untergeordnet. Diese formell geregelte Situation wurde durch die Macht, die die Fürsten um 16. und 17. Jahrhundert erwarben, weder theoretisch noch praktisch geändert, geschweige denn von ihnen infrage gestellt. Das geschah erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

3. Der Flickenteppich der Territorien

Anmerkungen 1 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 231–235. 2 Wagner, »Grenzen«, 243–246. Die umfassendsten Darstellungen bieten Köbler, Lexikon, und Sante (Hg.), Geschichte. Der von Sante edierte Band, auch als »Territorien-Ploetz« bekannt, gibt einen umfassenden Überblick. Nicht ganz so umfassend, aber nützlich, sind die ersten fünf Bände von Braunfels, Kunst. Der Schwerpunkt liegt auf Architektur und Kunst, aber der Rahmen ist sehr viel weiter gesteckt. 3 Fichtner, Protestantism, 1–6. 4 Krause, »Pfandherrschaften«, 515–524; Cohn, Government, 43–49, 62–65, 69–73. 5 Diese Liste führte manche Stände nicht auf, die später, häufig erst nach langen juristischen Querelen, dazugehörten, während andere, offenbar aus Versehen, verzeichnet waren. Die Ungewissheit spiegelt die Schwierigkeit, Mitgliedschaft auf Grundlage von oftmals fehlerhaften Aufzeichnungen der Teilnahme am Reichstag zu bestimmen. 6 Gertels, Städte, 52–56; Amann, »Stadt«; Mauersberg, Städte, 75–79. 7 Schmidt, »Politische Bedeutung«. 8 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 202–206; Press, Reichsritterschaft; Neuhaus, Reich, 36– 37. 9 Die schwäbischen Ritter verließen den Württembergischen Landtag erst in den 1520er Jahren, die fränkischen Ritter verließen die Landtage von Würzburg, Bamberg und Brandenburg-Ansbach zwischen 1540 und 1579, die Ritter der Rheinregion verließen den Trierer Landtag 1577. 10 Vgl. S. 268–278. 11 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 415–416. Der Ausdruck bezeichnete die Tatsache, dass eine Erbschaft nur in den Besitz der Erbengemeinschaft insgesamt – zur gesamten Hand – übergehen konnte. 12 Köbler, Lexikon, 197–198; Sante, Hessen, 145–148. 13 Köbler, Lexikon, 167, 678. 14 Sante (Hg.), Geschichte, 406–410; Schmidt, Ostfriesland; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 162–180. 15 Stoob, Dithmarschen, 7–16, 407–412; Urban, Dithmarschen, 60–143; Krüger, Verfassung. 16 Neuhaus, Reich, 38; Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 205; vgl. auch die entsprechenden Einträge in Köbler, Lexikon. 17 Press, »Badische Markgrafen«, 20–21. 18 Klein, »Staatsbildung?«, 96, 100. 19 HBayG, Bd. II, 297–302. 20 Zum Folgenden vgl. Carsten, Princes; Press, »Formen«; Press, »Steuern«; Press, »Herrschaft«; Rabe, Geschichte, 128–131. 21 Quarthal, »Krummstab«. 22 Press, Kriege, 113–115; Schulze, Geschichte, 205–208. 23 Carsten, Princes, 426–428. 24 Carsten, Princes, V–VI. 25 Press, Kriege, 113; Oestreich, »Verfassungsgeschichte«, 400–403; Krüger, Verfassung, 1–10. 26 In dieser Zeit wurden noch weitere Universitäten gegründet, darunter Greifswald (1456), Freiburg (1457), Ingolstadt (1472), Trier (1473), Mainz (1476), Wittenberg (1502), Breslau (1505) und Frankfurt/Oder (1506).Vgl. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 276. 27 Rabe, Geschichte, 139–140.

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Cohn, Government, 248. Cohn, Government, 247–250. Rabe, Geschichte, 133. Scribner, »Police«, 104–106; Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 367–370; Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 92–105. 32 Cohn, Government, 120–123; Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 427–432. 33 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 231–235; Oestreich, »Verfassungsgeschichte«, 394–399. 34 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 203–204.

4. Das Reich und die deutsche Nation

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ombiniert man das Bild vom Reich mit dem der Territorien um 1500, könnte der Eindruck einer unzusammenhängenden und unvollständigen Masse entstehen, die kaum mit dem Begriff Einheit bezeichnet werden kann. Das Reich hat, so scheint es, weder Zentrum noch einigende Kraft. Die Autorität der herrschenden Dynastie war nicht gefestigt und, gemäß vielfachem Urteil, in weiten Teilen des Nordens gar nicht vorhanden und strahlte, wo es sie gab, nicht von einem Zentrum, sondern von der südöstlichen Peripherie aus. Zudem hatte das Reich kein Kernterritorium, kein Gravitationszentrum, das vergleichbar wäre mit (um ein Beispiel zu nennen) der Provinz Holland in den Vereinigten Niederlanden. Auch gab es offensichtlich keine ideologische Klammer vergleichbar derjenigen, die die Schweizer Kantone zusammenhielt, die erst ein eigenständiges Bündnis im Reich und schließlich nach 1648 einen selbstständigen Staat bildeten. Dem Flickenteppich der Territorien entsprach die Vielfalt der Wirtschaftsstrukturen. So viel Verschiedenheit von den Alpen bis zum Baltikum, von den westlichen Rheingebieten bis zu den slawischen Siedlungen im Osten scheint wenig Anlass für gemeinsame Interessen zu bieten. Um 1500 hatte das Reich etwa 16 Millionen Einwohner (mit etwa zwei Millionen in den Niederlanden, ebenso viel in den böhmischen Gebieten und etwa 600.000 in der Schweiz, aber mit Ausschluss der italienischen Reichsterritorien) und damit gut ein Viertel der Bevölkerung von Gesamteuropa. 1 In welchem Sinn lässt sich dabei von einer wirklichen Interessengemeinschaft oder gar einer Einheit sprechen? Wie nahmen Zeitgenossen »Deutschland« wahr? Sicher hatten einige Gebiete um 1500 bereits ihre eigene Identität entwickelt oder waren im Begriff, es zu tun. Deshalb gehören weder die Schweizer Kantone noch die Niederlande in die frühmoderne Geschichte des Reichs, oder bestenfalls an den Rand. Böhmen ist möglicherweise ein weiterer Sonderfall, auch wenn es im Reich verblieb und in dessen späterer Geschichte eine bestimmte Rolle spielte. In vielen Reichsgebieten sollte man den Grad an Integration nicht unterschätzen, den die Netzwerke adliger Familien und die von Fürstenhöfen wie auch die vom monarchischen Hof selbst unterhaltenen Systeme von Gefolgschaft und Schirmherrschaft herzustellen imstande waren. So schufen beispielsweise in der Wetterau Mischehen zwischen den Grafenfamilien der Region sowie Landtausch durch Kondominiumverträge und »Erbverbrüderungen« ein Gewebe aus Bündnissen und ein gruppenbezogenes Identitätsgefühl, das schließlich zur Entstehung eines »korpo-

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I · Deutschland und das Heilige Römische Reich im Jahr 1500

rativen« oder »quasiterritorialen« Staats führte. 2 In ähnlicher Weise unterhielten Fürstentümer wie die Pfalz und Württemberg gefolgschaftliche Netzwerke, die sich weit über die je eigenen Territorien erstreckten und ansonsten unabhängige Adlige wie auch gebildete Bürger von den Reichsstädten an den herrscherlichen Hof brachten. In kirchlichen Territorien wurde der Hof durch das Domkapitel ergänzt, beides Institutionen, die außenstehende Adlige zu integrieren vermochten. Das größte Netzwerk dieser Art aber unterhielt der herrscherliche Hof selbst, ein Netzwerk, das sich nach Westen hin über praktisch das gesamte südliche Reich erstreckte. 3 Die Bedeutung dieser ihrem Wesen nach feudalen Netzwerke hat manche Historiker fragen lassen, ob ein »nationaler« Interpretationsansatz für die Geschichte des Reichs überhaupt gerechtfertigt werden kann. 4 Andererseits gibt es reichlich Hinweise darauf, dass eine »nationale« Dimension um 1500 zunehmend an Bedeutung gewann. Es fällt ins Auge, dass Begriffe wie deutsche Nation oder deutsche Sprache gerade zu dieser Zeit im Kontext einer neuen Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit und der Frage nach der Identität der Deutschen häufiger als je in Umlauf waren. Die Historiker sind sich uneins darüber, wie dieses Phänomen interpretiert werden sollte. Kaum noch Unterstützung findet die Sichtweise traditioneller Historiker, die in den patriotischen Ergüssen bestimmter Humanisten Beweise für die allmähliche Entstehung der deutschen Nation sahen, der dann durch politische Ereignisse gleich wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen wurden. 5 Ähnlich irren moderne Gelehrte, die solche Gefühle als »kompensatorischen« Nationalismus bezeichnen; auch sie messen spätmittelalterliche Verhältnisse an denen des 19. und 20. Jahrhunderts. 6 Das wiederum lässt andere Historiker leugnen, dass es vor der Epoche der Moderne überhaupt so etwas wie Nationalismus gegeben habe. Es scheint jedoch recht eindeutig, dass es sogar schon im Mittelalter so etwas wie nationales Bewusstsein gegeben hat. Im 15. Jahrhundert gewann der Begriff natio, der ursprünglich Untergruppen in Körperschaften wie der Kirche oder Kirchenräten, einer Universität oder einer Kaufmannsgilde bezeichnete, eine umfassendere Bedeutung, indem er sich nun auf eine größere sprachliche oder kulturelle Gemeinschaft bezog. Natürlich lagen Welten zwischen dem mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Nationalbewusstsein und dem späteren Nationalismus. In der Regel war die soziale Reichweite solcher Vorstellungen viel begrenzter, obwohl es Hinweise darauf gibt, dass sie in der volkstümlichen Mythologie und Propaganda vorhanden waren. Auch ihre politischen Implikationen reichten nicht sehr weit und führten nicht zur Forderung nach einem Nationalstaat. Ein anderes Problem ist, dass die Begriffe selbst gar nicht genau festlegbar waren. So ließ sich zum Beispiel deutsche Nation nicht ohne Weiteres auf ein geografisches Gebiet beziehen; schließlich war das Reich ein »Personenverband«,

4. Das Reich und die deutsche Nation

nicht aber ein Territorialstaat. Dennoch gab es zwei den Begriff deutsche Nation stützende Traditionen: zum einen die Überzeugung, dass die Deutschen eine einzigartige und besondere Sprache besäßen, zum anderen die Überzeugung, dass sie durch eine kontinuierliche verfassungsmäßige Tradition Erben des Römischen Reiches seien. 7 Besonders faszinierend ist dabei die Sprachproblematik, auch deshalb, weil Forscher wie Herder und Jacob Grimm im 18. und 19. Jahrhundert die Sprache als zentrales Element für die Herausbildung kollektiver ethnischer und nationaler Identitäten begriffen. Rüdiger Schnell zufolge gibt es Hinweise darauf, dass trotz des Bewusstseins der tiefgreifenden regionalen Unterschiede vom 9. bis zum 16. Jahrhundert die Überzeugung herrschte, es gebe eine einzige deutsche Sprache. Allerdings wird diese Überzeugung wohl nicht von philologischen Erkenntnissen unterstützt. Abgesehen davon, dass es im Reich fortwährend nichtdeutsche Sprachgruppen gab, bildete sich eine deutsche Standardsprache erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts heraus. Die Beweise für eine vorherige Standardisierung sind sehr dünn. 8 Wenn es damals einen verbreiteten Sprachstandard gab, dann das in Lübeck beheimatete Niederdeutsche in schriftlicher und gesprochener Form, das sich mit dem Aufstieg der Hanse ausgebreitet hatte. Um 1500 reichte das Niederdeutsche im Norden vom westlich gelegenen Emden bis nach Dorpat, Riga und Reval an der baltischen Ostseeküste. 9 Die Lage in Mittel- und Süddeutschland war sehr viel komplizierter. Diese Gebiete wurden von philologischen Forschungen eher bevorzugt, weil das moderne Deutsch sich aus einem Amalgam von dort verwendeten Formen und Dialekten entwickelte. Viele Annahmen hinsichtlich der Entwicklung dieses Amalgams beruhen auch auf der Ansicht, dass Martin Luther der Ahnherr des modernen Deutsch sei. Viel Bedeutung wird dabei Luthers Bemerkung (in seinen Tischgesprächen um 1532), er habe keine besondere deutsche Sprache, sondern das »gemeine Deutsch« benutzt, das von Ober- und Niederdeutschen gleichermaßen verstanden werden könne: »Ich rede nach der Sechsischen cantzley, quam imitantur omnes duces et reges Germaniae; alle reichstette, fürsten höfe schreiben nach der Sechsischen cantzleien unser churfürsten. Ideo est communissima lingua Germaniae. Maximilianus imperator et elector Fredericus imprium ita ad certam linguam definerunt, haben also alle sprachen in eine getzogen.« 10 Luthers Schlussfolgerung ist vielleicht ein wenig voreilig. Der Einfluss seiner Schriften im Norden wurde durch ihre Übersetzung ins Niederdeutsche unterstützt. 11 Allerdings verweisen seine Kommentare auf einige der Kräfte, die eine begrenzte Standardisierung vor den 1520er Jahren befördert haben könnten. Die Umgangssprache im deutschen Südwesten, »das gemeine Deutsch«, scheint als Sprache des Handels im Süden vorherrschend gewesen zu sein. Diese wiederum hatte vieles mit den schriftlichen Formen gemein, die in Maximilians Kanzlei ent-

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wickelt und vom Kanzler, Niclas Ziegler, nach Kräften gefördert wurden. Ziegler sorgte auch dafür, dass die kaiserlichen Dokumente, ob sie nun in Innsbruck oder den Niederlanden entstanden, zunehmend in einer einheitlichen Orthografie abgefasst wurden. 12 Wenn die kaiserliche Kanzlei dergestalt vom Südwesten aus ihren Einfluss geltend machte, lässt sich Gleiches von der sächsischen Kanzlei in Meißen annehmen, die ihr Deutsch in Mitteldeutschland durchsetzte. Natürlich gab es zwischen den beiden Kanzleien politische Verbindungen, sodass es schwierig ist, die jeweiligen Einflussbereiche genau festzulegen. Allerdings herrschte der Meißener Stil in Mainz vor und bestimmte die Sprache der »Reichsabschiede«, worin die kaiserlichen Erlasse verkündet wurden. Ebenso wurde er bald nach 1500 von den weiter nördlich situierten Kanzleien übernommen, wobei Brandenburg den Anfang machte. Diese Ausbreitung des Meißener Stils trug wesentlich zum allmählichen Niedergang des Niederdeutschen als Schrift- und Verwaltungssprache bei. 13 Es gibt sehr unterschiedliche Ansichten darüber, wie rasch sich dieser Wandel vollzog oder welche Bedeutung den diversen Sprachformen, die zu ihm beitrugen, beizumessen ist. Sicher ist jedoch, dass dieser Prozess um 1500 in einem sehr frühen Stadium war. So hatte sich zum Beispiel der Einfluss des um 1450 erfundenen Buchdrucks noch nicht geltend gemacht. Das endgültige Aus für das Niederdeutsche als vorherrschender Sprachform im Norden des Reichs hatte sich mit dem Niedergang der Hanse nach 1450 zwar schon leise angekündigt, kam jedoch erst nach 1550 (und überlebte in Orten wie Hamburg bis ins 18. Jahrhundert). Abgesehen von allen Ausnahmen, war die tatsächliche Standardsprache für Gelehrte, Verwalter und dergleichen um 1500 immer noch das Latein. 14 Selbst für jene Humanisten, die das Loblied der Umgangssprache sangen, blieb das Latein vorherrschend. Typischerweise zählte der erste Versuch einer Geschichte der deutschen Literatur – Johannes Trithemius’ De viris illustribus Germaniae (1495) – an die dreihundert Autoren auf, von denen jedoch nur ein einziger auf Deutsch geschrieben hatte: Otfried von Weissenburg im 9. Jahrhundert. 15 Die Kluft zwischen der Wirklichkeit einer sprachlichen Vielfalt und der Idee einer einzigen Sprache wirkt weniger paradox, wenn man sie vor dem Hintergrund der zweiten mittelalterlichen Überlieferung sieht: dem Bewusstsein von einer kontinuierlichen Verfassungstradition in einem von Rom abstammenden Reich. Diese Vorstellung ist stärker in der politischen Wirklichkeit verwurzelt. Die Ideen einer translatio imperii und einer bis zum antiken Rom zurückreichenden Kontinuität waren Leitmotive der Ära des Mittelalters insgesamt, erlangten aber in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts neue Dimensionen. Ein veränderter politischer Kontext sorgte für einen Rahmen, innerhalb dessen humanistische Gelehrte landläufige Ideen höchst vielfältig variierten. Dabei ging es um »vorpolitische« Ideen über Ursprünge, Sprache und Gebräuche sowie das, was wir heute als Vorstellungen von ethnischer Identität bezeichnen. All das blieb jedoch fest mit Anschauungen über

4. Das Reich und die deutsche Nation

die wesentlichen Funktionen des Heiligen Römischen Reichs verbunden. Jene Ideen und Vorstellungen waren keine Manifestationen eines frühen Nationalismus, der einen zukünftigen Nationalstaat ersehnte, sondern Reflexionen des gegenwärtigen Stands der Dinge. Die Entstehungsgründe der neuen, in den 1470er Jahren einsetzenden Triebkraft der Reichspolitik sind schon in der Erörterung der Reichsverfassung angesprochen worden. Die Bedrohung durch die Türken im Osten und durch Burgund/Frankreich im Westen führte zu einer rhetorischen Beschwörung nationaler Verteidigungsbereitschaft, die der Sprache der Reichspolitik ein neues Vokabular bescherte. Was zur »deutschen Nation« gehörte, also zu den Gebieten, in denen, wie man einfacherweise definierte, die »deutsche Zunge« erklang, musste vom gesamten Reich verteidigt werden. Zur selben Zeit erwuchs aus dem Widerstand gegen habsburgische Ambitionen in Italien eine weitere Differenz: Man unterschied zwischen dem, was deutsch, und dem, was »welsch« (lateinisch oder italienisch) war. Maximilian bestand darauf, dass die deutschen und die »welschen« Nationen gemeinsame Interessen besäßen, worauf die deutschen Stände im Reichstag reagierten, indem sie ausschließlich die Interessen der »deutschen Nation« betonten. 16 Solche Wortgefechte hatten nichts Nationalistisches an sich. Es ging nicht um die »Nation« in der Bedeutung, die der Begriff im 19. Jahrhundert bekommen sollte, sondern um ganz reale Probleme, um Geld, Verteidigung und Macht. 17 Der Propagandawert solcher Ausdrücke wie deutsche Nation ist ersichtlich aus der Tatsache, dass 1474 sogar die Stadt Bern an ihre Schweizer Nachbarn appellieren konnte, sich gegen die burgundischen Angreifer im Namen der »teutschen Nation« zu erheben und diese Nation gegen die »Türk im Occident« zu verteidigen. Mit ihrer Gleichsetzung von Karl dem Kühnen mit Mehmet II. ahmt diese Sprache Kaiser Friedrich III. nach, der 1455 an die Schweizer appellierte, die »deutsche Nation« gegen die Türken zu verteidigen. 18 Ebenso hatten Maximilians Aufrufe an seine Nationen in den 1490er Jahren nichts Nationalistisches oder gar »Multinationalistisches« an sich. Seine autobiografischen Schriften lassen erkennen, dass Nation, Reich und sogar Christenheit – jene Begriffe, die seine öffentlichen politischen Äußerungen prägten – gegenüber seiner Person sekundär waren. Maximilian stilisierte sich gern in den Heldenfiguren von »Weisskunig« und dem weisen und kühnen Kreuzritter Theuerdank. 19 In der literarischen Vorstellungswelt von Kaiser Maximilian stimmt die Sprache der politischen Propaganda mit der Art und Weise überein, in der die Humanisten die Frage der Nation im Zusammenhang mit literarischen und mythologischen Narrativen erörterten. Auch sie bezogen sich auf mittelalterliche und volkstümliche Traditionen. So wurde der Mythos vom schlafenden Reich, in dem Kaiser Barbarossa der ersehnte Retter der Deutschen ist, in weitverbreiteten pro-

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phetischen Schriften bis zur Reformationszeit immer wieder vorgetragen. 20 Es waren jedoch die humanistischen Schriftsteller, die ab den 1480er Jahren diese langlebigen Eschatologien in einen neuen Diskurs einsetzten. Zudem waren ihre Schriften sowohl mit der wachsenden politischen Diskussion über die Notwendigkeit, das Reich zu verteidigen, als auch mit den Ambitionen Maximilians selbst eng verbunden. Die Notwendigkeit, das Reich zu verteidigen, wurde von der Notwendigkeit begleitet, seine Feinde neu zu bestimmen, die nationalen und moralischen Grenzen zwischen den Deutschen und ihren Gegenspielern deutlicher darzustellen. Zugleich förderte die wachsende Einsicht in die Notwendigkeit einer Reform des Reichs den Wunsch, seinen Charakter und sein Potenzial zu bestimmen. Und schließlich machte sich Maximilian die aufkommende Diskussion dieser Themen zunutze, indem er hartnäckig den Versuch unternahm, die Schreibfedern der Gebildeten so zu mobilisieren, wie er die militärischen Ressourcen des Reichs zu mobilisieren suchte. Die Umwandlung der Institution des poeta laureatus caesareus (des kaiserlichen lorbeerbekrönten Dichters) zeigte die neu eingeschlagene Richtung an. Der Wandel begann bereits in den späteren Regierungsjahren Friedrichs III. Die traditionelle Krönungszeremonie für den poeta laureatus mit der impliziten Aufforderung, der Gekrönte solle Kaiser und Reich verherrlichen, war nur hin und wieder vorgenommen worden, und dann zumeist in Italien. Mit der 1487 vollzogenen Krönung von Conrad Celtis, dem ersten deutschen Dichter, dem diese Ehrung widerfuhr, nahm das bislang eher unbestimmte Amt eine neue politische Bedeutung an. Celtis machte sich nützlich, indem er 1501 in Wien die Akademie der Dichter und Mathematiker gründete. Er wurde der erste laureae custos et collator (Hüter und Sammler des Lorbeers) und erhielt von Maximilian das Recht verliehen, herausragende Personen zu Dichtern zu krönen. Celtis’ literarischer Ehrgeiz und Patriotismus fand in Maximilian einen verwandten Geist. Die beiden krönten mehr Dichter als dies in den vorangegangenen Epochen geschehen war; als Maximilian 1519 starb, hatte er die Krönung von nicht weniger als 37 Dichtern veranlasst. Sein Ziel war es, eine ganze Legion von literarischen Propagandisten für das Reich zu gewinnen, die ihren Einfluss und ihre Verbindungen nutzen konnten, um ein Netzwerk von Humanisten zu schaffen. 21 Hervorgehoben wurde ihre politische Funktion durch die Verpflichtung, bei der Eröffnung eines Reichstags eine versifizierte Lobrede zu halten. Auf diese Weise sollten die gekrönten Dichter zusammen mit weiteren Zeremonialbeamten wie den Reichsherolden, die ebenfalls eine literarische Funktion besaßen, das Gefühl von Einheit und Solidarität der zum Reichstag Versammelten stärken. 22 Natürlich machen ein paar Hundert Humanisten noch keine Nation aus. Die Frage, wie weit hinein in die unteren Schichten der Gesellschaft die Auffassungen der Humanisten oder die politischen Anliegen des Reichstags wirklich reichten,

4. Das Reich und die deutsche Nation

dürfte schwierig zu beantworten sein. Jedoch gibt es viele Hinweise darauf, dass einige Elemente von beidem sich mit sozialen Bewegungen und Meinungsäußerungen auf der Ebene des »gemeinen Mannes« zumindest überschnitten oder sie sogar prägten. 1493, 1502, 1513 und 1517 gab es Aufstände der Bundschuh-Bewegung, protestierender Bauern, im Elsass und im Südwesten. Neben eher lokalen und materiellen Forderungen wurden jedes Mal Rufe nach der Reform des Reichs und der Verteidigung gegen Frankreich laut. Die astrologischen Fantasien von Johannes Lichtenberger (besonders seine populäre Schrift Prognosticatio in latino von 1488, die zwischen 1492 und 1530 nicht weniger als 29-mal nachgedruckt wurde) liefen auf die Mahnung hinaus, dass die Türken Köln erobern würden, wenn man das Reich nicht reformierte. 23 In ähnlicher Weise verband der anonyme Oberrheinische Revolutionär humanistische Mythologie mit millenaristischer Erwartung, als er 1509 über die Bruderschaft vom Gelben Kreuz schrieb, die einen neuen Kaiser Friedrich (der aus dem Elsass stammen sollte) unterstützen würde, wenn dieser ein neues Tausendjähriges Reich als Vorspiel zum Goldenen Zeitalter errichtete. 24 Und schließlich lässt sich nachweisen, dass es aus Anlass der Kaiserwahl von 1519 starke Emotionen in der Bevölkerung gab. Unter anderem berichtete der englische Gesandte Richard Pace, dass es eine Revolution geben würde, wenn der französische König den Vorzug vor dem »deutschen« Karl erhielte. (Karl war ein mehrsprachiger Habsburger mit burgundischen, deutschen und spanischen Vorfahren, dessen »Nationalität« zu bestimmen nahezu unmöglich ist. 25) Diese Themen werden im Zusammenhang mit Reformation und Bauernkrieg wiederkehren. Ihre Bedeutung liegt darin, zu zeigen, dass solche Diskussionen keineswegs nur in den Höhen begrifflicher Abstraktion von einer Minderheit geführt wurden. Mit ihrem wiederholt geäußerten Beharren auf der Notwendigkeit, Reich und Kirche zu reformieren, rücken die radikaleren Manifestationen einen wichtigen Punkt des neuen humanistischen Diskurses über die Nation in den Vordergrund. Insgesamt ging es den deutschen Humanisten um neue Variationen zum alten Thema der translatio imperii. 26 Schon nach kurzer Zeit zeigte sich an den unterschiedlichen Interpretationen der Riss zwischen Katholiken und Protestanten, und das einige Jahre vor der Reformation. Die alte Sichtweise vom Reich als einem universellen christlichen Imperium wurde noch von Humanisten wie Johannes Cochlaeus gepflegt. Mit seinem »Teutschlandt uber alle Welt« bezog er sich auf das »deutsche« Reich als Mittelpunkt dieses Weltreichs. Später missverstand man seine Äußerungen als Behauptung deutscher Überlegenheit. Im 19. Jahrhundert machte Hoffmann von Fallersleben daraus die Liedzeile »Deutschland, Deutschland über alles«, was später, ebenso missverstanden, zur Hymne des militanten deutschen Nationalismus wurde. 27 Cochlaeus bezog sich, wie andere humanistische »Traditionalisten«, lediglich auf die Zentralstellung »Deutschlands« im damaligen Reich. 28

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Bei anderen Humanisten stand die Abneigung gegen Italien im Vordergrund, die sich häufig als scharf formulierte Abneigung gegen Rom konkretisierte. Sie beharrten auf dem eigenständigen ethnischen Charakter der Deutschen und »entdeckten« deren trojanische oder vortrojanische Ursprünge. Dadurch erhielten die Deutschen einen neuen und unabhängigen Status, woraus einige Humanisten die Rechtfertigung ableiteten, das moderne Rom in Gestalt des Papsttums zu verwerfen. Ulrich von Hutten etwa ließ sich von den ersten Büchern der Annalen des Tacitus inspirieren, die man wiederentdeckt und 1515 veröffentlicht hatte. Dort fand er die Geschichte des Sieges von Arminius (bzw. Hermann dem Cherusker) über die römischen Legionen unter Quintilius Varus in der Schlacht im Teutoburger Wald 9 n. Chr. 29 Zwar lag die Blütezeit der Arminius-Mythologie erst im 17. und 18. Jahrhundert und gewann im 19. Jahrhundert Kultcharakter, doch bilden die Ursprünge des Mythos im frühen 16. Jahrhundert eine weitere Quelle für die Idee einer deutschen Nation zu Beginn der frühen Neuzeit. 30 Autoren wie Hutten und Jakob Wimpfeling zogen aus einigen Jahrzehnten humanistischer Forschung den Schluss, man müsse die Befreiung vom römischen Joch fordern. Diese Tendenz ist mit dem Ausdruck partielle Nationalisierung der Reichsidee angemessen beschrieben worden. Die translatio imperii wurde nun als Prozess begriffen, durch den die Dienste der Deutschen am Christentum mit der Verwaltung des Römischen Reichs belohnt wurden. Wie so vieles an den Diskussionen über die Verfassungsreform waren auch die politische Sprache und »nationale« Selbstdefinition der Epoche um 1500 nur Präludien. So, wie das Verfassungssystem sich während des folgenden Jahrhunderts entfaltete, so entwickelte sich auch die Auffassung über die geschichtlichen Ursprünge des Reichs. Aber erst 1643 widersprach Hermann Conring schließlich der traditionellen Überzeugung vom römischen Ursprung und formulierte die Theorie einer spezifisch deutschen Genese des Reichs. 31 Die Humanisten hatten jedoch dafür das Fundament gelegt und damit ein Gefühl von Gemeinschaft, von gemeinsamen politischen und verfassungsmäßigen Traditionen verstärkt, das die deutschen Lande miteinander verband und das Reich zu einer Ganzheit fügte. Seine Grenzen waren fließend und sein Inneres ein Flickenteppich. Sein Verfassungssystem fand in manchen Territorien des Nordwestens noch keinen anderen Ausdruck als das rein formale und in der Praxis bisweilen wenig starke Band der feudalen Beziehung zwischen Oberherrn und Vasallen. Aber die wesentlichen Elemente, die in der frühen Neuzeit zwar keinen deutschen Nationalstaat, aber eine Gemeinschaft der deutschen Lande hervorbrachten, begannen im späten 15. Jahrhundert zusammenzuwachsen. Paradoxerweise war das nächste Stadium in der Verwirklichung dieser Gemeinschaft eine Herausforderung, die sie in gewisser Weise spaltete: die Reformation.

4. Das Reich und die deutsche Nation

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Rabe, Geschichte, 42–43. Schmidt, Grafenverein, 1–5, 113–159. Press, »Patronat«, 20–28. Press, »Patronat«, 36. Stauber, »Nationalismus«. Vgl. etwa Reinhardt, »Primat«, 91. Moraw, »Voraussetzungen«, 101–102; Thomas, »Identitätsproblem«, 155. Schnell, »Literatur«, 298. Wiesinger, »Sprachausformung«, 339–340. Wells, German, 141, 198, 455. Wiesinger, »Sprachausformung«, 339. König, Atlas, 95. König, Atlas, 93; Wells, German, 136–137, 141, 198; Coupe, Reader, XIII–XVIII. Wells, German, 133–134, 141–142; Lutz, Ringen, 79; Schnell, »Literatur«, 298–300, 307. Schnell, »Literatur«, 308. Schröcker, Nation, 118–119. Schröcker, Nation, 141. Sieber-Lehmann, »Teutsche Nation«. Schröcker, Nation, 143–144; Benecke, Maximilian I, 7–30; Silver, Maximilian, passim, analysiert die Ikonografie mitsamt ihrer Projektion und Dissemination. Borchardt, Antiquity, 199–297. Mertens, »poeta laureatus«, 155–157; Flood, Poets laureate, Bd. I, LXXXVIII–CIII. Schubert, Reichstage, 174–189. Lutz, Ringen, 92; Killy, Lexikon, Bd.VII, 266–267; ADB, Bd. XVIII, 538–542. Borchardt, Antiquity, 116–119. Schmidt, »Reichs-Staat«, 23–24. Garber, »Nationalismus«, 24–25. Hoffmann von Fallersleben war ein politischer Liberaler, der an die Deutschen appellierte, Deutschland höher zu schätzen als ihre jeweilige Heimatregion: Schlink, Hoffmann, 45–69. Bagchi, »Nationalismus«, 52; Schmidt, »Reichs-Staat«, 22–23. Roloff, »Arminius« Kuehnemund, Arminius, 1–19; Dorner, Mythos, 131–132. Willoweit, »Conring«, 141–143.

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II. Die Reform von Reich und Kirche, ca. 1490–1519

5. Die Ära der Reformation in der deutschen Geschichte

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n der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird die deutsche Geschichte so stark von der mit dem Namen Martin Luther verbundenen religiösen Bewegung beherrscht, dass diese Periode häufig ausschließlich als Reformationsepoche bezeichnet und beschrieben wird. Ungerechtfertigt ist das nicht. Der Augsburger Friede von 1555, der nach den Reformen von 1495 sowie 1500 und der Wahl von Karl V. zum Kaiser im Jahr 1521 die erste umfassende Bestandsaufnahme der Reichsverfassung war, stellte ein politisches Übereinkommen wie zugleich einen religiösen Friedensschluss dar. In seiner neuerlichen Formulierung der Beziehung zwischen Herrscher und Reich wie auch in seiner Bestimmung der Rechte der Reichsstände reflektierte der Friede das Resultat von Entwicklungen seit dem Beginn des Jahrhunderts. Überdies beherrschte die religiöse Problematik seit den 1520er Jahren zunehmend die Reichspolitik und die Agenda der Fürsten und regierenden Magistrate. Und es gab Zeiten, in denen alle Gesellschaftsschichten sich mit den neuen religiösen Lehren auseinandersetzten, sei es durch begeisterte Übernahme des Neuen oder leidenschaftliche Verteidigung des Alten, durch Bündnisse und Gegenbündnisse. Die grundlegende Frage ist, warum der religiöse Konflikt weder zum Triumph der einen Partei über die andere noch zur Teilung und Zerstörung des Reichs führte. Der Flickenteppich der Territorien begünstigte die Ausbreitung und die regionale Verfestigung der Reformationsbewegung. Das wiederum bedeutete, dass der Konflikt eher hier als anderswo in Europa zutage trat. Allerdings brachte genau diese fragmentierte Struktur Mechanismen hervor, mittels derer es – besser als in den europäischen Staaten zu einem späteren Zeitpunkt – gelang, den Konflikt in den Griff zu bekommen und schließlich die Differenzen, die ihn hervorgerufen hatten, zu institutionalisieren. Es ließe sich sogar behaupten, dass die Ausbreitung der Reformation eine mögliche dramatische Konfrontation zwischen Kaiser und Reich in den 1520er Jahren abwendete. Die Art und Weise, in der das Reich und seine Mitglieder auf die Bedrohung reagierten, wurde weiterhin von dessen flexiblen Strukturen geprägt. Die von beiden Seiten initiierten militärischen Konfrontationen konnten die Bande, die alle locker miteinander vereinten, nicht lösen. Das 1555 erzielte Ergebnis war ein Kompromiss, in dem sich Einheit und Vielfalt, die jetzt beide auch ein religiöses Antlitz erhalten hatten, niederschlugen. Unzweifelhaft brachte die Reformation viel Neues mit sich, aber ihre Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Geschichte lässt sich am besten begreifen,

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wenn man sie als Katalysator innerhalb einer umfassenderen politischen und gesellschaftlichen Struktur begreift. Die neuen Lehren entfalteten sich nicht in einem Vakuum.Von der Gemeinde bis zu den höchsten Institutionen des Reichs, von den Bauern bis zu den Fürsten und zum Kaiser beeinflussten die Ideen Luthers und anderer Reformatoren Diskussionen und Probleme, die häufig kaum etwas mit Glauben und Religion zu tun hatten. In der Historiografie ist die Reformation durch ihre unzähligen Verzweigungen längst schon zu einem der wesentlichen Momente der deutschen Geschichte geworden. Dabei stehen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts zwei umfassende Themenbereiche im Vordergrund. Der eine betrifft die Auswirkungen der Reformation auf die Entwicklung der deutschen Nation, der andere die Verbindung der Reformation mit der Transformation der deutschen Gesellschaft im frühen 16. Jahrhundert. Zwar scheinen diese beiden Themenbereiche unterschiedlich, wenn nicht gar gegenläufig zu sein, aber ihnen liegt eine strukturelle Ähnlichkeit und eine gemeinsame Annahme über die 1520er Jahre als einen für die deutsche Geschichte entscheidenden Knotenpunkt zugrunde. Auf moderne Weise wurde das nationale Thema in den 1840er Jahren von Leopold von Ranke formuliert. 1 Für ihn markierte die Reformation den Höhepunkt einer nationalen Bewegung mit dem Potenzial zur Schaffung eines deutschen Nationalstaats. Diese Möglichkeit sei aber durch die Weigerung Karls V., die Sache der Kirchenreform zu unterstützen, vergeben worden. Weil der Kaiser diese Notwendigkeit nicht begriff und zudem nicht willens gewesen sei, dem Papsttum entgegenzutreten, sei Luthers Sache zum Sektierertum degradiert worden. Das wiederum habe die der deutschen Geschichte innewohnenden Tendenzen zum Partikularismus verstärkt. Auf diese Weise wurde die nationale religiöse Bewegung das Opfer ausländischer, vom habsburgischen Kaiser und dem Papst in Rom angeführter Mächte. Rankes Sichtweise erfuhr manche Änderung, erwies sich aber als außerordentlich dauerhaft. Protestantische Historiker, die sich nach 1871 mit Preußen identifizierten, sahen in dieser Theorie die Bedeutung für ihren eigenen Kampf um das nationale Interesse gegen Rom und ausländische Mächte. Katholische Historiker verwarfen zwar derlei Auffassungen, stimmten aber, wenngleich aus anderen Gründen, mit Rankes Urteil überein. Für sie wurde die Einheit der Nation zusammen mit der Einheit des Christentums durch Luther und seine Anhänger zerstört. 2 In ihren Hauptströmungen schaute die deutsche Geschichtsschreibung fasziniert auf die Möglichkeit einer deutschen Nation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, während die marxistische Tradition nach dem Potenzial einer revolutionären Umwandlung Ausschau hielt. Aber es war, wieder einmal, die Geschichte einer verpassten Gelegenheit. Seit Marx und Engels hielten Marxisten die sozialen Aufstände, die im Bauernkrieg von 1525 gipfelten, für grundlegender und darum

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bedeutsamer als Luther und die von ihm ins Leben gerufene religiöse Bewegung.3 Vielmehr spielte Luther, so Marx und Engels, eine entscheidende Rolle für den Zusammenbruch eines Aufstands, der sich zu einer den Feudalismus in Deutschland bereits am Ende des Mittelalters beseitigenden Revolution hätte entwickeln können. Stattdessen wurde sein frühes Eintreten für einen bürgerlichen Angriff auf die klerikalen und politischen Strukturen der Feudalgesellschaft schon bald durch eine kompromisslose Feindseligkeit gegenüber den revolutionären Kräften der unteren Klassen in Stadt und Land überlagert, deren Bestrebungen ihren Ausdruck in den Schriften und Taten radikaler Theologen wie Thomas Müntzer fanden. Während also die frühe Reformation auf lange Sicht dazu beitrug, den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus zu bewerkstelligen, bestärkten Luthers Aktionen zunächst die feudale Herrschaft in Deutschland. 4 Indem Luther sich gegen die Bauern und auf die Seite der Fürsten stellte, machte er sich zum »Tellerlecker« der Monarchie und half bei der Bewahrung des Status quo in den deutschen Landen. Die feudale Gesellschaftsstruktur überlebte; zwar war sie in ein territorial fragmentiertes Reich gebannt, aber durch die Zerschlagung einer Volksbewegung und der darauf folgenden Etablierung von Staatskirchen war sie nur stärker geworden. Während DDR-Historiker zwischen 1949 und 1989 ein positiveres Luther-Bild entwickelten, blieb das von Marx und Engels beschriebene generelle Problem für die marxistische Perspektive weiterhin maßgebend. 5 Die umfassende gesellschaftliche Krise, die marxistische Historiker im frühen 16. Jahrhundert ansiedelten, brachte keine allgemeine Emanzipation oder einen Durchbruch fortschrittlicher Kräfte hervor. Darüber hinaus hatte der Triumph der Fürsten über den gemeinen Mann im Bauernkrieg tiefgreifende Langzeitfolgen. Da sich keine Zentralmacht herausbildete, wurde die Entwicklung des Bürgertums gehemmt, was für die naheliegende Zukunft auf jeden Fall bedeutete, dass es kein einheitliches Angriffsziel für eine erneuerte progressive Bewegung von unten gab. Diese beiden historiografischen Traditionen haben eines gemeinsam: Sie sehen den Protestantismus als fortschrittliche, die Entstehung einer Nation fördernde Kraft. Sein Scheitern in Deutschland zur Lutherzeit wird entweder mit römischer Obstruktion oder dem Triumph der alten Feudalordnung erklärt. Beide Narrative pflegen zudem eine monolithische Sicht auf die von ihnen behaupteten historischen Phänomene: Es gibt eine in sich geschlossene Reformation, eine in sich geschlossene Nation als Vorläuferin oder Begründerin des Nationalstaats, es gibt eine in sich geschlossene soziale Bewegung. Die Forschung der letzten fünfzig Jahre hat viele dieser monolithischen Sichtweisen relativiert, wobei der Blick auf die Reformation besonders betroffen war. Konzentrierte sich die Darstellung früher fast ausschließlich auf Luther, so ist mittlerweile eine ganze Reihe von zeitgenössischen Kritikern der katholischen Kirche

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in den Vordergrund gerückt, besonders die von Ulrich Zwingli in Zürich ausgehende Reformbewegung, die überlebte, auch wenn das Luthertum im Reich der vorherrschende protestantische Glaube blieb. Heute gilt die Reformation in der Forschung vorwiegend als vielschichtiges Amalgam gleichzeitig operierender Bewegungen. Da gab es die Kirchenreformer im Klerus selbst, den niederen Adel, die Bauernschaft, die Freien Städte und die Fürsten. Die detaillierte Erforschung der lokalen und regionalen Zusammenhänge hat zu weiteren Differenzierungen geführt. Auf diese Weise scheinen sich Phänomene wie der Bauernkrieg oder die »Reformation in den Städten« häufig in eine uneinheitliche Masse von Lokal- und Regionalgeschichten aufzulösen. Darüber hinaus hat die Beschäftigung mit den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gesichtspunkten, die in diesen einander sich überlappenden und parallel verlaufenden Reformationsbestrebungen in unterschiedlichen Kombinationen wirkten, den religiösen Kern bisweilen fast vergessen lassen. Versuche, die außerreligiösen Motive mit den religiösen wieder zusammenzubringen und so der Reformation ein gewisses Maß an Einheitlichkeit zurückzugeben, bleiben umstritten. Zu solchen Ansätzen gehört Peter Blickles Theorie, dass mit dem Begriff Kommunalismus die Erfahrung sowohl der ländlichen wie auch der städtischen Gebiete erfasst werden könne. 6 Er ist der Auffassung, dass die 1520er Jahre für die Entwicklung der deutschen Kommunen von entscheidender Bedeutung waren. Ursprünglich bildeten sie sich im 14. Jahrhundert als lokale Instrumente der Selbstverwaltung heraus – eine Reaktion auf das Fehlen jedweder übergeordneten Regierungsmacht territorialer oder herrscherlicher Art. Aber ab dem späten 15. Jahrhundert gerieten die Kommunen auf Grund der Intensivierung territorialer Regime zunehmend in Bedrohung. In einer Zeit der Krise sahen sie die Rettung in der Theologie einer biblisch gerechtfertigten Gemeinschaft von Gläubigen, mittels derer sie ihre Rechte und Freiheiten geltend machen zu können glaubten. Die »Revolution« von 1525 mobilisierte, so Blickle, den »gemeinen Mann« in Stadt und Land zur Verteidigung der Kommunalität, die nun den Status eines göttlichen Prinzips erhielt. Aber als diese Konfrontation mit allen Mächten der Feudalordnung scheiterte, war die Reformation als Bewegung von unten am Ende. Es folgte die »Reformation der Fürsten« und auf lange Sicht der Niedergang der Kommunen in weiten Teilen der deutschen Lande. Diese umfassenderen Implikationen werden später in dem ihnen eigenen Zusammenhang erörtert. Hier sei nur angemerkt, dass dieser Versuch einer einheitlichen Erklärung der Reformationsbewegung drei Schwachpunkte hat. Zum einen beschreibt die »kommunale Reformation« sicher wichtige Aspekte der Bewegung in den westlichen und südwestlichen deutschen Gebieten, nicht aber in Mittelund Norddeutschland. Zum Zweiten ist die behauptete Verbindung zwischen urbanen und ländlichen Erfahrungshorizonten vielfach bestritten worden. Manche

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Forscher gehen davon aus, dass die Tradition eines für nördliche Städte typischen urbanen Republikanismus sich deutlich vom Kommunalismus der Bauernschaft im Südwesten unterschied. 7 Und zum Dritten scheint die allgemeine Bedeutung des Kommunalismus zumindest teilweise durch die Tatsache infrage gestellt, dass sogar in der Schweiz, die in Blickles Argumentation eine Hauptrolle spielt, nicht alle Kommunen zum protestantischen Glauben übertraten, obwohl dieser doch ihrer selbstverwalteten Existenz die höheren Weihen verlieh. 8 Parallel zur Ausdifferenzierung der Reformationsforschung haben auch neue Untersuchungen über das Reich während der letzten vierzig Jahre Einsichten hervorgebracht und Fragen aufgeworfen, aufgrund derer die alte Debatte über das Potenzial für die Entstehung eines Nationalstaats in den 1520er Jahren als überwunden gelten darf. Das Reich ging aus den Reformen von 1495 und 1500 als ein politisches Gemeinwesen hervor, in dem der Monarch und die Stände in einem delikaten Gleichgewicht miteinander existierten und zugleich konkurrierten. 9 Die in den folgenden Jahrzehnten vorherrschende Frage war nicht, ob ein Nationalstaat entstehen, sondern ob das Gleichgewicht erhalten und institutionalisiert werden könne. Dieser Gesichtspunkt motivierte den amerikanischen Historiker Thomas Brady zur Untersuchung zweier besonders wichtiger Probleme. Zum einen untersuchte er die Geschichte süddeutscher Städte, um zu zeigen, warum sie der Versuchung widerstanden, das Schweizer Modell zu übernehmen und warum ihre Option für eine protestantische Existenz im Reich nicht zum Vorteil des Monarchen ausschlug. 10 Zum anderen ging er der Frage nach, warum die protestantischen Territorien und Städte, als sie sich gegen Ende der 1520er Jahre endlich vereinigten, Karl V. daran hinderten, einen zentralisierten Staat in Deutschland zu errichten, ohne dass sie selbst einen neuen Staat ins Leben riefen. 11 Entscheidend war die Reaktion sowohl des Monarchen als auch der Stände auf die Reformationsbewegung. Wie immer man die Reformation definieren will – als »kommunal«, einheitlich oder vielfältig –, unzweifelhaft war sie eine Herausforderung nie gekannten Ausmaßes von unten oder zumindest von außerhalb der herrschenden Eliten im Reich. Ihrem Ursprung nach war die Reformation eine religiöse Bewegung, doch gewann sie schon bald für eine außergewöhnliche Vielzahl unterschiedlicher Gruppen soziale und politische Bedeutung. Die Krise der etablierten Kirche ermöglichte es den Gruppen, ihre Beschwerden im gesamten Reich mit lauter Stimme zu verkünden. Mitte der 1520er Jahre kam die Reformationsbewegung den Herrschenden wie ein Erdbeben vor, dessen Folgen unbedingt eingedämmt werden mussten. Diese Eindämmung wurde vor allem auf lokaler oder regionaler Ebene betrieben, hatte aber auch tiefgreifende Auswirkungen auf der Reichsebene selbst. Einerseits suchten Fürsten und Magistrate die Bewegung zu zähmen, indem sie sie kirchlich institutionalisierten. Bei diesem Prozess bildete die Kirchenreform eine entscheiden-

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de Phase in der längerfristigen Entwicklung territorialer und städtischer Regierungen. Andererseits musste das Gleichgewicht zwischen dem Monarchen und den Ständen einer Situation angepasst werden, in der große Teile des Reichs sich im Widerstreit mit dessen Gesetzen befanden. Bemerkenswerterweise funktionierte das Reich auch weiterhin. Allen Reibungen, Auseinandersetzungen und (hin und wieder) bewaffneten Konflikten zum Trotz überlebte die Solidarität der Stände die konfessionelle Spaltung. Die Vielschichtigkeit und Interaktion der verschiedenen Elemente dieses Prozesses erschweren es, die Geschichte dieser Epoche als geradlinige Folge von Ereignissen darzustellen. Viele der wichtigen Phänomene und Entwicklungen sind miteinander verbunden, haben aber zugleich ihre je eigene Geschichte. Die folgenden Kapitel legen die Betonung darauf, diese Periode als eine Epoche der deutschen Geschichte darzustellen, anstatt eine abgerundete Schilderung der Reformation zu liefern. Dessen ungeachtet, ist der Einbruch der Reformation in die Geschichte des Reichs, seiner Territorien und Städte von grundlegender Bedeutung und gibt dem folgenden Narrativ die Richtung vor. Es beginnt mit einer Darstellung der Herrschaft Kaiser Maximilians I. und wechselt dann zu den Ursprüngen jener Unzufriedenheit, die der Reformation vorhergingen und ohne die ihre explosive Frühphase nicht verstanden werden kann. Dann untersuchen wir Luthers persönlichen theologisch-spirituellen Weg zur Rebellion und betrachten die umfassenderen Implikationen seiner Theologie. Teil III beginnt mit einer Betrachtung des ersten Jahrzehnts der Herrschaft Karls V. In dieser Zeit entwickelten sich Luthers Ideen zu einem vollständigen Reformprogramm, das politische Implikationen für das Reich und seine Territorien enthielt. Mit Luther traten noch andere Reformer auf den Plan, deren jeweils eigene religiöse, soziale und politische Ansichten theoretische und praktische Bedeutung durch die lose Verbindung mit der von Luther repräsentierten Sache erlangten. Die dann folgenden Kapitel über die Rezeption der Reformation – durch die Reichsritter, die Bauernschaft und die Städte – untersuchen den Einfluss von Reformvorstellungen. Teil IV beginnt mit einer Darstellung dessen, wie der Protestantismus sich in manchen Territorien durchsetzte, während der Katholizismus anderswo die Stellung hielt. Dieser Vorgang – Reform hier, keine Reform dort – prägte die 1530er und 1540er Jahre. In vielen Gebieten jedoch, und besonders dort, wo sich die Reformation relativ früh etablieren konnte, war Mitte der 1520er Jahre ein kritischer Zeitpunkt erreicht worden. Spätestens jetzt hatte die Reformation das Reichssystem insgesamt vor eine ganze Reihe bedeutender Probleme gestellt. Teil IV schließt also mit einer Darstellung der Entwicklung des Reichssystems unter dem Einfluss der religiösen Transformation, die sich in vielen seiner konstituierenden Teile vollzogen hatte. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 stellte das Ergebnis der politischen Konflikte der vorangegangenen Jahrzehnte

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dar. Der Friedensschluss führte zu neuen Herausforderungen, die in Teil V untersucht werden.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Dickens und Tonkin, Reformation, 167–175; Dickens, Ranke; Schmidt, »Reichs-Staat«, 25. Dickens und Tonkin, Reformation, 179–184. Dickens und Tonkin, Reformation, 234–246. Dorpalen, German history, 123–129. Dorpalen, German history, 99–123; Wohlfeil, »Reformation«; Dähn, »Luther«; Müller, »Moment«, 207–217; Walinski-Kiehl, »History«; Vogler, »Konzept«. Blickle, Revolution und Gemeindereformation Schilling, »Republikanismus«. Scott, »Common people« und »Communal Reformation«. Vgl. S. 56–65. Brady, Turning Swiss. Brady, Sturm.

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nde September 1518 besuchte Kaiser Maximilian I. seine Hauptresidenz, Innsbruck, zum letzten Mal. Er kam vom Reichstag in Augsburg, wo es ihm, trotz beträchtlicher Geldzuwendungen, nicht gelungen war, den Kurfürsten seinen Enkel, Karl von Spanien, als kaiserlichen Erben anzudienen. In Innsbruck folgte der Enttäuschung die Erniedrigung. Seine obersten Beamten drohten mit Rücktritt, wenn er sie nicht sofort bezahle, und die Wirtshausbesitzer weigerten sich, selbst sein Gefolge zu beherbergen, weil er ihnen aus vorangegangenen Besuchen noch 24.000 Gulden schuldete. Der Kaiser war verärgert, aber machtlos. Da er mit seinem Gefolge buchstäblich auf der Straße stand, blieb ihm nichts übrig, als ostwärts über Salzburg nach Österreich weiterzuziehen. Dort machte er schließlich am 10. Dezember die bescheidene Burg Wels zu seiner Residenz. Er hatte Augsburg bereits krank verlassen und nun ging es mit seiner Gesundheit weiter bergab. Wochenlang lag er in Agonie, konnte aber noch seine Enkel Karl und Ferdinand als gemeinsame Erben seiner Erblande einsetzen, bevor er am 11. Januar 1519 verstarb. Erst nach und nach schälte sich heraus, dass Maximilians Innsbrucker Schulden nur die Spitze des Eisbergs waren. Bei seinem Tod beliefen sich die kaiserlichen Verbindlichkeiten auf gut sechs Millionen Gulden. 1 Man ist versucht, dieses leidvolle Ende als sichtbares Zeichen dafür zu nehmen, dass Maximilian mit seinem selbst gewählten kaiserlichen Auftrag gescheitert war. Die Fallhöhe zwischen seiner Selbststilisierung zum »letzten Ritter«, weltumfassenden Herrscher, Erretter der Christenheit einerseits und dem offenkundig chaotischen Zustand seiner Angelegenheiten am Lebensende ist mehr als erheblich und wird durch die Ausbreitung von Unruhen im Reich während seiner späteren Lebensjahre wie auch durch die Aufstände in den österreichischen Erblanden nach seinem Tod noch weiter bekräftigt. Viele Kommentatoren haben darin das unvermeidliche Ergebnis einer ruhelosen Suche nach einem fantastischen Traum gesehen, betrieben von einem hoffnungslos überehrgeizigen Monarchen. 2 Manche haben sogar behauptet, zwischen Vision und Wirklichkeit habe es keine Verbindung gegeben, nur eine Reihe chaotisch geplanter und durchgeführter Feldzüge ohne Ziel und Zweck. Und last, not least wird der Vorwurf erhoben, Maximilians Umgang mit den deutschen Landen sei nichts als Ausbeutung gewesen: Das Reich habe ihn mit dem Titel ausgestattet, und was er dann noch wollte, war Geld, um seinen Ehrgeiz außerhalb des Reichs zu befriedigen. Aus dieser Perspektive konnte

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er mit den deutschen Fürsten, sobald sie in ihrer materiellen Unterstützung zurückhaltend wurden, nichts mehr anfangen. Aber solche Urteile werden seiner Politik und ihrem inneren Zusammenhang nicht gerecht. In der Tat zeigte seine Regierungspraxis eine außerordentliche Vielfalt von Initiativen, die, häufig gleichzeitig, an allen möglichen Fronten vorgetragen wurden: in Burgund und den Niederlanden, im Konflikt mit Frankreich und dem Bündnis mit Spanien, in Italien, in Ungarn und bei Maximilians Plänen für einen Kreuzzug gegen die Türken. Die meisten dieser Unternehmungen, jedenfalls die spektakulärsten, berührten Gebiete außerhalb des Reichs. Dennoch war das Reich wesentlicher und integraler Bestandteil des Systems, das aufzubauen er bestrebt war. Im Vordergrund standen dabei zwei von seinem Vater, Friedrich III., ererbte Probleme: zum einen die Basisgebiete der Habsburger, zum anderen die mit dem Kaisertitel verbundenen Ansprüche, deren vollen Umfang Maximilian in Europa ausloten wollte. Seine erstrangige Aufgabe sah er darin, eine solide Grundlage in Gestalt von Erblanden zu schaffen, von denen aus er seine Herrschaft über das Reich entfalten konnte. Sein Vater hatte lange Jahre an der südöstlichen Peripherie des Reichs zugebracht und war zwischen 1444 und 1471 dem Reich ferngeblieben. Gegen Ende seiner Regierungszeit wurde er von Matthias Corvinus aus Wien vertrieben. 3 Maximilian versuchte fortwährend, die grundlegende Schwäche, die aus der randständigen und angreifbaren Lage der habsburgischen Erblande resultierte, zu beheben. Er verstärkte die durch Tirol, das ihm 1490 als Erbe zufiel, vergrößerten österreichischen Territorien und war darauf bedacht, sie vor der Bedrohung durch Ungarn, Polen und Türken zu schützen. 4 Seine verwaltungstechnische Neuorganisation der Erblande ging mit fiskalischer Ausbeutung einher und bot vielen deutschen Fürsten ein Modell für ein intensiveres Regieren in ihren Territorien. Seine Geschäfte mit den Königen der Jagiellonen in Ungarn und Polen zeigen in aller Deutlichkeit, dass seine Politik dynastisch bestimmt war. 5 Als Ladislaus II. in zweiter Heirat 1502 Anne de Foix ehelichte, bedrohte das Maximilians im Vertrag von Pressburg 1491 festgelegtes Erbfolgerecht in Ungarn und Böhmen. Die Geburt der Tochter Anna 1503 und des Sohns Louis 1506 verstärkten die Bedrohung noch. Mit dem verführerischen Versprechen eines militärischen Beistands gegen die Türken konnte Maximilian einen doppelten Heiratsvertrag zwischen den ungarischen Erben und seinen Enkeln Maria und Ferdinand abschließen. Aber der ungarische Adel verweigerte standhaft die Zustimmung zu einer habsburgischen Erbfolge und als Johann Zápolyas Schwester 1512 König Sigismund von Polen (Ladislaus’ jüngeren Bruder) heiratete, führte das erneut zu einer Krise. Maximilian ging entschieden dagegen an. Polens Unterstützung für die ungarischen Stände wurde durch ein 1514 geschlossenes Bündnis mit Sigismunds Feind Wassili III., dem Großfürsten von Moskau, untergraben. Das erleichterte die

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schnelle Erneuerung der Heiratsverträge und damit die habsburgische Erbfolge in Ungarn und Wien (1515). Im Gegenzug gewährte Maximilian dem polnischen König die Oberhoheit über die Gebiete des Deutschen Ritterordens. Maximilians Österreichpolitik konnte auf eine lange Tradition zurückblicken, während das burgundische Erbe, das durch die Heirat mit Maria von Burgund an ihn fiel, der Reichspolitik eine völlig neue Dimension verlieh. 6 Auch wenn er nur von 1482 bis 1494 als Regent für seinen Sohn Philipp den Schönen regierte. Darüber hinaus zeigte sich Philipp in seinem späteren Verhalten gegenüber Frankreich bestrebt, von den großen imperialen Plänen seines Vaters unabhängig zu werden. Philipps Politik wurde dann zeitweilig von Maximilians Tochter Margarete revidiert, als sie für Karl, den noch unmündigen Erben Philipps, die Regentschaft übernahm. Dennoch lässt sich nicht bezweifeln, dass Maximilian die Gebiete im Nordwesten wie ein weiteres Ensemble von Erblanden behandelte. Die burgundischen Lande gehörten, ganz wie die österreichischen, nicht in dem Sinn formell zum Reich, als sie keine Vertreter in den Reichstag schickten. Vielmehr hatten diese Gebiete ihre eigene Körperschaft: Sie wurden durch 1477 gebildete Generalstände vertreten. Aber Maximilian betrachtete auch die burgundischen Territorien als zum Reich gehörig. Da sie dem Monarchen direkt unterstellt waren, gab es keine unmittelbare Notwendigkeit einer Repräsentation durch den Reichstag. Überdies ermöglichten beide Gebietskomplexe dem Monarchen die Präsenz im Reich. Im Fall der österreichischen Erblande kam mit Tirol ein ganzes Flickwerk von Gebieten hinzu, das sich über den Süden des Reichs erstreckte: die Vorlande mit dem Sundgau, dem Breisgau samt Freiburg sowie diverse schwäbische Ortschaften, Grafschaften und Hoheitsgebiete. 7 Im Fall der burgundischen Territorien war die habsburgische Präsenz weniger klar definiert, vor allem, weil es wieder und wieder nicht gelang, Geldern zu unterwerfen. 8 Doch schuf die Nähe der burgundischen Gebiete zum Reich (von denen einige traditionell dem Monarchen als feudalem Oberherrn untergeordnet waren) einen vom Haus Habsburg beherrschten Grenzgürtel, der sich vom Sundgau im nördlichen Elsass über die Niederlande bis nach Friesland erstreckte. Zur gleichen Zeit wurde der Hof in Brüssel zum Zentrum für ein Netzwerk von Gefolgschaften, das sich bis in die norddeutsche Tiefebene und im Niederrheingebiet bis zu den Ländereien der Wetterauer Grafen (darunter das Haus Nassau, dem später Wilhelm von Oranien entsprang) nördlich des Mains ausbreitete. 9 Zumindest potenziell war das Reichsgebiet unter Maximilian damit größer als unter allen seinen Vorgängern, was den Widerstand der Fürsten gegen seine Reformvorschläge und seine Forderungen nach materieller und militärischer Unterstützung verständlich macht. Die Konsolidierung der österreichischen und burgundischen Erblande trugen potenziell zur Stärkung von Maximilians Position als deutscher König bei. Doch war diese Position zugleich unauflöslich mit den weitreichenden Bestrebungen

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und Vorrechten, die sein Titel mit sich brachte, verbunden. Diese Bestrebungen waren von zweierlei Art. Zum einen betrafen sie Italien. 10 Nationalistische deutsche Gelehrte unterstellten Maximilian hier blinde Besessenheit oder fatale Schwäche, weil er angeblich auf Kosten der Deutschen die Wiederbelebung eines italienischen Reichs betrieben habe. Aber das stimmt so nicht. Italien war für den Monarchen nicht nur aus Gründen territorialen Zugewinns wichtig, sondern auch wegen der Notwendigkeit, in Rom gekrönt zu werden. 11 Er kämpfte vergeblich um diese wahrhafte Legitimation seiner Herrschaft. Zwar räumte er dies Versagen indirekt ein, indem er sich 1508 in Trient zum »Erwählten Römischen Kaiser« proklamieren ließ, doch hielt ihn das nicht davon ab, die traditionellen Verbindungen zu Rom weiter zu pflegen. 1511 war er über den wiederholten Verrat von Papst Julius II. so erzürnt, dass er daran dachte, seine eigene Wahl zum Papst zu betreiben. 12 Das hätte ihn in die Lage versetzt, die Reform der Kirche voranzubringen und zuletzt gar die Kontrolle über den Vatikan zu erlangen, ein wichtiger Aktivposten in seinem Dauerkonflikt mit Venedig und für den Konkurrenzkampf mit Frankreich auf der italienischen Halbinsel. Doch wie so viele von Maximilians Plänen zerschlug sich auch dieser und so wurde noch im selben Jahr ein neues Bündnis mit Rom geschmiedet. Sein Feldzug gegen Venedig, den größeren Feind, hätte nur durch einen Akt widerrechtlicher Aneignung mit der Folge eines gegen ihn gerichteten christlichen Bündnisses entscheidend behindert werden können. Der Wunsch, in Rom gekrönt zu werden, war mit einem weiteren Bestreben verbunden, das in Maximilians Vorstellungswelt offenbar eine ähnlich wichtige Rolle spielte: Er hielt es für seine Pflicht, einen Kreuzzug gegen die Türken anzuführen. Dafür wäre eine Krönung durch den Papst die notwendige Vorbedingung gewesen, so wie die Kontrolle über die Reichtümer Norditaliens dem Vorhaben die sicherste materielle Grundlage gewährt hätte. Natürlich wäre ein Feldzug gegen die Türken auch für die Sicherheit der österreichischen Erblande nützlich gewesen. Und die Vorstellung, in Italien sich die Vorherrschaft zu sichern, nährte sich zweifellos von historischen Erinnerungen an die Hohenstaufen des Hochmittelalters. Doch entsprangen alle diese Vorstellungen und Vorhaben einem einzigen Wunsch: Maximilian wollte dem Anspruch, Herrscher der Christenheit zu sein, Geltung verleihen. Und der Anspruch, wahrhaft das Erbe des Römischen Reichs anzutreten, könnte durch einen Sieg über jene Macht, die 1453 die letzten Spuren des Oströmischen Reichs in Konstantinopel vernichtet hatte, bestärkt werden. Maximilian wäre dann, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, der alleinige »Römische« Kaiser. 13 Die Vorbereitungen für solch einen Kreuzzug begannen 1493, kurz nachdem die Türken einen weiteren Überfall auf Kärnten, die Krain und die Steiermark verübt hatten. Ursprünglich verfolgte Maximilian das Ziel, ein Bündnis zwischen allen christlichen Staaten zu schmieden. Allerdings stellte sich bald heraus, dass Venedig

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sich dem nicht anschließen würde, und Karl VIII. von Frankreich machte alle Einheitshoffnungen zunichte, als er 1494 Neapel angriff. Trotz allem blieb Maximilian beharrlich und hoffte, den 1495 zu Worms stattfindenden Reichstag nutzen zu können, um die Unterstützung der Stände und die Mitwirkung des französischen Königs zu gewinnen. 14 Allerdings gelang ihm weder das eine noch das andere. Maximilian musste mithilfe des St.-Georgs-Ordens, dem österreichischen Pendant des Deutschen Ordens und der Johanniter, eine militärische Front im Südosten errichten. Während der nächsten eineinhalb Jahrzehnte fand sich Maximilian in Sachen Kreuzzug ziemlich kaltgestellt. 15 Zwar wurde durch den dreijährigen Waffenstillstand, den Ladislaus II. von Ungarn mit Sultan Bayezid II. schloss, der Druck aus der Sache genommen, aber die Übereinkunft war durch Karl VIII. von Frankreich zustande gekommen, was zeigte, dass auch er willens war, das Christentum zu führen und die Krone des Oströmischen Reichs zu erben. 1497 konnte von österreichischer Seite ein Waffenstillstand mit dem Sultan ausgehandelt werden, was weitere Sicherheit brachte. Maximilian sah sodann mit einiger Zufriedenheit die türkischen Angriffe auf Venedig zwischen 1499 und 1503. Dennoch behielt die Idee eines großen Kreuzzugs für ihn ihre Faszination und tauchte auf seinem letzten Reichstag im Jahr 1518 in Augsburg in noch grandioserer Form auf. Die vereinigten christlichen Heere würden, geführt vom Kaiser des Heiligen Römischen Reichs im Bündnis mit dem Großfürsten von Moskau und dem Schah von Persien, Konstantinopel und Jerusalem retten und danach nicht nur das Osmanische Reich, sondern auch die Barbareskenstaaten in Nordafrika und Ägypten vernichten. 16 Es lässt sich indes bezweifeln, dass Maximilians strategische Vision nach 1495 noch besonders wirklichkeitsnah war. Der Wormser Reichstag, weit davon entfernt, das große Bündnis der Christen zu schmieden, besiegelte vielmehr die Gegnerschaft zwischen Maximilian und Frankreich und sorgte für ein Bündnis Österreichs mit Spanien. Die vorangegangenen Jahrzehnte hatten für genügend Sprengstoff gesorgt, um den Konflikt heranreifen zu lassen. Die französischen Pläne für das Burgund waren durchkreuzt und Maximilians eigene Bestrebungen, das burgundische Erbterritorium durch Einverleibung der Bretagne 1492 zu konsolidieren, zunichtegemacht worden, als Karl VIII. den Vertrag zur Heirat mit Maximilians Tochter Margarete brach und stattdessen Maximilians zweite Frau, Anne von Bretagne, »stahl«, mit der Maximilian 1490 einen Ehevertrag geschlossen hatte. Die Ehe wurde nicht vollzogen, weshalb der Papst sie auch ohne Gewissensbisse annullieren konnte. Das Ganze war eine entwürdigende Farce. 17 Daraufhin heiratete Maximilian am 16. März 1494 Bianca Maria Sforza, die Nichte des mailändischen Herzogs Ludovico Sforza, woraufhin im August die französische Armee durch Mailand, Florenz und Rom marschierte, um Neapel anzugreifen. Allerdings gab Maximilian die Hoffnung, sich mit Frankreich einigen zu kön-

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nen, nicht sogleich auf. Auf dem Reichstag zu Worms führte er Verhandlungen mit Herzog René II. von Lothringen um eine Wiedereinsetzung des Hauses Anjou in Neapel. Das wäre für Karl VIII. akzeptabel gewesen und hätte die französische Beteiligung an einem Kreuzzug ermöglicht. In ähnlicher Weise erkundete Maximilian, ob es möglich wäre, den englischen Thronfolgekandidaten Perkin Warbeck zu unterstützen. Sollte nämlich Heinrich VII. stürzen, wäre das anglofranzösische Bündnis am Ende, Karl VIII. isoliert und damit einer Annäherung an das Reich geneigt. 18 Schließlich jedoch kristallisierte sich nur ein einziges verlässliches Bündnis heraus, nämlich das von Ferdinand von Aragon angebotene. Dies erfolgte, weil Ferdinand auch weiterhin König von Neapel bleiben wollte. Spektakulärstes Symbol dieses neuen Bündnisses war der doppelte Heiratsvertrag zwischen Maximilians Kindern, dem Erzherzog Philipp von Burgund (»Philipp der Schöne«) und der Erzherzogin Margarete, mit den spanischen Infanten Juana und Juan. Dieses Bündnis trug Früchte. Philipps Sohn Karl wurde 1515 als dessen Nachfolger spanischer König, wodurch die Geschicke der Habsburger Dynastie eine andere Richtung nahmen. Paradoxerweise waren dadurch auch Maximilians Operationen in Italien zum Scheitern verurteilt. Die grandiose Ausgangsidee wurde ohnehin nicht verwirklicht. Maximilians Plan für einen schnellen Feldzug in Italien, gefolgt von einem Einmarsch in die Provence (beansprucht als traditioneller Teil des alten Königreichs Burgund unter dem Titel Regnum Arelatense), als Vorspiel zu einem vereinten Angriff Österreichs, der Niederlande und Spaniens auf Paris war hoffnungslos überehrgeizig. 19 Die zwei Jahrzehnte nach 1495 waren von nahezu unaufhörlichen militärischen Konflikten südlich der Alpen geprägt. Die Bündnisse wechselten mit verwirrender Häufigkeit, weil Karl VIII. und seine Nachfolger, Ludwig XII. und Franz I., bisweilen als Verbündete des deutschen Monarchen, bisweilen als seine Gegner um ein Gleichgewicht der Mächte in Italien kämpften. Maximilian investierte sehr viel Geld und Energie in diese Kämpfe, gehörte am Ende jedoch nicht zu den Gewinnern. Vielmehr endete sein letzter, 1515 unternommener italienischer Feldzug mit einer vollständigen Demütigung. Seine Truppen wurden von den Franzosen ohne Schwierigkeiten aufgerieben und der Kaiser musste nach Tirol fliehen, verfolgt vom Spott seiner eigenen Söldner, die ihn als »Strohkönig« verhöhnten. 20 Kleinere Territorialgewinne südlich von Tirol und ein Anteil an der Grafschaft Görz konnten nicht an der Tatsache rütteln, dass in Italien Frankreich (mit Mailand) und Spanien (mit Neapel und Sizilien) das Gleichgewicht der Mächte gewährleisteten. Das Reich gehörte, wie Maximilians Verbündeter Mailand, zu den Verlierern und der im Dezember 1516 ausgehandelte Vertrag von Brüssel stellte einen, wenn auch nur zeitweiligen Triumph für Frankreich dar. 21 Der bemerkenswerte Umfang von Maximilians Aktivitäten an praktisch jeder äußeren Reichsgrenze wirft die Frage auf, welche Rolle er für das deutsche König-

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tum vorsah. Leopold von Ranke und andere Historiker des 19. Jahrhunderts kritisierten die Haltung des Monarchen gegenüber den deutschen Territorien als ausbeuterisch und bedauerten sein geringes Interesse für die deutschen Belange. Dadurch, meinten sie, sei der Entwicklung der deutschen Nation Schaden zugefügt worden. 22 Solche Urteile sind längst überholt. Allerdings gab es offenbar tatsächlich einen erheblichen Unterschied zwischen Maximilians Umgang mit den deutschen Landen und seinem Verhalten gegenüber den Nachbarn. So fällt beispielsweise ins Auge, dass Maximilian zwar in Verhandlungen zur Bildung dynastischer Bündnisse mit den meisten Herrschaftshäusern in Europa (verschiedentlich sogar mit Frankreich) eintrat, jedoch jegliches Bündnis mit einer deutschen Dynastie standhaft verweigerte. Zugleich sorgte er wiederholt dafür, dass es deutschen Fürsten nicht gelang, Bündnisse mit Königshäusern außerhalb des Reichs auszuhandeln. Zweifellos operierte er mit einer Rangordnung, in der die deutschen Adelsfamilien erst an zweiter Stelle kamen. 23 Aber dadurch wird nur hervorgehoben, inwieweit sich das Reich von anderen Interessengebieten unterschied. Maximilians erstrangiges Ziel im deutschen Königreich bestand darin, seine herrscherlichen Rechte und Vorrechte zur Geltung zu bringen und das traditionelle politische System des Königreichs funktionsfähig zu machen, indem er die alten Feudalverbindungen in eine praxisnähere Interessengemeinschaft überführte. Aktiver als alle seine Vorgänger suchte er die Vorteile einer von der Peripherie aus betriebenen Herrschaft zu nutzen: als Vermittler und Friedensstifter einzugreifen, ohne in die internen Zwistigkeiten des Reichs hineingezogen zu werden. Da war es von Vorteil, dass er nicht auf familiäre Verbindungen Rücksicht nehmen musste. Seine Unternehmungen in den deutschen Territorien sind von der gleichen periodischen Intensität und Beharrlichkeit geprägt, wie er sie auch in anderen Regionen zeigte. Ebenso waren seine Erfolge hier wie dort durchwachsen. Unwillkürlich jedoch stärkte er die Solidarität im Reich selbst wie auch das Gefühl der Reichsstände, in Abgrenzung zu seiner Politik in den deutschen Territorien und zu den ihm unterstellten Plänen für ihre Rolle im größeren Imperium »nationale« Interessen zu vertreten. Die offensichtlichste Verbindung zwischen Maximilians Politik im Reich und seinen weiter gespannten Herrschaftsplänen war der ständige Dialog um die Versorgung mit Geld und Truppen.Von dem Erlass, mit dem er am 24. November 1494 seinen ersten Reichstag nach Worms einberief, bis zu seinem letzten Reichstag 1518 in Augsburg waren derlei Forderungen ein Dauerthema. Immer wieder appellierte der Monarch an die Reichsstände, ihn in seinem Vorhaben eines Kreuzzugs gegen die Türken und bei den italienischen Feldzügen, mit denen er seine Krönung und Salbung durch den Papst als Vorspiel zum Türkenkreuzzug betreiben konnte, zu unterstützen.Von Anbeginn wurden die Verhandlungen mit den Ständen in die

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Diskussionen um eine Reform des Reichs einbezogen. Die Frage, ob der Monarch das Recht habe, Steuern zu erheben und ein Reichsheer auf die Beine zu stellen (und die Debatte darüber, ob das Reich ein stehendes Heer finanzieren sollte), war in der langwierigen Auseinandersetzung über das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Herrscher und Reichsständen von äußerster Wichtigkeit. Maximilians unablässige Versuche, die Stände zur Bereitstellung von Geld und Truppen für die Verteidigung des Reichs zu bewegen, wurden von der Gegenseite ebenso hartnäckig zurückgewiesen. Maximilian warb wiederholt mit dem Hinweis auf die zentrale Bedeutung von »Deutschland« und den Deutschen für sein System um Geld und Waffenhilfe: Da den Deutschen das Reich wegen ihres Kampfesmuts anvertraut worden war, sei es ihre Pflicht, ihn in seinen Feldzügen zu unterstützen. 24 Die Stände hatten indes eine weniger weitherzige Auffassung von ihren Pflichten. Zunehmend unterschieden sie zwischen den Interessen des Reichs der »deutschen Nation« und denen des umfassenderen, »universellen« Reichs. So konnten sie einige Berechtigung darin sehen, begrenzte Unterstützung für eine Offensive gegen die Türken zu gewähren, die ja tatsächlich die deutsche »Nation« bedrohten, aber Maximilians Feldzüge gegen die Franzosen in Italien waren allein Sache des Monarchen. 25 Doch auch wenn die Stände in begrenztem Maß die Pflicht anerkannten, das Reich gegen die Türken zu verteidigen, blieben sie, was Geld und Soldaten anbelangte, sehr zurückhaltend. Mithin ist die traditionelle Kritik, Maximilian habe seine Großmachtträume auf Kosten deutscher Ressourcen verfolgt, ohne Substanz. Auf dem Reichstag zu Worms 1495 beispielsweise forderte Maximilian vier Millionen Gulden für vier Jahre. Gewährt wurden ihm 250.000, und selbst die wurden nicht voll ausbezahlt. 26 Während seiner Regentschaft bezog Maximilian pro Jahr nicht mehr als 50.000 Gulden aus dem Reich – ein unbedeutender Betrag, verglichen mit den jährlich 500.000 bis 1 Million Gulden, die seine österreichischen Territorien abwarfen, oder mit den Geldern, die er vom Onkel seiner Frau, dem Herzog von Mailand, zwischen 1494 und 1500 bekam (ebenfalls 1 Million Gulden). 27 Selbst die von den Juden der Erblande und dem Reich entrichtete Jahressteuer war höher als der von den Reichsständen insgesamt gezahlte Betrag. Das wichtigste Finanzinstrument Maximilians war ohnehin das Darlehenssystem, das auf den reichen Mineralvorkommen von Tirol beruhte. Im Endeffekt hingen Maximilians Großreichspläne vom Verkauf von Monopolen an süddeutsche Kaufleute wie den Fuggern in Augsburg und den Darlehen süddeutscher Reichsstädte ab. 28 Noch schwieriger war es indes, Soldaten vom Reich zu bekommen. Maximilian wollte im Reich die Heerespolitik fortsetzen, die er erfolgreich im Kampf um die burgundische Nachfolge während der 1480er Jahre betrieben hatte. Dort war es einer Kombination von Rittern und deutschen Söldnern gelungen, sich gegen die Franzosen und ihre Schweizer Söldner zu behaupten. 29 Nach 1493 wollte Maximi-

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lian, jetzt römisch-deutscher König, diese Kombination weiterentwickeln und zu einem stehenden Heer ausbauen. Doch der einzig erwähnenswerte Erfolg dieser Strategie war die Integration von Rittern und Mitgliedern des höheren Adels in seine Streitkräfte. Auch seine Unterstützung des Ritterbunds mit Sankt Jörgenschild und des österreichischen St.-Georgs-Ordens führte nicht zum Auf- und Ausbau eines königlichen Heers. Zudem waren diese Organisationen militärisch ineffektiv. Der St.-Georgs-Orden war zum Beispiel für die Errichtung einer militärisch befestigten Grenze in der Steiermark, in Krain und Kärnten völlig ungeeignet, auch wenn Maximilian gelegentlich einzelne Heerführer wie Götz von Berlichingen und Franz von Sickingen für seine Zwecke gewinnen konnte. 30 Auch Albrecht der Tapfere von Sachsen, Rudolf von Anhalt und Markgraf Kasimir von Brandenburg gehörten zum höheren Adel, der in mehreren Feldzügen eine wichtige Rolle spielte. Alle diese Heerführer rekrutierte Maximilian aus dem traditionellen feudalen Netzwerk von Gefolgsleuten, nicht als »moderne« Militärprofis. Problematischer war es, sich die traditionelle Kampfkraft der deutschen Söldner, der Landsknechte, zunutze zu machen. Aus den Landsknechten ließ sich tatsächlich ein Heer formen, das in besonderer Uniformierung sich ausdrückende Disziplin und Organisation besaß. Die Landsknechte standen dabei den Schweizern, die als die besten Kämpfer ihrer Zeit betrachtet wurden, in nichts nach. 31 Das war unzweifelhaft das Ergebnis von Maximilians persönlichem Engagement. Bei den italienischen Feldzügen führte er, gekleidet mit dem typischen geschlitzten Wams und der Federkappe, seine Landsknechte höchstselbst in die Schlacht, wie er es zuvor schon im Burgund getan hatte. 32 Doch auch die Landsknechte waren und blieben Söldner. Erhielten sie ihren Sold nicht, konnten selbst Heerführer wie Georg von Frundsberg, die normalerweise deren Respekt und unverbrüchliche Loyalität genossen, sie nicht unter Kontrolle halten. 33 Haupthindernis sowohl für die militärische Einbeziehung der Ritter und Adligen als auch für den Plan, aus den Landsknechten so etwas wie ein »nationales« Heer zu formen, war der Widerstand der Stände auf dem Reichstag. 34 Ab 1495 waren alle Vorstöße Maximilians mehr oder weniger zum Scheitern verurteilt, weil sie in die Auseinandersetzungen um die Verfassungsreform verwickelt wurden. Wiederholt weigerten sich die Stände, die Einführung einer Steuer zwecks Errichtung eines stehenden Söldnerheers für das Reich auch nur in Erwägung zu ziehen, weil sie befürchteten, das könnte die Position des Monarchen stärken. So wurde 1510 Maximilians Antrag, ein stehendes Heer von 50.000 Mann aufzustellen, einfach auf den Reichstag von 1512 verschoben und dort abgelehnt. Ebenso waren die Stände nur zu minimaler Unterstützung bereit, wenn es um die Erhebung einer einmalig zu entrichtenden Kopfsteuer (oder deren finanzielles Äquivalent) ging. Sie bevorzugten die periodisch zu erhebende Steuer, weil sie

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damit mehr Freiheit hatten, jegliche Steuerlast auf ihre Untertanen abzuwälzen (die Reichssteuer unterschied nicht zwischen Fürsten und deren Untertanen). Praktisch aber waren sie kaum bereit, für Feldzüge zu zahlen, die nach Ansicht vieler nicht im »nationalen« Interesse lagen. Selbst wenn die Stände, wie 1505 und 1507, Unterstützung versprachen, zahlten sie nicht die ganze Summe und häufig kam das Geld auch viel zu spät, um den Feldzug, für den es gedacht war, noch finanzieren zu können. Ohne die mit tirolischem Silber und Kupfer erworbenen Fugger-Kredite und die in den österreichischen Erblanden ausgehobenen Truppen hätte Maximilian nirgendwo in die Schlacht marschieren können. Hätte Maximilian vom Reich der »deutschen Nation« nur dessen Geld und Soldaten gewollt, wäre er jämmerlich gescheitert. Die Probleme einer Besteuerung durch den Monarchen und der vom Reich ihm zu gewährenden militärischen Unterstützung wurden erst allmählich während der Regentschaft Karls V. behoben. Aber Maximilian ging es noch um andere Vorrechte als nur diese. Immerhin war er insoweit erfolgreich, als das Reich gegen Ende seiner Regentschaft keine Oligarchie von Fürsten, sondern eine gestärkte Monarchie darstellte. 35 Zwar hatte hier der Monarch weniger Macht als die Herrscher in einigen anderen westlichen Königreichen, aber häufig wird übersehen, dass die Institution als solche gestärkt wurde. Angesichts der geschilderten Verweigerungshaltung der Stände hat das Resultat etwas Paradoxes an sich. Im Hinblick auf den Reichstag war die Schwäche des Monarchen gegenüber den Ständen offensichtlich. In der Reformdebatte nach 1495 wurden praktisch alle Vorschläge und Anträge Maximilians abgelehnt oder bis zur Bedeutungslosigkeit abgeändert. 36 Im Jahr 1500 nutzten die Fürsten Maximilians Niederlagen im Schwabenkrieg und in Italien aus, um ihm ein Reichsregiment aufzuzwingen. 37 Zwar bekundeten sie ihre Bereitschaft, ihn mit Geld und Truppen zu unterstützen, doch entzogen sie ihm alle Macht im Reich und installierten in Nürnberg ihre eigene Regierung. Nun war Maximilian nicht mehr als eine Art Ehrenvorsitzender und die Fürsten forderten sogar, dass er die vom Reichsregiment erhobenen Steuern und Militärabgaben im Hinblick auf seine Erblande zu leisten habe. Die wahre Macht, so schien es, lag nun bei Berthold von Henneberg, dem Erzbischof von Mainz, und den anderen Kurfürsten. Aber der Triumph der Stände währte nicht lange. Das Reichsregiment war bei der Erhebung von Steuern und der Aushebung von Truppen nicht erfolgreicher als der Monarch. Zwei weitere Reichsstädte, Basel und Schaffhausen, »verließen« das Reich und schlossen sich den Eidgenossen an. Von keinem königlich-deutschen Heer behindert, konnten die Franzosen ihren Angriff auf Neapel fortsetzen. Im März 1502 war Maximilian in der Lage, das Reichsregiment aufzulösen und den von Henneberg angeführten Fürstenbund bei Gelnhausen zu besiegen. 38 Der Grund für Maximilians erneuten Aufstieg zwei Jahre, nachdem er von den

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Kurfürsten kaltgestellt worden war, lag darin, dass er über das wahre Fundament herrscherlicher Macht im Reich verfügte: über sein Netzwerk von Verbündeten und Gefolgsleuten, die er gerade in den weniger mächtigen Reichsständen besaß. Systematischer als alle seine Vorgänger nutzte Maximilian das Potenzial regionaler Bünde und »Einungen«, um seinen Einfluss auszuweiten und die königliche Herrschaft im Reich zu ermöglichen. Solche Bünde und Einungen waren eine typische Reaktion auf die Probleme der Gesetzlosigkeit, die ab dem 14. Jahrhundert im Reich grassierte. 39 Zumeist wurden sie von regionalen Gruppen zum Zweck der Selbstverteidigung gegen marodierende Ritter gegründet, die die Institution der Fehde missbrauchten, um Räuberei zu betreiben. Auch galt es, sich vor machtlüsternen Fürsten zu schützen, die bestrebt waren, die Gebiete schwächerer Nachbarn zu annektieren. Außerdem schlossen unabhängige Städte gern solche Bünde, um sich selbst und die Handelswege zu schützen. Ab dem späten 14. Jahrhundert hatten verschiedene Monarchen Versuche unternommen, die Aktivitäten solcher Bünde zu koordinieren oder sogar einen reichsweiten Bund zu gründen, der für die Aufrechterhaltung von Frieden, Stabilität und herrscherlicher Autorität sorgen sollte. 40 Alle diese Versuche schlugen fehl, aber bezeichnenderweise bezogen sich Maximilians erste Reformvorschläge anlässlich seiner Wahl zum römisch-deutschen König 1486 auf die Bildung eines Netzwerks regionaler Bünde. Zwar sollten diese, wie Maximilian es damals darstellte, von den Fürsten geleitet werden, was für die kleineren Territorien und Städte wohl den Todesstoß bedeutet hätte, doch wurden Maximilians Vorschläge mit der Begründung zurückgewiesen, dass damit in die Rechte der Territorien eingegriffen werde. 41 Die Debatten um die Notwendigkeit friedenserhaltender und regionaler Institutionen mündeten 1495 in die Veröffentlichung des »Ewigen Landfriedens« und die Bildung der Reichskreise von 1500 bis 1512. 42 Während diese Maßnahmen erst einige Jahrzehnte später wirklich griffen, sicherte und stärkte Maximilian seine Stellung, indem er mit bereits existierenden Bünden zusammenarbeitete und neue, diesen nachgebildete, einzurichten trachtete. Das älteste dieser Bündnisse war die Niedere Vereinigung, gegründet 1474 am Oberrhein als Ergebnis einer Übereinkunft zwischen Herzog Sigmund von Tirol, den Bischöfen von Basel und Straßburg, den Freien Städten Basel, Straßburg, Colmar und Schlettstadt sowie Herzog René II. von Lothringen. 43 Das Bündnis war in gewisser Weise dem Modell der Oberen Vereinigung der Eidgenossenschaft nachgebildet und verfolgte ursprünglich zusammen mit dieser das Ziel, die Streitkräfte Karls des Kühnen aus dem Sundgau, dem Breisgau und dem Klettgau zu vertreiben. Von dieser Aktion scheint Herzog Sigmund am meisten profitiert zu haben, denn er hatte die fraglichen Gebiete 1469 an Karl verpfändet, und Herzog René

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wollte sich unbedingt der Bedrohung durch einen mächtigen Burgunderstaat entledigen. Keineswegs unwichtig waren aber auch die Interessen der anderen Beteiligten wie etwa der Städte, die ihren Handel schützen wollten. Gerade sie waren entscheidend für die Erneuerung der Niederen Vereinigung 1493 durch Maximilian. Nun allerdings wurde sie in die habsburgische Strategie eingebunden, die ganz andere Ziele verfolgte. Die Vereinigung bildete jetzt den westlichen Flügel eines zweiten von Habsburg geführten Bündnisses, nämlich des 1488 gegründeten Schwäbischen Bundes, der ebenfalls einer Vielzahl von miteinander verbundenen Zwecken diente. 44 Aus Sicht der Habsburger bestand sein Ziel darin, den Ansprüchen der bayrischen Herzöge auf Tirol zuvorzukommen, dessen Regenten, Erzherzog Sigmund (der vierzig außereheliche Kinder, aber keinen rechtmäßigen Erben besaß), sie beträchtliche Kredite gewährt hatten. Die habsburgische Erbfolge wurde gesichert, indem man den umtriebigen Sigmund (der verschiedentlich mit dem Gedanken gespielt hatte, Tirol gegen Mailand oder Burgund einzutauschen) überredete, zugunsten von Maximilian abzudanken. Aber die bayrische Bedrohung blieb. Das wiederum bewegte viele der geringeren schwäbischen Stände (darunter Städte, Abteien, höhere Adlige und Ritter), sich dem Bund anzuschließen, um Ländereien und Handel vor den Expansionsbestrebungen der Wittelsbacher zu schützen. Ein drittes Motiv, sich dem Bund anzuschließen, war der Schutz vor den Expansionsgelüsten der verschiedenen Schweizer Bünde, besonders des Bunds ob dem See, des Graubündener Freistaates der drei Bünde und anderer. Das alles verband sich zusätzlich mit der Furcht vor Aufruhr in Stadt und Land, weil dort die unteren Schichten dem Beispiel der freien Schweizer, von diesen inspiriert, wenn nicht gar provoziert, folgen wollten. Auf diese Weise agierte der Bund auch als Garant für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung gegen expansionsbestrebte Fürsten wie gegen rebellische Untertanen. Von Anbeginn zeigte der Bund eine von anderen Institutionen des Reichs kaum jemals erreichte Vitalität und Effektivität. Schon bald gab er sich eine Satzung und sorgte für regelmäßige Kommunikation. Gefördert durch den immensen Reichtum der Städte konnte er nach kurzer Zeit seine militärische Stärke beweisen. 1492 etwa schickte er eine Streitmacht zur Abtei von Kempten, in deren Ländereien es einen Bauernaufstand niederzuschlagen galt. Im selben Jahr mobilisierte er 20.000 Mann, um Albrecht IV. von Bayern dazu zu bringen, allen Ansprüchen auf Tirol zu entsagen und die Reichsstadt Regensburg, die er 1486 annektiert hatte, aufzugeben. 45 Gewiss war der Schwabenkrieg (oder Schweizerkrieg) von 1499 für Maximilian und den Bund eine Katastrophe. Die Kluft, die sich während der letzten Jahrzehnte zwischen den Alemannen nördlich und südlich des Rheins aufgetan hatte, war zu groß geworden und die politischen Traditionen der Eidgenossen waren zu sehr verwurzelt und militärisch geschützt, als dass der Bund die Schweizer

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zurück ins Reich hätte holen können. 46 Aber trotz der Niederlage wurde der Bund 1500 erneuert und errang 1504 einen außerordentlichen Sieg über die Bayern. Dieser bayrische Erbfolgekrieg zeigte, was das Bündnis zwischen dem Monarchen und dem Schwäbischem Bund zu erreichen imstande war. 47 Ausgelöst wurde der Konflikt durch den Bruch eines Abkommens zwischen den bayrischen Herzogtümern Landshut und München. 1503 vermachte Herzog Georg (»der Reiche«) von Bayern-Landshut seinen Landbesitz seiner Tochter Elisabeth und seinem Schwiegersohn Pfalzgraf Ruprecht (dem Sohn des pfälzischen Kurfürsten Philipp), nicht aber seinem Vetter, Herzog Albrecht IV. von Bayern-München. Anfänglich spielte Maximilian die Rolle des vermittelnden feudalen Oberherrn und gewährte Albrecht das Recht auf Erbfolge aufgrund seiner rechtlichen Ansprüche. Allerdings eskalierte der Konflikt recht bald, als Ruprecht sich mit dem König von Böhmen (dem Jagiellonen Ladislaus II.) verbündete und in bayrisches Gebiet einmarschierte, um sein Erbteil einzufordern. Wegen dieses Friedensbruchs wurde er sofort geächtet und Maximilian schickte die Streitmacht des Schwäbischen Bundes (diesmal 1.200 Berittene und 12.000 Fußsoldaten) gegen ihn ins Feld. Der Konflikt wurde ziemlich schnell beigelegt, auch weil Ruprecht am 20. August 1504 plötzlich und unerwartet verstarb. Allerdings war mittlerweile deutlich geworden, dass es um mehr ging als nur um die bayrische Erbfolge. Maximilian ergriff die Gelegenheit, als Gegenleistung für seine Unterstützung von Albrecht die Abtretung an Tirol grenzender bayrischer Gebiete zu verlangen. Wichtiger noch war, dass der Konflikt in Westschwaben und im Elsass als Kampf gegen die Ausbreitung pfälzischen Einflusses nach Süden geführt wurde. Das Resultat der militärischen Auseinandersetzungen im Südwesten und Südosten war für Maximilian und den Schwäbischen Bund ein uneingeschränkter Triumph. Zusätzlich gelangen dem Monarchen noch bedeutende Territorialgewinne im Elsass (die Landvogtei von Hagenau, vormals in pfälzischem Besitz) sowie in Schwaben und Tirol (aus bayrischem Besitz), während andere Mitglieder des Bundes wie Nürnberg und Württemberg ebenfalls die Gelegenheit ergriffen, sich schwäbische Gebiete von Bayern anzueignen. Dieser bemerkenswerte Triumph Maximilians vier Jahre nach der Schmach von Augsburg zeigt seine Fähigkeit, Truppen und Geld für die Beilegung eines regionalen Konflikts aufzubringen, wie es ihm als Monarch für seine europaweiten Feldzüge nie gelungen war. In letzterer Rolle war er schwach, nicht aber, wenn er als feudaler Oberherr sich seiner Gefolgschaft bediente, um den Frieden aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise konnte er im Bündnis mit den schwächeren Ständen den Fürsten auf eine Weise Widerstand leisten, wie es ihm auf den Reichstagen, wenn es um größere politische Ziele ging, nicht gelingen wollte. Tatsächlich war die Dynamik dieses regionalen Systems so stark, dass viele Fürsten sich gezwungen sahen, dem Bund beizutreten. Das galt für Württemberg, das raubgierig gegen

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seine schwächeren Nachbarn vorging, und, nach 1504/05, sogar für Bayern, dessen Rivalität mit dem Haus Habsburg überhaupt erst zur Gründung des Schwäbischen Bundes geführt hatte. 48 Natürlich blieb der Bund selbst von inneren Spannungen und Problemen nicht verschont. Vor allem die Städte beklagten sich zunehmend über die finanziellen Lasten, die sie für einen Herrscher tragen mussten, den sie im Verdacht hatten, sich nur dankbar zu zeigen, wenn es ihm passte. Nach 1511/12 wandten sich Fürsten wie der Herzog von Württemberg, der Herzog Wilhelm IV. von Bayern (der 1508 Herzog Albrecht nachgefolgt war) sowie die Markgrafen von Brandenburg und Baden vom Bund ab, weil des Kaisers offenkundiges Bestreben, den Bund als Instrument seiner Machtinteressen zu benutzen, ihnen Unbehagen bereitete. Doch anders als die Niedere Vereinigung, die sich nach dem Schwabenkrieg 1499 auflöste, und deren Wiederbelebung Maximilian trotz zweier Versuche nicht gelang, blieb der Schwäbische Bund bestehen. Er war so stabil und erfolgreich, dass Maximilian 1518 den in Innsbruck versammelten österreichischen Ständen die Idee unterbreitete, zwischen den österreichischen Erblanden und den Habsburger Vasallen im Süden und Südwesten ein engeres Bündnis zu schmieden. 49 Es sollte von Innsbruck aus regiert werden und mit Wien und dem elsässischen Ensisheim zwei Zentren in der Provinz besitzen. Sein Hauptzweck lag offenkundig darin, die finanziellen Probleme, die den Kaiser in seinen letzten Lebensjahren bedrückten, zu mildern. Aber das stand mit den traditionellen Zielen des Schwäbischen Bundes im Einklang: Widerstand gegen fürstlichen Landhunger zu leisten, den Frieden zu bewahren, die kaiserliche Macht geltend zu machen. Die österreichischen Stände akzeptierten, misstrauisch jedoch und erst nach einigem Zögern, den Vorschlag, der indes nicht mehr in die Tat umgesetzt werden konnte, weil Maximilian im Januar 1519 starb. Die eventuellen Folgen seiner Verwirklichung sind nur schwer zu beurteilen. Vielleicht wäre daraus, wie Thomas Brady meint, eine süddeutsche Monarchie mit Österreich als Vormacht geworden, ähnlich der britischen, von England beherrschten Monarchie. 50 Allerdings sollte man nicht allzu viel Gewicht darauf legen, dass Maximilian mit seiner Förderung des Schwäbischen Bundes insgeheim Pläne für einen Staatsaufbau verband, denn damit ließe man seine fortwährenden Versuche, ähnliche Bündnisse unter herrscherlicher Protektion oder Führung in anderen Gebieten herzustellen, außer Acht. 51 Maximilian förderte Ritter- und Grafenbünde in Franken sowie der Wetterau und versuchte zweimal, in jeweils anderer Zusammensetzung, eine Art »Friesenbund« zu schaffen, um die Niederlande ans Reich zu binden und den Nordwesten des Reichs in das herrscherliche System einzufügen. 52 Aus Sicht der Reichspolitik Maximilians war keiner dieser Bünde erfolgreich. Die friesischen Vereinigungen schlugen fehl, weil führende Fürsten der Region, allen voran die welfischen Herzöge von Braunschweig, nicht gewillt waren, Unter-

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tanen des Hauses Habsburg zu werden. Die langlebigeren Bünde in Franken und der Wetterau entwickelten sich zu Institutionen für die formelle Repräsentation der Rechte jener schwächeren Stände, die in ihnen vereinigt waren. Doch wurden sie nicht, wie Maximilian vielleicht hoffte, zu Organen einer monarchischen Regierung, denn sie lagen – und das war der entscheidende Punkt – außerhalb des geografischen Einzugsbereichs, der das Netzwerk der habsburgischen Vasallen umfasste. Damit fehlte ihnen die Garantie, dass ihre Treueschwüre gegenüber dem Monarchen sich für sie auszahlen würden. Ganz im Gegenteil könnte ein solcher Schritt sie gegenüber den Bestrebungen mächtiger, auf Expansion bedachter Nachbarn wie Mainz, Hessen, Brandenburg oder Bayern noch wehrloser machen. Wie viele andere verfassungsmäßige Entwicklungen nach 1495 blieben auch Versuche, in Süddeutschland oder im Reich insgesamt ein wirksames monarchisches Regierungssystem zu etablieren, Stückwerk und nur zeitweilig erfolgreich. Es ist leichter, darüber zu spekulieren, was aus ihnen unter anderen Umständen hätte werden können, als einen konkreten und dauerhaften Erfolg zu konstatieren. Doch zeugt die Tatsache, dass solche Versuche unternommen wurden und dass in zumindest einer wichtigen Region des Reichs ein monarchisches System funktionierte, von der Wiedererstarkung herrscherlicher Macht unter Maximilian. Das hebt auch die tatsächliche Bedeutung des »Reichs der deutschen Nation« im kaiserlichen Imperium hervor. Dieses Reich war nicht einfach eine Quelle zur Beschaffung von Geld und Soldaten (gerade das eher nicht), sondern ein Bereich, in dem Maximilian aktiv und zielgerichtet nach Herrschaft strebte. Damit erhielt auch seine imperiale Propaganda eine gewisse Glaubwürdigkeit und es wird deutlich, warum sie im deutschen Reich auf allen Ebenen positiven Widerhall fand. Zwar war Maximilians Ehrgeiz immer größer als das, was realiter erreicht wurde, doch zeigte seine Regierungstätigkeit im Reich zumindest mehr Lebenskraft und Stärke als bei allen seinen Vorgängern.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8

Wiesflecker, Maximilian, 376–381, 386. Wiesflecker, Maximilian, 11–16; Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 5–27; Angermeier, »Wormser Reichstag 1495«, 1–3. Koller, Friedrich III., 214–217. Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 4–5; Press, »Erblande«, 53–56. Pamlényi, Hungary, 113–118; Wiesflecker, Maximilian, 125–133, 148–149, 187–192; Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 18–20; Kohler, Expansion, 269–274. Rabe, Geschichte, 181–182; Wiesflecker, Maximilian, 61–65, 355–357; Kohler, Expansion, 327–333. Press, »Vorderösterreich«; Quarthal, »Vorderösterreich«. Israel, Duch Republic 1476–1806, 58–64.

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Press, »Niederlande«, 322–325; Schmidt, »Integration«, 6–8. Kohler, Expansion, 334–341. Wiesflecker, Maximilian, 365–369. Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 15. Wiesflecker, Maximilian, 370–371. Angermeier, »Wormser Reichstag 1495«, 11–13. Vgl. Kohler, Expansion, 264–268. Wiesflecker, Maximilian, 193–194. Wiesflecker, Maximilian, 73–77. Angermeier, »Wormser Reichstag 1495«, 9. Wiesflecker, Maximilian, 366; Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 9. Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 18. Rabe, Geschichte, 180–181. Wiesflecker, Maximilian, 13, 369, 372. Angermeier, »Wormser Reichstag«, 11–12; Kohler, Politik, passim. Eine Ausnahme war die Heirat seiner Schwester Kunigunde mit Albrecht IV. von Bayern. Allerdings fand diese 1487 und wohl ohne die Zustimmung ihres Vaters, Kaiser Friedrich III., statt; ADB, Bd. I, 234. Da das Bündnis auch den Zweck verfolgte, die bayrischen Ansprüche auf das Tirol zu stärken, verschärften sich dadurch die Konflikte zwischen den Habsburgern und den Wittelsbachern. Ein wichtiges Charakteristikum von Maximilians dynastischer Politik war die Einfädelung von Heiraten zwischen Familien, die, sei es durch feudale Bande, sei es als Hof- und Verwaltungsbeamte, zu seiner Gefolgschaft gehörten. Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 27. Schmidt, »Integration«, 3–4. Wiesflecker, Maximilian, 264. Wiesflecker, Maximilian, 348–349. Wiesflecker, Maximilian, 350; Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 11–12; Brady, Turning Swiss, 80–92. Rabe, Geschichte, 26–28; Kurzmann, Kriegswesen, 63. Kurzmann, Kriegswesen, 34–35. Kurzmann, Kriegswesen, 63–71. Wiesflecker, Maximilian, 338; Baumann, Landsknechte, 36–37. Baumann, Landsknechte, 117. Zum Folgenden vgl. Kurzmann, Kriegswesen, 16–28. Schmidt, »Politische Bedeutung«, 186. Vgl. S. 56–65. Wiesflecker, Maximilian, 259–273; dort, 112–121, auch eine kurze Darstellung des Schwaben- oder Schweizerkriegs. Dazu auch Brady, Turning Swiss, 57–72. Wiesflecker, Maximilian, 271–273. Moraw, »Einungen«, passim. Dotzauer, Reichskreise, 23–31. Schmidt, Grafenverein, 24–25. Dotzauer, Reichskreise, 33–39. Brady, Turning Swiss, 49–52, 55–57. Brady, Turning Swiss, 52–54; Bock, Schwäbischer Bund, 1–24; Carl, »Schwäbischer Bund«, passim; Wiesflecker, Maximilian, 253–255. Bock, Schwäbischer Bund, 71.

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Brady, Turning Swiss, 58. Brady, Turning Swiss, 72–79. Bock, Schwäbischer Bund, 93–94, 103. Brady, Turning Swiss, 89–92. Brady, Turning Swiss, 114, 224–225. Schmidt, Grafenverein, 25–26. Schmidt, »Integration«, 6–8; Israel, Dutch Republic 1476–1806, 29–33.

7. Reich, Papsttum und Reichskirche

M

artin Luthers Bestreben, eine grundlegende Reform der Kirche und ihrer Lehren anzustoßen, wurde Gegenstand der Politik, als er 1521 vor den Reichstag zu Worms geladen wurde, um seine Ansichten zu widerrufen. Luther aber verknüpfte, wie wir noch sehen werden, höchst selbstbewusst seine Forderungen mit anderen Reformbedürfnissen, die im Reich bereits eine lange Geschichte und eine beträchtliche Anhängerschaft besaßen. Jedoch war die Reformation nicht das direkte Ergebnis einer Entwicklung der deutschen Kirche während des 15. Jahrhunderts. Es lässt sich nämlich in dieser Zeit keine Krise in Kirche oder Gesellschaft, die mit der explosiven Anfangsentwicklung der Reformationsbewegung oder ihrem weitreichenden Einfluss auf die deutschen Lande in Beziehung zu setzen wäre, entdecken, und das gilt auch für die Regierungszeit Maximilians I. insgesamt. Der Einfluss der Reformation war deshalb so tiefgreifend, weil religiöse Probleme eng mit sozialen, wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten verknüpft waren. Das konnte in einer Gesellschaft, in der es zwischen Religion und Leben keinen Unterschied gab, auch kaum anders sein. Doch waren die Probleme der vorreformatorischen Epoche nicht so neu, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mochten. Über sie ist nur mehr bekannt, weil sich eine große Anzahl von Quellen erhalten hat. Bis zu einem gewissen Grad spiegelt sich darin jedoch vor allem die energische Verschiebung von einer oralen hin zu einer schriftlichen Kultur, die im 14. Jahrhundert begann. Die Tatsache, dass Beschwerden nunmehr in schriftlicher und, gegen Ende des 15. Jahrhunderts, sogar in gedruckter Form kursierten, führte, zusammen mit der Entstehung einer »Klageliteratur«, zu einem wachsenden Krisenbewusstsein. Hinzu kommt die Rhetorik der Reform selbst, die regelmäßig nostalgische Bilder eines nur vage bestimmten Goldenen Zeitalters beschwor, von dem die Gegenwart sich in gefährlicher Weise weit entfernt habe. So waren die vorreformatorischen Jahrzehnte von einer Überfülle apokalyptischer Denkweisen geprägt, von einem ständig sich steigernden Gefühl, dass irgendetwas bald geschehen würde, dass ein großer Reformer, von manchen auch als »Engelsfürst« bezeichnet, auftauchen und die Welt zurechtrücken würde. 1 Viele dieser Hoffnungen richteten sich auf Kaiser Maximilian. Sein Tod im Jahr 1519 und das darauf folgende Interregnum schufen ein Vakuum, das von Karl V. nicht angemessen gefüllt wurde. Vielmehr schien die kaiserlose Zeit gerade die richtigen Bedingungen für die Intensivierung einer Erwartungshaltung, für die

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Verwandlung des Gefühls, etwas werde geschehen, in die Überzeugung, etwas müsse getan werden, zu schaffen. Jedenfalls gibt es Hinweise darauf, dass während des Interregnums Luther selbst weithin als der lang erwartete heilige Mann und Reformer angesehen wurde, wodurch sich zumindest kurzfristig Bestrebungen nach Reform und Erneuerung mit eher diffusen apokalyptischen Vorstellungen zusammenschlossen. Will man die offensichtlichen Widersprüche in der Entwicklung der Kirche im Reich während des 15. Jahrhunderts miteinander aussöhnen, muss man zwischen Vorstellung und Wirklichkeit unterscheiden. Wiederholt gab es Forderungen nach einer Reform und eine grundlegende Neugestaltung von Kirche und Gesellschaft war bislang ausgeblieben. Dennoch sollten die fortwährenden Mahnungen nicht als Hinweis darauf verstanden werden, dass nichts geschehen sei. Einerseits gab es auf allen Ebenen, vom Papsttum bis zu den Gemeinden, strukturelle Probleme, von denen viele die Kirche in allen europäischen Ländern betrafen, während andere wiederum typisch für deutsche Zusammenhänge waren oder in diesen Zusammenhängen ein anderes Gewicht besaßen. Andererseits war die Epoche durch zahlreiche Reforminitiativen und Erneuerungsbewegungen gekennzeichnet, die durch Bischöfe, Kleriker, weltliche Regenten und auch Laien vorangetrieben wurden. Sie bewirkten keine grundlegende Reform, waren aber zahlreich und beharrlich genug, um dem Leben der Kirche eine Kraft einzuhauchen, die um 1500 ihren Ausdruck in lautstarker Kritik an Missbrauch sowie in einem beispiellosen Ausmaß an Frömmigkeit und Andacht fand. So war das 15. Jahrhundert eine Epoche der Erneuerung und Reform, die sich im Kontext der unvollendet gebliebenen Arbeit der Konzile von Konstanz (1414– 1418) und Basel (1431–1449) entwickelte. Hier wurde der Versuch unternommen, die durch das Exil der Päpste in Avignon (1309–1378) und das Große Abendländische Schisma (1378–1417) hervorgerufenen Probleme zu lösen. 2 Diese Ereignisse hatten tief greifende Auswirkungen auf die Entwicklung des Papsttums und die Stellung der Kirche in Europa insgesamt. Die Autorität des Papsttums war schwer beschädigt; die Jahrzehnte der »babylonischen Gefangenschaft« in Frankreich hatten die politische Bedeutung des Amtes auf Kosten der religiösen Autorität in den Vordergrund gerückt. Diese Jahrzehnte vergrößerten die Kluft zwischen Papsttum und Kurie einerseits und der von den Bischöfen repräsentierten Kirche andererseits. Das beförderte den Unmut gegen eine zentrale Autorität in der Kirche, vergleichbar den Bedenken der Stände in Monarchien und Fürstentümern. Zudem wurde das Papsttum zunehmend bürokratisiert und verfolgte eine rüde Besteuerungspolitik, die den Eindruck vermittelte, die Päpste würden die Kirche auf jeder Ebene melken, von den Beiträgen neuer Pfründeninhaber in hohen Kirchenämtern bis zu den Steuern für den niederen Klerus. Das Schisma beschädigte auch den inneren Zusammenhang der Kirchenlehre.

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Die Frage, ob man Rom oder Avignon Gehorsam schulde, riss zwischen der großen theologischen Schule in Paris und dem Reich eine Kluft auf. Die deutschen Könige und Fürsten hielten mehr oder weniger dauerhaft Rom die Treue und mussten nun im Reich Universitäten gründen für all diejenigen, die nicht mehr in Paris ausgebildet werden konnten. Zwischen 1348 und 1502 wurden 17 solcher Institutionen ins Leben gerufen. Eine solche Ausbreitung von Zentren theologischer Lehre beförderte die Entwicklung unterschiedlicher Lehren in der Kirche selbst. 1520 ließen sich nicht weniger als acht verschiedene Denkschulen finden: Wasser auf die Mühlen der akademischen Theologen, aber Verwirrung und Zweifel für die Laien. 3 Das Schisma wirkte sich auch nachhaltig auf die Politik aus.Weltliche Regenten nutzten die Schwäche des Papsttums, um größere Kontrolle über die kirchlichen Institutionen im eigenen Land zu erlangen. Durch eine Reihe von Konkordaten wurden nationale oder regionale Kirchen geschaffen, was die Führungsmacht des Papstes erheblich einschränkte. Das wiederum trug zur »Säkularisierung« des Papsttums bei, weil der Vatikan zunehmend auf die Ressourcen seiner Territorien in Italien zurückgreifen musste. Die gewaltigen Kosten, die für den Bau des Petersdoms aufzubringen waren sowie der ganz offen unmoralische Lebenswandel vieler Päpste waren weitere Anlässe für Klagen in der Laienschaft. Und während weltliche Regenten sich Machtbefugnisse über die Kirche verschafften, gewann auch die Laienschaft angesichts der Dauerproblematik im Vatikan an Einfluss. Gestalten wie Wyclif und Hus stellten die herkömmlichen Autoritäten und die römische Hierarchie infrage. Sie predigten ein erneuertes, »reines«, wieder auf der Bibel beruhendes Christentum, das durch eine Kirche verkörpert wurde, die aus den von Gott wahrhaft Erwählten bestand. 4 Näher am tradierten Katholizismus, aber doch auf ganz neuem Weg, waren Gruppen wie die Brüder vom gemeinsamen Leben: Laiengemeinschaften ohne Gelübde, aber einem Leben in Frömmigkeit (der Devotio moderna) verpflichtet. Sie entstanden in den 1380er Jahren in Deventer und Zwolle.5 In anderen Gebieten Europas führte die Schwäche des Papsttums zu einer neuen Einigung zwischen Papst und Monarchen; ein Beispiel ist die Pragmatische Sanktion von Bourges, die 1438 die Rechte der französischen Krone über die gallikanische Kirche festlegte. Im Reich war das Ergebnis weniger umfassend und klar. Zugleich wurden Argumente für eine Verbesserung der Situation in eine allgemeinere Auseinandersetzung über Reformen mit einbezogen, die Reich und Kirche gleichermaßen betraf. Trotz aller Probleme im Reich zur Zeit des Schismas (1410 gab es neben drei Päpsten nicht weniger als drei deutsche Könige), spielte das Reich eine Schlüsselrolle bei deren Bewältigung. Deutsche Gelehrte wie Konrad von Gelnhausen entwickelten die Theorie, dass nur ein Kirchenkonzil für eine Lösung der Probleme zuständig sei. 6 Heinrich von Langenstein, wie Konrad Theologe an der Universität

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von Paris, schlug weitergehend vor, dass solch ein Konzil die Reform der Kirche insgesamt angehen sollte. Die Ideen der beiden wurden zunächst nicht aufgegriffen und sie mussten auf Druck der französischen Monarchie, die lieber den Papst stürzen als die Kirche reformieren wollte, Paris verlassen. Als sich jedoch die politischen Konstellationen veränderten, erhielt die Idee eines Konzils neue Nahrung. In veränderter Form wurden die Argumente jetzt von Theologen in Heidelberg vorgetragen, einer dem Wittelsbacher König Ruprecht nahestehenden Universität. Ruprecht, ehemals Graf der Pfalz, gab die Stoßrichtung vor und Konrad Koler von Soest zum Beispiel kritisierte den Konziliarismus der Kardinäle als fundamentale Bedrohung für die Kirche in Deutschland. Darin äußerte sich eine deutliche Vorliebe für einen schwachen Papst im Gegensatz zu einer einflussreichen Oligarchie von Kardinälen. Aus Konrads Sicht hatte der römische König als künftiger Kaiser das Vorrecht, ein Kirchenkonzil einzuberufen. 7 Ruprecht aber konnte die von den Heidelberger Theologen in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Er war ein schwacher König, dem es nicht gelang, die Stände zu einigen, unter denen der abgesetzte König Wenzel immer noch erheblichen Einfluss ausübte. Erst die von Ruprechts Nachfolger Sigismund durchgesetzte Konsolidierung der königlichen Macht brachte den Durchbruch. Sigismund erklärte anlässlich der Thronbesteigung, dass er Kirche und Reich in gute Ordnung bringen wolle. Das war der Beginn langwieriger Versuche in dieser Richtung. Sigismunds Absicht wurde durch die Schriften der Heidelberger Schule unterstützt. Ihre theoretische ausgearbeitete Idee eines allgemeinen Konzils als Grundlage für ein umfassendes Reformprogramm bildete das Fundament für das Konzil von Konstanz, das Sigismund selbst einberief und dessen Verlauf er bestimmte. Im Endeffekt brachten weder das Konstanzer noch das darauf folgende Basler Konzil die grundlegende Reform von Kirche oder Reich zustande. 8 Immerhin führten sie zur Aufstellung einer Agenda. Das Konzil zu Konstanz hatte in dem Dekret Haec Sancta Synodus (Diese heilige Synode) seine eigene Überlegenheit über den Papst proklamiert. Dem folgte das deutsche Konkordat von 1418, das Probleme auflistete und Lösungen empfahl. Das Übereinkommen war auf fünf Jahre begrenzt, danach, so legte es das Edikt Frequens (über die Häufigkeit von Konzilien) fest, sei der Papst verpflichtet, ein neues Konzil einzuberufen. Papst Martin V. machte seine Haltung deutlich, indem er gegen den Papst gerichtete Appelle an das Konzil mit dem Bann belegte. Außerdem löste er ohne große Umstände das in Übereinstimmung mit Frequens 1423 nach Pisa und Siena einberufene Konzil auf, als es das Dekret Haec Sancta erneuern wollte. Durch diesen erneuten Konflikt zwischen Papst und Konzil verlor die deutsche Kirche viel an dem im Konkordat von 1418 gewonnenen Boden. Die Erzbischöfe von Mainz und Köln zogen daraus die Konsequenz und beriefen im Vorfeld des Konzils von Basel eine Reihe von Provinzialsynoden ein. Die geplante nationale Synode kam nicht zustande, aber

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in Basel 1433 war die deutsche »Nation« dennoch in der Lage, eine kohärente und umfassende Reformagenda vorzustellen. Wieder einmal wurden die Verhandlungen durch die grundlegende Frage, ob dem Konzil oder dem Papst das Supremat gebühre, überschattet. Um wenigstens eine gewisse Hoffnung auf einen praktischen Erfolg zu bewahren, versuchte Sigismund, einen neutralen Kurs zu steuern. Diese Politik wurde nach seinem Tod von Albrecht II., seinem Nachfolger, und den Kurfürsten fortgesetzt. 1438 akzeptierte eine französische Nationalsynode in der Pragmatischen Sanktion die Dekrete von Basel und zog sich aus dem Streit zurück, indem sie dem König weiterreichende Befugnisse auch bei Bischofswahlen und ähnlich hochrangigen Stellen zugestand und so die Macht des Papstes ebenso einschränkte wie das Recht auf freie Wahlen. Dagegen hofften die deutschen Fürsten noch auf einen durch Verhandlungen erreichbaren Mittelweg. In der sogenannten Mainzer Akzeptation befürworteten sie die meisten der Basler Reformdekrete, mit der bemerkenswerten Ausnahme jenes entscheidenden Dekrets, das im Endeffekt eine Erneuerung des Haec Sancta und den Anspruch des konziliaren Vorrangs vor dem Papst darstellte. 9 Für die nächsten acht Jahre garantierte diese Neutralität, dass die Entscheidung von Mainz hielt, doch schließlich fiel sie dem hartnäckigen Disput über die Superiorität zum Opfer. Unterdessen war der Papst verpflichtet, darauf zu achten, dass die Fürsten nicht dem Konziliarismus huldigten. Diesem Zweck diente auch das vom Haus Habsburg 1445 lancierte Abkommen. Papst Eugen IV. gestand Friedrich III. das Recht auf Nominierung für die sechs Bistümer in seinen eigenen Gebieten zu und machte noch weitere Zugeständnisse, darunter das Recht auf zahlreiche geringere Pfründe. Im Gegenzug erkannte Friedrich Eugen als den rechtmäßigen Papst an. Zwei Jahre später erreichten die Kurfürsten im »Fürstenkonkordat« einen ähnlichen Kompromiss. Der Papst akzeptierte die Forderung nach Anerkennung der Dekrete von Basel (mit Ausnahme von Haec Sancta und Frequens), während unter anderen Österreich, Böhmen, Mainz, Brandenburg und Sachsen dem Papst Gehorsam schworen. Da Eugen in der Folgezeit die Gültigkeit dessen, dem er zugestimmt hatte, in Zweifel zog, wurde erst unter seinem Nachfolger, Nikolaus V., mit dem Wiener Konkordat von 1448 ein Abschluss erreicht. 10 Das Abkommen wurde in Form eines päpstlichen Privilegs veröffentlicht, was den Erfolg des Papsttums im Kampf gegen den Konziliarismus besonders hervorhob. Der Papst erhielt das Besetzungsrecht für eine erhebliche Anzahl von deutschen Pfründen in den ungeraden Monaten. Die Bischofswahlen in den kirchlichen Fürstentümern lagen fest in den Händen der Domkapitel, während der Papst sich ein Einspruchsrecht vorbehielt. Die Annaten (eine Pfründensteuer) und Servitien (das erste Jahreseinkommen eines neu gewählten Bischofs oder Abts) wurden als rechtmäßiges päpstliches Einkommen bestätigt. Überdies ersetzte das Konkordat

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explizit die Basler Dekrete. Alle weiteren Themen sollten in separaten Abkommen mit den jeweiligen Fürsten geregelt werden. Das geschah innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte und führte dazu, dass das Recht auf Einziehung der Annaten in den meisten territorialen Bistümern in den Händen der Regenten vor Ort lag. Das verstärkte die Unterscheidung zwischen zwei Arten kirchlicher Herrschaft im Reich. Einerseits gab es die Reichskirche, die aus in den Fürstenstand erhobenen Bischöfen und Äbten, gewählt von Domkapiteln und Stiften, bestand. Das waren Vasallen des Monarchen, aber von ihm so unabhängig wie die weltlichen Fürsten, Adelsherren und Städte. Andererseits blieb es in den diversen Fürstentümern den Regenten überlassen, ob und inwieweit sie die kirchlichen Institutionen ihrem Willen und Einfluss und der Befugnis weltlicher Autoritäten unterstellten. Das Wiener Konkordat erhielt nie den Status eines Reichsgesetzes, da es nicht auf einem Reichstag durch einen Reichsabschied verkündet wurde, aber es bestimmte die Beziehung zwischen Papsttum und der deutschen Kirche bis zur Auflösung des Reichs 1806. Vergleiche mit der Pragmatischen Sanktion in Frankreich oder mit der Situation in England oder Spanien könnten die traditionelle Auffassung bestätigen, dass das Konkordat »nationale« Interessen verraten oder zumindest nicht geschützt habe. Doch obwohl in Deutschland keine »Nationalkirche« entstand, war die Situation hier ähnlich wie in anderen Ländern. Die universelle Kirche wurde durch eine »regionalisierte« Kirche gemäß den sich herausbildenden staatlichen und territorialen Grenzen ersetzt, eine Teilung, die eher den Gebieten der Stände als dem Reich selbst entsprach. 11 Das Schisma und dessen bis zum Wiener Konkordat reichende konziliare Nachwehen hatten noch weitere Auswirkungen auf die deutschen Lande, zu deren wichtigster die Entstehung einer Literatur gehörte, die eine Reform von Kirche und Reich zugleich forderte. 12 Die Idee einer reformatio, verstanden als Rückkehr zu einem gottgewollten ursprünglichen Zustand war nicht neu, sondern im 14. Jahrhundert sogar zu einer Art Klischee geworden, da praktisch jedes neue Gesetz als reformatio vorgestellt wurde. In der konziliaren Epoche bekam der Begriff jedoch eine neue Vordringlichkeit und eine umfassendere Bedeutung als Schlüssel zu einer durchgängigen Erneuerung der menschlichen Gesellschaft. Entscheidend waren dabei offenbar König Sigismunds persönliches Interesse an der kombinierten Reform von Kirche und Reich sowie seine Vorstellung davon, wie das Bindeglied zwischen diesen Reformen beschaffen sein müsse. Das Programm wurde in einer Reihe von theoretischen Schriften im Zusammenhang mit den Konzilen von Konstanz und Basel ausgearbeitet. 1417 nahm der ehemalige Berater von König Ruprecht, Job Vener, Themen auf, die zuvor von Autoren wie Alexander von Roes und Dietrich von Niem (oder Nieheim) bearbeitet worden waren. Vener forderte auf dem Konzil die Erneuerung von Kirche und Reich gleichermaßen. 13

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Ähnliche Gedanken finden sich auch in der Schrift De concordantia catholica (Über die katholische Harmonie oder Über die allumfassende Einheit), die Nikolaus von Kues 1433 dem Konzil von Basel vorlegte. 14 Wie Vener ging es auch Nikolaus im Wesentlichen um das allgemeine Prinzip, ohne Erörterung der Einzelheiten. Andere jedoch, wie Bischof Johann Schele aus Lübeck (um 1436) und Heinrich Toke (1442), legten umfangreiche Listen von Maßnahmen für die Reform von Papsttum, deutscher Kirche und Reich vor. 15 Während die gelehrten Abhandlungen von Vener und seinen Nachfolgern eindeutig für den Monarchen und die Fürsten gedacht waren und sich mit der Reform von Institutionen beschäftigten, geht die 1439 anonym veröffentlichte Schrift Reformatio Sigismundi (Die Reformation des Königs Sigismund) erheblich weiter. So fordert sie etwa die Absetzung aller geistlichen Fürsten und die Aufteilung ihrer Ländereien an die Städte und den niederen Adel sowie Maßnahmen zum Schutz des gemeinen Mannes vor der Unterdrückung durch den Adel. Dieses Werk zirkulierte zwischen 1476 und 1497 in vierzehn Abschriften und vier Druckausgaben (1520–1522 kamen noch weitere vier hinzu), was zeigt, auf welchen Widerhall solche Ideen stießen. 16 Nach dem Konzil von Basel konzentrierte sich das Reformschrifttum mehr auf die Institutionen des Reichs und auf den Konflikt zwischen dem Monarchen und den Ständen. Dennoch blieb das Interesse an einer Kirchenreform erhalten. Es tauchte regelmäßig in der populäreren Beschwerdeliteratur auf, wie etwa in dem Traktat des »Oberrheinischen Revolutionärs« (um 1500–1510).Vor allem aber wurde es in den Gravamina nationis Germanicae institutionalisiert. 17 Dieser Katalog von »Beschwerden der deutschen Nation« über die Kirche entstand, weil das Wiener Konkordat die Dekrete von Basel außer Acht gelassen hatte. Mit ihnen hätte man sich diversen Auswüchsen widmen können (wuchernde vatikanische Bürokratie, Steuerlasten, Missbrauch kirchlicher Gerichtsverfahren). So aber wurden sie schon bald zu einem Politikum gemacht, nicht zuletzt durch die Kirchenfürsten selbst, deren Einkünfte betroffen waren. Ein erster Entwurf wurde auf der Mainzer Provinzialsynode von 1455 formuliert und im folgenden Jahr auf dem Reichsdeputationstag in Frankfurt (Main) erörtert. 1458 wurde die Liste erweitert und formell vom Reichstag übernommen. Danach stand sie bei praktisch jedem Reichstag und Reichsdeputationstag auf der Tagesordnung. Die Gravamina wurden in der Reichspolitik zu einer Art fixer Idee und später von den Humanisten wie auch von Maximilian I. in seiner (primär politisch ausgerichteten) Kampagne gegen das Papsttum zu Propagandazwecken ausgenutzt. 1518 beriefen sich die Stände darauf, um ihre Ablehnung der materiellen Unterstützung eines Kreuzzugs gegen die Türken zu rechtfertigen. Im darauffolgenden Jahr nahm Karl V. sie in seine Wahlkapitulation auf und 1520 fanden sie ihren wirksamsten Verfechter in Luther, der sie zur Grundlage seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation machte.

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Eine besondere Schärfe erhielten die Gravamina durch die Behauptung, Franzosen, Italiener und Spanier würden die Kurie dominieren, während der Vatikan die deutschen Lande härter als alle anderen auspresste, um die dekadente Lebensweise der Päpste und ihrer Günstlinge zu finanzieren. Die Gültigkeit dieser Behauptungen ist schwer nachzuweisen. Die Vorherrschaft von Franzosen und Italienern in der Kurie von Avignon wurde durch eine wachsende deutsche Präsenz in Rom während des Schismas ausgeglichen und fand ihren Höhepunkt in den Pontifikaten von Martin V. und Eugen IV. Danach scheint der päpstliche Hof für die Deutschen nicht mehr so attraktiv gewesen zu sein, denn das Fürstenkonkordat und das Wiener Konkordat sorgten für die Entstehung von Landeskirchen im Reich. 18 Wie immer die nationale Zusammensetzung der Kurie gewesen sein mag – die Päpste jedenfalls sorgten für ihr materielles Wohlergehen mit Methoden, die zunehmend Kritik herausforderten. Besonders ging es dabei um die Versorgung von Kurienkardinälen mit mehrfachen Pfründen, denn solche Personen waren selten mit nur zwei oder drei solcher Posten zufrieden. Der Bischof und Kardinal Willem van Enckenvoirt (* 1464, † 1534) etwa sammelte neben zwei Bistümern noch mehr als einhundert weitere Pfründe, darunter zwei Bistümer in 26 Diözesen, was ihm ein jährliches Einkommen von 25.000 Dukaten bescherte. Darüber hinaus versorgte er noch weitere Familienmitglieder im Gebiet von Lüttich und unternahm sogar den Versuch, einige dieser Quellen vererbbar zu machen. 19 Es wundert nicht, dass antipapistische Flugschriften Hohn und Spott über die römischen »Kurtisanen« ausgossen, die zynisch die Gläubigen ausbeuteten und ihre Kirchen usurpierten. Die Frage der fiskalischen Ausbeutung ist noch schwerer zu beantworten. Maximilian behauptete, der Papst ziehe 100-mal so viel Geld aus dem Reich wie er selbst. 20 Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die tatsächlich vom Reich nach Rom fließende Geldmenge keineswegs so riesig war, wie die Polemik unterstellte, und de facto erheblich weniger, als die »nationale« Kirche von Frankreich zahlte. Grundsätzlich verließ sich das Papsttum nach dem Schisma zunehmend auf die Einkünfte des Kirchenstaats und weniger auf Beiträge der allgemeinen Kirche. Selbst die protestantischen Abspaltungen im 16. Jahrhundert, aufgrund derer man einen beträchtlichen Gewinneinbruch hätte erwarten können, scheinen dem päpstlichen Einkommen kaum geschadet zu haben. 21 Aber Ungerechtigkeit und Ausbeutung gerieten immer deutlicher ins Blickfeld. In gewissem Maß hing das mit der Erinnerung an jene Periode besonders intensiver Ausbeutung während des Schismas zusammen, als der römische Papst fast ausschließlich von Gewinnen aus dem Reich lebte. Danach wurden zwar die papsteigenen Ländereien zunehmend wichtig, doch sorgten die päpstliche Besteuerung von Pfründen sowie der immer umfangreichere Ablasshandel nach 1450 für den nicht mehr verstummenden Ruf nach Reformen.

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Die Verwendung des Terminus Nation im Zusammenhang mit den Gravamina ist häufig als Hinweis auf die Nachteile verstanden worden, die Deutschland aus dem Fehlen einer Nationalkirche à la England oder Frankreich erwuchsen. Selbst abgesehen davon, dass Frankreich sehr viel mehr als die Reichsstände zahlte, ist das Argument falsch, denn die Gravamina waren die Beschwerden der »Nation« der Stände, nicht der »Nation« des Volkes. Vor allem stellten sie die Beschwerden der geistlichen Fürsten dar, die einen beträchtlichen Teil ihrer Pfründe an Rom abführen mussten. Zu einem geringeren Teil ging es auch um die Beschwerden weltlicher Fürsten und Städte, die zunehmend die Kontrolle über die Kirche in ihren Territorien erlangten und nicht einsahen, warum sie einem weit entfernten und »säkularisierten« Papst in Rom Steuern zahlen sollten. Für kirchliche wie weltliche Regenten war auch der Missbrauch kirchlicher Gerichte materiell und politisch bedenklich. Die Gravamina wurden zu einem Schlüsselelement der Reichspolitik unter Maximilian, aber die geistlichen Fürsten hatte die erste Zusammenstellung und ihre Erweiterung schon vor dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts formuliert. Zwar schienen diese Fürsten für die Nation als Ganze zu sprechen, doch waren sie in Wirklichkeit ungeeignet, einem korrupten Papsttum moralische Vorhaltungen zu machen, denn ihre eigene Situation war für manche Beobachter ähnlich problematisch. Denn die deutschen Bischöfe waren, wie die Päpste und im Gegensatz zu ihren Amtskollegen in anderen europäischen Monarchien, zugleich geistliche und weltliche Führer. Die Reichskirche war mehr als nur die Summe der Diözesen im Reich. Sie war integraler Bestandteil seiner verfassungsmäßigen Struktur und seines politischen Systems. Im Wormser Konkordat von 1122 hatte der Kaiser den Anspruch auf die Investitur an die Kirche abgetreten und dafür das Recht erhalten, den Bischöfen die Regalien vor der Weihe zu überreichen. Infolgedessen wurde die Kirche zu einem Vasallen der Krone und die Bischöfe erhielten dieselben Rechte über ihre Territorien wie ihre weniger zahlreichen weltlichen Kollegen. Eine Landkarte der deutschen Kirche würde ähnliche Komplikationen aufweisen wie eine Karte des Reichs und die Auflistung der Bistümer und anderer Institutionen würde dieselbe Art von Problemen zeitigen wie die Beschreibung der meisten Aspekte des Reichs. Im späteren Mittelalter gab es nördlich der Alpen etwa 50 Bistümer, mehr als 250 dagegen auf dem viel kleineren Gebiet Italiens und etwa 75 in Frankreich. 22 Die Bistümer im Norden waren in zehn Provinzen unterteilt, die jeweils einem Erzbischof als Metropoliten unterstanden. Es gab kein formelles geistliches Oberhaupt in der deutschen Kirche, aber es herrschte Einigkeit darüber, dass der höchstrangige Geistliche der Erzbischof von Mainz war, Kurfürst und Reichserzkanzler, dessen Provinz dreizehn Diözesen, von Halberstadt im Norden bis Chur im Süden, umfasste. Die Erzbischöfe von Trier und Köln waren ebenfalls Kurfürsten. Jedoch konnte sich nur Köln (obwohl rangnied-

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riger als Trier) als Erzbistum für fünf Bistümer, darunter Lüttich und Utrecht, mit Mainz vergleichen, während die Suffraganbistümer von Trier – Metz, Toul und Verdun – weniger bedeutend waren und zudem außerhalb des »deutschen« Reichs lagen, wie es sich im 15. Jahrhundert herauskristallisierte. Von den anderen Erzbistümern konnten um 1500 nur Salzburg, Hamburg-Bremen und Magdeburg sinnvollerweise als zum Reich gehörig bezeichnet werden. Die von Besançon, Gnesen, Prag, der Tarentaise (Erzbistum für Sitten/Sion) oder des Patriarchen von Aquileia (Erzbistum für das Trentino) waren eher randständig, auch wenn der Erzbischof von Besançon bis 1679 Reichsfürst war und die Erzbischöfe von Prag als Reichsfürsten auftraten, ohne jemals auf einem Reichstag zu erscheinen. Angesichts dieser Unwägbarkeiten lässt sich nicht einmal die Anzahl der Bistümer im Reich genau beziffern. Das biografische Lexikon der deutschen Bischöfe im Zeitraum von 1448 bis 1648 vermerkt Details von insgesamt 62 Bistümern. 23 Dazu gehören jedoch viele in nichtdeutschen oder peripheren Gebieten des Reichs und seiner unmittelbaren Nachbarn. Bistümer wie Utrecht, Lausanne oder Sion, Pedena oder Triest, Pomesanien oder das Samland lenken die Aufmerksamkeit ab vom harten Kern jener Bistümer, die zugleich Fürstentümer des Reichs waren. Selbst die »Reichsmatrikel« von 1521 führt hier in die Irre. Dort werden neben den Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln 50 weitere Bistümer aufgelistet, dazu 65 Äbte und Pröpste, 14 Äbtissinnen und vier Komtureien der Deutschordensritter. Wer in der Matrikel aufgeführt wurde, besaß »Reichsstandschaft«, das heißt das Recht, am Reichstag teilzunehmen und abzustimmen sowie sich in Form von Steuerzahlungen aktiv am Reich zu beteiligen. Dennoch dürften die tatsächlichen Zahlen beträchtlich niedriger sein, denn einige der dort aufgeführten Stände waren de facto nicht rechtlich unabhängig und im 15. Jahrhundert territoriale Bistümer geworden. So waren Brandenburg, Meißen, Merseburg und Naumburg-Zeitz dem Kurfürstentum Sachsen untergeordnet, Schwerin wurde von Mecklenburg und Cammin von Pommern kontrolliert, das Samland und Pomesanien waren zunächst dem Deutschen Orden und nach 1525 Preußen unterstellt, Schleswig war irrtümlich aufgeführt, denn es gehörte zu Dänemark und auf jeden Fall zum Erzbistum Lund. In der Matrikel von 1521 tauchen auch vier Bistümer auf, die zum Erzbistum Salzburg gehörten (die »Eigenbistümer« Chiemsee, Gurk, Lavant und Seckau, wobei Chiemsee Weihbistum war, während Lavant und Seckau Generalvikariate für jeweils die Steiermark und Kärnten waren). Ihre Bischöfe nannten sich Fürsten, ohne als solche auf dem Reichstag zu erscheinen. Schließt man weiterhin die acht Bistümer in den Niederlanden, Frankreich und der frankophonen Schweiz aus (obwohl sie zu Beginn des 16. Jahrhunderts als funktionierende Mitglieder des Reichstags betrachtet wurden), dürfte die wahre Anzahl der »aktiven« deutschen Fürstbischöfe bei etwa 40 liegen.

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In all diesen Fällen war das Diözesangebiet erheblich umfangreicher als das dem Bischof direkt unterstellte Territorium, das Hochstift. 24 Auch so waren diese Territorien insgesamt von beträchtlichem Ausmaß: Ein Sechstel bis ein Siebtel des Reichsgebiets befand sich in kirchlichem Besitz. 25 Da die viel größeren Diözesangebiete in das Territorium benachbarter weltlicher Fürstentümer und unabhängiger Städte hineinreichten, gab es häufig Anlass zu Auseinandersetzungen über Kollations- und Besteuerungsrechte, über das Recht, Statuten für den niederen Klerus aufzustellen und, last, not least, über die Rechtsprechung kirchlicher im Gegensatz zu der weltlicher Gerichte. Streitigkeiten zwischen Bischöfen und Reichsstädten waren, wenn der Bischofssitz in der Stadt lag, im späteren Mittelalter weit verbreitet und endeten oft mit der Vertreibung des Bischofs aus der Stadt. Um 1500 hatten die Fürstbischöfe von Augsburg, Basel, Köln, Konstanz, Speyer, Straßburg und Worms gezwungenermaßen Zuflucht in Residenzen außerhalb der Stadtmauern gefunden. Der spätere Glanz dieser Residenzen, wie etwa Bonn für Köln oder Meersburg für Konstanz, ließ vergessen, dass es ursprünglich Symbole einer Niederlage waren. 26 Obwohl die Residenzen und Regierungssitze einiger Bischöfe nicht bei ihren Kathedralen lagen und der bischöfliche Einfluss jenseits des Hochstifts generell unsicher war, waren viele die Herren über Territorien von beträchtlicher Größe. Salzburg, Münster, Köln, Mainz, Trier und Würzburg konnten es fast mit den größten weltlichen Fürstentümern aufnehmen. Freising, Straßburg, Konstanz, Regensburg, Worms und Chur waren relativ klein und die letzten drei besonders arm, dennoch befanden sie sich, was Größe und Einfluss anging, auf den mittleren Rängen der deutschen Territorien. Selbst die weniger bedeutenden kirchlichen Regenten konnten in der Landesoder gar Reichspolitik bisweilen eine wichtige Rolle spielen, wenn eine Verbindung zu einem größeren weltlichen Territorium hergestellt wurde. So waren Worms, Speyer und der Deutschritterorden (dessen Hochmeister nach 1527 vom schwäbischen Mergentheim aus über einen territorialen Flickenteppich herrschte) praktisch zu Anhängseln des Kurfürstentums Rheinpfalz geworden. Die bayrischen Wittelsbacher beherrschten Freising und Regensburg und konkurrierten mit den Habsburgern um den Einfluss auf die Domkapitel und die von den Stiftsherren gewählten Vertreter. 27 Viele Kritiker der Kirche in Deutschland empfanden es als problematisch, dass die Kirchenführer sich kaum anders als weltliche Herrscher benahmen und allzu häufig ihre geistlichen Vorrechte und Pflichten ausnutzten, um rein weltliche Ziele zu verfolgen. Das konnte allerdings nicht überraschen. Ab dem frühen Mittelalter war die Reichskirche ein Spiegel der Struktur des Reiches selbst gewesen: Es war eine aristokratische Kirche. Die Bischöfe wurden von den Domkapiteln gewählt, und die bestanden zumeist aus Aristokraten. In Straßburg beispielsweise gehörten

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dem Kapitel ausschließlich Angehörige des Hochadels (Grafen und Ritter) an. In Köln waren zukünftige Stiftsherren durch ein Statut von 1475 verpflichtet, 32 adlige Vorfahren nachzuweisen; ein vergleichbares Statut für Trier aus dem Jahr 1500 machte 16 adlige Vorfahren zur Voraussetzung. Im späten 15. Jahrhundert scheinen die Domkapitel sich generell gegen die Vorboten der neuen, nach oben strebenden, universitär gebildeten Klasse von Verwaltungsfachleuten abgeschottet zu haben. Zwischen 1474 und 1517 wurden Nichtadlige in Basel, Augsburg, Paderborn, Münster und Osnabrück per Statut von den Domkapiteln ausgeschlossen. Im Nordwesten und Südosten des Reichs war die Zusammensetzung der Kapitel nicht so einheitlich; dort fand man auch Bauern und Bürger unter den Stiftsherren. Im Westen dagegen war der Einfluss des Adels ungebrochen. Dort hatten die exklusiven Domkapitel, Stifte und Abteien wirklich die Bezeichnung »Spitäler des deutschen Adels« verdient, die häufig der Reichskirche insgesamt verliehen wurde. Erst nach langen und zähen Kämpfen konnte Maximilian I. 1500 das Domkapitel von Augsburg zu der Ausnahme überreden, seinen Schützling Matthäus Lang, den späteren Kardinal und Erzbischof von Salzburg, als Propst aufzunehmen. Nur selten wurde die Exklusivität der adligen Kapitel durchbrochen. So sagte man, dass in Sankt Alban vor Mainz (ein Kollegiatstift, das keineswegs zu den exklusivsten gehörte) nicht einmal Jesus Christus selbst als Stiftsherr aufgenommen worden wäre. 28 Da die Domkapitel mit Männern besetzt waren, die sich in erster Linie als Adlige und dann erst als Geistliche sahen, wählten sie auch nur Kandidaten von gleichem oder, häufiger noch, höherem Rang in die höchsten Ämter. Von 166 Erzbischöfen, die zwischen 900 und 1500 im Reich gewählt wurden, sind nur vier als Nichtadlige bekannt. 29 Von 2074 Bischöfen, die zwischen dem 7. und 15. Jahrhundert gewählt wurden (wobei die 31 Prager Bischöfe unberücksichtigt bleiben), kamen nur 115 nicht aus dem Adel. Dagegen entstammten 1169 dem höheren Adel (waren »freiadlig« oder »edelfrei«, das heißt Vasallen des Monarchen) und 359 dem niederen Adel (waren Vasallen eines Fürsten). 30 Konnte sich doch einmal ein Nichtadliger durchsetzen, dann fast immer, weil er reich war oder von einem Fürsten protegiert wurde. Fromme Gelehrte aus einfachen Verhältnissen wie Nikolaus von Kues, der Sohn eines moselanischen Bootsführers und spätere Kardinal und Bischof von Brixen, waren die absolute Ausnahme. Die Lage am Vorabend der Reformation war Spiegelbild der Entwicklung im Mittelalter. Analysiert man 38 Bistümer, die von 33 Fürstbischöfen regiert wurden, findet man unter diesen lediglich fünf Nichtadlige (Lübeck, Ratzeburg, Brandenburg, Cammin und Chur). Alle Bischöfe waren Deutsche und keiner von ihnen fiel in die Kategorie »römische Höflinge«, die einigen Kritikern zufolge die deutsche Kirche unter Kontrolle hatten. Zwölf Bischöfe waren Söhne von Fürsten und vier von ihnen regierten mehr als ein Bistum. Albrecht von Brandenburg war Erz-

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bischof von Mainz und Magdeburg, ferner Bischof von Halberstadt sowie Inhaber einer Vielzahl kleiner Pfründe. Christoph von Braunschweig-Wolfenbüttel war für Bremen und Verden zuständig; Erich von Braunschweig-Grubenhagen war Bischof von Münster und Paderborn. Philipp von der Pfalz amtierte nicht nur in Naumburg, sondern auch in dem gut 400 km entfernten Freising. 31 Insgesamt waren die Bischöfe für ihr Amt – wenn überhaupt – durch ihre Fähigkeiten als Politiker und Verwalter qualifiziert, nicht durch religiöse Bildung oder Frömmigkeit. Allzu vielen war weitaus mehr an weltlichen Gütern und Vergnügen gelegen als an ihrer Aufgabe als geistlichen Hirten. Ruprecht von PfalzSimmern war von 1440 bis 1478 Bischof von Straßburg, hielt aber keine einzige Messe ab. Bei seinem Tod kam heraus, dass er offensichtlich seine Amtsinsignien verloren hatte, denn weder Mitra noch Krummstab waren zu finden. Wilhelm von Honstein, 1506 in Straßburg gewählt, ging in den 28 Jahren als Bischof weder zur Beichte, noch predigte er. 32 Von Heinrich Wied, gewählt 1515 in Köln, hieß es, er sei unfähig gewesen, das lateinisch abgefasste Beglaubigungsschreiben des englischen Gesandten Richard Pace zu verstehen, als er 1519 auf dem Reichstag an der Kaiserwahl teilnehmen wollte. Und es ist nicht einfach zu verstehen, wie Magnus von Mecklenburg als glaubwürdiger Diener der Kirche angesehen werden konnte, da er im Alter von sieben Jahren 1516 zum Bischof von Schwerin gewählt wurde. Aber auch Nichtadlige, die das »Glasdach« der Aristokratenkirche durchbrechen konnten, benahmen sich bald ebenso wie ihre adligen Kollegen. Matthäus Lang, der Sohn eines verarmten Augsburger Patriziers hatte gekämpft, um am Domkapitel zu Augsburg 1500 seinen ersten Posten als Propst zu erlangen. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere verfügte er über Pfründe in Italien, Spanien und Frankreich wie auch in Deutschland und, wie es heißt, über ein Einkommen von etwa 50.000 Gulden. 33 Nach 1519, als Erzbischof von Salzburg, ließ er seiner monumentalen Eitelkeit und Arroganz freien Lauf. Er übertraf viele seiner aristokratischen Kollegen an Pomp und zeremoniellen Gepflogenheiten, indem er darauf bestand, jederzeit von einem Gefolge von nicht weniger als 80 Personen umsorgt zu werden. Das zumindest galt für einen geistlichen Potentaten im Reich als angemessen. Als, ganz im Gegensatz dazu, der fromme Friedrich, Graf von Hohenzollern, von 1486 bis 1505 Bischof von Augsburg, auf den Nürnberger Reichstag 1487 in geistlicher Kleidung erschien, wurde er gnadenlos als »welscher« Italiener auf der Suche nach einem Kardinalshut verspottet. 34 Derlei Zustände zogen unvermeidlich Kritik auf sich. 35 Der kampflustige Prediger Johann Geiler von Kaysersberg (* 1445, † 1510), der die Korruption in der Kirche geißelte, behauptete gar, seit einhundert Jahren habe man keinen deutschen Bischof mehr bei der Ausübung einer geistlichen Pflicht beobachten können. 1519 äußerte Berthold Pürstinger, der nichtadlige Bischof von Chiemsee

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(1508–1526), der schließlich sein Amt aufgab, um sich im Kloster Gebeten und geistlichen Studien hinzugeben, dass die Pflichtvergessenheit seiner Bischofskollegen die Kirche an den Rand des Ruins und die Welt zur Aussicht auf die Apokalypse gebracht habe. Solche Kritik war, zusammen mit der Realität, die ihr Nahrung gab, Wasser auf die Mühlen der Historiker bei ihrer Suche nach den Ursachen der Reformation. Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Zeitgenössische Kritiker der Hierarchie äußerten sich zwar lautstark, waren jedoch nicht zahlreich. Zudem haben Autoren in der Folgezeit zu häufig die spätmittelalterliche Kirche an den vom Konzil von Trient gesetzten Maßstäben gemessen. Das nachtridentinische Bischofsideal kannte aber nur wenige kirchengeschichtliche Modelle. Für sich betrachtet war die Führungsschicht der deutschen Kirche möglicherweise besser oder doch nicht so schädlich, wie ihr historischer Ruf vermuten lässt. So fällt die Tatsache ins Auge, dass die Reichskirche insgesamt die Reformation überlebt hat. Jene Teile, die schließlich protestantisch wurden, waren im Norden, vor allem in den Einflusssphären von Sachsen und Brandenburg, angesiedelt und auch dort fand die formelle Konversion erst nach 1550 statt. Das Überleben der Bistümer und anderer kirchlicher Institutionen zeugt immerhin von dem politischen, diplomatischen und militärischen Können ihrer Oberhäupter. Mögen manche auch eine weltliche und ausschweifende Lebensweise gepflegt haben, so waren sie doch der Institution, die sie repräsentierten, angesichts ihrer Gefährdung verpflichtet. Ebenso gilt, dass viele geistliche Fürsten ehrlich bemüht waren, ihren spirituellen Verpflichtungen nachzukommen. Im späteren 15. Jahrhundert gab es in Köln zwischen den Erzbischöfen, dem Klerus, dem Stadtrat und der Laienschaft ein friedliches Ringen um die Verbesserung der religiösen Lebensweise der Gemeinde. 36 Die Bischöfe von Straßburg haben die Messe vielleicht nicht regelmäßig, bisweilen auch gar nicht, gehalten, aber sie beriefen Synoden ein und unternahmen wiederholt weitreichende Reformversuche zur Verbesserung der Bedingungen in den Kirchspielen. Wie wirksam diese waren, steht auf einem anderen Blatt, doch ist auffällig, dass der niedere Klerus vielen Reformvorschlägen energischen und erfolgreichen Widerstand entgegensetzte. Genauere Informationen fehlen, aber es hat den Anschein, als sei es im Zeitraum zwischen 1450 und 1515 in vielen Bistümern zu verstärkten synodalen Aktivitäten gekommen. 37 Auch in anderer Weise wurde die geistliche Führungskraft gestärkt. Im 15. Jahrhundert gab es, zusätzlich zu den Beamten, die für die Rechtsangelegenheiten einer Diözese zuständig waren, eine bedeutsame Zunahme von Auxiliaroder Weihbischöfen und Generalvikaren. 38 Um 1500 hatten 21 Fürstbistümer Weihbischöfe, Mainz sogar deren zwei: einen für das Rheinland, den zweiten für Thüringen. Ursprünglich sollten sie, als Hilfskräfte eines Bischofs, die Befugnisse der Erzdiakone beschränken, die im 13. Jahrhundert so mächtig geworden waren,

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dass einige Bischofssitze Gefahr liefen, von ihnen übernommen zu werden. Um 1500 waren die Weihbischöfe und Generalvikare die geistlichen Vertreter der Bischöfe und im Kontrast zu ihren Vorgesetzten, die sich mit dem geistlichen Amt bisweilen schwertaten, gebildet, nichtadlig und stammten häufig aus Mönchsorden. So waren sie typischerweise gute Kirchenmänner und Theologen – und zudem, was nicht unwichtig war, preiswert, denn die Bischöfe mussten sie aus eigener Tasche bezahlen. Zwar waren unter den deutschen Bischöfen Theologen selten und Heilige eher gar nicht vorhanden, doch hatten etliche ausgeprägt humanistische Interessen. Dazu gehörte Albrecht von Mainz, Magdeburg und Halberstadt, dessen zynischer Umgang mit dem Ablasshandel (schließlich musste er die Kredite begleichen, die er aufgenommen hatte, um dem Papst die Gebühren für die Vielzahl seiner hohen Ämter zu bezahlen) Luther 1517 zur Veröffentlichung seiner 95 Thesen veranlasste. Der »säkularisierte« Fürstbischof der Renaissance war die Regel. Aber es gab genug humanistisch interessierte Bischöfe, um die eher positive Einschätzung des ansonsten so kritischen Johann Weiler zu rechtfertigen, als er einmal bemerkte, es gebe »viele fromme Führer«. 39

Anmerkungen 1 Strauss, »Ideas«; Dickens, German nation, 8–17. 2 Patschovsky, »Reformbegriff«; Leuschner, Deutschland, 201–209; Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 63–70. 3 McGrath, Origins, 69. 4 Cameron, Reformation, 74–75. 5 Cameron, Reformation, 61–63. 6 Thomas, Geschichte, 369. 7 Thomas, Geschichte, 371–372. 8 Borgolte, Kirche, 28–29; Boockmann, »Zusammenhang«; Leuschner, Deutschland, 205– 209. 9 Hürten, »Akzeptation«. 10 Meyer, »Konkordat«. 11 Borgolte, Kirche, 74–75. 12 Märtl, »Reformgedanke«; Krieger, König, 49–53, 114–118. 13 Bautz, Kirchenlexikon, Bd. XIV, 1565–1569. 14 Bautz, Kirchenlexikon, Bd.VI, 889–909. 15 Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 84–89. 16 Schulze, Deutsche Geschichte, 59. 17 Gebhardt, Gravamina; Rublack, »Gravamina«; Stichwort »Gravamina« in TRE, Bd. XIV, 131–134; Hirschi, Wettkampf, 143–156. Zum Kontext der ursprünglichen Gravamina vgl. auch Tillinghast, »Reformation«. 18 Borgolte, Kirche, 90–91. 19 Munier, »Enckenvoirt«.

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Lortz, Reformation, Bd. I, 77. Paartner, »Financial policy«, 49; Hoberg, »Einnahmen«, 83–85. Moraw, Reich, 137. Gatz, Bischöfe 1448–1648, IX. Das größere Ausmaß der Diözesen im Gegensatz zu den Fürstbistümern, die von den Bischöfen als Fürsten regiert wurden, zeigen die Karten in Gatz, Atlas, 57–143. Moraw, Reich, 137. Ziegler, »Hochstifte«. Press, »Adel«, 340. Press, »Adel«, 338. Schulte, Adel, 62; Schubert, Spätmittelalter, 253–255. Die Herkunft von weiteren neun Erzbischöfen ist unsicher. Santifaller, Geschichte, 132. Die soziale Herkunft von 421 Bischöfen ist unbekannt; fünf waren »Unfreie«, fünf weitere Ausländer. Wolgast, Hochstift, 22. Blickle, Reformation, 32. Rabe, Geschichte, 152. Gatz, Bischöfe 1448–1648, 198–200. »Welsch« war ein abwertender Ausdruck, der sich auch auf etwas Italienisches beziehen konnte; später bezog er sich allgemein auf Südländisches, darunter auch spanische Denotate. Zum Folgenden vgl. Hermelink, Reformation, 25, 43, 181. Schilling, »Reformation«, 15–16. Cameron, Reformation, 44. Brodkorb, »Weihbischöfe«; Wolgast, Hochstift, 27. Janssen, Geschichte, Bd. I, 629; Schindling, »Reichskirche«, 103–108; Wolgast, Hochstift, 26–27 Schmid, »Humanistenbischöfe«.

8. Religiöse Erneuerung und die Laienschaft

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ie sehr auch einige Bischöfe versucht haben mögen, Bestandteile des von den Konzilen von Konstanz und Basel entwickelten Reformprogramms umzusetzen, standen ihnen doch große Hindernisse im Weg, die die geistliche Fürsorge erschwerten. Zu den Hauptproblemen zählte die schiere Größe der deutschen Diözesen. So gehörten zu Konstanz 1.700 Pfarrgemeinden, zu Augsburg mehr als 1.000 und selbst das Mainzer Erzdiakonat von Erfurt umfasste noch an die 500 Gemeinden. 1 In manchen Diözesen wurden die damit einhergehenden Verwaltungsprobleme noch durch die Abschaffung der Erzdiakonate im 14. und 15. Jahrhundert verschärft. Mit dieser Maßnahme sollte die potenzielle Gefahr gebannt werden, die den Bischöfen durch die mächtigen »territorialen« Erzdiakone (oder Archidiakone) drohte. Allerdings geschah das häufig noch, bevor das System der Weihbischöfe, die an die Stelle der Erzdiakone treten sollten, weit genug gediehen war. 2 Darüber hinaus gab es viele Gebiete, in denen weltliche Fürsten versuchten, ihre Geistlichen vor der Autorität der Diözese zu »schützen«, und so noch die wohlmeinendsten provinzialen oder diözesanen Synodalstatuten untergruben. Weitere Spannungen wurden dadurch hervorgerufen, dass weltliche Regenten sich zwischen den niederen Klerus und die adligen Stiftsherren und Bischöfe drängten. Die gewöhnliche Geistlichkeit war oft wenig erfreut über die Art, in der Schulden, die adlige Amtsinhaber bei der Kurie angehäuft hatten, an die Gemeinden weitergereicht wurden. Genauso ärgerniserregend waren die zahllosen Gebühren und Bußgelder, die von den Bischöfen für alle möglichen Vorkommnisse erhoben wurden, sei es für das Versäumnis von geistlichen Pflichten oder für die Verwendung von Kerzen bei Trauungen zu verbotenen Zeiten. In der Steuererhebung waren die Bischöfe so einfallsreich wie die Päpste. Zudem flossen ihnen beträchtliche Einkünfte aus dem Recht zu, den Geistlichen wie auch den Laien bei bestimmten Sünden (wie etwa Vergehen gegen heilige Objekte, fleischlichen Umgang mit einer Nonne, Sodomie, Bigamie und Hexerei, um nur einige zu nennen) die Absolution zu erteilen. Zugleich übernahmen nicht wenige in den Gemeinden die eher weltlichen Sitten ihrer Vorgesetzten. Die Anhäufung von Pfründen geschah auch auf der lokalen Ebene, während grundlegende geistliche Dienste (Taufen, Trauungen, Letzte Ölungen, Begräbnisse usw.) nur gegen Barzahlung geleistet und Bußgelder mit der Androhung von Exkommunikation bei Nichtzahlung erhoben wurden, was alles Anlass zur Beschwerde bot.

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Die Konzentration von zwei oder mehr Pfründen in einer Hand wirkte sich unvermeidbar auf die geistliche Versorgung in den einzelnen Gemeinden aus. Noch stärkere Wirkungen erzeugte die Praxis der Inkorporation, bei der Gemeinden mitsamt ihrem Einkommen einem Kloster, einem Domkapitel oder einem städtischen Hospiz zugeordnet wurden. Solche Einrichtungen versuchten dann zunehmend, ihre Rechte intensiver auszunutzen, als es zuvor die adligen Oberherren getan hatten. Der Pfründner selbst wohnte nicht am Ort und kam oft nur am Sonntag, um die Messe zu lesen. Alle anderen geistlichen Pflichten wurden von Vikaren und Kaplanen versehen, die oft nicht mehr als Arbeiter verdienten. So gab es eine weitere unzufriedene Gruppe von Klerikern und dazu eine für die Basisarbeit unzureichend ausgebildete Schicht. In manchen Diözesen (wie etwa Konstanz, Straßburg und Worms) waren etwa zwei Drittel aller Gemeinden inkorporiert, ungefähr die Hälfte in Augsburg und am Niederrhein, während in Württemberg die Anzahl der Vikare fünfmal so groß wie die der gewöhnlichen Gemeindepriester war. 3 Es kann nicht überraschen, dass diese »Unterschicht« häufig wegen ihres Unwissens kritisiert und darüber hinaus wegen ihrer Angleichung an die Verhaltensweisen der niederen Bevölkerungsschichten verachtet wurde. Vielleicht waren die Beschwerden über Konkubinate übertrieben, doch zeigt die Tatsache, dass in einigen Diözesen die Zahlung von Bußgeldern gegen Priester verhängt wurde, wenn sie mit einer Frau lebten oder diese ein Kind bekam, dass solche Vorfälle weit verbreitet waren. 4 Allerdings müssen solche negativen Vorgänge – Ausbeutung von Inkorporationen und unmoralischer Lebenswandel von Klerikern – in umfassenderer Perspektive gesehen werden. Ebenso wichtig waren die vielen Beispiele reformorientierter Gemeinschaften, die sich im 15. Jahrhundert herausgebildet hatten. Praktisch alle religiösen Orden erfuhren Observanz und solche Impulse für eine Rückkehr zu strengeren monastischen Regeln erhielten weiteren Anschub durch Nikolaus von Kues, der 1450–1452 als päpstlicher Legat die deutschen Lande bereiste. 5 Zwei Erneuerungsbewegungen sind besonders hervorzuheben. Da ist zum einen die von den Benediktinern betriebene Reform, die von Bursfelde bei Göttingen ausging. Unter der Leitung von Johann Dederoth († 1439) und gefördert vom Herzog von Braunschweig wurde Bursfelde von einem verfallenen Anwesen, das angeblich nur noch von einem Mönch und einer Kuh bewohnt wurde, bis 1500 zum Zentrum eines Netzwerks von mehr als 90 Klöstern in Norddeutschland und der Niederrheingegend bis zum Elsass. 6 Vergleichbare Reformaktivitäten gingen von den Benediktinerklöstern in Kastel (Oberpfalz) und Melk (Österreich) aus. Die zweite wichtige Bewegung stellt die augustinische Reform der Windesheimer Kongregation dar. 7 Sie war die mönchische Entsprechung zu den Brüdern vom gemeinsamen Leben und breitete sich ab dem frühen 15. Jahrhundert von Köln

8. Religiöse Erneuerung und die Laienschaft

nach Hessen und Württemberg aus, um schließlich an die 100 Klöster zu umfassen. Wie die Bewegung von Bursfelde legte die Windesheimer Kongregation besonderen Wert auf die strenge Observanz der klösterlichen Regeln. Außerdem betrachtete sie das Studium als zentralen Bestandteil des religiösen Lebens, was manche zu der Vermutung führte, die Kongregation habe der Reformation den Weg geebnet. Die Art von Erneuerung, die von Bursfelde und Windesheim ausging, fand ihre Entsprechung in vielen anderen Orden 8 und auch Laienbewegungen verfolgten vergleichbare Ziele. Zu den wichtigsten gehörten die Brüder vom gemeinsamen Leben, eine Gruppe, die um 1380 von Gert Groote in Deventer gegründet worden war. Dort lebten Kleriker und Laien zusammen und waren dem Gebet und der Wohltätigkeit verpflichtet. Während der nächsten 100 Jahre etablierten sich, vor allem am Niederrhein und in Westfalen, zahlreiche weitere Gemeinschaften, die der Devotio moderna verpflichtet waren. Es handelte sich dabei nicht um Mönche, sondern um Laien, die, wie Peter Dieburg von der Gemeinschaft in Hildesheim formulierte, »mit Frömmigkeit in der Welt leben« wollten. 9 Nach 1450 breiteten sich weitere quasimönchische Gruppen aus: Beginen und Begarden (oder Lollarden) oder einzelne Bruderschaften, die häufig mit einem Hospiz oder Hospital verbunden waren. Und dann gab es noch die Dritten Orden der Franziskaner und Dominikaner. 10 Einige waren äußerst praktisch ausgerichtet, andere sahen sich eher in der Nachfolge der großen Mystiker des 14. Jahrhunderts (etwa Meister Eckhart oder Johann Tauler). Alle jedoch waren bestrebt, jene ideale Lebensweise zu praktizieren, die Thomas a Kempis in De imitatione Christi (Über die Nachfolge Christi) beschrieben hatte. Dieses Schlüsselwerk der Devotio moderna, das in vielen Abschriften kursierte, bevor es 1473 gedruckt wurde, handelte davon, wie Individuen, die nicht an mönchische Klosterdisziplin gebunden waren, ein der Innerlichkeit geweihtes Leben führen sollten. Denn Mönche und Nonnen lebten gewissermaßen außerhalb der Welt, die frommen Laien innerhalb. 11 Zwar wurden diese Gruppen immer einmal wieder der Ketzerei verdächtigt, doch befanden sie sich im Einklang mit der Kirche ihrer Zeit. Sie waren eine der vielen Strömungen im Fluss des Spätkatholizismus, auch wenn sie eher in der Mitte schwammen als am Rand. Jedenfalls stellten sie die Kirche nicht explizit infrage. Dennoch zeigte sich im Anwachsen solcher Laienorganisationen eine untergründige Feindseligkeit gegenüber den formellen Strukturen der Kirche und ein stärker werdender Wunsch nach Emanzipation von einer Institution, der sich die Gesellschaft entfremdet hatte. 12 Die Haltung der Laien der Kirche gegenüber war ambivalent. Wohl gab es nach 1450 wachsende Kritik und Feindseligkeit, doch ebenso eine offenkundige Intensivierung des religiösen Lebens der Laien. Davon zeugen nicht nur die Bruder- und andere Gemeinschaften, sondern auch die Formen des Volksglaubens: die kulti-

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sche Verehrung von Heiligen und ihren Schreinen, die Pilgerbewegungen und manches mehr. Solche Entwicklungen widersprechen der Sichtweise, der zufolge die Reformation aus einem zunehmend radikaler werdenden Antiklerikalismus als Frucht der Mängel und Fehler der spätmittelalterlichen Kirche erwuchs. Zum einen nämlich scheint die Ablehnung des Papsttums gerade dort am stärksten gewesen zu sein, wo die Reformationsbewegung den geringsten Einfluss ausübte, also in Bayern und im Rheinland. 13 Zum anderen fällt ins Auge, dass es zwar Kritik an allem und jedem gab, vom Papst bis hinab zum unwissenden Gemeindevikar, dass aber eine Totalablehnung der Kirche selten vorkam. Um 1500 war auch der Aufstand der radikalen Hussiten bereits Geschichte. Die Utaquisten lebten in Prag in unsicherer Koexistenz mit Rom, während die Böhmischen Brüder, immerhin einige Hunderttausend Gläubige, relativ zurückgezogen in Nordböhmen als potenzielle Opfer von Verfolgung und abhängig von der Protektion durch Adlige, keinesfalls aber als militante Angreifer lebten. 14 Obwohl die Brüder die römische Kirche 1467 formell verlassen hatten, blieben sie einigen ihrer Ideale verpflichtet. Und selbst die radikalsten hussitischen Pfarrer, die die Messe »mit Zinnbechern in Scheunen« abhielten, wollten ein besseres Priestertum, anstatt es in Bausch und Bogen zu verwerfen. 15 Zudem war das Hussitentum ein auf Tschechien begrenztes Phänomen und übte schon in den Nachbarregionen von Mähren und Schlesien keinen großen Einfluss mehr aus. Allgemein gab es in den deutschen Landen am Vorabend der Reformation weniger Häresie als zu so gut wie jeder anderen Zeit zuvor. Die teils verbalen, teils physischen Angriffe auf den Klerus hatten ihre Ursachen in etwas Komplexerem als einfacher Ablehnung. Mit der Zeit schälten sich zwei besonders schwerwiegende Vorwürfe heraus. Zum einen hieß es, die Angehörigen des Klerus überschritten ihre Machtbefugnisse. Zum anderen wurde behauptet, ihre Lebensweise sei der Geltung ihres Wirkens abträglich. Die Angst davor, dass von ausschweifenden und sündigen Priestern gespendete Sakramente ungültig sein könnten, war ein in der Beschwerdeliteratur um 1500 häufig geäußerter Vorwurf. 16 Beide Punkte geben wichtige Hinweise auf Wesen und Bedeutung des Antiklerikalismus. In ihnen spiegelt sich eine langfristige Veränderung in der Beziehung zwischen Kirche und Gesellschaft, keineswegs aber eine Trennung. Der erste Punkt betraf die Empörung darüber, dass der Klerus sich in weltliche Angelegenheit einmischen konnte, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. 17 Darauf richteten sich die Beschwerden über die Rechtsprechung der geistlichen Gerichte in Rom oder auf der Ebene der Diözesen einerseits und über den Umgang mit Bann, Interdikt und Exkommunikation andererseits. 18 Die Kritik entsprang einem auf allen Ebenen wachsenden Bedürfnis nach einer kirchlichen Reform und die Enttäuschung über das Versagen der Konzile veranlasste Laien aller Gesellschaftsschichten, die Angelegenheit selbst anzupacken. Das war lediglich

8. Religiöse Erneuerung und die Laienschaft

das logische Ergebnis der konziliaristischen Bewegung. Denn dadurch war nicht nur die Autorität der Kirche beschädigt worden, sondern die Bewegung hatte auch die Laienschaft in Gestalt weltlicher Autorität mit einer Schlüsselrolle versehen. Schließlich war es König Sigismund gewesen, der die Initiative für das Konzil von Konstanz ergriffen hatte, und nicht der Papst. Zwar erlitt der Konziliarismus selbst eine Niederlage, aber die Päpste erkannten in den Konkordaten der folgenden Jahrzehnte die Entscheidungsbefugnis der weltlichen Mächte in Kirchenangelegenheiten an. In den deutschen Territorien führte dies zu einer Reihe von Initiativen seitens einzelner Fürsten, die Regelung kirchlicher Angelegenheiten zu übernehmen. Zum Teil war das rein politisch motiviert und keine neue Erscheinung. So hatte Rudolf von Habsburg erklärt, dass er in seinen Landen Papst, Erzbischof, Bischof, Erzdiakon und Dekan sein wolle. Ähnlich hatte der Herzog von Bayern schon 1367 bestritten, dass »Papst, Kaiser und König« in seinen Gebieten etwas zu sagen hätten. 19 Das Diktum »Der Herzog von Kleve ist in seinem eigenen Land Kaiser und Papst« war im 15. Jahrhundert gängige Münze. 20 Solche Initiativen konnten unterschiedliche Dimensionen annehmen. Einerseits gab es Fürsten wie die Habsburger und die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen, die die Kontrolle über die Bistümer in ihren Gebieten anstrebten, wobei die Konkordate der 1440er Jahre diesen Bestrebungen das formelle Siegel aufdrückten. Auf diese Weise verloren viele Bistümer ihren kirchenunmittelbaren Status und wurden als »Landesbistümer« weltlichen Regenten unterstellt: So erging es Chur im Schweizer Kanton Graubünden und Gurk in Österreich, Naumburg, Merseburg und Meißen in Sachsen sowie den Bistümern von Brandenburg, Havelberg und Lebus im Kurfürstentum Brandenburg. Der Einfluss der Herzöge von Mecklenburg auf Schwerin und Ratzeburg war weniger formell, aber deshalb nicht schwächer. Die Kurfürsten der Pfalz konnten zwar Speyer und Worms nicht »kolonisieren«, aber erfolgreich beherrschen, so wie die Herzöge von Bayern bestrebt waren, ihre Interessen bei Bischofswahlen in Regensburg, Freising, Passau und Salzburg durchzusetzen. 21 Den Herzögen von Kleve und Jülich-Berg hingegen gelang es nicht, die Kirche in ihren Gebieten der Oberhoheit des Erzbischofs von Köln zu entziehen, und in Hessen schlug ein Versuch der Landgrafen fehl, ein ihnen untergeordnetes Bistum zu errichten. Jedoch war in allen drei Territorien das vorreformatorische Jahrhundert durch den Kampf gegen die höhere geistliche Autorität bestimmt. Viele Gebiete versuchten auch, die Kontrolle über die Klöster und damit über die in ihnen inkorporierten Gemeinden zu erlangen. Dieses Ziel verfolgten sogar Fürsten wie die Grafen und Herzöge von Württemberg, die es ansonsten vermieden, mit der zuständigen geistlichen Autorität (in diesem Fall dem Bischof von Konstanz) aneinanderzugeraten. Zum Teil gehörte das zum Bestreben, das An-

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sehen der geistlichen Gerichte zu untergraben und Kontrolle über die kirchlichen Einkünfte zu erlangen, den Klerus selbst der Besteuerung zu unterwerfen. Aber es war auch Ergebnis der Einsicht, dass zwischen einer gut geführten Kirche und einem florierenden Land durchaus ein Zusammenhang bestand. Ein frommer Klerus verbreitete fromme Lehren. Fromme Lehren kamen der Laienschaft zugute und waren so eine unverzichtbare Ergänzung für bestehende Gesetze und Reglements. Kurz, die Kirchenreform versprach bessere soziale Disziplin. Aus diesem Grund förderten viele Fürsten die Observanzbewegung in ihren Gebieten, indem sie Prüfungen initiierten und Dekrete in Kraft setzten, um Moral und geistliche Praxis des Klerus zu verbessern. In Württemberg beispielsweise erweiterte Graf Eberhard nicht nur seine Patronatsrechte und war bemüht, das gute Predigen praktisch zu fördern. 1477 holte er die Brüder vom gemeinsamen Leben nach Urach und gründete danach weitere Häuser, eines davon, ein typisches, 1491 zu Sankt Peter in Einsiedeln. Dort lebten zwölf Geistliche, zwölf Adlige und zwölf Bürgerliche unter der gemeinsamen Leitung eines Propstes und eines adligen »Verwalters«, um das christliche Gemeinschaftsleben zu praktizieren. Es war ein Mikrokosmos des Gesamtgebiets. 22 In jener Zeit versuchten auch die Städte, mit ähnlichen Initiativen Rechtsprechung und Kontrolle über Kirchenorganisationen vor Ort zu erlangen. Reichsstädte wie Augsburg, Nürnberg und Straßburg wollten, oftmals gegen den Widerstand des zuständigen Bischofs, die Geltung ihrer Jurisdiktion auch auf den Klerus ausweiten und sich das Recht sichern, die Berufungen für ihre Pfarrkirchen selbst vorzunehmen. Außerdem übten sie in zunehmend stärkerem Maß die Vormundschaft über alle Arten geistlicher und wohltätiger Institutionen aus, was letztlich auf eine äußerst genaue Kontrolle hinauslief. 23 Die Motive und Ziele dieser Vorgehensweise waren keine anderen als die in den Territorien: Die Laienschaft wollte sich der Rechtschaffenheit der Kirche und damit der Reinheit der Sakramente versichern, denn die Laien waren davon überzeugt, dass Stabilität und Wohlstand der Gesellschaft davon abhingen. Darin liegt eine bemerkenswerte Verkehrung der Rollen, denn im Mittelalter hatte lange Zeit der Klerus der Laienschaft die Regeln vorgegeben und ihre Moral überwacht. 24 Der grundlegende Trend ging dahin, dass die Laien die Kontrolle über und die Verantwortung für ihre Kirche übernahmen. Diese Verschiebung ist auch an den Gemeinden in Stadt und Land zu beobachten. Häufig genug gab es Gemeinden, die das Recht beanspruchten, ihre Geistlichen selbst zu berufen, oder die, oftmals mit erheblichen Kosten verbunden, die Versorgung mit Predigten oder die täglich zelebrierten Messe finanzierten. 25 Die allmähliche Herausbildung einer den Glauben aktiv und selbstbewusst praktizierenden Laienschaft lässt sich auch an vielen anderen religiösen Erscheinungsformen der vorreformatorischen Jahrzehnte beobachten. Die Laien waren weit davon entfernt, sich gegen die Kirche zu wenden; vielmehr begrüßten sie

8. Religiöse Erneuerung und die Laienschaft

begeistert vieles von dem, was sie bot, und suchten gelegentlich religiöse Ausdrucksweisen, die parallel zur etablierten Kirche, aber außerhalb von ihr, verliefen. Die Laienfrömmigkeit fand ihren Ausdruck innerhalb der Kirche, als ab 1405 fortwährend neue Messen gestiftet wurden, eine Bewegung, die erst nach 1520 abebbte. In diesen Zeitraum fiel auch die vermehrte Verehrung verschiedener religiöser Phänomene wie der Eucharistie, der Figur des Gekreuzigten, der Jungfrau Maria und einer wachsenden Anzahl von Schutzheiligen. Schon bald erwiesen sich die Kirchen als zu klein für diese neuen Formen des Gottesdienstes und so gab es bald einen regelrechten Bauboom: Neue Kirchen wurden errichtet, alte ausgebaut, um die Altäre und Bilder aufnehmen zu können, die mit der Ausbreitung der Glaubensformen einhergingen. Vom Elsass und Oberösterreich bis nach Holland und dem Baltikum konnte der spätgotische Kirchenbau kaum mit dem Spendeneifer von adligen und bürgerlichen Kongregationen in Stadt und Land Schritt halten. 26 Parallel dazu führten die eucharistische Anbetung und die Verehrung der Jungfrau zur Entstehung von Laienbruderschaften. Die erste Rosenkranzbruderschaft – der Rosenkranz selbst scheint von den Kartäusern in Trier nach 1450 erfunden worden zu sein – wurde 1474 mit etwa 5.000 Mitgliedern gegründet. Sie wuchs rasch und soll 1481 bereits mehr als 100.000 Mitglieder umfasst haben. 27 Ähnlich populär waren die Corpus-Christi-Bruderschaften. Andere Phänomene waren mit den traditionellen Formen von Glauben und Gottesdienst nur lose verbunden. Pilgerfahrten zu wundersamen Schreinen und Heiligtümern wie der blutenden Hostie in Wilsnack (Brandenburg) und Sternberg (Mecklenburg), zum Heiligen Rock, der das erste Mal 1512 in Trier gezeigt wurde, oder zu wundertätigen Darstellungen der Jungfrau Maria in Grimmenthal oder Regensburg (wo binnen Jahresfrist nach 1519, als eine solche Erscheinung sich manifestiert hatte, über 100.000 Pilger das Heiligtum besuchten) zeigen, dass die Laien offenbar ihre eigenen Orte zur Verehrung des Heiligen schufen. 28 Die Begeisterung, die solche Phänomene oder nur ihre Verkündung auslösten, war der Kirche wie auch den weltlichen Mächten nicht immer genehm, denn sie konnte allzu leicht in Aufruhr umschlagen. So hörte man zum Beispiel 1476 aus dem fränkischen Niklashausen von einem gewissen Hans Böhm, der, ein Trommler und Pfeifer bäuerlicher Herkunft, all jenen die Freisprechung von ihren Sünden predigte, die der Jungfrau Maria huldigten, während er zugleich Klerus und Adel angriff. Er rief so viel Unruhe und Aufregung hervor, dass der Bischof von Würzburg Bewaffnete schickte, um ihn festnehmen zu lassen. Nachdem eine militante Menge vergeblich versucht hatte, ihn zu befreien, wurde er hingerichtet. 29 Trotz aller Unterschiede zwischen den Eliten und der Masse der Bevölkerung gibt es im Verhalten von Arm und Reich auffällige Ähnlichkeiten. Allerdings mussten Dorfbewohner ihre Ressourcen zusammenlegen, nur um an der gelegentlich stattfindenden Messe teilnehmen zu können, während Adlige wie Graf Werner

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von Zimmern 1483 für ein einziges Jahr eintausend Messen bezahlte, die nur für sein Seelenheil gelesen wurden. 30 Die gewöhnlichen Leute mussten oft weite Entfernungen zurücklegen, um ein beliebtes Heiligtum zu besuchen, wohingegen ein Fürstregent wie der Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen (1486–1525) sich selbst eines errichten konnte. Nach einem Besuch von Jerusalem 1493 gab er beträchtliche Summen aus, um seine Schlosskirche in Wittenberg umzubauen, damit sie seine mehr als 19.000 Reliquien aufnehmen konnte. Darunter befanden sich Schätze wie der einer Knabenleiche aus dem Kindermord zu Bethlehem, Marias Milch sowie Stroh aus dem Stall zu Bethlehem. 31 Ungefähr zur gleichen Zeit sammelte Albrecht von Brandenburg, Kurfürst von Mainz, Reliquien, die ihm 39.245.120 Jahre Absolution garantierten. 32 Auch im Hinblick auf den Ablasshandel gab es Übereinstimmung zwischen Kirche und Laienschaft. Obwohl dessen theologische Fundierung umstritten war, wurde der Verkauf von Ablassbriefen im 15. Jahrhundert beim Papsttum immer beliebter. 33 Ab 1450, so wurde entschieden, sollten Generalablässe an Jubeljahren (also alle 25 Jahre) verkauft werden. Zahlreiche zusätzliche Formen wurden ausgegeben, so wie der Sonderablass von 1506, der zur Beschaffung von Geldern für den Bau von Sankt Peter in Rom diente. Andere waren für lokale Projekte, bisweilen sogar für den Straßenbau, gedacht. Zur gleichen Zeit gab es im Ablasshandel auch höchst zweifelhafte Entwicklungen, von denen das 1506 lancierte Geschäft ein besonderes Extrem darstellt. Der Handel wurde im Reich mit der Unterstützung Albrechts von Mainz verbreitet, dem man die Hälfte des Ertrages zusicherte, damit er seine Schulden bei den Fuggern und beim Papst, dem er wegen seiner Erhebung zum Erzbischof verpflichtet war, bezahlen konnte. Die Ablässe, die bei dieser Gelegenheit verkauft wurden, ermöglichten nicht nur, die Absolution zu einem späteren Zeitpunkt bar zu bezahlen, sondern erlaubte den Käufern auch, die posthume Absolution bereits Verstorbener zu erwirken. Gerade diese Kampagne war für die Reformation von grundlegender Bedeutung. Doch sollte man hervorheben, dass zwar spätere Generationen solche Praktiken als korrupt und theologisch verfehlt betrachteten, diese aber dennoch nicht einfach ein Beweis für die wachsende Kommerzialisierung und Degeneration der Kirche sind. Es ging um das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Luthers Kritik am Ablasshandel kann die Tatsache nicht verdecken, dass der Eifer der frommen Laien, in ihre Seelenrettung zu investieren, für den Erfolg dieser besonderen Form, Geld aufzutreiben, entscheidend war.

Anmerkungen 1 2

Moraw, Reich, 137. Maier, »Archidiakon«, 136–155.

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Blickle, Reformation, 28–29. Blickle, Reformation, 30–31. Meuthen, 15. Jahrhundert, 88. Du Boulay, Germany, 207; Heutger, Bursfelde. Kohl, »Kongregation«. Meuthen, 15. Jahrhundert, 88, 165. Du Boulay, Germany, 211. Bailey, »Religious poverty«. Cameron, Reformation, 62–63. Blickle, Reformation, 20; Israel, Dutch Republic, 41–45. Du Boulay, Germany, 205. Cameron, Reformation, 71–74; Rabe, Geschichte, 154. Du Boulay, Germany, 202. Schubert, Spätmittelalter, 268. Du Boulay, Germany, 201. Cameron, Reformation, 27–29; Blickle, Reformation, 32–33. Du Boulay, Germany, 190–191. Moeller, Deutschland, 42; Hashagen, Staat, 550–557. Schulze, Fürsten, 13–45. Schulze, Fürsten, 23–28. Cameron, Reformation, 59–61. Moeller, Deutschland, 43. Blickle, Reformation, 25–26; Blickle, Gemeindereformation, 179–183. Moeller, Deutschland, 37; Moeller, »Frömmigkeit«, 9–10. Schubert, Spätmittelalter, 275–276. Schubert, Spätmittelalter, 282. Franz, Bauernkrieg, 45–52; Cameron, Reformation, 58. Moeller, »Frömmigkeit«, 14. Cameron, Reformation, 14; Ludolphy, Friedrich, 355–359. Moeller, »Frömmigkeit«, 13. »Ablaß«, in TRE, Bd. I, 347–364, bes. 351–355.

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D

er deutsche Humanismus gehörte zu einer Bewegung, die sich im Lauf des späten 14. und 15. Jahrhunderts von Italien aus in Europa verbreitete. 1 Die deutsche Form verband eine Beschäftigung mit nationalen Ursprüngen und der Frage nationaler Identität mit neuen christlichen Idealen. Darin lag nichts Ungewöhnliches. Der Humanismus war im Wesentlichen eine Methode, in der Lektüre der alten griechischen und lateinischen Texte deren ursprünglichen Sinn zu erfassen. Das Motto lautete: Ad fontes! Dieser Appell, zu den Quellen zurückzukehren, bezog sich zunächst auf die Texte der klassischen Antike, vor allem auf die philosophischen und juristischen Schriften, die das Fundament des westlichen Denkens bildeten. Aber die philologische Methode und die Rückkehr zu den ursprünglichen Bedeutungen konnten auch auf andere Themen angewendet werden. Fast überall in Europa führte die Bewegung zur Neuentdeckung nationaler Ursprünge und Identitäten. Bis zu einem gewissen Grad entsprangen solche Ideen aus der Konkurrenz mit oder der Rebellion gegen die italienischen Renaissancehumanisten, die ihre Überlegenheit aus ihrer antiken Vergangenheit ableiten wollten. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts hatten Gelehrte in fast ganz Europa die Ursprünge ihrer eigenen nationalen Gemeinschaften entdeckt oder erfunden und versicherten häufig, dass diese Ursprünge älter und eindeutiger seien als die der Italiener. 2 Dies führte zwangsläufig zu einer Art Wettbewerb zwischen den nationalen Humanistengruppen, wenn sie versuchten, die Tugenden ihrer jeweiligen Nation als besonders leuchtend und eindrucksvoll hervorzuheben. 3 Und überall drang der Humanismus in die akademischen, theologischen, historischen und politischen Debatten der diversen europäischen Monarchien ein. Im Reich bestand seine besondere Bedeutung darin, dass er ab der Mitte des 15. Jahrhunderts dem wachsenden Bedürfnis nach einer Reform von Reich und Kirche Ausdruck verlieh. Eine Vielzahl von Entwicklungen traf zusammen, um diese erste nationale geistige Konstellation entstehen zu lassen. Die deutschen Humanisten bildeten eine deutlich abgegrenzte Untergruppe der gebildeten Laienschaft. Gern verstünde man sie als die ersten Exponenten einer modernen »weltlichen« Philosophie, doch blieben sie der Kirche verbunden. Allerdings entwickelten sie ein besonderes Ethos, dessen Frömmigkeit auf die Devotio moderna und die Lebensweise der Brüder vom gemeinsamen Leben verwies,

9. Humanismus im Reich

sich aber zugleich davon unterschied. Auch trugen die deutschen Humanisten dazu bei, dass die Kritik an der Kirche wuchs. Besonders ablehnend standen sie der Scholastik gegenüber, die ihrer Meinung nach die Kirche fest im Griff hatte, und sie förderten eine Kritik am römischen Papsttum, die in diesem die Wurzel aller Übel von Kirche und Gesellschaft sah. Auch die Ausweitung der höheren Bildung im 15. Jahrhundert begünstigte das Entstehen des Humanismus. Die Verwaltungen in den Territorien wie den Städten benötigten gut ausgebildete und qualifizierte Beamte, was wiederum zu einer Vermehrung von Arbeitsmöglichkeiten für Nichtadlige führte. Um 1400 gab es grob geschätzt an die 2000 Studenten; einhundert Jahre später hatte sich diese Anzahl verzehnfacht. 4 Im ungefähr gleichen Zeitraum stieg die Anzahl der deutschen Universitäten von fünf (Prag, Wien, Heidelberg, Köln und Erfurt) auf sechzehn, die meisten davon lagen nach 1450 in Oberdeutschland (Germania superior). 5 In vielen Städten wurden Lateinschulen eingerichtet, deren Aufgabe dieselbe wie die der Universitäten war, nur dass sie keine Titel verleihen konnten. Die Lateinschule in Schlettstadt zum Beispiel stand an Qualität und Studentenzahlen den meisten Fakultäten der artes liberales nach 1450 in nichts nach. 6 Diese wachsende Bildungsinfrastruktur geriet zunehmend unter den Einfluss der Renaissanceideale. 7 Anfänglich waren die Ideen aus Italien nur tropfenweise über politische und kaufmännische Verbindungen sowie über deutsche Studenten und Gelehrte, die von italienischen Universitäten zurückkamen, ins Reich gelangt. Stärker wurde der Zustrom durch die Kontakte zwischen Deutschen und Italienern auf den Konzilen von Konstanz und Basel. Wichtig waren ferner Reisen nach und Studien in Italien sowie Kontakte zu Italienern, die sich nördlich der Alpen aufhielten, aber ab 1450 hatte in verschiedenen Teilen des Reichs ein einheimischer Humanismus Fuß gefasst. Die neuen Bildungsideale wurden besonders nachdrücklich von denen vertreten, die eine Reform der universitären Lehrpläne anstrebten. Diese Initiativen konzentrierten sich zunächst auf die niederen Fakultäten der artes liberales, breiteten sich dann aber rasch in den höheren Fakultäten der Theologie sowie, etwas später, der Medizin und der Jurisprudenz aus. 8 Die theologischen Fakultäten waren dabei besonders wichtig: Dort war die Auseinandersetzung mit der Scholastik besonders hart, aber fruchtbringend, und der Kampf um die Lehrpläne gegen die geistlichen Autoritäten prägte den Antiklerikalismus, der den deutschen Humanismus insgesamt kennzeichnete. Außerhalb der Universitäten gab es in Städten wie Augsburg und Nürnberg reiche und gebildete Patrizier – zum Beispiel Conrad Peutinger oder Willibald Pirckheimer –, um die sich kleine Zirkel von Anhängern der neuen Denkweise gruppierten. Spätestens um 1500 hatten die humanistischen Ideale auch einige der führenden Fürstenhöfe und ihre Verwaltungen erreicht: so etwa die habsburgischen Höfe in Wien und Linz, ferner die Höfe von Mainz, Trier, Köln,

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Heidelberg und andere. Auch in elsässischen Städten waren viele Humanisten zu finden. Oft waren sie mit Habsburg verbunden und ebenso spielte die mit Feindseligkeit gekoppelte Nähe zu Frankreich eine Rolle. Unterschiedliche Einflüsse, geografische Diversität und institutionelle Anbindung lassen den deutschen Humanismus kaum als einheitliches und kohärentes Phänomen erscheinen. Aber diese so verschiedenen Individuen und Gruppen, von denen einige durch ihre Interessen mit der Kirche verbunden, andere eher literarisch ausgerichtet und wieder andere mit territorialen Regierungen oder der Reichsreform befasst waren, verbanden das zunehmend verstärkte Bewusstsein und Selbstbewusstsein der Arbeit an einem gemeinsamen Projekt. Der deutsche Humanismus wurde ein Netzwerk aus gleich gesinnten Gelehrten, Schriftstellern, Universitäts- und Lateinschullehrern samt ihren Schülern, das sich über das gesamte Reich erstreckte und durch persönliche Kontakte sowie Kreise von Freunden und Protegés zusammengehalten wurde. Zur Pflege dieser Netze dienten soziale Kontakte zwischen lokalen und regionalen Gruppen, ausgedehnte Reisen und vor allem der Briefwechsel. Sie alle nahmen an dem Forum teil, das die Druckerpresse geschaffen hatte; sie alle trugen zu der immer stärker anschwellenden Korrespondenz bei, die den kommunikativen Kosmos der Humanisten ausmachte. Hauptsächlich ging es der Bewegung um die Reform der höheren Bildung und die Förderung des Studiums der freien Künste wie Grammatik, Rhetorik, Poetik, Geschichte und Moralphilosophie. Grundlegend war dabei das Studium der antiken Autoren, die diese Disziplinen zuerst entwickelt hatten; allerdings erstreckte sich das Interesse schon bald auf alle antiken Texte lateinischer und griechischer (später auch hebräischer) ebenso wie heidnischer und christlicher Provenienz. Ein elegantes Latein zu schreiben, gehörte zu den erforderlichen Grundfähigkeiten, ebenso die praktische Umsetzung literarischer Formen wie etwa des ciceronischen Dialogs, in dem unterschiedliche Standpunkte gegeneinander geführt und miteinander versöhnt werden. Solche Kunst wurde auch in den Konversationszirkeln und der gelehrten Korrespondenz der Humanisten geübt. Diskussionsfreude und die Bereitschaft, sich mit allen Sichtweisen auseinanderzusetzen, galten als grundlegende Eigenschaften. Über allem aber stand die Überzeugung, dass durch humanistische Studien das Individuum sich erheben und vervollkommnen könnte. Da der Humanismus in erster Linie Methode und Ethos war, konnte er eine Vielzahl unterschiedlicher Formen geistiger und literarischer Aktivität entstehen lassen und höchst unterschiedlichen Zwecken dienen. Um 1500 sind zwei umfassendere Tendenzen besonders hervorzuheben: der christliche Humanismus in Holland, der sich vom Nordwesten ausbreitete, und der süddeutsche Humanismus, der sich zwischen dem Elsass und Wien entwickelte. Die Unterscheidung ist möglicherweise künstlich, denn es gab keine geografische Scheidelinie zwischen Norden und Süden und die beiden Richtungen standen durch viele Kontakte und

9. Humanismus im Reich

Reisen von Individuen miteinander im Austausch. Dennoch lassen sich einige bedeutsame Differenzen benennen. Der holländische christliche Humanismus erwuchs aus der fruchtbaren Interaktion zwischen den Institutionen der Brüder vom gemeinsamen Leben und den neuen philologischen Studien der 1470er und 1480er Jahre. 9 Ein früher Vertreter dieser Richtung war der Friese Rudolf Agricola (* 1444, † 1485). 10 Seine frühe Ausbildung empfing er bei den Brüdern in Groningen. Dann lebte er zehn Jahre lang in Italien, bevor er 1479 nach Groningen zurückkehrte. Dort nahm er Kontakt zu Gelehrten wie Wessel Gansfort, einem unorthodoxen Theologen der Brüder und Alexander Hegius (* um 1433, † 1498), ab 1483 Rektor der Lateinschule in Deventer, auf. 1484 berief ihn der Wormser Bischof Dalberg nach Heidelberg, wo er im darauffolgenden Jahr starb. Agricola hatte nie eine einflussreiche Position inne und veröffentlichte nur wenig, aber sein Werk In laudem philosophiae (Lob der Philosophie, 1476), eine Rede, die er 1475 in Ferrara gehalten hatte, setzte neue Maßstäbe und definierte humanistische Bestrebungen. Agricola wurde später zum Modellbeispiel für eine humanistische Lebensweise: Er war ein unabhängiger und kritischer Geist, einem auf philologischen Grundsätzen beruhenden Gelehrtentum verpflichtet, durch das Studium klassischer Texte inspiriert, doch alles unter Berücksichtigung solider christlicher Fundamente. Seine Inspiration beeinflusste Humanisten aller Schattierungen. Über Hegius und die Lateinschule in Deventer zum Beispiel gab es eine Verbindung zu Mutianus Rufus, einem einflussreichen Vertreter des christlichen Humanismus und des florentinischen Neoplatonismus. Rufus war Kanonikus in Gotha und geistiger Mentor des Erfurter Humanistenzirkels. Von Heidelberg breiteten sich Agricolas Lehren auch in Süddeutschland aus. Bedeutsamer noch als Rudolf Agricola war Desiderius Erasmus (bekannter als Erasmus von Rotterdam, * 1466, † 1536), der in vielerlei Hinsicht erstrangige Vertreter des christlichen Humanismus. 11 Auch Erasmus war aus der Lateinschule in Deventer hervorgegangen. Er hatte sie von 1477 bis 1484 besucht und dort auch einmal Agricola lehren gehört. 1489 trat er in das Augustinerkloster von Steyn bei Gouda ein und wurde 1492 ordiniert. Aber er fühlte sich dort wie im Gefängnis, dem er nur mit Schwierigkeiten 1517 nach einem päpstlichen Dispens entkam. Immerhin traf er dort auf einen humanistischen Kreis von Fratres, die neben dem Erziehungsauftrag ihres Ordens das Studium der klassischen Sprachen pflegten. Ausgedehnte Aufenthalte in England führten zu Kontakten mit Sir Thomas More sowie mit John Colet und regten Erasmus zur Beschäftigung mit den Werken der Kirchenväter an, was 1516 in der Veröffentlichung des Neuen Testaments in griechischer Sprache gipfelte. Von 1506 bis 1509 hielt er sich in Italien auf und lernte dabei Turin, Padua, Bologna, Neapel, Florenz und Venedig kennen. Außerdem erweiterte er seine Kenntnis griechischer Manuskripte. Die Kontakte zum

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italienischen Neoplatonismus weckten in ihm eine Abneigung gegen den von vielen italienischen Gelehrten gepflegten, heidnisch geprägten Säkularismus und verstärkten seine christlichen Überzeugungen. Als er 1514 von Löwen nach Basel reiste, war er bereits über die Maßen berühmt. Seine Fahrt auf dem Rhein glich einem Triumphzug. Er traf sich unter anderen mit Johannes Reuchlin (* 1455 † 1522) sowie Ulrich von Hutten (* 1488, † 1523) und wurde überall als Vorbote eines neuen Zeitalters der Gelehrsamkeit gefeiert, das nun auch in Deutschland anbreche. 12 Er selbst meinte scherzhaft, dass er, nachdem er fast Engländer geworden wäre, nun versucht sei, Deutscher zu werden. Allerdings kehrte er zunächst nach Löwen zurück und ließ sich erst 1521 in Basel nieder. Doch seine häufigen Rheinfahrten und seine Freundschaften mit Gelehrten wie Beatus Rhenanus (* 1485, † 1547, in Schlettstadt geboren, wohnhaft in Straßburg und ab 1511 in Basel), den er seinen Bruder nannte, ließen ihn unter den deutschen Humanisten immer gegenwärtig sein. 13 Erasmus hatte mit Agricola viel gemein, doch übertraf er ihn, was die Anzahl seiner Werke anging, ebenso wie in der philosophischen Formulierung seiner Ziele. Agricola bezeichnete mit dem Terminus philosophia Christi seine Kombination von Elementen der Devotio moderna mit der neuen Philologie. 14 Erasmus aber verstand darunter die Überführung des Studiums von Texten in einen christlichen Auftrag, die innere Verschmelzung von Gelehrsamkeit und Frömmigkeit: Das wahre Christentum war nicht in den Dogmen der Kirche oder in frommen Werken der Wohltätigkeit zu finden, sondern nur in der Bibel. Dort lag der Schlüssel zu jener Frömmigkeit und Liebe des Herzens, die den denkenden Christen auszeichnete. Die beste Vorbereitung für diese Religion des Geistes lag im Studium der klassischen Autoren und der Kirchenväter; erst damit konnte die Schrift angemessen verstanden werden. Nur das unabhängig von kirchlicher Anleitung denkende Individuum konnte zu wahrer religiöser Erkenntnis gelangen und damit den Grundstein für ein Leben in der Nachfolge Christi legen. Und damit wiederum wurde die humanistische Unterweisung implizit zur Vorbedingung für die Erneuerung und Reform der Christenheit insgesamt. Ihren größten Einfluss in den deutschen Landen übten Erasmus’ Schriften erst nach 1517 aus. Sein zuerst 1503 veröffentlichtes Enchiridion militis chistiani (Handbuch des christlichen Streiters) erlangte erst nach der von Froben in Basel 1518 publizierten Ausgabe größere Bekanntheit, ebenso wie das Encomium Moriae (Lob der Torheit) und die Querela Pacis (Klage des Friedens). Im Zusammenhang mit der Reformationsdebatte wurde Erasmus als Pionier gesehen, der schon vorher viele grundsätzliche Fragen aufgeworfen hatte, und so wurde er nach Luther der meistgelesene Autor in deutscher Sprache. 15 Vor 1517 blieb sein Einfluss, wiewohl intensiv, auf latinisierende Humanistenzirkel beschränkt. Erasmus sicherte den Bibelstudien einen herausragenden Platz. Zudem unter-

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stützte er die Umwandlung der in der Devotio moderna implizit enthaltenen Ablehnung kirchlicher Korruption, Verweltlichung und rein äußerlicher Frömmigkeit in eine systematische, philosophisch und theologisch fundamentierte Kritik und fasste seine allgemeinen Bedenken gegenüber der Kirche in eine antipäpstliche Form. So bezeichnete er einmal Rom als »die Zehntscheune der ganzen Welt« und setzte seine Hoffnung in ein Reformkonzil. 16 Er verspottete die Scholastik und goss seine Verachtung über den eitlen und arroganten Klerus aus, was viele im Reich in ihrem Streben nach einer Reform der Kirche bestärkte, wie es auch Wasser auf die Mühlen des Antiklerikalismus zahlreicher deutscher Humanisten war. Die Nachwirkungen der Affäre um Reuchlin zeigen, wie verbreitet diese Einstellungen im Reich am Vorabend der Reformation geworden waren. 17 Johannes Reuchlin, früher als Erasmus im Reich berühmt, studierte die freien Künste in Pforzheim und Freiburg, dann in Paris und Basel, bevor er in Orléans und Paris zur Jurisprudenz überwechselte. 1482 und 1490 bereiste er Italien, wo er die mystische Philosophie Pico della Mirandolas kennenlernte, die in ihm das Interesse an der hebräischen Sprache und der Kabbala erweckte. Nach Kontakten mit den Heidelberger Humanisten 1496–1498 versah er von 1502 bis 1513 beim Schwäbischen Bund in Tübingen ein Richteramt und lehrte schließlich ab 1519 an der Universität von Ingolstadt Griechisch und Hebräisch. 1509 wurde Reuchlin durch seine praktisch einzigartigen Kenntnisse des Hebräischen in einen Skandal verwickelt, der für das Selbstverständnis des deutschen vorreformatorischen Humanismus von prägender Bedeutung werden sollte. Johannes Pfefferkorn (* 1469, † 1523), ein zum Christentum konvertierter Kölner Jude, erhielt von Maximilian I. ein Mandat zur Auslieferung aller jüdischen antichristlichen Schriften, die, wie er behauptete, den ganzen jüdischen Schriftkanon umfassten. 18 Reuchlin, der Autor der Schrift De rudimentis Hebraicis (1506), gehörte zu denen, die von den kaiserlichen Behörden zum Problem befragt wurden, und er allein verteidigte den Wert philosophischer und wissenschaftlicher hebräischer Texte und die hebräischen Versionen der Heiligen Schrift. Sogar im Talmud, argumentierte er, gebe es Abschnitte, die dem Christentum in keiner Weise schadeten, und nur ein Esel könne die Vernichtung der hebräischen Bibelkommentare verlangen. Der Disput eskalierte bald in eine bitterböse Auseinandersetzung zwischen dem Scholastizismus und der neuen Gelehrsamkeit. Pfefferkorn holte Theologen von der Universität Köln zu Hilfe und Reuchlin bezeichnete seine akademischen Kritiker in gedruckten Pamphleten als »Ziegen« und »Schweine« sowie als Vertreter einer siechen, altersschwachen Universität. Der Streit führte zu einem Verfahren gegen Reuchlin wegen Ketzerei, das sich bis 1520 hinzog. Unterdessen hatte der Krieg der Worte praktisch das gesamte Netzwerk der Humanisten mobilisiert, da es galt, einen der ihren zu verteidigen. Zusätzlich zu seiner eigenen Verteidi-

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gungsschrift veröffentlichte Reuchlin zwei Bände mit Briefen anderer Humanisten, die seine Sache unterstützten. Am bedeutendsten waren die 1515 und 1517 anonym publizierten Epistulae obscurorum virorum, die sogenannten Dunkelmännerbriefe, die an Ortwin Gratius (* 1475, † 1542), das Oberhaupt der Kölner Theologen, gerichtet waren (zufälligerweise war Gratius auch ein Schüler von Hegius in Deventer gewesen). Diese Briefe enthielten scharfe Angriffe auf die akademische und moralische Zwielichtigkeit der Scholastiker. 19 Diese reagierten wütend, konnten aber den Triumph der Satiriker nicht verhindern. Wer die Dunkelmännerbriefe verfasste, ist nicht bekannt, doch wahrscheinlich stammt der erste Band aus der Feder von Crotus Rubeanus (* um 1480, † um 1539), der dem Kreis von Mutianus Rufus (* 1470, † 1526) in Erfurt angehörte, und der zweite von Crotus’ einstigem Studienfreund, Ulrich von Hutten. 20 Letztlich hatte die Affäre zur Folge, dass die Schar ansonsten so unterschiedlich ausgerichteter Humanisten vereint wurde. Insbesondere stehen die Briefe für das Zusammenwirken des christlichen mit dem patriotischen Humanismus, der anderen vorherrschenden Tendenz, die in den Habsburger Landen vom Elsass bis nach Österreich und vor allem in Süddeutschland florierte. Deren führende Vertreter wurden von der nationalistischen Tradition immer als die deutschen Humanisten betrachtet. Bis zu einem gewissen Grad ist die Unterscheidung natürlich künstlich. Aber Erasmus’ durch gedämpften Stolz auf nördliche Humanität und Freundlichkeit gemilderter, friedensbewegter Kosmopolitismus steht in scharfem Kontrast zu den explizit politischen und »nationalen« Sichtweisen der führenden süddeutschen Humanisten. 21 Während Erasmus die Kirche kritisierte, bloße Lippenbekenntnisse des Glaubens verurteilte und das Papsttum maßvoll tadelte, fuhren die süddeutschen Humanisten schärfste, unversöhnliche Angriffe gegen Rom und die Päpste. Und obwohl Agricola den deutschen Humanisten als Vorbild diente, fehlte in Süddeutschland jene ideelle Gemeinsamkeit, wie sie die Lateinschule von Deventer den christlichen Humanisten vermittelte. Im Süden verlief die Entwicklung des Humanismus etwas anders. Auch hier reiste man nach Italien und viele blieben dort mehrere Jahre. Auch reagierten sie auf diese Erfahrung wie die christlichen Humanisten und entwickelten in der Folge ein solide grundiertes, durch erasmische und andere Ideen gefestigtes Christentum. Aber ihre politische Welt war nicht die von Deventer. Im Elsass, in Süddeutschland und Österreich entwickelte sich der Humanismus zur gleichen Zeit, da sich das deutsche Reich herauszubilden begann. Viele dieser Humanisten fanden im Reich, das sie als Ergebnis der translatio imperii begriffen, eine institutionelle Verankerung für ihr eigenes Vorhaben, eine translatio studii. So sahen sie in Maximilian I. die Verkörperung des neu heraufdämmernden Zeitalters. Maximilian selbst, der seinem Reich zu heroischer Größe verhelfen wollte, spielte nur allzu

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gern die Rolle des Phönix. Außerdem suchte er die Zusammenarbeit mit den Humanisten aus praktischen Gründen. Wie vielen deutschen Fürsten war ihm daran gelegen, die neue Gelehrsamkeit in den Dienst des sich formierenden Staates zu stellen, und die Humanisten waren wertvolle Propagandisten in seinem Kampf mit dem Papsttum um 1500. 22 Allerdings ist nicht ganz klar, wie erfolgreich der Versuch war, ein Netzwerk von humanistischen Gefolgsleuten zu knüpfen. Unzweifelhaft war der Titel eines Poeta laureatus begehrt und es gibt Hinweise darauf, dass zumindest einige Humanisten sich nicht nur der Literatur widmeten, sondern auch um Verbindungen zu Studenten an ihrer Heimatuniversität und zu Freunden in der humanistischen Gelehrtenrepublik bemüht waren. 23 Der geografische Fokus dieses Literaturreichs, der Widerspiegelung des politischen Reichs, lag in Mittel- und Süddeutschland, nicht zu vergessen das besonders aktive Gebiet im Elsass, an der Grenze zu Frankreich und von diesem bedroht. Jakob Wimpfeling (* 1450, † 1528) zum Beispiel, geboren und gestorben in Schlettstadt, war zwar kein Laureatus, aber ein nimmermüder Verfechter des Reichsgedankens. Er gab seine akademische Stellung in Heidelberg 1501 empört auf, als er den Kurfürsten verdächtigte, mit Frankreich gegen Maximilian zu konspirieren. Andere wie Ulrich von Hutten, der 1518 mit dem Lorbeer gekrönt wurde, wandte sich später enttäuscht von Maximilian ab und unterstützte die Reformation. 24 Aber das tat seinem Patriotismus und seiner propagandistischen Aktivität für die Sache des Reichs keinen Abbruch. Erwähnen wir noch zwei weitere Beispiele. Die Patrizier Conrad Peutinger (* 1465, † 1547) aus Augsburg und Willibald Pirckheimer (* 1470, † 1530) aus Nürnberg arbeiteten mit Maximilian in verschiedenen literarisch-politischen Projekten zusammen. Peutinger beriet Maximilian bei der Gestaltung seiner Grabstätte in Innsbruck und leitete die Krönung Huttens in die Wege. Aber er war wie Pirckheimer kein Poeta laureatus und nahm später, wie dieser, an der Hinwendung seiner Heimatstadt zum Protestantismus teil. Es ist selten so schwierig, Reichsbefürworter von Reichsgegnern zu unterscheiden, wie im Kontext der Diskussion über die Reichsreform zwischen 1495 und 1500. Ein literarisches Engagement für das Reich konnte sich auf vielerlei unterschiedliche Weise äußern, ohne sich festlegen zu müssen. 25 Humanisten wie Heinrich Bebel (* 1472, † 1518) aus Württemberg, Jakob Wimpfeling aus dem Elsass oder Johannes Aventinus (* 1477, †1534) aus Bayern verbanden ihren Reichspatriotismus mit einer starken regionalen oder territorialen Loyalität, in der Überzeugung, dass die Einheit der »Nation« auf dem gemeinsamen Interesse ihrer vielen verschiedenen Ausprägungen von »Land und Leuten« beruhte. 26 Bei aller Unterschiedlichkeit der Interessen bezogen sich die Schriften der Humanisten auf eine gemeinsame Quelle. Ihre Debatten wurden durch die Wiederentdeckung der Schrift Germania von Tacitus um 1455 ausgelöst. Sie eröffnete zum

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ersten Mal die Möglichkeit einer Geschichte der Deutschen, die sich von der Geschichte des Reichs unterschied. Damit rückten die Humanisten die mittelalterliche Idee der translatio imperii, des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation als Nachfolger des Römischen Reichs, in eine ganz neue Perspektive. Doch schon bald sollten einige die Theorie des römischen Ursprungs als reine Fiktion verwerfen. Die Rezeptionsgeschichte der taciteischen Germania ist kompliziert. Sie wurde zuerst 1472 veröffentlicht, doch war ihr Inhalt nördlich der Alpen schon vorher durch Kontakte zu italienischen Gelehrten bekannt geworden. 27 Tacitus analysierte, warum es den Römern unter Trajan nicht gelang, die germanischen Provinzen zu unterwerfen. Seine ethnografischen und historischen Untersuchungen der germanischen Stämme setzten deren positiv beurteilte Tugenden und Stärken gegen die beginnende Dekadenz von Kultur und Gesellschaft im Römischen Reich. Allerdings benannte Tacitus auch Fehler und Laster. Die germanischen Tugenden – Mut, Treue, Monogamie, Einfachheit, Religiosität – zeigten sich am eindrucksvollsten im Krieg, meinte Tacitus. Diese Stärken machten die Germanen zu außergewöhnlich guten Kriegern. Ansonsten schliefen, aßen und (vor allem) tranken sie gern und reichlich und stritten heftig miteinander. Was jedoch am meisten beeindruckte, war Tacitus’ Beschreibung der Germanen als eines einheimischen Volks, das immer noch im Land seines Ursprungs lebte. Die Germanen waren Abkömmlinge des gottgleichen Tuisco, dem sie einen Erdensohn namens Mannus zuschrieben. Er war angeblich der gemeinsame Vorfahr aller Stämme. Die frühen Interpretationen der Germania waren widersprüchlich. Einerseits sahen die ersten italienischen Kommentatoren, die mehr oder weniger in Verbindung mit der römischen Kurie standen, darin den Beweis, dass die Deutschen, verglichen mit dem christlichen Rom als Erbe der antiken römischen Kultur, zurückgeblieben und ungebildet waren. Dann nahm Enea Silvio Piccolomini (* 1405, † 1468, ab 1458 Papst Pius II.) sich des Themas auf seine Weise an. Er wies die auf dem Frankfurter Reichstag 1456 vorgetragenen Gravamina Germanicae nationis, die Klagen darüber, dass die deutschen Lande durch die päpstlichen Steuerforderungen ausgeblutet würden, mit dem Argument zurück, das Papsttum habe den Deutschen geholfen, ihrer einstigen Armut und Zurückgebliebenheit zu entkommen und zu einer wohlhabenden und kulturell hochstehenden Nation zu werden. Pius’ Vorgänger hatten deutsche Gelehrte mit der Behauptung irritiert, die Deutschen seien »betrunkene Raufbolde, die schlecht riechen und nicht das klassische Latein beherrschen«; Pius selbst hatte auch nicht viel Trost im Angebot, weil er meinte, Deutschland sei »eine kulturelle und politische Kolonie der römischen Kurie«. 28 Die Anwürfe der italienischen Humanisten verletzten den Stolz der deutschen Gelehrten und ließen sie nach Gegenargumenten suchen, die sie ebenfalls bei Tacitus fanden. Seine Versicherung, die Germanen seien indigenae (Eingeborene), und

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sein Mangel an klaren Hinweisen auf ihre Herkunft führte im nächsten halben Jahrhundert zu einer Flut von Schriften. Einige Humanisten, wie etwa Heinrich Bebel und Conrad Celtis (* 1459, † 1508), untersuchten die Implikationen der Behauptung, die Germanen seien »ein ursprüngliches Volk«. 29 Wenn das stimmte und die jetzigen Deutschen immer noch die Lande des Ursprungs bewohnten, mussten diese verteidigt werden, und diese Pflicht falle Kaiser Maximilian zu. Aber damit war die Ursprungsfrage noch nicht erledigt. Celtis zum Beispiel suchte einen ganz neuen Ansatz für den schon vor ihm behaupteten gemeinsamen Ursprung von Deutschen und Griechen: Beide stammten, so meinte er, von den geschichtlich viel weiter zurück liegenden Druiden ab. Damit wollte er zum einen die Verbindung mit der antiken Welt bewahren, zum anderen aber eine translatio imperii ohne Verpflichtung Rom gegenüber behaupten. Heinrich Bebel ging noch weiter; für ihn lief der Satz Germani sunt indigenae (die Germanen sind Eingeborene) darauf hinaus, dass es keine Notwendigkeit gebe, eine Verbindung mit Griechen oder Römern nachzuweisen. Solche Theorien überschnitten sich mit dem zweiten großen Thema der »historischen Forschung« deutscher Humanisten: der Identifikation der origo, des Ursprungs der Germanen. 30 Hier wurden die von Tacitus gegebenen Hinweise mithilfe der so erstaunlichen wie erfundenen »Entdeckung« des »chaldäischen« Autors Berosius durch Annius von Viterbo 1498 ergänzt. Der »Enthüllung«, dass alle Menschenrassen von Noah und seinen drei Söhnen – Sem, Ham und Japhet – abstammten, folgte die weitere Einsicht, Tuisco sei ein Adoptivsohn Noahs gewesen. Tuiscos Sohn wiederum war Mannus (auch bekannt als Alemannus), der Urvater der germanischen Stämme. Die Germanen seien, kurz gesagt, älter als die Trojaner und vom Ursprung her ganz verschieden von allen anderen europäischen Völkern, die von Japhet abstammten. Einigkeit über diese Fragen wurde nicht erzielt. Ursprung und Geschichte der Germanen waren Gegenstand heftiger, zuweilen gar giftiger gelehrter Auseinandersetzungen, die sich über viele Jahrzehnte hinzogen. Auch lässt sich nicht behaupten, dass die Humanisten, nicht einmal die Laureaten, einer vom Monarchen diktierten »Parteilinie« folgten. Maximilian nahm gegenüber seinem hauptsächlichen Mitstreiter, Celtis, eine sehr viel traditionellere Sichtweise ein. 31 Für ihn stammten die Deutschen von den Trojanern ab. Er vertrat die Ansicht, die Franken seien ursprünglich von Troja gekommen, was sie den Römern gleichstellte und den Franzosen, die nur eine Art Untergruppe der Franken bildeten, überlegen machte. Schließlich verwob Maximilian die Kulte von Osiris und Herkules, die von den römischen Kaisern verehrt wurden und deren Abstammung er bis zu Hektor zurückverfolgte, in seine eigene persönliche Mythologie, so, wie er auch die dynastische Genealogie für wichtiger als die Ursprünge des Reichs und dessen Legitimi-

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tät als Imperium der »Deutschen Nation« hielt. Doch um 1500 gehörte dies alles in den Bereich des humanistischen Diskurses der »Nation«. Insgesamt haben die zwischen 1480 und 1520 veröffentlichten humanistischen Schriften entscheidend dazu beigetragen, ein Gefühl für die Einheit der deutschen Lande zu wecken. Sie unterfütterten die von der politischen Propaganda jener Epoche hervorgerufene Idee der »Nation« mit einer Geschichte, einer Mythologie, einer Theorie kultureller und sprachlicher Identität. Signifikanterweise hat diese Generation von Humanisten die erste Geschichte Deutschlands (Jakob Wimpfeling 1501), die erste Geschichte der deutschen Literatur (Johannes Trithemius 1495) und die erste Topografie der deutschen Gebiete hervorgebracht. 32 Sein Leben lang hegte Celtis den Plan, eine maßgebliche historische Topografie mit dem Titel Germania illustrata zu verfassen. Unermüdlich beschäftigte er sich mit diesem Plan, der indes nie über sein Anfangsstadium hinausgelangte und dennoch von den Zeitgenossen als Großtat von eigenem Wert gewürdigt wurde. 33 Andere hatten bescheidenere Ansprüche und veröffentlichten richtige gebundene Werke, wie etwa Johannes Cochlaeus, dessen Brevis Germaniae Descriptio (Kurze Beschreibung Deutschlands, 1512) eine populäre Darstellung von »Germania« als den Gebieten, in denen die deutsche Sprache gesprochen wurde, bot. 34 Welche Rolle diese Humanisten in Maximilians imperialen Unternehmungen und als Vertreter einer frühen Theorie »nationaler« Identität spielten, ist bereits erörtert worden. 35 Hier nun geht es darum, wie ihre Interessen im Zusammenhang mit dem Reich geformt wurden. Beispielhaft dafür steht Conrad Celtis, der häufig als »Erzhumanist« bezeichnet wurde. 36 Celtis war 1484–1485 in Heidelberg Schüler von Agricola gewesen, hatte 1486–1487 Rom und andere italienische Städte bereist und war 1487 als erster deutscher Poeta laureatus gekrönt worden. Die römische Akademie hatte ihn so beeindruckt, dass er nun den Plan verfolgte, eine ganze Galaxie humanistischer Akademien im Reich zu errichten. Er gründete wissenschaftliche Vereinigungen (sogenannte Sodalitates litterariae) in Heidelberg, Augsburg, Regensburg, Olmütz, Krakau, Wien und Prag, darüber hinaus sogar eine Sodalitas Baltica in Lübeck (die fehlschlug). 37 Diese Bemühungen um eine literarisch-gelehrte Infrastruktur für das Reich bilden die Entsprechung zu Celtis’ rastlosem Bestreben, einen mittelalterlichen deutschen Literaturkanon zu entwickeln, das Lob der deutschen schönen Literatur zu singen und das neue Zeitalter der Reform, das er für das Reich vorsah, zu verkünden. Und Reform bedeutete Erneuerung im weitesten Sinn: die Erneuerung von Gesellschaft und Religion wie auch der Institutionen des Reichs. Der Reichspatriotismus von Celtis umfasste also auch die Vorstellung von einer Reform der Kirche. Trotz seiner Schmähreden gegen Rom wollte er die Kirche nicht aufgeben, auch predigte er keine heidnische – nordische oder germanische – Rebellion gegen sie. Die Kirche würde, so meinte er, weiterexistieren, aber als refor-

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mierte Kirche. Sein ganzes Denken beruhte auf Grundannahmen, wie sie auch Erasmus hegte. Für die neue Gelehrsamkeit musste man sich engagieren, sie aber fest in deutschem Boden verankern. Sie sollte als Mittel dienen, das richtige Maß wahrer Tugend und den unverstellten Blick auf die objektive Wahrheit zu erlangen. Diese Wahrheit war in den Naturgesetzen, deren höchste schöpferische Macht Gott selbst war, verkörpert. Das Individuum, das diesen höchsten Grad von Erkenntnis und Einsicht zu erlangen fähig ist, bildet sich so nach dem Beispiel Christi und verwirklicht dergestalt die edelste Berufung der Menschheit. 38 Von solcher Philosophie, verbunden mit einer noch schärferen Kritik am Papsttum, ist auch das Werk Ulrichs von Hutten durchdrungen, der oft als Celtis’ Nachfolger bezeichnet wird. 39 Ulrich von Hutten war der Sohn eines fränkischen Ritters, Mitglied einer großen Familie, die nordwestlich von Würzburg zahlreiche Burgen und beträchtliche Ländereien besaß. 1499, im Alter von elf Jahren, wurde er in das Kloster Fulda gegeben. Seine Familie sah ihn für eine Karriere in der Reichskirche vor und schickte ihn zunächst in jene »lokale« Institution, die für die Söhne des niederen Adels vorgesehen war. 1503 ging er nach Erfurt, um dort zwei Jahre lang zu studieren, die notwendige Voraussetzung für die Berufung zum Mönch. Doch statt dann nach Fulda zurückzukehren, begab er sich mit seinem Freund Johann Jäger (der sich als Humanist Crotus Rubeanus nannte) auf eine ausgedehnte Studienreise. 1512 ging er nach Italien, wo er, so hoffte jedenfalls sein Vater, sein Jurastudium in Pisa und Bologna abschließen würde. Aber er enttäuschte den Vater erneut: Als ihm das Geld ausging, schloss er sich Maximilians Heer in Norditalien an. 1514 kehrte er nach Deutschland zurück und trat in den Dienst Albrechts von Brandenburg, des Kurfürsten von Mainz. Der finanzierte eine zweite Italienreise, ebenfalls in der Hoffnung, Hutten würde dort sein Rechtsstudium beenden. Kurz vor seiner Abreise wurde er in die Kontroverse um den ersten Band der Dunkelmännerbriefe verwickelt, was ihn offenbar dazu inspirierte, den zweiten Band während seines Italienaufenthalts niederzuschreiben. Celtis’ Einfluss auf Hutten war enorm, aber dieser war sehr viel mehr als nur sein literarischer Nachfolger. Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Ausgestaltung des Mythos um Arminius (»Hermann der Cherusker«). 1509 nämlich hatte man die Annales des Tacitus und damit den ersten historischen Bericht über die siegreiche Schlacht der Germanen gegen die Römer im Jahr 9 n. Chr. wiederentdeckt. 40 Zudem schärften Huttens adlige Abkunft und seine frühen Erfahrungen mit der Kirche den Blick für die politischen Implikationen der humanistischen Kirchenkritik. Ein weiteres entscheidendes Moment war das Treffen mit Erasmus im August 1514, das den Beginn einer fünfjährigen Freundschaft markierte. 41 Hutten reagierte mit entschiedener Begeisterung auf Erasmus’ Kritik an der Kirche und ihren scholastischen Theologen wie auf den Plan einer allgemeinen

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Reform. Entscheidend war auch sein zweiter Italienaufenthalt. Zwar brachte er auch diesmal sein Studium des Rechts zu keinem Abschluss, wurde aber bei seiner Rückkehr zum Poeta laureatus gekrönt, was ihm den Status eines Doktors verschaffte und ihn für eine Stellung als »gelehrter Hofrat« in Mainz qualifizierte. Dort hatte er genug Zeit, sich mit humanistischen Studien und der Abfassung von Schriften zu beschäftigen. Kurz vor seiner Rückkehr aus Italien hatte er in Bologna Lorenzo Vallas kritische Ausgabe der Konstantinischen Schenkung gelesen. Valla entlarvte die Urkunde, in der Kaiser Konstantin angeblich den Päpsten die Herrschaft über das Weströmische Reich zusicherte, als Fälschung. Das war für Hutten eine einschneidende Erfahrung. Vallas Text verstärkte seine Abneigung gegen die ausschweifende Lebensweise Julius’ II. und gab ihm ein wirksames Instrument an die Hand, um das Recht des Papstes auf Gewährung oder Verweigerung der Absolution zu bestreiten. Im Sommer 1517 kehrte Hutten nach Mainz zurück und war nun erfüllt von der Mission, die Deutschen vom römischen Joch zu befreien. Die erste Salve in diesem Feldzug ließ nicht lang auf sich warten. Hutten publizierte eine deutsche Ausgabe von Vallas Werk, die er provokativ Papst Leo X. widmete. Das war das Vorspiel zu seiner Teilnahme am Reichstag zu Augsburg von Juli bis September 1518. Hutten war dort in seiner Funktion als Hofrat des Kurfürsten von Mainz. Nach der Frage der Thronfolge war das zweite große Thema die Forderung des Papstes nach Geld, das er für einen Kreuzzug gegen die Türken brauchte. Von den anwesenden Humanisten äußerte sich Hutten dazu am nachdrücklichsten. Als Reaktion auf das Ansinnen des Papstes konfrontierten die Stände Thomas Cajetan, den päpstlichen Legaten, mit einer neuen Version ihrer Gravamina, die 1510 von Willibald Pirckheimer zusammengestellt worden war. Hutten erhielt von seinem kurfürstlichen Erzbischof den Auftrag, eine Rede zu schreiben, in der die Stände zur Unterstützung von Kaiser und Papst aufgefordert wurden. Jedoch war Hutten nicht in der Lage, seinen mittlerweile fast pathologischen Antipapismus zu unterdrücken, und würzte seine Befürwortung des Kreuzzugs mit spitzen Seitenhieben auf die Gier der Päpste und ihre Ausbeutung der deutschen Lande. Allerdings wurde die Rede, in der er auf kühne Weise die Position des Papstes mit der der Stände verband, zu spät publiziert, um auf die Entscheidungen noch Einfluss nehmen zu können. 42 Dennoch markierte Huttens literarische Tätigkeit auf dem Reichstag eine neue Phase in seiner Karriere als politischer Aktivist und als wahrhaft nationale Gestalt. Im Jahr darauf quittierte er den Dienst beim Kurfürsten. Nach einem weiteren militärischen Zwischenspiel – Hutten nahm am Feldzug des Schwäbischen Bundes gegen Ulrich von Württemberg teil – versuchte er, eine Stellung am Brüsseler Hof von Ferdinand, dem Bruder Karls V., zu bekommen, weil er hoffte, Ferdinand für die Sache der Kirchenreform gewinnen zu können. Die Bewerbung scheiterte und

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im August 1520 suchte Hutten Schutz vor kirchlicher Verfolgung in der Ebernburg, dem Sitz des mächtigen Söldnerführers Franz von Sickingen. Dort schrieb Hutten zum ersten Mal auf Deutsch und verfasste im Winter 1520/21 eine wahre Flut von Flugschriften, deren Inhalt auch dadurch beeinflusst wurde, dass er mittlerweile Martin Luther als ernst zu nehmenden Verbündeten in seinem Kampf für die Reform von Kirche und Reich betrachtete. 1518 hatte Hutten Luthers Feldzug gegen den Ablasshandel noch als bloßen Streit zwischen starrköpfigen Mönchsgrüppchen abgetan. Seine Haltung änderte sich, als Luther selbst, nach seiner Leipziger Disputation mit Johannes Eck im Juli 1519, seine theologischen Lehren mit den Bestrebungen der Reformbewegung verband. 43 Aus Luthers Sicht war es ein Zweckbündnis, aber der Papst witterte eine gemeinsame Zielsetzung, und so geriet auch Huttens Name in die Bannandrohungsbulle Exsurge Domine (Erhebe dich, Herr) vom 15. Juni 1520. 44 Doch waren die Differenzen zwischen den beiden schon vor Huttens frühem Tod im August 1523 sichtbar geworden. Hutten war einer der letzten Reformer aus der Ära Maximilians, kein neuer Lutheraner. Ausführlicher werden Luthers Schulterschluss mit Hutten sowie Huttens Streiten für die Reformation an der Seite Franz von Sickingens im Kapitel über den Ritterkrieg erörtert. 45 Allerdings ist schon die Tatsache, dass die Annäherung so zögerlich begann, ein Symbol für die Vielschichtigkeit der Beziehung zwischen dem Humanismus und der Reformationsbewegung. Die beiden liefen ein paar Jahre lang nebeneinander her, ohne miteinander zu verschmelzen. Die deutschen Humanisten waren fast ausnahmslos Anhänger einer Reform der Kirche und die Mehrheit unterstützte auch die Reichsreform oder sah zumindest in der Wiederbelebung der deutschen Sprache und Literatur die Verbindung zu einer Erneuerung des Reichs wie auch der Gesellschaft allgemein. In den etwa zwei Jahrzehnten vor der Reformation hatten die Schriften der Humanisten zur wachsenden Kritik an der Kirche beigetragen und für wachsendes Reformverlangen und gesteigerte Erwartungen gesorgt. Die Humanistenzirkel florierten von Basel und Freiburg bis nach Rostock und Greifswald und teilten ihre Botschaft den Gebildeten – den Studenten, Beamten, Pastoren – mit. Die tragende Säule der humanistischen Methodenlehre war die in dem Motto Ad fontes! (Zu den Quellen!) enthaltene Forderung, zu den originären Texten zurückzukehren, was den Eindruck verstärkt, der Humanismus habe der Reformation den Boden bereitet. Zwar enthielt die humanistische Bibliothek auch antike pagane Texte, die für die neue Theologie unbrauchbar waren, aber Luthers Arbeit wäre ohne die Neuausgaben der Bibel und der Kirchenväter undenkbar gewesen. Doch entsteht aus Einflüssen, und seien es noch so viele, noch keine Kausalverbindung zwischen Humanismus und Reformation. Zweifellos sorgte der Humanismus für eine grundlegende Transformation der geistigen Kultur im Reich, doch

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auf eine Weise, die den späteren reformierten Katholizismus ebenso prägte wie den im Entstehen begriffenen Protestantismus. Die Ziele des Humanismus und sein Ethos waren nicht säkular, sondern zutiefst christlich und der traditionellen Kirche eng verbunden. Der Humanismus zielte auf die Reform der alten Kirche, nicht auf ihre Zerstörung. Wie die Volksfrömmigkeit, die der Humanismus so abschätzig beurteilte, gehörte er selbst zu den vielfältigen Gär- und Nährstoffen, die für die spätmittelalterliche Kirche so typisch waren. Insofern waren viele Humanisten, die sich vor 1517 an den theologischen und politisch-patriotischen Auseinandersetzungen beteiligten, nicht bereit, im Anschluss die Sache der Reformation zu unterstützen. Manche, wie Reuchlin und Wimpfeling, waren von Anfang an dagegen. Mutianus Rufus war von Luthers Argumenten recht angetan, zog sich aber zurück, als sie zum Bestandteil einer Massenbewegung wurden. Andere waren längere Zeit hin- und hergerissen, bevor sie sich endgültig abwandten. Erasmus zum Beispiel distanzierte sich zunächst eine ganze Weile von den Unruhen, die mit der Sache Luthers verbunden waren, bevor er 1524/25 endgültig und öffentlich mit Luther brach. Die Ursache selbst war eher symbolischer Provenienz: Luthers pessimistische Einschätzung der Sündhaftigkeit des Menschen war mit dem moralischen Optimismus des Humanisten nicht vereinbar. 46 Standen also die älteren Humanisten der Reformation eher kritisch gegenüber, bildete die jüngere Generation, allen voran Reuchlins Großneffe Philipp Melanchthon, 1518 im Alter von 21 Jahren zum Professor für Griechisch nach Wittenberg berufen, ihr Rückgrat. 47 Der Humanismus blieb länger eine unabhängige Kraft als viele andere Laienbewegungen des späten 15. Jahrhunderts. Hätte das Luthertum nicht die geistigen Eliten samt ihren Bildungsidealen in sich aufgenommen, hätte er sicher nicht überlebt. In mancherlei Hinsicht wäre es genauer, zu sagen, dass das Luthertum, wie etwas später der Katholizismus, gezwungen war, sich den Humanismus anzuverwandeln, so wie der Humanismus sich der religiösen Reformbewegung annehmen musste. Allerdings verebbte der politische Kampfgeist der Zeit um 1500 nach 1517 sehr schnell. Aber der Kern des Humanismus – die Bewegung für die Bildungsreform – behauptete sich in der neuen Welt der religiösen Spaltung ebenso, wie er sich zuvor in der Welt der spätmittelalterlichen Kirche behauptet hatte. Die humanistischen Ideale waren mit den neuen konfessionellen Vorstellungen vereinbar und prägten sie, wie sie schon die Auseinandersetzungen um die Kirchen- und Reichsreform beeinflusst hatten. Das Ideal einer vereinten Christenheit überlebte als Vision der Überwindung der konfessionellen Spaltung. Vor allem aber hatte die erste Generation der deutschen Humanisten eine patriotische Rhetorik entwickelt, die Nation und Reich miteinander identifizierte. Lange Zeit hielt man es für ausgemacht, dass der Humanismus nach der Generation von 1500 erlosch, aber das stimmt nicht. Er lebte in vielerlei Gestalt auch nach den

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1520er Jahren weiter. 48 Seine Bildungsideale prägten die Entwicklung der protestantischen und katholischen Kultur auf ihrem Weg ins 17. Jahrhundert und sein Diskurs der »Nation« blieb für die politische Kultur des Reichs von grundlegender Bedeutung. 49 Die Rhetorik des Nationalen wurde zuerst von Maximilian I. und Karl V. gepflegt und dann kurzfristig im Versuch von 1520/21, die Nation gegen Rom zu einen, wiederaufgenommen. Danach wurde die Berufung auf die Nation zum Kern des ideologischen Widerstands gegen die Monarchen in Deutschland. 50 So schuf der Humanismus jene patriotische Sprache, die im Reich bis 1806 immer wieder verwendet wurde: in den Verfassungskämpfen der 1540er Jahre und im Dreißigjährigen Krieg, in den Konflikten mit den Türken und den Franzosen im 16. und 17. Jahrhundert, in den politischen Auseinandersetzungen über den Fürstenbund in den 1780er Jahren, in der deutschen Reaktion auf die Französische Revolution und auf die französischen Angriffe auf das Reich in 1790er Jahren. 51

Anmerkungen 1 Eine Übersicht findet man in Overfield, »Germany«; Meuthen, »Charakter«, und TRE, Bd. XV, 639–661. 2 Münkler und Grünberger, »Identität«; Münkler, Grünberger und Mayer, Nationenbildung, 235–261. 3 Hirschi, Wettkampf, 124–174. 4 Schubert, Spätmittelalter, 286. 5 Der Gründung der Universität Heidelberg 1486 waren die der Universitäten von Prag (1348) und Wien (1365) vorhergegangen. Hammerstein, Bildung, 1–6. 6 Schubert, Spätmittelalter, 285; Hammerstein, Bildung, 9–11. 7 HdtBG, Bd. I, 39–51. 8 Hammerstein, Bildung, 6–9, 13–15, 97–99, 103–104. 9 Israel, Dutch Republic 1476–1806, 41–48. 10 Killy, Lexikon, Bd. I, 634, 77; ADB, Bd. I, 151–156; NDB, Bd. I, 103–104; Laan, »Agricola«. 11 Killy, Lexikon, Bd. III, 273–282; Hammerstein, Bildung, 15–16. 12 DBE, Bd. III, 135. 13 Schoeck, Erasmus, 233–235, 283–297; Stadtwald, Popes, 78–92. 14 Israel, Dutch Republic 1476–1806, 44. 15 Killy, Lexikon, Bd. III, 277. 16 Stadtwald, Popes, 81. 17 Rummel, Reuchlin, 3–40; Killy, Lexikon, Bd. IX, 398–400; ADB, Bd. XXVII, 785–799; Bautz, Kirchenlexikon, Bd. VIII, 77–80. Die umfassendste Darstellung der »Affäre Reuchlin« und ihrer theologischen Implikationen findet sich in Price, Reuchlin. 18 Price, Reuchlin, 95–112. 19 Rummel, Reuchlin, 23–24. 20 DBE, Bd. II, 404–405, und Bd.V, 236–237. 21 Stadtwald, Popes, 78–79. 22 Stadtwald, Popes, 206. 23 Mertens, »poeta laureatus«, 160–165; Flood, Poets laureate, Bd. I, LXXXVIII–CIII.

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Vgl. S. 86, 151–153. Rabe, Geschichte, 160–167. Mertens, »poeta laureatus«, 165–172. Tacitus, Germania. Die Einleitung von Gerhard Perl (50–66) bietet die wohl klarste Darstellung der Wiederentdeckung und frühen Publikationsgeschichte des Textes. Vgl. auch Münkler, Grünberger und Mayer, Nationenbildung, 163–233, sowie Krebs, »Dangerous book«, 285–288. Münkler und Grünberger, »Identität«, 224. Münkler und Grünberger, »Identität«, 225–231. Münkler und Grünberger, »Identität«, 232–241. Garber, »Nationalismus«, 28. Moraw, »Voraussetzungen«, 101. Strauss, Germany, 22–25. Schmidt, Geschichte, 49–50. Vgl. S. 62–63. ADB, Bd. IV, 82–88; NDB, Bd. III, 181–183; Killy, Lexikon, Bd. II, 395–400. ADB, Bd. IV, 84–86; Spitz, Celtis, 45–62. Killy, Lexikon, Bd. II, 397. Vogler, »Ulrich von Hutten«; Gräter, Hutten; Killy, Lexikon, Bd.VI, 27–30. Münkler, Grünberger und Mayer, Nationenbildung, 263–271. Honemann, »Erasmus«, 68–69. Kalkoff, Hutten, 60–62, Schmidt, »Hutten«. Burger, »Huttens Erfahrungen«, 45. Vgl. S. 270–272. Schoeck, Erasmus, 298–308. Moeller, »Humanisten«, 55–56. Overfield, »Germany«, 115; Meuthen, »Charakter«, 224–227. Schmidt, Vaterlandsliebe, 125–133. Hirschi, Wettkampf, 389–412. Schmidt, »Deutsche Freiheit«.

10. Buchdruck und Öffentlichkeit: eine Revolution

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er Einfluss des deutschen Humanismus auf das geistige Klima in den deutschen Landen vor der Reformation ist durch die Erfindung des Buchdrucks entscheidend gefördert worden. Die Humanisten waren die ersten Intellektuellen, die miteinander und mit der Welt um sie herum mittels des gedruckten Worts kommunizierten. Allerdings waren sie nicht die ersten, die den Druck als solchen nutzten. Das neue Medium hatte schon vor der Sturzflut humanistischer Publikationen seinen Einfluss auf vielerlei Weise geltend gemacht. Unzweifelhaft sind die langfristigen Wirkungen des Buchdrucks einer Revolution gleichzusetzen. Die Druckerpresse war ein so mächtiges wie beständiges »Instrument des Wandels«. 1 Aber wie war ihr Einfluss um 1500 beschaffen und in welchem Ausmaß kann der Druck zu den »Ursachen« der Reformation gezählt werden? 1542 schrieb der Historiker Johannes Sleidanus ein Loblied auf das Drucken: Er pries es als göttliche Gabe, die »den Deutschen die Augen geöffnet« habe, damit sie befähigt würden, einen »besonderen Auftrag« auszuführen. 2 Die Wirklichkeit war komplizierter. Tatsächlich spielte der Druck in all den bereits erwähnten vorreformatorischen Entwicklungen eine Rolle. Obwohl Flugschriften und andere gedruckte Literatur in den Anfangsstadien der Reformation von großer Bedeutung waren, kann das Medium nicht als an sich subversiv bezeichnet werden. Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks gingen der Blütezeit des Humanismus voran. Um 1450 nämlich erfand der Mainzer Patrizier Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, die »schwarze Kunst«, die sich bald darauf in Europa ausbreitete. 3 Allein in den deutschen Landen wuchs die Anzahl der Städte mit Druckerpresse von drei (Mainz, Bamberg und Straßburg) im Jahr 1460 auf 62 im Jahr 1500 mit einer Gesamtanzahl von gut 200 Pressen. Das Drucken war eine arbeits- und kapitalintensive Industrie geworden; eine Werkstatt in Basel beschäftigte 32 Handwerker. Vor 1500 bestand die Hauptmasse der Druckproduktion aus Büchern, von denen 80 Prozent in lateinischer Sprache verfasst und überwiegend religiösen Inhalts waren. So gab es zum Beispiel an die 100 Ausgaben der Vulgata und 59 Editionen der Imitatio Christi des Thomas a Kempis. 4 Wahrscheinlich war die Kirche der wichtigste Faktor für die Entwicklung des Buchdrucks in dessen Frühzeit. So erklärte der Bischof von Würzburg, Rudolf von Scherenberg, das Drucken liturgischer Werke sei wichtig, um Gebetbücher und Missale, die von Unordnung und

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Zerfall bedroht seien, neu zu beleben und in Ordnung zu bringen. 5 So spielte der Buchdruck für die Reformbewegung in jeder Hinsicht eine entscheidende Rolle, von der Herstellung neuer Regelwerke für den Klerus bis hin zu neuen Gebetund Belehrungsbüchern für die Laien. 6 Aus gutem Grund verglich Jakob Wimpfeling die Buchdrucker mit Missionaren und nannte Bücher Herolde der Evangelien. 7 Auch die neuen Laienbewegungen sorgten für Arbeit an den Druckerpressen. So war es den Anhängen der Devotio moderna in ihren Schulen und Gemeinschaften um die Verbreitung literarischer Bildung zu tun, die unter anderem durch Privat- und Gruppenlektüre gefördert wurde. 8 Anfänglich folgten die Drucker dem Beispiel von Johann Mentelin (* um 1410, † 1478) aus Straßburg, der 1466 die erste Bibel in deutscher Übersetzung veröffentlichte und dabei auf das Interesse wohlhabender Laien an der Lektüre, vor allem aber am Erwerb von Büchern setzte. 9 Auf diesem Markt traten die Drucker zunächst in Konkurrenz zu Werkstätten von Kopisten wie der von Diebold Lauber aus Hagenau (* um 1427, † um 1468), der mindestens fünf Schreiber und fünfzehn Illustratoren beschäftigte. Lauber produzierte auf Vorrat wie auch für den Kommissionshandel mehr als siebzig Werke säkularen und religösen Inhalts, darunter eine Bibel in deutscher Sprache, von der mehr als 800 Kopien erhalten sind. 10 Mit der Zeit wurden solche Schreibwerkstätten von den Druckerpressen verdrängt. Es ist nicht immer leicht, zwischen der für die Kirche und der für Laien bestimmten Literatur zu unterscheiden, aber die zunehmende Veröffentlichung von mundartlichen oder umgangssprachlichen Materialien ist ein sicherer Indikator für die wachsende Nachfrage nach Literatur für Laien. Zwischen 1466 und 1522 erschienen nicht weniger als 22 vollständige Bibelübersetzungen in deutscher Sprache, die meisten davon in Süddeutschland. Einige waren reich illustriert, so die 1483 publizierte Übersetzung von Anton Koberger, deren 100 Holzschnitte aus niederdeutschen Ausgaben stammten. Im gleichen Zeitraum wurden 131 Messbücher und 62 Ausgaben des Psalters veröffentlicht. 11 Hatte der Druck auch das Potenzial, Ketzerei oder doch wenigstens die Emanzipation des Individuums von der Kirche zu fördern, konnte er andererseits zugunsten der Kirche arbeiten. 1499 schien ein anonymer Chronist aus Köln zukünftige Entwicklungen vorherzusagen, als er behauptete, dass die Erfindung des Buchdrucks nun jedermann gestatte, selbst zu lesen oder jemanden lesen zu hören, wie der Pfad der Seelenrettung beschaffen sei. Aber diese Feststellung war eingebettet in das Lob für den Buchdruck als von Gott den Menschen geschenktes Mittel, sie von dem Müßiggang und der Ignoranz der Priester zu befreien. Der Buchdruck war ein Beispiel dafür, wie Gott für seine Herde sorgte, statt dass an ihm sich zeigen ließ, dass die Herde die Kirche verließ. 12 Ähnlich argumentierte etwas früher ein niederdeutscher Autor, dass Menschen, die nicht bereit seien, lesen zu lernen, sündigten, weil sie sich damit selbst den Zugang zum Wissen um

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die Erlösung versperrten, das durch Bücher zugänglich gemacht worden sei. 13 Der Buchdruck fügte also dem, was bereits von der Kirche geboten wurde, eine weitere Dimension hinzu, er war nicht unbedingt eine Alternative, die die Kirche überflüssig machte. Aber die Kirche schien sich der potenziellen Bedrohung, die von einem Medium ausging, das sie nicht direkt kontrollieren konnte, bewusst zu sein. 1485 erließ der Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg eine Verfügung, die sich unter anderem mit dem Missbrauch beim Buchdruck und dem Thema liturgischer Bücher in Deutschland befasste. 1501 erneuerte Papst Alexander VI. das von Innozenz VIII. 1487 erlassene Dekret mit der Forderung, alle Drucker sollten ihre Werke den kirchlichen Autoritäten zur Prüfung vorlegen, insbesondere den deutschen Erzdiözesen Köln, Mainz, Trier und Magdeburg. 14 Allerdings waren solche Bedenken nicht neu. Ähnliche Befürchtungen hatte es schon im Hinblick auf die Schreibwerkstätten gegeben, die das Publikum mit deutschen Bibeln, Plenarien und Messbüchern versorgten. Eine kirchliche Klage lautete, diese hätten den Schatz der Geistlichkeit in das Spielzeug des Laien verwandelt. 15 Doch gibt es kaum Belege dafür, dass das Lesen vor der Reformation Ketzerei oder Heterodoxie befördert hat. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts kamen andere Genres und Formen gedruckten Materials in Umlauf. Nichtreligiöse Thematiken nahmen zu und spiegelten die ersten Jahrzehnte humanistischer Gelehrsamkeit. Ungefähr zur gleichen Zeit wurden Flugschriften und Flugblätter immer häufiger für Propagandazwecke eingesetzt. Früher wurden solche Mittel nur sporadisch bei Konflikten zwischen Fürsten und Städten verwendet, jetzt aber dienten sie als Ausdrucksform in der politischen Auseinandersetzung. Das war großenteils Ergebnis der Bemühungen der Humanisten um die Reichsreform; eine der vielen Methoden, mit denen die Humanisten nördlich der Alpen eine Öffentlichkeit jenseits der Literaten und Patrone suchten, an die sich ihre italienischen Kollegen wandten. 16 Das Zentrum für die Herstellung solcher Materialien war die königliche Kanzlei, die damit den Versuch unternahm, die Unterstützung der deutschen Stände für Maximilians Politik zu gewinnen. Allerdings wurde Propaganda für Maximilian auch sonst in ganz Süddeutschland produziert. 17 Andere Fürsten folgten schon bald dem Beispiel des Monarchen, während Verwaltungen im Reich und in den Territorien das neue Medium nutzten, um Gesetze und Verordnungen, Regeln für die Münzherstellung und eine Vielzahl weiterer Dokumente von Lehnsvergaben bis zu Bestimmungen gegen das Verwässern von Wein zu publizieren. 18 Da die Publikationen von Regierungs- und Gesetzgebungsorganen in deutscher Sprache veröffentlicht wurden, verstärkte sich dadurch der Eindruck vom Reich als einem einheitlichen politischen Gemeinwesen, wozu auch noch die durchgängige Verwendung der Frakturschrift beitrug, die von Maximilian 1508 für die Publikation seiner eigenen Schriften angeordnet worden war. 19

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Bei der Reuchlin-Kontroverse der Jahre nach 1510 wurden Flugschriften zum ersten Mal in einer hauptsächlich akademischen Auseinandersetzung benutzt, die allerdings Auswirkungen hatte. Flugschriften ermöglichten eine schnellere Reaktion, erleichterten aber auch die Kommunikation mit einem größeren Publikum, das so in den Kampf gegen die Kräfte der Reaktion einbezogen werden konnte. Spott, Satire, häufig auch der direkte persönliche Angriff – das alles waren Waffen, die Reuchlin und seine Helfer mit äußerst großer Geschicklichkeit nutzten, um Würde und moralische Autorität der »Dunkelmänner«, die die kirchliche und universitäre Hierarchie beherrschten, zu untergraben. 20 Druckschriften fanden in den deutschen Gebieten sehr viel umfassendere Verwendung und Verbreitung als in anderen Teilen Europas. 21 Unklar bleibt allerdings, inwieweit dies die Gesellschaft insgesamt vor der Reformation hat beeinflussen können. Sebastian Brant klagte bereits 1494 darüber, dass es eine zu große Anzahl von Büchern gebe und viele die Veröffentlichung gar nicht wert seien. 22 Dennoch war das Ausmaß der »Buchdruckrevolution« in den Anfängen recht begrenzt. Bücher waren teuer und selbst gelehrte Bibliotheken umfassten kaum mehr als etwa einhundert Werke. 23 Flugschriften und Flugblätter waren natürlich billiger, aber in ihrer Reichweite dadurch begrenzt, dass nur eine Minderheit sie lesen konnte. Selbst in den größten Städten lag die Alphabetisierungsrate bei kaum mehr als 20 Prozent, während sie im gesamten Reich vielleicht fünf Prozent betrug. 24 Hier wurde der Kern der »lesenden Öffentlichkeit« durch den Klerus gebildet, der noch lange die größte des Lesens und Schreibens kundige Gruppe der Gesellschaft sein sollte. Viele andere können nicht wirklich jener »lesenden Öffentlichkeit« zugerechnet werden, sie hatten, beruflich bedingt, »praktische« Kenntnisse, nicht aber Lesefähigkeiten im Sinn der Lektüre von Büchern. Die einzigen Medien, von denen sie wie auch die große Mehrheit, die überhaupt nicht lesen konnte, angesprochen wurden, waren Holzschnitte und illustrierte Flugblätter. Seit dem späten 14. Jahrhundert hatte das Anwachsen der volkstümlichen Frömmigkeit einen Massenmarkt hervorgebracht: Andenken, die bei Heiligtümern verkauft wurden, und andere Bildwerke religiösen Inhalts. Diesen Markt gab es auch noch in der Frühzeit des Buchdrucks und es kam zu Wechselwirkungen, weil die Drucker für ihre Bücher und Flugschriften häufig Holzschnittillustrationen verwendeten. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatte diese Verbindung zu illustrierten, mit kurzen erklärenden Texten versehenen Flugblättern geführt, die der Welt der Druck-Erzeugnisse ein breiteres Publikum verschafften. 25 So bildeten die Printmedien in ihrer Vielfalt eine Infrastruktur, die zumindest potenziell ein die ganze Gesellschaft umfassendes Kommunikationssystem darstellte. 26 Zudem schufen die seit dem Ende des 15. Jahrhunderts auch von den Humanisten vorangetriebenen popularisierenden Entwicklungen zumindest eine

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rudimentäre Form von Öffentlichkeit, in der Themen wie die Zukunft des Reichs und die Reform der Kirche breit diskutiert wurden. Die so diskutierten Themen erfuhren immer weitere Verbreitung bis hin zu den des Lesens nicht Kundigen. Diese erfuhren den Inhalt durch Geistliche, durch lautes Vorlesen oder durch die Bilder der Holzschnitte, mit denen Handel getrieben wurde. Die veritable Explosion von Druckschriften in den Anfangsjahren der Reformation zeigt, wie ausgedehnt diese Infrastruktur schon geworden war. Zwischen 1518 und 1524 vermehrte sich der Ausstoß der deutschen Druckerpressen um das Sechsfache, wobei die überwiegende Mehrheit der Materialien sich direkt auf die religiösen Auseinandersetzungen bezog. 27 Allein die Anzahl der Flugschriften belief sich auf fast 3000, von denen viele mit einer Auflage von 1000 Exemplaren oder mehr gedruckt wurden. Insgesamt waren in diesen sechs Jahren etwa drei Millionen Exemplare von Flugschriften in Umlauf. 28 Zum ersten Mal wurden derart populäre Materialien wichtiger als akademische oder gelehrte theologische Werke. Die Explosion war so gewaltig, dass es, wie Friedrich Kapp vor über 100 Jahren bemerkte, gute Gründe gibt, das Ende des Zeitalters der Inkunabeln von 1520 auf 1500 zu verlegen. 29 Aber der Druck war nicht die Ursache für die Reformation. In den Jahren nach 1517/18 reagierten die Drucker auf Nachfrage und diktierten nicht die Bedürfnisse der Öffentlichkeit. Aber sie konnten die gestiegene Nachfrage bedienen, weil die Grundlagen für eine industrielle und kommerzielle Infrastruktur sowie für einen Massenmarkt bereits existierten. Der Buchdruck hatte schon in den vorangegangenen 50 Jahren eine wichtige Rolle gespielt. Er war an der Entstehung einer öffentlichen Sphäre im Reich beteiligt gewesen, die sich aktiv mit dessen Reform beschäftigte. Er war an der Produktion und Verbreitung einer umfangreichen patriotischen Literatur beteiligt gewesen, die bei einer gebildeten und aristokratischen Elite die Identifikation mit einer deutschen Nation als Grundlage des Reichs förderte. Er hatte den Trend zu wachsendem religiösen Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen in der Laienschaft verstärkt. Er hatte bei vielen Geistlichen das Bewusstsein für die Bedeutung von Reformen geschärft. Er hatte den deutschen Humanisten für ihr Ziel, die Gesellschaft zur Erneuerung zu bewegen, ein Forum und ein Mittel der Kommunikation verschafft. Wenn Sebastian Brant in der Vorrede zu seinem 1494 publizierten Narrenschiff ausrufen konnte: All land syndt yetz voll heylger geschrifft, war das nicht zum Geringsten ein Verdienst des frühen Buchdrucks. 30 Und schließlich wurde noch eine partiell mit dem Buchdruck zusammenhängende Neuerung für das Reich enorm wichtig: die Einrichtung eines regelmäßigen Postdienstes durch Maximilian I. Anfänglich war das nur ein Mittel, um die Kommunikation zwischen den österreichischen Herzogtümern und Brüssel zu verbessern. 31 1490 beauftragte Maximilian einen norditalienischen Postexperten namens

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Tassis damit, einen Kurierdienst zwischen seinen beiden Erblanden einzurichten. Er wurde von Brüssel aus organisiert und bezahlt. 1505 schloss Maximilians Sohn, Philipp der Schöne (1504–1525), den ersten Postvertrag mit Franz von Taxis. Als Karl von Spanien und Burgund 1516 den zweiten Vertrag schloss, stand der Dienst auch Privatkunden offen. Ab dieser Zeit wuchs er an Ausdehnung und Schnelligkeit beständig und verfügte ab 1534 über eine reguläre, »normale« Zustellung, die öffentlich bekannt gemacht wurde. Einen Postdienst, der fast alle Gebiete des Reichs abdeckte, gab es erst nach 1560, aber schon die anfänglichen Verbindungen, zuerst zwischen Innsbruck und Brüssel, danach in vielen Gebieten Süddeutschlands, waren ein wichtiger Durchbruch. Binnen Kurzem bedienten sich Privatkunden des Dienstes, der ein neues Kommunikationsmittel schuf und die Kontexte des politischen und kulturellen Diskurses mit bestimmte. 32

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

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Eisenstein, Press, passim. Eisenstein, Press, 305. Schubert, Spätmittelalter, 186–190. Schubert, Spätmittelalter, 188. Schubert, Spätmittelalter, 188. Giesecke, Buchdruck, 147. Schubert, Spätmittelalter, 189. Schubert, Spätmittelalter, 271. Schubert, Spätmittelalter, 271. DBE, Bd.VI, 264; ADB, Bd. XVIII, 22–25. Schubert, Spätmittelalter, 271–272. Giesecke, Buchdruck, 160; eine etwas andere Interpretation in Schilling, »Reformation«, 33. Giesecke, Buchdruck, 161. Hirsch, Printing, 88–89. Schubert, Spätmittelalter, 271. Hirsch, Printing, 137–138. Hirsch, Printing, 100–101; Walz, Literatur, 66. Hirsch, Printing, 101–102. Fichtenau, Lehrbücher, Kap. »Fraktur«, 24–36. Ein interessanter Überblick findet sich unter http://www.typolexikon.de/f/fraktur.html (aufgerufen am 14. Mai 2014). Luther bevorzugte eine breitere Textur, die sogenannte Schwabacher Schrift, in der seine Werke gedruckt wurden. Maximilians »Fraktur« war jedoch die vorherrschende Schriftart. Die deutschen Drucker verwendeten die Antiqua nur für Werke (und Wörter) in ausländischer Sprache. Die Ablehnung der Antiqua war eine bewusste Geltendmachung deutscher Identität und des Stolzes auf die Erfindung des Buchdrucks. Walz, Literatur, 66–67. Hirsch, Printing, 100–103 und passim.

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Rabe, Geschichte, 168. Schulze, Deutsche Geschichte, 123. Scribner, Simple folk, 2. Scribner, Simple folk, 5–6; Dickens, German nation, 105–106. Giesecke, Buchdruck, 391. Dickens, German nation, 106. Walz, Literatur, 65. Kapp, Buchhandel, 262–263; Schulze, Deutsche Geschichte, 122–123. Ozment, Reformation, 16. Behringer, Zeichen, 58–63, 66–76, 99–101, 127–128. Behringer, Zeichen, 101–110.

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en meisten Humanisten schwebte eine Erneuerung der Gesellschaft durch die Ausbreitung der neuen Gelehrsamkeit und Bildung vor. Was vielen ihrer Vorschläge ein Gefühl der Dringlichkeit verlieh, war die Überzeugung, dass die Welt aus den Fugen geraten sei, und die Befürchtung, es würde, wenn Veränderung ausbliebe, zu gewaltsamen Aufständen und gar zum Untergang der Gesellschaft selbst kommen. An den Rändern der humanistischen Bewegung ließen sich radikalere Stimmen vernehmen, die solchen Befürchtungen sehr anschaulich Ausdruck verliehen, auch indem sie sich auf populäre Schriften über Erneuerung, Astrologie und Millenarismus bezogen. So prangerte zum Beispiel um 1500 der als Oberrheinischer Revolutionär bekannte Anonymus die Übel der Gesellschaft seiner Zeit an und zeichnete die Vision eines mächtigen Herrschers, der mit Unterstützung einer geheimen Bruderschaft die Welt von allen Sündern reinigen würde. Dazu gehörten neben der Geistlichkeit alle, die die Armen ausbeuteten, aber auch Maximilian selbst, der seiner Berufung untreu geworden sei. Nach einem einige Jahre währenden Blutbad würde das rächende Heer der Bruderschaft eine gerechte und egalitäre Gesellschaft errichten, in der ein neuer Monarch das Recht des gemeinen Mannes persönlich schützte. 1 Inwieweit spiegelten sich in solchen düsteren Visionen tatsächliche wirtschaftliche und soziale Probleme? Über den Revolutionär selbst wissen wir kaum etwas. Er wurde möglicherweise 1438 geboren und lebte wahrscheinlich im Elsass. Auf jeden Fall war er gebildet und hatte eine juristische Ausbildung genossen. Vielleicht war es ein Reichsbeamter namens Mathias Wurm von Geudertheim. Einst hatte er große Hoffnung auf Maximilians Fähigkeit gesetzt, das Reich auf der Grundlage seiner Erblande im Südosten und Südwesten neu zu ordnen. Doch als er das buchli der hundert capiteln mit vierzig statuten schrieb, war er bereits desillusioniert und seine Schrift ist ebenso eine Anklage der zuvor verpassten Gelegenheit wie ein Weckruf und ein Plan für die Zukunft. Allerdings scheint er ohne Einfluss geblieben zu sein. Das buchli wurde nie veröffentlicht und ist nur durch ein einziges Manuskript bekannt geworden. Aber diese Kombination aus humanistischem Reichsnationalismus und volkstümlichem Millenarismus enthält einen Katalog, der viele Klagen über damalige Missstände versammelt: Beschwerden des gemeinen Mannes über die Ausbeutung durch geistliche und weltliche Großgrundbesitzer, reiche städtische Bankiers und

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Manufakturbetreiber. 2 Allerdings lässt sich dieser Katalog nur schwer auf die Zustände im Reich insgesamt übertragen. Die geografischen und wirtschaftlichen Bedingungen zwischen Alpen und Baltikum, zwischen Rhein und Oder waren zu groß, als dass der Zorn eines einzigen elsässischen Autors eine Beschreibung für die Probleme von »Deutschland« hätte liefern können. Auch ist seine Schrift kein Hinweis auf den Beginn einer umfassenden Krise in der deutschen Gesellschaft um 1500. Die von ihm beschriebenen Probleme waren zweifellos existent und spielten eine wichtige Rolle bei den Aufständen der frühen Jahre der Reformation. Doch waren es spezifische Probleme besonderer Regionen wie etwa der Gebiete im Südwesten, wo der Autor lebte. Überdies sind sie Bestandteil einer komplexeren Gesamtlage, die eher durch Wachstum und Expansion als durch Krise und Verfall gekennzeichnet war. Im Zeitraum nach 1450 erholte sich die Bevölkerung von der Pest, die Mitte des 14. Jahrhunderts gewütet und, im Zusammenhang mit den Folgekrisen der nächsten Jahrzehnte, die europäische Bevölkerung dezimiert hatte. In den deutschen Gebieten starb zwischen einem Drittel und der Hälfte der Bevölkerung; die Gesamtzahl sank von elf auf etwa sieben Millionen. Zugleich ging auch die Zahl der Siedlungen von 170.000 auf 130.000 zurück, sodass große Flächen Acker- und Weidelands, deren Kultivierung noch aus dem Hochmittelalter datierte, wieder von Wald und Buschwerk bedeckt wurden. 3 Die demografische Krise betraf Land und Stadt gleichermaßen, aber mit jeweils unterschiedlichen Auswirkungen. In der Landwirtschaft führten Arbeitskräftemangel und verstärkter Niedergang der Nachfrage zu einer langfristigen Depression und in vielen Gebieten zu Landflucht, was die Krise weiter verschärfte. Für viele Städte dagegen war, nachdem sie die unmittelbaren Auswirkungen der Pest überstanden hatten, das 15. Jahrhundert eine Periode wachsenden Wohlstands, in der expandierende Handwerks- und Manufakturbetriebe hohe Löhne zahlen konnten. Das neuerliche Bevölkerungswachstum nach 1450, das nach 1470/80 besonders merkbar wurde, markierte den Beginn der Erholung, bei der um 1530 das alte Niveau von 1350 wieder erreicht war. Nach 1530 gab es dann einige Jahrzehnte weiteren kräftigen Wachstums. Schätzungen im Hinblick auf die Höhe der Gesamtbevölkerung im Reich gestalten sich schwierig, weil es an genauen Quellen und der sicheren Bestimmung von Grenzen fehlt. Eine auf den deutschen Grenzen von 1914 beruhende Berechnung kommt auf neun Millionen Einwohner für das Jahr 1500, eine andere, die unterschiedliche Grenzverläufe in Betracht zieht, gibt 11,5 bis 12 Millionen für das selbe Jahr an (plus zwei Millionen jeweils für die Niederlande und Böhmen sowie etwa 600.000 für die Schweiz). 4 Unklar ist jedoch, ob die Wachstumsziffern für alle Gebiete gelten. Generell war die Zunahme im Westen, insbesondere im Südwesten, größer als im Osten. So hat man etwa die Wachstumsrate für das Züricher Gebiet im Zeitraum zwischen

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1497 und 1529 auf 2,4 Prozent pro Jahr geschätzt. 5 Für Oberschwaben und die Bodenseeregion scheint eine Rate von einem bis eineinhalb Prozent pro Jahr von den 1470er Jahren bis zum frühen 16. Jahrhundert normal gewesen zu sein. In Sachsen und den Habsburger Landen war die Rate dagegen mit einem halben bis einem Prozent pro Jahr niedriger. Dagegen kommt eine Untersuchung von drei Distrikten in Ostthüringen für die Jahre von 1496 bis 1542 auf ein jährliches Wachstum von 1,33 Prozent. 6 Der Einfluss des Bevölkerungswachstums machte sich am stärksten in jenen Städten bemerkbar, die nach der Pest in der Lage gewesen waren, unbegrenzte Zuwanderung zu ermöglichen. Um 1500 aber waren viele überfüllt und selbst in manchen ländlichen Gebieten wurde Übervölkerung beklagt. Die um 1550 geschriebene Chronik der Grafen von Zimmern (auch Zimmerische Chronik) behauptete, die Bevölkerung habe in Schwaben in letzter Zeit so rasant zugenommen, dass das Land noch nie so intensiv bewirtschaftet worden sei wie jetzt. 7 Etwas eher hatte Ulrich von Hutten sogar behauptet, ein Kreuzzug gegen die Türken könnte dem Problem der Übervölkerung durch Dezimierung der vielen jungen Männer in Stadt und Land abhelfen. 8 Dieser generelle Aufschwung wurde jedoch nicht von einer einfachen Umkehrung der Trends der letzten einhundert Jahre begleitet. Zur Zeit der Pest waren neue Methoden des Landbaus aufgekommen, die nun die Vorherrschaft errungen hatten. 9 Die meisten der verlassenen Siedlungen blieben unbewohnt; wo das Bevölkerungswachstum zur Kultivierung neuer Flächen führte, konzentrierten sich die Menschen in bereits existierenden Dörfern und Städten. Große Gebiete, die, sich selbst überlassen, mit Wald und Buschwerk bestanden waren, wurden in kommerziell genutzte Forste verwandelt. In anderen Gegenden wurde bisheriges Ackerland nunmehr für die Aufzucht von Vieh oder für die Milchwirtschaft genutzt, um den wachsenden Lebensmittelbedarf der aufstrebenden Städte zu befriedigen. Die steigende Nachfrage nach Wein führte im späteren 15. Jahrhundert zu einer beträchtlichen Ausweitung des Weinanbaus. 10 Im Süden und Westen konzentrierten sich die Anbaugebiete im Elsass, im Neckartal, am unteren Main, in der Moselregion und am Mittelrhein zwischen Speyer und Koblenz. Allerdings wurde um 1500 Wein auch in Randgebieten wie Holstein, Mecklenburg, Brandenburg und Ostpreußen, ferner in der Lausitz, in Sachsen und Thüringen angebaut. Vor allem im Norden war damit binnen eines Jahrhunderts Schluss, als dort Bier zum bevorzugten Getränk wurde. Um 1500 aber zeigt sich an der Expansion von Weinanbau, Viehzucht und Milchwirtschaft die zunehmende Marktorientierung landwirtschaftlicher Tätigkeit. Ebenso wuchs die Industrie und veränderte ihrerseits in vielen Gebieten die Strukturen von Landschaft und Arbeit. Das gilt insbesondere für das Wachstum der Textilindustrie im 15. Jahrhundert. 11 Ständig steigende Nachfrage nach einem

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ebenso ständig vielfältiger werdenden Angebot an Produkten förderte den Anbau von industriell verwertbaren Pflanzen für Stoffe und Färbemittel. Schafzucht brachte Wolle, das bei Weitem wichtigste Rohmaterial für die Textilproduktion. Mit steigender Nachfrage suchten die Kaufleute nach Möglichkeiten, die strengen Regelungen (besonders Einschränkungen der Produktion) und hohen Löhne der monopolistischen Stadtgilden zu umgehen, indem sie die Produktion in die Dörfer verlagerten. Im sogenannten Verlagssystem setzt ein städtischer Unternehmer sein Kapital ein, um Rohmaterialien einzukaufen, die er von bäuerlichen Heimarbeitern verarbeiten lässt, um die Produkte dann zu vermarkten. Diese Protoindustrialisierung, die bis ins 19. Jahrhundert die bei Weitem wichtigste Form der Industriearbeit bleiben sollte, war von großem Einfluss auf viele Regionen von Schwaben und dem Bodenseegebiet bis hin nach Thüringen, zum Niederrhein und nach Westfalen. So bereicherte die Textilindustrie die Landwirtschaft um ein weiteres Element. Sie sorgte für Arbeit und Einkommen (was besonders wichtig für jene Regionen war, in denen der Landbesitz durch Erbteilung immer mehr zusammenschmolz). Außerdem stärkte sie die Verbindungen zwischen Stadt und Land, besonders im Süden und Westen in Gebieten, in denen kleine Städte verbreitet waren, die sich in ihrer Bevölkerungszahl – weniger als 1.000, manchmal sogar nur 200 bis 300 – kaum von großen Dörfern unterschieden. 12 Dadurch wurden Landgebiete anfällig für »städtische« Handelskrisen: So führte ein zweimaliger Rückgang der Nachfrage nach Barchent, einem groben Gewebe aus Wolle, Seide und Ziegenhaar, in Oberschwaben vor und nach 1500 zu einer Massenarbeitslosigkeit. Zunehmend richtete sich ländliche Unzufriedenheit, besonders unter landlosen Lohnarbeitern, nicht nur gegen die Unterdrückung durch Feudalherren, sondern auch gegen geldgierige Städter. In mancher Hinsicht spektakulärer war in dieser Zeit jedoch die Ausweitung des Bergbaus, weil hier substanzielle Kapitalinvestitionen und technologische Neuerungen die entscheidenden Triebkräfte waren. 13 Die Erfindung des Seigerverfahrens, bei dem Silber von Kupfer durch Hinzufügung von Blei getrennt wurde, revolutionierte die tradierten Verfahren zur Gewinnung von Silber und Kupfer in Mitteldeutschland und Tirol. Zur gleichen Zeit führten Verbesserungen bei der Fördertechnik, insbesondere neue Pumpsysteme, zu einer Ausweitung der Eisenerzgewinnung im Siegerland, im Harz und in Thüringen. Drei Aspekte des schnell sich entwickelnden Wirtschaftssektors Bergbau sind von besonderer Bedeutung. Zum einen benötigte der Bergbau eine große Anzahl an Arbeitskräften: Im sächsischen Erzgebirge waren in Bergbaustädten wie Schneeberg oder Annaberg jeweils 3.000 bis 4.000 Bergarbeiter beschäftigt, im tirolischen Ort Schwarz waren es sogar 10.000, davon allein 7.000 in den Minen

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von Falkenstein. Eine derartige Konzentration von Arbeitkräften steigerte nicht nur die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und anderen einheimischen Produkten, sondern förderte auch die Entwicklung früher Formen der Arbeiterorganisation, von Streiks und der Drohung mit Aufruhr, um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu erreichen. Zum Zweiten begünstigte der Bergbau vorwiegend (wenn auch nicht ausschließlich) im städtischen Raum das Entstehen von Zuarbeitungsindustrien. So wurde zum Beispiel die Technik des Seigerverfahrens in Nürnberg nach 1450 entwickelt und stärkte die wirtschaftliche Position der Stadt als führendes Zentrum von Metallverarbeitung und Feinmechanik wie etwa Instrumenten- und Uhrenbau. Zum Dritten schließlich kamen die für die Entwicklung der Industrie benötigten relativ umfangreichen Geldsummen aus Regionen außerhalb der Bergbaugebiete. Hauptinvestoren waren städtische Kaufleute wie die Fugger und die Welser aus Augsburg. Die Fugger finanzierten den Bergbau in Tirol und Ungarn, die Welser den in Thüringen. Ihre Hauptgeschäftspartner waren lokale Fürsten wie Maximilian in Tirol, die Grafen von Mansfeld im Ostharz, die sächsischen Kurfürsten im Erzgebirge und weitere Adlige. Je mehr Geld die Fürsten brauchten, desto mehr waren sie daran interessiert, die Schürfrechte zu nutzen, und ebenso die Wälder und Wasserläufe, die für die Nutzung dieser Rechte und die grundlegenden Erzverarbeitungsprozesse notwendig waren. Der Bergbau war, wie die Textilindustrie, wiewohl zwangsläufig von den Städten weit entfernt, von ihnen abhängig, denn die Städte sorgten nicht nur für Kapital und Märkte, sondern auch für einen Großteil der Nachfrage nach produzierten Gütern. Natürlich trifft das bei Weitem nicht auf alle Städte zu. Schätzungen über ihre Anzahl im Reich schwanken zwischen 2.000 und 4.000, je nach Festlegung der Größe sowie nach der für die Zählung relevanten Zeiten und Gebiete. Abgesehen davon, lässt sich auf jeden Fall sagen, dass die überwiegende Mehrzahl sehr klein war. Eine Schätzung geht davon aus, dass etwa 67 Prozent aller Städte eher »Ackerbürgerstädten« glichen, deren Bewohner mehrheitlich in der Landwirtschaft tätig oder bestenfalls Gildenangehörige mit landwirtschaftlichem Teilzeitengagement waren. 14 Nur fünf Prozent der Städte hatten mehr als 5.000 und höchstens 1,5 Prozent (das entspricht dreißig Städten) mehr als 10.000 Einwohner. Zwei urbane Netzwerke, innerhalb wie außerhalb des Reichs, waren für den Handel und die Bereitstellung von Kapital zur Entwicklung industrieller Aktivitäten wie Bergbau und Textilproduktion besonders wichtig. Im Norden beherrschte der aus etwa 90 Städten bestehende Bund namens Hanse Nord- und Ostsee, reichte aber auch ins Binnenland bis nach Köln, Braunschweig und Magdeburg. 15 Neben dem Ost-West-Handel im Norden hatte die Hanse noch 1500 Anlaufstationen auf der Iberischen Halbinsel und war in Köln und Braunschweig am Textil- und Mineralienhandel beteiligt. Im 15. Jahrhundert hatten die Kaufleute erfolgreich ge-

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gen Dänemark, die Niederlande und England Krieg geführt. Nach 1500 jedoch kam es zu einem allmählichen Rückgang der Aktivitäten, weil Maximilian und Karl V. Wirtschaft und Handel in den Niederlanden förderten und auch England ökonomisch erstarkte. Die Hanse war nicht nur ein Handels- und Militärbündnis, sondern auch ein Geldmarkt. Vorherrschend waren kleine Handelsfirmen mit zwei bis vier Teilhabern, die oft nur kurzfristig oder für besondere Transaktionen ins Leben gerufen wurden. Aber ihre Aktivitäten beruhten auf Investitionen einer Vielzahl unterschiedlicher Individuen, darunter Adlige, Geistliche und sogar Gildenangehörige und Hafenarbeiter. Das bereitgestellte Kapital bildete häufig die Grundlage für Verlags- oder Manufakturproduktionen oder für den Erwerb von Anteilsscheinen (den sogenannten Kuxen) an von Fürsten und Adelsherren gegründeten Bergbauunternehmen. Noch bedeutender war das zweite Netzwerk von Städten, diesmal in Süddeutschland. 16 Führend waren hier Augsburg und Nürnberg, doch umfasste die Verbindung Städte von Straßburg bis hinüber zu den österreichischen Erblanden der Habsburger. Zwar war dieses Netzwerk nicht so formell organisiert wie die Hanse, doch wurden die Interessen der Städte über direkte finanzielle Verbindungen mit den Habsburgern durch den Schwäbischen Bund wie auch durch Teilnahme am Reichstag vertreten, und zwar in einem größeren Ausmaß als die Hanse. Das Einzugsgebiet ihrer Handelsaktivitäten war groß; sie kontrollierten den NordSüd-Handel (mit Einschluss der Levante und Venedigs), ferner den Handel mit Ungarn und Polen, und beherrschten den Handel mit Frankreich und der Iberischen Halbinsel. Vor der Entstehung des Nordsee- und Atlantikhandels bildeten die süddeutschen Städte das Handelszentrum Europas und akkumulierten unglaublichen Reichtum. Die Firmen im Süden operierten auf ganz andere Weise als die im Norden. Sie waren größer und blieben länger bestehen. Die 1380 gegründete Große Ravensburger Handelsgesellschaft hatte auf ihrem Höhepunkt 121 Teilhaber; 1497 waren es immer noch 38. Die Gesellschaft besaß in ihrer Region das Monopol der Textilproduktion und hielt an dem Textilhandel mit Barcelona zwischen 50 und 70 Prozent der Anteile. 17 Die süddeutschen Firmen arbeiteten an den Orten ihrer Handelspartner mit fest etablierten Netzwerken von Kommissionären und Agenten. Früher und intensiver als die hanseatischen Kaufleute bedienten sie sich der doppelten Buchführung, ausgeklügelter Inventarverzeichnisse und Handelsbilanzen und arbeiteten mit Wechseln – sie verfügten, anders gesagt, über die neuesten italienischen Erfindungen, nur dass der ökonomische Kontext sehr viel dynamischer war als südlich der Alpen. Stärker als ihre hanseatischen Kollegen engagierten sich die süddeutschen Kaufleute in der Manufakturproduktion und als Bankiers am Geldmarkt. Zudem

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verfolgten sie ihre Aktivitäten mit dem Ziel der Errichtung von Monopolen. Größere Firmen mit mehr Teilhabern, größerem Kapital, umfangreicheren Netzwerken von Agenten usw. hatten es leichter, den Wettbewerb auszuhebeln. Ein Beispiel dafür sind die Fugger aus Augsburg. Die Familie entstammte einem Weber, der nebenbei auch noch Bauer war und Mitte des 14. Jahrhunderts vom Lechfeld in die unmittelbar südlich gelegene Stadt zog. 18 Um 1500 besaß die Familie praktisch das Monopol an den Silber- und Kupferminen wie auch an der Münze in Tirol. Der Aufstieg Maximilians, zunächst 1490 zum Herzog von Tirol und dann drei Jahre später zum König, legte den Grundstein für ein dauerhaftes Bündnis mit den Habsburgern. Das brachte den Fuggern internationale Vorteile, unter anderem den Zugang zu den ungarischen Bergwerken und dem Handel mit der Iberischen Halbinsel (darunter ein Monopol auf den Pfefferhandel in Portugal und auf Schafherden in Nordspanien). Nichts kennzeichnet die Symbiose von neuem Handelskapital und politischer Macht in Süddeutschland so sehr wie die Tatsache, dass Jakob Fugger, der einzige deutsche Kaufmann, der 1514 zum Reichsgrafen ernannt wurde, 1519 die Wahl Karls V. zum römischen König finanzierte. 19 Mochten die Aktivitäten der süddeutschen Handelshäuser auch fortschrittlich und »kapitalistisch« anmuten, so hatten sie doch mit denen der Gilden viel gemeinsam: Sie beruhten auf den Privilegien, die eine politische Autorität, in diesem Fall der Monarch, gewährte. 20 Andererseits machten Umfang und Erfolg ihrer Geschäfte sie zu Gegenständen von Beschwerden. Wer weniger erfolgreich war, wer sich am unteren Ende der sozialen Skala als Opfer des Wandels fühlte, wer aus dem niedrigen Adel durch die Folgen der langen Krise der Landwirtschaft gravierende Einkommenseinbußen erlitt, war schnell bereit, die Augsburger Handelsfürsten als Problemverursacher anzuklagen. Diese Verlierer bildeten das Rückgrat der antimonopolistischen Protestbewegung, die in den 1490er Jahren entstand und ihren Höhepunkt im Jahrzehnt nach 1512 erreichte. 21 Außer einem Verbotsdekret gegen Monopole, das 1512 auf dem Reichstag zu Trier erlassen wurde, erreichte die Bewegung keine konkreten Ergebnisse. Weder Maximilian noch Karl V. konnten es sich leisten, diejenigen zu bestrafen, die sie finanziell am Leben hielten. Dennoch erlangte die Bewegung, vielleicht auch, weil sie trotz aller Enttäuschungen nicht aufgab, größere Bedeutung. In einem losen Bündnis vereinte sie unter anderen die kleineren schwäbischen Reichsstädte, die Lübecker Kaufleute (die nicht begeistert waren, weil die Fugger ihre Hände nach dem Ostseehandel ausstreckten), Adlige, Geistliche, Gildenangehörige und Bauern. Es war die erste wirklich nationale und reichsweite Bewegung vor der Reformation. Die Kampagne gegen die Monopole verknüpfte die Sorgen von Unternehmern mit den Problemen einer Kirchenreform, denn Fugger war nicht nur Bankier Maximilians, sondern auch des Papstes und geistlicher Würdenträger wie des Kurfürsten von Mainz. Überdies stand der Geldverleih, mit dem er diese verschiede-

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nen Herren erfreute, theologisch in zweifelhaftem Ruf. Die kirchliche Lehre verurteilte Zinswucher, ungerechte Gewinne und Wechsel. Mochte Fugger auch Theologen wie Johannes Eck fördern, die einen Zinssatz von bis zu fünf Prozent für erlaubt hielten, und die Nutznießer seiner Augsburger Armensiedlung, der »Fuggerei«, verpflichten, für sein Seelenheil zu beten, 22 so konnte das doch nicht den Furor seiner vielen Kritiker – unter ihnen Martin Luther – besänftigen, die in ihm das Sinnbild für viele Missstände im Reich sahen. So führte das Wirtschaftswachstum in den deutschen Landen nach 1450 strukturelle Veränderungen in verschiedenen Sektoren mit sich, bei denen es Gewinner wie Verlierer gab. Die Probleme werden deutlicher vor dem Hintergrund der sozialen und rechtlichen Rahmenbedingungen in den unterschiedlichen Regionen. Klagen über die Monopole gab es im ganzen Reich, aber Unruhen nur in bestimmten Regionen und bei bestimmten Zusammenhängen. Bauernunruhen zum Beispiel waren am häufigsten im Süden und Südwesten, in Franken und Thüringen, während städtische Unruhen nicht regionalspezifisch auftraten. Infolgedessen erfordern ländliche wie auch urbane Strukturen eine nähere Untersuchung, um entscheidende Elemente der sozialökonomischen Kontexte der Krise der 1520er Jahre darzustellen und allgemeinere Grundstrukturen der deutschen Gesellschaft zu erhellen. Wohl an die 85 Prozent der Bevölkerung des Reichs lebten auf dem Land, wobei jedoch die Bedingungen, vor allem, was die rechtliche Lage anging, höchst unterschiedlich waren. Gänzlich freie Bauern gab es so gut wie gar nicht, außer in isolierten Gebieten wie Dithmarschen oder der Leutkircher Heide in Schwaben sowie in einigen Teilen Westfalens, Niedersachsens und Bayerns, wo sie jedoch selten mehr als vier bis acht Prozent der Bauernschaft ausmachten. Die überwiegende Mehrheit lebte also in verschiedenen Formen und Graden der Knechtschaft, wobei die Lebensbedingungen weder uniform noch statisch waren. 23 Einerseits begann im 13. Jahrhundert das System der mittelalterlichen Gutsherrschaft sich langsam aufzulösen, was zu einer Vielfalt regionaler und lokaler Formen, begleitet von ebenso vielfältiger rechtlicher Terminologie, führte. Ein System direkter Gutsverwaltung durch adlige oder geistliche Gutsherren wich einem System, in dem bäuerliche Pächter den früheren Gutsherren rechtlich untergeordnet waren. Wie weit dieser Prozess ging, hing davon ab, in welchem Maß der Adel unabhängig blieb oder in die entstehenden territorialen Fürstentümer integriert (»mediatisiert«) wurde. Andererseits wurden die das mittelalterliche System ersetzenden Strukturen auch durch langfristige Trends in der landwirtschaftlichen Produktion wie auch durch die demografische Krise und die Depression im 15. Jahrhundert stark beeinflusst. Eines der wichtigsten Merkmale dieser Strukturen war die Herausbildung neuer Formen der Kontrolle, die der Adel über das Land und seine Bevölkerung ausübte.

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Gewöhnlich unterscheidet man im Reich zwei Gebiete mit jeweils ganz anderen ländlichen Verhältnissen. In den Ländereien östlich der Elbe und nördlich der Saale bildete sich ein System von Adelsgütern heraus, das man als »Gutsherrschaft« bezeichnet. Dort wurde das Land direkt vom Adel verwaltet und die Bauern waren an das Land in einer Art Leibeigenschaft gebunden. Ein ähnliches System, jedoch ohne Leibeigenschaft und die unangenehmeren Attribute der ostelbischen Gutsherrschaft, entwickelte sich auch in Holstein und in Teilen von Bayern. 24 In den meisten Teilen des westlichen und südlichen Reichs dagegen entstand ein System der feudalen »Grundherrschaft«. Dort beanspruchte der Adel Abgaben und übte Rechtsprechung, während die Bauernschaft in unterschiedlichem Maß eine Sicherheit des Besitzanspruchs auf ihr Land genoss. Das System der Gutsherrschaft entstand im 14. Jahrhundert und erlangte seine endgültige Form erst im 18. Jahrhundert. 25 Seine wesentlichen Elemente waren jedoch schon gegen Ende des Mittelalters in Kraft, wobei verschiedene Faktoren zusammenwirkten. Anfänglich entscheidend war, dass es dem Adel gelang, in den kurz zuvor kolonisierten Gebieten nicht nur ökonomische Rechte, sondern auch die Gerichtsbarkeit für sich zu beanspruchen. Das verschaffte ihnen eine umfassendere Kontrolle über ihre Besitzungen und relative Eigenständigkeit gegenüber der höheren Rechtsprechung aufseiten des Territorialfürsten. In den Anfängen der Kolonisierung, im 12. und 13. Jahrhundert, gab es die Koexistenz relativ kleiner Adelsgüter mit den Pachtgütern unabhängiger Bauern. In den folgenden zwei Jahrhunderten wurde die Landbevölkerung zahlenmäßig dezimiert, was die Vergrößerung der Adelsgüter durch die Aneignung verlassenen Lands ermöglichte. Zugleich unternahm der Adel Anstrengungen, die Flucht der Landbevölkerung in die Städte einzudämmen, indem er die Bewegungsfreiheit der Bauern einengte. Im Spätmittelalter scheint das Hauptmotiv für diese Entwicklungen die Erweiterung des Herrschaftsbereichs, der Kontrolle über Land und Leute, also die Wahrnehmung klassischer Adelsvorrechte, gewesen zu sein. Als sich aber die Preise für landwirtschaftliche Produkte, insbesondere für Getreide, im 14. Jahrhundert erholten, um dann im 15. Jahrhundert konstant anzusteigen, rückten auch ökonomische Faktoren in den Vordergrund. Die großen Güter im Norden und Osten waren für den intensiven Getreideanbau bestens geeignet und die Ernte ließ sich dann auf den städtischen Märkten verkaufen. In vielen Gebieten konnten bis zu drei Viertel der Ernte vermarktet werden, was der Gutsverwaltung gerade im Hinblick auf den Einsatz von Arbeitskräften eine neue wirtschaftliche Grundlage verschaffte. 26 Darin lag der Grund für das »Bauernlegen« und die Transformation abhängiger Bauern in Leibeigene im 16. und 17. Jahrhundert, ein Prozess, der sich bis ins 18. Jahrhundert fortsetzte. Entwicklung und Intensivierung der Gutsherrschaft bis hin zu ihrer endgültigen Form waren regional unterschiedlich. Ihre klassische und im Endeffekt bru-

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talste Gestalt zeigte sie wohl in Holstein, Mecklenburg und Pommern, etwas milder in Teilen von Brandenburg und in den preußischen Landen der Ordensritter. In Schlesien, der Lausitz und Böhmen entwickelte sich die Gutsherrschaft im Großen und Ganzen erst nach 1550, wobei eine beträchtliche Anzahl von Bauern außerhalb des Systems blieb. In Sachsen behinderten anders geartete politische Bedingungen die Entwicklung; wo es jedoch dazu kam, verstärkte es die grundlegenden Bündnis- und Sozialstrukturen, die zu seiner Entstehung geführt hatten. Diese Gebiete waren im Griff eines mächtigen Bündnisses aus Fürsten und Adligen, bei dem die Bauernschaft der alleinigen Autorität eines Oberherrn unterworfen war. Die deutschen Formen von Leibeigenschaft waren nicht mit denen vergleichbar, die sich zu etwa der gleichen Zeit in Russland und Polen herausbildeten. Das deutsche System war durch die sozialen Verpflichtungen adlig-patriarchaler Traditionen begrenzt und wurde auch dadurch gemildert, dass die Fürsten in den größeren Territorien häufig für »Bauernschutz« sorgten, das heißt Maßnahmen ergriffen, um die Bauern vor exzessiver Ausbeutung zu bewahren. 27 Dennoch hatte dieses System erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der dörflichen Gemeinschaft. Trotz der harten Bedingungen und der Brutalität, mit der die Bauernschaft oft behandelt wurde, blieben diese Regionen relativ frei von Unruhen und wurden auch vom Bauernkrieg nicht berührt. Es entwickelten sich keine starken kommunalen Organisationen, weil die Bedingungen der Kolonialbesiedlung sie nicht erforderlich machten. Die ursprünglichen bäuerlichen Siedler waren nicht in das komplizierte System der Dreifelderwirtschaft eingebunden, das gemeinschaftliche Kooperation und damit die Begrenzung der Autonomie in den älteren Siedlungsformen des Westens bedeutete. Als das System der Gutsherrschaft sich ausweitete, wurden die Dörfer dem subsumiert. Das Dorf war der verlängerte Arm des adligen Gutsbesitzers, der Dorfälteste mehr oder weniger sein von ihm ernannter Gefolgsmann. So konnte sich in der dörflichen Gemeinschaft kein kollektiver Widerstand gegen die adlige Oberherrschaft entwickeln. Westlich der Elbe herrschten ganz andere Bedingungen. In diesen Gebieten war das mittelalterliche System dem der Grundherrschaft gewichen. Überdies war es den Bauern während der Periode des Bevölkerungsrückgangs und der Preisstagnation gelungen, ihre Lage zu verbessern. Die alten Rechte wurden in ein System der Grundrenten und Feudalabgaben überführt, von denen viele in Form von Geld zu entrichten waren. Vor allem konnten die Bauern die Besitzansprüche auf ihr Land sicherer machen und sogar Erbrechte erwerben. Allerdings wurde das Land ihnen nicht als Eigentum überschrieben. In diesen westlichen Gebieten gab es nicht weniger als fünf verschiedene bäuerliche Pachtsysteme, von denen jedes wiederum in zahlreiche regionale und lokale Varianten zerfiel. 28 Sinnvoller ist jedoch die Unterteilung in zwei unterschied-

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liche Gebietstypen. Der eine Typus fand sich in einem breiten Streifen, der von Holstein bis nach Bayern reichte. Dort herrschten relativ große bäuerliche Pachtbesitztümer vor, deren Umfang durch eine Tradition des unteilbaren Erbes bewahrt wurde. Dadurch entstand jedoch eine recht große Unterschicht landloser Arbeiter. Den anderen Typus findet man vor allem im Südwesten, aber auch in Teilen von Unterfranken. Dort waren sehr viel kleinere bäuerliche Besitztümer die Norm, weil der Besitz bei Vererbung aufgeteilt wurde. In gewissem Grad spiegelte sich im Unterschied zwischen teilbarem und unteilbarem Erbe das Ausmaß, in dem es der Bauernschaft gelungen war, der Kontrolle ihrer Oberherren zu entkommen: Für den Adel war unteilbares Erbe eine bessere Garantie für regelmäßige Pachtzahlungen, während die Bauernschaft natürlich das Prinzip der Güteraufteilung bevorzugte. 29 In den westlichen Regionen jedoch führten die im 15. Jahrhundert unternommenen Versuche des Adels, feudale Rechte wieder an sich zu reißen oder auszuweiten oder gar Formen der Leibeigenschaft einzuführen, zu erheblicher Unruhe, am stärksten in jenen Gebieten, die später zu Zentren des Bauernkriegs wurden: das Elsass und der Oberrhein, der Mittelrhein, Oberschwaben und Württemberg, Franken, Thüringen und die Alpengebiete bis nach Tirol. Andere Gebiete wie etwa der Niederrhein, Westfalen, der Nordwesten oder Bayern blieben davon unberührt, obwohl die Problemlage in einem gewissen Grad vergleichbar war. Die Ursachen für Unzufriedenheit und Unruhen sind vielfältig und selbst für die Regionen, die 1525 am schlimmsten von der Gewalt betroffen waren, gibt es keinen gemeinsamen Nenner. In Gebieten teilbaren Erbes führte das nach 1470 wieder anziehende Bevölkerungswachstum zu einer größeren Anzahl an Kleinpächtern und landlosen Arbeitskräften in der Agrarwirtschaft. Zur gleichen Zeit waren viele Kleinpächter nicht mehr in der Lage, von Marktbedingungen zu profitieren, die Bauern mit großen Höfen entgegenkamen, was in vielen Dörfern zu einer neuen Kluft zwischen Arm und Reich führte. Doch selbst in Gebieten wie dem Elsass, wo die Anzahl der Pachtbetriebe nicht deutlich zurückging, war die Produktion etwa von Wein oder Lebensmitteln für den Markt nur zeitweise profitabel. Um 1500 kam es zu einem Wechsel von Rekord- und Missernten, wodurch die Bauern sich bei reichen Stadtbewohnern, geistlichen Institutionen und Juden verschuldeten – alle diese Gruppen wurden damals Ziele von Bauernunruhen. 30 Ähnlich erging es Gebieten, die sich auf den Anbau von Pflanzen für die Textilindustrie wie Flachs und Krapp (Oberrhein, Schwaben, Bodenseeregion) oder Färberwaid (Thüringen) spezialisiert hatten. Sie litten unter wechselndem Ernteglück ebenso wie unter dem Auf und Ab am Textilmarkt, wodurch wiederum die wachsende Anzahl etwa von nebenberuflichen Webern betroffen war. 31 Natürlich war von solchen Krisen auch die landlose Unterschicht betroffen, die in manchen Teilen

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von Württemberg, Schwaben, Franken, Thüringen und Sachsen bis zu 50 Prozent der Landbevölkerung insgesamt ausmachte.32 Besondere Schwierigkeiten entstanden in Regionen, in denen die politische Herrschaft fragmentiert oder der Prozess der Territorialisierung unvollendet geblieben war. Das gilt zum Beispiel für den Südwesten des Reichs und für Franken. Dort blieb der Adel unabhängig, dort gab es einen wahren Flickenteppich an unterschiedlichen Rechtsordnungen. Ein Bauer konnte demzufolge Untertan einer Vielzahl von Oberherren sein: Ein Fürst forderte von ihm Steuern, ein Adliger als feudaler Grundbesitzer Abgaben, ein Kloster nutzte seine Dienste als Leibeigener oder Zinsbauer, während ein Graf die Gerichtsbarkeit innehatte. 33 Zwar stellten die Dörfer in Niederösterreich, in denen nicht weniger als 27 feudale Oberherren Rechte hatten, ein Extrem dar, doch waren vielfältige und einander überschneidende Rechtsprechungen weit verbreitet, von denen jede für die Bauernschaft ihre eigenen Auswirkungen hatte. 34 Im späten 15. Jahrhundert erhöhten viele dieser Herren ihren Forderungen oder suchten ihre Rechte auf neue Art und Weise geltend zu machen, was den Druck auf die Bauernschaft stetig wachsen ließ. Die spürbarste Last bildeten die Abgaben, zu denen der Bauer verpflichtet war. Ebenso wie der Pachtzins variierte auch die Form, in der sie zu entrichten waren (Geld oder Naturalien), von Oberherrn zu Oberherrn, manchmal auch von Pachtbetrieb zu Pachtbetrieb. Der Zins konnte sich auf zwischen 20 und 40 Prozent des Bruttoertrags eines Bauernhofs belaufen. Außerdem waren noch die Kirchenzehnten zu entrichten, sowohl der Großzehnt auf Getreide als auch der Kleinzehnt auf Gemüse. In den meisten Gebieten überlebte auch der Frondienst, der in vielen Gebieten des Südwestens auf ein paar Tage im Jahr begrenzt war. In Mittel- und Ostdeutschland jedoch und in Niederösterreich, wo Adlige und Klöster ihre eigenen Güter verwalteten, stießen Versuche, den Frondienst auf zwei bis drei Tage pro Woche heraufzusetzen, auf scharfe Ablehnung. 35 Zusätzliche Abgaben wurden fällig, wenn ein Bauer oder ein Gutsherr starb. In vielen Gebieten von Thüringen, Franken und Schwaben wurde diese »Erbschaftssteuer« im 15. Jahrhundert eingeführt. Normalerweise betrug sie zwischen fünf und 15 Prozent vom Wert eines Pachtbesitzes. Allerdings war in einigen schwäbischen Territorien die sogenannte Todfallabgabe oder der sogenannte Handlohn (laudemium) auf 50 Prozent festgesetzt. 36 Selbst die ältere Praxis, das beste Stück Vieh für die Übergabe eines Pachtbesitzes zu verlangen (das sogenannte Besthaupt), war für Kleinbauern, die vielleicht nur zwei bis drei Stück Vieh besaßen, besonders hart. 37 In manchen Regionen des Südwestens kürzten Gutsbesitzer die Pachtzeit, um den Gewinn aus Übertragungsabgaben zu erhöhen, oder sie hielten heimfälligen Pachtbesitz zurück, um ihn ihren direkt verwalteten Gütern einzuverleiben. Welche Bauern am härtesten von Abgaben und Steuern betroffen waren, ist

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nicht leicht festzustellen. Die Bedingungen waren von Ort zu Ort verschieden: Die Forderungen, die hier größere Pachtbetriebe hart trafen, konnten dort mittlere und kleinere Höfe belasten. 38 Was die kleineren Pachthöfe und die landlosen Arbeiter wohl mehr als andere betroffen hat, war das Bestreben der Gutsbesitzer, die kommunalen Rechtsansprüche auf die Nutzung von Wäldern, Seen und Flüssen einzuschränken. Holz schlagen und sammeln, Jagd und gemeinsame Weidenutzung wurden in dem Maß reduziert, in dem die industrielle Nachfrage nach Holz eine systematischere, kommerziell orientierte Forstverwaltung erforderlich machte. Auch verwehrten viele Gutsbesitzer den Bauern den Zutritt zu den Wäldern, um ihr eigenes Jagdrevier zu schützen, und manche verpflichteten ihre Bauern zum Arbeitsdienst als Treiber, was besonders bitter war, weil die Treibjagd normalerweise zur Erntezeit stattfand und so auch noch einen Teil der Feldfrüchte vernichtete, die der Bauer nicht ernten konnte. Gleichermaßen schränkten adlige und geistliche Gutsbesitzer den Zugang zu Flüssen und Seen ein und weiteten die systematische Anlage von Fischteichen aus, um von dem überaus gewinnträchtigen Fischhandel zu profitieren. Die Nachfrage nach Fisch wurde nämlich konstant hoch gehalten, weil die Kirche fast ein Drittel des Jahres als Fastenzeit vorgesehen hatte, in der Fleischverzehr verboten war. 39 In Thüringen und Franken führte der Bedarf der Textilindustrie zur Umwandlung von großen Landflächen in Schafweiden. Fürsten, Adlige und Geistlichkeit brauchten nicht nur das Land, sondern auch die Arbeitsdienste der Bauern. Dadurch verfiel bäuerliches Land und die Nutzung von Allmenden wurde eingeschränkt. 40 Im späten 15. Jahrhundert war das System der Grundherrschaft durch Intensivierung und Kommerzialisierung geprägt. Triebkraft war zum einen die erneuerte Gewinnträchtigkeit der Landwirtschaft aufgrund des Bevölkerungswachstums und zum anderen die Ausdifferenzierung von Industrie- und Handwerkszweigen. In manchen Fällen war es notwendig, die Bauern daran zu hindern, das Land zu verlassen, um bessere Arbeitsmöglichkeiten in der florierenden städtischen Textilindustrie zu suchen. Hinzu kamen die erhöhten Kosten für die Lebensweise des Adels, die Verteuerung von Turnieren und ähnlichen Aktivitäten. Vielfach waren diese Faktoren noch mit politischen Ambitionen verknüpft, mit der Absicht, Land und Leute unter Kontrolle zu bringen, um Herrschaftsrechte ausüben zu können, was mehr bedeutete als nur die einfache Kontrolle des Adligen über seine Güter. 41 So gab es in manchen Regionen den Versuch, im Rahmen der Grundherrschaft eine Form der Leibeigenschaft wieder einzuführen.Viele Klosterbetriebe im ostschwäbischen Allgäu sowie einige weitere Adelsgüter im Südwesten verfolgten im 15. Jahrhundert in systematischer und brutal rücksichtsloser Weise eine Politik der Rückführung von Bauern in die Leibeigenschaft. Die Äbte von Kempten, ihrem Rang nach Fürsten, waren berüchtigt dafür, dass sie Bewegungsfreiheit ebenso verboten wie Heiraten außerhalb der Gemeinschaft der

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Leibeigenen. Zudem setzten sie das Prinzip des sogenannten Allgäuischen Gebrauchs durch, wonach der Leibherr berechtigt war, Abgaben auch unabhängig vom Wohnort des Leibeigenen zu erheben, oder das Prinzip der »ärgeren Hand«, wonach der Stand der Kinder von dem schlechter gestellten Elternteil bestimmt wurde und nicht, wie sonst gewöhnlich, nur von dem Stand der Mutter. Ähnliche Beschränkungen gab es in der Bodenseeregion und in bestimmten Schwarzwaldgebieten sowie im Elsass. Hauptziel solcher Initiativen war es, aus verstreuten Gütern ein in sich geschlossenes Territorium zu machen. Das führte zu regionalen Übereinkünften zwischen Gutsbesitzern zur Rückgabe entlaufener Leibeigener ebenso wie zum formellen Austausch von Land und Leuten. Einige dieser Verträge bezogen sich auf mehr als eintausend Bauern gleichzeitig. 42 Doch war selbst das noch nicht mit jenen Formen der Leibeigenschaft vergleichbar, die sich östlich der Elbe entwickelten, denn dort waren die Bauern an das Adelsgut als solches gebunden. Die südwestdeutsche Form der Leibeigenschaft war ihrem Wesen nach eine Übertragung der in Feudalabgaben und Arbeitsdiensten enthaltenen Verpflichtungen in rechtliche Form, vorgenommen von Oberherren, deren Territorien zu klein waren, um politisch-rechtliche Herrschaft auf konventionellere Weise ausüben zu können. Durch den Verkauf oder Austausch von Ländereien schufen Klöster wie Kempten, Weingarten oder Schussenried, einige Reichsritter wie Reichsgrafen und sogar einige Reichsstädte in sich abgeschlossene Areale, in denen alle Leibeigenen einer einzigen Autorität unterstellt waren. Im Zuge dieser Arrondierung der kleineren Territorien mussten die Bauern nicht nur schwerere Lasten tragen, sondern verloren auch als Individuen wie als Mitglieder von Gemeinschaften die relative Freiheit lokalen Handelns, die mit der Verbreitung konkurrierender Rechtsprechungen einhergegangen war. Sie konnten jetzt nicht mehr eine Autorität gegen die andere ausspielen oder die Gunst eines Oberherrn ausnutzen, um der Härte eines anderen zu entgehen. 43 Auch außerhalb dieser Gebiete einer »versteinerten Leibeigenschaft« waren die Bauern im System der Grundherrschaft einer Vielzahl zusätzlicher Belastungen ausgeliefert. In den fragmentierten Gebieten des mittleren und südwestlichen Reichs hatten regionale Instabilität und Gesetzlosigkeit oftmals verheerende Folgen. In der westlich von Heidelberg gelegenen Grafschaft Leiningen gab es zwischen 1452 und 1524 nicht weniger als 28 Kriege und Fehden, in deren Verlauf an die 500 Dörfer zerstört wurden. Der Erbfolgekrieg zwischen Bayern und der Pfalz 1504–1505 verwüstete Hunderte von dörflichen Gemeinschaften. 44 Kam es anstelle solcher Gesetzlosigkeit zu Konsolidierung und territorialer Kontrolle durch einen regierenden Fürsten, bekam die Bauernschaft die neue Herrschaft in ganz materieller Hinsicht zu spüren. Der Fürst benötigte Geld für Gerichtshöfe und Verwaltungen, für das hauptsächlich die Bauern in Form direkter

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und indirekter Steuern aufkommen mussten. 45 Aber auch andere finanzielle Lasten der Herrschenden wurden schnell an ihre Untertanen weitergereicht, so etwa die »Weihsteuer« für die Wahl des Bischofs oder Fürstabts und die neuen, nach 1495 erhobenen Reichssteuern. All das waren neue Belastungen für die Bauernschaft, die ihnen von einer ebenso aufdringlichen wie beharrlichen Verwaltungsmaschinerie aufgebürdet wurden. 46 Anfänglich mag die Bürokratie in den deutschen Territorien nach heutigen Maßstäben ineffizient gewesen sein, doch war sie für die Bauern, die dergleichen nicht kannten, ein wahrer Leviathan. Was sich im Bereich der Grundherrschaft nach der Auflösung des mittelalterlichen Systems allgemein entwickelte, war die bäuerliche Gemeinde. 47 Sie entstand aus der Komplexität der Dreifelderwirtschaft, die im Westen des Reichs vorherrschte, und aus der Notwendigkeit, über die Nutzung und den Umgang mit Allmenden allgemein Einigkeit zu erzielen. Aber die Entstehung der Gemeinde war auch ein Anzeichen für den Grad an relativer Freiheit, den die Bauernschaft hier im Vergleich mit den Zuständen östlich der Elbe erreicht hatte. Im Westen übernahm die Dorfversammlung organisatorische, repräsentative und in vielen Fällen sogar begrenzte Rechtsprechungsaufgaben. Dennoch wurde der Bürgermeister (der Schultheiß, Amman oder Vogt im Süden, der Schulze oder Bauermeister im Norden und Osten, der Heimbürger in den mittleren Regionen) im allgemeinen durch den lokalen Oberherrn bestimmt oder seine Wahl war von der Zustimmung durch den Oberherrn abhängig. 48 Die Dorfgemeinschaft war jedoch kein homogenes Gebilde, das die Solidarität der Bauernschaft gegenüber den Herren verkörperte. 49 Zum einen war die Gemeinschaft selbst geteilt: Es gab die wohlhabenden, die mittleren und die landlosen Bauern. Und da der Bürgermeister vom Oberherrn ernannt wurde, war es klar, dass es zwischen Bauern und Feudalherren zu einer täglich neu zu bestimmenden Zusammenarbeit kommen musste. Schließlich waren auch die Herren auf ein gutes Verhältnis zu ihren Untertanen angewiesen, wenn sie als Naturalienzahlung gute Ware erhalten wollten. Die Bauern wiederum hatten ein Interesse an günstigen Konditionen für die Nutzung der herrschaftlichen Mühle, an der Instandhaltung der Wege oder der regelgerechten Bewirtschaftung der Felder durch entsprechende Verfügungen des herrschaftlichen Dorfgerichts. Kam es zu Streitigkeiten, hatten beide Seiten ein Interesse daran, sie so schnell wie möglich beizulegen. Erwies sich das als unmöglich, waren die Bauern keineswegs hilflos. Passiver Widerstand war die Form des Handelns, die vielleicht am meisten Schaden anrichtete, vor allem, weil sie die Autorität und die feudalen Rechte des Gutsherrn untergrub, was langfristige Folgen für ihn hatte. 50 Auch Rebellion war möglich – eine Option, derer sich die Bauern im 15. Jahrhundert mit zunehmender Häufigkeit bedienten. Territoriale Zerrissenheit und die extreme Vielfalt lokaler Bedingungen ver-

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hinderten den Ausbruch einer größeren »nationalen« Rebellion, wie sie bei den Franzosen 1358 mit ihrer Jacquerie und bei den englischen Bauern mit ihrer Revolte von 1381 zu verzeichnen war. Jedoch kam es in einigen Gebieten des Reichs zu lokalen oder regionalen Aufständen von größerer Intensität als irgendwo anders in Westeuropa. 51 Die instabilsten Gebiete lagen im Süden, dort, wo kommunale Organisationen am weitesten gediehen waren, zum Beispiel vom Elsass ostwärts zur Steiermark und von Württemberg südwärts zu den Schweizer Kantonen. Relativ wenige Unruhen gab es im Nordwesten, wo die Organisation weniger weit entwickelt war, oder in den Regionen östlich der Elbe. Auch in den bayrischen Herzogtümern, wo die Dorfbevölkerung nur wenig Rechte besaß, blieb es ziemlich friedlich, obwohl sie von Gebieten umgeben waren, in denen es fortwährend Unruhen gab. 52 In der Mehrheit richteten sich die Aufstände gegen die Intensivierung und Kommerzialisierung der Grundherrschaft. Besonders nachdrücklich waren sie in Territorien wie Kempten, wo die Äbte noch die Restbestände des Systems der Zwangsarbeit nutzten, um die Konsolidierung eines zusammenhängenden Herrschaftsgebiets zu betreiben. Dort gab es im 15. und frühen 16. Jahrhundert regelmäßig Ausbrüche von Unzufriedenheit. Ähnliche Konflikte zwischen den Äbten von Sankt Gallen und den Appenzeller Bauern oder zwischen der Stadt Zürich und ihren ländlichen Gütern begleiteten im gleichen Zeitraum die Entwicklung der Schweizer Kantone. 53 In Salzburg und den österreichischen Territorien, aber auch in Württemberg und Baden, rieben sich die Aufständischen an den Begleitumständen des Territorialstaats selbst: am Währungswechsel, an Eingriffen seitens der Verwaltung, an neuen Formen direkter und indirekter Besteuerung.54 In der Krain hieß es 1515, die Taten der Herrschenden hätten den Bauern »Zähne verliehen«. 55 In anderen Gebieten, vor allem denen der Geistlichkeit, war hohe Besteuerung einfach die Folge hoher Verschuldung, wie im Fürstbistum Würzburg, in dem weitverbreiteter Unmut zu jenen Großdemonstrationen führte, die das Auftreten von Hans Böhm (oder Behem), dem Pfeifer von Niklashausen, 1476 begleiteten. 56 Diese Aufstände waren mehrheitlich von eher geringem Ausmaß, aber groß genug, um angesichts der kleinen Territorien, in denen sie sich ereigneten, als lokale Kriege gelten zu können. Siege der Bauernschaft waren höchst selten. Früher oder später konnten die Herrschenden den Aufstand niederschlagen, häufig mit Unterstützung benachbarter Gutsherren oder regionaler Organisationen wie dem Schwäbischen Bund. Aber vielleicht ebenso häufig konnte ein Kompromiss geschlossen werden, was zumindest einen gewissen Erfolg darstellte. Manchmal gar war ein Oberherr wie der Abt von Ochsenhausen in Oberschwaben 1502 gezwungen, seinen Bauern Zugeständnisse zu machen, nachdem der Schwäbische Bund ihren Aufstand niedergeschlagen hatte. 57 Wie immer auch einzelne Konflikte ausgehen mochten, waren ernst zu nehmende Aufstände häufig genug, um wach-

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sende Furcht vor der Bauernschaft zu nähren. Jeder Aufstand wirkte als Warnsignal für eine ganze Region und in weiten Teilen des Südwestens war der Ausdruck Schweizerisch werden ein Codewort für Bauernfreiheit und Feindschaft gegenüber der Feudalherrschaft. Es lehrte die Gutsherren das Fürchten und begeisterte die Knechte. 58 In der Mehrzahl hatten diese Aufstände des 15. Jahrhunderts ein zentrales Thema oder richteten sich gegen einen einzelnen Herrscher. Selbst wenn es wie in Niklashausen 1476, wo Böhms »Visionen« ihn ein ausführliches Programm religiöser und sozialer Reformen verkünden ließen, um allgemeinere Ziele ging, war der Aufruhr rasch vorüber. Als Böhm hingerichtet worden war, zerstreuten sich die Wallfahrer, Berichten zufolge mehr als 30.000, in alle Winde. Die Erinnerung an das Ereignis lebte im Gedächtnis der Bevölkerung weiter, aber erreicht worden war nichts und es gab auch keine Nachfolgebewegung. Nach den 1470er Jahren jedoch wichen diese rein lokalen, unregelmäßigen und thematisch begrenzten Aufstände einer Aktivität von anderer Art und Qualität. Ab etwa 1500 waren die Unruhen eher regionaler Art und verfolgten weiter gespannte politische, soziale und religiöse Ziele. Die Forderung lautete jetzt nicht mehr auf Wiederherstellung des »guten alten Rechts«, sondern man wollte das »göttliche Recht«. Diese Unruhen stellten das Vorspiel zur Explosion von 1525 dar. Schweizer Bauern scheinen dabei die Pionierarbeit geleistet zu haben. 59 Im sogenannten Saubannerzug marschierten 1477 an die 1.700 junge Männer aus Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug gen Genf. Die Stadt hatte es versäumt, einen 1475 vereinbarten Tribut zurückzuzahlen, als Schweizer Streitkräfte die Stadt im Burgunderkrieg vor der Plünderung bewahrten. Diese Männer »vom torechten Leben«, wie sie in zeitgenössischen Chroniken genannt wurden, verfolgten das Ziel, das Geld gewaltsam einzutreiben und alle korrupten Berner Patrizier, die die Verzögerung im Parlament stillschweigend geduldet hatten, zu bestrafen. Hier war eine Streitmacht aus unterschiedlichen Regionen aufgebrochen, um einen Grundsatz auszufechten und den Willen der Dorfgemeinschaften gegen die widerspenstigen Autoritäten durchzusetzen. Wie ernst die Drohung genommen wurde, zeigt die Tatsache, dass die widerspenstige Stadt und die Landorte der Eidgenossenschaft sich mit sonst seltener Solidarität im »Stanser Verkommnis« von 1481 zusammenschlossen. Die Teilnehmer verpflichteten sich zur Unterdrückung aller illegalen Versammlungen von Untertanen. 60 Ein ähnliches Muster ist bei der Bundschuh-Bewegung, die im Südwesten des Reichs zwischen 1493 und 1517 Aufstände organisierte, und beim Aufstand des »Armen Konrad« 1514 in Württemberg, verbunden mit Unruhen in Baden und im Elsass, zu erkennen. Der »Bundschuh«, ein bäuerlicher Schnürschuh aus Leder, war seit dem frühen 15. Jahrhundert als Symbol für Protest und Widerstand verwendet worden. 61 1493 wurde er zum Emblem einer Verschwörung von Unzufriede-

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nen im elsässischen Schlettstadt. Zu den Anführern gehörte Jakob Hanser, Schultheiß von Blienschweiler. Ihre Beschwerden waren vielfältig: Von den Straßburger Bischöfen wurden sie schlecht regiert, von den Klöstern und jüdischen Geldverleihern wurden sie ausgeplündert, die Lage der Bauern in den bischöflich regierten Dörfern war sehr viel schlechter als die in den reichsunmittelbaren Ortschaften, traditionelle Jagd- und Fischfangrechte wurden beschnitten und Ähnliches mehr. Die Verschwörung wurde entdeckt, noch bevor die Verschwörer zu den Waffen rufen konnten, aber das revolutionäre Symbol tauchte, zusammen mit dem Beschwerdekatalog, 1502 in Speyer wieder auf. Jetzt allerdings, und auch in der Bundschuh-Revolte von 1513 in Lehen (Breisgau) sowie 1517 östlich von Straßburg auf dem anderen Rheinufer, jedes Mal unter der Führung von Joß Fritz, gewannen die Beschwerden die Qualität eines Revolutionsprogramms, das die Einführung eines »göttlichen Rechts« forderte. 1513 beschlossen die Verschwörer, es solle keinen Oberherren geben außer Kaiser und Papst und sie würden jeden töten, der ihre Pläne vereiteln wollte. 62 Trotz aller Programmatik und der Führerschaft von Joß Fritz stellten die Aufstände der Bundschuh-Bauern keine kontinuierliche Bewegung dar. Dennoch blieb zumindest das Symbol dem Südwesten 20 Jahre lang erhalten und zeugte von tief greifender Unzufriedenheit ebenso wie von der wachsenden Erwartung aufseiten der Herrschenden wie auch vieler bäuerlichen Gemeinschaften, dass eine große Erhebung unmittelbar bevorstehe. Tatsächlich gewannen die Pläne von Joß Fritz und seinen Mitverschwörern durch eine Reihe von einzelnen Unruhen größere Bedeutung: Aufstände in der Grafschaft Pfirt im elsässischen Jura 1511, in der Eidgenossenschaft 1513–1515, in Ungarn 1514, in der Krain, der Steiermark und Kärnten 1515, in Württemberg (durch den Armen Konrad), Baden und im Elsass 1514. 63 Viele dieser Kampagnen wurden im Namen des »guten alten Rechts« geführt, das durch korrupte oder »dem Neuen verpflichtete« Herrscher untergraben würde. Der Arme Konrad zum Beispiel war eine von Peter Gais aus Remstal angeführte Protestbewegung von Bauern und armen Städtern gegen neue Steuern, die der tyrannische Herzog Ulrich von Württemberg verhängt hatte, um die von seinem Vorgänger, Eberhard dem Bärtigen, angehäuften Schulden zu bezahlen. Peter Gais und seine Mitstreiter wollten nicht die Welt verbessern, sondern gegen diese ungerechte Besteuerung Widerstand leisten. Dennoch trugen, wie andere Aufständische dieser Zeit, auch Herzog Ulrichs bedrückte Untertanen im Süden des Reichs während der Herrschaft von Maximilian I. zu einem sich ausbreitenden Gefühl der Unruhe und Unsicherheit bei. Es scheint durch, dass diese Unruhen mit der religiösen Bewegung nach 1517 mehr als nur durch Chronologie verbunden waren. Immer häufiger berief man sich auf »göttliches Recht« und verfasste revolutionäre Programme, die als Flugblätter oder

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Holzschnitte zirkulierten und die neben anderen Aspekten vor allem die Kirchenreform zum Thema hatten. So war der Boden für die Aufmerksamkeit bereitet, die Luthers frühe Schriften erregen sollten. Joß Fritz war kein Vorläufer der Reformation und auch kein Wiedergänger von Jan Hus, aber seine Aktivitäten versetzten viele dörfliche Gemeinschaften in den – wie sich später herausstellte, falschen – Glauben, dass Luther ihre Sache unterstützen werde. Die Landbevölkerung stand mit ihrer Unzufriedenheit nicht allein da.Vor allem in den kleineren Ortschaften wie den Ackerbürgerstädten, aber auch dort, wo die Orte in Gebieten intensiver ländlicher Industrie lagen, hatten die urbanen wie die ländlichen Unterschichten gemeinsame Interessen. Ferner gab es die Bergbaustädte im Erzgebirge, wo sich, wie in Freiberg und Schneeberg, die organisierte Arbeiterschaft ab 1450 in zunehmendem Maß streikbereit zeigte. 64 Abgesehen davon, gab es natürlich auch in vielen Reichsstädten und in territorialen Städten wie Magdeburg, Braunschweig, Mainz oder Wien Unruhen und Proteste. Die Unterscheidung zwischen Reichsstädten und territorialen Städten ist um 1500 nicht so wichtig wie das Ausmaß an Autonomie und innerer Differenzierung einer urbanen Gemeinschaft. 65 Je unabhängiger von fürstlicher Herrschaft eine Stadt war, desto eher wurde ihr Rat als Oberhoheit oder Regierung wahrgenommen und zum Gegenstand von Kritik oder Feindseligkeit erhoben. Die am häufigsten zitierte Liste solcher Unruhen verzeichnet zwischen 1350 und 1550 in 105 Städten 210 ernst zu nehmende Rebellionen, viele davon periodische Ausbrüche in Jahrzehnte oder gar ein Jahrhundert lang schwelenden Konflikten. 66 Einerseits ist es angesichts der großen Anzahl von Städten im Reich (manche Schätzungen kommen auf 4.000) sehr schwierig, diese Angaben zu bewerten. Andererseits könnte die tatsächliche Anzahl städtischer Konflikte weitaus höher liegen: Die anscheinend zunehmende Häufigkeit solcher Unruhen im späten 15. Jahrhundert ist zumindest teilweise auch auf die größere Verfügbarkeit von Chroniken und anderen Aufzeichnungen zurückzuführen. Immerhin lässt sich für den hier betrachteten Zeitraum sagen, dass es vor der Reformation eine besondere Häufung von Unruhen gab, wobei es allein zwischen 1509 und 1514 in 19 Städten zu Aufständen kam. Eine weitere Zunahme, die nun direkt mit der Reformation zusammenhing, verzeichnen die Jahre zwischen 1521 und 1525. 67 Städtische Konflikte waren ähnliche zahlreich wie ländliche, wiewohl es zwischen Stadt und Land grundlegende Unterschiede gab. Die meisten ländlichen Auseinandersetzungen drehten sich um die Forderung nach Wiederherstellung eines idealisierten »alten Rechts« oder der Etablierung eines gleichermaßen idealisierten »göttlichen Rechts«. Städtische Konflikte dagegen waren im Allgemeinen Ausdruck der Spannung zwischen konkurrierenden gesellschaftlichen Gruppen oder es handelte sich um Streitigkeiten um Verfassungsfragen, die aus spezifischen Problemen erwuchsen. Sie kamen vor allem in den großen Städten vor und wurden

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durch Kompromisse bereinigt. Trotz der unendlichen Vielzahl lokaler Bedingungen lassen sich in den städtischen Konflikten zwei umfassendere Themengebiete entdecken. Es gab zwei Formen der städtischen Regierung. 68 Zum einen konnte die Stadt durch ein Patriziat, bisweilen auch eine Aristokratie, regiert werden, das entweder de facto oder durch Heirat mit dem regionalen Adel die Herrschaft besaß. Zum anderen konnten es Handwerksgilden oder Handelsgesellschaften sein, die die Mitglieder des jeweils regierenden Stadtrats nominierten oder wählten. Tatsächlich waren diese Modelle in Reinkultur höchst selten anzutreffen; in den meisten Städten gab es eine Mischung aus beiden. Wo das Patriziat dominierte, forderten die Gilden fortwährend das Recht auf Partizipation; wo die Gilden dominierten, bestand der regierende Stadtrat zumeist aus Mitgliedern eines kleinen Kreises wohlhabenderer Familien, denn nur solche Personen konnten es sich leisten, ihre Zeit mit der Regelung öffentlicher Angelegenheiten zu verbringen. Trotz aller Unterschiede waren die Städte einem vergleichbaren Ethos verpflichtet und entwickelten im Mittelalter Elemente eines sogenannten christlichen Republikanismus. 69 Er stand für ganz bestimmte Werte, auf die das politische Gemeinwesen Stadt sich gründete. Kennzeichnend dafür war ein Begriff von Freiheit, der sich auf die Gemeinschaft der Bürger insgesamt, nicht aber auf das Individuum bezog. Die Autonomie der Gemeinschaft, ihre Freiheit von jeglicher äußeren Kontrolle und ihr Recht auf Selbstbestimmung waren solche grundlegenden Werte. Intern beruhte das Gemeinwesen auf vier übergeordneten Prinzipien. Zum Ersten genossen alle Bürger dieselben grundlegenden Rechte und Freiheiten, insbesondere den Schutz von Person und Eigentum vor willkürlichen Eingriffen. Zum Zweiten hatten alle Bürger denselben Pflichten nachzukommen, hinsichtlich Besteuerung sowie Beitragsleistungen zu gemeinschaftlichen Arbeiten wie der Errichtung und Erhaltung von Stadtmauern oder der Übernahme von Verteidigungs-, Regierungs- und Verwaltungsaufgaben. Zum Dritten hatte die Gemeinschaft als Kollektiv geschworener Bürger das Recht, an Entscheidungen über die Politik der Stadt teilzunehmen. Das betraf nicht nur Verwaltungsangelegenheiten, sondern auch Fragen von Krieg und Frieden, Besteuerung, Verfassungsänderungen und Religion. Zum Vierten wurden zwar fast alle Städte oligarchisch regiert, aber sie gründeten auf dem Prinzip der Offenheit, auf der Annahme, dass von Zeit zu Zeit neue Gruppen in die Elite eintreten und keine Gruppe oder Clique und kein Individuum dauerhaft die Kontrolle ausüben würden. Natürlich widersprach die Wirklichkeit dem Ideal recht häufig. Die Städte waren ja keine modernen demokratischen Gesellschaften, sondern vielmehr Beispiele jener »neorömischen Theorie freier Staaten«, die in der frühneuzeitlichen Epoche auch andere Richtungen des republikanischen Denkens im Westen inspirierte. 70 In den deutschen Städten ruhten die republikanischen Traditionen auf den Grund-

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lagen mittelalterlicher Körperschaften. In der Praxis widersprach die oligarchische Regierung häufig genug dem republikanischen Ideal. Vielmehr traten zunehmend ausgebildete Rechtsgelehrte in den Vordergrund und mit ihnen wuchs die Neigung, die »modernen« Prinzipien des römischen Rechts auf die städtische Verwaltung anzuwenden, was wiederum in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die oligarchischen Tendenzen der Stadträte verstärkte.71 Das römische Recht war attraktiv aufgrund seines umfangreichen Spektrums und seiner Fähigkeit, die Ansprüche der Vorherrschaft weltlicher über geistliche Kräfte zu untermauern. Aber es verleitete Stadträte auch dazu, ihre Mitbürger als Untertanen, über die sie herrschten, zu betrachten. Allerdings hat die Sprache des römischen Rechts möglicherweise auch dazu verholfen, den Anspruch des städtischen Gemeinwesens insgesamt auf Autonomie mit Nachdruck zu vertreten. Ihre Unabhängigkeit wollten die Reichsstädte in einem zunehmend von Fürsten beherrschten Reich ebenso bewahren wie die territorialen Städte ihre Rechte unabhängig von einem regierenden Fürsten. So fanden es die einen wie die anderen passend, sich den Mantel eines »souveränen, gesetzgebenden princeps« umzuhängen. 72 Innenpolitisch jedoch riefen solche Anwandlungen, die im 17. Jahrhundert einige Räte von Reichsstädten dazu brachten, sich als »durch die Gnade Gottes« eingesetzt zu betrachten, Ablehnung hervor, weil sie genau jene Grundsätze, auf die sich das Gemeinwesen gründete, untergruben. Das städtische Gemeinwesen war im Allgemeinen stärker sozial differenziert als sein ländliches Gegenstück. 73 In den meisten Städten ließen sich zumindest vier Gruppen deutlich voneinander unterscheiden. Ganz oben hielt eine kleine Gruppe von Patrizierfamilien mit relativ engen Bindungen die politischen Machtpositionen besetzt. Viele von ihnen verdienten Geld mit Fernhandelsgeschäften, vor allem in den süddeutschen Städten; viele entwickelten auch aristokratische Neigungen und einige zogen von der Stadt aufs Land und wurden Gutsherren. Die Aristokratisierung von Patrizierfamilien war wohl in Städten wie Augsburg und Nürnberg am weitesten gediehen. Dort kam es im späteren 15. Jahrhundert zu engen Bindungen an das monarchische Regime und die führenden Familien pflegten die humanistische Bildung und waren Schutzherren der Künste. Allerdings waren die Patriziate dort wie überall gesellschaftlich exklusiv, wofür einige einen hohen Preis bezahlten: In Basel, Hildesheim und Münster zum Beispiel starben sie einfach aus. 74 Die zweite Gruppe entwickelte sich im Spätmittelalter in vielen Städten vor allem des Nordens: erfolgreiche, keinem Patriziat angehörige Kaufleute. Sie waren von der herrschenden Elite ausgeschlossen und forderten, bisweilen in Handelsgesellschaften miteinander verbunden, immer vernehmlicher die Beteiligung an und Vertretung in den Räten und Regierungen. Die dritte Gruppe bildeten die Handwerksgilden, die in der Mehrzahl der Städte normalerweise zwei Drittel der Gesamtbevölkerung repräsentierten und das Hauptgegengewicht zur politischen

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Elite darstellten. Die Gilden selbst waren häufig sehr stark hierarchisch gegliedert, je nachdem, welche besonderen Handwerke und Gewerbe in der lokalen Wirtschaft vorherrschten. 75 Schließlich kamen nach den Gilden, deren Mitglieder Vollbürger waren, die Arbeiter, Bediensteten und dergleichen, die normalerweise ein Viertel der Bevölkerung ausmachten. Allerdings gab es in dieser Hinsicht beträchtliche Unterschiede; so stellte in den neuen Bergbaustädten die arbeitende Klasse die Mehrheit. 76 Das 15. Jahrhundert war für die deutschen Städte ein goldenes Zeitalter, aber auch die Epoche des politischen Aufruhrs. Die meisten Probleme entstanden, wenn Kaufmannsgruppen oder, häufiger noch, Handwerksgilden die Autorität der herrschenden Schicht infrage stellten. Auslöser war zumeist eine Wirtschaftskrise, ein Währungswechsel oder die Einführung neuer Steuern. Im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, als der Monarch weitergehende Forderungen an die Reichsstädte stellte, und das zu einer Zeit, da diese kostspielige neue Befestigungsanlagen zum Schutz gegen neu entwickelte Artillerie benötigten, war die Besteuerung ein Hauptthema. So war zwischen 1509 und 1514 das sogenannte Ungeld, eine Verbrauchssteuer, der Grund für die meisten Unruhen. Solche Steuern trafen die Armen in der Stadt am härtesten und ihre Unzufriedenheit nahmen die Gilden zum Anlass, die Stadträte der Misswirtschaft und Korruption zu bezichtigen. Sie forderten die öffentliche Prüfung der finanziellen Angelegenheiten und ihre zukünftige Beteiligung an der Verwaltung dieser Angelegenheiten. Oftmals gab es auch weitergehende Forderungen, etwa nach Beteiligung an der Verwaltung jener »kommunalen« Güter, die sich im Besitz der Geistlichkeit befanden. Zudem sollten die Kirchspiele und die Berufung von Geistlichen der Kontrolle durch Laien unterstellt werden. 77 Die Geistlichkeit war nämlich, obwohl sie den Schutz der Stadt genoss und über die geistlichen Gerichte beträchtlichen Einfluss ausübte, von der Besteuerung befreit, weil kein Geistlicher den Bürgereid leistete, was die Stadträte wie ihre Kontrahenten gleichermaßen die Ausweitung der Kontrolle durch Laien anstreben ließ. Die Protestbewegung in den Städten ist unterschiedlich interpretiert worden. 78 Einerseits begriff man sie als Pendant zur kommunalen Bewegung auf dem Land, die in einer kommunalen »Reformation« gipfelte, um nach einigen rauschhaften Jahren der »Fürstenreformation« zum Opfer zu fallen. Andererseits wurde sie von einigen als Herausbildung einer republikanischen Tradition gesehen, wie sie auch anderswo in Europa sich durchsetzte, nur dass sie im Reich in ihrem langwierigen Kampf gegen die Fürsten zum Scheitern verurteilt war. In der Frage, ob es auch nach den 1520er Jahren noch eine republikanische Bewegung gab, herrscht Uneinigkeit. Bedeutsamer ist vielleicht, dass die Gelehrten sich zumindest in einem Punkt einig sind: Die Kämpfe der städtischen Kommunen um die Verfassung betrafen auch die lokale Kirche und arbeiteten so der Reformation zu oder liefen mit

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ihr parallel. Allein die Ausdrucksweise der reformorientierten Theologen – insbesondere der Schlüsselbegriff »Gemeinde« – schien auf das dasselbe Vokabular zurückzugreifen wie die Vertreter der städtischen Politik. Allerdings war das Vokabular höchst kontextabhängig und diese Tatsache stellte ein wesentliches Moment der Reformationsbewegung und ihres Widerhalls in der Gesellschaft und Politik des Reichs dar. Zur Zeit des Bauernkriegs notierte Michael Eisenhart 1525, dass es, hätte Luther kein einziges Buch geschrieben, in Deutschland friedlich geblieben wäre. 79 Was einem katholischen Zeitgenossen wie Eisenhart selbstverständlich erschien, ist von den vielen Historikern, die die deutsche Gesellschaft um 1500 in einer grundlegenden Krise oder sogar vor einer frühbürgerlichen Revolution sahen, implizit bestritten worden. In der Regierungszeit Maximilians I. gab es Erholung und Wachstum, aber auch zunehmende Spannungen, denn die Entwicklung schuf Gewinner und Verlierer. Insgesamt jedoch gab es keinen objektiven Grund, einen revolutionären Ausbruch im Reich zu erwarten. Die politische Ungewissheit im Hinblick auf die kaiserliche Nachfolge 1518/19 nährte die Hoffnung auf eine Reich, Kirche und Gesamtgesellschaft umgreifende Reform, aber die Krise, die sich nach 1517 entfaltete, wurde durch die »Luthersache« ausgelöst. Danach breiteten sich Luthers Ideen aus und wurden von einer Vielzahl unterschiedlichster Gruppen mit höchst unterschiedlichen Zielen und Interessen interpretiert, häufig auch falsch oder überinterpretiert, aber auf jeden Fall gerieten die deutschen Territorien allesamt in Bewegung wie nie zuvor.

Anmerkungen 1 Lauterbach, »Revolutionär«. 2 Cohn, Pursuit, 119–126; Borchardt, Antiquity, 116–119. 3 Die Berechnungen beziehen sich auf die deutschen Grenzen von 1937: Wiese und Zils, Kulturgeographie, 68. 4 Pfister, »Population«, 40; Rabe, Geschichte, 42; Schulze, Deutsche Geschichte, 23–24. 5 Schulze, Deutsche Geschichte, 13. 6 Endres, »Ursachen«, 219–220. 7 Pfister, »Population«, 41. 8 Schulze, Deutsche Geschichte, 25. 9 Rösener, Agrarwirtschaft, 31–36; Scott, Society, 72–112. 10 Scott, Society, 86–89. 11 Scott, Society, 97–101; Mathis, Wirtschaft, 22–25, 86–89. 12 Schilling, Stadt, 8. 13 Scott, Society, 101–107; Mathis, Wirtschaft, 23–25, 35–39, 57–61, 82–85; Schubert, Spätmittelalter, 185–186; Braunstein, »Innovations«; die Essays in Bergbaureviere bieten einen umfassenden Überblick über die Aktivitäten im Reich.

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14 Brady, »Institutions«, 274. 15 Scott, Society, 25–26, 121–126; Mathis, Wirtschaft, 71–75; Schubert, Spätmittelalter, 147– 152. 16 Scott, Society, 126–132; Mathis, Wirtschaft, 31–33, 58–60, 92–93. 17 HbDSWG, 351; Brady, »Institutions«, 271. 18 Häberlein, Die Fugger, 17–68. 19 Köbler, Lexikon, 201; Häberlein, »Fugger«. 20 Schmidt, »Frühkapitalismus«, 91–113. 21 HbDSWG,486–490; Schmidt, Städtetag, 423–440. 22 HbDSWG, 487. 23 Scott, Society, 153–157. 24 Scott, »Landscapes«, 11; Scott, Society, 188–197. 25 Schubert, Spätmittelalter, 79–82; Scott, »Landscapes«, 9–11. 26 Scott, »Landscapes«, 10. 27 Rabe, Geschichte, 99. 28 Rösener, Agrarwirtschaft, 36–39, und Holenstein, Bauern, 30–34, enthalten aktuelle Versionen der zuerst von Lütge in Agrarverfassung, 188–200, ausgearbeiteten Klassifizierung. 29 Schubert, Spätmittelalter, 74. 30 Buszello, »Oberrheinlande«, 83. 31 Endres, »Ursachen«, 224. 32 Endres, »Ursachen«, 222. 33 Endres, »Ursachen«, 219. 34 HbDSWG, 373. 35 Endres, »Ursachen«, 233–234. 36 Blickle, Revolution, 48–50. 37 Rabe, Geschichte, 95. 38 Endres, »Ursachen«, 227. 39 Blickle, Revolution, 58–65; Endres, »Ursachen«, 231. 40 Endres, »Ursachen«, 232–233. 41 Blickle, Leibeigenschaft, 53–74. 42 Franz, Bauernkrieg, 10–14; Blickle, Revolution, 76. 43 Blickle, Revolution, 77. 44 Laube, »Revolution«, 35–36. 45 Endres, »Ursachen«, 239–245. 46 Körner, »Steuern«. 47 Schubert, Spätmittelalter, 86–93; Scott, Society, 48–55; Blickle, Gemeindereformation, 13– 204. 48 Zu diesen Termini und ihren vielen Äquivalenten vgl. Haberkern und Wallach, Hilfswörterbuch. 49 Scott, Society, 176–182. 50 Schubert, Spätmittelalter, 83. 51 Schubert, Spätmittelalter, 93. 52 Blickle, Unruhen, 12–25; Franz, Bauernkrieg, 1–79. Einige Gegenbeispiele bei Blickle, »Konflikte«. 53 Franz, Bauernkrieg, 3–9; Blickle, Unruhen, 15–17. 54 Franz, Bauernkrieg, 30–41.

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Zit. n. Schubert, Spätmittelalter, 96, dort mit der falschen Jahreszahl 1513. Franz, Bauernkrieg, 45–52. Laube, »Revolution«, 56. Schubert, Spätmittelalter, 68–69, 95; Brady, Turning Swiss, 28–42. Blickle, Unruhen, 22–23. Brady, Turning Swiss, 32–33. Schubert, Spätmittelalter, 96; Blickle, Unruhen, 23–24; Franz, Bauernkrieg, 53–79. Blickle, Unruhen, 24. Laube, »Revolution«, 88–89; Franz, Bauernkrieg, 19–41. Laube, »Revolution«, 64–66. Schilling, Stadt, 39–40. Maschke, »Stadt«, 75–76, 95. Schubert, Spätmittelalter, 131; Blickle, Unruhen, 25. Blickle, Reformation, 82–85; Schilling, Stadt, 48–49. Schilling, Aufbruch, 170–171. Skinner, Liberty, 11, 17–36. Strauss, Law, 56–95; Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 66–67. J. W. Allen, zit. n. Strauss, Law, 64. Scott, Society, 34–48. Rabe, Geschichte, 88; Du Boulay, Germany, 141–145. Blickle, Unruhen, 11–12. Rabe, Geschichte, 89–90; Maschke, »Stadt«, passim. Blickle, Gemeindereformation, 179–183; Rabe, Geschichte, 198. Schilling, Stadt, 89–92. Maurer, Prediger, 24; Baumann, Quellen, 621, 635–636.

12. Die »Luthersache« und der Reformator, 1517–1519

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er späteren protestantischen Tradition galt der 31. Oktober 1517 als der Tag, an dem die Reformation begann. An diesem Tag soll Luther seine 95 gegen den Ablasshandel gerichteten Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt und damit den deutschen Aufstand gegen Rom losgetreten haben. Tatsächlich aber ist es eher unwahrscheinlich, dass ein solches Ereignis stattgefunden hat. Zwar verbreitete sich der Inhalt der Thesen schon im November 1517 mit erstaunlicher Geschwindigkeit im Reich, doch scheint klar, dass Luther selbst dafür nicht verantwortlich war. Auch dass Luther diese Thesen schrieb und am 31. Oktober an den Erzbischof von Mainz schickte, war nicht der erste aufrührerische Akt einer geplanten Rebellion.Vielmehr war es die außerordentlich heftige Reaktion der Kirchenoberen, die Luther während der nächsten beiden Jahre zum Ketzer stempelte. Im Sommer 1519 brachte ihn das an einen Punkt, den er 1517 noch für undenkbar gehalten hätte: In seiner Disputation mit Eck in Leipzig verteidigte er öffentlich einige Ideen des böhmischen Ketzers Jan Hus und erklärte, dass sogar Kirchkonzilien irren könnten. Dieser öffentlichen Kritik an kirchlicher Autorität folgten noch radikalere Handlungen des Widerstands, der spektakulärste in Wittenberg am 10. Dezember 1520, als Luther öffentlich die päpstliche Bulle Exsurge Domine verbrannte, in der der Papst Luthers Schriften als ketzerisch verurteilt und den Widerruf gefordert hatte. Durch die Dämonisierung Luthers seitens der Kirche wurden zwei entscheidende Prozesse in Bewegung gesetzt. Zum einen entwickelte Luther selbst nun die grundlegenden Lehrsätze seiner Theologie systematischer und brachte sie deutlicher formuliert zum Ausdruck. Viele Überzeugungen hatten sich schon vor 1517 gebildet, kristallisierten sich aber erst danach als Alternative zum alten Glauben heraus. Ja, es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass Luther seine große Entdeckung, der reformatorische Durchbruch zur Lehre der sola fide (der Rechtfertigung durch den Glauben allein), erst jetzt wirklich zu Bewusstsein kam. Dieser Grundsatz beendete seine langwährende persönliche Krise und legte das Fundament für seine späteren theologischen Auffassungen. Zum anderen erfuhr er nachdrückliche Unterstützung von vielen verschiedenen Seiten. Als das Wormser Edikt im Mai 1521 über ihn die Reichsacht verhängt hatte, war er schon eine charismatische Persönlichkeit mit Massen an Gefolge. Aus Luthers Entwicklung vor 1517 lässt sich so ein Ergebnis nicht schlüssig

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ableiten. 1 Luther wurde am 10. Oktober 1483 in Eisleben (Grafschaft Mansfeld) in eine aufstrebende Familie geboren. Der Vater war bäuerlicher Abkunft. Als ältester Sohn war er durch das den jüngsten begünstigende Erbfolgerecht von der Übernahme des väterlichen Betriebs ausgeschlossen, also fing er als Arbeiter in den lokalen Kupfer- und Silberminen an, heiratete dann die Tochter einer etablierten Eisleber Bürgerfamilie und wurde schließlich ein mäßig erfolgreicher Unternehmer in der Kupferverhüttung. Selbst auf der Höhe des Mansfelder Kupferbooms war der Lebensunterhalt eines Hüttenmeisters, der die Schmelzhütten von den Mansfelder Grafen gepachtet hatte, relativ unsicher und hing vom Kapital und dem Vermarktungsgeschick der großen Handelsgesellschaften ab. Dennoch konnte der Vater bescheidenen Wohlstand und einen Status erreichen, der ihm Kontakte zu den Juristen wie Beamten von Mansfeld und Städten im benachbarten Sachsen sicherte. Auch weckte das in ihm den Ehrgeiz, seinem ältesten Sohn als Vorbereitung auf eine juristische Karriere Bildung zukommen zu lassen. Über Luthers frühe Schulbildung in Mansfeld, Magdeburg und Eisenach ist wenig bekannt. Immerhin scheint er in Magdeburg bei den Brüdern vom Gemeinsamen Leben und in Eisenach bei einer für ihre Frömmigkeit und Unterstützung des örtlichen Franziskanerklosters bekannten Familie gewohnt zu haben. Zwar sind keine herausragenden schulischen Leistungen von ihm überliefert, doch reichten sie aus, um ihn 1501, im Alter von 18 Jahren, in die Universität Erfurt eintreten zu lassen. Erfurt, mit 20.000 Einwohnern eine der größeren deutschen Städte, gehörte zum Territorium Thüringen des kurfürstlichen Erzbischofs von Mainz. An der fünftältesten deutschen Universität also studierte Luther als Vorbereitung auf das Jurastudium vier Jahre lang die freien Künste. Zwar gab es damals in Erfurt auch bereits Anfänge des Humanismus, doch scheint Luther damit kaum in Kontakt gekommen zu sein. Seine Studien galten der traditionellen Scholastik, den er hauptsächlich in der Form des von Wilhelm von Ockham (* um 1285, † um 1349) vertretenen Nominalismus kennenlernte. Damit erhielt er eine gründliche Ausbildung in Logik und Argumentation sowie im nominalistischen Denken, das in Philosophie und Theologie die Grundlage der via moderna bildete und die alten Gewissheiten des Realismus radikal infrage stellte. Der Konflikt zwischen den beiden Universalienlehren entsprang einer jeweils unterschiedlichen Auffassung von Erkenntnis und Sprache. Die Realisten meinten, dass sich Wörter oder Begriffe direkt auf die von ihnen bezeichneten Dinge bezögen und dass alle Begriffe universelle Gültigkeit oder Realität besäßen, die der Mensch zu erkennen vermöge. Insofern können Gott, Wahrheit oder Gerechtigkeit als Realien vom Menschen mittels des kirchlicherseits angehäuften Wissens begriffen und von der Kirche auch mit einiger Gewissheit gelehrt werden. Aber der Nominalismus war, wie Richard Marius bemerkt, »der Dekonstruktivismus der damaligen Zeit«. 2 Ockham und seine Schüler verneinten die unabhän-

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gige Existenz von Allgemeinbegriffen. Wörter könnten sich nur auf spezifische Dinge beziehen, während wir von Dingen, die nicht spezifisch seien und nicht direkt von uns erfahren werden könnten, kein sicheres Wissen erlangen könnten. Damit sollte betont werden, dass Gott nicht durch universelle Ideen festgelegt werden kann, sondern frei und allmächtig ist und für den Menschen von Grund auf ein Mysterium bleibt. Was wir von Gott wissen, beruht auf dem, was er uns zu enthüllen bereit ist. Unsere Vernunft kann uns nur dabei helfen, jene Kenntnisse zusammenzufügen, die uns durch unsere spezifischen Erfahrungen vermittelt wurden. Wir können aufgrund dieser Erfahrungen zwar annehmen, dass Gott existiert, doch können wir seine Existenz nicht aus der Schöpfung schlüssig deduzieren. Das Wissen um die letzten göttlichen Wahrheiten oder um Probleme wie das Weiterleben der Seelen nach dem Tod hängt von Offenbarung und Glauben ab. Luther lernte durch den Nominalismus Logik und Argumentation, aber die Lehre stürzte ihn auch in ein System von Ängsten und Zweifeln. Denn Ockhams Denken schloss die Möglichkeit ein, dass Gottes Wille unvorhersehbar oder dass das, was wir von ihm zu wissen meinen, falsch sein könnte. 3 Das schuf Raum für intensive persönliche Ängste und machte die Kirche schließlich potenziell angreifbar. Legte man das Gewicht auf Offenbarung, setzte man implizit darauf, dass die Kirche diese richtig übermittelte und interpretierte. Für Ockham waren die kirchlichen Lehren unfehlbar, aber viele seiner Nachfolger hatten die Vorstellung, Rom repräsentiere die wahre Kirche, infrage gestellt. Rom hatte die Lehren von Wyclif und Hus überstanden, aber war weiterhin dem Vorwurf ausgesetzt, seine zunehmend weltlich orientierte Hierarchie habe mit einer lebendigen Nachfolge Christi nichts zu tun. Ebenso wichtig war die Frage der Interpretation. Die mittelalterliche Theologie war von geradezu unendlicher Vielfalt und um 1500 hatte die humanistische Textkritik einen Weg zum Verständnis der Bibel gewiesen, der zumindest potenziell auf jede Anleitung durch die Kirche verzichten konnte. 4 Zwar lässt sich nicht nachweisen, dass solche Gesichtspunkte für Luthers geistige Entwicklung in diesem Stadium eine Rolle spielten, doch waren bestimmte Elemente von Ockhams Philosophie für sein späteres Denken maßgebend. Das entwickelte sich jedoch erst nach seiner Magisterprüfung, als ein dramatisches Bekehrungsereignis ihn das Rechtsstudium aufgeben und in ein Kloster eintreten ließ. Als er am 2. Juli 1505 von Erfurt nach Mansfeld unterwegs war, geriet er in ein heftiges Unwetter und wurde von Todesangst gepackt. Er gelobte bei der heiligen Anna, Mönch zu werden, falls sie ihm helfe. Sodann fühlte er sich dem mönchischen Leben verpflichtet und trat bald nach diesem Erlebnis in das Kloster der Augustinereremiten in Erfurt ein. Luther beendete das Noviziat bereits nach einem Jahr. Im April 1507 wurde er zum Priester geweiht und begann mit seinen theologischen Studien. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte sich seine Laufbahn in dreierlei Weise, wobei er jedes Mal

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von der Schirmherrschaft seines mächtigen Gönners profitierte. Das war Johannes von Staupitz, Provinzial der sächsischen Provinz der Augustiner, Generalvikar der deutschen Kongregation und, zusammen mit Friedrich dem Weisen, 1502 Gründer der Universität zu Wittenberg, deren erster Theologieprofessor er wurde. 5 Zunächst bewegte sich Luther in seinem Studium gleichmäßig von einem universitären Grad zum nächsten, bis er (außerordentlich schnell, wiederum dank Staupitz) 1512 zum Doktor promoviert und daraufhin Staupitz’ Nachfolger wurde. Professor der Theologie blieb er bis ans Ende seines Lebens. Sodann wurde Luther als Mönch 1512 Subprior im Kloster der Augustiner zu Wittenberg und Vikar für zehn Klöster in Meißen und Thüringen. Und schließlich übernahm er ab 1513 reguläre pastorale Pflichten: Er wirkte als Prediger im Augustinerkloster und in der Stadtkirche von Wittenberg. 6 Das waren Jahre beruflichen Erfolgs in dem fortschrittlichen und reformorientierten Bereich der deutschen Kirche. Von Unzufriedenheit oder Rebellion gab es keine Spur. Selbst ein Besuch in Rom 1510 aus Anlass eines internen Rechtsstreits zwischen den sächsischen Augustinern hatte keinen nachhaltigen Einfluss auf seine Ansichten. Seine Vorlesungen und frühen Schriften zeigen ihn als bewussten und scharfen Kritiker kirchlicher Laster und Missbräuche, die vor allem in den oberen Rängen der Hierarchie grassierten. 7 Aber Luthers Anschauungen standen im Einklang mit denen anderer reformorientierter Geistlicher seiner Zeit, und es hat seine Bedeutung, dass er zugleich die Arroganz zum Beispiel der Hussiten verurteilte, die »die bösen Christen« verlassen hätten. Im Gegensatz dazu war Luther ein Kritiker, der sich leidenschaftlich für die Sache der Kirche einsetzte. 8 Allerdings waren diese Jahre auch durch periodisch auftretende persönliche Krisen geprägt, die Luther selbst als »Anfechtungen« bezeichnete. Er entwickelte eine Theologie, die zumindest teilweise ein fortwährendes Bemühen war, seine seelischen Turbulenzen in den Griff zu bekommen. Die intensive Todesfurcht, die seine Bekehrung von 1505 ausgelöst hatte, machte alle Anstrengungen, sich in die Routine des mönchischen Lebens zu fügen, immer wieder zunichte. Er wurde seiner Versuchungen nicht Herr und zugleich suchte ihn ein Gefühl von Sinnlosigkeit und persönlicher Unzulänglichkeit heim. Er konnte nichts tun, um sich von diesen Gefühlen zu befreien; keine noch so umfangreiche Buße konnte seine Sünden auslöschen und selbst der Gedanke, eine vollständige Beichte abgelegt zu haben, rief nur Stolz hervor, eine weitere Sünde. 9 Entsprechend groß war Luthers Furcht, von Gott verurteilt zu werden. Die Lösungen, die Luthers Mentor Staupitz und die in Wittenberg dominierende akademische Theologie anboten, waren im Wesentlichen die der Devotio moderna, die Staupitz in Tübingen zwischen 1497 und 1500 bei den Schülern von Gabriel Biel und den Brüdern vom Gemeinsamen Leben kennengelernt hatte. Einerseits besagte die Prädestinationslehre, dass Gott, unbekannt und geheimnisvoll, wie er sei,

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einige zur Errettung, andere zur Verdammnis bestimmt habe. Da Gott jedoch seine Entscheidungen uns nicht mitteile, müssten die Rechtgläubigen leiden, doch dagegen helfe nur der Glaube selbst. Andererseits hatten die Menschen eine begrenzte Fähigkeit, durch gute Werke auf ihre Erlösung hinzuwirken. 10 Die Vorlesungen über die Psalmen und die Briefe des Paulus, die Luther zwischen 1513 und 1517 hielt, befassten sich eingehend mit diesen Problemen und führten zu einer erstaunlichen Alternative. Unter Berufung auf Augustinus’ Lehre von der inneren Sündhaftigkeit des Menschen gelangte Luther zu der Auffassung, dass der Mensch nicht durch gute Werke Gottes Gnade teilhaftig werden könne. Zum rechten Glauben komme er nur, indem er Gottes Urteil in Demut und Selbsterniedrigung annehme. Wie Christus am Kreuz müsse der Mensch erst vernichtet werden, bevor er errettet werden könne. Vor seiner Errettung sei er zugleich Gerechter und Sünder und unbedingt abhängig von der göttlichen Gnade. Zwar entstanden diese Ideen im Dialog mit der scholastischen Theologie, doch las Luther zu jener Zeit auch den Mystiker Johann Tauler (* um 1300, † 1361), dessen Schriften für ihn die Bedeutung des Glaubens, der unmittelbaren Beziehung zwischen Gott und Mensch ohne vermittelnde Institution, bekräftigten. Tatsächlich behauptete Luther, seine Ideen in den Schriften der Mystiker wiedererkannt zu haben. 11 In dem Maß, wie Luther seine Theologie der Demut entwickelte, verstärkten sich seine Zweifel am Wert der mönchischen Lebensweise. Er kritisierte nun die konventionelle Frömmigkeit sowie das Zeremoniell um die Sakramente und schließlich beschuldigte er sogar die scholastischen Theologen, sie würden den religiösen Sinn der Christen durch Lehren vergiften, die falsche Tröstungen und Hoffnungen verbreiteten. 1516 griff Luther in einer universitären Disputation öffentlich die meisten Lehren der via moderna an, also genau der Doktrin, die er unterrichten sollte. Im folgenden Jahr veröffentlichte er kurz vor Beginn der Ablasskontroverse eine vernichtende Kritik der scholastischen Theologie, wobei es ihm vor allem um den Widerspruch zwischen Paulus’ pessimistischer und Aristoteles’ optimistischer Einschätzung der moralischen Fähigkeiten des Menschen ging. Das gleiche Problem bestimmte dann auch Luthers Einstellung zum Humanismus. Gern benutzte er Erasmus’ Ausgabe des Neuen Testaments in griechischer Sprache und andere Werke humanistischer Gelehrsamkeit. Aber in der Auseinandersetzung damit wurde ihm deutlich, wie häufig er zu ihren Auffassungen im Widerspruch stand. Vor allem gefiel ihm das Ethos der humanistischen Untersuchungen nicht, so lehnte er den verächtlichen Tonfall der Dunkelmännerbriefe ab; seine Kritik an der Kirche kam von innerhalb ihrer Hierarchie. Aber es gab auch ein grundlegenderes Problem: Luther lehnte den Humanismus aus den gleichen Gründen ab wie die Scholastik; in seinen Augen machten sich beide des Pelagianismus schuldig, das heißt der optimistischen Auffassung, der Mensch könne von sich aus zu seiner Erlösung beitragen. 12 Luthers Auseinandersetzung mit

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Erasmus über dieses Thema, veröffentlicht als Korrespondenz von Flugschriften, vollzog sich erst 1524–1525. Doch beruhte die Leugnung des freien Willens auf Ansichten, die Luther zwölf Jahre zuvor entwickelt hatte, sodass ein anfängliches Bündnis zwischen Reformation und Humanismus bestenfalls oberflächlich gewesen sein kann. 13 Luthers strikt antischolastische Ideen erhöhten seinen Bekanntheitsgrad, brachten ihm größere Hörerzahlen als den scholastischen Professoren und vermehrten die Gefolgschaft unter seinen Kollegen. Aber sie machten ihn nicht zum Ketzer. Die wesentlichen Elemente der Reformationstheologie waren 1517 bereits ausgearbeitet, doch bildeten sie noch keine neue Theologie, die mit der Kirche in Konflikt geraten konnte. Luther selbst erkannte die volle Bedeutung seiner Ideen erst später; 1517 war er noch, wie er sich später erinnerte, ein verrückter Papist, der bis zum Hals in den Dogmen der kirchlichen Lehre versunken war. 14 Selbst die Kritik am Ablasshandel wurde anfänglich auf völlig unspektakuläre Weise vorgetragen, denn das Problem stellte sich Luther zunächst als ein seelsorgerisches dar. Manche Mitglieder seines Wittenberger Kirchspiels reisten über die Grenze ins nahe Territorium des Erzbischofs von Mainz, um dort die vom Dominikanerprediger Johann Tetzel angepriesenen Ablassbriefe zu erwerben. Dann kehrten sie nach Wittenberg zurück und baten Luther um Absolution ohne Buße oder Besserungsversprechen. Das konfrontierte ihn mit einem praktischen Beispiel für eines der Hauptprobleme, die sein Gewissen in den letzten Jahren belastet hatten. Der betreffende Ablass war nur wegen seiner Höhe ungewöhnlich, und er war delikat, was das Timing anbetraf. 15 Er wurde 1515 als Ergebnis eines Handels zwischen Papst Leo X. und Albrecht von Brandenburg verkündet. Albrecht war im Alter von 24 Jahren Erzbischof von Mainz geworden, nachdem er bereits die Ämter eines Erzbischofs von Magdeburg und eines Administrators von Halberstadt erworben hatte. Der Papst wollte gern den Neubau des Petersdoms fertigstellen und der Erzbischof musste die Schulden bezahlen, die ihm durch seine Wahl und durch den päpstlichen Dispens entstanden waren. Denn das kanonische Recht sah vor, dass Bischöfe älter als 30 Jahre sein mussten, und diesen Passus hatte der Papst außer Kraft gesetzt. Das rein Kaufmännische ihres Abkommens zeigt sich auch daran, dass der Hauptablassprediger, der Dominikaner Johann Tetzel, von einem Angestellten des Hauses Fugger begleitet wurde, der die Einnahmen aufzeichnete und gleich den jeweiligen Ansprüchen zuordnete. Allerdings war der Gesamtumfang der dubiosen finanziellen Transaktionen zu jener Zeit wohl auch Luther nicht bekannt. Das Geld wurde nämlich zunächst durch die Bank der Fugger bereitgestellt und diese wurde dann bei der Begleichung der Schulden erneut als Abrechnungsstelle genutzt. Was den Skandal recht eigentlich heraufbeschwor, waren regionale politische Empfindsamkeiten: Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, stand dem Vorgehen des

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Fürsten von Brandenburg auf seinem Territorium ablehnend gegenüber und verbot daher den Verkauf von Ablassbriefen. Deren Anziehungskraft war aber so groß, dass seine Untertanen gern die paar Meilen nach Zerbst und Jüterbog reisten, um dort ihr Seelenheil zu erwerben. Tetzels Aktivitäten gaben den Zweifeln Luthers, ob Sündenvergebung wirklich erkauft werden könne, neue Nahrung. Bislang hatte er Schriften gegen den Missbrauch solcher Praktiken verfasst und die Bischöfe aufgefordert, dagegen vorzugehen. Jetzt aber, am 31. Oktober 1517, wandte er sich erneut an seine Vorgesetzten, an Albrecht und an seinen eigenen Bischof, Hieronymus Schultz von Brandenburg. Er wies darauf hin, dass die Menschen in dem Glauben, sie könnten ihr Seelenheil kaufen, in die Irre geführt würden. Zudem schickte er den beiden und auch einigen seiner Kollegen jene 95 Thesen, in denen er seine Besorgnis ausführlich darlegte und theologisch begründete. Dass er diese Thesen darüber hinaus noch an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte, ist, wie gesagt, zweifelhaft. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Luther zu diesem Zeitpunkt eine öffentliche Diskussion oder gar Konfrontation anstrebte. Jedenfalls ist unklar, wie es dazu kam, dass die Thesen im Dezember 1517 gedruckt und damit in den folgenden Monaten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. Dass dem aber so war, zeigt, wie das Medium Buchdruck eine geistliche Auseinandersetzung, die innerkirchlich vielleicht hätte geschlichtet werden können, zu einem Großthema machte, das Kirche und Reich schon bald in eine tiefe Krise stürzen sollte. Die 95 Thesen und die Reaktion darauf markierten einen Wendepunkt in Luthers Leben und Laufbahn. Die Thesen selbst waren noch im theologischen Rahmen der traditionellen Kirche formuliert. Luther argumentierte, dass der Papst selbst sicherlich über die falsche Lehre, die in seinem Namen verbreitet wurde, betrübt sein würde. Zugleich jedoch behauptete er, die Autorität des Papstes sei begrenzt. Er habe nur Macht, jene Strafen zu erlassen, die durch ihn selbst oder das kanonische Recht verhängt würden, aber er könne nicht die Vergebung erwirken, die Gottes eigene Sache sei. Noch weniger habe er oder irgendein anderer Geistlicher Macht über die Toten oder könne die im Fegefeuer befindlichen Seelen von ihren Sünden lossprechen. Der Schatz der Kirche sei kein Gnadenspeicher, dessen Inhalt der Klerus verteilen könne, sondern »das hochheilige Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes«, das jedem zugänglich sei. Auch liege der Reichtum der Kirche nicht in weltlichen Gütern; sie sei vielmehr eine Kirche der Armen. Der Papst benötige das Geld der gewöhnlichen Christen nicht; mit seinem eigenen enormen Reichtum könne er den Bau von Sankt Peter ohne Schwierigkeiten finanzieren. Das Leben des Christen dagegen sei ein Leben fortdauernder Reue, bei dem die Sündenstrafe bis ans Ende währe. Das endgültige Ziel sei der Himmel, doch führe die Berufung zur Nachahmung Christi den Men-

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schen durch alle Strafen, durch Tod und Hölle, hindurch. Die Beichte sei nicht ohne Belang, denn Gott vergebe denjenigen nicht, die sich nicht ihren Priestern als Vikaren unterwerfen. Doch müsse der Ablasshandel und mit ihm das kirchliche System der Strafen infrage gestellt werden. Luther behauptete später mit einiger Plausibilität, dass er anfänglich weder den Ablasshandel an sich (sondern nur dessen Missbrauch) noch den Papst habe angreifen wollen.Vieles an den Thesen war provokativ und manches (zum Beispiel die Idee einer Kirche der Armen oder die Infragestellung der päpstlichen Autorität) sogar leicht ketzerisch. Doch hätten Luthers Ausführungen wohl nicht solche Bedeutung erlangt, wenn ihnen nicht solche Publizität zuteilgeworden wäre. Ende Dezember nämlich zirkulierten die Thesen bereits in verschiedenen Druckversionen im gesamten Reich. Es gab wachsende Unterstützung und, in vielleicht noch höherem Maß, eine enorme Neugier, wie die Kirche darauf reagieren würde. Die beiden Bischöfe, an die Luther sich anfänglich gewandt hatte, verhielten sich vorsichtig. Dagegen gingen Tetzel und sein Orden sehr schnell in die Offensive: Luther wurde der Ketzerei à la Wyclif und Hus beschuldigt. Im Januar 1518 musste Rom sich mit der ersten Beschwerde befassen und im Februar erhielt Luther über seinen Orden einen Verweis der Kurie. Diese wütende Reaktion zwang Luther, seine Ideen klarer darzulegen, wobei es sein Ziel war, die Übereinstimmung seines Denkens mit der Orthodoxie nachzuweisen. Das Ergebnis war jedoch die Grundlage für eine neue Theologie. Später beschrieb Luther den Augenblick, als er Gottes Gerechtigkeit entdeckte, als dramatischen Durchbruch bei seinen Studien im Turm des Wittenberger Klosters. Ein genaueres Datum nannte er jedoch nicht, und das hat unter den Gelehrten große Diskussionen ausgelöst, wobei die Ausführungen von einem frühen Zeitpunkt um 1508 bis zu einem späten um 1520 reichen. Ein Datum vor 1517 würde dem Bild des einsamen Mönchs entsprechen, der eine Gewissenskrise durchlebt, die ihn zum Schritt in die Öffentlichkeit und schließlich zur Konfrontation mit Rom im Alleingang zwingt. Damit ist jedoch kaum zu verstehen, warum er in seinen Wittenberger Vorlesungen vor 1517 gerade jene Probleme weitgehend im Hintergrund lässt, die später zu den Kernpunkten seiner Theologie werden sollten.Vieles Spätere war ja in den Vorlesungen schon implizit vorhanden oder wurde in ihnen entwickelt. Erst die wütende Ablehnung der in den Thesen erläuterten Ideen durch Tetzel und seine Kollegen und ihre Beschuldigung, Luther sei ein Ketzer, brachte Luther dazu, sich das, was er als evangelische Wahrheit begriff, klarer vor Augen zu führen. Wahrscheinlich war das eher ein Bewusstwerdungsprozess als jener dramatische Augenblick, den Luther später beschrieb. 16 Luthers entscheidende Einsicht entwickelte sich im Frühjahr oder Sommer 1518 und reifte während des folgenden Jahres. Zum ersten Mal konnte er seiner Unsicherheit und Unzufriedenheit mit der kirchlichen Praxis einen tieferen Sinn

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verleihen. Alles drehte sich um die Interpretation jener Stelle des Römerbriefs (1,17), in der es um die Gerechtigkeit Gottes geht. Seit seinem Eintritt ins Kloster hatte Luther unter dem Gefühl persönlicher Unzulänglichkeit gelitten, hatte ihn der Gedanke bedrückt, dass selbst die sorgsamste Befolgung der klösterlichen Disziplin einen Gott, den er als Rachegott sah, nicht versöhnlich zu stimmen vermochte. Nun aber sah Luther, dass die »Gerechtigkeit Gottes« etwas ganz anderes bedeutete. Sie war nicht der Hang zum Verurteilen und Verdammen, sondern Gottes bedingungslose Gabe, seine »passive« Gerechtigkeit, in der der Gerechte aus Glauben lebt. Anders gesagt, wird der Mensch nicht von einer unerforschlichen Gottheit für begangene Sünden bestraft, sondern wird als Sünder von einem gnädigen und liebenden Gott rechtschaffen gemacht. Das Leben des Menschen vollzieht sich in fortwährender Reue und zugleich durch die fortschreitende Vergebung der Sünden, die mit dem Tod vollendet ist. Der Mensch wird insofern durch seinen Glauben gerecht(fertigt), nicht durch seine Taten. Glaube und Gnade sind unlösbar miteinander verbunden und den Zugang zu ihnen bietet das Evangelium. Sola gratia, sola fide, sola scriptura, solus Christus – allein durch die Gnade, allein durch den Glauben, allein durch die Schrift, allein durch Christus, darin lässt sich das Wesen von Luthers neuem Verständnis zusammenfassen. 17 Weitere Dimensionen eröffneten sich während der nächsten beiden Jahre, als Luther bedrängt wurde, seine Ansichten zu widerrufen. Im April 1518 erläuterte Luther seine Theologie des Kreuzes vor der Kongregation seines Ordens in Heidelberg. Er setzte sie der scholastischen »Theologie der Herrlichkeit« entgegen: die wahre Theologie von Christi Leiden im Gegensatz zur oberflächlichen Theologie, die in den Taten der Menschen die Widerspiegelung von Gottes Werken sah. Im Oktober 1518 wurde Luther in Augsburg von Kardinal Cajetan verhört. Erneut bestritt er explizit die Autorität des Papstes und forderte ein ökumenisches Konzil. Zugleich entwarf er ein Bild der Kirche als einer Gemeinschaft erlöster Christen. Das lief, wie Cajetan sofort bemerkte, auf eine »neue Kirche« hinaus. Im Juli 1519 führte Luther in Leipzig eine öffentliche Disputation mit dem Ingolstädter Theologen Johannes Eck, der, wie Tetzel, als einer der Ersten die Thesen öffentlich kritisiert hatte. Nun bestritt Luther sowohl die Unfehlbarkeit des Papstes wie auch des ökumenischen Konzils. Wiederholt wurde er der Ketzerei beschuldigt und mit Hus verglichen. Wiederholt bestritt er, ein Ketzer zu sein, verweigerte den Widerruf und lehnte den Vergleich mit Hus ab. Allerdings war er auch nicht bereit, alle Lehren des böhmischen Häretikers zu verdammen. Einiges, so argumentierte er, beruhe, wie seine eigenen Lehren, auf der Bibel und könne daher nicht rechtmäßig von der Kirche verurteilt werden. Das Konzil von Konstanz habe in dieser Hinsicht geirrt. Die kirchlichen Autoritäten taten sich aus unterschiedlichen Gründen schwer

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mit Luther. Zum einen war es schwierig, die ihm als häretisch unterstellten Ansichten von den Lehren der spätmittelalterlichen Kirche zu trennen. Zum anderen genoss er beträchtliche Unterstützung und den Schutz hochrangiger Personen. Von Anbeginn stand sein eigener Orden, insbesondere Staupitz, zu ihm. Als er nach Rom vorgeladen wurde, wo er im August 1518 auf die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen eingehen sollte, stand er unter dem Schutz seines Herrschers, Friedrichs des Weisen. Der Kurfürst teilte Luthers Ansichten nicht, sondern tat seine Frömmigkeit in eben jener Zurschaustellung und Verehrung von Reliquien kund, die Luther ablehnte. Auch sprach Friedrich nie mit Luther, sie begegneten einander nur auf dem Reichstag zu Worms 1521. Aber Friedrichs Privatsekretär, Georg Spalatin, sympathisierte mit Luther und bestärkte den Kurfürsten in seiner Entschlossenheit, auf seinem Gebiet die traditionellen Rechte gegenüber der Kirche auszuüben und der Kurie das Recht zu bestreiten, über einen seiner Untertanen zu Gericht zu sitzen. Diese Bekräftigung gewann besondere Bedeutsamkeit angesichts der speziellen Umstände, die im Sommer 1518 herrschten. Alle Parteien erwarteten den Tod von Kaiser Maximilian. Der Papst benötigte die Kooperation des Kurfürsten von Sachsen, um zu verhindern, dass Karl von Spanien und Burgund Maximilian auf dem Thron nachfolgen würde. Man war in Rom daher nicht willens, ein mächtiges Mitglied des Wahlgremiums vor den Kopf zu stoßen, vor allem, weil man Friedrich den Weisen selbst für einen glaubhaften Kandidaten hielt. Außerdem war seine Unterstützung gefragt, wenn der Reichstag zu Augsburg der gemeinsamen Forderung von Papst und Kaiser nach einer Steuer für die Finanzierung des Kriegs gegen die Türken zustimmen sollte. Zu dieser Strategie gehörte auch Kardinal Cajetans Versuch, Luther zum Widerruf wenigstens einiger seiner Ansichten zu bewegen. Im Herbst 1518 verfolgte der Kammerherr des Papstes, Karl von Miltitz, eine ähnliche Mission, als er von Rom nach Sachsen entsandt wurde, um Friedrich die Nachricht zu überbringen, der Papst wolle dem Kurfürsten die Goldene Rose, die höchste kirchliche Auszeichnung für einen Laien, verleihen. 18 Aber Miltitz machte, wie schon Cajetan, auf Luther keinen Eindruck. Der Kurfürst wiederum war zwar von der Aussicht auf die Auszeichnung sehr angetan und zeigte sich irritiert über die Verzögerung, bis er die Goldene Rose im September 1519 endlich in Empfang nehmen konnte, doch ließ er sich davon in seiner Standfestigkeit nicht beeindrucken und schützte seinen Untertan weiterhin vor dem gerichtlichen Zugriff der Kirche. Da alle informellen Versuche, Luther zum Widerruf zu bewegen, gescheitert waren, griff man in Rom nun zum Instrument des formellen Vorgehens, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Im Juni 1520 wurde die Bulle Exsurge Domine erlassen, die Luther mit der Exkommunikation drohte, wenn er nicht binnen 60 Tagen seine ketzerischen Ansichten widerriefe. Am 10. Dezember verbrannte Luther die

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Bulle in Wittenberg zusammen mit den Büchern des kanonischen Rechts und anderen Werken. Am 3. Januar 1521 wurde Luther folglich mit der Bulle Decet Romanum Pontificem (Es gefällt dem römischen Pontifex) förmlich exkommuniziert. Mit ihm traf die Verurteilung auch Ulrich von Hutten, Willibald Pirckheimer und Lazarus Spengler, von denen bekannt war, dass sie Luthers antipapistische Ansichten teilten. Mit dieser Verurteilung machte der Papst das Problem von Luthers Auffassungen zu einem nationalen Thema. Da Luthers eigene Vorgesetzte es nicht geschafft hatten, ihn von seinem Kurs abzubringen, wurde er nun für Kaiser und Reich zu einem politischen Problem. Seine spirituelle Odyssee war im Begriff, eine Bewegung ins Leben zu rufen, die das Reich in seinen Grundfesten erschüttern sollte.

Anmerkungen 1 Die gründlichste Darstellung stammt immer noch von Brecht, Luther, Bd. I. Leppin, Luther, ist eine ausgezeichnete neuere Darstellung. 2 Marius, Luther, 35. 3 Ozment, Age of reform, 61–62. 4 McGrath, Origins, 12–31. 5 Leppin, Luther, 72–89. 6 Brecht, Luther, Bd. I, 150–155. 7 Brecht, Luther, Bd. I, 144–150. 8 Brecht, Luther, Bd. I, 146. 9 Marius, Luther, 59. 10 Leppin, Luther, 75–78. 11 Leppin, Luther, 85–88. 12 Brecht, Luther, Bd. I, 162–165. 13 Lohse, Luther, 72–78. 14 Marius, Luther, 147. 15 Rabe, Geschichte, 212–213; Brecht, Luther, Bd. I, 178–183. 16 Lohse, Luther, 157–160; Cameron, Reformation, 169–173. 17 Blickle, Reformation, 41. 18 Brecht, Luther, Bd. I, 265–273; Ludolphy, Friedrich, 411–413.

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III. Karl V. und die Reformation in den 1520er Jahren

13. Das Reich im ersten Jahrzehnt der Regierung Karls V.

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uf Kaiser Maximilians Tod im Januar 1519 folgte ein Interregnum von einigen Monaten, das durch Unsicherheit und Instabilität gekennzeichnet war. In vielen Gebieten des Reichs, vor allem im Süden und Westen, hatten die Menschen zunehmend den Eindruck von Krisenhaftigkeit. Im Juli 1519 wurden Karl von Spanien, der Enkel Maximilians, zum Deutschen König gewählt. Er erbte die Länder seines Großvaters, doch hatte er als Herzog von Burgund und König von Spanien andere Vorstellungen, wie damit umzugehen sei. Auch standen ihm einflussreiche Berater zur Seite, durchdrungen von einer neuen Vision vom Reich. Doch binnen weniger Jahre wurde Karls Ziel, das System seines Vorgängers weiterzuentwickeln, durch die Eruption gewaltiger religiöser und sozialer Kräfte radikal infrage gestellt. Die Reformation kam von unten, aber die Art und Weise, in der sich das System mit ihr auseinandersetzte, hatte bald gravierende Folgen für die Verfassungsstruktur des Reichs. Sodann war Karl länger als zehn Jahre mit Problemen außerhalb des Reichs beschäftigt. Als er in den 1540er Jahren erneut versuchte, eine starke kaiserliche Regierung im Reich durchzusetzen, hatte die religiöse Bewegung die Lage von Grund auf verändert: Nunmehr war die Opposition protestantischer wie katholischer Fürsten ein unüberwindbares Hindernis. Von Anbeginn war die Entwicklung der Reformation so eng mit der Geschichte des Reichs verbunden, dass eine Trennung so künstlich wie unhistorisch wäre. Jeder andere Versuch einer Analyse jedoch würde zu einem Narrativ von allzu großer Dichte und Komplexität führen. Aus diesem Grund gibt es zunächst eine Darstellung der Reichspolitik Karls V. in den 1520er Jahren, wobei der Schwerpunkt auf anderen Problemen als denen der Religion liegt; vielmehr geht es um die Kontinuität hinsichtlich der Regierungspolitik von Maximilian. Anschließend wird der Umgang von Krone und Reichstag mit der »Luthersache« untersucht und ebenso geht es um das Wesen jener religiösen Bewegung, die im Reich eine unkontrollierbare Serie von seismischen Verwerfungen auslöste, deren Dynamik schließlich im Bauernkrieg von 1525 ihren Höhepunkt fand.Während der folgenden dreißig Jahre kämpften die deutschen Herrscher darum, im Reich wie auch in ihren eigenen Territorien das Gleichgewicht wiederzugewinnen. Das Ergebnis dieser Bemühungen war der Friede von Augsburg 1555. Was schon bei Maximilian schwerfiel, gestaltet sich bei Karl V. nicht einfacher: Welchen Begriff er von seinem Imperium, seiner Politik im Hinblick auf dessen

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III. · Karl V. und die Reformation in den 1520er Jahren

unterschiedliche Bereiche und welche Haltung er gegenüber dem deutschen Reich insbesondere hatte, lässt sich nicht hinlänglich klären. »Imperium« scheint der Zentralbegriff zu sein, der die Regierungspolitik beider Herrscher bestimmte, und das Imperium eines jeden sah sich mit ähnlichen strategischen Problemen konfrontiert. Realiter jedoch unterschied sich das »Imperium« Karls V. beträchtlich von dem seines Vorgängers. Natürlich gab es im Hinblick auf bestimmte Gebiete des Imperiums eine starke dynastische Kontinuität, aber Karls neue Prioritäten ließen ihn gerade auf die Probleme im deutschen Reich anders reagieren. Maximilians Sichtweise war vor allem durch die österreichischen Erblande, Karls Perspektive dagegen westlich und burgundisch geprägt. 1 Tatsächlich erwies sich Karl zunächst, als Maximilian seine Angelegenheit zu regeln suchte, als höchst zurückhaltender möglicher Nachfolger. In Brüssel war er, noch nicht volljährig, unter den Einfluss der hocharistokratischen profranzösischen Partei geraten, was zum Teil auf das Wirken seines Erziehers und ab 1515 leitenden Ministers Guillaume de Croÿ, Seigneur de Chièvres, zurückzuführen ist. Als Karl 1515 volljährig wurde, demonstrierte er seine Unabhängigkeit von der Politik des Großvaters, indem er gegenüber Frankreich eine versöhnliche Haltung einnahm. 2 Im Vertrag von Noyon stellte Karl dem französischen König Franz I. die Erbschaft von Neapel in Aussicht, wenn dieser ihm die Sicherheit seiner prospektiven spanischen Besitzungen garantiere und es zudem unterlasse, den Herzog von Geldern zu unterstützen. So nämlich könnten die Niederlande noch unter habsburgische Herrschaft geraten. Als Karl 1516 nach dem Tod Ferdinands von Aragon, seines Großvaters mütterlicherseits, die spanische Krone erbte, gab es wiederum andere Interessen und Ratgeber, die seine Inthronisierung als Nachfolger Maximilians nicht angeraten erscheinen ließen. Aber Karl leistete hartnäckig Widerstand gegen Maximilians Vorschlag, seinen Bruder Ferdinand mit einem Königreich in Österreich auszustatten (auch wenn dieser Vorschlag von Karls Tante Margarete, der ehemaligen Regentin von Burgund und den Niederlanden, unterstützt wurde). 3 Ein weiterer Gesichtspunkt, der Karls Interesse an der Krone allmählich verstärkte und es schließlich in brennenden Ehrgeiz verwandelte, war die Sorge, dass das Reich in französische Hände fallen könnte, wenn er sich weiterhin weigerte, den Wünschen seines Großvaters nachzukommen. Zur Änderung seiner Haltung trug auch der wachsende Einfluss des piemontesischen Adligen Mercurio Arborio di Gattinara bei, den Karl 1518 zu seinem Großkanzler ernannte. Tatsächlich scheint es Gattinara gewesen zu sein, der den jungen König von Spanien von den Vorteilen zu überzeugen wusste, die er aus der Vereinigung seines weitgespannten Erbes mit der Reichskrone ziehen würde. 4 Sobald die Entscheidung, dass Karl sich zur Wahl stellen würde, gefallen war, wurde die Kampagne mit Entschiedenheit geführt. Allerdings war Maximilians Versuch, die Wahl schon auf dem Reichstag zu Augsburg 1518 vollziehen zu las-

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sen, kein Erfolg beschieden. 5 Fünf Kurfürsten waren zwar bereit, aber Trier verweigerte sich hartnäckig und Friedrich der Weise von Sachsen war gleichsam nicht überzeugt. Trier stand ersichtlich aufseiten des Königs von Frankreich, der, wie schon bald klar wurde, selbst nach der Krone griff. Sachsen hielt sich heraus, auch wenn Friedrich bei der Ablehnung Karls aufseiten des Papstes stand. Papst Leo X. war der entscheidende Faktor bei der Verzögerung der Wahl. Er brachte den Einwand vor, dass Maximilian nicht durch den Papst zum Kaiser gekrönt worden und damit formell immer noch lediglich römischer König sei. Damit wäre eine Wahl aus formalen Gründen illegal, denn dann gäbe es zwei römische Könige. Tatsächlich suchte Leo die Wahl zu hintertreiben, weil er befürchtete, dass Karl als König von Spanien und Neapel für den Papst und seinen Staat eine beispiellose Bedrohung darstellen würde. Ebenso wenig lag ihm an der Wahl von Franz I., denn der französische König war auch Herzog von Mailand, was zur Errichtung eines starken Reichs des Hauses Valois in Norditalien führen könnte. Aber Leos Versuche, eine Kampagne für Friedrich den Weisen ins Leben zu rufen, schlugen auch deshalb fehl, weil Friedrich sich weigerte, eine Position in Betracht zu ziehen, für die er auf Dauer weder die Ressourcen noch die Machtmittel besaß. Dann war noch der englische König Heinrich VIII. im Gespräch, vielleicht mehr als nur ein Gerücht, aber keinesfalls ein ernst zu nehmender Vorschlag, außer für den Fall, dass die Häuser von Habsburg und Valois gleichzeitig zerfielen. Maximilians Tod im Januar 1519 war für die Beratungen der Kurfürsten ein Signal zur Dringlichkeit, 6 während das Interregnum zugleich den König von Frankreich in seinen Hoffnungen bestärkte. Seine Motive waren vielfältig. Gewiss würde die Wahl Karls zu einer beispiellosen Einkesselung Frankreichs durch das Haus Habsburg führen, das dann die Niederlande, Spanien und das Reich beherrschte. Mithin waren Franz’ im Frühjahr 1519 unternommenen Versuche, in Übereinkunft mit dem antihabsburgisch eingestellten Herzog von Geldern innerdeutsche Konflikte in Württemberg und Hildesheim auszunutzen, mehr als nur verwegene Abenteuer. 7 Hätte er zumindest einen Fuß in die Tür zum Reich stellen können, wäre es ihm vielleicht gelungen, die Übermacht der Habsburger einzudämmen. Andererseits war das Interesse des Königs an der Reichskrone die logische Ausweitung seiner eigenen Ideologie des Königtums: Auch er wollte als »höchst christlicher König« an der Spitze des Christentums stehen. In dieser Hinsicht war die Konkurrenz zwischen den Valois und den Habsburgern 1519 die zweier rivalisierender Dynastien, deren europäische Ambitionen einander sehr ähnlich waren. 8 Für die Habsburger und ihre Unterstützer im Reich wiederum stellte der französische König eine potenziell destabilisierende Kraft dar. Dafür gab es deutliche Anzeichen wie seine Unterstützung für Herzog Ulrich von Württemberg und seine Einmischung in die bischöfliche Fehde in Hildesheim. Die Krise in Württemberg resultierte aus einer eindeutig illegalen Aktion Herzog Ulrichs. 9 Der Herzog stand

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bereits unter einem Bann und hatte wegen des 1515 begangenen Mords an Hans von Hutten (den er einer Affäre mit seiner Frau, Sabine von Bayern, einer Nichte Maximilians, verdächtigte) das Recht, zu regieren, für sechs Jahre verwirkt. Am 28. Januar 1518 annektierte er die Reichsstadt Reutlingen. Die Streitkräfte des Schwäbischen Bundes unter österreichischer und bayrischer Führerschaft vertrieben ihn wegen dieses eklatanten Friedensbruchs aus seinen Landen und die Berater am habsburgischen Hof enthüllten die Machenschaften von Ulrichs königlichem Schutzherrn. Diese Kampagne war von einiger Bedeutung für Karls Politik in den ersten Jahren als König des Heiligen Römischen Reichs. Politisch gleichermaßen wichtig wie die Sache mit Herzog Ulrich war der Versuch des französischen Königs, in die Auseinandersetzung zwischen Bischof Johann IV. von Hildesheim und dem Adel seines Bistums manipulierend einzugreifen. 10 In Kooperation mit dem Herzog von Geldern unterstützte Franz den Bischof bei seinen unrechtmäßigen Versuchen, Eigentum wiederzuerlangen, das er den Adligen seines Territoriums verpfändet hatte. Diese Auseinandersetzung war politisch sehr viel weitreichender, weil sie die verschiedenen Dynastien der Welfen entzweite: Herzog Heinrich von Braunschweig-Lüneburg stand, verstärkt durch Zuwendungen des französischen Königs und des Herzogs von Geldern, auf der Seite des Bischofs, während seine prohabsburgischen Cousins in Calenberg und Wolfenbüttel den Adel unterstützten. In der Schlacht von Soltau am 28. Juni 1519 errang der Bischof, größtenteils durch Frankreich und Geldern finanziert, einen überwältigenden Sieg. Am selben Tag wurde Karl zum König des Heiligen Römischen Reichs gewählt. Diese erste und heftigste Phase der Auseinandersetzung reichte aus, um den ganzen Nordwesten des Reichs in Unruhe zu versetzen. Aber der Sieg kam für Franz I. zu spät. Vielmehr spielte die Affäre den Habsburger Hofbeamten in die Hände, die bestrebt waren, die Machenschaften des französischen Königs und die von ihnen ausgehende Bedrohung von Frieden und Stabilität im Reich offenzulegen. Bischof Johann und Herzog Heinrich wurden in Acht und Bann getan und der Bischof wurde 1523 gezwungen, die dem Adel entwendeten Besitztümer zurückzugeben und viele seiner Stammlande Calenberg und Wolfenbüttel zu überlassen. Die monarchische Autorität im Reich wurde so im Endeffekt nicht untergraben, sondern bestärkt. Weil das Wahlverfahren sich hinzog und unterdessen der Wettbewerb zwischen Karl und Franz nach dem Tod Maximilians sich verschärfte, fand die Wahl ungewöhnlich hohe öffentliche Aufmerksamkeit. 11 Viele Adlige betrieben bei den Kurfürsten intensive Lobbyarbeit und ihre ständig wechselnden Ansichten wurden von den Agenten und Beamten aller involvierten Parteien skrupulös aufgezeichnet und kommuniziert. Ja, das Interesse an der Wahl erfasste nicht nur die Fürsten, Städte und Adligen des Reichs, sondern, einigen Beobachtern zufolge,

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in vielen Gebieten sogar den gemeinen Mann. Allerdings gibt es dafür keine Beweise; vielmehr können derlei Berichte auch diplomatische Propaganda sein. Immerhin könnte ein öffentliches Interesse auf die Bemühungen der Habsburger verweisen, ihrem Kandidaten zum Erfolg zu verhelfen. Dazu mussten die Habsburger mancherlei Befürchtungen zerstreuen. Einerseits gab es manche, die in Karl, der ja schon Herzog von Burgund sowie König von Spanien und Neapel war, eine Bedrohung für das empfindliche Gleichgewicht der Mächte zwischen dem Monarchen und den Ständen im Reich sahen. Andere meinten, das Reich könne in die traditionelle Gegnerschaft zwischen Frankreich und Spanien hineingezogen werden. All jene, die schon Bedenken angesichts der italienischen Kriegszüge Maximilians gehegt hatten, wollten nun auf keinen Fall in eine mögliche Auseinandersetzung zwischen Habsburg und dem Haus Valois um Norditalien und Neapel involviert werden. Aber Karl wurde gewählt und für seinen Sieg waren drei Faktoren ausschlaggebend. Der erste war ganz einfach die traditionelle Loyalität gegenüber den Repräsentanten der Habsburger Dynastie als Königen, Vermittlern und Friedensstiftern in den deutschen Landen. Der zweite war, dass Karl besser in das von der Propaganda verbreitete Bild von einem deutschstämmigen zukünftigen Monarchen passte als Franz. Was für dessen deutsche Abstammung ins Feld geführt wurde – die ursprüngliche Brüderschaft zwischen Franken und Germanen und die angeblichen Ursprünge der französischen Königsdynastie in Frankfurt (Main) –, konnte im Vergleich mit Habsburg nicht überzeugen. 12 Zwar waren in dieser Hinsicht auch Karls Aussichten nicht besonders gut, schließlich war er Burgunder und Französisch seine Muttersprache. Aber zumindest stimmte die Behauptung, er stamme aus »edelstem deutschen Geblüt«. Der Erzbischof von Mainz, Kurfürst Albrecht von Brandenburg, bemerkte überzeugend, dass, wenn kein anderer gefunden werde, Karl eben der deutschere der beiden Bewerber sei. 13 Der dritte, letztlich entscheidende Faktor war das Geld. Die französische Kampagne schürte einerseits die Furcht vor der Oberhoheit der Habsburger über das Rheinland und versprach dem Erben des Kurfürsten von Brandenburg eine echte Prinzessin aus Frankreich, verteilte andererseits großzügig Bestechungsgelder, wurde dabei aber vom Habsburger Lager ausgestochen. Das nämlich gab mehr als 850.000 Gulden aus, etwa zwei Drittel davon durch Bürgschaften der Fugger abgesichert. Damit ließen sich alle Bedenken und Gegenargumente aus dem Weg räumen. Nachdem der Papst mit seinem letzten Versuch, Friedrich den Weisen ins Spiel zu bringen (Leo versprach, ihn auch dann anzuerkennen, wenn er nur zwei Stimmen bekäme), gescheitert war, wurde Karl einstimmig am 28. Juni 1519 in Frankfurt am Main zum König gewählt. Jakob Fugger schrieb später an Karl V., es sei »bekannt und liegt am Tage, daß Eure Kaiserliche Majestät die Römische Krone ohne meine Hilfe nicht hätte erlangen können«. Da hatte er allerdings recht. 14

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In mancher Hinsicht spielte das deutsche Reich im System Karls V. eher eine Nebenrolle. Natürlich standen Burgund, die Niederlande und Spanien an erster Stelle; die strategischen Schwerpunkte bildeten der Westen und der Mittelmeerraum. Den hauptsächlichen Einfluss auf den jungen Kaiser übte Gattinara, sein Kanzler, aus. In seiner Vision einer auf römischem Recht und christlichem Glauben beruhenden universellen Monarchie stellte das Reich lediglich den Titel zur Verfügung, unter dem die verschiedenen Reiche und Bereiche vereint sein und der dem Monarchen die nötige historische und theologische Legitimität verschaffen sollte. 15 Für Gattinara, und damit auch für Karl, bildete Italien von vornherein das wahre Herz des Imperiums. Stärker noch als Maximilian konzentrierte sich Karl zunächst darauf, die Franzosen aus Italien zu vertreiben und den Papst wieder auf seine rein seelsorgerischen Aufgaben zu beschränken. Dieses Bestreben war mit weiteren Zielen verbunden, sodass der Konflikt mit Frankreich unvermeidlich wurde: Karl wollte das ursprüngliche Herzogtum Burgund, das 1477 an Frankreich verloren worden war, zurückholen, Flandern und das Artois von der feudalen Oberherrschaft Frankreichs befreien, das Reichslehen Provence und das ehemalige aragonesische Lehen Languedoc wiederherstellen. 16 Es wird deutlich, welch umfassenden Plan Karl verfolgte: Er wollte einen spanisch-italienischen Verbund mit Burgund und den Niederlanden im Norden schaffen. Aber die politischen Traditionen der diversen Territorien zwangen dem Plan ihre eigenen Einschränkungen auf und diktierten Karl eine Politik, die der Verfolgung von Idealen gleich welcher Art abträglich war. Karl sprach, als er gewählt wurde, noch nicht einmal Deutsch und er wusste wenig über die Verhältnisse im Reich. Auch Gattinara war ihm da keine Hilfe. Den Staatsrat, die zentrale Körperschaft für die Koordination der Regierungspolitik in den verschiedenen Bereichen, dominierten zunächst Burgunder, dann Kastilier. Ein Deutscher war dort auch späterhin nicht zu finden. 17 Der Hofkanzlei gehörten einige deutsche Beamte an, aber auch sie wurde anfänglich von Gattinara und später von dem kastilischen Verwalter Alfondo de Valdés beherrscht. Nach Gattinaras Tod 1530 ernannte Karl keinen Nachfolger als Großkanzler und die Hofkanzlei hing, von rein formalen Angelegenheiten abgesehen, mehr als je zuvor politisch von den burgundischen Beamten des Monarchen ab. Der Eindruck, Karl habe das deutsche Reich eher ignoriert und mithin vernachlässigt, scheint noch durch die Tatsache untermauert zu werden, dass er zwischen 1522 und 1530 sowie noch einmal zwischen 1532 und 1540 keinen Fuß auf Reichsgebiet setzte. Dennoch wäre es falsch, daraus zu schließen (wie einige es getan haben), Karl habe kein Interesse am Reich gehabt und die Bedeutung der Reformationsbewegung an sich und für die Regierungspolitik im Reich erst erkannt, als es schon zu

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spät war. Sicher war Karls Rückkehr ins Reich 1540 das Vorspiel zu einem lang anhaltenden Kampf um die Wiedergewinnung herrscherlicher Autorität in einem System, das seit Mitte der 1520er Jahre durch religiöse Teilungen von Grund auf verändert war. Doch steht diese Phase in merklichem Kontrast zu den ersten Jahren von Karls Regierungstätigkeit. Damals hatte die Reformation noch kaum Fuß gefasst und Momente der Kontinuität mit der Herrschaft Maximilians traten stärker hervor. Selbst auf dem Reichstag zu Worms 1521, dem Forum von Luthers erstem öffentlichem Auftreten, bei dem der Bann gegen ihn verkündet und er geächtet wurde, spielten Fragen der allgemeineren Reform des Reichs eine nicht unwichtige Rolle. In den ersten Jahren seiner Herrschaft unternahm Karl, wie dann noch einmal in den 1540er Jahren, erhebliche Anstrengungen, um eine wirksame monarchische Macht im Reich durchzusetzen. Noch bevor er deutschen Boden betrat, um im Oktober 1520 in Aachen gekrönt zu werden, hatte die als Vorbedingung für seine Wahl von den Kurfürsten ausgehandelte Wahlkapitulation den Rahmen für diese frühen Anstrengungen gesetzt. Da derlei Verträge sonst nur bei Bischofswahlen üblich waren, stellte das 1519 abgefasste Dokument eine Neuerung im Reich dar. 18 Zugleich begründete es eine Tradition, denn ab diesem Zeitpunkt mussten alle folgenden Herrscher ein solches Dokument unterzeichnen. 1519 lag das Motiv für die Wahlkapitulation in der Furcht der Kurfürsten vor einem zu starken Monarchen. Sie hielten es für wichtig, die verfassungsmäßige Position, so wie sie sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hatte, zusammenzufassen, wobei ihre eigenen Interessen natürlich stärker berücksichtigt wurden. Die wichtigsten Klauseln banden die herrscherlichen Vorrechte an die Zustimmung der Kurfürsten und Stände, um so die Möglichkeit einer nichtdeutschen Einflussnahme auf das Reich zu minimieren. Der Monarch war verpflichtet, die Rechte der Kurfürsten zu bestätigen, was besonders die Wahlen zum König oder Kaiser und die den Kurfürsten Sachsens und der Pfalz obliegende Stellvertretung während eines Interregnums oder der Abwesenheit des Monarchen betraf. Gleichermaßen verpflichtete er sich, die Rechte und das Ansehen aller Fürsten, Grafen, sonstigen Adligen und anderer Stände zu achten und die Bestimmungen des Ewigen Landfriedens fortzuschreiben und durchzusetzen. Auch Verträge und Bündnisse mit ausländischen Mächten bedurften der Zustimmung durch die Kurfürsten, ebenso wie die Verpfändung von Reichs- und indirekten Steuern. Der Monarch versprach, in Deutschland zu leben und nur Deutsche in seiner Verwaltung zu beschäftigen. Ferner würde er dafür sorgen, dass nur Latein und Deutsch als Verwaltungssprache zugelassen seien, versprechen, dass er keinen Reichstag außerhalb des Reichsgebiets einberiefe, und garantieren, dass er keine ausländischen Truppen auf deutschem Boden aufstellte. Eine weitere Maßnahme, um die Rechte der Stände vor der Willkürherrschaft

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eines starken »ausländischen« Monarchen zu schützen, sah vor, dass kein Untertan des Reichs im Ausland vor Gericht gestellt werden dürfe. Ebenso könne gegen ihn kein Reichsbann ohne vorherige Anhörung und ordentliche Gerichtsverhandlung verhängt werden. Zugleich verpflichtete sich der Monarch zur Durchführung diverser Reformen: So sollte er mit Rom über eine Herabsetzung der von Deutschen zu zahlenden Steuern verhandeln und etwas gegen die Aktivitäten der mächtigen monopolistischen Handelsgesellschaften unternehmen. Und schließlich versprach er, ein neues Reichsregiment, vergleichbar dem Vorläufer, der von 1500 bis 1502 existierte, einzurichten. Hier sollten Monarch und Stände zusammenarbeiten, um die Mängel der Reichsverfassung zu beheben. Viele Punkte der Wahlkapitulation waren unrealistisch und wurden in der Folgezeit um- oder übergangen. Schon bald komplizierten andere Faktoren das, was sonst vielleicht nur eine weitere Episode in der Auseinandersetzung zwischen dem Monarchen und den Ständen gewesen wäre. Württemberg fiel an die Habsburger, die Arrangements für die Regentschaft von Karls Bruder Ferdinand waren so komplex wie uneindeutig, das neue Reichsregiment folglich unbeständig, und der Schwäbische Bund setzte seine Aktivitäten fort. All das war einer entschlossenen Herrschaft des Monarchen im Reich nicht eben förderlich. Noch während der Wahl und der Verhandlungen über die Wahlkapitulation trugen die Ereignisse in Württemberg zu einer Veränderung der Position des Monarchen bei. 19 Nachdem der Schwäbische Bund Herzog Ulrich, über den wegen seiner Annektierung der Reichsstadt Reutlingen der Reichsbann verhängt worden war, vertrieben hatte, stellte sich natürlich die Frage, was mit seinen Ländereien geschehen solle. 20 Karls deutsche und niederländische Ratgeber, allen voran Maximilian van Bergen, ein führendes Mitglied der Lobby der Reichsinteressen am burgundischen Hof, sahen eine Gelegenheit, das habsburgische System im Süden Deutschlands zu stärken. Der von van Bergen ausgehandelte Vertrag zeigte sein Bestreben, die von Maximilian I. ein paar Jahre zuvor formulierten Pläne weiterzuverfolgen. Die anfängliche Idee einer gemeinsamen habsburgisch-bayrischen treuhänderischen Verwaltung von Herzog Ulrichs Erbe wurde verworfen und als Ausgleich für die Übernahme der militärischen Kosten, die den Mitgliedern des Schwäbischen Bundes entstanden waren, ging Württemberg ganz in habsburgischen Besitz über.Van Bergen hatte Karl und dessen enge Berater auf die der Region eigene Instabilität hingewiesen und eine drohende politische »Verschweizerung« heraufbeschworen, was, so suggerierte er, eine umfassendere Krise der Monarchie in Süddeutschland auslösen und in den Triumph der Reichsstädte münden könnte. Diese nämlich waren für die Monarchen traditionell als Kapitalgeber von Bedeutung gewesen. Sie hatten bei der Wahl Karls eine entscheidende Rolle gespielt und wurden schon bald für sein Finanzsystem noch wichtiger, als die Kreditlinien der Fugger noch

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erweitert wurden und 1524 auch Verpfändungen der Gewinne der spanischen Militärorden umfassten. 21 Kurz gesagt, hatte sich mit dem Erwerb von Württemberg die Position der Monarchie im Reich bedeutend verbessert; das zeigte auch die Einrichtung des von den Ständen geforderten, doch von den Interessen des Monarchen geprägten Reichsregiments. 22 Den Ständen hatte ein permanent tagender, zentraler Staatsrat vorgeschwebt, der vor allem ihre eigenen Interessen vertreten sollte. Was aber de facto bei dem Reichstag von Worms 1521 herauskam, war ein Regentschaftsrat unter dem Vorsitz eines von Karl ernannten Regenten, der während der Abwesenheit des Monarchen die Regierungsangelegenheiten regeln sollte. Der wichtigste Faktor dieser Regelung war wohl, dass damit einer Fortsetzung der Reichsvikariate durch die Kurfürstentümer Pfalz und Sachsen nach der Wahl das Wasser abgegraben wurde. Alle historischen Ansprüche auf eine Stellvertretung bei Abwesenheit des Monarchen (absente rege) waren damit null und nichtig geworden. 23 Die Zusammensetzung des Reichsregiments war ein Kompromiss. Der Monarch ernannte seinen Bruder Ferdinand zum Regenten und bestimmte vier Ratsmitglieder; die Kurfürsten ernannten je ein Mitglied, ebenso, jeweils als Gruppe, die Bischöfe, die Fürsten, die Prälaten und die Grafen; die Reichsstädte ernannten zwei und die sechs ursprünglichen Kreise je einen. Allerdings waren die Befugnisse des Reichsregiments recht beschränkt. Zum einen war die Amtsdauer aller Mitglieder mit Ausnahme der monarchischen und kurfürstlichen auf vier Monate begrenzt, während ein Vertreter der Kurfürsten, jeweils in vierteljährlichem Wechsel, dauerhaft anwesend sein sollte. Zum anderen behielt der Monarch die Entscheidungsgewalt in allen außenpolitischen Fragen sowie in Vergabe und Entzug von Lehen. Immer wieder schickte Karl eigene Gesandte zum Reichstag, deren Anweisungen oft mit den Vorschlägen des Reichsregiments in Konflikt standen. Häufig genug auch wurden die Mitglieder zu spät ernannt und die Kurfürsten waren ihrer Anwesenheitspflicht bald überdrüssig. Als die Stände kein Geld mehr für die Weiterführung des Reichsregiments zur Verfügung stellten, wurde auch die Finanzierung zum Problem. 1523 sah sich Ferdinand gezwungen, die Kosten selbst zu übernehmen, und 1524 konnte er der Forderung, alle Mitglieder zu ersetzen, nichts entgegenhalten. Zugleich erneuerte der pfälzische Kurfürst seinen Anspruch auf Ausübung des Reichsvikariats absente rege. 24 Ferdinand reagierte auf diese Herausforderung und auf die offen geäußerte Unzufriedenheit der Stände mit dem Reichsregiment, dessen Einrichtung sie ursprünglich vorgeschlagen hatten, indem er die Institution von Nürnberg nach Esslingen, eine mitten in Württemberg gelegene Reichsstadt, verlegte. Aber durch diese Verlagerung in ein von Habsburg beherrschtes Gebiet, die mit dem Wegfall weiterer Kompetenzen einherging, wurde deutlich, dass das Reichsregiment nichts weiter als ein habsburgisches Regierungsinstrument sein sollte. 1526 zog man er-

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neut um, diesmal nach Speyer. Es änderte sich jedoch nichts und das Reichsregiment lebte als relativ bedeutungslose Institution weiter, bis Karl es bei seiner Rückkehr ins Reich 1530 auflöste. 25 Was der politischen Wirksamkeit des Reichsregiments und allen Versuchen, die erfolgreiche Aneignung Württembergs auszubauen, hauptsächlich im Weg stand, war die zutiefst ambivalente Beziehung zwischen Karl und seinem Bruder Ferdinand. 26 Regieren durch Statthalter war in Karls Imperium die Norm und häufig betraute er Familienmitglieder mit dieser Aufgabe. Aber im Reich selbst war das eine höchst delikate Angelegenheit. Zum einen stellte sich unweigerlich die Frage der Nachfolge und einer möglichen Wahl zum römischen König. Mehr als in vielen anderen Gebieten von Karls Imperium machte das empfindliche Gleichgewicht der Macht zwischen dem Monarchen und den Ständen im Reich eine Verbindung ohne Loyalität zu einem gravierenden Problem. Bei Ferdinand lief es darauf hinaus, dass er gemäß dem Testament seines Großvaters designierter Miterbe war und seine Erwartungen demzufolge höher waren als die eines durchschnittlichen Regentschaftskandidaten. Wie heikel die Lage war, hatte sich schon gezeigt, als Karl alle Vorschläge, Ferdinand ein österreichisches Königtum zu überlassen, vehement zurückwies. Nach 1519 beeilte Karl sich nicht, dem Bruder ein Erbe zu überlassen, und schien dem Begehren eher widerwillig nachzugeben. 27 1520 war man sich in der Sache einig, aber erst im April 1521 verkündete Karl auf dem Reichstag, dass er Ferdinand alle Rechte an den fünf österreichischen Herzogtümern übertrage. Im Februar 1522 verschaffte ein in Brüssel geschlossener Vertrag dem Bruder Tirol, die schwäbischen Vorlande (Schwäbisch-Österreich) nebst dem Elsass und Württemberg. Allerdings sollte dieser Transfer geheim bleiben, sodass Ferdinand in den Augen der Öffentlichkeit weiterhin als Karls zeitweiliger Statthalter erschien. Zwar wurde diese Geheimhaltung nach drei Jahren aufgegeben, doch kleinere Spannungen bewirkten, dass Ferdinand sich auch weiterhin nicht sicher fühlen konnte. Karl verzögerte auch weiterhin, sein Versprechen, Ferdinands Wahl zum römischen König sicherzustellen, in die Tat umzusetzen. Nach 1524 weigerte er sich wiederholt, Ferdinand mit dem Herzogtum Mailand auszustatten, was Ferdinands Ansprüche auf die Thronfolge hätte stärken können, da das Herzogtum formell zum Reich gehörte. Für Karl jedoch lag Mailands Bedeutung darin, die spanische Position in Italien auszubauen, und er zögerte mit der Übertragung an Ferdinand, weil er noch zuungunsten der Traditionen des Reichs an Gattinaras ghibellinischer Vision hing. Diese Probleme waren eine Vorahnung des späteren offenen Kampfs zwischen den Brüdern um das deutsche Erbe in den 1550er Jahren, der bei Karls Abdankung zur Aufteilung der habsburgischen Gebiete führte. In den 1520er Jahren hatte der Zwist noch weniger dramatische, aber nichtsdestotrotz grundlegende Implikatio-

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nen. Ferdinand gelang es, die österreichischen Herzogtümer zu befrieden, um dann ein energisches Reformprogramm zu beginnen, das 1527 in der Errichtung einer zentralisierten Verwaltung seinen Höhepunkt fand. Die Bedeutung der Reformen wurde noch dadurch verstärkt, dass ihm 1526 Böhmen und Teile Ungarns als Erbe zufielen, wobei ihm jedoch in höherem Maß die Verpflichtung zuwuchs, seine Territorien und das Reich gegen die Türken zu verteidigen. Mit zunehmender Kontrolle über seine ererbten Gebiete wurde Ferdinands Position allmählich sicherer. Dennoch konnte die enorme Ungewissheit der frühen Jahre bei Herzog Wilhelm von Bayern ernsthafte Absichten auf den Titel »römischer König« erwecken, Absichten, die Papst Clemens VII. 1526 unterstützte. 28 Zur gleichen Zeit überlegten Wilhelm und sein mitregierender Bruder Ludwig, wie sie die Habsburger noch auf andere Weise herausfordern könnten, nämlich durch den Versuch, einen von ihnen zum König von Böhmen wählen zu lassen. Beide Brüder unterhielten verschwörerische Verbindungen zu Ferdinands ungarischem Rivalen Johann Zápolya, dem Wojwoden von Siebenbürgen. 29 Unter diesen Umständen konnte Ferdinand weder sich als unabhängige Kraft im Reich etablieren noch als Statthalter für seinen Bruder wirksam tätig sein. 30 Die zunehmend problematischere Lage des Schwäbischen Bundes, der Säule, die Maximilians System mehr als zwei Jahrzehnte lang gestützt hatte, komplizierte die Regierungsaufgaben zusätzlich. Der größte Triumph des Bundes war die Aneignung von Württemberg 1519, was Karl, dem die bisherige Rolle des Bundes in der Reichspolitik bewusst war, 1522 mit Nachdruck auf seine Erneuerung drängen ließ. 31 Als Kraft, die für Gesetz und Ordnung eintrat, konnte der Bund auch weiterhin seine Nützlichkeit unter Beweis stellen, indem er die Fehde von Sickingen und den Ritterkrieg von 1522–1523 mit beträchtlicher Brutalität unterband und sich an der Niederschlagung des Bauernkriegs von 1525 beteiligte. Dennoch waren diese Jahre scheinbar unumstrittenen Erfolgs zugleich Jahre des Niedergangs. Der Bund litt darunter, aufgrund der Württemberger Affäre fast ausschließlich mit den Habsburgern identifiziert zu werden, was die latente Feindseligkeit Bayerns auf den Plan rief. Schon bald zog sich Bayern aus dem Bund zurück und unterstützte die Ansprüche von Herzog Ulrichs Sohn Christopher, einem Neffen der bayrischen Herzöge. Hinzu kam die Entscheidung des Wormser Reichstags, das Reichskammergericht wiederzubeleben und die Ausführung seiner Urteile den Kreisen anzuvertrauen. Damit wurde der Bund in seiner Funktion als Friedensbewahrer infrage gestellt, denn nun strebte der Reichstag es an, diese Aufgabe zu übernehmen. 32 Zugleich schadete der Bund selbst seinem Ruf, loyal und verlässlich zu sein, weil er eine gefährliche Neigung zeigte, unabhängig von, wo nicht gar in Gegnerschaft zu Regent und Reichsregiment zu handeln. Und schließlich wurde der Bund, gerade weil er so effektiv für die Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung sorgte,

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zunehmend als das wahrgenommen, was er de facto war: eine antireformatorische Kraft, der schon bald alle, die mit den neuen Lehren sympathisierten, zutiefst misstrauten. 33 Binnen weniger Jahre nach Karls Wahl zum König war das Regierungsgefüge der Habsburger alles andere als gefestigt. Zwar hatten sich durch den Erwerb von Württemberg größere Möglichkeiten eröffnet als je zuvor, doch konnte die Gelegenheit nicht erfolgreich genutzt werden. Zwischen 1521 und 1524 missglückten sowohl die in der Wahlkapitulation vorgesehene Reichsreform als auch die reguläre Regierungspolitik. Die in Worms neu entflammte Diskussion über Besteuerung endete mit einem Sieg für die Stände. 34 Sie verwarfen schließlich auch den Gemeinen Pfennig (der von allen, auch von den Fürsten, gezahlt werden sollte) zugunsten der sogenannten Matrikularbeiträge. 35 Das waren Steuern, die von den Ständen periodisch als Bruchteil oder Vielfaches der Einheit eines sogenannten Römermonats zu erheben waren. Ein solcher »Monat« umfasste die fiktiven Kosten eines Truppenkontingents, das den Monarchen auf seinem Zug zur Krönung nach Rom begleitete. Das System passte hervorragend für die übliche Zurückhaltung der Stände, wenn es um Zahlungen gleich welcher Höhe an den Monarchen ging, insbesondere in Fällen, da Hilfe dringend erforderlich war. Zum einen also beobachteten die Stände argwöhnisch jedes Streben des Monarchen nach stärkerer Zentralisierung, während es zum anderen Dissidenten gelang, die ambivalente Beziehung zwischen Karl und Ferdinand, zwischen dem Monarchen und dem Statthalter, auszunutzen. Dadurch wurden alle größeren Initiativen des Reichsregiments wirksam untergraben. Sein Versuch, den Gemeinen Pfennig wieder einzuführen, scheiterte am Einspruch der Städte und des Klerus, die stärker als die Fürsten besteuert worden wären. Sie wandten sich mit ihrem Einspruch an den Monarchen, der den Vorschlag zunächst unterstützt hatte und ihn dann auf dem dritten Nürnberger Reichstag (1524) wieder verwarf. Auch die Bemühungen des Reichsregiments, mittels der Matrikel Geld für die Verteidigung des Reichs gegen die Türken aufzubringen, waren vergebens. 36 1522 waren die Stände bereit, die Gelder für die Reise des Monarchen nach Rom (die für 1521 vorgesehen gewesen war, aber noch gar nicht stattgefunden hatte) für den militärischen Einsatz an der östlichen Front zu verwenden, doch erst, wenn klar war, wie viel Ungarn aufbringen würde. Diese Information blieb jedoch aus, weil in Ungarn das Chaos herrschte, und so wurde das Geld erst 1529 aufgetrieben (die für Karls Kaiserkrönung 1530 geplante Zuwendung wurde erst 1542 ausgezahlt). Andere umfassende Reformvorschläge erlitten das gleiche Schicksal wie die Steuerpläne. So scheiterte das Vorhaben einer Reichsgrenzsteuer (eines kombinierten vierprozentigen Import- und Exportzolls auf alle Non-Food-Güter) 1524 am Protest der Reichsstädte. 37 Ähnlich erging es einem Vorstoß zur Begrenzung des Kapitals und der Aktivitäten der süddeutschen Handelshäuser (die seit den

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Anfangsjahren des 16. Jahrhunderts in der populären Literatur und der politischen Diskussion als Monopole dämonisiert wurden): 1522/23 wurde der Plan akzeptiert und dann wieder zurückgenommen, als eine städtische Delegation im August 1523 beim Monarchen in Valladolid mit einer Petition Lobbyarbeit leistete. 38 Karl ordnete an, dass die gegen Fugger und andere eingeleiteten Rechtsverfahren einzustellen seien und vereitelte schließlich die Reform 1525 mit einem Dekret, das die Kernpunkte des Vorhabens neu definierte. Nun waren der Erz- und Metallhandel ausgeschlossen und damit gerade jene großen Gesellschaften entlastet, gegen die das Verfahren ursprünglich in Gang gesetzt worden war. Grenzzoll und antimonopolistische Initiativen scheiterten, weil Karl die Neigung hatte, gegen seinen Bruder zu entscheiden, und zwar insbesondere, wenn es um die Interessen seiner eigenen Geldgeber, der Städte, ging. Der eher neutrale Plan einer Münzreform schlug aus anderen Gründen fehl. 39 Hier erwies sich das Problem als zu komplex, denn man hätte die zahllosen regionalen und lokalen Münzsysteme im Reich standardisieren müssen. Ebenso aussichtslos war es, die Fürsten dazu zu bringen, statt der für sie profitableren Münzen großen Nennwerts mehr Kleingeld herzustellen, woran in vielen Gebieten akuter Mangel herrschte. So war die Reichspolitik der Habsburger in den ersten Jahren von Karls Herrschaft durch eine Mischung aus Ehrgeiz und Unsicherheit gekennzeichnet. Wie üblich rief der Ehrgeiz das Misstrauen und die Opposition der Stände auf den Plan. Die Unsicherheit wiederum, insbesondere die mangelnde Abstimmung zwischen Monarchen und Statthalter, erhöhte die Bedeutung des Reichstags während der Abwesenheit von Karl in den 1520er Jahren. Da es keine andere wirksame Regierungsinstitution gab, wurde der Reichstag mehr denn je zuvor zum Dreh- und Angelpunkt, indem er zugleich die traditionelle Solidarität und Interessengemeinsamkeit der Stände wie die Interessen des Reichs insgesamt geltend machte. 40 Als die Stände 1524 das Reichsregiment ablehnten, durchkreuzten sie damit die Möglichkeit eines Eingriffs in ihre Angelegenheit von höherer Stelle, sei es durch den Monarchen oder seinen Statthalter. Zugleich machten sie den Reichstag zum ausschließlichen Organ ihrer Interessenvertretung. Aus Sicht der Krone reduzierte die Verlegung des Reichsregiments nach Esslingen es auf ein bloßes Anhängsel der monarchischen Regierung. Auf lange Sicht stärkte das Versagen dieser Institution das Verlangen der Krone, das Reich durch Errichtung einer starken Monarchie zu reformieren, was nach 1540 zu einem Dauerthema von Karls Politik wurde. Auf kurze Sicht jedoch wurde der Reichstag während der Abwesenheit des Monarchen auf Kosten der Krone gestärkt. Diese Entwicklung wurde auch dadurch gefördert, dass das religiöse Moment zu Beginn der 1520er Jahre an Bedeutung gewann. Es rückte zuerst in den Fokus der Reichspolitik, als es auf dem Reichstag zu Worms 1521 zur Begegnung von Martin Luther und Karl V. kam. Doch die neue Lehre verbreitete sich so rasch, dass

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sie die etablierte Ordnung schon bald mit einer Reihe von gravierenden Problemen konfrontierte. Was den Reichstag und die Reichspolitik anging, stellte die Reformation die religiöse Einheit des Reichs und die traditionelle religiöse Funktion des Monarchen als säkularen Stellvertreters der Kirche infrage. Außerdem drängte die Reformation wie kaum ein anderes Problem zuvor zum Handeln. Die Verweigerung von Geldern oder die Unfähigkeit, sich auf Reformmaßnahmen zu einigen, hatte den Zusammenhalt des Systems nicht grundsätzlich infrage gestellt. Aber die religiöse Thematik betraf direkt das Prinzip der Setzung und Durchsetzung von Entscheidungen auf der Ebene von »Monarch und Reich«. Zunehmend stellte sich nun die Frage, in welchem Maß »Protest« und »Protestanten« vom System toleriert werden konnten oder sollten, ohne dessen traditionelle Einheit zu kompromittieren. Insbesondere auf der territorialen Ebene stellte die religiöse Bewegung sogar die Legitimität des gesamten sozialen und politischen Gefüges infrage. In manchen Gebieten ging das Hinterfragen der Ordnung in gewalttätige Angriffe über, sodass viele Leute in der Reformation den Vorboten einer allgemeinen Revolution sahen. Diese Entwicklung begann, als Luther nach 1517 die nationale Bühne betrat.

Anmerkungen 1 Einen ausgezeichneten und prägnanten Überblick bietet Koenigsberger, »Empire«. Ebenfalls erhellend sind Kohler, Quellen, 1–26, und Lutz, »Perspektiven«. 2 Wiesflecker, Maximilian, 184. 3 Press, »Schwaben«, 27; Brady, Turning Swiss, 89. 4 Headley, »Germany, the empire and monarchia«. 5 Wiesflecker, Maximilian, 194–197; Rabe, Geschichte, 195–196. 6 Fuchs, »Zeitalter«, 40–43. 7 Fuchs, »Zeitalter«, 42; Stanelle, Stiftsfehde, 1–3. 8 Bonney, States, 79–130. 9 Rabe, Geschichte, 220–221; Brady, Turning Swiss 94–97; Press, »Herzog Ulrich«. 10 Stanelle, Stiftsfehde, 1–3. 11 Laubach, »Wahlpropaganda«; Schmidt, Geschichte, 52–54; Hirschi, Wettkampf, 389–399. 12 Moeller, Deutschland, 69. 13 Schmidt, »Deutschland«, 23. 14 Moeller, Deutschland, 71. 15 Zum Folgenden vgl. Headley, »Germany, the empire and monarchia« sowie »Habsburg World Empire«. 16 Rabe, Geschichte, 224; Kohler, Expansion, 352–362. 17 Headley, »Germany, the empire and monarchia«, 22–23. 18 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 71; Rabe, Geschichte, 223–224; Angermeier, Reichsreform und Reformation, 24–25; Kleinheyer, Wahlkapitulationen, 45–69. 19 Brady, Turning Swiss, 103–115. 20 Vgl. S. 53, 205.

13. Das Reich im ersten Jahrzehnt der Regierung Karls V.

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Kellenbenz, »Erwägungen«, 43–46. Angermeier, Reichsreform und Reformation, 27–36. Hermkes, Reichsvikariat, 1–12, 18–23, 27–46. Rabe, Geschichte, 245. Roll, Reichsregiment, passim; Angermeier, »Reichsregiment«. Laubauch, »Nachfolge«. Press, »Schwaben«, 27; Laubach, »Nachfolge«, 2–15. Kohler, Opposition, 116–118. Press, »Schwaben«, 30. Kohler, Opposition, 109. Bock, Schwäbischer Bund, 161–163. Press, »Refomation«, 208–209. Bock, Schwäbischer Bund, 199–200. Rabe, Geschichte, 246–248; Schmid, »Reichssteuern«. Schmid, »Reichssteuern«, 163–173; Isenmann, »Reichsfinanzen«, 195–198; Schmid stellt in Gemeiner Pfennig diese Steuer umfassend dar. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 237–240. Rabe, Geschichte, 248. Rabe, Geschichte, 248–250; Brady, Turning Swiss, 127–150; Blaich, Reichsmonopolgesetzgebung, passim. Rabe, Geschichte, 250–252; Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 151–154; North, »Münzpolitik«; Schefold, »Wirtschaft«; Blaich, Wirtschaftspolitik, 14–19. Press, »Reformation«, 206–208; Angermeier, Reichsreform und Reformation, 53–55.

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14. Luther und die Reichspolitik, 1517–1526

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a es Cajetan und Miltitz nicht gelang, Luther zum Widerruf zu bewegen, blieb sein Fall ungelöst, als das Reich nach dem Tod Maximilians I. 1519 in die entscheidende Phase seiner Politik eintrat. 1 Das Interregnum, eine Phase voller Intrigen und Ungewissheiten, endete formell am 28. Juni 1519 mit der Wahl Karls V., dauerte in Wirklichkeit aber noch weitere 15 Monate bis zu der Krönung des neuen Monarchen in Aachen am 27. Oktober 1520 und der Eröffnung seines ersten Reichstags in Worms am 27. Januar 1521. Die Ungewissheit nährte Befürchtungen, aber auch die Hoffnung, dass der junge Monarch den Erfolg haben könnte, der dem alten Kaiser versagt geblieben war. Reichsreform, Kirchenreform, Gesellschaftsreform – Probleme und ihre Protagonisten gab es in allen sozialen Schichten. In diesem Zusammenhang begannen reformorientierte Humanisten, allen voran Ulrich von Hutten, die politische Bedeutung der »Luthersache« zu erfassen. Hutten hatte noch 1518 die Ablasskontroverse als trivialen Streit zwischen rivalisierenden Mönchsgruppen abgetan, sah mittlerweile jedoch in Luther den Held der Deutschen bei ihrem Kampf um Freiheit von der römischen Tyrannei. Im Januar 1520 schickte er Luther eine Botschaft, in der er ihm militärische Unterstützung durch Franz von Sickingen anbot. 2 Im Juni schrieb er erneut an Luther und bekundete noch einmal seine Solidarität im Kampf gegen Rom; dieser Brief wurde anschließend in zwei Auflagen gedruckt. Im Herbst veröffentlichte Hutten seine Schrift Clag und Vormanung gegen den übermäßigen unchristlichen Gewalt des Bapsts zu Rom, und den ungeistliche geistlichen, sein erstes Pamphlet in Versen der deutschen Umgangssprache. Huttens Auffassung von Luther als neuem Arminius, der die Deutschen zum Aufstand gegen die Tyrannei Roms führte, war eine wesentliche Vorbedingung für Luthers nationalen Ruf 1520 und 1521. 3 Die späteren Ereignisse zeigten, welche Kluft Luther von Hutten und vielen anderen, die glaubten, einen Verbündeten gefunden zu haben, und ihre Solidarität bekundeten, tatsächlich trennte. Doch hat Luther zweifelsfrei erkannt, welche Möglichkeiten die fieberhaft gespannte politische Atmosphäre jener Jahre bot. Während der zweiten Hälfte des Jahres 1520 widmete er sich ganz besonders den wichtigen politischen Themen. Die drei reformatorischen »Denkschriften« von 1520 enthalten die erste relativ abgerundete, keineswegs aber endgültige Darstellung von Luthers Ideen. 4 Die Umrisse seiner Theologie und ihre unzähligen Implikationen arbeitete er erst nach und

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nach heraus.Vieles wurde klarer, als er während des Zeitraums seiner Verhandlung eine ungeheure Produktivität an den Tag legte, die sich Ende 1522 in mehr als 150 gedruckten Werken niedergeschlagen hatte. Ihre Themenvielfalt reichte von Aspekten der Wirtschaftspolitik bis zur Funktion des Gebets und dem Wesen guter Werke. Allerdings entwickelte Luther viele seiner wichtigsten Auffassungen, vor allem die Lehren über die Obrigkeit und die Rolle des Staats, erst in den folgenden Jahren, wobei er auf jeweils spezifische Situationen reagierte. Das hat bisweilen den Eindruck vermittelt, als seien seine Lehren zusammenhanglos oder eher zufälligen Umständen geschuldet. Tatsächlich aber zeigt Luthers Entwicklung eine bemerkenswerte Folgerichtigkeit. Er suchte weder die Konfrontation mit der Kirche noch die Trennung von ihr. Die Kritik am Ablasshandel beruhte auf Ideen, die er im vorangegangenen Jahrzehnt entwickelt hatte. Die heftige Reaktion auf diese Kritik führte zu einer Klärung der zugrunde liegenden theologischen Grundsätze. Selbst nach seiner Exkommunikation predigte Luther weiterhin eine Kirchenreform, die auf genau jenen Prinzipien beruhte, die er innerhalb der Kirche entwickelt hatte. Erst deren kirchliche Ablehnung, zusammen mit dem ungeheuren, aber unvorhergesehenen und sicherlich nicht beabsichtigten Einfluss von Luthers Mahnruf auf die Gesellschaft, führte zur Forderung, eine neue Institution solle gegründet werden. Luthers Reaktionen standen im Einklang mit den Ideen, die er seit seinen Anfängen als Professor in Wittenberg entwickelt hatte. Selbst davon abgesehen, zeigen die drei Denkschriften von 1520 die klaren Konturen eines zusammenhängenden Denkens. Sie skizzieren, wie Luther am Vorabend seiner Exkommunikation seine Position in politischer wie theologischer Hinsicht auffasste, und sie schaffen den begrifflichen Rahmen für die Formulierung späterer Entgegnungen. Im Juni 1520 veröffentlichte Luther die Schrift An den Christlichen Adel deutscher Nation von des Christlichen stands besserung. Darin verband er auf spektakuläre Weise die Probleme, in die er involviert war, mit den umfassenderen politischen Themen, wie sie in den Gravamina der deutschen Stände auftauchen. Er appellierte an den Monarchen und den deutschen Adel, »ihre christliche Pflicht zu tun und dafür zu sorgen, dass ein Konzil einberufen werde, um die Kirche und den christlichen Staat zu reformieren«. 5 Damit gab er den traditionellen Gravamina ein theologisches Fundament, das sie bislang nicht gehabt hatten. Er argumentierte, dass alle Getauften Priester seien und hob damit die mittelalterliche Vorstellung von der Überlegenheit des geistlichen über den weltlichen Stand aus den Angeln. Er gab den Laien (als sacerdotes) so das Recht, zu handeln, wenn der Klerus versagte – in diesem Fall also Rom, das jeglicher Reform Widerstand leistete. Obwohl der Appell sich an den Monarchen und den Adel richtete, war Luthers Sprache mehrdeutig. In seinen überaus beredten Passagen über die Ausbeutung des deutschen Volks durch Rom wandte er sich auch an eine »Nation«, die mehr

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umfasste als nur den Adel. An den Christlichen Adel deutscher Nation plädierte in einer Zusammenschau aller möglichen Reformen für die Reformation der Gesellschaft und die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung nach der Befreiung von der römischen Tyrannei. 6 Das Pamphlet zeigt auch, wie sehr Luther die durch die Reichsstände repräsentierte Öffentlichkeit schätzte und wie aufmerksam er die politische Situation im Reich verfolgte. Außerdem verknüpfte er seine theologischen Ideen mit traditionellen deutschen Themen: mit der Forderung nach einem Konzil, das über eine umfassende Kirchenreform beraten sollte, sowie mit der Kritik am Papsttum und der kirchlichen Hierarchie bis hinunter zur Ebene der Gemeindegeistlichkeit. Vier Monate später publizierte Luther eine noch radikalere Darstellung seiner Theologie in De captivitate Babylonica ecclesiae (Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche). Darin behauptet Luther zunächst, dass die Schrift nichts enthalte, was er nicht zuvor direkt oder indirekt gesagt hätte. Aber indem er seine Auffassung über die Sakramente und die Notwendigkeit einer Reform der Theologie im Licht der Heiligen Schrift kundtat, machte er jegliche Zusammenarbeit mit Rom unmöglich. Hatte er zuvor noch eher vage von einer römischen Tyrannei gesprochen, so beschuldigte er jetzt die Päpste, sie hätten als Antichristen und Herrscher über ein heidnisches »Babylon« die Kirche in die Fesseln einer falsche Lehre gezwungen. Er verwarf vier Sakramente – Konfirmation, Ehe, Priesterweihe und Letzte Ölung –, die nicht durch die Heilige Schrift begründbar seien. Er äußerte Zweifel an der Buße und provozierte insbesondere durch seine Neubestimmung des Abendmahls. Hier habe, so meinte er, die römische Kirche die Gläubigen willentlich getäuscht. Sie habe ihnen den Kelch versagt und die Lehre der Transsubstantiation dazu benutzt, die götzenhafte Anbetung von Brot und Wein, deren Verwandlung sich priesterlicher Manipulation verdanke, zu fördern, und sie habe die Messe zum echten, von Priestern vollzogenen Opfer verklärt, an dem teilzunehmen schon an sich ein gutes Werk sei. All das habe zur Abkehr der Kirche von Gott und von der wahren, in der Heiligen Schrift begründeten Eucharistie geführt. Diese aber sei ein Akt des Glaubens im Gedenken an Christus und im Vertrauen auf die Vergebung der Sünden. Anders als viele spätere Reformer hielt Luther an der Vorstellung einer Realpräsenz Christi im Abendmahl fest, doch vollziehe sich hier keine magische Verwandlung (Transsubstantiation), sondern es existierten Brot und Wein einerseits, Blut und Leib andererseits parallel nebeneinander. So machte er aus einem vom Priester vor einem Publikum inszenierten Wunder einen Akt des Glaubens, der von jedem Mitglied der im Gottesdienst Versammelten vollzogen wurde. Im November 1520 erschien dann noch Von der Freiheit eines Christenmenschen. Darin erörterte Luther die Frage, wie der Christ ein christliches Leben führen könne, ohne dass er imstande sei, sich Verdienst durch gute Werke zu erwerben.

14. Luther und die Reichspolitik, 1517–1526

Der Christ, erklärte Luther, sei zugleich frei und unfrei. Seine Freiheit sei Freiheit von »geistlicher Tyrannei … und dem kirchlichen Gefängnis«, denn der Mensch sei nur durch seinen Glauben gerechtfertigt. 7 Aber die Liebe zu Gott als des Menschen dankbare Reaktion auf das Geschenk der Erlösung sei auch ein Band, das das menschliche Verhalten positiv beeinflusse. Freiheit von der Notwendigkeit, gute Werke zu tun, um der Erlösung teilhaftig zu werden, befreie den Menschen dazu, in der Nachfolge Christi gute Werke um ihrer selbst willen zu vollbringen. Diese neue »Knechtschaft« im Glauben sei noch keine Garantie für eine gottgefällige Lebensweise, eröffne aber zumindest die Möglichkeit einer anhaltenden Disziplin, wenn der den willigen Körper beherrschende Geist durch das Wort der Schrift genährt werde. Kritikern, die Luther vorwarfen, er predige die Verbindung von spiritueller Disziplin mit lockerer Lebensweise, entgegnete der Reformator, dass Glaube und Überzeugung die Grundlage für alles geordnete Leben in der Gesellschaft bildeten. Was genau diese Argumentation für das politische wie kirchliche Regime zu bedeuten hatte, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Einstweilen genügte es Luther in seinem zunehmend heftiger werdenden Kampf mit den kirchlichen Autoritäten, seine Ansicht von der Priesterschaft aller Gläubigen zu wiederholen – von der nur Gott bekannten unsichtbaren Kirche, mit der die Kirche in Rom schon vor vielen Jahrhunderten gebrochen habe. Die drei Schriften von 1520 waren nicht Luthers letztes Wort zu den darin angesprochenen Themen. Er wollte mit ihnen nicht die endgültige Trennung von Rom einleiten, doch waren sie in ihrer Programmatik entschieden genug, um für den politischen Prozess, zu dem die Kampagne der römischen Kurie gegen Luther sich entwickelte, von entscheidender Bedeutung zu sein. Die am 3. Januar 1521 verkündete Exkommunikation war das logische Ergebnis der römischen Urteilsfindung und Luthers Verweigerung des Widerrufs, den die Bulle Exsurge Domine vom Juni 1520 gefordert hatte. Dennoch erwies es sich als schwierig, Maßnahmen gegen den Reformator zu ergreifen. Luthers Bücher wurden in Löwen, Lüttich, Köln und Mainz verbrannt, doch die meisten Herrscher taten nichts, um die römische Verurteilung in die Tat umzusetzen. 8 Auch Friedrich der Weise unterstützte Luther weiterhin. 9 Für gewöhnlich führte ein päpstlicher Bann zur Ächtung des Gebannten im Reich, doch als der Bannstrahl aus Rom Luther im Januar 1521 traf, stand Friedrich, unterstützt von anderen Fürsten, bereits in Verhandlungen mit Karl V., um Luther auf dem Reichstag, den der König nach Worms einberufen hatte, zu Wort kommen zu lassen. Viele Faktoren kamen zusammen, um für diese Affäre eine deutsche Lösung zu finden. Der vielleicht wichtigste Faktor war, dass Luther während der längeren Abwesenheit des Monarchen zu einer Art Nationalheld geworden war. 10 Der päpstliche Nuntius Girolamo Aleander wies in seinen Berichten wiederholt auf das erstaunliche Ausmaß von Luthers Popularität hin, während der englische

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Gesandte Cuthbert Tunstall behauptete, von Karls Großkanzler Gattinara gehört zu haben, dass 100.000 Deutsche bereit seien, ihr Leben für Luther zu opfern. Viele Menschen waren davon überzeugt, dass jeder Versuch, gegen Luther vorzugehen, einen Aufstand hervorrufen würde. Zugleich war Friedrich, zusammen mit anderen einflussreichen Fürsten, darum bemüht, den bevorstehenden Reichstag zum Forum für das Thema Kirchenreform zu machen. Zudem hatte die Frage, ob und wie gegen Luther vorzugehen sei, mittlerweile verfassungsmäßige Bedeutung gewonnen. Schließlich sah die Wahlkapitulation von 1519 vor, dass kein Deutscher vor einem ausländischen Gerichtshof angeklagt werden dürfe. Wenn die Stände nun 18 Monate später nicht fähig wären, auf diesem Grundsatz zu beharren, bestand wenig Hoffnung, dass sie sich in noch gewichtigeren Sachen würden durchsetzen können. Aus verschiedenen Gründen schien es Karl V. logisch, dem Vorschlag, Luther auf dem Reichstag zu hören, zuzustimmen. Da er zu der Zeit mit der Rebellion der Comuneros in Spanien beschäftigt war, war er nicht erpicht darauf, auch noch in Deutschland einen Aufruhr zu riskieren. Zudem benötigte er die Unterstützung Friedrichs für politische Reformen, insbesondere die Einrichtung eines Reichsregiments, die auf dem Reichstag beschlossen werden sollten. Mehrere seiner Berater befürworteten mit Nachdruck ein Konzil zur Kirchenreform; einige schlugen ein nationales Konzil vor, während andere den Vorschlag von Erasmus aufgriffen, dass Karl V., Heinrich VIII. und Ludwig von Ungarn ein unparteiisches Tribunal einsetzen sollten, um ein Urteil über Luther zu fällen. Und schließlich sah Karl gute Chancen, Druck auf den Papst auszuüben, damit dieser ihn im Konflikt mit Frankreich in Italien unterstütze, wenn er sich nicht besonders beeilte, in der Sache Luther den Wünschen Roms zu entsprechen. Der Papst lehnte ein Kirchenkonzil natürlich entschieden ab und sein Nuntius trat auch auf dem Reichstag (am 13. Februar) energisch für eine sofortige Ächtung Luthers ein. Karls zögernde Haltung ermutigte all jene, die hofften, dass mit dem neuen Monarchen auch eine neue Ära der Reform beginnen würde, und so setzten sie gesteigerte Erwartungen auf den Reichstag zu Worms. Dessen Ergebnisse waren nicht so spektakulär, aber dennoch von erheblicher Bedeutung. Fieberhaft verliefen die Verhandlungen über Luthers Schicksal, zudem wurde, obwohl die Tagesordnung es gar nicht vorsah, von einem kleinen Komitee der Stände eine neue Liste von nunmehr 104 »Gravamina der deutschen Nation« erstellt. 11 Da der Reichstag diesbezüglich zu keiner Entscheidung kam, blieb der Punkt in allen folgenden Sitzungen des Reichstags bis 1530 auf der Agenda. Die Angelegenheit mit Luther wurde getrennt davon behandelt, aber der schließlich erzielte Kompromiss war ein radikaler Bruch mit der Tradition. Die Stände weigerten sich, auch nur einen der vom Herrscher erwogenen Vorschläge für einen Bann gleich welcher Art gegen Luther oder seine Werke in Betracht zu

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ziehen, bevor nicht der Reformator selbst angehört worden war. Einige Fürsten hofften offenbar, dass, wenn Luther überredet werden könnte, wenigstens einige seiner problematischeren Ansichten zu widerrufen, die Aussicht auf eine Kirchenreform im Reich erhalten bliebe. Dagegen wollten Karl und seine Berater unbedingt vermeiden, dass Luther als Sprecher für eine wie auch immer geartete, ständisch dominierte Reichsreformpartei auftrat. Es gelang ihnen, eine Diskussion oder Disputation zu verhindern, sie mussten aber einer »Anhörung« zustimmen. Das war die Gelegenheit, Luther zu fragen, ob er tatsächlich die ihm zugeschriebenen häretischen Ansichten vertrete. Damit sicherte sich Karl die weitere Zusammenarbeit mit den Ständen. Luthers Sicherheit sollte durch einen Brief des Monarchen, in dem dieser freies Geleit zusagte, gewährleistet werden. Der Kompromiss stellte keine Partei wirklich zufrieden. Immerhin jedoch diskutierten Karl und die Stände die Sache überhaupt und planten eine politische Lösung, die innerhalb der Institutionen des Reichs ausgehandelt wurde. Damit hatte man den Boden der mittelalterlichen Ideenwelt, in der das Reich das weltliche Gegenstück zur geistlichen Autorität des Papstes war, verlassen. 12 Beide Seiten gingen implizit von der Annahme aus, dass nicht der Papst, sondern sie gemeinsam darüber entscheiden würden, wie die Probleme der Kirche in Deutschland zu lösen seien. Luthers Reise nach Worms begann am 2. April in Begleitung des königlichen Herolds und wurde zu einem Triumphzug. Überall strömten die Menschen zusammen, um ihn zu sehen, und sie drängten zu den Predigten, die er unterwegs hielt. Dagegen war die Anhörung selbst, die am 17. und 18. April stattfand, alles andere als ein Höhepunkt. 13 In Gegenwart Karls und der führenden Stände sollte Luther bestätigen, dass er der Autor der vor ihm auf einem Tisch aufgebauten Bücher war, und darlegen, ob er noch zu dem stand, was er geschrieben hatte. Dann wurden die Titel der Bücher verlesen und Luther bekannte sich zu seiner Autorschaft. Für die Beantwortung der zweiten Frage bat er um Bedenkzeit. Am nächsten Tag gab er eine ausführliche Antwort. Er teilte seine Schriften in drei Kategorien. Die erste Kategorie umfasste Werke über Glaubenssachen und moralische Angelegenheiten, die selbst seine Gegner als nützlich anerkannten: Sie zu widerrufen, hieße, das Christentum selbst zu widerrufen. Die zweite Kategorie enthielt Werke, die sich mit dem Papsttum und den Lastern der Kirche befasste: Da diese von der Tyrannei handelten, mit der die Kirche die Gläubigen gerade in Deutschland bedrängte, wäre es ebenfalls Sünde, diese zu widerrufen. Bei der dritten Kategorie handelte es sich um polemische Schriften gegen seine Kritiker, und hier räumte Luther ein, dass er gelegentlich vielleicht zu grob gewesen sein mochte. Doch hatte er alles im Namen der Religion geschrieben und er sei willens, alles zurückzuziehen, was durch die Schrift als falsch nachgewiesen werden könne. Als er noch einmal um eine einfache und eindeutige Antwort ersucht wurde,

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antwortete er schroff, dass er nicht widerrufen würde, außer er werde durch die Schrift widerlegt, denn sein Gewissen sei »Gefangener des Wortes Gottes«. Die spätere Druckversion fügte noch hinzu: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders.« 14 Der zwischen dem Monarchen und den Ständen ausgehandelten Übereinkunft zufolge war der Fortgang nunmehr klar: Luther hatte nicht widerrufen und würde also geächtet. Die Erklärung, die Karl V. am 19. April vor dem Reichstag abgab, ließ keinen Zweifel an seiner eigenen Haltung. Er betonte seine Abstammung von den höchst christlichen Herrschern der Deutschen Nation, den katholischen Königen Spaniens, den Erzherzögen von Österreich und den Herzögen von Burgund. Er erklärte sich zum »ständigen Verteidiger des katholischen Glaubens, der geheiligten Zeremonien, Gesetze, Dekrete und den geheiligten Bräuchen, die die Herrlichkeit Gottes, das Wachstum des Glaubens und die Errettung der Seelen verkünden«. 15 Karl ließ sich auf Luthers impliziten Vorwurf, die Kirche habe seit mehr als eintausend Jahren geirrt, überhaupt nicht ein, sondern gab seiner Entschlossenheit Ausdruck, die Tradition zu bewahren, und ganz besonders das, was »meine Vorfahren auf dem Konzil zu Konstanz und auf anderen Konzilen angeordnet haben«. Er bedauerte, seine Entscheidung, die er nun unverzüglich fällen werde, so lange hinausgezögert zu haben. Luther werde in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Abmachung, seine Anhörung betreffend, drei Wochen lang freies Geleit gewährt, bevor man ihn als Ketzer behandle. Selbst jetzt noch konnten die Stände dem Monarchen die Erlaubnis abringen, dass eine kleine Kommission den Versuch unternähme, einen Kompromiss zu finden. 16 Sogar Fürsten wie Herzog Georg von Sachsen (1500–1539), eindeutige Gegner von Luthers Lehren, unterstützten diese Initiative. Die Vorstellung war, Luther zu seinen individuellen Überzeugungen zu befragen, wobei man die Hoffnung hegte, ihn doch zum Widerruf wenigstens einiger seiner Ansichten zu bewegen. Vielleicht standen die Fürsten aufgrund von Gerüchten um einen Aufstand in der Bevölkerung und ein Heer von 400 Rittern, die geschworen hatten, Luther zu schützen, unter Druck. Zudem wollten sie ihre Kampagne der Gravamina und für eine nationale Kirchenreform vor dem Stigma der Ketzerei bewahren. 17 Doch auch diese unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführten Anhörungen endeten bald in einer Sackgasse. Luther erklärte, er würde nur solche Entscheidungen des Reichstags oder zukünftiger Kirchenkonzile akzeptieren, die mit Gottes Wort in Einklang stünden. Und selbst dann wären solche Entscheidungen für ihn nicht verbindlich im Hinblick auf die Kirche, die er, wie Jan Hus, als Gemeinschaft der von Gott zur Errettung Auserkorenen sah. Luthers kompromisslose Haltung in dieser Frage beendete das im Wesentlichen politisch motivierte Bündnis zwischen ihm und den Vertretern der Gravamina.Von nun an war es eher unwahrscheinlich, dass Luthers Lehren die Grundlage für eine allgemeine Reform der Kirche im Reich bilden würden. 18

14. Luther und die Reichspolitik, 1517–1526

Da nun auch diese Gespräche ergebnislos geblieben waren, hatte Karl V. keine Wahl mehr: Er musste über Luther die Reichsacht verhängen. Wieder wurde eine sofortige Entscheidung vertagt, weil es Gerüchte über drohende Unruhen gab, aber endlich, am 25. Mai, wurde das Wormser Edikt erlassen. 19 Es erklärte Luther zum Ketzer, bedrohte jeden, der ihn beherbergte oder unterstütze, mit harten Strafen und verbot die Lektüre und Verbreitung seiner Schriften. Luther selbst sollte so bald wie möglich festgesetzt und den Behörden ausgeliefert werden. Doch erwies sich die praktische Umsetzung des Edikts von vornherein als problematisch. Friedrich der Weise ersuchte Karl, das Edikt in seinem eigenen (ernestinischen) Sachsen nicht ausführen zu müssen, was ihm dieser auch gewährte – ein Zeichen dafür, dass der Monarch weiterhin auf die Unterstützung durch einen einflussreichen Kurfürsten angewiesen war. 20 Viele andere Territorialfürsten ignorierten das Edikt einfach oder machten es nicht öffentlich. Außerhalb der Gebiete der Habsburger unternahmen nur Bayern, das albertinische Sachsen sowie Braunschweig einige Schritte, und nur in den Niederlanden, deren Oberherr Karl V. war, wurden die Lutheraner systematisch verfolgt. 21 Allerdings war die politische Auseinandersetzung über die Ausführung des Edikts ein zentrales Thema bei den Verhandlungen über die religiöse Thematik auf dem Reichstag während der gesamten 1520er Jahre und es blieb formell die rechtliche Grundlage für die Reichspolitik in Sachen Religion bis 1555. 22 Jedoch war das Edikt von Anfang an zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Noch vor seiner Veröffentlichung brachte Friedrich den Reformator in Sicherheit. Am 4. Mai 1521 wurde Luther auf seiner Rückreise von Worms von Soldaten des Kurfürsten entführt und auf die nahe Eisenach gelegene Wartburg gebracht. Gerüchte über seine Ermordung sorgten für Aufregung im ganzen Reich – wiederum ein Rechtfertigungsgrund für all jene Fürsten und Stadträte, die vor einer Verfolgung Luthers zurückschreckten. Tatsächlich wurde Luther nur für zehn Monate aus dem Verkehr gezogen und sein »Exil« auf der Wartburg war eine für die Weiterentwicklung seiner Theologie entscheidende Periode. Dort verfasste er zahlreiche Schriften zu den unterschiedlichsten Themen: zu den Psalmen, zum Magnifikat, zum Predigen, zu den Sakramenten, zu Mönchsgelübden, um nur einige zu nennen; und er vollbrachte die später so einflussreiche Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche. Der Reichstag zu Worms wurde in Abwesenheit Luthers beendet und der Reformator kehrte gezwungenermaßen zu seinen theologischen Studien zurück. Nun trat eine Pause ein. Tief enttäuscht, musste Luther feststellen, dass sein Appell an den Monarchen und die Stände wirkungslos geblieben war. Nun verwarf er die Vorstellung einer allgemeinen Reform, getragen von einem allgemeinen nationalen Aufstand der Deutschen gegen Rom. Eine Volksbewegung auf die Beine zu stellen, lag ihm fern, vielmehr fürchtete er die von ihr ausgehenden Gefahren für jene Art

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von geordneter Reform, die ihm vorschwebte. Er konzentrierte sich deshalb lieber auf die einzelnen Fürsten und Stadtverwaltungen, von denen er den Anstoß zum Wandel erhoffte. Er folgte den weiteren Ereignissen auf dem Reichstag aus der Ferne und zeigte kein Interesse daran, einzugreifen oder sonst eine aktive Rolle zu spielen. 23 Seine Kommentare zur Reichspolitik beschränkten sich darauf, die Widersprüche hervorzuheben, in die sich die Stände bei ihrem Versuch, eine für alle akzeptable Übereinkunft zu erreichen, verstrickten. Diese Bemühungen drehten sich mittlerweile um die rechtlichen und politischen Probleme, die mit der gegen Luther verhängten Reichsacht zu verorten waren. Am häufigsten begründeten Fürsten und Stadträte ihren Entschluss, das Wormser Edikt nicht praktisch umzusetzen, mit dem Hinweis auf drohende Aufstände, 24 was angesichts der öffentlichen Aufmerksamkeit, die Luthers Reise nach Worms bewirkt hatte, durchaus plausibel war. Obwohl die Fürsten unterschiedliche Haltungen gegenüber der neuen Lehre einnahmen, kann keiner von ihnen vor 1524/25 als lutherischer Konvertit bezeichnet werden. 25 Fast alle jedoch waren sich darin einig, dass der Weg zu einer Kirchenreform notwendig sei und auf den Gravamina beruhen müsse. Dieser Linie folgten auch die Reichsstädte, deren Lage besonders prekär war. Zum einen nämlich waren sie öffentlichen Unruhen sehr viel unmittelbarer ausgesetzt und zum anderen hingen sie politisch vom Monarchen ab, nicht zuletzt, weil er sie vor Übergriffen durch benachbarte Fürsten und andere Adlige schützen konnte. 26 Zuerst gab es den Vorschlag, ein ökumenisches Konzil einzuberufen, der aber schon bald von der Idee eines nationalen Konzils, das zumindest ein erster Schritt sein sollte, abgelöst wurde. In der nach 1521 sich entwickelnden politischen Situation waren beide Vorschläge verfassungsrechtlich hochproblematisch. Die Lösung dieser Probleme während der folgenden fünf Jahre war für die Verfassung des Reichs und seiner Territorien von erheblicher Bedeutung. Zwar beharrte Karl auf der Umsetzung seines Edikts, doch verließ er das Reich gleich nach Beendigung des Reichstags und blieb fast zehn Jahre lang fort. In dieser Zeit waren andere Probleme wie der Konflikt mit Frankreich und die türkische Bedrohung für ihn vordringlicher. Aus der Ferne jedoch intervenierte er gegen alle Vorschläge, ein Konzil welcher Art auch immer – ökumenisch oder national – einzuberufen, das sich mit der Kirchenreform beschäftigen sollte. Andererseits ließ seine Abwesenheit jenen relativ freie Hand, die eine solche Reform wünschten. Sogar das Reichsregiment, dessen Etablierung unter Ferdinands Regentschaft er zugestimmt hatte, schien anfänglich ein Schritt in diese Richtung zu sein. 27 Einflussreiche Mitglieder des Regiments wie Johann von Schwarzenberg, Abgesandter des Bischofs von Bamberg, und Hans von Planitz, Abgesandter des Kurfürsten von Sachsen, wollten gewährleisten, dass das Reichsregiment ein Organ der Stände blieb, und traten nachdrücklich dafür ein, die religiöse Problematik

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mit Vorsicht anzugehen. Ihr Rat bewirkte, dass das Reichsregiment der Entscheidung der Stände, für den November 1524 ein nationales Konzil in Speyer zusammenzurufen, zustimmte. Das aber wurde, ohne vorherige Beratung, von Karl verboten. 28 Während der Monarch abwesend und das neue Reichsregiment im Wesentlichen eine Interessenvertretung der Stände war, übernahm der Reichstag eine entscheidende Rolle. 29 Die religiöse Problematik barg eine ganze Reihe von Herausforderungen. So steckte in der Frage, ob die Stände verpflichtet waren, das Wormser Edikt in die Tat umzusetzen, das Problem der Reichweite monarchischer Macht. Auch ging es um das Verhältnis der Stände zueinander: Sollten die geistlichen Stände gegen die drohende Säkularisierung unterstützt werden? War es für eingefleischte katholische Fürsten legitim, gegen Reformbefürworter vorzugehen? Und vor allem: Wie sollten die Stände auf die augenscheinlich wachsende Bedrohung, die von den unteren Gesellschaftsschichten ausging, reagieren? Ungeachtet der wachsenden Uneinigkeit in Sachen Religion, handelte der Reichstag im Rahmen seiner traditionellen Vorgehensweisen. Er stellte die Solidarität der Stände sicher, denn es ging ihm vor allem um die Verteidigung ihrer Rechte gegen jegliche Bedrohung. Er suchte Konsens und Übereinkünfte, die von allen akzeptiert werden konnten. Im Hinblick auf die religiöse Problematik handelte er, als Versammlung geistlicher und weltlicher Stände, eine Zeit lang fast wie eine nationale Kirche. Er kam erst nach unendlich komplizierten, häufig chaotisch erscheinenden Verhandlungen zu Entscheidungen. Diese langwierigen Prozesse stärkten das politische deutsche Gemeinwesen. Zunächst jedoch schien die Mehrheit geneigt, die Dinge ungeklärt zu lassen. Auf dem ersten Nürnberger Reichstag (März bis April 1522) wurde das Thema Religion gar nicht angesprochen. 30 Die Stände hielten es für das Beste, auf ein ökumenisches oder nationales Konzil zu warten. Erst wenn man sich über die Gravamina verständigt und die Kirche reformiert hatte, konnte man gegen lutherische Prediger vorgehen. Selbst standhafte Katholiken wie Herzog Georg von Sachsen waren dieser Ansicht. Im Januar 1522 hatte er das Reichsregiment dazu gebracht, ein Dekret gegen jeglichen Missbrauch des Gottesdienstes zu erlassen. Allerdings schloss das Dekret mit dem Plädoyer, dass alle Prediger ihre Versammlungen anweisen sollten, den »christlichen Gebräuchen der Kirche« treu zu bleiben, bis ein Reichstag, eine christliche Versammlung (der Reichsstände) oder ein Konzil zu »Erklärungen, Erörterung und Determination« führen würden. 31 Diese verbreitete Haltung wurde durch die Ansichten des neuen Papstes noch verstärkt. Hadrian VI. war offenkundig reformorientiert. Er entsandte seinen Legaten Francesco Chieregati zum zweiten Nürnberger Reichstag (17. November 1522 bis 9. Februar 1523), auf dem dieser die Fehler der Kirche, insbesondere die Sünden der Kurie, öffentlich bekennen und päpstliche Reformen versprechen sollte. 32

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Zugleich forderte der Legat die Umsetzung des Wormser Edikts, worauf die Stände ausweichend reagierten. Sie erklärten nur, dass alle Prediger »das Evangelium gemäß den von der heiligen christlichen Kirche genehmigten Schriften predigen« sollten. Allerdings wurde nicht näher angegeben, welche Schriften genau als autoritativ zu gelten hatten. 33 Zusätzlich forderten die Stände die Eröffnung eines freien christlichen Konzils auf deutschem Boden binnen eines Jahres. Bis dahin sollten Luther und seine Anhänger nichts Neues veröffentlichen. Heiraten von Geistlichen blieben tabu, Mönche und Nonnen wurden abgehalten, ihre Klöster und Konvente zu verlassen. Im September 1523 starb Hadrian VI. und mit ihm die päpstliche Reformpolitik. Auf dem dritten Nürnberger Reichstag (Januar bis April 1524) kehrten sein Nachfolger, Clemens VII., samt dem neuen Legaten Lorenzo Campeggio (oder Campeggi) zum vormaligen harten Kurs zurück. 34 Aber in Deutschland hatten sich die Fronten auch verhärtet. Als Campeggio die Menge in Augsburg segnete, wurde er verspottet und verhöhnt. Als er nach Nürnberg kam, riet man ihm, die Stadt heimlich zu betreten, und am Gründonnerstag musste er mit ansehen, wie eine Menge von etwa 3.000 Gläubigen, darunter Karls Schwester Isabella, die Königin von Dänemark, das Abendmahl auf zweierlei Art empfing. 35 Nunmehr forderten die Stände, über ein freies Konzil hinaus, als zwischenzeitliche Maßnahme noch ein nationales Konzil, das im November 1524 in Speyer zusammentreten sollte. Das Wormser Edikt wurde erneut bekräftigt, doch sollte jeder Stand bis zur Lösung der religiösen Probleme es »so weit wie möglich« umsetzen. Die im Februar 1523 gefällte Entscheidung ließ viele Hintertüren offen. So blieb es Fürsten oder Stadträten erlaubt, ihre lutherischen Prediger vor bischöflichen Versuchen, in ihren Diözesen und Territorien religiöse Disziplin durchzusetzen, zu schützen. Die im April 1524 eingetretene Situation war mit dem Edikt und dem Willen des Papstes wie auch des Monarchen noch weniger zu vereinbaren. Nicht nur Luther war verblüfft über das, was er für absurd hielt, nämlich die erneute Bekräftigung des Verbots seiner Schriften bei gleichzeitiger Forderung eines nationalen Konzils. 36 Dieses augenscheinliche Durcheinander erklärt sich jedoch daraus, dass Reichstag und Reichsregiment gleichermaßen von Ratsmitgliedern und Delegierten beherrscht wurden, da während der Abwesenheit des Monarchen viele Fürsten es vorzogen, nicht persönlich zu erscheinen. Ihre Vertreter waren juristisch ausgebildete Beamte wie Schwarzenberg und Planitz, fest entschlossen, ihre Arbeit zu tun und ein funktionierendes Regierungssystem, koste es, was es wolle, aufrechtzuerhalten. 37 Man darf davon ausgehen, dass der Sichtweise von Schwarzenberg und Planitz auch die der Stände allgemein entsprach. Allerdings zeigten Ereignisse nach der Beendigung des Reichstags im April 1524, wie gespalten die Gravamina-Bewegung in politischer Hinsicht war. Die aktivsten Vorbereitungen für das nationale Konzil

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in Speyer wurden von den Reichsstädten getroffen. Der Städtetag traf sich im Juli 1524 in Speyer, um erneut auf die Notwendigkeit einer allgemeinen Reform und die Unmöglichkeit, das Wormser Edikt umzusetzen, hinzuweisen. 38 Viele Städte waren dem akuten Druck umfangreicher Reformationsbewegungen in der Bevölkerung ausgesetzt. Zugleich jedoch war die Lage der Städte im Hinblick sowohl auf das Reichsregiment als auch auf den Monarchen recht prekär. Sie fühlten sich bedroht, weil das Reichsregiment in der Diskussion mit den Adelsständen Vorschläge zu Maßnahmen ausgearbeitet hatte, die der Reichstag gegen die großen Handelsgesellschaften und für eine reichsweite Warensteuer ergreifen sollte. 1523 hatten sich die Städte an den Monarchen gewandt, um diese Maßnahmen abzuwehren. Sie hatten seine Unterstützung erhalten, ihm dafür aber umfangreiche Kredite versprechen müssen, um seine diversen Feldzüge zu finanzieren. Die religiösen Probleme waren jedoch ungelöst geblieben. Demzufolge waren die Vorbereitungen der Städte auf das Konzil von Sorgen überschattet. Einerseits stritten sie untereinander über die möglichen Folgen offenen Ungehorsams gegenüber dem Monarchen, von dessen Gutwilligkeit sie abhängig waren. Andererseits wiesen Städte wie Nürnberg, Straßburg und Ulm, in denen die Reformationsbewegung starken Zulauf erhielt, auf die dringende Notwendigkeit hin, den Monarchen davon zu überzeugen, dass es gefährlich sein könnte, seinem Willen zu gehorchen, weil Aufstände in der Bevölkerung und der Niedergang der Städte die Folge wären. Selbst die augenscheinliche Einmütigkeit der Städte konnte jedoch kaum die wachsende Kluft zwischen den reformwilligen und den kirchentreuen überdecken. Als Nürnberg und Ulm im Dezember 1524 auf dem Städtetag in Ulm eine deutlich prolutherische Resolution durchsetzten, verweigerte eine beträchtliche Anzahl an Städten die Zustimmung. 39 Danach war die Diskussion über ein nationales Reformkonzil überflüssig. Denn die Bedrohung der Solidarität der Reichsstädte in ihrem Verständnis als einheitlicher Körperschaft konnte nur abgewendet werden, weil die Notwendigkeit, gemeinsame Interessen zu verfolgen und ihre Freiheit zu bewahren, sie schnell dazu brachte, das Thema Religion aus ihren Beratungen herauszuhalten. 40 Wie andere zentrale Institutionen des Reichs vermieden die Städte den Konflikt in Glaubenssachen, indem sie stillschweigend darin übereinkamen, nur die durch die religiöse Spaltung aufgeworfenen rechtlichen und politischen Probleme zu behandeln. Der Vorschlag, ein nationales Konzil einzuberufen, stieß auch an anderen Fronten auf Widerstand. Ferdinand hatte gegen den Willen des Bruders seine Zustimmung gegeben, wohl auch deshalb, weil er anfänglich hoffte, das Konzil in einen formellen Reichstag umzuwandeln, den er dann um Militärhilfe gegen die Türken ersuchen könnte. 41 Aber die wachsende Opposition gegen das Reichsregiment als Institution warf Ferdinands offenkundigen Unabhängigkeitsbestrebungen Knüppel zwischen die Beine. Die Städte waren völlig dagegen und Karl wie

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seine Berater betrachteten Ferdinands Bemühungen mit wachsendem Misstrauen. Das Reichsregiment musste nun erfahren, wie gerade diejenigen Stände, auf deren Geheiß es einst eingerichtet worden war, ihm die Unterstützung entzogen, wobei einige ihm vorwarfen, die Unfähigkeit, das Wormser Edikt umzusetzen, zeige die Unfähigkeit zum Regieren, während andere ihm ein Übermaß an Ehrgeiz vorhielten. Die Auseinandersetzungen erreichten im Januar 1524 in Nürnberg ihren Höhepunkt, woraufhin das Reichsregiment nach Esslingen im habsburgischen Württemberg verlegt wurde. 42 Nun war das von Ferdinand als nationale Regierung vorgesehene Organ wenig mehr als der Bevollmächtigte seiner eigenen recht unsicheren Regentschaft und Ferdinands Handlungsspielraum entsprechend eingeschränkt. Vor allem schwand sein Interesse an der Möglichkeit, das geplante Konzil in einen Reichstag zu verwandeln, als deutlich wurde, dass er damit nicht durchkommen würde. So konnte es nicht überraschen, dass er auf dem Regensburger Konvent (im Juni 1524), an der auch die bayrischen Herzöge Wilhelm und Ludwig sowie die Vertreter von zwölf süddeutschen Bischöfen teilnahmen, in Zusammenarbeit mit dem Legaten Campeggio ein neues katholisches Bündnis schmiedete. 43 Der Papst war entschlossen, das geplante Nationalkonzil zu unterlaufen. Außerdem sah er mit Sorge die Bestrebungen der Wittelsbacher in Bayern und der Pfalz, die Kirchen in ihren Territorien und die benachbarten Bistümer unter ihre Kontrolle zu bringen. 44 Zudem schlug sich im Regensburger Konvent die Furcht aller Teilnehmer vor der wachsenden Reformbewegung nieder. Aber auch unter den Kirchentreuen herrschte keine Einigkeit. Die Wittelsbacher waren nicht die einzigen weltlichen Fürsten, die die neue Lehre bekämpften, indem sie sich nunmehr selbst um die Belange der Kirche in ihrem Herrschaftsgebiet kümmerten. Später beschuldigten die Bischöfe Ferdinand selbst, er habe in den österreichischen Erblanden seine Herrschaft über die Kirche rücksichtsloser ausgebaut, als ein Lutheraner es getan hätte. 45 Aber diese mit stillschweigender Unterstützung des Papstes vorgetragenen Initiativen überließen den Bischöfen den Kampf gegen die neuen Lehren und gegen den Angriff der Fürsten auf ihre Rechte in den Diözesen. 46 Der Regensburger Konvent endete mit einem Abkommen über gegenseitige Hilfe bei der Umsetzung des Wormser Edikts. 47 Außerdem wurden die Schriften der Kirchenväter (Ambrosius, Augustinus, Cyprianus, Chrysostomos, Gregor und Hieronymus) als für die christliche Lehre normativ gültig festgelegt und den Untertanen der im Konvent Versammelten das Studium an der Universität Wittenberg verboten. Das Übrige war ein mühsam ausgehandelter Kompromiss zwischen weltlichen und geistlichen Interessen. Die Bischöfe verzichteten zugunsten der Herrscher von Bayern und Österreich auf einen Teil ihres Einkommens. Zum Aus-

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gleich wurden die kirchlichen Reformen auf eine Neubestimmung der Pflichten des Klerus beschränkt, in der sich Forderungen der traditionellen katholischen Reformagenda niederschlugen, nicht aber die kritischen Vorstellungen reformorientierter Prediger. Der Regensburger Konvent war insofern bedeutsam, als hier zum ersten Mal ein Verteidigungsbündnis auftrat, das die jeweiligen Untertanen auf einen bestimmten Glauben verpflichten wollte. Allerdings war es mit seiner Wirksamkeit schnell vorbei, als die Bayern sich 1525 gegen die Habsburger stellten. Zunächst einmal jedoch bestärkte es die Zweifel an der Möglichkeit eines Nationalkonzils und es schärfte die Aufmerksamkeit der Bischöfe, die im Oktober 1524 auf einem Konvent in Aschaffenburg ihre eigenen Gravamina gegen die weltlichen Fürsten auflisteten. 48 Schließlich aber machte Karl V. allen Plänen für ein Nationalkonzil ein Ende, indem er die Resolution des Reichstags für nichtig erklärte. Am 15. Juli 1524 verbot er sie im Edikt von Burgos. Außerdem brach er sein dem Kurfürsten von Sachsen gegebenes Versprechen, ihn vom Vollzug des Wormser Edikts auszunehmen, und befahl ihm, es zusammen mit allen anderen deutschen Ständen unverzüglich umzusetzen. 49 Als die Nachricht vom Inhalt dieses Edikts Deutschland im September erreichte, wurde klar, dass eine allgemeine Regelung damit unmöglich geworden war. Leopold von Ranke sah hierin den Moment, in dem die deutsche Nation in zwei Teile zerbrach. Er beschuldigte den Monarchen und den Papst einer »ausländischen Intervention«, die Deutschland für einige Jahrhunderte zum Krüppel gemacht habe. Diese Sichtweise unterstellt zum einen, dass das geplante Nationalkonzil ohne Karls Verbot eine Kirchenreform zustande gebracht hätte, und zum anderen, dass Karls Intervention tatsächlich zur Teilung Deutschlands führte. 50 Keine der beiden Annahmen ist haltbar. Ein Nationalkonzil wäre ohne zumindest die aktive Unterstützung und Beteiligung Ferdinands unvorstellbar gewesen. Außerdem hätte eine solche Zusammenkunft lediglich die unterschiedliche Haltung der Stände in der Frage, welche Art von Reform denn erforderlich sei, ans Licht gebracht. Ebenso wenig ist klar, ob Karls Intervention tatsächlich die »Nation« gespalten hat. Bereits Luther hatte die in Worms erkennbare Neigung zu einer »nationalen« Reform durch seine Verweigerung des Widerrufs abgeschwächt und er war auch nicht bereit einzuräumen, dass einige seiner Ansichten Irrtümer sein könnten, um so das Bündnis mit der Gravamina-Bewegung aufrechtzuerhalten. 51 Tatsächlich war die Welle des antipapistischen und antiklerikalen Patriotismus, die 1520 und 1521 die Gravamina getragen hatte, gegen 1524 weitgehend verebbt. War die Bewegung damals von vielen Herrschern und breiten Teilen der Bevölkerung unterstützt worden, so hatte sich mittlerweile eine andere Konstellation ergeben. Fürsten und Stadträte beschäftigten sich nun mit der Bedrohung

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durch die in der Bevölkerung wachsende Begeisterung für Reformen, weniger des Glaubens als vielmehr der politischen und sozialen Ordnung. Diese Besorgnis überschattete alles andere, als die Stände 1525 mit einer Revolution konfrontiert waren. Konventionelle Reaktionen boten offensichtlich keine Abhilfe mehr. Zu den wichtigsten Themen gab es höchst unterschiedliche Ansichten; man fragte sich, ob die Ursachen für die Unruhen in einer unreformierten Kirche oder in aufrührerischen Predigten zu suchen seien, ob Karls Beharren auf dem Vollzug des Wormser Edikts rechtmäßig und ob oder wie dieses praktisch umzusetzen sei. Angesichts dieser Auseinandersetzungen konnte der Schwäbische Bund seiner gewohnten Aufgabe, für Recht und Ordnung zu sorgen, kaum noch nachkommen, denn solange die Probleme in der Schwebe blieben, waren ihm die Hände gebunden. 52 Der Regensburger Konvent hatte gezeigt, wie schwierig es war, den Konsens zur Bildung eines wirksamen Verteidigungsbündnisses zu finden. 1525 ging der Schwäbische Bund gegen die Bauern vor und war siegreich, doch danach traten die Differenzen zwischen seinen Mitgliedern sehr rasch zutage und es bildeten sich alternative Bündnisse. Im Juli 1525 formierte sich, unter Leitung Herzog Georgs von Sachsen, der Kurfürsten Joachim von Brandenburg und Albert von Mainz sowie der Herzöge Erich und Heinrich von Braunschweig, ein solches Bündnis in Dessau, das indes nur kurzfristig existierte. Im folgenden Jahr schmiedeten Philipp von Hessen (1518–1567) und Kurfürst Johann von Sachsen (1525–1532), die zum Luthertum übergetreten waren, in Torgau ein Verteidigungsbündnis. Sie wollten gegen Aufstände in der Bevölkerung vorgehen und jeden Versuch, das Wormser Edikt in ihren Territorien zu vollziehen, unterbinden. Schon bald schlossen sich ihnen andere an, vor allem die Gefolgschaft der Sachsen in Norddeutschland. Natürlich zeigten die neuen Bündnisse auch, dass einige Fürsten mittlerweile ganz offen zum neuen Glauben übergetreten waren und mit einer systematischen Reform von Kirche und Klerus begonnen hatten. Als Philipp von Hessen und Johann von Sachsen 1526 zum Reichstag in Speyer ankamen, trug ihr Gefolge einheitliche Uniformen, deren Armbinden mit der Aufschrift »Gottes Wort dauert in Ewigkeit« versehen waren. 53 Doch auch jetzt noch suchten die Stände nach einer Formel, der alle zustimmen konnten. Der Schock angesichts der Ereignisse von 1525 hatte die Solidarität unter den Fürsten verstärkt und so nahmen die Stände in Speyer die in Nürnberg im April 1524 begonnene Diskussion wieder auf. Selbst die Bischöfe waren der Ansicht, dass die vom Monarchen geforderte Rückkehr zu den alten Bräuchen nicht machbar sei. Demzufolge beriet ein Komitee von Fürsten, dem auch einige Bischöfe angehörten, über zwischenzeitliche Maßnahmen, die zur Entspannung der Lage beizutragen vermochten, bis eine allgemeine und endgültige Reform in Angriff genommen werden konnte. Die vom Komitee vorgeschlagenen Maßnahmen sahen unter anderem die Heirat von Geistlichen, den Laienkelch, Lesungen aus dem Evangelium und den Epis-

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teln während der Messe in deutscher Sprache und eine deutsche Bibelübersetzung vor. Allerdings wurden die Gespräche abgebrochen, als Ferdinand eine Instruktion seines Bruders bekannt machte, laut derer alle Neuerungen verboten waren, weil, so Karl, einzig der Monarch und der Papst das Recht hätten, ein Konzil einzuberufen, um über solche Angelegenheiten zu beraten. 54 Erneut beschlossen die Stände, eine Deputation nach Spanien zu entsenden, um Karl die Schwierigkeiten der deutschen Situation zu erklären und darauf zu drängen, binnen 18 Monaten ein freies ökumenisches Konzil oder ein Nationalkonzil einzuberufen. Im Hinblick auf das Wormser Edikt bestimmte der Reichstag nun, dass bis zu einem solchen Konzil jeder Stand die religiösen Angelegenheiten den Gesetzen des Reichs und Gottes Wort entsprechend regeln sollte. Ziel war es, weitere Neuerungen zu verhindern, aber bereits eingetretene Veränderungen bis zu einer endgültigen Regelung durch das Konzil zuzulassen. Die Auswirkungen waren tiefgehend. Die Gesetze des Reichs wurden Gegenstand von Auseinandersetzungen. Gottes Wort konnte auf höchst unterschiedliche Weise interpretiert werden. Schon bald führten die lutherischen Stände das Mandat von Speyer 1526 als Rechtfertigung für ihre vor Ort betriebenen Reformationen an. Die Deputation für Spanien kam nicht zustande; Karl war mit Frankreich und Ferdinand mit den Türken beschäftigt, sodass beide keine Zeit hatten, ein Konzil einzuberufen, auf das sie ohnehin keinen Wert legten. Als Karl 1530 ins Reich zurückkehrte, sah er sich mit neuen Realitäten konfrontiert, gegen die er bis zum Ende seiner Regierungszeit unablässig, letztlich aber erfolglos Ränke und Pläne schmiedete. Was 1526 nur als temporärer Notbehelf gedacht war, erlangte schon bald den Status eines grundlegenden Gesetzes. Er wurde das Fundament für das territoriale Kirchensystem in Deutschland, in dem Fürsten oder Stadträte mit ihrer Machtbefugnis über die Religion bestimmen konnten. Monarch und Reich hatten ihre Handlungskompetenz in Glaubenssachen verloren. Das Motiv, das alle Fürsten und Stadträte dazu bewog, für Vorsicht und Verzögerung einzutreten und sich zugleich an der Suche nach einem Kompromiss zu beteiligen, hieß Furcht. Luthers Auftritt in Worms hatte seinen Bekanntheitsgrad noch weiter erhöht. Nun begann die Reformationsbewegung erst wirklich. Ab diesem Zeitpunkt waren die Debatten auf dem Reichstag und die lokalen Reaktionen der Herrschenden von der Furcht vor Aufständen des gemeinen Mannes beeinflusst. 55 Die im Reich und in den Territorien gefällten Entscheidungen waren im Wesentlichen eine Reaktion auf die augenscheinlich unkontrollierbare Ausbreitung der neuen Lehre und der Art, wie sie alten Kampagnen und Streitigkeiten in Stadt und Land neue Energien und Ziele verlieh. Die Bewegung manifestierte sich in unzähligen lokalen und regionalen Ereignissen, die gleichzeitig im ganzen Reich von den Alpen bis zum Baltikum ans Licht traten. Umfang, Intensität und Stoßkraft dieser Bewegung übertrafen bei Weitem alles, was Luther je sich vorgestellt

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haben mochte. Sie entwickelte bald sogar Eigenarten, die er selbst zu verurteilen sich verpflichtet fühlte.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. S. 110–112. Vgl. S. 268–278. Schmidt, Geschichte, 59–60. Zum Folgenden vgl. Brecht, Luther, Bd. I, 349–388. Marius, Luther, 237. Schmidt, Geschichte, 56–58. Brecht, Luther, Bd. I, 408. Fuchs, »Zeitalter«, 47; Kohnle, Reichstag, 45–84. Ludolphy, Friedrich, 383–397; Kohnle, Reichstag, 22–44. Joachimsen, Reformation, 86; Schmidt, Geschichte, 60. TRE, Bd. XIV, 132. Joachimsen, Reformation, 106. Kohnle, Reichstag, 90–95. Brecht, Luther, Bd. I, 460; Marius, Luther, 294. Seibt, Karl V., 68–76. Kohnle, Reichstag, 96–99. Brecht, Luther, Bd. I, 463–464. Joachimsen, Reformation, 112; Fuchs, »Zeitalter«, 51; Schmidt, Geschichte, 62–64. Kohnle, Reichstag, 99–104. Brecht, Luther, Bd. I, 474, 476. Israel, Dutch Republic, 79–84. Moeller, Deutschland, 126. Bornkamm, Luther, 295–316. Blickle, Reformation, 152; Wolgast, »Territorialfürsten«, 413–415. Wolgast, »Territorialfürsten«, 424. Brady, Turning Swiss, 166–183; Schmidt, Städtetag, 478–490. Joachimsen, Reformation, 120–121; Lutz, Ringen, 220. Borth, Luthersache, 158; Rabe, Geschichte, 254. Press, »Reformation und der deutsche Reichstag«, 206–207. Kohnle, Reichstag, 113–115. Wolgast, »Territorialfürsten«, 415. Kohnle, Reichstag, 116–127. Wolgast, »Territorialfürsten«, 415–416. Kohnle, Reichstag, 204–246. Ranke, Geschichte, 303. Abendmahl unter beiderlei Gestalt (sub utraque specie) bedeutet, dass bei der Eucharistie den Gläubigen Brot und Wein gereicht werden. Bornkamm, Luther, 310–311. Roll, Reichsregiment, 329–330. Brady, Turning Swiss, 133–150; Schmidt, Städtetag, 476–486. Schmidt, Städtetag, 487–490. Schmidt, Städtetag, 478, 490–522.

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41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55

Borth, Luthersache, 159. Vgl. S. 59–60, 211–212. Winkler, »Regensburger Konvent«, 417. Winkler, »Regensburger Konvent«, 417. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 262. Zu Ferdinands Religionspolitik vgl. Chisholm, »Religionspolitik«, 552–558. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 261–263; Borth, Luthersache, 163–164. Borth, Luthersache, 165. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 261. Borth, Luthersache, 151; Brady, Turning Swiss, 178. Ranke, Geschichte, 305–320; Joachimsen, Reformation, 122–123. Schmidt, »Luther«, 64–75. Bock, Schwäbischer Bund, 199–202. Rabe, Geschichte, 318; Kohnle, Reichstag, 257–266. Kohnle, Reichstag, 260–268. Blickle, Reformation, 153–156.

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15. Luther und die deutsche Reformbewegung

I

n den Jahren zwischen 1517 und 1521 entstand eine von breiten Schichten der Bevölkerung getragene Reformbewegung, die praktisch keinen Flecken des Reichs unberührt ließ. Jede neue Schicksalswendung in Luthers Weg zog neues und breiter gestreutes Interesse auf sich. Jedes Stadium seiner Verfolgung durch die Kirche verschaffte seinen Ideen größere Publizität und rüttelte an den Stühlen der Autoritäten. Dass Luther in Worms Karl V., dem höchsten Machthaber im Reich, ungestraft trotzen konnte, war eine Ermutigung für all jene, die Reformen forderten. Luther war das Zentrum der Bewegung. Keine andere Persönlichkeit erlangte diese wahrhaft nationale Bekanntheit und jene Ausstrahlung, die er in den Jahren 1520 und 1521 erreicht hatte. Jedoch war die Bewegung nahezu von Anbeginn durch eine Vielfalt gekennzeichnet, in der sich unterschiedliche Interpretationen der neuen Lehre und die Breite des Spektrums aufgrund ihrer sozialen, politischen und geografischen Entstehungsbedingungen niederschlugen. Luther selbst setzte alle Hoffnungen auf die Gemeinde als Gemeinschaft der Gläubigen. Einzig sie konstituiere die wahre christliche Kirche und würde die in der Bibel vollkommen klar geäußerten christlichen Lehren anerkennen und ihnen gemäß leben. 1 Das Vertrauen auf den Triumph des göttlichen Worts gab der frühen Bewegung viel von ihrer Strahlkraft; jedoch gab es auch Anlass zu widerstreitenden Interpretationen: Was bedeutete das Wort und was konnte es heißen, danach zu leben, wenn es um die Reform von Kirche und Gesellschaft ging? Potenzial für Differenzen gab es in der Bewegung von Anfang an, doch wurde deren Entfaltung durch Luthers Aufenthalt in der Wartburg noch begünstigt. Luthers erste Anhänger waren junge Kollegen wie Andreas Karlstadt (* 1486, † 1541) und Studenten, die sein Angriff auf Aristoteles und die Scholastik begeisterte. Binnen Kurzem hatte er sich zum gefragtesten unter den Wittenberger Professoren entwickelt und seine erste praktische Initiative war die Reform der Universität, an der er lehrte. 2 Mit Unterstützung durch Karlstadt und den Sekretär von Kurfürst Friedrich, Georg Spalatin, veränderte Luther das Studium der artes liberales von Grund auf. 3 Im August 1518 richtete er einen Lehrstuhl für Griechisch ein, auf den Reuchlins 21-jähriger Großneffe, Philipp Melanchthon (* 1497, † 1560), aus Tübingen berufen wurde. Bald darauf folgte ein Lehrstuhl für Hebräisch und so wurde die Universität ein Zentrum für humanistische Philologie und bibelorientierte Theologie.

15. Luther und die deutsche Reformbewegung

Als sich Luthers Ruf über die Grenzen Sachsens hinaus verbreitete, gewann die Universität an Beliebtheit. 1519 stieg, so hieß es, die Anzahl der Studenten beträchtlich an, sodass viele abgewiesen werden mussten. Vielleicht mehr noch als Luther war es Melanchthon (dem später der Beiname Praeceptor Germaniae, Lehrer Deutschlands, verliehen wurde), der die Universität Wittenberg zur Vorreiterin der frühen Reformationsbewegung machte. 1521 vermittelte seine Schrift Loci communes rerum theologicarum (Grundbegriffe der Theologie) die erste systematische Darstellung von Luthers Theologie und verschaffte dem protestantischen akademischen Studium die humanistische Grundlage. 4 Die Reform der Wittenberger Universität wäre ohne die Unterstützung führender Mitglieder aus der Verwaltung des Kurfürsten nicht möglich gewesen. Sowohl juristische Fachleute wie auch Adlige standen dem Kurfürsten zur Seite, als er Luther schützte und dessen Sache nach 1520 förderte. Georg Spalatin (* 1484, † 1545), ab 1512 Friedrichs Privatsekretär, war der typische Vertreter einer auf Modernisierung bedachten Beamtenschaft, die Luthers Kurs befürwortete und so sein Überleben sicherte. 5 Ein solches Netzwerk von Beamten, verstärkt durch entsprechende Berufungen an die Wittenberger Fakultäten, garantierte die weitere Förderung der reformatorischen Sache und war zugleich ein Instrument für die Durchsetzung von Reformen, die zur Einrichtung des lutherischen Kirchensystems führte. Die endgültige Entscheidung, Luther zu schützen und die Ausbreitung seiner Lehre nicht zu behindern, war ihrem Wesen nach politisch und wurde vom Kurfürsten selbst getroffen, obwohl Friedrich der Weise auf altmodische Art fromm und der katholischen Kirche treu ergeben war. Der erste lutherische Kurfürst war sein Bruder, Johann der Beständige, der in seiner Jugend von Spalatin unterrichtet worden war und das Amt 1512 antrat. Das war auch das Werk führender Verwaltungsbeamter des Kurfürstentums, die ebenso die neue Lehre förderten wie sie die Ziele der Regierung verfolgten, die schon Ende des 15. Jahrhunderts damit begonnen hatte, ihre Kontrolle über die Kirche zu erweitern. Sehr schnell wurde Luther für diese Gruppen zu einer Art »geistiger Mentor«. 6 Allerdings war die Situation in Kursachsen einigermaßen ungewöhnlich. Im benachbarten Herzogtum Sachsen gab es eine ähnlich lutherisch gesinnte Beamtenschaft, die jedoch Herzog Georg nicht von seiner vehementen Gegnerschaft zu Luther abbringen konnte. In der Grafschaft Mansfeld wiederum gelang es vergleichbaren Gruppen, den Grafen die neue Lehre schmackhaft zu machen. Selbst in den Territorien von Kurmainz sorgten führende Berater von Erzbischof Albrecht, mehrheitlich »gelehrte Räte« mit humanistischen Neigungen, dafür, dass das Wormser Edikt wirkungslos blieb und die Lehre von Luther sich ausbreiten konnte. 7 Albrecht selbst trug dazu bei, fürchtete er doch die Folgen der Unterdrückung. Außerdem hegte er offenbar den (nie in die Tat umgesetzten) Plan, seine

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Lande in ein säkulares Lehen umzuwandeln, gerade als sein Verwandter, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, die Gebiete des Deutschen Ordens in das Herzogtum Preußen transformierte. Die Sympathie seiner führenden Berater für die reformatorische Sache war ausschlaggebend für die gemäßigte Politik des Erzbischofs. Verbunden mit diesen regional organisierten Gruppen von Akademikern und Verwaltungsbeamten waren die vielen Humanisten in anderen Teilen des Reichs, die zumindest anfänglich Luthers Sache unterstützten. So führte zum Beispiel in Nürnberg eine Reihe von Predigten, gehalten 1516 von Johannes von Staupitz, zur Gründung einer wissenschaftlichen Vereinigung (der Sodalitas Staupitziana), der auch Willibald Pirckheimer, Albrecht Dürer, der Jurist des Stadtrats, Christoph Scheurl, sowie der Ratsschreiber Lazarus Spengler angehörten. Fortdauernde Kontakte mit Staupitz machten die Gruppe schon früh mit Luthers Theologie bekannt. Als sie 1518 Luther selbst kennenlernten, wurden sie seine begeisterten Anhänger. 8 Einige, wie Pirckheimer und Scheurl, blieben schließlich der katholischen Kirche treu. Doch war der anfängliche Enthusiasmus führender Humanisten, die die neue Lehre mit ihren eigenen Reformbestrebungen identifizierten, in den Anfängen der Reformation von entscheidender Bedeutung. Das gilt auch für zahlreiche Reichsstädte im Süden und Südwesten. Zwar verhalf dieser Enthusiasmus der Reformation nirgendwo zum Durchbruch, doch verfolgten die Humanisten fast überall Luthers Verurteilung in Rom und seinem Auftritt in Worms mit großer Spannung, denn für sie ging es dabei um alle Reformideale, ihre eigenen eingeschlossen. Noch stärker und direkter beeinflussten Geistliche die Ausbreitung der neuen Lehre. Die reformatorische Bewegung war in erster Linie durch Predigten und das Predigen bestimmt. Von Anbeginn erfuhr Luther Protektion durch Staupitz und nachdrückliche Unterstützung durch viele seiner jüngeren augustinischen Kollegen. Junge Geistliche gehörten zu den ersten Konvertiten. Unter denen, die Luthers Disputation in Heidelberg im April 1518 beiwohnten, war Martin Bucer, ein junger Dominikaner mit starken humanistischen Neigungen, der mit seinen Freunden Martin Frecht und Johannes Brenz Luthers Ideen diskutierte. 9 Die drei wurden später (in Straßburg, Ulm und Württemberg) Reformer. 10 Nach Worms bildeten Augustinermönche den Kern eines ganzen Heers von Reformpredigern. Als Luther im Herbst 1521 das Mönchsgelübde kritisierte, verließen viele einfach ihre Klöster. 11 Im folgenden Jahr entband ein Augustinerkapitel im Reich seine Mitglieder förmlich von ihren Gelübden. Staupitz’ Nachfolger, Wenzeslaus Linck, trat ganz offen für Luthers Lehren ein und verließ sehr bald den Orden, um zu heiraten. Um 1560 waren 69 von 160 deutschen Augustinerklöstern nicht mehr existent. 12 Ähnliche Tendenzen gab es bald auch bei den Karmelitern, den Franziskanern und den Dominikanern. 13 Der Auflösungsprozess der Klöster ging langsam vonstatten, denn er wurde von zahlreichen lokalen Faktoren religiöser,

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politischer und ökonomischer Provenienz bestimmt. Aber der anfängliche Strom individueller Austritte und Auflösungen sorgte für die Lebenskraft der neuen Bewegung. So wichtig wie die den Klöstern entronnenen Mönche und Nonnen waren die Inhaber der Prädikaturen, die gegen Ende des 15. Jahrhunderts in vielen städtischen Pfarrgemeinden eingerichtet worden waren. Welche Rolle diese Laienprediger spielten, lässt sich nicht ermitteln, weil verlässliche Daten fehlen. Manche blieben sehr wahrscheinlich dem Katholizismus treu, so wie manche ehemaligen Mönche einfach in eine weltliche Existenz abtauchten. Aber ohne die reine Masse der »lokalen« Reformer, die zu Beginn der 1520er Jahre im gesamten Reich, vor allem in den großen Ortschaften und den Reichsstädten, zu finden waren, hätte die neue Lehre nicht so schnell an Boden gewinnen und ihn vielfach nicht halten können. Eine beträchtliche Anzahl dieser Prediger erhielt den Status von Reformern, wie vage dieser Terminus auch bestimmt sein mag. Sie waren in entscheidendem Maß an Reformen in einer Stadt oder einem Territorium beteiligt oder waren Theologen, die mit Luther übereinstimmten, auch wenn sie ihre Ansichten unabhängig von seinen Lehren und in anderer Ausprägung gewonnen hatten.Viele weitere waren einfach gewöhnliche Prediger, die die Ideen propagierten, die sie als Studenten vernommen oder in der ständig anschwellenden theologischen Reformliteratur gelesen hatten. Zu dieser umfassenden Gruppe, die, zusammen mit humanistisch beeinflussten Juristen und Verwaltungsbeamten, die neue Lehre verbreitete, gehörten auch viele Autoren der Flut reformatorischer Flugschriften. Genaue Zahlen lassen sich kaum angeben, aber es scheint sicher, dass die überwiegende Mehrheit der gut 10.000 Flugschriften, die von 1500 bis 1530 im Reich veröffentlicht wurden, zwischen 1517 und 1527 erschien. 14 Allein von 1517 bis 1518 stieg die Anzahl um 530 Prozent und wuchs in jedem folgenden Jahr noch beträchtlich an. 1524 wurden an die 2.400 Pamphlete publiziert. Erst nach dem Ende des Bauernkriegs 1525 ebbte die Flut ab und nach 1527 ging die Produktion weiter merklich zurück, weil die Reforminitiativen jetzt von der Reformationsbewegung auf die Regierungen übergingen. Die allermeisten Flugschriften vertraten die Sache Luthers; die Reaktion der Katholiken in den 1520er Jahren, für die Autoren wie Johannes Eck, Hieronymus Emser und Konrad Koch (auch Konrad Wimpina) typisch waren, »war nicht nur hinsichtlich ihrer Quantität, sondern auch ihrer Popularität unangemessen«. 15 Die beliebtesten Flugschriften erlebten zehn bis sogar zwanzig Auflagen. Geht man von einer durchschnittlichen Stückzahl von 1.000 Exemplaren pro Auflage aus, lässt sich schätzen, dass zwischen 1520 und 1526 etwa 1.100 Flugschriften in einer Gesamtstückzahl von 11 Millionen Exemplaren gedruckt wurden. Die meisten Pamphlete erschienen in den Städten und Ortschaften von Süd- und Südwestdeutschland. Fast alle behandelten theologische oder kirchliche Themen, nur

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zwei Prozent waren nichttheologischen Inhalts. Der Einfluss des gedruckten Worts wurde noch durch lebendige Illustrationen und durch das gleichzeitige Erscheinen von Flugblättern und Einblattholzschnitten verstärkt. Der bei Weitem populärste Autor war natürlich Luther selbst. 16 Ende des Jahres 1520 waren 81 Werke aus seiner Feder in 653 Ausgaben erschienen. Anfänglich gründete sich sein Ruf auf die Fähigkeit, theologische Traktate zu verfassen. Seine eigentliche Popularität begann jedoch 1520, als er die politische Bühne betrat. Die 4.000 Exemplare (an sich schon eine ungewöhnlich hohe Anzahl) der ersten Auflage von An den christlichen Adel deutscher Nation waren binnen zwei Wochen verkauft und noch im selben Jahr folgten 15 Nachauflagen. 17 Und als das Wormser Edikt verkündet wurde, zirkulierten die Werke Luthers in 500.000, vielleicht gar 700.000 Exemplaren. Keine Regierung der damaligen Zeit hatte die Möglichkeit, solche Massen an Gedrucktem zu vernichten oder zu unterdrücken. In der Folge ging der Verkauf von Luthers Schriften, einzeln oder als Sammlung, ebenso kontinuierlich voran wie seine Produktion neuer Werke, sei es als Flugschrift oder als Buch. Ab 1522 wurde der Verkauf seiner Schriften sogar durch den phänomenalen Erfolg seiner Übersetzung des Neuen und der teilweise erfolgten Übersetzung des Alten Testaments einige Jahre lang übertroffen. Ende 1525 waren von diesen Übersetzungen 22 autorisierte Ausgaben und mindestens 110 vollständige oder teilweise Nachdrucke in Hochdeutsch sowie 13 in Niederdeutsch erschienen. 18 Luther war der erste Bestsellerautor der deutschen Geschichte und in rein quantitativer Hinsicht ist sein literarischer Erfolg in der frühen Neuzeit einzigartig geblieben. Kalkulationen, die auf hypothetischen Auflagezahlen und Alphabetisierungsraten oder auf der unterstellten Anzahl von Flugschriften oder Lutherbibeln pro Familie oder Gruppe von Familien beruhen, sind wahrscheinlich nicht besonders nützlich. Aber allein die statistischen Dimensionen des Booms an Druckwerken, der mit der Reformation einherging, unterstreichen das Ausmaß, in dem die von Luther aufgeworfenen Probleme die deutsche Gesellschaft zu Beginn der 1520er Jahre bereits durchdrungen hatten. Bücher zielten normalerweise auf die alphabetisierte Minderheit, allen voran die gebildeten Priester in den städtischen Zentren, aber die Massenproduktion von Flugschriften und Bibeln weist auf neue und breitere Leserschichten. 19 Die neuen, preiswerten Bibeln waren für die lutherische Gemeinde gedacht, für die Versammlung der Gläubigen, die keinen Priester mehr benötigten, der sie zum Wort führte oder es für ihr tägliches Leben interpretierte. Im 14. Jahrhundert war die private Bibellektüre auf einen kleinen Kreis von reichen und gebildeten Laien beschränkt gewesen, aber im späteren 15. Jahrhundert war sie schon sehr viel verbreiteter und wurde zwar nicht von der Masse, aber von einer wachsenden Anzahl von Laien, oft in Familien oder kleinen Gruppen, praktiziert. 20

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Flugschriften und Einblattholzschnitte zielten auf den »gemeinen Mann«. Die Vorstellung, er könne Gottes Wort am besten beurteilen, gehörte zu den zentralen Themen der frühen Reformationsbewegung. Ihm wurden Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, gesunder Menschenverstand und Urteilsvermögen zugeschrieben, wie man es in einer der populärsten frühen Flugschriften mit dem Titel Karsthans nachlesen kann. 21 Viele von den Reformern und ihren literarischen Mitstreitern verfasste Flugschriften bedienten sich dieser idealisierten Gestalt. Analysiert man eine aussagekräftige Anzahl von zwischen 1520 und 1526 veröffentlichten Flugschriften, so zeigt sich, dass die am häufigsten diskutierte Thematik das Prinzip der Heiligen Schrift betraf: Konnte man das reine Wort Gottes wiedererlangen, so konnte man zur alten Wahrheit zurückkehren und auf eine grundlegende Erneuerung hoffen. 22 An zweiter Stelle stand Luthers Lehre von der Rechtfertigung und der Theologie der Erlösung, an dritter die mannigfache Kritik an der katholischen Kirche mit besonderer Berücksichtigung der Sakramente sowie der Heiligen- und der Bilderverehrung. Bei all dieser Vielfalt von Gewichtungen und Interpretationen blieb der Katalog reformatorischer Kernwerte immer sichtbar: Emanzipation von den Forderungen der spätmittelalterlichen Kirche, besonders hinsichtlich der Buße; Gottes alleinige Macht über die Erlösung ohne das Dazwischentreten von Papst oder Priester; die Heilige Schrift als Quelle aller Normen und die Verwerfung rein menschlicher Traditionen; die Nutzlosigkeit guter Werke im Hinblick auf die Rechtfertigung; die Gemeinde als Grundstock der »wahren« Kirche und das Priestertum aller Gläubigen. 23 Wie viel von den theologischen Details über die engen Kreise des Klerus und der gebildeten städtischen Eliten hinaus verstanden wurde, ist unbekannt. 24 Selbst ein Adliger wie Götz von Berlichingen (* 1480, † 1562), der am Ritter- wie auch im Bauernkrieg aktiv beteiligt war, erwähnt in seiner Autobiografie die Reformation mit keinem Wort. 25 Auf allen Ebenen herrschte häufig beträchtliche Verwirrung darüber, was die neue Lehre war oder sein sollte. Das ist nicht erstaunlich, denn es brauchte längere Zeit, bis sich ein anerkanntes Dogmensystem herausgebildet hatte. In den späteren Jahrzehnten des Jahrhunderts war es immer noch umstritten. Selbst so ein entscheidendes Thema wie das Abendmahl führte »zwischen Reformern, die sich über viele andere Punkte einig waren, zu den schärfsten und erbittertsten Auseinandersetzungen«. 26 Die Verwirrung in den unteren Schichten der Bevölkerung in Stadt und Land war oftmals noch sehr viel größer und reichte häufig nicht über die vage Kenntnis zudem noch falsch interpretierter Slogans wie »göttliches Recht« oder »christliche Freiheit« hinaus. Die Reformationsbewegung hatte ihren Ursprung in den Kreisen der gebildeten Prediger, Akademiker und städtischen Verwaltungsbeamten. Aber als die neue Lehre schnell die unteren städtischen Schichten erfasste, wo ihre Dimension vom Theologischen ins Soziale verschoben wurde, griff sie zugleich auf die ländliche

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Umgebung der Städte über. Die zwischen Juni 1520 (Veröffentlichung der Bulle Exsurge Domine) und April 1521 (Luthers Auftritt in Worms) wachsende Erregung ergriff ländliche Gebiete ebenso wie viele städtische Kommunen. 27 Ein Prediger wie Diepold Beringer, der Bauer von Wöhrd (ein ehemaliger Mönch), soll viele Tausende angezogen haben, als er 1524 in Nürnberg und Kitzingen predigte. 28 Einige haben behauptet, die den gemeinen Mann idealisierenden Flugschriften würden nur die Tatsache widerspiegeln, dass es auf dem Land eine evangelische Gefolgschaft gab. Ähnlich enthielten die vor dem Bauernkrieg und währenddessen publizierten Manifeste Bezüge auf das »göttliche Recht« und andere evangelische Grundsätze.Viele dieser Manifeste stammten jedoch aus der Feder gebildeter Städter und sind insofern kein tatsächlicher Hinweis auf eine echte Massenrezeption evangelischer Ideen auf dem Land. 29 Wie groß das Interesse der Bauernschaft an diesen Ideen und ihr Verständnis dafür waren, lässt sich nicht genau bemessen. Immerhin gibt es Hinweise darauf, dass auch bäuerliche Gemeinschaften manchmal neue Prediger forderten oder sich von einem, der bei ihnen auftauchte, begeistern ließen. 30 Zumindest bis 1525 hatte, wie sich mit einiger Sicherheit sagen lässt, die Reformationsbewegung eine nicht unbedeutende ländliche Dimension, auch wenn sie vielleicht nur darin bestand, dass ländliche Problematik, ausgedrückt in der Sprache der Evangelien, das ihre zum Ausbruch des Bauernkriegs beitrug. Viel hing davon ab, wer wann was genau predigte. Während Luther als »nationaler« Held konkurrenzlos blieb, gab es zahlreiche andere Reformer und Reformpropagandisten. Viele interpretierten Luthers Ideen oder entwickelten sie auf eine Weise weiter, die sich von der ursprünglichen Intention entfernte. Andere bildeten ihre Vorstellungen parallel zu Luther aus und gehörten dann zum breiten evangelischen Mainstream der frühen 1520er Jahre, bewahrten darin aber ihre je eigene Identität. Einige beschäftigten sich ausschließlich mit der Ausarbeitung theologischer Glaubenssätze, andere verbanden damit, explizit oder implizit, Programme radikalen sozialen und politischen Wandels und wurden später aus eben diesem Grund verfolgt und unterdrückt. Die frühe Reformation spiegelte und förderte die Vielzahl von Reformimpulsen, die innerhalb der spätmittelalterlichen katholischen Kirche entstanden waren.

Anmerkungen 1 2 3 4 5

Marius, Luther, 271. Brecht, Luther, Bd. I, 275–282. Leppin, Luther, 104–106. Ozment, Age of Reform, 311–314; Brecht, Luther, Bd. I, 275–282. Stievermann, »Voraussetzungen«.

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Selge, »Kräfte«, 220. Stievermann, »Voraussetzungen«, 166–168. Dickens, German Nation, 138–139. Leppin, Luther, 61. Brecht, Luther, Bd. I, 216. Lohse, Luther, 61 TRE, Bd. IV, 728–739, auf 734. Ziegler, »Klosterauflösung«. Köhler, »Meinungsprofil«; Blickle, Reformation, 69–73. Dickens, German Nation, 121; Walz, Literatur, 106–111. Moeller, Deutschland, 62–63; Walz, Literatur, 74–85. Brecht, Luther, Bd. I, 376; Walz, Literatur, 65. Moeller, Deutschland, 89–90; Walz, Literatur, 24–26. Scribner, Simple folk, passim. Schubert, Spätmittelalter, 270–272, 284–288. Dickens, German Nation, 118–119; Walz, Literatur, 72. Köhler, »Meinungsprofil, 259; Moeller, Deutschland, 89. Hamm, »Einheit«, 75–83; Dickens, German Nation, 132–133. Ausgezeichnete englischsprachige Einführungen in die Reformationstheologie bieten Cameron, Reformation, 111– 167, und McGrath, Thought. Scribner, Reformation, 25–34; Dickens, German Nation, 128–134. Ulmschneider, Berlichingen, 224; Press, »Berlichingen«. Cameron, Reformation, 161. Wolgast, »Territorialfürsten«, 413. Scribner, Reformation, 30; Rublack, »Kitzingen«, 58–63. Blickle fasst in Reformation, 111–114, seine Argumente für die Existenz einer evangelischen Bewegung in der Bevölkerung von Stadt und Land zusammen. Reservierter äußern sich Scribner, Reformation, 30–32, und Cameron, Reformation, 208–209. Eine detaillierte Untersuchung dieses Phänomens im Elsass bietet Conrad, Reformation, passim.

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16. Alternative Reformationsansätze und die Vorherrschaft des Luthertums

Z

weifellos war das Luthertum letztlich die vorherrschende protestantische Glaubensrichtung geworden, doch sollte man darüber nicht die große Vielfalt von Alternativen vergessen, die es in der Frühzeit der Reformationsbewegung gab. 1 Viele Beispiele werden später noch auftauchen, drei jedoch sollen bereits hier als besonders wichtig erwähnt werden: die Interpretation von Luthers Ideen durch Johann Eberlin in den frühen 1520er Jahren, die Reformation Zwinglis in der Schweiz und in Süddeutschland sowie die radikalen Reformvorstellungen, die ab 1521 in Wittenberg entwickelt wurden und für die schon bald der Name Thomas Müntzer stand. Und schließlich lassen sich anhand von Luthers Streit mit Erasmus, der für die Kluft, die den Reformator vom Humanismus trennte, symptomatisch ist, die Gründe für die Vorherrschaft des Luthertums im Reich erhellen. Johann Eberlin aus Günzburg in Württemberg (* um 1465, † 1533) war nach 1521 einer der populärsten und produktivsten evangelischen Verfasser von Flugschriften. 2 Seine Ausbildung in Basel war stark vom christlichen Humanismus à la Erasmus geprägt. Zunächst aber war er Franziskaner und ein in Tübingen, Ulm und Freiburg beliebter Prediger. Die Lektüre von Luthers An den christlichen Adel deutscher Nation führte zu einer Neuorientierung. Eberlin verließ seinen Orden und veröffentlichte 1521 die Schrift 15 Bundsgenossen, in der er sein eigenes Programm für die Reform und Erneuerung von Kirche und Gesellschaft darlegte. Die Schrift verhandelte die Ansichten von 15 fiktiven Männern, die einen Bund gegründet hatten, um zwecks Verhinderung einer Revolution die Welt zu reformieren. Eberlins Gedanken ruhten fest auf Luthers Ideen, aber seine Vision war umfassender und präziser als alles, was Luther bis dahin formuliert hatte. Eberlin zeichnete eine Idealgesellschaft mit dem Namen Wolfaria (in der es also »Wohlfahrt« für alle gibt), in der die Gemeinde das Fundament für Kirche und Regierung bildet. Kirchspiele mit mindestens 500 Seelen wählen ihren Pastor selbst und von 20 Pastoren wird einer zum Bischof gekürt, der sich monatlich mit den Pastoren und seinen Amtskollegen berät. Die Dorf- oder Pfarrgemeinden bilden Distrikte, dann Ortschaften und schließlich Territorien. Jede Ebene hat ihre eigene Vertretung, wobei Adlige als Vorsitzende von Distrikten und Ortschaften, Fürsten als Vorsitzende von Territorien gewählt werden. Alle unterstehen der Herrschaft eines von den Fürsten aus ihren Reihen gewählten Königs.

16. Alternative Reformationsansätze und die Vorherrschaft des Luthertums

Eberlins Ansatz war radikal und versprach den unteren Schichten beträchtliche materielle und soziale Vorteile, doch war sein Denken insgesamt von Grund auf gemäßigt-konservativ. Die 15 Bundsgenossen enthielten im Wesentlichen alle vorreformatorischen Gravamina und propagierten jene Art von Reichsreform, die schon von der Reformatio Sigismundi vorgesehen wurde. Andere Vorschläge wie das Verbot von Handelsmonopolen, die Beschränkung von Importen oder die Eingrenzung der Verfügungsgewalt des Adels über Wald, Jagd, Wild und Fischfang zeigen, wie weit er die religiöse Erneuerung mit der Behebung von sozialen und wirtschaftlichen Missständen verband. Der erste Abschnitt der Schrift richtete sich an Karl V. anlässlich seiner Eröffnung des Reichtags zu Worms und drängte den Monarchen, sich mit Luther und Ulrich von Hutten zu verbünden. Vor allem bekräftigte Eberlin wiederholt seine Ablehnung gewaltsamen Handelns in jeglicher Form. Auch in religiöser Hinsicht verfocht er ein strenges Programm. Die Gläubigen sollen von den tyrannischen Forderungen des alten Systems von Buße und Strafe befreit werden, müssen sich dafür aber einer neuen, in vielerlei Hinsicht rigideren kirchlichen Disziplin unterwerfen. So musste man in Wolfaria zu Feiertagen an drei Gottesdiensten teilnehmen und überdies einem strengen Moralkodex gehorchen, der unter anderem die Todesstrafe für Ehebrecher vorsah. Eberlin konvertierte zum Luthertum, als der Reformator 1520 politisch höchst selbstbewusst seine theologischen Anliegen mit der Bewegung für die Reichsreform verband. Von dieser Position rückte er im April 1521 wieder ab, nachdem er die Zusammenarbeit mit den Ständen verweigert hatte. Eberlin dagegen blieb bei seiner Haltung. Er verfasste 22 Flugschriften und 1526 eine Übersetzung von Tacitus’ Germania, alles Zeugnisse seiner Idee einer patriotischen Reform. Bei seiner Arbeit als Reformer in der Grafschaft Wertheim zwischen 1525 und 1530 war er, etwas bescheidener, damit beschäftigt, das dortige Kirchensystem zu reformieren. Eberlins Theologie war lutherisch. Andere Persönlichkeiten entwickelten unabhängig von Luther Dogmensysteme und Reformprogramme, die in einem gewissen Ausmaß mit den Lehren des Wittenbergers konkurrierten. Am bedeutendsten war dabei der Züricher Reformator Ulrich Zwingli, der überall im Süden des Reichs Anhänger fand. Luthers Lehren waren die Folge einer schweren persönlichen Krise, während Zwinglis Reformation von vornherein weltlicher angelegt war. 3 Zwingli wurde 1484 im Toggenburg geboren. Die Welt, in der er aufwuchs, war von dauerhaften Konflikten zwischen der Bevölkerung und ihren Oberherren, den Äbten von Sankt Gallen geprägt. Sie regierten eines jener klösterlichen Territorien, in denen zur damaligen Zeit eine unnachgiebige Politik der Refeudalisierung betrieben wurde. Seine frühe Schulerziehung in Weesen, Bern und Basel war humanistisch beeinflusst, danach studierte er an den Universitäten von Wien und Basel, wo er nach

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Art der via antiqua in den freien Künsten unterrichtet wurde. Besonders intensiv lernte er die Werke von Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Duns Scotus kennen. Seine akademische Laufbahn schloss er schon bald mit dem Magister Artium ab. Theologische Studien im engeren Sinn hatte er nicht betrieben. 1506 wurde er Pfarrer in Glarus. Dort widmete er sich auch dem intensiven privaten Studium der Kirchenväter, der Werke von Duns Scotus und der Bibel. Über Studienfreunde pflegte er Kontakte zu Mitgliedern der Baseler Humanistenkreise und wurde so zum Schüler von Erasmus, den er 1515 oder 1516 kennenlernte. Schon bald glaubte er fest an den einzigartigen Wert der Bibel als Quelle christlicher Lehre. Ferner geriet er in die eidgenössische Politik, und zwar durch seine Bekanntschaft mit dem mächtigen Kardinal Schinner. Der war Bischof von Sion und Novara, päpstlicher Legat und Führer der antifranzösischen Partei in der Schweiz. Über seine Verwaltung erhielt Zwingli ein nicht unbeträchtliches päpstliches Stipendium. Anfänglich unterstützte er Schinners Bemühungen, Söldnertruppen für das antifranzösische Bündnis von Papst und Monarchen aufzustellen, und 1513 (möglicherweise auch schon 1512) und 1515 führte er selbst die Mannen seines Gebiets ins Feld. Die katastrophale Niederlage der Schweizer Söldner in der Schlacht von Marignano im September 1515 führte die Eidgenossen mit Ausnahme von Zürich wieder an die Seite Frankreichs. Da nun die französische Partei wieder die Oberhand gewonnen hatte, wurde Zwinglis Position in Glarus wegen seiner Unterstützung des Papstes unhaltbar. So ging er als Leutpriester nach Einsiedeln im Kanton Schwyz. 1519 wurde er in gleicher Position an das Großmünster in Zürich berufen. Zürich war jeglichem Bündnis mit Frankreich abhold (1521 weigerte sich die Stadt, dem Abkommen zuzustimmen, das Franz I. das Recht gab, in der Eidgenossenschaft Truppen auszuheben) und demzufolge die ideale politische Heimstatt für Zwingli. Zu eben jener Zeit aber entfernte er sich von dem antifranzösischen humanistischen Nationalismus, der ihn mit Schinner verbunden hatte. Waren ihm einst die Schweizer Söldner Soldaten Christi gewesen, so pflegte er nunmehr einen Patriotismus, der zu dem Söldnersystem in der Eidgenossenschaft ebenso in Gegnerschaft stand wie zu dem damit verbundenen Rentensystem, das die politische Klasse korrumpierte. 4 Nachdem Schinner 1521 in Zürich eine Truppe ausgehoben hatte, wurde er von seinem einstigen Schützling Zwingli als raubgieriger Wolf bezeichnet, dessen Taschen voller päpstlicher Dukaten steckten und dessen roter Mantel blutbespritzt war. 5 Wann genau Zwingli zum Reformator wurde, ist immer noch umstritten. Er selbst datierte seine »Konversion« auf 1516, das Jahr, in dem er Erasmus kennenlernte und dessen griechische Version des Neuen Testaments las. Andere Behauptungen gehen davon aus, dass die entscheidende Wende 1519 stattfand. Bei seiner Berufung an das Großmünster brach er mit der Tradition, indem er sich entschied,

16. Alternative Reformationsansätze und die Vorherrschaft des Luthertums

in seinen Predigten zunächst systematisch das Matthäusevangelium auszulegen. Im Herbst musste er eine Pestepidemie erleben, die ein Viertel der Bevölkerung Zürichs auslöschte. 6 Höchstwahrscheinlich war Zwinglis Wandlung ein allmählicher Prozess: inspiriert durch Erasmus, geprägt durch seine neuen Verpflichtungen in Zürich und seine frühen Erfahrungen dortselbst. Offensichtlich war ihm die Kontroverse um Luther von Anfang an bekannt, doch sah er Luthers Schriften, vor allem die Abhandlungen von 1520, im Einklang mit der von Erasmus ausgehenden humanistischen Bewegung und durchaus als Unterstützung jener theologischen Position, die er selbst unabhängig von Luthers Lehren entwickelt hatte. Zugleich jedoch gab es Anzeichen dafür, dass Zwingli auf Abstand zu Erasmus wie auch zu Rom ging. 1520 verzichtete er auf die päpstliche Pension von jährlich fünfzig Gulden und seine Predigten wurden kritischer. Er stellte die Heiligenverehrung, konventionelle Auffassungen des Fegefeuers und, was am radikalsten war, den Zehnten infrage. Sein neuer Predigtstil wurde von der Mehrheit der Stiftsherren des Großmünsters wie auch vom Stadtrat gebilligt, der 1520 ein Mandat erließ, dem zufolge das evangelische Predigen in der Stadt und ihrem Territorium ausdrücklich befürwortet wurde. 7 Die Beziehungen zu den Kirchenoberen, insbesondere dem Bischof von Konstanz, blieben stabil, wenn auch nur, weil Rom gute Gründe hatte, den Bischof zur Vorsicht zu mahnen: Es könnte unvorsichtig sein, in die Angelegenheiten einer Stadt einzugreifen, die ein so standfester politischer Verbündeter gewesen war. Im März 1522 allerdings spitzte sich die Lage zu, als Zwingli offen den Bruch mit den kirchlichen Fastenvorschriften unterstützte. Er war bei dem Drucker Christoph Froschauer zu Besuch, als dort in einer provozierenden Demonstration christlicher Freiheit gegenüber den Gesetzen der Kirche Räucherwürste verspeist wurden. Zwingli selbst hatte am Wurstessen zwar nicht teilgenommen, sich hinterher aber geweigert, den Vorgang zu verurteilen. Er verteidigte Froschauer mit dem Hinweis, in der Bibel lasse sich nichts finden, was gegen den Fastenbruch spreche. Das führte zu einer direkten Konfrontation mit dem Bischof. Die Spannungen verschärften sich, als er und andere eine Petition an den Bischof zwecks Aufhebung des Zölibats schickten. Auch eine öffentliche Disputation mit dem Franziskaner Francis Lambert aus Avignon über die Fürbitte der Heiligen verbesserte die Stimmung nicht. Schließlich kam es zum Bruch, als Zwingli seine Schrift Apologetus Archeteles veröffentlichte, eine derbe Antwort auf die Proteste des Bischofs, in denen die Autorität des Papstes und der Kirchenkonzile gleichermaßen geleugnet wurde. 1523 ging aus dem evangelischen Predigen eine praktische Reform hervor. Im Januar organisierte der Züricher Stadtrat eine öffentliche Disputation zwischen Zwingli und dem Generalvikar des Bischofs.Vor einem Publikum von 600 Zuhörern

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gewann Zwingli die Oberhand mit einer energischen Verteidigung seiner Ideen in 67 biblisch begründeten Thesen. Der Rat entschied, dass Zwingli weiterhin in Zürich predigen durfte und alle anderen Pastoren seinem Beispiel folgen und ihre Predigten an der Schrift ausrichten sollten. Während der nächsten zwei Jahre wurde das Kirchenwesen in Zürich von Grund auf reformiert. Zwingli war dabei die treibende Kraft und die Umwandlung gewann mit einer zweiten Disputation im Oktober 1523 an Durchschlagskraft. Mit Billigung des Rates betätigte sich die Laienschaft bilderstürmerisch. Dann wurden die Klöster aufgelöst, das Zölibat beseitigt, die Bilder aus den Kirchen entfernt, die Messe abgeschafft, ein Gericht zur Regelung des Ehewesens eingerichtet und allgemeine Sittengesetze erlassen. 1525 wurde die »Probstei«, ein Bibelseminar zur Unterweisung der Geistlichen, und 1528 die Synode, ein Organ zur Beaufsichtigung der Geistlichkeit, institutionalisiert. Damit war die Kirche endgültig weltlicher Herrschaft unterstellt. 8 Zwinglis praktisch orientiertes Christentum zeichnete sich durch radikalen Biblizismus und Theozentrismus aus. Stärker als Luther machte Zwingli das, was er als Gottes Wort in der Schrift ansah, zum Maßstab aller Dinge und zur einzig gültigen Quelle des Rechts. Ihr einziger theologischer Streitpunkt betraf das Abendmahl. Luther ging weiterhin davon aus, dass die Eucharistie ein wirkliches Opfer gewesen war und dass Christi Worte über Leib und Blut beim Abendmahl bedeuteten, dass beim Sakrament Brot und Wein in gewisser Weise Christi Leib und Blut enthalten. Für Zwingli dagegen sind Brot und Wein rein symbolisch. Mithin favorisierte Luther eine »deutsche Messe«, während Zwingli die Messe durch einen reinen Gedenkgottesdienst ersetzte. Die Abendmahlskontroverse führte nach 1525 zur Spaltung der evangelischen Bewegung und wurde auch nach dem Gespräch mit Luther 1529 in Marburg nicht beigelegt. Zwingli nahm (in eher »humanistischer« Weise) die Bibel beim Wort und sah im Glauben mehr als nur die innere Suche nach Erlösung. Für ihn ging es von Anfang an auch um die grundlegende Reform des sozialen und politischen Lebens. Im Hinblick auf das, was sich dabei erreichen ließ, war er durchaus optimistisch. 9 Früher und systematischer als Luther verließ Zwingli das rein kommunale Prinzip gemeindedemokratischer Entscheidungen zugunsten einer Gleichsetzung von staatlicher und kirchlicher Autorität in einem theokratischen System, das mit seinen Gegnern unnachsichtig verfuhr. Die Gott verpflichtete Autorität hatte die Aufgabe, die Frommen zu schützen und die Gottlosen zu bestrafen. So verfolgte Zwingli die Konservativen, die noch am althergebrachten Rentensystem hingen, ebenso wie radikale Wiedertäufer, die mit kompromisslosem Eifer einen noch reineren Biblizismus vertraten. 10 Zwar musste Zwingli durch die einfache Gleichsetzung von Gesetz und Evangelium die Möglichkeit einräumen, dass es Widerstand gegen eine von Gott nicht gewollte Autorität geben könne, doch änderte das nichts an der Härte, mit der er die Verwirklichung seiner Ideale betrieb.

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Der Zwinglis Ideen zugrunde liegende Optimismus war offensichtlich ein Grund für ihre verbreitete Popularität. Zudem waren sie für kleine städtische Gemeinschaften wie Zürich mit seinen knapp 6.000 Einwohnern wie maßgeschneidert. Diese Popularität in breiten Schichten der Bevölkerung darf man nicht unterschätzen, aber Zwinglis Theologie war besonders attraktiv für Stadträte, die sich dadurch als Bevollmächtigte Gottes verstehen durften. So war es für die Züricher Reformer nur logisch, für eine aristokratische Republik als beste Regierungsform einzutreten. Und wenn Zwingli die herrschende »Aristokratie« zu unterstützen suchte, indem er denen, die den Rat gewählt hatten, das Recht auf Widerstand gegen eine gottlose Herrschaft zubilligte, war dies auch nur eine theoretische Reflexion auf die faktische Beziehung zwischen Bürgerschaft und Stadtrat. 11 Bald schon breiteten sich ähnliche Ideen in anderen Schweizer Städten und in Süddeutschland aus. In Straßburg formulierten Martin Bucer und Wolfgang Capito, in Basel Johannes Oekolampadius vergleichbare Programme theologischer und praktischer Reform. Allerdings war die Unterscheidung zwischen zwinglischer und lutherischer Theologie nicht durchweg klar; so kombinierte etwa Bucer (und nicht nur er) Aspekte beider Ansätze in seinem eigenen Programm und Straßburg stand mit seinem eklektischen Protestantismus vor 1536 keineswegs allein da. 12 Schwieriger ist es, den Einfluss von Zwinglis Ideen auf den ländlichen Bereich einzuschätzen. Über Christoph Schappeler, der nach 1523 in Memmingen Reformen durchführte, scheint Zwinglis Auffassung über das Recht auf Widerstand gegen unchristliche Herrschaft auch das politische Denken der aufständischen Bauern beeinflusst zu haben. 13 Aber Zwingli predigte keine Befreiung für alle, wie sich an den Beziehungen zwischen der Stadt Zürich und ihren umliegenden Territorien, über die sie herrschte, zeigen lässt. Zwingli zog gegen den Zehnten zu Feld, weil solche Abgaben sich aus der Schrift nicht begründen ließen. Zugleich aber rügte er Bauern, die sich weigerten, den Zehnten zu leisten, denn er beruhe, so Zwingli, auf zwischenmenschlich geschlossenen Abkommen, die zu brechen nicht rechtens sei. So waren also die städtischen Radikalen, denen Zwinglis Biblizismus, etwa, was Rituale wie die Taufe betraf, nicht weit genug ging, auf den Reformer ähnlich schlecht zu sprechen wie die Bauern, die auch nach der Reform noch mit Zahlungen an das Großmünster und die kirchlichen Stiftungen der Stadt belastet wurden. 14 Als deutlich wurde, dass Freiheit in den ländlichen Gemeinden ins Chaos und zur Ausbreitung von Gemeinschaften der Wiedertäufer führte, hatte Zwingli keine Bedenken, den Stadtrat zum harten Durchgreifen zu veranlassen. Wurde die Autorität herausgefordert, siegte Menschenrecht über Gottesgesetz. 15 So fand Zwinglis humanistische Vision einer friedlichen und harmonischen Gemeinschaft ihren größten Widerhall in den Städten, insbesondere den süddeutschen Reichsstädten, wo der Humanismus seit dem späten 15. Jahrhundert Fuß gefasst hatte.

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Solche Wahlverwandtschaften wurden auch durch eher weltliche politische Erwägungen verstärkt. Im Gegensatz zu Luther betätigte Zwingli sich direkt politisch. In gewissem Maß wurde ihm diese Rolle durch die labyrinthischen Intrigen, die nahezu jede Aktion irgendeines Kantons der Eidgenossenschaft begleiteten, aufgezwungen. Daneben war er auch ein entschlossener Proselytenmacher, der leidenschaftlich an die Verbreitung des Wortes glaubte und dafür auch Gewalt anzuwenden bereit war, falls dies nötig sein sollte. Zürichs Weg zu einem reformierten Kirchensystem provozierte sofort die Gegnerschaft der Mehrheit der Kantone. Aber ihre Warnungen bestärkten Zwingli nur in seiner Entschlossenheit und 1525 weigerte die Stadt sich, den Schwur der Eidgenossen (»Rütlischwur«) zu erneuern, weil er bei Gott und den Heiligen geschworen wurde. 16 Das führte zur Spaltung zwischen den fünf katholischen Urkantonen (die sich 1529 mit König Ferdinand, dem Habsburger, zu einem Bund zusammenschlossen) und jenen, die dem Beispiel Zürichs folgten, allen voran die Städte Sankt Gallen, Schaffhausen, Basel und Bern. 1527 verbündeten sich Zürich und Konstanz, um die Reformation zu verteidigen; diesem Bündnis schlossen sich bald die anderen evangelischen Kantone an. So war die Eidgenossenschaft durch die Spaltung in zwei einander feindselig gesinnte Bündnisse gelähmt; jedes dieser Bündnisse hielt eigene Tagsatzungen (Sitzungen) ab und versuchte, seine Religionspolitik in den jeweils gemeinsam regierten Territorien (»Gemeine Herrschaften«) durchzusetzen. Ein offener Krieg konnte zunächst durch den Ersten Kappeler Landfrieden 1529 vermieden werden. Man suchte die Spannungen zu verringern, indem man den Kantonen die Autonomie in Glaubenssachen und den Gemeinden in den »Gemeinen Herrschaften« die Entscheidungsfreiheit in allen religiösen Angelegenheiten gewährte. Allerdings wurde das Abkommen durch Zwinglis rastlosen Reformeifer untergraben. In den östlichen Territorien, das heißt in Thurgau und der Reichsabtei Sankt Gallen, setzte er die Reformation mit Gewalt durch. 17 Zugleich bemühte er sich um Bündnisse mit ausländischen Mächten wie etwa Philipp von Hessen, dem König von Frankreich, der Republik Venedig und nicht zuletzt mit Straßburg, Konstanz, Ulm und den anderen reformierten Reichsstädten des deutschen Südwestens. 18 Der Plan für ein Großbündnis gegen den »Tyrannen« Karl V. und die von ihm repräsentierten Mächte, Habsburg und der Katholizismus, wurde nicht in die Tat umgesetzt. So blieb die Konfrontation eine rein schweizerische Angelegenheit, in der die überlegenen Streitkräfte der katholischen Kantone die Protestanten im Zweiten Kappelerkrieg am 1. Oktober 1531 vernichtend schlugen. Zwingli selbst starb in der Schlacht. Zürich musste die Rücknahme der Thurgau und Sankt Gallen aufgezwungenen Reformen und die Annullierung seiner protestantischen Bündnisse akzeptieren. 19 Zwinglis Tod bedeutete das Ende der Reformiertenbewegung in den südwestdeutschen Städten. 20 Sie suchten nun verstärkt die Unterstützung der nördlichen,

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lutherischen Gebiete, was schließlich zu theologischen Kompromissen, sogar in der wichtigen Frage der Sakramente, führte. In welchem Maß bestimmte dies auch den Abschied von einer republikanischen Ideologie, die vielleicht die Grundlage für ein alternatives, »bürgerliches Deutschland«, geformt aus dem Reich und der Eidgenossenschaft, hätte bilden können? Die eventuelle Lebensfähigkeit vergangener Utopien zu beurteilen, ist immer schwierig, aber diese beruht auf höchst zweifelhaften Annahmen über Politik und Religion. 21 Wenn auch die Reformation die Städte dem Monarchen entfremdete und so Habsburger Plänen zu einem auf dem Bündnis von Städten und Krone beruhenden süddeutschen Staat einen Riegel vorschob, blieben die Reichsstädte doch dem Reich gegenüber auf grundlegende Weise loyal. Zumindest boten sie einen besseren Schutz vor dem gemeinen Mann als die Eidgenossenschaft, wo dieser sich in den ländlichen Kantonen austobte. Zwar beteiligten sich Reichsstädte an Zwinglis christlichem Bündnis, aber das heißt nicht, dass sie sich unbedingt vom Reich lossagen wollten. Vielleicht hat Zwingli den Bischof von Konstanz davon in Kenntnis gesetzt, dass die Schweizer nicht zu den Deutschen gehörten, aber die Eidgenossenschaft gehörte formell immer noch dem Reich an und die Grenze zwischen beiden war im frühen 16. Jahrhundert nicht eindeutig gezogen. 22 Überdies beruhen Vermutungen über die republikanische Vitalität des Zwinglianismus auf Vergleichen mit einem vermeintlich konservativen Luthertum, die anfechtbar sein könnten. Zwinglis Haltung gegenüber ländlichen Unruhen im Territorium Zürich unterscheidet sich kaum von Luthers Einschätzung der rebellischen Bauern. Zwingli und Luther predigten beide den Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit. 23 Sicher war die Zwingli-Bewegung zu Beginn der 1520er Jahre im urbanen Bereich politisch lebendig und partizipationsbewusst, doch gab es gegen Ende dieses Jahrzehnts und in den 1530er Jahren ähnlich republikanische Tendenzen in den lutherisch dominierten Städten im Norden des Reichs. 24 Im Hinblick auf das Abendmahl waren Reformierte und Lutheraner uneins, ansonsten aber gab es viele Übereinstimmungen. Die Tatsache, dass Zwingli ein aktives Widerstandsrecht einräumte, während Luther nur dessen umstandsabhängige Unvermeidbarkeit zugestand, hat für viele moderne Kommentatoren ein Gewicht gewonnen, das der Differenz ursprünglich gar nicht zukam. 25 Man könnte sogar behaupten, dass Zwinglis Beschränkung des Widerstandsrechts auf jene, die den oder die Herrscher gewählt hatten, restriktiver war als der Aufstand einer empörten Bevölkerung bei Luther. Wichtiger aber als alle theoretischen Nuancen in der Theologie war der Kontext. Wie grundlegend der Einklang der Ideen von Luther und Zwingli war, wird auch deutlich im Kontrast zu den radikalen Visionen, die in Wittenberg und von Thomas Müntzer entwickelt wurden. Während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg konnte sich eine Vielzahl stark spiritualistischer und bibelorientierter Lehren

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herausbilden. Quietisten, Spiritualisten, Mystiker, Wiedertäufer sowie Aktivisten, die von Luther-Anhängern einfach als »Fanatiker« bezeichnet wurden, wollten während der frühen Jahre der Reformation ihre unterschiedlichen Reformprogramme in die Tat umsetzen. 26 Vielen von ihnen verlief der Reformprozess zu langsam. Andere waren individuelle Exzentriker oder kleine Propheten, deren auf persönlichen Idiosynkrasien beruhende Theologie im Zuge der Luther-Begeisterung von 1520–1521 flüchtige Prominenz gewann. Einige waren »inspirierte« Laien, die meisten jedoch gebildete ehemalige Geistliche. Fast alle vertraten eine radikalere Abendmahlslehre als Luther und lehnten die Taufe von Neugeborenen ab. Getauft werden sollten nur erwachsene Gläubige (daher auch der Ausdruck »Wiedertäufer« oder »Anabaptisten«, weil die meisten sich noch einmal taufen ließen). Einige waren in ihrem wörtlichen Bibelverständnis völlig kompromisslos, während andere, vor allem die Spiritualisten (oder »Schwärmer«), dabei vage und subjektiv blieben. Ausnahmslos bevorzugten sie strenge und einfache Rituale, lehnten Heiligenbilder und dergleichen ab, standen der Idee einer institutionalisierten Kirche kritisch gegenüber und befürworteten stattdessen Laiengemeinschaften ohne Pastor. Einige – eine sehr kleine Minderheit – predigte die gewaltsame Durchsetzung von Reformen bis hin zur Transformation der Gesellschaft. Viele dieser Individuen und kleinen Sekten verschwanden nach kurzer Zeit, ohne eine Spur zu hinterlassen. Andere, ob sie nun Gewalt oder Frieden auf ihre Fahnen geschrieben hatten, zogen Verfolgung durch die von ihnen so häufig verachtete säkulare Gesellschaft auf sich. Viele Sekten gingen an inneren Zwistigkeiten zugrunde und oftmals ging es selbst Gruppen von zwei oder drei Personen mehr um die Suche nach höchst unterschiedlichen Wahrheiten als um Solidarität. Doch traten aus ihren Rängen einige hervor, deren Einfluss dauerhafter sein sollte. Dank ihrer in der Frühzeit der Reformation nicht geringen Anzahl und der von ihnen augenscheinlich ausgehenden Bedrohung von Recht und Ordnung konnte Luther seine eigenen Ideen entscheidend weiterentwickeln. Radikales und umstandsloses Handeln gehörte zu den Kennzeichen der frühen Reformation, seit Luther am 10. Dezember 1520 in Wittenberg öffentlich die päpstliche Bulle und Bücher des kanonischen Rechts verbrannt hatte. Der erste Ausbruch reformatorischer Gewalt gegen die Geistlichkeit vollzog sich im Juni 1521 in Erfurt. 27 Zwei Kanoniker, die im April an dem jubelnden Empfang teilgenommen hatten, der Luther auf seinem Weg nach Worms von der Universität bereitet worden war, wurden von der Messe ausgeschlossen. Das führte zu einer scharfen Auseinandersetzung zwischen der Universität und den kirchlichen Autoritäten. Am 2. Juni verschärfte sich das gewaltsame Vorgehen gegen einzelne Kleriker, als Bauern sich weigerten, dem Erzbischof von Mainz als Oberherrn der Stadt Zölle und Marktgebühren zu entrichten. Es folgten Demonstrationen gegen Kir-

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chenprozessionen wie etwa die Fronleichnamsprozession am 6. Juni. Am 12. Juni wurde kirchliches Eigentum, darunter die Häuser der Kanoniker und das Konsistorialgericht, angegriffen und zerstört. Nun schritt der Stadtrat ein und zwang die Geistlichkeit zur Annahme von Bedingungen, die ihre wirtschaftliche Macht über die Bürgerschaft und die Bauern der umliegenden Dörfer begrenzte. Kurz danach erhielten vier Priester, deren Sympathie für Luther bekannt war, die Erlaubnis, in der Stadt zu predigen. In den folgenden Jahren wurde die Kirche nach Maßgabe lutherischer Vorstellungen reorganisiert. Die Gewalt, die den Beginn der Reformation in Erfurt einläutete (und die in diesem Fall vom Rat genutzt wurde, um die wirtschaftliche Macht von Klerus und Oberherr zu vermindern), gab es auch anderenorts, wie etwa in Wittenberg, wo anfänglich gewaltsame Ausbrüche von Antiklerikalismus und gelegentlicher Bilderstürmerei später dem Reformprozess in Erfurt und anderswo die Richtung wiesen. Die Situation in Wittenberg war nach Luthers Verschwinden in der Wartburg unübersichtlich. Zwei seiner Anhänger, Luthers Kollege Andreas Bodenstein von Karlstadt und sein Augustinerkamerad Gabriel Zwilling, drängten auf sofortiges Handeln. Auch Melanchthon war dem zugeneigt und gab ein Beispiel, indem er mit seinen Studenten am 29. September in der Kollegiatskirche das Abendmahl in beiderlei Gestalt feierte. Daraufhin drängten Karlstadt und Zwilling auf eine Neuordnung der Liturgie und Karlstadt hielt zu Weihnachten eine radikal umgestaltete Messe ab, die er danach vor großen Versammlungen zweimal wiederholte. Die Augustiner verließen einer nach dem anderen das Kloster und lösten sich im Januar vollständig auf. Karlstadt und andere Priester heirateten in aller Öffentlichkeit, während Bilderstürmereien und Demonstrationen die Stadt weiter destabilisierten. Ende Dezember 1521 kamen die Zwickauer Propheten in Wittenberg an, drei Laienprediger spiritualistischer Provenienz, die die Kindertaufe ablehnten und wilde millenaristische Visionen verbreiteten. Der Stadtrat stand unter enormem Druck und stimmte, während der Kurfürst seiner Abneigung Ausdruck verlieh, einer ganzen Reihe von Reformen zu, die am 24. Januar 1522 in einer neuen Kirchenordnung gipfelten. 28 Sie enthielt alle populären Forderungen sowie die von Zwilling und Karlstadt erörterten Reformvorschläge. Die Messe wurde umgestaltet, die Bettelei verboten und der »Gemeine Kasten« zur Unterstützung der Armen gegründet (das Geld stammte aus dem in Gemeingut überführten Kirchen- und Klosterbesitz). Die Klöster wurden geschlossen und ihr Eigentum vom Stadtrat inventarisiert. Als Luther am 6. März 1522 nach Wittenberg gerufen wurde, um die Ordnung wiederherzustellen, war das Schlimmste bereits vorbei. 29 In seinen »Invokativpredigten«, die er täglich vom 9. bis zum 16. März hielt, mahnte er zu Zurückhaltung und Vorsicht. Die Leidenschaft seines Publikums hatte sich jedoch längst gelegt

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und es war nunmehr bereit, Luthers partielle Rücknahme der von Karlstadt eingeführten Neuerungen zu akzeptieren. Karlstadt selbst reiste nach Orlamünde ab (1524 wurde er von dort vertrieben und starb 1541 als Professor in Basel), woran sich zeigte, dass Luther die Kontrolle über die Stadt zurückerlangt hatte. Schon bald danach bekräftigte er seine Ablehnung von Karlstadts Radikalismus in der Flugschrift Widder die hymelischen propheten von den bildern und Sacrament (1524–1525). Er wandte sich gegen die Bilderstürmerei und legte noch einmal seine Auffassung des Abendmahls dar. 30 Luthers Flugschrift machte deutlich, dass Karlstadt sein eigentlicher Gegner war, nicht die Zwickauer Propheten. Diese aber hatten schon vor ihrer Ankunft in Wittenberg eine wichtige Rolle für die geistige Entwicklung Thomas Müntzers gespielt, der damals Pastor in Zwickau war. Müntzer, geboren um 1490 als Sohn eines Handwerksmeisters im Harzort Stolberg, studierte in Leipzig (1506) und Frankfurt/Oder (1512), wurde danach Priester und bekleidete Ämter in Halle, in Frohse bei Halberstadt und in Braunschweig, wo er sich eng mit einer Gruppe frommer, von der Devotio moderna inspirierter Laien zusammenschloss. 31 Luthers Protest gegen die römische Kirche führte zu Müntzers erster »Konversion«. Er verließ seinen Posten und schloss sich Luther in Wittenberg an, nahm auch 1519 an der Disputation mit Eck in Leipzig teil und wurde bekannt, als er mit einer heftigen Polemik die Franziskaner in Jüterbog angriff. Das rief eine Verteidigung »contra Luteranos« hervor – die erste verzeichnete Verwendung des Terminus. 32 Auf Luthers Empfehlung konnte Müntzer 1520 zeitlich begrenzt als Prediger in Zwickau tätig werden. Auch hier erregten seine feurigen Predigten schon bald Aufmerksamkeit und schürten die Furcht vor Unruhen, was den Stadtrat nicht hinderte, ihn auf eine dauerhafte Stelle in Sankt Katherinen zu berufen, als Johannes Sylvius Egranus, ein evangelischer Prediger mit humanistischen Neigungen, nach Sankt Marien zurückkehrte. Müntzers Wechsel zu einem neuen Pfarrbezirk brachte ihn in Kontakt mit der ärmeren Bevölkerung, vor allem mit Webern und anderen Handwerkern. Gleichzeitig wurde er immer mehr zum Gegner von Egranus. Dieser war den Idealen von Erasmus – Frömmigkeit, Frieden und allmählicher Wandel – zugetan, während Müntzer von der Erfüllung des göttlichen Willens in einer neuen Gemeinschaft der Auserwählten predigte und die sofortige Verwerfung jeglicher Tradition forderte. 33 Müntzer war zu dieser Zeit noch ein treuer Gefolgsmann Luthers, entwickelte in der Abgrenzung zum egranischen Humanismus aber bereits sein eigenes Ideengebäude. Neben Luthers Rechtfertigungs- und Bibellehre befürwortete Müntzer eine Theologie des Geistes und des Kreuzes. Die zunächst kaum wahrnehmbaren, bald aber deutlicher hervortretenden Differenzen zu Luthers Lehren wurden durch Müntzers Bekanntschaft mit den Zwickauer Propheten verstärkt. In seinem neuen Pfarrbezirk traf er auf eine Gemeinde

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armer Handwerker, in der Nikolaus Storch und seine Gehilfen, Thomas Drechsel und Markus Stübner, kurz zuvor großen Einfluss erlangt hatten. Storch, eine Art Vorläufer der Wiedertäufer, hatte seine Ansichten offenbar in Kontakten mit den böhmischen Taboriten entwickelt und mit glühenden Visionen und biblischer Gelehrsamkeit großen Eindruck gemacht. Außerhalb der Pfarrgemeinde hatte er ein Netzwerk von Konventikeln aufgebaut. 34 Auch Müntzer war von ihm sehr angetan und lobte ihn in einer Predigt: Er sei über alle Priester erhaben und »der Einzige der von der Bibel weiß und im Geist hocherkannt ist«. Noch bevor sich die Beziehung zu Storch vertiefen konnte, musste Müntzer Zwickau am 15. April verlassen. Zuerst ging er nach Prag, wo er die Böhmischen Brüder zu einem radikalen spiritualistischen Reformationsprogramm bekehren wollte. Allerdings scheiterte er, als deutlich wurde, dass er viel radikaler als noch der fanatischste Taborit war. Nachdem er eine Zeit lang in Sachsen und Thüringen umhergewandert war, bot man ihm eine Stelle in Allstedt an, einer kursächsischen Exklave umgeben von der Grafschaft Mansfeld und dem Herzogtum Sachsen. Dort wollte er sein eigenes Reformationsvorhaben in die Tat umsetzen. 1523 veröffentlichte er eine deutsche Liturgie, im Jahr darauf eine Deutsche Evangelische Messe. Außerdem gründete er einen geheimen Bund der Auserwählten, »einen ewigen Bund Gottes«. 35 Was es mit diesem Bund auf sich hatte, sollte bald klarer werden. Müntzer distanzierte sich jetzt ganz offen von Luthers Lehren: Ihm galt die Bibel nicht mehr als höchste Autorität, da sie, wie er erklärte, nur den Glauben derer begründete, die sie geschrieben hatten. Weder humanistische Interpretationen noch Luthers Auslegung wiesen den Weg zum wahren Glauben. Selbst wenn jemand einhunderttausend Bibeln gegessen hätte, bemerkte Müntzer später, wäre seine Seele noch eintausend Meilen von Gott entfernt. 36 Er selbst legte Wert auf die innere Wiedergeburt, der die Auserwählten sich unterziehen müssten; er betonte das Wissen um das Elend des Geistes und die Agonie der Verzweiflung, die Erfahrung der inneren Kreuzigung, durch die der Mensch zum Bruder Christi wird und die seiner Rechtfertigung im Heiligen Geist vorangeht. Schon bald traten auch die praktischen Implikationen dieser Theologie hervor. Im März 1524 gab es einen Brandanschlag auf eine Kapelle der Zisterzienserabtei Naundorf. Müntzer hatte den Angriff, der offenbar durch seine Predigten inspiriert und vielleicht von Mitgliedern seines Bundes inszeniert worden war, beobachtet. Die Behörden fühlten sich nun verpflichtet, auf die Beschwerden von außerhalb des Kurfürstentums zu reagieren. 37 Müntzer sollte sich vor dem Bruder des Kurfürsten, Herzog Johann, und dessen Sohn Johann Friedrich am 13. Juli erklären. Er gab sich keine Mühe, seine Ansichten zu mäßigen oder zu verbergen. Stattdessen ergriff er in einer Predigt die Gelegenheit, die Fürsten zu bekehren und ihnen zu vermitteln, dass sie dazu auserkoren seien, ihr Volk in ein apokalyptisches »fünftes Königreich« zu führen. Sie sollten Beschützer der revolutionären

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Heiligen und Vollstrecker von Gottes Zorn über die Gottlosen sein, da sie anderenfalls selbst zu den Gottlosen gehörten, das Schwert ihrer weltlichen Gewalt verlieren und getötet würden. »Denn die Gottlosen«, so lehrte er, »haben kein Recht zu leben.« 38 Der Herzog ließ sich, was kaum verwundert, von Müntzers Predigt nicht überzeugen. 39 Stattdessen wuchs die Abneigung gegen den Prediger in der kursächsischen Regierung ebenso wie bei den katholischen Fürsten. Müntzer bemerkte dies wohl und fühlte sich nun berufen, einen zweiten Bund, den »getreulichen Bund göttlichen Willens«, ins Leben zu rufen. Diesmal tat er es öffentlich und nach einer feurigen Predigt am 24. Juli schlossen sich einige Hundert Allstedter sowie auch Mansfelder Bergknappen ihm an. Wieder wurde Müntzer von den Behörden vorgeladen. Wieder appellierte er, diesmal an den Kurfürsten, und verband den Appell mit einem ungezügelten Angriff auf Luther, den er beschuldigte, eine Kampagne gegen ihn zu führen. Auch dieser Appell blieb erfolglos. Da Müntzer mit Recht befürchtete, dass man ihm den Mund verbieten und seinen Bund auflösen wolle, verließ er Allstedt Anfang August 1524 und ging nach Mühlhausen, eine Reichsstadt in Thüringen. Dort sorgte bereits der radikale Prediger Heinrich Pfeiffer für Unruhe und auch Müntzer fand dort ein neues Betätigungsfeld. Doch schon nach sieben Wochen wurde er ausgewiesen. Nun folgten Monate des Umherwanderns, wobei er in vielen südwestdeutschen Städten Kontakte zu Radikalen aufnahm und auf dem Land unzufriedenen Bauern begegnete. Als er im Frühjahr 1525 wieder auftauchte, war er bereit, einen neuen Gottesbund zu gründen und seine Sache mit der der Bauern und des gemeinen Mannes zu verknüpfen. 40 Der Bauernkrieg war der Höhepunkt und die Tragödie seines Lebens. Die Gründung des »getreuen Bundes« im Juli 1524 und der Weggang aus Allstedt markierten für Müntzer den entscheidenden Wendepunkt. Er gab nun jede Hoffnung auf, die Fürsten bekehren zu können und wandte sich stattdessen gegen sie. Die weltliche Regierung, insbesondere die von Kursachsen, war für ihn nichts weiter als ein Instrument des Teufels. Die Fürsten, so glaubte er, hatten sich an Gottes Stelle gesetzt und sich mit den gottlosen Bibelgelehrten gegen den Triumph der Wahrheit verschworen. 41 So war es nur logisch, dass er nunmehr auch Luther angriff. Nun nannte Müntzer seinen einstigen Lehrer und Mentor »Doctor Lügner« und »Vater Leisendritt« (Vater Leisetreter). Er sei ein schamloser Lakai der Fürsten und habe zu Worms dem deutschen Adel Honig um den Mund geschmiert. 42 Die Kluft zwischen den beiden Männern wurde unüberbrückbar. Luther hatte bereits im Juli 1524 in der Flugschrift Ein brieff an die Fürsten zu Sachsen von dem auffrürerischen geyst vor Müntzer gewarnt. 43 Differenzen in der Lehre könnten bereinigt werden, aber Gewalt sei nicht zulässig, um den Fortgang des Wortes ins Werk zu setzen

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oder zu beschleunigen. Doch betonte Luther in seinem Brief auch, dass die Fürsten nicht versuchen sollten, die Lehren Müntzers zu unterdrücken; die Wahrheit werde auch ohne solche Hilfe den Sieg erringen. 44 Müntzer predigte die durch Frömmigkeit gerechtfertigte Gewalt gegen heilige Gegenstände und auch gegen Personen, was die Frage aufwirft, ob er ein Revolutionär war, und wenn ja, von welcher Sorte. Im Grunde stand er den Problemen politischen und sozialen Wandels gleichgültig gegenüber. Seine Revolution war nur das Vorspiel zum Königreich Gottes, das alle menschlichen Einrichtungen überflüssig machen würde. Bis dahin war er bereit, ein ganzes Spektrum an Übergangsbestimmungen in Betracht zu ziehen, die sämtlich auf der grundlegenden Gleichheit aller Christen beruhten. Aber Müntzer schloss, darin Johann Eberlin vergleichbar, den (christlichen) Adel aus seinen Überlegungen nicht aus. Der Bund der Auserwählten richtete sich nicht notwendig gegen die Privilegierten. 45 Für Müntzer war die Auserwähltheit durch Gott das, was revolutionäres Handeln bedingte und zu diesem befähigte. Das einzig wahre Zeichen für diese Auserwähltheit war die aus der inneren Einheit mit Gott entspringende »Gelassenheit«: Nur diese konnte den Übergang zum Handeln rechtfertigen und sogar zum Sieg einer Minderheit über eine Mehrheit führen. In einem der letzten Briefe, die er vor seiner Hinrichtung am 27. Mai 1525 verfasste, sah er den Grund für die Niederlage der Bauern genau darin, dass sie ihre eigenen selbstsüchtigen Ziele verfolgt hätten statt den Christen Gerechtigkeit zu bringen: »… eyn yder seyn eygnen nutz mehr gesucht dan dye rechtfertigung der christenheyt …«. 46 Damit wird deutlich, wie sehr sich Müntzers radikale Theologie von den Bestrebungen der aufständischen Bauern unterschied: Sie wollten die Welt verändern, während er ihr Ende herbeisehnte. Luther nutzte die Zeit auf der Wartburg, um angesichts der unnachgiebigen Feindseligkeit treuer Katholiken wie des Herzogs Georg von Sachsen seine Lehren zu überdenken und klarer darzustellen. Zugleich zeigte sich in der Gewalt, die so häufig die Einführung von Reformen begleitete, die untergründige Spannung zwischen Luthers Lehren und den Idealen des Humanismus. Sie trat 1525 an die Oberfläche, als es zwischen Luther und Erasmus zu einer heftigen, in Flugschriften ausgefochtenen Kontroverse über die Problematik des freien Willens kam. Luthers Haltung war, wie auch seine Kritik an Müntzer, von der politischen Ethik geprägt, die er 1522 entwickelt hatte. Nicht das Thema Rebellion rief diese Überlegungen hervor, sondern die Frage des Gehorsams. Katholische Fürsten, darunter Herzog Georg von Sachsen (albertinische Linie) und der Herzog von Bayern, forderten das Verbot von Luthers Schriften und seiner Übersetzung des Neuen Testaments. 47 Sollte man diesen Forderungen nachkommen? Dieser Frage widmete sich Luther auf Ersuchen des kursächsischen Herzogs Johann in seiner Schrift Von welltlicher uberkeytt wie weytt man yhr

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gehorsam schuldig sey. Er entwickelte darin die Lehre von den zwei Reichen und den ihnen entsprechenden Regierungsformen. Das Reich Gottes besteht aus Christen allein und wird von Gott durch sein Wort und die Sakramente beherrscht. Wahre Christen brauchen das Schwert des Gesetzes nicht, denn der Heilige Geist leitet sie, und ihre Handlungen entstehen aus Liebe und der Bereitschaft, zu leiden. Das weltliche Königreich dagegen wurde für die Ungläubigen eingerichtet, um das Böse in Schach zu halten und die gute Ordnung zu garantieren. So ist die gesamte weltliche Ordnung – Staat, Gesellschaft, Familie – eine von Gott geschaffene Einrichtung, um der Sünde entgegenzutreten. Sie wird durch weltliche Obrigkeit in seinem Namen regiert. Der Herrscher ist die Maske oder Larve Gottes, die ihn als Diener Gottes erkennbar macht. Natürlich sind die zwei Reiche miteinander verbunden. Der Christ gehört beiden an und der christliche Fürst wird danach streben, seine Macht in gottgefälliger Weise zu nutzen, und der Wahrheit ebenso wie der Aufrechterhaltung der Ordnung verpflichtet sein. Aber das geistliche Reich hat keine Macht über das weltliche Reich und umgekehrt. Daher hat kein Fürst Macht über das religiöse Gewissen seiner Untertanen. Staatliche Gesetze beziehen sich auf das Leben und das Eigentum der Menschen, aber nicht auf ihre Seele. 48 Das weltliche Regime erstreckt sich nicht auf die unsichtbare Kirche aller Christen. Die sichtbare Kirche wiederum, also klerikale Institutionen und dergleichen, gehört dieser Welt an und ist ihren Mächten untertan. Die alte Frage nach der Beziehung zwischen Kirche und Staat beantwortet Luther zugunsten des Staates, insoweit es um zeitlich begrenzte Dinge geht. Für Glaubenssachen aber ist die Gemeinschaft der Christen, die unsichtbare Kirche der Priesterschaft aller Gläubigen, zuständig. Zwei wichtige Probleme sind dabei noch ungeklärt. Das eine betrifft die Untertanenschaft. Wenn alle Obrigkeit ihrem Ursprung nach von Gott ist, müssen die Untertanen ihr gehorchen. Niemand hat das Recht, ihr Widerstand zu leisten. Andererseits übersteigt die Verpflichtung des gläubigen Menschen gegenüber Gott alle anderen Pflichten. Wenn also der Herrscher seine Maske abnimmt und sein unchristliches Gesicht zeigt, kann der Gläubige nicht dazu verpflichtet werden, Böses zu tun. Er kann sich also weigern, aber dagegen aufbegehren darf er nicht, sondern muss die Strafen ertragen, die ihm ob seiner Weigerung auferlegt werden. Das andere Problem betrifft die weltliche Obrigkeit: Inwieweit ist sie selbst gebunden oder eingeschränkt? Sicherlich können die weltlichen Herrscher nicht denselben Gesetzen untergeordnet sein wie alle anderen Christen. Insoweit ein Christ an der Regierung beteiligt ist, wird er sich nicht immer an die Bergpredigt halten können oder sogar dagegen verstoßen müssen. Die Pflicht der Obrigkeit, die Bösen zu bestrafen, kann mit der christlichen Pflicht der Nächstenliebe in Konflikt geraten, aber wahrhaft christliche Fürsten können das Problem dieses Pflichtenkonflikts lösen. Wenn sie sich durch Gebete leiten lassen und sich nicht auf höfische

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Ratgeber (vor allem Juristen) und Speichellecker verlassen, können sie ihre erstrangige Pflicht erfüllen, nämlich ihre Untertanen zu schützen und den Frieden wie auch das (göttliche) Gesetz zu bewahren. Auf welche Lage Luther mit seinen Gedankengängen 1522 reagierte, ist klar: Kein wahrer Christ konnte sich verpflichtet fühlen, den unchristlichen Anweisungen eines repressiven katholischen Fürsten Folge zu leisten. Doch rechtfertigte das keine Rebellion, sondern nur passiven Widerstand, dessen Folgen ertragen werden mussten. Widerstand war nur gegen die unchristlichen Forderungen anderer Regierungen erlaubt; die Untertanen des Kurfürsten von Sachsen (ernestinische Linie) waren nicht verpflichtet, den Forderungen des Herzogs von Sachsen (albertinische Linie) oder eines anderen katholischen Fürsten nachzukommen. Verglichen mit Zwingli sprach Luther der weltlichen Gewalt sehr viel mehr Macht zu. 1526 rühmte er sich sogar, die weltliche Obrigkeit klarer beschrieben und gepriesen zu haben als jeder andere »seit der Zeit der Apostel«. 49 Viele Kommentatoren beurteilen das allerdings eher negativ. Manche behaupten, Luther habe den Fürsten ungezügelte Macht verliehen oder gar dem politischen Reich das Recht zugesprochen, seine eigenen Gesetze zu machen. 50 Zudem hätten die Verbindungen zwischen den beiden Reichen – die Pflicht des Staates, den christlichen Glauben zu schützen, und die Pflicht des Predigers, die weltliche Gewalt zu unterstützen – den Staat geheiligt. 51 Und dadurch wiederum sei ihm in der deutschen Tradition eine Autonomie zugebilligt worden, die ihn von moralischen Verpflichtungen befreite und ihn gegenüber den Untertanen zum Gegenstand unreflektierten Gehorsams, wo nicht gar gedankenloser Anbetung gemacht habe. Wenn nun der deutsche Staat im 19. und 20. Jahrhundert tatsächlich einige dieser Eigenschaften angenommen und seine Autorität ge- oder missbraucht hat, um die Kirche in seine machtpolitischen Interessen einzuspannen, war das weit von dem entfernt, was Luther in den 1520er Jahren vorschwebte. Wenn er sich 1526 seiner klaren Beschreibung weltlicher Obrigkeit rühmte, so meinte er damit seine Überzeugung, dass »das Neue Testament und besonders die Verfügungen des hl. Paulus … die endgültige Autorität« darstellten, wenn es »um die grundlegenden Fragen der richtigen Lebensführung in sozialer und politischer Hinsicht« gehe. 52 Wie Paulus erwartete auch Luther das unmittelbar bevorstehende Ende der Welt, das alle Probleme der Veränderung oder Verbesserung der weltlichen Einrichtungen zweitrangig machte. Die Vorbereitung auf das Ende erforderte die Neugestaltung der menschlichen Seele, nicht die Reform von Staat und Gesellschaft. 53 Zudem verstärkte Luthers Auffassung von Gott als Schöpfer und Bewahrer aller Dinge die Vorstellung, dass die Menschenwelt gottgegeben und gottgewollt sei. Für Luther ist Gott die aktive Kraft in der Geschichte. Er bestimmt den Aufstieg und Fall politischer Gemeinwesen, wie er auch Menschen erschafft und den

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Sinn und Zweck ihres Lebens bestimmt. Die Menschen führen lediglich Gottes Willen aus; sie sind die Masken oder Larven, die Gott aufsetzt oder hinter denen er sich versteckt, um damit das zu tun, was er ohnehin täte. 54 Folglich sind auch die drei Arten von Obrigkeit in der Welt des Christen – Väter, Priester und Fürsten mit den ihnen entsprechenden Pflichten von Arbeiten, Predigen und Regieren – von Gott erschaffen oder gottgewollt. Rebelliert man gegen eine von ihnen, gefährdet man damit alle. 55 Luthers Abneigung gegen sozialen oder politischen Wandel rührt von seiner Erfahrung mit Kursachsen her. Sein geistiges Modell eines Fürsten war Friedrich der Weise, der Luther schützte, ohne mit dessen Ansichten übereinzustimmen. Friedrich verkörperte beispielhaft die Ideale, die Luther in seiner Schrift von 1522 skizzierte. Sicher ist seine Sichtweise des territorialen Staats insofern altmodisch, als er vor den juristisch gebildeten Beratern warnte, die schon seit Ende des 15. Jahrhunderts unverzichtbare Mitglieder der neuen bürokratischen Regime waren. Andererseits war Luthers Bestimmung des Fürsten als Beschützer seiner Untertanen und Garant von Frieden und Recht näher an der Wirklichkeit. 56 Niemals redete er einer »Emanzipation« der Obrigkeit von allen Beschränkungen das Wort. Der christliche Fürst wurde jederzeit durch das göttliche Wort, das ihm Gebete und Gottes Diener vermittelten, in seiner Freiheit eingegrenzt. Luthers Ansichten über Obrigkeit und Gehorsam von 1522 müssen also in Relation zu anderen Themen, die ihn damals beschäftigten, gesehen werden. Als Untertan musste der Mensch gehorsam sein, aber als Christ und Mitglied der unsichtbaren Kirche war er aller Bande ledig. Im September 1522 fragten die Vertreter der zwischen Dresden und Leipzig gelegenen Ortschaft Leisnig Luther um Rat. Es ging um die Berufung eines Pastors auf ein Lehen, das zuvor unter das Patronat des Abtes der Zisterzienserabtei Buch gekommen war. Luthers Antwort lässt sich schon am Titel ablesen: Das eyn Christliche versamlung odder gemeyne recht und macht habe, alle lere tzu urteylen und lerer zu beruffen, eyn und abzusetzen, Grund und ursach aus der schrifft (Wittenberg, 1523) bekräftigte die Rechte der Gemeinde. 57 Bischöfe, Domkapitel und Klöster waren nicht in der Lage, den wahren Glauben zu beurteilen, oder es war ihnen in der Vergangenheit nicht gelungen. Also muss die christliche Gemeinschaft, die lokale Priesterschaft aller Gläubigen, einzig geleitet von Gottes Wort in der Bibel, handeln. Luther riet den Leisnigern, ihren Pastor selbst zu berufen. Außerdem gab er ihnen Hinweise zur Reform des Gottesdienstes, damit das Wort Gottes angemessen verkündet werde, und ermutigte sie, das gesamte kirchliche Eigentum (auch das Einkommen aus Stiftungen und Vermächtnissen) in einem »Gemeinen Kasten« durch Vertreter der Gemeinde verwalten zu lassen. Mit dem Geld könnten die Geistlichen , die Lehrer und die Instandhaltung von Gebäuden bezahlt, Waisen, Alte und Kranke und bei Gelegenheit auch bedürftige Ortsfremde unterstützt wer-

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den. Nur bei Klöstern riet Luther zur Mäßigung: Er hoffe, schrieb er, dass die noch verbliebenen Mönche mit Nächstenliebe behandelt und so lange Zuwendungen erhalten würden, bis auch das Einkommen ihrer Einrichtung dem Gemeinen Kasten zugeführt werden könne. Im Endeffekt wurde Luthers Modell gemeinschaftlicher Verwaltung nicht eingeführt, sondern der Gemeine Kasten vom Stadtrat kontrolliert. Auch wurde bei der Kirchenreform das Prinzip der Pastorenwahl durch die Gemeinde stark begrenzt. Dennoch sind Luthers Vorschläge in verschiedener Hinsicht von Bedeutung. Zum einen zeigen sie, dass er erkannte, wie wichtig die Gemeinden und die Forderungen der unteren Schichten für die Durchsetzung und erfolgreiche Bewahrung des Reformprozesses gewesen waren. Zum Zweiten waren sie von großem Einfluss auf andere Gemeinschaften, die ähnliche Veränderungen anstrebten. Und schließlich sind sie unverzichtbar, wenn man Luthers Haltung zur Obrigkeit in den frühen 1520er Jahren verstehen will. Denn der wahre Sinn und Zweck des weltlichen Schwerts lag ganz einfach darin, die selbstverwalteten Gemeinden aktiver Christen zu schützen und zu fördern. Der Bauernkrieg trug dazu bei, diese Ideen deutlich zu entschärfen, so wie spätere politische Ereignisse Luther dazu brachten, die Rebellion gegen ungerechte Herrscher (Karl V.) oder gottlose Tyrannen (den osmanischen Sultan) zu rechtfertigen. Dagegen entsprangen die Äußerungen von 1522/23 einem anderen Zusammenhang: Hier ging es um die von Karlstadt und Müntzer aufgeworfenen Probleme, um den Versuch einiger Fürsten, das Wormser Edikt zu vollziehen, und um die Dynamik der frühen Reformationsbewegung, deren Triebkraft das Verlangen der Bevölkerung nach der neuen Lehre war. Luthers endgültiger Bruch mit dem Humanismus, den er 1524/25 vollzog, war auch das logische Ergebnis seiner Entwicklung seit 1517. Seine Kontroverse mit Erasmus über den freien Willen war der Ausdruck einer Spannung, die zwischen den beiden schon von Anbeginn existiert hatte. Zwar verband sie ein Interesse an der wortorientierten Bibelauslegung, der Hass auf die Scholastik und die kritische Haltung gegenüber kirchlichen Missständen, aber sie unterschieden sich grundlegend in ihrer Auffassung vom Wesen des Menschen. Schon als Luther 1516 Erasmus’ griechische Ausgabe des Neuen Testaments las, fiel ihm auf, dass der Humanist in Jesus ein »hohes moralisches Beispiel, nicht aber ein erlösendes Opfer für die Sünden der Menschheit« zu sehen schien. 58 Auch behielt Erasmus seinen Glauben an die Wirksamkeit guter Werke bei, die für ihn zumindest ein wichtiger Beitrag zur Erlösung, eine »zweite Ursache«, waren. Er befürchtete, dass Luthers Lehre von der unbedingten Erlösung des Menschen durch Gott, bei der gute Werke gar keine Rolle spielten, den Menschen von jeglichem Gefühl für moralische Verantwortung entbinden würde. Erasmus glaubte, dass der Mensch durch eigenes Bemühen sich vervollkommnen könne und die Fähigkeit besitze, Gottes Gnade an-

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zunehmen oder abzulehnen, während Luther den Menschen für zutiefst sündig und nur durch Gott errettbar hielt. Zunächst wurde diese grundlegende Differenz durch ein gemeinsames Interesse an der Kirchenreform überdeckt.Viele Humanisten traten begeistert für Luthers Sache ein, doch Erasmus’ Neigung kühlte schnell ab, zumal er immer etwas reserviert gewesen war. Der wachsende Zuspruch, den die Reformationsbewegung in der Bevölkerung erfuhr, behagte ihm nicht. Er fürchtete die verrohenden Auswirkungen der Gewalt und erschrak bei dem Gedanken, Luthers Rebellion könnte zu Feindseligkeit gegenüber den humanistischen Studien führen.Vor allem aber wollte er die alte Kirche zwar reformieren, aber beibehalten, statt eine neue zu gründen. Sein Zwiespalt wurde prononcierter, als sich die Atmosphäre in den Niederlanden verschlechterte. Als schließlich die Katholiken Luthers Ideen nicht mehr nur ablehnten, sondern seine Anhänger zu verfolgen begannen, reiste Erasmus nach Basel ab. 59 Nach außen hin blieb Erasmus neutral. Er ignorierte Aufforderungen, Luther zu unterstützen, und weigerte sich zugleich, ihn öffentlich zu verurteilen. Privat jedoch machte er Luther für die Gewalt und die wachsende Spaltung der Kirche verantwortlich. Doch kam er selbst Appellen von Freunden wie Papst Hadrian VI. und König Heinrich VIII., seinen Standpunkt öffentlich zu äußern, nicht nach, sondern machte wiederholt Vermittlungsvorschläge, um den Streit zwischen Luther und der Kirche zu schlichten. Wir wissen nicht, warum er im Sommer 1523 seine Meinung änderte, aber das Ergebnis gefiel weder Luther noch seinen radikalen katholischen Kritikern. Erasmus’ im September 1524 veröffentlichte Schrift De libero arbitrio diatribe seu collatio (Abhandlung über den freien Willen) widmete sich dem zentralen Thema, über das Luther 1517 mit den scholastischen Theologen debattiert und das er in seiner Verteidigung gegen die Bulle Exsurge Domine von 1520 erneut kurz und bündig akzentuiert hatte: 60 Der freie Wille sei in Wahrheit eine Fiktion, denn es liege in keines Menschen Macht, Gutes oder Böses zu planen. 61 Erasmus erklärte, es ginge ihm vor allem darum, dass die gottgläubige Person Gutes tun solle. Die Frage der Vorbestimmung lasse man am besten unbeantwortet. Die Wahrheit sei nicht immer nützlich und geistliche Irrtümer wie etwa der, dass man zur Erlösung einen Sünder benötige, seien annehmbar, wenn sie einem höheren Zweck dienten. Hatte Luther mit Wyclif und gegen das Konstanzer Konzil die Bibel angeführt, so berief sich Erasmus mit der Bibel auf die Heiligen, Märtyrer und Konzile. Verwies Luther auf das erbsündige Wesen des Menschen, das ihn, da von Gott bestimmt, von dessen Gnade abhängig mache, so versicherte Erasmus, dass der Mensch frei sei, sich Gott zuzuwenden. Hatte Luther recht, argumentierte Erasmus, so fehle dem Menschen jeglicher Anreiz, sich moralisch gut zu verhalten: Gott erschafft den Menschen und unterstützt ihn auf dem Lebensweg, aber der Mensch

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kann auch durch eigene Bemühungen vorankommen. Er ist auf zweierlei Weise prädestiniert. Aber Erasmus verurteilte Luther nicht und viele Katholiken waren enttäuscht, weil er seine Kritik an der Kirche aufrechterhielt und weiterhin die Notwendigkeit ihrer Reform betonte. Zudem wies er darauf hin, dass die Kirche in der Vergangenheit die Wirksamkeit guter Werke überbewertet habe. Aber Luthers Antwort in der im Dezember 1525 veröffentlichten Schrift De servo arbitrio (Über die Knechtschaft des Willens) war eine unzweideutige Bekräftigung der Grundthesen seiner Theologie.62 Erasmus war nun für Luther ein Skeptiker und Religionsverächter, ein oberflächlicher Gelehrter, der um des Friedens willen die Wahrheit verbergen würde. Luther schloss jede Freiheit der Wahl in moralischen oder religiösen Dingen kategorisch aus. Im Gegensatz zu den Lehren von Aristoteles und Ockham behauptete Luther, Tugend sei nicht lernbar und rechtschaffene Werke allein könnten keinen Menschen rechtschaffen machen. 63 Der Mensch sei seinem Wesen nach böse und vom Teufel beherrscht, bis er durch die höhere Macht des Heiligen Geistes befreit werde. Selbst wenn er stark genug sei, allen Versuchungen und Schwachheiten des Fleisches zu widerstehen, könne er niemals hoffen, Gott mit seinen Taten zu gefallen. Die einzige Hoffnung liege in Gottes höchster und unbedingter Barmherzigkeit. So ließe sich der Gegensatz zeichnen zwischen einem versöhnlichen, undogmatischen, zukunftsorientierten Erasmus und einem strengen, pessimistischen Luther. Aber das trifft den Kern nicht. Luther hatte keine extremeren Ansichten als viele andere führende Reformer. Auch Zwingli leugnete den freien Willen und die Vorstellung, Verdienst könne zur Erlösung führen. 64 Trotz seiner humanistischen Wurzeln und seines Reformoptimismus lehrte auch Zwingli, dass Erlösung einzig von der Auserwähltheit abhängig sei. In dieser Hinsicht bestand der einzige Unterschied zu Luther darin, dass Zwingli Gott für erkennbar, Luther aber ihn für verborgen hielt. 65 Erasmus’ Disput mit Luther isolierte eher den Humanisten als den Reformer. 66 Mit der Veröffentlichung seiner Schrift über den freien Willen brach Erasmus schließlich mit Luther und sah in seiner Reform nur noch ein Schisma, eine »dumme und bösartige Tragödie« mit »widerwärtigen Meinungsverschiedenheiten«. 67 Doch fanden Erasmus’ friedensorientierte Anschauungen in den letzten zehn Jahren seines Lebens auch bei den Katholiken wenig Gegenliebe. 68 Ebenso wenig führte die offene Ablehnung der evangelischen Reform durch Erasmus und andere zum Bruch zwischen Humanismus und evangelischer Religion. Der Einfluss der humanistischen Gelehrsamkeit blieb von grundlegender Bedeutung. Melanchthons »Glaube an die enge Verbindung zwischen Humanismus, den religiösen Studien und der wahrhaften Frömmigkeit« wurde zum Erbteil der Reformation. 69 Zugleich wurden die humanistischen Studien, vor allem durch Melanchthons Einfluss, mit Elementen der scholastischen Tradition durchsetzt.

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Als Melanchthon daran arbeitete, die evangelische Theologie zu systematisieren, damit sie an den Universitäten und Schulen angemessen gelehrt werden könne, entdeckte er sogar Aristoteles wieder, dessen verderblichen Einfluss auf die Theologie Luther in seiner Disputation von 1517 angeprangert hatte. 70 Die Auseinandersetzung über den freien Willen wurde in Latein geführt und gehörte der gelehrten Welt an. Ihre unmittelbare Wirkung war begrenzt. Doch schlug sich in ihr eine wichtige Dimension der im Entstehen begriffenen sozialen und politischen Theorie der evangelischen Religion nieder. Dieser Prozess wurde auch von Problemen beeinflusst, die frühe Versuche gesellschaftlicher Reform aufwarfen. Auf unterschiedliche Weise zeigen die »Kriege«, die zunächst von Teilen des niederen Adels und dann von Bauern geführt wurden, die Verbindung zwischen religiösen Ideen und sozialen und politischen Missständen. Beide Bewegungen, die der Ritter wie die der Bauern, scheiterten, doch beide hatten, auf je andere Weise, bedeutende Änderungen im politischen System des Reichs zur Folge. An ihnen zeigte sich die Fähigkeit des Reichs, auf potenziell revolutionäre Kräfte zu reagieren und sie schließlich einzudämmen.

Anmerkungen 1 Schilling, »Alternatives«. 2 Zum Folgenden vgl. Heger, Günzburg; Peters, Günzburg; Ozment, Reformation, 91–108; Wolgast, »Neuordnung«. 3 Eine gute (und kurze) Einführung bietet Gordon, Reformation, 46–85. 4 Die Renten waren im Wesentlichen Bestechungsgelder, die unterschiedliche Regierungen dafür zahlten, dass sie in den Kantonen Truppen ausheben durften. Locher, Reformation, 25–26, 175–177. 5 ADB, Bd. XXXIII, 734. 6 Stephens, Zwingli, 17. 7 Locher, Reformation, 94–95. 8 Gäbler, Zwingli, 92–93, 116–118. 9 Blickle, Reformation, 52. 10 Fuchs, »Zeitalter«, 83. 11 Stephens, Zwingli, 126–132. 12 Abray, People’s Reformation, 33–41. 13 Blickle, Reformation, 116–117. 14 Gäbler, Zwingli, 87–90, 112–114; Blickle, Reformation, 162; Potter, Zwingli, 198–203. 15 Stephens, Zwingli, 135. 16 Blickle, Reformation, 163–164. 17 Der jeweilige Fürstabt von Sankt Gallen blieb bis 1798 Fürst des Reichs. Die Stadt Sankt Gallen war 1457 von der Abtei unabhängig geworden und 1521 wurde die Residenz des Fürstabts nach Rorschach verlegt. Köbler, Lexikon, 609. 18 Gäbler, Zwingli, 126–127; Blickle, Reformation, 165; Brady, Turning Swiss, 202–206. 19 Gäbler, Zwingli, 132–135.

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Brady, Turning Swiss, 206. Brady, Turning Swiss, 322–330; Brady, Sturm, 371–382. Gäbler, Zwingli, 15. Stephens, Zwingli, 134. Schilling, »Alternatives«, 115–116; Blickle, Reformation, 100–101. Ozment, Reformation, 131–138; Gäbler, Zwingli, 71–72. Schilling, »Alternatives«, 100–109; vgl. auch Cameron, Reformation, 319. Dickens, German Nation, 169–174; Cameron, Reformation, 214–215; Scribner, »Civic Unity«, 195–197. Scribner, »Reformation as a Social Movement«, 49. Edwards, False Brethren, 17–33. Eine Fortsetzung erschien unter dem Titel Das ander tail wider die himmlischen Propheten vom Sacrament. Scott, Müntzer, 7. Williams, Radical Reformation, 122–123. Van Dülmen, Reformation, 85. Van Dülmen, Reformation, 87–88; Williams, Radical Reformation, 123–125. Williams, Radical Reformation, 128. Blickle, Reformation. Scott, Müntzer, 65–66. Scott, Müntzer, 70–76; Brecht, Luther, Bd. II, 153. Die »Fürstenpredigt« wurde nachmalig veröffentlicht unter dem Titel Außlegung des andern unterschyds Danielis, deß propheten, gepredigt auffm Schlos zu Alstet vor den tetigen, thewren herzogen und vorstehern zu Sachsen durch Thomam Muntzer, diener des wordt gottes. Alstedt MDXXIIII. Scott, Müntzer, 115–116. Rabe, Geschichte, 277. Blickle, Reformation, 64–65; Williams, Radical Reformation, 133–134. Brecht, Luther, Bd. II, 151–152. Brecht, Luther, Bd. II, 152. Williams, Radical Reformation, 133; Scott, Müntzer, 171. Scott, Müntzer, 168; Blickle, Reformation, 63–64. Lohse, Luther, 64–65; vgl. auch Skinner, Foundations, Bd. II, 12–19; Brecht, Luther, Bd. II, 115–119. Brecht, Luther, Bd. II, 117. Brecht, Luther, Bd. II, 119. Lohse, Luther, 192–193; Krieger, Idea of freedom, 8–19. Blickle, Reformation, 49. Skinner, Foundations, Bd. II, 19. Blickle, Reformation, 48; Lohse, Luther, 196. Lohse, Luther, 175. Schorn-Schütte, »Drei-Stände-Lehre«, 439. Lohse, Luther, 197. Brecht, Luther, Bd. II, 69–71. Ozment, Age of Reform, 292. Israel, Dutch Republic 1476–1806, 48–51. Brecht, Luther, Bd. II, 220–224.

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Ozment, Age of Reform, 294. Brecht, Luther, Bd. II, 235; Schoeck, Erasmus, 298–309. Ozment, Age of Reform, 300. Stephen, Zwingli, 47–52; Gäbler, Zwingli, 69, 82, 131. Gäbler, Zwingli, 131. Potter, Zwingli, 294. Phillips, Erasmus, 110. Halkin, Erasmus, 251. Ozment, Age of Reform, 314. Hammerstein, Bildung, 17–20, 87–88.

17. Der Ritterkrieg, 1522–1523

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uthers Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation richtete sich vorwiegend an den Monarchen und die Fürsten, den Hochadel, fand ihren größten Einfluss aber vermutlich beim niederen Adel. Der Aufstand der Reichsritter von 1522–1523 war der Versuch, im Sinn Luthers auf eine Reform von Kirche und Gesellschaft hinzuwirken, und die Beschreibung der angestrebten Ziele bediente sich der Terminologie aus Luthers Schriften. Viele Anführer dieser Bewegung waren unzweifelhaft Lutheraner: Franz von Sickingens Heimstatt, die Ebernburg bei Karlsruhe, war nach Wittenberg und Nürnberg der dritte Ort, an dem ein evangelisch ausgerichteter Gottesdienst eingeführt wurde. 1 Allerdings ging es um sehr viel mehr als nur um eine Kirchenreform. Als der Aufstand begann, hatten die Ziele der Anführer sehr wenig mit dem gemein, was Luther vorschwebte. Die Bewegung insgesamt hatte vielschichtige Ursachen, nicht zuletzt den Wandel der Situation des niederen Adels seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Verstärkt wurde sie durch jene Bestrebungen und Pläne, die die kurzfristige Annäherung zwischen Luther in der Verteidigung seiner Schriften und der Sache der Reichsreform vom Tod Maximilians 1519 bis zum Reichstag zu Worms 1521 begleiteten. Traditionellerweise gilt der Aufstand als heldenhaftes, im Ergebnis aber fruchtloses letztes Aufbäumen einer zum Untergang verurteilten Feudalklasse; ein Bild, das auf Ulrich von Huttens Porträt dieser Bewegung zurückgeht. In einem Brief an Willibald Pirckheimer vom Oktober 1518 schilderte Hutten den Gegensatz zwischen dem »bequemen, ruhigen und gemächlichen Leben« reicher Stadtbewohner mit der harten Lebensweise des niederen Adels. Dessen Angehörige leben »auf dem Felde, im Wald und auf den Burgen … Die uns ernähren sind bettelarme Bauern, denen wir unsere Äcker, Wiesen und Wälder verpachten.« 2 Diese Armen sind ihre einzige Einkommensquelle. Ihre Burgen sind ungemütlich, eng, laut und riechen nach Hunden und Exkrementen. Endlose Streitigkeiten ziehen sich durch ihr Leben: zwischen ihren Gefolgsleuten, mit adligen Rivalen, mit Dieben und Wegelagerern aller Art. Die Unsicherheit einer unabhängigen Existenz trieb viele dazu, bei mächtigen Fürsten in den Dienst zu treten, aber auch damit waren ihre Probleme nicht unbedingt gelöst. Die Verpflichtung einem Fürsten gegenüber brachte ihnen häufig die Feindschaft von dessen Rivalen und ihren Lehnsleuten ein. Hutten hatte sein betrübliches Bild nicht direkt nach dem Leben gemalt, weder nach seinem eigenen noch nach dem Franz’ von Sickingen, des Anführers im Krieg

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der Ritter. Dennoch verstärkt es den Eindruck, dass große Teile des niederen Adels um 1500 eine Krise durchlebten. Seine Mitglieder sahen sich mit einem Wandlungsprozess konfrontiert, der die Traditionen und das Selbstbild der deutschen Ritterschaft infrage stellte. Erstens waren sie in vielen Gebieten die Opfer der von den Fürsten durchgesetzten Territorialisierung und Regierungsbildung. Zweitens veränderte sich ihre traditionelle Rolle in militärischen Auseinandersetzungen, weil sich die Kriegsführung insgesamt weiterentwickelte. Drittens waren viele von der wirtschaftlichen Entwicklung im späten 15. Jahrhundert negativ betroffen. Begriffe wie »Niedergang«, »Zerfall« und »Aussterben« sind vielleicht irreführend, denn schließlich überlebte der Adel das Reich. Aber seine Funktion veränderte sich deutlich und das Scheitern des Ritteraufstands beschleunigte diesen Wandel. Die Lage des niederen Adels im Reich um 1500 war so undurchsichtig, dass die klare Unterscheidung zwischen einer unabhängigen Klasse von »Reichsrittern« und denen, die in Diensten eines Fürsten standen – dem »landsässigen Adel« –, schwer zu treffen ist. 3 Tatsächlich wurde erst in den 1540er Jahren der Begriff »Reichsritter« für einen Ritter, der in Treue nur dem Monarchen und dem Reich verpflichtet war, allgemein gebräuchlich. Um 1500 waren die Dinge noch im Fluss. In vielen Gebieten Norddeutschlands, in Sachsen, Bayern und den Landen der Habsburger hatten die Fürsten den niederen Adel in ihr System eingebunden. Bedroht wurde die Unabhängigkeit des freien Adels durch die Unterordnung unter einen Fürsten, durch zunehmend eingriffsfreudige Verwaltungen und durch gesetzliche Regulierungen, die, formuliert von akademisch gebildeten Nichtadligen, auf dem neu belebten römischen Recht beruhten. Ihr Gerichtbarkeitsrecht in ihren Ländereien wurde durch neue territorial installierte Gerichtshöfe infrage gestellt, ihre Jagd- und Fischfangrechte durch die vorrangigen Ansprüche ihrer Fürsten beschnitten und sie selbst der Besteuerung, zum einen durch das Territorium, zum anderen mittels des Territoriums, durch das Reich, unterworfen. Zugleich war auch der einstmals privilegierte Zugang zum Dienst bei den Fürsten bedroht. Die neuen territorialen Verwaltungen benötigten Beamte mit juristischer Ausbildung. Zunehmend besetzte der nichtadlige Rat jene Vorrangstellung in der Regierung, die vormals nur dem Adel zugekommen war. Natürlich wurden auch viele Angehörige des Adels Räte und besetzten gegenüber den Nichtadligen mehrheitlich Positionen wie die des »Amtmanns«, während sie zugleich Eigentümer ihrer Ländereien blieben. Manche nahmen sogar ein Studium auf und reagierten so auf den steigenden Bedarf an akademisch qualifizierten Beamten. Dennoch wurden durch diese Teilhabe an der »Modernisierung« von Verwaltungen das Ressentiment gegenüber der nichtadligen Konkurrenz und die Einschätzung der »modernisierenden« Verwaltung als Bedrohung adliger Werte nicht verringert.

17. Der Ritterkrieg, 1522–1523

Selbst dort, wo der Adel nicht in das Territorium eines Fürsten eingebunden war, begegnete er ähnlichen Schwierigkeiten. In Franken, Schwaben, in den oberund mittelrheinischen Gebieten – also in den Regionen, die der Macht des Monarchen traditionell nahestanden – war die Territorialisierung noch nicht so weit fortgeschritten wie im Norden und Osten. Aber auch hier waren freie Ritter den Machtansprüchen benachbarter Fürsten ausgesetzt, die mit ihnen um Gerichtsbarkeiten, Jagdrechte oder einfach nur Land konkurrierten. Selbst ein »freier« Ritter war selten ohne jegliche Bindung. Manche hielten wenigstens etwas Land als Lehen von benachbarten Fürsten; ihr »Grundeigentum« bestand aus dem nämlichen Flickwerk von Ländern und Rechten wie das der Fürsten selbst. Für viele Adlige bedeutete diese Art begrenzter Lehnsnahme den Dienst im Territorium eines Fürsten oder, zeitlich nacheinander, im Dienst verschiedener Fürsten, sei es als Amtmann oder höherer Beamter, am kaiserlichen Gericht oder im Militärdienst. Und waren diese Ritter tatsächlich keinem Fürsten dienstbar, konnten sie doch dem Druck der »Regierung« seitens des Reichs ausgesetzt sein. Der Ewige Landfrieden von 1495 sollte den Fehden, die zum Gewohnheitsrecht des deutschen Rittertums gehörten, ein Ende bereiten und die Einrichtung eines Reichsgerichtshofs zur Verhandlung aller künftigen Auseinandersetzungen war ein weiteres Beispiel für die wachsende Macht der nichtadligen Rechtsgelehrten in der Gesellschaft. 4 Die Beziehungen zum Reich waren auch in anderer Hinsicht problematisch. Um ihre gemeinsamen Interessen zu verteidigen und einen Verhaltenskodex für den Umgang miteinander zu formulieren, hatten die unabhängigen Adligen unter anderem den Weg gewählt, sich zu Bünden zusammenzuschließen. Diese waren durch ein Privileg von König Sigismund 1422 als legitime Vereinigungen innerhalb des Reichs anerkannt worden. Der wichtigste Bund war der schwäbische Sankt Jörgenschild. 5 Sein Hauptziel war die Selbstverteidigung seiner Mitglieder, aber das königliche Privileg hatte den Sinn, derlei Vereinigungen an den Monarchen zu binden. Das gelang nur teilweise, als 1488 der Sankt Jörgenschild zu einer der Hauptstützen des Schwäbischen Bundes wurde. Die weitere Vertiefung dieser Beziehung zwischen dem Monarchen und der Ritterschaft wurde indes durch das Problem der Besteuerung verhindert – ironischerweise während der Regentschaft Maximilians I., des »letzten Ritters«. 6 Als 1495 der »Gemeine Pfennig« eingeführt wurde, verweigerten die Ritter die Zahlung. In den folgenden Jahren gelang es Maximilian weder, den Rittern eine Reichssteuer aufzudrücken noch einen neuen Ritterbund zu schmieden. Obwohl bei Maximilians Tod die Beziehung zwischen Monarchen und Ritterschaft ebenso unklar war wie deren Rolle und Status im Reich, zeitigten die wiederholten Versuche, die Ritter in das Reichssystem einzubinden, einige positive Resultate. So wurde ein Rahmen geschaffen, innerhalb dessen die Ritter ihre Unabhängigkeit

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bewahren konnten. Außerdem gab es weiterhin die für Monarchen wie Ritterschaft gleichermaßen attraktive Möglichkeit einer besonderen Beziehung zwischen Krone und Schwert. Das führte schließlich in den 1540er Jahren zu einer förmlichen Eingliederung der Ritter in das Reich. Um 1500 jedoch verkörperte das Reich für viele eher die Bedrohung durch Besteuerung als die Schirmherrschaft des Monarchen. Eine wichtige Funktion der Ritter wurde durch Veränderungen in der Kriegsführung, vor allem durch die Einführung der Artillerie im 15. Jahrhundert, eingeschränkt. 7 Die letzte ausschließlich mit Rittern geführte Schlacht fand auf dem Höhepunkt der Hildesheimer Stiftsfehde im Juni 1519 bei Soltau statt. 8 Hinzu kam, dass die Erfolge der Schweizer Fußsoldaten im 14. und 15. Jahrhundert viele Regenten dazu veranlasste, Söldner statt der traditionellen Ritter auf Pferden einzusetzen. Einige Adlige konnten als Kommandeure von Söldnerheeren oder, wie Franz von Sickingen, als militärische Unternehmer mit eigenen Streitkräften Karriere machen, aber das war risikoreich und konnte zum Absturz führen, denn die Landsknechte mussten auch in Friedenszeiten bezahlt werden und königliche Arbeitgeber wie Karl V. verfuhren mit der Ausschüttung des Soldes eher zögerlich, vor allem, wenn der Ausgang eines Feldzugs nicht ihren Erwartungen entsprach. 9 Vielfach wurden die Probleme der Ritter noch durch wirtschaftliche Schieflagen vermehrt. Die Ritter waren den Schwankungen in der landwirtschaftlichen Produktion ebenso ausgesetzt wie die Bauern, die ihr Land bearbeiteten und für einen Großteil ihres Einkommens sorgten. Einigen Adligen gelang die Anpassung an die neuen wirtschaftlichen Bedingungen: Sie wurden im Bergbau oder anderen ländlichen Industriezweigen unternehmerisch tätig, betrieben in großem Maßstab Vieh- und Geflügelzucht oder nutzen ihre Kaufkraft und ihre Speicher, um mit landwirtschaftlichen Produkten wie Getreide zu spekulieren. 10 Anderen jedoch, in vielen Teilen Frankens und Schwabens wahrscheinlich der Mehrheit, ging es schlecht. Ihre Privilegien kosteten sie nur Geld, das sie auftreiben mussten, um Waffen und Rüstungen und all die anderen für einen Ritter notwendigen Ausrüstungsgegenstände zu kaufen. 11 Der Reichtum der Reichsstädte und ihrer Patrizier musste ihnen ins Auge stechen. Wie die Bauern verfluchten die Ritter die »Monopolisten«, die den Geldmarkt und die ländliche Industrie kontrollierten. Auch ärgerten sie sich darüber, dass sie mit Vertretern eben dieser Klasse um Ämter in den Verwaltungen der Territorien und des Reichs konkurrieren mussten. Der reiche Kaufmann und der nichtadlige juristisch gebildete Fachmann waren die zwei Schreckgespenster der alten Adelselite. In der Reichskirche aber genossen die Ritter in vielen Domkapiteln noch fast ein Monopol und beträchtliche Chancen auf den Zugang zu höheren geistlichen, insbesondere bischöflichen Pfründen. Hier gab es kein Anzeichen einer Krise. Vielmehr war eines der anerkannten Probleme der deutschen Kirche die Vor-

17. Der Ritterkrieg, 1522–1523

herrschaft des Adels in den oberen Rängen. Diese Verbindung zwischen den Netzwerken von Adelsfamilien und den höheren Pfründen der Reichskirche sorgte auch dafür, dass die Haltung des Adels zur Reformation zumindest zwiespältig war. Als nämlich der Feldzug für die Reform zur Schaffung einer neuen Kirchenordnung führte, gerieten viele Ritter in eine schwierige Lage. Denn Säkularisierung bedeutete das Verschwinden genau jener Institution, von der ihre Familien im Hinblick auf Beschäftigung und Status abhängig waren und die für sie die einzige Möglichkeit darstellte, zu den höchsten Rängen der Reichsfürsten aufsteigen zu können. 12 Die Reichskirche blieb zwar für die Adelsprivilegien eine Bastion, konnte aber in ihrer nach der Reformation geschrumpften Form nicht mehr alle Söhne des freien Adels versorgen. Zudem konnte das Überleben eines einzigen Bereichs von Privilegien die Klasse der Ritter insgesamt nicht für die Erosion ihres Status und die von den Städten und ihren gebildeten Eliten ausgehende Bedrohung entschädigen. Die Ritter reagierten in unterschiedlicher Weise auf diese Schwierigkeiten. Am offensichtlichsten war, dass sie den Schulterschluss vollzogen und ihre Exklusivität betonten. Im späten 15. Jahrhundert führten viele Domkapitel strenge Reglements für die Mitgliedschaft ein, zu denen der Nachweis adliger Abkunft gehörte. Außerdem gab es die trotzige Wiederbelebung von Turnieren, wozu insbesondere die sogenannten Vier-Lande-Turniere gehörten, die zwischen 1479 und 1487 stattfanden. Ritter aus den vier traditionellen Turnierregionen – Franken, Schwaben, am Rheinstrom und Bayern – organisierten die Veranstaltungen, zu denen nur Ritter (unter Ausschluss von Fürsten wie auch Patriziern) zugelassen waren und die jedes Mal mehrere Hundert Teilnehmer anzogen. 13 Solche Demonstrationen exklusiver Identität der Ritterschaft waren typisch für den Süden des Reichs, während sich im Norden wie auch sonst in Europa zu jener Zeit nichts Vergleichbares ereignete. Turniere waren die symbolische Demonstration ritterlicher Tugend und Tapferkeit, aber einige suchten ihr Recht auf ziemlich gewaltsame Weise. Die Fehde war keine Erfindung des 15. Jahrhunderts, während die »Raubritter« zu eben dieser Zeit im Reich dort grassierten, wo der Adel noch nicht von den Fürsten beherrscht wurde. 14 Für viele war dies die traditionelle Art, Gerechtigkeit zu üben, aber Freibeuter wie Thomas von Absberg und Götz von Berlichingen waren als Wegelagerer und Briganten erfolgreich. Sie unterhielten Spitzelnetze in Reichsstädten wie Nürnberg sowie an Zwischenstationen von Handelswegen und Transportrouten. 15 Die Formalitäten einer Fehde waren oft nur eine billige Ausrede für Überfälle auf reiche Städter und ihr Eigentum. In manchen Gebieten, wie etwa im südlichen Westfalen, gab es Anklagen gegen angebliche Raubritter, doch wird dadurch ein falscher Eindruck erweckt: Häufig richteten sich die Beschuldigungen gegen Adlige, die im Auftrag von Fürsten unter anderem als Amtmänner Steuern und Ab-

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III. · Karl V. und die Reformation in den 1520er Jahren

gaben einzogen. 16 Doch fanden solche ungerechtfertigten Beschwerden ihre Nahrung in dem verbrecherischen Leben jener Ritter, die jahrelang ganze Regionen terrorisierten. 1486 und 1495 unternahm der Reichstag Versuche, diesem Fehdeunwesen das Handwerk zu legen. Doch er scheiterte und lenkte in mancher Hinsicht die Aufmerksamkeit erst recht darauf. Der Schwäbische Bund bemühte sich, gegen Raubritter wie Thomas von Absberg vorzugehen und den Frieden durchzusetzen, was aber nur dazu führte, dass Absberg nunmehr dem Bund den Fehdehandschuh hinwarf. 1522–1523 befand sich sogar das Reichsregiment in Nürnberg gewissermaßen im Belagerungszustand, so sehr wurden die Zugangswege von Raubrittern heimgesucht. Dauerhafter waren die ritterschaftlichen Bündnisse, wohl auch, weil sie weder die Kosten eines Turniers zu bestreiten hatten noch den Wechselfällen einer Fehde ausgesetzt waren. Diese Bündnisse dienten anderen Zwecken. Einmal sollten sie die kollektiven Interessen ihrer Mitglieder vor den Fürsten und der kommerziellen Angriffslust der Reichsstädte schützen. Zugleich gehörten sie zu dem für das 15. Jahrhundert charakteristischen Trend, Bündnisse und Ligen zu gründen, um Regionen im Reich, wenn nicht gar das Reich selbst, zu stabilisieren. Und schließlich dienten sie dem Schutz ihrer Mitglieder voreinander; ihr grundlegendes Ziel bestand darin, dem Ritterstand ein gewisses Maß an Selbstdisziplin zu vermitteln, und ihre Satzungen befassten sich häufig mehr mit dem Umgang untereinander als mit anderen Themen. Typisch für solche kleinen Bündnisse war die Ganerbengemeinschaft der Burg Rothenberg. 1478 hatten 46 fränkische Ritter, die meisten von ihnen Hofbeamte des Markgrafen von Brandenburg, das Anwesen von Pfalzgraf Otto II. erworben. 17 Sie wollten damit eine Machtbasis außerhalb der Einflusssphären des Markgrafen oder des Bischofs von Würzburg und der Stadt Nürnberg schaffen. Einige von ihnen sahen in dem Besitz einfach eine Basis für Raubzüge, wobei sie es besonders auf die Nürnberger Handelsstraßen abgesehen hatten. Das Hauptziel der Gemeinschaft lag jedoch eher in der Defensive: Einig waren sich alle Ganerben darin, dass niemandem je erlaubt würde, von der Burg aus eine Fehde zu führen. 1522 hatte sich eine ganze Anzahl solcher Bündnisse gebildet und das wird generell als Vorspiel zum Aufstand von 1522–1523 gesehen. Bündnisse waren in Schwaben und der Wetterau geschlossen worden und im August 1522 trafen sich an die 600 rheinländische Ritter in Landau, um für einen Zeitraum von sechs Jahren ein »brüderliches Bündnis« (die Landauer Einung) unter Führung Franz von Sickingens zu bilden. Die Satzung verkündete, dass sich das Bündnis die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung im Reich und vor allem die Verhinderung gewaltsamen Handelns seitens einzelner Ritter zum Ziel gesetzt habe. Ein im darauffolgenden Frühling geschlossenes Bündnis fränkischer Ritter sollte die Solidarität zwischen ihnen stärken und verfolgte ganz ähnliche allgemeine Ziele. 18

17. Der Ritterkrieg, 1522–1523

Das zahlenmäßige Wachstum solcher Bündnisse zeugt von der weitverbreiteten Unzufriedenheit der Ritter in vielen Regionen des Reichs während der letzten Jahre Maximilians I. und zu Beginn der Regentschaft Karls V. Allerdings lässt die Tatsache, dass die Bündnisse in ihrer Bildung den tradierten Mustern folgten, nicht darauf schließen, dass es sich um den Beginn einer Kampagne mit revolutionärem Potenzial oder auch nur mit Reformabsichten handelte. Verbreitet war die Furcht vor dem, was eine allgemeine Mobilisierung der Ritter bewirken könnte, doch den Rittern selbst gelang es nicht, eine überregionale Zusammenarbeit auf die Beine zu stellen. 19 Die neuen religiösen Lehren inspirierten zwar ein paar prominente Persönlichkeiten, doch blieb die Klasse insgesamt davon unberührt. Einzelne Ritter, vor allem im Kraichgau, gehörten zu den frühen Anhängern der evangelischen Sache, aber in Regionen wie Franken blieben die Ritter weitgehend unbeeindruckt. Insgesamt standen die freien Ritter der Reformation nicht unbedingt offener gegenüber als ihre Kollegen in den großen Territorien. Der Adel der habsburgischen Erblande und der Steiermark zum Beispiel war zu Beginn der 1520er Jahre dem Luthertum in größerer Einheit zugeneigt als die freien Ritter in irgendeiner Region des Reichs. 20 In den schwäbischen Vorlanden der Habsburger blieb der niedere Adel katholisch, was darauf verweist, welche Rolle die Beziehungen zwischen Fürsten und territorialen Ständen bei der Wahl der Konfession durch den Adel spielten. 21 Allerdings zeigt die Begeisterung des Adels in der Oberlausitz für die lutherischen Lehren, wie eine andere Gruppe, die in ähnlicher Entfernung vom Habsburger Oberherrn lebte, die entgegengesetzte Richtung einschlug. 22 Was viele Ritter 1522–1523 wohl einte, war die Begeisterung einer kleinen Gruppe prominenter Persönlichkeiten für eine Reform von Kirche und Reich. Die Bewegung speiste sich allein aus den ehrgeizigen Bestrebungen zweier Individuen, nämlich Ulrich von Huttens und insbesondere Franz von Sickingens, des Anführers der Revolte. Keiner von beiden war ein typischer Vertreter seiner Klasse. Huttens Weg zur Rebellion begann mit seinem patriotisch-humanistischen Enthusiasmus für die Befreiung Deutschlands vom römischen Joch. Nachdem er im Kreuzzug gegen Reuchlins Antagonisten, die »Dunkelmänner«, als national bewusster Autor hervorgetreten war, setzte er große Erwartungen auf die Wahl Karls V. 23 Kurz danach sah er das Potenzial für nationale Erneuerung im Kampf Luthers gegen die kirchliche Hierarchie, wobei er immer noch hoffte, der König werde die Reformer unterstützen. Nach dem Wormser Edikt wandte er sich von Karl ab und ging auch zu Luther auf Distanz. Zunehmend setzte er seine Hoffnungen jetzt auf Franz von Sickingen. Sie hatten einander 1519 kennengelernt, als der Schwäbische Bund gegen Herzog Ulrich von Württemberg ins Feld zog. 1520 war Hutten auf Sickingens Festung, die Ebernburg, gezogen. Im Sommer

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1521 betrachtete er Sickingen als Führer im Krieg gegen alle Priester und stellte ihn noch über Luther. Der Mann, den Hutten so zum Idol erhob, entsprach nur wenigen jener Klischees ritterlicher Existenz, die Hutten in seinen Schriften propagierte. Franz von Sickingen verfügte über einen beträchtlichen Streubesitz an Ländereien und Schlössern, ferner gehörten ihm zwei Städte, die eine im Kraichgau, die andere im Südwesten des Reichs. 24 Sickingen, ausgestattet mit einer größeren territorialen Basis als die meisten seines Standes, verwaltete seine Besitzungen und machte ein Vermögen mit Eisenerz- und Quecksilberminen, deren Ausbeutung er ähnlich intensiv wie viele der Fürstentümer betrieb. 25 Sein frühes Eintreten für die lutherische Sache und die systematische Reform seiner Ländereien waren bis zu einem gewissen Grad nur die logische Folge der »Territorialisierung« seiner Besitzungen. Jedoch war Sickingen, wie andere Ritter, in das Netzwerk verschiedener fürstlicher Oberherren eingebunden, denen er lehnspflichtig war. Seine Familie hatte Beziehungen zu Höfen der Pfalz, zu Worms, zum bischöflichen Straßburg und zum Hof des Monarchen. Sickingen selbst begann als Amtmann in pfälzischen Diensten. 1515 begann er aus Motiven, die nicht ganz klar sind, eine Reihe von Fehden, so gegen Worms, gegen den Herzog von Lothringen, gegen Metz und Frankfurt (Main) sowie gegen den Landgrafen von Hessen. Zugleich nutzte er seine wachsenden Ressourcen und ausgedehnten Netzwerke von Verwandten und Gefolgsleuten, um sich als unabhängiger militärischer Unternehmer zu etablieren. Von Maximilian geächtet, konnte er dem Herzog von Lothringen durch einen Feldzug gegen ihn eine substanzielle jährliche Zahlung und dann ein Treffen mit dem französischen König abringen. Darauf folgte ein Bündnis mit dem Feind Maximilians in Deutschland, dem Herzog von Württemberg. Das veranlasste den Kaiser, die Acht aufzuheben und ihn in seine Dienste zu nehmen, sodass die Fehden gegen Metz, Frankfurt und Hessen in gewissem Sinn unter kaiserlichem Schutz geführt wurden. Nach dem Tod Maximilians führte Sickingen erneut Verhandlungen mit Frankreich, blieb aber den Habsburgern treu und unterstützte die Wahl Karls V. sowie dessen Kampagne gegen Württemberg, was ihm einen kleinen Landgewinn einbrachte, der jedoch schon bald durch den Preis, den er für seine Treue gegenüber der Krone zahlen musste, wettgemacht wurde. Seine einstigen Patrone in der Pfalz begegneten ihm nun mit Feindseligkeit und da ihm ein zusammenhängendes Territorium fehlte, konnte er leicht von den Fürsten der Regionen, die seinen Streubesitz umschlossen, angegriffen werden. Zudem verhielt sich Karl ihm gegenüber weniger dankbar, als es Maximilian gewesen war. Als ein von Sickingen selbst finanzierter Feldzug gegen die Franzosen scheiterte, kam Karl nicht für den Verlust auf und auch ein substanzielles Darlehen, das Sickingen für die Krönung vorgestreckt hatte, wurde nicht zurückgezahlt. 26

17. Der Ritterkrieg, 1522–1523

Zunächst schien Sickingens durch Hutten vermittelte Entdeckung der lutherischen Sache als Kompensation für den geringeren Grad an Protektion durch Karl V. zu dienen. Zwar hatte Sickingen bis zu diesem Zeitpunkt die konventionelle Frömmigkeit seiner Vorfahren gepflegt und größere Kosten in den Wiederaufbau des Klosters Trumbach investiert, doch wurde er sodann ein höchst eifriger Reformer. Er warf den Dominikanern den Fehdehandschuh hin und verwandelte die Ebernburg in eine »Herberge der Gerechtigkeit«. Er bot Luther seine Unterstützung an und hatte unter anderen Martin Bucer und Johannes Oekolampadius zu Gast, die späteren Reformer von Straßburg und Basel. Er zelebrierte eine deutsche Messe mit dem Abendmahl in beiderlei Gestalt und reformierte die Kirchenordnung in seinen Ländereien. In gewisser Hinsicht war Sickingen damit ein Vorläufer jener Fürsten, die später in der »Konfessionalisierung« ihrer Territorien weltliche mit religiösen Interessen verknüpften. 27 Doch sollten schon bald neue politische und militärische Kampagnen diesen Versuch eines »Staatsaufbaus« überschatten. Wie Hutten sah auch Sickingen die Reform der Kirche als integralen Bestandteil der Reichsreform und er stellte sich vor, dass die Ritter dabei eine führende Rolle spielen sollten. Während Hutten zum Krieg gegen die Priester aufrief, wollte Sickingen das Potenzial der allgemeinen Unzufriedenheit im niederen Adel ausnutzen. Kurz nach der Bildung der Landauer Einung am 13. August 1522 erklärte er eine Fehde gegen den kurfürstlichen Erzbischof von Trier, Richard von Greiffenklau. Der Vorwand für diese Kampagne war im Wesentlichen ein persönlicher Streit um ein für zwei Untertanen des Kurfürsten nicht gezahltes Lösegeld. 28 Ferner unterstellte Sickingen, dass sich Greiffenklau gegen Gott und den Monarchen vergangen hätte, was angesichts von Greiffenklaus herrschsüchtigem Verhalten als Fürst und seiner Unterstützung des französischen Kandidaten für die Königswahl 1519 nicht von der Hand zu weisen war. Sickingens tatsächliche Motive sind jedoch unklar. Er erklärte zwar, dass er die Regionen von Mittelrhein und Mosel »für das neue Evangelium öffnen« wolle, doch könnte er auch das Amt eines Fürsten des säkularisierten Kurfürstentums Trier angestrebt haben. Immerhin hat ihn wohl der Kurfürst und Erzbischof von Mainz unterstützt, was vermuten lässt, dass es ihm nicht in erster Linie um einen Kreuzzug gegen die Reichskirche oder gegen die Geistlichkeit an sich ging. 29 Als Sickingen am 27. August 1522 die Fehde erklärte, war das vielleicht als Signal für einen allgemeinen Aufstand gedacht, aber daraus wurde auch deshalb nichts, weil Sickingens allzu offensichtlich bestrebt war, Fürst zu werden. Trotz der stillschweigenden Unterstützung durch Mainz scheiterte Sickingens Vorstoß. Den aus verschiedenen Regionen kommenden Rittern gelang es nicht, sich zu vereinigen. Denen aus Köln und Jülich drohte der Verlust ihrer Lehen, während eine südwärts marschierende Gruppe aus Braunschweig unter Führung des Sachsen

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Nickel von Minkwitz durch Philipp von Hessen aufgehalten wurde. Entscheidend war jedoch, dass es Sickingen mit seinen 1.500 Reitern und 5.000 Mann Infanterie nicht gelang, Trier einzunehmen. Greiffenklau verteidigte die Stadt geschickt und verbündete sich sofort mit dem Landgrafen von Hessen und dem pfälzischen Kurfürsten, um eine Gegenoffensive in Gang zu setzen. Zudem gelang es ihnen, den Schwäbischen Bund zur Teilnahme zu bewegen, der ein Heer unter Führung von Georg Truchsess von Waldburg auf die Beine stellte. Anfänglich hatte diese Initiative gar nichts mit Sickingens Kampagne zu tun, sondern war die Reaktion des Bundes auf die Ermordung eines seiner Mitglieder, des Grafen von Öttingen, durch Thomas von Absberg. 30 Als jedoch die Gegenoffensive contra Sickingen in Gang kam, wurde die Machtdemonstration des Schwäbischen Bundes in Franken zu einer allgemeineren Kampagne gegen alle Rebellen. Der in sich uneinheitliche Widerstand der Ritter war leicht zu brechen und potenzielle Rebellen wurden im Frühjahr 1523 eingeschüchtert. Im April wurde Sickingen in seiner Burg Nanstein im Landstuhl belagert. Schweres Artilleriefeuer zerstörte ihre Mauern und Sickingen wurde tödlich verletzt. All seine Ländereien und Burgen fielen seinen Feinden in die Hände, die Burgen von gut 30 Verbündeten wurden zerstört und der Kurfürst von Mainz musste für seine stillschweigende Unterstützung Sickingens 25.000 Gulden Schadensersatz zahlen. 31 Hutten war schon nach der gescheiterten Belagerung von Trier geflohen und erlag, nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, eine sichere Zuflucht zu finden, am 29. August 1523 auf der Insel Ufenau im Züricher See den Folgen einer langwährenden syphilitischen Erkrankung. Das entschlossene Vorgehen der territorialen Fürsten gegen den Aufstand der Ritter markierte den unbestreitbaren Sieg über den »freien« Adel und die Niederlage der von Hutten und Sickingen vertretenen nationalen Reformideale. Oftmals vernachlässigt wird dabei die Rolle der Reichsregierung, obwohl sie für das Überleben der Ritter von entscheidender Bedeutung war. Dem Reichsregiment zu Nürnberg fehlte natürlich die militärische Macht, um die ungesetzlich handelnden Elemente der Ritterschaft zu kontrollieren oder dem Aufstand von 1522–1523 entgegenzutreten. In dieser Hinsicht war es völlig vom Schwäbischen Bund und den Fürsten abhängig. Das heißt jedoch nicht, dass es deren Vorgaben brav gehorchte. Zwar wurde Sickingen im Oktober 1522 mit der Acht belegt, doch tat das Reichsregiment danach alles in seiner Macht Stehende, um Sickingens Verbündete vor dem Zorn ihrer Gegner zu schützen. Zudem tat es im Frühjahr 1523 nichts, um mit den Mitteln des Reichs gegen Sickingen vorzugehen. Selbst in dieser Krise zeigte sich die traditionelle Affinität zwischen Krone und Ritterschaft. 32 Das Scheitern des Aufstands bedeutete also nicht das absolute Ende des freien Adels, sondern war ein wichtiger Meilenstein in seiner Entwicklung. Die Fehden und das gesetzlose Verhalten, das die Mythologie der »Raubritter« entstehen ließ,

17. Der Ritterkrieg, 1522–1523

dauerte noch einige Jahrzehnte fort. In Franken zum Beispiel erpressten die Familien Absberg und Rosenberg noch lange Zeit Lösegeld von Angehörigen des Hochadels und von Reichsstädten, um so die Rückgabe der 1523 konfiszierten Besitztümer zu erzwingen. 33 Noch in den 1560er Jahren bedrohten die Bemühungen des Reichsritters Wilhelm von Grumbach, sein Recht durchzusetzen, die Stabilität des Reichs. 34 Bei vielen Rittern führte jedoch die Erfahrung des gescheiterten Aufstands, verstärkt durch das Trauma des Bauernkriegs, zu einer tief greifenden Veränderung der Ansichten und Verhaltensweisen. Zunehmend wichen die Verteidigungsbündnisse dem Versuch, eine sichere Position im Reich zu erlangen. Die Ritter schafften es zwar nicht, im Reichstag vertreten zu sein, entwickelten aber eine neue direkte Beziehung zur Krone. Der erste Schritt auf dem Weg zu einer körperschaftlichen Organisation bestand darin, dass die Reichsritter sich zur Zahlung einer Steuer bereit erklärten, damit das Reich gegen die Türken verteidigt werden konnte. Diese Steuer wurde subsidium charitativum (freiwilliger Beitrag) genannt, doch konnte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ritter nun genau jene Steuer zahlten, die sie unter Maximilian abgelehnt hatten. 35 Zwar wurde die von den schwäbischen Rittern 1529 befürwortete Steuer de facto nicht gezahlt, doch einigten sich die schwäbischen und fränkischen Ritter 1532 auf eine weitere Steuer. Als 1542 erneut ein »Gemeiner Pfennig« eingeführt wurde, betonten die Ritter ihre Unabhängigkeit von den Fürsten, indem sie sich darauf verständigten, über regionale Vereinigungen oder Kantone die Steuer direkt an König Ferdinand zu entrichten. Diese Organisationen übernahmen bald eine allgemeinere repräsentative Funktion. Sie wurden mit Statuten versehen und gewannen Anerkennung als Verfassungsorgane des Reichs, während die Kreise von den Fürsten dominiert wurden. Für den Monarchen war es vorteilhaft, über eine vom Reichstag unabhängige Geldquelle zu verfügen, und es war aus seiner Sicht ebenfalls wichtig, dass die Ritter als dienstbarer Adel für militärische wie auch zivile Zwecke eingesetzt werden konnten. Ihre familiären Netzwerke übten Kontrolle über die Domkapitel vieler großer geistlicher Fürstentümer aus, besaßen aber auch beträchtlichen Einfluss in vielen säkularen Fürstentümern, wo sie in den unterschiedlichsten Bereichen von Hof und Verwaltung tätig waren. Die Ritter wiederum wahrten, indem sie dem Monarchen dienstbar waren und seinen Steuerforderungen nachkamen, durch dessen Schutz ihre Freiheit gegenüber den Fürsten. 36 In der konfessionellen Entwicklung der Ritter spiegeln sich ihre grundlegenden politischen Interessen. Die frühen Übertritte von Prominenten zur lutherischen Sache lösten keinen Trend aus. Zwar spielten religiöse Überzeugungen zweifellos eine Rolle, doch können Aktionen wie die Sickingens und anderer, so etwa des adligen Flugschriftenverfassers Hartmut von Cronberg, nur im Zusammenhang mit den Hoffnungen auf eine politische Reform, die für die Jahre von 1519 bis

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III. · Karl V. und die Reformation in den 1520er Jahren

1521 so charakteristisch war, verstanden werden. Ebenso ist die Auffassung, dass die Ritter für die Stabilität des Reichs eine echte Bedrohung darstellten, nur verständlich vor dem Hintergrund der Furcht vor Unruhen und Aufständen, die ebenfalls in jenen Jahren verbreitet war. Danach wurden die konfessionellen Entscheidungen des freien Adels jedoch durch andere Faktoren bestimmt. Ab den 1530er Jahren folgten die Ritter im Wesentlichen der Leitlinie des Monarchen oder der Fürsten, von denen sie ihre Lehen erhalten hatten. In Oberschwaben, wo die Habsburger herrschten, blieben die Ritter eher katholisch, während sie im Umkreis der protestantischen Höfe von Heidelberg, Stuttgart, Darmstadt und Ansbach vielfach zum Luthertum übertraten. In den Bereichen, wo geistliche Fürsten die hauptsächlichen Lehnsherren waren, sahen sich viele Adlige durch Familieninteressen zur Loyalität gegenüber der alten Kirche verpflichtet. Wären sie konvertiert, hätten sie sich von den Domkapiteln und damit von dem ganzen Pfründensystem trennen müssen. Diese Bedenken wogen so schwer, dass viele Ritter, die zum Luthertum übertraten, ihre jüngeren Söhne dennoch als katholische Geistliche dienen ließen. Auch war das Interesse des Monarchen an den Rittern stark genug, um die Entwicklung der Ordensritter und des Johanniterordens zu bikonfessionellen Institutionen zu gestatten. 37 Die Ritterschaft in ihrer Gesamtheit blieb der Reichsverfassung treu ergeben. Ihre Organisationen gehörten zu den Ersten, die die religiöse Teilung zugunsten der Einheit ignorierten. Allerdings standen sie nach 1555 ebenso einheitlich in Opposition zum Calvinismus, weil er durch den Augsburger Frieden nicht anerkannt wurde. 38 Sieht man die Entwicklung des freien Adels in weiterer Perspektive, so zeigen die Ereignisse der frühen 1520er Jahre eine Gruppe, die angesichts der Schlagworte der reformatorischen Bewegung die Gelegenheit beim Schopf packte. Hutten war ein heidnischer Humanist und Sickingen ein überzeugter lutherischer Konvertit. Beide jedoch setzten die Rhetorik christlicher Freiheit mit den politischen Bestrebungen ihrer Klasse im Reich gleich. Obwohl sie den Anspruch erhoben, für die »Nation« oder das Reich insgesamt zu sprechen, waren ihre Interessen auf ihre Klasse beschränkt. Zu keinem Zeitpunkt unternahmen sie den Versuch, mit irgendeiner anderen Gruppe gemeinsame Sache zu machen, schon gar nicht mit dem »Pöbelhaufen von Bundschuh«, wie Sickingen die Bauernschaft bezeichnete. 39 Vielmehr schlossen sich zwei Jahre später, als der gemeine Mann seinen eigenen Sorgen und Zielen in der Sprache der Evangelien Ausdruck verlieh, die meisten Ritter den Fürsten an, um Recht und Ordnung wiederherzustellen.

Anmerkungen 1 2

Schilling, Aufbruch, 133. Strauss, Manifestations, 192–195; Schilling, Aufbruch, 134.

17. Der Ritterkrieg, 1522–1523

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Press, »Führungsgruppen«, 32–44. Strauss, Law, 56–95. Du Boulay, Germany, 74–76; Endres, Adel, 9. Press, »Kaiser und Reichsritterschaft«, 165–166; Paravicini, Kultur, 108–112; Bock, Schwäbischer Bund, 3–4. Parker, Revolution, 7–10; Howard, War, 13–14, 30–31. Vgl. S. 205–206. Schmidt, »Hutten«, 23–24; Blickle, Reformation, 77–78; Baumann, Landsknechte, 86–91; Redlich, Enterpriser, Bd. I, 3–141. Schmidt, »Hutten«, 26, 28; Endres, »Grundlagen«; Müller, »Lage«; Endres, Lebensformen, 13–17. Endres, Lebensformen, 18–21. Schindling, »Reichskirche«, 100; Press, »Adel«, 337–338; Hitchcock, Revolt, 14–15. Paravicini, Kultur, 93–102. Du Boulay, Germany, 71–74. Press, »Berlichingen«, 340–341. Görner, Raubritter, 221–223. Zmora, State, 137–138; Hitchcock, Revolt, 13–14; Köbler, Lexikon, 581. Hitchcock, Revolt, 16–18. Hitchcock, Revolt, 15, 18, 30–31. Moeller, Deutschland, 81; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 106–107, 122–124. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 263–268. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.VI, 98–102. Vgl. S. 144–147. Zum Folgenden vgl. Scholzen, Sickingen; Meyer, »Sickingen«; Birtsch, »Sickingen«. Bechtoldt, »Aspekte«; Scholzen, Sickingen, 37–49. Scholzen, Sickingen, 188–197. Press, »Sickingen«, 328. Rendenbach, Fehde, 57.Vgl. auch Scholzen, Sickingen, 198–233. Press, »Sickingen«, 329; Blickle, Reformation, 79. Carl, »Landfriedenseinung«, 486. Scholzen, Sickingen, 272–289. Grabner, Reichsregiment, 76–77. Carl, »Landfriedenseinung«, 491–492; Press, »Rosenberg«. Vgl. S. 482–488. Zmora, State, 141–142. Le Gates, »Knights«; Press, Entstehung, passim; Rabe, Geschichte, 389–391. Press, »Adel«, 356–357; Schindling, »Reichskirche«, 101–102. Press, »Adel«, 363, 365. Blickle, Reformation, 81.

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18. Der Bauernkrieg, 1525

I

m Vergleich zum Ritteraufstand galt der Bauernkrieg immer als ein radikaler und tiefgreifender Umbruch. Leopold von Ranke bezeichnete ihn als »das größte Naturereignis des deutschen Staates«, Karl Marx sprach von der »radikalste[n] Tat der deutschen Geschichte« und für Friedrich Engels war es »der größte Revolutionsversuch des deutschen Volkes«. 1 Auf dem Höhepunkt waren wohl an die 300.000 Bauern unter Waffen. Einer Schätzung in Württemberg zufolge hatten sich 60 bis 70 Prozent aller Männer im waffenfähigen Alter den Rebellen angeschlossen. 2 Die Aufstände erstreckten sich vom Elsass im Westen bis nach Tirol und Salzburg im Osten sowie von den Schweizer Alpen im Süden bis nach Thüringen im Norden. An die 100.000 Menschen wurden bis zur Wiederherstellung des Friedens getötet und das Trauma des Bauernkriegs wirkte sich auf den Verlauf der Reformation ebenso aus wie auf die Regierungspraxis in den deutschen Territorien. Aber trotz ihres viel größeren Umfangs und Einflusses hat der Bauernaufstand mit der Ritterrebellion einiges gemeinsam. Auch die Bauernbewegung war kein einzelnes Ereignis, sondern bestand aus einer Reihe von lokalen und regionalen Revolten. Sie hatte nicht nur eine Ursache, sondern entsprang aus verschiedenen lokalen und regionalen Unzufriedenheiten. Was den Aufständen (manchmal eher dem Anschein als der Wirklichkeit nach) Zusammenhang und Einheit verlieh, war die Formulierung dieser Unzufriedenheiten in einer Reihe von Artikeln, mit deren Inhalt sich die Bauern aus unterschiedlichen Regionen identifizieren konnten. Diese Artikel wiederum inspirierten diverse Zukunftsvisionen, die eine Zeit imaginierten, in der alle Kümmernisse beseitigt waren und Gottes Gesetz in der Welt herrschte. Aber die Einheit der Bewegung brach schon bald auseinander. Im Frühjahr 1525 waren die Regierenden zwar in vielen Gebieten so eingeschüchtert, dass sie Verhandlungsbereitschaft zeigten, aber nur ein paar Monate später brachen die Bauernheere eines nach dem anderen unter der Wucht der überlegenen fürstlichen Streitkräfte zusammen. Während der Ritteraufstand auf eine relativ kleine Anzahl von Mitgliedern einer einzelnen Klasse beschränkt blieb, stellte die Bauernbewegung ein nicht nur geografisch umfassenderes, sondern auch sozial breiteres Bündnis dar. In vielen Gebieten wurden die Reihen der Bauern durch gleichfalls unzufriedene Stadtbewohner vergrößert. Die Aufstände, die im Frühjahr 1525 nördlich von Frankfurt (Main) begannen und sich dann nach Westfalen und zum Niederrhein hin ausbrei-

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teten, waren anfänglich Sache der Städte und fanden bisweilen Widerhall in der ländlichen Umgebung. 3 Doch gab es nur in den Regionen, wo die größten Unruhen herrschten, eine wirkliche Verbindung zwischen Stadt und Land und in vielen dieser Regionen gab es, was nicht ganz unwichtig war, eine beträchtliche Anzahl größerer Ortschaften und Reichsstädte. In vielen dieser Städte hatte zwischen 1522 und 1524 nach etlichen öffentlichen Auseinandersetzungen die Reformation Einzug gehalten, was die Verbreitung ihrer Ideen im Umland erklären dürfte. In Thüringen, Tirol, Salzburg und der Steiermark wiederum schlossen sich den Bauern eher Bergarbeiter als arme Stadtbewohner an. 4 Die sozial Bessergestellten reagierten überwiegend negativ auf die Vorgänge. Wenn Räte in Reichsstädten wie etwa Rothenburg oder Heilbronn die Sache der Bauern unterstützten, geschah das im Wesentlichen auf Druck von unten. Vom Adel schlossen sich nur ganz wenige den Bauern an. Ansonsten versuchten die meisten Stadträte, neutral zu erscheinen, sofern sie nicht selbst, als feudale Oberherren über ländliche Territorien, zum Angriffsziel rebellischer Bauern wurden. 5 Der Vertrag, in dem sich das Erzbistum Mainz im Mai 1525 mit den Bauern verbündete, war nur der augenblicklichen militärischen Schwäche des Kurfürsten geschuldet und wurde durch die Niederlage der Bauern im Juni null und nichtig gemacht. Abgesehen von abtrünnigen Einzelgängern wie dem fränkischen Ritter Florian Geyer oder Götz von Berlichingen aus dem Odenwald, standen die meisten der wenigen Adligen, die sich für die Bauern aussprachen, unter Druck. Die aktive Beteiligung von Geyer und Berlichingen steht nicht für eine wirkliche Kontinuität zwischen Ritter- und Bauernkrieg, sondern verweist höchstens auf ein gewisses Maß an Unzufriedenheit und Unruhe unter manchen Rittern in den Jahren direkt nach 1523. Eine weitere Gruppe von Anführern, die nicht aus dem Bauernstand kamen, wird durch Beamte wie Friedrich Weygandt, Wendel Hipler und Michael Gaismair repräsentiert. Sie waren alle gebildet und standen in Diensten territorialer Verwaltungen. 1525 traten sie mit ambitionierten Vorstellungen über eine Reform des Reichs hervor. Die Tatsache, dass die Bewegung 1525 Stadt- und Landbewohner gleichermaßen erfasste, hat einige Forscher, in Sonderheit den Schweizer Historiker Peter Blickle, zu der Behauptung veranlasst, es sei angemessener, den Aufstand als »Revolution des gemeinen Mannes« zu bezeichnen. 6 Das lässt sich auf zweierlei Weise rechtfertigen. Zum einen ist in den meisten zeitgenössischen Quellen generell vom »gemeinen Mann« die Rede, nicht von »Bauern«, und damit sollten alle Aufständischen gemeint sein, nicht nur die in den ländlichen Gebieten. Zum anderen bezeichnet der Ausdruck die grundlegende Gegnerschaft zur Obrigkeit, die sich in allen Manifestationen der Bewegung finden lässt. Zugleich bleibt es jedoch wahr, dass erstens die Bauernschaft den Kern der Bewegung ausmachte und dass zwei-

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tens die allgemeine Opposition zwar für eine Neuordnung der Verhältnisse viele unterschiedliche Vorschläge hervorbrachte, diese jedoch keine massenhafte Unterstützung fanden. In den Ursprüngen der Rebellion zeigte sich die Unterschiedlichkeit ihrer regionalen Verbreitung. Sie begann in jenen Gebieten des Reichs, die durch extreme territoriale Zersplitterung gekennzeichnet waren. Anfänglich war sie dort besonders intensiv, wo die Herrschaft in den Händen niederer geistlicher Regenten lag. So waren der Schwarzwald und Oberschwaben frühe Zentren der Unruhe, während es in Bayern, den böhmischen Landen und Sachsen relativ ruhig blieb. Für die letzte Welle der Rebellion trifft dieses Muster jedoch nicht mehr zu, weil es nun auch in Salzburg und den Habsburger Landen zu Aufständen kam. Das Spektrum von Beschwerden, aus denen die Rebellion entstand, ist bereits im 11. Kapitel erörtert worden. 7 Hier lautet die entscheidende Frage, warum es gerade 1524/25 zum Ausbruch kam. Alle Ursachen hatten sich über Jahrzehnte entwickelt. Die Bundschuh-Verschwörer, die sich im Frühjahr und Sommer 1517 am Oberrhein zusammentaten, wussten nichts von Luther oder der Reformation. Doch innerhalb kürzester Zeit gewannen die von ihnen propagierten Programme durch die Rhetorik der religiösen Reform und die zentralen Dogmen der neuen Lehre an Durchschlagskraft. Die bislang vage Berufung auf ein biblisch gerechtfertigtes göttliches Recht wurde radikal umdefiniert, sobald sich dieses Recht direkt aus den Evangelien herleiten ließ. 8 Zu Beginn der 1520er Jahre kamen mehrere Faktoren zusammen, die den Gang der Dinge beschleunigten. Grundlegend war eine allgemeine Unruhe und die Erwartung wesentlicher Veränderungen in den letzten Jahren Maximilians und zu Beginn der Herrschaft Karls V. Die vage Erwartung, dass irgendetwas geschehen würde, konzentrierte sich auf das Jahr 1524. Im Februar würden sich alle Planeten im Zeichen der Fische treffen und Astrologen hatten seit 1499 prophezeit, dass eine Sintflut über die Welt hereinbrechen werde. Als die Konstellation näher rückte, änderten populäre Astrologen ihre Prophezeiung, da eine solche Flut gegen das Noah gegebene göttliche Versprechen verstoßen würde, aber sie waren weiterhin davon überzeugt, dass eine große Katastrophe eintreten werde. 1523 erschienen nicht weniger als fünfzig Druckwerke, die die Art dieser Katastrophe vorhersagten, darunter auch einige, die von einem allgemeinen Bauernaufstand sprachen. Es kann nicht überraschen, dass eine Gruppe von Rebellen im Elsass ihr Verhalten damit rechtfertigte, dass sie nur dem in den Sternen sichtbaren Willen Gottes folge. 9 Die von manchen astrologisch ausgemachte Ungewissheit und Ruhelosigkeit wurde durch die Religion noch verstärkt. Um 1523 hatte sich die evangelische Predigerbewegung über das ganze Reich ausgebreitet. Zwar unternahmen einige Territorien den Versuch, das Wormser Edikt zu vollstrecken, doch erreichte die

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neue Lehre, davon unbeeindruckt, zunächst die großen Städte und von dort aus die Dörfer. Wie die Botschaft aufgefasst wurde, ist schwer zu sagen. Einerseits dürften die komplexen Argumente der Theologie dem durchschnittlichen »gemeinen Mann« eher gleichgültig gewesen sein. Andererseits könnten manche Schlüsselbegriffe und Forderungen in den Erfahrungen der Landbevölkerung einen Widerhall gefunden haben. Luthers Einfluss auf diese Bewegungen wird häufig als begrenzt eingeschätzt. 10 Sicher verurteilte er später den Bauernaufstand mit scharfen Worten. Doch spielte seine vorherige Empfehlung, den Pastor von der Gemeinde wählen zu lassen, eine Schlüsselrolle für die Rechtfertigung von Forderungen, die viele Kommunen erhoben, um die Kontrolle über ihren Klerus zu erlangen. Auch verstärkte Luthers Kritik an der alten Kirche den antiklerikalen Impetus all jener, die sich weigerten, den Zehnten zu leisten, und die gegen ihre geistlichen Herren rebellierten. Die Kritik an der geistlichen Obrigkeit, ob in dogmatischer oder feudalherrlicher Hinsicht, führte leicht zu einer Kritik an jeglicher Obrigkeit. Leichter ist Zwinglis Einfluss festzustellen. Er sah in den Evangelien den Maßstab für die Reform des Gemeinwesens in politischer wie sozialer Hinsicht und darin den Rahmen, innerhalb dessen fast jeder Beschwerdekatalog formuliert werden konnte. 11 Außerdem lagen die zentralen Gebiete des Aufstands anfänglich im Umkreis der Züricher Reformation. Viele führende Prediger und andere Vertreter der neuen Lehre waren Schüler Zwinglis. Allerdings wäre es falsch, Zwingli nur die Beeinflussung und Luther nur die Reaktion darauf zuzuschreiben; in vielen Fällen waren beide gleichermaßen einflussreich. Der Prediger Christopher Schappeler aus Memmingen, der entscheidend an der Formulierung der Zwölf Artikel, des Manifests der Bauern, beteiligt war und die Einleitung dazu schrieb, war ein Freund Zwinglis, aber auch nachhaltig von Luther beeinflusst. Zudem verurteilte Zwingli den Aufstand nicht weniger scharf als Luther oder Melanchthon. 12 So wichtig wie die religiösen Vernetzungen war ein älteres politisches Netzwerk regionaler und lokaler Provenienz, in dem die Idee, »schweizerisch zu werden«, in den Zeiten von Rebellion und Unruhe während der vorangegangenen 50 Jahre ein immer wiederkehrendes Thema gewesen war. 13 1525 schlossen sich Bauern nördlich und südlich vom Bodensee unter diesem Motto zusammen. Für die Landbevölkerung im Norden, also im Schwarzwald und Elsass, in Schwaben und Württemberg wurden Schlagworte wie »gut schweizerisch sein und Gemeinsinn bewahren« von allen verstanden. 14 Die Dynamik der Bewegung im südwestlichen Reich wurde nicht unwesentlich vom Beispiel der Schweizer inspiriert und diese Begeisterung griff wiederum nach Franken und Thüringen über. Der Aufstand begann mit einer Reihe unzusammenhängender lokaler Proteste, die so verschiedene Ursachen wie auch Ziele hatten. 1523 hatten evangelische Predigten in den Bistümern Bamberg und Speyer offensichtlich zur Weigerung

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geführt, den Zehnten zu entrichten.Weitere Bestreikungen des Zehnten folgten im nächsten Jahr in ganz Oberdeutschland, bisweilen von der Weigerung begleitet, auch gewöhnliche Feudalabgaben zu zahlen. Andere Gemeinden forderten das Recht auf Wahl des eigenen Pastors. Ende Mai 1524 rebellierten die Einwohner von Forchheim bei Nürnberg gegen ihre Ausbeutung durch den Bischof von Bamberg, oder besser gesagt: durch seinen Propst, ihren tatsächlichen Oberherrn. Sie forderten nicht nur, frei fischen und jagen zu dürfen, sondern auch die Abschaffung der »Weihesteuer« (die zwischen 1501 und 1522 viermal erhoben worden war), die Beschränkung der Zuständigkeit geistlicher Gerichte für zivile Angelegenheiten und die Reduzierung des Zehnten lediglich auf ein Dreißigstel des Ertrags an Getreide. Die Unruhen wurden im Keim erstickt, als der Bischof eine Streitmacht zur Besetzung der Stadt entsandte. 15 Im Juli 1524 gab es Unruhen im Thurgau. Sie waren direkter mit religiösen Ereignissen verbunden, weil sie aus Massenversammlungen entstanden, bei denen zwinglianisch inspirierte Predigten gehalten wurden. Höhepunkt der Ausschreitungen war die Zerstörung des Kartäuserklosters von Ittingen. 16 Dessen Leitung war auch in den folgenden Monaten sporadisch aufflackernden Unruhen ausgesetzt, wobei die Furcht noch dadurch intensiviert wurde, dass es seit Ende Mai im Südschwarzwald ebenfalls zu Bauernprotesten kam. Den Unruhen bei Staufen und unter den Bauern von Hauenstein, das zur Abtei Sankt Blasien gehörte, folgte Ende Juni eine Erhebung in der Grafschaft Stühlingen. Ausgelöst wurde die Auseinandersetzung durch eine unvernünftige Forderung der Gräfin von Lupfen, die mitten in der Erntezeit von ihren Bauern verlangte, sie sollten Schneckenhäuser sammeln, um die sie ihre Wolle wickeln könne. Dieses empörende Verlangen führte zu einem Ausbruch an Klagen, die sich über viele Jahre angestaut hatten. Es wurde daraus ein Katalog mit 62 Beschwerden erstellt, der zunächst als einigendes Band für die Streitmacht diente, die sich nun bildete, dann stellte er die Grundlage für Verhandlungen mit den Oberherren und dem Schwäbischen Bund dar und wurde schließlich zur Entscheidung ans Reichskammergericht geschickt. Der Stühlinger Streit unterschied sich von vorangegangenen Unruhen darin, dass sich die Bauern nun zu einer bewaffneten Truppe, einem »Haufen«, formierten. Sie gaben sich eine Fahne, wählten Hauptleute und einen Befehlshaber: Hans Müller aus Bulgenbach, ein ehemaliger Landsknecht, der in Frankreich militärische Erfahrung gewonnen hatte. Müller führte die Bauern auch zur nahe gelegenen Stadt Waldshut, wo der evangelische Prediger Balthasar Hubmaier die Opposition gegen die Habsburger Oberherren leitete. Schon bald waren die Bauern in fast der gesamten, aus stark fragmentierten Territorien bestehenden Region, in der jedes zweite oder dritte Dorf zu einer anderen Jurisdiktion gehörte, im organisierten Aufstand oder zumindest in Auseinandersetzung mit ihrer Herrschaft begriffen.

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Die allgemeine Unordnung wirkte so gewaltig, dass die Regierenden nicht einzugreifen wagten, umso mehr, als Habsburg im Augenblick ganz mit dem Kampf gegen Frankreich in Italien beschäftigt war. Noch gefährlicher erschien die Lage dadurch, dass Streitkräfte von außen in das Geschehen einbezogen waren. Ein Trupp von Freiwilligen aus Zürich nahte, um die Rebellen von Waldshut zu unterstützen. Bedrohlich war auch, dass Herzog Ulrich von Württemberg, ein alter Verbündeter des Königs von Frankreich, entschlossen schien, die Bauernunruhen zu nutzen, um sich sein Territorium von den Habsburgern zurückzuholen. Unterstützt von französischen Geldern ließ sich Ulrich auf der Festung Hohentwiel bei Singen im Hegau nieder und erklärte sich dann zum Anhänger der evangelischen Sache. Er verkündete, dass er alle Klöster in seinen Landen auflösen und das Einkommen dazu verwenden werde, die Bauern von ihren feudalen Verpflichtungen zu befreien. Seine Appelle an die Führer der Bauern im Hegau unterschrieb er mit »Utz Bur« (Ulrich der Bauer). Allerdings erinnerte man sich in der Bevölkerung nur noch allzu gut an Herzog Ulrichs brutale Unterdrückung des Aufstands, den 1514 der Arme Konrad wagte. Die Bauern ließen sich von seinem augenscheinlichen Sinneswandel nicht täuschen, profitierten aber dennoch von seiner Haltung. Als einzige Lösung schienen sich Verhandlungen anzubieten. Sie resultierten in einer Reihe von Übereinkommen, in denen die Bauern zusicherten, ihre Truppen aufzulösen, wenn es zu einer fairen rechtlichen Anhörung ihrer Beschwerden käme. Aber der Burgfrieden währte nicht lange. Als den Bauern klar wurde, dass sie düpiert worden waren, kam es zu erneuten Unruhen und erneuten Verhandlungen. Diesmal kapitulierten die Herrschenden. Gegen Ende des Jahres war die Lage im Wesentlichen wieder ruhig, weil die Bauernschaft ihre Ziele mehr oder weniger erreicht hatte. Sie blieben friedlich, solange die Regierenden das Abkommen, die Beschwerden rechtlich zu würdigen, einzuhalten schienen. So waren die Bauern nicht bereit, Herzog Ulrich zu unterstützen, als er Ende Februar 1525 den Versuch unternahm, mit einem Heer Schweizer Landsknechte auf seine ehemalige Residenzstadt Stuttgart zu marschieren. Die Kampagne fand ein schnelles Ende, als die Landsknechte nach der Niederlage Frankreichs in der Schlacht von Pavia (wo es beträchtliche Schweizer Verluste gab) eilends heimgerufen wurden. Nun war der Weg frei für eine Gegenoffensive und der Schwäbische Bund unter Georg Truchsess von Waldburg machte gegen die Bauern mobil. Die Unruhen in Stühlingen und den benachbarten Gebieten – Klettgau, Baar, Hegau und Breisgau – bestanden im Wesentlichen aus einer Reihe vereinzelter Proteste. Gewalt wurde angedroht, doch waren Vorkommnisse wie die Plünderung des südlich von Freiburg gelegenen Klosters Sankt Trudpert im Dezember 1524 eher selten. Im Übrigen handelte es sich vorwiegend um Proteste gegen feudale

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Herrschaft und die Bauern forderten die Wiederherstellung der »alten Gesetze«, die von den Herrschenden usurpiert worden seien. Erst nach einigen Monaten, im November und Dezember, begannen die Bauern, ihre Proteste unter Berufung auf die Evangelien zu rechtfertigen. 17 Zudem hörten die Proteste vor Weihnachten auf, was einige Forscher dazu veranlasste, sie nicht zur »Revolution von 1525« zu rechnen. 18 Doch gab es wichtige Verbindungen. Die Unruhen von 1524 sandten starke Signale an die umliegenden Regionen aus, ganz besonders von Schwaben nach Osten zu, wo die nächste Serie von Aufständen ihren Ursprung hatte. Es scheint auch gesichert, dass Thomas Müntzer sich gegen Ende des Jahres 1524 im Klettgau und im Hegau aufhielt. Er übte auf die Ereignisse dort keinen Einfluss aus, aber seine Kontakte zu den Bauernführern und den evangelischen Predigern, darunter Balthasar Hubmaier, scheinen ihn davon überzeugt zu haben, dass ihr Aufbegehren das Vorspiel zum gewaltsamen Weltende darstellte. Diese folgenreiche Einsicht nahm er im Februar 1525 mit nach Mühlhausen und sie prägte seine Strategie im blutigen Thüringer Aufstand der folgenden Monate. 19 Die zweite Phase der Unruhen brachte gebündeltere Aktionsformen und ein Programm hervor, das über die einfache Auflistung lokaler Beschwerden hinausging. Der regionale Schwerpunkt lag in Oberschwaben, ebenfalls ein Gebiet mit starker territorialer Zersplitterung, einer Anzahl bekannter Klöster und einer langen Tradition des Konflikts zwischen Bauernschaft und Herrschaft. Im Dezember 1524 gab es erste Unruhen in Baltringen, die schnell zur Bildung bewaffneter Haufen in verschiedenen Teilen der umgebenden Gebiete führten. Im Februar 1525 gab es drei davon: den »Allgäuer Haufen« aus den Landen der Abtei von Kempten, den »Baltringer Haufen« aus Baltringen bei Ulm und den »Seehaufen« aus Rappertsweiler am Nordufer des Bodensees. In Unterschwaben und Leipheim hatten sich noch zwei kleinere Haufen formiert. Insgesamt waren 40.000 Mann mobilisiert worden. Was diese Trupps von den Protestbewegungen der Schwarzwaldregion des Vorjahrs unterschied, war ihre Absicht, ein stärkeres Bündnis zu bilden. Der Allgäuer Haufen war der erste, der sich als »Christliche Vereinigung« bezeichnete. Sie strebte nach Gerechtigkeit gemäß dem in der Bibel niedergelegten göttlichen Recht. Schon bald schlossen sich dem auch der Seehaufen sowie der Baltringer Haufen an und Anfang März 1525 trafen sich 50 Vertreter der drei Verbände in Memmingen, um sich eine Bundesordnung und ein Programm zu geben. Dass die Wahl auf Memmingen fiel, verdankte sich nicht nur geografischen Erwägungen. Die kleine Reichsstadt hatte gerade in einem heftigen Konflikt mit dem Bischof von Augsburg über die Einführung der neuen Lehre die Oberhand gewonnen. 20 Angesichts des von den Gilden ausgehenden Drucks, aber zum Teil auch aus Überzeugung, hatte der Rat den evangelischen Reformer Christoph Schappeler gegen den Versuch des Bischofs, ihn zu bannen, in Schutz genommen.

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Ende 1524 war die Stadt fast gänzlich reformiert worden, wobei dieser Vorgang von Schappelers Predigten geleitet und von den Gilden wie von den in Diensten der Stadt stehenden Bauern, die im Lauf des Jahres die Abgabe des Zehnten eingestellt hatten, begeistert begrüßt wurde. Der Rat hörte, nicht ganz freiwillig, aber relativ gnädig, die Beschwerden der Bauern an, was ihm den Ruf eintrug, ihrem Anliegen geneigt zu sein. So fasste sich der Anführer des Baltringer Haufens ein Herz, betrat die Stadt und bat um die Hilfe eines der führenden Laienaktivisten, des Kürschners Sebastian Lotzer. Er solle der »militärische Sekretär« der Bauern sein. So wurde aus den zahlreichen lokalen Beschwerdelisten ein einziges Dokument, das mit der evangelischen Sache fest verbunden war: die Zwölf Artikel. Deren religiöse Grundierung war von Luther ebenso stark beeinflusst wie von Zwingli. 21 Sie erklärten zunächst, dass alle Gemeinden das Recht haben sollten, ihren Pastor selbst zu ernennen und zu entlassen. Ferner sollte der Zehnte zur Unterstützung der Geistlichkeit nicht mehr als eine Steuer auf Getreide und ähnliche Feldfrüchte sein. Die Leibeigenschaft sei abzuschaffen, denn Christi Opfer hatte allen Menschen die Freiheit gegeben. Allerdings würden sich die Bauern gesetzlicher Obrigkeit gehorsam unterordnen. Alle müssten das Recht haben, zu jagen und zu fischen und in den im Allgemeinbesitz befindlichen Wäldern Holz zu sammeln. Arbeitsdienste müssten in Übereinstimmung mit Gottes Wort, mit Brauchtum und den ursprünglichen Besitzrechten sowie mit dem Wert des vom Bauern gepachteten Landes abgemildert werden. Das tradierte Recht sollte die Gerichte zu einer milderen Strafzumessung veranlassen, weil durch die neuen Satzungen (also das römische Recht) die Urteile hart und willkürlich geworden seien. Enteignete Allmenden sollten wieder in den Besitz der Gemeinschaft kommen. Der »Todfall« (eine Art Erbschaftssteuer) sollte abgeschafft werden, denn er belaste die Erben und führe häufig zu deren Enteignung. Schließlich wurde erklärt, dass jeder Artikel, der erwiesenermaßen dem Wort Gottes widerspreche, zurückgezogen werde; es könnte aber auch zu Hinzufügungen kommen, wenn sich aus den Evangelien weitere Punkte ergäben. 22 Die meisten der in den Zwölf Artikeln erhobenen Forderungen waren nicht neu, dennoch wirkten sie in dieser Zusammenstellung radikal und gewannen an Schärfe durch den Bezug auf die Bibel. Die Bauern erklärten, nicht zum Mittel der Gewalt greifen zu wollen, weil die Evangelien Frieden, Liebe, Einigkeit und Geduld lehrten, doch verliehen sie ihren Forderungen den Ton der Absolutheit, weil sie darauf bestanden, das ländliche Leben am Wort Gottes auszurichten. Die Forderung nach Aufhebung der Leibeigenschaft lief im Endeffekt auf die Abschaffung jeglicher Obrigkeit hinaus, denn in den Gebieten extremer territorialer Zersplitterung war die Leibeigenschaft zu einem der Hauptinstrumente von Herrschaft und Regierung geworden. Die einfache und direkte Sprache machte die Zwölf Artikel äußerst populär. Binnen zweier Monate wurden 25 Auflagen mit insgesamt wohl

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25.000 Exemplaren gedruckt. 23 Es war schon bald die wichtigste Schrift der Bauernbewegung, das Manifest ihrer Klagen und Forderungen, das Dokument, bei dem Eide geleistet und Treuschwüre bekräftigt wurden. Während die Zwölf Artikel die Bauern zu einem Bündnis schmiedeten, schüchterten sie die Gegner ein. Obwohl der Schwäbische Bund unter dem Kommando von Georg Truchsess von Waldburg anfänglich erfolgreich gegen den Baltringer und den Leipheimer Haufen vorgehen konnte, waren die 12.000 Mann des Seehaufens nicht zu bezwingen. So kam es zum Vertrag von Weingarten, der am 17. April 1525, am Ostermontag, geschlossen wurde. Den Bauern wurde ein Schiedsgericht zugesagt, das über ihre Klagen und Forderungen urteilen sollte. Die Bauern wiederum erklärten sich zur Auflösung ihrer Truppen und zur Erneuerung ihres Treueeids gegenüber der Herrschaft bereit und die meisten Mitglieder des Seehaufens kamen diesen Bestimmungen auch nach. Der Baltringer Haufen war durch den Schwäbischen Bund fast völlig aufgerieben worden, aber der Kern des Allgäuer Haufens entschloss sich, mit den Überresten der Baltringer und radikalen Elementen des Seehaufens weiterzumachen. Der Funke sprang über. Es gab erneute Unruhen in der Schwarzwaldregion, im Elsass flammte Protest auf, dann kam es zu ersten Gewaltausbrüchen in Franken, Württemberg, dem Rheingau und schließlich in Thüringen. Das Zentrum dieser neuen Welle von Aufruhr war Franken, wo ein gewalttätiger Aufstand gerade losbrach, als der Vertrag von Weingarten Oberschwaben den Frieden brachte. Die oberschwäbischen Bauern hatten die gütliche Einigung mit der Herrschaft gesucht, während die fränkischen Haufen aus dem Taubertal und dem Odenwald ihr den Krieg erklärten. Als sie am 16. April die Festung Weinsberg eroberten, massakrierten sie den Obervogt Graf Ludwig von Helfenstein und seine Ritter. 24 Diese Bluttat blieb jedoch eine Ausnahme; zumeist begnügten sich die Odenwälder Bauern, angeführt von Götz von Berlichingen und dem Verwaltungsbeamten Wendel Hipler aus Hohenlohe, damit, die Adligen auf die Zwölf Artikel den Schwur leisten zu lassen. Nur der Taubertaler Haufen unter Florian Geyer blieb bei dem Vorhaben, die Burgen und Klöster zu zerstören. Kurzfristig schien es der fränkischen Bauernbewegung möglich, eine grundlegende politische Reform zu bewirken. Berlichingens Taktik, Adel, Ortschaften und Städte durch Überredungskunst (nebst kaum verhüllter Gewaltandrohung) dazu zu bewegen, sich der Sache der Bauern anzuschließen, war offenkundig erfolgreich. Mithilfe der Amorbacher Erklärung, einer verwässerten Version der Zwölf Artikel, gelang es ihm sogar, den Kurfürsten von Mainz zur Akzeptanz zu zwingen. Weitere Aufstände in Frankfurt (Main), Bamberg und Würzburg, nach Norden zu in Thüringen und südwärts in den Schweizer Kantonen zeigten, wie lebendig die Bewegung war. Unterdessen arbeitete Hipler in Heilbronn Pläne für ein Bauernparlament und für eine allgemei-

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ne »Reformation« aus, vielleicht anhand von Friedrich Weygandts Ideen zu einer systematischen Reichsreform. 25 Der Thüringer Aufstand nahm schon bald einen explizit chiliastischen Charakter an, während die grundlegenden Klagen und Forderungen die nämlichen wie die der Aufständischen in den anderen Gebieten waren. 26 Ab Mitte April 1525 schwappte eine Welle der Gewalt gegen Burgen und Klöster durch die Region. Wie in anderen Gebieten schlossen sich auch hier einige unabhängige Adlige der »Christlichen Vereinigung« an, was ihnen vorteilhafter erschien, als den Herzog von Sachsen um Schutz zu bitten. Die Bergarbeiter von Mansfeld blieben friedlich, weil ihnen der Graf von Mansfeld, taktisch geschickt, einen höheren Lohn versprochen hatte. Der relativ unzusammenhängenden ländlichen Bewegung gaben die Pläne von Heinrich Pfeiffer und Thomas Müntzer eine neue Dimension. 27 Im Februar und März hatten sie einen Feldzug gegen den Stadtrat von Mühlhausen geführt, ihn gestürzt und durch einen »Ewigen Rat« ersetzt, der ihrem eigenen radikal-religiösen Programm günstig gesinnt war. Danach setzten sie ihren Kreuzzug außerhalb von Mühlhausen fort. Vor allem Müntzer war entschlossen, die anderenorts gemachten Fehler nicht zu wiederholen. In seinem Aufruf an die Bewohner von Allstedt Ende April drängte er sie, sich für den Endkampf zusammenzuscharen. Sie sollten verführerische Verträge und falsche Ratgeber meiden. Solange noch die Tyrannen herrschten, konnte von Gott keine Rede sein. Der neue Bund müsse erstehen, um sie zu vernichten. 28 Schließlich aber wurde das »Bauernparlament« ebenso von der schnellen Erholung der Obrigkeit überrollt wie Müntzers neuer Bund. Am 12. Mai schlug Georg Truchsess von Waldburg die Württemberger Bauern bei Böblingen und zehn Tage später besiegte der Herzog von Lothringen die Elsässer Bauern bei Zabern. Am 15. Mai brachten Philipp von Hessen und der Herzog von Sachsen mit vereinten Kräften Thomas Müntzer und den Thüringer Bauern bei Frankenhausen die entscheidende Niederlage bei. Über 5.000 Bauern wurden hingemetzelt, 600 gefangen genommen. Müntzer selbst geriet nach der Schlacht in Gefangenschaft, wurde an den Grafen von Mansfeld ausgeliefert, gefoltert und am 27. Mai in Mühlhausen enthauptet. Mitte Juli war die Ordnung im Reich im Großen und Ganzen wiederhergestellt. Nur in den Habsburger Landen kam es noch zu einer letzten Welle von Erhebungen. Die Aufstände begannen im Mai 1525 in Tirol unter Führung von Michael Gaismair, Sekretär und Steuereintreiber des Bischofs von Brixen. Sie breiteten sich dann südwärts nach Trient und nordwärts nach Innsbruck aus. 29 Ein von Bauern und Städtern einberufener »Landtag«, der Ende Mai in Meran stattfand, stellte 64 Artikel zusammen. Als Erzherzog Ferdinand versuchte, die Sache zu hintertreiben, indem er einen förmlichen Landtag nach Innsbruck zusammenrief, wuchs die Anzahl der Artikel auf 96. Als aber die Koalition der Unzufriedenen immer größer

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wurde und auch Bergarbeiter sowie ländliche und städtische Tagelöhner, dazu noch vermögende Bauern, aufnahm, ging die Bewegung an ihren eigenen inneren Widersprüchen zugrunde. Zudem wurde die Opposition zeitweise durch die Veröffentlichung einer Landesordnung für die Grafschaft Tirol, mit der den Klagen und Beschwerden Rechnung getragen werden sollte, zum Schweigen gebracht. Gaismair konnte zwar aus dem Gefängnis entkommen und im Frühjahr 1526 mit einem neuen, radikaleren Entwurf für eine Landesordnung zurückkehren, doch war damit der Geist der Tiroler Revolte nicht wiederzubeleben und er musste im Juli nach Venedig fliehen. 30 Trotz all seiner Bemühungen ließen sich die zeitgleichen Aufstände in Tirol, Salzburg, Brixen, Trient, Graubünden und Chur nicht zu einer Revolution der Alpenregionen bündeln. Wie die Erhebungen in anderen Teilen des Reichs blieben die Aufstände in der Schweiz und Österreich lokal begrenzt. Allerdings schien Gaismair, im Gegensatz zu anderen Anführern, der Vergeltung entkommen zu können. Nach einem Jahr in venezianischen Diensten konnte er sich auf sein Landgut bei Pavia zurückziehen, wo er an Plänen für ein gegen Habsburg gerichtetes Bündnis zwischen Schweizer und deutschen Protestanten arbeitete. 1532 jedoch wurde er umgebracht, wahrscheinlich von spanischen Mördern im Sold Habsburgs. Ausmaß und Umfang der Unruhen, die zwischen 1524 und 1526 durch die südlichen und mittleren Gebiete des Reichs fegten, trafen die Herrschenden überall unvorbereitet. Eine Zeit lang wirkten die Aufstände so überwältigend, dass es sinnlos erschien, ihnen zu widerstehen. Doch hatte man sich von der Überraschung erholt und die Kräfte gesammelt, wurden die Bauern überall vernichtend geschlagen, und das geschah mit einer Geschwindigkeit, die Fragen über die Ziele der Rebellen, ihre Organisation und Taktik und schließlich über den Einfluss ihrer Rebellion auf die deutsche Gesellschaft aufwirft. Das grundlegende Ziel, das die meisten Rebellen verfolgten, war die Beseitigung sozialer und wirtschaftlicher Missstände. Eine Analyse von 54 oberschwäbischen Beschwerdelisten mit etwa 550 verschiedenen Punkten zeigt, womit die Landbevölkerung damals unzufrieden war. 31 90 Prozent aller Beschwerdelisten bezogen sich auf die Leibeigenschaft und 70 Prozent aller Gemeinden forderten ihre völlige Abschaffung; 81 Prozent aller Beschwerdelisten bezogen sich auf kommunale Rechte bezüglich Jagd, Fischfang, Holzsammeln und die Nutzung von Allmenden; 83 Prozent waren Klagen über die materiellen Lasten, die das System der Grundherrschaft den Bauern auferlegte. Und schließlich richteten sich 67 Prozent der Proteste gegen den herrschaftlichen Missbrauch der Gerichte und Rechtsprozesse. In über 40 Prozent der Listen findet sich die Forderung nach Abschaffung oder Minderung des Zehnten, während nur in 13 Prozent das Recht auf Wahl des Pastors eine Rolle spielt. Anders gesagt: Die Reformationsthemen wurden während der Diskussionen, die zur Formulierung der Zwölf Artikel führten, einge-

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bracht, also nach der Formierung der kriegerischen Haufen und als diese Haufen eine regionale Vereinigung zu bilden und ein allgemeines Programm zu formulieren begannen. Dabei spielten die »militärischen Sekretäre« eine entscheidende Rolle, denn sie waren Städter und in manchen Fällen sogar Geistliche, die die Bauernbewegung mit jenen evangelischen Themen bekannt machten, die erst vor Kurzem in ihren eigenen Gemeinden für Aufruhr gesorgt hatten. Von Anfang an beeindruckten die Haufen der Bauern die Zeitgenossen durch ihre Ordnung und Disziplin. Als die Stühlinger Bauern gegen Waldshut marschierten, hatten sie eine Fahne, Pfeifer und Trommler, eine Feldordnung sowie gewählte Hauptleute und Kommandanten. Diese frühen Truppen entstammten einer Vielzahl unterschiedlicher Traditionen wie etwa dem Bundschuh (wobei das Symbol 1525 nur im Schwarzwald auftauchte) oder den Milizen, bei denen Männer die Pflicht hatten, ihre Heimat zu verteidigen, indem sie sich Piken, Kurzschwerter und Lederwamse besorgten und sich regelmäßig stattfindenden Musterungen unterzogen. 32 Vor allem aber übernahmen sie die Organisationsformen der Söldnerheere, in denen die Kommandanten ihre militärischen Erfahrungen gesammelt hatten und in dessen Hauptrekrutierungsgebieten die Aufstände von 1524 und 1525 losbrachen. 33 Im Frühjahr 1525 kam jedoch noch eine weitere wichtige Dimension hinzu. Die Bildung »Christlicher Vereinigungen« schien auf das Entstehen neuer konstitutioneller Formen hinzudeuten. Wie weit diese Vereinigungen tatsächlich über die militärische Koordination der unterschiedlichen Haufen hinausgingen, ist schwer zu sagen. Sie waren zu kurzlebig, als dass sich erkennen ließe, ob eine lebensfähige politische Organisation oder gar ein neues Verfassungssystem daraus hätte entstehen können. Die häufige Verwendung des Begriffs Landschaft in Verbindung mit Christlicher Vereinigung deutet zumindest ein gewisses Streben nach politischer Organisation an. Seinem damaligen Gebrauch nach konnte sich der Begriff entweder auf einen territorialen Landtag und die darin vertretenen Stände oder auf die Bewohner einer Region allgemein beziehen. Für die Bauern von 1525 war er umfassender und bezog sich auf die ganze in einer Christlichen Vereinigung organisierte Bevölkerung einer Region, wobei häufig Geistliche und Adlige, die bereit waren, den Eid auf die Zwölf Artikel abzulegen, explizit einbezogen wurden. Die Gemeinden stellten die Männer für den Haufen und dieser wiederum wählte nicht nur die Offiziere, sondern auch die Vertreter für die Landschaft. Zwei Hauptformen politischer Organisation wurden ins Auge gefasst. In Gebieten, in denen eine einzelne territoriale Regierung herrschte (wie etwa in Baden, Württemberg, Bamberg, Würzburg, Salzburg und Tirol) war die Landschaft eine Art Landtag, der in Verbindung mit oder (wie in Salzburg, Baden und Württemberg) anstelle des gerade herrschenden Fürsten regierte. In Gebieten wie Oberschwaben und dem Elsass, in denen es eine Vielzahl zersplitterter Herrschafts-

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gebiete gab, sollte die Landschaft ein Bund sein, der sich auf einen Eid vergleichbar dem Schweizer »Rütlischwur« gründete. Beide Formen machten die Gemeinde zur Grundlage der politischen Gesellschaft und das Wort Gottes zum einzigen Maßstab von Gesetz und rechtmäßiger Obrigkeit. 34 Allerdings fand die explizite Berufung auf die Evangelien häufiger in Gebieten größerer territorialer Zersplitterung statt. In den einheitlicheren Territorien konnte die Forderung nach einer wirklichen Landschaft im Hinblick auf die Rückkehr zum »alten Recht« (das heißt zu einem unterstellten ursprünglichen Zustand, der mit Gottes Wort in Einklang gestanden hatte) formuliert werden. 35 Jedoch wurden die politischen oder konstitutionellen Pläne, die aus der militanten Bauernbewegung erwuchsen, nicht systematisch umgesetzt. Ein Grund dafür liegt in der frühen Niederlage, ein weiterer darin, dass die Bewegung eher gemäßigt bis konservativ war. Die Bauern betonten zu jeder Gelegenheit ihre unerschütterliche Treue zum Monarchen. Ihre organisatorischen Pläne stellten die existierenden territorialen Ordnungen nicht grundsätzlich infrage, aber sie hatten radikale Ansichten über die Legitimität der jeweils ausgeübten Macht. Sie verfolgten nicht das Ziel, die Herrschenden zu beseitigen, sondern wollten sicherstellen, dass sie, wenn sie weiterregierten, dies im Einklang mit Gottes Gesetz taten. Viele Aufständische hegten die Hoffnung, dass die alten Obrigkeiten doch noch »christlich« werden und ihre Untertanen »brüderlich« regieren würden. 36 Wurde ihnen ein Schiedsgericht zur Berücksichtigung ihrer Klagen zugesichert, waren die Haufen bereit, von weiteren Aktionen abzusehen oder gar sich aufzulösen. Erst als diese Bereitschaft wiederholt zynisch ausgenutzt worden war, griff ein wirklicher Radikalismus um sich. Da war es allerdings schon fast zu spät. Zwar hatte Thomas Müntzer schon vor dem Bauernkrieg entschieden, dass Fürsten und Stadträte davongejagt werden müssten, doch andere zogen diesen Schluss erst, nachdem die anfängliche Gewalt nicht bewirkt hatte, dass man sich ihrer Klagen annahm. Die vielleicht radikalste Flugschrift des Bauernkriegs, An die Versammlung gemeiner Bauernschaft, wurde geschrieben, als die Haufen bereits am Rand der Niederlage standen. Sie erschien in Nürnberg nur wenige Tage nach den Schlachten von Böblingen, Zabern und Frankenhausen. 37 Der Autor war wahrscheinlich in Memmingen bei der Gründung der schwäbischen Christlichen Vereinigung dabei gewesen. Seine Schrift zeigt, dass er jegliche Hoffnung auf eine zufriedenstellende Übereinkunft mit den Obrigkeiten aufgegeben hatte. Er führte historische und biblische Begründungen dafür an, dass es Recht und Pflicht des gemeinen Mannes sei, sich unchristlicher Herrscher zu entledigen. Um zukünftiger Generationen willen sollten alle Tyrannen hinweggefegt und durch eine modifizierte Version der Eidgenossenschaft ersetzt werden: Bauern sollten in freien Gemeinden neben Feudalherren und städtischen Gemeinschaften leben, ohne Fürsten als Regenten, aber

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unter dem Monarchen als feudalem Oberherrn. Die Forderung, unchristliche Herrscher abzusetzen, erhebt auch Balthasar Hubmaier in seinem Verfassungsentwurf vom Mai 1525, jedoch meint er, dass danach neue Herrscher, die nicht unbedingt aus dem Adel stammen müssen, gewählt werden sollten. 38 Es fällt ins Auge, dass selbst diese radikalen Pläne weiterhin das Reich als umgreifende Struktur für das politische Gemeinwesen der Zukunft sehen. Inwieweit sich darin eine echte Loyalität gegenüber dem Monarchen oder dem Reich spiegelt, ist unklar. Der einzige Plan für eine Reichsreform, der 1525 ausgearbeitet wurde, stammte von Friedrich Weygandt, dem Amtmann von Mainz in Miltenberg. 39 Er sah eine stärker in das Reich einbezogene Monarchie mit einem umfassenden Rechtssystem und einer standardisierten Währung vor, aber Weygandt gehörte nicht zur Bauernbewegung. Er schloss sich ihr nicht an und teilte seine Pläne nur Wendel Hipler, dem Anführer des Neckartaler-Odenwälder Haufens, mit. Aber weder die Haufen noch ihre Anführer waren an einem einheitlichen und zentralisierten Nationalstaat sonderlich interessiert. Die Bauernheere im Elsass zum Beispiel bekundeten häufig, dass sie nur dem Monarchen zu Diensten sein wollten, doch trug lediglich eine von ihren 20 Fahnen das Symbol des Reichsadlers. 40 Für die meisten Gruppen stellte der Verbleib im Reich einfach eine geografische Realität dar, ein Grund, weshalb der Anschluss an die Schweiz für die Thüringer, Franken und Schwaben keine Option war. Im Gegensatz dazu waren die Bauern im Hegau und im Sundgau, in benachbarten Gebiete der Schweiz, bereit, sich unter den Schutz der Eidgenossenschaft zu stellen, womit sie das Reich verlassen hätten. 41 Michael Gaismairs zweiter Entwurf für eine Tiroler Verfassung enthielt eines der radikalsten Reformprogramme überhaupt. 42 Sein erster Entwurf vom Mai 1525 sah die Abschaffung der Feudalabgaben, aller Klöster und geistlichen Stiftungen sowie die Beschränkung adligen Besitzes auf ein Gut und die Einbindung des Adels in die Gemeinden vor. Der Staat selbst wäre im Wesentlichen ein Ensemble weitgehend autonomer Kommunen unter dem Fürsten und würde durch Gewinne aus der Hälfte des Zehnten finanziert. Das Scheitern des ersten Aufstands machte den Reformer zum Revolutionär. Als er im Frühjahr 1526 nach Tirol zurückkehrte, um einen neuen Aufstand zu organisieren, brachte er den skizzenhaften Entwurf einer gänzlich neuen Gesellschaft mit, die auf dem reinen Wort Gottes und dem gemeinsamen Gut beruhte. Vom Fürsten war nun nicht mehr die Rede. Alle Adelsgüter sollten aufgelöst, alle Burgen, Festungen und sogar Stadtmauern geschleift werden. Alle Menschen waren gleich. Feudalabgaben wurden abgeschafft und der Zehnte nur dafür verwendet, die Geistlichen zu bezahlen und die Armen zu unterstützen. Der Regierung in Brixen würden gewählte Vertreter aus allen Landesteilen angehören. Die Christlichkeit der Herrschaft sollte durch die Beteiligung von drei Theologen der theologischen Hochschule, der einzigen Universität dieser Republik, gewährleistet werden.

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Gaismairs Pläne wurden ebenso wenig Wirklichkeit wie Müntzers Vision des blutigen Vorspiels zum Triumph der Auserwählten über alle Tyrannen und Unterdrücker. Die Niederlage der Bauernheere machte sie überflüssig. Die Gründe für den Zusammenbruch der Bauernbewegung müssen auf verschiedenen Ebenen gesucht werden. Militärisch gesehen, waren die Bauern letztlich kein ernsthafter Gegner für den Schwäbischen Bund, den Herzog von Lothringen, Philipp von Hessen und ihre Verbündeten. Zwar waren die Bauernheere häufig sehr zahlreich: An die 20.000 Mann standen Georg Truchsess von Waldburg bei Weingarten gegenüber und in Zabern hatten sich gut 18.000 versammelt. Viele ihrer Mitglieder hatten militärische Erfahrung und sie besaßen fähige und charismatische Führer wie Hans Müller von Bulgenbach im Schwarzwald, Florian Geyer in Franken, Erasmus Gerber im Elsass und Michael Gaismair in Tirol. Aber sie hatten so gut wie keine Kavallerie und nur wenige Feuerwaffen. Keines der Zentren der Rebellenorganisation wie Memmingen oder Heilbronn taugte zur Hauptstadt oder konnte wirksam befestigt werden. Zudem standen dem Erfolg der Bauern ihre Bereitwilligkeit zu Verhandlungen und ihre im Wesentlichen defensive Zielvorstellung im Weg. Im Frühjahr 1525 wirkte die Gefahr, die von den Aufständischen drohte, umso größer, als der Schwäbische Bund relativ handlungsunfähig war, weil die deutschen Landsknechte in Italien engagiert waren. 43 Im Januar gab es deshalb im Süden des Reichs einen veritablen Söldnermangel. Doch ein paar Wochen nach der Schlacht von Pavia am 24. April war das Angebot wieder ausreichend und Georg Truchsess von Waldburg konnte mit dem Geld, das Mitglieder des Schwäbischen Bundes, vor allem Bayern, beigesteuert und die Fugger geliehen hatten, eine schlagkräftige Streitmacht auf die Beine stellen. Einige Landsknechte schlossen sich den Bauern an und Waldburg hatte anfänglich Schwierigkeiten, die von ihm angeheuerten Söldner zum Kampf gegen Bauern zu bewegen, aber schließlich trugen die Heere des Bundes und seiner Verbündeten den Sieg davon, weil sie besser ausgerüstet, besser finanziert und besser taktisch eingestellt waren. Spätestens im Sommer 1525 war das durch den Feldzug der Habsburger in Italien gegen Frankreich entstandene Machtvakuum beseitigt. Es ist schwierig, die Rolle Luthers und anderer religiöser Reformer im Bauernkrieg einzuschätzen. Sicher war es auf den Einfluss evangelischer Prediger zurückzuführen, dass die Bauern sich auf die Evangelien beriefen. Einerseits scheint die Behauptung, Zwinglis Einfluss habe den von Luther übertroffen, dadurch gerechtfertigt, dass Zwinglis Theologie die Reformierung der Welt gemäß dem Wort Gottes vorsah, ein Gedanke, der sich bei Luther nicht findet. 44 Das könnte erklären, warum sich viele süddeutsche Reformer für die Sache der Bauern engagierten. Andererseits fühlten sich die oberschwäbischen Bauern auch zu Luthers Ideen hingezogen. Sein Name stand auf einer Liste mit 20 reformierten Predigern, von

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denen die schwäbischen Bauern Unterweisung in göttlicher Gerechtigkeit bekommen wollten und deren Urteil sie sich zu unterwerfen bereit waren. Eine ungefähr zur gleichen Zeit wie die Zwölf Artikel verfasste Flugschrift schlug vor, dass Luther zusammen mit Melanchthon oder Johannes Bugenhagen die Beschwerden der Bauern schiedsrichterlich verhandeln solle. 45 Zwingli selbst äußerte sich nicht schriftlich zu den Aufständen im Reich, da sie Zürich und sein Territorium nur am Rand streiften. Insofern gewann Luthers Reaktion enormes Gewicht. Zunächst unterschieden sich seine Ansichten kaum von denen anderer führender Reformer. 46 Als man ihm ein Exemplar der Zwölf Artikel schickte, antwortete er Ende April mit der Schrift Ermanunge zum frid, auff die zwölff Artickel der Bawrschafft in Schwaben. Er wollte damit eine Verhandlungslösung unterstützen, denn Gewalt würde beide Reiche zerstören, und so gäbe es keine weltliche Regierung und auch kein Wort Gottes mehr. 47 Den Herrschenden machte er klar, dass sie selbst am Leid der Bauern schuld seien. Den Bauern gegenüber bestand er darauf, dass sie kein Recht hätten, die Sache in ihre eigenen Hände zu nehmen. Anfänglich sympathisierte Luther mit den Bauern und sein Wunsch nach einem friedlichen Ausgang führte dazu, dass er den Vertrag von Weingarten, der am 17. April zwischen den oberschwäbischen Bauern und Georg Truchsess von Waldburg geschlossen wurde, begrüßte und den Text mit einem begeisterten Vorwort veröffentlichte. Der Ausbruch weiterer Gewalt in Franken sowie Thüringen und insbesondere das Engagement Thomas Müntzers schufen eine neue Situation. Nun veröffentlichte Luther die dritte Auflage der Ermanunge zum frid mit einem neuen Nachwort, das schon bald unabhängig davon unter dem Titel Wider die mordischen vnd reubischen Rotten der Pawren publiziert wurde. Jetzt klagte er sie des Vertrauensbruchs, der ungesetzlichen Rebellion und des Missbrauchs der Evangelien an. Ganz heftig griff er Müntzer an, »den Erzteufel von Mühlhausen«, und forderte die Obrigkeit zu einer kompromisslosen Haltung auf: Wenn die Rebellen weiterhin Verhandlungen verweigerten, solle man sie erschlagen »wie tollwütige Hunde«. Als Luthers Polemik veröffentlicht wurde, hatten die Bauernheere gerade ihre ersten Rückschläge erlitten. So erweckte die Flugschrift mit ihren 21 Auflagen nicht den Eindruck, die Bauern zum Frieden zu bewegen, sondern vielmehr ihre brutale Unterdrückung zu rechtfertigen. Das war keineswegs Luthers Absicht gewesen und schon bald musste er sich gegen den Vorwurf, seine Lehren seien mitverantwortlich für die Aufstände, ebenso verteidigen wie gegen die Anschuldigung, seine Verurteilung der Bauern sei völlig überzogen gewesen. Sicher benötigten diejenigen, die das Feuer der Rebellion austraten – vor allem die katholischen Herzöge von Bayern im Schwäbischen Bund, der Herzog von Lothringen und Herzog Georg von Sachsen –, die Unterstützung durch Luther nicht.

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»Das vergosßen Bluot diß 1525 Jars, allain vom Henker zusammengeschütt«, bemerkte Johannes Stumpf, Kollege und Freund Zwinglis und wie er Gegner der Wiedertäufer, würde ausreichen, um »alle Tyrannen zu ertrenken«. 48 Ähnlich dachte Albrecht Dürer, der in seiner Schrift Unterweisung der Messung mit der »Bauernsäule« ein ironisches Monument zum Gedenken an die Niederlage der Bauern entwarf. Die Säule besteht aus landwirtschaftlichen Geräten und Feldfrüchten, ruht auf einem von Nutztieren umgebenen Sockel und trägt auf der Spitze die Figur eines zusammengesunkenen Bauern (ähnlich dem Christus in Dürers Holzschnitt Christus auf der Rast), in dessen Rücken ein Schwert steckt. 49 Solche und ähnliche Beurteilungen haben oft den Ton für negative Einschätzungen des Bauernkriegs angegeben. Die marxistische Tradition sieht darin den Höhepunkt der gescheiterten frühbürgerlichen Revolution in Deutschland, der eine lange Phase feudaler Reaktion in Stadt und Land folgte. In der klassischen Interpretation von Günther Franz, die zuerst 1933 veröffentlicht wurde und immer noch eine wertvolle Informationsquelle darstellt, ist der Bauernkrieg eine fehlgeschlagene politische Revolution, eine Tragödie, die den deutschen Bauern für drei Jahrhunderte von der politischen Bühne verbannte. 50 Neuere Interpretationen haben jedoch ein differenzierteres Bild gezeichnet und hervorgehoben, auf welche Weise das Trauma von 1525 in den folgenden Jahrzehnten das Verhalten von Herrschern und Beherrschten gleichermaßen prägte. 51 Unzweifelhaft haben die Herrschenden die Bauernheere mit brutaler Gewalt vernichtet. In den Auseinandersetzungen mussten an die 75.000 Bauern ihr Leben lassen. In manchen Regionen starben binnen weniger Wochen 10–15 Prozent der waffenfähigen männlichen Bevölkerung. 52 Die Rädelsführer der Aufstände wurden noch über Monate und Jahre hinweg gnadenlos verfolgt, die Befehlshaber sämtlich hingerichtet, andere Beteiligte eingekerkert oder zu Treueeiden gegenüber ihren Herren gezwungen, wobei sie zugleich jeder weiteren aufrührerischen Tätigkeit abschwören mussten. 53 In vielen Gebieten sahen sich die Bauern vor erhebliche Entschädigungsforderungen gestellt: Der Schwäbische Bund wollte die Kosten für den Unterhalt der Truppen und die Herrschaften sowie Fürsten das beschädigte oder zerstörte Eigentum erstattet haben. 54 In Thüringen mussten einige Dörfer ihre Allmenden verpfänden, um die für den Aufstand verhängten Strafen zahlen zu können. 55 Der Kurfürst von Sachsen verlangte noch 1540 solche Zahlungen und die Reichsstadt Mühlhausen erlangte ihre Unabhängigkeit erst 1548 zurück. Bis dahin hatten sich Kursachsen und Hessen als Oberherren abgewechselt und der Stadt beträchtliche Gelder entzogen. 56 Zwar wurden die Bauern besiegt, doch konnten sie zumindest einige ihrer Ziele erreichen. Die Fürsten zeigten, dass sie sich der Ursachen für die Unruhen wohl bewusst und deshalb geneigt waren, Maßnahmen zu ergreifen, um einer Wiederholung vorzubeugen. Noch als die letzten Bauernheere vernichtet wurden, gab es

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Vorbereitungen, das Problem auf dem für September 1525 geplanten Reichstag in Augsburg zu erörtern. Zuvörderst ging es zwar um militärische Vorbeugung, aber die Diskussion erweiterte die Perspektive und sollte sich schließlich auch der von den Bauern beklagten Missstände annehmen. 57 Als der Reichstag schließlich im Juli 1526 in Speyer zusammentrat, erörterte man dort einen umfassenden Katalog von Empfehlungen, um die Bauernschaft von einigen der auf ihr lastenden Bürden zu befreien. Ein Vorschlag lief darauf hinaus, die Zahlung der Annaten an Rom, insbesondere die Weihesteuern, die die Bistümer so schwer belasteten, einzustellen. Auch sollten, so ein anderer Plan, Laien nicht mehr vor kirchlichen Gerichten erscheinen müssen; empfohlen wurde auch, die Ausbildung der örtlichen Geistlichen zu verbessern. Ebenso erörtert wurden die Abschaffung von gerade erst eingeführten Kleinzehnten, der »Todfälle« und der Arbeitsdienste, die Rückgabe der Allmenden inklusive Wälder und Flüsse sowie die Einführung des Rechts auf Schutz der Felder vor wilden Tieren. Alle Stände waren gehalten, auf den Fall einer neuen Rebellion militärisch vorbereitet zu sein. Zugleich wurden die Regenten angewiesen, ihre Untertanen so zu behandeln, wie es mit ihrem Gewissen vereinbar war, nach »dem göttlichem und dem Naturrecht« und mit »Anständigkeit«.Vor allem aber bestand der Bericht darauf, dass bei zukünftigen Beschwerden alle freien Zugang zu den Gerichten haben sollten: Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Adligen, die gleichermaßen Untertanen eines Fürsten waren, sollten vor territorialen Gerichten geschlichtet werden, während Auseinandersetzungen zwischen Bauern und reichsunmittelbaren Herren vor dem Reichskammergericht oder dem Reichsregiment zu verhandeln waren. Mit der Formulierung des Grundsatzes, Konflikte im Zusammenhang mit Entschädigungszahlungen seien durch Gerichtsverfahren zu beheben, wurde die Gültigkeit von Beschwerden der Bauernschaft anerkannt und zugleich ein juristischer Rahmen für die Zukunft geschaffen. Die Ergebnisse des Reichstags spiegelten die von zahlreichen Fürsten, Herren und Stadträten verfolgte Strategie einer Mischung aus Unterdrückung, Kompromissen und Zugeständnissen. In vielen Gebieten markierte der Abschluss formeller Verträge, mit denen die unangenehmsten Aspekte feudaler Abhängigkeit gemildert oder beseitigt wurden, das Ende der Feindseligkeiten. 58 Diese Verträge waren auch deshalb bemerkenswert, weil viele Kleinregenten sich noch an ihre Vertreibung, an die Plünderung und Zerstörung ihrer Burgen und Residenzen oder die erzwungene Zustimmung zu den Zielen der Bauernbewegung erinnerten. Im Allgemeinen wurden die Pachtbedingungen für die Bauern verbessert, sodass sie nun in juristischem Sinn Eigentümer des Landes waren, und auch ihre persönliche Freiheit wurde rechtlich sichergestellt. Die Bauern von Georg Truchsess von Waldburg zum Beispiel erreichten im Frühjahr 1526, dass die meisten der von ihnen beklagten Missstände behoben wurden. Auch die Untertanen des Fürststifts

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Kempten, die im Bewusstsein einer langen Geschichte ihrer Ausbeutung lebten, erreichten mit dem Memminger Vertrag die Abschaffung aller gänzlich unangenehmen Aspekte der Leibeigenschaft. Dieser Vertrag blieb die Grundlage für die Regelung der Beziehungen zwischen dem Stift und seinen Untertanen bis zu dessen Säkularisierung 1803. Ähnlich sorgten die Reichsstädte Nürnberg, Basel und Memmingen sehr schnell für die Verbesserung der bäuerlichen Lebensbedingungen in den ihnen untergeordneten Territorien. 59 Vergleichbare Ergebnisse gab es auch in einigen der größeren Territorien. 60 In Tirol machte die »Landesordnung« von 1526 den Bauern beträchtliche Zugeständnisse, darunter verbesserte Eigentumsrechte, die Abschaffung bestimmter Arbeitsdienste und die Deregulierung von Jagd und Fischfang. In Salzburg wurde im November 1526 eine Landesordnung eingeführt, die ein ganzes Spektrum von Reformen vorsah, unter anderem das Recht der Bauern, Ansprüche und Forderungen gerichtlich verhandeln lassen zu können. In Hessen und Mainz wurden nach Ende der Unterdrückung weitreichende Reformen durchgeführt. Ein wichtiger Aspekt dieser Vorgänge war die Ausweitung der Kontrolle über den Adel, die Stadträte und Dorfgemeinschaften. 61 Wurde ein förmlicher Vertrag mit der Zusicherung von Verbesserungen geschlossen, konnte das mit formellen oder informellen Veränderungen der verfassungsmäßig festgelegten Vorkehrungen verbunden sein, sodass nun auch die Bauernschaft mit Hinblick auf die territoriale Regierung eine Rolle spielen konnte. 62 In Territorien wie Tirol, Salzburg und Baden nahmen Bauernvertreter aus den diversen Distrikten oder Amtsbezirken zum ersten Mal regulär am Landtag teil. In einigen Territorien, die zu klein waren, um einen Landtag bilden zu können, gab es in den Jahren nach 1525 die formelle Einrichtung von sogenannten Landschaften als repräsentative Körperschaften der Bauern. Diese Landschaften waren typisch für die klösterlichen Herrschaften in Oberschwaben und Teilen von Bayern. Sie wachten über die 1525 erzielten Abkommen und beklagten sich rasch über Neuerungen. Ihre Zustimmung war entscheidend, wenn es um Besteuerung, Gesetzgebung und Verteidigung ging. Manchmal konnten sie als Gegenleistung für ihre Zustimmung weitere Verbesserungen aushandeln. Wie ist die Bedeutung dieser Entwicklungen in längerfristiger Perspektive einzuschätzen? 63 Welche Rolle die Landschaft spielte, hing von der Größe und Art des Territoriums, seiner individuellen Geschichte und den jeweiligen institutionellen Formen ab. Als die Erinnerungen an die Ereignisse von 1525 schwächer wurden, neigten einige Regenten dazu, mit ihren Untertanen und deren Beschwerden wieder nach Gutsherrenart zu verfahren. Einige Landschaften waren sehr kurzlebig und existierten nur in Krisenzeiten; die Landschaft von Kempten stellte ihre Arbeit schon 1527 ein und wurde erst 1667 wiederbelebt. Während das klassische, aus drei Kammern bestehende Ständesystem (in dem häufig der Adel die Vorherr-

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schaft hatte) als mächtiges »parlamentarisches« Gegengewicht zum herrschenden Fürsten agieren konnte, stand die Landschaft als Repräsentanz der Bauern den entschiedenen Bemühungen eines Abts oder Grafen mit juristisch versierten Fachleuten eher hilflos gegenüber. Aber wenn man es zuließ, dass auch Untertanen an der Regierung beteiligt waren, konnte man sich dadurch die Herrschaft über ein Territorium sichern. Zunächst kam der Druck, eine solche Beteiligung einzuführen, von unten, doch viele Regenten sahen schon bald ein, welche Vorteile es bot, mit den Bauern statt gegen sie zu regieren. 64 Einige scheinen die Bauern zum Engagement geradezu ermuntert zu haben, um sicherzugehen, dass die Untertanen Steuern zahlen, Regierungsschulden übernahmen und für die Landesverteidigung sorgten. Der Bauernkrieg schuf einen neuen Rahmen für die Beziehungen zwischen Regenten und Bauern. Das von jenen Ereignissen hervorgerufene Trauma hatte bei den Herrschenden für eine anhaltende Furcht vor neuen Gewaltausbrüchen gesorgt. 65 Schon eine relativ geringfügige Unruhe, die im September 1525 im Samland (Herzogtum Preußen) ausbrach, ohne tatsächlich mit dem Bauernkrieg zusammenzuhängen, wurde sofort als Beweis für die Fortdauer des aufrührerischen Geistes genommen und niedergeschlagen. 66 Die Herrschenden waren auf der Hut und bäuerlicher Widerstand galt als Verbrechen und wurde auch so bestraft. 67 Zugleich aber wurden sich viele der Ursachen bewusst und sahen die Notwendigkeit, der Entstehung neuer Missstände vorzubeugen. Die Bauern ihrerseits kannten nun ihre Fähigkeit, die Herrschenden unter Druck zu setzen, indem sie Furcht erzeugten, und da die Anwendung von Gewalt nicht zum Erfolg führte, gehörte eben deren Androhung häufig zu den wirksamsten Waffen der Bauern. Darüber hinaus zeigten die Beschlüsse des Reichstags von 1526 einen potenziell lohnenderen Weg auf, nämlich den Rechtsweg, der nun in zunehmendem Maß gangbar gemacht wurde. Gleich nach 1525 suchten Bauerngemeinschaften in vielen von den Aufständen betroffenen Gebieten die von ihnen beklagten Missstände über rechtliche Maßnahmen zu beheben. 68 Begriffe wie Verrechtlichung oder Konfliktlösungsmechanismen könnten den irreführenden Eindruck erwecken, die ländliche Gesellschaft im damaligen Deutschland sei rationaler und »moderner« gewesen, als sie es de facto war. 69 Dennoch ist aus dem Bauernkrieg eine durch Rechtsverbindlichkeit und Schlichtungsmöglichkeiten geprägte politische Kultur hervorgegangen, die viele Kommentatoren des 18. Jahrhunderts für eine charakteristische Eigenschaft des Reichs hielten. 70 Auch das Ausmaß der politischen Aktivitäten der Bauernschaft nach 1525 sowie die durchgängige Geschichte der Bauernaufstände im frühneuzeitlichen Reich widerlegen die Behauptung von Günther Franz, der deutsche Bauer sei nach der Niederlage bis zum 19. Jahrhundert nur ein apathisches Lasttier gewesen. 71 Sicher war bäuerlicher Widerstand nach 1525 nicht von jener Art utopischer

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Vision einer neuen republikanischen Gesellschaft, wie sie im Bauernkrieg verbreitet wurde, inspiriert, doch wurde er schon bei der Auferlegung gering erscheinender neuer Forderungen von einem tiefen Gefühl für Ungerechtigkeit ebenso angeheizt wie von dem Traum einer »eidgenössischen« Freiheit ohne Herrschaft. 72 Der Bauernkrieg hatte auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Zukunft der religiösen Reformbewegung. Die Beschlüsse auf dem Reichstag zu Speyer 1526 verdeutlichten, dass die Fürsten eine Verbindung zwischen der Rebellion des gemeinen Mannes und der Reformationsbewegung sahen. Sie waren entschlossen, weitere Ausbrüche zu verhindern und die Hauptursachen für die Unzufriedenheit der Bauern durch Reformen zu beseitigen. Das aber ging einher mit dem Bestrebungen, die religiöse Bewegung stärker unter Kontrolle zu bringen. Zusammen mit anderen Reformern bestärkte Luther selbst dieses Vorhaben, indem er einige Kerngrundsätze der frühen 1520er Jahre aufgab, darunter vor allem das Recht der Gemeinden auf Wahl ihres Pastors. 73 Zugleich schrumpfte die ursprüngliche Vielfalt der frühen evangelischen Bewegung zugunsten einer vorherrschenden lutherischen Tendenz und einer dissidenten, nichtlutherischen Minderheit. 74 Die Erfahrungen von 1525 führten zur Marginalisierung radikaler Gruppen und zur Dämonisierung von Rebellen und Dissidenten als Wiedergängern Thomas Müntzers. Zukünftig galten Wiedertäufer und andere Radikale wie der Spiritualist Caspar von Schwenckfeld (* um 1489, † 1561), der sich vom Luthertum abwandte, als Feinde von Eintracht, Frieden und guter Ordnung. Die Wiedertäufer, deren Haltung durch die Niederlage der Bewegungen von 1525 geprägt war und die in der Folge einige Unterstützung erfuhren, galten als besonders bedrohlich, auch wenn sie immer eine Minderheit bildeten. Immerhin wuchsen sie von 43 auf knapp 500 Gemeinden an, die 1529 etwa 10.000 Mitglieder umfassten. 75 Aber sie waren der geistlichen und weltlichen Obrigkeit gleichermaßen verhasst, weil sie sich der Beteiligung an Staat und Gesellschaft nicht nur verweigerten, sondern sich, in bitterer Enttäuschung über die Niederlage im Bauernkrieg, sogar definitiv abwandten. Am gnadenlosesten wurden die Wiedertäufer von den Habsburgern, den Herzögen von Bayern und anderen Mitgliedern des Schwäbischen Bundes verfolgt, aber 1529 stimmten alle Stände, unabhängig von ihrer religiösen Orientierung, darin überein, sie rechtlich auszugrenzen, indem sie das Bekenntnis zu ihrer Einstellung im Reich zu einem Kapitalverbrechen erklärten. 76 Der Tod Zwinglis 1531, der binnen weniger Jahre seine süddeutschen Schüler in das Lager der Lutheraner wechseln ließ, machte die klare Unterscheidung zwischen »Ketzern« und der Einführung einer staatlich sanktionierten religiösen Orthodoxie sehr viel einfacher. Ein letzter Aufstand in Münster 1533–1535 demonstrierte noch einmal das revolutionäre Potenzial eines radikal-apokalyptischen Christentums, aber auch seine Vergeblichkeit im Reich. 77 Gegen Ende der 1530er Jahre waren die Wiedertäufer

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weitgehend in die ländlichen Gebiete an der Peripherie, in die Niederlande oder nach Mähren vertrieben worden. Die Marginalisierung von Radikalen und Dissidenten und der Schritt hin zu größerer Kontrolle der religiösen Bewegung sind oft als Kennzeichen für das Ende der »Reformation des Volkes« oder der »evangelischen Sozialbewegungen« vom Beginn der 1520er Jahre gesehen worden. 78 Was nun kam und hier und da bereits begonnen hatte, war die »Reformation der Fürsten« oder die »lutherische Reformation«: Spontaneität wich der Kontrolle von oben, die Neuausrichtung von Kirche und Gesellschaft von unten wich der Neubefestigung herrschender Macht, demokratisch-republikanische Aktivität wich autoritärer Kontrolle. Die Bedeutung dieses Wendepunkts ist oft erörtert und das Wesen der Alternativen überzeichnet worden, weil man von langfristigen Wirkungen auf die deutsche Geschichte ausging. Für Marxisten waren die Ereignisse des Bauernkriegs der Fehlschlag der frühbürgerlichen Revolution. Andere interpretierten sie als Niederlage einer kommunalen Reformbewegung, die, konsequent durchgeführt, in eine alternative politische und soziale Ordnung gemündet wäre und auch eine anders organisierte Kirche zur Folge gehabt hätte. 79 In jedem Fall aber wird behauptet, dass aus der Niederlage der Bauern die Fürsten mitsamt der feudalen Gesellschaftsordnung als Sieger hervorgegangen, alle fortschrittlichen und demokratisch-republikanischen Kräfte aber von der Bühne der deutschen Geschichte verschwunden seien. Auch Thomas Brady sieht in seiner Variation dieses Themas die Revolution des gemeinen Mannes als entscheidenden Wendepunkt. 80 Die regierenden Eliten der oberdeutschen Reichsstädte sahen sich vor eine Herausforderung gestellt, die sie zwang, die religiöse Reform unter Kontrolle zu bringen. Doch indem sie sich der Reformation bemächtigten, wurden sie vom Kaiser entfremdet. Dieser Prozess wurde durch Karls V. Beschäftigung mit außerdeutschen Angelegenheiten und durch Ferdinands Beschäftigung mit Böhmen und Ungarn noch verstärkt. Die Kombination dieser Faktoren Mitte der 1520er Jahre machte alle Hoffnungen auf eine im Süden Deutschlands angesiedelte Zentralmacht Habsburg, die wenigstens teilweise auf jenem Bündnis zwischen Krone und Reichsstädten beruhte, für das Maximilian das Fundament gelegt hatte, zunichte. Eine wichtige Begleiterscheinung dieser Entwicklungen war die Verfestigung des politischen Partikularismus im Reich. Bradys Interpretation zufolge wurden die Regierungsstile sowohl der zunehmend »aristokratisch« sich gerierenden Patriziereliten als auch der Territorialfürsten vom Trauma des Jahres 1525 und der daraus folgenden Notwendigkeit, die Kontrolle zu bewahren, geprägt.

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Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

Schulze, Deutsche Geschichte, 89. Schulze, Deutsche Geschichte, 99. Rabe, Geschichte, 292–293. Blickle, Revolution, 188–191. Blickle, Revolution, 165–188. Blickle, Bauernkrieg, 41–46. Vgl. S. 164–186. Franz, Bauernkrieg, 89. Franz, Bauernkrieg, 92. Blickle, Reformation, 116–117. Blickle, Reformation, 116–117; Blickle, Revolution, 237–244. Blickle, Reformation, 116–117. Brady, Turning Swiss, 34–42. Blickle, Bauernkrieg, 51. Franz, Bauernkrieg, 94–96. Franz, Bauernkrieg, 96–97. Franz, Bauernkrieg, 109. Blickle, Revolution, 23. Scott, Müntzer, 140–141. Williams, Radical Reformation, 151–153; Blickle, Reformation, 90–95. Blickle, Revolution, 34. Blickle, Revolution, 25–26. Blickle, Revolution, 23–24. Franz, Bauernkrieg, 191–192. Blickle, Revolution, 206–207; Buszello, »Legitimation«, 319–321. Scott, Müntzer, 149–158; Endres, »Thüringen«, 164–169. Scott, Müntzer, 172–175. Williams, Radical Reformation, 163–165. Macek, Gaismair; Bischoff-Urack, Gaismair; Bücking, Gaismair; Buszello, »Legitimation«, 317–319; Klaassen, Gaismair, 1–56. Klaassen, Gaismair, 56–70, 73. Blickle, Revolution, 32–38. Hoyer, »Arms«. Baumann, Landsknechte, 29–47, 62–71, 92–130; Möller, Regiment, 25, 183. Blickle, Bauernkrieg, 94 Buszello, »Legitimation«, 288. Buszello, »Legitimation«, 315–316. Hoyer, »Rights«; Blickle, Bauernkrieg, 98–101; Buszello, »Legitimation«, 316. Buszello, »Legitimation«, 317; Blickle, Revolution, 226–228. Buszello, »State«, 118–119; Buszello, »Legitimation«, 320–321. Blickle, Revolution, 204; Buszello, »Legitimation«, 319. Buszello, »Legitimation«, 317. Blickle, Revolution, 223–226; Buszello, »Legitimation«, 317–318; Hoyer, »Landesordnung«. Baumann, Landsknechte, 189–193.

18. Der Bauernkrieg, 1525

44 Blickle, Revolution, 237–244. 45 Bornkamm, Luther, 362–363. 46 Cameron, Reformation, 208. Zum Folgenden vgl. Brecht, Luther, Bd. II, 174–187; Kolb, »Theologians«; Gäbler, Zwingli, 87–88; Locher, Reformation, 231. 47 Ozment, Age of reform, 280. 48 Blickle, Bauernkrieg, 104. 49 Blickle, Revolution, 275. 50 Franz, Bauernkrieg, 299. 51 Gabel und Schulze, »Folgen«. 52 Franz, Bauernkrieg, 299. 53 Gabel und Schulze, »Folgen«, 334–335. 54 Gabel und Schulze, »Folgen«, 330–334. 55 Endres, »Thüringen«, 175–176. 56 Vogler, »Reformation«, 190; Köbler, Lexikon, 439. 57 Vogler, »Bauernkrieg«, 186–191. 58 Blickle, Revolution, 254–265; Gabel und Schulze, »Folgen«, 336–337. 59 Blickle, Revolution, 265. 60 Blickle, Revolution, 265–271; Gabel und Schulze, »Folgen«, 337–338. 61 Press, »Bauernkrieg«, 126–127. 62 Blickle, Landschaften, passim; Holenstein, Bauern, 101–103. 63 Press, »Herrschaft«, 201–214. 64 Press, »Herrschaft«, 207, 209. 65 Schulze, Widerstand, 49–50. 66 Wunder, »Bauernaufstand«, 160–161; Franz, Bauernkrieg, 276–279. 67 Schulze, Widerstand, 73–76; Blickle, Unruhen, 65–67. 68 Gabel und Schulze, »Folgen«, 341–347. 69 Schulze, Widerstand, 76–85; Holenstein, Bauern, 103–112; Blickle, Unruhen, 78–80. 70 Gabel und Schulze, »Folgen«, 340. 71 Franz, Bauernkrieg, 299. 72 Schulze, Deutsche Geschichte, 284–285; Schulze, Widerstand, 121–123. 73 Blickle, Reformation, 156. 74 Schilling, »Alternatives«. 75 Blickle, Reformation, 132. 76 Stayer, »Anabaptists«, 129–130. 77 Cameron, Reformation, 324–325. 78 Scribner, »Movements«, 93; Po-chia Hsia, »People’s Reformation«; Brady, »Peoples’ religions«. 79 Scribner, »Communities«, 292–294; Scribner, Reformation, 37–42; Blickle, Reformation, 176–179. 80 Brady, »Common Man«, 152.

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19. Die Reformation in den Städten

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ie evangelische Bewegung in den Städten ist nicht einfach eine Parallele zu dem, was sich ab 1525 in den ländlichen Gebieten abspielte. Zum einen begann die evangelische Bewegung in den Städten. Dort wurden die Ideen der Reformation zuerst von Intellektuellen, seien es Humanisten, gebildete Geistliche oder einfach nur ein Lehrer an der örtlichen Lateinschule, aufgegriffen, diskutiert und übermittelt. Dort wurden evangelische Texte gedruckt und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In diesen urbanen Gemeinschaften, darunter die bischöflichen Städte mit ihrer großen Dichte an Kirchen und Klöstern, gab es auch den direkten Zusammenstoß mit der geistlichen Hierarchie. In vielen Fällen hatte die Konfrontation schon im späten 15. Jahrhundert stattgefunden, als Stadträte bestrebt waren, Kontrolle über geistliche Ämter und wohltätige Einrichtungen sowie Freiheit von den geistlichen Gerichten oder bischöflicher Oberhoheit zu erlangen. Auch das, was fromme Bürger oder Gilden stifteten – Altäre, Kapellen, Messen, Prädikaturen –, vergrößerte die kommunale Kontrolle über die Kirche. In manchen städtischen Kommunen vollendete die Reformation lediglich einen schon lange zuvor begonnenen Prozess, der im Wesentlichen bereits vor 1517 abgeschlossen war. Der allgemeine Gebrauch des Begriffs Gemeinde als Schlagwort in den frühen 1520er Jahren darf nicht vergessen lassen, dass zwischen der Dorfgemeinde und der größeren Gemeinde in der Stadt ganze Welten lagen. Selbst in den kleinsten urbanen Ortschaften, den »Ackerbürgerstädten«, überwiegend von Landwirtschaft betreibenden Menschen bewohnt, waren diese in ihrem rechtlichen Status und ihrem Ethos als Mitglieder einer städtischen Gemeinschaft deutlich von den Bauern unterschieden. Letztere nämlich waren Untertanen eines Oberherrn. Der Bürger aber, auch der Ackerbürger, war frei und, zumindest in der Theorie, ein den anderen Bürgern gleichgestelltes Mitglied seiner Gemeinschaft. Die evangelische Bewegung in den Städten umspannte auch einen geografisch viel weiteren Rahmen und erstreckte sich über einen längeren Zeitraum. Zu Beginn der 1520er Jahre, als die Fürsten sich mehrheitlich noch neutral oder ausweichend verhielten, war der Durchbruch des Protestantismus in einigen Reichsstädten von entscheidender Bedeutung für seine Ausbreitung im gesamten Reich. Die Reihe von urbanen Reformationen setzte sich dann Ende der 1520er und in den 1530er Jahren ungehindert fort, wobei die religiösen Reformen der Hansestädte im Norden ebenso wichtig wie die der Reichsstädte im Südwesten waren. Die Reforma-

19. Die Reformation in den Städten

tionsbewegung in den Städten des Nordens, die von den alten Kernlanden des Reichs weiter entfernt lagen und zu diesem Zeitpunkt mit dem Reich oft nur lose verbunden waren, wurde von den Ereignissen des Bauernkriegs ebenso wenig berührt wie von den darauf folgenden Umwälzungen des Schmalkaldischen Kriegs. 1 So dauerte die Reformation in den Städten noch einige Jahrzehnte nach 1525 an, was die anhaltende Anziehungskraft der evangelischen Reformen und ihr Potenzial zeigt. Allerdings konnte sich der Reformationsprozess nach der raschen Entwicklung in den frühen 1520er Jahren oftmals sehr lange hinziehen. So war die evangelische Bewegung in der Reichsstadt Wimpfen zunächst überaus erfolgreich, während es nach 1525 einen katholischen Gegenschlag gab. 2 Gegen Ende der 1540er Jahre wurde die protestantische Minderheit nach Karls V. Augsburger Interim praktisch eliminiert. 3 Danach aber schlugen die Protestanten zurück und gewannen Mitte der 1560er Jahre die Mehrheit im Stadtrat und damit begann eine lutherische Reformation, die ihren Höhepunkt 1589 mit der Abschaffung des katholischen Gottesdienstes fand. Die große Vielfalt der städtischen Reformationsbewegungen hat zu einer ebensolchen Vielfalt von konkurrierenden Erklärungsmustern geführt. Manche betonen den Vorrang religiöser Faktoren, wobei jedoch Uneinigkeit darüber herrscht, ob die Reformation die »Sakralisierung« der idealen Gemeinde oder die »Desakralisierung« oder Emanzipation der Gemeinde von der Kirche darstellte. 4 Andere Interpretationen haben den Vorrang sozialer, wirtschaftlicher und politischer Faktoren hervorgehoben und den Reformationsprozess als Machtkampf innerhalb der Gemeinde gedeutet. Viel hing von dem Status und der Größe der Stadt ab. Die im Süden des Reichs konzentrierten 65 Reichsstädte waren für evangelische Reformbewegungen besonders empfänglich. 5 Bis auf vierzehn wurden alle lutherisch und nur fünf kleine schwäbische und elsässische Reichsstädte blieben von der Reformation unberührt. Die Hansestädte bildeten im Spektrum der Ortschaften im Norden, wo Autonomie – oder zumindest partielle Autonomie – im Sinn von Unabhängigkeit und Selbstverwaltung die Norm war, eine eigene Gruppe. Die Reformationsbewegung war hier so aktiv wie in den Reichsstädten des Südens. Daraus ergeben sich wiederum Fragen über mögliche Unterschiede zwischen Luther und Zwingli. Zwar war der Süden eher von Zwingli, der Norden eher von Luther beeinflusst, doch wirkt diese Zweiteilung weniger bedeutsam, wenn man bedenkt, dass in jeder Sphäre ähnliche Bewegungen vertreten waren. Und im Süden war die evangelische Bewegung lutherisch, bevor sie unter Zwinglis Einfluss geriet. Dieser breitete sich nach 1523 aus und zu dieser Zeit standen viele städtische Bewegungen wie zum Beispiel in Nürnberg unter dem Einfluss beider Reformatoren. Einzig die Kontroverse über das Abendmahl schien eine klare Trennlinie

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zu ziehen, aber nur, bis die zwinglianisch reformierten Städte nach dem Tod des Schweizers 1531 zum Luthertum zurückkehrten. Es gibt Hinweise darauf, dass in manchen Städten Luthers Ideen eher bei der wohlhabenderen Elite ankamen, während Zwinglis Lehren den mittleren und unteren Statusgruppen zusagten. 6 Das mag unter anderem daran liegen, dass Zwingli klarer und nachdrücklicher mit den katholischen Ritualen brach, neben der Reform der Kirche auch die der Gesellschaft betonte und das Abendmahl rationalistischer, das soll heißen: weniger komplex, interpretierte. Es wurde auch die Auffassung vertreten, dass Zwinglis Interpretation des Abendmahls eher die Intellektuellen ansprach, während Luthers sakrales Verständnis eher dem Kommunalismus der Gilden entsprach. 7 Die meisten Zeitgenossen von Luther und Zwingli dürften sich jedoch kaum mit jenen Unterscheidungen herumgeschlagen haben, die die modernen Gelehrten so sehr beschäftigten. Noch bevor Zwingli als Reformator hervortrat, verstand die evangelische Bewegung des »gemeinen Mannes« Luther auf gewissermaßen »zwinglianische« Weise.8 Luthers Lehre von den zwei Reichen war zu abstrakt, als dass sie außer den Gebildeten jemand hätte verstehen können. Für den »gemeinen Mann« war es offensichtlich, dass die Evangelien Gesetze für alles weltliche Regieren formulierten. Die Populartheologie der frühen urbanen Reformation war kommunale Theologie. Im Norden waren natürlich Luthers Ideen vorherrschend, während Zwingli so gut wie keine Rolle spielte. 9 Beschaffenheit und Resultat einer urbanen Reformationsbewegung wurden häufig auch durch die äußere Situation und die innere Organisation der Stadt bestimmt. Reichsstädte waren frei, aber ihre Politik wurde von Faktoren wie etwa dem Wohlwollen des Monarchen oder der Präsenz einer Reichsinstitution eingeschränkt (in Rottweil zum Beispiel gab es das Hofgericht). In Köln agierte der Stadtrat bereits 1520 gegen die Reformationsbewegung, weil er die lebenswichtigen Handelsstraßen am Rhein zu den Niederlanden nicht gefährden durfte und insofern gezwungen war, gute Beziehungen mit Karl V. aufrechtzuerhalten. 10 Ein weiterer Faktor war das Bestreben, sich der Unterstützung des päpstlichen Legaten gegen die Ansprüche des Erzbischofs zu versichern. In anderen Domstädten konnten evangelische Bewegungen Ausdruck einer Rebellion gegen bischöfliche Oberherren sein. Erfolgreich war allerdings keine von ihnen. 11 Anderenorts im Reich, besonders nördlich des Mains, errangen Reformationsbewegungen unabhängig vom, oder sogar gegen den, herrschenden Fürsten die Vorherrschaft. Ähnlich existierten viele Reichsstädte in einem permanenten Spannungszustand. Mächtige territoriale Nachbarn waren fortwährend darauf versessen, ihre Unabhängigkeit zu untergraben. In diesem langwierigen Kampf brachten die reformatorischen Aufstände ein neues Potenzial für Konflikte und bewaffnete Interventionen hervor. So verlor Mühlhausen nach 1525 seinen Status als Reichs-

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stadt und wurde bis 1548 den jährlich wechselnden Oberherrschaften von Sachsen und Hessen unterworfen. 12 Eine typische urbane Reformation gibt es nicht. 13 Die städtischen Kommunen des Reichs waren nach Größe, Verfassung, ökonomischen und sozialen Bedingungen, externen Gegebenheiten sowie rechtlichem und tatsächlichem Status höchst verschieden. Diese Faktoren bestimmten den jeweiligen Fortgang des Reformationsprozesses, die Beschaffenheit der daran beteiligten gesellschaftlichen Gruppen und die politischen Probleme, mit denen die religiöse Bewegung konfrontiert wurde. Allerdings hat die umfassende Erforschung dieser Vielfalt gerade in den letzten Jahrzehnten einige Gemeinsamkeiten der urbanen Reformationsbewegungen herausarbeiten können. Leitsätze lieferte das republikanische Ideal, das seinen Ausdruck in Begriffen wie Gemeingut, Frieden, Ordnung, Einheit und Gerechtigkeit fand. Es beeinflusste bei vielen Stadträten und städtischen Beamten, vor allem den im römischen Recht ausgebildeten, die Einstellung zur Regierungspraxis. Zudem konnte dieses Ideal bei inneren Krisen, wenn gegen Missmanagement, Korruption oder Elitendenken protestiert wurde, dem Protest die Munition und Argumente für eine Rückkehr zum verfassungsmäßigen Status quo liefern. 14 In diesem Zusammenhang konnte der Begriff Gemeinde für eine Vielzahl von Zielen und Positionen stehen, die vom Ideal der Gleichheit, zu dem Protestierende zurückkehren wollten, bis zur Ordnung, die der Rat wieder herzurichten gedachte, reichten. Diese Begriffe hatten prägende Kraft sowohl für die Ausrichtung der evangelischen Bewegung als auch für die Art und Weise, in der die urbanen Gemeinschaften sich damit auseinandersetzten. Fast immer kamen die Dinge in Bewegung, indem Elitegruppen evangelische Ideen aufnahmen und diskutierten. In einigen der größeren Reichsstädte wie Nürnberg oder Straßburg wurde die Avantgarde von Humanistengruppen gebildet, in anderen Städten waren einzelne Geistliche einflussreicher. In kleineren Städten, in denen es weder Universitäten noch Humanisten oder renommierte Geistliche gab, bildeten Schullehrer und einfache Prediger die geistige Vorhut der neuen Lehre. Allmählich führte die Verbreitung evangelischer Ideen durch Prediger und Printmedien zu einer auch die breite Bevölkerung erfassenden Bewegung, mit der häufig unterschiedliche Formen eingreifender Praxis verbunden waren: Angriffe auf kirchliches Personal und Eigentum, die Profanation heiliger Orte und Gegenstände, die öffentliche Verspottung der Kirche bei Karnevalsumzügen und Ähnliches. Evangelische Prediger zogen unweigerlich ein großes Publikum an. In Verbindung mit Flugschriften und Flugblättern konnten auch Predigten das Aktionsbedürfnis wecken. Auf diese Weise gab die evangelische Botschaft der allgemeinen Erwartung grundlegender Veränderung, die sich um 1500 in der deutschen Gesellschaft ausgebreitet hatte, eine neue und spezifische Bedeutung. Das Bedürfnis, die neue Lehre kennenzulernen, wurde rasch zur Forderung, die Kirche

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vor Ort sei einer gründlichen Reform zu unterziehen. Und hatte sich erst das Diktum von der alleinigen Autorität der Bibel als neue Heilige Schrift durchgesetzt, folgte dem der Gedanke, die Schrift solle nicht nur die Kirche, sondern auch die Gesellschaft regieren, auf dem Fuß. Dieses starke Streben nach Veränderung verband sich häufig mit einer Vielzahl anderer Probleme: mit dem politischen sowie sozialen Unbehagen und den Zielvorstellungen des »gemeinen Mannes« wie auch mit seinen religiösen Idealen. Die Ansprüche, das wahre Evangelium zu predigen, die Prediger von der Gemeinde ernennen zu lassen und ihr das Recht zuzusprechen, über die richtige Lehre und den Unterhalt einfacher Kirchen zu entscheiden, führten häufig zu weiteren, eher weltlichen Forderungen. Bekam die Gemeinde Rechte in religiösen Dingen zugesprochen, konnte das zur Folge haben, dass sie auch in politischen Angelegenheiten ihre Rechte geltend machte. In Städten, in denen ein Patriziat oder ein oligarchisch strukturierter Rat herrschte, konnte sich eine evangelische Volksbewegung mit dem Bestreben verbinden, die substanziellen Werte des Gemeinwesens insgesamt zu revitalisieren. In den nordischen Hansestädten, vor allem in Hamburg und Lübeck, war diese Bewegung mit der Bildung von »Bürgerausschüssen« oder »Bürgerversammlungen« verbunden, die auf Beteiligung in allen Bereichen von Regierung und Verwaltung drängten. 15 In Hamburg wurden diese Ausschüsse der Kirchengemeinden gebildet; man folgte damit einem Präzedenzfall, dem »Ersten Rezess«, mit dem 1410 eine Krise in den Beziehungen zwischen Stadtrat und Bürgerschaft beigelegt worden war. 16 Ein ähnliches Muster findet sich in den oligarchisch regierten Städten von Franken und Nordschwaben, wo den norddeutschen »Ausschüssen« die Gilden entsprachen, die, wie die Kaufleute, von der Regierungsbeteiligung ausgeschlossen waren. So verbanden sie die Forderung nach evangelischer Reform mit der nach politischer Partizipation. Dagegen verlief in vielen oberschwäbischen Städten, in denen die Gilden am Stadtrat beteiligt waren oder ihn sogar dominierten, die Umsetzung der Forderung nach evangelischen Reformen im Recht sehr viel reibungsloser. Selbst dort, wo es dem Anschein nach keine sozialen und wirtschaftlichen Konflikte gab, stellte die Entstehung einer starken Volksbewegung für die Aufrechterhaltung der Ordnung ein Problem dar und bedrohte die Stabilität und das Gleichgewicht des politischen Gemeinwesens. Es war daher von entscheidender Bedeutung, wie der Rat auf diese Probleme reagierte. Wohl in der Mehrzahl der Fälle verhielten sich die Stadträte anfänglich eher neutral, wie etwa die oberdeutschen Reichsstädte zu Beginn der 1520er Jahre, als es dem Reichstag nicht gelang, Einigkeit über die Umsetzung des Wormser Edikts zu erzielen und man zugleich auf die Bildung einer Nationalkirche hoffte. Aber es gab auch andere Erwägungen, die zu positiverem Handeln führten. Bischöfliche Versuche, evangelische Prediger

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zu vertreiben, ließen den seit Langem existierenden Unmut über geistliche Gerichtsbarkeit neu aufleben, was viele Stadträte dazu veranlasste, sich auf ihre Rechte zu besinnen und »ihre« Geistlichen zu schützen. Auch wurden, in Berücksichtigung öffentlicher Forderungen, neue Prediger berufen. Ebenso waren die Räte natürlich daran interessiert, Radikale, häufig Einzelgänger oder Wanderprediger, daran zu hindern, für Unruhe zu sorgen. Das war schon vor 1525 ein vorrangiges Ziel; nach dem Ende des Bauernkriegs war es zwingende Notwendigkeit. Ein ideales Mittel, um die Neutralität wie auch die Kontrolle zu bewahren, war ein Mandat, das den Prediger auf die Bibel verpflichtete. 17 Allen Predigern im Bereich der Gerichtsbarkeit einer Stadt wurde befohlen, gemäß der Heiligen Schrift oder gemäß dem, was mit ihr oder dem Wort Gottes vereinbar sei, zu predigen. Damit konnte sich der Rat gegen Kritik von außen absichern, seine Rechte über die Kirchen der Stadt geltend machen, Fehden unter den Geistlichen verhindern und all jene Prediger verwarnen, die der Unruhestiftung verdächtig waren. Zugleich sprachen sich die Räte damit die Entscheidungsbefugnis darüber zu, was von den Kanzeln gepredigt werden durfte. In manchen Fällen wandte sich der Rat deshalb an einen einflussreichen lokalen Prediger, der dann zum städtischen Reformator wurde. In Hamburg und anderen Städten Norddeutschlands fiel diese Rolle Johannes Bugenhagen (* 1485, † 1558) zu, der eine Reihe von Kirchenordnungen ins Leben rief. In Oberdeutschland hatte fast jede Reichsstadt ihren eigenen »Reformator«. Eine andere Möglichkeit, über die Interpretation des Evangeliums und die zukünftig in der Stadt zu verkündende Lehre zu befinden, war die Inszenierung einer öffentlichen Disputation. Über deren Ausgang bestand zumeist kein Zweifel. Das Publikum bestand typischerweise aus dem Rat und Repräsentanten der Gemeinde wie etwa Vertretern der Gilden. Bisweilen oblag die Entscheidung über die Lehre einem Referendum, an dem alle Bürger oder Gildenmitglieder teilnahmen. 18 Schließlich nahm der Rat selbst die förmliche Entscheidung über Reformen in die Hand und bekräftigte so seine Herrschaftsbefugnis über das politische Gemeinwesen. Das soll nicht heißen, es habe keinen Einfluss religiöser Überzeugungen oder echten Glaubens an die Ideale von Einheit und Eintracht gegeben, die zu erhalten häufig als Ziel einer »heilsamen« oder »vorteilhaften« Reform der Kirche in einer Stadt ausgegeben wurde. In der Mehrzahl der Fälle jedoch spielten die Furcht vor Unruhen und das Streben nach Bewahrung oligarchischer Positionen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wenn der Rat in solcherlei Angelegenheiten die Führung übernahm, konnte er auch der Drohung eines »neuen Papsttums« entgehen, das noch tyrannischer als das alte wäre, nämlich der Errichtung einer »Gottesrepublik« durch dogmatische und fanatische Prediger. 19 Die Unterstützung für die neue Lehre durch Eliten war im Hinblick auf zwei Zeitpunkte von entscheidender Bedeutung: einmal, wenn die Lehre Fuß zu fassen

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begann, und dann wieder, wenn der Stadtrat sich für Reformen entschied. Dazwischen sorgte der Enthusiasmus der Bevölkerung für den Ruf nach Wandel, der seinerseits wiederum häufig auf politische Probleme übergriff, aber auch ohne dies die Stabilität des politischen Gemeinwesens gefährden konnte. So wurde zum Beispiel in Nürnberg die Reform durch einen Stadtrat verordnet, der jederzeit die Sache fest im Griff hatte – eine klassische »Reformation von oben«, ausgeführt von einer Elite, in der humanistische und evangelische Einflüsse von vornherein präsent waren. 20 Doch auch dort nahte die Stunde der Entscheidung, als der Stadtrat 1524 eine Streitmacht von 700 Mann auf die Beine stellte, um der Unruhe unter den Zünften Herr zu werden, die durch die Ankunft einer Abordnung von Bauern aus dem die Stadt umgebenden Territorium ausgelöst wurde. Verhandlungen mit den Zunftmeistern und die Hinrichtung einiger Rädelsführer dämpften die Unruhe, aber man war sich der drohenden Gewalt bewusst geworden und wollte nun, nach einer Zeit zurückhaltender Unterstützung der evangelischen Sache, endlich Klarheit in den die Religion betreffenden Angelegenheiten erlangen. Nach einer Disputation zwischen evangelischen und traditionellen Predigern im März 1525 entschied sich der Stadtrat für erstere. Nun wurden die traditionellen Prediger vertrieben und der Rat machte sich an die systematische Reform der Kirchen und sonstigen geistlichen Einrichtungen. Wo Radikale tatsächlich an die Macht gelangen konnten, scheiterten sie alsbald. So gab es in der Reichs- und Hansestadt Lübeck während der 1520er Jahre wachsenden Druck seitens nicht dem Patriziat angehörender Kaufleute und Zünfte, die sich ab 1528 in einem Bürgerausschuss organisiert hatten. 1531 kam es zunächst zu einer von Johannes Bugenhagen ausgearbeiteten reformierten Kirchenordnung. 21 Aber damit war die Opposition noch nicht zum Schweigen gebracht. Unter Führung von Jürgen Wullenwever (* 1492, † 1537) ging der Ausschuss weiterhin gegen das regierende Patriziat vor. 22 Schließlich gelang es 1533, Wullenwever als Bürgermeister zu etablieren, der jetzt einem neu gebildeten Rat aus Kaufleuten und Zunftmeistern vorstand. Er stürzte, weil er außenpolitisch zu ehrgeizig war und Lübecks Vorherrschaft im Ostseeraum gegenüber Dänemark und den Niederlanden sichern wollte. 1535 war dieses Vorhaben gescheitert und die Stadt musste sich einer Verfügung des Reichskammergerichts zur Wiederherstellung der patrizischen Verfassung beugen. Zwei Jahre später wurde Wullenwever, nunmehr Amtmann in Bergedorf, vom Erzbischof von Bremen gefangen genommen, an dessen Bruder, den Katholiken Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, ausgeliefert und von diesem als Kirchendieb, Rebell und mutmaßlicher Wiedertäufer verurteilt und hingerichtet. 23 Sicher war Wullenwever ein Rebell und, aus katholischer Sicht, auch ein »Kirchendieb«, aber ein Wiedertäufer war er nicht. Die Beschuldigung wurde sicher

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aufgrund der Ereignisse in Münster 1534–1535 erhoben. Dort verband sich eine radikale soziale und politische Opposition gegen den Bischof mit einem apokalyptischen Wiedertäufertum, was zu einer Explosion von Gewalt führte, auf die noch ein Jahrhundert später warnend hingewiesen wurde: So etwas geschehe, wenn die rechtmäßige Obrigkeit beseitigt wird. 24 Ein schon lange währender Konflikt zwischen dem Bischof und der Stadt wegen evangelischer Predigten kulminierte 1532 in der Ausweisung aller katholischen Priester, was der Bischof im darauffolgenden Jahr per Vertrag akzeptieren musste. 25 Schon bald jedoch geriet der prominenteste evangelische Prediger, Bernhard Rothmann (* um 1495, † um 1535), unter den Einfluss radikaler Sektierer und sprach sich gegen die Kindstaufe aus. Der Versuch des lutherisch orientierten Stadtrats, Rothmann zum Schweigen zu bringen, schlug fehl; Rothmann und seine Anhänger machten jetzt mit den radikalen Wiedertäufergruppen, die sich mittlerweile am Niederrhein und in Südholland etabliert hatten, gemeinsame Sache. Diese Nachfolger der nach 1525 aus der Schweiz und Oberdeutschland vertriebenen Radikalen waren eine Mischung aus Quietisten und Aktivisten, unter denen der apokalyptische Visionär und Kürschner Melchior Hofmann (* um 1495, † 1543) am bekanntesten geworden war. 26 Hofmann sagte das Ende der Welt für 1534 voraus und entschied, dass Straßburg, wo er sich 1530 niedergelassen hatte und prompt eingekerkert wurde, das neue Jerusalem sein würde. Seine Schüler am Niederrhein entwickelten radikalere Ansichten. Hofmann nämlich hoffte, wenngleich vergebens, dass die weltliche Obrigkeit seinen Prophezeiungen Beachtung schenken werde, während viele Melchioriten, wie seine Anhänger auch genannt wurden, vor dem Ende der Welt noch eine neue Weltordnung kommen sahen. Während Hofmann im Kerker schmachtete, erblickten seine Schüler wahlweise in Amsterdam, Münster, London, Groningen und natürlich Straßburg selbst »mögliche Stätten für die Herabkunft des himmlischen Jerusalem«. 27 Als der Leidener Melchioritenführer Jan Beukelsz (* um 1509, † 1537) im Herbst 1533 Münster besuchte, vernahm er, wie Rothmann verkündete, es gebe in der Bibel keine Rechtfertigung für die Kindstaufe. Beukelsz verbreitete diese Nachricht in Holland, woraufhin viele Wiedertäufer mitten im Winter von dort nach Münster zogen, allen voran Jan Matthijs, der Prophet von Haarlem, der sich anmaßte, zu verkünden, Hofmann habe weder Zeit noch Ort des neuen Jerusalem richtig bestimmt. 28 Nun rüstete sich der Bischof (und danach möglicherweise auch die Lutheraner) zum Kampf gegen die Wiedertäufer in Münster, doch das verschärfte die Situation noch. In den Ratswahlen vom Februar 1534 wurde Rothmanns Helfershelfer Bernhard Knipperdolling (* um 1495, † 1536) Bürgermeister und die Melchioriten besetzten alle Sitze im Rat. Sechs Wochen lang war Jan Matthijs der wahre Herrscher der Stadt. Sein Feldzug zur Ausrottung der Gottlosen fand erst ein Ende, als er den selbstmörderischen Versuch unternahm, den Belagerungsring des Bischofs zu

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durchbrechen und dabei zu Tode kam. Sofort nahm der 25-jährige Jan Beukelsz seinen Platz ein und sodann begannen die letzten Tage ohne Wenn und Aber. Der Rat wurde aufgelöst, weil er nur von Menschen gewählt worden war. 29 Beukelsz erklärte sich zur Stimme Gottes, ernannte zwölf Älteste und errichtete eine radikal-christliche Ordnung. An die zweitausend Menschen, die nicht bereuen wollten, wurden ausgestoßen, Gütergemeinschaft und Polygamie eingeführt, womit auch das Problem des geschlechtlichen Ungleichgewichts – 5.000 Frauen gab es und nur 2.000 Männer – gelöst werden konnte. Im September schließlich ließ Jan Beukelsz sich von Jan Dusentschuer, dem »hinkenden Propheten«, bei einem außerordentlichen Massenbankett auf dem Marktplatz, bei dem die ganze Bevölkerung versammelt war, salben und krönen. Das war die erste von zahlreichen weiteren öffentlichen Darbietungen des »Königreichs«, die besonders theatralisch ausfielen, weil viele führende Melchioriten an den Moralitäten teilgenommen hatten, die von den holländischen Rederijkerskamers aufgeführt wurden. Beukelsz’ Versuch, die Wiedertäufer aus dem ganzen Nordwesten des Reichs zu versammeln, indem er 27 Apostel aussandte, brachte jedoch nicht jene levée en masse zustande, von der er sich die Rettung seines Königreichs vor den unchristlichen Fürsten, die gegen ihn aufmarschiert waren, erhoffte. Im Juni 1535 ergaben sich Beukelsz’ übrig gebliebene »Untertanen«, erschöpft, halb verhungert und von Krankheiten geplagt, dem Bischof, der, unterstützt von protestantischen und katholischen Fürsten, die Stadt wieder einnahm. Beukelsz und seine beiden Hauptstellvertreter wurden verurteilt, gefoltert, hingerichtet und ihre Leichen als Warnung für alle zukünftigen Rebellen in eisernen Körben am Turm der Sankt-Lamberti-Kirche aufgehängt. Die übrigen noch verbliebenen Wiedertäufer wurden aus der Stadt vertrieben. 30 Im Zuge der blutigen Rache, die auf Beukelsz’ Sturz folgte, wurden auch Lutheraner zu Opfern, als die Eliten sich wieder dem Katholizismus zuwandten, in dem sie den besten Schutz gegen Aufruhr sahen. 31 Sogar jenen zwanzig führenden Lutheranern, die den Radikalen Paroli geboten hatten, wurden bei ihrer Rückkehr die Bürgerrechte entzogen und sie durften auch ihren Glauben nicht öffentlich bekennen. Erst nach 1555 konnten weitere Lutheraner sich wieder in Münster niederlassen, wenn auch nicht öffentlich Gottesdienste abhalten. 32 Münster war eine Katastrophe. Fürsten aller religiösen Überzeugungen vereinten sich, um die Rebellen zu vernichten, und deren Niederlage bedeutete für die Reformation in Münster das Ende. Nur der Geldmangel des Bischofs ermöglichte es den Stadtbewohnern 1541, ihre bürgerlichen Freiheiten zurückzugewinnen, und erst nach 1585 wurde das Streben nach Unabhängigkeit vom Bischof wiederbelebt. 33 Zwar ist Münster ein außergewöhnlicher Fall, doch lässt sich auch an diesem Beispiel der tief greifende Einfluss der Reformbewegung auf die Städte

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zeigen. Die Reichsstädte wurden zwar nicht radikal verchristlicht, aber ihr Wandel war dennoch beachtlich. 34 Im 18. Jahrhundert wurde der Reformation in vielen Reichsstädten als einer Art von Wiedergeburt gedacht: Die religiöse Transformation des frühen 16. Jahrhunderts war der Ausgangspunkt für die Bildung ihrer modernen Identität. 35 Die kommunale Kontrolle über die Kirche, die sich ab dem 15. Jahrhundert allmählich ausgedehnt hatte, war nun abgeschlossen. Die alte Spannung zwischen geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit war zugunsten der säkularen Obrigkeit entschieden, die jetzt die volle Verantwortung für die kirchlichen Einrichtungen einer Stadt übernahm. Die Geistlichen, bislang eine Klasse für sich, gehörten nunmehr zu den Bürgern und waren Mitglieder der gebildeten städtischen Elite. Umstritten blieb zunächst, inwieweit sich Geistlichkeit und Kirche den bürgerlichen Normen und Regeln zu beugen hatten, und auch die Durchsetzung moralischer Verhaltensweisen in der Laienschaft geschah nicht von heute auf morgen. 36 In vielen Städten erhoben Geistliche den Anspruch, über dem Gesetz oder außerhalb von ihm zu stehen und mit besonderer Meinungs- und Redefreiheit ausgestattet zu sein, um der weltlichen Obrigkeit den rechten Weg zu weisen. Faktisch jedoch unterschied sich die rechtliche Lage des Klerus nicht von der anderer Bürger oder »Untertanen« eines Stadtrats. Die kommunale Kontrolle über die Kirche erweiterte auch den Bereich der städtischen Regierungsbefugnisse. 37 Die Abschaffung der Messe war nur die für die Öffentlichkeit sichtbarste symbolische Handlung bei einer viele Bereiche berührenden Reorganisation des religiösen Lebens für die Gemeinschaft. Sichtbar war auch die Veränderung der Kirchenräume: Bilder, Altäre und andere Gegenstände katholischer Verehrung galten nun als Idolatrie und für den reinen Dienst am Göttlichen überflüssig. Das Interieur der Kirchen wurde aufgeräumt sowie für die Predigt und den gemeinsamen Gesang, der die neue Art von Gottesdienst charakterisierte, transparenter gestaltet. 38 Das Stadtbild veränderte sich durch die Auflösung von Konventen und Klöstern. Kirchliches Eigentum, insbesondere das der Stiftungen, wurde unter weltliche Kontrolle gestellt und seine Verwendung wurde neu festgelegt. Manches diente auch weiterhin der Instandhaltung kirchlicher Bauten und der Bezahlung von Pastoren.Vielerorts führte man den »Gemeinen Kasten« ein, um Spitäler zu unterhalten und den Armen zu helfen. Auch die Schulen profitierten davon und viele Städte erweiterten diese nach Anzahl und Art, von der Elementarschule bis zum Gymnasium, wobei Letzteres häufig eine den Universitäten vergleichbare Bildung vermittelte. 39 Aber kommunale Kontrolle bedeutete nicht unbedingt Kontrolle durch den »gemeinen Mann«. Die Bürgerausschüsse oder Gildenbewegungen, die so häufig auf die Durchsetzung von Reformen drängten, konnten nach deren Verwirklichung ihren Einfluss zumeist nicht bewahren. Hamburg war in dieser Hinsicht

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außergewöhnlich: Dort wurden die Ausschüsse dauerhaft institutionalisiert und arbeiteten bis ins 19. Jahrhundert als Repräsentativorgane der Bürgerschaft. Sie waren für die Gemeindeverwaltung ebenso zuständig wie für politische Verhandlungen mit dem Senat. 40 Doch selbst hier gelang es den alten Eliten recht schnell, die Kontrolle wieder zu übernehmen und die Ausschüsse nach ihrem Willen zu steuern. In den meisten anderen Ortschaften verschwanden die Organisationen samt ihrem in den Jahren der Reformation erlangten Einfluss, sobald die alten Regierungsstrukturen wieder intakt waren. Insgesamt hat die Reformation die Machtposition der Stadträte in den Reichsstädten sogar eher gestärkt. 1548 erhielt diese Tendenz in den etwa 30 schwäbischen Reichsstädten noch einen zusätzlichen Schub, als Karl V. seine Rechte geltend machte, indem er die Gilden (die er für die Reformation verantwortlich machte) von der Regierungsbeteiligung ausschloss und die Macht allein einem Patriziat einräumte. 41 Die generelle Wiederkehr der Oligarchien konnte jedoch die Kräfte, die während der Reformation mit solcher Wucht zutage getreten waren, nicht völlig verdrängen. So wie der rebellische Impetus der deutschen Bauern auch nach der Niederlage von 1525 nicht erlosch, so behielt der »gemeine Mann« in den Städten seine Fähigkeit, den Stadtrat unter Druck zu setzen. 42 In den meisten Reichsstädten blieb zwar der spätmittelalterliche Dualismus von Rat und Gemeinschaft bis zum 18. Jahrhundert ein typisches Merkmal, 43 doch gab es fast überall periodische, bisweilen äußerst gewalttätige Konflikte, die sich an Problemen wie die Besteuerung, das Finanzgebaren des Rats und das Ausmaß seiner Vertretungsbefugnis gegenüber den Bürgern entzündeten. Zugleich entwickelten sich Reichsstädte und territoriale Städte in den Jahrzehnten nach 1525 zunehmend unterschiedlich. Die Reichsstädte behielten ihre Unabhängigkeit und, trotz der religiösen Trennung und den Konflikten zwischen einigen protestantischen Städten und dem Monarchen, ihre gegenseitige Solidarität. Sie konnten ihre kollektiven Interessen im Reich einbringen und ihre Vertretung im Reichstag etablieren; 1648 erhielten sie das volle Stimmrecht. Während Karl V. in der Lage war, in die Verfassung vieler Reichsstädte einzugreifen, konnte er das Augsburger Interim von 1548 nicht durchsetzen. Die traditionelle Sichtweise, die Reichsstädte hätten nach 1550 eine lange Periode des Abstiegs erlebt, wird heute nicht mehr akzeptiert. 44 Natürlich hat der relative Niedergang der mediterranen Wirtschaft zugunsten der wachsenden Dynamik des Atlantik- und Nordseehandels nur die größten der oberdeutschen Reichsstädte unbeeinträchtigt gelassen. Für eine sehr kurze Zeit entwickelten sich neue, nordwärts gerichtete Handelsverbindungen über Frankfurt, Köln und Aachen nach Antwerpen. Doch war das wirtschaftliche Schicksal der meisten oberdeutschen Reichsstädte, vor allem der kleineren, besiegelt, als Amsterdam nach

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dem Aufstand in den Niederlanden Antwerpen überflügelte. Für die anderen Städte ergibt sich ein eher gemischtes Bild. Die Zentren am Niederrhein, Köln und Aachen, konnten bis zum Ende des 17. Jahrhunderts einen recht hohen Grad an wirtschaftlicher Aktivität halten; danach stiegen zum Beispiel mit Hamburg neue Wirtschaftszentren auf. 45 Der freie Status der Reichsstädte blieb ein bedeutender Faktor. Städte wie Hamburg und Bremen kämpften jahrzehntelang sehr hart, um diesen Status zu erreichen; viele andere Orte schafften es nicht. 46 Darin spiegelt sich das unterschiedliche Schicksal der territorialen gegenüber den freien oder autonomen Städten nach der Reformation. 47 Viele erlebten die gleiche Folge von Ereignissen wie die Reichsstädte: reformatorische Turbulenzen und danach die Rückkehr der Oligarchien. Doch komplizierte die Beziehung der territorialen Städte zu ihrem jeweiligen Fürsten die Situation. Zwar konnten einige ihre aus dem Mittelalter stammende Autonomie in der frühmodernen Epoche bewahren, doch lief der allgemeine, in einigen Fällen ab dem Beginn des 15. Jahrhunderts sichtbare Trend auf die Unterordnung und Eingliederung dieser Städte in die Territorien hinaus. Häufig boten Konflikte zwischen Stadträten und Gilden oder Zünften, die mit der Reformation begannen, den Fürsten einen Vorwand für die Intervention. So war es nur folgerichtig, dass viele Stadträte zum verlängerten Arm der fürstlichen Regierung wurden. Natürlich gab es Ausnahmen. In kleinen oder schwachen Territorien konnten die Städte häufig ein recht großes Maß an Autonomie bewahren, was manchen bis ins 19. Jahrhundert gelang. So gelang zum Beispiel Lemgo der Überlebenskampf als lutherische Enklave in der calvinistischen Grafschaft Lippe. 48 Andere Beispiele erfolgreichen Widerstands gegen Territorialfürsten im 16. und 17. Jahrhundert waren Emden und Rostock. 49 Allerdings machte das im Augsburger Frieden von 1555 den Fürsten eingeräumte Recht, die in ihren Territorien herrschende Religion festzulegen, solchen Widerstand zunehmend schwieriger. 50 Ebenso entscheidend waren die Auswirkungen des durch den Niedergang der mittelmeerischen Wirtschaft und später durch den Dreißigjährigen Krieg entstehenden ökonomischen Drucks. 51 Ob die Reformation als solche langfristig das Schicksal der Reichs- oder Territorialstädte entschied, steht dahin. Mit ihr verbindet sich die Zuspitzung einiger Trends des 15. Jahrhunderts wie der kommunalen Kontrolle über die Kirche. Und sie hat möglicherweise andere Tendenzen beschleunigt, wie etwa die Etablierung von Oligarchien oder, im Fall der Territorialstädte, die Erosion kommunaler Autonomie und die Integration in das Territorium. Letztlich hat die Wirtschaft das Schicksal beider Stadtarten entschieden, nicht die Religion. Allerdings war die Reformationszeit die letzte Periode, in der die Städte im Reich wegweisend für die großen Veränderungen waren, die das System als Ganzes

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betrafen. In den frühen 1520er Jahren gab die vorsichtig proevangelische Politik in Nürnberg der Volksbewegung Halt und sicherte ihr Überleben. Keine zehn Jahre später hatten die Territorialfürsten diese Rolle übernommen. Es war die »Reformation der Fürsten«, die schließlich jene von der evangelischen Bewegung losgetretenen Kräfte bezwang und institutionalisierte.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Vgl. S. 397–405. Schmidt, Konfessionalisierung, 5–6; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 208–209. Vgl. S. 403–405. Schilling, Stadt, 94–95. Moeller, Reichsstadt, passim. Hamm, Bürgertum, 138 Schilling, »Alternatives«, 118. Hamm, Bürgertum, 136–137; Moeller, Reichsstadt, 87–94; Schmidt, Reichsstädte, 335–336. Hamm, Bürgertum, 139. Scribner, »Cologne«. Rublack, Gescheiterte Reformation. Köbler, Lexikon, 439–440. Zum Folgenden vgl. Cameron, Reformation, 210–263; Dickens, German Nation, 135–199; Blickle, Reformation, 81–105; Brady, »Godly city«. Friedeburg, »Kommunalismus«, 72; Scribner, »Communities«, 311–314. Schilling, »Hanseatic Cities«. Blickle, Reformation, 104. Cameron, Reformation, 235–238. Blickle, Reformation, 105. Brady, »Godly city«, 187. Blickle, Reformation, 87–90; Strauss, Nuremberg, 154–186; Vogler, »Nuremberg«. Rabe, Geschichte, 339–341. Korell, Wullenwever, passim; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.VI, 118–122. Korell, Wullenwever, 114. Friedeburg, »Wegscheide«, 561–562. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 108–120. Clasen, Anabaptists, und Clasen, Anabaptism. Williams, Radical Reformation, 539. Israel, Dutch Republic 1476–1806, 87; Williams, Radical Reformation, 561. Williams, Radical Reformation, 567. Die meisten von ihnen wanderten in die Niederlande aus, wo Menno Simons (* 1496, † 1561) zu ihrem erfolgreichsten Führer aufstieg. Seine Anhänger, die Mennoniten, mussten immer wieder Verfolgung erleiden. Einige blieben in Nordholland, andere ließen sich in England oder Nordwestdeutschland nieder. Auch im Elsass und in der Schweiz überlebten Wiedertäufergruppen, mit Ablegern in Südwestdeutschland.Verschiedene Grüppchen wie etwa die Amischen oder die Tunker (später Schwarzenau Brethren) wanderten Ende des 17. bis Anfang des 18. Jahrhunderts nach Nordamerika aus.Vgl. Driedger, Heretics, 9–15.

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Po-chia Hsia, Society, 8–9. Po-chia Hsia, Society, 199. Po-chia Hsia, Society, 18; Köbler, Lexikon, 442–443. Brady, »Godly city«. Whaley, Toleration, 186–203; François, Grenze, 153–163. Cameron, Reformation, 260. Zum Folgenden vgl. Cameron, Reformation, 246–261. Rabe, Geschichte, 266–268. Hammerstein, Bildung, 30–33. Whaley, Toleration, 14–22. Naujoks, Karl V., 35–42, 47–49, 67–68, 169–174, 335–339; Naujoks, Obrigkeitsgedanke, 118–153. Gerteis, Städte, 65–71, 81–84; Schilling, Stadt, 87–93. Friedrichs, »Town revolts«; Blickle, Unruhen, 41–45. Schilling, Stadt, 20–28. Lindber, »Hamburg«, 647–649. Schilling, Stadt, 41. Merz, »Landstädte«. Schilling, Konfessionskonflikt. Schilling, »Bürgerkämpfe«; Schultz, Auseinandersetzungen. Schilling, Städte, 41–49. Merz, »Landstädte«, 129.

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I

n vielen deutschen Territorien wurde die Reformation durchgesetzt; zwar verlief dieser Prozess weniger spektakulär als in den Städten, aber keineswegs einfacher. Er begann später und ging langsamer voran. 1540 hing die Mehrzahl der Territorien immer noch der alten Religion an. 1 Vor 1530 hatten nur zwei bedeutende Fürstentümer – Kursachsen und Hessen, beide 1526 – die neue Lehre formell übernommen. Dazu kamen noch die drei kleineren Territorien Lüneburg, Brandenburg-Ansbach und Anhalt. In den 1530er Jahren folgte eine Reihe hauptsächlich norddeutscher Territorien. Erst danach, in den 1550er und 1560er Jahren traten Gebiete in großer Anzahl zum Protestantismus über. Die meisten der nordöstlichen Fürstbistümer wurden säkularisiert. Dem alten Glauben huldigten nun noch die Habsburger Lande, Bayern, Lothringen und Jülich-Kleve-Berg, dazu die Masse der unabhängigen geistlichen Territorien, einige Reichsstädte, Reichsgrafen und Reichsritter. Für die Fürsten war der Schritt vom vorreformatorischen Interesse an der Begrenzung geistlicher Macht zur Übernahme vollständiger Verantwortung für Dogma und Gottesdienst ein bedeutsamer Wendepunkt und keine Angelegenheit, die nebenbei geregelt werden konnte. Die Fürsten überstürzten nichts. Sie drängten nicht auf Kontrollübernahme oder auf Ausplünderung der kirchlichen Ländereien. 2 In den meisten Fällen war ihrer Entscheidung, die neue Religion anzunehmen, deren verbreitete Akzeptanz bei den Untertanen oder zumindest der Zusammenbruch der alten Kirchenordnung auf allen Ebenen bis hinab zu den Gemeinden vorausgegangen. Die »offizielle« Reformation der Fürsten folgte so recht häufig den Reformationsbewegungen in den Städten, ihrer Ausbreitung in die ländlichen Gebiete und der Übernahme der neuen Lehre durch gewichtige Elemente des Adels und der bürokratischen Elite. Auch nichtreligiöse Faktoren spielten eine bedeutsame Rolle: geografische Lage und regionale Machtstrukturen, die Beziehung eines Fürsten oder Grafen zum Monarchen, familiäre Netzwerke – all das beeinflusste die Einstellung zur religiösen Problematik. 3 Die grundlegende Treue zum Monarchen als Symbol des Reichs gab fast allen Fürsten Anlass zu Bedenkzeit. Die grundlegende Treue zum System und die Scheu davor, sich der Übertretung seiner Gesetze schuldig zu machen, hinderte die Fürsten daran, die Diözesanrechte selbst mächtiger Fürstbischöfe mit Füßen zu treten. Die Reformation in Hessen und Kursachsen zum Beispiel nahm erst Fahrt auf, nachdem der Erzbischof von Mainz im 1528 geschlossenen Vertrag von Hitzkirchen auf diese Rechte in beiden Territorien verzichtet und damit einen

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jahrzehntelangen Streit über die geistliche Jurisdiktion beendet hatte. 4 Wichtig war auch, inwieweit eine Dynastie auf höhere geistliche Ämter zur Sicherung des Erstgeburtsrechts oder zumindest zur Verringerung der Anzahl möglicher Erben angewiesen war. In den 1520er Jahren waren Brandenburg (dessen Kurfürst der Bruder Albrechts von Mainz, Magdeburg und Halberstadt war), die bayrischen und pfälzischen Wittelsbacher, die Markgrafen von Ansbach und vom Haus Braunschweig in ihrer Politik von solchen Erwägungen bestimmt. Zudem mussten die meisten Fürsten die Interessen ihres Territorialadels berücksichtigen. Geistliche Einrichtungen wie Klöster und Stifte konnten jüngere Söhne und unverheiratete Töchter aufnehmen. Aus gutem Grund und eigener Erfahrung gab Philipp von Hessen dem holsteinischen Herzog Christian 1530 den Rat, wenigstens einige ehemalige Klöster und Kirchenbesitztümer den Adligen zu überlassen, die »den meisten Gewinn davon haben«. Zugleich empfahl er, den gemeinen Mann nicht zu sehr mit Steuern zu belasten und »etliche Closter zu Gemeinen Spitalen« umzuwidmen, um die arme Landbevölkerung zu versorgen. 5 Mit Ausnahme Philipps von Hessen, den Melanchthon 1524 dazu bewegte, zum Protestantismus überzutreten, optierte kein deutscher Fürst vor 1526 für die Reformation. 6 Am aktivsten waren die Gegner der neuen Lehre. Einige, wie Wilhelm IV. von Bayern oder Herzog Georg von Sachsen, traten energisch für die Kirchenreform ein, weil sie davon überzeugt waren, dass die Behebung der Gravamina der evangelischen Bewegung das Wasser abgraben würde. Andere, wie der Kurfürst Joachim I. von Brandenburg und Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel, folgten einfach nur der Logik des Wormser Edikts und betrieben eine direkte Unterdrückungspolitik. Dennoch konnte Joachim nicht verhindern, dass einige seiner Adligen evangelische Prediger schützten, und Heinrich war nicht imstande, der Reformation in Braunschweig Einhalt zu gebieten. Zahlreicher waren jene Fürsten, die neutral blieben und zwar der alten Religion persönlich die Treue hielten, aber nichts gegen die evangelische Bewegung in ihren Territorien unternahmen, solange Recht und Ordnung gewahrt blieben. Der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, war der prominenteste Vertreter dieser Gruppe. Einerseits blieb er der katholischen Kirche bis zu seinem Tod im Jahr 1525 treu und vergrößerte ständig seine Sammlung von über 19.000 Reliquien, die er zum letzten Mal 1522–1523 in Wittenberg öffentlich ausstellte. Andererseits versagte er sich Intervention und Zwang, was ihn dazu brachte, Luther zu schützen und so die Sache der Reformation insgesamt zu fördern. Als auf Friedrich 1526 sein proevangelischer Bruder, Herzog Johann, folgte, klärte sich die Position Kursachsens schnell. 1528 waren die Reliquien alle eingeschmolzen und die Kirchenreform in vollem Gang. 7 Auch Markgraf Kasimir steuerte in Brandenburg-Kulmbach einen wesentlich politischen Kurs. Nach dem Nürnberger Reichstag von 1524 forderte er seine Stän-

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de auf, für das geplante Nationalkonzil in Speyer eine Beschwerdeliste zusammenzustellen. Die Stände konnten sich nicht einigen und sodann, nach der Unterdrückung der Bauernunruhen, versuchte der Markgraf, wiewohl erneut treuer Anhänger der katholischen Sache, diplomatisch vorzugehen und eine Kirchenordnung zu verabschieden, die für Katholiken und Protestanten gleichermaßen annehmbar sein sollte. Zugleich legte er die Verwaltung des Kirchenbesitzes in die Hände seiner Beamten und strich dem Klerus die Steuerbefreiung. Da er in der Folgezeit aber in Ungarn für König Ferdinand kämpfte, konnte er einen katholischen Gegenschlag unter Führung seines Bruders Friedrich, des Dompropstes von Würzburg, nicht verhindern. Erst als ein anderer Bruder, der zum Luthertum übergetretene Georg, die Macht übernahm und eine energische Reformpolitik einleitete, wendete sich das Blatt. 8 In anderen Territorien wie Baden, Jülich-Kleve-Berg, der Pfalz und Mecklenburg blieb die konfessionelle Lage jahrzehntelang unklar. Zuallererst jedoch schienen angesichts des Mangels an Klarheit im Reichstag stillschweigende Duldung und Opportunismus das Gebot der Stunde zu sein. Solange die Fürsten auf ein nationales Kirchenkonzil, auf irgendeine allgemeine Kirchenreform, die sich der Gravamina und weiterer Beschwerden annahm, hofften, konnten sie diesen Kurs steuern, ohne befürchten zu müssen, der Ungesetzlichkeit oder der Untreue gegen den Monarchen beschuldigt zu werden. Selbst die als prolutherisch bekannten Regenten gingen vor 1526 nicht viel weiter. Herrscher wie Philipp von Hessen, Ernst von Braunschweig-Lüneburg oder die Grafen von Anhalt und Mansfeld beschäftigten zwar evangelische Hofprediger und Berater, doch bestand ihr einziger ernst zu nehmender Eingriff in Kirchenangelegenheiten vor 1526 in der Inventarisierung von Klosterbesitz. Philipp von Hessen war nicht der einzige Fürst, dessen Entscheidung, Monstranzen und andere Kirchenschätze einzuschmelzen, vor allem der Notwendigkeit geschuldet war, die ihm als Mitglied des Schwäbischen Bunds im Kampf gegen die Ritter und Bauern entstandenen Kosten aufzubringen. 9 Die Ausnahme bei dieser allgemeinen Tendenz der frühen 1520er Jahre war das preußische Territorium des Deutschritterordens, der 1525 mit bemerkenswerter Schnelligkeit säkularisiert und reformiert wurde. 10 Allerdings war die Situation dort auch einzigartig, denn das Hauptterritorium des Ordens, der im Reich selbst über Streubesitz eher unbedeutender Größe verfügte, gehörte überhaupt nicht zum Reich, sondern war seit 1466 Lehnsgebiet des Papstes wie auch des Königreiches Polen. Zudem glich es keinem der geistlichen Territorien im Reich, da es von ordinierten Rittern unter Führung eines Hochmeisters regiert wurde. Die Säkularisierung des Deutschen Ordens in Preußen wurde gleichermaßen von weltlichen wie religiösen Erwägungen bestimmt. Seiner Struktur und Funktion nach wurde der Orden zunehmend anachronistisch. Die Arroganz und Ausbeutungspolitik seiner Ritter erregte fortwährend die Feindseligkeit des eingeses-

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senen preußischen Adels, der bäuerlichen Siedler und der städtischen Patrizier. Ursprünglich waren diese Konflikte aus dem Geldbedarf des Ordens für den Kampf gegen die Polen erwachsen. 11 Aber 1466 war der Krieg verloren und im 2. Frieden von Thorn wurden die preußischen Lande geteilt, sodass dem Orden nur Ostpreußen unter polnischer Oberhoheit verblieb. Schon bald führte das Verlangen, dem polnischen Joch zu entrinnen und die Reichsunmittelbarkeit des Ordens zu gewährleisten, zur Wahl zweier deutscher Fürsten – 1498 Friedrich von Sachsen und 1511 Albrecht von Brandenburg-Ansbach – als Hochmeister. Beide fühlten sich durch Maximilians I. augenscheinliche Bereitwilligkeit, eine Rebellion gegen die polnische Krone und den Übertritt des Ordens ins Reich zu unterstützen, ermutigt und beide trugen zur schleichenden Säkularisierung des Ordens in Preußen bei, indem sie nicht nur den lokalen Ständen, sondern auch den Rittern selbst Steuern auferlegten. Jedoch erwies sich Maximilian auch in dieser Angelegenheit als unzuverlässig. Als es ihm 1515 passte, die Polen zu beschwichtigen, um Ungarn vor den Ansprüche der polnischen Krone zu bewahren, ließ er den Orden einfach fallen. Infolgedessen war der Hochmeister erneut verpflichtet, König Sigismund den im Frieden von Thorn vorgesehenen Treueeid zu leisten. Hochmeister Albrecht erbat daraufhin Unterstützung von Moskau, Dänemark und anderen deutschen Fürsten, entschloss sich aber endlich, mit den 80.000 Gulden, die der Deutschmeister von den Ländereien des Ordens im Reich abgezweigt hatte, die Polen anzugreifen. Mit dem Geld konnte er Landsknechte einkaufen, um die eigenen Truppen zu verstärken, was den Kampf aussichtsreich erscheinen ließ. Doch führte der Größenunterschied zwischen dem preußischen Territorium (mit einer Bevölkerung von etwa 200.000) und Polen (ungefähr drei Millionen Einwohner) sehr bald zum Patt und 1521 zu einem vierjährigen Waffenstillstand. 12 So wie Hochmeister Friedrich 1507 wandte sich auch Albrecht an das Reich, um Unterstützung zu erhalten, obwohl er wohl auch erwogen hat, als Befehlshaber eines Söldnerheers Karriere zu machen. Alles kam anders, als die neue Lehre die Lage in Preußen grundlegend änderte. Wie viele Reichsritter waren auch die Ritter des Deutschen Ordens schon früh Anhänger der evangelischen Sache und der antipapistischen Bewegung der vorreformatorischen Epoche. Albrecht empfing, als er nach 1521 in Nürnberg residierte, führende Parteigänger Luthers wie Andreas Osiander. In Preußen selbst förderten Georg von Polentz, Bischof von Samland und Albrechts Stellvertreter, sowie sein Kollege Erhard von Queiss, Bischof von Pomesanien, die neue Lehre mit Nachdruck. Als Albrecht 1523 Luther heimlich um Rat fragte, was der Orden angesichts rapide schwindender Mitgliederzahlen tun solle, antwortete Luther ohne Umschweife, dass die Ritter ihre falsche Keuschheit ablegen und die wahre Keuschheit des Ehebunds annehmen sollten, um so ein Orden wahrhaft christlicher Ritter zu werden. 13 Mit diesem Ratschlag und der Entsendung von Johannes Briesmann und

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Johann Amandus als lutherischen Predigern nach Königsberg begann die Reformation Preußens ohne Wenn und Aber. Da Karl V. ebenso zögerte wie die deutschen Fürsten, den Orden gegen Polen zu unterstützen, sah sich Albrecht gezwungen, mit König Sigismund (der übrigens sein Onkel mütterlicherseits war) zu verhandeln. Albrecht wollte verhindern, dass Polen sich den Orden einverleibte, weshalb er dem König vorschlug, er solle ausschließlicher Lehnsherr werden. Damit war der Anspruch, Vasall des Papstes zu sein, was dem Orden 1466 eine halbautonome Existenz gesichert zu haben schien, aufgegeben. Albrecht wurde erblicher Herzog von Preußen, schwor Sigismund den Lehnseid und heiratete eine dänische Prinzessin. Die verbliebenen Ritter wurden mit Ländereien versehen, die vormals dem Orden gehört hatten, und waren fortan wie der einheimische Adel Vasallen des Herzogs. Die zwei Bischöfe vermachten ihre territorialen Rechte dem neuen Herzogtum und wurden im Gegenzug als lutherische Bischöfe bestätigt. Die Kirchenreform wurde mit einer Prüfung, die 1526 begann, systematisch angegangen. Diese Initiative ging mit der Etablierung einer weltlichen Territorialregierung einher. Spätere preußisch-nationalistische Historiker umgaben diese Ereignisse – was Albrecht vollführte, grenzte an einen Staatsstreich – mit einer Aura des Heldenhaften. 14 Sie erblickten darin den Ursprung des modernen Preußens, den Beginn von Preußens protestantischer Mission, in und für Deutschland die Führungsrolle zu übernehmen. Allerdings stand bei der Wahl eines Hohenzollern als Hochmeister 1511 eher der Zufall Pate und Albrecht gehörte der jüngeren Markgrafenlinie derer von Ansbach an, nicht aber der Familie der Kurfürsten von Brandenburg. Überdies wäre Albrechts Umwandlung Preußens in ein Herzogtum ohne die Zustimmung des polnischen Königs nicht möglich gewesen. Es lag in seinem Interesse, Preußen gleichermaßen vom Orden, vom Reich und vom Papst fernzuhalten. Zudem gewann das Arrangement noch dadurch, dass Albrecht Sigismunds Neffe war, denn zu diesem Zeitpunkt war noch nicht ausgemacht, dass die Hohenzollern vom Kurfürstentum Brandenburg das Herzogtum erben würden, nicht aber die Jagiellonen (denen es 1618–1619 tatsächlich zufiel). 15 Bedeutsamer war vielleicht das Jahr 1525 durch die Tatsache, dass der Deutsche Orden, abgelenkt vom Bauernkrieg, dem die Festung Horneck am Neckar zum Opfer fiel, den Verlust seiner preußischen Lande nicht abzuwenden vermochte. Walther von Cronberg, 1527 gewählter Deutschmeister oder Administrator der Lande des Ordens im Reich, kämpfte von seinem Sitz im schwäbischen Mergentheim darum, die im Reich verbliebenen, verstreuten Territorien neu zu ordnen. 1529 wurde er reichsunmittelbarer Fürst und im darauffolgenden Jahr nahm er, als Karl V. ihn auf dem Augsburger Reichstag mit Preußen belehnte, den Titel »Administrator des Hochmeistertums in Preußen und Deutschmeister« an (der nach 1598 zu »Hoch- und Deutschmeister« verkürzt wurde). Aber Walthers Anspruch

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auf die preußischen Lande wurde nie realisiert, und obgleich sein »Ordensstaat« für den Ordensadel reichlich Einkommen abwarf, spielte der Orden selbst im Reich ab dem späten 16. Jahrhundert nur noch die Rolle einer Sinekure für diverse Angehörige des Hauses Habsburg und einer Frontstreitmacht gegen die Türken. Die preußische Reformation entfaltete sich außerhalb des Reichs und ihr Beispiel einer bischöflichen Reform machte keine Schule. Für die meisten Herrscher im Reich wurden die Ereignisse durch den Bauernkrieg beschleunigt. Die »kommunale Reformation« war eine Gefahr für Recht und Ordnung. Das Chaos, das ihrem Ausbruch in vielen Gebieten folgte, hinterließ geistliche Institutionen, denen es an Mitteln wie an Personal mangelte. Die Entscheidung auf dem Reichstag zu Speyer 1526 schuf einen neuen Rahmen, innerhalb dessen entschlossenes Handeln jetzt unter dem Hinweis auf Reichsrecht gerechtfertigt werden konnte. Man brauchte nur eine realisierbare Formel. Dem ersten größeren Versuch einer territorialen Reform von oben war keine lange Dauer beschieden. Kurz nach dem Reichstag zu Speyer berief Philipp von Hessen eine Synode nach Homberg ein, um einen Reformationsplan erörtern zu lassen, den der französische Franziskaner Franz Lambert von Avignon (* 1487, † 1530) entworfen hatte. 16 Lambert hatte in Wittenberg studiert und sein Entwurf spiegelte die aus den frühen 1520er Jahren stammenden Idealvorstellungen Luthers von einer Gemeinde wie auch den Einfluss schweizerischer und süddeutscher städtischer Erfahrungen wider. Die von der Synode – und nicht etwa vom Fürsten – verkündete Reformatio ecclisiarum Hassiae sah eine von Grund auf erneuerte Kirchenstruktur vor. Es sollte eine jährliche Synode geben, bei der Pastoren (im Dokument als »Bischöfe« bezeichnet) zusammen mit Laienvertretern aus jedem Pfarrbezirk zugegen wären. Die Pfarrbezirke sollten ihre Pastoren wählen dürfen und verpflichtet sein, sie zu bezahlen. Den Klöstern würde es verboten sein, Novizen anzuwerben; sie sollten nach dem Tod ihrer derzeitigen Bewohner in Schulen umgewandelt werden. Das in der Reformatio skizzierte Bildungsprogramm führte schon 1527 zur Gründung der Universität Marburg und prägte die hessische Bildungspolitik auch in den folgenden Jahren. Aber die Kirchenreform wurde nicht so verwirklicht, wie sie vorgesehen war. Schon im Januar 1527 wies Luther den Kurfürsten darauf hin, dass es für einen so umfassenden Plan (einen solchen »Haufen von Gesetzen«, wie er sagte) noch zu früh sei und mahnte zur Vorsicht. Philipp solle nur das in Gang setzen, was für die Aufrechterhaltung inneren Friedens und guter Ordnung in der Kirche notwendig sei. 17 Viele Gelehrte haben Luthers Haltung zur hessischen Reform als Folge seines Erschreckens vor den Ereignissen von 1525 gedeutet. Sicherlich hatte der Bauernkrieg ihm zu denken gegeben. Wie die Fürsten und ihre Beamten allerorts sah auch Luther die dringende Notwendigkeit, mit praktischen Maßnahmen für dauerhafte

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Stabilität zu sorgen. Er glaubte, dass viel auch von den Fürsten selbst abhänge, von ihrer Bereitschaft, jene Maßnahmen zu ergreifen, mit denen dem »gemeinen Mann« bei der Lösung seiner Beschwerden geholfen werde. Aber dazu gehörten eben auch seine Klagen über Missstände im klerikalen Bereich. Und schließlich musste man handeln, weil die Lage der Kirche selbst es erforderte. Der Bauernkrieg hatte deutlich gemacht, welche Gefahr von radikalen evangelischen Priestern ausging. Die Unterdrückung der Bauern war teuer gewesen und so standen viele Regierungen mehr denn je in der Versuchung, die Mittel der Kirche zur Finanzierung rein weltlicher Ziele zu verwenden. Überdies wurde nach Wiederherstellung des Friedens deutlich, dass viele Gemeinden gar keine Geistlichen mehr hatten und überhaupt nicht wussten, welcher Lehre sie folgen sollten. Luther sah sich als Kirchenmann nun einem praktischen Problem zweifacher Art gegenüber: Wo sollte man ordinierte Prediger hernehmen und wie sicherstellen, dass in den Gemeinden die rechte Lehre verbreitet werde und die Reichtümer der Kirche weiterhin ihren religiösen, erzieherischen und sozialen Zwecken zugutekamen? Luthers Vorstellungen entwickelten sich hier, wie sonst häufig auch, in der Reaktion auf die sich verändernden Gegebenheiten. Zu Beginn der 1520er Jahre sorgte er sich um die angemessene Versorgung der Mönche und Nonnen nach der Auflösung ihrer jeweiligen Einrichtungen. Zugleich forderte er Stadträte und Fürsten auf, die neue Lehre zu verteidigen und Vorkehrungen für Geistliche, die sie vertraten, zu treffen. Zum Kirchenbesitz generell äußerte er sich dahingehend, dass alle Stiftungen gemäß ihren Zwecken weiterverwendet werden sollten. Als wenig später deutlich wurde, dass Kirchengelder in Sachsen von skrupellosen Laien zweckentfremdet wurden, hob er hervor, dass mit dem Ende der Geltung päpstlicher Autorität der Kirchenbesitz an den Kurfürsten falle, der die nicht für klerikale, schulische oder wohltätige Maßnahmen notwendigen Mittel für die Allgemeinheit verwenden könne. Als der Augsburger Reichstag 1530 die Wiederinbetriebnahme der Klöster forderte, modifizierte Luther seine Sichtweise dahingehend, dass der Fürst als Belohnung für seine Bemühungen um das Evangelium Anspruch auf jegliches überschüssige Einkommen habe. 18 Mit diesen Sichtweisen entwickelte sich auch der strukturelle Rahmen von Luthers kirchen- und zivilrechtlichen Überlegungen. Im Grunde hatte Luther nicht das Bedürfnis, eine neue Kirche zu schaffen – daher auch seine vorsichtige Reaktion auf Vorschläge à la Philipp von Hessen, die auf eine Runderneuerung hinausliefen. 19 Zwar lehnte er die päpstliche Kirche ab, doch hielt er zumindest grundsätzlich an der Idee einer Episkopalkirche fest und unterstützte später die Berufung lutherischer Bischöfe in Naumburg-Zeitz (1542) und Merseburg (1545). 20 In den 1520er Jahren jedoch gab es keine Bischöfe, die willens gewesen waren, Luthers Aufforderung zu folgen, ihre politische Macht aufzugeben und zum Protestantismus überzutreten. So neigte er immer mehr dazu, das Bischofs-

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amt als vakant zu betrachten und damit den Fürsten das Recht und die christliche Pflicht zuzubilligen, die Kirche zu beaufsichtigen. Um diese Funktion zu beschreiben, verwendete Luther 1539 den Terminus Notbischof, dessen Bedeutung sich implizit jedoch schon in seinen Schriften Mitte der 1520er Jahre finden lässt. 21 Luther überantwortete nicht einfach alle Verantwortlichkeit den weltlichen Mächten: Der Fürst hatte die Christenpflicht, eine Visitation in Auftrag zu geben, und es war die Pflicht der Regierung, eine solche vor Angriffen zu schützen und ihren erfolgreichen Abschluss zu fördern. Diese Pflichten wurden von Luthers jüngerem Kollegen, Philipp Melanchthon, eingehend dargestellt. Auch ihn hatten die Ereignisse des Bauernkriegs tief berührt. Wie Luther, der gegen die »tollwütigen Hunde« zu Feld zog, sah Melanchthon nun »Herrn Omnes« (jedermann) nicht als den edlen »gemeinen Mann«, sondern als dumme, verrückte und brutale Person. Auch durchdachte er die Implikationen der Notwendigkeit einer Kontrolle sehr viel rigoroser als Luther. Praktisch jeder Aspekt der Kirche, Bildung und Regierung betreffenden Programmatik von Luthers Protestantismus trägt den unverwechselbaren Stempel von Melanchthons gelehrtem und systematischem Geist. Obwohl Luther die aufständischen Bauern geißelte, hielt er doch an seiner Überzeugung von der evangelischen Erneuerung der Gesellschaft als der kollektiven Erneuerung ihrer individuellen Mitglieder fest und lehnte jeden Versuch, einen verbindlichen Dogmenkatalog zu erstellen, ab. Melanchthon dagegen kehrte dem Idealismus der frühen 1520er Jahre den Rücken und betonte nun die Notwendigkeit von Bildung und Erziehung, damit die jungen Leute friedfertig und anständig würden. Auch trat er für die Wiederbelebung des akademischen Studiums ein, um die Versorgung der Schulen mit Lehrern zu gewährleisten, und er war dafür, dass die Regierung sich aktiv für die Entstehung einer christlichen Gesellschaft einsetzte. 22 Die Bezeichnung Praeceptor Germaniae (Lehrer Deutschlands), die Melanchthon schon zu Lebzeiten erhielt, verweist auf seine Arbeit für gymnasiale Lehrpläne und universitäre Studienordnungen. 23 Doch ging sein Beitrag zur Reformation weit darüber hinaus. Luther blieb der inspirierende Führer, aber in praktischer Hinsicht wurde er von 1530 bis zu seinem Tod 1546 immer stärker an den Rand gedrängt. 24 Was sich ab Mitte der 1520er Jahre entwickelte, kann als lutherischer, ebenso aber als melanchthonischer Protestantismus begriffen werden. Der neue Kurs nahm Gestalt an, als Luther 1525 den Kurfürsten von Sachsen drängte, eine persönliche Visitation zur Bestandsaufnahme des Kirchenbesitzes vorzunehmen und die angemessene Bezahlung der Geistlichen sicherzustellen. 1526, nach dem Reichstag zu Speyer, forderte er erneut eine förmliche Visitation, dieses Mal von vier Beamten, zwei von ihnen sollten Finanzexperten und die anderen zwei erfahren »in der Lehre und im Umgang mit Menschen« sein. 25 Im darauffolgenden Jahr gab der Kurfürst eine Unterweisung für eine Visitationskom-

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mission heraus, die jedoch im Detail fehlerhaft war und von Reformern wie auch Katholiken kritisiert wurde, weil sie der weltlichen Regierung anmaßenderweise spirituelle Autorität zuschrieb. Schließlich wurde 1528 eine endgültige, von Melanchthon verfasste Visitationsordnung veröffentlicht. Luther verdeutlichte in seinem Vorwort, dass er nur deshalb den weltlichen Mächten die Aufgabe übertragen habe, eine Visitation durchzuführen, weil die Bischöfe sich von ihrer Verantwortlichkeit verabschiedet hätten. Er appellierte an den Kurfürsten als von Gott eingesetzten Herrscher, er solle, aus christlicher Nächstenliebe und um Gottes willen, Visitatoren berufen, um die Evangelien zu verbreiten und den armen Christen im Land Schutz und Hilfe angedeihen zu lassen. Im Gegensatz zur Unterweisung des Kurfürsten sprach Luther im Vorwort den Theologen explizit die Autorität in Glaubenssachen zu. Die Visitation selbst, die im Oktober 1528 ihren Anfang nahm, bestätigte viele von Luthers schlimmsten Befürchtungen. Die Lage der Kirchen, so schrieb er an Spalatin, sei äußerst trostlos. »Die Bauern lernen nicht, wissen nichts, beten nicht, tun nichts, außer daß sie die Freiheit mißbrauchen, beichten nicht, kommunizieren nicht, als wenn sie aller Religion ledig geworden wären.« 26 Die Lage der noch verbliebenen Geistlichen war nicht viel besser. Viele hingen noch dem katholischen Glauben an, andere waren einfach nur verwirrt oder hatten, da es keine spirituelle Leitung gab, ganz eigene Liturgie- und Lehrformen entwickelt. Fast überall waren die Einkünfte der Geistlichkeit stark zurückgegangen, weil Zahlungen wie die des Zehnten nicht mehr geleistet wurden. Viele Kirchen und andere klerikale Bauten verfielen zusehends. Die Visitation, die bis 1531 währte, listete diese Zustände auf, begann aber auch, etwas dagegen zu unternehmen. Die Veränderungen traten nicht sofort ein, aber die Visitation setzte die Rahmenbedingungen dafür, dass die Geistlichkeit angemessen über die Vermittlung der neuen Lehre und der Formen des Gottesdienstes unterrichtet wurde. Auch schuf sie die Grundlagen für die richtige Inventarisierung und Verwendung des Kirchenbesitzes und sorgte für die notwendigen Prozeduren, damit der neue Klerus ausgebildet, ordiniert – die förmliche Ordination fand erst ab 1535 statt – und etabliert werden konnte. 27 Vor allem aber prägte die Visitation als ein im Wesentlichen bürokratischer Vorgang, die Grundstrukturen der neuen Kirchenordnung. In der Folgezeit wurden in den unterschiedlichen Verwaltungsdistrikten von Kursachsen weitere Visitationen durchgeführt. Danach blieben Aufseher vor Ort, um die bischöflichen Begutachtungsfunktionen kontinuierlich durchführen zu können. Rechtzeitig wurden zentrale Institutionen geschaffen, um die Arbeit der Aufseher zu koordinieren. Der Kirchenbesitz wurde nun von Behörden der Territorialregierung verwaltet und die rechtlichen Funktionen der geistlichen Gerichte auf weltliche Territorialgerichte übertragen.

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Die meisten Veränderungen wurden in spezifischen Regionen oder Territorien in Reaktion auf bestimmte Probleme oder Visitationsberichte ad hoc eingeleitet und durchgeführt. Den Bezugsrahmen bildete Luthers nach 1525 wachsende Neigung, Achtung für das Gesetz zu verlangen, vor allem aber Melanchthons unzweideutige Befürwortung des römischen Rechts. Es sei, wie er sagte, eine Gabe Gottes an die Menschheit und vor allem an Deutschland. 28 Die Krise von 1525 brachte Reformer wie Regenten dazu, die Erfordernisse beider Bereiche miteinander zu verschmelzen und die Verbindung zwischen der »Aufsicht« (Polizey) und dem »Gemeingut« wahrzunehmen, die nur eine Obrigkeit herstellen könne. 29 Dass diese Verschmelzung auch zu Verwirrung führte, war unvermeidlich, aber sie führte nicht zu weltlichem Papsttum oder zu übermäßig unterwürfigen Kirchenmännern. Im Allgemeinen entwickelte sich bis 1555 in den lutherisch dominierten Territorien keine bedeutende Vermittlungsinstanz und keine zentrale Führungsinstitution, sei es in Gestalt eines Konsistoriums oder einer »Generalsuperintendanz«. 30 Selbst die verbreitete Verkündung neuer Kirchenordnungen führte nicht zu einer supraterritorialen Einheitlichkeit. Im Übrigen wurden zwei Drittel dieser Statuten zwischen 1550 und 1600 verkündet. 31 Doch noch konnte das Ergebnis nicht als neue »lutherische Kirche« bezeichnet werden. Dem Reichsgesetz zufolge blieb die Kirche bis 1648 ein Einzelfall und zumindest im 16. Jahrhundert betrachteten die meisten Leute alle getroffenen Vorkehrungen als vorläufig, bis es zur Wiederherstellung oder Errichtung der »wahren« Kirche komme. Allerdings prägten die meisten Vorkehrungen in all jenen Territorien, in denen nach 1526/27 die neue Lehre übernommen wurde, dauerhaft Struktur und Charakter des lutherischen Protestantismus in Deutschland. Fast überall begann dieser Prozess mit der Visitation, der die Verkündung einer Kirchenordnung folgte. In der baltischen Küstenregion und in den großen Hansestädten nahm man sich dabei das Statut, das Johannes Bugenhagen 1528 für Braunschweig ausgearbeitet hatte, zum Vorbild. Anderswo war das Wittenberger Statut überaus einflussreich, ebenso das Brandenburg-Nürnberger Statut von 1533. 32 Beiden, der Visitation wie der Kirchenordnung, lag das Bestreben zugrunde, einen auf den Evangelien beruhenden Lehrkanon zu verbreiten. Zu diesem Zweck formulierte man auch Glaubensbekenntnisse wie die Confessio Augustana von 1530 (auch »Augsburger Bekenntnis« oder »Augsburger Konfession«). Wichtig war es auch, die farbige Vielfalt der Gottesdienstformen, die sich zu Beginn der 1520er Jahre entwickelt hatte, durch eine standardisierte Liturgie zu ersetzen. In der lutherischen Sphäre war das einfacher, weil die deutsche Messe viel mit der alten lateinischen Messe gemein hatte. Das Opfergebet (Offertorium) wurde abgeschafft, die Anrufung der Heiligen entfiel, die Predigt rückte ins Zentrum, das Abendmahl in beiderlei Gestalt wurde erlaubt und dem gemeinsamen Singen kam eine überaus wichtige Rolle zu. Trotz der theologischen Implikationen von Luthers

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Reform, besonders im Hinblick auf das Abendmahl, sahen jedoch viele Gemeindemitglieder keine grundlegende Differenz zwischen der neuen und der alten Form der Messe. Lehre und Gottesdienst mussten natürlich in den Händen verlässlicher und gebildeter Pastoren liegen. Die meisten Kirchenordnungen sahen sichere finanzielle Zuwendungen an die Geistlichen vor, die einer Verwirklichung von Luthers Idee des »Gemeinen Kastens« nahekommen konnten. Dieser Kasten versammelte einige oder alle kirchlichen Pfründe und Stiftungsgelder einer bestimmten Stadt oder Gegend. 33 In manchen Territorien unternahm man den Versuch, traditionelle Zuwendungen für die Geistlichen (wie etwa den »Opferpfennig«) oder »Stolgebühren« (Gebühren für kirchliche Handlungen wie Taufe und Ähnliches) wieder einzuführen, was jedoch oft auf den Widerstand der Bevölkerung stieß und Vorwürfe, das alte päpstliche Fiskalregime werde neu belebt, zur Folge hatte. 34 Derlei Vorkehrungen waren in den Städten sehr viel erfolgreicher als auf dem Land. Die Situation dort wurde dadurch kompliziert, dass Fürsten, die sich Klosterbesitz angeeignet hatten, um die kirchliche Verwaltung, Erziehungseinrichtungen oder die fürstliche Regierung ganz allgemein zu finanzieren, nur ungern davon etwas hergaben, um die ländliche Geistlichkeit zu unterstützen. 35 Nur zu häufig lebten Pastoren auf dem Land in relativer Armut, weil sie von der unregelmäßigen Versorgung mit Naturalien und anderen Vergütungen abhängig waren, die zudem von den Gemeindemitgliedern nur ungern gewährt wurden. Dort wurde der lutherische Pastor als bezahlter theologischer Staatsbeamter mit einem regulären, auf Gemeindebeiträgen und Stolgebühren beruhenden regelmäßigen Einkommen erst gegen Ende des Jahrhunderts Wirklichkeit. Schwieriger war es, eine angemessene Ausbildung für Pastoren auf die Beine zu stellen. Das bei vielen Visitationen festgestellte Unwissen konnte nicht von heute auf morgen beseitigt werden. Für Pastoren ohne Einkommen war leichter Abhilfe zu schaffen als für solche, die die Zehn Gebote nicht kannten. Einige der ungebildetsten wurden entlassen, viele andere, deren Kenntnisse rudimentär und dem Amt nicht angemessen waren, durften bleiben. Für eine systematische Erneuerung fehlte es einfach an qualifiziertem Personal. Daran änderte sich auch in den nächsten Jahrzehnten nur wenig, denn die Anzahl der Ausgebildeten in Wittenberg war viel zu geringfügig und selbst das universitäre Studium war kein absoluter Garant dafür, dass hinterher ein guter Seelsorger auf der Kanzel stand. Die während der 1530er und 1540er Jahre in Kursachsen durchgeführten Visitationen zeigten die bestürzende Unwissenheit des niederen Klerus. In dieser Hinsicht glich der neue Klerus durchaus dem alten, der nur ein wenig mehr als der Großteil der Gemeindemitglieder wissen musste. 36 Zwar gab es Wittenberg und bereits 1527 wurde eine protestantische Universität in Marburg gegründet, die ebenfalls dem Zweck diente, Geistliche und Kirchen-

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beamte auszubilden, was insgesamt den falschen Eindruck erwecken könnte, die Veränderung sei raschen Schritts vorangegangen, aber dem war nicht so. Als Luther 1546 starb, war die Lage in der Umgebung von Wittenberg immer noch besorgniserregend. 37 Anderenorts war es oft noch schlimmer und erst ab 1580 verbesserte sich die Situation allmählich. 38 Die anfänglich nicht besonders erfolgreichen Bemühungen um die Ausbildung der Geistlichen lassen erkennen, wie rasch Luther und Melanchthon sich von dem Ideal einer Priesterschaft aller Gläubigen entfernt hatten. Ab Mitte der 1520er Jahre gab Melanchthons Programm der Verbindung humanistischer eruditio (Gelehrsamkeit) mit evangelischer pietas (Frömmigkeit) der Bildungsreform eine neue Stoßrichtung. 39 So etwas hatte die Kirchenreform zwar von Anfang an in größerem oder geringerem Maß angestrebt, 40 doch rückte es jetzt in den Vordergrund, während die vorreformatorische Konkurrenz zwischen weltlicher und kirchlicher Förderung zugunsten der weltlichen Obrigkeit entschieden war. Die meisten Kirchenordnungen, vor allem die von Johannes Bugenhagen entworfenen, betonten die Notwendigkeit, ausreichend für Bildung und Ausbildung zu sorgen, wobei besonderes Augenmerk der Wiederbelebung und Förderung der Lateinschulen galt. Diese hatten in den frühen Jahren der Reformation infolge der Auflösung der Klosterstiftungen, von denen sie unterstützt worden waren, beträchtlichen Schaden genommen. Der Ausbildung von Pastoren standen auch radikale Prediger im Wege, die gegen traditionelle Lehrinhalte wetterten. Zu ihnen gehörte Andreas Karlstadt, der Latein als Sprache des Papsttums ablehnte und für eine deutsche Liturgie und eine am Leben orientierte Darlegung der Evangelien eintrat. 41 Erasmus bemerkte 1528, dass überall dort, wo das Luthertum vorherrsche, das akademische Studium verfalle, und noch 1557 fragte sich Melanchthon, ob er und seine Miteiferer für den drohenden Zusammenbruch der höheren Bildung verantwortlich seien. 42 In der Tat aber hatten, wie bereits die ersten Visitationen Ende der 1520er Jahre zeigten, Regierung wie auch Kirche großen Bedarf an ausgebildeten Fachleuten und so wurden schon bald in vielen freien und Landesstädten neue Lateinschulen eingerichtet und höhere Lehranstalten gegründet, wie etwa 1539 das Gymnasium in Straßburg (gymnasium illustre) und Bugenhagens Gymnasien in Hamburg (1529), Lübeck (1531) und Schleswig (1542). 43 Obwohl man die Notlage erkannte, ging der Fortschritt auch im Bildungsangebot für die Begabten eher langsam voran. Oft waren Schulen die ersten Leidtragenden bei Finanzkrisen oder politischen Rückschlägen wie dem Interim von 1548, wodurch weite Gebiete Süd- und Mitteldeutschlands rekatholisiert wurden. 44 Erst in den 1540er Jahren war das albertinische Sachsen in der Lage, die Eliteschulen von Pforta, Grimma und Meissen einzurichten. 45 In vielen anderen Regionen konnten solche Institutionen erst entstehen, nachdem im Augsburger Religions-

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frieden von 1555 die rechtlichen Grundlagen für eine dauerhafte Regelung der Kirchen- und Schulsysteme geschaffen worden waren. 46 So folgte etwa in Württemberg die Einrichtung von Gymnasien der Schulordnung von 1559, die zur Reform des Pädagogiums in Stuttgart, zur Gründung einer gleichartigen Schule in Tübingen und zu einer Reihe von »Klosterschulen« führte. Letztere waren im Wesentlichen evangelische Seminare, gedacht zur Ausbildung all derjenigen, die danach an der Theologischen Fakultät der Universität Tübingen ihren Abschluss als zukünftige Pfarrer machen sollten. 47 Theoretisch gehörten diese höheren Schulen zu einer umfassenden Struktur, deren Basis die »Teutschen Schulen« und deren Dach die Universitäten bildeten. In der Praxis jedoch wurde der Unterbau bis in die späteren Jahrzehnte des Jahrhunderts hinein im Vergleich zu den höheren Formen eher vernachlässigt. 48 Zum einen waren Luther und seine engeren Gefolgsleute nicht sicher, wie sie den Wert einer Bildung für alle einschätzen sollten. Sie machten das Anwachsen muttersprachlicher Erziehung verantwortlich für die Krise der höheren Bildung in den 1520er Jahren und die Erfahrung mit Sektierern rief Befürchtungen hinsichtlich des Nutzens der Alphabetisierung hervor, die zur eigenständigen Lektüre der Bibel und anderer Texte führte. 49 Viele »Teutsche Schulen« wurden geschlossen, um die Lateinschulen finanziell zu fördern, sodass die Mehrheit der »Teutschen Schulen« privat betrieben wurde. Die Lehrer dort verdienten sehr viel weniger als ihre höher dotierten Kollegen an den Lateinschulen. Nur in größeren Städten wie Nürnberg oder den Hansestädten konnte ein ausreichender Bestand behördlich genehmigter »Teutscher Schulen« aus der vorreformatorischen Zeit überleben und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts beständig wachsen. 50 In den ländlichen Gebieten war die Versorgung mit Erziehungsund Bildungseinrichtungen ziemlich spärlich und kaum imstande, die Landbevölkerung weiter zu alphabetisieren oder ihre religiösen Kenntnisse zu vermehren. Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte konnten die grundlegenden Bildungseinrichtungen wieder wachsen, denn nun erkannte die weltliche Obrigkeit den Wert allgemeiner Alphabetisierung und elementarer Bildung und sie reagierte auf die von der Bevölkerung geäußerten Bedürfnisse nach Vermittlung von Schreib-, Lese- und Rechenfertigkeiten, die bald alle gesellschaftlichen Gruppen für lebensnotwendig hielten. 51 Zu den evangelischen Reformstatuten gehörte auch die Regelung der Armenfürsorge. In dieser Hinsicht sorgte die Reformation dafür, dass neue Einstellungen, die sich seit dem 15. Jahrhundert entwickelt hatten, breite Akzeptanz erfuhren. 52 Große Städte wie Nürnberg und Straßburg hatten bereits den Weg gewiesen, indem sie sich an französischen und englischen Gesetzen zur Eindämmung der Bettelei orientierten. »Auswärtige« (das heißt nichteinheimische) Bettler wurden der Stadt verwiesen und diejenigen Einwohner, die ihre Bedürftigkeit nachgewiesen

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und die Erlaubnis zum Betteln erhalten hatten, erhielten Abzeichen aus Messing. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts hatten viele andere Städte ähnliche Maßnahmen ergriffen und auf den Reichstagen von Lindau (1497), Freiburg (1498) und Augsburg (1500) wurden Versuche unternommen, eine Gesetzgebung für das gesamte Reich zu formulieren. Die Reformatoren lösten den Widerspruch zwischen dieser neuen harten Haltung und der tradierten Lehre der Kirche vom Fegefeuer, die wohltätig gesinnte Laien dazu veranlasste, die Armen in ihrem Testament zu bedenken, damit die Nachwelt sich ihrer mit Nachdruck annehmen konnte. Aber dieses Prinzip der Wohltätigkeit ad pias causas (aus Gründen der Frömmigkeit) wurde von den Reformatoren infrage gestellt, weil es die Verbindung von Erlösung und guten Werken trennte. Darüber hinaus hatten sie eine andere Einstellung zur Arbeit, aufgrund derer sie Betteln als eine Art von Faulheit ansahen. Wer gesund war, sollte wieder regelmäßige (christliche) Arbeit leisten und nur die kleine Minderheit der wirklich bedürftigen Armen sollte in den Genuss christlicher Wohltätigkeit kommen. Weil zudem die traditionellen Stiftungen, die für Spenden und Wohltätigkeit sorgten, kaum noch existierten, mussten die Bedürftigen Hilfe aus dem »Gemeinen Kasten« oder aus extra eingerichteten »Armenkasten« erhalten. Diese Kasten erhielten ihre Mittel teils aus ehemaligem Klostervermögen, teils aus den vielen noch existenten mittelalterlichen Stiftungen. Die neue evangelische Lehre bot also dem harten Vorgehen der Behörden ebenso theologischen Rückhalt wie sie implizit die Regierung aufforderte, sich des Armutsproblems anzunehmen. Erneut war Nürnberg wegweisend, indem es 1522 ein neues Almosenrecht einführte, worin es hieß, dass man sich um die Not der Bedürftigen zwar vorrangig kümmern müsse, dass aber Bettelei mit der christlichen Religion unvereinbar sei. Eine Kommission von zehn angesehenen Bürgern, geleitet von zwei Ratsmitgliedern, wurde berufen, um das Armenproblem zu untersuchen, den Gesunden bei der Arbeitssuche behilflich zu sein und die wirklich Bedürftigen angemessen zu versorgen. Betteln durften nur noch diejenigen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts eine entsprechende Lizenz erhalten hatten. Zu den Maßnahmen zur Verhinderung von Notlagen, die zum Betteln führen konnten, gehörte eine Preisgarantie für Handwerksprodukte und zinsfreie Kredite für Handwerker in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Sodann trafen viele Städte solche oder ähnliche Vorkehrungen. 1526 wurde der neue Ansatz durch die Schrift des in Brügge lebenden spanischen Humanisten Juan Luis Vives theoretisch vertieft. Sein einflussreicher Traktat De subventione pauperum (Über die Armenhilfe), der die Ansichten der Reformatoren wiedergab, wurde bald darauf ins Deutsche übersetzt und galt für die nächsten Jahrzehnte als Standardtext zum Thema. Auch dabei galt natürlich, dass ein neuer Ansatz nicht automatisch eine neue

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Lösung bedeutete. Immer wieder mussten Gesetze gegen das Vagabundieren erlassen werden, was zeigt, dass solche Probleme selbst in den Städten mit hervorragenden Regelungen noch fortexistierten. In den ländlichen Gebieten hingegen hatte der neue Ansatz so gut wie keinen Einfluss. Wirklich kontrolliert wurde das Vagabundieren nur durch den Zorn der Gemeinschaft und gegen die Armut half lediglich jene Art von Wohltätigkeit, die eigentlich der Vergangenheit angehören sollte. Letztlich blieb das Armutsproblem in Stadt und Land ungelöst. Auch gibt es keine Hinweise darauf, dass zu jener Zeit das Vagabundentum in eine Krise geraten sei. Als es in der zweiten Jahrhunderthälfte bedrohlich zunahm, erwiesen sich die Ideen der Reformationsperiode schnell als unzureichend und wichen einer Methode sehr viel härteren Durchgreifens. 53 Wie sich diese unterschiedlichen Entwicklungen langfristig auf den Charakter von Territorialregierung und Kirche im protestantischen Deutschland ausgewirkt haben, ist weiterhin umstritten. Vier Gesichtspunkte sind besonders wichtig: Hat die Reformation in Deutschland für einen »absolutistischen« Staat gesorgt? Haben die weltlichen Mächte die Kirche für ihre eigenen Zwecke ausgeplündert? War der lutherische Protestantismus zu diesem Zeitpunkt konservativ oder sogar autoritär? War der Versuch einer christlichen Reform der Gesellschaft in irgendeiner Weise erfolgreich? Zum ersten Punkt. Unzweifelhaft hat die Reformation die Macht vieler Fürsten vermehrt, doch hat sie in Deutschland kein absolutistisches Staatssystem geschaffen. Obwohl die Fürsten anfänglich als »Notbischöfe« handeln mussten und formell nur mit den Vorrechten eines summus episcopus ausgestattet waren, nahm ihre Rolle in der Praxis bald Dimensionen an, die manchen Geistlichen in Angst und Schrecken versetzten. Die Versuchung, die »zwei Reiche« miteinander zu verzahnen, war einfach zu groß. Zudem erforderten Umfang und Ausmaß der zu bewältigenden Aufgaben jene Art von Autorität und Ressourcen, über die nur ein Regent verfügte. In fast allen Bereichen, bei denen Handeln erforderlich war, konnten die Regierenden der Gelegenheit, die weltliche Macht auf Kosten der kirchlichen zu erweitern – ein im 15. Jahrhundert verbreitetes Streben –, nicht widerstehen. Zugleich kann man verstehen, dass der Wunsch, die Möglichkeiten der neuen Situation voll auszuschöpfen, auch der Notwendigkeit entsprang, den neuen politischen und militärischen Herausforderungen zu begegnen. Die Reformation bot neue Möglichkeiten, aber ebenso war sie nur eine Phase in einem längeren Entwicklungsprozess. Zudem lässt sich vieles, was traditionellerweise als charakteristisch für die Entwicklung der lutherischen Territorien galt wie etwa die Ausdehnung weltlicher Kontrolle über die Kirche, auch in den Gebieten beobachten, die der alten Kirche treu blieben. Tatsächlich waren die »modernsten« Territorialregierungen der damaligen Zeit wohl die österreichischen Herzogtümer und Bayern, die ihre Institutionen sehr viel eher als ihre führenden

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protestantischen Pendants wie Hessen, Kursachsen oder Württemberg reformiert hatten. 54 Überall im Reich weiteten die Territorialregierungen ihre Befugnisse aus und überall verliefen diese Prozesse ähnlich. Überall nahmen Rechtsgelehrte die Dinge in die Hand und setzten das römische Recht gegenüber lokalen oder regionalen Rechtsformen durch. Angesichts solcher Ähnlichkeiten zwischen protestantischen und katholischen Territorien sollten viele traditionelle Annahmen über den lutherischen Staat relativiert werden. Selbst in den Territorien, in denen das Luthertum für einen entscheidenden Wandel sorgte, bleiben die Ähnlichkeiten mit den Entwicklungen in katholischen Gebieten bemerkenswert. Zwar beseitigten die lutherischen Reformen das Zölibat und das Sakrament der Ehe, machten die elterliche Zustimmung zur Pflicht, ermöglichten die Scheidung und machten die Ehe zu einer staatlich anerkannten Institution, doch unterschieden sich die grundlegenden Ziele der Protestanten kaum von denen katholischer Reformer. Um die Familie zu stabilisieren, wollten sie »die Verbesserung und rechtliche Durchsetzung der traditionellen Kirchenlehre«. 55 Die althergebrachte Autorität des Vaters sollte wiederhergestellt und das Familienmodell auf den Staat übertragen werden, indem Regenten und Pastoren mit eben jener Autorität ausgestattet wurden. Die Anarchie lokaler Sitten und Gebräuche sollte durch offizielle Zeremonien und förmliche Registrierungsmaßnahmen ersetzt werden. Und die Reformer beider Glaubensrichtungen waren gleichermaßen enttäuscht, als sich herausstellte, dass der Einfluss ihrer Reformen auf die Bevölkerung insgesamt eher gering geblieben war. Dennoch hat die Reformation die protestantischen Territorien tief geprägt. In Württemberg, wo es schon in den 1490er Jahren unter Eberhard dem Bärtigen beeindruckende Rechts- und Verwaltungsreformen, vor allem die Landesordnung von 1495, gegeben hatte, wurde dieser Fortschritt zwischen 1520 und 1534 unter der Herrschaft der Habsburger durch ein Programm fiskalischer und administrativer Modernisierung ergänzt. Als Herzog Ulrich sein Territorium zurückerobern konnte, führte er sofort die Reformation ein, indem er zwei Reformatoren berief (einen Lutheraner und, in Anerkennung von Zwinglis Unterstützung, einen Zwinglianer) und am 2. August 1534 die Stuttgarter Konkordienformel veröffentlichte. Zwei Jahre später folgten Kirchenordnung, Gottesdienst- und Heiratsordnung. Diese Maßnahmen waren selbst nur das Vorspiel zu einer noch umfassenderen Reformation, die Ulrichs Sohn Christoph nach 1550 in die Wege leitete. 56 Auch er verabschiedete eine Kirchenordnung (1559), die, wie die erste, die Verantwortung des weltlichen Regenten für die kirchlichen Angelegenheiten und seine Pflicht, für christliches Verhalten zu sorgen, betonte. Die Pastoren hatten das Recht, Sünder, die am Abendmahl teilnehmen wollten, davon abzubringen. Allerdings war es Aufgabe der Amtleute, Gotteslästerung, Fluchen, Trinken, Glücksspiel, Prostitution und andere Sünden, die Gottes Zorn auf das Herzogtum lenken

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könnten, zu verfolgen. 57 Erstens also haben die protestantischen Territorien durch die Übernahme von Verantwortung für Gottesdienst, Schulwesen, Wohlfahrtseinrichtungen und Ähnliches zweifellos ihre Macht vergrößert. Viele Stände wurden geschwächt, weil nun die Prälaten nicht mehr auf ihren Treffen anwesend waren. Diese nämlich hatten häufig eine recht einflussreiche Rolle gespielt, weil sie Verbindungen zur Kirche insgesamt, zu Bischöfen, Metropoliten und religiösen Orden, hatten, Kontakte, die zu äußerem Druck auf das Territorium führen oder den Monarchen zum Eingreifen in eine innenpolitische Auseinandersetzung bewegen konnte. Mit dem Verschwinden der Prälaten gewannen die protestantischen Territorien an Geschlossenheit. 58 Zweitens weckte die Reformation zweifellos die Versuchung, die Kirchenschätze zu plündern.Vielfach zwar wurde der Kirchenbesitz angemessen, vielfach aber auch unsachgemäß verwendet. Die Säkularisierung und Beschlagnahme von Kirchenbesitz garantierte beträchtliche neue Einnahmequellen. So wurden zum Beispiel in Hessen und Württemberg, im ernestinischen und albertinischen Sachsen große Anteile des Kirchenbesitzes und -einkommens für Militärausgaben oder einfach für die Rückzahlung von Schulden verwendet. 59 Herzog Ulrich befahl sogar, die Goldfarbe von Gemälden zu kratzen, Stadthäuser von Geistlichen zu verkaufen und die jährlichen, von den kirchlichen Einnahmen erwirtschafteten und von seinen Beamten verwalteten Überschüsse einzubehalten. Dieser Missbrauch wurde von Theologen beider Konfessionen scharf kritisiert und erst Ulrichs Sohn Christoph konnte sie beruhigen, als er nach 1550 den Gemeinen Kirchenkasten einführte. Aber er verwendete dessen Überschüsse, um seine Schulden abzutragen, wozu er auch noch den größten Teil des Einkommens aus einem zweiten Fonds, dem Depositum, wohin die Gelder der vierzehn großen Klöster seines Herzogtums flossen, heranzog. 60 Drittens ist es schwierig, das Luthertum zu diesem Zeitpunkt als entweder konservativ oder autoritär zu bezeichnen. Die Ausweitung der Regierungsmacht wurde von einer neuen Bestimmung der Rolle des Regenten begleitet. Das Familienmodell wurde auf das Gemeinwesen übertragen, indem man die Regenten mit väterlicher Autorität und derselben göttlichen Sanktion, wie sie auch dem natürlichen Vater zukam, ausstattete. Implizit war damit den Untertanen als Christenpflicht auferlegt, ihrem Landesvater zu gehorchen. Sie hatten kein Recht auf aktiven Widerstand gleich welcher Art. Andererseits wurde die absolute Macht dieser weltlichen Autorität doch auch wieder entscheidend gemildert. Die Fürsten waren an christliche Gesetze gebunden und würden bei Übertretung bestraft, wie andere Bürger auch. Zudem fällt ins Auge, dass fast alle Fürsten zumindest einen geistlichen Reformer oder Reformator beriefen, um die Ziele einer territorialen Reformation zu bestimmen. Alle Kirchenordnungen wurden von Geistlichen verfasst, wobei es natürlich möglich ist, dass sie dabei von Laien, insbesondere

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Rechtsgelehrten, unterstützt wurden. Die Rolle der ursprünglichen Reformer wurde in Bestimmungen der Aufgaben des Predigers festgeschrieben, der, wie Bugenhagen formulierte, die Pflicht hatte, »aufmerksamen Dienst in der weltlichen Regierung« zu tun. 61 Wenn es auch kein Recht auf Widerstand gab, so bestand doch das Recht, wenn nicht gar die Pflicht, einen Fürsten, der unchristliche Politik betrieb, zur Rechenschaft zu ziehen. Auch war die Bevölkerung im Großen und Ganzen nicht das passive Opfer obrigkeitlicher Unterdrückung und Kontrolle. Zweifellos markierte der Reformprozess das Ende all jener Erwartungen und Emanzipationsversprechen, die zu Beginn der 1520er Jahre die Sektierer wie auch den »gemeinen Mann« beflügelt hatten. Einerseits waren diejenigen, die auf radikale Befreiung und die Einsetzung einer nur dem Wort Gottes verpflichteten Regierung gehofft hatten, bitter enttäuscht worden. Andererseits lassen sich die nach 1525 eingeleiteten und durchgeführten religiösen wie weltlichen Reformen zumindest teilweise als Reaktion auf die auch in der Bevölkerung verbreiteten Forderungen der vorangegangenen Jahre verstehen. Diese Reformen waren nicht einfach »die Fortsetzung des Bauernkriegs mit anderen Mitteln«, wurden aber mit Rücksicht auf die Lektion von 1525 durchgeführt. 62 Die Machtbefugnis der sich zentral organisierenden Regierungen blieb in zweierlei Hinsicht beschränkt. Einerseits wurden die Stände zwar durch den Rückzug der Prälaten geschwächt, blieben aber insofern präsent, als sie mit allem Nachdruck für ihre traditionellen Rechte, Privilegien und Freiheiten kämpften. Dabei konnten sie durchaus noch höchst wirksam Druck ausüben, weil sie bei der Finanzierung der Fürsten eine Schlüsselposition innehatten. 63 Allerdings gehörten durchaus nicht allen Ständen die Bauern oder Vertreter des »gemeinen Mannes« an, die schließlich die von den Ständen geforderten Steuern bezahlten. Andererseits konnten die Regierungen nicht einmal auf der kommunalen Ebene davon ausgehen, dass rechtliche Bestimmungen oder religiöse Normen beachtet wurden. Wenn also, viertens, die Einhaltung von Normen und Bestimmungen selbst keiner Norm folgte, war die Reformation dann als Erfolg oder als Fehlschlag einzustufen? Die Antworten hängen davon ab, inwieweit es der Reformation gelang, die Überzeugungen oder Verhaltensweisen der Laienschaft in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entscheidend zu beeinflussen. Extrem ist die Behauptung, die Reformation habe gar keinen Einfluss gehabt. 64 Wenn in den 1540er Jahren Reformatoren wie Melanchthon oder gar Luther selbst meinten, sie seien mit ihren Bemühungen fehlgeschlagen, sagt das mehr über ihre hohen Erwartungen und Ideale als über die tatsächlichen Verhältnisse aus. 65 Ähnlich spiegeln spätere Forderungen nach einer neuen Reformation die religiösen Bestrebungen einer neuen Generation von Idealisten, nicht aber die Versäumnisse ihrer Vorgänger. Schließlich sind solche Erweckungsbewegungen seit jeher ein Kennzeichen der Geschichte des Protestantismus gewesen.

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Erst mit der Zeit konnten die Veränderungen ihre Wirkung entfalten. Die neuen religiösen Normen riefen bei den unteren Bevölkerungsschichten kaum unmittelbare Wirkung hervor, nicht mehr jedenfalls, als die anderen Diktate der territorialen Regierung. Beide waren, wie auch die Regierung selbst, konsensabhängig. In Gebieten wie Baden lebten Katholiken und Protestanten lange Zeit Seite an Seite, besuchten gemeinsam den Gottesdienst und blieben von den Unterschieden, über die sich die Theologen stritten, weitgehend unberührt. Aber in manchen Reichsstädten, in den Hansestädten und Territorialstädten Norddeutschlands und Westfalens hatte sich bis in die 1540er Jahre hinein ein starkes konfessionelles Bewusstsein entwickelt. 66 In anderen Gebieten entwickelten sich Mischformen oder es herrschte Verwirrung. Die Visitation in Lippe von 1549 brachte Seltsames zutage: Pastoren, die noch das Brevier beteten, fasteten und an drei bis sieben Sakramente glaubten. 67 Aberglauben und Formen religionsmagischer Praktiken hatten überlebt, um bei Visitationen als Beweis für die neue Verderbtheit der Gesellschaft »entdeckt« zu werden. Weiterhin wurde geflucht, vorehelicher Geschlechtsverkehr und unchristliches eheliches Verhalten getrieben. Neu war die Vorstellung, man könne dergleichen durch Gesetzgebung und Kontrollmaßnahmen verändern.

Anmerkungen 1 Schmidt, Konfessionalisierung, 9–10. 2 Die ausgewogenste Darstellung dieser Problematik in englischer Sprache bietet Cohn, »Church property«; vgl. auch Ehmer, »Kirchengutsfrage«. 3 Press, »Territorialstruktur«. 4 Wolgast, »Territorialfürsten«, 432; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. IV, 75–76, 259– 260, 265–266. Anlass für den Vertragsabschluss war die Beendigung der »packschen Händel«. 5 Haug-Moritz, »Konfessionsdissens«, 143; Cohn, »Church property«, 167, 173–174. 6 Vgl. dazu die ausgezeichnete Übersicht in Wolgast, »Territorialfürsten«. 7 Ludolphy, Friedrich, 355–359; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. IV, 17–18. 8 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 14–16; Wolgast, »Territorialfürsten«, 427. 9 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. IV, 263. 10 Boockmann, Ostpreußen, 227–243; Hubatsch, »Voraussetzungen«. 11 Burleigh, Prussian society, 94, 170. 12 Boockmann, Ostpreußen, 231. 13 Bornkamm, Luther, 317–336. 14 Boockmann, Ostpreußen, 238. 15 Das verdankte sich im Wesentlichen der Zustimmung der Vormunde (Ansbacher und Brandenburger Linie) von Albrechts geistig gestörtem Erben Albrecht Friedrich bei der Lubliner Union von 1569, die die autonomen Rechte Westpreußens beseitigte. 16 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 262. 17 Lohse, Luther, 180–183; Leppin, Luther, 265–268. 18 Cohn, »Church property«, 163–164.

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19 Lohse, Luther, 180–183. 20 Beide Orte wurden 1546 nach der Niederlage von Kursachsen im Schmalkaldischen Krieg rekatholisiert, doch später in das sächsische Territorium integriert. Das lutherische Bistum Cammin (von 1544 bis 1556) war im Wesentlichen ein Faustpfand der Herzöge von Pommern, die es danach in eine Sekundogenitur umwandelten. Das einzige lutherische Bistum, das längerfristig überlebte, war Lübeck. Allerdings war es nach 1586 praktisch ein dynastisches Territorium des Hauses Holstein-Gottorp. Wolgast, Hochstift, 208–218, 237–253, 273. 21 Trüdinger, Briefe, 71, 79. 22 Strauss, House of learning, 6; Strauss, Law, 222–231. 23 Hammerstein, Bildung, 29–31, 87–88. 24 Leppin, Luther, 277–339. 25 Trüdinger, Briefe, 68–70; vgl. auch Leppin, Luther, 267–276. 26 Trüdinger, Briefe, 75. 27 Karant-Nunn, Pastors, 38–52, 56–60. 28 Strauss, Law, 212–214, 224–228. 29 Strauss, Law, 136–137. 30 Schmidt, Konfessionalisierung, 14–19. 31 Schmidt, Konfessionalisierung, 20. 32 Schmidt, Konfessionalisierung, 19–20. 33 Karant-Nunn, Pastors, 42–43. 34 Karant-Nunn, Pastors, 43. 35 Rabe, Geschichte, 371–372. 36 Karant-Nunn, Pastors, 20. 37 Karant-Nunn, Pastors, 74. 38 Schmidt, Konfessionalisierung, 21. 39 HdtBG, Bd. I, 165. 40 Smolinsky, »Kirchenreform«, 35–43; HdtBG, Bd. I, 68–70, 165–168. Eine ausgezeichnete allgemeine Diskussion der Probleme bietet Strauss, House of Learning, 1–28, 176–202. 41 Smolinsky, »Kirchenreform«, 43. 42 HdtBG, Bd. I, 258. 43 HdtBG, Bd. I, 292–298; Brady, Sturm, 116–125. 44 Vgl. S. 403–404. 45 HdtBG, Bd. I, 307–308. 46 HdtBG, Bd. I, 283. 47 HdtBG, Bd. I, 68–70, 305–307. 48 Schmidt, Konfessionalisierung, 23. 49 Strauss, House of learning, 194. 50 HdtBG, Bd. I, 377–378. 51 Strauss, House of learning, 20–24, 194; HdtBG, Bd. I, 377–379. 52 Zum Folgenden vgl. HdtBG, Bd. I, 425–431; Jütte, »Poverty«, 105–110, 390–393, 395–400; Fehler, Poor relief, 4–44, 71–108. 53 Bog, Oberdeutschland, 65–66. 54 Vgl. S. 596–601. 55 Harrington, Marriage, 273–278; das Zitat auf S. 274. 56 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 170–178; Schmidt, Konfessionalisierung, 15–20. 57 Schmidt, Konfessionalisierung, 20.

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Blickle, Reformation, 158. Zu Hessen vgl. Stöhr, Verwendung und Friedrich, Territorialfürst. Cohn, »Church property«, 170–171. Schmidt, Konfessionalisierung, 59. Schmidt, Konfessionalisierung, 90–91; Blickle, Reformation, 153–155. Strauss, Law, 240–271. Strauss, House of learning, 299. Strauss, »Success«. Schmidt, Konfessionalisierung, 104–105. Schmidt, Konfessionalisierung, 62.

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atürlich gab es auch viele, die der katholischen Sache treu blieben. Bis etwa 1530 waren die katholischen Fürsten sogar in der Überzahl, aber 1555 verblieben nur noch einige bedeutende säkulare Territorien im katholischen Lager, dazu die Fürstbistümer, ein paar Reichsstädte (als wichtigste Köln), ein paar Reichsgrafen, Reichsritter und Kleinadlige. Ihre Geschichte zwischen 1517 und 1555 wird oft zugunsten der Aufmerksamkeit für den Fortgang der evangelischen Sache vernachlässigt, was dazu geführt hat, dass wichtige Details, betreffend die Entwicklung der deutschen Territorien und des Reichs insgesamt, im Dunkeln geblieben sind. Was Ranke im Hinblick auf das deutsche historische Schrifttum seiner Zeit bemerkte, gilt auch für das des 20. Jahrhunderts: Vielfach hob es hervor, auf welche Weise der Widerstand gegen die Reformation seitens der Habsburger, der bayrischen Wittelsbacher und der deutschen Bischöfe die Nation gespalten habe. 1 Damit seien, so wurde weiter unterstellt, ihre Territorien im Vergleich zu den fortschrittlicheren protestantischen Gebieten zurückgeblieben. Als erforschungswürdig galten die katholischen Lande nur als Agenten der Gegenreformation, wodurch die Aufmerksamkeit auf die Jahrzehnte nach 1555 gerichtet wurde. Diese Tendenz ist in neuerer Zeit noch durch ein wachsendes Interesse am Phänomen der »Konfessionalisierung« verstärkt worden, das heißt an der Festlegung von Konfessionen oder Dogmensystemen und an der von Regierungen betriebenen Errichtung neuer kirchlicher Strukturen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Doch die Treue zur religiösen Tradition schloss Veränderung nicht aus. Die meisten katholischen Territorien machten den gleichen »Modernisierungsprozess« wie die protestantischen durch. Die Habsburger Lande unter Maximilian I. und nachmals Ferdinand waren ein Modellfall fortschrittlicher Verwaltung und reformfreudiger Regierung. »Reaktionäre« Fürsten wie Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel († 1568) oder Joachim I. von Brandenburg († 1535) gehörten zu den führenden Vertretern von Neuerungen in der Territorialregierung, wozu Verwaltungsreformen und die Einführung des römischen Rechts gehörten. Das Gleiche gilt auch von »neutralen« Regenten wie Johann III. von Jülich-Kleve-Berg († 1539) und Ludwig V. von der Pfalz († 1544). Auch die geistlichen Territorien waren in dieser Hinsicht keineswegs rückständig. Mögen Spiritualität und theologisches Fachwissen auch nicht zu den Stärken deutscher Prälaten dieser Zeit

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gehört haben, so fanden sich in ihren Reihen doch nicht weniger Rechtskundige und Verwaltungsexperten als bei den weltlichen Regenten. 2 Einige dieser Territorien setzten ihre tradierte Politik fort, die mit nicht weniger Nachdruck als die Protestanten darauf zielte, Territorialkirchen zu schaffen. Andere wurden durch die Reformation überhaupt erst zu einer solchen Politik veranlasst. Die katholischen Territorien sahen sich durch die Reformationsbewegung vor die Notwendigkeit gestellt, für eine feste, gottesfürchtige Regierung und für weltliche Autoritäten zu sorgen, die eingriffen, wo die kirchlichen Autoritäten hilflos waren. Gott würde, wie Herzog Georg von Sachsen bemerkte, sich an denen rächen, die nicht handelten, und daher müsse man immer Gott und die Gerechtigkeit im Auge behalten und sich nicht vor den ›Martinianern‹ fürchten. 3 Zugleich schuf jedoch die Reformation neue Parameter für oder gegen solche Aktivitäten. So waren zum Beispiel Bestrebungen, Bistümer zu säkularisieren und zu annektieren, tabu, sobald derlei Vorhaben zum Kennzeichen protestantischer Politik wurden. Bayern musste demzufolge die Finger von Salzburg oder Eichstätt lassen. 4 Die 1528 vollzogene Säkularisierung Utrechts durch Karl V. – er »kaufte« die Temporalien praktisch dem Bischof, Heinrich von Bayern, ab und beanspruchte das Territorium dann für sich und seine Nachfolger für alle Zeit, was dem Papst äußerst missfiel – blieb eine Einzeltat. Sogar Karl fühlte sich durch die negative Reaktion des Papstes und einiger Fürsten auf diese Transaktion eingeengt, sodass er auf eine ähnliche Offerte seitens des Erzbischofs von Bremen, der 1533 die Bereitwilligkeit erkennen ließ, seine Temporalien an Burgund zu verkaufen, nicht einging. 5 Andere Aspekte traditioneller Religionspolitik waren ebenfalls betroffen. Die Klosterreform wurde bedeutungslos, als sich selbst in den katholischen Regionen die Klöster leerten und Novizen nicht mehr zu finden waren. Viele der vor der Reformation geplanten Initiativen wie etwa die Bildungsreform oder Visitationen wurden nicht in die Tat umgesetzt, weil so viele Hoffnungen sich auf ein allgemeines Kirchenkonzil richteten, das alle anstehenden Probleme lösen und die kirchliche Praxis von Grund auf verändern werde. 6 Kurzfristig gesehen, rechtfertigte die Tatsache, dass sich Monarch und Papst in dieser Hinsicht einfach nicht einigen konnten, wiederholte Eingriffe der weltlichen katholischen Fürsten in kirchliche Angelegenheiten. Dies vergrößerte die Ähnlichkeit zwischen katholischem und protestantischem Umgang mit den Kirchen und führte von den 1540er bis zu den 1560er Jahren in einigen bislang loyalen, aber zugleich neutralen Territorien zu einer späten Reformation. Letztlich also vereitelte das Unvermögen, die Position der katholischen Kirche rechtzeitig zu klären, viele Versuche, den Glauben zu bewahren. Als 1564 die Dekrete des Konzils von Trient veröffentlicht wurden, waren viele Territorien schon verloren gegangen oder ließen sich nicht mehr vollständig zurückgewinnen.

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Entscheidend dafür, dass der Katholizismus und insbesondere die Reichskirche in Deutschland überleben konnten, waren Karls und Ferdinands beharrliches Festhalten an dieser Religion. 7 Obwohl Karl in den 1520er und 1530er Jahren weitgehend außerhalb des Reichs tätig war, forderte seine Position auch weiterhin die Treuepflicht. Das machte sich dank seiner Politik in den Niederlanden vor allem im Westen und Nordwesten des Reichs bemerkbar. 8 Sie war ein entscheidender Faktor für die loyale Haltung der Herzöge von Jülich-Kleve-Berg, der Reichsstadt Köln, der Erzbistümer Köln und Trier sowie der Kurpfalz. Dieses neue imperiale Netzwerk spannte sich bis Braunschweig-Wolfenbüttel, wo Herzog Heinrich der Jüngere bis zu seinem Tod im Jahr 1568 die evangelische Bewegung resolut bekämpfte.9 Kaiser Karls politische Präsenz im Nordwesten bestärkte auch Kurfürst Joachim von Brandenburg und Herzog Georg vom albertinischen Sachsen in ihrer Loyalität. Während Karl also im Nordwesten seinen Einfluss geltend machte, kümmerte sich Ferdinand um die etablierten Netzwerke der Habsburger in Süd- und Mitteldeutschland. Zwar traten die Reichsstädte relativ schnell zum Protestantismus über, doch blieben die umgebenden Gebiete davon weitgehend unberührt. Insofern stand die traditionelle Gefolgschaft, bestehend aus Reichsgrafen, Reichsrittern und allerlei geistlichen Regenten in Schwaben, weiterhin fest zu Kirche und Krone. Zwischen 1520 und 1534 wurde dieses von einem Flickenteppich aus Territorien bestehende Netzwerk, das vom Sundgau und Elsass über Schwaben bis nach Vorarlberg reichte und in seiner Gesamtheit Vorderösterreich ausmachte, durch die Besetzung von Württemberg verstärkt. Wichtig war auch Ferdinands Rolle als König von Böhmen: Joachim von Brandenburg hielt böhmische Lehnsgebiete, während Georg von Sachsen, ein Enkel des Hussitenkönigs Georg von Podiebrad, von seiner Mutter Sidonia ein tiefes Misstrauen gegenüber den Hussiten und jeder Form von Ketzerei geerbt hatte. 10 Im Westen wurde die Verbindung zwischen den beiden Habsburger Systemen über die Bistümer der Pfalz und des Rheinlands durch die gut katholischen Territorien Franche-Comté und Lothringen verstärkt und im gesamten Reich von den Fürstbistümern durchwoben. Zwar konnten die Bischöfe wenig tun, um den Kaiser aktiv zu unterstützen, doch indem sie ihre Rechte als Reichsfürsten betonten, demonstrierten sie die Bedeutung der von Kaiser und Reich garantierten Rechtsgrundlagen. Die Erzbischöfe und Bischöfe waren Gefolgsleute Habsburgs, die der Kaiser nicht vernachlässigen durfte. 11 Ein Territorium allerdings passt nicht so recht in dieses Bild, nämlich Bayern. Neben den Habsburgern waren die Wittelsbacher Herzöge die wichtigsten Bastionen des Katholizismus im Reich. Doch verbanden sie diese Haltung mit einer zutiefst ambivalenten Einstellung zu den Habsburgern. Zwar hatte Maximilian ihnen im Kampf gegen die Pfalz um das Recht auf Erbfolge in Niederbayern (1503–1506) geholfen, doch konnte die Dankbarkeit dafür die Bayern nicht sehr lange von der

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Tatsache ablenken, dass ihre Bestrebungen dort ihr Ende fanden, wo sie an drei Seiten von Habsburger Territorium umgeben waren. Die Spannungen verschärften sich, als Habsburg von 1520 bis 1534 Württemberg besetzt hielt. Zu eben jener Zeit engagierte sich Bayern in einer Vielzahl habsburgfeindlicher Initiativen, darunter befand sich der Versuch, die Wahl von Ferdinand zum römischen König zu verhindern. Als Herzog Ulrich 1534 sein Territorium zurückerobern konnte, war damit der offensichtlichste Streitpunkt zwischen den Habsburgern und den Wittelsbachern beseitigt, auch wenn Württemberg sofort ins protestantische Lager wechselte. Danach blieb Bayern der Sache des Reichs fester, wenn auch häufig auf eine schwankende Weise verbunden. Fairerweise muss man sagen, dass Bayerns Treue in erster Linie dem Papsttum galt und dass es sich dem Monarchen als Institution, nicht als Angehörigem der Habsburger, verpflichtet fühlte. 12 Innerhalb des Spektrums der katholisch gebliebenen Territorien entwickelten sich ganz unterschiedliche Reaktionen auf die evangelische Herausforderung, die summarisch in drei Kategorien eingeteilt werden können. Erstens betrieben einige Regenten in den 1520er und frühen 1530er Jahren eine reaktionäre oder neutrale Politik, wandten sich später aber dem Protestantismus zu, was besonders nach 1552/55 geschah, als ihre Entscheidung für oder gegen den Protestantismus eine rechtliche Grundlage besaß. Die meisten dieser Fürsten agierten innerhalb der Grenzen, die ihnen durch die Loyalität gegenüber dem Monarchen und den Traditionen des Reichs gesetzt wurden. Zweitens blieben die habsburgischen und bayrischen Territorien auf lange Sicht katholisch, wenngleich die österreichischen Lande in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts einen zähen Kampf gegen den Protestantismus führen mussten. Drittens gab es da noch die geistlichen Regenten, die eine eigene Kategorie bilden. Die erste Gruppe umfasste eine Vielzahl von Territorien, in denen Regenten mit persönlich unterschiedlichen religiösen Neigungen im Großen und Ganzen vergleichbare politische Ziele verfolgten. In Jülich-Kleve-Berg teilten Johann III. und Wilhelm V. (1539–1592) bestimmte Ansichten des Erasmus und setzten sich für eine Kirchenreform ein. 13 Allerdings wurden sie von der habsburgischen Regierung in Brüssel fortwährend überwacht und Wilhelms Machtlosigkeit gegenüber Karl trat deutlich zutage, als dieser 1543 das Herzogtum Geldern, das Wilhelm 1538 geerbt hatte, gewaltsam an sich riss. Um dem zuvorzukommen, hatte Wilhelm das Bündnis mit Frankreich gesucht und Anstalten gemacht, dem Schmalkaldischen Bund beizutreten. Der aber scheute davor zurück, Karl auf einem für ihn strategisch so wichtigen Gebiet wie den Niederlanden entgegenzutreten. Insofern war Frankreich für den Kaiser militärisch kein ernst zu nehmender Gegner. Karl wollte auf jeden Fall das Herzstück seines burgundischen Erbteils verteidigen und wurde zeitweise von England unterstützt, das Boulogne besetzt hatte. 14

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Dass Karl seine vermeintlichen Rechte in Geldern geltend machte, hatte, im Hinblick auf seine Position als Regent der Niederlande wie auch als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, territoriale wie auch strategische Motive. Hinzu kam noch eine religiöse Dimension. Die von Herzog Johann III. 1532 veröffentliche Kirchenordnung (wiederveröffentlicht 1567) stellte den Versuch dar, die katholische Kirche gemäß den humanistischen Ideen von Erasmus zu reformieren, was die Herzöge in Karls Augen gefährlich in die Nähe einer protestantischen Reformation brachte. Die Herzöge beschäftigten, wie andere neutrale Regenten, auch protestantische Beamte, was auf lange Sicht dazu führte, dass sich Protestanten dauerhaft in den Herzogtümern niederließen. Zu Beginn der 1540er Jahre wurde Jülich wegen seiner Kirchenpolitik, der Beschäftigungspraxis von Hof und Verwaltung sowie aufgrund der offenkundigen Bereitschaft von Herzog Wilhelm, eine Art Vasall von Frankreich zu werden, unzuverlässig. All das nahm sich für den Zugang des Monarchen zum Reich und für die Rolle, die er einer burgundischen Machtbasis für das Reich zugedacht hatte, als bedrohlich aus. In der Pfalz standen die Kurfürsten Ludwig V. (1508–1544) und Friedrich II. (1544–1556) der Religion eher indifferent gegenüber. Sie blieben dem Monarchen treu und fühlten sich der alten Kirche als Garant politischer Stabilität und sozialen Friedens verpflichtet. 15 Doch führte hier stärker als in Jülich die Ausbreitung von Protestanten in der Verwaltung zur schleichenden Konversion des Territoriums, sodass die von Kurfürst Ortheinrich (1556–1559) umstandslos eingeführte Reformation unvermeidlich war und reibungslos verlief. In Brandenburg wurde die repressive Politik von Kurfürst Joachim I. (1499–1535) von seinem Nachfolger, Joachim II. (1535–1571), durch ein eher neutrales Regime ersetzt. Joachim II. publizierte 1540 eine Kirchenordnung, erlaubte den Geistlichen die Heirat und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. 16 Dieser Wechsel von anfänglicher Gegnerschaft zu einer langfristiger Reform, der der Hinwendung zum Protestantismus den Weg ebnete, kennzeichnete auch die Regentschaft Heinrichs des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (1514–1568). Er musste es hinnehmen, dass bedeutende Städte wie Braunschweig und Goslar protestantisch wurden, bemühte sich aber beharrlich um eine Verbesserung der Kirche mittels Visitationen. 17 Die letzten Jahrzehnte seiner Herrschaft dürften ein langes Vorspiel zu der raschen protestantischen Reform gewesen sein, die sein Nachfolger, Herzog Julius (1568– 1589), ins Werk setzte. Selbst eine so ungebrochen militante, traditionell katholische Einstellung wie die des Herzogs Georg von Sachsen (albertinische Linie, 1500–1539) führte zu einem ähnlichen Ergebnis, und das sogar noch früher als bei Heinrich. 18 Während Georg aktiv um die Durchsetzung des Wormser Edikts bemüht war, gehörte er zugleich zu den engagiertesten Befürwortern eines Kirchenkonzils. Als seine Plädoyers ungehört blieben, wandte er sich dem zu, was für ihn die Hauptursache der

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gegenwärtigen Krise war: dem Niedergang der Moral des Klerus. Er förderte bischöfliche Visitationen zur Hebung der geistlichen Moral ebenso wie die Aufrechterhaltung klösterlicher Disziplin und hielt seine Beamten wie die höhere Geistlichkeit dazu an, in weltlichen wie kirchlichen Angelegenheiten für gute Ordnung zu sorgen und die Grenzen zwischen beiden Bereichen zu respektieren. Zudem betrieb er auch, was für deutsche Fürsten ungewöhnlich war, theologische Polemik gegen Luther und veröffentlichte sogar einige seiner eigenen theologisch ausgerichteten Flugschriften. Mehr als alle seine Zeitgenossen bediente er sich auch des neuen Mediums Buchdruck; er verfolgte all jene, die lutherische Traktate schrieben oder publizierten, und förderte zudem mit gleichem Eifer die katholische Polemik. Leipzig und Dresden wurden die führenden Zentren für den Druck dieser oft in deutscher Sprache verfassten Literatur. Zugleich unterstützte er die katholische Sache auch auf konventionellere Weise. So sorgte er 1523 für die Heiligsprechung des Bischofs Benno von Meißen (1066–1106). Betrieben hatte er das Projekt schon lange vor der Reformation, doch nun konnte er sein Herzogtum mit einem »Territorialheiligen« versehen. Die Elevation der Gebeine des Heiligen am 16. Juni 1524 geschah mit ostentativ antireformatorischem Eifer. 19 Herzog Georg wurde zwar in Flugschriften und Holzschnitten als feiger Götzenanbeter verspottet, entwickelte aber angesichts der sich verschärfenden religiösen Auseinandersetzungen eine flexiblere Haltung und ging sogar so weit, Versöhnungsversuche und Kompromissbereitschaft zu befürworten. Von 1517 bis 1531 hatte er regelmäßig mit Erasmus korrespondiert. Gern hätte er ihn an die Universität nach Leipzig geholt und er gehörte zu denjenigen, die Erasmus zu einer öffentlichen Stellungnahme gegen Luther aufforderten, was dieser mit De libero arbitrio 1524 auch tat. 20 1530 versuchte Herzog Georg, wenngleich erfolglos, auf dem Reichstag zu Augsburg eine Vermittlerrolle zu spielen. In seinen eigenen Landen konnte er, gestützt durch den aus Bergbau und Handel stammenden Wohlstand, die Loyalität bedeutender Teile des Adels und der Gebildeten genießen. Dennoch ließ sich sein Territorium nicht gegen den Einfluss des protestantischen Kursachsens abschirmen. Es gab keine klare Grenze: Die 1485 vollzogene Teilung Sachsens in die ernestinische und die albertinische Linie hatte zu Enklaven, Kondominien und gemeinsamen Verwaltungen von Bergbauunternehmen geführt. 21 Als 1525 in Kursachsen die Deutsche Messe eingeführt wurde, zog es viele Untertanen aus den Landen von Herzog Georg zum Gottesdienst über die Grenze und damit wuchs auch die Neigung, zu Hause die Communio sub una abzulehnen. 22 Um 1530 war deutlich geworden, dass sich die allmähliche Ausbreitung des Luthertums durch Unterdrückung allein nicht aufhalten ließ, und die Berater des Herzogs begannen, sich um den Wohlstand Leipzigs und des Territoriums allgemein zu sorgen. Während der Herzog selbst dem Katholizismus treu blieb, musste er der ein-

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flussreichen, an Erasmus orientierten Gruppe unter Führung Georgs von Carlowitz (* um 1471, † 1550), die sich zu Beginn der 1530er Jahre an seinem Hof gebildet hatte, freie Hand zu lassen. 23 1534 und 1539 unternahm die Gruppe Versuche, eine Diskussion zwischen katholischen und protestantischen Theologen in Leipzig zu initiieren. 1538 entwarfen sie eine erasmisch-humanistische Kirchenordnung, die die Heirat von Geistlichen und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt vorsah. Die Diskussionen kamen nicht zustande, weil man sich schon bezüglich der Grundlage nicht einigen konnte: Die Protestanten beharrten auf dem Augsburger Bekenntnis, die Katholiken auf dem Modell der frühen Kirchenväter. 24 Die Kirchenordnung wurde nie veröffentlicht. Letztlich scheiterten Herzog Georgs Versuche, sein Territorium dem Katholizismus zu erhalten, aus ganz anderen Gründen. Sein ältester Sohn und Erbe starb bereits 1537. Sein zweiter Sohn war geisteskrank und starb kurz vor seinem Vater im Februar 1539, nur vier Wochen nach seiner Heirat mit Elisabeth von Mansfeld. Die Ehe war in dem verzweifelten Versuch arrangiert worden, einen männlichen Erben hervorzubringen. 25 Dadurch ging die Erbfolge zwangsläufig an Georgs Bruder Heinrich über. Dessen Heirat mit Katharina von Mecklenburg hatte ihm die Verwandtschaft mit dem sächsischen Kurfürsten Johann dem Beständigen († 1532) eingebracht, einem Parteigänger des Protestantismus. Katharinas Begeisterung für die protestantische Sache und der wachsende Einfluss seines Verwandten in Wittenberg brachten Heinrich 1536/37 dazu, seine Besitzungen Freiberg und Wolkenstein protestantisch zu reformieren. Herzog Georgs Versuche, seine Lande zu retten, indem er, unterstützt wohl von Teilen des sächsischen Adels, den Kaiser als Erben einiger seiner Patrimonien einsetzte, schlugen fehl. Als Herzog Heinrich im April 1539 die Nachfolge seines Bruders antrat, setzte er sofort eine protestantische Visitation in Gang und beauftragte eine Kommission mit dem Entwurf einer neuen Gottesdienstordnung. Am 25. Mai predigte Luther in Leipzig. Bald danach legte eine zweite Visitation die Fundamente für eine Territorialkirche und betrieb die unwiderrufliche protestantische Reform aller Kirchenund Bildungseinrichtungen. Vollendet wurde diese Reform unter seinem Sohn, Herzog Moritz, in den Jahren nach 1541. Nachdem er für kurze Zeit in Ungnade gefallen war, konnte Herzog Georgs einstiger Berater, Georg von Carlowitz, unter Herzog Moritz wieder eine führende Rolle spielen. Er entwickelte Sympathien für das Luthertum und beaufsichtigte die aus ehemaligem Klosterbesitz finanzierte Einrichtung von protestantischen Schulen. Die schnelle Wendung der Dinge in Sachsen nach dem Tod von Herzog Georg zeigt beispielhaft die Probleme vieler Territorien, die katholisch bleiben wollten. Erfolg oder Misserfolg hingen fast ausschließlich davon ab, ob die Linie des Regenten beibehalten werden konnte. Diese Möglichkeit verringerte sich in dem Maß, in dem gegen Ende der 1520er und während der 1530er Jahre der Hochadel,

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insbesondere dessen weibliche Angehörige, immer stärker zum Protestantismus konvertierte. In Sachsen bildete selbst die im Landesadel verbreitete Bereitschaft, den Katholizismus zu unterstützen, kein Hindernis für den Sinneswandel an der Spitze. In Brandenburg wurde die protestantische Sache dadurch gestärkt, dass Kurfürst Joachims II. Bruder, Markgraf Johann von Küstrin, in der Neumark, in Crossen und in Cottbus eine protestantische Reform einleitete. 26 In anderen Territorien ließ die Ausbreitung des Protestantismus im Adel und der wachsende Einfluss protestantischer Beamter am Hof und in der Verwaltung eine protestantische Reform wie das logische Ergebnis eines so allmählichen wie beharrlichen Übergangsprozesses erscheinen. Letztlich wurde jede Hoffnung auf eine Beilegung des religiösen Konflikts durch die Reichspolitik Kaiser Karls zunichtegemacht. Religiöse Neutralität oder der Versuch, einen Mittelweg einzuschlagen, waren unweigerlich mit der Treue zum Monarchen verbunden. Das wiederum machte die frühen katholischen Reformer zu Pionieren der späteren Reichspolitik Ende der 1530er und während der 1540er Jahre: Zu dieser Zeit suchte Karl die Initiative zurückzugewinnen, indem er einen imperialen Bund (die Katholische Liga) gründete und ein »Interim« formulierte, um das religiöse Problem zu lösen. 27 Das bedeutete natürlich mehr als nur Versöhnungspolitik, denn Karl strebte als grundsätzliches Ziel eine monarchische Regierungsform im Reich an. Da dies nicht ohne Widerstand durchzusetzen sein würde, war an eine harmonische Lösung des Religionsproblems nicht zu denken. So blieben nur die Anerkennung der Teilung und ihre Kodifizierung im Reichsgesetz, so wie es der Augsburger Religionsfriede von 1555 vorsah. Die an den humanistischen Ideen von Erasmus orientierten katholischen Reformprogramme der 1530er Jahre laborierten jedoch noch an einem weiteren grundlegenden Problem. Wie die protestantischen Kirchenordnungen wurden sie durch fürstlichen Erlass verabschiedet oder, wie im Fall des unveröffentlicht gebliebenen sächsischen Edikts, zumindest als solcher konzipiert. Derlei Regierungsinitiativen waren zwar angesichts der Inaktivität der kirchlichen Obrigkeiten gerechtfertigt, standen jedoch im Widerspruch zum hierarchischen Ethos der Kirche. Faktisch würde jedes humanistisch inspirierte, von weltlichen Regierungen betriebene Reformprogramm mit ergebnisoffen geführten Disputationen zwischen Theologen aller Richtungen, gegenseitiger Tolerierung und einem außer Gefecht gesetzten Papst die Opposition der deutschen Kirchenhierarchie wie auch Roms hervorrufen. Schließlich setzten die auf dem Konzil von Trient 1564 verabschiedeten Dekrete allen Hoffnungen auf eine erasmische Reform der katholischen Kirche ein Ende. Angesichts der politischen Probleme und theologischen Hindernisse, die einer solchen Reform im Weg standen, kann es kaum überraschen, dass viele Territorien, die vor 1540 von katholischen Loyalisten regiert wurden, um 1555 protestantisch

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geworden waren. Der Rest folgte wenig später, im Allgemeinen nach dem Tod eines älteren Fürsten wie etwa Heinrichs des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel, der von 1514 bis 1568 regierte. Die große Ausnahme ist Jülich-Kleve-Berg. Dort, im Schatten des Habsburger Gerichtshofs in Brüssel und der spanischen Truppen von Herzog Alba, blieb der Katholizismus die offiziell vorherrschende Religion. Dennoch waren viele Städte und Angehörige des Adels in den 1540er und 1550er Jahren protestantisch geworden, während der Aufstand in den Niederlanden nach 1566 das Wachstum weiterer protestantischer Gruppen förderte. Zugleich wurde die Regierung immer weniger durchsetzungsfähig. 1566 wurde Wilhelm V. durch eine Krankheit geschwächt und die Lage verbesserte sich auch nicht, als sein geistig labiler Sohn und Erbe Johann Wilhelm 1592 die Macht übernahm. 28 Generell standen die katholischen Reformprogramme also auf recht schwachen Füßen, was den – zudem noch langfristigen – Erfolg des Katholizismus in Bayern umso bemerkenswerter macht. Dabei sind die Motive der regierenden Herzöge, Wilhelms IV. († 1550) und Ludwigs X. († 1545), alles andere als klar. Ihre Treue zum Monarchen war schon vor 1535 zweifelhaft. Ihre persönliche Frömmigkeit scheint nicht besonders stark gewesen zu sein und ihre generelle Haltung wurde 1543 von Wilhelm knapp und präzise erläutert: Er sei, sagte er, ein leidenschaftlicher Jäger, der sein Leben lang nur in Frieden leben und seinem Vergnügen frönen wolle. 29 Andererseits fühlten sich beide Herzöge den Traditionen ihrer Territorien verpflichtet: Treue zum Reich als einer Institution, für die ihre Dynastie einst Regenten gestellt hatte; Zusammenarbeit mit Rom bei der Kirchenreform in ihren Landen; Unterstützung für ihre Universität in Ingolstadt. 30 Von Anbeginn verbanden die Herzöge lautstarke Gegnerschaft zu Luther mit der Unterdrückung aller evangelischen Tendenzen und einer mit Nachdruck in Zusammenarbeit mit Rom betriebenen Kirchenreform. Der Ingolstädter Theologe Johannes Eck (* 1486, † 1543) trat bald als einer der prominentesten katholischen Gegenspieler Luthers hervor. Die bayrischen Herzöge gehörten zu den ersten, die das Wormser Edikt veröffentlichten und seine kompromisslose Umsetzung betrieben. Dazu gehörte, was sonst kein deutscher Fürst tat, die Hinrichtung von Ketzern (im Jahr 1523), was sonst nur Karl V. in den Niederlanden anordnete. 31 Zugleich zwangen sie den Erzbischof von Salzburg zur Einberufung einer Reformsynode und beauftragten ihren Kanzler, Leonhard von Eck (* 1480, † 1550), mit Rom Sonderprivilegien auszuhandeln, um bei der Reform der bayrischen Kirche und der Bildung eines deutschen Bündnisses gegen die evangelische Bewegung unterstützend tätig zu sein. 32 Die mit Rom 1523–1524 ausgehandelten Privilegien, darunter das Recht auf ein Fünftel aller klerikalen Einkünfte in Bayern, das Recht auf die Durchführung von Visitationen in Klöstern und das Recht auf Jurisdiktion über den Klerus, waren dauerhaft und wurden in den nächsten Jahrzehnten durch weitere Reformen

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ergänzt. Dagegen erwies sich das mit Salzburg und Österreich im Sommer 1524 in Regensburg geschlossene Bündnis als kurzlebig. Es ging an der Animosität zwischen den Habsburgern und den Wittelsbachern, die sich am Problem Württemberg und der Frage der monarchischen Thronfolge entzündete, zugrunde. Erst 1534 kehrten die Beziehungen mit dem Haus Habsburg zur Normalität zurück. Zwar ermöglichte das erneuerte Bündnis mit Habsburg den Wittelsbachern die Bekräftigung ihrer traditionellen Bindungen zu Kaiser und Reich, aber sie wahrten kritische Distanz zu Karl V. Die bayrische Treue galt Papsttum und Reich als Institutionen. Im Gegensatz zu anderen deutschen Fürsten hatten die Herzöge mit humanistischen Reformen à la Erasmus nichts im Sinn. Als Karl V. Ende der 1530er und während der 1540er Jahre eine Kompromiss- und Versöhnungspolitik betrieb, waren sie entschieden dagegen. Diese Haltung begrenzte zwar das von ihnen angestrebte Ausmaß der Kontrolle über die Kirche, schützte sie aber auch besser vor dem anderswo offenkundigen Drang zum Protestantismus und machte sie weniger anfällig für die Wechselfälle und das folgende Scheitern von Karls Reichspolitik. Die eigenwillige bayrische Politik der Treue zum Papsttum bildete eine solidere Basis für den Erfolg einer von der Regierung angeordneten und von der Kirchenhierarchie unterstützten Reform als die humanistisch inspirierten Versuche in anderen Territorien. Der frühe Erfolg dieser Reformen ermöglichte es Bayern, die Opposition der vom Adel betriebenen und zum Protestantismus neigende Laienkelchbewegung der 1550er und 1560er Jahre besser zu überstehen, als dies den Habsburgern in Österreich und Böhmen gelang. 33 Um 1555 war das Netz der weltlichen katholischen Territorien stark geschrumpft. Es umfasste noch die Habsburger Lande im Nordwesten und Süden, ferner Bayern, die Franche-Comté, Lothringen und Jülich-Kleve-Berg. Umso überraschender mutet die Tatsache an, dass die Reichskirche intakt geblieben war. Nur Utrecht war 1528, ironischerweise, an Karl V. gefallen. 34 Immerhin gaben die geistlichen Fürsten Beispiele für eben jene höchst inakzeptablen Eigenarten der katholischen Kirche, die die evangelische Bewegung reformieren wollte. Die Reformation brachte eine Vielzahl von Säkularisierungsplänen hervor und entfachte erneut die Bestrebungen vieler weltlicher Fürsten, ihre bischöflichen Nachbargebiete zu annektieren. 35 Viele geistliche Fürsten verloren einige ihrer Diözesanrechte und konzentrierten sich nun darauf, ihre territorialen Rechte zu bewahren. 36 Doch kam es nie zum einem Bündnis der Bischöfe, um diese oder andere Vorrechte zu verteidigen. Das Verhalten der führenden kirchlichen Würdenträger war weder kühn noch kämpferisch. Zeitgenössische Beobachter übten vernichtende Kritik. Johannes Eck setzte Papst Hadrian VI. 1523 davon in Kenntnis, dass die deutschen Bischöfe entweder neutral seien, indem sie nichts förderten und nichts verhinderten, oder sie seien gut, aber »kleinmütig«. 37 1539 hatte sich daran offenbar wenig geändert.

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Leonhard von Eck erklärte gegenüber Herzog Wilhelm IV. von Bayern, dass die Bischöfe sämtlich schliefen und, kaum zu glauben, als »fromm, gerecht und ohne Tadel erscheinen wollten, ganz so, als hätten sie kein Wässerchen getrübt«. 38 Selbst wenn die Situation der vorreformatorischen Kirche nicht so düster gewesen sein sollte, wie viele zeitgenössische und spätere Historiker sie gezeichnet haben, ist das Überleben der geistlichen Territorien doch erstaunlich. Im Westen und Süden konnte die evangelische Bewegung nur wenig an Boden gewinnen. 39 In den Diözesen Verdun, Toul und Trient gab es sie so gut wie gar nicht. Auch die Fürstbistümer von Trier, Lüttich, Eichstätt, Brixen, Freising, Regensburg und Passau blieben vom Protestantismus weitgehend unberührt. In Westfalen, dem Rheinland und der Mainregion waren evangelische Bewegungen nur von begrenztem Einfluss und auch die großen Klöster im Süden – Salem, Kempten, Ochsenhausen, Ottobeuren, Schussenried, Weingarten und die anderen – überstanden die Reformationsepoche. In anderen Gebieten jedoch kam es durch die evangelische Bewegung zu grundlegenden Änderungen. Erzbischof Albrecht von Mainz musste die Reformation in seiner thüringischen Exklave Erfurt hinnehmen und konnte auch nicht den fast vollständigen Sieg der evangelischen Bewegung in seinen Magdeburger und Halberstädter Landen verhindern. 40 Nördlich der Linie, die von den Landen von Münster, Osnabrück, Hildesheim, Paderborn, Mainz, Fulda, Würzburg und Bamberg gebildet wurde, waren praktisch alle geistlichen Territorien (wenn auch nicht dem Namen nach) bis 1555 protestantisch geworden. 41 Wie im Fall der weltlichen Territorien war der wichtigste Faktor die Entscheidung des Regenten. De facto hat wohl nur ein Fürstbischof von etwa 100 im Zeitraum zwischen 1517 und 1555, nämlich Hermann von Wied in Köln, ernsthafte Sympathien für den Protestantismus entwickelt; und bei den Suffraganbischöfen gilt das für drei (die von Basel, Speyer und Würzburg) von 120. 42 Letzteres ist vielleicht überraschend, weil die Mehrheit der Suffraganbischöfe nicht dem Adel angehörte und damit jene Schicht von Gebildeten repräsentierte, die sich im Allgemeinen zur evangelischen Sache hingezogen fühlten. Fast überall konnte der Katholizismus im Domkapitel einen sicheren Anker finden. Schließlich stellten die Kapitel – als familiäre, politische und soziale Netzwerke – mächtige Interessenvertretungen dar, so zum Beispiel für die Reichsritter, deren Zukunft als Individuen wie als Körperschaft von der Loyalität gegenüber Kirche und Kaiser abhing. 43 Einerseits gab es natürlich Kapitel, in denen einige Mitglieder zum Protestantismus übertraten, während andere neue Mitglieder mit evangelischen Neigungen aufnahmen. Andererseits gab es in keinem Kapitel vor 1555 eine protestantische Mehrheit und viele reagierten überaus energischer als ihre Fürstbischöfe auf die Herausforderung durch die evangelische Bewegung. Dass diese Körperschaften, deren Existenz von der strikten Erhaltung noch

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des trivialsten rechtlichen Präzedenzfalls abhing, ihre Rechte und Privilegien lautstark verteidigten, war zu erwarten. In gewisser Weise funktionierten Domkapitel genauso wie Stände mit Sonderprivilegien: Wenn es keine regierende Erbdynastie gab, konnten sie plausibel geltend machen, als Hüter des territorialen Interesses zu handeln. Zunehmend nutzten viele von ihnen das Mittel der Wahlkapitulation, eines komplexen Vertrags, in dem der neu gewählte Fürstbischof mit seiner Unterschrift zusichern musste, den politischen und religiösen Status quo aufrechtzuerhalten. 44 Infolgedessen hatten die Fürstbischöfe sehr viel weniger Wahlfreiheit als ihre weltlichen Kollegen. Was Hochmeister Albrecht 1525 in Preußen erreichte – die Säkularisierung eines bedeutenden geistlichen Territoriums –, konnte im Reich selbst nicht so einfach nachgeahmt werden. Fast niemand unternahm den Versuch, Albrechts Beispiel zu folgen. Die Hindernisse traten zutage, als Hermann von Wied, Erzbischof und Kurfürst von Köln, sich 1542 an einer protestantischen Reform seiner Territorien versuchte. 45 Als Ergebnis einer Verbindung von politischen Faktoren, starken religiösen Traditionen und dem Einfluss einer bedeutenden theologischen Fakultät an der Universität hatte die Reichsstadt Köln in den 1520er Jahren die evangelische Bewegung erfolgreich unterdrückt. 46 Zudem regierte Wied von 1515 bis 1535 als vollkommen der tradierten Lehre treuer Prälat, der sich gegenüber dem Monarchen und Rom loyal verhielt. Sein persönlicher Übertritt zum evangelischen Glauben entwickelte sich im Verlauf von Diskussionen über die Formulierung neuer Verordnungen für das Kölner Provinzialkonzil von 1536. Sechs Jahre später hatte er Martin Bucer gewinnen können, der ihn bei der systematischen Einführung der Reformation unterstützen sollte. Das rief Gegner aus dem Klerus, dem Kapitel und den Ständen auf den Plan, die sofort an Karl V. appellierten, er möge ihnen zu Hilfe kommen. Zunächst ließ der Schmalkaldische Krieg im Süden die Angelegenheit für einige Jahre in der Schwebe. Dann aber hatte Karl gesiegt und konnte sich nun des Erzbischofs annehmen. Seine Kommissare vollstreckten die päpstliche Exkommunikation und erklärten, dass er kraft des Verlustes seiner Spiritualien auch die Temporalien verwirkt habe. An seiner Stelle wurde Adolf von Schaumburg, Koadjutor ab 1533 und Gegner von Wieds Reformen, zum Erzbischof gewählt. Er unterzeichnete eine Wahlkapitulation, in der er gelobte, den katholischen Glauben in seinen Territorien zu bewahren. Wied starb 1552 als erklärter Protestant. Hermann von Wied wollte sein Territorium reformieren, nicht aber säkularisieren; es sollte als protestantisches kurfürstliches Erzbistum weiterexistieren. Doch war selbst dieser Wandel für sein Domkapitel oder für den Kaiser zu radikal. Köln war als kurfürstliches Erzbistum und bedeutendes Territorium des Rheinlands für Karl von besonderem strategischem Interesse und insofern ein Sonderfall. Doch auch anderenorts, zum Beispiel im Nordosten, und dort, wo eine starke evan-

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gelische Bewegung Fuß gefasst hatte, blieb die formelle Situation vor 1555 unverändert. Die kleineren mitteldeutschen und nördlichen Bistümer – Samland, Pomesanien, Cammin, Brandenburg, Havelberg, Lebus, Schwerin, Meißen, Merseburg und Naumburg – haben hier so gut wie keine Relevanz, weil sie bereits im 15. Jahrhundert »territoriale Bistümer« waren. 47 Wollte sich ein protestantischer Fürst eine benachbarte Pfründe aneignen, die eine klassische Institution der Reichskirche war, musste er katholischen Mitgliedern seiner Dynastie eine Folge von Wahlen sichern. So jedenfalls arrangierten es die Brandenburger Hohenzollern in Magdeburg. 48 »Dynastische Folge« und »gebundene Wahl« (bei der ein Domkapitel nur die von einem benachbarten Fürsten nominierten Kandidaten akzeptieren durfte) ebneten späteren Säkularisierungen den Weg, doch der erfolgreiche Abschluss solcher Initiativen hing von der nach 1555 veränderten Rechtslage im Reich ab. Das katholische Deutschland war nicht zurückgeblieben, sondern entwickelte sich vielfach auf ähnliche Weise wie zur gleichen Zeit das protestantische Deutschland. Doch in den 1540er Jahren trat die Notwendigkeit einer gründlicheren Reform zutage, die sowohl die geistlichen als auch die weltlichen Territorien betraf. Bei Visitationen zeigten sich Unzulänglichkeiten und Mängel auf jeder Ebene. In vielen Regionen hatte sich die evangelische Bewegung in Stadt und Land ausgebreitet und etabliert. Schulen und Universitäten verfielen. 49 Gegen Ende der 1540er Jahre wurde zunehmend deutlich, dass die Idee einer rein deutschen Reform, werde sie von erasmisch inspirierten Fürsten und Hofräten oder vom Kaiser betrieben, Illusion war. In mancher Hinsicht ist es bemerkenswert, dass die Beschwerden in den katholischen Territorien ein Widerhall der Klagen in den protestantischen Territorien sind, wo in den 1540er Jahren Reformer lauthals bedauerten, dass es ihnen nicht gelungen sei, die Welt zu verändern. In anderer Hinsicht aber war die Krise in den katholischen Gebieten sehr viel tiefgehender. Der Protestantismus übte schließlich immer noch eine beträchtliche Anziehungskraft auf die Bevölkerung aus, immer auf Kosten des alten Glaubens. Auch der Katholizismus war sich seiner Abhängigkeit vom Kaiser und den Wechselfällen seiner weltlichen und religiösen Bestrebungen im Reich schmerzhaft bewusst. Dieses Dilemma und die damit verbundenen Probleme konnten nur durch den Augsburger Frieden von 1555 gelöst werden. Dieser Friede war jedoch selbst das Ergebnis einer komplizierten Entwicklung im Reich, die mit dem Reichstag zu Speyer 1526 begonnen hatte.

Anmerkungen 1 2 3

Ranke, Geschichte, 305–320. Wolgast, Hochstift, 26–27; Schindling, »Reichskirche«, 89–91. Wolgast, »Territorialfürsten«, 420.

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4 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.VII, 75; Press, »Territorialstruktur«, 259. 5 Wolgast, Hochstift, 80–82, 123–124. Temporalien waren die Lande und Rechte eines Fürstbischofs, über die er als Regent verfügte, im Gegensatz zu den Spiritualien, die ihm als Bischof zukamen. 6 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.VII, 75. 7 Schindling, »Reichskirche«, 94–96; Press, »Territorialstruktur«, 257–259. 8 Press, »Territorialstruktur«, 259. 9 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 24–36. 10 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 12, 39–40 11 Press, »Territorialstruktur«, 257. 12 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 59–61. 13 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 90–95. 14 Rabe, Geschichte, 310–312; Schmidt, Geschichte, 83–84, 86; Joachimsen, Reformation, 237, 239. 15 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 16–18. 16 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 42–43. 17 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 24–27. 18 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 11–17. 19 TRE, Bd. XII, 386. 20 TRE, BD. XII, 387. 21 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 9–10; Wartenberg, »Erasmianismus«, 11–12. 22 Communio sub una (Abendmahl in einerlei Gestalt) war die traditionelle Form des Abendmahls, bei der der Priester Brot und Wein zu sich nahm, die Gemeinde aber nur das Brot. 23 Wartenberg, »Erasmianismus«, 7–9. 24 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 16–17. 25 Wartenberg, »Erasminanismus«, 10; Midelfort, Mad princes, 53–55. 26 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 44–45. 27 Vgl. S. 381–405. 28 Midelfort, Mad princes, 94–124; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 98–101. 29 Wolgast, »Territorialfürsten«, 421. 30 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 57–59. 31 Wolgast, »Territorialfürsten«, 422. 32 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 59–60. 33 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 62–64. 34 Wolgast, Hochstift, 80–82. 35 Wolgast, Hochstift, 57–79. 36 Wolgast, Hochstift, 191–192. 37 Wolgast, Hochstift, 189. 38 Wolgast, Hochstift, 190. 39 Schindling, »Reichskirche«, 84–86. 40 Wolgast, Hochstift, 192. 41 Schindling, »Reichskirche«, 85. 42 Wolgast, Hochstift, 99–100. 43 Schindling, »Reichskirche«, 100–103. 44 Wolgast, Hochstift, 187. 45 Wolgast, Hochstift, 91–99, 136–137. 46 Scribner, »Cologne«, passim.

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47 Wolgast, Hochstift, 197–253. 48 Wolgast, Hochstift, 130–132. 49 HdtBG, Bd. I, 312–313.

22. Karl V., Ferdinand und das Reich in Europa

D

er unaufhaltsame Vormarsch des Protestantismus im Reich, der in den Jahrzehnten nach 1526 ein großes Territorium nach dem anderen erfasste und sich dort dauerhaft festsetzte, ist bisweilen als Zeichen für einen stetigen Zerfallsprozess der deutschen Einheit gedeutet worden. Tatsächlich jedoch haben die komplexen Verhandlungen und die bewaffneten Konflikte dieser Epoche den Zusammenhalt der deutschen Stände letztlich verfestigt. Die zentralen Institutionen des Reiches gingen gestärkt aus den Auseinandersetzungen hervor und die deutsche Monarchie selbst wurde in ihrer inneren Struktur auf eine Weise bestimmt, die erst von Napoleon erfolgreich infrage gestellt werden konnte. Karl V. schien zwar über unendlich mehr Macht als irgendeiner seiner Vorgänger zu verfügen, doch gelang es ihm so wenig wie Maximilian, seinen Willen im Reich durchzusetzen. Sein Misserfolg hängt in hohem Maß mit der gewaltigen Ausdehnung seiner Herrschaftsgebiete und den vielen, häufig widersprüchlichen Verpflichtungen, die damit verbunden waren, zusammen. Doch bahnte sein Scheitern den Weg zu einer neuen Verfassungsregelung, die dem frühneuzeitlichen Reich seine endgültige Gestalt gab. Von entscheidender Bedeutung war durchweg die religiöse Problematik. Sie stellte natürlich einen Trennfaktor dar, doch war letztlich die Art und Weise sehr viel wichtiger, in der das Problemlösungsverhalten dazu diente, die Einheit zu bewahren. Immer wieder wurde in der deutschen Politik auf ein zukünftiges Kirchenkonzil verwiesen, das man sich als ökumenisches oder als nationales Konzil vorstellte und das jedes zuvor getroffene Abkommen zum Provisorium machen sollte. Manchmal waren diese Verweise nur ein Deckmantel für zynischen Opportunismus und das rastlose Streben nach Säkularisierung und Ausweitung der Kontrolle über die Kirche vor Ort. Trotz aller Rhetorik erlaubte der Bezug auf das Konzil zumindest, dass auf der Reichsebene Kompromisse geschlossen und »endgültige« Konfrontationen vermieden werden konnten. Diese Vermeidungsstrategie verdankte sich zwar bisweilen der chronischen Mentalität des Zögerns, von der das politische Leben in Deutschland zweifellos befallen war, doch ermöglichte sie diesem Leben auch das Fortbestehen. So wurden, als unversöhnliche religiöse Differenzen das System an den Rand des Zusammenbruchs brachten, entscheidende Gesetze einvernehmlich verabschiedet, gemeinsame Projekte zur Sicherung des inneren Friedens auf den Weg gebracht und Initiativen in Gang gesetzt, um das Reich vor äußerer Bedrohung zu

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schützen. Und als in den 1540er Jahren die Bedrohung vom Kaiser selbst zu kommen schien, wurden auch die religiösen Differenzen im gemeinsamen Kampf um die »teutsche Libertät« hintangestellt. Jederzeit wurden diese Verhandlungen und Kämpfe zum einen durch die binnendynastischen Erwägungen der Habsburger und zum anderen durch ihre verzweigten außerdeutschen Interessen geprägt. Die Beziehung zwischen Karl und seinem Bruder Ferdinand blieb an der Oberfläche harmonisch. Karl beseitigte mit Entschiedenheit alle Hindernisse, die Ferdinands Wahl zum römischen König im Januar 1531 im Weg standen. Ferdinand arbeitete ebenso entschieden daran, die Interessen seines Bruders im Reich zu fördern und seine Politik durchzusetzen. Aber ihre Erfahrungen mit dem Reich entwickelten sich unterschiedlich. Ferdinand, der jüngere Bruder, war dort immer präsent und wurde allmählich, in Rollenverhalten und Mentalität, ein deutscher Fürst. Karl hatte, um die Dinge in Bewegung zu setzen, das Charisma, die Autorität und die fast magische Macht der Kaiserkrone. Doch in den ersten zwei Jahrzehnten seiner Regentschaft war er im Reich kaum anwesend (1520–1521, 1530–1532, 1540) und seine direkte Erfahrung und Kenntnis der deutschen Politik war entsprechend begrenzt. Das behinderte seine Bemühungen, in den zehn Jahren seiner Anwesenheit in Deutschland nach 1543, seinen Willen durchzusetzen. Zudem betrieben die Brüder die Reichspolitik aus unterschiedlichen geografischen Perspektiven: Karl von den Niederlanden, Ferdinand von Österreich aus. Dadurch kam es mit der Zeit zu Differenzen in ihrer Einschätzung von Prioritäten und der Möglichkeit, in Deutschland zu einer Übereinkunft zu kommen. Ferdinand profitierte von Karls Scheitern. Bis dahin hatten die Brüder fast immer dieselbe Zielrichtung eingeschlagen, aber mit der Zeit wurde die Zusammenarbeit unbeständiger, weniger koordiniert. Natürlich blieben beide dem treu, was sie als Interessen der Dynastie begriffen. Kommunikation und Verständigung über deutsche Angelegenheiten wurden auch dadurch leichter gemacht, dass Karl von den Ratschlägen des Kardinals Bernardo Clesio profitieren konnte. 1 Clesio war Bischof von Trient und von 1527 bis zu seinem Tod im Jahr 1539 oberster Kanzler unter Ferdinand. Dennoch musste jeder Bruder seine Deutschlandpolitik im Rahmen eines jeweils verschiedenen außerdeutschen Koordinatennetzes betreiben, auch wenn diese Netze sich häufig überlappten. Beide mussten sich mit einem neuen wichtigen Faktor der europäischen Politik auseinandersetzen: der Bedrohung durch die Türken. Die dringlichsten Probleme für das Reich resultierten daraus, dass Ferdinand 1526 die böhmische und die ungarische Königskrone geerbt hatte. 2 Diese Erbschaft wiederum war eine direkte Folge des 1521 von den Osmanen gegen Ungarn geführten Angriffs. Suleiman der Prächtige konnte Belgrad erobern, was eine nicht abreißende Folge von Feldzügen in Gang setzte, die während der nächsten Jahr-

22. Karl V., Ferdinand und das Reich in Europa

zehnte immer wieder die ganze Region bis einschließlich Wien bedrohten. 1526 stießen die Türken bis weit ins Innere Ungarns vor und schlugen im August die schlecht bewaffnete und ebenso schlecht geführte Armee Ludwigs II. bei Mohács vernichtend. Ludwigs Tod setzte das auf dem Wiener Kongress 1515 geschlossene Abkommen in Kraft, demzufolge Ferdinand, der Schwager Ludwigs, die Erbfolge antreten sollte, falls Ludwig kinderlos stürbe. Doch konnte die Erbfolge weder in Ungarn noch in Böhmen problemlos angetreten werden. In Böhmen beharrten die Stände auf ihrem Recht der freien Wahl und stimmten einer Wahl Ferdinands erst im Oktober 1526 zu, nachdem zahlreiche Bestechungsgelder geflossen waren und man den Ständen ihr Recht bestätigt hatte. Ferdinands Krönung im Februar 1527 brachte Böhmen zurück ins Reich, wenngleich seiner Macht dort durch die Zugeständnisse, die er vor seiner Wahl hatte machen müssen, die Flügel gestutzt worden waren. 3 In Ungarn war die Lage komplizierter. Während die Böhmen mit einer Reihe von ziemlich chancenlosen Gegenkandidaten aus Bayern, Sachsen und Polen Gedankenspiele getrieben hatten, war in Ungarn ein starker nationaler Kandidat angetreten, nämlich Johann Zápolya, Woiwode von Siebenbürgen, der auch die Unterstützung seines Schwiegervaters, des Königs von Polen, genoss. Diesmal konnten Bestechung, Rechtsargumente, Versprechungen und Drohungen nichts bewirken. Zápolya wurde im November 1526 in Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) gewählt und gekrönt, sodass Ferdinand nur der Gegenanspruch blieb. Doch konnte er sich seine eigene Krönung im Monat darauf sichern, indem er seiner verwitweten Schwägerin, Königin Maria, so langfristige wie kostenträchtige finanzielle Unterstützung versprach und ihrem Kreis von Magnaten beträchtliche Summen zahlte. Dann wischte er Zápolyas Verhandlungsangebot (Zápolya wäre als König mit Maria verheiratet und Ferdinand ihr Erbe gewesen) vom Tisch und wollte durch militärische Eroberung nach der Krone greifen. Diese schicksalhafte Entscheidung hatte zwei wichtige Folgen. Zum einen zeigte sich, dass Ferdinand gar nicht über die nötigen Mittel verfügte, um so ein Wagnis ohne Hilfe in Angriff zu nehmen. Karl zögerte, versprach dann Unterstützung, schickte aber davon zu wenig und zu spät. Die Böhmen saßen durch die ihnen erst kürzlich von Ferdinand gewährten Vorrechte fest im Sattel und hatten wenig Lust, die Macht ihres neuen Königs zu mehren. Die deutschen Fürsten hatten Ludwig bereits 1524 und 1526 Unterstützung gegen die Türken versagt und wollten nun auch keinen Beitrag zu einem, wie sie es sahen, rein habsburgischen Feldzug in Ungarn leisten. Zum anderen suchte Zápolya Hilfe bei den Türken, die ihn im Januar 1528 als Bündnispartner gegen Ferdinand unter ihren Schutz stellten. Im folgenden Jahr unternahm Suleiman den Versuch, Zápolya zu inthronisieren und belagerte Wien. 4 Nach zwei Wochen Belagerung zogen die Türken ab, noch ehe Ferdinands

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Streitkräfte eingetroffen waren. Suleiman waren seine Grenzen aufgezeigt worden. Weder damals noch später war Wien tatsächlicher oder dauerhafter Bedrohung ausgesetzt, auch nicht bei einem weiteren Angriffsversuch 1532, der kurz vor Wien bei Güns (Köszeg) endete. Dennoch blieb es an der Front im Osten noch jahrzehntelang unruhig. 5 Aber es gab immer wieder kurze Perioden des Waffenstillstands und 1538 kam es zwischen Zápolya und Ferdinand zu einem Abkommen, wobei jeder den anderen als rechtmäßigen König von Ungarn anerkannte. Ferdinand war jetzt der Erbe des (bis dahin) kinderlosen Zápolya. Alle Waffenstillstände dauerten nur so lange, bis Suleiman Streitkräfte für einen erneuten Angriff gesammelt hatte. Zudem wurde das Abkommen von 1538 dadurch hinfällig, dass Zápolya kurz vor seinem Tod 1540 ein Sohn geboren wurde. 6 Johann Sigismund erbte die Krone seines Vaters, dessen umfangreiches Gefolge an Magyaren und sein türkisches Protektorat. Nun gab es weitere Feldzüge; die entscheidenden wurden 1541 und 1543 geführt. 1547 kam es zu einem fünfjährigen Waffenstillstand, danach folgten einige Geplänkel, bis das Abkommen 1562 erneuert wurde. Allerdings war die Gefahr erst mit dem Tod Suleimans 1566 gebannt. Doch das Ergebnis zeichnete sich bereits 1541 deutlich ab: Ungarn wurde dreigeteilt. Der eine Teil war ein unabhängiges Siebenbürger Fürstentum östlich der Theiß (Tisza), der zweite ein großer türkischer Block an der mittleren Donau und der dritte ein Habsburger Grenzgürtel im Norden und Westen; ein Königreich, das der Hohen Pforte einen jährlichen Tribut von 30.000 Dukaten zahlte. 7 Ferdinands langer Kampf um seine Rechte in den ausgedehnten Erblanden wirkte sich auf seine Beziehung zu Karl ebenso nachhaltig wie auf seine Position im Hinblick auf das Reich aus. Wiederholt wandte er sich an seinen Bruder um Unterstützung, aber Karl tat sein Möglichstes, um ihn von militärischen Unternehmungen abzuhalten. Wenn er Hilfe versprach, war sie immer unzureichend, und wenn sie tatsächlich gewährt wurde, traf sie zu spät ein, als dass sie von großem Nutzen hätte sein können. Die deutschen Stände waren auch nicht verlässlicher. In den 1520er Jahren gab sich der Reichstag knauserig. Ferdinand trat bei den Sitzungen wiederholt auf, aber jedes Mal lehnten die Stände mit der Begründung, das Reich sei nicht bedroht, jegliche Unterstützung ab. Verstärkt wurde dieser Unwille noch durch die Verbitterung vieler, die sich daraus speiste, dass es offenbar keine Aussicht auf ein Konzil zur Erörterung der Gravamina und der Kirchenreform gab. Luther ging sogar so weit, zu erklären, dass wahre Christen dem Habsburger Aufruf zum Kampf gegen die Türken auf keinen Fall folgen sollten, denn der Türke sei eine Geißel Gottes und ihm zu widerstehen hieße Gott zu widerstehen. Die deutschen Stände reagierten pragmatischer und sahen mehrheitlich – unabhängig von ihren religiösen Neigungen – keinen Grund, Ferdinand in einer, wie sie es sahen, rein dynastischen Angelegenheit zu unterstützen. Einige überlegten sogar recht zynisch, dass ein Habsburger Sieg in Ungarn

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den Regenten nur stärken und dazu veranlassen würde, in puncto Religion im Reich möglichst unnachgiebig zu verfahren. 8 Im August 1526 versprach Ferdinand endlich, binnen 18 Monaten ein Konzil einzuberufen und bis dahin jedem zu erlauben, gemäß seinem Gewissen zu regieren, woraufhin der Reichstag militärische Hilfe in Höhe von (nur) 24.000 Mann zusagte. Allerdings dauerte der Verhandlungsprozess so lange, dass der Reichstag die Sache erst vier Tage vor der Schlacht von Mohács entschied, was die Militärhilfe überflüssig machte. Die Belagerung von Wien 1529 aber war ein direkter Angriff auf das Reich und bewirkte einen Sinneswandel. Obwohl die Religionskrise sich jetzt verschärft hatte, waren sich die Stände einig, ihren Beitrag zur Verteidigung deutschen Territoriums zu leisten.Wiederum jedoch wurde die Belagerung so plötzlich abgebrochen, dass die Kräfte gar nicht erst einberufen werden mussten, und wiederum verweigerten die Stände ihren Einsatz auf ungarischem Boden. Ab diesem Zeitpunkt wurden die türkische Bedrohung und Ferdinands regelmäßig Appelle an den Reichstag zum Dauerthema deutscher Politik und zum Druckmittel für die Protestanten und andere politische Gegner der Habsburger, wenn es um Verhandlungen ging. Faktisch leisteten einige Fürsten sogar einen höheren Beitrag, als die Matrikel erforderlich machte. In der Praxis jedoch dauerte es einige Zeit, bis man festgestellt hatte, dass es tatsächlich eine Bedrohung gab, und dann zogen sich auch die Verhandlungen über die Zugeständnisse für die Hilfsleistungen so lange hin, dass die Streitkräfte des Reichs zu spät kamen, um noch Entscheidendes bewirken zu können. Schnelles Handeln hätte Ferdinand wahrscheinlich geholfen, den Türken 1529 und dann wieder 1542 einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Bei letzterer Gelegenheit hatten die Stände der Mobilisierung von Streitkräften zugestimmt, wobei das grundlegende Abkommen schon 1530 geschlossen worden war. Aber als der »Oberste Feldhauptmann« des Reichs die einzelnen Stände über die Kommunikationsmechanismen der Reichskreise endlich davon in Kenntnis gesetzt hatte, war Suleiman mit seinen Truppen längst abgezogen. 9 Zwar gab es Lösungen für solche Probleme, die auf der Hand lagen: Man konnte ein stehendes Heer einrichten oder für regelmäßige geldliche Zuwendungen sorgen, doch kam das alles nicht infrage, weil es allzu leicht, statt der Verteidigung des Reichs zu dienen, den Habsburgern hätte den Rücken stärken können. Mochte ihre Hilfe auch nur zögernd gewährt werden und unzureichend sein, so blieb Ferdinand doch von seinem Bruder und den deutschen Ständen abhängig. Was er aus seinen eigenen Ländern an Einkommen bezog, reichte nicht aus, um autonom handeln zu können. Die böhmische Krone war mit Schulden und Hypotheken beladen und der böhmische Landtag war, wenn es um Sonderzuwendungen ging, ein ebensolcher Pfennigfuchser wie der deutsche Reichstag. Als 1543 der venezianische Gesandte berichtete, das einzig regelmäßige Einkommen, über das

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der böhmische König verfüge, sei der Stadtzoll an den Toren von Prag, dürfte er nicht allzu sehr übertrieben haben. 10 Und das begrenzte ungarische Territorium, über das Ferdinand schließlich verfügte, besaß zwar wertvolle Mineralvorkommen und Minen, doch war andererseits viel vom väterlichen Erbteil schon für die Wahl verbraucht worden und die ungarischen Stände waren keineswegs darauf erpicht, für ihre eigene Verteidigung zu zahlen. So mussten Ferdinands Lande die Hauptlast tragen. Im Lauf der 1520er Jahre kam es immer wieder zu Steuererhöhungen und auch die Aneignung von Kirchenbesitz, getarnt als Reform, führte zu beträchtlichen Einnahmen. Doch alles, was Ferdinand unternahm, um seine finanzielle Situation und seine Einnahmen zu konsolidieren, selbst die Einberufung von Generalversammlungen aller Stände aus seinen Territorien, brachten ihm nicht die Mittel, die er benötigt hätte, um seine Feldzüge in Ungarn erfolgreich abschließen zu können. Es ist also nicht erstaunlich, dass er in den 1520er Jahren wiederholt seinen Bruder bat, ihn mit Mailand zu belehnen und es zu einem »deutschen Fürstentum« zu machen. Dieser Traum wurde 1539 wiederbelebt. Damals sah es so aus, als könnte Karl es der Mitgift für eine von Ferdinands Töchtern hinzufügen. Für sie war eine Heirat mit dem Herzog von Orléans geplant, die jedoch nicht zustande kam. 11 Immerhin war Ferdinand in der Lage, zwischen seinen österreichischen Herzogtümern und den beiden Königreichen ein wenngleich rudimentäres Bündnis zu schmieden. 12 Zwar schlugen alle Versuche, ein zentrales Verwaltungssystem zu errichten, fehl, doch war zumindest der rechtliche Status vereinheitlicht. So war Ferdinand zum Beispiel darauf bedacht, Böhmen von der im Reich geltenden Rechtsprechung auszunehmen, indem er die kurfürstlichen Rechte des böhmischen Königs nicht ausübte. Damit hatten Böhmen und die mit ihm verbundenen Territorien Schlesien, die Ober- und Unterlausitz und Mähren denselben privilegierten Status im Reich wie die österreichischen Herzogtümer. Das wiederum hob ihren Regenten über die anderen Fürsten hinaus und verstärkte seine herausragende Stellung. Wichtig aber war vor allem, dass Ferdinands neue Besitztümer ihm zwar keinen großen Reichtum bescherten, doch allein durch ihre Ausdehnung am östlichen Rand des Reichs von immenser politischer Bedeutung waren. Durch Böhmen und Schlesien kam Ferdinand in direkten Kontakt mit Sachsen und Brandenburg, deren feudale Netzwerke ihm Einfluss in Mitteldeutschland und im Norden verschafften. Trotz seiner Probleme mit den Ständen und den Türken verschafften Ferdinands erweiterte Erblande ihm in der Reichspolitik eine starke Stellung, wobei ihm zugleich hier und da die Hände gebunden waren, was ihn für die deutschen Stände weniger bedrohlich erscheinen ließ. Seine Stärke wie auch seine Schwäche waren entscheidende Faktoren für die Entwicklung seiner Stellung im Reich hin zu dessen natürlichem Oberherrn. Solange jedoch Karl V. Kaiser war, konnte im Reich nichts ohne seine Zustim-

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mung und Kooperation erreicht werden. Zudem war Karl bis Mitte der 1540er Jahre mit außerdeutschen Problemen beschäftigt, sodass er keine Gelegenheit hatte, sich mit deutschen Angelegenheiten zu befassen. In mehr als zwei Jahrzehnten verbrachte er gerade einmal vier Jahre im Reich, ohne Impulse für die Lösung seiner Probleme zu geben. Anderes war ihm eben wichtiger, vor allem die Sicherheit seiner spanischen, niederländischen und italienischen Territorien, und Zugang zur Reichspolitik fand er in erster Linie über das, was er seine »nideren erblande« nannte, die Niederlande und die Franche-Comté. 13 Karls beharrlichstes Problem war der von dem französischen König Franz I. nachdrücklich behauptete Besitzanspruch auf Mailand und Neapel, während Karl seinerseits – ein weiterer Zankapfel – Anspruch auf Burgund erhob. 14 In den Jahren zwischen 1520 und 1529, dann wieder 1536–1538 und 1542–1544, gab es häufig Krieg zwischen den Häusern Valois und Habsburg. Im Mittelpunkt dieser Feindseligkeiten stand zumeist Mailand, auf das Valois Ansprüche erhob, das aber zugleich ein Lehen des Heiligen Römischen Reichs war. Wer Mailand besaß, hielt damit den Schlüssel für Neapel in Händen (das galt für Franz) oder für die Vorherrschaft in Südfrankreich und die mögliche Rückgewinnung von Burgund (das galt für Karl). Franz war ehrgeizig und entschlossen, aber es gelang ihm nicht, Karl zu besiegen. Immerhin konnte er durch geschickte Kriegführung Karls Streitkräfte längerfristig binden. Karl selbst schien merkwürdig zurückhaltend, als es darum ging, seine Siege auszunutzen. 1525 konnte er den Franzosen bei Pavia einen vernichtenden Schlag versetzen und Franz gefangen nehmen. Der Friedensschluss von Madrid zwang Franz, alle Ansprüche auf Neapel aufzugeben und Mailand und Burgund an Karl abzutreten. Doch kaum war er wieder auf freiem Fuß, widerrief er das Abkommen und knüpfte mit Venedig, Florenz und dem Papst einen neuen Bund gegen Habsburg. 1527 eroberten die spanischen Truppen Rom, während ein Jahr später der Genueser Befehlshaber Andrea Doria zur Habsburger Seite überlief. 1529 war wiederum Karl im Vorteil, schloss jedoch einen Frieden, der den Sforzas die Rückkehr nach Mailand erlaubte und Franz als Strafe nur den Verlust seiner Oberherrschaft über Flandern und das Artois auferlegte. Der im August 1529 geschlossene Frieden von Cambrai ebnete den Weg für Karls Krönung durch den Papst in Bologna 1530, löste aber das Problem der französischen Bedrohung nicht. Als Francesco Sforza im November 1535 starb, kam es zu einem weiteren französischen Angriff auf Mailand, eine Reaktion auf Karls Entscheidung, das Lehen solle zur kaiserlichen Krone zurückkehren. Die Feindseligkeiten waren für beide Seiten kostspielig und blieben ergebnislos. Schließlich wurde im Juni 1538 in Nizza ein vom Papst vermittelter Waffenstillstand vereinbart. Es folgten weitere Verhandlungen, darunter auch ein Treffen der beiden Monarchen im August in Aigues-Mortes. Sie drehten sich um kompli-

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zierte Pläne für ein dynastisches Bündnis. Der jüngere Sohn von Franz, der Herzog von Orléans, sollte eine von Ferdinands Töchtern heiraten und Mailand erhalten. Karls Sohn Philipp wiederum sollte Franz’ jüngste Tochter heiraten, während seine älteste Tochter, Maria, Ferdinands Sohn Maximilian ehelichen und in den Niederlanden regieren sollte. Als Ausgleich sollte Ferdinand alle Ansprüche auf Neapel aufgeben. Letztlich jedoch wollte Karl Mailand um keinen Preis aufgeben und als er vorschlug, den Herzog von Orléans mit Maria zu verheiraten, wobei die Mitgift aus den Niederlanden und der Franche-Comté bestehen sollte, während Franz als Heiratsgabe das Burgund überreichte, begehrte dieser auf. Karl entschied sich nun im Oktober 1540, Philipp mit Mailand zu belehnen, was jede Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden zunichtemachte. Zwei Jahre später flammten die Feindseligkeiten wieder auf. Diesmal fanden die Kämpfe, obwohl es um Mailand ging, vor allem im Norden statt, wo Karl sich mit Heinrich VIII. verbündet hatte, während Franz Unterstützung beim Herzog von Geldern und den deutschen Protestanten suchte. Aber wieder brachten die französischen Offensiven nicht den erhofften Durchbruch und Karl ging es in den Friedensvereinbarungen nur um die Bewahrung des Status quo. Erneute dynastische Erwägungen, wiederum verbunden mit der Möglichkeit, den Herzog von Orléans mit Mailand zu belehnen, wurden durch des Herzogs plötzlichen Tod zunichtegemacht. Der Frieden von Crépy (18. September 1544) war das Ende von Franz’ außerfranzösischen Bestrebungen. Seine burgundischen Rechte wurden bestätigt und er behielt das von ihm 1536 besetzte Savoyen. Im Gegenzug musste er Karls Rechtsansprüche auf Flandern, das Artois, Mailand und Neapel anerkennen und sich mit Karls Übernahme von Geldern abfinden. Der Vertrag enthielt noch einige Geheimklauseln, anhand derer die vielen Verästelungen des Konflikts mit Frankreich deutlich werden. 15 Franz gab seine Zustimmung, den Kaiser bei einem Feldzug gegen die Türken, bei einer Initiative zur Kirchenreform und beim Vorgehen gegen die deutschen Protestanten zu unterstützen. Ebenso verpflichtete er sich, dem Herzog von Savoyen gegen die Stadt Genf behilflich zu sein, weil von dort aus Calvins Lehre auf Frankreich und die Niederlande überzugreifen drohte. Im Hinblick auf Karls größte außenpolitische Sorgen war die Klausel, die die Türken betraf, am wichtigsten. Denn wurde Ferdinand von den osmanischen Offensiven in Ungarn bedroht, so Karl vom Vordringen der Türken am Mittelmeer. 16 1517 hatten sie Ägypten eingenommen, was ihnen den Weg zu den nordafrikanischen Königreichen eröffnete, die Spanien zu Beginn des Jahrhunderts nicht unter seine Kontrolle hatte bringen können. Was als ein lokales Problem am westlichen Mittelmeer begann, weitete sich schon bald zur Bedrohung aus, als die maurischen Herrscher in Algier die mächtigen Piratenbrüder Barbarossa zu Hilfe holten. Die Brüder übernahmen die Kon-

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trolle in Algier und ernannten sich zu Vasallen des Sultans. Khair ad-Din Barbarossa wurde zunächst zum Pascha und 1532 zum Großadmiral der türkischen Flotte ernannt. War er bislang nur eine Gefahr für die Küstenstädte Spaniens und Italiens gewesen, führte er 1534 einen Großangriff auf Süditalien durch und eroberte danach das mit Spanien verbündete Tunis. 17 Ein im nächsten Jahr erfolgender spanischer Gegenangriff – von der imperialen Propaganda zum Kreuzzug stilisiert – stellte den Status quo wieder her. Zudem wurde in der Festung La Goletta eine spanische Garnison eingerichtet. Doch hatte Khair ad-Din entkommen können und sorgte weiterhin für Unsicherheit in der Region. Trotz eines Bündnisses mit Venedig und dem Papst wurde Karls Flotte im September 1538 bei Prevesa vernichtend geschlagen und 1540 vor Kreta beinahe vollständig vernichtet. 1541 misslang der Versuch, Tunis zurückzuerobern. Stattdessen holte Khair ad-Din 1543 zum Gegenschlag aus und griff Reggio di Calabria und Nizza an. Die Bedrohung zur See war an sich schon ernst genug, denn dadurch waren Spanien, Neapel und Sizilien sowie alle spanischen Enklaven und Inseln an der nordafrikanischen Küste dauerhafter Unsicherheit ausgesetzt. Aber die Überfälle von 1543 förderten noch eine weitere Dimension des Problems zutage. Nachdem er Nizza fast zerstört hatte – die Stadt wurde nur durch das rechtzeitige Eintreffen von Andrea Dorias Flotte gerettet –, überwinterte Khair ad-Din im Hafen von Toulon, den die Franzosen extra dafür geräumt hatten. 18 Das markierte den Höhepunkt der französischen Bemühungen, den Konflikt zwischen den Osmanen und Habsburg für eigene Zwecke auszunutzen. Ab den 1520er Jahren hatten die Franzosen mit der Hohen Pforte Handelsabkommen unterschiedlicher Art abgeschlossen, die fast einem förmlichen Vertrag gleichkamen, und sie hatten Zápolya unterstützt, nachdem er das türkische Protektorat akzeptiert hatte. 19 Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen der französischen Krone und der Hohen Pforte im Mittelmeer hätte die Grundlagen von Karls monarchia in Europa gefährden können. Aber die in den frühen 1540er Jahren drohende Katastrophe trat nicht ein. Zwar hatte der osmanische Sieg bei Prevesa das maritime Machtgefüge nach Osten verschoben und selbst Habsburger Siege wie der von Lepanto 1571 konnten das nicht ausgleichen, aber auch die Osmanen stießen an die Grenzen ihrer Ausdehnung nach Westen. Sie zogen aus der Plünderung von Nizza keinen strategischen Nutzen, sondern zogen sich wieder nach Osten zurück und waren bald vollauf damit beschäftigt, ihre ungarischen Subprovinzen (Vilayets) zu sichern und den Krieg gegen Persien wieder aufzunehmen. Auch die Franzosen zogen keinen Vorteil aus ihrer Bereitstellung des Hafens von Toulon. Irgendwann wurde das ganze Ausmaß ihrer Beziehungen mit den Türken offenkundig und es kursierten Schreckensgeschichten über christliche Sklaven, die auf dem Markt von Toulon feilgeboten wurden. Schmähungen waren die Folge. Auch die protestantischen Fürsten

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gingen auf Distanz. Bereits 1535 hatten sie ein französisches Hilfsangebot aufgrund des Handelsabkommens mit der Hohen Pforte zurückgewiesen und nun, Mitte der 1540er Jahre, scheuten sie vor dem Bündnis mit einem Verräter an der gemeinsamen Sache des Christentums vollends zurück. Karl ging es in seiner Politik in allererster Linie darum, für die Sicherheit seiner verstreuten Territorien zu sorgen und die Oberherrschaft der (spanischen) Habsburger in Italien zu festigen. Beides war ihm wichtiger, als Ferdinand in Ungarn zu unterstützen oder die traditionellen Rechte des Reichs zu bewahren. Die Oberherrschaft in Italien erreichte er in offenkundiger Verletzung der Vorrechte des Reichs in Italien, die Karl formell in seiner Eigenschaft als Reichsvikar des Regnum Italicum (Reichsitalien) zu verteidigen verpflichtet war. 20 Ähnliche Sicherheitserwägungen und die formelle Anerkennung der französischen Oberherrschaft über das Herzogtum Burgund 1544 machten jede Möglichkeit der Wiederherstellung des alten burgundischen Königreichs zunichte. Auch duldete Karl bis 1559 die französische Besetzung von Savoyen und überließ damit Reichsterritorium wie auch die Rechte eines wichtigen und loyalen Reichsfürsten der französischen Krone. Diese und andere Opfer waren der Preis, den Karl für die Sicherheit, die er Mitte der 1540er Jahre erreicht hatte, zu zahlen bereit war. Auf dieser Grundlage konnte er darüber nachdenken, wie mit der deutschen Situation zu verfahren sei. Allerdings gab es da noch ein weiteres Hindernis. Wenn Karl sich mit Deutschland befasste, musste er sich auch mit dem Reformproblem auseinandersetzen und das ging nicht ohne die Zusammenarbeit mit dem Papst. Allerdings war Clemens VII. († 1534) im Wesentlichen kaum am Thema Kirchenreform interessiert, sondern eher daran, die Interessen seiner Medici-Verwandten zu fördern, was ihn wiederholt das Bündnis mit Frankreich suchen ließ. Aber 1525 unterlag Franz I. bei Pavia, 1527 kam es zur Plünderung Roms durch spanische Truppen (Sacco di Roma) und 1528 zum Übertritt Andrea Dorias zu den Fahnen Karls. Nun wechselte auch Clemens die Seiten. Nachdem Karl versprochen hatte, Florenz wieder den Medici und Ravenna, Cervia, Modena und Reggio dem Papst zu überlassen, machte Clemens 1529 mit dem Monarchen seinen Frieden. Im folgenden Jahr krönte er Karl in Bologna in Anwesenheit seiner italienischen Vasallen zum König von Italien und zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. 21 Doch sollte diese neue Entente nicht von Dauer sein. Was die Medici anbelangte, so hielt Karl Wort und sie wurden jetzt Untertanen Spaniens, aber die anderen Versprechen blieben unerfüllt und so plante Clemens schon bald die Heirat seiner Großnichte, Katharina von Medici, mit dem jüngeren Sohn des französischen Königs. 1532 gab es Unterredungen mit Karl über Pläne für einen italienischen Bund, wobei der Papst auch, auf Drängen des Kaisers, die schnelle Einberufung eines Kirchenkonzils verkündete, aus dem aber nichts wurde. Gegen Ende seines Lebens weigerte sich Clemens, ein Konzil in Erwägung

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zu ziehen, obwohl es von England und vor allem Frankreich vorgeschlagen wurde. Beide Mächte wollten kein von Karl dominiertes Konzil. Clemens’ Nachfolger, Paul III. (1534–1549, Alessandro Farnese), verfolgte eine resolut neutrale Politik, die erheblich mehr zur Sicherheit der päpstlichen Staaten beitrug. Er vermittelte persönlich 1538, und dann wieder 1541 und 1543, in Aigues-Mortes zwischen den Häusern Habsburg und Valois. 22 Ebenso war er an Reformen interessiert und von vielen das Konzil betreffenden Ideen der einflussreichen Reformgruppe der spirituali um Kardinal Gasparo Contarini überzeugt. 23 1536 erließ er einen Aufruf für ein Konzil, das im Mai 1537 in Mantua stattfinden sollte. Nun wurde auch zum ersten Mal so etwas wie ein katholisches Reformmanifest unter dem Titel Consilium de emendanda ecclesia veröffentlicht, das sich allerdings nicht zu Fragen der Lehre äußerte, weil seine Autoren dies für eine Aufgabe des Konzils hielten. 24 Doch selbst ein engagierter Papst konnte zu diesem Zeitpunkt in Sachen Reform nicht allzu viel bewirken. Karl und Ferdinand blieben auf Distanz, weil das Konzil nicht an einem Ort stattfinden sollte, den die deutschen Stände als Reichsterritorium anerkannten (Mantua gehörte zum italienischen, nicht zum deutschen Reichsgebiet). Die deutschen Protestanten lehnten das Konzil ab, weil es nicht »frei« (das heißt frei vom Papst) sei. Und der französische König boykottierte die Sache, weil es von einem Bündnis, mindestens aber von einem Einverständnis zwischen Kaiser und Papst zeugte, das im Kontext eines erneuten Angriffs von Frankreich auf Norditalien 1536 störend wirken musste. Die Forderung, das Konzil in Frankreich abzuhalten, war für Kaiser und Papst gleichermaßen inakzeptabel und der Mantua-Plan damit hinfällig geworden. 25 Ein letzter Versuch mit Vicenza als Konzilsort scheiterte vollständig, weil überhaupt niemand erschien. Die Drohung der deutschen Katholiken, ein nationales Konzil vorzubereiten, falls kein ökumenisches Konzil einberufen würde, führte zu einer weiteren Initiative. Diesmal entsprach der Papst Karls Wunsch und bestimmte einen Ort (gerade eben) innerhalb der Grenzen des Reichs, nämlich Trient. Doch erneut verweigerten die Franzosen die Teilnahme, was Paul III. ein Schisma befürchten ließ und die Angelegenheit zum Stillstand brachte. Die zehn Bischöfe, die gekommen waren, wurden wieder nach Hause geschickt. 26 Im Sommer 1544 setzte der Reichstag den Papst erneut unter Druck, indem er den Entschluss fasste, seine eigene »freundliche Aussöhnung« der religiösen Spaltung zu betreiben. Sodann war der französische König im Frieden von Crépy vom September 1544 bereit, einem Konzil keine Steine mehr in den Weg zu legen, und so konnte der Papst für den Dezember 1545 ein ökumenisches Konzil einberufen. Unterdessen jedoch hatte es in Rom eine bedeutungsvolle Veränderung gegeben. Die spirituali, Reformkatholiken, deren Ideen in den späten 1530er Jahren noch die Szene beherrscht hatten, standen nun nicht mehr in der Gunst des Paps-

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tes. Als päpstlicher Gesandter auf dem Reichstag zu Regensburg 1541 hatte Contarini es nicht vermocht, die deutschen Stände, ob protestantisch oder katholisch, zu überzeugen. Dabei hatte er jedoch, indem er die Überlegenheit des Glaubens über Gnade und Verdienst betonte, den Eindruck erweckt, als begebe er sich in die Nähe lutherischer Positionen, was ihm die Feindseligkeit der konservativen Fraktion der zelanti eintrug, an deren Spitze Gian Pierro Caraffa (der spätere Papst Paul IV.) stand. Weiter erschwert wurde der Prozess der Versöhnung durch den Tod des einflussreichen spanischen Humanisten Juan de Valdés, des geistigen Mentors der spirituali, im Juli 1541. Seine römischen Schüler gingen bald darauf nach Viterbo, gerade bevor Paul III. sich den Konservativen zuwandte und im Juli 1542 die Inquisition unter Leitung Caraffas wieder einführte. 27 Im August starb Contarini. Die Konservativen aber befürchteten, dass selbst 40 führende spirituali in kirchlichen Schlüsselpositionen den Schulterschluss der italienischen Staaten mit den deutschen protestantischen Fürsten ins Werk setzen könnten, und führten mit aller Entschiedenheit einen Feldzug gegen die Schüler von Contarini und Valdés. Zwar stimmt es, dass sich unter den drei Legaten, die von Kardinal Pole mit den Vorbereitungen des Trienter Konzils beauftragt waren, auch spirituali befanden. Vielleicht waren sie sogar ausgewählt worden, um den deutschen Protestanten eine positive Botschaft zu übermitteln. Doch wandte sich die Stimmung in Rom und in der katholischen Kirche allgemein gegen das, was ein Kritiker als Poles »moderne und wahnsinnige Lehre« bezeichnete. 28 Die Eröffnung des Konzils von Trient war für Kaiser Karl ein persönlicher Triumph. Seit 1529 hatte er kontinuierlich auf dieses Ziel hin gearbeitet. Doch als sich die Würdenträger versammelten, konnten sie wohl kaum die Erwartungen erfüllen, die sich in Deutschland seit den 1520er Jahren mit der Idee eines freien und ökumenischen Konzils verbanden. Aber das zeichnete sich 1545 noch nicht ab. Wichtiger war die Tatsache, dass der Kaiser 1544 zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder frei war, sich der deutschen Politik zu widmen. Im Mittelmeer und in Ungarn war es ruhiger geworden und der Konflikt mit Frankreich schien zu Karls Gunsten entschieden: Er hatte in Italien und in Geldern (im Nordwesten des Reichs) entscheidende Siege erfochten. Das Papsttum war, wenn auch kein Verbündeter, so doch kein Feind mehr. Nach zwei Jahrzehnten Widerstand war Frankreich kein Hindernis mehr für ein ökumenisches Konzil. Doch seit dem letzten Aufenthalt des Monarchen in Deutschland hatte sich die politische Lage dort grundlegend geändert. Der religiöse Konflikt war einer nationalen Lösung nähergebracht worden und der Reichstag hatte während der Abwesenheit Karls in den 1520er Jahren an Profil und Macht gewonnen. Zudem hatte er, in Gestalt von Kompromissen und Verständigungslösungen des religiösen Pro-

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blems, eine Reihe von Präzedenzfällen geschaffen, die der Kaiser nicht einfach beiseiteschieben konnte.

Anmerkungen 1 Rabe, Geschichte, 329. In der deutschen Literatur firmiert Clesio durchweg als Bernhard von Cles. 2 Kohler, Ferdinand I., 157–172. 3 Böhmen hatte im Reich einen Sonderstatus: Es war der Rechtsprechung von »Kaiser und Reich« nicht unterworfen und gehörte nicht zu einem Kreis; der böhmische König war zwar Kurfürst, nahm aber an den Alltagsgeschäften des Kurfürstenkollegiums nicht teil. 4 Fichtner, Ferdinand I., 79–80, 83–85, 91–92. 5 Kohler, Ferdinand I., 207–224. 6 Fichtner, Ferdinand I., 121–126. 7 Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. I, 130. 8 Fischer-Galati, Imperialism, 10–37. 9 Schmid, »Reichssteuern«, 194. 10 Fichtner, Ferdinand I., 72. 11 Fichtner, Ferdinand I., 36–37, 64, 161; Aretin, Das Reich, 101–103. 12 Evans, Making, 146; Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. I, 196–198; Pamlényi, Hungary, 130; Fichtner, Ferdinand I., 66–78. 13 Press, »Bundespläne«, 77. 14 Zum Folgenden vgl. Tracy, Charles V., 39–49, 114–132; Kohler, Reich, 8–10, 69–73; Kohler, Expansion, 352–371. 15 Schilling, Aufbruch, 222–223. 16 Tracy, Charles V., 133–182, 311–314. 17 Kohler, Expansion, 363–367. 18 Khair ad-Din wollte Spanien angreifen, doch Franz schlug Nizza vor, weil dieses Ziel eine unmittelbare Reaktion Karls weniger wahrscheinlich machen würde. Nizza war der letzte noch verbliebene Außenposten Karls III. von Savoyen. Clot, Suleiman, 144–150. 19 Goffman, Ottoman Empire, 110–111; Clot, Suleiman, 129–144; Williams, »Conflict«; Hochedlinger, »Freundschaft«. 20 Aretin, Das Reich, 101–105. 21 Aretin, Das Reich, 101. 22 Lutz, »Italien«, 879–880. 23 Bonney, States, 58–59; Fenlon, Heresy, 32–33; Mullert, Catholic Reformation, 33–38. 24 Fenlon, Heresy, 42–43. 25 Mullert, Catholic Reformation, 36. 26 Rabe, Geschichte, 316. 27 Fenlon, Heresy, 69–74. 28 Fenlon, Heresy, 33, 116–117, 209.

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as auf dem Reichstag zu Speyer 1526 geschlossene Abkommen, das allen Regenten die Umsetzung des Wormser Edikts je nach Maßgabe dessen erlaubte, was sie mit ihrer Politik und Verpflichtung gegenüber Gott und dem Monarchen für vereinbar hielten, sollte ein zeitlich begrenzter Notbehelf sein. Überall wollten Fürsten und Stadträte die Gefahr weiterer Bauernunruhen vermeiden. Nur wenige glaubten allen Ernstes an ein unmittelbar bevorstehendes ökumenisches oder nationales Konzil. Auch die fortwährende Abwesenheit des Monarchen und Ferdinands Probleme in Böhmen und Ungarn ließen die Bewahrung von Sicherheit und Stabilität im Reich als vorrangig erscheinen. Eine willentlich verschwommen gehaltene Formulierung, das schlagende Beispiel für Verschleierungstechnik, sollte bald alle Verhandlungen über das religiöse Problem charakterisieren. Es war der einzige Weg, um für das Reich eine normative Orientierung zu finden, die allgemein zustimmungsfähig war. 1 Einige Fürsten wie Philipp von Hessen und der Kurfürst von Sachsen fassten diesen Notbehelf rasch als durch die Rechtsprechung im Reich gewährte Erlaubnis auf, in ihren Territorien die Reformation einzuführen. Der ehrgeizige Landgraf Philipp von Hessen erwies sich dabei als besonders tatkräftig. 2 Er wollte seine Position gegen mögliche Sanktionen seitens des Reichs durch Abkommen und Verständigung mit anderen Regenten sichern. Teils in Zusammenarbeit mit und teils parallel zu Bayern und Kursachsen intrigierte er gegen Karls Plan, Ferdinand zum römischen König wählen zu lassen. 3 Der Bund gegen Habsburg war locker gestrickt, aber entschlossen, und er verstärkte sich durch Kontakte mit Frankreich und England. Nach 1526 gab es mithin eine Vielzahl von Mitbewerbern um die Krone: einen Bayern, einen Sachsen, sogar Philipp höchstpersönlich, der vage Pläne für die Reformierung der deutschen Nation und eine Verfassungsreform des Reichs wälzte. 4 Zugleich knüpfte er weiter Verbindungen, um jene Regenten, die religiöse Reformen durchgeführt hatten, vor Maßnahmen all derer zu schützen, die treue Katholiken geblieben und unbedingte Befürworter einer Umsetzung des Wormser Edikts waren. Wie aufgeladen die Atmosphäre war, zeigte Philipps Reaktion, als im Januar 1528 Unterlagen entdeckt wurden, aus denen hervorzugehen schien, dass katholische Fürsten im Mai 1527 in Breslau einen Geheimbund zur Ausrottung jeglicher »Ketzerei« gegründet hatten. Allerdings stellten sich die Dokumente schnell als Fälschung heraus, die der Vizekanzler des Herzogs von Sachsen, Otto von Pack,

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initiiert hatte. 5 Trotzdem bildete Philipp mit dem Kurfürsten von Sachsen sofort einen Verteidigungsbund, leitete Verhandlungen mit Frankreich, Johann Zápolya und Straßburg in die Wege und führte präventive Militärschläge gegen Mainz und Würzburg, obwohl Luther, Bugenhagen und Melanchthon Zurückhaltung angemahnt hatten. Immerhin konnte ein richtiger Krieg verhindert werden, als Packs Betrug Ende Mai ans Licht kam. Doch im Vertrag von Hitzkirchen verpflichtete Philipp die beiden Bischöfe zu Schadensersatzzahlungen für seine Militärausgaben und Mainz musste darüber hinaus seine Diözesanrechte und geistliche Gerichtsbarkeit in Hessen aufgeben. 6 Philipp ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, persönliche Gewinne mit der Verfolgung umfassenderer politischer Ziele und der Verteidigung reformatorischer Grundsätze zu verbinden. Karl V. reagierte rasch. In einem am 30. November 1528 veröffentlichten Aufruf zu einem zweiten Reichstag in Speyer erwähnte er »Missverständnisse«, aus denen Unruhe, Untaten und gewaltsames und aggressives Handeln entstanden seien. 7 Der Antrag, den Ferdinand am 15. März 1529 den Versammelten vorlegte, machte deutlich, dass die »Missverständnisse« die willkürliche Interpretation betrafen, die manche dem Reichsabschied von 1526 gegeben hatten. Dagegen helfe nur, so Ferdinand, die Rückkehr zu einer unzweideutigen Politik der Durchführung des Edikts, bis ein ökumenisches Konzil die religiösen Probleme löste. Ferdinands Antrag wurde von der loyalen katholischen Mehrheit unterstützt. Sie legte auch fest, dass in solchen Territorien, in denen Veränderungen bereits stattgefunden hatten und ohne die Gefahr, Unruhen zu provozieren, nicht mehr zurückgenommen werden könnten, die Regenten weiteren Wandel »so viel möglich und menschlich« vermeiden sollten. Dagegen sollten sie dafür sorgen, dass niemand daran gehindert werde, den Gottesdienst auf traditionelle Weise zu feiern. Zudem sollte kein katholischer Regent sich verpflichtet fühlen, Lutheraner in seinem Territorium zu dulden. Zwinglianer und Wiedertäufer sollten überhaupt nirgendwo geduldet werden. 8 Theoretisch erlaubte die Wendung so weit wie menschlich möglich wiederum beiden Gruppierungen, sich der Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens zu widmen, ohne die Überzeugung, das Recht sei auf ihrer Seite, aufgeben zu müssen. Die Reformer beanspruchten weiterhin, das Recht über die Religion stellen zu können, während die Loyalisten es einfach vermieden, die Rechtsprechung des Reichs durchzusetzen. 9 Dennoch gingen Kursachsen und Hessen energisch gegen eine Entscheidung an, die sie als ihrer Position völlig abträglich kritisierten. Ihnen ging es um die Beibehaltung des Prinzips, das sie im Reichsabschied von 1526 enthalten sahen, dass nämlich jeder Regent die Pflicht und das Recht hätte, gemäß seinem eigenen Gewissen zu handeln. Sie waren absolut dagegen, dass der Herrscher ein Reichsrecht einseitig aufkündigte und lehnten die Vorstellung, von einer Mehrheitsentscheidung gebunden werden zu können, ab. Am 22. April brachten sie im

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Reichstag eine förmliche »Protestation« vor, die von fünf Fürsten (Kurfürst Johann von Sachsen, Landgraf Philipp von Hessen, Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach, Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg und Fürst Wolfgang von AnhaltKöthen) und den Vertretern von 14 reformierten Städten unterzeichnet war. Von dieser »Protestation« bekamen die Reformer den Namen »Protestanten«. Dem historischen Langzeitgedächtnis gilt der Akt des Protests als ein Sieg im Kampf um die Freiheit des Gewissens. In Wahrheit aber ging es nur um das Gewissen der Regenten. Sie beanspruchten für sich das ius reformandi, das Recht, in ihren Landen eine Reform der religiösen Praxis durchzusetzen. Von ihren Untertanen verlangten sie Gehorsam, ohne Rücksicht auf deren Gewissen. Bedeutsamer waren die politischen und verfassungsmäßigen Implikationen der »Protestation«. Noch vor dem Ende des Reichstags schmiedeten die Protestanten Pläne für ein Verteidigungsbündnis. Wieder war Philipp von Hessen der Initiator und jetzt ging er weit über eine einfache Verteidigung des Status quo in den protestantischen Territorien hinaus. Zum einen entwickelte der Landgraf mit seinen Beratern eine radikal neue Verfassungstheorie, der zufolge die Protestanten das Recht auf Widerstand gegen den Monarchen hätten. 10 Alle Territorialfürsten übten, so argumentierte er, in der Rechtsprechung eine Macht aus, die ihnen letztlich von Gott verliehen sei, und alle Regenten hätten das Recht, sich gegen eine Verletzung der mit anderen geschlossenen Verträge zu verteidigen. Bezogen auf das Reich bedeutete das, dass Fürsten dem Monarchen Widerstand leisten konnten, wenn dieser »die vornembste ursach, dorumb er ewelet ist … vorgessen habe«. Ein Monarch, der die gemeinsame Entscheidung seiner Stände missachtete und den Entschluss von 1526 annullierte, war eindeutig ein ungerechter Monarch. Philipp erklärte, er wolle für »Gottes Ehre und unser Seelen Heil und Seligkeit« sorgen, wobei er auch einräumte, dass »unser eigene zeitliche sachen« darin verflochten seien«. 11 Zum anderen wollte Philipp nun auch seine ehrgeizigen Pläne für ein umfassendes Bündnis gegen die Habsburger verwirklichen. 12 Er knüpfte Verbindungen mit Frankreich und Venedig, mit Dänemark und den Schweizer Reformern, insbesondere mit Zwingli, der zu der Zeit gerade mit den katholischen Kantonen im Streit lag, weil ihnen der militante Expansionismus der Züricher Bewegung nicht gefiel.Vor allem wollte Philipp einen festeren Bund zwischen den Lutheranern und den süddeutschen Zwinglianern schmieden, gegen die der Reichstag härtere Maßnahmen als gegen die Lutheraner beschlossen hatte. Anfang Oktober 1529 fand das Marburger Religionsgespräch statt, an dem neben Luther und Zwingli noch weitere führende Theologen teilnahmen. Doch ließen sich die widerstreitenden theologischen Ansichten nicht versöhnen, wobei insbesondere das Problem des Abendmahls – die reale oder symbolische Präsenz Christi in Brot und Wein – ein unüberwindliches Hindernis blieb.

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Nach Zwinglis Abreise gab es in Schwabach noch einen weiteren Versuch, zumindest mit den süddeutschen Städten zu einer Einigung zu kommen. Ihre Räte und Prediger standen in vielen Fragen der kirchlichen Lehre und Organisation halbwegs zwischen Luther und Zwingli. Aber auch dieser Ansatz scheiterte, denn die süddeutschen Zwingli-Anhänger zogen in sozialer Hinsicht die feste Ordnung der lutherischen Fürsten dem gesellschaftlichen Radikalismus des Zwinglianismus vor, doch konnte sie das nicht zu einem Kompromiss bewegen. Die Kluft zwischen den beiden Parteien konnte erst 1536, fünf Jahre nach Zwinglis Tod, überwunden werden, denn nun durften sie nicht mehr erwarten, von ihren Schweizer Nachbarn trotz aller religiösen Verbindungen noch Unterstützung zu bekommen. 13 Zu diesem Zeitpunkt fanden Philipps radikale Ideen nur wenig Widerhall im protestantischen Lager. Luther und die anderen Theologen warnten vor der Idee des Widerstands und Luther glaubte immer noch, dass Karl das seit Langem versprochene Konzil noch einberufen werde. Außerdem teilte Luther dem sächsischen Kurfürsten mit, dass Philipp sich irre, wenn er glaube, der Monarch sei nur ein Herrscher unter anderen im Reich. Der Monarch sei der »Herr« und stehe als Regent über den Fürsten und selbst dann, wenn er ungerecht handle, hätten weder diese noch irgendjemand sonst das Recht auf Widerstand. 14 Somit waren sich die Protestanten, ungeachtet ihres Protests, darin einig, Ferdinand gegen die Türken zu unterstützen, Das plötzliche Ende der Belagerung von Wien machte den militärischen Beitrag des Reichs überflüssig, noch ehe die Truppen angelangt waren. Danach überboten sich katholische und protestantische Stände gegenseitig in der Verweigerung weiterer Militärhilfe für Ferdinand in Ungarn. Religiöse Differenzen spielten kaum eine Rolle, wenn es darum ging, die gemeinsamen Interessen der Fürsten im Reich gegen Habsburger Expansionismus und Imperialismus zu wahren. 15 Weder Karl noch Ferdinand machten sich Illusionen über die Lage in Deutschland. So berief Karl, gleich nach dem Abklingen der türkischen Bedrohung und nachdem der Friede von Cambrai die französische Gefahr zumindest zeitweise neutralisiert hatte, einen weiteren Reichstag ein, der diesmal im Juni 1530 in Augsburg stattfand. Damit kehrte Karl zum ersten Mal seit zehn Jahren nach Deutschland zurück, gestärkt durch seinen Sieg über Frankreich und mit vermehrtem Ruhm durch seine Krönung in Bologna. Seine Ankündigung, dass er den Frieden wiederherstellen und allen Parteien Gehör schenken wolle, weckte Erwartungen. 16 Aber sie erweckte auch den Verdacht, er wolle dem deutschen Problem seine eigene Lösung überstülpen. Das schürte Angst, doch ebenso die Entschlossenheit, sich dem Heilmittel der absoluten Monarchie zu verweigern. Die Protestanten waren von Anfang an besorgt. Aber selbst die Katholiken wiesen Karls Bestreben zurück, auf dem Reichstag all die religiösen Probleme, die der Papst durch seine Weigerung, ein Konzil einzuberufen, nicht angegangen hatte, zu lösen. Nun sahen

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sie ebenso deutlich wie die Protestanten in Karl einen Herrscher, der die traditionelle Teilung zwischen weltlicher und geistlicher Autorität nicht mehr respektierte und sich selbst quasipäpstliche Machtbefugnisse anmaßte. 17 Manche hegten auch zu Recht Misstrauen gegen einen Monarchen, der gerade das Bistum Utrecht säkularisiert und den Papst dazu gebracht hatte, Ferdinand kirchliche Einkünfte zu gewähren, während die geistlichen Fürsten Ferdinand beschuldigten, die Kirche stärker ausgebeutet zu haben als selbst die Lutheraner. 18 Die persönliche Anwesenheit des Monarchen schuf sofort eine andere Atmosphäre. Verhandlungen über ein breites Spektrum an Gesetzgebungsmaßnahmen wurden wieder aufgenommen und vorangetrieben. 19 Die Reichspoliceyordnung, eine umfangreiche Reihe von Maßnahmen – unter anderem Luxusgesetze und Regeln über den Umgang mit Bettelei und mit Juden –, über die im Reichsregiment wiederholt keine Einigkeit erzielt werden konnte, wurde jetzt verabschiedet. Das Verbot von Monopolen wurde ausgeweitet und verschärft. Verhandlungen über das Münzwesen führten zu einer Reichsmünzordnung und zur Beauftragung einer aus Vertretern der Kreise bestehenden Versammlung, die das Münzproblem weiter erörtern sollte. Auch kam es wieder zu Diskussionen über ein einheitliches, auf den Grundsätzen des römischen Rechts beruhendes Strafgesetzbuch, ein weiteres Projekt, das im Reichsregiment liegen geblieben war. Da Karl selbst auf dem Reichstag zugegen war, rückten einige der bedeutenderen Territorialfürsten von ihrer Gegnerschaft gegen einen Monarchen, der, wie sie fürchteten, ihnen ihre Rechte nehmen wolle, ab. So konnte 1532 die Constitutio Criminalis Carolina, das erste überregionale Strafgesetzbuch dieser Art in Europa, veröffentlicht werden – allerdings mit einer »salvatorischen Klausel«, die es erlaubte, die alte territoriale Gesetzgebung beizubehalten, sofern sie »wohlhergebracht, rechtmäßig und billig« sei. 20 Zustimmung fand auch eine umfangreichere Militärhilfe zum Kampf gegen die Türken. Schließlich wurde das Reichskammergericht wie auch das Reichsregiment erneuert, Letzteres allerdings im folgenden Jahr aufgelöst, während Ersteres sofort in den Strudel der religiösen Konflikte geriet und von den Protestanten als bloßes Werkzeug der katholischen Mehrheit gebrandmarkt wurde. Sicherlich waren viele Gesetzgebungsmaßnahmen vollkommen unwirksam. Aber das Strafgesetzbuch sorgte für normative Verfahrensweisen, die in den meisten Gebieten des Reichs bis zu ihrer Ablösung durch die während der Aufklärung im 18. Jahrhundert verabschiedeten Gesetzbücher in Kraft blieben. Zwar wurde der Reichsabschied, die rechtliche Inkraftsetzung aller getroffenen Vereinbarungen, erst nach dem Auszug der Protestanten verlesen und sie weigerten sich in der Folge, manche Maßnahmen (wie etwa die Steuern für den Krieg gegen die Türken) zu akzeptieren, weil sie nicht dafür gestimmt hatten. Dennoch ist die Tatsache,

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dass Verhandlungen überhaupt geführt und Übereinkünfte erreicht wurden, an sich schon bemerkenswert. Trotz religiöser Differenzen nahmen alle Stände an der Beschäftigung mit der normalen Reichspolitik teil. Sicher führte auch diese Reformrunde, wie vorherige Initiativen, nicht zur Gründung dauerhafter institutioneller Strukturen, aber sie verstärkte den föderalen und mehrschichtigen Aufbau des Reichs. Bei vielen Übereinkünften ging es darum, die Verantwortung für die Etablierung und Durchsetzung von Maßnahmen zu delegieren. So wurden Entscheidungen des Reichskammergerichts betreffend den Landfrieden oder die detaillierte Umsetzung von Regelungen über das Münzwesen, die Höhe von Reichssteuern oder Militärabgaben an die einzelnen Stände oder die Kreise delegiert. Der wichtigste Punkt war allerdings die religiöse Frage. 21 Sein Versprechen, zuzuhören, löste Karl ein. Die Protestanten wurden aufgefordert, ihre Glaubensgrundsätze zu erläutern, und am 25. Juni legten sie das von Melanchthon und anderen zusammengestellte »Augsburger Bekenntnis« vor. 22 Die zwinglianisch orientierten Reichsstädte Straßburg, Konstanz, Memmingen und Lindau präsentierten mit der Confessio Tetrapolitana (Vierstädtebekenntnis) eine alternative Sichtweise. Zwei Wochen später wurden katholische Theologen, darunter Johannes Eck, der erklärte Feind aller Reformatoren, damit beauftragt, die protestantischen Bekenntnisse zu untersuchen und eine Antwort zu formulieren. Den ersten Entwurf der katholischen Theologen wies Karl als zu lang und polemisch zurück und nach etlichen Diskussionen wurde den Ständen am 3. August eine kürzere und gemäßigte Confutatio (Widerlegung) präsentiert, in der das Augsburger Bekenntnis verworfen wurde. Daraufhin verwarfen die Protestanten die Confutatio und die Auseinandersetzung über Fragen der Lehre nahm ein Ende, als Karl sich weigerte, eine weitere, von Melanchthon formulierte Antwort auf die katholischen Einwände anzuhören. Mag es auf beiden Seiten auch Verständigungswillen gegeben haben, so war es doch unvorstellbar, dass Katholiken und Protestanten sich ohne ein Konzil und zu einer Zeit, da unter den Protestanten selbst keine Einigkeit herrschte, hätten verständigen können. Nun blieb für den Monarchen und die katholische Mehrheit nur noch die Frage, inwieweit der Protestantismus bis zur Einberufung eines Konzils politisch geduldet werden konnte. 23 Da Karl weiterhin auf der Gültigkeit des Wormser Edikts bestand, waren die Aussichten für einen beiderseits akzeptablen Kompromiss düster. Am 14. November reisten die Vertreter Hessens und Sachsens ab. In der darauffolgenden Woche beendete Karl die Verhandlungen und verkündete mit den Stimmen der katholischen Mehrheit eine Reihe von drastischen Maßnahmen. Die Gültigkeit des Wormser Edikts wurde bestätigt, alle religiösen Neuerungen wurden verboten, katholische Gottesdienste waren überall im Reich zu gestatten und enteigneter Kirchenbesitz musste sofort zurückgegeben werden. Überdies galt jeder

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Bruch dieser Gesetze als Landfriedensbruch, der vom Reichskammergericht entsprechend geahndet wurde. Dieser Schlag gegen die Protestanten wurde nur dadurch gemildert, dass man ihnen eine Gnadenfrist gewährte: Bis zum 15. April 1531 konnten sie entscheiden, ob sie die Maßnahmen befolgen wollten oder nicht. Sie begannen sofort damit, ihre Opposition gegen die Beschlüsse zu organisieren. Auf dem Reichstag wiederholte der Vertreter Nürnbergs die Argumente für eine Erneuerung des Status quo von 1526, fügte nun aber den traditionellen Begründungen – sie bezogen sich auf theologische Erwägungen und die Notwendigkeit von Vollmachten im Fall eines Notstands – verfassungsrechtliche Punkte hinzu. Das Reich, so wurde erklärt, sei eine »Konföderation«, woraus folge, dass jeder Stand Pflichten und Rechte habe, woraus aber keinesfalls folge, dass er das annehmen müsse, was Seine Majestät von ihm wünsche. 24 Außerhalb des Reichstags arbeiteten Philipp von Hessen und seine Berater die verfassungsmäßigen Argumente zu einer ausführlichen Theorie des Widerstands aus. Da der Monarch (von den Kurfürsten) gewählt wurde, regierten, so wurde behauptet, die Stände zusammen mit ihm und er sei daher »kein monarcha« oder Souverän im konventionellen Sinn, sondern nur primus inter pares, und könne daher keinen unbedingten Gehorsam verlangen, vor allem, wenn das den auf dem Reichstag beschlossenen Gesetzen zuwiderlaufe. 25 Zur gleichen Zeit rechtfertigten sächsische Juristen den Widerstand unter Hinweis auf das Privatrecht. Ihrer Meinung nach habe ein Regent, der ungerecht handle, sein Amt verwirkt und sei nun ein Privatmensch, dessen illegaler Machtausübung rechtmäßig Widerstand geleistet werden könne. 26 Da der Monarch in Glaubenssachen keine Rechtsprechung ausüben dürfe, sei es rechtlich angemessen, ihm in dieser Hinsicht Widerstand zu leisten. Im Oktober 1530 erklärten Luther, Melanchthon und die anderen führenden Theologen, dass sie nunmehr von den Argumenten der sächsischen Rechtsgelehrten überzeugt seien. Sie machten sich daran, die theologischen Implikationen des Widerstands gegen einen ungerechten Monarchen offenzulegen, wobei sie sorgfältig darauf achteten, die Rechte von Regenten und Stadträten gegen die von Untertanen abzugrenzen. 27 Aus Sicht der religiösen und politischen Einheit des Reichs waren dies bedenkliche Entwicklungen. Aus Sicht der dynastischen Interessen der Habsburger jedoch war ein anderer, parallel zum Augsburger Reichstag verhandelter Punkt noch wichtiger, nämlich die Wahl Ferdinands zum römischen König und Erben Karls im Reich. Angesichts der religiösen Krise, der türkischen Bedrohung und dem Problem des Reichsregiments hielt der Monarch diese Wahl für unumgänglich. Es musste jemand gewählt werden, der ihn im Reich würdig vertreten und von seiner, Karls, Autorität zehren konnte. 28 Der Vorschlag stieß erst einmal auf Ablehnung. Die Kurfürsten bestritten dem Monarchen das Recht, einen Nachfolger zu eigenen Lebzeiten zu ernennen (vivente imperatore); die Goldene Bulle gab ihnen das Recht

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auf »freie Wahl«. Schließlich stimmten die Kurfürsten mehrheitlich einem Kompromiss zu, dem zufolge Karl ihnen ihr autonomes Wahlrecht zusicherte, während Ferdinand der einzige Kandidat blieb. Allerdings erwies sich der sächsische Kurfürst als unbeugsam und die im Kontext der religiösen Konflikte entwickelten verfassungsmäßigen Bedenken fanden jetzt auch hier Widerhall. Die Goldene Bulle berührte nur die Möglichkeit der Vakanz nach dem Tod eines Monarchen (vacante imperio); eine Wahl vivente imperio konnte nur mit »Zustimmung der anderen Fürsten und Stände des Reichs« erfolgen. Des Weiteren sollte der Monarch seiner Wahlkapitulation gehorchen und im Reich residieren; jeder Bruch dieser Versprechen wäre wieder von allen zu erörtern. 29 Schließlich wurde die Wahl am 5. Januar 1531 durchgeführt, wobei Sachsen vom Monarchen die Erlaubnis bekommen hatte, an der Wahl nicht teilnehmen zu müssen. Einerseits war das ein Triumph für die Monarchie. 30 Die Wahl war ein Präzedenzfall für die Möglichkeit einer dynastischen Weitergabe der Krone; damit war etwas institutionalisiert, was einer Erbmonarchie im Reich gleichkam und den Anspruch der Stände auf Mitregierung unterminierte. Andererseits wurde dadurch die Solidarität der Stände gegen die Monarchie entscheidend gestärkt. Am 6. Januar schlossen die Kurfürsten mit Ferdinand einen auf zehn Jahre datierten Schutzvertrag ab.31 Doch weil der sächsische Kurfürst an der Wahl nicht teilnahm, konnte er in den Mittelpunkt einer Bewegung rücken, die der Wahl die Anerkennung verweigerte. Philipp von Hessen tat sich erneut als einer der führenden Gegner hervor, desgleichen Herzog Wilhelm IV. von Bayern, der ebenfalls die Krone angestrebt hatte. Im Oktober 1531 hatte sich in Saalfeld ein breites, konfessionsübergreifendes Bündnis gegen Habsburg gebildet, dessen Mitglieder die Wahl Ferdinands rückgängig machen, einander vor Habsburger Angriffen schützen und sich französischer und englischer Hilfe versichern wollten. Diese Koalition war vielleicht nicht lebensbedrohlich für die Habsburger, sollte sich aber auf jeden Versuch, mit dem religiösen Konflikt umzugehen, nachdrücklich auswirken. Der Monarch selbst machte seine Drohung, gegen protestantische Regenten vorzugehen, die sich weigerten, das mit den Augsburger Vereinbarungen vermachte Ultimatum zu beachten, nicht wahr, denn er brauchte Geld und Unterstützung für den Kampf gegen die Türken. Außerdem war Karl seinem Wesen nach ein Anhänger der Lehren des Erasmus, indem er, wo möglich, die gewaltsame Konfrontation vermied und auf Verhandlungen setzte. Zudem glaubte er fast bis zur Selbsttäuschung daran, dass die Zeit alle Wunden heile. Während Ferdinand im Oktober 1531 nach der Niederlage der Zwinglianer und dem Tod Zwinglis ein hartes Vorgehen befürwortete, schrak Karl davor zurück, weil er befürchtete, Frankreich zu provozieren und damit die Lage in Italien unsicherer zu machen. Während sich nun die Gefahr eines militärischen Konflikts abschwächte, blieb

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die Drohung von Urteilen des Reichskammergerichts erhalten. Noch vor dem Augsburger Reichstag hatte das Gericht zahlreiche Fälle vorliegen. Nun konnten die Richter nicht viel mehr tun, als in jedem Fall gegen die Protestanten zu entscheiden. Ferdinand und seine Beamten hatten bereits dafür gesorgt, dass die Richter dabei keine übermäßigen Gewissenslasten zu tragen hätten. In der zweiten Hälfte der 1520er Jahre waren alle protestantischen Richter entlassen worden, sodass das Gericht nun den Ruf genoss, nicht mehr als »das Reichskammergericht des Monarchen« zu sein. 32 Die Entscheidung, das Gericht auf diese Weise zu instrumentalisieren, markierte einen wichtigen Wendepunkt im Hinblick auf die Verfassung. Seit der Reformbewegung der 1490er Jahre hatte das Gericht den Idealfall eines vom Monarchen unabhängigen institutionellen Kerns dargestellt. Aber mit der Wahl Ferdinands begann der Versuch, auf lange Sicht eine monarchische Regierung im Reich zu bilden, wobei das Gericht ebenso ein Handlanger der Krone sein sollte wie die katholische Mehrheit in ihrer Auseinandersetzung mit der protestantischen Minderheit. 33 Es war der Anfang des fortwährenden Gerangels zwischen Katholiken und Protestanten darum, wer von ihnen in den Institutionen vertreten sein durfte und welche Kompetenz sie haben sollten. Tatsächlich ist die Vorstellung, das Reichskammergericht habe gegen die Protestanten einen von Rachsucht geprägten »Rechtskrieg« geführt, ziemlich abseitig. 34 Die Richter waren nicht bereit, sich zu Anwälten der Krone oder der katholischen Mehrheit machen zu lassen. Aber wenn es um Fälle ging, in denen weltliche Autoritäten der Enteignung von Kirchenbesitz und -einkünften beschuldigt wurden, konnten sie nur gemäß den im Reich geltenden Gesetzen urteilen. In umstrittenen Fällen verzichtete das Gericht darauf, die Reichsacht auszusprechen, und in den meisten kirchlichen Angelegenheiten verwiesen sie den Fall an die territorialen Behörden. Doch konnte die Möglichkeit eines Rechtskriegs nicht ausgeschlossen werden, weshalb Philipp von Hessen und andere darin ein Argument für die Notwendigkeit sahen, einen protestantischen Bund ins Leben zu rufen. Überdies führte die unleugbare Tatsache, dass der Prozess der Reformation (vor allem, wenn er von oben kam) mit Handlungen verbunden war, die gemäß der Rechtslage im Reich illegal waren, Protestanten zu der Behauptung, ihre Aktionen seien durch die höheren Gesetze Gottes gerechtfertigt. Folglich stellten sie die Gültigkeit des Gerichts wie auch die der nur menschlichen Gesetze, die durchzusetzen es beauftragt war, infrage. Schlechte Nachrichten aus Ungarn und die Erklärung der protestantischen Fürsten und Städte, sie könnten Ferdinand nicht helfen, solange man sie mit Ächtung bedrohe, führten auf dem nächsten Reichstag, der Anfang 1532 in Regensburg zusammentrat, zu weiteren Verhandlungen über die Religionsproblematik. 35 Die Protestanten forderten religiöse Freiheit und die Einstellung aller gegen sie anhängigen Verfahren. Nach langwierigen, parallel zum und außerhalb vom

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Reichstag in Schweinfurt geführten Diskussionen stimmte Karl im Juli 1532 dem Nürnberger Religionsfrieden (»Nürnberger Anstand«) zu. 36 Er war jetzt bereit, den Status quo anzuerkennen, bis ein Kirchenkonzil die strittigen Fragen geklärt hätte. Ein solches Konzil solle binnen sechs Monaten einberufen werden, damit es binnen eines Jahres stattfinden könne. Bis dahin würden alle am Reichskammergericht anhängigen Restitutionsverfahren suspendiert. Daraufhin erklärten sich die Protestanten zur Entsendung von Militärhilfe gegen die Türken bereit. Luther begrüßte den Nürnberger Anstand als göttliche Bekräftigung der Reformation. Der Friedensschluss war ein entscheidender Schritt zur Relativierung des Wormser Edikts: Zum ersten Mal wurde anerkannt, dass das Reich ein System mit zwei Religionen war. In dieser Hinsicht war der Nürnberger Anstand der erste Schritt in Richtung des Augsburger Religionsfriedens von 1555 und des Westfälischen Friedens von 1648. 37 Zu jener Zeit war natürlich gar nicht abzusehen, wohin der Nürnberger Friedensschluss führen würde. Die Tatsache, dass Karl die Suspendierung der Gerichtsverfahren geheim halten wollte, war keine vertrauensbildende Maßnahme. Da das Gericht also keine förmliche Anweisung vom Monarchen erhalten hatte, setzte es seine Arbeit mehr oder minder einfach fort. Es weigerte sich, Fälle, in denen es um Säkularisierung oder die Außerkraftsetzung kirchlicher Rechtsprechung ging, als »religiöse« Fälle zu betrachten, sondern behandelte sie als Landfriedensbruch. 38 Das Schreckgespenst eines »Rechtskriegs« blieb eine allgegenwärtige Bedrohung.

Anmerkungen 1 Schneider, Ius reformandi, 94–95. 2 Press, »Landgraf Philipp«. 3 Kohler, Antihabsburgische Politik, 109; Laubach, »Nachfolge«, 15–33; Sicken, »Ferdinand I.«, 55–57. 4 Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 268. 5 Dülfer, Packsche Händel, 56–63, 73. Packs Motive scheinen vorwiegend finanzieller Art gewesen zu sein. 6 Vgl. S. 321–322. 7 Schneider, Ius reformandi, 95–99; Kohnle, Reichstag, 365–375. 8 Blickle, Reformation, 159. 9 Schneider, Ius reformandi, 99. 10 Skinner, Foundations, Bd. II, 195–196; Kohnle, Reichstag, 376–380; Friedeburg, Self-defence, 56–57. 11 Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 268–269. 12 Brady, Sturm, 71, 75. 13 Brady, Sturm, 65–67, 80; Rabe, Geschichte, 348–350. Der Konflikt zwischen Luther- und Zwingli-Anhängern über die Reformation in Württemberg 1534 war ein weiteres starkes Motiv für die Wiederannäherung zwischen den beiden Richtungen, oder besser: für die Kapitulation der Süddeutschen, indem sie Luthers Abendmahlslehre akzeptierten.

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Skinner, Foundations, Bd. II, 196–197. Schmidt, Geschichte, 76. Rabe, Geschichte, 263. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 276; Luttenberger, »Kirchenadvokatie«, 193–194. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 262; Chisholm, »Religionspolitik«, 552–558. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 271–272; Neuhaus, »Augsburger Reichstag«, 192– 209. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 406–413; Duchhardt, Verfassungsgeschichte, 87–88. Das erste französische Strafgesetzbuch erschien 1539. Kohnle, Reichstag, 381–394. Luther konnte aufgrund der im Wormser Edikt gegen ihn verhängten Reichsacht nicht auf dem Reichstag erscheinen, gab aber von der Veste Coburg aus Ratschläge und warnte vor einer zu versöhnlichen Haltung. Schneider, Ius reformandi, 99–104. Schneider, Ius reformandi, 100. Schmidt, Geschichte, 78. Skinner, Foundations, Bd. II, 197–199; Friedeburg, Self-defence, 62. Skinner, Foundations, Bd. II, 200–206; Friedeburg, Self-defence, 63–65. Kohler, Antihabsburgische Politik,171. Kohler, Antihabsburgische Politik, 173–174. Die sächsischen Argumente betreffend die Unzulässigkeit von Wahlen zu Lebzeiten eines Monarchen standen natürlich im Widerspruch zu Präzendenzfällen während der Regierungszeit Karls IV. und Friedrichs III.; weitere rechtliche Einwände erwiesen sich ebenfalls als hinfällig. Neuhaus, »Augsburger Reichstag«, 198–199. Kohler, Antihabsburgische Politik, 183–202. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 293; Smend, Reichskammergericht, 128–131, 140. Smend, Reichskammergericht, 140–141. Brady, Sturm, 164–165; Ruthmann, »Religionsprozesse«, 232–235; Schneider, Ius reformandi, 104–107. Brady, Sturm, 80–82; Rabe, Geschichte, 330–332; Schneider, Ius reformandi, 108–114. Kohnle. Reichstag, 401–406. Brady, Sturm, 82. Schmidt, »Schmalkaldischer Bund«, 12.

24. Der Schmalkaldische Bund, seine katholischen Gegenstücke und die Reichspolitik, 1530–1541

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ie von den Protestanten nach dem Augsburger Reichstag empfundene Bedrohung – die wirkliche wie die imaginäre – reichte ihnen als Rechtfertigung für die Gründung eines Verteidigungsbundes. Bereits 1529 waren entsprechende Pläne entworfen und während des Reichstags erörtert worden. Noch vorhandene Bedenken wurden aus dem Weg geräumt, als die Theologen die Argumente für rechtmäßigen Widerstand gegen den Monarchen akzeptierten. Die Gründungsmitglieder kamen im Dezember 1530 zu einem Geheimtreffen in Schmalkalden zusammen: der Kurfürst von Sachsen, Landgraf Philipp von Hessen, Ernst von Braunschweig-Lüneburg, die Grafen von Anhalt-Bernburg und Mansfeld sowie Vertreter der Städte Magdeburg und Bremen. Ende Februar 1531 wurden Bündnisartikel formuliert und weitere Städte schlossen sich an, so etwa Straßburg und andere Orte im Südwesten, aber auch Lübeck. In Konstanz und Straßburg wurde, wie auch von Philipp, erneut ein Bündnis mit Zwingli und den Schweizer Protestanten erwogen. Zudem wollte man sich an die Könige von Frankreich, England, Polen, Navarra, Dänemark, Schweden und an »weitere Potentaten« wenden. 1 Am bedeutsamsten war in den folgenden Jahren der Zustrom norddeutscher Bündnispartner. Bis 1535 waren Braunschweig, Goslar, Einbeck und Göttingen dazugestoßen, ferner, aus dem Südwesten, Esslingen. 1536 wurden sechs weitere Fürsten und fünf Städte (Augsburg, Frankfurt/ Main, Kempten, Hamburg und Hannover) aufgenommen. Der Bund umfasste nie alle protestantischen Fürsten und Städte, aber ihm gehörten mehr Mitglieder aus dem Norden wie auch dem Süden als jedem anderen Bündnis zuvor an. 2 Obwohl Reichspropagandisten dem Bund sezessionistische Neigungen unterstellten, ist nicht klar, ob er jemals für das Reich oder den Monarchen eine wirkliche Gefahr darstellte. Sicherlich zeigte er »gelegentlich staatsähnliche Tendenzen« und entwickelte eine formelle Verfassung, ein System regelmäßiger Zusammenkünfte, um gemeinsam unter anderem Steuern und Abgaben für die Streitkräfte des Bundes unter dem wechselnden Kommando von Sachsen und Hessen festzulegen. 3 Allerdings sollten alle diese Vorkehrungen dem Zweck dienen, die Mitglieder des Bundes vor Diskriminierung im Reich aufgrund ihrer Religion zu schützen. Viele Mitglieder aus dem Norden, die ohnehin größere Distanz zu Monarch und Reich wahrten und deshalb auch nicht so bedroht waren, bezahlten ihren Anteil häufig unvollständig oder nur mit Murren.

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Philipp von Hessens Plan für die Bildung eines internationalen Bündnisses wurde nicht verwirklicht. Zwinglis Tod bei Kappel im Oktober 1531 machte der Schweizer Beteiligung ein Ende. Überhaupt war der Zwinglianismus in Süddeutschland nach wenigen Jahren bereits verschwunden und die führenden Theologen dort akzeptierten 1536 die Wittenberger Konkordie. Dadurch wurde der Bund einheitlicher, aber er zog auch eine dauerhafte Trennlinie zwischen den Deutschen und den Schweizern, die sich mit der Konkordie nicht abfinden wollten. Avancen, die der Bund in den 1530er und frühen 1540er Jahren England und Frankreich machte, blieben wirkungslos, vergrößerten höchstens den Verdacht auf Illoyalität und Abspaltung gegenüber den Mitgliedern des Bundes insgesamt. 4 Tatsächlich waren die Ziele des Bundes begrenzt. Von Anbeginn wurde verdeutlicht, dass der Bund sich nicht gegen »unser … kaiserlichen Maiestat, unserm allgnedigsten herrn« richten solle. Er diene »allayn zu erhaltung christenlicher warhait und fridens ym hailigen Reich und deutzscher Nation« und zu »entschuttung unbillichs gewalts für uns und unser undertann und vorwanten«. 5 Die Möglichkeit eines solchen gewaltsamen Angriffs war gegeben, weil ungünstige Urteile des Reichskammergerichts Ächtung und Vollstreckung nach sich ziehen konnten. Diese Drohung reichte aus, um das militärische Aufgebot des Bundes – seine Verfassung sah 2.000 Berittene und 10.000 Fußsoldaten vor – zu rechtfertigen. Die meiste Zeit kämpfte der Bund jedoch rechtlich und politisch. Die Mehrheit wollte Philipp von Hessens aggressiver wie abenteuerlustiger Militanz nicht folgen und Sachsen wie auch die süddeutschen Reichsstädte waren darauf bedacht, eine direkte Konfrontation mit den Habsburgern zu vermeiden. Selbst in dem Rechtsstreit gegen das Reichskammergericht beharrten die Mitglieder des Bundes auf ihren streng begrenzten Zielen. 1534 forderte Philipp mit Nachdruck die Aufhebung der Zuständigkeit des Gerichts für alle, nicht nur religiöse Tatbestände, doch beschlossen die Mitglieder, nur den Vorsitzenden Richter und die Mehrheit der Beisitzer für unzuständig in religiösen Angelegenheiten wegen Befangenheit zu erklären. 1538 gab es einen zweiten Versuch, die Aufhebung der Zuständigkeit zu erreichen. Er wurde durch die erneute Suspendierung kontroverser Fälle im Frankfurter Anstand 1539 abgewendet. 6 Das grundlegende Problem blieb dennoch. Katholiken und Protestanten hatten von Recht und Gesetz höchst unterschiedliche Ansichten, sodass es schwierig war, genau zu bestimmen, was als religiöse Angelegenheit gelten sollte. Manchmal waren die Ansprüche kaum mehr als unverschämter Opportunismus, ein pseudolegales Deckmäntelchen für den Diebstahl.Waren sie aber echt, berührten sie eines der umstrittensten und grundlegendsten Probleme jener Zeit. Selbst die Protestanten waren unter sich nicht immer einig, wie mit Kirchenbesitz umgegangen werden sollte. Die Reichsstädte tendierten meist zu der Behauptung, dass die Überführung solchen Besitzes in Gemeineigentum gerechtfertigt sei, wenn er weiterhin für

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wohltätige Zwecke genutzt werde. Manche Fürsten hatten aber auch keine Bedenken, ihn der Regierungskasse einzuverleiben. 7 Am Ende war eine Aufhebung der gerichtlichen Zuständigkeit die einzige Lösung für die protestantischen Beschwerden und diese wurde erreicht, als um 1543 das Gericht für fünf Jahre suspendiert wurde. Man kann sich fragen, warum der Bund so lange brauchte, um zu diesem Ziel zu gelangen. Allerdings zeigt sich in seinem zögernden, in mancher Hinsicht gar unlogischen Verhalten gegenüber dem Gericht ein wichtiger Charakterzug des Bundes: Treue zum Reich und dessen Institutionen war unabdingbar, auch wenn die Protestanten meinten, das Reich sei aus den Fugen und seine Gesetze bedürften der Reform. Die Mitgliedschaft im Bund setzte nicht notwendigerweise dynastische Traditionen oder territoriale Interessen außer Kraft. Die Kurfürsten von Sachsen waren dem Reich gegenüber immer treu gewesen und taten sich mit der Idee einer Rebellion, selbst wenn sie mit göttlicher Rechtfertigung einem ungerechten Monarchen galt, sehr schwer. Ebenso könnte Sachsen bei Verweigerung von Hilfsleistungen gegen die Türken in Gefahr geraten, wenn Ungarn, Böhmen und die österreichischen Erblande ihnen in die Hände fielen. 8 Im Grunde war den Mitgliedern an nichts mehr gelegen als an der Beibehaltung des Status quo von 1526. Obwohl es ein protestantischer Bund war, wurde nie ein Plan zu einer gemeinsamen Kirchenordnung entwickelt. Gerade die zwei Territorien, die daran arbeiteten und sich 1533 auf eine gemeinsame Kirchenverfassung einigten – die Reichsstadt Nürnberg und der Markgraf von Brandenburg-Ansbach –, wurden nicht Mitglieder im Bund. 9 Der hielt sich streng an die Regeln von 1526 und verweigerte zum Beispiel 1542 den Protestanten von Metz die Aufnahme, weil der Stadtrat aus Katholiken bestand. Es war eben ein Bund aus protestantischen Ständen, ein Bündnis von Fürsten, Herrschaften und Stadträten, keine Gemeinschaft evangelischer Christen.10 Die Zaghaftigkeit gegenüber dem Reichskammergericht rührte auch von einer tiefen Spaltung innerhalb des Bundes selbst her. Immer sahen die Fürsten zu, dass sie die Oberhand behielten. Während Philipp die Stadträte als Verbündete begriff, besonders, wenn sie im Bann von militanten Predigern wie Zwingli standen, hatte der Kurfürst von Sachsen für sie nur vernichtende Kritik übrig. Die Reichsstädte fürchteten nicht ohne Grund, dass die Fürsten sie zwingen würden, ohne Gegenleistung für die »teutsche Libertät« zu bezahlen. Wie die anderen weniger mächtigen Stände benötigten sie das Reichskammergericht, um sich vor der aggressiven Expansionspolitik ihrer territorialen Nachbarn schützen zu können. Nach dem Niedergang des Schwäbischen Bundes in den späten 1520er Jahren vermissten die südwestdeutschen Städte die Sicherheit, die er vormals geboten hatte. Nichts zeigte das deutlicher als der Krieg, den Herzog Ulrich von Württemberg nach 1538 gegen Esslingen führte. Beide gehörten dem Schmalkaldischen Bund an, aber Ess-

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lingen musste vor dem Reichskammergericht gegen den tyrannischen Herzog einen Prozess anstrengen, um zu überleben. 11 Die Wahrung »christenlicher warhait und fridens« hatte ihre Grenzen und das Reichskammergericht seinen Nutzen. Trotz aller Beschränkungen konnte der Bund 15 Jahre lang den Vormarsch des Protestantismus im Reich gewährleisten. Er zielte nie darauf ab, das Reich zu ersetzen, aber er spielte eine so herausragende Rolle, dass Karl zu der Überzeugung gelangte, er könne seine Herrschaft in Deutschland nur sichern, wenn er den Bund vernichtete. Von Anfang an war der Schmalkaldische Bund in eine umfangreiche Konstellation antihabsburgischer Gruppierungen einbezogen, deren gemeinsamer Nenner Philipp von Hessen bildete. Seine in der Mitte Deutschlands gelegenen Territorien machten ihn zum natürlichen Bezugspunkt. Seine dynastischen und strategischen Interessen erstreckten sich in alle Richtungen, nach Norden wie nach Süden, zum Rhein hin und darüber hinaus, zur Elbe und ostwärts. Die unterschiedlichen antihabsburgischen Bündnisse waren ebenfalls nicht an konfessionellen Zugehörigkeiten ausgerichtet. Der Saalfelder Bund, der katholische und protestantische Gegner von Ferdinands Wahl vereinigte, bestand eine Zeit lang parallel zum Schmalkaldischen Bund. 12 1532 versuchte auch Frankreich, die Höfe von Sachsen, Bayern und Hessen mit dem Versprechen zu ködern, die Verteidigung der »libertés germaniques« zu unterstützen. 13 Im Mai legten Frankreich, Bayern, Hessen und Sachsen im Vertrag von Scheyern fest, für die Rückkehr von Herzog Ulrich nach Württemberg zu sorgen und die Herrschaft der Habsburger dort zu beenden. Die katholischen Kurfürsten von Mainz, Trier und der Pfalz schlossen im November 1532, weil sie eine Verschwörung Hessens mit Bayern fürchteten, zugleich aber gegen den Schwäbischen Bund und das Anwachsen der Habsburger Machtbefugnisse eingestellt waren, ein Bündnis mit Hessen (»Rheinische Einung«). 14 Das war im Wesentlichen ein Verteidigungsbündnis, in dem sich eine Vielzahl politischer und konfessioneller Interessen zusammenfand. Aber es erwies sich als stabil genug, um für Karls Versuche, seine Machtbasis im Reich ab Mitte der 1530er Jahre wieder aufzubauen, ein Hindernis darzustellen. In der einen oder anderen Form währte das Bündnis bis 1552, in Gang gehalten durch das gegenseitige Interesse der Mitglieder (zu denen 1533 noch Würzburg gestoßen war) an regionaler Sicherheit. Ein weiteres Verteidigungsbündnis knüpfte Philipp 1533 mit dem Bischof von Münster. Auch hier ging es um regionale Sicherheitserwägungen mit einer antihabsburgischen Stoßrichtung, denn Philipp war fest davon überzeugt, dass der Monarch dem kürzlich erworbenen Utrecht noch Geldern und Münster hinzufügen wolle.15 Philipp schloss Bündnisse, wo immer es sich anbot, um für alle Eventualitäten gerüstet und an allen Fronten sicher zu sein. Kein Reichsstand war zu unbedeutend, um nicht als möglicher Verbündeter dienen zu können, und jeder mögliche Gegner habsburgischer Bestrebungen war ein wertvoller Bündnispartner.

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Bünde und Bündnisse waren das eine, direktes Handeln, vom Krieg ganz zu schweigen, war das andere. Sachsen zum Beispiel betrachtet den Saalfelder Bund einfach als Demonstration »teutscher Libertät« gegen den Monarchen und das Reich. Beim Vertrag von Scheyern dagegen ging es um Kriegsvorbereitung. Aber die sächsischen Kurfürsten, Johann und sein Nachfolger ab August 1532, Johann Friedrich, zögerten. Sie zogen zeitaufwendige Verhandlungen mit Ferdinand zwecks Anerkennung seiner Wahl als Gegenleistung für politische und religiöse Zugeständnisse vor. Dieses Zögern beeinflusste auch den Schmalkaldischen Bund, von dessen Mitgliedern nur Straßburg ein entschlosseneres Vorgehen unterstützte. 16 Folglich ging die Initiative immer stärker auf Hessen und Bayern über. Ihre unmittelbarsten Zielobjekte waren der von Habsburg dominierte Schwäbische Bund und die habsburgische Herrschaft über Württemberg. Dennoch beruhte ihr Zusammengehen auf einem Missverständnis. Den Bayern ging es um die Wiedereinsetzung von Herzog Christoph, dem Sohn des entmachteten Herzogs Ulrich. Im Gegensatz zu seinem Vater war Christoph katholisch geblieben; er war als Gefangener am Hof Karls V. aufgewachsen und 1530 von dort zu seinen Onkeln, den bayrischen Herzögen Wilhelm IV. und Ludwig X., geflohen. Wenn die Bayern ihn unterstützen, konnten sie damit den Habsburgern einen Schlag versetzen und ihre eigene regionale Macht vergrößern, indem sie die westliche Hälfte der Habsburger »Klammer«, die ihre Länder umschloss, entfernten, ohne gegen ihre religiösen Grundsätze zu verstoßen. Philipp von Hessen dagegen wollte den Protestanten Ulrich wieder einsetzen, um die protestantische Sache zu stärken. Anfänglich jedoch gab er vor, Herzog Christoph zu unterstützen, um das Bündnis mit Bayern nicht zu gefährden. Zunächst berieten sich Philipp und die Bayern mit dem Schwäbischen Bund, dessen Mitglieder 1533 mehrheitlich dafür stimmten, Württemberg an Herzog Christoph zurückzugeben. Das lehnte Ferdinand ab, woraufhin der Bund sich auflöste. Die Mitglieder der Rheinischen Einung beschlossen, ihre Mitgliedschaft nicht fortzusetzen. Die protestantischen Mitglieder zögerten, weil sie fürchteten, dass der Schwäbische Bund seine Streitkräfte gegen sie in Marsch setzen könnte. Unter diesen Umständen konnte der gerissene bayrische Kanzler Leonhard von Eck ohne Schwierigkeiten die Verhandlungen der übrig gebliebenen Mitglieder über eine Erneuerung des Schwäbischen Bundes sabotieren. Der Bund wurde im Februar 1534 aufgelöst, aber sein Ende war schon Monate vorher absehbar gewesen. Ohne den Bund jedoch war Württemberg schutzlos. Im Januar 1534 traf sich Philipp von Hessen mit dem französischen König bei Bar-le-Duc und erhielt substanzielle Finanzhilfen für einen Feldzug. Im April hatte er eine Streitmacht von 20.000 Fußsoldaten und 4.000 Berittenen beisammen, mit denen er im Mai das Herzogtum besetzte. Ferdinand verfügte nur über 9.000 Fußsoldaten und 400 Be-

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rittene, weshalb er nach einer Schlacht bei Lauffen seine Niederlage einräumen musste. Als die Bayern vom Treffen bei Bar-le-Duc hörten, erkannten sie, dass sie von Philipp getäuscht worden waren: Mit der Wiedereinsetzung eines protestantischen Herzogs wollten sie nichts zu tun haben. Vielmehr fürchteten sie nun, selbst das Opfer eines Habsburger Rachefeldzugs zu werden. 17 In panischer Angst distanzierten sie sich von dem ganzen Unternehmen. Schon vor der Schlacht von Lauffen hatten sie mit dem Kurfürsten der Pfalz und seinem Bruder, den Grafen von PfalzNeuburg, dem Bischof von Bamberg und den Markgrafen von Brandenburg Verhandlungen wegen der Gründung eines Eichstätter Bundes gegen mögliche österreichische Angriffe geführt. Zugleich beschleunigten sie ihre Geheimverhandlungen mit Karl V., bei denen es darum ging, was er ihnen an Gegenleistungen für die Anerkennung der Wahl Ferdinands geben könne. Diese Verhandlungen hatten sie schon begonnen, als sie noch mit Hessen gegen Karl konspirierten. 18 Alles Gerede über Habsburger Gegenoffensiven oder weitere hessische Angriffe – der König von Frankreich hatte sich vorgestellt, dass die Militäraktionen Philipps auch auf Böhmen übergreifen könnten – endete mit dem Vertrag von Kaaden, der im Juni 1534 von den Kurfürsten von Mainz und Sachsen vermittelt wurde. 19 Ferdinand erkannte die Wiedereinsetzung von Herzog Ulrich in Württemberg und sein Recht, dort die neue Religion einzuführen, an. Im sonstigen Reich wurde der Nürnberger Anstand bekräftigt, davon explizit ausgeschlossen waren Wiedertäufer und alle Sektierer; alle gegen (lutherische) Protestanten vor dem Reichskammergericht anhängigen Fälle wurden suspendiert. Der Verlust von Württemberg wurde dadurch etwas gemildert, dass Ulrich sein Herzogtum als erbliches österreichisches Afterlehen, nicht aber als Reichslehen erhielt. 20 Der Herzog war auch bereit, Ferdinand als römischen König anzuerkennen. Zudem bewirkte der Kaadener Vertrag, dass nun, nach dreieinhalb Jahren Opposition, auch der Kurfürst von Sachsen Ferdinands Wahl förmlich anerkannte. Auch Bayern stimmte prinzipiell zu, ergriff aber die Gelegenheit, im Linzer Vertrag vom 11. September 1534 ein Heiratsversprechen unterzubringen, das den sechs Jahre alten Erben mit einer von Ferdinands Töchtern verbinden sollte. Damit eröffnete sich die entfernte Möglichkeit, unter bestimmten Umständen die Erbfolge in Österreich antreten zu können. Philipps Anerkennung war mit der des sächsischen Kurfürsten verbunden, dem die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes und andere nun folgten. Während der Verhandlungen zum Linzer Vertrag schrieb Karl an seinen Bruder, dass ein Abkommen mit Bayern über ein dynastisches Bündnis und eine gemeinsame Religionspolitik den Weg für die pacification de la Germanie ebnen könnte. 21 Das wurde zwar nicht erreicht, doch führten Linzer und Kaadener Vertrag zu einer umfangreichen Neuordnung der deutschen Politik. Der Verlust von

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Württemberg traf Ferdinand nicht so schwer, wie von ihm befürchtet; Ungarn war da viel wichtiger. Außerdem musste er sich die Anerkennung als römischer König sichern, denn damit konnte er seine Position im Reich neu festigen und die Unterstützung der Stände gegen Johann Zápolya gewinnen. Aber mit dem Verlust Württembergs und vor allem der Auflösung des Schwäbischen Bundes fielen die beiden Säulen, die Karls und Ferdinands Politik im Reich getragen hatten. Stattdessen wurde der Schmalkaldische Bund gestärkt. Es war also ein neues loyales Bündnis erforderlich. Die erste Initiative dazu kam von Ferdinand, der im Januar 1535 ein Treffen mit süd- und mitteldeutschen Ständen in Donauwörth anberaumte. 22 Ergebnis war der »Kayserliche neunjährige Bund«, ein Schatten nur des Schwäbischen Bundes, den er ersetzen sollte. Er bestand hauptsächlich aus den Mitgliedern des Eichstätter Bundes plus Karl und Ferdinand sowie den Bischöfen von Salzburg und Augsburg. Zuerst war der »Kayserliche Bund« ein Bündnis der Fürsten: die Vielzahl der Reichsstädte, Prälaten, Reichsgrafen und Reichsritter – die traditionelle Anhängerschaft der Habsburger im südlichen Reich – wurde auf Drängen der Fürsten von Brandenburg und der Pfalz ausgeschlossen. Ferdinand und auch Bayern hatten zumindest die Städte mit einbeziehen wollen, weil sie dem Bund mehr Gewicht und vor allem Geld verleihen würden. Allerdings hatten sie nicht beabsichtigt, den Städten ebenso viel Gewicht wie den Fürsten zuzumessen. Die jedoch wollten mehrheitlich die Exklusivität des Bundes bewahren, weil ihnen, so der Einwand, die religiöse Situation der Städte nicht gefiel; in Wirklichkeit aber waren die Fürsten dagegen, weil sie anderenfalls die Städte nicht zum Ziel ihrer expansionistischen Bestrebungen machen konnten. Tatsächlich wurden jedoch während des nächsten Jahres eine Reihe von Städten zugelassen, darunter auch protestantische, und zwar zu den gleichen Bedingungen wie Brandenburg-Ansbach. 23 Aber sie blieben Mitglieder zweiter Klasse, während den anderen geringeren Ständen der Zugang verwehrt blieb. Folglich konnte der neue Bund in keiner Hinsicht den Schwäbischen Bund ersetzen. Er taugte noch nicht einmal dazu, das Bündnis zwischen Österreich und Bayern zu festigen, was eines der hauptsächlichen Ziele Leonhard von Ecks gewesen war. Als deutlich wurde, dass Ferdinand nicht die Absicht hatte, das von den Bayern bevorzugte harte Vorgehen gegen die Protestanten zu akzeptieren, fielen jene wieder in die alte Feindseligkeit und das Misstrauen der Zeiten vor 1534 zurück. Das sollte sich erst 1546 wirklich ändern. Der »Kayserliche neunjährige Bund« genügte für die Dauer seiner Existenz seinem Namen vollauf. Zur gleichen Zeit machten es Probleme in anderen Teilen des Reichs und die fortgesetzte türkische Bedrohung in Ungarn notwendig, eine verstärkte Zusammenarbeit protestantischer und katholischer Stände anzugehen. Da die Einberufung eines Reichstags die religiösen Kontroversen nur wieder aufleben lassen und

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so zu einem möglicherweise fatalen Auseinanderbrechen führen würde, entschied man sich für eine Kooperation auf der Ebene von Reichskreisversammlungen oder Reichskreistagen. 24 Vertreter von 40 Ständen trafen sich im Dezember 1534 in Koblenz; dem folgten 1535 drei ähnliche Treffen in Worms.Von den 40 Vertretern in Koblenz waren 38 katholisch, aber im April des nächsten Jahres waren es 145 Stände aus allen Teilen des Reichs und von beiden Konfessionen. Es handelte sich dabei explizit nicht um formelle Reichstage, doch dienten sie dem Zweck, 1535 einen erfolgreichen bikonfessionellen Angriff auf die Wiedertäufer in Münster zu organisieren. 25 Die religiösen Differenzen zwischen katholischen und (lutherisch-) protestantischen Fürsten und Stadträten zählten nicht, wenn das Gespenst einer sozialen Revolution drohte. Bei diesen Zusammenkünften, von denen es 1537 noch eine weitere gab, einigte man sich auch auf Militärhilfe gegen die Türken, doch schon 1539 machten erneute religiöse Spannungen ein solches Abkommen unmöglich. Es ist schwierig, zwischen der Politik des Monarchen einerseits und der seines Bruders, des Königs, andererseits klar zu differenzieren. Ferdinand ging es darum, ständige Verbindung zu allen deutschen Ständen zu halten und durch informelle Treffen wesentliche Aufgaben wie die Erhaltung des Friedens und die Verteidigungsbereitschaft auf der Tagesordnung zu halten. Der Monarch wiederum schien einen anderen und keineswegs einheitlichen Kurs zu steuern. Dennoch gingen sie von vielen gemeinsamen Annahmen aus, verfolgten gemeinsame Interessen und hatten mit Kardinal Bernardo Clesio bis zu seinem Tod 1539 einen gemeinsamen Berater. Auch die Kirchenreform, zu deren Zweck ein ökumenisches Konzil einberufen werden sollte, stand ganz oben auf Karls Agenda; der Monarch teilte den Wunsch seines Bruders nach einer Lösung der Religionsprobleme in Deutschland. In den späteren 1530er Jahren war den Brüdern auch klar geworden, dass eine solche Lösung nur um den Preis weiterer Kompromisse in Sachen Religion zu erreichen sein würde. Aber Karl war zwischen 1532 und 1541 erneut außerhalb des Reichs tätig. Sein Konflikt mit den Osmanen im Mittelmeer und mit Frankreich hatte Vorrang vor Deutschland und den Türken in Ungarn. Den Initiativen, die er aus der Entfernung in Deutschland einleitete, war unterschiedlicher Erfolg beschieden. Karls erster Ansatz führte gleich in die Katastrophe. 26 Die Verhandlungen des Schmalkaldischen Bundes mit Frankreich, England sowie Dänemark und seine wachsende Mitgliederzahl ließen Karl befürchten, dass eine internationale Koalition seine Autorität untergraben könne. Im Oktober 1536 beauftragte er den Reichsvizekanzler, Matthias Held, Unterstützer für einen kaiserlichen Bund im Reich anzuwerben. Die Instruktionen waren zurückhaltend bis vage. 1537 berief Papst Paul III. das Konzil von Mantua ein. Er wollte damit dem protestantischen Wunsch nach einem ökumenischen Konzil entgegenkommen, doch lehnten die

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Protestanten die Einladung ab. Daraufhin entschloss sich Held zur Gründung einer aggressiv antiprotestantischen Liga. 27 Sie wurde im Juni 1538 ins Leben gerufen; Gründungsmitglieder waren, neben Karl und Ferdinand, die Regenten von Mainz, Salzburg, Bayern, dem Herzogtum Sachsen, Calenberg und Braunschweig. Formal wurden die Ziele als defensiv ausgegeben, doch schon bald verbreitete sich die Kunde von Helds aggressiven Absichten. Obwohl für einen Zeitraum von zehn Jahren geplant, war diese »Katholische Liga« eher ein tot geborenes Kind. Ferdinand und seine Berater sahen mit tiefem Schrecken, wie Held drohte, alle bisher mit den Protestanten geschlossenen Abkommen aufzukündigen. Karl selbst war so im Zweifel über Helds Aktivitäten, dass er die Liga erst am 20. März 1539 ratifizierte, auch um Gerüchte zu entkräften, die von Königin Maria von Ungarn, seiner Statthalterin in den Niederlanden, in die deutsche Welt gesetzt worden waren und besagten, dass er die Liga überhaupt nicht unterstütze. 28 Die Protestanten wiederum reagierten scharf auf das, was sie als Kriegsdrohung empfanden, und ihre Befürchtungen wurden durch einen zehnjährigen Waffenstillstand noch vermehrt, den Karl nur sieben Tage nach Gründung der Liga mit Frankreich in Nizza geschlossen hatte. Hinzu kam dann noch das Urteil des Reichskammergerichts vom 9. Oktober 1538, das die Stadt Minden mit der Ächtung belegte, sodass Philipp von Hessen einen Krieg für unmittelbar bevorstehend hielt. 29 Auf katholischer Seite weckte die Atmosphäre allgemeiner Ungewissheit erneut das ganze Repertoire der Doppelzüngigkeit bayrischer Diplomatie. 30 Die Bayern schickten Delegationen nach Wien und Spanien, um Karl zur Rückkehr ins Reich zu drängen, damit er persönlich den Vorsitz bei einem Reichstag einnehmen, die religiösen Probleme lösen, energisch gegen die Protestanten vorgehen und schließlich noch einen Kreuzzug gegen die Türken führen könnte. Zugleich eröffneten sie Geheimgespräche innerhalb des Reichs, um einen Religionskrieg abzuwenden und sich vor den Folgen einer möglichen Rückkehr Karls aus Spanien zu wappnen, wenn er Deutschland seinen Willen aufzwingen wolle. Die Lage schien für alle deutschen Fürsten so mit Gefahr aufgeladen, dass der bayrische Kanzler, Leonhard von Eck, für Gespräche zwischen seinen herzoglichen Herren und dem Kurfürsten von Sachsen eintrat. Beide befürchteten, dass ein Krieg zwischen Katholiken und Protestanten die Macht des Monarchen auf Kosten der Fürsten vermehren werde: Grund genug für Bayern, auf die Idee eines neuen antihabsburgischen Bundes zurückzukommen. Schwieriger war es, ein gutes Verhältnis mit dem militant antikatholischen Philipp von Hessen herzustellen. Jedoch war er schnell gewonnen, als Eck »Beweise« dafür vorlegte, dass die katholische Gewaltbereitschaft in Wirklichkeit von Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel ausging, einem territorialen Konkurrenten von Hessen und Kursachsen. Zudem glaubte Philipp höchst bereit-

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willig an Ecks Geschichte vom Bestreben des Monarchen, sich rücksichtslos über die »Freiheiten« aller deutschen Fürsten hinwegzusetzen und sie wie Sklaven zu regieren. Briefwechsel und Gespräche zwischen Bayern und Hessen gingen bis zum Frühjahr 1541 fort; sie blieben in Sachen Religion unterschiedlicher Auffassung, aber sie waren sich absolut einig über die Notwendigkeit, »teutsche Libertät« gegen die Auferlegung einer kaiserlichen monarchia zu verteidigen. Dadurch, dass man Herzog Heinrich zum Sündenbock machte, wurde die Krise, wie den Beteiligten sehr wohl klar war, um eine Dimension reicher. In einem an Herzog Wilhelm IV. gerichteten Brief vom 22. Oktober 1530 hatte Eck bemerkt, der Monarch habe »Gelder me rim kopf stekken dann alle Turcken, glauben und teutscher nation wolfahrt«. 31 Tatsächlich war für Karl das Problem der Nachfolge Herzog Karls von Geldern nach dem Juni 1538 von unmittelbarer Bedeutung, wichtiger als das Schicksal der Katholischen Liga. Die Stände von Geldern erkannten sofort auf Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg als Nachfolger, der seine Position durch ein Bündnis mit dem König von Frankreich zu stärken suchte. Das war Karl ein Dorn im Auge, denn er wollte das Lehen seinen eigenen Besitzungen zuschlagen – schließlich hatte er den verstorbenen Herzog Karl von Geldern gezwungen, seine, des Monarchen, Oberherrschaft über Geldern in seiner Eigenschaft als Herzog von Brabant anzuerkennen. Im Fall einer militärischen Konfrontation hätte Karl V. natürlich von anderen norddeutschen katholischen Fürsten, darunter auch Herzog Heinrich, Unterstützung anfordern können. Philipp von Hessen hätte der Übernahme von Geldern durch Herzog Wilhelm eigentlich gewogen sein müssen, denn dieser war ein Gegner habsburgischer Bestrebungen und stand den Protestanten zumindest tolerant gegenüber. 32 Doch ordnete der Landgraf seine konfessionelle Loyalität einmal mehr seinen territorialen Interessen unter. Jülich-Kleve-Berg war das wichtigste weltliche Fürstentum im Nordwesten. Herzog Wilhelm hatte eine Nichte des Königs von Frankreich geehelicht, seine Schwester Sibylla war mit dem Kurfürsten von Sachsen und seine Schwester Anna mit dem König von England verheiratet. Wenn Jülich-Kleve-Berg protestantisch wurde und dann ein Bündnis mit Kursachsen einging, wäre Philipps Einfluss im Nordwesten beeinträchtigt. Zudem könnte eine dynastische Verbindung zwischen Jülich und Sachsen die alte »Erbeinung« (den Erbvertrag) zwischen Hessen und Sachsen aufwiegen. Wenn aber andererseits Karl V. Geldern und Jülich-Kleve-Berg übernähme, wäre er höchstwahrscheinlich in der Lage, seine Kontrolle auf die benachbarten Bistümer – Münster, Osnabrück, Paderborn – und darüber hinaus auch auf Köln und Trier auszudehnen. Am Ende festigte persönliche Erpressung die zynische Interessengemeinschaft zwischen Philipp und Karl V. 33 Während der Landgraf seit 1523 mit der Tochter Herzog Georgs von Sachsen verheiratet war, vernarrte er sich in ein siebzehnjähriges sächsisches Adelsfräulein namens Margarethe von der Saale (* 1522, † 1566),

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mit dem er im März 1540 ebenfalls die Ehe schloss. Das war ein klassischer Fall von Bigamie. Philipp hatte wegen fortwährender Untreue schon 1525 aufgehört, am Abendmahl teilzunehmen, und Luther bereits ein Jahr später wegen des Bigamieproblems um Rat gefragt. 34 Luther hatte die Möglichkeit bezweifelt und sich auch nicht von Philipps Hinweisen auf die Vielweiberei der Patriarchen im Alten Testament überzeugen lassen. Nun aber, schwer verliebt in Margarethe, wolle Philipp handeln. Martin Bucer ließ sich seine Zustimmung mit dem Hinweis abringen, dass der Landgraf sich anderenfalls mit dem Monarchen verbünden würde. Luther und Melanchthon wurde ein hypothetischer Fall vorgelegt und sie meinten, ein geheimer Dispens könne im Fall einer Beichte möglich sein. Aber das Geheimnis war schon nach wenigen Wochen keines mehr. Luther distanzierte sich sofort von dem vertrauensvoll ausgesprochenen Ratschlag und verurteilte, wie andere führende Theologen auch, Philipps Verhalten. Selbst dessen engste protestantische Verbündete weigerten sich, ihn zu unterstützen. Die ganze Situation war unheilschwanger, denn auf Bigamie stand die Todesstrafe (wie es auch die Carolina, das Strafgesetzbuch von 1532, vorsah) und niemand wollte in den Ruf geraten, einen Verbrecher zu schützen. Philipp blieb nichts übrig, als sich der Gnade des Monarchen auszuliefern. In einem geheim im Juni 1541 in Regensburg geschlossenen Vertrag versprach Karl dem Landgrafen seine Gunst, Freundschaft und Vergebung seines Verbrechens, auch unternahm er nichts, um irgendjemanden zum Vorgehen gegen Philipp aufzustacheln. Im Gegenzug versprach Philipp, sich nicht mit dem französischen König oder einem anderen ausländischen Herrscher zu verbünden und den Beitritt des Herzogs von Jülich-Kleve-Berg zum Schmalkaldischen Bund zu verhindern. Das direkteste Opfer dieser ganzen Affäre war jedoch Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel. Hessen und Sachsen hatten schon seit einiger Zeit einen Angriff auf das Herzogtum geplant, weil Heinrich die protestantischen Städte Braunschweig und Goslar bedrohte. 35 Bisher waren sie zurückgehalten worden, weil die anderen Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes, vor allem die Reichsstädte, nicht darauf erpicht waren, in einen kostspieligen und gefährlichen Konflikt hineingezogen zu werden. Doch nun hatte Philipp, dank der Garantien des Monarchen, freie Hand. Im Juli 1542 bereits befand sich Herzog Heinrich im Landshuter Exil und seine Lande waren von Truppen des Schmalkaldischen Bundes besetzt. Die Gründung der Katholischen Liga und die territorialen Probleme des Nordwestens schienen auf einen allmählich heraufziehenden umfassenden Religionskrieg zu deuten. Doch verfolgte die Reichspolitik von Karl und Ferdinand auch andere Optionen. Zu diesem Zeitpunkt nahmen sie wohl noch an, die Befriedung Deutschlands könne ohne Waffengewalt erreicht werden. Diese Annahme war nicht unbegründet, denn es gab im Reich eine an Größe nicht unbeträchtliche

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neutrale »Partei«, deren Führer die Kurfürsten der Pfalz und Brandenburgs waren, der aber auch weitere einflussreiche Fürsten – darunter sogar die Herzöge von Jülich, die ansonsten gar nicht aufseiten der Habsburger standen – und Reichsstädte wie Nürnberg, Augsburg und Frankfurt am Main zugehörten. Ebenso stellten der Kurfürst von Mainz und die Mehrheit der geistlichen Fürsten eine einflussreiche neutrale Macht dar, denn ihre bedrohte Position war ein starker Anreiz für die Suche nach politischen Kompromissen im Reich. 36 Zu manchen Zeiten umfasste diese neutrale Partei mehr oder weniger alle außer den konfessionellen Hardlinern beider Couleur. Bei Problemen, die die deutschen Stände, insbesondere die Fürsten, betrafen, konnten sogar Hessen und Bayern Gemeinsamkeiten finden. Und schließlich müssen auch die führenden Berater Karls V. zu den Kräften gerechnet werden, die den Kompromiss suchten, wenngleich natürlich einen, der der Autorität des Monarchen nicht abträglich war. Karls Kanzler, der Burgunder Nicholas Perrenot de Granvelle, wie auch sein Vizekanzler, der Luxemburger Jean de Naves, waren mit dem Humanismus des Erasmus von Rotterdam vertraut und schätzten, wie Karl selbst, dessen Vorliebe für Verhandlungen. Zudem hatten sie ein Gespür für die relative Schwäche der Position Karls in Deutschland zu einer Zeit – zwischen 1533 und 1542 –, als sie der türkischen Bedrohung im Mittelmeer die Priorität einräumten. Ferner war ihnen Ferdinands Gefährdung angesichts erneuten Drucks seitens der Türken in Ungarn 1538 bewusst. So stieß Anfang 1538 ein Vorschlag des Kurfürsten von Brandenburg, man solle den Versuch unternehmen, die religiösen Konflikte durch friedliche Verhandlungen zu lösen, und für wahren Frieden und politische Sicherheit sorgen, bei Karl und seinen Beratern auf offene Ohren. 37 Karls vertrauenswürdigster Diplomat, der im Exil lebende Erzbischof von Lund, Johann von Weeze, wurde unmittelbar darauf zum kaiserlichen Gesandten ernannt, ausgestattet mit der Befugnis, ein provisorisches Abkommen auszuhandeln. 38 Das erste Ergebnis seiner Initiative war der Frankfurter Anstand, den er im April 1539 mit dem Schmalkaldischen Bund schloss. Darin wurde, um weitere Gespräche zu ermöglichen, allen Protestanten der Augsburger Konfession ein 15 Monate währender Frieden zugesichert (Wiedertäufer und »Sektierer« waren natürlich erneut ausgenommen). Der Nürnberger Anstand von 1532 wurde bestätigt und alle vor dem Reichskammergericht gegen die Protestanten anhängigen Fälle suspendiert. Alle Parteien sicherten ihre Anwesenheit bei Gesprächen über die Religionsfrage zu, die im August 1539 in Nürnberg stattfinden sollten. Weder der Papst noch sein Repräsentant sollten geladen werden. Die Protestanten versprachen finanzielle Hilfe für einen Feldzug gegen die Türken, der jedoch nicht zustande kam. Doch gab es Einsprüche seitens der katholischen Seite, vor allem von Bayern und aus Rom, sodass die Gespräche erst im Sommer 1540 beginnen konnten. 39 Sie

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waren intensiv und die Theologen beider Konfessionen zeigten bemerkenswerte Bereitwilligkeit zum Dialog. Auch über Mangel an prominenter Schirmherrschaft konnte nicht geklagt werden: Ferdinand hatte 1540 in Hagenau den Vorsitz inne, Granvelle im selben Jahr in Worms und Karl persönlich 1541 in Regensburg. Aber im Hinblick auf die wesentlichen Doktrinen, allen voran die über das Abendmahl, konnte keine Einigkeit erzielt werden. Manche historischen Argumente besagen, dass das Scheitern dieser Gespräche den wahren Beginn der religiösen Spaltung in Deutschland markiert habe, aber damit werden Größe und Tiefe der Entwicklung der vorangegangenen zwei Jahrzehnte unterschätzt. 40 Sogar bei den Gesprächen selbst stieß der friedliche Melanchthon auf die Unnachgiebigkeit Johann Fabris, seines Zeichens Bischof von Wien, und war sich andererseits Luthers Ablehnung und Misstrauen bewusst (wobei der Reformator selbst nicht zugegen war). Das wirkliche Ergebnis der Gespräche war nicht religiöser, sondern politischer Provenienz. Sie reaktivierten die politische Diskussion im Reich, zeigten, wie wichtig ein neuer Reichstag wäre, und brachten Karl 1541 ins Reich zurück, um den Vorsitz zu übernehmen. Nach einer Unterbrechung von gut zehn Jahren trat der Reichstag bis 1546 nun wieder alljährlich zusammen und befand sich zwischen April 1541 und August 1545 sogar die Hälfte der Zeit in Sitzung. 41 Während Karl und Ferdinand es in den 1530er Jahren sorgsam vermieden hatten, einen Reichstag einzuberufen, gab es für beide jetzt starke Motive, die deutschen Stände um sich zu versammeln. Karl benötigte Geld und Truppen gegen Frankreich, das Geldern bedrohte, Ferdinand sah sich noch mit den Türken in Ungarn konfrontiert. 1542 in Speyer stimmten die Stände für die Unterstützung Ferdinands, 1544, wieder in Speyer, für die Unterstützung Karls gegen Frankreich. Im Gegenzug erreichten die Protestanten die Ausweitung des religiösen Stillhalteabkommens, die Suspendierung des Reichskammergerichts (1543) und eine Reform der Besteuerung, wobei es vor allem um die Abmilderung des Matrikularsystems ging (insbesondere um die Abgaben einzelner Stände). Nachdem für die Nöte Karls 1542 eine Abgabe ausgehandelt worden war, konnten die Fürsten 1544 die Abschaffung des Gemeinen Pfennigs erreichen, einer direkten Steuer für alle Untertanen des Monarchen. Zugleich widmeten Karl und Ferdinand ihre Aufmerksamkeit erneut der traditionellen Habsburger Gefolgschaft. Seit dem Hinscheiden des Schwäbischen Bundes 1534 waren die kleineren Stände, von jeher die Hauptstütze des Bundes und des Habsburger Einflusses in den Kernbereichen von Ober- und Mitteldeutschland, vernachlässigt worden. Nunmehr reagierten die Brüder auf die verstärkte Erneuerung der Städtetage während der frühen 1540er Jahre, indem sie sich mit der Hauptsorge der Reichsstädte beschäftigten. Diese beklagten sich darüber, dass die Fürsten ihre Rechte auf Teilnahme an den Reichstagen mehr und mehr beschnitten. Die Städte stimmten einer Besteuerung zu und erhielten im Gegenzug 1544 ihre bisherigen Rechte bestätigt. Auch die Lage der Reichsritter, die nach dem

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Ende des Schwäbischen Bunds ebenfalls schutzlos dastanden, wurde ins Auge gefasst. 1542 beschloss der Reichstag, in dem sie nicht vertreten waren, dass auch sie verpflichtet werden sollten, zum Feldzug gegen die Türken beizutragen. 42 Ferdinand sah eine Gelegenheit, seine eigene Position zu verbessern, und bot an, zwischen ihnen und dem Kaiser zu vermitteln. Das ließ sie sich auf ihre angestammte Treue zum Kaiser als ihrem unmittelbaren Oberherrn besinnen. Im Hinblick auf die Anerkennung ihres reichsunmittelbaren Status und dem Versprechen des Monarchen, sie vor den Fürsten zu schützen, bildeten die Reichsritter eigene Organisationen zur Verwaltung ihrer Steuerbeiträge und zur Verteidigung ihrer Rechte. Trotz des Scheiterns der Religionsgespräche schienen die Habsburger Bemühungen, zu Beginn der 1540er Jahre im Reich ein politisches Gleichgewicht zu erzielen, erfolgreich zu sein. Immerhin konnten sie sich gegen die Franzosen und die Türken der Unterstützung der Stände versichern und das trug zumindest ein wenig zu Karls Siegen über Geldern 1543 und Frankreich 1544 bei. Zudem konnte 1545 ein Waffenstillstand mit den Türken geschlossen werden. Der Kaiser war gestärkt und der Reichstag wieder mitten im politischen Geschäft, sodass viele führende Vertreter eines neutralen Kurses optimistisch annahmen, ein politischer Kompromiss in Sachen Religion werde auf die eine oder andere Weise herzustellen sein. Noch 1546 hegte der Kurfürst von Brandenburg ehrgeizige Pläne für eine Kirchenreform im Reich und für die Wiederherstellung von Frieden und Eintracht, wobei er bemerkte, dass die Chancen für ein Abkommen über das Religionsproblem am größten wären, wenn der Bischof von Wien und Luther »zu Hause blieben«. 43 Die Neutralen glaubten, Frieden und Stabilität könnten noch vor einem Kirchenkonzil wiederhergestellt werden.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 277. Brady, Sturm, 143. Brady, Sturm, 142. Brady, Sturm, 88–89, 150–161. Fabian, Entstehung, 352; vgl. auch Haug-Moritz, Schmalkaldischer Bund, 70–78, 95–98. Brady, Sturm, 206–210. Brady, Sturm, 172. Schmidt, »Schmalkaldischer Bund«, 14. Brady, Sturm, 170. Brady, Sturm, 174. Schmidt, Städtetag, 213–224. Vgl. S. 377. Lauchs, Bayern, 27. Eymelt, Einung, 131–136. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 287; Lauchs, Bayern, 29.

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Brady, Sturm, 83–84. Lauchs, Bayern, 29–30. Kohler, Antihabsburgische Politik, 318–319. Kohler, Antihabsburgische Politik, 350–373; Lauchs, Bayern, 30–33. Die Herzöge von Württemberg mussten diesen geringeren Status (Reichsafterlehen) bis 1599 akzeptieren, danach wurde Württemberg wieder Reichslehen. Als Lehensnehmer eines österreichischen Afterlehens hatten sie im Reichstag weder Sitz noch Stimme. Vgl. Press, »Epochenjahr«. Kohler, Antihabsburgische Politik, 372. Lauchs, Bayern, 44–63; Endres, »Kayserliche Bund«. Lauchs, Bayern, 59. Neuhaus, Repräsentationsformen, bes. 38–39, 46–60, 73–75, 144–185. Neuhaus geht davon aus, dass jedes der drei Treffen von 1535 ein Reichstag gewesen sei, allerdings »ohne de jure Anerkennung«; vielleicht spiegelt sich darin nur die Ernsthaftigkeit, mit der die Teilnehmer die Entschlüsse zu Münster aufnahmen. Vgl. S. 300, 311–312. Lauchs, Bayern, 104–135. Mullett, Catholic Reformation, 36. Lauchs, Bayern, 141–142. Brady, Sturm, 200–207, Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.VII, 116–117. Minden hatte die neue Lehre 1529–1530 übernommen und sich 1536 dem Schmalkaldischen Bund angeschlossen. Diese Vorgänge wurden vom Bischof von Minden, der in Petershagen residierte, entschieden bekämpft, da Minden keine freie Stadt war, sondern rechtlich in den Bereich seiner Rechtsprechung gehörte. Lauchs, Bayern, 139–148. Lauchs, Bayern, 137. Zum Folgenden vgl. Schmidt, Geschichte, 83–84; Brady, Sturm, 254–257. Buchholz, »Landgraf«, und Merkel, »Bigamie«. Damals wie dann wieder 1539 gab er an, durch sein Wesen zur Untreue getrieben zu werden. Eine zweite Heirat sei in dieser Hinsicht die einzig wahre moralische Handlungsweise. Rabe, Geschichte, 385. Albrecht von Brandenburg, der Erzbischof von Mainz, schloss sich der Gruppe katholischer Hardliner erst an, nachdem er gezwungen wurde, sein Erzbistum Magdeburg aufzugeben (er verließ Halle, seine Lieblingsresidenz, 1541), und nach dem Scheitern des Regensburger Religionsgesprächs von 1541. Nach Albrechts Tod 1545 machte sein Nachfolger, Sebastian von Heusenstamm, Mainz erneut zu einem führenden neutralen Territorium. Lauchs, Bayern, 136. Johann von Weeze (* 1489, † 1548) stammte aus Zevenaar in Gelderland. Auf Betreiben von König Christian II. von Dänemark wurde er 1522 zum Erzbischof von Lund ernannt, musste aber schon im folgenden Jahr den König ins Exil begleiten. Er war kaiserlicher Orator und unternahm zahlreiche diplomatische Missionen für den Monarchen. 1537 wurde er Administrator des Klosters Waldsassen in der Oberpfalz (dem sogenannten Stiftsland) und 1538 zum Bischof von Konstanz gewählt. Vgl. Knott, »Weeze«; Asche und Schindling, Dänemark, 257–260. Lauchs, Bayern, 151–156; Brady, Sturm, 210–219, 223–225.

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Ziegler, »Religion«; Winkler, »Religionsgespräch«. Zum Folgenden vgl. Brady, Sturm, 225–237; Schmidt, Städtetag, 382–403. Press, Reichsritterschaft, passim; Press, »Bundespläne«, 70. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 290; vgl. auch Delius, »Religionspolitik«.

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ann der Kaiser sich zum Krieg gegen die deutschen Protestanten entschied, lässt sich nicht genau bestimmen. 1541 kehrte Karl als Friedensstifter ins Reich zurück, aber die politischen Bedingungen, auf denen seine Strategie beruhte, veränderten sich fortwährend. Der Protestantismus hatte beträchtlich an Boden gewonnen. 1539 war Herzog Georg von Sachsen gestorben und damit wich eine Bastion des militanten Katholizismus der neuen Religion. Die ersten zaghaften Schritte zu dieser Veränderung unternahm Herzog Georgs 66-jähriger Bruder Heinrich (* 1473, † 1541), wobei er auf heftige lokale Gegenwehr stieß. Ihm folgte im August 1541 Herzog Moritz (* 1521, † 1553), der energischer vorging und sich zu einem der bemerkenswertesten deutschen Fürsten des 16. Jahrhunderts entwickelte. 1 Obwohl er bereits im Alter von 32 Jahren starb, löste Herzog Moritz in seiner zwölfjährigen Regierungszeit grundlegende Probleme für seine Dynastie und das Reich. 1547 hatte er durch seinen Schulterschluss mit Karl, zunächst gegen die Türken, dann gegen die Franzosen und schließlich gegen den Schmalkaldischen Bund, den Kurfürstentitel erlangt, der von seinen ernestinischen Verwandten auf ihn überging. Während ihn die Protestanten noch als »Judas von Meißen« beschimpften, distanzierte er sich vom Kaiser und führte 1552 im Fürstenaufstand die Protestanten an. Zwar starb er im folgenden Jahr in der Schlacht, doch hatte er Karl gezwungen, die Idee eines religiösen Friedensabkommens zu akzeptieren. Vielleicht besser als jeder andere Fürst seiner Generation hatte Moritz die neue Dynamik der Machtpolitik im Reich und in den Territorien nach den 1520er Jahren begriffen. Zunächst schien Herzog Moritz’ Machtergreifung das Signal für eine neue Welle militanter protestantischer Aktivität anzukündigen. Sofort erhöhte er den Druck auf die Bistümer Naumburg und Meißen und erweckte auch die alte Konkurrenz zwischen der albertinischen und der ernestischen Linie um die Kontrolle über die Bistümer zu neuem Leben. Zudem forcierte er nach 1542 die Säkularisierung von Merseburg und ließ nach dem Tod des letzten Bischofs 1544 seinen Bruder zum »Laienadministrator« der Diözese wählen. 2 Der Konflikt zwischen Geldern und Jülich-Kleve-Berg endete zwar mit Karls Aneignung von Geldern im Vertrag von Venlo (September 1543), was aber an der Reformation von JülichKleve selbst nichts änderte. Der Braunschweiger Krieg von 1542 vernichtete eine weitere katholische Bastion. Hermann von Wieds Versuch, das Kurfürstentum

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Köln in ein protestantisches Fürstentum zu verwandeln, führte zu Spannungen im ganzen Reich, die erst mit Wieds Rücktritt 1547 endeten. 3 Im Fall seines Erfolgs wären auch Münster, Osnabrück, Minden und Paderborn protestantisch geworden. Brandenburg hatte sich 1540 dem Protestantismus zugewandt und nach 1544 gab es Gerüchte, dass die Pfalz ebenfalls auf dem Weg dorthin sei; sogar der neue Kurfürst von Mainz schien den Protestanten zugeneigt. Eine Zeit lang sah es so aus, als sollte die katholische Mehrheit der Kurfürsten sich in eine protestantische verwandeln. Doch konnte der Schmalkaldische Bund aus diesen Entwicklungen keinen direkten Nutzen ziehen. Nicht alle Konvertiten schlossen sich ihm an. Herzog Moritz hasste seinen Vetter, den Kurfürsten von Sachsen, so sehr, dass er darüber zum Verbündeten der Krone wurde. Der Kurfürst Joachim von Brandenburg blieb ein führendes Mitglied der neutralen Richtung. 4 Der Schmalkaldische Bund selbst war erheblich geschwächt und in seiner moralischen Autorität durch Landgraf Philipps Bigamie wie auch durch den rücksichtslosen Angriff auf Braunschweig-Wolfenbüttel, der den Bund teuer zu stehen kam, schwer angeschlagen. Als Herzog Heinrich 1545 versuchte, seine von Hessen und Sachsen okkupierten Besitzungen zurückzugewinnen, musste der Bund erneut Geld für Militärausgaben bereitstellen. 5 Zwar konnten seine Streitkräfte Herzog Heinrich ohne Schwierigkeiten besiegen und gefangen nehmen, doch verwickelten sich die protestantischen Aggressoren damit nur in weitere Probleme. 6 Der Schmalkaldische Bund war das größte Hindernis für die Macht der Habsburger im Reich, seine Schwächung förderte insofern ihr Erstarken. Ironischerweise gefährdete nun ausgerechnet der neuerliche Aufruf des Papstes zu einem ökumenischen Konzil 1545 alle weiteren Fortschritte in Richtung auf einen politischen Kompromiss im Reich. Der Reichstag zu Worms lähmte sich selbst durch einen Disput über die Anerkennung des Konzils. Die Protestanten verweigerten sie und beharrten auf der weiteren Gültigkeit aller bisherigen Zugeständnisse, auch derer, die ihnen zuletzt in Speyer 1544 gewährt wurden. Da sie diesbezüglich keine Zusicherungen erhielten, verweigerten sie bei allen anderen Problemen die Kooperation. Allerdings war Karls Versprechen am Ende des Reichstags, ein weiteres Religionsgespräch stattfinden zu lassen, mehr als nur ein zynischer Versuch, die Protestanten über seine wahren Absichten hinwegzutäuschen. Die Frage, wie das Konzil zu organisieren und zu inszenieren sei, führte zu wachsenden Spannungen zwischen Kaiser und Papst. In Trient erschien eine päpstliche Delegation, um sicherzustellen, dass das Konzil nicht von einem Monarchen mit aufgrund militärischer Erfolge stolzgeschwellter Brust dominiert werden sollte. Das ließ es Karl als vernünftig erscheinen, sich im Reich alle Optionen offenzuhalten. Allerdings waren sich Katholiken wie Protestanten der Tatsache bewusst, dass die bisherigen Gespräche gescheitert waren.

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Zu dieser Zeit lag ein Kriegsplan definitiv vor. Die Erfolge des Kaisers in den Niederlanden und in Geldern, gegen Frankreich und die Türken nach 1543 ließen ihn unvermeidlich an ein entschlosseneres Vorgehen im Reich denken. Er war optimistischer Stimmung. Im Juli 1545 berichtete der päpstliche Nuntius, Granvelle habe Karl versprochen, ihn zum padron di Germania (Herrscher von Deutschland) zu machen. 7 Als der Reichstag im Juli 1546 in Regensburg zusammentrat, waren bereits Geheimverträge für den Papst und die Herzöge von Bayern sowie das albertinische Sachsen unterschriftsreif. Sie alle hatten dem Kaiser Geld und Soldaten versprochen. Der Papst sollte im Gegenzug die Wiedervereinigung der Christenheit erhalten, den Herzögen war ziemlich vage die Beförderung zu kurfürstlichen Ehren anstelle der Pfalz und des ernestinischen Sachsens in Aussicht gestellt worden. Auch Herzog Wilhelm ging nicht leer aus: Er erhielt die Zustimmung zu einer Heirat zwischen seinem Sohn und einer von Ferdinands Töchtern, was ihm rechtlich die (ebenfalls vage) Aussicht auf eine österreichische Erbfolge verschaffte. Herzog Moritz erhielt zudem die Erlaubnis, die Verwaltung der Bischofssitze von Magdeburg und Halberstadt zu übernehmen, was de facto allen Grundsätzen, zu deren Bewahrung Karl verpflichtet war, widersprach. Moritz verlangte ferner die Immunität hinsichtlich bestimmter Dekrete, die auf dem Konzil von Trient zu Themen wie »Rechtfertigung durch den Glauben«, »Heirat von Geistlichen« und »Abendmahl unter beiderlei Gestalt« möglicherweise verabschiedet würden. Die Teilnahme des Herzogs war besonders wichtig, weil damit der Eindruck, es handle sich um einen Religionskrieg, vermieden werden konnte. Zudem ließen sich so weitere Fürsten wie die Markgrafen von Brandenburg-Küstrin und BrandenburgKulmbach sowie Herzog Erich von Braunschweig-Calenberg für die Sache des Kaisers gewinnen. Einen Monat vor dem Regensburger Reichstag hatte der Monarch die protestantischen Stände davon in Kenntnis gesetzt, dass er gegen »ungehorsame Fürsten« vorgehen müsse.Vier Tage vor der letzten Sitzung des Reichstags verhängte er gegen Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen wegen Landfriedensbruch im Braunschweiger Krieg die Reichsacht. 8 Damit sollte der Eindruck, es handle sich um einen Religionskrieg, von vornherein vermieden werden. Auch hatte der Papst weder einen Kreuzzug ausgerufen noch allen Kämpfern gegen die Ketzerei Sündenablass versprochen, aber das alles tat der Illusionslosigkeit, mit der die Vorgänge betrachtet wurden, keinen Abbruch. Die Rhetorik war auf beiden Seiten eindeutig. Während Karl V. behauptete, für die Wiederherstellung der rechtmäßigen christlichen Autorität des Monarchen zu kämpfen, bedienten sich seine Gegner aus dem Fundus des humanistischen Nationalismus, um die Nation für die Verteidigung »teutscher Libertät« gegen die fremdländische »spanische« Monarchie zu mobilisieren. 9

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Die süddeutschen Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes begannen sofort mit der Mobilmachung und waren mit ihren 57.000 Mann potenziell eine ernste Bedrohung. Karl musste sich auf Truppen aus Spanien, Italien und den Niederlanden stützen, die nicht so schnell eintreffen würden. Die Kurfürsten von Mainz, Köln, Trier und Brandenburg blieben neutral. Aber die Koordination der Truppen des Bundes verlief schleppend, ebenso war ihre Kampfmotivation nicht sonderlich ausgeprägt; die Befehlshaber zogen endlose Manöver vor. So verloren sie schnell die Initiative und im November zogen sich Philipp und Johann Friedrich nordwärts zurück, um ihre eigenen Territorien zu verteidigen. Damit beherrschte Karl Süddeutschland. Alle Reichsstädte mit Ausnahme von Konstanz suchten sofort um Frieden nach und waren bereit, dem Kaiser umfangreiche Reparationen zu zahlen. Selbst Herzog Ulrich von Württemberg war zur Zahlung von 300.000 Gulden und den Kaiser kniend um Entschuldigung zu bitten bereit, was wegen seiner Gicht seine Beamten für ihn erledigten. Der Feldzug im Norden war schwieriger. Ferdinand wurde in seinem Vormarsch durch einen Aufstand in Böhmen aufgehalten, wo die Stände die Gelegenheit wahrnahmen, ihre Solidarität mit den sächsischen Nachbarn zu erklären und sich zu weigern, spanische »Sodomiten« zu unterstützen. 10 Nachdem aber im November Herzog Moritz das sächsische Kurfürstentum formell zugesichert worden war, fiel dort eine aus Sachsen und Böhmen bestehende Streitmacht ein. Der Winterfeldzug gewann neuen Schwung, als die Truppen des Kaisers im März 1547 von Ulm aus nach Norden vorstießen. Am 24. April wurden die Heere des Kurfürsten bei Mühlberg geschlagen und er selbst gefangen genommen. Einen Monat später erlitt die kaiserliche Armee selbst, nach der vergeblichen Belagerung Bremens, eine herbe Niederlage bei Drakenburg an der Weser. Danach waren die rebellischen Städte und Territorien im Norden auf sich allein gestellt. Nur Magdeburg, das zur Zuflucht für militante Protestanten geworden war, wurde formell geächtet. Karl war jetzt mehr daran interessiert, aus seiner beispiellosen Demonstration politischer Macht Kapital zu schlagen. Zunächst nahm er Rache an den beiden Hauptrebellen. Der Kurfürst von Sachsen wurde zum Tod verurteilt, weigerte sich aber, sich der Autorität des Kaisers in Sachen Religion zu unterwerfen. Folglich fielen im Juni sein Titel und große Teile seines Territoriums an Herzog Moritz und die albertinische Linie. Johann Friedrich selbst blieb in Gefangenschaft, das Todesurteil war in jedem Fall rechtlich bedenklich. Philipp von Hessen, der am 19. Juni kapitulierte, setzte seine Hoffnung auf den Kurfürsten von Brandenburg und Herzog Moritz, die sich für ihn verwenden wollten. Karl aber erwies sich als rücksichts- und gnadenlos. Philipp erschien vor dem Monarchen, um ihm zu huldigen, aber auch er wurde in die Gefangenschaft abgeführt und wie Johann Friedrich für fünf Jahre in den Niederlanden unter Aufsicht von Herzog Alba gefangen gehalten. Ferner wurden, gegen jegliche deut-

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sche Konvention, die Adligen ihrer Territorien zusammen mit all jenen Adligen, die den anderen Fürsten des Bundes gefolgt waren, zur Zahlung beträchtlicher Summen gezwungen, um die Vergebung des Monarchen zu erlangen. Die Forderung, Treue zum Kaiser über die Treue zu ihrem unmittelbaren territorialen Oberherrn zu stellen, war neu im Reich. 11 Durch die Bestrafung und Erniedrigung der Rebellen zeigte Karl die schiere Größe seines Triumphs. Seine Truppen kontrollierten praktisch das gesamte Reich, jedenfalls mehr Gebiete als jeder seiner Vorgänger. Außerdem schien er nun auch als Persönlichkeit in Europa einen herausragenden Status zu genießen. Mit dem Tod von Luther (18. Februar 1546), Heinrich VIII. (28. Januar 1547) und Franz I. (31. März 1547) waren seine alten Rivalen von der Bühne verschwunden. Suleiman der Prächtige, sein letzter noch verbliebener Gegner, schloss mit ihm einen fünfjährigen Waffenstillstand, um einen Feldzug in Persien zu führen. Unter diesen Umständen lag es nahe, anzunehmen, dass Karl endlich imstande wäre, im Reich eine Pax Carolina durchzusetzen: sein ganz eigenes politisches, verfassungsrechtliches und religiöses Regelwerk, um die Herrschaftsbefugnis der Krone ein für alle Mal festzuschreiben. 12 Allerdings wurde bald deutlich, dass seinem Triumph die Rachegöttin auf dem Fuß folgte. Der Reichstag wurde am 1. September 1547 in Augsburg eröffnet. Über die Bedingungen, unter denen er zusammentrat, konnte kein Zweifel herrschen und so hieß er denn auch der »geharnischte Reichstag«: Die Stadt war von Karls spanischen Truppen umgeben. Keine Zweifel gab es auch darüber, welche Probleme ganz oben auf der Tagesordnung standen. Karls Pläne für einen neuen »kaiserlichen Bund« hatten den Ständen schon seit einigen Monaten vorgelegen. Außerdem war bekannt, dass der Monarch das Reichskammergericht wieder in Funktion setzen und den Religionskonflikt auf irgendeine Weise beilegen wollte. Nun tauchten allerdings zwei entscheidende Hindernisse auf. Zum einen begegneten die deutschen Stände einem mächtigen Monarchen von vornherein mit Misstrauen. Die Furcht vor der Möglichkeit einer echten Monarchie in Deutschland ließ alle religiösen, dynastischen und territorialen Differenzen in Vergessenheit geraten und bestärkte die Fürsten in ihrem solidarischen Eintreten für die »teutsche Libertät«. Selbst Karls jüngste Bündnispartner wandten sich nun gegen ihn. Die Bayern waren enttäuscht, dass man ihnen den versprochenen Kurfürstentitel, der von der Pfalz an sie übergehen sollte, vorenthielt und wurden zu eifrigen Verfechtern der Rechte aller Fürsten gegenüber dem Monarchen. Zudem waren viele Fürsten empört über das harte Vorgehen gegen Philipp und Johann Friedrich. Gerüchte über einen Aufstand gegen »brutale Sklaverei« machten die Runde. Bald wurde klar, dass der Kaiser selbst auf dem Höhepunkt seiner Macht den Deutschen nicht einfach seinen Willen diktieren konnte. Zum anderen war Karl jetzt mit Feindseligkeiten seitens der katholischen Kir-

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che – in Rom wie auch in Trient – konfrontiert, die seine Chancen auf eine Beilegung des Religionskonflikts in Deutschland erheblich beeinträchtigten. Das im Januar 1547 veröffentlichte Dekret des Konzils zur Rechtfertigungsgnade ließ wenig Verhandlungsspielraum für die Auseinandersetzung mit protestantischen Lehren. 13 Je mehr militärische Erfolge Karl feiern konnte, desto feindseliger wurde der Papst. Schon im Februar 1547 zog er seine Truppen aus Deutschland ab und verweigerte weitere Zahlungen. Im März wollte eine antikaiserliche Gruppe in Trient unter Hinweis auf den Ausbruch der Pest das Konzil nach Bologna verlegen, was den Protestanten sofort jede Möglichkeit genommen hätte, es als wahres Konzil anzuerkennen. Im September wurden die Beziehungen zu Rom nachhaltig gestört, weil Karls Vizekönig in Mailand, Ferrante Gonzaga, in den Mord am Sohn des Papstes, Pier Luigi Farnese, Herzog von Parma und Piacenza, verwickelt war. Dies und Gonzagas Besetzung des strategisch wichtigen Territoriums Piacenza veranlassten Papst Paul III., ein Angriffsbündnis mit König Heinrich II. von Frankreich gegen Karls »Tyrannei« in Italien zu planen. Der Plan zerschlug sich, weil Heinrich eine Gegenallianz von Karl mit dem König von England und damit einen möglicherweise ruinösen Zweifrontenkrieg fürchtete. Doch die Spannung zwischen Kaiser und Papst aufgrund von Ort und Tagesordnung des Konzils blieb bestehen und führte im September 1549 zu dessen Schließung. Auf dem Reichstag zu Augsburg stieß der Vorschlag zur Gründung eines »Reichsbundes«, für Karl der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung, auf unbeugsamen Widerstand. 14 Karl wollte eine Art Schwäbischen Bund, nur in viel größerem Umfang, und zudem mit den »oberen«, österreichischen und seinen eigenen »unteren«, niederländischen Erblanden das Reich von Nordwesten und Südosten umklammern. Der neue Bund sollte zwölf bis 15 Jahre oder länger währen. Alle Stände, unabhängig von konfessioneller Zugehörigkeit oder vergangenem Verhalten, sollten ihm angehören. Im Bund, der parallel zum Reich existieren, nicht es ersetzen sollte, waren alle Stände gleich und gleichermaßen verantwortlich für die Bereitstellung von Geldern zur Finanzierung eines stehenden Heers unter dem Kommando des Monarchen. Dieses Heer diente der Aufrechterhaltung des Friedens und der Verteidigung. Mit diesem Plan wollte Karl sich das Reich einverleiben und zugleich zum Rädchen im Getriebe seines gesamteuropäischen Systems machen. Dieser Plan war bereits gemäßigter als das, was Ferdinand ihm im November 1546 vorgeschlagen hatte und was darauf hinauslief, das Reich in eine Habsburger Erbmonarchie zu verwandeln. 15 Das war im Januar 1548 jedoch schon Makulatur. Stattdessen verfolgte Karl nun das weniger anspruchsvolle Ziel, die Habsburger Erblande dynastisch zu sichern. Für die Niederlande verlangte er einen Sonderstatus im Reich – dieser sollte den Schutz vor Frankreich gewährleisten, als Gegenleistung für geringe Beiträge. Obwohl es auch dagegen Opposition gab, konnte Karl

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im Juni 1548 den Burgundischen Vertrag durchsetzen. 16 Die burgundischen Lande wurden als eigener Reichskreis anerkannt und, wie der österreichische Kreis, von den Befugnissen der Reichsinstitutionen ausgenommen. Für die österreichischen Erblande wollte Karl Geld auftreiben, um die ungarische Grenze zu befestigen (»Baugeld«) und eine Kriegskasse für Notfälle einzurichten (»Vorrat«). Typischerweise beharrte Karl nicht so sehr auf diesen Maßnahmen, die Ferdinands Herrschaftsbereich mehr als seinem genutzt hätten. Keiner der Vorschläge brachte mehr als völlig unzureichende Finanzmittel ein. So war der große Plan für einen »Reichsbund« auf die Verfolgung Habsburger Dynastieinteressen geschrumpft. Andere Vorschläge fanden mehr Widerhall. 17 Der wichtigste war die Wiederbelebung des Reichskammergerichts gemäß den Bedingungen des Monarchen. Die Krone behielt sich das Recht auf Ernennung aller Richter vor, während die Stände für das Gericht eine regelmäßige, alle zwei Jahre fällige Steuer zahlten – den »Kammerzieler« –, die auf den Registern zur Bestimmung der Matrikularsteuer beruhte. Zugleich wurden die Kodifikation von Präzedenzfällen und Regeln des Prozessverlaufs nach den reinsten Grundsätzen römischen Rechts eingeführt, die als Arbeitsgrundlage die Operation des Gerichts transparenter machten. So war das Gericht nunmehr ein Instrument der Reichsjustiz und Befürchtungen, es könnte erneut der religiösen Verfolgung dienen, wurden durch die Berufung einiger protestantischer Richter zerstreut. Fast genauso wichtig war die Überarbeitung und Erneuerung des Landfriedenskonzepts. Der Ewige Landfrieden von 1495 hatte der Bekämpfung des Fehdewesens gedient. 18 Die revidierte Version von 1548 konzentrierte sich auf Krieg, Aufstand, Raub und die widerrechtliche Aneignung von Ländereien und Titeln. Die Rolle des Monarchen bei der Bewahrung des Landfriedens wurde weiter verstärkt, die Befugnis zur Ächtung auf den Reichshofrat des Monarchen ausgeweitet, der so in dieser Hinsicht dem Reichskammergericht gleichgestellt war. Des Weiteren besaß der Monarch nunmehr die Befugnis, Verdächtige auf seine eigene Initiative hin verfolgen oder begnadigen zu lassen, statt nur auf eine Petition hin zu handeln. Traditionellerweise konnten Personen, die des Landfriedensbruchs für schuldig befunden wurden, von ihren Lehen ausgeschlossen werden; jetzt erstreckte sich die Strafe auch auf ihre Erben, wodurch der Monarch in der Lage war, beträchtlichen Nutzen aus Fehlverhalten zu ziehen. Zudem konnte er Missetäter mit Geldstrafen belegen und seine Truppen ohne Weiteres durch jedes Territorium des Reichs marschieren lassen, was seine Position weiter stärkte. Außerdem stellten die neuen Durchführungsbestimmungen die Stände in den Dienst der Krone, dergestalt, dass diejenigen, die Hilfe verweigerten oder ungebührlich verzögerten, mit Strafen rechnen mussten. Entscheidend war, dass Probleme der religiösen Lehre aus den Bestimmungen für Landfriedensbruch herausgehalten wurden; protestantische Fürsten und Stadt-

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räte konnten nun nicht mehr aufgrund ihrer Religion geächtet werden. Kirchengut und geistliche Gerichtsbarkeit blieben geschützt, doch das Gesetz erkannte jetzt die Tatsache an, dass viel Besitz und viele Rechtstitel in andere Hände übergegangen waren. Praktisch bestätigte das Gesetz die Gültigkeit der Zugeständnisse, die protestantischen Regenten zwischen 1526 und 1544 gemacht worden waren, und sah explizit die Möglichkeit weiterer Veränderungen von Besitzverhältnissen in der Zukunft vor. Die Trennung der Glaubensfragen von Problemen des Kirchenguts war eine Vorbedingung für die Wiederherstellung des Friedens im Reich. Das war eine willkommene Abkehr von der Reichspolitik der letzten Jahrzehnte, doch wurde sie zudem noch von einem sehr viel ehrgeizigeren Versuch, die religiösen Probleme zu lösen, begleitet. In Ansehung der Entscheidungen von Trient verkündete Karl ein »Interim«, das den Protestanten bedeutende Zugeständnisse machte. 19 Dieser Kodex erlaubte die Heirat von Geistlichen wie auch das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Allerdings wurde die Messe wieder eingeführt, auch wenn das Offertorium als Akt der Erinnerung und des Danks, nicht als Akt der Versöhnung interpretiert wurde. Noch bemerkenswerter ist, dass das Interim bedeutsame Aussagen über dogmatische Angelegenheiten enthielt, wie etwa die Rechtfertigung durch den Glauben, die Verehrung der Heiligen und die Autorität der Heiligen Schrift. Selbst Details wie das Fasten wurden angesprochen und pragmatisch mit dem Argument gerechtfertigt, dass es ohne Fasten nicht genug Fleisch gäbe, um die Gesamtbevölkerung zu ernähren. Ursprünglich hatte der Kaiser das Ziel verfolgt, Formulierungen zu entwickeln, denen die Protestanten ebenso wie die Katholiken zustimmen konnten. Doch hatte ein Komitee aus Theologen, die er mit dieser Aufgabe betraute, keine Einigung erzielen können. Der nun von ihm vorgelegte und von den Theologen nur herausgegebene und hier wie da ergänzte Vorschlag stellte nichts Geringeres als eine neue, hybride Reichsreligion dar, die er den Ständen aufzuerlegen gedachte. Da die Katholiken sofort Einwände erhoben, beschränkte sich das Interim auf die Protestanten. Die Präambel wurde vor dem Reichstag einfach als imperiales Mandat verlesen, woraufhin der Erzbischof von Mainz das Interim im Namen der Stände ohne weitere Diskussion annahm. War es schon kühn, die ganzen doktrinalen Probleme der letzten drei Jahrzehnte in einem Mal lösen zu wollen, so war der Anspruch der kaiserlichen Autorität, der sich mit der Verkündung des Interims verband, nicht weniger kühn. Er hob die traditionelle Trennung zwischen spiritualer und temporaler Autorität auf. Zwar erkannte der Text noch die von Gott gegebene Autorität des Papstes an, doch relativierte er sie, indem er hinzufügte, dass der Papst seine Macht »nit zur zerstörung, sonder zur erbawung« benutzen solle. 20 Die katholischen Kurfürsten und Fürstbischöfe lehnten das Interim noch vor

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seiner Veröffentlichung ab, sodass es kein einigendes Band für alle Deutschen werden konnte. Als Dekret, das sich nur auf die protestantischen Stände bezog, die gerade einmal 18 Tage Zeit hatten, um ihre Zustimmung zu bekunden, war es ebenfalls problematisch. Warum sollten sie jetzt einem Dokument zustimmen, das sein Ziel, sie in den Schoß der Kirche zurückzubringen, gar nicht erreichen konnte? Die einzig sinnvolle Antwort war, dass der Kaiser die Einführung des Interims nunmehr als Prüfstein für seine Autorität, als letztes Mittel zur Disziplinierung der protestantischen Stände sah.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7

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Rudersdorf, »Moritz«. Zu Naumburg, Meissen und Merseburg vgl. Wolgast, Hochstift, 237–253. Vgl. auch S. 352–353. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 288. Vgl. S. 391–392. Herzog Heinrich verbrachte die nächsten zwei Jahre in hessischer Gefangenschaft, aus der ihn erst Karls Sieg über den Schmalkaldischen Bund befreite. Brady, Sturm, 226; zum Folgenden vgl. Schmidt, »Kampf um Kursachsen«, und Tracy, Charles V., 204–228. Eine ausgezeichnete kurze Darstellung des Konflikts mit Hinweisen auf die ältere Literatur findet sich in TRE, Bd. XXX, 228–231. Vgl. S. 391–392. Schmidt, Geschichte, 87–89, 92–97; Hirschi, Wettkampf, 463–480. Fichtner, Ferdinand I., 156. Schmidt, Geschichte, 89. Rabe, Geschichte, 407. Mullett, Catholic Reformation, 42–47. Press, »Bundespläne«, 77–80; Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 296–297. Rabe, Reichsbund, 122–123. Press, »Niederlande«, 327–328; Mout, »Niederlande«, 147–155. Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 301–306. Vgl. S. 60–61. Rabe, »Interimspolitik«; Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 306–310. Rabe, Geschichte, 420.

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m Kampf um die Durchsetzung des Interims zeigten sich die Grenzen von Karls Autorität im Reich. Die Kurfürsten der Pfalz und Brandenburgs sowie der Herzog von Jülich akzeptierten das als Reichsgesetz erlassene Interim vor allem deshalb, weil es nicht mit den in diesen »neutralen« Territorien vorherrschenden Übergangsbestimmungen kollidierte. Im Gegensatz dazu erklärte der sächsische Kurfürst, dass er erst seine Stände konsultieren müsse, was dann zur Veröffentlichung einer ergänzten Version, dem sogenannten Leipziger Interim, führte. Andere akzeptierten es stillschweigend, versuchten danach jedoch, seine Bedeutung herunterzuspielen. Die Reichsgrafen der Wetterau zum Beispiel teilten ihren Untertanen nur mit, der Monarch wolle, dass sie eine Reihe von Festtagen begingen und freitags wie samstags sich des Fleischgenusses enthielten. 1 Andere jedoch leisteten heftigen Widerstand. Herzog Ulrich von Württemberg konnte erst durch militärischen Druck zur Umsetzung gezwungen werden. Die Prediger und Magistrate der oberdeutschen Reichsstädte verschleppten das Verfahren derart, dass Karl ihnen mit dem Einsatz von Gewalt drohen musste. Dessen ungeachtet, zogen viele Prediger in Südwestdeutschland der Unterwerfung das Exil vor. 2 Martin Bucer, der Zuflucht in Cambridge gesucht hatte, wo er 1551 starb, war nur einer von Hunderten Flüchtlingen. Um das Maß vollzumachen, ging der Monarch nun auch daran, die verfassungsmäßigen Rechte der Gilden in den Reichsstädten zu beseitigen, weil er und seine Berater die Gilden für die religiösen Neuerungen und die damit verbundenen Unruhen der letzten Jahrzehnte verantwortlich machten. 3 Beginnend mit Augsburg und Ulm 1548 erhielten alle oberdeutschen Städte zwangsweise neue Verfassungen, die die politische Macht in die Hände relativ kleiner Patriziereliten legten. 1552 hatten die kaiserlichen Kommissare alle Verfassungen der süddeutschen Reichsstädte umgekrempelt. Das Interim währte zwar nicht lange, aber die neuen Bestimmungen blieben in den Reichsstädten bis zur Auflösung des Reichs 1806 in Kraft. Die kaiserliche Gewalt konnte – zumindest eine Zeit lang – in jenen Kerngebieten des Reichs wirksam sein, in denen die Autorität des Monarchen traditionell anerkannt war. In Orten wie Magdeburg oder Bremen jedoch galt sie nur wenig und dort war man auch außerhalb der Reichweite seiner Truppen. Weit entfernt von der kaiserlichen Einflusssphäre lehnten Fürsten wie Markgraf Johann von Brandenburg-Küstrin, der sich erst während des Schmalkaldischen Kriegs auf Karls Seite gestellt hatte, das Interim als unverhüllte Tyrannei ab. Als der nächste

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Reichstag im Juli 1550 in Augsburg zusammentrat (die Sitzungen sollten bis Februar 1551 dauern), rumorte es bei den Ständen schon recht deutlich. Allerdings wurde das Interim trotz beträchtlicher Auseinandersetzungen erneuert. Moritz von Sachsen wurde damit beauftragt, den Widerstand Magdeburgs mit Gewalt zu brechen (wofür er Geld sammelte), und mit Bremen wurden Gespräche anberaumt. Die protestantischen Stände waren sogar bereit, am Konzil von Trient teilzunehmen. Aber die Diskussionen machten deutlich, dass das Interim ein Fehlschlag war, und als die protestantischen Vertreter tatsächlich beim Konzil auftauchten, das im Mai 1551 erneut zusammengetreten war, durften sie ihre Sache erst vorbringen, nachdem sie sich der Autorität des Konzils unterworfen hatten, sodass sich ihre Mission als nutzlos erwies. Zur gleichen Zeit sorgten Karls Versuche auf dem Reichstag, die Erbfolge zu regeln, für weiteren Unmut. 4 Die Teilung des Habsburger Erbes stand seit dem Vertrag von Brüssel 1522 im Raum. Dieser Vertrag räumte Ferdinand die Erbrechte über die österreichischen Lande ein. Ebenfalls war klar, dass Karls 1527 geborener Sohn Philipp in Spanien die Nachfolge antreten würde, aber die Frage, ob er den Vorrang vor Ferdinand oder dessen Kindern einnehmen würde, blieb einstweilen offen. Ferdinands Wahl zum Nachfolger Karls im Reich (1531) schien die Teilung des Habsburger Patrimoniums in zwei unterschiedliche Sphären zu bekräftigen. In Ferdinands Vorschlag von 1546, die Kurfürsten sollten dazu gebracht werden, nur noch Mitglieder des Hauses Habsburg zu wählen, scheint sich seine Besorgnis über die eigene Nachfolge niedergeschlagen zu haben. Theoretisch hätten die Kurfürsten die freie Wahl, doch würde Ferdinand Kaiser, hätte er die Möglichkeit, seinen Sohn Maximilian über Philipp zu stellen. Im darauffolgenden Jahr jedoch gab es zunehmend Gerüchte, dass Karl für die eigene Nachfolge Philipp zuungunsten von Ferdinand vorziehen wolle. Als Karl und Ferdinand sich im Sommer 1550 in Augsburg trafen, um das Problem zu lösen, waren die Beziehungen zwischen den Brüdern bereits äußerst angespannt, eine Tatsache, die auch im Reich bekannt war. Karl wollte für Philipp die Werbetrommel rühren, indem er ihn zu seinem Nachfolger nicht nur in Spanien, sondern auch in den Niederlanden erklärte (dazu noch für Neapel und Sizilien sowie das Herzogtum Mailand, das Philipp 1540 als Reichslehen erhalten hatte). In den Jahren 1549 und 1550 unternahm Philipp ausgedehnte Reisen im Reich, um seine Sache den Fürsten anzudienen. Aber sein introvertierter Charakter und seine mangelhaften Sprachkenntnisse machten das Unternehmen zu einer Farce, auch wenn er bei einer Gelegenheit den Trinksitten der Fürsten nacheifern wollte. Jedoch war er am Ende sinnlos betrunken. Letztlich führte die Tour nur dazu, die antispanischen Vorurteile der Deutschen zu bestätigen. 5 Unabhängig davon bestand Karl auf einem Plan, dessen Umsetzung das Auseinanderdriften der beiden Habsburger Blöcke verhindern sollte. Philipp von Spa-

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nien sollte Nachfolger Ferdinands im Reich werden. Ferdinand indes verweigerte sich standhaft dem Ansinnen, dass Philipp sofort zum Römischen König gewählt würde, womit das Reich einen Kaiser und zwei Könige besäße. Er sicherte sich auch die Zustimmung, dass sein Sohn Maximilian Nachfolger Philipps im Reich würde; als Gegenleistung durfte Philipp die Rolle des Reichsvikars in Italien übernehmen. Das Arrangement wurde durch innerdynastische Heiraten der jeweiligen Erben mit Cousinen abgesichert. 6 Soweit es Karl betraf, war die Zukunft des habsburgischen Erbes durch Philipp als Nachfolger Ferdinands im Reich gesichert. Mit Spanien als Hausmacht war es auch gerechtfertigt, dass Philipp Italien, die burgundischen Lande und die Niederlande erhielt, also jene Gebiete, die am dringlichsten gegen französische Gelüste verteidigt werden mussten. Für Ferdinand sah die Zukunft nicht so günstig aus. Aber ihm blieb nichts übrig, als die Abmachungen zu akzeptieren, und er hatte zumindest den Trost eines (zum ersten Mal überhaupt) schriftlichen Versprechens auf Hilfe gegen die Türken. Allerdings war Maximilian, sein Sohn und Haupterbe, überhaupt nicht zufrieden. Ferdinand hatte ihn in seinem Testament von 1543 mit Böhmen und Ungarn bedacht, während er sich die Herrschaft über die österreichischen Erblande mit seinen zwei Brüdern teilen sollte. 7 Verglichen mit seinem Vetter Philipp schien Maximilian ein Herrschen in relativer Armut an den Grenzen Europas beschieden zu sein. Das war nicht die Zukunft, die er sich als Sohn des späteren Kaisers und Regent seines Onkels in Spanien von 1548 bis 1550 vorgestellt hatte. Karl wollte die Erbfolge in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der Dynastie regeln. Die Übereinkunft vom 9. März 1551 war ein »Hausvertrag«. Seine Entscheidungen nahmen jedoch wenig Rücksicht auf die Rechte der Kurfürsten in dieser Frage. Versuche, sie Karls Absichten geneigt zu machen, erzeugten nur Besorgnis angesichts der Tatsache, dass allein schon die Existenz solcher Pläne gegen das Recht der Stände auf freie Wahl verstieß. Hinzu kam noch die Empörung der Fürsten allgemein. Ferdinand wollte noch die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg von den Vorzügen Philipps als Nachfolger überzeugen, aber Maximilian suchte den Kontakt zu den Unzufriedenen und schon bald waren Vater und Sohn fest mit der deutschen Opposition verbunden. Indes war der Ärger über die Nachfolgeregelung nur ein weiterer Punkt auf einer überdies schon langen Beschwerdeliste. Weit verbreitet war die Empörung über die fortgesetzte Einkerkerung Philipps von Hessen und Johann Friedrichs von Sachsen. Viele Fürsten hielten des Letzteren Verlust von Territorien und Titel an Herzog Moritz für einen Missbrauch der feudalen Vorrechte des Monarchen. Das Interim galt zunehmend als Akt tyrannischer Willkür. Die Anwesenheit spanischer Truppen im Reich war eine eklatante Verletzung der Wahlkapitulation von 1519. Und nun schien, um das Maß voll zu machen, Karl auch die Absicht zu ver-

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folgen, Deutschland eine spanische Monarchie aufzuzwingen. Kein Wunder also, dass von »spanischer Knechtschaft und Monarchie« und der Unterdrückung »teutscher Libertät« geredet wurde. 8 Die Tragweite dieser Agitation ist schwierig einzuschätzen. »Teutsche Libertät« bezog sich auf die Freiheit der Stände, insbesondere der Fürsten, nicht, jedenfalls nicht ursprünglich, auf die Freiheit ihrer Untertanen; das kam erst später. Aber die Ereignisse dieser Jahre hinterließen tiefe Spuren in der deutschen Gesellschaft. Truppenbewegungen italienischer und spanischer Söldner mit ihren sichtbar ausländischen Uniformen zogen sich vom Niederrhein bis Süddeutschland durchs Reich. Diese Truppen besetzten die oberdeutschen Reichsstädte und Territorien wie Württemberg und kamen so in Kontakt mit der deutschen Bevölkerung. Aus Württemberg zogen sie sich erst 1550 zurück. Die zwangsweise erfolgende Durchsetzung des Interims und die den Reichsstädten auferlegte Verfassungsänderung währten bis 1551. Selbst im Norden sorgte das Interim durch die Notlage von Magdeburg und Bremen jahrelang für Unruhe. Dann ließ der Fürstenaufstand die alten Streitpunkte wieder aufleben, was bis zum Frieden von 1555 dauerte. In diesem allgemeinen Gärprozess kam es zur Neubelebung jener Art von Propaganda, die für die Krisen des späten 15. Jahrhunderts und die Begleitumstände der Kaiserwahl von 1519 typisch gewesen war. 9 Auf der protestantischen Seite nahmen die Propagandisten sich des Themas der Verteidigung Deutschlands gegen die Spanier an. Die gegenwärtigen Probleme wurden als weiteres Kapitel der Saga des ewigen Kampfes gegen die »Welschen« präsentiert, ein Sammelbegriff für alles Ausländische, besonders Italienische oder allgemein Südeuropäische. 10 Als die böhmischen Rebellen erklärten, nicht in einer Reihe mit »spanischen Sodomiten« kämpfen zu wollen, drückten sie wohl ein ähnliches Gefühl aus. 11 In diesem Fall konnten sich die Böhmen über das Negativbild der Spanier mit den Deutschen solidarisieren, was in der Regel nicht an der Tagesordnung war. Nun tauchten auch die patriotischen Vorstellungen von Germanien, Hermann dem Cherusker und dem mythischen germanischen König Ariovist, die zuerst die Humanisten im Kampf gegen Rom um 1500 verbreiteten, wieder auf. »Rom« war immer noch eine Zielscheibe, aber der wirkliche Kampf galt jetzt »Spanien«. Ironischerweise wurde Karl V. nun aus eben den Gründen verurteilt, aus denen Franz I. 1518–1519 als Herrscher für das deutsche Reich abgelehnt wurde. Karl war deutscher Herkunft, jedoch als Ergebnis seines Kampfs gegen den Protestantismus zum Ausländer geworden. Bei seiner Wahl hatte er versprochen, die Deutschen vor fremden Heeren zu schützen, sie dann aber selbst entsandt. Indem er den Religionskampf zwischen den Deutschen anheizte, vernachlässigte er seine Pflichten als Führer der Christenheit und verpasste die Gelegenheit, die Deutschen zu einen und in einem Kreuzzug gegen die Türken zu führen. Die Rhetorik von Freiheit und Vaterland hallte in Marschliedern wider und

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wurde in einer wahren Flut von Holzschnitten und Flugschriften verkündet. Zur selben Zeit sorgte der Schmalkaldische Bund für die Entstehung einer dauerhafteren historischen Aufzeichnung. 1545 hatte er Johannes Sleidanus als offiziellen Historiker des Bundes angestellt. 12 Im Oktober 1547 hatte Sleidanus bereits die ersten vier Bücher seiner Reformationsgeschichte fertiggestellt. 1555 erschien in Straßburg sein monumentales Werk De statu religionis et reipublicae Carolo quinto Caesare commentarii (Kommentare zu Religion und Staat unter Kaiser Karl V.), fast eintausend Seiten Folio in 25 Büchern. Das Werk schloss mit einer Darstellung des Schmalkaldischen Kriegs, den Sleidanus als deutschen Freiheitskrieg gegen einen Monarchen, der die deutsche Nation betrogen hatte und sie mit der Unterstützung durch spanische Heere zu unterwerfen suchte, interpretierte. Natürlich ließen die Kaisertreuen und die Katholiken das nicht auf sich sitzen. 13 In ihren Flugschriften waren die Protestanten böse, abtrünnige Ketzer, deren Moral so verderbt wie die der Spanier mit ihrer angeblichen Hurerei, Sodomiterei und Räuberei sei. Die kaiserlichen Propagandisten behaupteten, es sei Karl, der die wahre Freiheit repräsentiere. Diese nämlich habe ihren Ursprung in Rom und seinem Sieg über die barbarischen germanischen Heiden. Eine von dem Luxemburger Nikolaus Mammeranus verfasste und 1552 in Köln gedruckte Flugschrift bearbeitete das Thema Freiheit auf radikal neue Weise. 14 Der Autor beschuldigte die deutschen Fürsten, den gemeinen Mann gegen »gesetzliche und von Gott verfügte Autorität« aufzustacheln. Sie hätten sich mit dem König von Frankreich verbündet, der aber nur vorgab, die neue religiöse Lehre zu unterstützen. In Wirklichkeit sei er ein gottloser Partner der Türken, der im eigenen Land die Protestanten gnadenlos verfolgte. In Deutschland habe er nur die Absicht, den gemeinen Mann vom Kaiser zu entfremden und ihn der ewigen französischen Knechtschaft auszuliefern. Dagegen sei der Kaiser der Garant von Freiheit und Sicherheit, der König von Frankreich aber ein Tyrann, der seine Untertanen aller Freiheiten und Besitzrechte beraube: »Die Untertanen in Frankreich werden gedruckt und schwer geladen als die Esel.« 15 Mit der Gegenüberstellung von französischer Knechtschaft und deutscher Sicherheit von Besitz und Eigentum berührte Mammeranus ein Thema, das im späten 17. und im 18. Jahrhundert ein Leitmotiv der juristischen Literatur in Deutschland werden sollte. Bestimmt stand die Sicherheit von Grundbesitz nach dem Bauernkrieg in weiten Bereichen Deutschlands ganz oben auf der Tagesordnung, doch ist unklar, ob Mammeranus damals auf Widerhall stieß, und es darf bezweifelt werden, dass er viele Leute zur kaiserlichen Sache bekehrte. Sein Appell an den gemeinen Mann dürfte so unwirksam gewesen sein wie Karls Appelle an den niederen Adel in Hessen 1547, als er die »Freiheit des Adels« gegen die »Freiheit der Fürsten« ausspielen wollte. 16 Die katholische und prokaiserliche Propaganda wurde durch ihren wesentlich defensiven Ansatz geschwächt.

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Beide Seiten versuchten, breitere Schichten der Gesellschaft zu mobilisieren, wobei Tausende von Kommunen auf die eine oder andere Weise in den Kampf hineingezogen wurden. Dennoch war es kein Bürgerkrieg, der die deutsche Gesellschaft insgesamt erfasst hätte. Kein Propagandaaufwand konnte über die Tatsache hinwegtäuschen, dass Karls Versuch, das Reich zu zähmen, nicht zu einem nationalen Aufruhr, sondern zu einem Fürstenaufstand geführt hatte. Schon im Februar 1550 schloss Johann von Küstrin in Königsberg ein Bündnis mit Albrecht von Preußen und Johann Albrecht von Mecklenburg zur Verteidigung des Protestantismus. 17 Küstrin hatte einen großen nordischen Bund im Auge, dem sich Dänemark und Polen anschließen sollten. Die Verteidigung von Magdeburg sollte das erste Ziel dieses Bundes sein. Dies wiederum drohte, den Bund gegen Kurfürst Moritz in Stellung zu bringen, der fürchtete, dass er, wenn es ihm nicht gelänge, dem Geheiß des Kaisers folgend Magdeburg zu unterwerfen, bald auch seinen kürzlich erst errungenen Titel verlieren und die Wiedereinsetzung seiner ernestinischen Verwandten erleben würde. Unter diesen Umständen zog er es vor, den Kaiser zu hintergehen und sich selbst an die Spitze der Opposition zu setzen. 1550 nahm er Kontakt zum König von Frankreich auf, konnte dann ein militärisches Aufgebot gegen diesen im Bistum Verden verhindern und im Mai 1551 in Torgau mit den Unterzeichnern des Königsberger Vertrags ein Abkommen schließen. Zugleich machte er Ferdinand, der als König von Böhmen sein wichtigster territorialer Nachbar war, Avancen und versicherte ihm, dass er niemals Zielscheibe des neuen Bundes werden solle. Im November erfüllte er sein Kaiser Karl gegebenes Versprechen und nahm Magdeburg ein, was aber de facto in aller Freundlichkeit geschah. Er versprach den Magdeburgern, ihre Religion zu verteidigen, wenn sie ihn als ihren erblichen Herrn anerkannten. Im Januar 1552 schlossen Moritz und seine Verbündeten, zu denen nun auch der hitzköpfige Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach gehörte, ein Abkommen mit dem französischen König Heinrich II. in Chambord. 18 Heinrich versprach, die Freiheiten der deutschen Stände zu schützen, während die Fürsten ihm das Vikariat über die Reichsstädte Metz, Toul und Verdun und den Besitz von Cambrai zusagten. Das rechtfertigten sie mit dem Argument, es seien keine Städte »deutscher Zunge«, doch begingen sie de facto einen offenkundigen Rechtsbruch. Dem Vertrag von Chambord folgte rasch ein französischer Einmarsch in Lothringen und die Einnahme der Städte. Im März führte Moritz ein protestantisches Heer nach Augsburg und von da weiter nach Linz. Die katholischen Fürsten und Reichsstädte blieben neutral; Karl hielt sich, macht- und schutzlos, unweit des protestantischen Heers in Innsbruck auf. In der zweiten Aprilhälfte fanden Verhandlungen zwischen den Rebellen und Ferdinand in Linz über das ganze Spek-

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trum der von den Fürsten vorgetragenen Beschwerden statt. Sie scheiterten jedoch an Karls Weigerung, einen dauerhaften Waffenstillstand in Sachen Religion in Erwägung zu ziehen. Also vereinbarte man weitere Gespräche, die Ende Mai in Passau stattfinden sollten. Allerdings hatte Ferdinand jetzt das Vertrauen jener Mehrheit deutscher Fürsten gewonnen, die für das Reich eine Zukunft mit dem Haus Habsburg, aber keine spanische monarchia anstrebten. 19 Um dem Protest der Rebellen mehr Nachdruck zu verleihen, marschierte Moritz mit seinen Truppen unverzüglich tiefer in habsburgisches Gebiet hinein. Der Kaiser selbst entkam der Gefangennahme nur knapp durch die Flucht über den Brenner nach Villach. 20 Unterdessen tat Albrecht Alcibiades, was ihm gemäß war: Er eroberte Bamberg, Würzburg und Nürnberg, um Tributzahlungen für den Unterhalt der Hauptstreitkraft zu erzwingen und, natürlich, um sich selbst zu bereichern. Als Moritz in Passau ankam, war er der unumstrittene Held der Rebellen, der den Kaiser gedemütigt hatte. Zugleich war sein Status bei Verhandlungen dadurch noch gewichtiger geworden, dass er Ferdinand seiner Treue versichert und sich vom französischen König abgesetzt hatte. Karl hingegen hatte im Reich so gut wie keine Verbündeten. Der jetzige Herzog und frühere Kurfürst Johann Friedrich wurde aus der Gefangenschaft entlassen. Und um den Kaiser noch weiter zu demütigen, hoben die Delegierten in Trient das Konzil unverzüglich auf, als sie von Karls schimpflicher Flucht aus Innsbruck hörten. Bei den Passauer Gesprächen wurde schnell klar, dass die neutralen Fürsten, darunter auch die Fürstbischöfe, die Besorgnisse der Aufständischen voll und ganz teilten. Vor allem forderten sie, dass ein permanenter Waffenstillstand in Sachen Religion eingeräumt werden solle. Zusätzlich verlangten sie die Verminderung spanischen Einflusses auf Deutschland, die Freilassung Philipps von Hessen und die Berufung einer aus den Ständen bestehenden Kommission unter dem Vorsitz von Ferdinand zur Beurteilung der vielen Beschwerden über Karls Herrschaftsausübung. 21 Karl war zwar isoliert, weigerte sich aber, mehr als einen zeitlich bis zum nächsten Reichstag befristeten Waffenstillstand zuzugestehen. Außerdem lehnte er es als Affront gegen seine kaiserliche Hoheit ab, andere über sein herrscherliches Verhalten zu Gericht sitzen zu lassen. Es spricht für Moritz’ politisches Gespür, dass er die Aufständischen dazu bewegen konnte, den Vertrag, der am 15. August 1552 unterzeichnet wurde, zu akzeptieren. Der Passauer Vertrag bot eine Verschnaufpause, Karl jedoch nicht die Gelegenheit, weiteren Gesprächen über das Religionsproblem auszuweichen. Zunächst aber musste er die Franzosen aus Lothringen vertreiben und die Reichsstädte zurückgewinnen. Das erste Hindernis war das Landsknechtsheer von Albrecht Alcibiades, der quer durch Deutschland in Richtung Frankreich geeilt war. Er hatte, da er den Aufständischen nach dem Passauer Vertrag nicht mehr von Nutzen sein konnte, die Hoffnung, mit dem französischen König gemeinsame Sache zu ma-

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chen. Aber der Herzog von Alba kam ihm in die Quere und konnte ihn überreden, sich Karl anzuschließen. Trotz dieser Hilfe musste die Belagerung von Metz im Januar 1553 aufgegeben werden und Karl zog sich in die Niederlande zurück. Er sollte nie wieder deutschen Boden betreten. Und als nun Albrecht Alcibiades zurückmarschierte, um Würzburg und Bamberg die Tribute abzufordern, die Karl ihm für seine Hilfe vor Metz gewährt hatte, sah sich der Kaiser als Verbündeter eines notorischen Unruhestifters geschmäht. Die politische Lage in Deutschland wurde für Karl immer ungünstiger. Ein letzter Versuch, einen kaiserlichen Bund zu schmieden, scheiterte im Juni 1553 in Memmingen. 22 Unterdessen gewannen andere Bünde und Bündnisse an Boden. Anfang 1553 gründeten Bayern, Jülich, die Pfalz und Württemberg den Heidelberger Bund mit dem Ziel, Philipp als Nachfolger Ferdinands im Reich zu verhindern, die Beschlüsse des Passauer Vertrags umzusetzen und für Frieden zwischen Frankreich und dem Reich zu sorgen. Weiter im Norden gab es ähnliche Verteidigungsabkommen durch die Wiederbelebung traditioneller gegenseitiger Erbverträge zwischen den Dynastien von Brandenburg, Hessen und dem albertinischen und ernestinischen Sachsen. Noch bedeutsamer war der auf dem tradierten Erbvertrag zwischen Sachsen und Böhmen beruhende Bund, den Kurfürst Moritz mit Ferdinand im April/Mai 1553 in Eger aushandelte. Er sollte auch Bayern einschließen und hatte das Ziel, Moritz Sicherheit in Sachsen und Ferdinand Sicherheit in Österreich und Böhmen sowie Hilfe für Ferdinand gegen die Türken zu verschaffen. 23 Moritz hatte seine Bereitwilligkeit schon 1552 gezeigt, als er für Ferdinand in Ungarn kämpfte; insofern waren die Aussichten für den geplanten Bund ganz ausgezeichnet. Erneut taten sich die Regionen des Reichs gegen den Kaiser zusammen und diesmal war der deutsche König einer ihrer Anführer. 24 Der Zusammenhalt des Bundes wurde gleich durch die Aktivitäten von Albrecht Alcibiades verstärkt, der als Marodeur durch die Lande zog. Nachdem er bei den fränkischen Bischöfen seine Tribute kassiert hatte, wollte er, im Frühjahr 1553, durch Thüringen nordwärts ziehen, um Braunschweig und Sachsen anzugreifen. Er brüstete sich sogar damit, dass er noch vor dem Ende des Feldzugs die böhmische Krone errungen haben werde. 25 Die Fürsten des Heidelberger Bundes waren unentschlossen, aber Moritz wollte jetzt den Frieden herbeiführen, für den er im vergangenen Jahr die Grundlagen bereitet hatte. Albrecht Alcibiades wurde in einer blutigen Schlacht bei Sievershausen (zwischen Hannover und Braunschweig) besiegt, aber auch Herzog Moritz starb im Kampf. Albrecht entkam, doch sein Heer wurde von Ferdinand im September aufgerieben und Albrecht aus seinen Territorien ins Exil nach Frankreich vertrieben. Bis zuletzt hatte Karl sich geweigert, die Reichsacht über ihn zu verhängen. Der Kaiser schien selbst jetzt noch an einen Erfolg in Deutschland zu glauben. Er spielte mit der Idee, den Frieden von Passau in einer weiteren Demonstration

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kaiserlicher Macht, geleitet von den Traditionen des Reichs und der Gerechtigkeit Gottes, dessen Gesetz der Vertrag gebrochen hatte, öffentlich zu widerrufen. Auch führte er weitere Feldzüge in Lothringen, wobei er Thérouanne und Hesdin gewann, nicht aber Metz. Auch in Italien gelangen seinen Truppen Siege über die Franzosen, doch das war kein wirklicher Durchbruch. 1555 wurde der gegen Spanien eingestellte Papst Paul IV. gewählt und damit das Karl feindlich gesinnte frankopäpstliche Bündnis wiederbelebt. 1554 jedoch eröffneten sich durch die Hochzeit Philipps II. mit Maria I. von England weitere Horizonte. 26 1555 gab es Gerüchte über eine Schwangerschaft Marias, was Hoffnungen auf einen gesunden Erben begünstigte, der in angemessener Zeit den kränklichen Don Carlos, Philipps Sohn aus erster Ehe mit Maria von Portugal, ersetzen könnte. Die Aussicht, dass diesem Erben einmal ein mittelmeerisch-atlantisches Reich zufallen könnte, ließ das deutsche Reich fast bedeutungslos erscheinen. Aber bei Marias Schwangerschaft war der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen und ihr Tod im November 1558 zerstörte das in der Fantasie errichtete Riesenreich. Doch da war Karl ebenfalls schon gestorben. Während seiner letzten zwei Lebensjahre griff Karl nicht mehr in die deutsche Politik ein. Entwicklungen waren herangereift, die er einfach nicht akzeptieren konnte. Nach dem Tod Moritz’ von Sachsen drängten die Stände auf die im Passauer Vertrag versprochene Einberufung des Reichstags. Karl hatte anfänglich darauf bestanden, dass der Vertrag nicht als Verhandlungsbasis betrachtet werden sollte. Doch im Juni 1554 gab er Ferdinand die Vollmacht, den Vorsitz auf dem kommenden Reichstag in seinem Namen zu führen. Als Grund nannte er »unüberwindbare Befürchtungen« hinsichtlich des Religionsproblems. Vielleicht hoffte er immer noch, dass ihm die Übergabe der Verantwortung an Ferdinand die Freiheit lassen würde, die Beschlüsse außer Kraft zu setzen, wenn sich die Begleitumstände verbesserten. 27 Auch Ferdinand hoffte, die konfessionellen Differenzen versöhnen und zu diesem Zweck die Zustimmung für weitere Gespräche sichern zu können.Während der Verhandlungen sprach er davon, dass es nur eine Religion gebe, die zeitweilig gespalten sei. Das schlug sich auch im Abschlussdokument nieder, in dem die Augsburger Konfession zumindest formell als Abweichung vom wahren Glauben bezeichnet wird. Aber Ferdinand stand erneut unter Druck wegen der Türkengefahr; seine Kompromissbereitschaft verdankte sich vor allem der dringenden Notwendigkeit, von den Ständen weitere Militärhilfe zu erhalten. 28 Als jedoch der Reichstag am 5. Februar 1555 eröffnet wurde, hatten die deutschen Fürsten ihre eigene Tagesordnung parat. Sie wollten neue Bestimmungen zur Erhaltung des Landfriedens und eine politische Regelung des Religionsproblems. Übrigens nahmen bemerkenswert wenige Fürsten persönlich teil; die meisten hatten ihre Gesandten geschickt. 29 Von den Kurfürsten war keiner anwesend und nur

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Herzog Christoph von Württemberg und Herzog Albrecht von Bayern beteiligten sich in größerem Ausmaß an den Diskussionen. Über die umfassendere politische Strategie wurden auf Versammlungen entschieden, die die Fürsten anderenorts abhielten, wie etwa dem Treffen der Fürsten von Sachsen, Brandenburg und Hessen im März 1555 in Naumburg. Der Reichsabschied von Augsburg mit all seinen Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten lässt erkennen, dass es sich um ein von Juristen ausgehandeltes Übereinkommen handelt. Dem Religionsproblem wurde Priorität eingeräumt. Der kaiserliche Vorschlag, weitere Gespräche zu führen, wurde von der Forderung nach einem dauerhaften Religionsfrieden und der ebenso dauerhaften Anerkennung der Rechte der Protestanten verdrängt. Die katholischen Fürsten stimmten dem zu, sogar die Fürstbischöfe schlossen sich an. Ihre Position war schwierig, denn sie mussten natürlich auf Rom Rücksicht nehmen. Jedoch waren gerade die geistlichen Fürsten nach den jüngsten Raubzügen von Markgraf Albrecht Alcibiades vor allem auf Sicherheit bedacht. Die allgemein angestrebten Ziele waren klar, auch wenn die Juristen sich sehr mit den durch die territoriale Zersplitterung bedingten unzähligen Ausnahmen und Besonderheiten abmühten. Im Wesentlichen spiegelte das Ergebnis die Gesetzgebungen und Übereinkünfte, die seit 1526 erzielt worden waren. 30 Der Frieden galt im Reich für Katholiken und für alle diejenigen, die dem Augsburger Bekenntnis angehörten; Zwinglianer, Calvinisten und Radikale waren davon ausgeschlossen. Er sollte »ohne Unterbrechung« in Kraft bleiben, bis die beiden Konfessionen wieder miteinander versöhnt waren, und seine Bedingungen hatten Vorrang vor allen anderen Gesetzen. Bis zur Versöhnung sollte jeder Fürst bestimmen, welche Religion in seinem Territorium die vorherrschende war; Untertanen, die dem nicht zustimmten, durften emigrieren. Die bischöfliche und sonstige kirchliche Rechtsprechung für die protestantischen Gebiete musste während der Dauer des Friedens suspendiert werden. Reichsstädte mit beiderlei Konfession galten als bikonfessionell, wobei hier von einem ius reformandi keine Rede war. Stadträte, so wurde unterstellt, genossen nicht die gleichen Vorrechte wie Territorialfürsten. Die Reichsritter wurden in den Frieden explizit einbezogen und ihre religiösen Rechte (das heißt die Freiheit, einer der beiden Konfessionen zu folgen) waren garantiert. Bei Fragen des Besitzanspruchs auf Kirchengut und der religiösen Zugehörigkeit von Territorien sollte der Status quo von 1552 als Norm gelten. Ein besonders strittiger Punkt, der in der Zukunft noch für Konflikte sorgen sollte, war die Frage der kirchlichen Territorien. Gegen den Widerstand der Protestanten wurde der »geistliche Vorbehalt«, das reservatum ecclesiasticum, durchgesetzt. Es bestimmte, dass dort, wo ein Bischof, Prälat oder sonstiger katholischer kirchlicher Amtsinhaber lutherisch wurde, das mit diesem Amt verbundene Terri-

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torium katholisch und im Besitz der Reichskirche bleiben sollte. Die sogenannte Declaratio Ferdinandea, die dem protestantischen Adel und den Städten in den geistlichen Territorien Gewissensfreiheit garantierte, beruhigte die Protestanten nicht und empörte die Katholiken. 31 Die Tatsache, dass es sich dabei um eine Erklärung in Ferdinands Namen handelte, machte sie eher zu einer privaten Zusicherung als zu einem vor den Reichsgerichten einklagbaren Gesetz, obwohl das die Protestanten nicht daran hinderte, es später als integralen Bestandteil der Augsburger Vereinbarungen zu betrachten. Zu guter Letzt einigten sich die Stände darauf, dass die Frage der religiösen Versöhnung auf der nächsten Sitzung des Reichstags verhandelt werden sollte, der für März 1556 in Regensburg geplant wurde. Aber die meisten waren illusionslos genug, um zu sehen, dass der Augsburger Friede eine sehr viel längere und möglicherweise dauerhafte Teilung in Aussicht stellte. Nun wandten sich die Stände weltlichen, wenngleich mit der Religion verbundenen Themen zu. Zunächst wurde die das Reichskammergericht betreffende Geschäftsordnung überarbeitet. Das Gericht musste nun auf Grundlage der Bedingungen des Religionsfriedens verfahren, was den Kaiser der Befugnis beraubte, zu entscheiden, was ein Rechtsbruch war und was nicht. 32 Alle gerichtlichen Stellen sollten Katholiken wie Protestanten offenstehen; ein neutraler Eid (»bei Gott und dem heiligen Evangelium«) wurde eingeführt und alle juristischen Gremien mussten, wenn möglich, konfessionell ausbalanciert sein (wobei strenge Parität erst ab 1648 zur Bedingung gemacht wurde). Die umfassende Vollmacht, die dem Reichsfiskal, einem königlichen Beamten, in der Periode direkter königlicher Kontrolle des Gerichts zwischen 1530 und 1548 formell gegeben war, wurde nun begrenzt. Ab diesem Zeitpunkt war die Zustimmung zweier Richter, betraut mit der Prüfung aller potenziellen Fälle, erforderlich, bevor Anklage erhoben werden konnte. Und während 1548 der Kaiser sich das Recht vorbehielt, alle Ernennungen zu vollziehen, konnte er nunmehr nur noch zwei nominieren.Vier Richter wurden im Hinblick auf die Habsburger Lande ernannt, sechs von den Kurfürsten und zwölf von den sechs noch verbliebenen Reichskreisen. Der Reichstag behielt sich auch das Recht vor, Visitationen des Gerichts durchzuführen und sich mit allen Beschwerden bezüglich seiner Verfahrensweise zu befassen. 33 Wie stark die Position der Stände und ganz besonders die Vorrangstellung der Fürsten waren, zeigte sich auch an den Vereinbarungen über die Erneuerung des Landfriedens und seine Durchsetzung. Eine Deputation des Reichstags wurde mit dem Auftrag gebildet, die Erhaltung des Friedens und andere aus der kaiserlichen Gesetzgebung herrührenden Tätigkeiten im Zeitraum zwischen den Sitzungen zu koordinieren. 34 Die »Reichsexekutionsordnung« sah auch eine regelmäßigere Beteiligung der Reichskreise an der Erhaltung und Durchsetzung des Landfriedens vor. Überregionale Probleme sollten von den Kreisen kollektiv durch Versamm-

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lungen ihrer Vertreter unter der Leitung des Reichserzkanzlers, des Erzbischofs von Mainz, angegangen werden. 35 Außerdem wurden die Kreise mit der Aufstellung von Reichsheeren unter von ihnen zu ernennenden Hauptleuten betraut.Vor allem aber wurde der Idee eines stehenden Heeres, die in den Reformdiskussionen vergangener Jahrzehnte von Karl und Ferdinand wiederholt ins Spiel gebracht worden war, nun implizit eine Absage erteilt. Damit war das Reich nicht fähig, expansionistische oder Angriffskriege zu führen, und sogar die Verteidigung wurde nur durch außergewöhnliche Matrikelabgaben ermöglicht. Bei allen Maßnahmen zur Erhaltung des Landfriedens lag die Kontrolle nun bei den Ständen, nicht mehr beim Monarchen, der als Friedensbewahrer keine Rolle mehr spielte. Diese Pflicht war auf die Stände, im Wesentlichen aber auf die Fürsten übergegangen, denn die Städte konnten zwar zahlen, nicht aber kämpfen. Die Kurfürsten behielten ihre Vorrangstellung gegenüber den Fürsten, indem sie dem Monarchen das Recht nahmen, einen Reichstag ohne ihre Zustimmung einzuberufen. 36 Sie behielten auch das Recht, den Monarchen und seinen Erben zu wählen. Doch die formell 1547/48 geknüpfte Verbindung zwischen dem Monarchen und den Reichsrittern blieb uneingeschränkt erhalten, sodass die Krone auch in Zukunft auf die politische Loyalität und finanzielle Unterstützung des niederen Adels rechnen konnte. 37 In dieser Hinsicht war die Krone mit anderen europäischen Monarchien vergleichbar. Für Ferdinand war das Ergebnis des Augsburger Reichstags ein Triumph, konnte er sich doch in geschickter Weise als Architekt des Friedensabkommens präsentieren. Für seinen Bruder aber war es ein totaler Rückschlag. Noch vor der Verkündung der endgültigen Dekrete hatte er jede Hoffnung auf eine günstige Wendung des Verlaufs aufgegeben. Eine Stunde vor Schluss des Reichstags erhielt Ferdinand einen Brief von Karl, der seinen sofortigen Rücktritt ankündigte. Aber der Brief wurde nicht öffentlich verlesen. Die Dekrete wurden in Karls Namen verkündet und die Machtübergabe verzögerte sich um ein Jahr. Karl hatte jedoch jegliches Interesse am Reich verloren und machte sich nicht einmal die Mühe, ein Edikt abzuschicken, in dem er alle auf dem Augsburger Reichstag vereinbarten Beschlüsse, die der römischen Kirche abträglich sein könnten, widerrief. 38 Er äußerte sich auch nicht mehr zu irgendeiner Deutschland betreffenden Angelegenheit. Seine so plötzliche Abdankung hatte für die Position der Habsburger in Europa beträchtliche Folgen. Die universelle Monarchie, für die Karl in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten gekämpft hatte – nicht durchgängig, aber mit völliger Hingabe und all seinen politischen und militärischen Ressourcen –, war ein Trümmerhaufen. Der im 15. Jahrhundert begonnene Reformprozess hatte sein Ende als Monarchie in den Fesseln »teutscher Libertät« gefunden.

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Anmerkungen 1 Schmidt, Grafenverein, 246. 2 Peters, »Macht«. 3 Naujoks, Karl V., 35–42, 47–49, 67–68, 169–174, 335–339; Naujoks, Obrigkeitsgedanke, 118–153. 4 Zum Folgenden vgl. Fichtner, Ferdinand I., 161–181; Rodriguez-Salgado, Changing face, 33–40; Rebitsch, Fürstenaufstand, 73–82; Laubach, »Nachfolge«, 33–50. 5 Fichtner, Ferdinand I., 167. Im Gegensatz dazu konnte Maximilian es noch mit den trinkfestesten deutschen Fürsten aufnehmen; ebd., 244. 6 Maximilians Ehe mit Karls Tochter Maria 1548 entsprangen zahlreiche Kinder. Allerdings war ihre an Inzest grenzende Verbindung auch die Ursache für die habsburgtypische dicke Unterlippe, die über die nächsten Jahrhunderte zum Markenzeichen des Hauses Habsburg wurde. Philipp II. heiratete 1570 in vierter Ehe Maximilians Tochter Anna von Österreich, seine eigene Nichte. Seine zweite Ehe mit Maria I. von England und seine dritte mit Elisabeth von Frankreich hatten Vorrang vor dynastischen Pflichterfüllungen, zu denen er sich 1551 bekannt hatte. 7 Kohler, Ferdinand I., 297–299. Ferdinand überredete 1549 die böhmischen Stände, Maximilian als zukünftigen König zu akzeptieren. Maximilian wurde 1562 zum römischen König gewählt, im selben Jahr zum böhmischen und 1563 zum ungarischen König gekrönt. Ferdinands Testament von 1554 enthielt die Vorkehrungen für die Aufteilung seiner österreichischen Territorien unter seine drei Söhne. Vgl. Laubach, Ferdinand I., 575; Fichtner, Maximilian II., 56–57. 8 Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 310–311; Schmidt, »Libertät«. 9 Schmidt, Geschichte, 92–94; Hirschi, Wettkampf, 481–484. 10 Ursprünglich bezog sich »welsch« nur auf Italien und die Italiener, dann zunehmend auf alles und jeden südlich der Alpen. 11 Fichtner, Ferdinand I., 156. 12 Dickens und Tonkin, Reformation, 10–19; Brady, Sturm, 185–187. 13 Schmidt, Geschichte, 97–99. Vgl. auch Schmidt, »»Teutsche Libertät« oder »Hispanische Servitut««. 14 ADB, Bd. XX, 158–159. 15 Zit. n. Schmidt, Geschichte, 98. Der Titel der Flugschrift lautet Von der Anrichtung des newen Euangelij und der alten Libertet oder Freyheit Teutscher Nation. 16 Press, »Bundespläne«, 101. 17 Zum Folgenden vgl. Tracy, Charles V, 229–240. 18 Rebitsch, Fürstenaufstand, 135–161. 19 Lutz, Christianitas, 81–85. 20 Rebitsch, Fürstenaufstand, 226–234. 21 Zum Folgenden vgl. die Essays in Becker, Passauer Vertrag. 22 Press, »Bundespläne«, 88–89. 23 Press, »Bundespläne«, 90. 24 Kohler, »Passau«. 25 Fichtner, Ferdinand I., 205. 26 Lutz, Christianitas, 408–409. 27 Rabe, Geschichte, 445–446. 28 Petritsch, »Ferdinand I.«.

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29 Rabe, Geschichte, 447. 30 Zum Folgenden vgl. Schneider, Ius reformandi, 152–169, und Gotthard, Religionsfrieden, 1–239. Der Text der Übereinkunft in Buschmann, Kaiser, Bd. I, 215–283. 31 Merz, »Religionsfrieden«; Gotthard, Religionsfrieden, 264–271; Laubach, Ferdinand I., 82– 89. 32 Smend, Reichskammergericht, 179–180; Duchhardt, Verfassungsgeschichte, 96–100. 33 Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 322. 34 Neuhaus, Repräsentationsformen, 425–431. 35 Laubach, Ferdinand I., 103–118. 36 Angermeier, Reichsreform 1410–1555, 322. 37 Duchhardt, Verfassungsgeschichte, 102–105; Neuhaus, Reich, 36–37. 38 Rabe, Geschichte, 453.

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27. Die Konturen des »konfessionellen Zeitalters«

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er Augsburger Reichstag von 1555 sorgte für eine dreiundsechzigjährige Friedenszeit im Reich. Während es anderenorts in Europa Konflikte über Konflikte gab – aufgrund von Herrschafts- oder Religionsproblemen oder einer Mischung aus beiden –, blieb das Reich relativ stabil. Und als die deutschen Territorien 1618 ebenfalls ins Chaos stürzten, dann aufgrund von nicht selbst verursachten Problemen. Natürlich gab es in den Friedensjahren auch Spannungen. Deutschland war keineswegs immun gegen die in der zweiten Jahrhunderthälfte in ganz Europa verbreiteten Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen. Auch hatten die Verfassungsprobleme, die während der Regentschaft Maximilians und Karls die politische Tagesordnung bestimmten, nichts von ihrer Bedeutung oder Intensität verloren. Gelegentlich führten politische Meinungsverschiedenheiten zu militärischen Konfrontationen. Aber die Stände fanden wiederholt genug Gemeinsamkeiten, um einen Flächenbrand zu verhindern und den Frieden für eine gewisse Zeit wiederherzustellen. Diese Möglichkeit beruhte auf der Entwicklung des Systems selbst, auf der von Ferdinand und seinen Nachfolgern betriebenen Politik und auf der Haltung der Stände zu Kaiser und Reich. Ein solchermaßen vorsichtig positiver Blick auf die deutsche Geschichte zwischen 1555 und 1618 benötigt historiografische Erklärungen. Während der letzten zwei Jahrhunderte waren deutsche Historiker im Allgemeinen eher düster gestimmt. Für Ranke war es eine Epoche, in der Deutschland die bedrückenden Folgen des gescheiterten Aufstands der 1520er Jahre zu spüren bekam, weil es nicht gelungen war, die Nation zu einen. Treitschke sprach gar von der »hässlichsten« Phase der deutschen Geschichte, in der die Fürsten ihre eigensüchtigen Interessen mittels konfessioneller Zwistigkeiten verfolgten. 1 Überdies schien vielen Gelehrten die Tatsache verbürgt, dass das Reich sich in einem hoffnungslos chaotischen Zustand befand und dass der Augsburger Friede keine Probleme gelöst, sondern nur einen neuen Rahmen für Konflikte geschaffen hatte, in dem die religiösen Leidenschaften schließlich mit dem Dreißigjährigen Krieg zum Ausbruch kamen. Solche Sichtweisen waren noch vor Kurzem gang und gäbe – das Produkt einer geistigen Einstellung, die im preußisch-protestantischen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts den Beurteilungsmaßstab für die deutsche Geschichte überhaupt sah und die das deutsche Geschichtsdrama in den Mittelpunkt der europäischen Bühne rückte. Noch nach 1945, als dieses so dominante Narrativ allmählich seine Konturen verlor, hielt sich die Vorstellung, Deutschland sei schon im späteren 16. Jahr-

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hundert das tragische Herz Europas gewesen. Die konfessionellen Spaltungen jener Epoche schienen nur die Vorboten aktuellerer, politisch-ideologischer Spaltungen zu sein. Ähnlich konnten Parallelen zwischen frühmodernen militärischen Konflikten und jenen modernen Katastrophen hergestellt werden, in denen Deutschland das ewige Opfer war. Die Tatsachen waren weniger dramatisch und weniger tragisch, aber nichtsdestotrotz bemerkenswert. Nach 1555 kooperierten die deutschen Stände mehrheitlich mit den Monarchen, um die Augsburger Beschlüsse praktisch umzusetzen. Innenpolitische Krisen wurden bewältigt und die Verstrickung in Konflikte außerhalb des Reichs konnte im Großen und Ganzen vermieden werden. Zugleich wurden die Institutionen und Kommunikationskanäle des Reichs auf neue Weise entwickelt. Die zentralen und die regionalen Institutionen dehnten sich nach und nach über die Kernbereiche aus, die traditionell der Krone nahegestanden hatten. Außerdem verbreiterte sich das soziale Spektrum derjenigen Personen, die die vom imperialen Justizsystem garantierten Rechte ausübten. Es waren nicht mehr nur Adlige und Fürsten, sondern Stadtbewohner und sogar Bauern. Was sich seit 1495 in den Territorien als eine auf dem Zusammenhang von Reich und Ständen beruhende Form der Rechtsprechung entwickelt hatte, reifte jetzt zu der Form heran, die 1648 kodifiziert werden sollte. In dieser Epoche entstand zum ersten Mal eine Literatur, die das Reich und seine Gesetze beschrieb und analysierte. 2 Sie fasste das Reich als zusammenhängendes und funktionierendes politisches Gemeinwesen auf, das auf einem klar definierten Ensemble von Gesetzen beruhte. Zunehmend auch begriff sie das Reich in seiner damaligen Gestalt wie auch seinem Ursprung nach als Deutsches Reich mit bestenfalls losen Verbindungen zum römischen Reich. 3 Natürlich sorgte die religiöse Spaltung, die nach 1555 im Recht fest verankert war, weiterhin für extreme Spannungen. Schon bald sollte das Abkommen auf die Probe gestellt werden: einmal durch den protestantischen Expansionismus und zum anderen durch die katholische Gegenoffensive, die nach dem Abschluss des Konzils zu Trient 1563 erneut an Intensität und Zielgerichtetheit gewann. Die Situation wurde nicht einfacher durch Fraktionskämpfe innerhalb der lutherischen Protestanten selbst. Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzungen war die Herausbildung einer dem Calvinismus nahestehenden reformierten Kirche, deren Status hinsichtlich der ab 1555 herrschenden Rechtslage ungewiss war und deren politische Protagonisten unter den deutschen Fürsten und Hochadligen einem die nationalen Grenzen überschreitenden Aktivismus huldigten. Trotz der offensichtlichen Zunahme konfessioneller Rivalität und konfessionellen Aktivismus in der Politik bleibt indes fraglich, ob die Epoche tatsächlich als »konfessionelles Zeitalter« bezeichnet werden kann. Unleugbar waren die Jahrzehnte nach 1555 von der Institutionalisierung eines klarer definierten Glaubens-

27. Die Konturen des »konfessionellen Zeitalters«

systems in der lutherischen Kirche, der Herausbildung einer ähnlich klar definierten reformierten Kirche und der Kodifizierung katholischer Glaubensinhalte durch das Konzil von Trient bestimmt. Aber der Nachdruck, den einige deutsche Gelehrte auf das Primat der Religion als Motivationsfaktor und auf die grundlegende Bedeutung einer Verbindung zwischen Konfessionalismus und Staatsbildung legen, vereinfacht eine komplexere Wirklichkeit. 4 Sicher entfaltete sich die Politik innerhalb einer religiösen Weltsicht, doch schienen viele Herrscher und ihre Berater auch darauf erpicht, zwischen der Notwendigkeit, ihren Untertanen religiöse Einheitlichkeit aufzuzwingen, und der Notwendigkeit, in der Reichspolitik oder in den Beziehungen zwischen Territorien religiös moderat aufzutreten, zu unterscheiden. Unleugbar ist das Zeitalter von starken religiösen Idiosynkrasien geprägt, dennoch sind auch Versuche, zwischen unterschiedlichen religiösen Auffassungen auf der politischen Ebene zu vermitteln – sei es durch die Förderung von Versöhnung und Kompromiss, sei es durch die Suche nach einer politischen Lösung für religiöse Konflikte –, für das Zeitalter charakteristisch. Das hat nichts mit religiöser Gleichgültigkeit oder gar Atheismus zu tun und es ging auch nicht um Tolerierung, wenn damit die Freiheit gemeint ist, in religiöser Hinsicht irgendetwas oder nichts zu glauben. 5 Auch Säkularisierung ist damit nicht gemeint, wiewohl so etwas durch diese Haltungen auf lange Sicht begünstigt worden sein mag. Vielmehr geht es darum, dass viele Menschen ein Gespür für die Funktion und den Ort von Religion in unterschiedlichen Zusammenhängen entwickeln. Im Kontext von Territorium oder unabhängiger Stadt konnten Regierungsgeschäfte mitsamt der Regulierung des Alltagslebens nicht ohne religiöse Ordnung vonstattengehen. Sie war fester Bestandteil des sozialen Geflechts. Doch war die unablässige Suche nach finanziellen Gewinnquellen, deren treibenden Motor die wachsenden Ausgaben für Gerichte und Regierungsarbeit bildeten, als politische Motivationskraft von mindestens gleichrangiger Bedeutung. Die Regenten in den Territorien betrieben häufig nach außen eine Politik, die verriet, dass sie die Religion nur als eines von vielen Elementen solider Regierungsarbeit betrachteten. Eines der Themen der wachsenden politiktheoretischen Literatur war der Hinweis, dass Herrscher flexibel sein müssten, das heißt, dass sie religiöse Uniformität je nach den Umständen durchsetzen oder von diesem Vorhaben Abstand nehmen müssten. 6 Die Kunst der Verstellung war im politischen Leben des Reichstags ein Hauptfaktor gewesen, seit das Religionsproblem in den 1520er Jahren zum ersten Mal aufgetaucht war. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts zählten die modernsten Werke über Politik, insbesondere die Arbeiten von Justus Lipsius, die Verstellungskunst zu den Haupttugenden des umsichtigen Politikers. 7 Die Jahrzehnte nach 1555 waren insgesamt von einem Verlangen nach Frieden und der Entschlossenheit, das Überleben des Reichs zu sichern, geprägt. Hinsichtlich der Frage, wie lange dieser Zustand anhielt, herrscht unter den Gelehrten

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keine Einigkeit. Einige glauben, dass der Tod Maximilians II. 1576 einen Wendepunkt darstellte. Andere gehen davon aus, dass der Tod des Kurfürsten August von Sachsen (1553–1586), des einflussreichsten Fürsten der Friedenspartei und eines der Getreuesten des Reichs, entscheidend war. Wieder andere sehen in der geistigen Erkrankung Rudolfs II. ab 1600 die Ursache für einen Zusammenbruch der Reichsregierung. Rudolfs Krankheit habe, so argumentieren sie, die wachsenden Probleme vieler Reichsinstitutionen im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts noch verschärft. Jede dieser Auffassungen hat ihre Verdienste. Dennoch ist keineswegs offensichtlich, dass die angeführten Ereignisse jeweils in eine unumkehrbare Richtung geführt hätten. Zu jedem Zeitpunkt gab es ausreichenden Glauben an die alten Ideale von Einheit und Eintracht und die Bewahrung des Friedens. 8 Das änderte sich auch nicht, als sich ab den späteren 1580er Jahren die religiösen Spannungen verschärften. So, wie die wachsenden Spannungen in Europa insgesamt ihre unheildrohenden Schatten auf die politische Szenerie in Deutschland warfen, so schienen die deutschen Auseinandersetzungen eine europäische Dimension anzunehmen: Viele Leute waren geneigt, hinter jedem Problem entweder Spanien, Rom und die Jesuiten oder calvinistische Revolutionäre lauern zu sehen. Doch waren die Probleme, mit denen sich die deutschen Stände konfrontiert sahen, weder neu noch strukturell unlösbar. Nichts, was im Reich zwischen 1555 und 1618 geschah, machte einen lange sich hinziehenden Krieg unausweichlich.

Anmerkungen 1 2 3 4

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Gotthard, Religionsfrieden, 623–626. Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 48, 72–73. Schmidt, Geschichte, 188–189. Zur Diskussion der Ideen von Ernst Walter Zeeden, Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard mit allen relevanten Quellenangaben vgl. Ehrenpreis und Heumann, Reformation, 62–67, sowie Gotthard, Religionsfrieden, 501–527. Gotthard, Religionsfrieden, 560–578. Tuck, Philosophy, 31–64; Siedschlag, Einfluß, 34–89; Schindling, »Konfessionalisierung«, 40–42. Zagorin, Ways of lying, 123–124. Schulze, »Concordia«.

28. Monarchen, Reichsbeamte und Stände nach dem Augsburger Friedensschluss

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ie Abdankung Karls V. im September 1556 veränderte das Wesen der Monarchie in Deutschland von Grund auf. Aber der formelle Übergang vollzog sich langsam. Erst im Frühjahr 1558 trafen sich die Kurfürsten in Frankfurt am Main, um die Abdankung anzunehmen und Ferdinand, seit über 25 Jahren Karls mutmaßlicher Nachfolger, zum Kaiser zu proklamieren. Sie machten ihre Zustimmung davon abhängig, dass Ferdinand eine neue Wahlkapitulation akzeptierte, die den Augsburger Frieden expressis verbis enthalten und ihn als Kaiser zum Schwur für dessen Erhaltung verpflichten sollte. Praktisch jedoch formulierten sie nur, was als Tatsache bereits feststand. Ferdinand war es gelungen, den Augsburger Frieden dank der guten Beziehungen, die er zu den deutschen Ständen geknüpft hatte, zu vermitteln. Nun wurde er aufgrund dieser Beziehungen zum Kaiser der Versöhnung. Seine Stärke als Herrscher war bis zu einem gewissen Grad aus seiner, verglichen mit dem Bruder, relativen Schwäche erwachsen. Ferdinand verfügte nicht über Spanien, die Niederlande und Italien (wobei Mailand und andere norditalienische Territorien unter der Oberherrschaft des Reichs verblieben), sondern stützte seine Macht allein auf die Habsburger Erblande, auf Böhmen und Ungarn. So brauchte er die Unterstützung der deutschen Stände im Kampf gegen die Türken wie überhaupt gegen jeden von außen kommenden Angreifer. Zugleich würde er, eben wegen dieser relativ schwachen Position, weniger innenpolitische Opposition hervorrufen, als sein Bruder es getan hatte. In gewisser Weise hatten die innen- wie außenpolitischen Prioritäten Ferdinands mehr mit denen von Maximilian I. um 1500 als mit denen von Karl gemein. Innenpolitisch verfolgte Ferdinand hauptsächlich zwei Ziele: die Aufrechterhaltung des Religionsfriedens und die Sicherung der Krone für seinen Sohn und Erben. Beide Ziele erforderten die enge Zusammenarbeit mit den Kurfürsten und den deutschen Fürsten allgemein. Das einzige ernst zu nehmende Hindernis für die Thronfolge war, zumindest zeitweise, der mutmaßliche Erbe selbst. Ferdinands ältester Sohn, Maximilian, war ein erklärter Feind Spaniens, was ihm im Reich zum Vorteil gereichte. Mit Bitterkeit vermerkte er, dass ihm die Heirat mit seiner Cousine Maria im September 1548 nichts Substanzielleres eingebracht hatte als die – streng überwachte – Statthalterschaft in Spanien. Zudem hatten ihn die Bemühungen Karls 1551, ihn von der

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deutschen Thronfolge auszuschließen, tief getroffen. Infolgedessen präsentierte er sich mit Begeisterung als deutscher Fürst und nutzte jede Gelegenheit, die deutsche Sache in allen Belangen zu vertreten. Nach seiner Rückkehr aus Spanien 1551 suchte er den Kontakt zu katholischen wie protestantischen Fürsten; insbesondere pflegte er Freundschaft mit so einflussreichen Persönlichkeiten wie Herzog Christoph von Württemberg, Herzog Albrecht V. von Bayern und Kurfürst August von Sachsen. Alle drei sollten bald zu den Stützen des Religionsfriedens nach 1555 gehören. Maximilians eigene religiöse Anschauungen waren dagegen etwas problematisch. 1 In Wien genoss er nach 1552 die ideenreiche Atmosphäre, die von der Anwesenheit niederländischer, spanischer und italienischer Intellektueller beider Konfessionen ausging. Zudem förderten die Beziehungen zwischen Hof und Universität ein ungewöhnlich fruchtbares kulturelles Leben. Schon Ferdinand hatte sich mit Humanisten und italienischen Künstlern, mit einem Netzwerk progressiver und vor allem friedensbewegter Individuen umgeben, die zum engeren Kreis des neuen kaiserlichen Hofs in Wien gehörten. Aber Maximilian ging noch weiter. Unter dem Einfluss seines Hofpredigers Johann Sebastian Hauser wandte er sich zunehmend von den orthodoxen katholischen Lehren ab, während Kaspar von Niedruck ihm eine umfangreiche Bibliothek mit protestantischen Schriften zusammenstellte. Ebenso einflussreich war Jacob Acontius, der Sekretär des Kardinalbischofs von Trient, der, wie Pfauser, die Sakramente infrage stellte und tolerante Anschauungen pflegte. Schon bald fürchtete man in Rom die Möglichkeit einer protestantischen Erbfolge im Reich. Und nicht nur in Rom war man ängstlich. Natürlich wäre eine solche Erbfolge auch für Madrid und die katholischen Fürsten im Reich inakzeptabel gewesen. Für den zunehmenden Konflikt zwischen dem Kaiser und seinen Sohn war die Reaktion der protestantischen Höfe von entscheidender Bedeutung. 1560 schickte Maximilian seinen Kanzler, Nicholas von Warmsdorf, zu jenen protestantischen Höfen, die er seiner Politik für gewogen hielt, um sie zu bitten, ihn in einem Notfall zu unterstützen. 2 Aus Ehrerbietung dem Kaiser gegenüber, aber auch, weil sie jede mögliche Destabilisierung des Reichs oder gar die Zurücksetzung Maximilians zugunsten von Philipp II. von Spanien fürchteten, beschieden sie seine Bitte abschlägig. Um sein Erbe nicht zu gefährden, fügte sich Maximilian in die Entscheidung seines Vaters, Pfauser aus Wien zu verbannen. Nach weiteren Verhandlungen war er am 7. Februar 1562 dann auch bereit zu schwören, dass er die römische Kirche nicht verlassen werde. 3 Versüßt wurde ihm der Verzicht durch ein garantiertes Einkommen von jährlich 25.000 Gulden aus Pardobice in Böhmen sowie dadurch, dass Ferdinand einiges unternahm, um die Authentizität und Stärke der religiösen Überzeugungen seines Sohnes öffentlich anzuerkennen. Im Oktober 1561 ersuchte

28. Monarchen, Reichsbeamte und Stände nach dem Augsburger Friedensschluss

Ferdinand den Papst um einen Dispens, damit Maximilian das Abendmahl in beiderlei Gestalt empfangen könnte. Der Dispens wurde, wenngleich widerwillig, so doch gewährt. Maximilians religiöser Pragmatismus sicherte ihm die Thronfolge. Der Erzbischof von Mainz verdächtigte ihn der Heuchelei und der Kurfürst der Pfalz ging in Opposition, weil er hoffte, eine Vakanz auf dem Kaiserthron könnte zur Wahl eines Protestanten führen. Doch mehrheitlich blieben die Kurfürsten dem Kaiser und den Grundsätzen von 1555 gegenüber loyal. Die protestantischen Kurfürsten – die von Sachsen, Brandenburg und der Pfalz – wollten in die Wahlkapitulation einen formellen Protest gegen den Treueeid, den ein gewählter römischer König dem Papst und der katholischen Kirche leisten musste, aufgenommen haben, ließen sich aber schließlich davon überzeugen, dass es sinnvoll sei, die traditionelle Formel beizubehalten. Allerdings zogen sie sich bei diesem Teil der in Frankfurt stattfindenden Krönung in die Sakristei zurück, während die Vertreter Roms passenderweise zu weit entfernt saßen, um zu hören, was da geschworen wurde. Wichtiger war wohl der Ortswechsel der Krönung, die bislang in Aachen stattgefunden hatte. Der Tod des Erzbischofs von Köln, zu dessen Provinz die Reichsstadt Aachen gehörte und der normalerweise die Krönung vorgenommen hätte, bot eine glückliche Entschuldigung, um diese mittelalterliche Tradition fallen zu lassen. Der neue Erzbischof, Friedrich von Wied (1562–1567), nahm an der Wahl teil, bevor er geweiht worden war, was dem Erzbischof von Mainz, Erzkanzler Daniel Brendel von Homburg, erlaubte, bei Abwesenheit eines formell in sein Amt eingeführten Erzbischofs von Köln sein Recht zu beanspruchen und die Krönung vorzunehmen, die, wie er erklärte, ohne Vorgriff auf zukünftige Arrangements so schnell wie möglich durchgeführt werden sollte. 4 Als Grund wurden die hohen Kosten einer Verlegung nach Aachen angegeben, aber der strenge Katholizismus der Stadt wie auch ihre Lage am Rand des Reichs waren ebenso von Bedeutung. Frankfurt lag zentral und zugleich nahe den Territorien des Erzkanzlers. Zudem war Frankfurt in gewissem Sinn eine Stadt, die den Geist von 1555 beherbergte: Es gab dort eine protestantische Mehrheit, eine katholische Minderheit sowie Klöster und religiöse Stiftungen, deren Status quo durch jenen Religionsfrieden garantiert wurde, den zu bewahren Hauptziel der Kurfürsten war. 5 Ein paar Wochen vor der Krönung zum römischen König war Maximilian in Prag zum König von Böhmen gekrönt worden und ein Jahr später, 1563, empfing er die ungarische Krone. Den Papst hatten private schriftliche Mitteilungen über Maximilians religiöse Überzeugungen beruhigt, sodass auch er der Wahl in Deutschland zustimmen konnte. 6 Was immer für Zweifel in Deutschland an Maximilian geherrscht haben mögen, so wurden sie schnell zerstreut. Ferdinands Sohn blieb als Kaiser nach 1564 dem Friedensschluss von 1555 genauso treu, wie es sein Vater gewesen war. Auch

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er erstrebte das Ideal einer dauerhaften Versöhnung im Reich und blieb bis zuletzt ein dem Humanismus zugeneigter Verehrer von Melanchthon. Auf dem Totenbett verweigerte er die Annahme der Sterbesakramente. 7 Seine Kritik am Papsttum wurde von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Stände, mit Ausnahme der Kirchenfürsten, geteilt. Gerüchte rankten sich um seine Sympathie für die evangelische Sache, was die Protestanten ermutigte, während viele Katholiken seine Treuebekundungen zum alten Glauben bereitwillig akzeptierten. Selbst seine Einstellung gegenüber den spanischen Verwandten wurde durch die Aussicht, dass einer seiner Söhne Philipp II. auf dem Thron nachfolgen könnte, über Jahre – vom Tod Don Carlos’ 1568 bis zur Geburt des zukünftigen Philipp III. 1578 – besänftigt. 8 Trotz seiner häufig heftigen Auseinandersetzungen mit Philipp II., vor allem wegen der Niederlande und Italien, schickte Maximilian seine beiden älteren Söhne, Rudolf und Ernst, nach Madrid, wo sie von 1563 bis 1571 erzogen und ausgebildet wurden. Dennoch kann die Kontinuität der Herrschaftsverhältnisse nicht über eine grundlegende strukturelle Verschiebung hinwegtäuschen. In seinem Testament hatte Ferdinand I. eine Dreiteilung der Habsburger Lande vorgesehen: Maximilian bekam Böhmen, Ungarn sowie Ober- und Niederösterreich. Sein Bruder Ferdinand erbte Tirol und die Vorlande (Vorarlberg und die verstreuten Besitztümer bis hinüber zum Elsass), während für Karl die Steiermark, die Krain und Kärnten blieben. Ober- und Niederösterreich waren zwar weniger dicht bevölkert als Karls Territorien, aber wohlhabend und wegen ihrer Städte und mächtigen Adligen von einiger Bedeutung. Zudem erhielt Maximilian damit die Kontrolle über die Höfe von Linz und Wien. Zudem besaß er natürlich Böhmen, das mit seinen vier Millionen Einwohnern außerordentlich wohlhabend war, sowie Ungarn, das außerhalb des Reichs lag. Aber die neuen Höfe in Innsbruck (unter Erzherzog Ferdinand II.) und Graz (unter Erzherzog Karl II.) wurden bald Zentren der katholischen Erneuerung. Von ihnen gingen Bewegungen aus, die Maximilians Nachlässigkeit etwas entgegensetzten und schließlich zu der umfassenden konfessionellen Krise beitrugen, die die Habsburger Lande von den 1590er Jahren an erschütterte. Kurzfristig bedeutsamer war jedoch die Art, mit der die bloße Existenz dieser neuen Höfe und Verwaltungen Maximilians Reichspolitik behinderte. Plötzlich war Wien vom Reich relativ isoliert und der türkischen Gefahr ausgeliefert. Der Hof in Innsbruck blockierte die traditionellen Kommunikationswege, mittels derer Wien seinen Einfluss über Süddeutschland und Schwaben im Reich geltend gemacht hatte. Diese Netzwerke wurden nun von der Tiroler Linie benutzt, indem Ferdinand seine Herrschaft über die neuen Domänen konsolidierte und die tradierte Rolle des Habsburgers, der mit Bayern um die regionale Vorherrschaft konkurrierte, übernahm. 9 Auch der Grazer Hof schnitt Wien vom Süden ab. Das wiederum verstärkte die Beziehung zwischen Wien und Prag, die latent schon seit der An-

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nahme der böhmischen Krone 1526 existierte, nun aber die wirkliche Grundlage der monarchischen Reichsregierung bildete. Tatsächlich wurde jetzt – zum ersten Mal seit dem frühen 15. Jahrhundert – Prag statt Wien der Dreh- und Angelpunkt für den Zugang des Monarchen zum Reich. 10 Vor diesem Hintergrund stellte die Herrschaft Rudolfs II. eine Abwandlung des von Ferdinand I. und Maximilian II. gesetzten Beispiels und, wenngleich nicht von Anfang an, einen grundlegenden Wandel dar. Durch seine Erziehung in Spanien hatte er im Gegensatz zu seinem Vater ein positiveres Verhältnis zu den spanischen Habsburgern und zum Katholizismus im Allgemeinen gewonnen. 11 Dennoch wurde er bei seiner Rückkehr nacheinander zum König von Ungarn (1572), von Böhmen und schließlich zum römischen König (1575) gewählt. Im Alter von vierundzwanzig Jahren erhielt er die Kaiserkrone und seine Nachfolge vollzog sich so problemlos wie die seines Vaters. Auch unterschied sich seine Reichsinnenpolitik nur wenig von der seiner Vorgänger. In den ersten Jahren seiner Herrschaft verlegte er den Regierungssitz nach Prag, was ab 1583 zur Dauerlösung wurde. Bisweilen gilt das als erstes Anzeichen seines Rückzugs von der Welt, doch folgte er damit nur der territorialen Logik, die Ferdinands Teilung der Erblande innewohnte. 12 Rudolfs religiöse Überzeugungen indes unterschieden sich gründlich von denen seiner beiden Vorgänger. Ferdinand I. und besonders Maximilian II. waren durchdrungen von der Idee eines humanistischen Kompromisses à la Erasmus. Mag es im Rückblick auch unrealistisch wirken, so glaubten sie doch wahrhaft daran, dass irgendeine Art von Kirchenreform im Reich beide Seiten zufriedenstellen und sogar den Papst zur Zustimmung bewegen könnte. Waren Ferdinand und Maximilian in diesem Sinn deutsche Christen, so war Rudolf eher katholisch. 13 Das bedeutete nicht notwendig Treue zum Papst oder gar zu den Ritualen der katholischen Kirche. Dem Papsttum stand er, im Gegensatz zum Katholizismus, ohnehin feindselig gegenüber und in zunehmendem Maß wurde seine Haltung zur kirchlichen Hierarchie direkt antiklerikal. Er nahm nur noch unregelmäßig am Gottesdienst teil und scheint nach 1600 die Sakramente nicht mehr empfangen zu haben. Seine Religiosität entwickelte sich unter dem Einfluss der in Böhmen vorherrschenden Religionsvielfalt in unterschiedliche Richtungen und am Hof zu Prag umgab er sich mit einer eklektischen Mixtur aus südeuropäischen (zumeist italienischen) Humanisten, katholischen Sektierern und westeuropäischen (hauptsächlich protestantischen) Flüchtlingen. Im Allgemeinen lehnte er die dogmatischen Beschränkungen beider Konfessionen ab und blieb der Idee einer universellen Mission verpflichtet, die auf die Förderung eines »dritten Weges« zielte, der den augenblicklichen Konflikt überwinden und die Christenheit wiedervereinigen würde. Damit wird es schwierig, Rudolfs Herrschaftsbeginn als Start einer kaiserlichen Gegenreformation zu begreifen. Päpstliche Botschafter beklagten sich wie-

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derholt über Rudolfs Zurückhaltung, wenn es um die Förderung der katholischen Sache ging, was sie gängigerweise als Versagen der imperialen Regierung und Symptom für den Zerfall des Reichs verstanden. 14 Rudolf teilte jedenfalls nicht den gegenreformatorischen Eifer seiner Onkel in Innsbruck und Graz. In seinen eigenen Territorien war es Rudolfs Bruder Ernst, der als Statthalter die Wiederbelebung des Katholizismus regierungsseitig förderte, die 1580 ganz eigenständig von Melchior Khlesl (* 1552, † 1630) als Generalvikar des Bischofs von Passau (nach 1581 offiziell Generalvikar von Niederösterreich) begonnen worden war. 15 In Böhmen führten die päpstlichen Botschafter ihr eigenes Erneuerungsprogramm gemäß den Beschlüssen des Konzils von Trient aus, wobei sie häufig behindert wurden, weil Rudolf zögerte, entschlossen gegen nichtkatholische Individuen und Gruppierungen vorzugehen. Im Wesentlichen war Rudolfs Reichspolitik zumindest bis nach 1600 nicht anders als die von Maximilian II. betriebene. Und sogar danach beschäftigte er weiterhin Protestanten wie den jungen Christian von Anhalt oder Graf Simon VI. zur Lippe als Hofbeamte und suchte bei entscheidenden Problemen den Rat von Protestanten wie Zacharias Geizkofler (* 1560, † 1617). 16 Rudolf wurde ob seiner Unentschlossenheit kritisiert, doch war das nichts weiter als umsichtige Politik, denn wollte man nach Karl V. erfolgreiche Reichspolitik betreiben, so durfte man nicht übermäßig bestimmend oder gar unbesonnen sein. Doch ließ sich diese Haltung kaum noch aufrechterhalten, als mit den späten 1580er Jahren nicht nur die konfessionellen Spannungen im Reich zunahmen, sondern auch die internationale Lage unberechenbarer wurde. Und schließlich unterlag Rudolfs Haltung derselben grundlegenden Einschränkung wie die von Ferdinand und Maximilian. Einer konsequent machtpolitischen Linie zu folgen, hätte bedeutet, die Bindungen zwischen Krone und Religion zu lösen, ein Schritt, zu dem kein Habsburger bereit war. Die Meinungen und Überzeugungen der Monarchen wurden durch andere Kontinuitätslinien widergespiegelt wie auch verstärkt. Der kaiserliche Hof, zuerst in Wien und später in Prag, wurde von Persönlichkeiten mit überwiegend auf Versöhnung ausgerichteten religiösen Ansichten beherrscht. Da gab es zum Beispiel Lazarus von Schwendi, ein lutherischer Protestant aus Württemberg, der im Schmalkaldischen Krieg an der Seite Karls V. kämpfte und bis 1552 für dessen Politik eintrat. 17 Dann konvertierte er zum Katholizismus und diente Karl und danach Philipp II. bis 1561. Zunehmend war er davon überzeugt, dass Habsburg in den Niederlanden und in Deutschland die Kompromissbereitschaft zur Grundlage der Regierungspolitik machen müsse.Vor allem aber zog er daraus den Schluss, dass Karl die Stärke des deutschen Patriotismus auf beiden Seiten der konfessionellen Wasserscheide nicht begriffen habe. Bis zu seinem Tod 1584 riet Schwendi am Hof der österreichischen Habsburger unermüdlich dazu, den »Mittelweg« zu beschreiten. In Essays, die er nach den Ereignissen der Bartholomäusnacht ge-

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schrieben und 1574 und 1576 an Maximilian geschickt hatte, plädierte er mit großem Nachdruck für religiöse Toleranz und die Pflicht der weltlichen Regierung, Frieden und Eintracht zu bewahren. Als Architekt, Baumeister und Kunstsammler war Jacopo (de) Strada (* 1507, † 1588), ein Adliger aus Mantua, ab 1556 eine Persönlichkeit von Einfluss. 18 Auch Johannes Crato (* 1519, † 1585), Schüler Melanchthons und Arzt aus Breslau, diente unter allen drei Kaisern nach 1555. Er milderte den Einfluss der katholischen Hofprediger, erhob seine Stimme, um zu vermitteln, und trat für die Belange der protestantischen Stände im Reich ein. Erstaunlicher noch ist die Geschichte des holländischen Calvinisten Hugo Blotius (* 1533, † 1608), dessen Reform der kaiserlichen Bibliothek nach 1575 in irenischem Sinn durchgeführt wurde und die Jesuiten verärgerte. Dass am Habsburger Hof ein Calvinist mit Verbindungen zu einer spiritualistischen holländischen Sekte ›Haus der Liebe‹ (Huys der Liefde) und zu Justus Lipsius sowie anderen Befürwortern stoischer Verstellungskunst wirken konnte, beweist den außergewöhnlichen Charakter des Hofs zu dieser Zeit. 19 Natürlich konnte »Verstellung« einfach bedeuten, dass man seine religiösen Überzeugungen verbarg. Die Auseinandersetzungen um die Religion von Ferdinand I., Maximilian II. und Rudolf II. reflektieren vielleicht, inwieweit sie alle die konfessionelle Ambivalenz ihrer führenden Hofbeamten teilten und ihre persönlichen Überzeugungen für sich behielten. Andererseits folgte aus der religiösen Kultur am Hof eine Reichspolitik, die für die Bewahrung des Friedensschlusses von 1555 ideal geeignet war. An dieser Bewahrung arbeiteten auch noch zwei weitere Gruppen. Das 1559 geschaffene Amt des Reichsvizekanzlers (mit der förmlichen Einrichtung der Reichshofkanzlei) war eine wichtige Verbindung zwischen dem Monarchen und den Ständen. 20 Die ersten Amtsinhaber, Georg Sigismund Seld (bis 1565), Johann Ulrich Zasius (bis 1570), Johannes Weber (bis 1576) und Sigmund Vieheuser (bis 1587), waren höchst erfahrene Beamte und vor allem unbeugsame Vertreter des Status quo. Seld und Zasius zum Beispiel waren loyale Katholiken, standen dem Papsttum aber sehr kritisch gegenüber. 21 Als Seld auf der unverminderten Gültigkeit der Dekrete bestand, die auf den Konzilen von Konstanz und Basel beschlossen worden waren, und dem Konzil (also den deutschen Bischöfen) den Vorrang gegenüber den Päpsten einräumte, gab er nur die Auffassungen von Ferdinand und seines Zirkels von Beratern und Beamten wieder. Zasius beurteilte Paul IV. schroff als »alter, irriger, läppischer Papst«. 22 Die wirksame Arbeit der Reichshofkanzlei unter diesen Personen sorgte für die Ausbreitung des Kompromissdenkens bei den Reichsbeamten sowie bei den territorialen Fürsten und Beratern, mit denen sie es zu tun hatten. Auch die Fürsten waren am Zustandekommen der Konstellation von 1555 be-

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teiligt gewesen. In der Opposition gegen Karls »spanische« Monarchie entstand eine machtvolle Friedenskoalition, deren ausgedehntes Netzwerk die Vereinbarungen von 1555 mittrug. Für kurze Zeit schuf der 1553 von der Pfalz, Mainz, Trier, Württemberg, Bayern und Jülich-Kleve-Berg gegründete Heidelberger Bund Kommunikationsmöglichkeiten. 23 Auch Ferdinand schloss sich diesem Bund an, schaffte es aber nicht, ihn zum Nachfolger des dahingeschiedenen Schwäbischen Bundes auszubauen, denn es handelte sich im Wesentlichen um einen Bund der Stände zur Verhinderung von Karls Plänen für die Nachfolgeregelung im Reich. Insofern konnte er nicht einfach zu einem Instrument der Reichsregierung umgeformt werden. Nach 1555 unterstützten die meisten Mitglieder dieses Bundes die neue Politik von Maximilian, während die Pfalz eine auf größere Aktivität zielende politische Agenda entwickelte, wodurch der Bund seine Daseinsberechtigung verlor und sich im September 1556 auflöste. 24 Unterdessen hatte Ferdinand im Juni 1556 mit Bayern und Salzburg zusammen den Landsberger Bund gegründet, den er zu einem überkonfessionellen, der Bewahrung von Frieden und Stabilität in Mittel- und Süddeutschland verpflichteten Bündnis ausweiten wollte. 25 Schon bald schlossen sich Bamberg, Würzburg und das protestantische Nürnberg an. Württemberg und die Pfalz verweigerten sich, weil sie befürchteten, dass die Mitgliedschaft die Vollendung der Reformation in ihren Territorien behindern könnte. Obwohl sie gegenüber dem Landsberger Bund ähnlich eingestellt waren, sollten sie bald auf völlig unterschiedlichen Pfaden wandeln. Erst recht spät hatte die Pfalz – unter Friedrich II. (1544–1556) und Ottheinrich (1556–1559) – die lutherisch orientierte Reformation durchgeführt, bevor es unter Friedrich III. (1559–1576) eine Wendung zum Calvinismus gab, die die Reichspolitik der Pfalz radikal veränderte. Dagegen blieb Württemberg ein wertvoller Verbündeter der Krone und Herzog Christoph (1550–1568) gehörte bald zu den unnachgiebigsten Gegnern der pfälzischen Politik. Dabei stand der Wunsch nach kaiserlicher Befürwortung des Reformationsprozesses oder zumindest nach kaiserlichem Schutz vor gerichtlicher Intervention im Vordergrund. Auch sollten die lutherischen Kirchenstrukturen in Württemberg vor den Entwicklungen in der Pfalz, die vom calvinistischen Mainstream wie auch von den Restströmungen des oberdeutschen Zwinglianismus geprägt waren, geschützt werden. Zudem konnte der Herzog von Württemberg keinesfalls eine so unabhängige Haltung einnehmen wie der Kurfürst der Pfalz. Er war ein Fürst des Reichs, während Württemberg noch ein Lehen der Habsburger, nicht aber des Monarchen war. Unter der Bedingung, diese Anomalie anzuerkennen, war das Herzogtum 1534 an Herzog Ulrich zurückerstattet worden und so beruhte die Württemberger Loyalität zumindest teilweise auf der Hoffnung, dass das Land die einstige Reichsunmittelbarkeit als Belohnung wiederbekommen würde. 26

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Dennoch wurde der Landsberger Bund nicht einfach ein katholisches Bündnis. Nürnberg blieb Mitglied und weder Ferdinand noch die anderen Mitglieder wollten den überkonfessionellen Charakter anheimgeben. Allerdings versuchte Bayern, den Bund für die Verfolgung eigener Ziele auszunutzen. Herzog Albrecht V. hätte seinen Söhnen gern das nördliche Rheinland und westfälische Bistümer gesichert, weshalb er 1569–1570 vorschlug, den Herzog von Alba in den Bund aufzunehmen. Außerdem wollte er den Kurfürsten von Sachsen und andere Protestanten als Mitglieder gewinnen, um, insbesondere in der Pfalz, einem protestantischen Gegenschlag zuvorzukommen. Allerdings wollten weder die Protestanten noch die bereits dem Bund angehörenden Katholiken mit spanischer Politik in nähere Berührung kommen. Ebenso bedeutsam war die Erneuerung eines eher traditionellen Netzwerks im Norden des Reichs. Dort lag die Initiative bei Kursachsen und der albertinischen Linie, die das Kurfürstentum von den in Ungnade gefallenen Ernestinern 1547 übernommen hatte und nun den Anspruch auf den Titel zu konsolidieren suchte. 27 1553 hatte Kurfürst Moritz den Herzog Johann Friedrich I. (den »Großmütigen«) dazu bewegen können, mit ihm die Erbverbrüderung zwischen Brandenburg, Hessen und den beiden sächsischen Dynastien zu erneuern. Das wurde von Moritz’ Nachfolger, Kurfürst August I., bei einem Treffen im März 1555 in Naumburg fortgesetzt, wo die traditionellen gegenseitigen Verpflichtungen zur Bewahrung regionaler Sicherheit durch eine Verständigung über die bei einem religiös-politischen Abkommen zu berücksichtigenden Ziele ergänzt wurden. 28 Da August eine Annäherung zwischen dem ernestinischen Herzog und Ferdinand I. fürchtete, vollzog er 1557 den entscheidenden Schritt und erneuerte die ›Erbeinigung‹, das alte Bündnis zwischen Sachsen und der böhmischen Krone. Zugleich wollte er sich das Einverständnis des Monarchen bei seinem Vorhaben der Säkularisierung und der Integration der Bistümer Meißen, Merseburg und Naumburg sichern. 29 Das Bündnis zwischen Kursachsen und der Krone blieb bis zu Augusts Tod 1586 bestehen. Seine Führung der protestantischen Stände gehörte zu den wirkungsvollsten Stabilisierungskräften im Reich nach 1555. Die parallele Existenz zweier Netzwerke umfasste natürlich nicht alle Fürsten, die die neue Regierungspolitik unterstützten. Am Niederrhein verfolgte Ferdinands Schwiegersohn, Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg, eine friedensorientierte Politik in seinen Landen und unterstützte Ferdinand wie auch Maximilian. 30 Das änderte sich erst nach 1567, als den Herzog eine langwierige geistige Erkrankung befiel und die Stabilität des Herzogtums zudem durch den Konflikt in den benachbarten Niederlanden bedroht wurde. Schon bald erwies sich eine wirksame Regierungspolitik als unmöglich, die Ausbreitung der Reformation kam ins Stocken, katholische Berater gewannen an Einfluss und die Kräfte der Gegenrefor-

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mation machten Boden gut. So spielte denn Jülich-Kleve-Berg in der Reichspolitik bald keine aktive Rolle mehr. Andere Territorien, die weder von dynastischen Problemen noch von den Auswirkungen nachbarlicher Konflikte belastet waren, konnten unbeirrt einen loyalen Kurs steuern. Holstein, Mecklenburg und Pommern unterstützten den Friedensschluss von 1555. Und in jedem Fall verband sich, wie bei Kursachsen, die Treue zur Krone passenderweise mit der Absicht, ein benachbartes Bistum zu übernehmen. Im Hinblick auf das Haus Braunschweig war die Lage komplizierter; dort gab es vier Hauptlinien, zwei katholische und zwei protestantische. Jede hatte ihre eigenen Schwierigkeiten, die eine Loyalität in größerem oder geringerem Ausmaß hervorriefen. Erst nach 1568 wurden die protestantischen Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel, Julius (1568–1589) und Heinrich Julius (1589–1613), wahrhaft enthusiastische Unterstützer einer Politik der via media im Reich. 31 Der 1558 erneuerte Kurverein war der letzte und dauerhafteste in einer Reihe partieller und allgemeiner Kurvereine seit dem 14. Jahrhundert. 32 Wie seine Vorgänger bildete sich dieser während der Vorverhandlungen zu einer Kaiserwahl und sein Ziel bestand darin, die »Vorrangschaft« der Kurfürsten im Reich zu wahren. Vor allem bestätigten die Kurfürsten die Gültigkeit der Goldenen Bulle und des Religionsfriedens und beschlossen, gemeinsam zu handeln, wenn einer von ihnen angegriffen werden oder Unruhe im Reich ausbrechen sollte. Noch einmal erhoben sie ganz offen den Anspruch auf aktive Beteiligung an der Regierungspolitik im Reich, was Ferdinand sofort anerkannte. Zudem schien die Tatsache, dass bei den sechs nichthabsburgischen Kurfürsten (der böhmische Kurfürst wurde von den Habsburgern nur bei Wahlen zum König oder Kaiser ins Spiel gebracht) das Verhältnis zwischen Katholiken (Mainz, Trier, Köln) und Protestanten (Sachsen, Brandenburg, Pfalz) nach 1555 ausgewogen war, ganz zufällig die Ansprüche der Kurfürsten, das Reich insgesamt zu repräsentieren, zu bestätigen. Trotz der Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, dass die Pfalz zum reformierten Glauben überging, bildete der Kurverein ein weiteres, höchst einflussreiches regionales Netzwerk, das die Stabilität des Reichs nach 1555 förderte. In diesem Zusammenhang sollte man auch noch eine weitere Art von Bündnissen erwähnen, nämlich Korporationen von Adligen und Reichsstädten, die nach 1555 entweder erneuert oder neu gegründet wurden. Diese Bündnisse verstärkten bereits existierende regionale Netzwerke oder schufen neue und erfüllten, sei es durch Repräsentation im Reichstag oder durch eine besondere Verbindung mit der Krone, eine direkt auf die Verfassung bezogene Funktion. Für die minder-mächtigen Stände waren solche Bündnisse ein wichtiges Mittel zur Verteidigung ihrer Rechte und ihres Überlebens gegen die Fürsten der größeren Territorien. Die Reichsstädte, deren Solidarität durch die religiösen Konflikte hart auf die Probe gestellt worden war, mussten sich nach 1555 mit einer unsicherer gewor-

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denen Lage abfinden, aber ihr Kommunikationssystem war noch voll funktionsfähig. 33 Der Reichsstädtebund traf sich alle zwei Jahre, um über politische und andere Probleme zu beraten, und es gelang ihm bis in die 1580er Jahre, religiöse Themen zu vermeiden. Allerdings erlangte er keinen größeren politischen Einfluss. Das Städtekollegium im Reichstag erreichte erst 1582 im Gesetzgebungsprozess den gleichen Status wie das Kurfürsten- und das Fürstenkollegium (das votum decisivum als Gegensatz zum geringerwertigen votum consultativum, das sie seit 1548 besaßen). Zudem konnten sich die Städte deshalb weniger durchsetzen, weil sie nur zwei kollektive Stimmen – die schwäbische Bank und die rheinische Bank – besaßen, sodass in der Praxis die Kollegien der Kurfürsten und Fürsten weiterhin den Ton angaben. Allerdings wurden Nürnberg und Köln nach 1555 permanente Mitglieder der Reichsdeputation. 34 Versuche der Hanse, sich mit den Reichsstädten zu verbünden, schlugen fehl und dieses regionale Bündnis von 63 Städten schrumpfte in dem Maß, in dem viele der kleineren Mitglieder Opfer territorialer Expansion wurden. 1614 waren nur noch vierzehn Mitglieder übrig geblieben, von denen letztlich nur Hamburg, Bremen und Lübeck ihre Unabhängigkeit bewahrten. 35 Im Gegensatz dazu nahmen die Vertretungen der Reichsgrafen, die sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelt hatten, nach 1555 einen formelleren und stärker zweckgerichteten Charakter an. 36 1521 umfasste die Gruppe der Reichsgrafen 143 Familien, die in sogenannten Grafenbänken oder Reichsgrafenkollegien organisiert waren. Die Grafen aus Schwaben und der Wetterau hatten jeweils eine kollektive Stimme im Fürstenkollegium des Reichstags, die »Kuriatsstimme«. 1555 wurde je ein Repräsentant zum permanenten Mitglied der Reichsdeputation bestimmt. Die Grafen aus Franken sowie dem Niederrhein und Westfalen erhielten erst 1640–1641 bzw. 1653–1654 eine Stimme im Reichstag und waren bis dahin den Kollegien Wetterau und Schwaben angegliedert. Die Kuriatsstimme verschaffte ihnen keinen großen politischen Einfluss, verstärkte aber den Zusammenhalt, weil die Notwendigkeit, ihrem Vertreter klare Anweisungen zu geben, bessere interne Kommunikation und Koordination erforderte. Die schwäbischen Grafen blieben in ihrer Politik traditionell der Krone treu, während die Wetterauer Grafen eine gewisse Unabhängigkeit anstrebten. Nach 1555 verstärkte sich dies Bestreben durch ihre Unterstützung Wilhelms von Oranien ebenso wie durch den Übertritt vieler Mitglieder zum reformierten Glauben. Das brachte sie politisch in Bedrängnis, sodass sie 1566 ein Direktorium ernennen und eine gemeinsame Verwaltung für »außenpolitische« Angelegenheiten einrichten mussten. Indem sie die Aktivitäten konzentrierten, konnten sie ihre gemeinsamen Interessen im Reich wirksamer verfolgen und einzelne Grafen, die von mächtigen Nachbarn bedroht wurden, verteidigen. 37 Eine vergleichbare Entwicklung gab es bei den Reichsrittern. 38 Sie waren nie

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im Reichstag vertreten und ihre Verbände entwickelten sich aus der Notwendigkeit, Reichssteuern, vor allem die Türkensteuer, von sich aus zu zahlen, statt dass ein benachbarter Fürst ihnen Abgaben abverlangte, was ihre Unabhängigkeit beeinträchtigt hätte. Um 1550 waren die etwa 350 Familien in 15 lokalen Verbänden – Ritterorten, später Ritterkantonen – organisiert. 39 Diese wiederum bildeten in Franken, Schwaben und dem Rheinland drei regionale Verbände, die »Ritterkreise«, die sich ab 1575 regelmäßig zu Generalkorrespondenztagen trafen. 1577 gaben sie sich eine Verfassung, das Corpus liberae et immediatae imperii nobilitatis. Der Plan, eine permanente Exekutive, das »Generaldirektorium«, einzurichten, zerschlug sich jedoch. 40 Ziel dieser Organisationen war es zum einen, Steuern aufzubringen (deren Titel – subsidium charitativum – den freiwilligen, spontanen und umstandsbedingten Charakter der Zuwendungen unterstrich) und den Schutz der Krone für die Ritterschaft zu sichern. Nachdem dieses Ziel durch die Gewährung von Privilegien 1559, 1561 und 1566 erreicht worden war, gab es keinen Anreiz mehr, die Organisationsstruktur aufrechtzuerhalten. Aber die Netzwerke blieben, wenngleich unvollständig, in Funktion, sodass gemeinsame Interessen und eine gewisse Einheitlichkeit bei der Verwaltung von Territorien erhalten blieben. Außerdem wurden die Verbindungen mit der Krone durch Rekrutierung ziviler und militärischer Würdenträger aus den Rängen der Ritterschaft sowie durch ihre gemeinsamen Interessen an der deutschen Kirche und ihren vielen Pfründen verstärkt. Nicht überraschen kann die Tatsache, dass Prälaten, Äbte, Äbtissinnen und andere geistliche Würdenträger der Ränge unterhalb des Bischofs, die häufig aus Familien von Reichsgrafen und Reichsrittern stammten und reichsunmittelbare Ländereien besaßen, der Krone treu waren. 41 Die Reichsmatrikel von 1521 führt 83 solcher Würdenträger auf, die zumeist in Schwaben und im Rheinland beheimatet waren. Die schwäbischen Prälaten hatte im Schwäbischen Bund eine eigene Bank und nach dem Hinscheiden des Bundes 1534 war es nur natürlich, dass sie ihre Interessen auf vergleichbare Weise zu repräsentieren suchten. 1575 gab es ein Schwäbisches Reichsprälatenkollegium mit einem gewählten Leiter, der für die Kuriatsstimme im Reichstag einstand. Die anderen Prälaten, die meist aus dem Rheinland stammten, entwickelten eine ähnliche Organisation und verfügten auch über eine Kuriatsstimme, obwohl ihr Kollegium keinen so starken inneren Zusammenhang aufwies, weil es einfach alle Prälaten außerhalb von Schwaben vereinigte. Stellvertreter aller Prälaten in der Reichsdeputation nach 1555 war der Abt von Weingarten. 42 Wie die anderen Adelsgruppen zahlten auch die Prälaten Steuern, wobei das schwäbische Kollegium die Krone zudem noch durch substanzielle finanzielle Zuwendungen unterstützte, wozu umfangreiche Darlehen, Kreditgarantien und Laienpfründe für viele Mitglieder des kaiserlichen Hofs gehörten.

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Die Laienpfründe waren übrigens von Karl V. erfunden und von der Verwaltung den Prälaten aufgezwungen worden. 43 Das Schwäbische Prälatenkollegium wurde auch durch die enge Zusammenarbeit mit den habsburgischen Vorlanden (Vorderösterreich) gefördert, wodurch viele Prälaten im 18. Jahrhundert habsburgische Lehnsnehmer wurden. 44 Die Überfülle regionaler Verbände und Bünde erscheint als chaotisch und willkürlich. Doch gestattet sie einige allgemeine Folgerungen. Zum einen zeigt sich daran, wie einheitlich der deutsche Adel und die Reichstädte waren und blieben und auf welch vielfältige Weise sie mit der Krone und dem Reich verbunden waren. Natürlich hatte die religiöse Spaltung einige tradierte Solidaritätszusammenhänge zerstört. So waren zum Beispiel die Heiratskonventionen des Hochadels in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts insofern stark von konfessionellen Differenzen beeinflusst, als sich nun zwei Netzwerke entwickelten. Doch während grundlegende Status- und Verfassungsprobleme des Adels weiterhin ungelöst waren, blieb er in seiner Einheit der Krone treu. Zum anderen zeigt sich an den unterschiedlichen Verbänden, wie stark die Unterstützung für eine kompromissorientierte politische Lösung des Religionsproblems im Reich war. Das konnte sich durchaus mit bestimmten territorialen Bestrebungen verbinden, zum Beispiel mit der Vollendung der Reformation oder der Integration und Säkularisierung eines Bistums, oder auch mit dem Ziel, jüngeren Familienmitgliedern eine Kirchenpfründe oder gar eines der höchsten geistlichen Ämter zukommen zu lassen oder den Status quo einer Stadt oder eines Territoriums zu bewahren. Doch selbst wenn Idealismus und echter Glaube an das System nur von minimaler Bedeutung waren, lässt sich feststellen, dass für die überwiegende Mehrheit der deutschen Stände das Reich wertvoll und nützlich war. Kurfürst Johann Georg von Brandenburg meinte bei seinem Machtantritt 1571, es sei besser, das »alte bruchfällige Reichsgebeude« zu bewahren, als es zu zerschlagen. 45 Zu einer Zeit, als andere europäische Staaten durch religiöse Konflikte zerrissen wurden, war selbst dieser geringfügige Ausdruck von Unterstützung für den Status quo im Reich für das deutsche Gemeinwesen eine bedeutende Kraftquelle.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6

Louthan, Quest, 2, 3, 41, 85–87; Rudersdorf, »Maximilian II.«, 81–84; Mout, »Späthumanismus«, 46–58. Rudersdorf, »Maximilian II.«, 84. Fichtner, Maximilian II., 44. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 311. Rudersdorf, »Maximilian II.«, 87. Fichtner, Maximilian II., 48.

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Fichtner, Maximilian II., 48–49. Lanzinner, »Zeitalter«, 52–53. Press, »Vorderösterreich«, 24–26; Quarthal, »Vorderösterreich«, 41–42. Rudersdorf, »Maximilian II.«, 88–89. Evans, Rudolf II., 49. Evans, Rudolf II., 22–23. Evans, Rudolf II., 84–115.Vgl. auch Mout, »Späthumanismus«, 58–64. Evans, Rudolf II., 85–86; Koller, »Kaiserhof«. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 127–129. Schmidt, Grafenverein, 376. Louthan, Quest, 23, 112–120. Zum Folgenden vgl. Louthan, Quest, 24–105. Lipsius wurde später ein treuer »spanischer« Katholik. Gross, Reichshofkanzlei, 5–22, 97–99, 307–321. Ritter, Geschichte, Bd. I, 144–146. Ritter, Geschichte, Bd. I, 144. Rabe, Geschichte, 442–443. Zur Politik der Pfalz vgl. Clasen, Palatinate, 1–19; Wolgast, »Reichs- und Außenpolitik«. Endres, »Bund«; Göttmann, »Entstehung«; Lanzinner, »Bund«. Press, »Epochenjahr« und »Herzog Christoph«. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 19–24, und Bd. IV, 19–22. Rabe, Geschichte, 448. Ritter, Geschichte, Bd. 1, S. 124. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 93–101. Evans, Rudolf II., 7; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 18–36. Die unmittelbaren Vorgänger waren der Kurverein der rheinländischen Kurfürsten von 1519 (Pfalz, Trier, Mainz und Köln) sowie der allgemeine Kurverein von 1521. Die Vereinsartikel von 1558 blieben bis 1806 in Kraft. Gotthard, Säulen, Bd. I, 37–49. Schmidt, »Politische Bedeutung«, 191–194; Neuhaus, Reich, 34–36; Lanzinner, »Zeitalter«, 140. Vgl. S. 445–446. Lanzinner, »Zeitalter«, 140–141; Schmidt, »Städtetag, Städtehanse«, 47–49. Neuhaus, Reich, 32–33; Schmidt, »Politische Bedeutung«, 199–202. Schmidt, Grafenverein, 193–195. Vgl. S. 69–70, 268–278; Neuhaus, Reich, 36–37; Schmidt, »Politische Bedeutung«, 196– 197; Lanzinner, »Zeitalter«, 78–79; Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 202–204. Schweizer Terminologie. Der Ritterort Unterelsass gehörte nicht dem regionalen Ritterkreis an. Neuhaus, Reich, 30–31; Schmidt, »Politische Bedeutung«, 198–199. Vgl. S. 445–446. Dickel, Reservatrecht, 135–150. Schmidt, »Politische Bedeutung«, 198–199. Zeeden, »Zeitalter«, 141–142.

29. Verfassungsentwicklung nach 1555: Reichstag, Kreise, Gerichte, Gesetzgebung

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er Friedensschluss von 1555 hatte auch weitreichende Folgen für die Reichsverfassung. Einige Entwicklungen verstärkten die Integrationseffekte der im vorigen Kapitel geschilderten Bünde und Verbände. Sie spiegelten auch das Interesse der Stände an der Stabilisierung der institutionellen Struktur des Reichs durch die förmliche Festschreibung vieler Initiativen, die vor 1555 ad hoc in die Wege geleitet worden waren. In den Jahrzehnten nach dem Augsburger Frieden kam es zwischen den Ständen zu einer intensivierteren Zusammenarbeit und zu wichtigen Entwicklungen auf Kreis- und Reichsebene sowie in der Reichsjustiz. Zudem trug die Entwicklung der Tatsache Rechnung, dass die Krone das deutsche Reich nicht mehr als – wiewohl wichtigen – Bestandteil eines größeren Ganzen sah, wie es noch Karl V. getan hatte. Ferdinand I. und seine Nachfolger entwickelten ein Interesse an der Verwaltung des Reichs um seiner selbst willen. Die Binnenstruktur dieser verschiedenen Initiativen und ihre praxisbedingten Beschränkungen lassen erkennen, welche Fortschritte die Konsolidierung der Verfassung in diesem Zeitraum machen konnte. Der Augsburger Friede stärkte den Vorrangstatus des Reichstags in seiner Funktion als Organ von Repräsentation und Entscheidungsfindung. Im Gegensatz zu den unter Karl V. üblicherweise nur periodisch abgehaltenen Sitzungen führten Ferdinand I. und seine Nachfolger den Vorsitz bei regelmäßigen Treffen; zwischen 1556 und 1608 trat der Reichstag elfmal zusammen. Das Procedere, das sich vor 1555 entwickelt hatte, wurde nun zunehmend als verbindlich betrachtet. 1 Neu war nur, dass der Reichstag jetzt drei Sitzungen mit jeweils einem bestimmten Kollegium (oder Kurie) durchführte: mit dem der Kurfürsten, dem der Fürsten, dann dem der Reichsstädte. Jedes Kollegium beriet für sich und teilte so auch die Ergebnisse mit, die dann, wenn möglich, für die Veröffentlichung als Gesetz im Reichsabschied harmonisiert werden mussten. Mit dem Reichsabschied endeten die Sitzungen des Reichstags. Hauptzweck der Sitzungen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war die Erhebung von Steuern zum Ausbau der Verteidigung gegen die Türken. Nach 1576 war dies das alles beherrschende Thema. Anfänglich hatten die Stände zugesagt, Geldmittel vor allem für den Bau von Verteidigungsanlagen bereitzustellen, während sie zwischen 1593 und 1606 einen veritablen Krieg finanzierten. Diese Steuern wurden mit bemerkenswerter Bereitwilligkeit aufgebracht. Unter Karl V. hatte

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die oft mit beträchtlichen Schwierigkeiten und unter Einräumung umfassender politischer Zugeständnisse aufgebrachte Summe etwa 73,5 Römermonate betragen. 2 Zwischen 1556 und 1609 gewährte der Reichstag nicht weniger als 409 Römermonate mit einem Gesamtwert von 30 Millionen Gulden. Hinzu kam noch ein Sonderzuschuss im Jahr 1592 und eine Reihe von Zuschüssen durch die Kreise in den 1590er Jahren. 3 Und während die Praktiken der Eintreibung vor 1555 recht willkürlich waren, sodass manche Steuer zugesagt, aber nie eingetrieben wurde, erreichten stolze 88 Prozent von den zwischen 1576 und 1608 erhobenen Abgaben die kaiserlichen Schatztruhen. 4 Das heißt nicht, dass innenpolitisch die reine Harmonie gewaltet hätte. Die Sitzungen des Reichstags zeichneten sich durch lebendige und häufig sehr heftige Auseinandersetzungen aus, in denen es um Reichsreform, allgemeine Gesetzgebung und vor allem das Religionsproblem ging. Wie üblich, blieben viele Debatten ergebnislos und die tatsächlich resultierenden Entscheidungen und Verabschiedungen von Gesetzen waren wirkungsarm. Zudem wurden zunehmend von Protestanten wie auch Katholiken lange Listen mit Beschwerden – Gravamina – vorgetragen wie diskutiert und die kaiserlichen Steuerforderungen waren immer wieder umstritten. Zwar floss sehr viel Geld, aber das verdeckt die Tatsache, dass die Kurfürsten und Fürsten die am wenigsten verlässlichen Beitragszahler waren. Konfessionelle Differenzen waren zunächst nicht entscheidend. 1594 hinterließ der Protest von sieben protestantischen Ständen gegen ein Mehrheitsvotum zur Türkensteuer keinen großen Eindruck. Da der Protest nur von kleineren Ständen ausging (vor allem von Herzog Johann von Zweibrücken, der den geforderten Betrag einfach nicht aufbringen konnte), verwies Rudolf II. die Sache einfach an das Reichskammergericht. Nur die Beschwerde des katholischen Erzbischofs von Salzburg über die Höhe der vorgeschlagenen Steuer (1598) löste eine längere Auseinandersetzung über Verfahrensweisen aus, die zentrale politische Probleme berührten. 5 Der Erzbischof klagte, er bringe es nicht über sich, diese Steuer zu zahlen, da eine einfache numerische Mehrheit nicht bindend sein könne. Das Problem war seit dem späten 15. Jahrhundert wiederholt aufgetreten. Es hatte der »Protestation« von Speyer 1529 und vielen folgenden Vorgängen zugrunde gelegen, wenn immer eine Minderheit sich weigerte, der Mehrheit zu folgen. Nun rückte es in den Mittelpunkt einer Grundsatzdebatte über das Wesen des Reichs und seine Verfahrensweisen der Gesetzgebung. Schon bald fand der Protest des Erzbischofs seinen Widerhall bei einer Gruppe von Protestanten, die sich gegen eine von einer katholischen Mehrheit im Reichstag getroffenen Entscheidung wehrte. Sie bestanden darauf, dass sie von einer Mehrheitsentscheidung nur dann verpflichtet werden könnten, wenn die Existenz des Reichs selbst auf dem Spiel stehe. Der Kaiser und die katholische Mehrheit führten an, dass der Grundsatz des römischen Rechts – quod omnes tangit, ab

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omnibus debet approbari (was alle betrifft, dem müssen alle zustimmen) – durch die im Reich gebräuchlichen Verfahren ersetzt worden war. Grundlegend bei der Auseinandersetzung war das Gefühl einiger Protestanten, dass gewisse Umstände sich gegen ihr Recht auf Zustimmung verschworen hätten und eine tief greifende Umgestaltung des politischen Gemeinwesens drohe. Eine katholische Mehrheit im Reichstag und die Dringlichkeit des Vorgehens gegen die türkische Bedrohung, die die Protestanten keineswegs leugnen wollten, schienen das Gleichgewicht der Macht und ihre entscheidende Ausübung zugunsten des Monarchen zu verschieben. 6 Die Auseinandersetzungen um das Problem der Mehrheitsentscheidung wurden nach dem Friedensschluss mit der Hohen Pforte 1606 gravierender, denn nun waren die Protestanten nicht mehr durch ihre Unterstützung des Reichs gegen die Türken eingeschränkt. 1608 und 1613 wurde der Reichstag lahmgelegt und eine Lösung bot sich erst, als im Westfälischen Frieden die Grundsätze von Parität und gütlicher Einigung ausgearbeitet wurden. 7 Doch sollte die Tatsache, dass dieses Problem um 1600 auftauchte und die Arbeit des Reichstags überschattete, nicht darüber hinwegtäuschen, dass er bis dahin funktioniert hatte. Das Schicksal einer Konkurrenzinstitution um die Mitte des Jahrhunderts zeigt die Vor- und Nachteile des Reichstags als einer Regierungseinrichtung. Eines der wichtigsten Ergebnisse des Friedensschlusses von 1555 war die formelle Zuständigkeit der Kreise als der regionalen Organe für Friedenssicherung und die Ausführung der vom Reichstag beschlossenen Gesetze. Damit erfüllten die Kreise regierungsähnliche Funktionen. 8 Versammlungen von Kreisvertretern zur Koordinierung von friedenssichernden Initiativen hatte es seit etwa 1530 immer wieder gegeben. 9 Gegen Ende der 1540er Jahre hatte Karl V. Interesse an diesen Versammlungen gezeigt, weil sie effektiver und vor allem umgänglicher als der Reichstag zu sein schienen. Da sie statt Kollegien oder Kurien ein gemeinsames Forum bildeten, gab es hier nicht die Möglichkeit, dass einzelne Gruppen wie etwa die Kurfürsten oder die mächtigeren Fürsten aufgrund ihrer Sonderinteressen den Fortgang behinderten. Da Karls Plan zur Gründung eines kaiserlichen Bunds fehlschlug, wurden derlei Spekulationen nicht weiterverfolgt. Aber in den Kreisen hielt sich die Idee gemeinsamen Handelns und das Selbstverständnis als Alternative zum Reichstag, und sei es auch nur in Form einer Regierung für den Notfall. Das wurde deutlich, als Karls Manipulationsbestrebungen den Reichstag 1548 zeitweise diskreditierten und Fürstenaufstand sowie Nachfolgefrage den Kaiser dazu veranlassten, die erneute Einberufung zu verschieben. Die deutschen Stände sahen sich jedoch weiterhin der militärischen Bedrohung durch Markgraf Albrecht Alcibiades wie auch durch Frankreich ausgesetzt. Bevor ein neuer Reichstag einberufen wurde, fand 1554 in Frankfurt eine Generalversammlung der Kreise, ein »Reichskreistag«, statt,

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um Entscheidungen hinsichtlich der Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung im Reich zu treffen. Die Ergebnisse überraschten Ferdinand, der gerade mit Vorbereitungen zu einem Reichstag beschäftigt war, den zu leiten Karl ihm endlich die Autorität eingeräumt hatte. Die Kreise wollten nämlich ihre eigene militärische Organisation verbessern und die zentralen Institutionen des Reichs stärken. Die Kurfürsten sahen in diesem Vorstoß ganz richtig eine Gefährdung ihrer eigenen Rechte sowie Handlungsfreiheiten und begriffen schon die Verfahrensweise dieser »Generalversammlung« als Abwertung ihrer Vorrechte und verfassungsmäßigen Rolle. Im Reichstag bildeten sie ein eigenes Kollegium und ohne ihre Zustimmung konnte nichts entschieden werden. In einem Kreistag dagegen müssten sie ihre Macht mit anderen Kreisvertretern, vor allem mit denen der geringeren Stände, teilen. Folglich wirkten sie darauf hin, dass die Vorschläge der Kreisversammlung auf dem Reichstag zu Augsburg 1555 erneut verhandelt wurden, wobei im Endergebnis von einer erweiterten exekutiven Kompetenz der Kreistage nicht mehr die Rede war und jeder Verdacht einer Erweiterung oder Stärkung der kaiserlichen Macht abgewendet wurde. Die einzige weitere Generalversammlung der Kreise fand 1567 aufgrund der Nachwirkungen der »grumbachschen Händel« statt. Wilhelm von Grumbach hatte im vorangegangenen Jahrzehnt Gesetz und Ordnung ähnlich missachtet wie vor ihm Markgraf Albrecht Alcibiades. 10 Diesmal kam die Initiative allerdings vom Reichstag, der im Frühjahr 1567 in Regensburg tagte. Grumbach war vom sächsischen Kurfürsten gefangen genommen und am 18. April in Gotha hingerichtet worden; das einzig noch anstehende Problem war die anteilsmäßige Berechnung der Kosten dieser Operation. Geld auf- und einzutreiben war niemals einfach, aber Beiträge rückwirkend zu erheben, war besonders problematisch, auch weil hier und da befürchtet wurde, dass Grumbachs Verbündete seine Fehde fortsetzen könnten. So entschied der Reichstag, dass das zeitaufwendige Geschäft der Kostenverteilung auf die einzelnen Stände von einem Treffen der Kreise in Erfurt bewerkstelligt werden sollte. Aber aufgrund von Auseinandersetzungen über den Status des Treffens im Verhältnis zum Reichstag und über die Verfahrensweise blieb die Finanzierungsfrage unbeantwortet (wenngleich von anderen Komitees viel diskutiert) und wurde auf den Reichstag zu Speyer 1570 verschoben. Das Erfurter Treffen zeigte die innere Schwäche des Kreistags als Institution. Nur wenige Delegierte waren diszipliniert genug, ihren Kreis statt nur ihr eigenes Territorium zu vertreten, woraufhin viele, die nicht zugegen waren, sich beklagten, dass ihre Interessen vernachlässigt worden seien. Besonders entlarvend war auch der zeitaufwendige Kampf um die Vorrangschaft zwischen den Vertretern. Die Kurfürsten bestanden darauf, dass diejenigen Kreise, in denen ihre Territorien lagen (das betraf vor allem den Kurrheinischen Kreis mit Mainz, Trier, Köln und

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der Pfalz), Vorrang vor den anderen genießen sollten, auch vor dem Österreichischen Kreis der habsburgischen Erblande. Im Wesentlichen sprach daraus die tiefe Abneigung der Kurfürsten gegen solche Treffen, denn schon die Vorstellung, dass Kreisvertreter sich auf Augenhöhe als Vertreter von Regionen begegneten, war mit der verfassungsmäßigen »Vorrangstellung« der Kurfürsten nicht zu vereinbaren. Zugleich zeigten die Einwände der Kurfürsten auch, auf welche Weise solche Reichskreistage die Krone marginalisierten. Die Erinnerung an diese Probleme überschattete auch den letzten, 1590 stattfindenden Versuch, ein solches Treffen zu organisieren. 11 Die kurze Geschichte der Reichskreistage lässt den Gegensatz zum Reichstag deutlich werden. Dessen hauptsächliche Stärke lag darin, ein konkurrenzloses Forum für die Kommunikation zwischen den Ständen (in persönlicher Weise zum Beispiel zwischen den Fürsten, und quasidiplomatisch über Beamten und Agenten) sowie für die Repräsentation verfassungsmäßiger Beziehungen – etwa zwischen dem Monarchen und den Ständen, zwischen Kurfürsten und Fürsten sowie Reichsstädten – zu sein. Seine Schwäche lag indes in der Dominanz der eigennützigen Interessen, die die Vorrangordnung bewahrte und so verhinderte, dass der Reichstag sich zu einem echten Parlament oder zu einer vergleichbaren Institution im modernen Sinn entwickeln konnte. Der Reichstag blieb eine Versammlung individueller Stände oder, zunehmend in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ihrer Beamten oder Agenten. Das hatte grundlegende Auswirkungen auf die Entscheidungsfähigkeit des Reichstags, wie auch die periodisch wiederkehrenden Auseinandersetzungen über Stimmenmehrheiten zeigten. Eine Entscheidung von 1512 verfügte, dass ein Mehrheitsbeschluss auch von denen als bindend angesehen werden sollte, die nicht am Reichstag teilgenommen hatten, was aber nie als gültige Verfassungsdoktrin betrachtet wurde. Vielmehr verfuhr der Reichstag, wenn auch nicht explizit, zumeist (und am reibungslosesten) nach dem (bereits erwähnten) älteren Grundsatz Quod omnes tangit … Eben deshalb konnte er auch in so umfassender Weise Rahmengesetze beschließen, wie es 1555 geschah. 12 Was in Augsburg verabschiedet wurde, war so breit angelegt und insofern so vage oder detailvergessen, dass alle es als mit ihren jeweiligen Interessen vereinbar akzeptieren konnten. Diese Gesetzgebung schützte einerseits Recht und Vorrechte und war andererseits großzügig, was die konkrete Territorialpolitik betraf. Der Augsburger Friedensschluss war insofern ein Meilenstein, denn er verkörperte die positivsten Aspekte der legislativen Potenziale des Reichstags: Er garantierte die religiöse Freiheit der konfessionellen Stände beider Couleur und erkannte die religiöse Rechtsprechung dieser Stände im Hinblick auf ihr eigenes Territorium an. Aber mit den Details musste man sich auch noch auseinandersetzen: mit den Besonderheiten der Anwendung der Gesetze, der Beurteilung ihrer Anwendbarkeit

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bezüglich bestimmter Gebiete oder Fälle, der Überwachung ihrer Umsetzung. Zwei Arten von Komitees widmeten sich nach 1555 diesen Aufgaben. Die erste Art umfasste Kreiskomitees, die mit speziellen Themen betraut waren, 13 zum Beispiel mit der Ermäßigung der Matrikularbeiträge, die in der Reichsmatrikel von 1521 festgelegt worden waren. Diese »Moderationstage« fanden bis 1577 statt, danach gab es bis zum Ende des Reichs keine Änderungen mehr. 14 Dann gab es noch die Reichsmünztage, die zwischen 1549 und 1571 zusammentraten, um die Details der Reichsmünzordnungen von 1551 und 1559 vorzubereiten und auszuarbeiten, 15 und Justiztage, die 1557 und 1560 zusammentraten, um gemäß der neuen Reichsexekutionsordnung von 1555 Verfahrensregeln für das Reichskammergericht festzulegen und das Gericht mit geeignetem Personal zu besetzen. Ähnlich spezialisierte regionale Komitees trafen sich regelmäßig bis 1806, vor allem in den aktiveren rheinischen und süddeutschen Kreisen, wo es auch kreisübergreifende Treffen gab. 16 Eine zweite Art von Arbeitskomitee wurde durch die Reichsexekutionsordnung von 1555 institutionalisiert. Sie sah vor, dass der Kurfürst von Mainz einen Reichsdeputationstag nach Frankfurt einberufen konnte, wenn es einen Notfall gab, mit dem ein Bündnis aus bis zu fünf Kreisen nicht fertig wurde. Die Reichsdeputation bestand aus sechzehn Mitgliedern, die alle Kreise repräsentierten. 17 1559 wurden die sechzehn in der Exekutionsordnung aufgeführten Kreise als permanente Mitglieder bestätigt; 1570 kamen vier weitere dazu. Auf Druck seitens der Kurfürsten wurde 1564 vereinbart, dass die Reichsdeputation außer in dringenden Notfällen dem Reichstag unterstellt sein sollte. Darüber hinaus konnten die Kurfürsten festlegen, dass die Arbeit der Reichsdeputation in zwei Kollegien durchgeführt werden sollte, deren erstes aus den Kurfürsten und deren zweites aus den Vertretern aller anderen Stände bestehen würde. Tatsächlich trat die Reichsdeputation nur dreimal zusammen – 1564, 1569 und 1590 –, um sich mit jenen Krisen von Recht und Ordnung zu befassen, für die sie ursprünglich eingerichtet worden war. Schon bald musste sie sich auch mit Problemen des Münz- und Steuerwesens, mit der Überprüfung des Reichskammergerichts und mit der Policeyordnung beschäftigen, wozu sie bis 1600/01 sechsmal zusammengerufen wurde. Allerdings waren der Reichsdeputation Schranken gesetzt, sodass aus ihr keine Alternative zum Reichstag werden konnte. Aber sie arbeitete ihm auf wertvolle Weise zu und wurde von den Kurfürsten wegen ihres klar definierten untergeordneten Status und der hierarchischen Binnenstruktur akzeptiert. Als jedoch der Reichstag in der Verfassungskrise nach 1600 funktionsunfähig war, bedeutete dies das Ende für die Reichsdeputation. Nach 1600/01 wurden keine Treffen mehr anberaumt und die Institution konnte im politischen Gemeinwesen nach 1648 keine Rolle mehr spielen. Der Reichstag selbst tagte ab 1663 in Permanenz.

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Auch die Kreise bildeten keine Alternative zum Reichstag, entwickelten aber nach 1555 eine lebendige Unterstützungsfunktion. Neben ihren Pflichten zur Bewahrung des Landfriedens wurden sie zunehmend beauftragt, Regierungsfunktionen auf regionaler Ebene zu übernehmen. Zu den wichtigsten Punkten, die im Friedensschluss von 1555 festgelegt wurden, gehörte die Garantie der Rechte der einzelnen Stände. Auch wenn Mitglieder eines Kreises bestimmte Abgaben oder Steuern nicht zahlen wollten oder konnten, hatten die Behörden nicht die Möglichkeit, ohne ein Urteil des Reichskammergerichts Maßnahmen zu ergreifen. Überdies hatte die Krone bei der Verwaltung der Kreise kein Mitspracherecht. 18 Eine ihrer hauptsächlichen Aufgaben bestand darin, Dekrete des Reichstags oder Urteile des Reichskammergerichts umzusetzen, wobei hier wie dort die Krone beteiligt war. Die Kreise selbst waren jedoch Institutionen, die sich selbst verwalteten. Jeder Kreis hatte zwei Leiter, die sogenannten kreisausschreibenden Fürsten, von denen einer ein weltlicher Fürst, der andere ein Bischof war. Ferner gab es in jedem Kreis einen Kommandanten, den Kreishauptmann oder Kreisoberst (später im Rang eines Kreisfeldmarschalls), der von sechs weiteren Fürsten – den »zugeordneten Ständen« – unterstützt wurde, von denen einer als Stellvertreter fungierte. Sie trafen sich regelmäßig, um über militärische und policeyliche Angelegenheiten zu beraten; diese Treffen hießen »Zugeordnetentage« oder »Deputationstage«. 19 Die inneren Angelegenheiten wurden durch eine Versammlung aller seiner Mitglieder, den Kreistag, geregelt, bei dem alle unabhängig von Rang oder territorialer Größe gleichermaßen stimmberechtigt waren. Allerdings konnte jemand über mehr Stimmen verfügen, wenn er mehr als ein für die Abstimmung qualifizierendes Territorium besaß. 1564 und 1570 wurden am System Änderungen vorgenommen, die die Möglichkeit militärischer Zusammenarbeit zwischen den Kreisen verbesserten und dem Monarchen dabei eine gewisse Rolle zubilligten. Dennoch blieb die Selbstverwaltung unangetastet. Die Umsetzung allgemeiner Grundsätze in Regierungspraxis war, wie gewöhnlich, ein langwieriger Prozess. Wiederholte Ermahnungen seitens des Reichstags weisen darauf hin, dass selbst gegen Ende des 16. Jahrhunderts einige Kreise die Vorgaben der Exekutionsordnung von 1555 noch nicht umgesetzt hatten. 20 Andere dagegen, wie etwa der Bayrische Kreis, verfügten schon 1560 über ein vollständig funktionierendes System. 21 Die traditionelle Behauptung, dass das Kreissystem am besten oder gar überhaupt nur dort arbeitete, wo äußerste territoriale Zersplitterung herrschte oder wo es zumindest, wie in Franken und Schwaben, neben einigen größeren Fürstentümern viele kleine Einheiten gab, ist nicht länger haltbar. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war die Entwicklung eher einheitlich. Anfänglich wurde diese Entwicklung durch die Probleme vorangebracht, die Wilhelm von Grumbachs Umtriebe bereiteten. 22 Doch schon bald begannen einige

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Kreise, sich ernsthaft mit weiter gespannten Problematiken zu befassen. So bildeten zum Beispiel der Fränkische, Bayrische und Schwäbische Kreis 1564 eine Assoziation, um periodisch arbeitende Münzprüfkommissionen ins Leben zu rufen. Zudem beschlossen sie, zukünftig bei Fragen des Münzwesens zusammenzuarbeiten. 23 Die 1566 vom Reichstag verabschiedete Münzordnung, die territoriale Währungen zuließ, solange ihr Wert gegenüber dem der Reichsmünze stabil blieb, begünstigten solche Assoziationen zusätzlich. 24 Dass die Kreise niemals eine Art regionalen »Patriotismus« entwickelten, gilt vielfach als Zeichen für den aufs Praktische beschränkten Charakter dieser Institution, spiegelt aber auch deren Selbsteinschätzung als untergeordnete, regionale Organe des Reichs. 25 Die ursprüngliche und vorrangige Aufgabe der Kreise war militärischer Art. Insofern lag es nahe, dass sie in den Plänen einer umfassenden Reform der militärischen Organisation des Reichs nach 1555 eine Schlüsselrolle einnahmen. Auf die Notwendigkeit einer solchen Reform, um außen- wie innenpolitischen Herausforderungen begegnen zu können, war schon häufig hingewiesen worden, jedoch hatte die Gegnerschaft zur Etablierung einer starken Zentralautorität zur verbreiteten Neigung geführt, die Verantwortung für militärische Angelegenheiten auf die Kreise und damit die Territorien zu übertragen. Zwar wurde die Idee, dass der Monarch eine Art Oberkommandierender der Reichsarmee werden könnte, nach 1555 immer wieder einmal sorgsam erwogen, doch waren die Stände stets dagegen. Auch Lazarus von Schwendi (* 1522, † 1583), der 1570 einen umfassenden Plan für die Reform des Reichs und seines Militärsystems vorlegte, wollte die Position des Monarchen militärisch stärken. Schwendi hatte zunächst Karl V. gedient und war dann 1564 unter Maximilian II. Generalkapitän der deutschen Truppen in Ungarn gewesen. 26 Nach Abschluss eines Waffenstillstands mit den Türken 1568 zog er sich auf seine Güter im Südwesten Deutschlands zurück, wo er zwischen 1570 und 1576 für Maximilian drei umfangreiche Denkschriften verfasste. Schon 1547 hatte er die bei der Rekrutierung von Söldnern übliche Korruption angeprangert. 1566 drängte er Maximilian von seinem Winterquartier in Ungarn aus, alle deutschen Adligen ohne Ausnahme zum Militärdienst zu verpflichten und höchstselbst das Kommando eines deutschen Heeres gegen die Türken zu übernehmen. 27 1570 arbeitete Schwendi detaillierte Pläne für eine Militärreform aus, 28 wobei er eigene Erfahrungen ebenso verwerten konnte wie Ideen, die er in seinem umfangreichen Briefwechsel mit deutschen und französischen Humanisten entwickelt und aufgenommen hatte. Schwendi schwebte eine Nation von Patrioten in Waffen vor. Er verurteilte den Einsatz von Landsknechten und ausländischen Söldnern in Deutschland. Die »alten Deutschen«, argumentierte er, hätten eine Nation gebildet, in der jeder Waffen trug. Der Monarch sollte zum Oberbefehlshaber ernannt werden und zwei Fürsten ihm als Leutnants dienen. Die Offiziere

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waren aus dem deutschen Adel zu rekrutieren und das Heer insgesamt sollte nur aus Deutschen bestehen und strenger Disziplin unterworfen sein. Die militärische Infrastruktur müsse durch ein gut gefülltes Waffenarsenal, das in Straßburg oder anderenorts zu errichten sei, verbessert werden. Finanziert werde das Ganze durch eine von den Kreisen zu erhebende monatliche Abgabe. Eine solche Reform würde die Einheit der Deutschen fördern; sie wären dann fähig, sich zu verteidigen und eine beherrschende Rolle in Europa zu spielen, weil sie wirksam in den Niederlanden, Italien und im Baltikum eingreifen könnten. Schwendi hatte offenkundig ein anderes als das tatsächlich existierende Reich vor Augen. Der Reichstag wies seine Hauptvorschläge kurzerhand zurück. Die Stände einigten sich darauf, das Anwerben ausländischer Söldner im Reich ohne Erlaubnis des Monarchen zu verbieten, aber dieses Verbot blieb unwirksam. Sie stimmten auch für die Einführung verbindlicher disziplinarischer Regeln für Berittene und Infanteristen, um die selbstbestimmten Praktiken der Landsknechte, auf dessen Heere sich das Reich und die meisten Fürsten bislang verlassen hatten, zu ersetzen. Aber das geschah nur allmählich in dem Maß, in dem die Territorien im späten 16. und im 17. Jahrhundert reguläre Streitkräfte auszubilden begannen. 29 Neue Entwicklungen im Justizsystem wiesen schnellere Fortschritte auf. Mit dem Friedensschluss von 1555 wurde das Reichskammergericht erweitert und war nun auch für die Schlichtung von religiös motivierten Auseinandersetzungen zuständig. Zunehmend wurde das Gericht als verlässliches Justizorgan wahrgenommen, wofür auch die dramatisch anwachsende Anzahl neuer Fälle spricht. Zwischen 1495 und 1550 wurden etwa 9.000 Fälle vor Gericht gebracht, während es zwischen 1550 und 1594 mehr als 20.000 waren. 30 Der dadurch bedingte sehr viel höhere Arbeitsaufwand konnte nur durch weitere Richter bewerkstelligt werden, deren Anzahl bis 1570 von 16 auf 41 stieg. Doch wuchs der Rückstand, der sich schon um 1550 auf 9.000 Fälle belief, immer weiter an und damit auch die durchschnittliche Prozessdauer. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde für etwa die Hälfte aller neuen Fälle eine Dauer von sechs bis zwanzig Jahren bis zur Urteilsverkündung veranschlagt. Von den Fällen, die zwischen 1587 und 1589 angenommen wurden, dauerten, so fand eine Analyse heraus, elf Prozent zwanzig bis fünfzig Jahre, vier Prozent sogar mehr als ein Jahrhundert. 31 Und selbst wenn ein Urteil in Speyer ergangen war, gab es keine Garantie für seine angemessene Umsetzung. Trotz dauernder Beschwerden über Verzögerungen und die mangelnde Wirksamkeit der Urteile genoss das Gericht offenkundig großen Respekt. So gab es zum Beispiel zwischen 1559 und 1589 nur sieben Berufungen gegen seine Urteile.Viele Fälle wurden lange vor Prozessende außergerichtlich geklärt und es gibt Hinweise darauf, dass viele Streitigkeiten schon angesichts der bloßen Drohung eines Verfahrens beigelegt wurden. Zudem legte die Tatsache, dass ein Fall vor dem Gericht vielleicht über Jahrzehnte anhängig war, den involvierten Parteien Verpflichtun-

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gen auf, die ihre Beziehungen in der Zeit, da ihr Fall dem Gericht vorlag, stabilisierten und normalisierten. 32 Eine Analyse der vor Gericht gebrachten Fälle wirft auch einiges Licht auf den sich verändernden Charakter des Reichs. Zum ersten Mal kam eine beträchtliche Anzahl aus westlichen und nördlichen Gebieten, woraus ersichtlich wird, dass das Reich jetzt auch in jenen Regionen eine institutionelle Realität war, die bisher fern von der herkömmlichen kaiserlichen Machtsphäre gewesen waren. 33 Im Gegensatz dazu gab es keine Fälle mehr aus den burgundischen Landen (die, wie etwa die österreichischen Erblande, im Burgundischen Vertrag von 1548 der Jurisdiktion des Gerichts entzogen waren), aus den lothringischen Bistümern Metz, Toul und Verdun (von den protestantischen Fürsten 1551 illegalerweise Frankreich überlassen) und aus der Schweizer Eidgenossenschaft (die noch bis 1648 formell zum Reich gehörte). Insgesamt hing die reichsweite territoriale Verteilung der Fälle jetzt weniger von der Nähe oder Ferne zur Krone ab als vielmehr von Ausnahmeregelungen, die die Krone recht häufig Territorien und Reichsstädten bis zu einem gewissen Streitwert gewährte. Die Gewährung solcher Privilegien schränkte zweifellos Beschwerdemöglichkeiten in bestimmten Gebieten ein, was aber die breitere geografische Verteilung insgesamt nicht beeinflusste. 34 Das privilegium de non appellando gewährte nur selten die völlige Befreiung von der Jurisdiktion des Reichskammergerichts (obwohl die Goldene Bulle sie den Fürsten gewährt hatte) und selbst, wenn das geschah, blieben Beschwerden über den verweigerten Zugang zum Gericht davon unberührt. Ferner veränderte sich die soziale Herkunft derer, die Fälle vor Gericht brachten. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts waren es mehrheitlich in Besitzstreitigkeiten verwickelte Stadtbewohner, nach 1550 zumeist entweder Angehörige des Kleinadels, die sich über die Aufhebung ihrer Rechte durch Territorialfürsten beklagten (besonders nach 1575), oder Fürsten (insbesondere geistliche), die im Streit mit ihresgleichen lagen. Soziale Exklusivität gab es jedoch nicht. Das Gericht wurde häufig von Juden angerufen, die aufgrund von Eigentumsfragen Prozesse gegen territoriale oder städtische Behörden oder gegen Einzelpersonen anstrengten. 35 Zwischen 1587 und 1589 machten Klagen von Bauern gegen ihre Herrscher (im Allgemeinen wegen Steuern, der Erhöhung von Feudalabgaben oder der Aufhebung tradierter Rechte) etwa drei Prozent der neuen Fälle aus. 36 Solche Klagen scheinen in den 1590er Jahren häufiger geworden zu sein, denn wachsender sozialer und wirtschaftlicher Druck führte zu weitverbreiteten Bauernunruhen und -aufständen gegen den stärker werdenden Würgegriff territorialer Behörden. 37 Insgesamt trug das Reichskammergericht erheblich zur Befriedung und »Verrechtlichung« des Reichs nach 1555 bei. Die vorgebrachten Fälle spiegeln vollkommen die Spannungen, die mit der weiteren Konsolidierung der Territorien jedweder Größe im Lauf des Jahrhunderts einhergingen. Dieser Prozess wurde in beträcht-

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lichem Ausmaß durch die vom Reichstag beschlossenen Steuern vorangetrieben, die dann (oftmals mit einem erheblichen Aufschlag zugunsten des jeweiligen Regenten) an die Untertanen in Form von lokalen Steuern weitergereicht wurden. Neu war aber auch, dass man bei vielen Streitigkeiten den Klageweg beschritt, was zeigt, dass zunehmend mehr Einwohner im Reich darauf vertrauten, in rechtlich geschützten Umständen zu leben. Nun beschäftigte sich ein Gericht mit Streitigkeiten, die früher vielleicht durch Fehden oder Aufstände ausgetragen worden wären. Die heikelsten und zudem zahlenmäßig sich häufenden Fälle betrafen religiöse Angelegenheiten. In den 1530er Jahren waren alle diesbezüglichen Vorgänge wegen Unausgewogenheit des Gerichts ausgesetzt worden. Umso bemerkenswerter ist deshalb die Tatsache, dass es dem Gericht nun für einige Jahrzehnte gelang, einen neutralen Kurs zu steuern. 38 Obwohl die Reichsexekutionsordnung von 1555 die Richter nicht formell dazu verpflichtete, entschieden sie schon bald, dass alle Fälle religiösen Inhalts vor konfessionell paritätisch besetzten Kammern verhandelt werden sollten. Soweit das Abkommen von 1555 klare Richtlinien vorgegeben hatte, wurden diese auf unzweideutige Weise umgesetzt. Viele Fälle betrafen jedoch Probleme, die 1555 nicht klar definiert worden waren. Die Richter waren klug genug, sich bei »zweifelhaften Fällen« – sie sprachen von dubia – zurückzuhalten und richteten ab 1557 regelmäßig Petitionen an den Reichstag mit der Bitte um eine politische Lösung. Da nichts geschah, wurde das Gericht nach 1580 in zunehmend erregtere Auseinandersetzungen um die Bedingungen des Religionsfriedens hineingezogen. Manche Fälle wie etwa der berüchtigte »Vierklösterstreit« von 1598 führten zu spektakulären Argumentationen, die zweifellos zur Verfassungskrise des frühen 17. Jahrhunderts beitrugen. 39 Einige der umstrittensten Fälle betrafen das Recht von Untertanen, gemäß dem Friedensschluss von 1555 auszuwandern, wenn sie anderen Glaubens als ihr Regent waren. In einer erstaunlichen Anzahl von Fällen entschied das Gericht zugunsten der Untertanen. Zumeist jedoch war es sehr darum bemüht, seine Neutralität zu wahren und äußerte sich offen über Abstimmungspatts (para vota) bei Urteilen. Einige Mängel des Reichskammergerichts wurden durch den 1559 eingerichteten Reichshofrat behoben. 40 Eine Art Vorläufer war der Rat gewesen, den Ferdinand in den 1520er Jahren für die Erblande etabliert hatte und dessen Rechtsprechung nunmehr auf das Reich unter Einschluss Italiens ausgeweitet wurde. Im Gegensatz zum Reichskammergericht war es ein rein kaiserliches Gericht, dessen Personal aus bis zu zwanzig von der Krone berufenen Adligen und Juristen bestand, unter denen sich auch einige Protestanten befanden. Auf einer Ebene fungierte das Gericht als beratendes Organ, dessen Überlegungen an den Kronrat weitergeleitet wurden. Doch versah es auch Aufgaben eines Obersten Gerichtshofs,

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dessen Rechtsprechung mit der des Reichskammergerichts vergleichbar war, außer dass es exklusive Zuständigkeit in Lehnsangelegenheiten beanspruchte. Seine Urteile wurden vom Kronrat geprüft und dann dem Monarchen unterbreitet, der selten etwas daran änderte. An welches der beiden hohen Gerichte Individuen oder Gruppen sich wendeten, hing davon ab, wo sie sich die besten Ergebnisse erhofften; viele Kläger wurden bei beiden Gerichten vorstellig. Einige Bauern glaubten offensichtlich, dass eine Eingabe an den Reichshofrat ihnen gestatten würde, ihren Fall dem Monarchen persönlich vorzutragen. 41 Andere zogen den Reichshofrat einfach deshalb vor, weil er schneller arbeitete und seine Fälle meist nicht mit höchst zeitaufwendigen Verfahrensweisen verbunden waren. Der Reichshofrat setzte Kommissionen ein, um Beweismaterial zu sammeln und vor Ort zu vermitteln, was sich als populäre und wirksame Methode der Konfliktlösung erwies. 42 Die Berufung von führenden Fürsten zu Leitern dieser Kommissionen verbesserte die Chancen einer Konfliktlösung vor Ort noch weiter, während es der Krone die Einbeziehung von Fürsten in die Verwaltung des Reichs ermöglichte. Die ständige Verbindung zwischen Kommission und Reichshofrat verstärkte das Gefühl, am politischen und juristischen System gemeinsam beteiligt zu sein. Obwohl der Reichshofrat ein vorwiegend katholisch besetztes Gericht war, erwarb er sich auch bei Protestanten weitverbreitete Anerkennung. Zwar wurde der Rat nach 1590 häufig der konfessionellen Befangenheit bezichtigt, doch verdoppelte sich ungeachtet dessen zwischen 1580 und 1610 die Anzahl seiner Fälle.43 Es sieht auch so aus, als habe das Gericht von Anfang an nicht nur aus den alten Kerngebieten des Reichs, sondern ebenso aus Norddeutschland Fälle auf sich gezogen, was wiederum für die integrative Funktion des Rechtssystems spricht. 44 Der Reichshofrat war ein Instrument der Habsburger Regierung im Reich und zugleich ein oberster Gerichtshof. Dass er von den Ständen akzeptiert wurde, zeugt von dem Bedürfnis nach Frieden und einer kollektiven Bejahung des Reichs als Rechtsordnung nach 1555. Die Gesetzgebung für das Reich wurde vom Reichstag formuliert und verabschiedet, doch ihre Umsetzung hing von den Kreisen, den einzelnen Regenten und den Gerichten ab. Oft wird die legislative Aktivität des Reichs als unbedeutend und wirkungslos abgetan, doch damit verkennt man, auf welche Weise die vom Reichstag beschlossenen Gesetze als Rahmenrichtlinien für die besonderen Gegebenheiten eines Territoriums oder einer Stadt gedacht waren, wo sie konkret umgesetzt werden mussten. Sogar Fehlschläge konnten vergleichbare Wirkungen zeitigen. Ein Fürst konnte ein Reichsgesetz ablehnen, das dem Monarchen offenbar das Recht zur Intervention in das Territorium des Fürsten gab oder dessen Vorrechte oder Einkünfte beeinträchtigte, was jedoch nicht hieß, dass er dagegen war, selbst ein solches Gesetz zu verabschieden. Ob die Gesetzgebung des Reichs

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weniger wirksam als die nationale Gesetzgebung in anderen europäischen Staaten im 16. Jahrhundert war, ist eine offene Frage. Das Los von Gesetzen die Münzordnung betreffend, unterschiedliche Formen wirtschaftlicher Aktivität, Recht und Ordnung, Zensur und der kaiserliche Postdienst beleuchten die Probleme und Potenziale des Reichstags als legislatives Organ in dieser Epoche. Obwohl in manchen Kreisen nach 1555 etwas begann, was man als »Währungspolitik« bezeichnen könnte, schlugen alle Versuche einer »nationalen« Regelung fehl. 45 Um 1500 unterhielten die territorialen und städtischen Regierungen in Deutschland an die 600 Münzstätten und im Reich konkurrierten drei Hauptwährungssysteme miteinander: zum einen die großen Silbermünzen Habsburger und sächsischer Provenienz, zum anderen die in den Rheingegenden bevorzugten Goldgulden. Zum Dritten gab es an den Küsten von Nord- und Ostsee noch die alte Lübecker Mark und das flämische Pfund. 1524 wurde eine Münzordnung mit dem Ziel verabschiedet, eine gewisse Ordnung durch formelle Parität zwischen den wesentlichen Gold- und Silbermünzen herzustellen. Es entstand der »Reichsguldiner« in Gold und Silber, mit sechs geringerwertigen Silbermünzen bis hinunter zum »kleinen Gröschlein« im Wert vom 84. Teil des Guldiners. Zudem wurde eine umfangreiche Umrechnungstafel erstellt, um die neue Währung mit allen lokalen und regionalen Währungen kompatibel zu machen. Allerdings hatte diese Neuerung so gut wie keine Auswirkungen. Da der Reichsguldiner einen höheren Silbergehalt als der sächsische Taler besaß, hätten die Sachsen ihre Münzen runderneuern müssen, was sie jedoch ablehnten. Zudem nahm Karl V. 1525 sich und alle seine Nachfolger von jeglicher Münzgesetzgebung im Reich aus, wodurch auch die Habsburger Münzen mit geringerem Silbergehalt als rechtlich erforderlich prägen konnten. 46 De facto produzierten nur die Pfalz und die Markgrafen von Ansbach und Bayreuth aus dem Haus Hohenzollern begrenzte Mengen des neuen Reichsguldiners. Die Spannung zwischen den östlichen Territorien mit ihren Silberminen und dem Rheinland, wo Gold bevorzugt wurde, blieb erhalten. Außerdem konnte der Reichsguldiner den in Mittel- und Norddeutschland favorisierten sächsischen Taler nicht ersetzen. 1531 und 1549 fanden Zusammenkünfte statt, die jedoch das Währungschaos, das weithin als gravierendes Problem erkannt wurde, auch nicht im Ansatz beseitigen konnten. 1551 wurde eine neue Reichsmünzordnung erlassen, die jedoch lediglich die Anzahl unterschiedlicher Silbermünzen von sieben auf acht erhöhte und den österreichischen Kreuzer als Standardwährung einführte. Zugleich erkannte man wohl, dass Gesetze nicht notwendigerweise die Praxis veränderten, weshalb die Münzordnung die Weiterexistenz eines Guldens von vor 1525 als Rechnungseinheit (»Rechnungsgulden«) bestätigte, dessen Wert auf 60 Kreuzer festgelegt wurde, während der Silbergulden bei 72 Kreuzern lag. 47 Alle regionalen Systeme für kleinere Münzen wurden, wie auch alle ausländischen Währungen, die in Teilen

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des Reichs in Umlauf waren, ausdrücklich zugelassen, wozu wieder eine umfangreiche Umrechnungstabelle erforderlich war. Der leichtere sächsische Taler wurde auf 68 Kreuzer abgewertet, woraufhin die Sachsen sich weigerten, die Münzordnung anzuerkennen. 48 Nur sechs Jahre später war Philipp II. für eine weitere Komplikation verantwortlich, als er in seinen burgundischen Landen noch einen Taler einführte, obwohl das Reichsgesetz, das für dieses Territorium gültig war, dergleichen nicht vorsah. 49 1559 gab es eine weitere Reichsmünzordnung, die formell bis 1806 gültig blieb. Der Versuch, eine duale Währung beizubehalten, wurde aufgegeben und der Goldgulden auf den realistischeren Wert von 72 Kreuzern festgesetzt (zudem kam noch ein von Venedig über Ungarn eingereister Golddukat im Wert von 104 Kreuzern in begrenzten Umlauf). Der Silbergulden hatte nun einen Wert von 60 Kreuzern und wurde somit dem Rechnungsgulden, der bei Handelsgeschäften in Süddeutschland verwendet wurde, gleichgestellt. Zugleich wurden Versuche, den Taler durch Verbot zu unterdrücken, aufgegeben, sodass er nunmehr Eingang in die Umrechnungstabelle fand. 1566 wurde der Taler als Reservewährung im Reich mit einem Wert von 68 Kreuzern offiziell anerkannt. Nun konnten sich die großen Währungssysteme stabilisieren. Der Goldgulden verlor allmählich an Bedeutung, während Silbergulden und Reichstaler im Süden beziehungsweise Norden zur Leitwährung wurden. 1571 erkannte Sachsen die Reichsmünzordnung an; ebenso verfuhr Burgund, das den »Philippstaler« durch einen burgundischen Reichstaler ersetzte. 1573 jedoch erließ der Kaiser erneut eine Ausnahmeregelung für die habsburgischen Lande, die nun eine Vielzahl von Talern unterschiedlicher Werte in Umlauf brachten. Der Reichstag sah ein, dass eine zentrale Währungsordnung nicht zu erreichen sei, und 1571 verwies die Reichsdeputation die Verantwortung für Währungsangelegenheiten an drei Kreisassoziationen, die sich darüber verständigen sollten. 50 Auf sehr lange Sicht war dies eine Art Fortschritt, trug aber wenig zur Lösung der Hauptprobleme des Währungssystems nach 1550 bei. Zum einen nämlich galten für die (unregulierten) kleineren regionalen Währungen relativ hohe Standards, und das zu einer Zeit, als der Silberbergbau in Mitteleuropa bei steigenden Silberpreisen im Niedergang begriffen war. Und zum anderen stieg die Geldmenge unabhängig von der Warenmenge beständig an. Zwar unternahmen Reichstag und Kreise Versuche zur Währungsregulierung, die jedoch die Probleme nicht behoben. Dadurch kam es ab den frühen 1580er Jahren zu einer stetigen Inflation und schließlich, von 1618 bis 1620, zu einer Währungskrise. 51 Hinzu kam noch, dass der burgundische Reichskreis von der Münzordnung ausgenommen war, was ihren Einfluss im Niederrheinisch-Westfälischen Kreis beeinträchtigte, da diese Gebiete hauptsächlich mit den Niederlanden Handel trieben und ihre eigene Währung lieber mit der niederländischen als mit der des Reichs abstimmten. 52

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Währungsprobleme ließen die Leidenschaften aufflammen und förderten die Aktivität, weil sie ein fürstliches Privileg darstellten. Die Münzprägung zeigte ganz offen, über welche Rechte ein Regent verfügte. Zudem war sie höchst profitabel und natürlich hatten alle Behörden, vom kaiserlichen Schatzamt an abwärts, ein Interesse an Steuerzahlungen in harter Währung. Doch ließ sich über die Münzordnung nicht mehr als ein Rahmen erreichen, innerhalb dessen sich mit der Zeit eine funktionierende Praxis entwickeln konnte. In mancher Hinsicht gilt das auch für die Policeyordnungen, deren letzte 1577 verabschiedet wurde. 53 Diese Gesetzeswerke illustrierten vielleicht am besten das Bedürfnis nach Regulierungs- und Regierungsmaßnahmen, das im Reich und seinen Territorien nach den religiösen Aufständen um sich griff. 54 Jedoch waren diese Gesetze von Anfang an auf die eigenwillige Struktur des Reichs zugeschnitten.Wie ihre Vorläuferinnen war auch die Policeyordnung von 1577 nicht als allein und ausschließlich gültiges Gesetz gedacht, sondern als ein Kodex, den die Stände in ihren Gebieten insgesamt übernehmen, vermindern oder abmildern, jedoch nicht »verschärfen oder vermehren« durften. 55 Die Ordnung bot eine programmatische Bestimmung der Ziele, die von allen Ständen zu verfolgen waren: die Förderung des Gemeinwohls (des »gemeinen Nutzes«) und der »guten Ordnung«. Im Wesentlichen entsprach sie ihren Vorgängerinnen von 1530 und 1548 und fügte der Menge an schon vorhandenen Regelungen für wirtschaftliche und soziale Probleme weitere hinzu, um so unterschiedlichen Angelegenheiten wie Gotteslästerung, Prostitution, Kinderbeaufsichtigung sowie Richtlinien für Apotheker, Goldschmiede, Drucker und Buchhändler gerecht zu werden. 56 Die Policeyordnungen sind oft als irrelevant bezeichnet worden, weil ihr Einfluss nicht messbar ist. Doch waren sie nie als für die einzelnen Bereiche direkt verbindliche Gesetzgebung gedacht, sondern als Rahmenrichtlinien für regional und lokal spezifische Gesetzgebungen. In dieser Hinsicht war die Policeyordnung von 1577 ein Erfolg, weil sie eine Norm setzte, die schon bald im ganzen Reich akzeptiert wurde. 57 Eine Gesetzgebung, die bestrebt war, für das ganze Reich zu gelten, war unweigerlich zum Scheitern verurteilt. Es gab merkwürdige Versuche, Exportverbote durchzusetzen – 1548, 1566 und 1577 (und dann noch einmal 1603) betraf das Wolle, 1577 Leder –, die aber sämtlich fehlschlugen. 58 Selbst wenn es möglich gewesen wäre, solche kategorischen Verfügungen reichsweit durchzusetzen, wäre der wirtschaftliche Nutzen zweifelhaft gewesen, weil die Idee auf völlig falschen Annahmen beruhte. Das Ziel war, ausländische Handwerker am Aufkauf deutscher Rohstoffe zu hindern und dadurch die exzellenten, von deutschen Handwerkern produzierten Waren zu schützen, indem man sicherstellte, dass die Handwerker auch weiterhin einheimische Rohstoffe zu angemessenen Preisen kaufen konnten.

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Logischer wäre wohl ein Einfuhrverbot gewesen, obwohl auch das sich kaum hätte durchsetzen lassen. Auffällig an den Verfassungs- und Rechtsentwicklungen der Jahrzehnte nach 1555 ist die fast anarchische Vielzahl von Initiativen. Immer wieder wird das Bedürfnis spürbar, eine neue Ordnung zu errichten, zu regulieren und zu systematisieren, um die Instabilität der vergangenen Jahrzehnte zu überwinden. Viele Initiativen wurden vereitelt, weil sie in den Augen einzelner Stände oder Gruppen wie der Kurfürsten eine Bedrohung des Status darstellten, andere konnten schlicht nicht funktionieren. Dennoch war das Verfassungssystem des Reichs jetzt umfassender als je zuvor ausgebildet. Es hatte im Reich weite und in den Kreisen tiefer verankerte Verbreitung gefunden. Dieser Prozess sollte bei der Stabilisierung des Reichs nach 1555 eine herausragende Rolle spielen. Es ist nur logisch, dass sich als Ergebnis dieser Steigerung der Aktivitäten auch die ersten Elemente eines öffentlichen Rechts entwickelten. 59 Die vielen Umbrüche in den Jahrzehnten vor 1555 und der große Umfang an ab 1495 verabschiedeten Gesetzen erforderten Experten, die sich mit Fragen der Interpretation, Anwendbarkeit und Handhabung beschäftigten. Eine Masse an Druckwerken erschien, die zum einen aus den Gesetzestexten selbst, zum anderen aus Kompilationen und Kommentaren bestand. Die steigende Anzahl von Fällen am Reichskammergericht und die jährlich stattfindende Inspektion desselben durch eine Reichstagsdelegation führten zu wachsendem Interesse an der Verfassung. Die neue Rechtskultur sorgte auch für ein ganzes Heer von Experten und Fachjuristen, die eine wachsende Anzahl von Klägern bei jedem Schritt, bis hin zu den exklusiven Schranken des Reichskammergerichts zu Speyer, begleiteten. Jede Hofverwaltung, von Prag und Wien bis hinab zum Amt im Herrensitz des armen Reichsritters, beschäftigte, direkt oder indirekt, Rechtsberater. Die Stände wie auch zunehmend ihre Untertanen wurden sich immer stärker der Tatsache bewusst, einem spezifischen politischen Gemeinwesen anzugehören. Auch war deutlich, dass das Reich sehr wenig mit dem römischen Reich der Antike gemein hatte. Die Kategorien des römischen Rechts, die die deutschen Stände gerade in ihrer regionalen und lokalen Gesetzgebung anwendeten, reichten nicht mehr aus, um das Reich in seiner Gesamtheit zu erfassen. Das deutsche Reich war seit dem Reichstag zu Worms 1495 im Wesentlichen auf dem Fundament der Wahlmonarchie errichtet worden, wie sie in der Goldenen Bulle von 1356 definiert worden war. 1569 wurde in Frankfurt am Main eine »Kaiserliche Bücherkommission« eingerichtet. Damit folgte die Krone einem Vorrecht, das in den diversen Policeyordnungen und dem Friedensschluss von 1555 festgeschrieben worden war. 60 1521 hatte das Wormser Edikt ausgeführt, dass es das Recht der Fürsten und Stadträte sei, Veröffentlichungen in ihren Gebieten zu kontrollieren. Nachfolgend (1524 und

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1529) verabschiedete Gesetze machten das Recht zur Pflicht und 1530 hieß es, der Monarch werde eingreifen, falls die Fürsten ihrer Pflicht nicht nachkämen. Es ist nicht ganz klar, was Maximilian II. dazu veranlasste, den Stadtrat von Frankfurt aufzufordern, Bücher zu prüfen, die auf der florierenden Messe verkauft wurden. Wahrscheinlich steht der Vorgang in Zusammenhang mit Vorbereitungsgesprächen für den Reichstag zu Speyer 1570, auf dem es Beschwerden gab, dass die Zensurgesetze der 1520er Jahre nicht umgesetzt würden. Indes zeigte Maximilian (und anfänglich auch Rudolf II.) keine Neigung, die Gesetze für die katholische Seite auszunutzen. 1569 dachte er wahrscheinlich zuallererst an seine eigene Bibliothek, als er auf dem Recht des Kaisers insistierte, Freiexemplare von allen Werken, die das Druckprivileg erhalten hatten, zu bekommen. Allerdings erwähnte er auch die Pflicht aller Regenten, sektiererische Literatur, die dem Frieden im Reich abträglich war, zu verbieten. Als sich der Frankfurter Stadtrat sogleich über die ihm zugemutete Arbeitslast beschwerte, erklärte Maximilian, dass er eigentlich nur den Erhalt von fünf Exemplaren von allen Büchern sicherstellen wollte. Selbst als 1579 der erste Bücherkommissar, Dr. Johann Vest, ernannt wurde, erhöhte das die Aktivität nicht: Vest war bei der Ausübung seiner Pflichten so nachlässig, dass Rudolf II. 1596 sich beschwerte, der Kommissar verfahre bei der Einsammlung der kaiserlichen Freiexemplare nicht gewissenhaft genug. Ebenso beziehungsreich war die Anweisung des sächsischen Kurfürsten an die städtischen und universitären Behörden in Leipzig (1569), alle auf der Leipziger Buchmesse zum Verkauf angebotenen Bücher zu prüfen und Freiexemplare für die Bibliothek des Kurfürsten zu beschaffen. 61 Möglicherweise war das ein Versuch, ein Übergreifen des Kriegs zwischen den Gnesiolutheranern und den Philippisten im benachbarten Herzogtum Sachsen auf das friedliche Kursachsen zu verhindern, doch könnte der Vorstoß auch durch die bereits erwähnten Gespräche im Vorfeld des Reichstags zu Speyer motiviert worden sein. Die Leipziger Kommission, die diesen Titel erst später erhielt, hatte nicht den gleichen Status wie die Kaiserliche Bücherkommission, aber eine vergleichbare Funktion, und allein schon ihre Existenz verstärkte die moralische Autorität des sächsischen Kurfürsten, sodass er in Frankfurt zwischen 1608 und 1619 zugunsten der protestantischen Buchverkäufer tätig wurde. 62 Angesichts des planlosen Vorgehens dieser beiden Einrichtungen kann man kaum von einem reichsweit koordinierten Ansatz sprechen. Die meisten Zensurmaßnahmen wurden von lokalen Regenten durchgeführt. Dennoch zeigte die Existenz zweier zentraler Institutionen, die zumindest theoretisch überregional waren, einen Willen, die Veröffentlichung von Werken zu verhindern, die den religiösen Frieden stören konnten. Fast unvermeidlich wurde die Kaiserliche Bücherkommission in den Jahren nach 1600 in den allgemeinen konfessionellen Konflikt hinein-

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gezogen; später wurde Rudolf II. und nach ihm Kaiser Matthias bezichtigt, die Kommission benutzt zu haben, um ihre katholische Agenda zu fördern. 63 Nach längerer Zeit jedoch gewannen beide Kommissionen an Stabilität und konnten im Gesetzesrahmen der Epoche nach 1648 aufgrund bestimmterer Richtlinien operieren, um aufrührerische Literatur religiösen und bald auch politischen Inhalts zu verfolgen. Beide Kommissionen überlebten die Zeitläufte bis 1806. Die Kaiserliche Reichspost wurde 1596/97 eingerichtet. Zuvor hatte es ein habsburgisches Postsystem gegeben, das jedoch dysfunktional geblieben war und die wachsende Nachfrage von Reichsstädten und Fürsten nach einem verlässlichen Postdienst nicht befriedigen konnte. 64 Der habsburgische Postdienst hatte seinen Hauptsitz in Brüssel und fiel 1555 Philipp II. in die Hände, weshalb viele protestantische Regenten in Deutschland den Verdacht hegten, es handle sich um eine »spanische Post«. Der zweite Staatsbankrott der spanischen Krone 1565 führte zu einer Finanzkrise, die den Postdienst zu vernichten drohte. Auf dem Reichstag zu Speyer 1570 verlangten die Stände, dass der Postdienst im Reich zu bleiben habe, statt unter spanischer Kontrolle zu stehen, aber das einzige Ergebnis war die Entwicklung eines alternativen Postsystems, das in den 1570er Jahren von den führenden Reichsstädten betrieben wurde. Wiederholte Streitereien mit Spanien über die durch das Reich von Antwerpen nach Venedig führende Hauptpostlinie riefen schließlich Forderungen nach einer grundlegenden Reform des Postdienstes hervor. 1596 bestätigte Rudolf II. den Brüsseler Leonhard von Taxis als einzigen offiziellen Generalpostmeister und im folgenden Jahr wurde der ganze Taxis-Postdienst, der ursprünglich nur die beiden Habsburger Erblande in Österreich und Burgund miteinander verband, per Dekret zum Kaiserlichen Postdienst für das gesamte Reich. 1615–1616 gab es bereits vier Hauptrouten, die das Reichsgebiet von den Alpen bis zur Ostsee und vom Rhein bis nach Sachsen nahezu vollständig abdeckten. 1684 erreichte der Dienst seine größte Ausdehnung und verband fast alle wichtigen Städte im Reich miteinander. 65 Danach untergrub die Entwicklung von territorialen Postdiensten zunehmend das Monopol von Taxis, das aber bis ins 19. Jahrhundert überlebte. 66 Um 1600 jedoch demonstrierten nur wenige Institutionen die fortschreitende Integration des Reichs so eindrucksvoll wie der Kaiserliche Postdienst.

Anmerkungen 1 2

Neuhaus, Repräsentationsformen, 424–425; Lanzinner, »Zeitalter«, 69. Ein »Römermonat« war eine Rechengröße, um den Beitrag der Reichsstände für Militärausgaben zu kalkulieren – ursprünglich (daher auch der Name) stellte ein Römermonat die monatliche Unterhaltszahlung für die Truppen dar, die früher den Monarchen nach Rom zur Krönung durch den Papst begleiteten.

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3 Schulze, Türkengefahr, 79. 4 Schulze, Türkengefahr, 362–363. 5 Schulze, Türkengefahr, 165–166. Zur Bedeutung der türkischen Bedrohung für den Patriotismus vgl. Schmidt, Vaterlandsliebe, 240–289. 6 Schulze, Türkengefahr, 176. 7 Vgl. S. 757–759. 8 Hartmann, »Reichstag«. 9 Dotzauer, Reichskreise, 54–59. 10 Neuhaus, Repräsentationsformen, 373–422. 11 Neuhaus, Repräsentationsformen, 493–517. 12 Schmidt, »Aushandeln«. 13 Neuhaus, Repräsentationsformen, 317–422; Dotzauer, Reichskreise, 48–50. 14 Allerdings gab es viele Ergänzungen, wenn Territorien erbmäßig aufgeteilt wurden oder aufhörten zu existieren, weil eine Linie ausstarb, oder wenn sie (wie bei Reichsstädten) den Status der Reichsunmittelbarkeit verloren oder wenn neue Territorien auftauchten, weil jemand in den Fürstenstand erhoben wurde. 15 Dotzauer, Reichskreise, 441–449. 16 Dotzauer, Reichskreise, 441–487, 585–616. 17 Neuhaus, Repräsentationsformen, 423–492. 18 Dotzauer, Reichskreise, 58–60. 19 Dotzauer, Reichskreise, 46. 20 Dotzauer, Reichskreise, 46. 21 Hartmann, Bayerischer Reichskreis, 312–319. 22 Vgl. S. 483–487. 23 Hartmann, Bayerischer Reichskreis, 321. 24 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 152. 25 Dotzauer, Reichskreise, 38. 26 Vgl. S. 432. 27 ADB, Bd. XXXIII, 387–388. 28 Lanzinner, »Denkschrift«; Schmidt, Vaterlandsliebe, 193–240, 283–289. 29 Vgl. S. 603–608. 30 Ranieri, Recht, 136–137. 31 Ranieri, Recht, 216–217. 32 Ruthmann, »Religionsprozesse«, 238. 33 Ranieri, Recht, 175–179. 34 Eisenhardt, Kaiserliche privilegia, 12–51. 35 Battenberg, »Juden«, 322–324. 36 Ranieri, Recht, 233; Trossbach, »Reichsgerichte«, 129–132. 37 Vgl. S. 660–679. 38 Ruthmann, »Religionsprozesse«, 235–238. Eine kritischere Einschätzung der Arbeit des Gerichts bietet Gotthard, Religionsfrieden, 404–418. 39 Vgl. S. 519–521. 40 Gschliesser, Reichshofrat, 1–12, 89–185. 41 Trossbach, »Reichsgerichte«, 131–133. 42 Ullmann, Geschichte, 194–197, 291–298. 43 Lanzinner, »Zeitalter«, 76. 44 Ullmann, Geschichte, 53–67.

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Blaich, Wirtschaftspolitik, 9–27; Schneider, Währungspolitik, 26–31. Bergerhausen, »Reichsmünzordnung«. Blaich, Wirtschaftspolitik, 20–21. Schneider, Währungspolitik, 28. Schneider, Währungspolitik, 29. Dabei handelte es sich erstens um die beiden sächsischen Kreise, zweitens um den fränkischen, schwäbischen und bayrischen Kreis und drittens um den Kurrheinischen Kreis zusammen mit dem Oberrheinischen und dem Westfälischen Kreis. Schneider, Währungspolitik, 30. Blaich, Wirtschaftspolitik, 259–261. Bergerhausen, »Reichsmünzordnung«. Weber, Reichspolizeiordnungen, 24–36. Härter, »Policeygesetzgebung«, 140. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 257. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 257, 362. Weber, Reichspolizeiordnungen, 23–24, 36–43. Blaich, Wirtschaftspolitik, 67–68, 107–108, 262. Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 72–73, 127–128, 133–141. Kiesel und Münch, Gesellschaft, 108–111; Eisenhardt, Aufsicht, 6–7, 30–34, 64–72; Brauer, »Bücherkommission«, 184–190; Evans, Making, 289–290; Evans, Wechel Presses, 29–31. Goldfriedrich, Geschichte, Bd. I, 597–598, und II, 158–162; Kirchhoff, »Bücher-Commission«, 60–61. Goldfriedrich, Geschichte, Bd. I, 619–642. Eisenhart, Aufsicht, 111, 113. Behringer, Merkur, 128–188. Behringer, Merkur, 215–216. Grillmeyer, Habsburgs Diener, 262–318, 425–446.

30. Das Reich in Europa

D

ie Abdankung Karls V. veränderte den Status des Reichs in Europa. Während seiner Herrschaft und im Kontext seiner großen Pläne war das Reich das Herz von Europa gewesen; nun aber wurden die spanischen Habsburger zur europäischen Vormacht. 1 Es war Philipp II., der 1559 den Frieden von Cateau-Cambrésis mit Frankreich schloss. Seine herausragende Position wurde durch den Sieg über die Türken bei Lepanto 1571 und durch die Übernahme der portugiesischen Königswürde 1581 weiter bekräftigt. Spanische Politik waltete in den Niederlanden und bestimmte die Entwicklung in Italien. Bei alldem wurde deutlich, dass Philipp die Interessen der österreichischen Habsburger und des Reichs als zweitrangig ansah. 1559 unternahm er keine Anstrengung, um die lothringischen Bistümer, die dem Reich 1552 durch den Vertrag von Chambord abhandengekommen waren, zurückzugewinnen. Und erst nach dem Tod seiner Frau, Elisabeths von Valois, im Jahr 1568 stimmte Philipp Plänen für eine dynastische Heirat zur Verbindung von Wien und Paris zu, die in Wien schon 1556 ausgearbeitet worden waren. Wurde also das Reich in machtpolitischer Hinsicht an den Rand gedrängt, so unterschied es sich in noch anderer Hinsicht von europäischen Großmächten. Das von Spanien dominierte Europa wurde zunehmend von religiösen Konflikten zerrissen. Die erste Verwerfungslinie dieser Art zog sich durch Frankreich, in dem seit 1562 ein Bürgerkrieg tobte. Einerseits hinderte das die französische Krone an der Einmischung in deutsche Politik und nach der Bartholomäusnacht von 1572 war die französische Monarchie für die deutschen Protestanten kein glaubwürdiger Bündnispartner mehr. Andererseits unternahmen die Führer der Hugenotten ab 1560 wiederholt Versuche, Unterstützung im Reich zu gewinnen. 2 Im Sold der französischen Krone stehende spanische und niederländische Truppen verletzten in den 1560er Jahren wiederholt Reichsterritorium und im französischen Konflikt rekrutierten beide Seiten Söldner im Reich, wodurch bis zu 20.000 Deutsche an den Kämpfen beteiligt waren. 3 Eine zweite Verwerfungslinie entstand nach 1566 in den Niederlanden, die noch unmittelbarere Folgen für das Reich haben sollte. Schon bald sahen das spanische Habsburg, das Haus Valois und der Papst sich einer breiten Koalition aus Hugenotten, holländischen Rebellen und der englischen Krone gegenüber. Während also Europa ab den 1560er Jahren eine zunehmende Polarisierung zwischen Protestanten und Katholiken erlebte, blieb es im Reich relativ ruhig. Das

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war früher einmal als Zeichen für die Hilflosigkeit des politischen Gemeinwesens gewertet worden. 4 Das Reich, so hieß es, drifte ziellos dahin, ausgeliefert der Gnade seiner mächtigeren Nachbarn, die sich immer mehr seiner Teile einverleibten. Die Niederlande gingen verloren, desgleichen Gebiete und Vorrechte in Italien, im Nordosten Livland, ab dem 14. Jahrhundert ein Territorium des Deutschritterordens, das 1530 zum säkularen Herzogtum und 1561 von Polen annektiert wurde. Diese Nachbarn hätten sich noch mehr vom Reich angeeignet, wären sie nicht durch ihre eigenen Probleme daran gehindert worden. Es ist bezeichnend, dass in diesem Katalog angeblicher nationaler Katastrophen auch Livland aufgeführt wird. Die deutschen Ostgebiete und das Vermächtnis des Deutschen Ordens spielten in der preußisch-deutschen Mythologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle. Demgemäß galt ihr »Verlust« im 16. Jahrhundert als nationale Schande. Aber damit wird ein entscheidender Punkt, den Status von Livland betreffend, übersehen. 5 Die Deutschen Ritter stammten aus Deutschland und ihre Kommandanten aus Fürstenhäusern. Sie wurden 1526 Reichsfürsten. Aber das Territorium selbst gehörte nie zum mittelalterlichen deutschen Königreich oder Regnum Teutonicum, sondern zu dem viel umfassenderen und eher vage definierten Sacrum Imperium. Der Status von Livland ist in vielerlei Hinsicht eher dem von Norditalien vergleichbar als dem von Brandenburg. Welche nebulösen Verbindungen zum Reich es auch gegeben haben mag, so wurden sie durchtrennt, als Gotthard Kettler (* 1517, † 1587), der Landmeister des Ordens, 1561 die Oberherrschaft von Polen anerkannte. So wäre es in dieser Hinsicht richtiger, von einem nicht erworbenen statt einem verlorenen Territorium zu sprechen. Überhaupt verdecken Versuche, das Reich auf solche Weise quantitativ zu erfassen, wichtige Punkte seiner Entwicklung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Kaiser und Stände waren auf der europäischen Bühne mehr als bloße Statisten. Wenn das Reich zu keinem Zeitpunkt eine erfolgreiche »Außenpolitik« verfolgte, dann lag das zum Teil daran, dass Kaiser und Stände bewusst davon Abstand nahmen. Für die Stände ging es hauptsächlich um die Bewahrung von Stabilität und Frieden im Reich, während die Interessen der österreichischen Habsburger sich meist über das Reich hinaus erstreckten und in dieser Hinsicht in der Regel von den Ständen blockiert wurden, die nur wenig Neigung zeigten, rein habsburgische (als Gegensatz zu deutschen) Interessen zu unterstützen. Die Aktivitäten von Kaiser und Ständen in diesen Jahrzehnten liefen darauf hinaus, dass Grenzen und damit letztlich auch Identitäten klarer definiert wurden. Das Reich reagierte auf Herausforderungen von außen in einer Weise, die mit seiner inneren Entwicklung nach 1555 völlig im Einklang stand. Als 1559 der französischen Bedrohung Einhalt geboten worden war, wurde Spanien zum neuen wichtigen Bezugspunkt und zugleich zur Quelle fortwährender Spannungen für die Kaiser. Im Allgemeinen bewahrten Ferdinand I. und Maxi-

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milian II. den Interessen der gesamten Habsburger Dynastie grundlegende Treue. Bei Maximilian wurde die Loyalität noch durch die Ungewissheit über die spanische Thronfolge verstärkt. Don Carlos, Philipps einziger Sohn, starb 1568 und damit war die Lage offen. Selbst Philipps vierte Ehe, mit Anna von Österreich, brachte nur einen überlebenden Sohn hervor, der, 1578 geboren, 1598 als Philipp III. den spanischen Thron bestieg. Kein Wunder, dass die zeugungsfreudigen österreichischen Habsburger lange Zeit Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung mit der spanischen Linie hegten. Aber Philipp II. überlebte die schwere Grippe von 1580 und erwies sich bald als rücksichts- und kompromissloser Monarch. Wenig überraschend, dass sich Spannungen genau dort ergaben, wo das Patrimonium Karls V. Einbußen erlitten hatte: in Italien und den Niederlanden. In Italien erbte Philipp das spanische feudale Netzwerk, dessen Fundament das Königreich von Neapel und Sizilien war. 6 Während der nächsten eineinhalb Jahrhunderte blieb dieses Netzwerk in häufig unsicherer Konkurrenz zu den Systemen Roms und des Reichs bestehen. Die Beziehung zwischen dem spanischen und dem Feudalsystem des Reichs in Italien wurde noch durch Philipps Bemühungen verkompliziert, die Stellung, die er durch seine Belehnung mit Mailand 1540 erreicht hatte, weiter auszubauen. Mailand war ihm als Reichslehen gewährt worden, was ihn zum Untertanen der Kaiser in Wien machte. Gleich nach Karls Aufteilung der habsburgischen Gebiete ging Philipp daran, Mailand zum unabhängigen Zentrum seines eigenen Systems regionaler Vasallen zu machen. 1571 stachelte er sogar einen Aufstand gegen die Grafen Caretto an, die das Fürstentum Finale an der ligurischen Küste regierten. Er schickte von Mailand aus Truppen, um Finale und benachbarte Territorien wie das Herzogtum Piombino einzunehmen. 7 Unmittelbares Ziel war es, den Einfluss von Genua zurückzudrängen, aber der Vorstoß löste einen scharfen Konflikt mit dem Kaiser aus, der ebenfalls Finale als Lehen beanspruchte. Aber Maximilian konnte nicht mehr erreichen, als dass Philipp seine Oberherrschaft anerkannte. Allerdings hatte Philipps Angriff den Papst dazu motiviert, ein eigenes Feudalsystem zu errichten. Zudem fühlte sich der Herzog von Savoyen (der nach einigen Jahrzehnten französischer Besatzung durch den Frieden von Cateau-Cambrésis wieder eingesetzt worden war) ermutigt, seine Verbindungen zum Reich weiter zu lockern und seine eigene nordwestitalienische Einflusssphäre mit Turin als Zentrum aufzubauen. 8 Die Beziehungen zwischen Spanisch- und ÖsterreichischHabsburg blieben hinsichtlich der italienischen Angelegenheiten angespannt und wurden 1578 auf eine weitere Probe gestellt, denn die Spanier unterstützten die Verschwörung zwischen dem Papst und dem Herzog von Parma, um die Fürsten Doria-Landi aus dem Val di Tarro zu vertreiben. 9 1598 kam es erneut zu einem offenen Konflikt, als Philipp III. den spanischen Thron bestieg. Anders als sein

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Vater erkannte er die Oberherrschaft des Kaisers nicht mehr an, sondern wollte Spanien die Vorherrschaft sichern. Die italienischen Angelegenheiten gehörten zu einem größeren Problemkomplex, der für das Reich von unmittelbarer Bedeutung war. Der eigentliche Grund für Philipps Entschlossenheit, seine Ziele in Italien zu erreichen, waren die Niederlande. Mailand spielte eine herausragende Rolle für die »Spanische Straße«, die vom Mittelmeer in den Norden führte und die Philipp als militärische Nachschublinie benötigte. 10 Genua stellte, da es traditionellerweise weite Bereiche der Küstenregion kontrollierte, ein potenzielles Hindernis dar, das nur durch die spanische Okkupation der Lunigiana zu umgehen war. Die kaiserliche Oberherrschaft war insofern ein Problem, als der Monarch, um seinen Status in Italien zu bewahren, sich verpflichtet fühlte, Vasallen wie etwa die Grafen Caretto zu schützen. Überdies hatten die österreichischen Habsburger als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs ein Interesse an den Niederlanden, die den Burgundischen Reichskreis bildeten. Maximilians wiederholte Versuche, im Konflikt zu vermitteln, führten in Italien nur zu weiterer Opposition. Das spanische Verhalten in der Affäre Val di Tarro von 1578 zum Beispiel hatte seine Ursache darin, dass der Herzog von Parma, Alexander Farnese, zufällig Philipps II. Befehlshaber in den Niederlanden war. Die Lage in den Niederlanden wurde zu einer echten Belastungsprobe für die Stabilität des Reichs. 11 1566 gab es einen Aufstand gegen die kompromisslose Religionspolitik der Spanier, der im Reich sofort Besorgnis hervorrief. 1568 forderten die rheinischen Kurfürsten in einer gemeinsamen, von der protestantischen Kurpfalz koordinierten Petition Maximilian auf, in den Niederlanden zu intervenieren, weil dort Reichsgesetze verletzt worden seien. Das war jedoch ein strittiger Punkt. 1548 war mit dem Vertrag von Burgund die Oberherrschaft des Monarchen über die Niederlande anerkannt worden. Einerseits versprach das Reich, sie zu verteidigen, und sie wiederum zahlten Reichssteuern wie die Kurfürsten, allerdings doppelt so viel (im Fall eines Kriegs gegen die Türken sogar dreimal so viel). Andererseits waren die Niederlande von der Rechtsprechung des Reichskammergerichts und von allen durch Reichsschlüsse verabschiedeten Gesetzen explizit ausgenommen. Der Versuch Karls V., alle Vorteile, die die privilegiertesten Stände im Reich genossen, für seine nordwestlichen Erblande zu gewinnen, wurde ursprünglich im Kontext seiner Vorstellung einer zwischen Spanien und Österreich wechselnden Thronfolge unternommen. Als das fehlschlug, erleichterte der Vertrag von Burgund die Abtrennung der Niederlande vom Reich. 1555 hatten die Stände insistiert, dass die friedenserhaltenden Maßnahmen des Reichs nur für jene Gebiete gelten sollten, die uneingeschränkt am Reich beteiligt waren. Da Karl V. die Bestimmungen des Religionsfriedens von 1555 für die Niederlande nicht akzeptierte, konnten sie auch nicht die Vergünstigungen einer uneingeschränkten Mitglied-

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schaft im Reich genießen. Zwar war der Status der österreichischen Erblande damit vergleichbar, doch nahmen die deutschen Stände ihnen gegenüber eine andere Haltung ein. Es war eine Sache, diese Erblande gegen die Türken zu verteidigen, aber eine ganz andere, mit einer Intervention in den Niederlanden das Risiko eines größeren Konflikts mit Frankreich einzugehen. Warum die Intervention nach Ausbruch der Revolte in den Niederlanden dennoch stattfand, ist alles andere als klar. Die rigorose Religionspolitik der Spanier war provokativ, aber kaum eine Verletzung von Reichsgesetzen. Maximilian konnte lediglich seine Vermittlung anbieten. Philipp wies dessen Versuche 1566 und 1568 brüsk zurück und drohte sogar damit, die in den österreichischen Erblanden eingeräumten religiösen Zugeständnisse in Rom anzuprangern. In den nächsten Jahrzehnten wurden weitere Versuche unternommen, die sämtlich fehlschlugen. Den letzten Vorstoß gab es auf der Kölner Konferenz von 1579. Er führte 1580 zur Absetzung Philipps II. durch die holländischen Rebellen. 12 Die deutschen Stände unterstützten die Vermittlungsversuche. Sie waren sich aber auch darüber im Klaren, dass sie nicht in einen militärischen Konflikt hineingezogen werden wollten. Daraus sprach keine Gleichgültigkeit gegenüber den Vorgängen in den Niederlanden. Herzog Albas brutales Vorgehen gegen die Rebellen und insbesondere die 1568 angeordnete Hinrichtung der Grafen Egmont und Horn sowie anderer Adliger rief bei Angehörigen beider Konfessionen im Reich Schrecken und Empörung hervor. Immerhin waren Egmont und Horn treue Katholiken gewesen, was Albas Grausamkeit nur noch stärker hervorhob. Aber die deutschen Fürsten wollten sich auf keinen Fall in die holländischen Probleme hineinziehen lassen. Ab 1570 verweigerte der Reichstag eine Unterstützung der Rebellen, kam aber auch der Aufforderung Herzog Albas, sie zu verurteilen, nicht nach. 13 Als Alba sich darüber beschwerte, dass der Graf von Ostfriesland den Widerstand des Kleinadels, der »Wassergeusen«, unterstützt habe, leiteten die Stände die Sache einfach an den Monarchen weiter, denn sie befürchteten, sonst in den Konflikt hineingezogen zu werden. 14 Sie entschlossen sich lediglich zu einem Protest gegen die Verletzung von Reichsterritorium durch Albas Truppen, von der bereits einige Mitglieder des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises betroffen waren. Die radikale Polarisierung der politischen Lager in Holland hatte unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland. Ausländische Truppen und Rekrutierungskampagnen sorgten für Unruhe in vielen westlichen und nordwestlichen Gebieten. Bayern wollte Herzog Alba in den Landsberger Bund aufnehmen, scheiterte aber damit. Neben dem pfälzischen Kurfürsten hatten die holländischen Rebellen verlässlichere und direktere Verbündete in den vier Brüdern Wilhelms von Oranien, darunter dem Grafen Johann VI. von Nassau. Graf Johann wiederum war eng mit der Kurpfalz verbunden, hatte jedoch auch, als Führer des Wetterauer Grafen-

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kollegiums, Verbindungen zu den westfälischen Grafen und zu Hessen. Das nassauische Netzwerk im Reich wurde schon bald dadurch verstärkt, dass viele seiner Mitglieder zum reformierten Glauben übertraten. 15 Doch während Johann, unter anderem mit militärischen Expeditionen in die Niederlande, am Kampf der Rebellen teilnahm und dabei auch drei seiner Brüder verlor (den einen 1568, die beiden anderen in der Schlacht von Mook 1574), blieb das Reich neutral. Der niederrheinisch-westfälische Kreis konnte angesichts der Konfessionsspaltung keine Entscheidung fällen. Demzufolge leitete er die Angelegenheit zwischen 1568 und 1590 fünfmal an eine Konferenz von drei Kreisen weiter, die die Sache ihrerseits an eine Konferenz von fünf Kreisen verwiesen. Von dort wurde das Problem einer Deputation angedient, die es an den Reichstag weiterreichte, und der legte es schließlich in die Hände des Monarchen. 16 Unternommen wurde bei dem ganzen Vorgang nichts. Ebenso bezeichnend war, wie unterschiedlich Johann und sein Bruder, Wilhelm von Oranien, mit dem Konflikt umgingen. Johann sah im Bündnis mit den holländischen Ständen die Ausweitung seiner Bemühungen um eine Koalition der nichtfürstlichen Reichsstände. 17 Ihm lag nicht daran, das Reich und das System des Religionsfriedens zu verlassen. Wilhelm von Oranien dagegen hoffte zwar auf Unterstützung aus dem Reich, sah sich aber nicht als einen seiner Fürsten. Als die Unterstützung ausblieb und die von seinem Bruder aufgebotenen Streitkräfte sich als unzureichend erwiesen, sah er mehr und mehr die Niederlande als sein einziges »Vaterland« und stellte sich Frankreich als potenziellen Bündnispartner gegen Spanien vor, was den deutschen Protestanten natürlich nicht in den Sinn kam. Für Wilhelm von Oranien bot die Trennung der holländischen Angelegenheiten vom deutschen Reich einen echten Vorteil, zumal die relative Stabilität in Deutschland ihm zumindest an dieser Front Ruhe bescherte. 18 Außerdem bescherte ihm der Umgang mit seinen Eheproblemen nicht eben die Sympathie der deutschen Protestanten. Er hatte seine zweite Frau Anna, die Nichte des Kurfürsten von Sachsen, wegen Ehebruchs 1571 einkerkern lassen, was den Kurfürsten und Wilhelm von Hessen, einen weiteren Onkel, in Zorn versetzte. 19 Nach der Scheidung von Anna heiratete er Charlotte von Bourbon, eine ehemalige Nonne, die er in Heidelberg kennengelernt hatte. Auch das zeigte seine Distanz zu den gemäßigten Lutheranern im Reich und das Ausmaß, in dem er mittlerweile in europäischen Dimensionen dachte. 20 Der holländische Konflikt mit all seinen Drehungen und Windungen beschäftigte das Reich noch bis zum Ende des Jahrhunderts und wurde mit großem Interesse verfolgt. 21 Während in den Konflikt involvierte spanische Streitkräfte nur dreimal auf Reichsterritorium vordrangen (1586–1590, 1598, 1614), wurde in den deutschen Printmedien über Jahrzehnte ein richtiger Propagandakrieg ausgefochten. Deutschland wurde zu einer erstrangigen Quelle für die leyenda negra, die

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»schwarze Legende« der spanischen Perfidie. Die antispanische Propaganda, die in den frühen 1520er und in den 1540er Jahren die deutsche Politik durchzog, führte zu einer umfassenden Dämonisierung Philipps II. (hinsichtlich seiner Moral wie seiner Politik) und der Inquisition sowie zu einem tiefen Misstrauen gegenüber angeblichen spanischen Plänen für eine Weltherrschaft. Zahlreiche deutsche Adelsfamilien wurden zu diesem oder jenem Zeitpunkt in den niederländischen Kampf hineingezogen. Die deutsche Variante des Calvinismus, die reformierte Kirche, bekam von der Kirche der Niederlande und den Flüchtlingen entscheidende Unterstützung, was für die Krise des Reichs im späten 16. Jahrhundert von immenser Bedeutung sein sollte. Aber die Vorgänge in Holland waren auch von Vorteil für das Reich. Gegenüber den dortigen Verwerfungen konnte sich die relative Ruhe in Deutschland vorteilhaft abheben und der Propagandakrieg diente ebenfalls dazu, die Unterschiede zwischen der »spanischen Tyrannei« im burgundischen Kreis und der Rechtsordnung im sonstigen Reich zu unterstreichen. 22 Im Gegensatz zu einzelnen Adelsfamilien wie etwa unter den Grafen im Rheinland, in Westfalen und der Wetterau blieben die deutschen Stände insgesamt neutral. Auch nachdem die nördlichen Provinzen der Niederlande sich der spanischen Herrschaft entledigt hatten, waren die benachbarten deutschen Stände nicht in Versuchung, sich den Rebellen anzuschließen und das Reich zu verlassen. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts fürchtete man in Wien immer wieder, dass Nordwestdeutschland »holländisch werden« würde, so wie einige Gebiete im Südwesten um 1500 »schweizerisch geworden« waren. 23 Doch zogen offenbar weder Johann VI. von Nassau noch die Grafen von Tecklenburg und Bentheim oder die von Oldenburg, deren Territorien direkt von spanischen Truppen bedroht waren, einen solchen Schritt in Erwägung. Für die religiöse und militärische Reform ihrer Länder übernahmen sie holländische Modelle, aber sie optierten für das Reich. Sie mussten die Macht über ihre Territorien konsolidieren, um Geld für Reichssteuern aufbringen und sich gegen Angriffe von außen verteidigen zu können. Allerdings sorgten sie auch dafür, dass es keine Bewegungen von unten gab, vergleichbar derjenigen, die um 1500 zum Abfall der Schweizer geführt hatte. Eine ähnliche Wahrnehmung kollektiver Interessen und die Fähigkeit, sie in politisches Handeln zu übersetzen, charakterisieren die Reaktion der Stände auf Entwicklungen im Ostseeraum nach 1555. Die Ursprünge des Nordischen Siebenjährigen Kriegs oder Dreikronenkriegs, der 1563 begann, lagen in dem alten Kampf zwischen Dänemark, Schweden und Lübeck um die Vorherrschaft im Ostseeraum. 24 1536 hatten sich Dänemark und Schweden verbündet, um Lübeck besiegen und die Vormacht der Hansestadt zu beenden. Doch die mit dem Frieden von Brömsebro 1541 besiegelte Harmonie sollte nicht lange währen. Mit der Thronbesteigung Eriks XIV. 1560 begann Schweden, sein Heer zu vergrößern und

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ging ein Bündnis mit Philipp von Hessen ein. Ab 1559 ging Frederik II., König von Dänemark und Herzog von Holstein, daran, seine Position als Fürst des Reichs zu nutzen, um eine neue Koalition aus Fürsten und Hansestädten gegen Schweden zu bilden. Die Lage spitzte sich zu, als es um Livland ging. Die Deutschordensritter hatten versucht, ihr Territorium durch einen 1557 geschlossenen Vertrag mit Polen zu halten. 25 Aber das provozierte lediglich einen russischen Angriff im Jahr darauf, woraufhin die Ritter im Vertrag von Wilna 1561 die polnische Oberherrschaft anerkannten. Die Ritter wandten sich an Erik und Frederik, um Hilfe zu erhalten, aber ohne Erfolg. Allerdings sicherte sich Frederik durch den Kauf der Bistümer Kurland und Ösel eine Basis in Livland. 1560 schickte er seinen Bruder Magnus, den er als Bischof eingesetzt hatte, auf Beutezug, um weitere Gebiete von den Russen zu erobern. Erik reagierte auf einen Hilferuf der Bürger von Reval und entsandte ein Heer, das die Stadt und ihr Hinterland besetzte. Das aber waren Gebiete, die von Magnus beansprucht wurden. Zum Kampf um die Vorherrschaft im Ostseeraum kam damit noch ein Territorialkonflikt. 1563 brach der Krieg aus. Der Brennpunkt Livland berührte auch Reichsinteressen. Zwar gehörte das Gebiet nicht zum Regnum Teutonicum, doch erhob Ferdinand I. Besitzansprüche, die von den deutschen Ständen unterstützt wurden. Außerdem war die Furcht, der Konflikt könne auf das Reich übergreifen, weit verbreitet. Die Möglichkeit eines schwedischen Siegs malte das Gespenst einer neuen Vormacht in Norddeutschland an die Wand, einer Vormacht, die nicht, wie der König von Dänemark, an den Friedensschluss von 1555 gebunden wäre. Maximilian II. und der Kurfürst von Sachsen bemühten sich um Vermittlung. Sie mobilisierten die beratenden Institutionen des Reichs und der Kreise, um den Frieden im Reichsinnern zu sichern. 1570 endlich gelang es Maximilian, den Frieden von Stettin herbeizuführen. Jede Seite ließ ihre gegen die andere erhobenen Ansprüche fallen. Die Schweden überließen alle ihre livländischen Gebiete mit Ausnahme von Reval dem dänischen König, während Maximilian ihnen dafür eine Entschädigung versprach. Frederik wiederum war bereit, den Kaiser als Oberherrn anzuerkennen. 26 Maximilians erfolgreiche Vermittlung und seine bis 1576 fortgesetzten Bemühungen um den Frieden im Ostseeraum waren Teil einer Strategie, die schon bald nicht mehr die Interessen der deutschen Stände traf. 27 Maximilians Vorschläge auf dem Reichstag von 1570, die russischen Angriffe auf Livland zu bekämpfen, wurden mit Zurückhaltung aufgenommen. Auch zeigten die Fürsten wenig Interesse an Maximilians diplomatischen Kontakten mit Iwan IV. Ähnlich verfuhren die folgenden Reichsdeputationstage mit Plänen zur »Rückgewinnung« von Livland, weil die Stände den berechtigten Verdacht hegten, dass Maximilian im Grund nichts weiter wollte, als Livland zu einem weiteren Habsburger Lehen im Reich zu machen. Außerdem weigerten sie sich, einen Beitrag zu der Summe zu leisten, die

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Maximilian den Schweden für den Rückzug aus Livland versprochen hatte. Folglich erklärten die Schweden 1577 Maximilians Ansprüche für null und nichtig. Die Wirklichkeit hatte ohnehin schon andere Entscheidungen getroffen: Der Anerkennung der polnischen Oberherrschaft im Frieden von Wilna 1561 waren blutige Kämpfe zwischen Polen und Russland gefolgt. 28 Maximilians Interesse war eher dynastisch als imperial ausgerichtet, was auch seine Versuche zeigten, die polnische Krone bei den Wahlen von 1573 und 1575 für habsburgische Kandidaten zu sichern. 29 Bei der ersten Wahl zogen seine Söhne, die Erzherzöge Ernst und Maximilian, gegen Heinrich von Valois den Kürzeren. Bei der zweiten Wahl erklärte der polnische Senat, da Heinrich unerwartet den französischen Thron bestiegen hatte, Maximilian II. zum König, wurde aber durch das an Mitgliedern zahlreichere Unterhaus, den Sejm, überstimmt. Der Sejm zog István Báthory, den Fürsten von Siebenbürgen, sowohl Maximilian II. als auch seinen Söhnen Ernst und Ferdinand vor. Ein Habsburger Erfolg hätte beträchtliche Auswirkungen gehabt: Die Türken wären vielleicht entscheidend geschlagen worden, Habsburg hätte Zugang zur Ostsee bekommen und sogar die Russen zurückschlagen können. Doch war der Fehlschlag nicht ehrenrührig. Der Erwerb der Kaiserkrone hing von sieben Kurfürsten ab, der Griff nach der polnischen Krone von fünfzigtausend Wahlberechtigten. Aber wieder einmal fehlte dem Kaiser das Geld, um seinem Bestreben Geltung zu verschaffen. So, wie die deutschen Stände keinen Grund sahen, warum sie Maximilian helfen sollten, Livland zu bekommen, so sahen die niederösterreichischen Stände keinen Grund, ihm bei Zahlungen für die polnische Krone zu helfen. 30 Nach Báthorys Tod gab es noch einmal die Möglichkeit, nach der polnischen Krone zu greifen, doch wieder scheiterte der Versuch. Die Wahl von Erzherzog Maximilian III. (dem Deutschmeister der Ordensritter) durch die Mehrheit der polnischen Adligen wurde durch die überlegene Militärmacht von Sigismund III. Wasa, der von einer Minderheit gewählt worden war, zunichtegemacht. 31 Wieder weigerten sich die deutschen Fürsten, Geld oder Truppen zur Verfügung zu stellen. 32 Die Bedeutung dieser Ereignisse für das Reich liegt darin, wie die deutschen Stände ihre Interessen auffassten und durchsetzten. Als der Friedensschluss von 1555 gefährdet war, konnten sie handeln und die entsprechenden Verfassungsmechanismen funktionierten hervorragend. Als die dynastischen Interessen der Habsburger die Pflichten des Monarchen gegenüber dem Reich überlagerten, unterstützten ihn die Stände nicht mehr. Zudem schufen diese Ereignisse neue Grenzen für das Reich. Im späten 15. Jahrhundert lagen die baltischen Küstengebiete der Ostsee weitab vom Reich. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden die baltischen Angelegenheiten im Reichstag erörtert. Im Hinblick auf Livland und Polen unterschieden die Reichsstände sehr deutlich zwischen dem, was deutsch,

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und dem, was habsburgisch war – so, wie sie es vordem mit Maximilians I. Unternehmungen in Italien und Burgund gemacht hatten. Erst gegen Mitte des 17. Jahrhunderts war der Norden voll in das Reich integriert. In den Jahrzehnten nach 1555 jedoch machte der Integrationsprozess entschiedene Fortschritte. 33 Ein entscheidender Indikator dafür war die Tatsache, dass die Stände dieser Region nun bereits ihre Steuern in einer Höhe von bis zu 90 Prozent der veranschlagten Rate bezahlten. 34 Gar nicht neu war schließlich die konstante Bedrohung, die von den Türken ausging. Dass sie eine Gefahr für das Reich darstellten, war schon vor 1555 zweifelsfrei festgestellt worden und dazu gab es auch jetzt keine abweichende Meinung. Die deutschen Fürsten warfen Maximilian sogar des Öfteren vor, seine Pflicht im Kampf gegen die Türken zu vernachlässigen. Aber es wurden nur geringe Fortschritte erzielt und das lag auch an gewissen politischen Grundannahmen. Während die Osmanen auch nach ihrer Niederlage bei Lepanto 1572 weiterhin den Mittelmeerraum beherrschten, war die Gefahr, die auf dem Festland von ihnen ausging, beileibe nicht so groß, wie christliche Polemik und osmanische Propaganda glauben machen wollten. Dennoch existierte die Gefahr und selbst, als die Sultane mit ihrer eigenen Ostfront in Persien beschäftigt waren, hielten ihre Vasallen in Siebenbürgen und die lokalen Gouverneure der unter direkter Herrschaft der Türken stehenden Grenzgebiete den Druck durch Überfälle und Kleinkriege aufrecht. Die Habsburger reagierten auf zweierlei Weise. Auf lange Sicht war die wirksamste Gegenmaßnahme die Befestigung der Grenze. Sie begann in den 1520er Jahren und wurde von Ferdinand I. zeit seines Lebens und dann von seinen Nachfolgern fortgesetzt. Bis 1556 waren an die 80 Festungen errichtet worden; bis 1593 war die Anzahl auf 171 gestiegen, dazu gehörten Garnisonen mit einer permanenten Besatzung von insgesamt über 20.000 Mann. 35 Auf kurze Sicht jedoch erforderte die relativ unklare Lage in Siebenbürgen offensichtlich eine direkte militärische Intervention. Der Friedensschluss von 1547 hatte Ferdinand nur einen schmalen Streifen ungarischen Territoriums beschert, während Siebenbürgen von Johann Zápolyas Witwe, Königin Isabella, regiert wurde, solange sein Sohn Johann Sigismund noch minderjährig war. Die wahre Macht aber lag in den Händen des Bischofs von Varad, György (Georg) Martinuzzi und die Habsburger unternahmen einige Anstrengungen, um ihn zu überreden, die türkische Oberhoheit aufzukündigen und Siebenbürgen der österreichischen Herrschaft zu unterstellen. Martinuzzis Betrugspolitik fand ihr Ende mit seiner Ermordung 1551, woraufhin wiederum die militärische Konfrontation der einzig gangbare Weg zu sein schien. Allerdings schlugen wiederholte Versuche während der nächsten Jahre fehl und 1562 bestätigte ein für acht Jahre geschlossenes Waffenstillstandsabkommen die Oberhoheit der Osmanen über Siebenbürgen und weite Teile Ungarns. Zudem wur-

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de der Monarch verpflichtet, für sein begrenztes ungarisches Territorium einen beträchtlich erhöhten Tribut von jährlich 30.000 Dukaten zu zahlen. 36 Dank des Abkommens konnte Suleiman der Prächtige seine Ziele im Mittelmeerraum und in Persien weiterverfolgen. 1566 jedoch wandte er seine Aufmerksamkeit erneut Ungarn zu, wo die Grenzkonflikte seit 1564 erneut eskaliert waren. Beiden Seiten gelangen größere militärische Schläge und Maximilian, mit Lazarus von Schwendi als Befehlshaber, war offensichtlich im Vorteil, als Suleiman während der Belagerung von Szigetvár im September 1566 starb. Damals von Zeitgenossen wie auch später von Historikern wurde Maximilian wegen seines defensiven Verhaltens kritisiert. 37 In Wahrheit aber waren beide Seiten zu keinem entscheidenden Sieg mehr fähig. Die österreichischen Militäreinsätze waren stets unterfinanziert. Das Geld, das die Stände der österreichischen Territorien in Aussicht stellten, reichte nicht aus und die Habsburger mussten sich immer wieder Kredite aus unterschiedlichen Quellen besorgen. 38 Bis 1566 gewährten die deutschen Fürsten Gelder nur für die Grenzbefestigung, denn sie fürchteten, die Habsburger würden die türkische Bedrohung zum Vorwand nehmen, um ein stehendes Heer zu errichten. Da es keine Aussicht auf eine nennenswerte Anzahl von Überläufern gab, weder in Siebenbürgen noch an der Grenze, konnten die Habsburger nur wenig erreichen. Aber auch die Türken verloren nach Suleimans Tod die Lust am Kämpfen. 39 Folglich einigten sich Maximilian und Selim II. im Frieden von Adrianopel 1568 darauf, das Waffenstillstandsabkommen zu unveränderten Bedingungen um weitere acht Jahre zu verlängern. 1577 und 1590 gab es erneut Verlängerungen. Ab 1574 konzentrierte sich Murad III. auf den Mittelmeerraum, auf die Wahrnehmung seiner Interessen gegen die Habsburger bei den verschiedenen polnischen Königswahlen und auf eine größere militärische Auseinandersetzung mit Persien 1579 bis 1590. 40 Maximilian und nach ihm, ab 1576, Rudolf beschränkten sich auf den weiteren Ausbau der Grenzbefestigungen. Zwar wollte keine der beiden Seiten einen Krieg, aber die lokalen Konflikte, an denen oft Streitkräfte von bis zu 5.000 Mann beteiligt waren, gingen unvermindert weiter. Schließlich führte eines dieser Scharmützel an der kroatischen Grenze 1593 zum Ausbruch des großen Türkenkriegs. 41 Aber der Frieden von Adrianopel hatte wenigstens 25 Jahre lang für ein Minimum an Sicherheit an der südöstlichen Grenze gesorgt. Die Probleme der Habsburger in Ungarn nach 1555 sollten nicht unterschätzt werden. Dennoch wog die Bedeutung der dortigen Lage für die innenpolitische Entwicklung des Reichs die militärische Bedrohung in gewisser Weise auf. Zum einen war die ungarische Grenze ein weiterer Schauplatz für die deutschen – und bis zu einem gewissen Grad auch die österreichischen – Stände, um entscheiden zu können, was im deutschen (oder österreichischen) und was im habsburgischen

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Interesse lag. Zum anderen führte die propagandistische Überhöhung der türkischen Gefahr bei den deutschen Ständen zu einer größeren Bereitschaft, zur Verteidigung des Reichs beizutragen, als dies in der ersten Jahrhunderthälfte der Fall gewesen war. »Türkensteuern« zur Unterstützung des Kriegs waren nach 1555 regelmäßig Thema auf den Reichstagen, was in gewisser Weise für mehr Disziplin und Routine bei der Erhebung sorgte. Verhandlungen über die Höhe der Beiträge und die Art ihrer Verwendung trugen wesentlich zur Entwicklung von »Kaiser und Reich« als einer verfassungsmäßigen Einheit bei. 42 Dies wiederum hatte insofern bedeutsame Folgen für die deutschen Territorien, als die Stände reguläre Besteuerungssysteme entwickelten, um die zugesagten Gelder eintreiben zu können. 43 Überdies zeigte das Zusammenfallen des Türkenkriegs (1593–1606) mit dem Beginn der Verfassungskrise des Reichs anschaulich die Beziehung zwischen der türkischen Bedrohung und der Innenpolitik des Reichs. 44 Zum Dritten sorgte die türkische Gefahr im ganzen 16. Jahrhundert für einen Mobilisierungseffekt beim niederen Adel. Reichsritter und -grafen wurden durch einen Militärdienst, der häufig von alten Idealen des Rittertums und des patriotischen Dienstes für den König geprägt war, enger an die Krone gebunden. 45 Im Allgemeinen bestätigen die »Außenpolitik« des Reichs und ihre Reaktion auf die verschiedenen europäischen Konflikte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Eindruck, den auch eine Untersuchung der Verfassungsentwicklung gewährt.Verstärkt wurde das Reich als politisches Gemeinwesen mit ganz eigenen kollektiven Interessen wahrgenommen. Die zwischen 1495 und 1555 geschaffenen Institutionen verdankten ihre Entstehung unterschiedlichen Bedrohungen einerseits des imperialen Territoriums, andererseits des Friedens und der Eintracht im Inneren. Da ihre Entwicklung von der Zustimmung aller abhing, waren schnelle und direkte Reaktionen oft nicht möglich. Dennoch funktionierten die Institutionen auf eine Weise, die das Überleben des Systems von 1555 sicherte, und sie bildeten den Rahmen, innerhalb dessen eine Reihe von innenpolitischen Problemen entweder gelöst oder relativ erfolgreich verwaltet werden konnte, bis um 1600 die große Krise des Reichs einsetzte.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6

Kohler, Reich, 22–26; Lanzinner, »Zeitalter«, 57–58. Die Pfalz war schon früh in diesen Konflikt involviert; vgl. dazu Wirsching, »Konfessionalisierung«. Lanzinner, »Zeitalter«, 57. Kohler, Reich, 77–78. Lavery, Challenge, 16; Köbler, Lexikon, 386; Rabe, Geschichte, 469–472. Kohler, Reich, 79–81.

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7 Aretin, Das Reich, 106–108. 8 Als die Franzosen 1536 in Savoyen einmarschierten, floh der Hof von Chambéry nach Turin: Köbler, Lexikon, 613. 9 Aretin, Das Reich, 108. 10 Parker, Army of Flanders, 60–61. 11 Israel (Dutch Republic 1476–1806, 139–230) bietet eine ausgezeichnete Darstellung der Entwicklung von den 1540er bis zu den 1580er Jahren; die oben folgenden Passagen werden sich nur mit den Auswirkungen auf die deutsche Politik befassen. Vgl. auch Kohler, Reich, 81–83; Mout, »Niederlande«, 156–165; Arndt, Niederlande, passim. 12 Arndt, Niederlande, 46–51, 55–66. 13 Kohler, Reich, 24. 14 Arndt, Niederlande, 86. 15 Vgl. S. 618–619. 16 Arndt, Niederlande, 138. 17 Schmidt, »Des Prinzen Vaterland«, 235–236. 18 Press, »Wilhelm von Oranien«. 19 Ritter, Geschichte, Bd. I, 460–462. 20 Schmidt, »Des Prinzen Vaterland«, 236. 21 Arndt, Niederlande, 213–293. 22 Schmidt, »Integration«, 32–33. 23 Schmidt, »Integration«, 33. 24 Frost, Northern wars, 23–37. 25 Vgl. S. 462. 26 Lavery, Challenge, 131. 27 Lavery, Challenge, 136–141. 28 Rabe, Geschichte, 471–472; Mühlen, »Livland«, 154–172; Mühlen, »Ostbaltikum«, 175– 187. In den 1580er Jahren ging Schweden, das Reval und Estland behalten hatte, erneut ein Bündnis mit Polen ein, um die Russen zu vertreiben. 29 Lavery, Challenge, 140–141; Stone, Polish-Lithuanian state, 116–122. 30 Fichtner, Maximilian II., 205. Fichtner sieht in Maximilians Fehlschlag hinsichtlich der polnischen Krone das Symptom einer allgemeineren Unfähigkeit, doch zieht er damit nicht das Verhalten der deutschen oder österreichischen Stände in Betracht. 31 Stone, Polish-Lithuanian state, 131–132. 32 Kohler, Reich, 27. 33 North, »Integration«. 34 Jörn, »Steuerzahlung«, 388. 35 Palffy, »Verteidigung«, 42. 36 Lanzinner, »Zeitalter«, 60. 37 Fichtner, Maximilian II., 119–134. 38 Pamlényi, Hungary, 132–133; Palffy, »Verteidigung«, 43. 39 Sugar, Southeastern Europe, 187–196; Murphey, Ottoman warfare, 6–8. 40 Shaw, Ottoman Empire, Bd. I, 175–183. 1576 erklärte ein türkischer Gesandter in Wien, dass Polen 130 Jahre lang zum Osmanischen Reich gehört hätte. Iorge, Osmanisches Reich, Bd. III, 268. 41 Finkel, Administration, 8–11. 42 Schulze, Türkengefahr; Rauscher, »Kaiser und Reich«. 43 Vgl. S. 626–630.

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44 Vgl. S. 534–535. 45 Liepold, Wider den Erbfeind, 310–314, 407–413. Ein Beispiel dafür ist Lazarus von Schwendi.

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erdinand I. wie auch Maximilian II. riefen den Reichstag in erster Linie deswegen zusammen, weil sie Geld für die Verteidigung des Reichs gegen die Türken brauchten. Zwar gab es immer das übliche Feilschen, aber am Ende wurden doch angemessene Summen bereitgestellt. Versuche, aus den Verhandlungen politisches Kapital zu schlagen und den Monarchen als Gegenleistung für die Zustimmung zu Steuern Versprechungen abzuringen, scheiterten bald an der Unterstützung des Monarchen durch Sachsen und die anderen Stände der östlichen Reichsgebiete. Denn dort sah man, anders als in Württemberg oder der Pfalz, die Türken als reale Bedrohung für die Habsburger wie für das eigene Territorium. Zwei weitere Probleme, die die Innenpolitik des Reichs im ersten Jahrzehnt nach 1555 beherrschten, warfen größere Schwierigkeiten auf: der Religionsfriede und die Sicherheit im Inneren. Das Religionsproblem war nicht gelöst, es wurde aber verwaltet. Ferdinand wie auch Maximilian mussten mit großer Vorsicht einen Mittelkurs steuern. Einerseits protestierten die protestantischen Kurfürsten zweimal gegen den traditionellen Treueschwur, den der Monarch gegenüber der katholischen Kirche und dem Papst ablegte: 1558 anlässlich Ferdinands Wahl und 1562, als Maximilian zum römischen König gewählt wurde. 1 Beruhigt wurden sie durch die Aufnahme des Friedensschlusses von 1555 in die Wahlkapitulation und dadurch, dass dem Papsttum bei der Wahl und für den Bestätigungsprozess keine formelle Rolle zugestanden wurde. 1562 fand sogar der Protest der protestantischen Kurfürsten Eingang in die Wahlkapitulation. Andererseits waren sich beide Monarchen der Notwendigkeit bewusst, das Papsttum zu beschwichtigen, ohne sich ihm zu unterwerfen. 1558 wiesen Ferdinand und seine Berater den Anspruch von Papst Paul IV. auf das Recht, Karls Abdankung und Ferdinands Thronfolge zu bestätigen, mit aller Entschiedenheit zurück. 2 Die Feindseligkeit gegenüber dem »alten, irrigen, läppischen Papst«, wie Reichskanzler Zasius ihn nannte, führte auch zu einer klaren Strategie im Hinblick auf ein Kirchenkonzil. 3 Reichsvizekanzler Seld argumentierte, dass die Entscheidungen der Konzile von Konstanz und Basel vom Beginn des 15. Jahrhunderts für das Reich immer noch gültig seien: Der Papst sei lediglich ein bischöflicher primus inter pares, der »nicht für sich allein« das Amt ausübe, sondern im Namen der Kirche. 4 Zudem, so Seld weiter, habe sich der Papst häufig der Autorität des Kon-

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zils beugen müssen, und Seld beharrte darauf, dass der Monarch ebenso wie der Papst das Recht habe, ein Konzil einzuberufen. Im August 1559 trat mit Pius IV. ein neuer, konzilianterer Papst das Amt an, was auch zu einer gemäßigteren Einstellung Ferdinands führte. Er und seine engsten Berater waren nun entschlossen, das grundlegende Problem der päpstlichen Autorität so weit wie möglich zu meiden. Allerdings hielten sie an ihrem Hauptziel fest: Sie wollten das Kirchenkonzil, das Pius und seine Wähler wieder aufzunehmen entschlossen waren, so beeinflussen, dass eine Regelung des Religionsproblems für das Reich möglich wurde. Was das bedeutete, war in dem Reformvorschlag, den Ferdinand im Mai 1562 übergab, näher ausgeführt. 5 Es ging darin um eine Reform der Kurie, um die Ausbildung des Klerus, eine Verringerung der Anzahl jener Kirchengesetze, die das gewissenhafte Verhalten der Laienschaft beeinflussen sollten, um die Anerkennung der Heirat von Geistlichen und das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Die Kurienreform stand dabei eher unten auf der Agenda; worum es Ferdinand tatsächlich ging, waren jene Maßnahmen, die im Sinn der deutschen Protestanten sein mussten. Doch als das Konzil von Trient damit begann, die Ansichten Ferdinands zu erörtern, war es für eine wirkliche Lösung des Religionsproblems in Deutschland vermutlich schon zu spät. Die Bemühungen des Monarchen, die im Passauer Vertrag vorgesehene Versöhnung voranzutreiben, erwiesen sich als fruchtlos. Ein nationales Konzil war nicht möglich, weil Katholiken und Protestanten grundsätzlich darüber uneins waren, was so ein Konzil repräsentieren konnte oder sollte: die Kirche unter Führerschaft des Papstes oder eine rein nationale Zusammenkunft geistlicher und weltlicher Stände mit der Bibel als einziger Autorität und ohne Papst. Darüber hinaus wurden eventuelle Hoffnungen Ferdinands, die Protestanten zur Anerkennung eines Konzils zu bewegen, zunächst zunichtegemacht, weil das Konzil zu Trient suspendiert worden und Paul IV. nicht gewillt war, es wieder einzuberufen. Die einzig noch übrig bleibende Option war ein Religionsgespräch, dem der Reichstag zu Regensburg (1556–1557) pflichtgemäß zustimmte. 6 Begeistert davon waren weder die Katholiken noch die Protestanten. Einige führende protestantische Fürsten wollten nur ungern in einen Prozess eintreten, der Zugeständnisse beider Seiten vorsah. 7 Melanchthon kommentierte, dass nur wenige guten Glaubens an so einem Gespräch teilnehmen würden. Immerhin könnten einige sich mit dem Gedanken trösten, dass der eine oder andere Bischof oder Fürst das Licht der Wahrheit zu erblicken vermöge. Auch auf katholischer Seite gab es geteilte Meinungen. Die Bischöfe ärgerten sich über die vorgesehene Verringerung ihrer Rechte und der des Papstes. Viele weltliche Fürsten misstrauten den Katholiken und bedachten die Fürstbischöfe mit Kritik, oder gar mit Verachtung, denn sie machten sie verantwortlich für die Korruption der Geistlichkeit insgesamt. Zugleich jedoch waren einige, darunter Herzog Albrecht von Bayern, nicht abge-

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neigt, gewisse Zugeständnisse wie die Heirat von Geistlichen, das Abendmahl in beiderlei Gestalt und die Milderung der Fastengebote einzuräumen. 8 So fand denn in Worms ein neuntägiges Gespräch statt, das am 11. September 1557 unter dem Vorsitz von Bischof Julius von Pflug aus Naumburg eröffnet wurde. Es führte jedoch zu keinem Ergebnis. 9 Zwar war ein eindrucksvolles Tableau von Theologen anwesend, darunter Melanchthon und Johannes Brenz für die protestantische, Peter Canisius für die katholische Seite, doch war keiner der anderen Bischöfe oder Fürsten persönlich zugegen, sodass ohnehin keine Entscheidung hätte getroffen werden können. Aber das Problem kam gar nicht erst auf, denn im protestantischen Lager gab es schon bald erhebliche Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern von Matthias Flacius Illyricus aus Jena, dem gemäßigten Melanchthon aus Wittenberg und den Adepten der südwestdeutschen und schweizerischen Richtungen. Die Protestanten konnten sich nicht darüber einig werden, welche Glaubensartikel das Augsburger Bekenntnis genau umfasste. Dieser Streit beschleunigte das abrupte Ende des Gesprächs, als die sächsische Delegation am 20. September sehr aufgebracht abreiste. Das Wormser Gespräch war das letzte dieser Art, doch hinderte sein Scheitern Ferdinand nicht daran, die Idee einer wiedervereinigten Kirche weiterzuverfolgen. 1559 beobachtete er mit Interesse die Bemühungen des Herzogs von Jülich-KleveBerg, ein Gespräch in Düsseldorf zustande zu bringen. 10 Das konnte nicht stattfinden, weil der prominente katholische »Reformtheologe« Georg Cassander (* 1513, † 1566), der dabei eine zentrale Rolle spielen sollte, erkrankt war. 1564 beauftragte Ferdinand diesen Theologen mit der Ausarbeitung neuer Vorschläge für die Versöhnung zwischen Katholiken und Protestanten. Nach Ferdinands Tod verfolgte Maximilian diese Pläne weiter, die sich jedoch zerschlugen, als Cassander starb. 11 Sehr viel mehr Energie floss in die Sicherung des politischen Kompromisses zwischen den religiösen Fraktionen, und das mit größerem Erfolg. Während die Stände sich unwillig zeigten, theologische Diskussionen zu führen, waren sie überaus bereit, die Bedingungen des Religionsfriedens zu erkunden und für sie vorteilhafte Klärungen herbeizuführen. Binnen Kurzem wurden die Details des Religionsfriedens von 1555 hinterfragt und die darauffolgenden Debatten wurden zum Schlüsselthema der deutschen Politik bis 1648. Dennoch ist der Versuch, von 1555 bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 eine durchgehende Linie zu ziehen, zwar verlockend, aber eine Vereinfachung, denn der Konflikt war nicht bereits durch den Augsburger Frieden vorprogrammiert. Zumindest bis 1570, wahrscheinlich aber bis in die frühen 1580er Jahre, waren die Verhandlungen über die Bedingungen des Religionsfriedens Teil eines umfassenderen Bemühens um Stabilität. Erst später wurde der konfessionelle Antagonismus in die grundlegenden Auseinandersetzungen um die Verfassung verwickelt, die dann zum Krieg führten.

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Die ersten Schwierigkeiten resultierten bereits aus dem einfachen Bedürfnis, die Grundsätze des Augsburger Abkommens zu klären. Zwei Probleme ergaben sich unmittelbar. Zum einen ging es um die Bestimmung, dass Kirchengut, das vor dem Passauer Vertrag (vom 2. August 1552) oder »danach« der einen oder anderen Konfession gehört hatte, als rechtmäßiger Besitz anerkannt werden sollte. Das brachte Katholiken wie Protestanten dazu, Besitzrechte von allem, was sie zu irgendeinem Zeitpunkt seit 1552 gehalten hatten, zu beanspruchen. Zusätzlich sollte das auch für alles gelten, was sie davor besessen hatten. 12 In der Praxis ignorierten die protestantischen Stände einfach alle katholischen Forderungen nach Restitution von Eigentum und fuhren mit der Säkularisierung von Kirchengütern und Stiftungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten fort. Auch die Säkularisierung von Bistümern wurde unvermindert fortgesetzt. Sachsen erhielt Meißen (1559) sowie Merseburg und Naumburg (beide 1565). Das Kurfürstentum Brandenburg verleibte sich 1560 die Bistümer Brandenburg, Havelberg sowie Lebus ein und ein Erzbischof der Hohenzollern machte 1561 Magdeburg und Halberstadt protestantisch. 13 Mecklenburg nahm sich Schwerin (1553) und Ratzeburg (1575), Lübeck, Bremen, Verden und Minden wurden protestantisch und gerieten früher oder später unter die Kontrolle benachbarter Herrschaftshäuser. Das Problem des Kirchenguts führte zu zahllosen Beschwerden, die den Hauptteil der erneuerten Gravamina ausmachten, mit denen beide Seiten auf dem Augsburger Reichstag von 1559 auftraten. 14 Zum anderen berührte die Säkularisierung der Bistümer noch ein weiteres Problem: die Frage der »Freistellung« von Individuen und Gruppen von den Beschränkungen der Gesetze des Religionsfriedens von 1555. Anfänglich drehte sich die Diskussion über diesen Punkt um die Legalität und die Folgen des reservatum ecclesiasticum, der Bestimmung im § 18 des Friedensabkommens, dass ein Kirchenfürst, der zum Katholizismus übertrat, seine Pfründe aufgeben müsse. Das war damals von den Protestanten nicht anerkannt worden und sie hatten gegen die Aufnahme dieser Bestimmung in das Abkommen protestiert. Aber sie hatten kein Veto eingelegt, was ihnen die Declaratio Ferdinandea einbrachte: die informelle Zusicherung, dass protestantische Ritter, Städte und Kommunen in kirchlichen Territorien das Recht hätten, ihre Religion beizubehalten. Diese Erklärung Ferdinands wurde nach 1576 zu einem ziemlichen Zankapfel. 15 Dagegen lehnten sie das reservatum ecclesiasticum als Gesetz ab und versuchten sofort, es zu untergraben. Jedoch war die Bedeutung des Begriffs »Freistellung« von vornherein sehr dehnbar. 16 Er konnte sich auf die Rechte von Adligen in geistlichen wie auch weltlichen Territorien beziehen. Ebenso problematisch war die Frage, ob die Magistrate der Reichsstädte die Pflicht hätten, den Status quo von 1555 zu bewahren, ob sie neue religiöse Gemeinschaften zulassen dürften und ob sie das Recht hätten, die

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offizielle Religion ihrer Stadt durch eine andere zu ersetzen. Das war vor allem für die Stände wichtig, deren religiöse Angelegenheiten nicht durch den Friedensschluss von 1555 geregelt worden waren, und insbesondere für jene Regenten, die nach diesem Zeitpunkt den Weg von Reformen beschritten. 17 Den Argumenten der pfälzischen Juristen von 1556 und 1559 zufolge konnte »Freistellung« das Recht aller Untertanen aller Stände bedeuten, die eine oder die andere der beiden Religionen frei auszuüben. Das Recht auf Auswanderung, so lautete ihre Begründung, beinhalte sicher auch das Recht, zu bleiben, und da das Recht auf Auswanderung nicht mit der Verpflichtung, die eigenen religiösen Überzeugungen zu wechseln, verbunden war, könnte auch das Recht, zu bleiben, nicht mit einer solchen Verpflichtung belastet sein. 18 Natürlich war dies kein »modernes« Argument im Sinn und zugunsten einer universellen Religionsfreiheit. Als sich die sächsischen Vertreter 1559 erkundigten, ob der Pfälzer Kurfürst den Katholiken in seinem Territorium tatsächlich die Freiheit, ihre Religion auszuüben, gestatten würde, lautete die Antwort, das sei problematisch. Im Wesentlichen wurde die Forderung nach allgemeiner Freiheit erhoben, weil die Protestanten an den baldigen Triumph ihrer Sache glaubten. 19 Anfänglich blieben die radikalen Forderungen der pfälzischen Juristen im Hintergrund. Auf dem Reichstag zu Regensburg 1556 unternahmen die Abgesandten des Kurfürsten Ottheinrich den Versuch, eine protestantische Partei auf die Beine zu stellen, die für die Religionsfreiheit eintreten und sich weigern sollte, zur Reichsverteidigung beizutragen, bis dieses Ziel erreicht wäre. Aber der Versuch schlug fehl. 1559 gab es in Augsburg neuerlich eine solche Initiative, die ebenfalls scheiterte. Die protestantischen Stände zogen es wieder einmal vor, dem Versöhnungskurs des sächsischen Kurfürsten zu folgen, und sie weigerten sich, finanzielle Leistungen an politische Forderungen zu knüpfen. Erneut forderten sie die Abschaffung des reservatum ecclesiasticum und erhoben scharfen Protest, als der Monarch wiederum der Forderung nicht nachkommen wollte. Aber sie unternahmen nichts weiter, außer dass sie eine detaillierte Liste ihrer Beschwerden vorlegten, worauf die Katholiken dasselbe taten. Angesichts dieser Beschwerden, mit denen zu verfahren das Reichskammergericht, wie die Protestanten nachdrücklich behaupteten, unfähig sei, schlug Ferdinand vor, das Problem der Reichsdeputation anzuvertrauen, die im nächsten Jahr das Gericht und seine Verfahrensweisen überprüfen sollte. Aber aus dem Vorschlag wurde nichts, weil die Katholiken der protestantischen Forderung, das Gericht bis zu dieser Überprüfung zu suspendieren, nicht zustimmten. Ferdinand wusste wohl, dass jede Einlassung seinerseits nur von der Partei akzeptiert würde, der sie von Nutzen wäre, und begnügte sich schließlich mit dem Rat, dass Auseinandersetzungen durch Kompromisse oder durch Rückgriff auf das Gesetz geregelt werden sollten.

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Bezeichnenderweise schienen beide Seiten bereit, dieses Ergebnis zu akzeptieren. Einzelne Stände verfolgten ihre Beschwerden weiter, sei es durch den Gang vor ein Reichsgericht, sei es durch unmittelbares Handeln, wobei sie häufig die Unterstützung benachbarter Glaubensbrüder genossen. Doch zeigte zu diesem Zeitpunkt keine Seite verstärkte Neigungen zu einer umfassenderen Aktion wie etwa der Bildung eines konfessionellen Bündnisses. 20 Der Erzbischof von Trier geriet unter Druck, als sich in der Stadt Trier selbst eine protestantische Gemeinde gründete, woraufhin er versuchte, Ferdinand als Mitglied für einen katholischen Bund zu gewinnen. Doch zerschlug sich der Plan, als deutlich wurde, dass Ferdinand nur an einem rheinländisch-niederdeutschen Äquivalent des Landsberger Bundes interessiert war. Ihm schwebte ein konfessionell gemischtes Bündnis vor, dem sowohl Philipp II. als Regent der Niederlande wie auch die protestantischen Regenten der Pfalz, Kursachsens und Hessens angehören sollten. Ziel des Bundes wäre die Stärkung des Reichs im Nordwesten und die Festigung seiner, Ferdinands, eigener Position als Herrscher. Die protestantischen Fürsten hatten kein Bedürfnis nach einem Bündnis mit Katholiken, doch aus den Plänen für einen protestantischen Bund wurde ebenfalls nichts. Selbst die fortwährenden Gerüchte, es gäbe antiprotestantische Allianzen zwischen deutschen katholischen Fürsten und außerdeutschen Mächten, was die deutschen Protestanten besonders fürchteten, riefen keine Reaktion hervor. 1562 schmiedete Philipp von Hessen den Plan, ein Verteidigungsbündnis westdeutscher Protestanten zu gründen; doch es blieb bei dem Plan. Während die Herzöge von Württemberg und Zweibrücken ein gewisses Interesse zeigten, richtete sich die Mehrheit der protestantischen Stände nach dem stets loyalen Kurfürsten von Sachsen. Selbst der neue Kurfürst der Pfalz, Friedrich III., der sonst seinem Vorgänger an Militanz in nichts nachstand und gerade damit beschäftigt war, sein Territorium calvinistisch zu reformieren, folgte bei dieser Gelegenheit dem sächsischen Kurs. Die gleiche grundsätzliche Festlegung auf die 1555 verabschiedeten Prinzipien – das Gleichgewicht zwischen den konfessionellen Gruppen und die Rolle des Monarchen dabei – zeigte sich auf Maximilians erstem Reichstag, der 1566 in Augsburg stattfand. 21 Das war vielleicht umso überraschender, weil das Religionsproblem sich in den letzten Jahren zu einer ziemlichen Gefahr entwickelt hatte. Aufgrund des Konflikts in Frankreich war es zu Kontakten zwischen Hugenottenführern und westdeutschen protestantischen Fürsten gekommen, die für einen Kredit sorgten und Truppenaushebungen in ihren Gebieten erlaubten. Frühe Kontakte mit den protestantischen Führern in den Niederlanden kamen hinzu, sodass einige befürchteten, diese Annäherungen seien der Beginn einer großen internationalen Koalition. 1563 dann veröffentlichte Kurfürst Friedrich den Heidelberger Katechismus und erklärte, dass die Kurpfalz vom lutherischen zum reformier-

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ten Glauben übergegangen sei. Er betrieb diese Reform mit beträchtlicher Energie und im Hinblick auf die Reichsritter unter seinen Vasallen, was ihm die Feindschaft vieler lutherischer Fürsten eintrug. Aber Maximilians Versuch, mit diesem ewigen Gegner des Hauses Habsburg fertig zu werden, scheiterte kläglich. Sein Vorschlag, den Kurfürsten vom Religionsfrieden auszuschließen, weil er sich dem Augsburger Bekenntnis verweigere, führte im Vorfeld des Reichstags zunächst zu beträchtlichen taktischen Manövern. Skrupellose Opportunisten und unverbesserliche Verschwörer wie die Herzöge von Württemberg und Zweibrücken sahen die Gelegenheit, einen mächtigen regionalen Konkurrenten zu schwächen. Andere, wie der Kurfürst von Brandenburg, wollten einfach einen Unruhestifter loswerden. Aber der Kurfürst von Sachsen sah die Sache überraschenderweise ganz anders. 22 Er führte an, dass Nachgiebigkeit gegenüber der Forderung des Monarchen einen Präzedenzfall schaffe, der potenziell alle protestantischen Stände kaiserlicher Angriffslust aussetze. Damit gewann er die Oberhand über Friedrichs lutherische Kritiker und sorgte für die Bewahrung protestantischer Solidarität. Maximilian erhielt die Antwort, dass der pfälzische Kurfürst alle Hauptartikel des Augsburger Bekenntnisses bejahe und von seinen Glaubensbrüdern nur in seiner Auffassung des Abendmahls abweiche. Darauf erwiderte Maximilian, es bereite ihm Sorgen, zu sehen, dass das Abendmahlproblem derart auf die leichte Schulter genommen werde, was mit dem Argument gekontert wurde, dass selbst Theologen in diesem Punkt höchst uneins seien und ihn oft mit so undurchsichtigen Worten darlegten, dass gewöhnliche Leute sie nicht verstünden. Da zudem der Kurfürst seine Bereitwilligkeit bekundet habe, an weiteren Gesprächen über dieses Problem teilzunehmen, widerspräche es dem Geist der christlichen Kirche, ihn zu verurteilen. Diese Solidarität mit Kurfürst Friedrich führte zur stillschweigenden Anerkennung des Calvinismus im Reich, was auf lange Sicht verhängnisvolle Folgen zeitigen sollte. Die Haltung des pfälzischen Kurfürsten war legitimiert, was seiner ehrgeizigen und provokanten Politik im Reich und außerhalb desselben Spielräume verschaffte. Auch für andere Stände war jetzt der Weg zum Calvinismus offen, was die Sache der Protestanten potenziell schwächte, weil es nun zwei antagonistisch einander gegenüberstehende Lager gab. Kurzfristig standen jedoch andere Dinge im Vordergrund. Zum einen war der Friedensschluss von 1555 bestätigt worden und damit hatte der sächsische Kurfürst sein Hauptziel erreicht. Zum anderen war dem Monarchen das Recht verwehrt worden, Sekten zu ächten, und, mehr noch, es war ihm verwehrt worden, das Misstrauen der katholischen Stände hinsichtlich seiner eigenen religiösen Loyalität zu zerstreuen, indem er gegen die Pfalz vorging. Zum Dritten hatte gerade Kursachsen die Pfalz »gerettet« und die Protestanten erfolgreich gegen den Monarchen einigen können, wodurch der sächsische Kurfürst auf absehbare Zeit wieder als Führer der protestantisch-lutherischen Stände und als Schiedsmann der Politik im Reich gelten konnte.

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Auch durch das Patt im Hinblick auf die anderen Aspekte des Religionsproblems wurde das Reich auf dem Augsburger Reichstag weiter stabilisiert. Die Präsentation der Gravamina wurde mit dem Rat bedacht, Beschwerden vor Gericht zu bringen. Der Monarch weigerte sich, den Friedensschluss von 1555 mit weiteren Klärungen oder Ausführungen zu versehen. Aufschlussreich ist das Schicksal einer Anfrage, die sich auf das Freistellungsproblem bezog. Sie wurde von den Wetterauer Grafen vorgebracht und von den protestantischen Ständen insgesamt übernommen. 23 Unter den vom Tridentinischen Konzil 1563 verabschiedeten Dekreten war auch die Abmachung, dass von nun an alle Stiftsherren den Treueeid zum katholischen Glauben leisten und dass alle Bischöfe binnen dreier Monate nach Amtseinführung geweiht werden sollten. Die Wetterauer Grafen, die mittlerweile alle zum Protestantismus übergetreten waren, sahen dies mit Recht als Bedrohung der traditionellen Optionen ihrer jüngeren Söhne für eine Laufbahn in Domkapiteln, insbesondere dem Kapitel von Köln. Bedroht war auch der politische Einfluss im Reich, den sie durch ihre Verbindungen mit denjenigen von ihresgleichen gewannen, die zu Fürstbischöfen gewählt wurden. Zwar weigerte sich Erzbischof Friedrich, den tridentinischen Eid abzulegen (und musste deswegen 1567 zurücktreten), doch wollte er mit den Wetterauer Vorschlägen nichts zu tun haben. 24 So hatten die Grafen auf dem Reichstag zu Augsburg nur noch die Option, sich dem Vorschlag der protestantischen Stände anzuschließen, der die allgemeine Religionsfreiheit vorsah. Da dieses Vorhaben, was vorauszusehen war, scheiterte, versuchten es die Grafen mit der Petition, dass ihre Verwandten von den neuen Pflichten und Eiden ausgenommen werden sollten, doch erhielten sie darauf nicht einmal eine Antwort. Auch in diesem Fall siegten die Befürworter des »Augsburger Systems« über Regenten wie den pfälzischen Kurfürsten und die Wetterauer Grafen, deren materielle und politische Interessen in der radikalen Veränderung des Status quo lagen. Für den Kurfürsten wie für die Grafen markierte der Reichstag von 1566 einen Wendepunkt. Ab diesem Zeitpunkt entfernten sie sich vom Hauptlager des Protestantismus und wandten sich immer entschiedener dem reformierten Glauben und der Sache der calvinistischen Rebellen in den Niederlanden zu. Allerdings glitten sie sehr allmählich in die Opposition hinüber; anfänglich war es nur eine kaum wahrnehmbare Verschiebung, deren volle Bedeutung erst viele Jahrzehnte später zutage trat. Einstweilen konnte Sachsen den Augsburger Konsens unangefochten vertreten. Der Reichstag von 1566 schloss mit einem »unerschütterlichen« Treuebekenntnis zum Religionsfrieden von 1555. 25 Das konnte die Protestanten ebenso wenig zufriedenstellen wie Rom. 26 Dem päpstlichen Legaten Commendone war es gelungen, die katholischen Stände zur Übernahme der tridentinischen Dekrete über Glaubensartikel und die Messe zu bewegen; das Übrige, so baten sie, solle auf

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einen günstigeren Zeitpunkt verlegt werden. Indem auch die Katholiken den Religionsfrieden im Reich bekräftigten, gaben sie dem imperialen Recht den Vorzug vor den Dekreten des Konzils von Trient. Das Papsttum konnte nicht verhindern, dass Maßnahmen, die von einem ökumenischen Konzil für alle Christen beschlossen worden waren, in Deutschland kaum besser als eine Reihe von Regeln für eine Sekte behandelt wurden. Wie in allen Sitzungen des Reichstags nach 1555 wurde die Solidarität der Stände auch 1566 durch die türkische Bedrohung gefördert. Da eine neue Offensive gegen die Hohe Pforte sich als unumgänglich erwies, stimmten sie einer Steuerabgabe von beispielloser Höhe zu: 48 Römermonate (umgerechnet mehr als drei Millionen Gulden) sollten aufgebracht werden. 27 Wichtiger jedoch war, wie der Reichstag mit einer innenpolitischen Bedrohung umging, die die Stabilität des Reichs so grundlegend auf die Probe stellte, wie die Auseinandersetzungen über das Religionsproblem es im ersten Jahrzehnt nach 1555 getan hatten. Wie die Stände mit der Rebellion des Reichsritters Wilhelm von Grumbach verfuhren, war ein Maßstab für die Festigkeit des Augsburger Systems. 28 Wie viele andere Rebellen berief sich auch Wilhelm von Grumbach auf das überkommene Recht, um das, was er als sein Erbe ansah, zu sichern. 29 Dass und wie die politische Welt sich änderte, war ihm keineswegs verborgen geblieben, ebenso wenig wie die Wandlungen in der Position der Reichsritter während der mittleren Jahrzehnte des Jahrhunderts. Grumbach war bereit, das Rechtssystem des Reichs wie auch das westeuropäische Netzwerk der Protestanten auszunutzen, um seine Sache voranzutreiben. Außerdem hatte er ein Talent für die öffentliche Darstellung und konnte sich gut als Opfer fürstlichen Ehrgeizes verkaufen. Häufig hat man ihn als Typus des rückwärtsgewandten mittelalterlich-fehdeversessenen Ritters gezeichnet, doch in Wirklichkeit war ihm durchaus bewusst, wie sich der Status des Ritters im Reich seit dem späten 15. Jahrhundert verändert hatte. Er wollte sich traditioneller Methoden ebenso bedienen wie der neuen regionalen Organisationen der Ritter, um sie im Namen einer großen politischen Vision zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Die Grumbachs waren eine einflussreiche fränkische Dynastie, die ihre Position durch erfolgreiches Lavieren zwischen den konkurrierenden politischen Ambitionen der Hauptregionalmächte, der Bischöfe von Würzburg und Bamberg, des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach und der Reichsstadt Nürnberg, erreicht hatte. Besonders enge Verbindungen gab es mit Würzburg, dessen Bischöfe die Grumbachs mit vielen Besitztümern belehnt hatten. Zudem waren zwei Angehörige der Dynastie selbst Bischöfe von Würzburg geworden und viele andere hatten dort über Domherrnpfründe verfügt. Wilhelm von Grumbach, geboren 1503, entstammte der jüngeren Linie der Dynastie in Rimpar, neun Kilometer nördlich von Würzburg. Dort wurde er zuerst

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am Hof von Lorenz von Bibra erzogen, dann am Hof von Brandenburg-Ansbach – vielleicht ein Versuch der Familie, ihre Unabhängigkeit von Würzburg zu betonen. Im Bauernkrieg zeichnete Grumbach sich aufseiten der Fürsten aus und kämpfte in der Entscheidungsschlacht von Rothenburg ob der Tauber, in der sein Schwager Florian Geyer, der sich zum Anführer der fränkischen Bauern aufgeschwungen hatte, fiel. Die Verbindungen zu Ansbach vertieften sich, als er zum engen Verbündeten des jungen Markgrafen Albrecht Alcibiades (* 1522, ab 1527 unter Vormundschaft seines Onkels Georg) wurde. 1538 wurde er Amtmann in Cadolzburg und zwei Jahre später unterstützte er den erfolgreichen Vorstoß des jungen Markgrafen zur Teilung des dynastischen Patrimoniums. Er überließ seinem Onkel Ansbach und verschaffte sich die Kontrolle über Kulmbach und Bayreuth. Grumbach begleitete seinen jungen Patron 1540 zum Hof Karls V. in Gent. Während Albrecht Alcibiades dort blieb, um die Gunst des Kaisers zu gewinnen und sich (1543) eine militärische Anstellung zu sichern, musste Grumbach aufgrund von Vorgängen in Würzburg seinen Aufenthalt am Genter Hof abbrechen. Der Tod des Bischofs Konrad von Thüngen veranlasste Grumbach, insgeheim an der Wahl seines Verwandten und Verbündeten, des Stiftsherrn Konrad von Bibra, mitzuwirken, um dessen Sieg über den ehrgeizigen Dekan Melchior von Zobel zu sichern. Grumbach wurde dann auch Seneschall am Hof des neuen Bischofs und Amtmann von zwei der profitabelsten Amtsbezirke. Seine Glückssträhne riss jedoch, als Bibra 1544 starb und nun Zobel gewählt wurde. Im darauffolgenden Jahr gab Grumbach sein Amt bei Hof auf und schied 1547 vollständig aus den Diensten des Bischofs aus. Dieser war nicht begeistert, als Grumbach eine Petition an den Augsburger Reichstag lancierte, in der die Forderung erhoben wurde, alle fränkischen Ritter von ihren Verpflichtungen gegenüber den regionalen Mächten zu befreien. Nun wandte sich Grumbach wieder Albrecht Alcibiades zu, der ihn 1551 zu seinem Statthalter in Kulmbach machte. Anfänglich war Grumbach Karl V. verpflichtet, folgte dann aber dem Markgrafen und trat dem Schmalkaldischen Bund bei. Nach dessen Niederlage setzten Grumbach und Albrecht den Kampf auf eigene Rechnung gegen die Bischöfe von Bamberg und Würzburg und gegen die Reichsstadt Nürnberg fort. Das endete jedoch katastrophal und kostete Grumbach seine Gebiete. Sie wurden von Würzburg konfisziert und die Herausgabe, trotz eines Urteils des Reichskammergerichts zugunsten von Grumbach im Sommer 1555, verweigert. Nun begann Grumbachs Rachefeldzug. Er erneuerte seine schon in den 1530er Jahren geknüpften Kontakte zu Frankreich – wo er vor einiger Zeit eine Obristenbestallung bekommen hatte – und trat in den Dienst des Kurfürsten von Brandenburg. Außerdem nahm er Kontakt zu den zwei potenziell kriegerischsten Regenten in der deutschen Politik auf: zum Kurfürsten der Pfalz und zu Herzog Johann Friedrich d. Mittleren von Sachsen. Dieser war immer noch voller Groll,

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weil man ihm 1547 seine Kurwürde genommen hatte, und er wurde jetzt, nach dem Tod von Albrecht Alcibiades, Grumbachs wichtigster Gönner. 1558 unternahm Grumbach den Versuch, Bischof Melchior von Zobel entführen zu lassen, was mit dem versehentlichen Tod des Bischofs endete, der von einem Gefolgsmann Grumbachs erstochen wurde. Grumbachs eigentliches Ziel, mit dem Bischof als Geisel die Rückgabe seiner Besitzungen zu erpressen, war damit fehlgeschlagen, was ihn nicht daran hinderte, noch ehrgeizigere Ideen zu entwickeln. Zusammen mit Herzog Johann Friedrich d. M. heckte er den Plan aus, mit französischer Unterstützung ein Söldnerheer auszuheben, das unter ihrem gemeinsamen Kommando dem Herzog die Kurwürde zurückbringen und Herzog Adolf von Holstein den dänischen Thron bescheren würde. 1562 heizte Grumbach den Ehrgeiz des Herzogs noch weiter an, indem er sich die Visionen eines Bauernjungen, Hans Tausendschön aus Gotha, zunutze machte. Tausendschön behauptete, Kontakt zu Engeln zu haben, die ihn in die Zukunft sehen ließen. Seine Voraussagen, dass der Monarch und auch der neue Bischof von Würzburg eines gewaltsamen Todes sterben würden, setzte die ohnehin schon gereizten Verschwörer – den Herzog, Grumbach selbst und ihre Entourage – weiter unter Spannung. Wichtiger war allerdings, dass Grumbach nicht nur die fränkischen, sondern auch die schwäbischen Ritter und den bayrischen Kleinadel um Unterstützung anging. Bedeutsam war auch, welches Echo sein Kampf beim niederen Adel im Norden Deutschlands hervorrief. Seine freundschaftlichen Kontakte zu deutschen Reiterhauptleuten, die nach dem Frieden von Cateau-Cambrésis vom Söldnerdienst aus Frankreich zurückgekehrt waren (nur um schon bald wieder, 1562–1563, im französischen Religionskonflikt auf beiden Seiten zu dienen), sicherten ihm öffentliche Aufmerksamkeit und Sympathie für seine Sache, sodass er auf bewaffnete Hilfe aus dem Norden hoffte. 30 Schließlich ging er gegen Würzburg vor. Nach der Veröffentlichung einer Flugschrift, die seine Vorwürfe gegen das Bistum begründete, führte er eine kleine Streitmacht von seiner neuen Basis bei Coburg an und nahm Würzburg im Oktober 1563 ein. Gemäß den traditionellen Fehderegeln zwang er Bischof und Domkapitel zur Unterzeichnung eines Vertrags, der ihm die Rückerstattung seines ganzen Besitzes garantierte. Dann zog er sich mit seinen Truppen auf Herzog Johann Friedrichs Territorium zurück. Dieser eklatante Landfriedensbruch beraubte ihn jeglicher Sympathien, die Ferdinand noch für ihn hegen mochte. Er wurde umstandslos geächtet. Nun fürchteten die süddeutschen Fürsten einen allgemeinen Adelsaufstand, einen neuen Ritterkrieg, bei dem die schwäbischen Ritter ihre Kräfte mit denen ihrer fränkischen Kollegen vereinigten. Der Koordinator des Widerstands war Herzog Christoph von Württemberg, der hart gearbeitet hatte, um das Fehlen von Adligen in seinem Territorium dadurch wettzumachen, dass er im schwäbischen

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Reichskreis eine führende Rolle spielte. Dadurch hatte er bei den schwäbischen Rittern Autorität und Einfluss erlangt, die er nun zu verlieren fürchtete. Auch Herzog Albrecht V. von Bayern, der sich gerade mit einem Aufstand protestantischer Adliger konfrontiert sah, wurde aktiv. Doch ein Treffen in Maulbronn im Januar 1564 führte zu keinem klaren Entschluss, weil der pfälzische Kurfürst Sympathie für die Rebellen hegte: ein weiteres Anzeichen für das Interesse der Kurpfalz, den Friedensschluss von 1555 zu destabilisieren, während fast alle anderen Fürsten den Erhalt des Friedens nachdrücklich bejahten. Grumbach selbst blieb unbeirrt und schmiedete noch kühnere Pläne. Nachdem er von Ferdinand geächtet worden war, setzte er seine Hoffnungen auf Maximilian, der im Juni 1564 zum Kaiser gekrönt wurde. Im Mai 1565 schickte Grumbach sogar einen Gesandten nach Wien, um Maximilian ein Bündnis aus Grafen und Rittern unter Einschluss des Herzogs von Sachsen anzubieten, der seine Kurwürde zurückerhalten sollte. Ziel des Bundes sei es, so Grumbach, den (angeblichen) Expansionsbestrebungen des Kurfürsten August von Sachsen entgegenzutreten und eine gestärkte Erbmonarchie in Deutschland zu errichten. Doch unmittelbar darauf zerschlugen sich die Aussichten auf ein solches Bündnis. Der Herzog von Bayern ging im Sommer 1564 entschieden gegen die protestantische Opposition vor und im August stellte sich die Mehrheit der fränkischen Ritter mit der Bekundung ihrer Unterstützung für den Friedensschluss von 1555 gegen Grumbach. Auch die schwäbischen Ritter sahen ein, dass ihre Interessen eher in der Bewahrung der Stabilität lagen. 1565 konnten die führenden Fürsten der Region ein neues Bündnis mit den Rittern schmieden, indem sie die proadlige Einstellung des pfälzischen Kurfürsten als reines Deckmäntelchen für Expansionsdrang und weitere Verbreitung des Calvinismus »entlarvten«. Maximilian selbst hatte entschiedene Maßnahmen gegen Grumbach eingeleitet, noch bevor der Gesandte in Wien eintraf. Zwar war er früher einmal Grumbachs Sache geneigter als Ferdinand gewesen, doch hatte er bereits im November 1563 mit dem sächsischen Kurfürsten ein gemeinsames Vorgehen verabredet. Wie er auf Grumbachs Gesandten reagierte, ist nicht bekannt, dafür aber seine Anti-Grumbach-Politik der Jahre 1565 und 1566. Nachdem Grumbach die Unterstützung aus Schwaben, Bayern und Franken verloren hatte, blieben ihm nur noch die Verbindungen zum Norden und zu Herzog Johann Friedrich. Damit war jedoch sein Schicksal besiegelt, denn nun blieb ihm nichts anderes übrig, als die Feindschaft des sächsischen Kurfürsten, des Hauptgaranten für den Religionsfrieden, zu provozieren. Auf dem Reichstag zu Augsburg 1566 trat ein neuer Gesandter von Grumbach auf, der berüchtigte Albrecht von Rosenberg, dessen Karriere als Kommandant im kaiserlichen Heer und fehdefreudiger Ritter der von Grumbach entsprach. Rosenberg wurde festgenommen und die Privilegien der schwäbischen Ritter wurden bestätigt. 31 Der Kurfürst von Sachsen sorgte dafür, dass der pfälzische Kurfürst

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sich auf keinen Fall auf Grumbachs Seite schlagen konnte, indem er Maximilians Versuch, den Calvin-Anhänger Friedrich III. vom Religionsfrieden auszuschließen, scheitern ließ. Damit war es ihm möglich, den Auftrag des Kaisers anzunehmen und das Dekret gegen Grumbach und seine Verbündeten zu vollstrecken. Ein 15.000 Mann starkes Heer marschierte nach Gotha, wo die Rebellen am 13. April 1567 gefangen genommen wurden. Eine Woche später wurde Grumbach auf dem Marktplatz bei lebendigem Leibe gevierteilt. Herzog Johann Friedrich wurde, zusammen mit seiner Frau, zu lebenslanger Haft in Wiener Neustadt verurteilt, wo er 1595 starb. Noch einige Jahre lang gab es Gerüchte über fortgesetzte Verschwörungen und einen unmittelbar bevorstehenden Aufstand von Adligen. Aber mit der Beseitigung Grumbachs flaute die Gefahr bald ab. Die Stände waren schnell bereit, dem sächsischen Kurfürsten die 950.000 Gulden für die Militäraktion zu erstatten. Ebenso einmütig wiesen sie Behauptungen zurück, denen zufolge die grumbachschen Händel Fehler im System von Recht und Ordnung hätten zutage treten lassen, die durch Bildung eines stehenden Heers unter dem Befehl des Kaisers behoben werden könnten. In der Tat hatte man ein paar Jahre lang kein Mittel gegen Grumbach gefunden und seine Rebellion hatte die Schreckbilder einer französischen Intervention sowie eines vom Territorialadel und den Reiterhauptleuten der Söldnerheere unterstützten Aufstands der Grafen und Ritter gegen die Fürsten heraufbeschworen. Maximilian, der sich vielleicht durch Grumbachs Vorhaben und Anspielungen auf die großen Pläne von Maximilian I. und Karl V. geschmeichelt fühlte, verhielt sich zögernd. Nicht so die Fürsten. Sie erstrebten regionale Sicherheit, womöglich durch Verhandlung und Vermittlung, nicht durch Gewalt. Für den sächsischen Kurfürsten jedoch bot sich Vermittlung im Fall Grumbach nicht an. Dessen Hauptförderer, der ernestinische Rivale von Kurfürst August, bedrohte dessen Position und die Sicherheit seines Territoriums. Sobald August sich der Unterstützung durch den Reichstag sicher sein konnte, handelte er rasch und sein Sieg 1567 machte die Zurückweisung von Maximilians Vorschlägen in Sachen Militär unvermeidlich. Grumbach hatte die Vorherrschaft der Fürsten zerschlagen wollen, besiegelte jedoch ironischerweise den Triumph des Territorialprinzips im Reich. Die erneute Bestätigung des Friedensschlusses von 1555 durch die Stände stabilisierte das in Augsburg beschlossene System, hatte aber auch Folgen für die Territorien und Städte. Einerseits konnten die Regenten aller Arten ihre territorialen Besitzansprüche konsolidieren. Was das im größeren Rahmen der Entwicklung der konfessionellen Kirchen in der zweiten Jahrhunderthälfte zu bedeuten hatte, wird später erörtert. 32 Jedoch fehlte noch eine wichtige Vorbedingung: die Klärung der Rechtslage und die Frage, ob Auseinandersetzungen über die Bedeutung der Gesetzgebung von 1555 friedlich gelöst werden konnten.

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Entwicklungen in katholischen Territorien sorgten für eine Unterbrechung der bis dahin anscheinend unaufhaltsamen Ausbreitung des Protestantismus. Zwar gab es Beschwerden seitens der Protestanten, doch bewirkten sie allgemein ein größeres Gleichgewicht der konfessionellen Mächte im Reich. Bayern, das die einheimische Opposition des Adels 1563 gebrochen hatte, machte 1569 den Vorreiter, indem es all jene auswies, die sich nicht dem tridentinischen Glaubensbekenntnis unterordneten. 33 Außerdem entwarf Herzog Albrecht V. (1550–1579) Strategien, um jüngeren Söhnen Bevorzugung bei der Berücksichtigung geistlicher Ämter zu verschaffen. Damit wollte er der Annexionspolitik der großen protestantischen Fürsten nacheifern und auch die Macht Bayerns ausweiten. Albrechts erfolgreichstes Projekt war sein Sohn Ernst (* 1554, † 1612). 1566 war er, im Alter von elf Jahren, bereits Bischof von Freising; 1573 wurde er zum Bischof von Hildesheim gewählt, 1577 war er Stiftsherr von Köln, 1581 Bischof von Lüttich. 34 Den Höhepunkt seiner Laufbahn erreichte er 1583 als Kurfürst und Erzbischof von Köln, konnte seinen Ämtern aber 1585 noch das Bistum Münster hinzufügen. Zwar wurde er 1577 zum Priester, jedoch niemals zum Bischof geweiht.Vielmehr zwang man ihn aufgrund seiner skandalösen Lebensführung 1595 zur Übergabe der Ämter an seinen Neffen, Ferdinand von Bayern, wonach er sich mit seiner Mätresse auf die Burg Arnsberg zurückzog. Die Bedeutung dieser Karriere, zumindest was die 1570er Jahre betrifft, liegt in der Art und Weise, in der ihr Erfolg zur Restauration des Machtgleichgewichts im Reich beitrug. Herzog Albrechts Pläne für seinen Sohn waren Teil einer machtpolitischen Strategie, mit der er seine Vormundschaft über den jungen Philipp II. von Baden-Baden nutzte, um zwischen 1569 und 1577 die Rekatholisierung dieses Territoriums zu betreiben. 35 Ab den 1520er Jahren hatten die Wittelsbacher mit den Habsburgern um den Einfluss auf die badische Dynastie konkurriert, die im südwestdeutschen Teil des Habsburger Systems traditionell eine Schlüsselrolle eingenommen hatte. 36 Nach 1536 hatte Herzog Wilhelm IV. keine streng katholische Politik verfolgen können, weil er nicht allein die Vormundschaft über den minderjährigen Markgraf Philibert besaß. Der andere Vormund, der Pfalzgraf von Pfalz-Simmern, hatte ihm einen protestantischen Verwalter an die Seite gestellt, und als Philibert 1556 sein Erbe antreten konnte, führte seine Politik des Zauderns zur weiteren Ausbreitung des Protestantismus. Philibert starb 1569 und sein Nachfolger, Philipp, war ebenfalls noch minderjährig. Das war die ideale Gelegenheit für Albrecht, Bayern wieder die Vorherrschaft zu sichern. Er beredete den Kaiser, näherstehende mögliche Vormunde wie Karl II. von Baden-Durlach oder Philiberts Bruder, Christoph II. von Baden-Rodemachern, zu ignorieren, weil sie Protestanten waren. Stattdessen wurde Albrecht ernannt, zusammen mit seiner Mutter, der Witwe Herzogin Jakobäa (einer Tochter

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Philipps I. von Baden), und Graf Karl von Zollern-Sigmaringen. Aber Albrecht dominierte im Trio und ergriff die Initiative, indem er seinen führenden Hofbeamten, Graf Ottheinrich von Schwarzenberg, zum Statthalter ernannte. Er behauptete, Baden sei katholisches Territorium geblieben, weil Philibert nie zum Protestantismus übergetreten war. Als Markgraf Philipp 1577 die Regentschaft übernahm, war die alte Religion, trotz des Widerstands der Untertanen, der sich auf dem Landtag energisch Luft machte, wieder überall im Land verbreitet. Nur wenige andere katholische Adelshäuser konnten es mit Albrecht aufnehmen, der nicht nur eine rabiate Innenpolitik betrieb, jüngeren Söhnen reiche Kirchenpfründe verschaffte und noch das Potenzial einer Vormundschaft als Instrument für eine »Außenpolitik« im Reich nutzte. Doch gab es noch Herrscher, die auch zur Ausgewogenheit zwischen Katholiken und Protestanten beitrugen. In Fulda führte die Wahl von Fürstabt Balthasar von Dernbach 1570 zu einem internen Machtkampf mit weitreichenden Folgen. 37 Wie einige der nördlichen Bistümer war auch die benediktinische Reichsabtei von Fulda von mächtigen protestantischen Nachbarn – Hessen und das ernestinische Sachsen – bedroht. Die nördlich von Fulda gelegene Abtei von Hersfeld hatte ihre Unabhängigkeit 1525 verloren und wurde im Lauf des nächsten Jahrhunderts ein säkularisiertes hessisches Territorium. 38 Fulda konnte zwar von der Unterstützung katholischer Nachbarn wie Mainz und Würzburg profitieren, doch garantierte auch die herausgehobene Position Balthasars als Mitglied des Fürstenkollegiums, Erzkanzler der Kaiserin und Reichsprälat mit dem Recht, Mitra und Ring eines Bischofs zu tragen, nicht die Beibehaltung seines reichsunmittelbaren Status. Die Ausbreitung des Protestantismus betraf die Städte Fulda und Hammelburg, den Adel und sogar die Domherren, was in den 1560er Jahren zu einer Autoritätskrise führte. Jedes formelle Zugeständnis an die Protestanten, jeder Gedanke an Säkularisierung hätte das Territorium früher oder später einem benachbarten Fürsten ausgeliefert. So verfolgte Dernbach zwar von Anfang an gegenreformatorische Strategien, doch war sein Hauptmotiv ganz einfach die Wiederherstellung seiner Herrschaft über sein Territorium und die Garantie seiner Unabhängigkeit. Binnen Jahresfrist nach seiner Wahl hatte Dernbach die Jesuiten ins Land geholt, das Bildungssystem reformiert, die katholische Liturgie gemäß den tridentinischen Dekreten wieder eingeführt und die Konkubinen seiner Domherren vom Hof verbannt. Noch umstrittener waren die Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Vorrechte als Regent. Wo immer es möglich war, schaffte er Privilegien ab, forderte vom Adel und den Vasallen des Domkapitels Feudalabgaben für sich, nahm den Städten ihre wirtschaftlichen und politischen Rechte und setzte eine zentralisierte Verwaltung ein, die von juristisch ausgebildeten und von ihm ernannten Beamten geführt wurde. 1573 hatten sich die Stände des Territoriums gegen ihn verbündet. Mit Unterstützung des Landgrafen von Hessen und des Kur-

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fürsten von Sachsen appellierten sie an das Reichskammergericht. Dort kreiste der Fall um zwei Fragen. War, zum einen, die Declaratio Ferdinandea überhaupt gültig und war sie, zum anderen, von Bedeutung für die Vorgänge in Fulda? Dernbach erhielt, unterstützt unter anderen vom Kaiser, von Mainz und Bayern, ein Urteil zu seinen Gunsten. Der Landgraf von Hessen und der Kurfürst von Sachsen gehorchten einer Verfügung des Gerichts, die ihnen die Intervention verbot. Aber Dernbachs Entschlossenheit, sein Reformprogramm gegen alle Widerstände durchzusetzen, brachte ihm die Opposition seiner katholischen wie protestantischen Untertanen ein. Seine Stunde schlug, als die Gegner im neuen Bischof von Würzburg, Julius Echter von Mespelbrunn (1573–1617) einen idealen Verbündeten fanden. Mespelbrunn gefiel den Domherren, weil er, selbst ein geistlicher Fürst, Fuldas geistlichen Status bewahren wollte und daher in der Lage wäre, ihnen ihre Pfründe zu erhalten; er gefiel den Rittern, weil er versprach, sie als Reichsritter anzuerkennen, was ihnen automatisch das Recht auf freie Religionsausübung sicherte. 39 Im Juni 1576 wurde Dernbach zum Rücktritt gezwungen und musste die Abtei dem Bischof von Würzburg als Administrator übergeben, der wiederum verpflichtet war, sie im Jahr darauf an einen kaiserlichen Kommissar, den Deutschmeister der Ordensritter, weiterzureichen. Dernbach selbst verbrachte die nächsten 26 Jahre damit, vor Gericht seine Wiedereinsetzung auf dem Klageweg zu erstreiten. 1602 hatte er Erfolg und konnte noch vier glanzvolle Jahre als Fürstabt verbringen und sein originäres Reformprogramm neu zu beleben suchen. Trotz aller Probleme erreichte er sein ursprüngliches Ziel: Fulda blieb katholisch. Auch der Erzbischof von Mainz, Daniel Brendel von Homburg, restaurierte in seinem Eichsfelder Territorium in einer Mischung aus gegenreformatorischen Methoden und machtpolitischen Intentionen den Katholizismus. 40 Die Sympathien des dortigen Adels für den Protestantismus und die protestantischen Mehrheiten in den Städten Duderstadt und Heiligenstadt bedrohten die Herrschaft des Erzbischofs in dieser strategisch wichtigen nordöstlichen Exklave, die von den protestantischen Territorien Hessen, Braunschweig und Sachsen umgeben war. Im Mai 1574 marschierte der Erzbischof mit 2.000 Soldaten in den Distrikt ein und hatten binnen zweier Monate seine politische Autorität und den katholischen Glauben wiederhergestellt. Diese Vorgehensweise ist oft als schlagendes Beispiel für gegenreformatorische Brutalität angesehen worden, doch vermied der Erzbischof Gewalt und Vertreibung. Zudem wurde das Territorium nicht vollständig rekatholisiert, und das blieb für viele Jahrzehnte so. Unmittelbar nach der bewaffneten Visitation beharrte der Eichsfelder Adel unter Berufung auf die Declaratio Ferdinandea auf seinem Recht der freien Religionsausübung und bat Hessen und die Pfalz um Unterstützung. Doch die Reichsritter der Region Mittelrhein, die im Kurfürstentum eine führende Rolle spielten, verweigerten sich und selbst Protestanten wie der mächtige Hofmeister Hart-

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mut (XIII.) von Cronberg bejahten die Vorgehensweise des Erzbischofs und sprachen sich auf der Wormser Versammlung der rheinländischen Ritter, die dem Reichstag zu Regensburg 1576 vorherging, gegen jede Veränderung der Bestimmungen des Religionsfriedens aus. 41 Was sie keinesfalls wollten, war jene Art von Säkularisierung, die in den nördlichen Bistümern durchgeführt worden war und zur Übernahme durch Fürsten und Grafen geführt hatte, während die Pfründner unterer Ränge, zu denen auch die Ritter gehörten, ausgeschlossen worden waren. Die mittelrheinischen Ritter, ob Katholiken oder Protestanten, unterstützten die Stabilisierung des Kurfürstentums, die vielen von ihnen Karrieren bescherte, und sie unterstützten die Stabilisierung des Reichs, die wiederum die Existenz des Kurfürstentums garantierte. In allen diesen Fällen wurde der Katholizismus dort wieder eingeführt, wo es schon etablierte protestantische Gemeinden gab. In allen diesen Fällen lag einer der anerkannten Grundsätze des Friedensschlusses von 1555, des ius reformandi, quer zu einem anderen Grundsatz, der Declaratio Ferdinandea. Die betroffenen Parteien wandten sich an äußere Mächte um Hilfe, aber diese Mächte, allen voran Sachsen und Hessen, scheuten das Risiko eines Kriegs. Es ist bezeichnend, dass der Grundsatz des ius reformandi, des Rechts von Regenten, die religiöse Verfasstheit ihrer Territorien zu bestimmen, den Vorrang vor dem vermuteten Recht von Rittern, Städten und Gemeinden genoss. Diesbezüglich häuften sich die Klagen und so gab es während der Verhandlungen anlässlich der Wahl von Erzherzog Rudolf zum römischen König 1575 und auf dem Reichstag zu Regensburg 1576 einen konzertierten Versuch, die Gültigkeit der Declaratio Ferdinandea ein für alle Mal bestätigt zu sehen. 42 Aber trotz der Drohung, dass die Beiträge für eine Türkensteuer nicht fließen würden, blieben Maximilian II. und die katholischen Stände eisern bei ihrer Auffassung, dass Ferdinand seine Zusicherung niemals formell gegeben habe und sie daher keinen Rechtsstatus besitze. Wäre die Zusicherung als Gesetz anerkannt worden, wäre damit das 1555 geschaffene Gleichgewicht dahin- und der Weg für weitere Zusätze zum Friedensabkommen frei gewesen. Daraufhin brachten die Wetterauer Grafen ein Gesuch vor, das Verbot der religiösen Konversion für geistliche Territorien aufzuheben. Sie klagten darüber, dass die Ausweitung des Konversionsverbots auch auf die Inhaber selbst kleiner Pfründe ihre jüngeren Söhne und Töchter von den Stiftungen ausschlösse, zu denen sie traditionellerweise Zugang gehabt hätten. Da sie nun der Option eines zölibatären Lebens beraubt seien, würden sie Familien gründen und demgemäß vermehrten sich die Grafen »wie Kaninchen«. 43 Aber das Gesuch kam nicht einmal vor den Reichstag, denn obwohl es von Rittern in Franken, Thüringen und der Harzgegend unterstützt wurde, waren Sachsen und Brandenburg nicht bereit, eine so weitgehende Veränderung des Augsburger Friedensschlusses in Betracht zu

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ziehen. Wie üblich war es die Pfalz, die für die Veränderung eintrat, während Sachsen die Beschlüsse von 1555 verteidigte. Schließlich stimmten die Stände für eine höhere Türkensteuer als je zuvor (60 Römermonate). Auf Beschwerden im Zusammenhang mit der Gesetzgebung von 1555 reagierte der Kaiser gewöhnlich mit dem Hinweis, dass die Beschwerdeführer sich an die Gerichte wenden sollten. Tatsächlich brachte das Reichskammergericht die Gesetzgebung erst richtig in Gang und Funktion, was sich nicht von vornherein abzeichnete, weil Protestanten und Katholiken das Gericht und das von ihm vertretene Recht unterschiedlich einschätzten. Die Protestanten meinten, dass die Gesetzgebung von 1555 ihnen Anerkennung und Gleichberechtigung garantiere, während die Katholiken die Gesetzgebung als zeitlich begrenzt ansahen. Aber die Visitation des Gerichts 1560 hatte konfessionelle Parität für die Besetzung von Kammern bzw. Beratergruppen empfohlen, die über Fragen konfessioneller Rechte zu entscheiden hatten. Damit verfügte das Gericht über eine gute Arbeitsgrundlage. 44 Mit der Zeit entwickelte das Gericht geschickte Methoden, um mit Pattsituationen (den sogenannten paria vota) umzugehen: Es beschäftigte ganze Reihen von konfessionell paritätisch besetzten Beratergruppen; es ließ sich auf Kompromisse ein, die beiden Parteien etwas gaben; es empfahl neue Anhörungen an untergeordneten Gerichten und regte Vermittlungsverfahren vor Ort an. Auch die Tatsache, dass es oft lange für die Urteilsfindung brauchte, war durchaus hilfreich, denn so hatten die Parteien Zeit, sich friedlich zu einigen oder gar die Klage fallen zu lassen. Weil Gewaltanwendung während der Anhängigkeit eines Falles streng bestraft wurde, sorgte auch dies in der Zeit der Prozessdauer für Frieden. 45 Natürlich konnte keine noch so umfangreiche richterliche Aktivität die relativ einheitliche Rechtsordnung wiederherstellen, die vor der Reformation geherrscht hatte. Die rechtliche Institutionalisierung von Verstellung und Zweideutigkeit, die in den Jahrzehnten nach 1555 durch sophistische Argumentation von Juristen beider Seiten noch verstärkt und verkompliziert wurde, konnte zweifellos als Anleitung zum offenen Konflikt verstanden werden, doch hielt der Friede, weil fast alle ein Interesse daran hatten. Dass das Augsburger System funktionierte, war das Verdienst von Ferdinand I. und Maximilian II. und wurde auch nicht durch die Thronfolge Rudolfs II. im Oktober 1576 am Ende des Reichstags zu Regensburg gestört. Nach einer Visitation 1583 verfeinerte das Reichskammergericht seine Verfahrensweisen weiter. Und, was ebenso wichtig war: All jene Fälle, die im ersten Jahrzehnt von Rudolfs Regentschaft zu politischen Problemen wurden, zeigten, dass die Hauptmächte im Reich sich weiterhin dem Friedensschluss von 1555 verpflichtet fühlten. Die Krisen, die durch Auseinandersetzungen in Aachen, Magdeburg und Köln ausgelöst wurden, verwiesen auf die dem Friedensschluss innewohnenden Probleme wie auch auf das Bemühen, ihn zu bewahren.

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Die Aachener Kontroverse warf die Frage nach den Rechten der Reichsstädte in Religionsangelegenheiten auf. 46 Die Auseinandersetzung war besonders heikel, weil sie sich im Westen des Reichs abspielte, in unmittelbarer Nähe zu den religiösen Konflikten Frankreichs und der Niederlande, was allen Parteien bewusst war. 1555 galt Aachen formell als katholisch. Jedoch hatte sich ab etwa 1550 eine kleine, aber lautstarke Minderheit von Lutheranern und Calvinisten dort niedergelassen. 1559–1560 übten der Kaiser und Herzog Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg, der in der Stadt verschiedene Ämter und Hoheitsrechte innehatte, auf den Stadtrat Druck aus, die Protestanten zu unterdrücken, damit zwischen dem protestantischen Nordosten und den Niederlanden ein, wie sie es sahen, kräftiger katholischer Sperrgürtel erhalten blieb. Folgsam verabschiedete der Magistrat ein Dekret, das alle städtischen Ämter und die Mitgliedschaft im Stadtrat den Katholiken vorbehielt. 1574 jedoch war die protestantische Gemeinde stark angewachsen, hatte in diversen Gilden die Mehrheit gewonnen und verlangte jetzt Sitze im Stadtrat. 1580 forderten Lutheraner und Reformierte das Recht auf öffentliche Gottesdienste, woraufhin die Katholiken, wieder unterstützt von Herzog Wilhelm, sich beschwerten. Rudolf II. schickte Kommissare, die für die Durchsetzung des Ausschließungsstatuts von 1560 sorgen sollten. Nun wandte sich der Stadtrat an das Reichskammergericht, um ein Urteil gegen den Herzog zu erreichen, doch konnten die Richter sich nicht einig werden. Folglich kam der Konflikt 1582 vor den Reichstag zu Augsburg, wo sich die Reichsstädte beschwerten, dass ihr ius reformandi, ihr Recht als regierende Magistrate gemäß der Gesetzgebung von 1555, nicht anerkannt würde. Eine Kommission unter Leitung der Kurfürsten von Trier und Sachsen fand 1584 auch keine Lösung, weshalb die Sache an den Reichshofrat in Wien verwiesen wurde. Bedeutsam für die Art der Abwicklung dieser Kontroverse ist die von Rudolf geübte Zurückhaltung. 1581 hatte er den externen Förderern der katholischen Sache – dem Herzog von Jülich, dem Erzbischof von Lüttich und dem Herzog von Parma – befohlen, Gewaltanwendung um jeden Preis zu vermeiden. Er selbst begnügte sich damit, zuzusehen, wie sein Verbündeter, der Herzog von Jülich, vor dem Reichskammergericht verklagt wurde. Als der Fall vor den Reichstag kam, trug er zur Bildung einer bikonfessionellen Kommission bei. Als diese scheiterte und die Sache vor seinen eigenen Gerichtshof in Wien kam, enthielt er sich zehn Jahre lang jeglichen Urteils. Erst 1593 entschied das Gericht zugunsten der Katholiken und ordnete erneut die Durchsetzung des Dekrets von 1560 an, was aber erst durch den Kurfürsten von Köln 1598 gewaltsam geschah. Anders gesagt, zögerte Rudolf in den 1580er Jahren, mit dem Augsburger System zu brechen, während er es in den 1590er Jahren tun konnte, weil das protestantische Lager mittlerweile gespalten war. 47

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In der Magdeburger Kontroverse, die ebenfalls auf dem Reichstag von 1582 zutage trat, ging es um das reservatum ecclesiasticum, die Bestimmung von 1555, die die Säkularisierung von Fürstbistümern verbot. 48 Das Problem entzündete sich an der Frage, ob ein Fürstbistum lutherisch werden könnte, ohne die Bestimmungen des Augsburger Friedensschlusses zu verletzen. Die Säkularisierung und Annexion eines territorialen Fürstbistums durch einen Regenten wie den Kurfürsten von Brandenburg (in den 1550er und 1560er Jahren) hinzunehmen, war eine Sache; eine völlig andere, von der Unterwanderung eines unabhängigen benachbarten Fürstbistums den Blick abzuwenden. In einem regulären Fürstbistum konnte einem Kandidaten für das Bischofsamt ein Lehen erst gewährt werden, wenn er zuvor durch den Papst in seinem Amt bestätigt wurde. Das Erzbistum Magdeburg war bereits 1552 fast völlig lutherisch, blieb aber bis 1561 unter Erzbischof Sigmund von Brandenburg (1552–1566) formell katholisch. Dann jedoch erklärte er das Augsburger Bekenntnis zur Grundlage von Magdeburgs Religion, was er dem Reichstag 1566 bekanntgab. Sigmund hatte seine lutherischen Sympathien verborgen, um die Bestätigung durch Kaiser und Papst zu erhalten. Sein Nachfolger, Joachim Friedrich von Brandenburg, Erbe der Kurwürde, war von Beginn an ganz offen lutherisch und versprach in seiner Wahlkapitulation, alle noch verbliebenen religiösen Klöster und Stiftungen zu reformieren. Da er bereits über die territorialen Bistümer Brandenburg, Havelberg und Lebus verfügte, wurde er in Magdeburg anfänglich als Administrator gewählt, aber sein Luthertum machte die Zustimmung des Papstes und damit auch des Kaisers unmöglich. Da er mithin nach Ansicht der katholischen Kirche kein Erzbischof war, war er also nach Ansicht des Reichs nicht einmal ein Fürst. Maximilian II. weigerte sich, die Anerkennung Joachim Friedrichs in Betracht zu ziehen, eine Haltung, die durch dessen Heirat mit seiner Cousine, Katharina von Küstrin, im Januar 1570 noch bestärkt wurde. Der Kaiser stimmte 1569 lediglich dem Verfahren zu, dass Briefe von der Hofkanzlei an das Domkapitel adressiert und mit der Aufforderung, die »zuständigen Autoritäten« vom Inhalt der Briefe in Kenntnis zu setzen, versehen werden sollten. 49 Doch wies Maximilian die Forderung von Kardinal Otto von Augsburg, Joachim Friedrich gewaltsam aus Magdeburg zu entfernen, mit Nachdruck zurück. Er zog es vor, sich so zu verhalten, als wären Magdeburg und andere Bischofssitze mit ähnlichen Problemen einfach vakant, ohne dass er Schritte unternahm, um die Vakanz zu beenden. Auch Rudolf II. weigerte sich, dem Gesuch von Joachim Friedrich und seinem Vater, dem Kurfürsten von Brandenburg, nach Anerkennung stattzugeben. Doch der Administrator war nicht bereit, seinen Ausschluss aus dem Reichstag auf Dauer zu akzeptieren. 1582 erschien er, unterstützt von seinem Vater und dem Magdeburger Domkapitel, auf dem Reichstag zu Augsburg und schickte einen seiner Berater zum Fürstenkollegium, um den Sitz für Magdeburg zu beanspruchen.

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Die katholischen Fürsten erhoben sofort Einwände. Die Bayern argumentierten, dass die Zulassung von Magdeburg einen Präzedenzfall schaffe, der das Ende aller Fürstbistümer beschleunigen, zum Hinscheiden der katholischen Religion und schließlich gar des Reichs selbst führen könnte. 50 Ließe man protestantische Administratoren zu, hätten Protestanten bald die Mehrheit im Fürstenkollegium; wenn einer der geistlichen Kurfürsten konvertierte, gäbe es eine Mehrheit von protestantischen Kurfürsten und damit einen protestantischen Monarchen. Diese Argumente waren vielleicht melodramatisch und einige Protestanten hatten den Eindruck, dass die Katholiken Magdeburg einen Opferstatus zuwiesen. Schließlich hatten die Administratoren oder Bischöfe von Bremen, Halberstadt und Lübeck ihre Sitze ohne Kontroverse eingenommen. Aber ihnen hatte Rudolf, abhängig von der päpstlichen Bestätigung, ein zeitlich begrenztes Lehen eingeräumt. Entscheidend war, dass diese Fürsten sich noch nicht offen zu ihrem Luthertum bekannt hatten. Als die Auseinandersetzung den Reichstag zu lähmen und damit eine dringend benötigte Türkensteuer zu blockieren drohte, wandte sich Rudolf erneut an den Kurfürsten von Sachsen. Zwar hatte August I. ursprünglich die Sache Magdeburgs unterstützt, erklärte nun aber, sie sei das Risiko eines größeren Konflikts nicht wert. 51 Als Gespräche über einen zeitweiligen Kompromiss, bei dem alle für die Dauer der Sitzung das Gesicht wahren konnten, scheiterten, zog Joachim Friedrich seinen Antrag zurück. Das Problem der politischen Rechte von protestantischen Administratoren oder Bischöfen sollte in den viel bedeutungsschwereren Verfassungskonflikten der 1590er Jahre eine Rolle spielen. 52 1582 jedoch war wieder einmal entscheidend, dass der Kaiser und die führenden Fürsten um der Bewahrung des Friedens willen vor einer offenen Konfrontation zurückschreckten. Und wieder war es der Kurfürst von Sachsen, dem das Ergebnis zu verdanken war. Ebenso war sein Eingreifen entscheidend für den Kampf um Köln, der gerade zu der Zeit ein kritisches Stadium erreicht hatte. 53 Pläne für die Reformierung und Säkularisierung von Köln hatte es seit den frühen 1540er Jahren gegeben. 54 Nach 1555 war der geistliche Status des Kurfürstentums für die westfälischen und Wetterauer Grafen zum Zankapfel geworden und die Kampagne drehte sich vor allem darum, das reservatum ecclesiasticum zu beseitigen. Zudem hatte Köln in den 1560er und 1580er Jahren eine zentrale Bedeutung erlangt, weil das Bistum quer zwischen Frankreich und den Niederlanden lag, wo hier wie dort religiöse Konflikte tobten. Für die Habsburger war Köln nicht nur die Säule des Katholizismus im Nordwesten, sondern bildete auch einen entscheidenden Abschnitt in jenem Korridor, durch den sie Truppen vom Mittelmeerraum nach Norden in die Niederlande schleusen konnten. Der andere Faktor, der das Kurfürstentum zu einem offenkundig vielverspre-

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chenden Angriffsziel für protestantische Strategen machte, war die sichtliche Unfähigkeit seiner Regenten. Während eines ganzen Jahrhunderts wurde keiner der Inhaber, die Adolf von Schaumburg (1546–1556) folgten, zum Bischof geweiht und keiner erfüllte irgendwelche kirchlichen Pflichten. Allerdings konnte es auch keiner mit dem Domkapitel aufnehmen, das sich als wahrer Wächter des Kurfürstentums verstand. Friedrich von Wied (1562–1567) weigerte sich zwar, den tridentinischen Eid abzulegen, was, wie er meinte, von einem Reichsfürsten vernünftigerweise nicht verlangt werden könne, doch wollte er auch mit der politischen Kampagne der Wetterauer Grafen nichts zu tun haben. 1567 trat er nach zermürbenden Auseinandersetzungen mit dem Domkapitel über Geld und Machtbefugnisse zurück. Dann gab es Gerüchte, dass Friedrichs Nachfolger, Salentin von Isenburg (1567–1577), sofort zurücktreten würde. 55 Er war der letzte männliche Vertreter seiner Linie und selbst bei seiner Wahl im Alter von 36 Jahren mehr darauf bedacht, seiner Dynastie die Weiterexistenz zu sichern, als die Pflichten seines Amtes als Erzbischofs zu erfüllen. Dennoch brachte er es fertig, sich 1574 zum Bischof von Paderborn wählen zu lassen. In seiner Politik war er durch und durch katholisch. Allerdings wollte er, was allgemein bekannt war, heiraten, woraufhin ihm der Kurfürst der Pfalz seine Tochter und seine Unterstützung anbot, wenn er, wie Herzog Johann Friedrich in Magdeburg, als Administrator und Reformator in Köln tätig werden wolle. Doch auch Salentin schreckte vor einem so revolutionären Schritt zurück. Es gelang ihm, wie schon seinem Vorgänger, nicht, das Domkapitel zu zähmen, das ihm das beträchtliche Einkommen aus den Rheinzöllen bei Zons ebenso verweigerte wie die Zustimmung zur Ernennung von Ernst von Bayern zu seinem Amtsgehilfen. Als er 1577 eine Tochter des Grafen von Arenberg heiratete, trat er von seinen Kirchenämtern zurück. Eine einflussreiche Koalition, bestehend aus dem Kaiser, dem Papst, dem König von Spanien und den Herzögen von Bayern und Jülich-Kleve-Berg, hatte gehofft, noch vor Salentins Rücktritt die Wahl von Ernst von Bayern durchsetzen zu können. Aber das Domkapitel demonstrierte erneut seine Unabhängigkeit, indem es mit knapper Mehrheit Gebhard Truchsess von Waldburg (1577–1583) wählte, was die traditionelle Rolle der Grafen im Kurfürstentum gegenüber den Reichsfürsten bekräftigte. Die protestantischen Stiftsherren und die weniger begeisterten Katholiken stimmten für Gebhard, weil sie einen einfachen Adligen dem Sohn eines mächtigen Fürsten vorzogen. Anfänglich schien Erzbischof Gebhard der geeignete Mann für dieses Amt zu sein. 56 1578 hatte er sich zum Priester weihen lassen und vor dem Erzbischof von Trier den tridentinischen Eid geschworen; im Frühjahr 1580 bestätigte der Papst seine Wahl. Zwar begann er zu eben dieser Zeit eine Liaison mit der protestantischen Stiftsdame Agnes von Mansfeld, doch wurde das erst 1582 zum Problem, als

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ihre Brüder forderten, er solle Agnes heiraten und zum Protestantismus übertreten. Gebhard wollte weder seine Beziehung noch sein Territorium aufgeben; er besetzte Bonn im November 1582 gewaltsam und verbrachte den Domschatz in die Festung. Im Dezember schwor er dem katholischen Glauben ab und erklärte seine Untertanen für frei in Sachen Religion. Zwei Monate später heiratete er Agnes. 57 Offensichtlich wurde Gebhard in seinen Plänen von einer Reihe Wetterauer Grafen außerhalb und innerhalb des Domkapitels, wie auch von Johann Casimir von Pfalz-Lautern, dem jüngeren Bruder des pfälzischen Kurfürsten und dem militantesten Fürsten reformierten Glaubens im Reich, unterstützt. 58 Auf die Sympathien des pfälzischen Kurfürsten konnte Gebhard ebenfalls rechnen. Zwar war der Kurfürst ein Lutheraner, doch fühlte er sich der traditionellen Pfälzer Politik verpflichtet, ein protestantisches Bündnis im Reich zu schmieden. Zudem hatte er viel bessere Aussichten auf ein gutes Verhältnis mit Brandenburg und Sachsen, als seine Vorgänger es je gehabt hatten. 59 Doch lehnte die Mehrheit des Domkapitels das Vorgehen Gebhards entschieden ab und fand Unterstützung beim Papst, dem spanischen König, dem Kaiser, dem Herzog von Bayern und anderen. Schon im März 1583 wurde Gebhard exkommuniziert und seiner Ämter enthoben. Im April ächtete ihn der Kaiser und im Mai wurde Herzog Ernst von Bayern zu seinem Nachfolger gewählt. Eine Zeit lang hoffte Gebhard auf die Hilfe der protestantischen Kurfürsten. Seine Amtsenthebung schien Gerüchte zu bestätigen, die seit den 1560er Jahren kursierten und besagten, dass Rom bestrebt sei, das Kurfürstenkollegium zu kontrollieren, und sogar plane, das eine oder andere protestantische Mitglied durch ein katholisches zu ersetzen. 60 Wäre das so, müssten die drei existenten geistlichen Kurfürstentümer um jeden Preis verteidigt werden. Ludwig VI. von der Pfalz wandte sich mit Nachdruck gegen diesen vermuteten Anschlag auf die Unabhängigkeit der Kurfürsten und sah Gebhards Heirat als Gelegenheit, im Kurfürstenkollegium für eine protestantische Mehrheit zu sorgen. Auch Johann Georg von Brandenburg war empört über die Bedrohung der deutschen Verfassung und selbst August von Sachsen zeigte sich beunruhigt. Erst Ludwigs Tod im Oktober 1583 entschärfte die Situation etwas. Sein Erbe, Friedrich IV., wurde erst 1592 volljährig. Friedrichs Vormund und bis zu dessen Volljährigkeit der Administrator der Pfalz war Johann Casimir, ein überzeugter Calvinist, der erneut das Misstrauen zwischen den lutherischen Territorien Brandenburg und Sachsen einerseits und der reformiert-gläubigen Pfalz andererseits aufflammen ließ. Zudem war er kein Mitglied des Fürstenkollegiums, wodurch Sachsens traditionelle Vermittlungspolitik größeren Spielraum bekam. 61 Schließlich aber wurden alle Argumente über Präzedenzfälle, Taktiken und die Zukunft des Fürstenkollegiums von der Wirklichkeit eingeholt. Mit Geld aus Rom,

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Bayern und von verschiedenen Fürstbischöfen sowie spanischen Truppen aus den Niederlanden konnte Ernst die 7.000 pfälzischen Soldaten, die zu Gebhards Verfügung standen, besiegen. Im Januar 1584 hatte er Bonn erobert und seine Herrschaft im Kurfürstentum etabliert. Der »Krieg« flammte bis zum Ende des Jahrzehnts gelegentlich wieder auf, allerdings vorwiegend als zweite Front im Kampf um die Niederlande. 62 Wiederholt machte Gebhard sich Hoffnungen, weil ihm neben den holländischen Rebellen auch noch Adolf von Neuenaar, der Statthalter von Geldern, und der geldrische Hauptmann Martin Schenck von Hydegger Unterstützung versprachen. Ebenso gab es Aussicht auf Hilfe von England. 1587 eroberten holländische Söldner Bonn, das von spanischen Truppen wieder befreit wurde. Erst 1587 zogen sich Gebhard und seine Frau aus dem Kampf zurück. Gebhard ging nach Straßburg, wo er Domdechant wurde. Übrigens hatte dort, ganz ohne sein Zutun, 1584 eine ähnliche Auseinandersetzung über die Kontrolle des Erzbistums begonnen. Dabei ging es um die Frage, ob das reservatum ecclesiasticum auch für Stiftsherren gelte. Diese Auseinandersetzung wurde in den 1590er Jahren zu einer für das Reich sehr gefährlichen Konfrontation. 63 Gebhard hatte den Kampf um Köln 1584 verloren und es war für seine isolierte Stellung im Reich bezeichnend, dass im Januar 1585 die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen Ernst als legitimen Kurfürsten von Köln formell anerkannten. Als der pfälzische Kurfürst im August 1583 erklärte, die Kölner Ereignisse hätten das Ende des Religionsfriedens eingeläutet, war das voreilig. Tatsächlich war der Friede durch die Entschlossenheit des sächsischen Kurfürsten, keine Verletzung desselben zuzulassen, erneut bewahrt worden. 64

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Ritter, Geschichte, Bd. I, 255. Kleinheyer, »Abdankung«, 129–133. Ritter, Geschichte, Bd. I, 144. Ritter, Geschichte, Bd. I, 144–145. Ritter, Geschichte, Bd. I, 156–158. Bundschuh, Religionsgespräch, 170–247. Rabe, Geschichte, 530–531. Ritter, Geschichte, Bd. I, 135. Bundschuh, Religionsgespräch, 370–507. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 98. ADB, Bd. IV, 60–61; Louthan, Quest, 104–105, 130. Schindling, »Passauer Vertrag«. Magdeburg wurde 1648 brandenburgisches Territorium und Halberstadt eine protestantische Sekundogenitur von Braunschweig-Wolfenbüttel. Wolgast, Hochstift, 275–276. 14 Gotthard, Religionsfrieden, 355–358.

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Ritter, Geschichte, Bd. I, 83–84. Schneider, Ius reformandi, 157–166; Gotthard, Religionsfrieden, 102–110, 331–355. Schmidt, Grafenverein, 259–261. Gotthard, Reich, 63–64. Gotthard, Reich, 64; Ritter, Geschichte, Bd. I, 131. Ritter, Geschichte, Bd. I, 228–230. Rabe, Geschichte, 534–535; Lanzinner und Heil, »Reichstag«. Ritter, Geschichte, Bd. I, 84–86. Schmidt, Grafenverein, 259–273. Wolgast, Hochstift, 288–289. Heckel, Deutschland, 74. Heckel, Deutschland, 74–76. Schulze, Türkengefahr, 76–77. Lanzinner und Heil, »Reichstag«, 622–623. Zum Folgenden vgl. Press, »Grumbach«; Zmora, State, 143–145; ADB, Bd. X, 9–22. Liepold, Wider den Erbfeind, 128–131; Press, »Grumbach«, 393. Zu Rosenbergs Verwicklung in den Konflikt vgl. Press, »Rosenberg«, 376–381. Vgl. S. 610–623. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 62–65; Bautz, Lexikon, Bd. I, 359; ADB, Bd. II, 246. ADB, Bd.VI, 250–257; NDB, Bd. IV, 614–615. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 136–138. Press, »Badische Markgrafen«, 29–31. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. IV, 139–142; Jäger, Fulda, 33–47, 72–75. Breul-Kunkel, Herrschaftskrise, 319–320. Julius Echters Interesse stammte von einem Vorschlag, den er 1574 ventiliert hatte und der die Vereinigung von Würzburg und Fulda (unter Würzburger Kontrolle) vorsah. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. IV, 83–85. Jendorff, »Kronberg«, 48–49. Schneider, Ius reformandi, 261–263; Schmidt, Grafenverein, 293–296. Heckel, Deutschland, 84; zur daraus resultierenden »Geburtenkontrolle« und »Familienplanung« bei den Wetterauer Grafen vgl. Schmidt, Grafenverein, 490–503. Ruthmann, »Religionsprozesse«, 236–238. Ruthmann, »Religionsprozesse«, 238–240. Schneider, Ius reformandi, 229–231; Enderle, »Reichsstädte«, 240–243; Molitor, »Aachen«. Vgl. S. 503–506. Schneider, Ius reformandi, 220; Wolgast, Hochstift, 275–276, 281–283; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 80–82. Wolgast, Hochstift, 280. Wolgast, Hochstift, 282–283. Rabe, Geschichte, 609. Vgl. S. 510–512. Wolgast, Hochstift, 287–293; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 74–76. Vgl. S. 352–354. ADB, Bd. XXX, 216–224. ADB, Bd.VIII, 457–470.

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57 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 75. Der Medienkrieg, der die anschließenden Kontroversen begleitete, wird von Schnurr, Religionskonflikt, analysiert. 58 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 75. 59 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 29. 60 Gotthard, Säulen, Bd. I, 54–56. 61 Gotthard, Säulen, Bd. I, 76–83; Clasen, Palatinate, 19–21. 62 Lossen, Kölnischer Krieg, Bd. II, 603–635. 63 Vgl. S. 510–512. 64 Ritter, Geschichte, Bd. I, 612; Wolgast, Hochstift, 291–292.

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b Mitte der 1580er Jahre geriet das Augsburger System in schweres Fahrwasser. Ereignisse im Anschluss an den »Kölnischen Krieg« schienen eine drohende Rekonfessionalisierung des Reichs und seiner Politik anzukündigen. Die Auseinandersetzungen, die sich über die nächsten zwei Jahrzehnte hinzogen, waren eindeutig vom Religionsproblem und den widerstreitenden Interpretationen des Friedensschlusses von 1555 geprägt. Dennoch war die Religion nur das Medium oder Transportmittel der Konflikte, nicht ihr Gehalt. Denn immer deutlicher trat zutage, dass es in Wirklichkeit um die Verfassung selbst und insbesondere um die Frage nach der Rolle und Autorität des Kaisers ging. Für den merklichen Wandel des politischen Klimas gab es keine einzelne Ursache, keinen individuellen Auslöser. Ein wichtiger Faktor war, dass gegen Ende der 1580er Jahre Regierung und religiöse Verfassung in den meisten Territorien stabil geworden waren. Nachdem man die konfessionellen Grenzen einigermaßen abgesteckt und nach unten hin (wie unvollständig oder unangemessen auch immer) durchgesetzt hatte, gab es für die kaiserliche Politik weniger durch Mehrdeutigkeiten verursachten Ermessensspielraum. Die nun folgende Einrichtung von konfessionellen Schulen und besonders Hochschulen trug zweifellos zur Intensivierung theologischer und juristischer Zwistigkeiten bei. Sogar die Kalenderreform wurde Gegenstand religiöser Kontroversen. 1 Zunächst zögerte Rudolf II., die äußerst sinnvolle Reform im Reich umzusetzen. Nachdem aber viele Länder Westeuropas, darunter auch die Niederlande, die Veränderung akzeptiert hatten, gab er ein Dekret heraus, in dem er alle deutschen Regenten drängte, den neuen Kalender am 4. September 1583 zu übernehmen. Obwohl er den Papst mit keinem Wort erwähnte, führte sein Versäumnis, die Stände zu befragen, zu einem heftigen Krieg in Form von Flugschriften. Die Protestanten weigerten sich überhaupt, den neuen Kalender anzuerkennen. Sie reagierten damit nicht anders als ihre Glaubensgenossen in England (wo die Kalenderreform erst 1752 übernommen wurde) und anderen Teilen Europas. Doch hatte die Reaktion in Deutschland noch eine besondere Schärfe, denn die Stände stellten sich gegen den Papst als Urheber der Reform wie auch gegen den Machtmissbrauch seitens des Kaisers durch seine einseitige Umsetzung der Reform. 2 Die Frage, ob die von der Reform in den Reichsstädten Augsburg und Dinkelsbühl verursachten Probleme die Ausnahme oder die Regel waren, muss dahingestellt

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bleiben. 3 Der Friedensschluss von 1555 hatte in beiden Städten die Parität zwischen Katholiken und Protestanten festgesetzt. Die benachbarten Fürsten – der Bischof von Augsburg und der Herzog von Bayern – führten den neuen Kalender im Lauf des Jahres 1583 ein und setzten, zusammen mit den katholischen Einwohnern, die Stadträte massiv unter Druck, wobei sie bis zur Androhung militärischer Intervention gingen. Als die Stadträte die Reform 1591 endlich umsetzten – nicht zuletzt aufgrund der Probleme, die zwei unterschiedliche Kalendersysteme für Kaufleute und Bankiers mit sich brachten –, hatte die Kontroverse die heiklen Verfassungsbestimmungen von 1555 mehrfach gefährdet. Mitte der 1580er Jahre nahmen viele Menschen wahr, dass am kaiserlichen Hof Veränderungen in der politischen Vorgehensweise stattfanden. Die steigenden Kosten der Verteidigung gegen die Türkengefahr führten zu einer Haushaltskrise, zumindest aber zu dem Eindruck von Geldknappheit, was die Neigung hervorrief, monarchische Privilegien rücksichtsloser zu bedienen und, wenn möglich, auszuweiten. Diese Neigung zeigte sich ab Mitte der 1580er Jahre am Beispiel Italiens und etwas später auch im Reich, wo das Reichshoffiskalat 1596 zum ersten Mal formell institutionalisiert wurde. 4 Hinzu kamen die speziellen Probleme der Habsburger als Territorialfürsten, die zunehmend die Haltung des Kaisers und seines Hofs gegenüber dem Reich bestimmten, bis sie 1618 den Krieg auslösten. 5 Die Krise des Augsburger Systems entfaltete sich im Kontext einer in ihren Konturen nur schwer zu umreißenden allgemeinen Krise am Ende des 16. Jahrhunderts. 6 Missernten, hohe Getreidepreise, Wirtschaftskrise, soziale Verwerfungen – all das erzeugte Spannungen, Feindseligkeiten und Misstrauen, die schließlich auch die kaiserliche Politik beeinflussten. Nach Jahrzehnten, in denen es darum gegangen war, Stabilität herzustellen und zu bewahren, war nun der Schock erneuerter Instabilität umso größer und sorgte auch für extremere Reaktionen. Schuld an den Problemen sollten Hexen und Außenseiter sein. 7 Ebenso schmähten religiöse Gegner einander als Inkarnation des Bösen und Handlanger des Teufels. Die Verteidigung der »teutschen Libertät« wurde so allzu oft und schnell zum Kampf gegen ein universell-katholisches »spanisches« Reich und seine jesuitischen Legionen. 8 Andersherum wurde die Verteidigung des katholischen Reichs und der Vorrechte der deutschen Monarchie zum Kampf gegen die westlich-calvinistischen Legionen genau jenes Teufels, der den wahren Glauben in Gestalt der Türken bedrohte. Diese Propagandakriege kulminierten in der Jahrhundertfeier der Reformation 1617 – der allerersten »modernen« Zentenarfeier, die als solche begangen wurde. Beide Seiten ergingen sich in Interpretationsextremen, die jegliche Kommunikation, geschweige denn einen Konsens, unmöglich machten. 9 Die Veränderung des politischen Klimas vollzog sich so allmählich wie die globalen Klimaschwankungen des Wetters: über viele Jahre hinweg, statt in einer einzigen Jahreszeit. Ein Ereignis jedoch kann als entscheidender Wendepunkt be-

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zeichnet werden: Der Tod raffte im Februar 1586 mit August von Sachsen den Vorkämpfer und Garanten des Augsburger Systems hinweg und markierte einen Generationswechsel. August hatte die Generation repräsentiert, die den Schmalkaldischen Krieg und den Fürstenaufstand erlebt, die an den Friedensverhandlungen von 1555 teilgenommen hatte und diesen Frieden mehr als alles andere bewahren wollte. Dafür war August zu vielen Kompromissen bereit gewesen und hatte die Stabilität über die Treue zur Konfession gestellt. Mit seinem Tod endeten auch die Bande der Treue und des Gefühls, für eine gemeinsame Sache zu stehen, die Sachsen mit den Habsburgern, Bayern und Hessen verbunden hatten. 10 Augusts Nachfolger, Christian I. (1586–1591), ließ sich von seinem Kanzler, Nikolaus Krell, dazu bereden, die Politik des pfälzischen Administrators Johann Casimir zu unterstützen. So konnte die Pfalz faktisch die Führung der protestantischen Partei im Reich übernehmen, auch wenn diese Partei längst nicht mehr so stark und einig wie zu Augusts besten Zeiten war. Zwar kehrte Sachsen schon während der Minderjährigkeit von Christian II. (1591–1601) zu seiner vorherigen Politik zurück, doch konnte Christian, als er 1601 die Regierung selbst übernahm, die traditionelle Führerschaft Sachsens nicht wiederherstellen, sondern musste sich nach der Pfalz und Brandenburg mit dem dritten Platz begnügen. Der Wechsel in der Brandenburger Politik vollzog sich sehr langsam. Johann Georg von Brandenburg (1571–1598) folgte der Pfalz nur kurze Zeit, 1590 und 1591. Ansonsten blieb er, ungeachtet der Verwicklung seines Sohns in die Magdeburger Affäre und der späteren Beteiligung seines Neffen an den Straßburger Konflikten, einer traditionell loyalen lutherischen Politik im Reich treu. 11 Politik und religiöse Ausrichtung änderten sich erst unter dem Kurfürsten Joachim Friedrich (1598–1608), dessen einflussreicher calvinistischer Kanzler, Ottheinrich von Bylandt von Rheydt aus Jülich, den Weg für die Konversion von Kurfürst Johann Sigismund (1608–1619) bereitete, die 1613 erfolgte. Kurzfristig größerer Schaden entstand im Westen des Reichs durch die Politik aufeinanderfolgender Pfälzer Kurfürsten. Die Unterstützung Gebhards von Köln durch Ludwig VI. 1583 hatte das informelle regionale Netzwerk rheinländischer Kurfürsten zerrissen, die im Spätmittelalter den aktiven Kern des Kurfürstenkollegiums bildeten. 12 Allerdings war der Riss schon in den 1570er Jahren sichtbar geworden. Jetzt distanzierten sich die geistlichen Kurfürsten von der Pfalz und weigerten sich sogar, den Administrator Johann Casimir ins Kollegium aufzunehmen. Kurfürst Friedrich IV. wurde erst 1601 zugelassen, neun Jahre nach dem eigentlichen Machtantritt. Davon abgesehen funktionierte das Fürstenkollegium recht vernünftig bis zum Ende des Jahrhunderts. 13 Möglicherweise kündigte die Verwerfungslinie im Rheinland den Zusammenbruch des politischen Systems im Reich bereits an, aber das war damals noch nicht absehbar.

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Von größerem und direkterem Einfluss auf das Reich war der polarisierende Effekt, der von den Konflikten in Frankreich und den Niederlanden ausging. Bis zu den 1580er Jahren hatte sich die deutsche Verwicklung in diese Konflikte auf die Initiativen diverser pfälzischer Kurfürsten, militärischer Abenteurer wie der Herzöge von Württemberg und Zweibrücken sowie der Wetterauer Verwandten von Wilhelm von Oranien, die die holländische Sache unterstützten, beschränkt. Das Reich selbst blieb neutral. Bedrohlicher war die Lage, die Königin Elisabeths Intervention von 1585 in den Niederlanden und Heinrichs von Navarra 1585 bis 1589 geführter Kampf um die französische Krone hervorriefen. England bemühte sich sehr um dänische und deutsche Unterstützung für Graf Leicester, der 1585 zum Generalgouverneur der Niederlande ernannt worden war. Natürlich hielt Heinrich von Navarra auch Ausschau nach den traditionellen Verbündeten der Hugenotten – den Engländern, den Holländern und den deutschen Fürsten, vor allem denen aus der Pfalz –, um Hilfe gegen den Herzog von Guise und seinen externen Hauptverbündeten, Philipp II. von Spanien, der die Katholische Liga eingefädelt hatte, zu erhalten. Allen Parteien war klar, dass die Konflikte untrennbar miteinander verbunden waren und dass die erfolgreiche Beendigung des einen sich unmittelbar auf den anderen auswirken würde. Philipp II. glaubte, er könne über die Niederlande erst die Oberhand erlangen, wenn er zuvor England und Frankreich in die Knie zwinge. 14 Auf diese Weise griffen die Konflikte in Frankreich und Holland auf die deutsche Politik über. Alle Parteien dort suchten Unterstützung im Reich und dessen Fürsten wiederum erblickten in den Kämpfen jenseits der Grenzen ein Spiegelbild ihrer eigenen lokalen und regionalen Auseinandersetzungen. Unmittelbar nach dem Tod Augusts von Sachsen versuchte Johann Casimir ein Bündnis für Heinrich III. zu schmieden, hatte damit aber keinen Erfolg. Zwar sympathisierten Kurfürst Christian I. und Landgraf Wilhelm IV. von Hessen mit seinen Ansichten, wollten aber nur ungern einen Alleingang wagen. Sie schickten im Sommer 1588 eine Gesandtschaft zu Heinrich III., um sich für die Hugenotten einzusetzen. 15 Heinrich ließ die Gesandten zwei Monate lang warten, ehe er sie anhörte, verwarf dann aber ihr Begehren. 1587 entschloss sich Johann Casimir, auf eigene Faust zu handeln. 16 Er schloss einen Vertrag mit Heinrich von Navarra, in dem er sich verpflichtete, für den Erfolg Heinrichs und der französischen Calvinisten zu sorgen. Im Gegenzug versprach Heinrich, weiterzukämpfen, bis er Johann Casimir die bis dahin angefallenen Kosten aller Expeditionen in Frankreich und den Niederlanden zurückerstatten könnte. Mit zusätzlichem Geld aus England und Dänemark konnte eine Streitmacht von etwa 30.000 deutschen und schweizerischen Söldnern auf die Beine gestellt werden. Allerdings weigerte sich Johann Casimir, das Heer selbst anzuführen – die Rolle des Kommandanten einer Söldnertruppe entsprach nicht der Würde eines

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kurfürstlichen Administrators. So musste der unerfahrene Herzog von Bouillon die Aufgabe übernehmen, der er jedoch nicht gewachsen war. Im November hatte man die Schweizer mit dem Versprechen besseren Solds im Dienst Heinrichs III. zur Desertion überredet und einige Tage später wurden die deutschen Truppen bei Auneau vom Herzog von Guise geschlagen. Ab 1588 jedoch wurde Philipps Position ständig schwächer. Im August unterlag die Armada der englischen Flotte und im Dezember wurden der Herzog von Guise und sein Bruder, seines Zeichens Kardinal, ermordet. So erging es auch Heinrich III. im August 1589. 1591–1592 schließlich gelang es Alexander Farnese nicht, König Heinrich IV. zu besiegen. Farnese starb bei Arras am 8. Dezember 1592. Damit eröffneten sich Philipps Gegnern neue Möglichkeiten. Insbesondere Johann Casimir sah sich schon als Dreh- und Angelpunkt eines internationalen protestantischen Bündnisses, das mit einer mächtigen Gegenoffensive die spanisch-jesuitische Tyrannei hinwegfegen würde. Während Johann Casimir sich für die Interessen von Sachsen und Brandenburg stark machen konnte, war die Mehrheit der westlichen deutschen Stände mit dringenderen Problemen beschäftigt. Die neuerlichen Konflikte in Frankreich und den Niederlanden verstärkten das Eindringen ausländischer Soldaten in Reichsgebiete. Im Frühjahr 1590 beratschlagten der Niederrheinisch-Westfälische sowie der Oberrheinische Kreis über Maßnahmen zur Verteidigung gegen spanische Truppen. Da das Problem offenbar das Reich insgesamt bedrohte, forderten sie einen Reichsdeputationstag. Der fand im September 1590 in Frankfurt am Main statt, scheiterte aber an der religiösen Spaltung. Als Rudolf II. und die katholischen Stände ein mögliches Vorgehen gegen die Spanier als antikatholisch ablehnten, verließen die protestantischen Kurfürsten empört die Versammlung. Johann Casimir ergriff die Gelegenheit, die ihm dieses Ende bot. Zusammen mit dem Kurfürsten von Sachsen lud er die protestantischen Stände zu einem Treffen in Torgau ein, das im Februar 1591 stattfand. Dort beschlossen sie, eine Streitmacht zur Unterstützung Heinrichs IV. auszuheben: 9.000 Mann Infanterie und 6.200 Mann Kavallerie unter dem Oberkommando von Christian von Anhalt. Diese Truppen bildeten den Kern des heinrichschen Heers, mit dem er bis zum Frühling 1592 gegen die Katholische Liga und den Herzog von Parma kämpfte.17 Das war an sich selbst ein Durchbruch – zum ersten Mal verständigten sich die protestantischen Fürsten Deutschlands auf eine gemeinsame Streitmacht, die für Protestanten außerhalb des Reichs kämpfen sollte. Ebenso revolutionär war der Entschluss, im Reich selbst einen protestantischen Bund ins Leben zu rufen. Allerdings ließen die kontinuierlichen Spannungen zwischen Lutheranern und Calvinisten nur die Bildung eines reinen Verteidigungsbündnisses zu, das auf innerdeutsche Probleme begrenzt blieb. Dennoch hegten seine eifrigsten Betreiber – Johann Casimir und Wilhelm von Hessen-Kassel – die lebhafte Vorstellung, sie

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könnten Teil einer europaweiten Koalition werden. Daraus hätte durchaus etwas werden können, wären nicht die führenden Köpfe kurz nacheinander gestorben: Christian I. von Sachsen im Oktober 1591, Johann Casimir im Januar 1592 und Wilhelm von Hessen neun Monate später. Zwar erreichte das Bündnis von 1591 nichts, aber das heißt nicht, dass es bedeutungslos war. 18 Wohl führte der Tod Christians I. zu einer Erneuerung des Luthertums in Sachsen und zur Wiederbelebung der alten Feindseligkeit gegenüber der Pfalz, doch blieb die Idee eines protestantischen Bündnisses bestehen. Nach 1597, als spanische Militäreinfälle erneut den Nordwesten des Reichs bedrohten, entfaltete sich ein fast identisches Szenario. 19 Die Kreise konnten sich nicht auf ein militärisches Vorgehen einigen, weil die Katholiken Spanien schützen wollten. Christian von Anhalt, jetzt Statthalter der Oberpfalz, schlug einen Bund vor, um die Protestanten vor einem, wie er es sah, gegen sie gerichteten spanischen Vernichtungskrieg zu schützen. 20 Wieder einmal jedoch zögerten führende protestantische Fürsten, weil sie nicht in einen größeren europäischen Konflikt oder in eine Strategie verwickelt werden wollten, die ein Bündnis mit den Holländern und die Möglichkeit eines Kriegs gegen den Kaiser und die geistlichen Fürsten voraussetzte. Prompt lehnte Christian von Anhalt es ab, Kommandant der geplanten Verteidigungsstreitkraft zu werden. So wurde nur ein kleines Kontingent an Söldnern angeheuert, und als es endlich zur Verteidigung der Kreise einsatzbereit war, hatte sich der Hauptteil der spanischen Truppen bereits wieder zurückgezogen. Die Pläne wurden einstweilen ins Archiv gelegt, um später als Vorlage für die Protestantische Union von 1608 zu dienen. 21 In Anbetracht der ständig größer werdenden Kluft zwischen den Konfessionen mag es verwundern, dass der Reichstag bis 1603 noch gut funktionierte. In den 1590er Jahren wurden beispiellos hohe Summen für die Verteidigung des Reichs gegen die Türken bewilligt. Die drei Sitzungen von 1594, 1598 und 1603 sicherten dem Kaiser 226 Römermonate, umgerechnet rund 12 Millionen Gulden, zu, von denen ein substanzieller Teil tatsächlich ausgezahlt wurde. 22 Einerseits gibt es dafür eine einfache Erklärung. Die von den Türken in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts ausgehende Gefahr war viel größer als 50 Jahre zuvor und wurde auch so wahrgenommen. Vor 1560 spürten nur die östlichen und südlichen Territorien die Bedrohung und viele andere wollten nicht zahlen, weil sie meinten, das sei nicht ihr Problem. Jetzt aber begriffen sehr viel mehr, dass das Reich einen Zusammenhang bildete, zu dem auch sie gehörten und wofür auch sie eine Verantwortung trugen. Andererseits waren viele Stände jetzt eher bereit, Steuern und Abgaben zuzustimmen, weil sie dafür ihre eigenen, rein innenpolitischen Gründe hatten. Kaiserliche Steuern, die die Fürsten an ihre Untertanen weitergeben konnten, galten

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als nützliche Mechanismen, ihr Recht auf Steuererhebung zu bekräftigen und ihre Untertanen zu disziplinieren. Außerdem benötigten sie für diese Steuererhebung nicht die Erlaubnis der territorialen Stände und konnten so den Widerstand gegen ihre Autorität schwächen. Viele Fürsten zogen aus der Türkensteuer erhebliche Gewinne. 23 1594 beschuldigte der sächsische Kanzler einige Fürsten, sie würden zwanzig Mal so viel erheben, als erforderlich wäre. Das war höchstwahrscheinlich eine wüste Übertreibung, aber Fälle, bei denen das Doppelte oder mehr erhoben wurde, waren nicht selten und es gab in den 1590er Jahren eine Flut von Beschwerden, mit denen Untertanen, die sich zu hoch besteuert glaubten, vor die kaiserlichen Gerichte zogen. Die Bereitwilligkeit, mit der die Türkensteuer gewährt wurde, machte die Sitzungen des Reichstags jedoch nicht unproblematisch. Rudolf II. war in dieser Hinsicht so ängstlich geworden, dass er den Reichstag nur noch einberief, wenn es absolut notwendig war. Viele Probleme in puncto Justiz, Münzordnung oder Reichsmatrikel, die den Reichstag vor 1555 beschäftigt hatten, wurden nun von Deputationen oder den Kreisen verhandelt. 24 Wenn man einen Reichstag einberief, verschaffte man nur denen, die am Religionsfrieden herummäkeln wollten, eine Gelegenheit. Nach der Sitzung von 1576, die noch von Maximilian II. initiiert worden war, wartete Rudolf II. mit seinem ersten Reichstag bis 1582. Er berief ihn ein, weil er eine Türkensteuer erheben lassen wollte und weil er Unterstützung für seinen Wunsch benötigte, in den Niederlanden ein Abkommen zu vermitteln, das die Interessen des Reichs dort sicherte. Die Steuer wurde gewährt, doch das die Niederlande betreffende Problem blieb ungelöst. Zudem war die Sitzung von den Kontroversen um Aachen, Köln und Magdeburg überschattet. Als die Frist für die 1582 gewährte Türkensteuer verronnen war, wollten Rudolf 1586 und 1587 einen weiteren Reichstag einberufen, doch dem verweigerten sich die Kurfürsten nach dem Tod Augusts von Sachsen. 1590/91 waren die protestantischen Fürsten in solch erregter Agitation begriffen, dass es höchst unklug erschien, einen Reichstag einzuberufen. So gab es Versuche, das Problem der Verteidigung gegen die Türken an die Kreise zu delegieren, um den Reichstag ein für alle Mal zu umgehen, aber das scheiterte, da die Stände nicht bereit waren, ihre Rechte zu übertragen oder ihr nationales Forum für die Kundgabe ihrer Beschwerden aufzugeben. 1593 jedoch machte der Ausbruch eines weiteren Türkenkriegs einen neuen Reichstag unumgänglich. Er wurde am 2. Juni 1594 in Regensburg eröffnet und bestätigte die Erwartungen des Kaisers. Immerhin konnte Sachsen erneut eine Katastrophe abwenden, indem es die Forderung der Pfalz, konfessionelle Beschwerden an die erste Stelle der Tagesordnung zu setzen, blockierte. Die Vertreter der Pfalz erinnerten sich immer noch mit schmerzhafter Deutlichkeit daran, wie sie 1582 von einer katholischen Mehrheit überstimmt worden waren. Seither waren sie unermüdlich für Veränderungen in

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der Verfahrensweise der zentralen Institutionen des Reichs eingetreten: Sie hatten die paritätische Vertretung der Konfessionen in jeder Reichsdeputation ebenso vorgeschlagen wie die stimmberechtigte Teilnahme der überwiegend protestantischen Reichsstädte im Fürstenkollegium, um dort eine protestantische Mehrheit herzustellen. 25 Alle diese Vorschläge blieben unverwirklicht, aber wie sehr sich das politische Klima zu Beginn der 1590er Jahre verändert hatte, zeigte sich daran, dass es der Pfalz jetzt gelang, eine Reihe von süddeutschen Fürsten zu einem Treffen in Heilbronn im März 1594 zu bewegen, um unter anderem ihre Taktik auf dem kommenden Reichstag zu erörtern. 26 Am Ende aber stimmte die Mehrheit der Lutheraner auf dem Reichstag mit den Katholiken und die pfälzische Strategie, das existierende Mehrheitsprinzip infrage zu stellen, scheiterte – weder der Kaiser noch die Institutionen des Reichs waren bereit, die konfessionelle Parität anzuerkennen. 1598 gab es jedoch in Heilbronn eine weitere vorbereitende Sitzung, auf der beschlossen wurde, keinen Mehrheitsentscheid der katholischen Fürsten auf dem Reichstag (der wiederum in Regensburg stattfinden würde) anzuerkennen. Ironischerweise war es jetzt ein katholischer Fürst, der den protestantischen Dissidenten Gehör verschaffte. Der Erzbischof von Salzburg war im Bayrischen Kreis hinsichtlich der Höhe der Steuern, die die Kreismitglieder zu zahlen bereit waren, überstimmt worden. Nun war er, als Kreishauptmann, dafür verantwortlich, die Mehrheitsentscheidung im Reichstag zu vertreten. Er bestand darauf, nicht nur sein eigenes abweichendes Votum, sondern auch das der Protestanten hinzuzufügen. 27 Als die Mehrheit wiederum die Oberhand behielt – die Verfahrensweise im Reichstag ließ keine andere Option zu –, unterzeichneten sieben protestantische Fürsten einen formellen Protest gegen diese Verfahrensweise. Fünf Jahre später wiederholte sich das Ganze. Nun waren die Dissidenten noch weniger als bisher bereit, eine Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren, und noch entschlossener, ihren Beschwerden über die katholische Interpretation des Religionsfriedens Ausdruck zu verleihen. Die Katholiken reagierten darauf mit der Forderung, alles seit 1552 säkularisierte Kirchengut sei zurückzugeben. Der Reichstag von 1603 schloss mit einer Einigung über die bislang höchste Türkensteuer. Sie betrug 86 Römermonate, etwa fünfeinhalb Millionen Gulden. 28 Zugleich aber wurde die Kluft zwischen der kaiserlichen Sichtweise und der der Dissidenten immer tiefer. Ein Problem, das zuerst in den 1520er Jahren aufgetaucht war, hatte sich nun zu einem grundlegenden Verfassungsproblem entwickelt. Allerdings stellten sich die Dissidenten nicht gegen den Kaiser oder die Verfassung. Obwohl sie öffentlich erklärten, die Zahlung zu verweigern, waren sie (inklusive des pfälzischen Kurfürsten) zum Zeitpunkt, als der Reichstag von 1603 zusammentrat, ihren fiskalischen Verpflichtungen mehr oder weniger vollständig nachgekommen. Schließlich wollte keiner geächtet werden, wie es ein Urteil des Reichskammergerichts vom Mai 1602 für säumige Zahler vorsah. 29

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Kaiser Rudolfs Bruder, Erzherzog Matthias, gab 1603 den Protestanten die Schuld daran, dass Deutschland politisch geteilt und kein einheitliches Gemeinwesen mehr sei. Das war jedoch eine polemische Übertreibung. Die Protestanten hatten sich nicht vom Reich abgewandt, sondern waren nur dagegen, dass das politische Gemeinwesen von der katholischen Mehrheit beherrscht würde. Sollte das Gemeinwesen funktionieren, müssten die zentralen Probleme, die allgemein zustimmungsbedürftig waren, auf ein Minimum reduziert werden. 30 Die Verteidigung des Reichs gegen Angriffe von außen war eine Pflicht, und zwar eine, wie die Protestanten scharfsichtig betonten, die der Kaiser selbst versäumt hatte zu erfüllen, als 1598 spanische Truppen in den Westen des Reichs eindrangen. Die Verteidigung Ungarns war dagegen eine ganz andere Sache. Umfassender gesehen, markierte die Ablehnung des Mehrheitsprinzips durch die protestantischen Dissidenten einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg von 1555 nach 1648. Der Friedensschluss von Augsburg begrenzte das Spektrum an religiösen Problemen, deren Lösung die Zustimmung aller finden musste. 1648 einigte man sich darauf, dass in Fällen, bei denen die Religionsparteien zu keiner Übereinstimmung kamen, der Reichstag in zwei parallele Sitzungen geteilt werden und von einer Resolution Abstand nehmen sollte, wenn keine freundschaftliche Lösung erreicht werden konnte. Die protestantischen Argumente der 1590er Jahre beruhten auf den Grundsätzen von 1555 und nahmen die von 1648 vorweg. Damals jedoch waren sie die Sichtweise einer Minderheit, die bei der katholischen Mehrheit, aber auch bei vielen Lutheranern, als revolutionär verschrien war. Der Kaiser war entschlossen, auf den Reichstagen von 1594, 1597–1598 und 1603 nur die Türkensteuer erörtern zu lassen, und die Verhandlungen erwiesen sich auch als erfolgreich. Dennoch war die Atmosphäre angespannt, weil es jedes Mal zum Ausbruch von Kontroversen kam, die von religiösen Differenzen ihren Ausgang nahmen. Sie gaben zunächst der Debatte über das Mehrheitsprinzip Nahrung und machten schließlich aus der 1603 erreichten Pattsituation eine Konfrontation, die den Reichstag von 1608 lähmte. Diejenigen, die das Treffen von Heilbronn im März 1594 organisierten, verfolgten das unmittelbare Ziel, Zustimmung zu einem Plan zu finden, der vorsah, Heinrich IV. zur Invasion in Straßburg zu bewegen. Damit wäre das auf Deutschland begrenzte politische Problem jener Jahre zu einem internationalen Konflikt geworden. Aber das geschah nicht, weil die süddeutschen protestantischen Fürsten die Straßburger Affäre als ein Problem Brandenburgs sahen. Dennoch zeigt sich darin die Verhärtung der jeweiligen Einstellungen und ein Krisenbewusstsein von wachsender Intensität. 31 Der »Straßburger Kapitelstreit« entstand Mitte der 1580er Jahre als direktes Ergebnis des Kölnischen Kriegs und die daran Beteiligten waren sich alle gleicher-

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maßen der Bedeutung eines solchen Konflikts an der Westgrenze des Reichs bewusst. Nicht nur Frankreich und Spanien hatten an dem Gebiet ein lebhaftes Interesse, sondern auch die Pfalz, Württemberg, Bayern und die Habsburger, ganz zu schweigen vom Interesse anderer deutscher Stände an der Zukunft eines großen Bistums am Oberrhein. In den 1580er Jahren hatten die Lutheraner die meisten nördlichen Bistümer übernommen, während die Katholiken Köln für sich hatten retten können. Beiden Seiten erschien Straßburg als letzte Gelegenheit. Anfänglich drehte sich die Auseinandersetzung um das Domkapitel, in dem zehn Stiftsherren katholisch und sieben protestantisch waren. Als direkte Folge des Kölnischen Kriegs wurden 1583 drei protestantische Stiftsherren zusammen mit dem seines Amtes enthobenen Erzbischofs von Köln, Gebhard Truchsess von Waldburg, ausgewiesen. Der päpstliche Nuntius entband auch die Stiftsherren von ihren Ämtern und kurz danach wurden sie exkommuniziert. Die Ausgewiesenen besetzten den »Bruderhof«, ein Gebäude neben dem Münster, und belegten die Verwaltung der bischöflichen Besitztümer mit Beschlag. Unterdessen wählten die katholischen Stiftsherren Gebhards Erzfeind in Köln, den Weihbischof Friedrich von Sachsen-Lauenburg, an seiner Stelle zum Dekan. Der Stadtrat der Reichsstadt Straßburg blieb neutral, wobei diese Haltung faktisch den Besetzern des Bruderhofs nützte. Der Konflikt begann 1585 zu eskalieren, als jede Seite neue Stiftsherren für die Vakanzen rekrutierte, wobei jede Seite die Sprösslinge bedeutender Adelshäuser wählte, obwohl es doch in Straßburg Tradition war, keine Fürstensöhne zu wählen. Die Katholiken entschieden sich für Kardinal Karl von Lothringen und zwei Söhne des Herzogs von Bayern; die Protestanten verfielen auf Fürsten aus Braunschweig, Dänemark, Anhalt, Mansfeld, Württemberg, Holstein und zwei Söhne Johann Friedrichs, des Administrators von Magdeburg. Rudolf II. veröffentlichte mehrere Dekrete, in denen er die Protestanten zum Rückzug aufforderte, und jede Seite ergriff militärische Maßnahmen, um ihre Sache zu fördern. So nahmen zum Beispiel 1588 die Protestanten den katholischen Propst gefangen und besetzten weitere wichtige Verwaltungsgebäude. Der Stadtrat half, indem er das an der Stadtmauer gelegene Kartäuserkloster abriss, damit es nicht für einen Angriff auf die Protestanten genutzt werden konnte. 1591 schloss der Magistrat mit den Protestanten ein Abkommen. Die Eskalation ging weiter, als am 2. Mai 1592 Bischof Johann von Manderscheid starb. Die protestantischen Stiftsherren bestätigten nun den dreizehnjährigen Johann Georg von Brandenburg, den sie heimlich schon 1588 gewählt hatten, als Administrator. Die katholischen Stiftsherren hielten mit Kardinal Karl von Lothringen, den Bischof von Metz, dagegen. Der Vater des Kardinals, Herzog Karl, hatte vor Kurzem die für Lothringen übliche Neutralität aufgegeben und sich der Katholischen Liga angeschlossen. 32 Ein kurzer, anfänglich erfolgreicher militäri-

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scher Angriff durch die französischen Truppen des Kardinals führte im Februar 1592 zu einem raschen Waffenstillstand. Die Tendenz zur militärischen Auseinandersetzung ebbte mit dem Tod von Johann Casimir im Januar 1592 ab und die Sache der Protestanten wurde durch die sich anbahnende Rivalität zwischen Brandenburg und dem Herzog von Württemberg, der einen seiner Söhne als Kandidat ins Rennen schicken wollte, geschwächt. Diese Rivalität wiederum zerstreute alle Interessen, die Heinrich IV. an einer Besetzung Straßburgs gehabt haben könnte. 33 Als nun der Administrator mit dem Vertrag von Stuttgart 1597 versuchte, das Bistum an den Herzog von Württemberg zu verkaufen, protestierten die Protestanten vehement gegen diese, wie sie es sahen, Beeinträchtigung ihres Wahlrechts und zogen die dem Administrator bislang gewährte Unterstützung zurück. Der Herzog von Württemberg wiederum, der die Führung der protestantischen Fraktion übernahm, hatte größeres Interesse an der Übernahme des Amtsbezirks von Oberkirch. Bemerkenswerterweise hielten sich die protestantischen Stände nach 1592 im Allgemeinen zurück. 34 Der Kurfürst von Brandenburg bat in einer an Rudolf gerichteten Petition um Anerkennung der Rechte seines Enkels, akzeptierte aber Rudolfs Ablehnung ohne Widerrede. Die Wetterauer Grafen, die im Domkapitel von Straßburg stets gut vertreten waren, hatten in Köln ihre Lektion gelernt und wollten nicht schon wieder scheitern. 35 Unter diesen Umständen behielten die Katholiken die Oberhand, auch wenn sie eine gewisse Zeit lang nicht das ganze Bistum kontrollierten. 1598 war Rudolf bereit, Karl von Lothringen mit dem Bistum zu belehnen, während Karl im Gegenzug Rudolfs Neffen, den Erzherzog Leopold, zum Koadjutor nahm. 1600 gab es eine Abmachung mit dem Herzog von Württemberg und 1604 wurde der Konflikt mit dem Vertrag von Hagenau beendet. Johann Georg von Brandenburg akzeptierte eine Entschädigung und zog sich zurück. Die acht protestantischen Stiftsherren durften ihre Einkünfte und den Bruderhof fünfzehn Jahre lang behalten, mussten sich aber verpflichten, keine weiteren Wahlen in die Wege zu leiten. Württemberg erhielt Oberkirch für dreißig Jahre als Lehnsbesitz. Der Stadtrat von Straßburg erkannte Karl von Lothringen als »Universalbischof« und Leopold von Habsburg als seinen designierten Nachfolger an. 36 Der Straßburger Kapitelstreit beschäftigte die Vorstellungswelt vieler Fürsten und sorgte vor allem zu Beginn der 1590er Jahre für lokale Zerstörungen, als die militärischen Aktionen im Umkreis des Streits zu erhöhter Präsenz von Söldnertruppen im Elsass führte. Auch der Kaiser und die meisten der führenden Fürsten wurden in den Konflikt einbezogen, der Fragen aufwarf, die die Grundlagen der Stabilität im Reich berührten. Dennoch blieb es ein regionaler Konflikt, denn letzten Endes waren weder Frankreich noch die protestantischen Territorien zum Kampf um Straßburg bereit und der Stadtrat sympathisierte zwar mit der Sache der Protestanten, war aber finanziell zu schwach, um das eigentliche Ziel zu er-

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reichen, nämlich die verbliebenen institutionellen Verbindungen zwischen der Stadt und dem Bistum aufzulösen. Viel ernster und weitreichender war das zweite große politische Problem der 1590er Jahre: die andauernde Kontroverse über die politischen Rechte des protestantischen Administrators von Magdeburg und seiner Kollegen in anderen Bistümern. Der ursprüngliche Disput über das Recht des Administrators, am Reichstag teilzunehmen und dort abzustimmen, wurde 1594 wieder aufgenommen, als Proteste der Katholiken erneut Abgesandte aus Halberstadt und Magdeburg daran hinderten, ihre Sitze im Fürstenkollegium einzunehmen. 37 Alles, was Joachim Friedrich erreichte, war ein kaiserliches Dekret, das ihn seiner territorialen Rechte als »Inhaber des Sitzes« versicherte. Sowohl 1594 als auch 1597/98 wurde die Einberufung zum Reichstag an die Domkapitel und nicht an die »Inhaber« geschickt. Zu diesem Zeitpunkt sah es so aus, als habe der Kaiser seinen Entschluss aufgegeben, keine Person in einem geistlichen Territorium ohne vorherige päpstliche Bestätigung zu belehnen. Auf dem Reichstag von 1603 gab es Versuche, einen Kompromiss zu erzielen, doch konnte man sich auf keine Formulierung einigen und so blieb das Problem bis 1648 ungelöst. 38 Unterdessen hatte die Affäre einen weiteren, sehr viel folgenschwereren Aspekt erhalten. Die alljährliche Visitation des Reichskammergerichts wurde vom Mainzer Kurfürsten als Erzkanzler berufen, setzte sich aber nach einem Rotationsprinzip aus Fürsten zusammen. Es war wichtig, dass diese Kommission reibungslos funktionierte, denn sie verlieh den gerichtlichen Entscheidungen Autorität und spielte auch eine vorrangige Rolle bei der Überprüfung von Appellen gegen diese Entscheidungen. 1588 war Magdeburg an der Reihe, seinen Platz in der Kommission einzunehmen, doch angesichts der jüngsten Ereignisse in Köln und der bedenklicher werdenden Situation in Straßburg entschloss sich der Kaiser, die Visitation zu verschieben. Das setzte sich in den Folgejahren fort, sodass die Arbeit des Gerichts behindert wurde. Nun hatte sich aber die Anzahl der anhängigen Fälle dramatisch vermehrt, und damit auch die der Appelle. Da jedoch keiner von ihnen überprüft werden konnte, wurden viele Urteile nicht vollstreckt. Dennoch war das Gericht nicht völlig arbeitsunfähig. Es funktionierte noch während der 1590er Jahre und arbeitete insbesondere bei fiskalischen Angelegenheiten, vor allem, wenn es um Zahlungsverzug bei der Türkensteuer oder Beschwerden von Untertanen über zu starke steuerliche Belastung seitens ihrer Regenten ging, schnell und effektiv. 39 Doch entwickelte sich die Unfähigkeit des Gerichts, eine zunehmende Anzahl von konfessionell bedingten Streitfällen zu bearbeiten, immer mehr zum Problem. Da der Kaiser weiterhin nicht bereit war, die normale Visitation des Gerichts in Gang zu setzen, kam die Sache 1594 vor den Reichstag, der nun eine Deputation mit der Aufgabe betraute. Diese war sich jedoch im Unklaren über ihre Befugnisse

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und führte deshalb nur einen geringen Teil der Aufgaben aus. Weitere Bemühungen um eine neue Deputation fanden keine Zustimmung mehr. Um 1600 jedoch gab es eine Auseinandersetzung über vier Fälle, die Kirchengut betrafen, und damit wurde aus dem Patt ein verfassungsrechtliches Problem. Zwei dieser Fälle waren schon seit Langem anhängig. 40 1569 hatten die Ritter von Hirschhorn am Neckar den von ihren Vorfahren 1406 gegründeten Karmeliterinnenkonvent säkularisiert. Nachdem die Ritter eine 1571 ergangene Aufforderung zur Restitution ignoriert hatten, wurde ein Gerichtsprozess eingeleitet, doch brachte eine Reihe von Verhandlungen, die sich von 1589 bis 1596 hinzogen, keine Lösung. 41 Der zweite Fall betraf die Säkularisierung des Klosters Christgarten durch den Grafen von Öttingen-Öttingen, wogegen der Kartäuserorden 1557 vor dem Reichskammergericht Einspruch erhoben hatte. Erst 1599 verurteilte das Gericht den Grafen zur Rückgabe des Eigentums und zur Übernahme sämtlicher Prozesskosten. Zwei weitere Fälle waren jüngeren Datums. 1594 hatte der Markgraf von Baden-Durlach die Zwangsverwaltung von Baden-Baden übernommen und dabei zusammen mit den Grafen von Eberstein das Patronatsrecht über den Konvent Frauenalb erhalten. Da die Moral der Nonnen nicht eben klösterlich war, sperrte der Markgraf die Äbtissin und ihre Schwester, die Priorin, ins Gefängnis, befahl den Nonnen, entweder zu konvertieren oder zu heiraten, und machte sich daran, alle Gemeinden zu reformieren, über die der Konvent die Schirmherrschaft hatte. Zwar räumte der Bischof von Speyer ein, dass der Konvent alles andere als ein Musterbeispiel an Sittlichkeit sei, brachte den Fall aber trotzdem vor Gericht. 1598 wurden der Markgraf und die Ebersteiner Grafen zu einer Geldstrafe verurteilt; darüber hinaus mussten sie die Nonnen freilassen und den Konvent zurückgeben. Ein vierter Fall betraf den Stadtrat von Straßburg. Er musste 1598 dem dominikanischen Konvent Sankt Margaret Recht und Eigentum zurückerstatten. Die Fälle waren für sich genommen keineswegs ungewöhnlich und hingen auch nicht miteinander zusammen. Dennoch erlangten sie als »Vierklösterstreit« politische Bedeutung. 42 Sie ragten heraus, weil das Reichskammergericht normalerweise versuchte, sich bei solchen Fällen des Urteils zu enthalten. Dass es hier anders war, lag vielleicht an der Eindeutigkeit der jeweiligen Sachlage. Insbesondere waren sich die protestantischen und die katholischen Richter darin einig, dass diese Fälle nicht gemäß der durch das Augsburger Abkommen geschaffenen Rechtslage, sondern anhand des normalen (römischen) Rechts beurteilt werden sollten. 43 Doch im angespannten Klima der späteren 1590er Jahre glaubten viele Leute angesichts der Tatsache, dass die Richter in vier Fällen gegen protestantische Regenten oder Stadträte entschieden hatten, an einen Politikwechsel. Zum einen schienen diese Urteile darauf hinzudeuten, dass das Gericht sich jetzt die katho-

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lische Interpretation der Gesetze von 1555 zu eigen gemacht hatte, der zufolge nur die vor 1552 erfolgte Säkularisierung von Institutionen und Gütern geschützt sei, woraus logisch folge, dass nach 1552 gemäß dem normalen (römischen oder kanonischen) Recht enteignetes Gut zurückzuerstatten sei. Dieser deutliche Hinweis auf das grundlegende Rechtssystem des Reichs war für viele protestantische Politiker und Juristen ein Alarmzeichen, sahen sie darin doch eine Bedrohung des Friedensschlusses von 1555 und der dadurch gewährten Freiheiten. Zum anderen waren in den Fällen Hirschhorn und Christgarten den Verurteilten nahezu ruinöse Prozesskosten auferlegt worden. Und zum Dritten lagen nun in der Pfalz die Nerven bloß, denn hier hatte der Reformprozess mitsamt der Säkularisierung von Kirchengut im Wesentlichen nach 1555 begonnen, wodurch viele Enteignungen der katholischen Interpretation des Gesetzes zufolge schlichtweg illegal waren. Traditionellerweise gilt der Vierklösterstreit deutschen Gelehrten als Ursache für die Lähmung des Verfassungssystems im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges. Neueren Forschungen zufolge war es jedoch nicht so. Die politische Kontroverse hat möglicherweise bestimmte Vorgehensweisen überschattet, vielleicht auch verhindert. Und sicher wurde die Situation noch dadurch verschärft, dass viele gewichtige Fälle (wie etwa die Aachener und Straßburger Kontroversen) vor den Reichshofrat in Prag gebracht wurden. 44 Dessen eigentlicher Bereich der Rechtsprechung betraf Kontroversen zwischen einzelnen Ständen, kaiserlichen Vorrechten und Belehnungen, nicht aber Fälle, die einer auf dem Reichstag zwischen »Kaiser und Reich« ausgehandelten Gesetzgebung entstammten. Folglich waren seine Urteile dem Vorwurf ausgesetzt, es handle sich dabei um Missbrauch eines kaiserlichen Vorrechts, oder man wandte ein, sie seien für religiöse Streitfälle nicht gültig. Da die Richter am Reichshofrat vom Kaiser ernannt wurden, galt hier nicht, wie am Reichskammergericht, das Prinzip der konfessionellen Parität. Allerdings scheint die Überzahl der Fälle am Reichskammergericht erst nach 1610 abgenommen zu haben, was zumindest teilweise dadurch erklärt werden kann, dass der Reichshofrat allmählich als legitime Institution zur Bewahrung des Friedens akzeptiert wurde. 45 Und schließlich gibt es Hinweise darauf, dass die praktische Einstellung des Appellationsverfahrens viele potenzielle Prozessführende veranlasste, eine außergerichtliche Einigung anzustreben. Weniger positiv war jedoch, dass auch der Einsatz von Gewalt im Frühstadium einer Auseinandersetzung begünstigt wurde, weil »Besitz« ein Schlüsselfaktor für den Ausgang des Verfahrens in erster Instanz war. Andererseits war das Gericht gerade während dieser entscheidenden Periode in der Lage, eine substanzielle Anzahl anderer Fälle zu entscheiden, insbesondere solche, die sich um Beschwerden von Untertanen über exzessive Besteuerung oder Anklagen des Kammerprokurators gegen Regenten wegen nicht erfolgter beziehungsweise verspäteter Zahlung von Reichssteuern drehten.

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Entscheidend war, dass der Pfälzer Kurfürst und seine Beamten den Vierklösterstreit aufgriffen und zu einer cause célèbre machten. Denn nun sah es so aus, als wären die korrespondierenden Fürsten entschlossen, die Argumente, die ihre Mitglieder seit 1594 auf den Reichstagen vorgebracht hatten, noch weiter voranzutreiben. 46 Der Reichstag von 1597/98 beauftragte die Reichsdeputation mit der Visitation des Reichskammergerichts. Doch war diese Kommission katholisch dominiert (das Kurfürstenkollegium war ausgeglichen besetzt, aber im Fürstenund Städtekollegium hatten die Katholiken mit zehn Stimmen gegen acht Protestanten die Mehrheit). Als deutlich wurde, dass die Reichsdeputation die Urteile bestätigen würde, wandten die Vertreter der Pfalz ein, dass sie nicht mehr Kompetenz habe, solche Fälle zu entscheiden, als das Reichskammergericht. Es gehe, so argumentierten sie, um Probleme, die aus dem Friedensschluss von 1555 resultierten, und sie könnten auch nur von den am Friedensschluss beteiligten Parteien, also dem Kaiser und den Ständen im Reichstag, gelöst werden. Als ihr Protest erfolglos blieb, verließen die pfälzischen Gesandten zusammen mit den Vertretern Brandenburgs und Braunschweig-Wolfenbüttels den Deputationstag vom Juli 1601 und verhinderten damit eine gültige Entscheidung. Auf einem Folgetreffen in Friedberg beschlossen sie darüber hinaus, jeden weiteren Versuch einer außerordentlichen Visitation des Gerichts zu blockieren, und entsandten eine Delegation zum Kaiser, um dagegen zu protestieren, dass der Reichshofrat sich mit Fällen, die den Religionsfrieden betrafen, befasste. Sie bekundeten ihre Absicht, gegen alle diesbezüglichen Urteile des Gerichts Widerstand zu leisten. 47 Diese Lähmung des kaiserlichen Gerichtssystems war von folgenschwerer Bedeutung, ebenso jedoch die Zurückhaltung vieler Fürsten angesichts der Krise. Sachsen wollte, wie üblich, mit den protestantischen Dissidenten unter den Fürsten nichts zu tun haben. 1601 schrak sogar Landgraf Moritz von Hessen davor zurück, sich ihrem offenen Protest anzuschließen. Andererseits zeigten sich die katholischen Mitglieder der Kommission hinsichtlich ihres Mehrheitsvotums ebenfalls kompromissbereit. Auf dem Reichstag von 1603 beklagten sich die Dissidenten darüber, dass der Kaiser willkürlich außergewöhnliche hohe Steuern erhebe, dann aber nur die Protestanten bei Nichtzahlung verfolge, um sie ausbluten zu lassen, während katholische Stände diesbezüglich mit Nachsicht behandelt würden. 48 Am Ende stimmten sie jedoch mit der Mehrheit für die Türkensteuer, während der Bevollmächtigte des Kaisers, sein Bruder Erzherzog Matthias, die Ratifizierung der Steuer sicherstellte, indem er alle weiteren Erörterungen des Justizsystems einfach vertagte. 49 Natürlich gab es Radikale auf beiden Seiten. Der pfälzische Kurfürst blieb unbeugsam und der junge Herzog Maximilian von Bayern (1598–1651) verlangte von den Katholiken, sie sollten nicht nachgeben, in der Erwartung, dass die Protestanten dann zurückweichen würden.

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An diesem Punkt jedoch trug die Allianz der Versöhnlichen und Zögernden den Sieg davon.

Anmerkungen 1 Am 24. Februar 1582 veröffentlichte Papst Gregor XIII. eine Bulle, in der er verordnete, dass auf den 4. Oktober jenes Jahres unmittelbar der 15. folgen sollte. Damit korrigierte er einen Irrtum des alten julianischen Kalenders, bei dem das Jahr 11 Minuten und 14 Sekunden zu lang war. Grotefend, Taschenbuch, 25–27. 2 Vocelka, Politische Progaganda, 181–187. 3 Warmbrunn, Konfessionen, 359–386; Roeck, Stadt, Bd. I, 125–188; Dixon, »Urban order«, 8–18. 4 Obersteiner, »Reichshoffiskalat«, 96–97, 134–136. 5 Vgl. S. 530–540. 6 Schulze, »Untertanenrevolten«; Behringer u. a., »Konsequenzen«; Schilling, »Crisis«; Clark, »European crisis«. 7 Vgl. S. 670–679. 8 Schmidt, Vaterlandsliebe, 321–328. 9 Leppin, »Antichrist«; Schönstädt, Antichrist, 10–13; Gotthard, Reich, 80–82. 10 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 27–29. 11 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 49–50. 12 Gotthard, Säulen, Bd. I, 66. 13 Gotthard, Säulen, Bd. I, 79–85. 14 Parker, Grand strategy, 147–205; Elliott, Europe divided, 307–350. 15 Ritter, Geschichte, Bd. II, 5. 16 Ritter, Geschichte, Bd. II, 8–10; Beiderbeck, »Heinrich IV.«, Teil I, 27–32, 17 Ritter, Geschichte, Bd. II, 53–54; Rabe, Geschichte, 596–597. 18 Gotthard, »1591«. 19 Zum Folgenden vgl. Rabe, Geschichte, 598–599. 20 Press, »Christian«. 21 Lanzinner, »Zeitalter«, 175. 22 Schulze, Türkengefahr, 360–363. 23 Schulze, Türkengefahr, 255–270; Schwennicke, Steuer, 49–54. 24 Schulze, Türkengefahr, 78. 25 Schulze, Deutsche Geschichte, 179. 26 Ritter, Geschichte, Bd. II, 117–119. 27 Schulze, Türkengefahr, 165–166. 28 Eine detaillierte Darstellung des Verlaufs bietet Stieve, Politik, Bd. II, 613–678. 29 Schulze, Türkengefahr, 228–236. 30 Schulze, Türkengefahr, 171–172, 178; Kratsch, Justiz, 181. 31 Zum Folgenden vgl. Wolgast, Hochstift, 293–297; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 86–88; Beiderbeck, »Heinrich IV.«, Teil II, 1–10; Beiderbeck, Religionskrieg, 215–267. 32 Ritter, Geschichte, Bd. II, 36–37. Eine der Schwestern des Herzogs war mit Wilhelm V. von Bayern verheiratet, was der Kandidatur von Karls Sohn noch weitere Unterstützung verlieh. 33 Beiderbeck, »Heinrich IV.«, Teil II, 6–7.

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34 Wolgast, Hochstift, 298. 35 Schmidt, Grafenverein, 349–352; Wolff, »Kapitelstreit«. 36 Der Vertrag wurde 1619 für fünf Jahre verlängert und die verbliebenen protestantischen Stiftsherrn mussten 1627 Straßburg verlassen. Wolgast, Hochstift, 297. Leopold wurde 1607 Bischof; sein Nachfolger wurde 1627 ein Sohn von Ferdinand II. 37 Wolgast, Hochstift, 283–285. 38 Nach einem fehlgeschlagenen Versuch (1628–1635), Magdeburg zu rekatholisieren, fiel es 1648 an Brandenburg, dem es nach dem Tod des letzten Administrators, August von Sachsen, 1680 als Herzogtum angehörte. Vgl. Köbler, Lexikon, 402–403; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 81–83. 39 Schulze, Türkengefahr, 276–290. 40 Schneider, Ius reformandi, 243–244; Kratsch, Justiz, 60–124. 41 Der Konvent wurde erst 1629 restituiert und die Stadt Hirschhorn nach dem Aussterben des Hauses Hirschhorn rekatholisiert. Schneider, Ius reformandi, 244. 42 Kratsch, Justiz; Ruthmann, Religionsprozesse, 553–566, 576–577. 43 Ritter, Geschichte, Bd. II, 162; Heckel, Deutschland, 92–93. 44 Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 139–140. 45 Ruthmann, Religionsprozesse, 577. 46 Schulze, Türkengefahr, 142. 47 Ritter, Geschichte, Bd. II, 165–166; Neuhaus, Repräsentationsformen, 488–489. 48 Gotthard, Reich, 75. 49 Ritter, Geschichte, Bd. II, 166–171.

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st das Reich in den fünfzehn Jahren vor 1618 unaufhaltsam in einen Krieg geglitten? Die alte deutsch-nationale Geschichtsschreibung mit ihrer pathetischen Betonung der gescheiterten deutschen Einheit hat es so gesehen. Nach 1603 tauchten konfessionelle Bündnisse auf, die bereits die ersten Schlachtlinien zu ziehen und den Aufmarsch von Truppen vorwegzunehmen schienen. In Wirklichkeit war die Lage so eindeutig nicht. Das Zentrum des Dreißigjährigen Kriegs bildete das deutsche Reich. Gelehrte, die versuchten, den Konflikt zu »internationalisieren« oder den seit Langem währenden Kampf zwischen Habsburg und Frankreich in den Vordergrund zu rücken, werden dieser einfachen Tatsache nicht gerecht, die den meisten Zeitgenossen selbstverständlich erschien, sprachen sie doch vom Dreißigjährigen als dem »Deutschen Krieg«. Als der Konflikt 1618 ausbrach, drehte er sich um die deutsche Verfassung und das Gleichgewicht der konfessionellen Mächte in Mitteleuropa. 1 Allerdings waren nicht nur die deutschen Probleme für den Kriegsausbruch verantwortlich. Die politische Konfrontation im Reich wurde durch bestimmte Probleme in den Habsburger Landen (innerhalb wie außerhalb des Reichs) und durch einen daraus resultierenden innerdynastischen Kampf zugespitzt, der in die böhmische Krise mündete. Zugleich wurde der Konflikt durch Entwicklungen in Europa, die gemeinsames Vorgehen der spanischen und österreichischen Habsburger an einer Vielzahl von Fronten wahrscheinlich machten, internationalisiert und diversifiziert. 1603 jedoch war die politische Situation im Reich noch offen. Es gab grundlegende Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die anstehenden Probleme zu lösen seien, doch gab es zugleich eine Vielzahl von Parteien und Fraktionen statt nur zwei Fronten. Die Partei mit den klarsten Konturen wurde von den protestantischen Aktivisten der Pfalz und ihrer Verbündeter gebildet. Ihr koordiniertes politisches Vorgehen wurde von dem oberpfälzischen Statthalter Christian von Anhalt bestimmt, der 1607 mit Württemberg, Nürnberg, Ansbach und Kulmbach Abkommen zur gegenseitigen Verteidigung schloss. 2 Außerdem hielt er Kontakt zu zahlreichen weiteren, vor allem südwestlichen Territorien. Viele Fürsten begrüßten derlei Annäherungen aus gutem Grund. Am nächstliegenden war das Bündnis mit den anderen Regenten reformierten Glaubens, aber die Pfalz war auch für viele Lutheraner attraktiv, die sich von einer strengen Interpretation des Religionsfriedens und der Aussicht auf ein Restitu-

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tionsedikt bedroht fühlten. Einige, wie zum Beispiel Württemberg, benötigten Unterstützung, um vor dem Eindringen spanischer Truppen sicher zu sein. In BadenDurlach reagierte man mit Besorgnis auf die bayrische Intervention in Baden-Baden, während das lutherische Pfalz-Neuburg, eine Ansammlung verstreuter kleiner Territorien, eingezwängt zwischen Bayern und der Oberpfalz, sich ebenfalls vor bayrischer Begehrlichkeit schützen wollte und deshalb den Schulterschluss mit der Politik des Christian von Anhalt in Amberg suchte. 3 Andererseits standen viele Lutheraner der Pfalz mit Misstrauen gegenüber. Philipp Ludwig von PfalzNeuburg zum Beispiel war vorsichtig und schloss nur mit Württemberg und Baden-Durlach einen Separatvertrag. Zudem konnte die Pfalz zu dieser Zeit nicht mit der zusätzlichen Zugkraft einer Unterstützung durch Frankreich aufwarten. Waren die Protestanten vielleicht noch, wenngleich mit Misstrauen, bereit, Heinrichs IV. Übertritt zum Katholizismus zu akzeptieren, sahen viele deutsche Regenten (auch der pfälzische Kurfürst) im Vorgehen Heinrichs gegen den rebellischen, calvinistischen Herzog von Bouillon, den Fürsten von Sedan, religiöse Verfolgung. Sie verstanden nicht, dass der Herzog die französische Monarchie bedrohte und die Affäre überschattete zwischen 1602 und 1606 Heinrichs Beziehungen zu den deutschen Protestanten. 4 Während sich im Südwesten allmählich eine protestantische Koalition anbahnte, blieben viele andere lutherische Fürsten auf Distanz zum pfälzischen Netzwerk. Ludwig V. von Hessen-Darmstadt zum Beispiel brauchte die Unterstützung des Kaisers in einem Erbschaftskonflikt mit seinem Vetter Moritz von Hessen-Kassel, der 1605 in seinem Territorium den reformierten Glauben eingeführt hatte und damit an die Seite der Pfalz getreten war. Andere Herrschaftshäuser im Norden, wie etwa die von Oldenburg, Holstein, Mecklenburg und Pommern, hatten so viele Teilungen erlebt, dass sie weder über das Geld noch die Fähigkeit verfügten, sich in die umfassenderen Angelegenheiten des Reichs einzumischen. Brandenburg verfolgte unter dem Kurfürsten Joachim Friedrich (1598–1608) auch weiterhin eine politische Linie, die zugleich lutherisch und kaisertreu war, wobei der Kurfürst nicht zuletzt die Hoffnung hegte, für seinen Anspruch hinsichtlich Jülich-KleveBerg Unterstützung zu finden. Vor allem aber vertrat der Kurfürst von Sachsen weiterhin eines der führenden kaisertreuen Herrschaftshäuser von Deutschland, während die Territorien seiner ernestinischen Verwandten durch zahlreiche Erbteilungen mittlerweile so zersplittert waren, dass sie politisch nur noch im Fahrwasser des Kurfürsten schwammen. Allerdings begann die Solidarität zwischen Sachsen und Brandenburg, die im 16. Jahrhundert ein Hauptmerkmal der politischen Bühne gewesen war, zu bröckeln. Ein Grund dafür war zweifellos, dass beide Häuser Anspruch auf die Erbfolge von Jülich-Kleve-Berg erhoben, was Joachim Friedrichs Erben, Johann Sigismund, 1605 zu einem Bündnis mit Heidelberg veranlasste. Das resultierte in einem

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Abkommen zwischen der Pfalz, den Niederlanden und Brandenburg, wodurch Brandenburg Anschluss an das pfälzische Netzwerk in Deutschland und den Niederlanden fand. Dabei wurden auch die religiösen, geistigen und politischen Fundamente für Johann Sigismunds Übertritt zum Calvinismus im Jahr 1613 gelegt. Die katholischen Stände mussten nicht mit der Art von konfessionellen Problemen kämpfen, die viele von Christian von Anhalts Initiativen in diesen Jahren heimsuchten. Doch zunächst führten konfessionelle Solidarität und das Engagement für die Verteidigung der katholischen Position hinsichtlich des Religionsfriedens noch nicht zu einem förmlichen Bündnis. Die süddeutschen Bistümer und die Initiativen zur Rekatholisierung waren nicht länger bedroht. 1603 wollten die geistlichen Kurfürsten ein Verteidigungsbündnis ins Leben rufen, was aber an mangelnder Unterstützung seitens des Kaisers scheiterte. Nach dem Tod des Mainzer Kurfürsten Johann Adam von Bicken (1601–1604), eines Hardliners, kehrte Johann Schweikhard von Kronberg (1604–1626) zur traditionellen Mainzer Konsenspolitik zurück. Bayern hatte das Ende des ohnehin siechen Landsberger Bundes nach Auseinandersetzungen mit Salzburg und Würzburg 1599 beschleunigt. Daraufhin gab es Vorschläge für ein neues Bündnis mit Rom und Köln, zu denen sich Herzog Maximilian (1598–1651) aber ausweichend verhielt, weil er sich anfänglich lieber auf die Reform der Finanzen und Streitkräfte seines Herzogtums konzentrierte, statt Gefahr zu laufen, in internationale Konflikte hineingezogen zu werden. 5 Angesichts dieser relativ lockeren Bündnisse war ein Kompromiss durchaus vorstellbar. Der Reichstag von 1603 hatte die durch die Einsprüche im Vierklösterstreit hervorgerufenen Probleme lediglich vertagt. Der Deputationstag war keine Option mehr; tatsächlich wurde er erst 1643 wieder einberufen. Dennoch gab es weiterhin Versuche, nicht nur die einzelnen Konflikte, sondern auch das allgemeinere juristische Problem zu lösen. Zacharias Geizkofler, Reichspfennigmeister und bis 1603 Generalproviantmeister, den Rudolf II. und Erzherzog Matthias als Berater schätzten, machte Vorschläge, die einen Überprüfungsprozess durch eine konfessionell paritätisch besetzte Kommission vorsahen. Aber die Katholiken wollten keinen Präzedenzfall und die Protestanten wussten, dass Geizkofler (der selbst Protestant war) ihren Fall für wenig aussichtsreich hielt. 6 Die Angelegenheit wurde auch im allgemeineren Zusammenhang auf dem Treffen der Kurfürsten 1606 in Fulda erörtert. Sie waren sich zwar darin einig, dass das Reich ohne Gerechtigkeit nicht existieren könne, kehrten dann aber in die jeweiligen konfessionellen Schützengräben zurück. 7 Immerhin beschlossen sie, dass sechs katholische und sechs protestantische Richter des Reichskammergerichts vor dem Reichstag die Urteile, die über die Jahre in umstrittenen Fällen ergangen waren, darlegen sollten. 1607 schlug Sachsen vor, dass der kommende Reichstag eine Erneuerung, Bestätigung und Stabilisierung des Religionsfriedens

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in Erwägung ziehen sollte. Der sächsische Kurfürst hatte mit Besorgnis zur Kenntnis genommen, dass jesuitische Autoren die Gültigkeit des Religionsfriedens bezweifelten. Die Katholiken wiederum befürchteten, dass die Protestanten nur den Wunsch hatten, alle ihre Erwerbungen seit 1552 genehmigen und die Bedingungen des Religionsfriedens zu ihren Gunsten erweitern zu lassen. Sie wussten nur zu gut, dass die meisten Protestanten ihre Verwendung von Kirchengütern als lediglich von der Reichsverfassung geschützten Missbrauch ansahen. 8 Der Reichstag zu Regensburg folgte auf einen mit den Türken 1606 geschlossenen Friedensvertrag. Zwar hatte Rudolf ihn noch nicht ratifiziert, aber die protestantischen Stände spürten sofort, dass sie in ihren Verhandlungen mit dem Kaiser nun über größere Freiheit verfügten, da sie nicht länger verpflichtet waren, für eine Türkensteuer zu stimmen. Die größte Gefahr für ihre Freiheit ging nun, wie sie meinten, von der konfessionellen Situation und nicht mehr von den Türken aus. Die Diskussion der Rechtsprobleme wurde von Ereignissen überschattet, die sich 1606/07 in Donauwörth abspielten. 9 In Umgehung der im Religionsfrieden von 1555 (§ 27) festgelegten konfessionellen Parität waren die numerisch in der Überzahl befindlichen Protestanten in der schwäbischen Reichsstadt dazu übergegangen, Katholiken erst aus dem Stadtrat und dann aus der Bürgerschaft der Stadt selbst auszuschließen. Die Katholiken hatten sich unter den Schutz der Benediktiner des benachbarten Klosters Heilig Kreuz gestellt, von denen viele im Jesuitenseminar von Dillenburg ausgebildet worden waren. Die Mönche waren entschlossen, die Rechte der Katholiken zu verteidigen, und bestanden ab 1603 darauf, bei Prozessionen ihre Banner frei flattern zu lassen, obwohl diese einem Reglement zufolge bei solchen Gelegenheiten eingerollt sein mussten. Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen veranlassten den Schirmherrn des Klosters, den Bischof von Augsburg, sich an den Reichshofrat zu wenden, der im Februar 1606 der Stadt mit Sanktionen drohte, falls es zu weiteren Behinderungen der Katholiken kommen sollte. Nur zwei Monate später provozierte eine weitere Prozession Gewalttaten, in deren Verlauf die Banner durch den Schmutz gezogen und die Prozession aus der Stadt geworfen wurde. Der Stadtrat gab dem Mob die Schuld, aber im September wurde das kaiserliche Dekret einfach nur erneuert. Als der Magistrat wiederum Einspruch erhob, beauftragte der Kaiser den Herzog von Bayern, den Katholiken in Donauwörth zu ihrem Recht zu verhelfen. Der Stadtrat war schon dabei, allen Punkten zuzustimmen, als der Mob die Gesandten des Herzogs aus der Stadt trieb. So wurde die Reichsacht verhängt und der bayrische Herzog mit der Exekution beauftragt. Im Dezember 1607 wurde die Stadt von bayrischen Truppen besetzt und es begann eine gewaltsame Rekatholisierung. 1609 ging die Stadt zur Begleichung der Kosten der Militäraktion in bayrischen Pfandbesitz über. Donauwörth blieb dann katholisch und wurde nach langem Kampf eine bayrische Landesstadt. 10

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Diese Affäre empörte die Protestanten zutiefst, und das aus mehreren Gründen. Erstens sahen sie hier ein weiteres Beispiel parteilicher Rechtsprechung durch den Reichshofrat in Prag, die dann vom Kaiser in die Tat umgesetzt wurde. Zweitens lag Donauwörth im Schwäbischen Kreis und jegliche Entscheidung gegen die Stadt hätte vom Kreishauptmann, in diesem Fall dem Herzog von Württemberg, gefällt werden müssen. Der Herzog von Bayern war nicht einmal Mitglied des Schwäbischen Kreises. Drittens waren Württemberg und andere Mitglieder des Schwäbischen Kreises ganz besonders besorgt über das bayrische Vorgehen. Einerseits sahen sie darin ein weiteres Beispiel für bayrisches Expansionsstreben, bei dem Herzog Maximilian ganz wie sein Vater bestrebt war, im Südwesten des Reichs die Habsburger durch die Wittelsbacher zu verdrängen. Andererseits schien die Zusammenarbeit von Maximilian mit dem Bischof von Augsburg, Heinrich V. von Knöringen (1598–1646), einem kompromisslosen Vertreter der Gegenreformation, eine neue Welle umfassender Rekatholisierung anzukündigen. Weitere Befürchtungen weckte 1608 die Nachricht, dass Rudolfs II. Bevollmächtigter in Regensburg Ferdinand, Erzherzog der Steiermark, sein würde, ebenfalls ein kompromissloser Advokat der Gegenreformation. Ferdinand eröffnete den Reichstag, indem er darauf bestand, eine neue Türkensteuer zu erörtern (weil, so die Begründung, Rudolf den Friedensvertrag von 1606 noch nicht ratifiziert hätte). Die Protestanten wandten sofort ein, dass es dafür keine Notwendigkeit gebe. 11 Tatsächlich war mit dem Ende des Türkenkriegs auch jener Faktor beseitigt, der es dem Kaiser erlaubt hatte, die Reichstage seit 1576 unter Kontrolle zu halten. Ferdinand schlug weiter vor, dass jede Bestätigung des Religionsfriedens von einer Restitutionsklausel begleitet werden sollte. Seine anfänglich kompromisslose Haltung hätte die Sachsen beinahe in die Arme der Pfalz und Brandenburgs getrieben. Die Protestanten betonten erneut, dass faire Rechtsprechung und Gerichtsverfahren für das Reich so lebenswichtig wie die Sonne für die Erde seien und dass sie einer allgemeinen Restitution, in welcher Form auch immer, nicht zustimmen könnten. 12 Nun zeigte sich Ferdinand nachgiebiger, sodass die Sachsen dann doch der Krone treu blieben, aber die Aktivisten verließen die Sitzung. Da sowohl die Katholiken als auch die lutherischen Kaisertreuen wieder davon absahen, eine Mehrheitsresolution zu verabschieden, wurde der Reichstag einfach vertagt. Ein Folgetreffen der Kurfürsten im Juli und August in Fulda war ebenfalls konfessionell gespalten und führte zu keinen sinnvollen Vorschlägen. 13 Das Klima war jetzt sehr viel angespannter als 1603. Rudolfs Handlungsfähigkeit war nicht nur durch seine übliche Unentschlossenheit eingeschränkt, sondern auch durch den starken Druck, dem er durch die wachsende Krise in den österreichischen Territorien ausgesetzt war. 14 Unter diesen Umständen verringerte sich die Distanz zwischen den Reformierten und vielen Lutheranern und es entwickelte sich die konfessionelle Dualität von Katholiken und Protestanten.

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Neun Tage, nachdem Ferdinand am 3. Mai 1608 den Reichstag aufgelöst hatte, schlossen sich die Pfalz, Württemberg, Pfalz-Neuburg, Kulmbach-Bayreuth, Ansbach-Bayreuth und Baden-Durlach in Auhausen bei Nördlingen zu einem Verteidigungsbündnis zusammen. 15 Die treibenden Kräfte dabei waren Christian von Anhalt und Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg, während der Pfälzer Kurfürst Friedrich IV. als Führer und Kommandant einer geplanten Streitmacht von 20.000 Mann nominiert wurde. Binnen Jahresfrist hatten sich Brandenburg, Zweibrücken, Hessen-Kassel, Sachsen-Anhalt und Öttingen zusammen mit sechzehn Reichsstädten der Union angeschlossen. Ihren Statuten zufolge waren die Ziele der Union rein defensiv, eine explizite Agenda hatte sie nicht. 16 Nur wenige ihrer Mitglieder teilten die Ansicht der Pfalz, dass ein größerer Religionskonflikt unvermeidlich sei. Aber das hinderte Christian von Anhalt nicht daran, erneut Pläne für ein internationales protestantisches Bündnis zu schmieden. 17 Er strebte förmliche Verbindungen mit Heinrich IV., Jakob I., der holländischen Republik und Christian IV. von Dänemark an und plante sogar die Mitgliedschaft des protestantischen Adels der österreichischen Territorien. Er korrespondierte mit Erzherzog Matthias und mit Georg Erasmus Tschernembl, dem Wortführer der oberösterreichischen Stände. Doch aus diesen ehrgeizigen Plänen wurde nichts. Auf einem Treffen der Union 1608 in Rothenburg wurde die Idee, Heinrich IV. von Frankreich in das Bündnis aufzunehmen, zurückgewiesen und die Erörterung aller anderen Mitgliedsaufnahmen vertagt. Allgemein wurde die Formulierung klarer politischer Ziele über die Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfe hinaus durch die latenten Spannungen zwischen Reformierten und Lutheranern verhindert, ebenso aber auch durch die Zurückhaltung der Reichsstädte. Zum einen waren sie empört über die Weigerung der Fürsten, ihnen gleiches Stimmrecht bei Entscheidungen einzuräumen, für deren Folgen sie die Hauptlast der Kosten würden tragen müssen. Zum anderen bedurften sie traditionellerweise des kaiserlichen Schutzes gegen die Fürsten, weshalb sie nicht darauf aus waren, sich die Gunst der Krone durch Bündnisse mit ausländischen Herrschern zu verscherzen. So stand die Union formell in der langen Tradition regionaler Verteidigungsoder Friedensbündnisse.18 Dennoch war von vornherein deutlich, dass sie mehr mit dem konfessionell orientierten Schmalkaldischen Bund als mit vorherigen Organisationen wie etwa dem Schwäbischen Bund gemein hatte. Mochte auch die Mehrheit ihrer Mitglieder wenig von Christian von Anhalts Aktivismus und seinen internationalen Plänen halten, so teilten sie doch sein grundlegendes innenpolitisches Ziel. Die Union war entschlossen, die katholische Interpretation der deutschen Verfassung und vor allem den angeblich in ihrem Namen betriebenen Missbrauch kaiserlicher Macht zu bekämpfen. Genau dieser konfessionelle und politische Aspekt der Union ließ die Pläne für ein katholisches Gegenstück heranreifen. Nach der Donauwörther Affäre und dem

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gescheiterten Reichstag fürchtete Herzog Maximilian, dass Bayern jetzt zum Ziel protestantischer Angriffslust werden könnte. Im März 1608 drängte er Erzherzog Ferdinand, den Kaiser von der Notwendigkeit einer katholischen Verteidigungsliga zu überzeugen. 19 Doch machte die Krise im Haus Habsburg eine kaiserliche Initiative unmöglich. So war Maximilian gezwungen, selbst eine Liga zu gründen, vorgeblich für die Verteidigung der katholischen (insbesondere geistlichen) Territorien überall im Reich, tatsächlich aber vorwiegend für bayrische Bedürfnisse. Im Juli 1609 war ein Bündnis oberdeutscher katholischer Stände ins Leben gerufen worden. 20 Bald danach schlossen sich auch die Kurfürsten von Mainz, Köln und Trier an, sodass nun Mainz ein rheinisches und Bayern ein oberdeutsches Direktorium leitete. 21 Das Bündnis gab sich den Namen »Verteidigungs- oder Schutzbündnis«, die Feinde sprachen von der »katholischen Liga«, ein Anklang an die französisch-spanische Liga von 1585, die sich die Auslöschung des Protestantismus in Frankreich zum Ziel gesetzt hatte. Nunmehr bestand Herzog Maximilian nachdrücklich darauf, dass die Liga auf keinen Fall die Habsburger aufnehmen sollte, damit sie nicht in deren dynastische und territoriale Probleme oder in umfassendere politische Angelegenheiten verstrickt würde. Nur zögernd war er 1610 bereit, als Gegenleistung für eine spanische Finanzspritze (die womöglich nur Versprechen blieb) Philipp III. und Erzherzog Ferdinand als Protektor uns Vizeprotektor der Liga aufzunehmen. 22 Auf kurze Sicht konnte Maximilian die Entwicklung der Liga steuern. Er bestand auch darauf, dass das Problem der Erbfolge im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg nicht formell auf die Agenda kam. Das wiederum führte dazu, dass das potenziell gefährlichste politische Problem jener Zeit keinen internationalen Flächenbrand auslöste. Aber auch so zeigte der Erbfolgestreit im Herzogtum, wie stark die Spannungen in der deutschen Politik angewachsen und wie bedeutsam Union und Liga waren. Als der geistig erkrankte Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg kinderlos starb, spitzte sich damit sehr schnell eine Situation zu, die seit seiner Thronbesteigung 1592 absehbar gewesen war. 23 An Nachfolgewilligen gab es keinen Mangel.24 Sachsen erhob Ansprüche auf Jülich-Berg aufgrund eines von Maximilian I. gewährten Privilegs. Direktere Ansprüche wurden vonseiten der vier Schwestern Johann Wilhelms und ihrer Söhne unter Berufung auf ein von Karl V. gewährtes Privileg vorgebracht. Die älteste Schwester war mit dem Herzog von Preußen verheiratet, ebenfalls geistig behindert und hatte nur eine Tochter, sodass ihr Anspruch auf den Schwiegersohn, Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg, überging. Von den beiden nächstälteren Schwestern hatte die eine den Herzog von Pfalz-Neuburg geheiratet (und einen Sohn namens Wolfgang Wilhelm geboren), die andere den Herzog von Pfalz-Zweibrücken. Die vierte Tochter war

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mit Karl von Burgau (einem morganatischen Sohn von Erzherzog Ferdinand von Tirol) verehelicht, der zu verschiedenen Zeitpunkten als möglicher Kandidat Habsburgs galt. Zu den plausibelsten Anspruchsberechtigten, die zudem in den wenigen Jahren vor Johann Wilhelms Tod am aktivsten gewesen waren, gehörten der Kurfürst von Brandenburg und Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg. Um jedoch die Angelegenheit noch komplizierter zu gestalten, erklärte der Reichshofrat im August 1608 alle Privilegien, auf die sich die diversen Ansprüche gründeten, für ungültig. Das hieß, dass der Kaiser selbst nach dem Tod des Regenten Anspruch auf das Territorium erheben konnte. Die Übernahme eines der wohlhabenderen deutschen Fürstentümer wäre an sich schon eine bedeutsame Sache gewesen, doch war das Herzogtum noch aus anderen Gründen hochwichtig. Da es am Niederrhein zwischen Köln und den Niederlanden lag, war es für die Spanier wie auch für die Holländer von überragender strategischer Bedeutung. Das wiederum hieß, dass sich Köln, der Kaiser und Frankreich für seine Zukunft interessierten. Nun fiel die Erbfolgekrise mit dem Abschluss eines zwölfjährigen Waffenstillstandsvertrags zwischen Spanien und den Niederlanden zusammen, was für Heinrich IV. besonders günstig war, musste er doch befürchten, dass der Rückschlag für Spanien die Habsburger motivieren würde, ihre Position am Niederrhein erneut auszubauen. Und schließlich gab es, weil die Herzöge keine konsequente Religionspolitik verfolgt hatten, in Jülich eine Mehrheit von Katholiken, während in Kleve, Ravensberg und Mark Lutheraner und Reformierte überwogen. 25 Als sich die Nachricht vom Tod des Herzogs verbreitete, verfolgten die beiden lutherischen Interessenten und Heinrich IV. vor allem das Ziel, eine Initiative Habsburgs zu verhindern. Heinrich IV. ließ verlauten, dass eine Intervention von Erzherzog Albrecht, dem Generalgouverneur der habsburgischen Niederlande, eine unmittelbare Reaktion Frankreichs provozieren würde. Er erwarte von den Anspruchsberechtigten eine freundschaftliche Übereinkunft. Zunächst jedoch machten sich Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg und Markgraf Ernst von Brandenburg für seinen Kurfürsten zum Herzogtum auf, um es für ihre jeweiligen Häuser zu reklamieren. Da sie sich über die Gewichtung der Ansprüche nicht einig werden konnten, entschlossen sie sich am 10. Juni 1610 in Dortmund dazu, das Territorium erst einmal gemeinsam zu regieren und zu schützen; und ab diesem Zeitpunkt bezeichneten sie sich als die »Possedierenden«. Die Stände des Territoriums akzeptierten diese Abmachung, weil sie nichts mehr fürchteten als eine erneute Invasion spanischer Truppen aus Flandern, um sie von Brüssel aus unter Militärherrschaft zu stellen. Auch der Herzog von Zweibrücken akzeptierte den »Dortmunder Rezess«, zum Teil, weil er sich mit einem fait accompli konfrontiert sah, zum Teil, weil er gerade als Administrator der Pfalz beschäftigt war. Weder Brandenburg noch Pfalz-Neuburg hatten die Mittel, um ihren An-

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spruch militärisch durchzusetzen; somit waren beide weiterhin auf französische Protektion angewiesen. Heinrich IV. bestand weiterhin auf einer freundschaftlichen Einigung und auf der Beteiligung der Union als Vorbedingung für seine Unterstützung. 26 Obwohl Pfalz-Neuburg und Brandenburg von dieser Unterstützung abhängig waren und darauf auch nicht verzichten wollten, standen sie, wie die Union, einer französischen Intervention eher zurückhaltend gegenüber. Die Aussicht auf französische Truppen auf deutschem Boden beunruhigte sie und viele befürchteten, Frankreich würde sich die Union zunutze machen, um eigene Bestrebungen zu fördern, ohne dass die deutschen Protestanten davon profitierten. Zudem hielten die meisten Mitglieder der Union an den ausschließlich defensiven und innerdeutschen Zielvorstellungen des Bündnisses fest. Diese Pattsituation wurde von einer für Kaiser Rudolf erstaunlich entschiedenen Intervention durchbrochen. Er erklärte die Aktionen der »Possedierenden« für illegal und den Dortmunder Vertrag für ungültig. Ferner entsandte er den Bischof von Passau und Straßburg, Erzherzog Leopold, als kaiserlichen Administrator nach Jülich-Kleve-Berg, um dort die Regierungsgeschäfte in seinem, Rudolfs, Namen zu führen, bis er über eine neue Belehnung entschieden hätte. Die Besetzung der Festung von Jülich am 23. Juli 1609 hob den Konflikt auf eine neue Ebene, denn Leopold, der die Straßburger Kontroverse 1607 erfolgreich bereinigt hatte, war für die Protestanten ein Symbol des siegreichen Katholizismus. 27 Nun wurde eine mögliche französische Intervention für Pfalz-Neuburg und Brandenburg wie auch für die Union interessant. Indem Rudolf den Anspruchstellern ihre Rechte bestritt, hatte er »Gesetz und Tradition« des Reichs ignoriert. Zugleich gab es gravierende Ängste, dass Leopold militärische Unterstützung aus Brüssel erhalten könnte. Heinrich IV. wiederum scheint den Ausbruch eines europäischen Religionskriegs befürchtet zu haben. Eine sofortige, mit Nachdruck geführte Intervention könnte ihn zum Herrn der Lage machen und auch seine innenpolitische Autorität stärken. Dazu passt, dass er von der Union verlangte, ihre Kontakte zu den Hugenotten abzubrechen. Zugleich aber scheint er angenommen zu haben, dass er nur dann am Niederrhein Erfolg haben könne, wenn eine spanische Intervention durch gleichzeitige Feldzüge in den Niederlanden und Norditalien verhindert würde. Für viele Mitglieder der Union war es jedoch eben dieser europäische Aspekt des Konflikts, der sie zögern ließ, mit Frankreich ein auf wenige Monate begrenztes Bündnis zu schließen. Doch im Februar 1610 schloss Frankreich mit den »Possedierenden« im Verein mit der Union ein Abkommen, demzufolge beide Seiten jeweils 8.000 Fußsoldaten und 2.200 Berittene stellen sollten, um Leopold aus seiner Stellung zu vertreiben. Die deutschen Fürsten sagten zu, das Abkommen im Fall einer kaiserlichen Ächtung zu verteidigen, aber die Rechte der Katholiken von Jülich-Kleve-Berg zu respektieren. Wichtig ist auch, dass sie übereinkamen,

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nach Erreichen der anfänglichen Ziele den Franzosen zu helfen, die spanischen Streitkräfte in den Niederlanden zu besiegen. Als Frankreich und Savoyen einen Monat später einen ähnlichen Vertrag abschlossen, in dem sie sich zum Angriff auf die spanische Hochburg Mailand verpflichteten, waren die strategischen Vorkehrungen beendet. Doch kam es nicht zum Krieg. Im Mai 1610 wurde Heinrich IV. ermordet, was bedeutete, dass der Konflikt auf das Niederrheingebiet beschränkt blieb. Philipp III. und Erzherzog Albrecht wollten nicht das Waffenstillstandsabkommen mit der holländischen Republik gefährden. Frankreich, Holland, England und die Union stellten eine Streitmacht zusammen, die gegen Leopold anrückte, der Jülich am 1. September übergab. Ein von der Union geplanter Parallelangriff auf Straßburg wurde abgeblasen, als ruchbar wurde, dass auch Maximilian von Bayern Truppen ausgehoben hatte; die Städte und die gemäßigteren Mitglieder der Union scheuten vor einer größeren und kostspieligeren militärischen Auseinandersetzung zurück. 28 So wurde der Konflikt am Niederrhein im Herbst 1610 entschärft. Doch dauerte es noch etliche Jahre, bis die Erbfolge im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg endgültig geregelt war. 29 Pfalz-Neuburg wie auch Brandenburg suchten ihre Position im Territorium zu behaupten. Johann Sigismund von Brandenburg bemühte sich um die Unterstützung durch die Reformierten, während Wolfgang Wilhelm die Lutheraner bearbeitete; beide hatten Probleme mit den Katholiken. Der Kaiser versuchte erneut, die Ansprüche der Herzöge zu hintertreiben, indem er die sächsische Kandidatur ins Spiel brachte, um das kaisertreue lutherische Sachsen in die katholische Liga zu ziehen, was jedoch am Einspruch Bayerns scheiterte. Allerdings war Rudolfs Position jetzt so geschwächt, dass die »Possedierenden« sich von Prager Störfeuern nicht weiter irritieren ließen. Als Johann Sigismund sich mehr und mehr dem reformierten Glauben zuwandte – er konvertierte 1613 –, wurden auch seine Verbindungen zur Pfalz stärker. In der Folge sah sich Pfalz-Neuburg zunehmend benachteiligt, sodass Wolfgang Wilhelm sich schließlich Bayern zuwandte. Er heiratete die Schwester von Herzog Maximilian und trat 1613 zum Katholizismus über. Beide Konversionen waren vor allem »politisch« motiviert: Jede Dynastie wollte sich im Wettbewerb um die Gunst der Stände von Jülich-Kleve-Berg und die Zuwendung potenzieller externer Sponsoren ein unverwechselbares Profil geben. 1614 sah es noch einmal nach Krieg aus, als Wolfgang Wilhelm, nunmehr katholisch und von spanischen Truppen unterstützt, einen Versuch des Brandenburger Erbfolgers Georg Wilhelm, ihn mit holländischer Hilfe aus Düsseldorf zu vertreiben, abwehrte. 30 Zwar nutzten die Spanier die Gelegenheit, den Aachener Stadtrat zu rekatholisieren, doch waren sie ebenso wenig wie die Holländer bereit, das Waffenstillstandsabkommen aufzugeben. So wurde im Vertrag von Xanten vereinbart, das Territorium zu teilen. Brandenburg erhielt Rechte über Kleve-

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Mark-Ravensberg und Pfalz-Neuburg Rechte über Jülich-Berg-Ravenstein. Vorgesehen war, dass die Verwaltungen in Kleve und Düsseldorf das Territorium gemeinsam regieren sollten. Praktisch jedoch setzten sie eine dauerhafte Teilung durch, deren Details erst 1682 geregelt wurden. Der Erbfolgestreit um Jülich-Kleve-Berg zeigte die Bereitschaft der deutschen Protestanten, Krieg nur als letzten Ausweg in Betracht zu ziehen, doch verdeutlichte er auch ihre Unfähigkeit zum militärischen Erfolg. Ihnen fehlten finanzielle wie andere Ressourcen und so waren sie von ausländischer Hilfe abhängig, was sie als erstrebenswerten Zustand jedoch zugleich anzweifelten. Schließlich könnte sich eine starke ausländische Macht als schlimmer als ein schwacher Kaiser erweisen. Niemand wollte wirklich in einen Konflikt außerhalb des Reichs hineingezogen werden. Und niemand war bereit, wegen Übertretung der Gesetze des Reichs gebrandmarkt und geächtet zu werden sowie militärische Sanktionen seitens der Kreise oder mächtiger Stände im Auftrag des Reichshofrats erleiden zu müssen. Selbst auf dem Höhepunkt der Krise fürchtete Heinrich IV. am meisten, dass die deutschen Fürsten mit dem Kaiser in Verhandlungen eintreten und eine Art von Vermittlung akzeptieren würden. Es war sein Vorteil, dass Rudolf II. 1610 bereits der Wille und das politische Geschick fehlten, um ihnen eine solche Vermittlung schmackhaft zu machen.

Anmerkungen 1 Asch, Thirty Years War, 3. 2 Parker, Thirty Years War, 27 (die ausgezeichnete Erörterung von Union und Liga stammt von Simon Adams). 3 Press, »Fürst Christian«; Clasen, Palatinate, 21–26. 4 Beiderbeck, »Heinrich IV.«, Teil II, 10–14; Beiderbeck, Religionskrieg, 301–360. Bouillon wurde 1606 besiegt, verfügte 1608 aber wieder über sein Herzog- und sein Fürstentum. 5 Albrecht, Maximilian I., 367–368, 386–389. 6 Luttenberger, »Kaisertum«, 89–93 7 Kratsch, Justiz, 182; Gotthard, Säulen, Bd. I, 280–285. 8 Kratsch, Justiz, 183–186. 9 Schneider, Ius reformandi, 233–234; Dixon, »Urban order«, 18–24. 10 1705 wurde Donauwörth noch einmal Reichsstadt, aber nur bis 1714. 11 Schulze, Türkengefahr, 153–154. 12 Kratsch, Justiz, 182. 13 Gotthard, Säulen, Bd. I, 285–289. 14 Vgl. S. 553–561. 15 Wolgast, »Reichs- und Außenpolitik«, 180–182; Schmidt, »Union«. 16 Parker, Thirty Years War, 28. 17 Wolgast, »Reichs- und Außenpolitik«, 182–186. 18 Gotthard, »Union und Liga«, 82–93. 19 Albrecht, Maximilian I., 409.

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Gotthard, »Union und Liga«, 94–112. Brendle, »Kurmainz«. Albrecht, Maximilian I., 423–424. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 98–101; Anderson, Verge, passim; Midelfort, Mad princes, 94–124. Ollmann-Kösling, Erbfolgestreit, 51–59. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 98–101; Spohnholz analysiert in Tactics die komplexe und instabile konfessionelle Situation in der in Kleve gelegenen Stadt Wesel. Eine detaillierte Darstellung der französischen Politik in dieser Angelegenheit bietet Beiderbeck, Religionskrieg, 363–447. Beiderbeck, »Heinrich IV.«, Teil II, 17. Press, Kriege, 181–182. Ollmann-Kösling, Erbfolgestreit, 88–98. Israel, Dutch Republic 1476–1806, 407–408.

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m 17. Juli 1609 teilte Heinrich IV. dem Botschafter von Erzherzog Albrecht umstandslos mit, dass der Kaiser keine Macht sei, mit der man noch rechnen könne, da er nicht einmal mehr seine Stadt Prag beherrsche. 1 Heinrich sprach damit nur aus, was ohnehin in ganz Europa bekannt war: Im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts steckten die österreichischen Habsburger tief in der Krise. Immer wieder wurden wichtige Gelegenheiten in der deutschen Politik verpasst, weil Rudolf nicht handeln konnte oder wollte. Mit der Zeit stellte sich auch seine eigene Familie gegen ihn und drängte ihn, die Macht aus den Händen zu geben. Im Mai 1611 wurde er endlich zur Abdankung als König von Böhmen gezwungen. Acht Monate später starb er, immer noch als Kaiser und doch als ein Rudolf Ohneland. Die Krise im Haus Habsburg hatte ihre Ursache darin, dass sich die diversen österreichischen Territorien während der letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts ganz unterschiedlich entwickelten, was große Spannungen zwischen den Mitgliedern des Hauses hervorrief. Die anfänglichen Probleme resultierten aus Ferdinands I. Aufteilung der habsburgischen Lande unter seine drei Söhne (1564), die späteren daraus, dass Maximilian II. 1576 die von ihm ererbten Lande (Ober- und Niederösterreich) einem Sohn überließ, der keinen Erben hervorbrachte. 2 Von grundlegender Bedeutung war auch der Druck, der, ausgehend von der türkischen Bedrohung, auf den meisten habsburgischen Landen lastete, während die durch die Türkenkriege verursachten Kosten alle Lande betrafen. Die Steuerlast führte während der 1590er Jahre zu einem größeren Bauernkrieg in Ober- und Innerösterreich, während zur gleichen Zeit auch die territorialen Stände gegen finanziellen Druck aufbegehrten und sich größeren Spielraum zur Verteidigung und sogar eine Ausweitung ihrer Rechte und Privilegien verschafften. Weiter verschärft wurde die Situation durch religiöse Konflikte. Dort hatte es dieselbe rasche Ausbreitung des Luthertums unter den Adligen wie in Bayern und vergleichbaren Territorien gegeben. 3 Aufgrund der besonders schwierigen Bedingungen konnten die habsburgischen Regenten jedoch des Adels nicht in der Weise Herr werden, in der es den bayrischen Herzögen in den 1560er Jahren gelungen war. In Böhmen traf der Protestantismus auf eine reiche einheimische Tradition religiösen Dissenses und schließlich kam es auch zur Stärkung der Stände. 4 In Ungarn wurde die Lage durch die unmittelbare Nähe der Türken kompliziert, wodurch Habsburg mehr als sonst von Adel und Ständen abhängig war. 5 In vielen

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Territorien wurden die Konfessionsprobleme noch dadurch weiter verschärft, dass ab den 1570er Jahren viele Lutheraner (insbesondere Angehörige des Adels) zum Calvinismus übertraten. Dadurch entstanden Verbindungen zum Netzwerk der Calvinisten in Westeuropa und in Österreich bildeten sich ähnliche Theorien und Widerstandsstrategien heraus. Die Teilung von 1564 bescherte Kaiser Ferdinands zweitem Sohn, der ebenfalls Ferdinand hieß, Tirol und die Vorlande, während Karl Innerösterreich – die Steiermark, Kärnten und die Krain – erhielt. Sie regierten mehr oder weniger unabhängig voneinander, hatten aber kein Stimmrecht im Reichstag. Die Entwicklung der beiden Territorien zeigt, wie unterschiedlich Karl und Ferdinand ihre Regierungstätigkeit auffassten, was dann zu den Spannungen beitrug, die später im Haus Habsburg auftraten. Mit Tirol fand Erzherzog Ferdinand ein Land vor, in dem die katholische Kirche sich recht erfolgreich gegen die Ausbreitung des Luthertums gewehrt hatte. Auch er verfolgte von Anfang an eine streng katholisch ausgerichtete Politik. Das nahe Bayern diente als Beispiel und bot auch Schutz. Auch die Zusammenarbeit mit den Bischöfen von Brixen und Trient, deren Territorien in der Grafschaft Tirol lagen, förderten eine katholische Gegenoffensive. In den Vorlanden, wo ab 1579 sein Sohn, Kardinal Andreas von Österreich, regierte, war die Sachlage komplizierter, weil die Territorien verstreut, häufig sehr klein und protestantischen Ländern benachbart waren. Doch auch dort entwickelte sich allmählich eine erfolgreiche gegenreformatorische Politik. 6 Im Gegensatz dazu hatte Karl II. mit Innerösterreich ein Ensemble von Territorien übernommen, in dem sich der Protestantismus ab den 1520er Jahren im Adel und der regierenden Elite fest etabliert hatte. Als dann gegenreformatorische Maßnahmen durchgeführt wurden, konnten die Protestanten dagegenhalten und auf die Religionsfreiheit verweisen, die sie seit Längerem genossen. Im Rückblick erschien ihnen die Regierungszeit Ferdinands I. als ein goldenes Zeitalter. Die Türkenbedrohung machte die Regenten vom Adel abhängig und verpflichtete sie insofern zu einem gewissen Maß an religiöser Toleranz. Anfänglich konzentrierte sich Karl darauf, seine Regierungsmacht zu stärken. Während ihn die Heirat mit der bayrischen Prinzessin Maria 1571 mit dem mächtigsten katholischen Territorium im Reich verband, unterhielten die Stände enge Beziehungen zu den Herzögen von Württemberg. 1572, als Karl dringend Geld für die Landesverteidigung benötigte, verschob sich das Machtgleichgewicht zugunsten der Stände. In den »Grazer Pazifikationen« sicherte er den Protestanten die Religionsfreiheit zu, »bis zu einem allgemeinen christlichen und friedlichen Vergleich.«. 7 Im »Brucker Libell« von 1578 wurden diese Privilegien bestätigt und erweitert, was dann aber die Umkehr zu einer Politik der Gegenreformation auslöste. Sie geriet jedoch unter den Regentschaften nach Karls Tod 1590 wieder ins Stocken. 8

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Die von der Witwe des Erzherzogs gewünschte Herrschaftsübernahme durch die Wittelsbacher konnten die Stände verhindern. So folgten der Reihe nach die Habsburger Rudolf II. (1590–1592), Erzherzog Ernst (1592–1593) und Erzherzog Maximilian (1593–1595). Sie alle waren zu sehr in juristische Auseinandersetzungen mit den Ständen verstrickt und angesichts der sich verschlechternden Lage an der Türkenfront auf Kompromisse bedacht, um die Gegenreformation voranzutreiben. Das änderte sich grundlegend 1595, als Ferdinand II. an die Macht kam. Er war zwar darauf bedacht, die Adelsrechte nicht zu verletzen, ging aber dafür kompromisslos gegen den dritten Stand vor und betrieb von 1598 bis 1601 die gewaltsame Rekatholisierung von Graz und anderen Städten wie auch von vielen ländlichen Gebieten. Tausende mussten emigrieren und der Protestantismus wurde in den Untergrund abgedrängt. Die Stände protestierten leidenschaftlich, auch, weil viele Adlige ihre Untertanen verloren, aber es nützte nichts. Konvertiten wurden mit Arbeitsmöglichkeiten und Geld belohnt. Protestantische Adlige wurden diskriminiert und durften keine Prediger beschäftigen, ja, nicht einmal protestantischen Gottesdiensten außerhalb des Territoriums beiwohnen. 1628 wurden auch sie vor die Wahl gestellt, entweder zu emigrieren oder zum Katholizismus überzutreten. Dieser frühe Erfolg Ferdinands II. hatte Auswirkungen auf seine Einstellung zum Religionsproblem im Reich und auf seine Politik als Kaiser nach 1619. Es ist möglicherweise nicht übertrieben, zu behaupten, dass der Dreißigjährige Krieg eigentlich in der Grazer Burg begann. 9 Ferdinands Haltung und Beispiel trugen zweifellos erheblich zu der Krise bei, die in der dritten Gruppe österreichischer Territorien aufflammte. 1564 hatte Kaiser Ferdinand seinem ältesten Sohn und Erben, Maximilian, Ober- und Niederösterreich, Böhmen und Ungarn vermacht. Böhmen und Ungarn waren Wahlmonarchien, in denen ab 1526 Mitglieder des Hauses Habsburg den Thron bestiegen hatten. In Böhmen hatte Ferdinand I. nach der Schlacht von Mühlberg 1547 die Primogenitur durchsetzen können, auch wenn das Königreich eine Wahlmonarchie war und die Machtbalance zwischen Krone und Ständen umstritten blieb. In Böhmen und Ungarn hatte der Adel durch sein Wahlrecht eine noch stärkere Position als die Stände in Ober- und Niederösterreich. In allen Territorien Maximilians hatte der Protestantismus in der ersten Jahrhunderthälfte feste Wurzeln schlagen können und war durch den Adel in den Rechten der Stände verankert worden. 1565 hatte Maximilian II. die Zustimmung zu einer Forderung nach Religionsfreiheit für Lutheraner verweigert, doch drei Jahre später machte er Adel und Ritterschaft als Gegenleistung für eine hohe Steuerbewilligung Zugeständnisse, von denen die Städte indes ausgeschlossen blieben. Zwar wurde die Konzession nur in Niederösterreich (1571) eingeräumt, doch verhielt sich der oberösterreichische Adel, als gelte sie auch für ihn. Zudem

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gingen die begünstigten Stände von der bedingungslosen Gültigkeit der Konzession aus. Gegen Ende der Regentschaft von Maximilian war etwa die Hälfte der Gemeinden, fast alle Adligen in Oberösterreich und etwa 90 Prozent in Niederösterreich protestantisch. 10 Auch in Böhmen hatte das Luthertum schon früh im Adel Fuß gefasst. Ab den späten 1540er Jahren arbeiteten die Protestanten zunehmend enger mit den Utraquisten und den Böhmischen Brüdern zusammen und bildeten eine politische Macht. 11 1567 verlangten die böhmischen Stände die Religionsfreiheit und 1575 legten die Protestanten Kaiser Maximilian die Confessio Bohemica vor, die nach dem Beispiel des Augsburger Bekenntnisses formuliert worden war. Obwohl Maximilian das Dokument nur mündlich befürwortete, sahen die Stände ab diesem Zeitpunkt in ihm die Quelle und Begründung ihrer religiösen Rechte, was zweifellos zu weiterem Anwachsen des Protestantismus in Böhmen führte, dem bald der gesamte Adel und die Königsstädte angehörten. Während das Luthertum sich als konfessionelle Haupttendenz in Böhmen durchsetzte, entwickelte sich der Calvinismus in Mähren, vor allem unter den Brüdergemeinschaften, gegen die Maximilian sogar noch nach 1575 vorging. Im böhmischen Territorium Schlesien waren um 1560 fast der gesamte Adel und die meisten Städte lutherisch geworden. Insgesamt waren um 1600 nicht mehr als ein bis drei Prozent der Bevölkerung in den böhmischen Territorien calvinistisch, doch verfügte diese Minderheit über beträchtlichen Einfluss. Alles in allem hatten die Protestanten zu dieser Zeit ihre religiösen ebenso wie ihre politischen Rechte gesichert, wobei die Böhmen im Mittelpunkt der Monarchie standen und im Allgemeinen lautstärker und militanter als die Bewohner Mährens oder Schlesiens waren. Und während die Katholiken zumeist die höheren Staatsämter besetzt hielten, schufen sich die Protestanten ihre eigenen Institutionen, um das zu bewahren, was gegen Ende des Jahrhunderts ein Staat im Staat geworden war. In Ungarn fing die Ausbreitung des Luthertums schon in den 1520er Jahren an und war gegen Ende des Jahrhunderts die vorherrschende Konfession beim deutschen Adel im ungarischen Westen, in den Bergregionen von Oberungarn und in den deutschen Kolonien Zips und Siebenbürgen. 12 Dagegen vertraten der ungarische Adel sowie die etwa 800 mittelungarischen Städte und Marktflecken verschiedene Ausprägungen des Calvinismus. Während um 1600 85 bis 90 Prozent der Gesamtbevölkerung protestantisch waren, hing mehr als die Hälfte davon dem reformierten Glauben an. Wie auch anderswo spiegelte sich das erhebliche konfessionelle Ungleichgewicht zwischen Katholiken und Protestanten in der Machtbalance zwischen Ständen und Krone. Weitere Komplikationen entstanden durch die 1541 vollzogene Dreiteilung des Landes, das nun von Habsburgern, Türken und Siebenbürger Fürsten beherrscht wurde. Das relativ kleine Habsburger Gebiet im Westen und Norden (etwa 30 Prozent des gesamten Landes) war wahr-

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scheinlich militärisch dauerhafter als jedes andere habsburgische Territorium bedroht, während Opponenten der Krone sich auf Unterstützung durch die Hohe Pforte oder Siebenbürgen verlassen konnten. Zugleich unterhielten die protestantischen Stände Ungarns, obwohl das Gebiet außerhalb des Reichs lag, Kontakte mit protestantischen Ständen in den anderen Habsburger Landen, im Reich und in Westeuropa allgemein. Hartes Durchgreifen konnten die Habsburger Regenten sich nicht leisten, am wenigsten in Sachen Religion. Nach Maximilians Tod 1576 gingen all diese im Wesentlichen protestantischen Territorien auf Rudolf II. über. Damit waren die Keime für den Konflikt im Haus Habsburg gesät, denn im November 1582 forderten Rudolfs vier jüngere Brüder substanziellere Vergütungen und mehr Einfluss in der Regierung. Für drei von ihnen konnten passende Positionen gefunden werden. Ernst wurde Statthalter in Österreich und übte von 1593 bis zu seinem Tod zwei Jahre später in den Niederlanden eine vergleichbare Funktion aus. Maximilian, der vierte Sohn, wurde 1590 Hochmeister und nach 1602 Regent in Tirol. Albrecht (VII.), der jüngste Sohn, wurde 1593 Vizekönig von Portugal und 1596 Nachfolger von Ernst in den Niederlanden; er heiratete die Infantin Clara Eugenia und wurde so Landesfürst der Spanischen Niederlande in Brüssel. Kaiser Maximilians dritter Sohn, Matthias, war problematischer. 13 Als einziger der Brüder weigerte er sich, eine Erbverzichtserklärung zu unterzeichnen. Jahrelang war seine Laufbahn von Versagen begleitet. Seine Arbeit als Statthalter der Niederlande, die er von 1578 bis 1581 ausübte, endete unrühmlich mit Schulden und dem Verlust des Vertrauens, das ihm der König von Spanien entgegengebracht hatte. Das nächste Jahrzehnt brachte er gezwungenermaßen in Linz zu, wo er nicht wirklich etwas zu tun und auch kein Einkommen hatte. Versuche, ihn zum Bischof von Münster, Lüttich oder Speyer wählen zu lassen, scheiterten, ebenso bewarb er sich vergeblich um das Königsamt in Polen (wobei sein jüngerer Bruder Maximilian noch weniger Glück hatte und zwei Jahre Gefängnis absitzen musste). Den eher flüchtigen Wunsch, Gouverneur von Schlesien oder mit dem oberschlesischen Herzogtum Oppeln-Ratibor belehnt zu werden, vereitelten die schlesischen Stände, die ihn ablehnten. 14 Erst 1593 konnte er den Statthalterposten von Ernst übernehmen, wurde aber sofort wieder abgezogen und übernahm das Kommando des Heeres im langen Türkenkrieg, der 1593 ausbrach. Nach dem Tod von Erzherzog Ernst 1595 nahm Matthias dynastisch nach Rudolf die zweite Position ein. Da der Kaiser nicht geheiratet hatte (er war mit der Infantin Isabella Clara Eugenia 18 Jahre lang verlobt gewesen) und es also keinen legitimen männlichen Erben gab, sah Matthias sich zunehmend als Rudolfs Nachfolger. Matthias’ wachsender politischer Ehrgeiz wurde noch durch das Gefühl bestärkt, in den Territorien des Kaisers gebe es ein dringendes Bedürfnis nach Führerschaft. Ursprünglich hatte Rudolf eine ähnliche Versöhnungspolitik wie sein

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Vater verfolgt. Unter Maximilian hatte der Protestantismus sich ausbreiten können und unter Rudolf florierte er weiter. Dass Rudolf mitsamt seinem Regierungsapparat 1583 nach Prag zog, mag wohl auch an der Auseinandersetzung mit seinen Brüdern im November 1582 gelegen haben, doch war sein Hof in Prag konfessionell ebenso gemischt wie zuvor in Wien. Sogar der junge Christian von Anhalt, später der militanteste deutsche Gegner der Habsburger, war in Prag gern gesehen, so wie er es auch ab 1577 in Wien gewesen war. 15 Rudolfs geistige und künstlerische Interessen, die ihn zunehmend beschäftigten, waren christlich, aber nicht konfessionell (katholisch) inspiriert, wie die päpstlichen Botschafter wiederholt beklagten. 16 Doch in einer Welt, in der sich die konfessionellen Einstellungen zunehmend verhärteten, war die von Rudolf gepflegte humanistische Meinungsvielfalt mit dem neuen Regierungsstil immer weniger zu vereinbaren. Ab etwa 1578 zeigten Ferdinand von Tirol und Karl von Innerösterreich beispielhaft, wie eine kompromisslose Religionspolitik auszusehen hat. Dagegen wirkte Rudolf unglaublich nachlässig und richtungslos. In den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts lässt sich eine innerlich zusammenhängende Politik bei Rudolf nicht erkennen. In seinen eigenen Territorien schien er sich damit zu begnügen, den von seinem Vater übernommenen Kurs beizubehalten, ließ sich aber auch bei Angelegenheiten, die Ober- und Niederösterreich betrafen, gern von engen Beratern oder sogar von seinen Brüdern beeinflussen. Im Reich verfolgte er zunächst eine konfessionelle Balancepolitik, doch schien der Reichshofrat zunehmend einen entschieden prokatholischen Kurs zu steuern, was vielen Protestanten die Überzeugung nahelegte, die Krone habe ihre Überparteilichkeit verloren und sei auf dem Weg zur Willkürherrschaft. Im letzten Jahrzehnt sah es so aus, als verliere Rudolf einfach das Interesse an den Regierungsgeschäften. Er nahm nicht mehr an den österreichischen und ungarischen Landtagen teil, kam noch zum Reichstag von 1594 und eröffnete 1598 den böhmischen Landtag. Dann, um 1600, wechselte er die Spitzen seiner Verwaltung in Böhmen und in der Reichsregierung aus. In Böhmen trat nun eine resolut katholische Gruppe, die sogenannte spanische Faktion, in den Vordergrund, während in der Reichsregierung zuvor geschätzte Ratgeber wie Wolfgang Rumpf, Paul Sixt Trautson und Jan Myllner umstandslos zugunsten schwacher und wirkungsarmer Personen entlassen wurden. Auch hier drängten Katholiken nach vorn. 17 Dabei handelte es sich wohl kaum um eine Konversion seitens des Kaisers. Vielmehr war es eine Reaktion auf den Vorstoß der Gegenreformation und vor allem auf die Aktivitäten seiner Brüder. Obwohl Rudolf sich um viele seiner Verantwortlichkeiten herumzudrücken schien und zudem unter stärker werdenden depressiven Anfällen litt, blieb er sich, beinah hysterisch, seines Ranges und Standes bewusst und wehrte argwöhnisch jeden Versuch, ihn seiner Vorrechte zu berauben, ab.

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Das verschärfte natürlich die Spannungen im Haus Habsburg. Nachdem Rudolf erst Ernst und dann Matthias zu Statthaltern in Österreich ernannt hatte, sah er, wie sie genau jene Art von gegenreformatorischer Politik betrieben, wie sie bereits erfolgreich in Innerösterreich durchgesetzt worden war. Der Kaiser ergriff die Initiative, indem er 1593 den Türken den Krieg erklärte, und entwickelte die visionäre Strategie eines Bündnisses mit Persien, um die Türken endgültig zu vernichten. 18 Aber das Kommando über seine Streitkräfte erhielt Matthias. Als die Bauern 1595 gegen die Gegenreformation und die türkenkriegsbedingte Steuerlast rebellierten, war es wiederum Matthias, der für die Wiederherstellung der Ordnung sorgte und Bischof Khlesls Maßnahmen zur Rekatholisierung in die Tat umsetzte. Keine dieser Initiativen hätte sich gegen den Willen des Kaisers durchsetzen lassen und es gibt dazu Parallelen in Böhmen und den Territorien, die direkter unter Rudolfs Kontrolle standen. Doch spürten die Protagonisten der Gegenreformation zunehmend, dass Rudolf eine zusammenhängende Strategie samt ihrer energischen und systematischen Umsetzung fehlte. Andererseits sahen die Stände schon früh genug die Warnzeichen der Gegenreformation, um sich widerständig zu formieren und Pläne für die Zusammenarbeit der Protestanten der unterschiedlichen Territorien zu schmieden. Bei all diesen Ereignissen während der 1590er Jahre erwies sich Matthias als ehrgeiziger und offensichtlich erfolgreicher Statthalter, was die Aufmerksamkeit des Hauses Habsburg auf die Nachfolgefrage und zunehmend auf Rudolfs offensichtliche Unfähigkeit als Regenten lenkte. Die Lage spitzte sich zu, als Matthias Bischof Khlesl 1599 zu seinem Kanzler in Ober- und Niederösterreich ernannte. Khlesl nämlich, die treibende Kraft für die »Erneuerung der Religion« in Österreich, gab sich davon überzeugt, dass Matthias für Ordnung und Zweckdienlichkeit sorgen konnte, wo es bei Rudolf nur zu Konfusion und Unentschlossenheit langte. Großenteils auf Khlesls Betreiben trafen sich die Erzherzöge im November 1600 in Schottwien und fassten den Entschluss, an Rudolf die förmliche Forderung zu richten, er möge einen Nachfolger ernennen. 19 Der Kaiser reagierte mit großer Wut. 1601 hatte es in Rom Diskussionen zwischen dem Bischof von Olmütz und dem spanischen Botschafter gegeben, die dazu führten, dass Papst Clemens VIII. Rudolf einen persönlichen Brief schickte, in dem er ihn drängte, das Nachfolgeproblem zu regeln. Der Druck war also entsprechend groß. Rudolf verweigerte den spanischen und päpstlichen Botschaftern jede weitere Audienz. Im Januar 1603 schrieb der spanische Botschafter in Prag an Philipp III., dass Rudolf abgesetzt werden müsse. Das aber war schwierig, weil Rudolfs geistige Erkrankung ihm immer noch erlaubte, sich eines Problems anzunehmen, wenn er es wirklich wollte. 20 Der Kaiser reagierte energisch, allzu energisch. Eine Reihe von Siegen gegen

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die Türken 1602–1603 flößte ihm genügend Selbstvertrauen ein, um nun in den Königsstädten von Schlesien und in Oberungarn harte gegenreformatorische Maßnahmen durchzusetzen. 21 Die ungarischen Stände protestierten lautstark. Zudem waren sie empört über Rudolfs einseitige Erklärung auf dem Landtag zu Pressburg im April 1604, dass Beschwerden in Sachen Religion nicht mehr mit den Ständen erörtert würden. Ähnliche Maßnahmen und sogar militärische Besatzung drohte er in Siebenbürgen an, das ihm Sigmund Báthory 1598 in der Hoffnung überlassen hatte, dem Zangengriff marodierender Türken einerseits und unbezahlten habsburgischen Söldnern andererseits entkommen zu können. Im November 1604 hatten sich in Ungarn genügend Beschwerden angehäuft, dass es mit István Bocskai, einem Adligen aus Siebenbürgen, zum Aufstand gegen die Herrschaft Habsburgs kommen konnte. Unterstützt wurde Bocskai von haidukischen Frontkämpfern; auch erhielt er Rückendeckung seitens der Türken. 22 Rudolfs stümperhaftes Vorgehen in Ungarn heizte die Besorgnis über seine Führungsfähigkeiten weiter an. 1605 trafen sich die Erzherzöge erneut, diesmal in Linz. Matthias wurde nach Prag geschickt, holte sich dort aber eine brüske Abfuhr. 23 Doch war die Lage in Ungarn mittlerweile so verfahren, dass er sich entschloss, mit den Türken und Bocskai zu verhandeln, ohne förmlich dazu autorisiert zu sein. Daraufhin, am 21. März, ernannte Rudolf den Bruder zu seinem Statthalter in Ungarn, doch blieb die Frage der Nachfolge ebenso wie die nach Rudolfs Regierungsfähigkeit unbeantwortet. 1606 trafen sich die Erzherzöge in Wien. Beraten von Khlesl, entschieden sie, dass der Türkenkrieg ein Ende haben müsse und dass, in Anbetracht von Rudolfs Führungsunfähigkeit, Matthias als Oberhaupt des Hauses Habsburg eingesetzt werden sollte. Rudolf wurde gezwungen, seinem Bruder die nötige Befugnis zu verleihen, die Ungarnkrise zu lösen und den Türkenkrieg zu beenden. Im Juni 1606 schloss Matthias mit den Ungarn den Frieden von Wien. Er garantierte ihnen Religionsfreiheit, eine separate Finanzverwaltung und das Recht, einen königlichen Stellvertreter zu wählen. Bocskai wurde als Fürst von Siebenbürgen anerkannt und seine Lösung des Haidukenproblems – Gewährung von Land und Befreiung von feudalen Lasten als Gegenleistung für freiwilligen Militärdienst – übernommen. Nun konnte Bocskai entscheidend dazu beitragen, im November 1606 den Frieden von Zsitvatorok herbeizuführen, in dem Matthias sich mit den Türken auf einen zwanzigjährigen Frieden und die Streichung der jährlichen Tributzahlung an den Sultan einigte. Stattdessen sollte es eine einmalige Entschädigung in Höhe von 200.000 Gulden geben. 24 Nun hatte Matthias nicht nur die Erzherzöge, sondern auch Philipp III. von Spanien und den Papst hinter sich und war damit in einer stärkeren Position als je zuvor. Dennoch weigerte sich Rudolf, die von Matthias ausgehandelten Verträge zu ratifizieren. In Ungarn brachte er es fertig, sechs Monate lang keinen Landtag

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einzuberufen, und der Tod von István Bocskai im Dezember 1606 warf wieder die Frage nach der Erbfolge in Siebenbürgen auf. Im Oktober 1607 waren die Haiduken von Gerüchten, Rudolf wolle die Feindseligkeiten gegen die Türken neu eröffnen, so alarmiert, dass sie wieder gegen den »gottlosen ausländischen Papisten« rebellierten und die Einsetzung von Gábor, dem letzten Vertreter des Hauses Báthory, forderten. 25 Rudolf machte seine Haltung gegenüber Matthias klar, als er im November 1607 Erzherzog Ferdinand von Innenösterreich zu seinem Bevollmächtigten in Regensburg ernannte: eine unkluge, weil aus Gehässigkeit resultierende Entscheidung, denn die Ernennung eines berüchtigten Vertreters der Gegenreformation verärgerte die deutschen Stände und machte eine Lösung des DonauwörthProblems praktisch unmöglich. Da erneute Instabilität die Habsburger Herrschaft in Ungarn gefährdete und auf die Erblande überzugreifen drohte, verbündete sich Matthias kurzerhand mit den protestantischen Ständen Ungarns. Auf dem Landtag zu Pressburg im Februar 1608 schloss er ein förmliches Abkommen mit den Ungarn sowie den Führern der Stände von Ober- und Niederösterreich, um die Friedensverträge von 1606 gegen jedwede Opposition, vor allem also gegen den Kaiser selbst, zu verteidigen. 1604 war es Bocskai nicht gelungen, die ungarischen und böhmischen Stände zu einem Bund zusammenzuschließen; Rudolfs blinder Hass auf Matthias führte nun zu einem Bündnis zwischen den Ungarn und den Österreichern. 26 Im April standen 15.000 Mann bereit zum Marsch auf Prag; zudem hatte Matthias die mündliche Unterstützung von István Illéshazy und Georg Erasmus Tschernembl, den Anführern der ungarischen und österreichischen Stände. Als Matthias sich auf den Grenzübertritt vorbereitete, kamen Gesandte aus Spanien und Rom und baten ihn dringend, Rudolf wenigstens Böhmen zu lassen. Der König von Spanien und der Papst fürchteten, dass mit der Vertreibung Rudolfs aus Prag den Habsburgern erst die böhmische Krone und dann die des Reichs verloren gehen könnte. Die mährischen Stände fassten den Entschluss, sich dem Bündnis der Ungarn und Österreicher anzuschließen. Wie diese machten sie es zur Bedingung für den Treueeid auf Erzherzog Matthias, dass er ihre Religionsfreiheit, die traditionelle Unabhängigkeit ihrer territorialen Regierungen und das »Indigenationsrecht«, das Vorrecht, die höheren Ämter mit Einheimischen zu besetzen, anerkenne. 27 Andere Gedanken hatten die Böhmen, Schlesier und Lausitzer: Sie könnten, meinten sie, bessere Bedingungen bei Rudolf erlangen, denn ein schwacher Monarch sei einem siegreichen Matthias im Bund mit den Ständen vorzuziehen. Tatsächlich standt Matthias, wenngleich auf dem Sprung, Rudolfs Macht zu übernehmen, unter ähnlichem Druck wie dieser. Im Juni 1608 blieb dem Kaiser keine Wahl, als den Vertrag von Zsitvatorok anzuerkennen, und im Vertrag von Lieben überließ er all seine Rechte auf Ungarn, Österreich und Mähren sowie das

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Versprechen der Erbfolge in Böhmen seinem Bruder Matthias. Beide Brüder versprachen die Religionsfreiheit, um sich die Treue »ihrer« Stände zu sichern, und Matthias wurde erst anerkannt, nachdem er allen Forderungen in aller Form zugestimmt hatte. Da die Böhmen und Schlesier wussten, dass die Regierung in Prag katholisch dominiert war, schlossen sie im Juni 1609 ein feierliches Bündnis und schworen, ihre religiöse Freiheit »bis zum letzten Blutstropfen« zu verteidigen. 28 Sie waren sich darin einig, dass kein Angriff auf den König, »die höchste, von Gott eingesetzte Autorität«, erfolgen solle, aber seine katholische Regierung sei eine andere Sache. Angesichts dieser Drohung stellte Rudolf am 9. Juli 1609 seine Majestätsbriefe aus, in denen er, auch den Schlesiern und Lausitzern, die Erfüllung aller Forderungen zusagte. Allerdings waren die Versuche des Kaisers, sich aus dieser Zwangslage zu befreien, erst hoffnungslos, dann chaotisch. Er bot calvinistischen Adligen aus dem Reich Regierungsposten an, was aber kaum Eindruck machte. 29 Mittlerweile fehlte ihm einfach die Glaubwürdigkeit. Dennoch machte er dem protestantischen Lager weitere Angebote, trat sogar mit dem Kurfürsten der Pfalz in Verhandlungen ein, die jedoch mit dem Tod des Kurfürsten im September 1610 abrupt endeten. In den Monaten vor Rudolfs Tod schwirrten noch Gerüchte umher, dass Christian von Anhalt zum Kronrat zugelassen werden sollte und dass der Kaiser bestrebt sei, die Witwe des Pfälzer Kurfürsten zu heiraten. 30 Zu etwa der gleichen Zeit fasste Rudolf den verzweifelten Plan, die von seinem Neffen Erzherzog Leopold im Kampf um Jülich-Kleve-Berg ausgehobenen Truppen gegen Matthias und die böhmischen Stände einzusetzen. Auf dem Weg durch Passau gab es Meutereien und Teile von Österreich und Böhmen wurden geplündert. 31 Als ein Kontingent unter dem Kommando von Leopold im Februar 1611 endlich in Prag einmarschierte und den Hradschin belagerte, setzten die Stände einfach eine andere Regierung ein. 32 Im April beriefen sie einen Landtag ein, der Rudolf die böhmische Königswürde entzog. Die Stände stellten dann an Matthias außergewöhnlich umfangreiche Forderungen, wählten ihn aber, als Gegenleistung für die Zusicherung ihrer Rechte und Privilegien, am 23. Mai 1611 zum König. Matthias wiederum, weiterhin unter dem Einfluss von Bischof Khlesl, überlegte insgeheim, wie er es anstellen könnte, die den Ständen in Ungarn, Österreich und Mähren gemachten Versprechen nicht einzuhalten. Wie Rudolf vor und Ferdinand nach ihm festigte er seine Position durch Erhebungen in den Adelsstand und die systematische Bevorzugung von Katholiken bei der Besetzung der Stellen an seinem Hof. 33 Die Planung für die weitere Zukunft fiel auch dadurch leichter, dass sein Hof für den ehrgeizigen Adligen plötzlich sehr viel attraktiver geworden war, weil Matthias Rudolf alles genommen hatte, mit Ausnahme der Kaiserkrone. Rudolf war verbittert und weigerte sich nach wie vor standhaft, die Erbfolge im Reich zu regeln. Er starb am 20. Januar 1612.

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Im Vormonat hatten sich die Erzherzöge bereits darauf geeinigt, dass Matthias der Nachfolger Rudolfs werden sollte. Auch die Kurfürsten waren ungeduldig geworden und hatten beschlossen, im Mai 1612 eine Wahl durchzuführen, wussten aber noch nicht, auf wen sie fallen sollte. Die geistlichen Kurfürsten misstrauten Matthias aufgrund seines Abkommens mit den Protestanten, doch war ihr Favorit, Albrecht von Brüssel, für die protestantischen Kurfürsten inakzeptabel. Schließlich blieb Matthias als einzig plausibler Kandidat übrig. Der einflussreiche sächsische Kanzler Kaspar von Schönberg gab sich keinen Illusionen hin. Matthias, so schrieb er am 14. Oktober, beleidige den Kaiser, respektiere das Reich nicht und werde schlechter regieren als Rudolf: »1. dass er den Kaiser offendiret, 2. das Reich despectiret, 3. wurde er ubler regiren als der Kaiser.« 34 Dennoch müsse das Reich einen Herrscher »mit Land und Leuten« haben, denn es benötige immer noch ein Bollwerk gegen die Türken. Die anderen Erzherzöge hatten nur wenig, oder, wie Maximilian, der Favorit der überwiegenden Mehrheit, gar kein Land; sie konnten die Kaiserkrone nicht tragen. So wurde Matthias am 13. Juli 1612 einstimmig gewählt. Ironischerweise jedoch kam es wegen der Differenzen zwischen den beiden Gruppen der Kurfürsten nicht dazu, dass sie Bedingungen für Matthias’ Regierungsverhalten im Reich festlegten, die so restriktiv wie die von den diversen habsburgischen Ständen ausgehandelten waren.

Anmerkungen 1 Beiderbeck, »Heinrich IV.«, Teil II, 17 (Anm. 43). 2 Ein ausgezeichneter Überblick über die Geschichte der Erblande findet sich in Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. I, 30–78. 3 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 86–133, und Bd. V, 257–277; Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. II, 30–63. 4 Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. II, 18–29. 5 Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. II, 70–80. 6 Kardinal Andreas war der Sohn von Erzherzog Ferdinand und Philippine Welser, mit der Ferdinand durch eine heimlich morganatische Ehe verbunden war. Andreas war Markgraf von Burgau (zwischen Augsburg und Ulm gelegen) und wurde 1576 als Belohnung für die Haltung seines Vaters auf dem Reichstag zu Regensburg in den Kardinalsstand erhoben. 1588 wurde er Bischof von Konstanz und zwei Jahre später auch von Brixen (wo er ab 1580 Koadjutor war). Als »Gubernator« der Vorlande war er auch Gouverneur des Elsass. BWDG, Bd. I, 400; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 269–270. 7 Pörtner, Counter-Reformation, 28; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 110–111. 8 Pörnter, Counter-Reformation, 110–111. 9 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 114. 10 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 126–127. 11 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 134–152; Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. II, 18– 29. 12 Bahlcke, »Calvinism«, 77–78; Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. II, 70–86.

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25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

Rill, Matthias, 9–101; Press, »Matthias«, 112–117. Bahlcke, Regionalismus, 221–222. Press, »Christian«. Koller, »Kaiserhof«. Evans, Rudolf II., 71–72; Evans, Making, 58–59; Rill, Matthias, 96–97, 122–123. Evans, Rudolf II., 74–78. Press, »Matthias«, 118. Rill, Matthias, 123. Bahlcke, Regionalismus, 310–312. Evans, Making, 97–98; Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. I, 142–147. Rill, Matthias, 124. Lanzinner, »Zeitalter«, 184. Die Haiduken waren Freischärler, die einen unaufhörlichen Guerillakrieg gegen die Osmanen führten, aber auch ebenso bereit waren, gegen die Österreicher anzutreten, wenn sich die Gelegenheit bot. Báthory überwarf sich bald mit den Haiduken; er wurde 1613 ermordet und durch Gábor Bethlen, einen von den Türken gestützten Adligen, ersetzt. Pamlényi, Hungary, 151–152. Bahlcke, Regionalismus, 311–312, 323–324. Bahlcke, Regionalismus,324–342. Bahlcke, Regionalismus, 356. Schmidt, Grafenverein, 376. Rill, Matthias, 191, 193. Vgl. S. 539. Bahlcke, Regionalismus, 382–386. MacHardy, War, 66–68, 183–207. Gotthard, Säulen, Bd. II, 548–549.

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s kann nicht überraschen, dass die Probleme im Haus Habsburg kaum Zeit für eine durchdachte Politik im Reich ließen. Der epische Kampf zwischen Rudolf und Matthias beschleunigte eine länger währende Staatskrise, die einige Male das Überleben der Habsburger als eines mitteleuropäischen Herrscherhauses bedrohte. Die Führer der Landstände bildeten sich häufig ein, der Mittelpunkt der politischen Welt zu sein und hegten Visionen von europaweiten Bündnissen oder der Errichtung einer Republik im Osten nach holländischem Vorbild. Tatsächlich aber war es den diversen Bündnissen fast unmöglich, konzertiert zu handeln. Nur Rudolfs Unfähigkeit und Matthias’ krankhafter Ehrgeiz erlaubten ihnen den Anschein ruhmreicher Augenblicke. Dennoch war die Erinnerung an ihre heldenhafte Standfestigkeit für sie und ihre Kollegen im Reich und anderswo eine wichtige Quelle der Inspiration. 1618 fühlten sich die Böhmen dadurch zu einem noch waghalsigeren Akt des Widerstands ermutigt, der allerdings direkt in die Katastrophe führte. Hätte es eine Alternative gegeben? Was konnte Kaiser Matthias bieten, nachdem er das Ziel seines Ehrgeizes endlich, nach zwanzig Jahren, erreicht hatte? Ihm fehlte die geistige Tiefe seines Vorgängers, er war bekanntermaßen eitel und faul. Er genoss das Leben und Treiben an seinem Hof und widmete den kleinteiligen Regierungsgeschäften nur hin und wieder Aufmerksamkeit. Im Türkenkrieg und im Kampf gegen Rudolf hatte er Führungskraft und Entschlossenheit bewiesen, Eigenschaften, die er als Kaiser nicht unbedingt zeigte. Insgesamt war er zufrieden, wenn Bischof (ab 1615 Kardinal) Khlesl die Initiative übernahm, aber auch das war nicht unproblematisch. Viele wichtige Persönlichkeiten im Reich misstrauten ihm, so etwa der Erzbischof von Mainz und Reichserzkanzler Johann Schweikhard von Kronberg, der Reichsvizekanzler Johann Ludwig von Ulm und der Präsident des Reichshofrats, Graf Johann Georg von Hohenzollern-Hechingen, der Khlesl verachtete, weil er ihn für einen plebejischen Emporkömmling hielt. 1 Vielleicht boten Khlesls Pläne die beste Chance für einen dauerhaften Frieden im Reich, aber seine gegenreformatorische Politik in Ober- und Niederösterreich hatte bewirkt, dass nach 1612 seine Motive hinterfragt wurden. Doch allein schon die Tatsache, dass er zu Verhandlungen mit den Protestanten bereit war, brachte die Erzherzöge Maximilian und Ferdinand gegen ihn auf, was 1618 zu seiner Absetzung führte. Zudem standen Matthias und sein Kanzler vor enormen Problemen, die Rudolf

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ihnen hinterlassen hatte. Matthias war der einzig plausible Kandidat für die Kaiserkrone gewesen, weil er allein über genügend Landbesitz an der Grenze zu den Türken verfügte, doch hatte er auch Schulden in Höhe von fünfeinhalb Millionen Gulden geerbt. 2 Abgesehen davon war Matthias von den protestantischen Ständen seiner Erblande abhängig und ihnen an Macht unterlegen. Für viele Protestanten im Reich war der neue Kaiser akzeptabel, weil seine Macht durch eine augenscheinlich überwältigende Schwäche ausgeglichen wurde. Matthias und Khlesl standen vor der nahezu unmöglich zu bewältigenden Aufgabe, eine Lösung für die Probleme im Reich zu vermitteln und zugleich die Rechte des Kaisers als Regent in seinen Erblanden zu sichern. Die Tatsache, dass der Adel in seinen Erblanden just die Rechte beanspruchte, die im Augsburger Religionsfrieden nur den Fürsten gewährt worden waren, machte einen Zusammenstoß fast unvermeidlich. Anfänglich zog Matthias viele Sympathien auf sich, weil er sich als Vermittler darstellte. Sein Wahlspruch war concordia lumine maior – Eintracht ist stärker als Licht. 3 Noch bevor die Wahl abgeschlossen war, schmiedete Khlesl Pläne für eine »Kompositionspolitik«, das heißt für die Beilegung aller umstrittenen Probleme durch bilaterale Abkommen, zu denen man mittels Diskussionen und Kompromissen statt Mehrheitsentscheidungen gelangte. Die Idee war nicht neu, sondern bereits 1610 am Hof von Herzog Johann Friedrich von Württemberg intensiv erörtert worden. Auch die Mitglieder der Protestantischen Union hatten so etwas bei ihren anfänglichen Beratungen in Betracht gezogen und selbst am Kaiserhof waren derlei Erwägungen angestellt worden. 4 Dem Protestanten und ehemaligen Reichspfennigmeister Zacharias Geizkofler war in jenen Diskussionen eine Schlüsselrolle zugefallen und auch jetzt spielte er sie als Khlesls unermüdlicher Briefpartner und Berater. 5 Neu an Khlesls Strategie war, dass er diese Idee zum Stützpfeiler der kaiserlichen Reichspolitik machte, mit der Aussicht auf die Bildung eines neuen kaisertreuen Bundes, der die Protestantische Union und die Katholische Liga ersetzen könnte.Wer den Frieden bewahren wollte, musste Khlesls Vorschläge attraktiv finden, wer aber Habsburger Ambitionen im Reich fürchtete, musste sie ablehnen. Problematisch war die Sache also von Anfang an. Dem im August 1613 nach Regensburg einberufenen Reichstag wurde eine Reihe von Vorschlägen zur Behebung der Pattsituation im Reichskammergericht präsentiert. 6 Eine Reform des Gerichts wurde ins Auge gefasst, ebenso eine neue Kommission zur Bearbeitung der noch anhängigen Fälle, insbesondere derer, die mit dem Vierklösterstreit zusammenhingen. Khlesl und Geizkofler waren gleichermaßen davon überzeugt, dass es erst nach Beilegung dieser besonderen Konflikte weitergehen könne. Dennoch waren die Aussichten, auf dem Reichstag irgendwelche Abkommen erzielen zu können, eher gering: Viele führende Fürsten waren nicht persönlich erschienen und die Anweisungen für die bayrischen wie auch für die Pfälzer Vertreter gewährten ihnen keinen Handlungsspielraum.

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Die Verhandlungen wurden noch dadurch erschwert, dass es neue Forderungen nach Erhebung einer Türkensteuer gab. Khlesl schwebte ein Heer von 20.000 Mann vor, das gemeinsam von den Ständen der österreichischen Lande und den deutschen Fürsten finanziert werden sollte. Die Summe belief sich auf 260 Römermonate, viel mehr, als jemals zuvor verlangt worden war. 7 Begründet wurde die Forderung mit einer neuen Krise in Siebenbürgen, wo die Türken Bethlen Gábors Versuch, Gabriel Báthory als Herrscher abzulösen, unterstützten. Der Kaiser argumentierte, dass Westungarn nicht gehalten werden könnte, wenn die Türken die Kontrolle über Siebenbürgen errängen, und dass der Verlust der ungarischen Gebiete nicht nur die Habsburger Kron- und Erblande, sondern auch das Reich insgesamt bedrohen würde. Wie die österreichischen Stände weigerten sich auch die deutschen, für diesen Zweck Geld zur Verfügung zu stellen, da sie nicht glaubten, dass die Türken tatsächlich Österreich oder das Reich angreifen wollten. Folglich musste der Kaiser mit der Hohen Pforte verhandeln und kam 1615 mit dem Sultan überein, Bethlen Gábor als Fürsten von Siebenbürgen anzuerkennen. Er sollte weder des Kaisers noch des Sultans Untertan sein. Im darauffolgenden Jahr erneuerten sie den Friedensvertrag von Zsitvatorok. In Regensburg stieß das Hilfsersuchen des Kaisers nur auf tiefes Misstrauen. Einige äußerten ganz offen ihre Skepsis, andere gaben Gerüchte wieder, denen zufolge der Kaiser das Heer gegen die Protestanten im Reich einsetzen wolle. Den Fürsten der Union schlossen sich andere (nicht aber Sachsen) an, um eine sogenannte korrespondierende Gruppe zu bilden, die, wie schon 1608, eine Liste mit Forderungen als Vorbedingungen für jede weitere Diskussion irgendeines Punktes vorlegte. Im Oktober 1613 war der Reichstag erneut an einem toten Punkt angekommen. Die katholische Mehrheit stimmte einer stark reduzierten Türkensteuer von 30 Römermonaten zu. Der Reichstag wurde bis zum 1. Mai 1614 vertagt. Die »korrespondierenden« Protestanten verweigerten erneut die Anerkennung eines Mehrheitsvotums. Die Kluft zwischen den Konfessionen war so tief wie eh und je und der Reichstag sollte erst 1640 wieder zusammentreten. Aber Khlesl und Geizkofler blieben beharrlich und lancierten in den folgenden Jahren weitere Initiativen. Zunächst wurde ein besonderer »Kompositionstag« (eine Konferenz zur Kompromissfindung) vorgeschlagen, dann die Delegierung der Angelegenheit an die Kurfürsten. Gegen jeden Vorschlag wurden Einwände von beiden konfessionellen Seiten erhoben, wobei die Protestanten nicht das Risiko eingehen wollten, Forderungen der Katholiken zustimmen zu müssen, während die Katholiken überhaupt nicht kompromissbereit waren. Doch Khlesl und Geizkofler entwickelten unbeirrt weitere Ideen. 1615 schrieb Geizkofler, dass der erste Schritt ein Waffenstillstandsabkommen auf 25 oder, besser noch, 50 Jahre sein müsse. 8 Der Vertrag müsse in verständlichen, klaren, sachlichen und offensicht-

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lichen Worten abgefasst sein, damit kein Missverständnis möglich sei. Es müsse ein unparteiisches Schiedsgericht gebildet werden. Alle deutschen Stände sollten dem Vertrag zustimmen und jeder neue Herrscher oder jede neue Regierung in einem Territorium sollte darauf schwören müssen. Die anderen europäischen Staaten müssten in einen Nichtangriffspakt eingebunden werden. Vor allem aber müsse das Justizsystem im Reich so verbessert werden, dass betroffene Parteien mittels eines funktionierenden Exekutionssystems schnell zu ihrem Recht kämen. Geizkoflers Motive sind klar. Er blieb auf dem Kurs, den er in den späten 1580er Jahren eingeschlagen hatte, und stand im Einklang mit dem Denken von früheren Beratern des Monarchen wie etwa Lazarus von Schwendi. Dagegen sind Khlesls Motive, denen damals viele misstrauten, Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen von Gelehrten geworden. Hatte er, der einstmals die Gegenreformation in Ober- und Niederösterreich durchpeitschte, als Kanzler seine Kompromisswilligkeit entdeckt? Oder handelte es sich nur um prinzipienloseste Verstellungskunst? Sollte es Letzteres gewesen sein, war die Täuschung allerdings bemerkenswert gekonnt und kontinuierlich. Khlesls privater Briefwechsel mit Geizkofler deutet jedoch eher auf ein Zusammentreffen gleich gesinnter Geister. Er sei ein guter Katholik, schrieb Khlesl am 7. Juni 1614, doch da er Gottes Urteil nicht verstehe, wünsche er wenigstens, dass man wie immer schon politisch friedlich und ruhig miteinander lebe: »catholisch lebe und stirbe ich, «, schrieb er am 22. Mai 1615, »die religion weißet mich aber friedt, aingigkeit und guten verstandt zwischen Christen zu erhalten und zu pflanzen.« Gibt es geistige Einheit, dann auch Vertrauen, und mehr an gegenseitiger Verpflichtung, und es können an einem Tag größere Fortschritte in Richtung auf eine letztliche Versöhnung gemacht werden als sonst in vielen Wochen. 9 Khlesl glaubte sogar, er könne mit Christian von Anhalt ins politische Geschäft kommen. Am 26. September 1615 teilte er Geizkofler mit: »Mit fürst Christian begehre ich von herzen zusammen zu kommen, den so weit wir in religione discrepiren, no nahet seindt unsere herzen und intentiones coniugieret, ob doch ein Mittel gefudnen warden möchte, daß mißtrauen aufzuheben.« 10 Khlesls Haltung war vielleicht nicht so widersprüchlich oder auf Täuschung bedacht, wie bisweilen vermutet wurde. Oder besser: Er verhielt sich in dieser Hinsicht wie jeder andere Politiker seiner Zeit, der die neuen, auf den Lehren von Justus Lipsius beruhenden Grundsätze politischer Klugheit berücksichtigte. 11 Die Lektionen der Geschichte, die Gewichtung der gegenwärtigen Probleme und der Maßstab der Vernunft – dies alles sprach für ein gewisses Maß an pragmatischer Toleranz, das wiederum mit dem Bestreben, innerhalb eines bestimmten Territoriums eine Staatsreligion zu etablieren, durchaus vereinbar war. Als Vertreter einer kaiserlichen Politik nach 1612 hatte Khlesl einfach die dem Augsburger Religionsfrieden zugrunde liegende Denkweise übernommen.

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Eines der Hauptziele der khleslschen Kompositionsstrategie und zugleich eine Vorbedingung für ihren Erfolg war die Schwächung der beiden konfessionellen Bündnisse. Bis zu einem gewissen Grad gelang ihm dies auch, aber andere Faktoren spielten ebenso eine Rolle, sodass der Niedergang von Union und Liga nicht die von ihm erhofften politischen Fortschritte brachte. Die Protestantische Union gelangte nie zu innerer Einheit und Zielgerichtetheit. Finanziell war sie nicht auf Rosen gebettet, weil viele Mitglieder, allen voran der Kurfürst von Brandenburg, in ihren Beitragszahlungen so säumig waren wie in der Entrichtung der Reichssteuern. Aufgrund der Kosten für die Aktivitäten zur Lösung der Krise im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg hatten sich beträchtliche Schulden angehäuft und zudem zogen die Mitglieder der Union nicht an einem Strang. Christian von Anhalt arbeitete unermüdlich an einem Netzwerk internationaler Bündnisse.Verträge wurden 1612 mit England und 1613 mit der holländischen Republik geschlossen. Ebenso unterhielt er Beziehungen zu den Anführern der adligen Opposition in Österreich, Böhmen, Mähren und Schlesien und führte einen lebhaften Briefwechsel mit Agenten in Wien, Prag, Turin und Venedig. Er besuchte den schwedischen König Gustav Adolf und bestärkte ihn in seinem Verdacht, es gäbe eine europäische katholische Verschwörung, um ihn zugunsten seines Vetters und Rivalen, des Königs Sigismund Wasa von Polen, vom Thron zu stoßen. Christian beobachtete auch mit besonderer Sorgfalt den Konflikt, der 1614 zwischen Spanien und dem Herzog von Savoyen, sowie den Krieg, der 1615 zwischen Venedig und der Habsburger Regierung in Graz ausgebrochen war. Savoyen und Venedig kooperierten gegen Spanien in einem Konflikt um Montferrat; England und die holländische Republik entsandten Flotten in die Adria, um zu verhindern, dass das spanisch regierte Neapel in die venezianische Belagerung von Gradisca eingriff. 12 Doch ließ sich die Protestantische Union auf kein formelles Bündnis mit Savoyen oder Venedig ein. Wieder einmal scheuten die deutschen Stände vor einem ausländischen Krieg oder Konflikt zurück, der nichts mit der Verteidigung des Reichs zu tun hatte. Im Reich selbst jedoch hatte die Union ihre Möglichkeiten ausgeschöpft und ließ Anzeichen des Zerfalls erkennen. 13 Der Kurfürst von Sachsen lehnte die Mitgliedschaft ab und auch die protestantischen Administratoren der norddeutschen Bistümer sahen, ebenso wie andere regierende Mitglieder ihrer Herrschaftshäuser, keinen Vorteil in einem Beitritt zur Union. Dort gab es keine Angst vor einer zwangsweise erfolgenden Rekatholisierung. Württemberg verweigerte jegliches Abkommen mit Savoyen oder Venedig, weil man befürchtete, dass spanische Truppen Mömpelgard oder andere linksrheinische Territorien angreifen könnten. Die protestantischen Reichsstädte fällten keine Entscheidung, die ihnen höhere Kosten aufbürden oder ihre Position im Reich gefährden würde: Sie wussten nur zu genau, dass der Kaiser und seine Gerichte die Garanten ihrer Unabhängigkeit blie-

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ben. Und schließlich verlor Brandenburg das Interesse an der Union, nachdem die Bestrebungen des Hauses Hohenzollern in Jülich-Kleve-Berg gescheitert waren. Im April 1617 kündigte es die Mitgliedschaft auf, nachdem die Union entschieden hatte, Brandenburgs Erwerbungen am Niederrhein nicht unter ihren Schutz zu stellen. Angesichts einer schwindenden Mitgliederzahl und wenigen gemeinsamen Interessen gab es keine große Begeisterung für die Verlängerung des Bündnisses vor dem 1618 fälligen Ablauf seines ursprünglich auf zehn Jahre angesetzten Bestehens. Im Bewusstsein, dass die Fürsten von ihrem Geld abhängig waren, stellten die Städte harte Bedingungen. Sie forderten ein Veto für militärische Aktionen, die Sicherheit, dass keine neuen territorialen Ansprüche unterstützt werden würden und dass die Union sich nicht an einem möglichen Konflikt zwischen Spanien und der holländischen Republik beteiligen würde. Unter diesen Bedingungen stimmten sie einer Verlängerung bis zum 14. Mai 1621 zu. Die Union scheiterte im Wesentlichen an der Unvereinbarkeit der Interessen ihrer Mitglieder, aber auch am Fehlen einer hinreichenden innenpolitischen Bedrohung, was wenigstens teilweise dem Geist der khleslschen »Komposition« zugerechnet werden kann. Die Katholische Liga war von Khlesls Versöhnungsmanövern sogar noch direkter betroffen, weil hier die Interessen des Hauses Habsburg schon bald mit den ursprünglichen Zielen des Herzogs von Bayern in Konflikt gerieten. Anfänglich fand Khlesl einen Verbündeten in Johann Schweikhard von Mainz, der schon von Anbeginn den sächsischen Kurfürsten und andere gemäßigte Protestanten sowie einige oder alle Habsburger Erzherzöge gern in die Liga aufgenommen hätte, um so den Kaiser zu unterstützen. Khlesl schwebte ein auf religiösen und weltlichen Frieden sowie auf den Gesetzen des Reichs gegründetes Bündnis vor, zu dem schließlich sogar die kaiserlichen Lehnsbesitzungen in Italien, ferner Spanien, die katholischen Kantone der Schweiz, der König von Frankreich, Venedig und das katholische Polen gehören sollten: Das Bündnis sollte »ein lebendiges corpus warden, welches corpus den Religions- und Profanfrieden, wie auch die constitutions imperii … zum Fundament hätte.« 14 Diese grandiosen Pläne waren das eine, die Wirklichkeit das andere. 15 Dank Spanien und Rom und durch das Zögern des sächsischen Kurfürsten konnte Maximilian von Bayern die Aufnahme von Protestanten vermeiden, musste 1613 jedoch den Hochmeister Erzherzog Maximilian von Tirol als Mitglied akzeptieren. Da nun auch Habsburger Interessen in der Liga vertreten waren, musste sie reorganisiert werden. Das Führungsduo (Rheinland und Süddeutschland) wurde durch ein Triumvirat ersetzt und die Teile der süddeutschen Region, die dem Schwäbischen Kreis angehörten, mit Tirol und Vorderösterreich einem dritten Direktorat unter Erzherzog Maximilian zugeschlagen. Bayern reagierte darauf, indem es den neuen Vertrag nicht ratifizierte und ein (durch die Statuten der Liga formal mögliches)

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Unterbündnis mit Bamberg, Würzburg, Eichstätt, Augsburg und Ellwangen einging. Sofort gab es Streit mit Erzherzog Maximilian wegen Augsburg und Ellwangen, weil sie dem Schwäbischen Kreis angehörten und so dem Habsburger Direktorat hätten beitreten sollen. Als der Kurfürst von Mainz 1616 ein Treffen der drei Direktoren herbeizuführen suchte, trat Herzog Maximilian einfach zurück und bildete im darauffolgenden Jahr ein ganz neues regionales Verteidigungsbündnis mit Bamberg, Würzburg, Eichstätt und Ellwangen. Da Augsburg nicht dazugehörte, würde es keine Einwände seitens Habsburgs geben. Die Liga selbst war damit jedoch praktisch gestorben und wurde erst auf Betreiben der Rheinlandgruppe 1619 unter veränderten Umständen wiederbelebt. 16 Dass Herzog Maximilian die Liga verließ, nur um eine andere mit offenkundig identischen Zielen zu gründen, mutet paradox an. Privatim kritisierte er die Reorganisation von 1613, weil sie seiner Meinung nach damit nicht mehr auf die Verteidigung des Katholizismus ausgerichtet gewesen sei. Allerdings war das von ihm 1617 ins Leben gerufene Bündnis in diesem Punkt auch nicht besonders deutlich. Entscheidend war nicht, ob Khlesls Politik der »Komposition« idealistisch oder nur unaufrichtig war, sondern, ob sie wirklich das Ziel verfolgte, die Vorbedingungen für einen dauerhaften Religionsfrieden im Reich zu schaffen (und ob das Zugeständnisse an die Protestanten beinhaltete, die von Bayern akzeptiert werden konnten), oder ob sie nur die Interessen der Habsburger fördern wollte. 17 Die Bayern waren nicht die Einzigen, die den Verdacht hegten, Khlesl sei nur der Interessenvertreter eines ehrgeizigen Herrscherhauses, das sich als Erbmonarchie im Reich etablieren wollte. Der Verdacht wurde durch den Plan, ein stehendes Heer zu errichten, noch verstärkt. 18 Der Vorschlag wurde zuerst im Dezember 1614 von Johann Georg von Hohenzollern-Hechingen, dem Präsidenten des Reichshofrats, an Erzherzog Albrecht nach Brüssel übermittelt. Eine Streitmacht von 25.000 Fußsoldaten und 4.000 Berittenen sollte von der Liga finanziert und vom spanischen Heer unterstützt werden, um Jülich gegen holländische und brandenburgische Angriffe zu verteidigen, die kaiserliche Autorität im Reich zu stärken und die Wahl eines Nachfolgers zu sichern. 1616 wurde der Plan von Erzherzog Maximilian übernommen und Kaiser Matthias vorgelegt. Die Absicht war nun, die Streitmacht direkter gegen die Protestanten zu richten und Erzherzog Ferdinand (mittlerweile der von den Habsburger Erzherzögen favorisierte Erbe) zu ihrem Kommandanten zu machen. Die Bayern waren strikt dagegen: Erzherzog Maximilians Pläne widersprächen der »teutschen Libertät«, der Freiheit der Kurfürsten, der Goldenen Bulle und den Gesetzen und der Verfassung des Reichs ganz allgemein. Und schon bald hatte Christian von Anhalt Wind von dem Plan bekommen, den er natürlich kategorisch ablehnte. Der Widerstand breitete sich über die konfessionellen Grenzen hinweg aus und

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machte dem Plan eines stehenden Heers rasch ein Ende. Doch ist die Angelegenheit in zweierlei Hinsicht von Interesse. Zum einen scheint klar, dass Khlesl den Plan an Christian von Anhalt verriet. Hohenzollern-Hechingen war von Rudolf II. in sein Amt berufen worden und seine Erfahrungen während des Kampfs zwischen Rudolf und Matthias hatten ihm ein tiefes Misstrauen gegenüber Khlesl eingeflößt, was eine grundsätzlich skeptische Haltung zu dessen »Kompositionspolitik« nach sich zog, eine Skepsis, die allmählich von den Erzherzögen geteilt wurde. Zunehmend favorisierten sie eine harte Linie im Umgang mit den Problemen des Hauses Habsburg in den Kron- und Erblanden ebenso wie im Reich. Zum anderen zeigen die Auseinandersetzungen um die Streitmacht die Verbindung zwischen den Militärplänen, dem tiefen Misstrauen der Habsburger gegenüber Khlesl und dem dringenden Problem der Nachfolge von Kaiser Matthias. Unter Rudolf hatte dieses Problem zu langen und heftigen Auseinandersetzungen im Haus Habsburg geführt. Nun aber war man sich in der deutschen Linie schon sehr früh einig geworden. Matthias’ Brüder verzichteten auf ihre Ansprüche zugunsten von Ferdinand, mit dem Matthias selbst auch einverstanden war. 19 Der Anspruch Philipps III. von Spanien (eines Enkels von Maximilian II., der formell den Vorrang vor dem Neffen Ferdinand hatte) sollte durch Verhandlungen mit dem neuen spanischen Botschafter, Íñigo Vélez de Guevara, Graf von Oñate, abgegolten werden. Das geschah im Geheimvertrag vom März 1617, in dem Ferdinand versprach, Spanien einiges an Territorien zu überlassen: die habsburgischen Besitzungen im Elsass, die Amtsbezirke Hagenau und Ortenau (südlich vom Schwarzwald rechtsrheinisch gelegen) sowie die italienischen Lehnsbesitzungen Finale und Piombino. Damit war der Weg frei für Matthias, Ferdinand als Sohn zu adoptieren. Diesmal lag das Problem mit der Erbfolge in den Habsburger Landen und vor allem im Reich. Überall läuteten die protestantischen Alarmglocken, weil mit Ferdinand ein kompromissloser Vertreter der Gegenreformation den Thron besteigen sollte. Ohne Zugeständnisse in Sachen Religion gäbe es seitens der Protestanten keine Zustimmung. Auch Khlesl konnte sich anfänglich nicht für Ferdinand erwärmen. Zudem fürchtete er, seine neu erworbene Machtposition an einen designierten Nachfolger zu verlieren oder sogar durch einen solchen verdrängt zu werden. Zunächst ging es ihm darum, die Entscheidung zu verschieben, weil er sehen wollte, ob Matthias’ späte Heirat mit Anna von Tirol (1611) einen direkten Erben hervorbringen würde. Dann bestand er darauf, die Entscheidung mit einer erfolgreichen »Kompositionsinitiative« zu verknüpfen. Als er sich endlich hinter Ferdinands Kandidatur stellte, hatte er in den Augen der Erzherzöge seine Position hoffnungslos kompromittiert. 20 Angesichts wachsenden Drucks auf die Kurfürsten, Ferdinand zu wählen, nahm die Pfalz eine Blockadehaltung ein und heckte einen alternativen Plan aus. 21 Im Mai 1616 wurde ein Gesandter nach München geschickt, um in Erfahrung zu

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bringen, ob Herzog Maximilian bereit sein könnte, sich zur Wahl zu stellen. Da er von der Leitung der süddeutschen Liga zurückgetreten war und zudem die Vorschläge zu einem stehenden Heer konsterniert abgelehnt hatte, könnte er vielleicht dazu beredet werden, als Kandidat »teutscher Libertät« gegen den Habsburger Monarchismus anzutreten. Allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, dass Herzog Maximilian – wiewohl selbst kein Kurfürst – jemals einen Nichthabsburger als Nachfolger in Erwägung gezogen hätte.Vielmehr versicherte er Ferdinand (seinem Schwager), er werde sich bedingungslos für seine Sache einsetzen. Typischerweise bat er jedoch, dass Ferdinand im Gegenzug seinen Wunsch, als »Durchlaucht« angeredet zu werden, anerkenne. Dieser Titel stand den Erzherzögen zu und so wollte Maximilian seine Stellung als erster Herzog im Reich (höherrangig sogar als Erzherzog Maximilian von Tirol) bestätigt wissen. 22 Christian von Anhalt ließ sich durch Maximilians Zögern nicht beirren. Noch im Februar 1618 reiste Kurfürst Friedrich V. höchstpersönlich nach München, um mit Nachdruck für eine bayrische Kandidatur zu werben. Henry Wotton, zu dieser Zeit englischer Botschafter in Venedig, bemerkte in einem Brief an Sir Thomas Lake, dass die Vorstellung, der Herzog von Bayern könne zum Kaiser gewählt werden, wie ein vom pfälzischen Kurfürsten angeregter Traum klinge. Die deutschen Fürsten, meinte Wotton, würden niemals einen Bürgerkrieg riskieren, nur um Ferdinands Wahl zu blockieren, denn dieser sei doch bereits Kaiser »dem Keime nach« (in semine). 23 So war es tatsächlich. Khlesl hatte unermüdlich an der Sicherung katholischer Solidarität und der Ausnutzung protestantischen Uneinigkeit in den habsburgischen Kron- und Erblanden gearbeitet. Zwar gelang es ihm auf dem Landtag zu Linz 1614 nicht, die Stände der Erblande gegen die Türken zu mobilisieren, aber er konnte 1615 die Bildung eines antimonarchischen Adelsbündnisses in Böhmen verhindern. Und er hatte genug geleistet, um sicherzustellen, dass Ferdinand 1617 als König von Böhmen und ein Jahr später als König von Ungarn »akzeptiert« wurde. Zudem reisten im August 1617, als die böhmische Krone gesichert war, Kaiser Matthias, Erzherzog Maximilian und Kardinal Khlesl nach Dresden, wo sie die Zustimmung von Kurfürst Johann Georg zu einer Versammlung der Kurfürsten am 1. Februar 1618 einholten. Dann nämlich sollte Ferdinand zum römischen König gewählt werden. Das Treffen musste jedoch vertagt werden, weil es Nachricht von einem Aufstand in Böhmen gab. Die Wahl fand schließlich im August 1619, fünf Monate nach Matthias’ Tod, statt. Henry Wotton hatte recht behalten. Die deutschen Stände scheuten innenpolitische Konflikte wie außenpolitische Verstrickungen und unterstützten Ferdinand. Dennoch zögerten sie eine Zeit lang und das war nicht ohne Bedeutung. Die Habsburger Thronfolgestrategie und der Vorschlag für ein stehendes Heer reichten

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aus, um über die konfessionellen Grenzen hinweg eine gegen Habsburg gerichtete Opposition hervorzurufen. Hatten Khlesls Manöver dazu geführt, die konfessionellen Blöcke zu schwächen, so wurden sie angesichts der Thronfolgeproblematik wieder zusammengeschweißt. Der Druck, einen Habsburger zu wählen, ließ viele fragen, ob es sich denn überhaupt um eine echte Wahl handle. Wo war die Wahlfreiheit geblieben? Und warum sollte man überhaupt wählen, wenn das Ergebnis schon vorher feststand? 24 War das nicht schon ein nächster Schritt hin zur Erbmonarchie? Doch wieder einmal gab es keine überzeugende Alternative. Herzog Maximilian und seine Berater waren im Hinblick auf eine bayrische Kandidatur skeptisch. Sie glaubten nicht, dass der Herzog überhaupt genügend Stimmen auf sich vereinigen könnte, und im Fall eines Erfolgs befürchteten sie endlose Probleme mit den österreichischen wie spanischen Habsburgern und auch mit Rom. Zudem würde ein Wittelsbacher Kaiser seine religiösen Grundsätze hinterfragen müssen und wäre gänzlich abhängig vom Pfälzer Kurfürsten und den protestantischen Fürsten. Und schließlich wären die Bayern finanziell gar nicht in der Lage, einen kaiserlichen Hofstaat zu unterhalten; kein deutscher Fürst verfügte über die Ressourcen eines Habsburgers, der Österreich, Böhmen und Ungarn regierte. 25 Trotz alledem schrieb Herzog Maximilian im April 1618 an seinen Bruder Ferdinand, den Kurfürsten von Köln, es müsse etwas unternommen werden, sonst sei es »umb der chur, fürsten und stende teitsche freyheit gethan, die Succession erblich, die übrige weltliche fürsten allgemach meine landstand, das Römische Reich mutirt.« 26 Die Reichspolitik steckte 1618 in der Sackgasse. Die grundlegenden Probleme standen einer Lösung so fern wie zwölf Jahre zuvor. Katholiken und Protestanten waren in der Frage der Restitution von Kirchengütern und des Status der protestantischen Administratoren der nördlichen Bistümer immer noch zutiefst zerstritten. Jahrelange Kleinkriege, Verschwörungen, Gerüchte und Gegengerüchte hatten die Aussicht auf einen arbeitsfähigen Kompromiss verschüttet. Alle kaiserlichen Institutionen waren funktionsunfähig oder diskreditiert und selbst die kaiserliche Krone galt nicht mehr als neutral. Das Misstrauen gegenüber den Habsburgern aber war Katholiken und Protestanten gleichermaßen eigen. Ferner gab es tiefes Misstrauen zwischen Lutheranern und Calvinisten sowie zwischen Aktivisten wie Christian von Anhalt und den Pfälzern einerseits, die ein Bündnis mit ausländischen Mächten suchten, und den Traditionalisten andererseits, die Bürgerkrieg und ausländische Intervention fürchteten. Die Rhetorik von Einheit, Frieden und Gerechtigkeit wurde in den Verhandlungen zwischen Fürsten weiterhin bemüht, doch wuchs daraus kein Wille zu einem politischen Kompromiss. Doch wenn viele glaubten, ein Entscheidungskampf müsse sich früher oder später ereignen, so gab es im Reich selbst wenig,

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was darauf hindeutete. Im Mai 1618 jedoch gab es Nachrichten aus Prag, die eine andere und viel gefährlichere Situation heraufbeschworen.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

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Rill, Matthias, 199, 244; Johnston Gordon, »Khlesl«; Angermeier, »Politik«. Rill, Matthias, 197. Rill, Matthias, 197. Gotthard, Konfession, 84–90; Khlesls Pläne analysiert Angermeier, »Politik«. Luttenberger, »Kaisertum«. Press, Kriege, 186–187; Rill, Matthias, 227–231; Ritter, Geschichte, Bd. II, 378. Ritter, Geschichte, Bd. II, 378. Kratsch, Justiz, 191. Kratsch, Justiz, 188–189. Kratsch, Justiz, 192. Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 96–98, 122–125. Der Krieg um Gradisca wurde durch die aggressiv-kriminelle Tätigkeit von gemischtethnischen Flüchtlingsgruppen, den »Uskoken«, provoziert, die die Habsburger Grenzgebiete gegen die Türken verteidigten, zugleich aber die venezianische Schifffahrt bedrohten. Der venezianische Angriff auf Gradisca im Dezember 1615 richtete sich vor allem gegen das Banditenunwesen der Uskoken, faktisch aber gegen ihren Habsburger Oberherrn, der sie nur begrenzt unter Kontrolle halten konnte. Der Konflikt wurde 1618 diplomatisch beigelegt, als Ferdinand sich bereit erklärte, viele Anführer der Uskoken hinzurichten oder zu verbannen und in Zengg, ihrem Stützpunkt, eine Garnison zu errichten. Der Ablenkungskonflikt um Montferrat wurde im Oktober 1617 beigelegt. Vgl. Parker, Thirty Years War, 35–38. Vgl. Parker, Thirty Years War, 35–38. Rill, Matthias, 233–235. Zum Folgenden vgl. Albrecht, Maximilian I., 418–450. Vgl. S. 696. Albrecht, Maximilian I., 435–436. Rill, Matthias, 244; Albrecht, Maximilian I., 474–476. Rill, Matthias, 245–246, 257–259, 263–264. Angermeier, »Politik«, 303–313. Albrecht, Maximilian I., 476–487; Altmann, Reichspolitik, 195–220. Albrecht, Maximilian I., 483. Der Titel war von Herzog Wilhelm V. 1591 übernommen, aber niemals formell anerkannt worden. Altmann, Reichspolitik, 220–221 (Anm. 171; der Brief datiert vom 1. Juni 1618). Gotthard, Säulen, 636–640; Albrecht, Maximilian I., 474, 479. Altmann, Reichspolitik, 215–217; Albrecht, Maximilian I., 484–485. Albrecht, Maximilian I., 486–487.

36. Die Krise in den Habsburger Landen

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ie augenscheinliche Leichtigkeit, mit der Erzherzog Ferdinand in Böhmen, Ungarn und den Erblanden als Nachfolger von Kaiser Matthias angenommen wurde, täuschte über grundlegende Probleme hinweg. Schon Matthias’ Wahl zum Kaiser hatte die Situation nicht entschärft, sondern nur eine neue Phase der innerhabsburgischen Krise eingeleitet. Khlesls Vorgehen in den Kron- und Erblanden unterschied sich von seiner Strategie im Reich: Hier war der Kompromiss die Vorbedingung für den Weg zu einer politischen Lösung, dort war er taktische Notwendigkeit zu Beginn des schwierigen Prozesses, die Rechte des Herrschers zu sichern. Dieses Problem stellte sich für jedes einzelne der Territorien und für jeden Landesteil Böhmens. Jedes Territorium hatte seine eigene politische Konstellation, die zudem durch die Haltung gegenüber direkten Nachbarn, die Zusammenarbeit mit anderen Territorien und die Berücksichtigung der Herrschaft Habsburg bedingt war. 1 In Böhmen waren die politischen Probleme am heikelsten und die dortige Opposition zeichnete sich durch besondere Radikalität aus, aber anderswo war es auch nicht viel einfacher, vor allem nicht in Ungarn, wo Matthias bereits 1613 die Herrschaft des Hauses Habsburg bedroht sah. 2 Das Grundproblem in Böhmen, das sich mit entsprechenden Veränderungen auch in den anderen Landen zeigte, war der Majestätsbrief vom Juli 1609. 3 Die darin enthaltenen Zusicherungen hatte Rudolf gemacht, um seine Krone zu retten, und Matthias hatte ihn um seiner Krone willen bekräftigt. So wichtig wie der Brief selbst, der den Ständen das Recht auf Wahl von »Defensoren« zur Wahrnehmung ihrer Interessen einräumte, waren die damit verbundenen politischen Zugeständnisse, die Matthias anlässlich seiner Krönung 1611 ebenfalls bekräftigte. 4 Im Wesentlichen genossen die Stände weiterhin das Recht auf freie Wahl und die böhmisch-schlesische Konföderation war anerkannt worden. Ferner hatte die Krone versprochen, sich auf einem kommenden Landtag mit vier weiteren Forderungen der Stände zu beschäftigen. Eine davon zielte auf die Einrichtung einer Konföderation aller Stände in den Landen des Kaisers, eine andere auf die Bildung eines Systems zur gegenseitigen und gemeinsamen Verteidigung dieser Territorien. Gefordert wurden auch regelmäßige regionale Zusammenkünfte der Stände und die Erneuerung der böhmischen Erbverträge mit Sachsen, Brandenburg und Polen. Worauf die Stände hinauswollten, war klar: Sie erstrebten die Kontrolle über mi-

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litärische Streitkräfte, die Legalisierung von Institutionen adligen Widerstands und die Einbeziehung äußerer Mächte in die böhmische Politik. 5 Nahezu drei Jahre schob Matthias die Einberufung eines Landtags vor sich her, bis Geldmangel für seine Feldzüge in Ungarn ihn dazu zwang. 1614 fand in Linz ein allgemeiner Landtag der österreichischen, böhmischen und ungarischen Stände statt. Doch konnten weder die Krone noch die radikaleren Kräfte unter den Vertretern der diversen Stände die Gelegenheit effektiv nutzen. Matthias und Khlesl hatten gehofft, die Stände zu einer gemeinsamen Kampagne zur Verteidigung der Habsburger Lande und des Reichs gegen die Türken zu bewegen. 6 Aber eine glaubhafte türkische Bedrohung ließ sich nicht ausmachen und so musste der Versuch, Steuern zu erheben und Habsburgs Autorität durchzusetzen, scheitern. So blieb als Resultat nur eine Reihe von Vorschlägen, wie der Kaiser den Frieden mit den Türken bewahren könnte. Später beklagte sich Khlesl bei Erzherzog Ferdinand, dass die Stände in Linz lieber Siebenbürgen den Türken überließen als Seiner Majestät etwas für den Krieg zu gönnen: »Die Länder haben zu Linz gezeigt, daß sy sich resolvirt, ehe dem Türggen Siebenbürgen lassen, als Ir Mayest. zum krig was verwilligen.« 7 Aber auch ein zweiter Landtag, der 1615 auf Betreiben der Böhmen in Prag stattfand, zeigte nur die Uneinigkeit der Opposition. Nicht einmal die Solidarität gegen die Habsburger, die es in Linz noch gegeben hatte, wurde wieder erreicht. Die Ungarn, enttäuscht darüber, dass die anderen Territorien zögerten, sich an den hohen Verteidigungskosten zu beteiligen, hatten auf eine Teilnahme verzichtet. Die Mährer, Schlesier und Lausitzer befürchteten, ein Bündnis der Stände würde zu ihrer Unterordnung unter die Böhmen führen. Die Österreicher, angeführt von Georg Erasmus von Tschernembl und Gotthard von Starhemberg, befürworteten ein Bündnis mit den Böhmen, lehnten aber deren Führungsanspruch ab. Wie der gemäßigte mährische Führer Karl Žerotín vorhergesagt hatte, war die Opposition hoffnungslos gespalten und ihre vorherigen Bündnisse und Konföderationen nunmehr folgenlos. Da es den Ständen in Prag nicht gelang, die Opposition gegen die Krone zu einen, herrschte nun allgemeine Enttäuschung, während sich eine Minderheit radikalisierte. 8 Das wiederum stärkte die Position der Krone. 1617, als es für den Kaiser dringend notwendig war, Ferdinand zu seinem Nachfolger in Böhmen zu bestimmen, um die Klauseln des Vertrags von Oñate mit Spanien zu erfüllen, konnten die Katholiken die Opposition erneut relativ leicht ausmanövrieren. Trotz ihrer erklärten Gegnerschaft zu Ferdinand und ihrer Entschlossenheit, keinen Wahlvorschlag des Kaisers in Erwägung zu ziehen, ließ sich die Opposition dazu bereden, Ferdinand »zu akzeptieren, zu proklamieren und zu krönen«, wobei nur zwei Adlige – die Grafen Heinrich Matthias von Thurn und Leonhard Colonna von Fels – offen dagegen auftraten.

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So war Ferdinand nun »akzeptiert«, was das Selbstvertrauen der katholischen Partei stärkte und viele Protestanten verzweifeln ließ. Zwar hofften einige Gemäßigte immer noch, ihre Rechte durch Verhandlungen sichern zu können, andere dagegen waren nunmehr überzeugt, dass ihre Zukunft nur durch offene Konfrontation zu gewähren sei. 9 Zwei Vorgänge sorgten dafür, dass das Überleben des Protestantismus akut gefährdet war: die Manipulation der höfischen Patronage und der wachsende katholische Druck auf die religiösen Rechte der Protestanten. In jedem Territorium hatten Matthias und Khlesl ihre Anstrengungen für den Aufbau einer katholischen Partei intensiviert: Katholische Adlige wurden gefördert und Erhebungen in den Adelsstand dazu genutzt, bereits vorhandene Netzwerke zu verstärken. 10 Ende 1612 wurden der Hof und wichtige kaiserliche Institutionen von Prag nach Wien verlegt, was dazu diente, die unerwünschten böhmischen Netzwerke zu schwächen und in Wien neue Verbindungen zu knüpfen. Die Protestanten waren zwar auch in Österreich stark, doch hatte man im Februar 1610 zumindest eine Konföderation von katholischen Prälaten und Adligen auf die Beine stellen können. Die Verlegung des Hofes hatte auch den Effekt, den Herrscher dem Einflussbereich der mächtigen böhmischen Stände zu entziehen. Sie wurden noch weiter dadurch geschwächt, dass die Mährer und Schlesier die Gelegenheit nutzten, ihre Unabhängigkeit von den Böhmen stärker zu akzentuieren. Diese Manipulations- und Diskriminierungsmethoden fanden in allen Habsburger Landen Anwendung. Nach und nach wurden nur katholische Adlige in renommierte und lukrative Ämter berufen, während die Protestanten systematische Benachteiligung erfuhren. Wer sich offen gegen die Habsburger stellte, wurde bestraft. So erging es dem Grafen von Thurn, der Titel und Amt eines Burggrafen von Karlstein verlor und sogar (wie andere auch) mit Exekution bedroht wurde. 11 Die »Gleichsetzung von Verdienst und Loyalität mit Katholizismus« beraubte die protestantischen Familien jeglicher Aussicht auf Vorankommen und bedrohte ihre Position als Hauptvertreter der politischen Rechte der Stände gegen das Haus Habsburg. 12 Die Entfaltung internationaler Kontakte im späten 16. Jahrhundert hatte die Protestanten in ihrem Vertrauen auf die Zukunft bestärkt. Doch um 1610 hatten systematische Diskriminierung und Exklusion vielen Protestanten eine Zukunftsperspektive verbaut. Wachsender politisch-sozialer Druck ging einher mit zunehmenden religiösen Schikanen. 13 Die Protestanten wussten nur allzu gut, dass Ferdinand mehr als jedes andere Mitglied des Hauses Habsburg den Geist der Gegenreformation auf höchst aggressive Weise verkörperte. Das zeigte sich schon, bevor er offiziell zum Nachfolger von Matthias bestimmt wurde. Schließlich befürwortete auch Kardinal Khlesl die religiöse Einheitlichkeit in den Habsburger Landen und betrachtete einen Kompromiss im Reich, von welcher zeitlicher Dauer auch immer, als Vor-

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bedingung für den Erfolg in Böhmen, Ungarn und den Erblanden. 14 Die Probleme, die sich in Böhmen aus der Umsetzung des Majestätsbriefs ergaben, waren angesichts der Tatsache, dass nur zehn bis 15 Prozent der Einwohnerschaft katholisch waren, besonders schwerwiegend. 15 Sie zeigen jedoch in besonderer Form den Einfluss, den die neue Politik überall ausübte, und führten direkt zur Krise von 1618. Die Initiative ging von Johann Lohelius, dem Erzbischof von Prag, aus, dem Matthias die geistliche Autorität über die Kronlande übertragen hatte. Insbesondere zwischen 1611 und 1618 gingen nicht weniger als 132 »königliche« Gemeinden in die Obhut des Erzbischofs über. 16 Lohelius ersetzte dann protestantische Pastoren, die in den Ruhestand gingen, durch katholische Priester. Außerdem brachte er die Protestanten gegen sich auf, indem er utraquistische Pastoren Katholiken gleichsetzte, weil das Konzil von Trient das Abendmahl unter beiderlei Gestalt für Böhmen explizit erlaubt hatte. Schon bald wurden die Protestanten vertrieben. Ein Konflikt über den Status von protestantischen Kirchen auf Ländereien im Besitz der katholischen Kirche brachte das Fass zum Überlaufen. 17 Die Protestanten bestanden darauf, dass der Majestätsbrief den Einwohnern der Kronlande die Freiheit zu religiöser Vereinigung und öffentlichem Gottesdienst gäbe. Dies gelte auch für die Ländereien der katholischen Kirche, da die Habsburger diese traditionell als königliche Ländereien angesehen hätten. Nun aber behauptete der Kaiser, dass er die katholische Kirche nicht besitze, sondern nur schütze, sodass der Majestätsbrief in dieser Hinsicht nicht gelte. Die Stadt Braunau gehörte zum Benediktinerkloster Braunau (Broumov) und als sich dessen Abt Selender über das protestantische Kirchengebäude in der Stadt ärgerte, wies der königliche Hof ihn an, es schließen zu lassen. Ähnlich ging es in Klostergrab zu, das dem Erzbischof von Prag unterstand, dem ab 1580 das Zisterzienserkloster Ossegg gehörte. Die Einwohner von Klostergrab wiesen zwar darauf hin, dass sie eine freie Bergbaugemeinschaft und insofern Bewohner einer Königsstadt seien, in der der Majestätsbrief Gültigkeit besitze, aber Lohelius nahm darauf keine Rücksicht, sondern vertrieb Ende 1614 den protestantischen Pastor und versiegelte die Kirche. 1617 ließ er, ungeachtet aller protestantischen Beschwerden, mit Unterstützung des Königshofs das Gebäude abreißen. 18 Die Protestanten mussten in dieser ganz offenkundig verdrehten Verleugnung kaiserlicher Rechte eine systematische Diskriminierung durch die Krone mit dem Ziel, sie zu vernichten, sehen. Und Matthias hielt den Druck aufrecht. Auf dem Landtag von 1615 weigerte er sich, Beschwerden anzuhören, und im darauffolgenden Jahr bestrafte er die Stadt Neustraschitz, weil sie den ihr verordneten katholischen Priester ausgewiesen hatte. 19 Ferdinand verhielt sich während der Krönungsfeierlichkeiten charmant, doch danach gab es sofort Drohungen gegen von Thurn und andere oppositionelle Adlige. Der katholische Sekretär der böhmischen

36. Die Krise in den Habsburger Landen

Kanzlei sprach offen von Plänen, nach dem Tod des Kaisers in Prag eine Garnison zu errichten. In verschiedenen Städten begann man mit der Rekatholisierung und Prag wie Leitmeritz mussten Katholiken Bürgerrechte einräumen. Die Krone ging ganz offensichtlich daran, den Grundsatz cuius regio, eius religio in die Tat umzusetzen, so als hätte es den Majestätsbrief nie gegeben. Die protestantischen Defensoren waren über diese systematischen Verstöße empört und riefen im März 1618 die Stände zusammen. Doch wurde ihre Petition an den Kaiser lediglich mit der Drohung beantwortet, bei einem weiteren Treffen würden sie verhaftet werden. Während die Vertreter der Städte sich dadurch einschüchtern ließen, verstärkten die Adligen ihren Widerstand. Am 18. Mai verfasste die Führerschaft einen Appell an die Öffentlichkeit, der am folgenden Sonntag in vielen Kirchen verlesen wurde. Als sich eine größere Gruppe – praktisch ein protestantischer Landtag – erneut versammelte (man hatte im März beschlossen, sich am 31. Mai wieder zu treffen, um über die Antwort des Kaisers zu beraten), wurden die Führer auf den Hradschin vorgeladen, um dem Kronrat Rede und Antwort zu stehen. Von Thurn zufolge gab es Gerüchte über einen katholischen Angriff auf sie, weshalb sie um Erlaubnis baten, bewaffnet zu erscheinen. Die Erlaubnis wurde gewährt, was ihr Misstrauen aber keineswegs minderte. Zu diesem Zeitpunkt waren von Thurn und seine Verbündeten beinahe entschlossen, einen oder mehrere kaiserliche Vertreter zu töten. Am 23. Mai wurde ihre Anhörung vor dem Kronrat durch die Nachricht unterbrochen, dass die königlichen Richter die (protestantischen) Stadträte der Altstadt inhaftiert hätten. Daraufhin wurden zwei kaiserliche Gesandte, Vilém Slawata und Jaroslav Martinitz, dazu der Landtafelschreiber (Sekretär der böhmischen Kanzlei) Philipp Fabricius, aus dem Fenster geworfen. Ein ähnlicher Vorgang hatte 1419 den Auftakt zur Hussitenrevolution gebildet. Damals waren die Opfer schwer verletzt worden. Jetzt aber landeten sie auf einem Dunghaufen und konnten durch das benachbarte Palais Lobkowicz entkommen. Eines der Opfer, Slawata, behauptete, von Engeln gerettet worden zu sein, andere führten die Jungfrau Maria ins Feld. Alle drei wurden mit Ämtern und Beförderungen belohnt: Slawata und Martinitz, die beide altem böhmischem Adel entstammten, wurden 1621 zu Reichsgrafen und Fabricius 1623 zum »Baron von Hohenfall« erhoben. 20 Sollten die Opfer tatsächlich durch göttliche Vorsehung gerettet worden sein, so wurden die Habsburger gleich darauf von ihr verlassen. Am nächsten Tag bildete der protestantische Landtag ein Direktorium, das heißt eine provisorische Regierung, die aus Vertretern der Regionen bestand, und man traf Vorbereitungen zur Aufstellung eines Heers, um sich zu verteidigen. Das war für Habsburg wie ein Fehdehandschuh. Nun lief jede der beiden Seiten das Risiko, alles zu verlieren. Die Rebellen konnten wegen Hochverrats hingerichtet und ihre Häuser aus-

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gelöscht werden. Und wenn die Habsburger Böhmen verlören, wäre auch die Kaiserkrone dahin und damit ihre Vormachtstellung in Europa. 21 Die böhmische Krise war der weithin sichtbare Gipfel einer Herausforderung, mit der die Habsburger in all ihren Erblanden und in Ungarn konfrontiert waren. Die Nachrichten verbreiteten sich in Europa mit großer Schnelligkeit und allen war die Bedeutung dessen, was dort vor sich ging, klar. Seit Jahren schon hatten Kommentatoren auf die Parallelen zwischen der böhmischen Opposition und den holländischen Rebellen, die einige Jahrzehnte zuvor den Aufstand gewagt hatten, hingewiesen. 1611 meinte Karl Žerotín, es gebe jetzt mehr Unzufriedene in Prag als vor Jahren in den Niederlanden. 22 Kurz nach dem Fenstersturz warnte Kardinal Khlesl, daß »Behemb ein Hollendisch goubernament« werde 23 Der Konflikt war jetzt nicht mehr nur ein Verfassungsstreit zwischen Herrscher und Adelsständen, sondern ein Zusammenstoß zwischen ganz unterschiedlichen Vorstellungen von Staat und Gesellschaft. Es war eher eine Revolution als eine Rebellion. Das erklärt, warum die böhmische Krise so weite Kreise zog und auch im Reich Wirkung zeigte. Der Status der böhmischen Krone war hier nicht klar definiert. Der König von Böhmen war ein Kurfürst und durch seinen Titel in gewisser Weise höheren Ranges als die anderen, doch nahm er (mit Ausnahme der Beteiligung an der Wahl) nicht am Alltagsgeschäft der Kurfürsten teil. 24 In politischer Hinsicht wiederum waren die Lande der böhmischen Krone nicht ohne Einfluss auf einige Kernterritorien des Reichs. Der Kurfürst von Sachsen war ein verlässlicher Verbündeter der habsburgischen Regenten in Böhmen, weil er zum einen um die regionale Sicherheit besorgt und zum anderen der protestantische Hauptgarant des Kaisers für die Sicherheit im Reich war. Der Kurfürst von Brandenburg hatte Lehen der böhmischen Krone und sein Bestreben, das böhmische Lehen des Herzogtums Jägerndorf zu erwerben, brachte ihn 1617 dazu, für Ferdinand als Nachfolger von Matthias zu stimmen. 25 Die Beziehungen zur Kurpfalz waren komplizierter, aber ebenso wichtig. Die an Böhmen grenzende Oberpfalz hatte einst zu den böhmischen Kronlanden gehört und war im 16. Jahrhundert noch in den feudalen Verbund Böhmens integriert. 26 Als Christian von Anhalt nach 1595 Statthalter in der Oberpfalz war, gewannen diese alten Verbindungen neue Bedeutung. 27 Die Kommunikationslinie zwischen Prag, Amberg und Heidelberg, die fast direkt durch Deutschlands Mitte verlief, wurde zur Achse der Opposition gegen Habsburgs Herrschaft; sie verband die böhmischen »Unzufriedenen« mit den calvinistischen Rebellen in Frankreich und den Niederlanden. Und Christians Aktivitäten als Mittelsmann, bald aber als Drehund Angelpunkt des europäischen Netzwerks, waren bestens geeignet, um den böhmischen Adligen und denen in den anderen Habsburger Landen das Gefühl zu geben, sie seien den Reichsständen ebenbürtig. Während die Habsburger und Khlesl im böhmischen Adel eine von Rechts wegen dem König untergeordnete

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Gruppe sahen, forderten die Führer der protestantischen Adelsstände »teutsche Libertät«. Noch ein weiteres Jahr brauchte die böhmische Krise, um ihren Höhepunkt zu erreichen. 28 Die selbst ernannte provisorische Regierung in Prag wollte eine die böhmischen Kronlande vereinigende Front herstellen und Verbündete im Ausland gewinnen. Nach monatelangem Zögern bekundeten die Schlesier und Lausitzer ihre Unterstützung, doch die Mährer unter Karl Žerotín wollten sich den Rebellen nicht anschließen. Ein Appell an die Feinde des Hauses Habsburg brachte vorhersehbarer Weise eine rasche Reaktion aus der Pfalz, doch hatte Heidelberg zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als diplomatische und moralische Unterstützung zu bieten, weil die prekäre Finanzlage mehr nicht erlaubte. Überdies wollte Friedrich V. die Rebellen nicht so offen unterstützen, denn er war in der Union von Verbündeten umgeben, die sich dem Verteidigungszweck des Bündnisses verpflichtet fühlten. Jedoch konnte Christian von Anhalt mit vagem In-Aussicht-Stellen einer Wahl zum böhmischen König den Herzog von Savoyen, einen erbitterten Feind Spaniens in Norditalien, dazu bereden, ein Söldnerheer unter dem Kommando von Graf Ernst von Mansfeld zu finanzieren. Trotz der nicht gesicherten Geldmittel setzten die Prager Rebellen schon bald ihre erste Militäroffensive gegen die Habsburger in Gang. Graf Thurn ging nach Süden, um dort kaiserliche Streitkräfte in kleinere Scharmützel zu verwickeln. Ende August traf Mansfeld mit seinen Truppen ein. Ende November 1618 gelang es ihm, Pilsen einzunehmen. In Wien reagierte man zunächst unsicher, traf aber militärische Vorbereitungen, um gegen die Rebellen vorgehen zu können. Ein Heer von 14.000 Mann wurde ausgehoben und der erfahrene Charles Bonaventure de Longueval, Graf von Bucquoy, aus den Spanischen Niederlanden zu seinem Befehlshaber ernannt. Der Graf marschierte nach Süden, um dort auf das Heer von Thurn zu treffen, musste aber umkehren, weil inzwischen Mansfeld eingetroffen war. Khlesl drängte erneut auf Verhandlungen, aber die Anführer der Rebellion wollten sich ersichtlich auf keinen Kompromiss einlassen. Zur gleichen Zeit veränderten die Erzherzöge Ferdinand und Maximilian in Wien die Vorgehensweise von Grund auf. Die Fundamente dazu waren im Geheimvertrag gelegt worden, den Ferdinand im März 1617 mit dem spanischen Botschafter Graf Oñate geschlossen hatte. Philipp III. versprach, Ferdinands Anspruch auf die Thronfolge in Böhmen und Ungarn zu unterstützen und Militärhilfe im Krieg gegen Venedig zu leisten. Im Gegenzug versprach Ferdinand, das Elsass so bald wie möglich Spanien zu überlassen. Im Moment allerdings war das Elsass nicht zu haben, weil es sich im Besitz der Habsburger Erzbischöfe von Tirol befand, aber die geplante Übertragung war wichtig, denn damit wäre für die spanischen Truppen ein bedeutender Teil der Nordroute in die Niederlande gesichert gewesen. Außerdem versprach Ferdinand,

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nach seiner Wahl zum Kaiser dem spanischen König auch die norditalienischen Lehen Finale und Piombino zu überlassen. Dieser Vertrag war in der böhmischen Krise von 1618 von entscheidender Bedeutung, denn er stärkte Ferdinands Position im Hinblick auf Böhmen und Ungarn. Spanien war nun verpflichtet, Ferdinand dort oder im Reich militärisch zu unterstützen, und zudem bereitete er den Weg für die Verfolgung gemeinsamer Interessen in Norditalien. 29 So gerüstet, konnten Ferdinand und Maximilian gegen Khlesl vorgehen. Sie beschuldigten ihn, den Rebellen mit seinem Gerede über Verhandlungen Vorschub zu leisten. Ende Juli 1618 lockte Maximilian den Kardinal mit einer List in seine Gemächer in der Hofburg, wo Khlesl verhaftet und dann in der Festung Ambras in Tirol eingekerkert wurde. 1622 wurde er auf Fürsprache des Papstes nach Rom gebracht. Fünf Jahre später war Khlesl rehabilitiert und kehrte nach Wien zurück, wo er 1630 starb. Seine politische Rolle war jedoch mit seiner Verhaftung beendet und die kaiserliche Politik wurde jetzt hart und kompromisslos. Matthias musste ohnmächtig zusehen, wie ihm sein Hauptberater genommen wurde. Er selbst starb im März 1619; sein Tod machte den Weg für den neuen Kurs endgültig frei. Zunächst verschärfte sich die Krise. Im April marschierte Thurn in Mähren ein und zwang die dortigen Stände, sich dem Aufstand anzuschließen. Angesichts bewaffneter Streitkräfte und der Nachricht, dass ihr Schatz von Oberst Wallenstein nach Wien geschafft worden war – die erste bemerkenswerte Demonstration von Wallensteins Treue zur Krone –, stimmten auch die Katholiken zu. Der Wiener Hof schickte das Geld sofort nach Mähren zurück, um jede Möglichkeit, die Krone illegaler Handlungen zu bezichtigen, auszuschließen. 30 Doch musste die Hoffnung, dem Aufstand damit die Spitze zu nehmen, sogleich aufgegeben werden. Thurn setzte seine Truppen gegen Wien in Bewegung und die protestantischen Stände von Niederösterreich ergriffen die Gelegenheit, vor Ferdinand hinzutreten und Religionsfreiheit zu fordern. Ein entscheidender Sieg des Grafen von Bucquoy über Mansfeld in Südböhmen schien Erleichterung zu bringen, denn Thurn wurde sofort nach Prag zurückbeordert. Im Juli fühlte sich Ferdinand hinreichend sicher, um seine Wahl in Frankfurt vorantreiben zu können. Aber die Rebellen gaben nicht auf. Am 31. Juli schworen sie den Eid auf die Confoederatio Bohemica, worin sie versprachen, die grundlegenden Gesetze des Königreichs und die Rechte und Privilegien der Stände zu verteidigen. 31 Demzufolge war die Monarchie eine Wahlmonarchie und der König durch die Confoederatio gebunden. Der Katholizismus war zugelassen, aber einige führende Verwaltungsposten blieben für Protestanten reserviert, die von den Ständen nominiert wurden. Die Jesuiten würden ausgewiesen. Die Schlesier, Lausitzer und Mährer schließlich trafen Vereinbarungen, die sicherstellten, dass sie nicht von den Böhmen beherrscht würden. Am 16. August wurden zwei weitere Konföderationen mit Ober- und Niederösterreich geschlossen. 32 Am 19. Au-

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gust entschlossen sich die Böhmen, Ferdinand wegen seines tyrannischen Verhaltens abzusetzen. Eine Woche später wählten sie Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz zu ihrem neuen König. 33 Andere Kandidaten waren in Erwägung gezogen worden: der Herzog von Savoyen, der Kurfürst von Sachsen, sogar Fürst Bethlen Gábor von Siebenbürgen. Aber Savoyen war ein unzuverlässiger Einzelgänger, Sachsen dem Kaiser allzu treu und der Siebenbürger Fürst ein exotischer Außenseiter. So blieb Friedrich, ungeachtet seines Zauderns, als einzig realistischer Kandidat übrig. Seine Kontakte zum Reich und seine familiären Verbindungen mit England, den Niederlanden und Schweden versprachen internationale Rückendeckung gegen die unvermeidliche Habsburger Reaktion. Friedrich selbst schöpfte Mut durch die Nachricht, dass die Böhmen wieder militärische Erfolge erzielten, diesmal in Zusammenarbeit mit Bethlen Gábor beim vereinten Marsch auf Wien, der im November in eine erneute Belagerung mündete. Unterdessen war Ferdinand dabei, seine Position ständig zu stärken. Friedrich V. hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um die Wahl zu verhindern, indem er sogar seinen Vetter Maximilian von Bayern zur Kandidatur zu überreden suchte. Als dieser ablehnte, versuchte Friedrich, die Wahl zu verlegen, bis die Böhmen einen neuen König gewählt hätten. Vage hoffte er wohl, dass ein Nichthabsburger als böhmischer König und Kurfürst mit seiner Stimme Ferdinands Aussichten zunichtemachen könnte. Aber die katholischen Kurfürsten hielten zusammen und auch Sachsen und Brandenburg unterstützten Ferdinand. Sogar die Pfalz sah keine Alternative, als sich der Mehrheit anzuschließen. Am 28. August wurde Ferdinand einmütig zum Kaiser gewählt und am 9. September gekrönt. Damit hatte er überwältigende Vorteile gegenüber seinen Feinden in den Erblanden und Böhmen, während Friedrich V. befürchten musste, zum Rebellen gegen seinen Oberherrn im Reich zu werden, wenn er die böhmische Krone annahm. Im Oktober fiel die schicksalhafte Entscheidung und im November wurde Friedrich in Prag gekrönt. Mittlerweile waren Kaiser Ferdinands II. Pläne, seine Herrschaftsrechte in seinen Landen geltend zu machen, weit gediehen. Denn mochte auch seine Position in den meisten seiner Territorien nicht unumstritten sein, so hatte er doch in der zügigen Kampagne gegen den Usurpator alle Vorteile auf seiner Seite. Aber die Art, wie er seinen Sieg ausnutzte, stürzte das Reich in einen langen und blutigen Krieg.

Anmerkungen 1 2

Eine detaillierte Analyse bietet Bahlcke, Regionalismus, 24–55; einen allgemeinen Überblick Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. I, 29–173. Ritter, Geschichte, Bd. II, 397.

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3 Pursell, Winter King, 43–64. 4 Das Amt der Defensoren war schon vor der Zustimmung zum Majestätsbrief eingerichtet worden; Bahlcke, Regionalismus, 355–356. 5 Bahlcke, Regionalismus, 386. 6 Ritter, Geschichte, Bd. II, 387–392. 7 In einem Brief vom Mai 1617; siehe Bahlcke, Regionalismus, 390. 8 Bahlcke, Regionalismus, 389; MacHardy, War, 68. 9 MacHardy, War, 68 10 MacHardy, War, 66–68, 183–207. 11 Rill, Matthias, 295–296. 12 MacHardy, War, 212–213. 13 Evans, Making, 62–65. 14 MacHardy, War, 47–70, 109–113. 15 Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. II, 26. 16 Parker, Thirty Years War, 48. 17 MacHardy, War, 69; Evans, Making, 65–66; Press, Kriege, 188–192; Rill, Matthias, 294– 295. 18 Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. II, 26, 121. 19 Rill, Matthias, 295–296. 20 ADB, Bd. XX, 515–517; NDB, Bd. XVI, 302–303; Press, Kriege, 192. 21 Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. I, 95–96. 22 Bahlcke, Regionalismus, 386. 23 Bahlcke, Regionalismus, 406; Begert, Böhmen, passim. 24 Begert, Böhmen, 303–356, 574–586. 25 Zeeden, »Zeitalter«, 143. 26 Bahlcke, Regionalismus, 17, 19, 108; Köbler, Lexikon, 484–485. Die Oberpfalz war ursprünglich bayrisches Territorium gewesen, das bei der Wittelsbacher Teilung 1329 an die Pfalz fiel. 1353 ging sie als Pfand an Karl IV., wurde aber 1373 von der Pfalz wieder ausgelöst. Wie andere böhmische Nebengebiete war die Oberpfalz Teil der corona Bohemiae, nicht aber des Regnum Bohemiae, obwohl das Haus Luxemburg Karls IV. sie letztlich nicht halten konnte. 27 Press, »Christian«; Clasen, Palatinate, 23–26; vgl. auch Wolgast, »Reichs- und Außenpolitik«, 186–187. 28 Schormann, Krieg, 25–28. 29 Asch, Thirty Years War, 44; Parker, Thirty Years War, 37. 30 Mann, Wallenstein, 168–173. 31 Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. I, 94–95. 32 MacHardy, War, 72, 104. 33 Pursell, Winter King, 65–91; Wolgast, »Reichs- und Außenpolitik«, 186–187.

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I

n jenen Jahren, in denen nach Ansicht vieler Historiker das Reich am Rand des Krieges stand, entwickelte sich auch die theoretische Grundlage für die Regelungen der Verfassungsverhältnisse im Westfälischen Frieden und es entstanden neue Formen des Patriotismus. Tragende Elemente des späteren Verfassungskompromisses wurden in einer Disziplin namens »Staatsrecht« formuliert, mit deren Lehre im Jahrzehnt vor Ausbruch der Feindseligkeiten an den reformierten und lutherischen Universitäten begonnen wurde. Sie hatte verschiedene Quellen. Das römische Recht war in dem Sinn grundlegend, als das im Reich geltende Recht, das sich ab den 1490er Jahren entwickelte, auf ihm beruhte. Von dieser Gesetzgebung war auch das umfangreiche, ab den 1560er Jahren merklich anwachsende juristische Schrifttum inspiriert. Ab 1501 wurde ein quasioffizielles Corpus Recessum Imperii, ein Verzeichnis aller auf dem Reichstag verabschiedeten Abkommen, veröffentlicht; 1569 wurde ein dem Procedere auf dem Reichstag gewidmetes Handbuch zusammengestellt und 1612 zum ersten Mal gedruckt. Einige Kommentare zum Procedere setzten sich besonders mit der wachsenden politischen Krise im Reich auseinander. Umfangreich war auch die Literatur zum Problem von Mehrheitsentscheidungen. Im Zusammenhang damit standen Arbeiten, die die Grundlagen der concordia und das Ausmaß, in dem discordia im politischen Gemeinwesen möglich und zulässig war, erkundeten. 1 In den 1580er Jahren erschienen zahlreiche Kommentare zu praktisch allen wichtigen Verfassungsgesetzen des Reichs. Die Reichsstädte erstellten ihr eigenes, unter dem Titel Registratur bekanntes, historisch-konstitutionelles Handbuch in sechs Bänden und unterhielten ein Zentralarchiv für alle wichtigen Dokumente in Speyer. 2 Zwischen 1607 und 1614 veröffentlichte Melchior Goldast von Haiminsfeld (* 1575, † 1635) eine Anzahl umfänglicher Sammlungen von Verfassungsdokumenten, die allerdings schon auf die Interessen der Reformierten und der Pfalz zugeschnitten waren, denn Goldast hoffte, dass seine bislang gescheiterten Bewerbungen um eine Anstellung in der Pfalz (1606 und 1608) doch noch Erfolg haben würden. 1617 veröffentlichte der lutherische Kanzler von Sachsen-Weimar, Friedrich Hortleder, eine Geschichte des Schmalkaldischen Kriegs in Dokumenten. Um den Hintergrund noch weiter auszuleuchten, bedienten sich Goldast und Hortleder mittelalterlicher Quellen. In den Urkunden zum Investiturstreit (1075–1172), vor allem denen zur Regierungszeit Lothars III. (1125–37) und zu seinem angeb-

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lichen Dekret von 1135, mit dem er die Verwendung des Codex Justinianus in allen Schulen und Gerichten anordnete, aber auch in Dokumenten zum Streit von Kaiser Ludwig dem Bayern (1328–1347) mit Rom, fanden sie Quellen, die als Richtlinien für die gegenwärtige Krise relevant waren. 3 Dazu entwickelte sich eine breite Literatur über Aspekte des Reichskammergerichts: Traktate über die Verfahrensweise, Sammlungen von Notizen, Kommentaren und Interpretationen zu zahlreichen Fällen. Die meiste Arbeit leisteten dabei Experten der lutherischen und reformierten Kirche. Seriöse Kommentarwerke zum Reichshofrat gab es dagegen erst nach 1648. Der Reichshofrat trug erheblich zur Entstehung der politischen Krise im Reich vor 1618 bei, brachte aber so gut wie keine Literatur zu deren Lösung hervor. Im Reichskammergericht dagegen hatten auch Protestanten eine Stimme und das Gericht inspirierte vor allem protestantische Autoren zu genauer Textanalyse mittels humanistischer Methoden, um ihre Ansichten über das Reich vorzutragen. 4 Eine weitere Quelle für das neue Recht war die nur wenig ältere Disziplin »Politik«. Sie hatte sich aus Melanchthons Einführung von Aristoteles’ Philosophie in den protestantischen Bildungskanon entwickelt. Die Anreicherung der protestantischen Lehren über Gesellschaft und Regierung mit aristotelischer Ethik und Politik schuf ein Denkgebäude, in dem Fürsten und Stadträte eine vom Klerus unabhängige Autorität zugesprochen wurde. Diese neu gewonnenen Einsichten wurden jedoch alsbald wieder infrage gestellt: 1574 erschienen die Schriften von Tacitus in der kritischen, von Lipsius edierten Fassung und im selben Jahrzehnt begann die Rezeption der Ideen Machiavellis. Beide plädierten offensichtlich für die vollständige Trennung von Politik und Religion, was viele deutsche Autoren dazu veranlasste, die beiden als gefährlich und gottlos zu brandmarken. Andere dagegen sahen sich dazu angeregt, alternative Regeln oder Grundsätze politischen Handelns aufzustellen. Zu etwa dieser Zeit gab es in Frankreich neue Ideensysteme. Jean Bodin entwickelte wirksame analytische Instrumente, Petrus Ramus (Pierre de la Ramée) eine neue Methodologie. Bodin bestimmte die monarchische Macht nicht mehr als Ensemble von Vorrechten, sondern sprach ihr höhere Souveränität zu: Sie sei die Quelle allen Rechts und normalerweise gegen Ungehorsam immun. Mithilfe seiner neuen Kategorien und Maßstäbe ließ sich jedes politische Gemeinwesen beurteilen.Von Petrus Ramus lernten die Reformierten, dann auch die Lutheraner, wie man logisch kohärente Begriffssysteme entwickelt. Damit wurde das neue Ideengebiet zu einer Disziplin im wahren Sinn: formalisiert, präzise in der Wortwahl, äußerlich zusammenhängend durch innere Logik. Nun konnte die Politik als von der Theologie unabhängige Wissenschaft behandelt werden. 5 Um 1600 gaben mehrere Experten der neuen Disziplin Gestalt und Richtung: Johannes Althusius an der reformierten Hohen Schule in Herborn, Bartholomäus

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Keckermann am Akademischen Gymnasium Danzig und Henning Arnisäus an der Universität der Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel im lutherischen Helmstedt. Ihre grundlegenden Arbeiten brachten in den folgenden Jahrzehnten eine umfangreiche Literatur wissenschaftlicher wie populärer Provenienz hervor, die das in Westeuropa allgemein entwickelte Ideenspektrum spiegelte. Um 1620 wurde an jeder protestantischen Universität in Deutschland zumindest ein systematisches Werk über Politik veröffentlicht. 6 Das Interesse der frühen Autoren war einerseits theoretischer Natur, andererseits auf die Stände konzentriert. In erster Linie wollten sie die Grundsätze und Regeln des politischen Bereichs festlegen, um das Gemeinwesen, in dem sie lebten, als eigenständiges System und als Bestandteil des Reichs zu bestimmen. Sie behandelten das Reich nicht als Gegenstand für sich, weil es nicht im Zentrum ihrer Interessen lag. Althusius etwa ging es vor allem um die Beziehung zwischen den Ständen eines Territoriums und ihrem regierenden Fürsten. Für ihn stand das Wesen des Vertrags zwischen Herrscher und Beherrschten im Mittelpunkt, das nicht von religiösen Pflichten, sondern von Rechten bestimmt werde. Arnisäus wandte gegen Althusius ein, dieser habe die souveränen Rechte der Fürsten vernachlässigt. Er wollte die Theorien aller Monarchomachen durch die entschiedene Zurückweisung der Idee einer Volkssouveränität widerlegen. Er begriff Monarchie nicht als absolute Herrschaftsform, sondern als historische Kumulation prärogativer Macht, als gemischte Verfassung. Auch Keckermann hielt nichts von Volkssouveränität und befürwortete, noch nachdrücklicher als Arnisäus, eine gemischte Verfassung als gerechteste Form des Gemeinwesens. So waren die prominentesten politischen Theoretiker am Reich nur peripher interessiert. Aber es sollte nicht lange dauern und Bodins Bemerkungen über das Reich wurden zum Gegenstand einer weiteren Kontroverse. Besonders umstritten war Bodins Charakterisierung des Reichs als Aristokratie, bei der die Souveränität ausschließlich dem Reichstag zukomme. Das gefiel weder den Loyalisten, die als Souverän den Kaiser sahen, noch jenen Fürsten, die unabhängig von Kaiser und Reichstag souverän regieren wollten. Ebenso wichtig war Bodins Widerlegung der Vier-Reiche-Lehre, der zufolge das Reich das letzte der vier vom Propheten Daniel geweissagten Reiche sein sollte, sowie seine Ablehnung der Idee einer translatio imperii. Nun mussten deutsche Theoretiker einige ihrer liebsten Mythen über das kaiserliche Reich überdenken. Je mehr sich die politische Krise verschärfte, desto dringender wurde diese Aufgabe. Die Veränderungen, die es seit 1555 in der Verfassung gegeben hatte, die wachsende Spannung zwischen den Konfessionen und die Verfestigung der Regierungssysteme der größeren Territorien warfen ein ganzes Spektrum an praktischen Rechtsproblemen auf, die durch das geltende Recht nicht bewältigt werden konnten. Angesichts der bodinschen Theorie stellte sich die Frage, ob das römische

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Recht die angemessene Grundlage sei, um die politischen Verhältnisse im Reich zu beschreiben. Der Terminus ius publicum (»öffentliches Recht« oder »Staatsrecht«) scheint von den Disputationen zu stammen, die ab 1600 in Altdorf von Arnold Clapmarius über Themen unter dem Titel ex iure publico veranstaltet wurden: Reichsrecht, Kriegs- und Bündnisrecht, die Arkana des politischen Gemeinwesens, seines Rechtssystems und seiner Verwaltung. Die Bedeutung dessen wurde durch die erste öffentliche Kontroverse über das Staatsrecht unterstrichen: Es war eine Auseinandersetzung zwischen der Universität Marburg (wo die Reformierten das Sagen hatten) und der Universität Gießen (wo die Lutheraner saßen); es waren die Universitäten der beiden rivalisierenden hessischen Herrschaftshäuser von Kassel und Darmstadt. Der Marburger Juraprofessor Hermann Vultejus hatte 1599 einen Kommentar veröffentlicht, in dem er die Gültigkeit des römischen Rechts für die Deutschen bestritt. Das Reich, so Vultejus, sei nur dem Anschein nach eine Monarchie, tatsächlich aber eine Aristokratie. Die translatio imperii habe ihre Bedeutung verloren, da Karl der Große die von ihm berufenen Magistrate zu Partnern gemacht und somit das Reich in ein feudales Herrschaftsgebiet umgewandelt habe.7 Vultejus’ lutherische Kollegen in Gießen erkannten sehr schnell das explosive Potenzial seiner subversiven Verwendung feudalhistorischer Argumente, die ähnlich bereits von François Hotman und den französischen Monarchomachen in den 1560er Jahren vorgetragen worden waren. 1607 antwortete Gottfried Anton, Juraprofessor in Gießen, auf Vultejus. Für ihn war Rudolf II. ein wahrer Monarch, der den Staat verkörperte und das Recht hatte, im Interesse des Gemeinwohls zu handeln, dabei gleichwohl dem Recht nicht unterstellt sei (legibus solutus). Im Verlauf der folgenden Debatte räumte Anton ein, dass der Monarch durch die grundlegenden Gesetze des Reichs (realm) gebunden sei, weil es sich dabei praktisch um Verträge handle. Dennoch ging er weiter davon aus, dass der Monarch von allen veröffentlichten Gesetzen befreit sei. Die Kontroverse wurde durch ein starkes lokales Konkurrenzverhalten noch angeheizt. Die Universität Gießen hatte ihren Status erst 1607 erhalten, nachdem lutherische Flüchtlinge aus Marburg 1605 das Gymnasium illustre gegründet hatten. Marburg wiederum war 1527 als erste neue lutherische Universität im Reich gegründet, aber 1605 von den Reformierten übernommen worden. 8 Ehemalige Marburger Professoren wie Anton waren nicht nur darauf bedacht, es ihren reformierten Nachfolgern zu zeigen, sondern wollten auch unbedingt ihre Treue zur Krone demonstrieren, um den Status ihrer neuen Institution zu erhalten. Jedoch hatte die Kontroverse auf dem Höhepunkt der verfassungspolitischen Krise im Reich, am Vorabend der Donauwörther Affäre, noch sehr viel umfassendere Implikationen. 9 Die von ihr angesprochenen Problembereiche – imperiale Rechtsprechung, monarchische Rechte, Souveränität, Völkerrecht, Staatsräson (ratio status) – bildeten den Kern dessen, was schon bald als Disziplin namens Rechtspolitik

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(als von den Disziplinen Recht und Politik gleichermaßen unterschieden) etabliert wurde. Trotz der konfessionellen Rivalität in der Kontroverse zwischen Marburg und Gießen entwickelte sich die neue Disziplin vor allem an den lutherischen Universitäten von Altdorf, Gießen, Jena und Straßburg. Bemerkenswerte Beiträge kamen auch von Nichtakademikern wie Tobias Paurmeister (* 1555, † 1616). Paurmeister war Kanzler von Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg und sein Werk De jurisdictione Imperii Romani libri duo (Zwei Bücher über die Rechtsprechung im [Heiligen] Römischen Reich) von 1608 war das erste bedeutende Werk über das Staatsrecht in Deutschland. Während der nächsten Jahrzehnte schlug das Thema einen ganz bestimmten Kurs ein. Die Mehrheit derer, die sich damit auseinandersetzten, neigte dazu, den Ständen eine Schlüsselrolle im Reich zuzuschreiben. Sie lehnten die Vier-Reiche-Lehre oder die translatio imperii in jeder Form ab und bestritten die Gültigkeit des römischen Rechts für das deutsche Reich des 17. Jahrhunderts. Vielmehr entwickelten sie Theorien der Souveränität, die die Qualität des politischen Gemeinwesens (maiestas realis) von der des Monarchen (maiestas personalis) unterschied. Der Monarch sei dabei (über das Ausmaß bestand keine Einigkeit) dem Gemeinwesen untergeordnet. Nur der Gießener Professor Dietrich Reinkingk bestand als traditioneller Loyalist darauf, das Reich als das letzte gemäß der Vier-Reiche-Lehre aus dem Buch Daniel zu begreifen. Doch sogar er lehrte, dass die unmittelbaren Untertanen des Monarchen (also die Fürsten) unter gewissen Umständen ein Widerstandsrecht besäßen, und er betonte, dass das Reich zwar eine Monarchie, in der Regierung aber aristokratisch sei. Die Mehrheit folgte jedoch Tobias Paurmeisters einflussreicher Formulierung von 1608, dass das gesamt Reichsrecht, Entscheidungen über Krieg und Frieden, Verträge, Besteuerung und andere Angelegenheiten des Staats gemeinsam (coniunctim) vom Monarchen und den Fürsten beschlossen worden seien. Der Monarch sei ein Fürst wie die anderen, ausgenommen seine Fähigkeit, Privilegien zu vergeben; er habe jedoch keine unabhängige legislative Macht. Diese Sichtweise betonte die wachsende Wahrnehmung der Differenz zwischen dem Recht des Reichs und dem römischen Recht. In den 1640er Jahren konnte Hermann Conring schließen, dass das Römische Recht für das deutsche politische Gemeinwesen völlig irrelevant sei, und er wies auch zum ersten Mal in eindeutiger Weise nach, dass das deutsche Reich in keiner Weise vom Römischen Reich hergeleitet werden könne. 10 Trotz dieser radikalen Folgerung waren weder Conring noch seine Vorgänger grundsätzlich gegen das Haus Habsburg oder seine Herrschaft in Deutschland eingestellt. War Reinkingk ein isolierter Loyalist, so war andererseits Bogislaw Philipp von Chemnitz (* 1605, † 1678) mit seiner heftigen Polemik gegen die tyrannischen Habsburger und die Kurfürsten ebenso isoliert. Für ihn gab es nur das souveräne Recht der Fürsten. 11 Aber die meisten seiner Zeitgenossen blieben den Habsbur-

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gern sogar während des Krieges treu. 12 Einige, wie Benedikt Carpzow, hoben ihre Verdienste als Kaiser während zweier Jahrhunderte hervor. Andere, so etwa Johannes Limnäus, erkannten an, dass sie als einziges Herrschaftshaus reich genug waren, um die Kosten würdevoller Repräsentation zu tragen, und mächtig genug, um das Reich gegen seine Feinde zu verteidigen. Die katholischen Universitäten beteiligten sich nicht an der Debatte. 13 Ihr Lehrplan wurde durch die jesuitische ratio studiorum von 1599 eingeschränkt. Die politischen Werke, die man dort studierte, waren großenteils Übersetzungen der Arbeiten zeitgenössischer italienischer Autoren, die sich kaum mit Jurisprudenz und überhaupt nicht mit dem ius publicum des Reichs befassten. Seriöse Vorlesungen über Politik gab es nur an den katholischen Universitäten von Köln und Mainz, wo der Jesuit Adam Contzen (* 1571, † 1635) in seinem Werk Politicorum libri decem (Zehn Bücher über den Staat) von 1620 die katholische Staatslehre darstellte. Contzen war vielleicht der vorrangige Exponent des Lipsianismus im katholischen Deutschland und nach seinen Jahren in Mainz (1609–1623) war er Beichtvater von Kurfürst Maximilian von Bayern. In dieser Rolle konnte er theologischen und priesterlichen Beistand leisten und Ratschläge zu fast jedem Aspekt territorialen Regierens geben. 14

Anmerkungen 1 Schulze, Deutsche Geschichte, 178–186; Schulze, »Konfessionsfundamentalismus«. 2 Gross, Empire, 99–100. 3 Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 140. Die Bedeutung der Quellen zu Lothar III. lag in der Implikation, der Kaiser sei der einzige Gesetzgeber und das Römische Recht gelte im Reich kraft eines kaiserlichen Dekrets ex plenitudine potestatis. Dies wurde als Fabel entlarvt, was bedeutete, dass es im Reich grundlegende Gesetze nichtrömischen Ursprungs gab, denen auch der Kaiser unterworfen war. Gross, Empire, 84–86, 211, 268–274; Whaley, »German nation«, 315–320. 4 Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 133. 5 Skinner, Foundations, Bd. II, 341–342, 350. 6 Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 111–112. 7 Gross, Empire, 137–138. 8 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. IV, 279–283. Faktisch war die erste protestantische Universität im schlesischen Liegnitz gegründet, bereits 1530 aber wieder geschlossen worden. 9 Vgl. S. 522–523. 10 Gross, Empire, 146–154, 255–286. 11 Schmidt, Vaterlandsliebe, 401–413. 12 Gross, Empire, 191, 207. 13 Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 122–124; Evans, »Culture«, 23–24; Seifert, »Bildungskanon«; Gross, Empire, 94–96. 14 Powell, Trammels, 25–28; Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 122–124; Killy, Lexikon, Bd. II, 457.

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ie frühen Staatsrechtstheorien waren insofern konfessionell, als sie von protestantischen Autoren überwiegend lutherischer Provenienz entwickelt wurden, wobei in Sachen Religion vielfach gemäßigte oder tolerante Anschauungen vorherrschten. So war zum Beispiel Limnäus ein frommer Lutheraner, lehnte aber den Einsatz von Gewalt zur Erzwingung einheitlicher Auffassungen ab und wandte sich gegen die Verfolgung der Reformierten, die in den Augsburger Friedensschluss von 1555 nicht einbezogen worden waren. Seine Haltung war als Ausdruck protestantischer Solidarität angesichts katholischer Bedrohung verständlich, spiegelte aber auch die umfassendere, oftmals irenische (das heißt auf interkonfessionelle Verständigung gerichtete) Perspektive, die die Entwicklung des Staatsrechts bestimmte. Deren grundlegendes Ziel bestand darin, für Einheit zu sorgen, genauer: eine verloren gegangene Einheit wiederherzustellen. Damit war nicht in erster Linie die religiöse Einheit gemeint, sondern der innere Zusammenhang des Reichs, dessen Traditionen und Gesetze die Autoren zusammenfassen und systematisieren wollten. Längerfristig aber konnte es auch um die religiöse Einheit gehen. Die Verbindungen zwischen den Theoretikern des Staatsrechts und den unterschiedlichen religiösen Strömungen der damaligen Epoche sind alles andere als klar. Religiöse Zugehörigkeit wurde häufig bekundet, um eine Anstellung zu finden, obwohl die tatsächlichen Anschauungen dem Bekenntnis keineswegs entsprechen mussten. 1 Die Netzwerke von Freunden und Gelehrten innerhalb konfessioneller Gruppen, wie auch diese übergreifend, sind wenig erforscht und äußerst schwierig zu rekonstruieren, und das gilt insbesondere für die Unterschiede zwischen Individuen, die formell der lutherischen oder der reformierten Kirche angehörten. So war zum Beispiel Johann Valentin Andreae ein Lutheraner, der aber zugleich enge Kontakte mit Reformierten unterhielt. Sein späterer Briefwechsel mit Comenius zeigt ihr gemeinsames Interesse an pansophischen Problemen und Comenius bezeichnet Andreae wiederholt als eine seiner wichtigsten Quellen. 2 Andreae hat sicher auch eine zentrale Rolle im Netzwerk der Rosenkreuzer gespielt. 3 Zwar gab es keine Bruderschaft als solche, aber die Manifeste der Rosenkreuzer – die Fama Fraternitatis von 1614, die Confessio Fraternitatis von 1615 und die Chymische Hochzeit des Christiani Rosencreutz Anno 1459 von 1616 – sowie damit verbundene Veröffentlichungen von Werken neuplatonischen, hermetischen und kabbalistischen Inhalts waren bei protestantischen Gelehrten im ganzen

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Reich äußerst beliebt. Andreae selbst stammte aus Tübingen und war Lutheraner, der zwischen 1607 und 1613 Straßburg, Heidelberg, Genf, Paris, Padua, Venedig und Rom besucht hatte. Andreae bestritt die Autorschaft der Fama und der Confessio, die wohl im Tübinger Kreis des Chiliasten, Okkultisten und Juraprofessors Tobias Hess (* 1558, † 1614) entstanden sind. Andreae betrachtete Hess als seinen Mentor. Immerhin räumte Andreae die Autorschaft an der Chymischen Hochzeit ein, dem wohl wichtigsten Manifest der Rosenkreuzer. Zweifellos hielten seine Zeitgenossen ihn für den Hauptvertreter, wenn nicht gar die treibende Kraft der Bewegung. Allerdings standen seine Ziele nicht in Verbindung mit der Politik der Pfalz. Hier kommt eher eine dritte Gestalt aus dem Tübinger Kreis ins Spiel: Christoph Besold war ab 1610 Professor für Staatsrecht und mit Andreae und Johannes Kepler befreundet. Er konnte sich aber nicht zwischen dem Luthertum und radikaleren Ansätzen entscheiden, weshalb er auf die Schriften der Kirchenväter zurückgriff und 1635 zum Katholizismus übertrat. Er erhielt dann eine Stelle als kaiserlicher Rat am Reichshofrat. 4 Später bezeichnete Andreae die Rosenkreuzer-Schriften als geistreiches Spiel, als jeu d’esprit, und distanzierte sich von der Vorstellung, es habe jemals eine Gesellschaft der Rosenkreuzer gegeben. Dennoch hatte die Fiktion einen ernsthaften Hintergrund. 5 Die Fama berichtete von einem armen deutschen Adligen namens Christian Rosencreutz, der angeblich 1378 geboren wurde. In einem Kloster wurde er in Latein und Griechisch unterrichtet und begleitete dann einen »Bruder« auf einer Pilgerreise nach Jerusalem. Er lernte Arabisch, Mathematik und Naturwissenschaft in Damaskus und wurde danach in Fez in die magischen Mysterien von Mikro- und Makrokosmos eingeweiht. Nun kehrte er nach Europa zurück, wo die Gelehrten jedoch seine Pläne zur Reform der universitären Studien mit Verachtung straften. Daraufhin zog er sich mit einer Handvoll Schüler zurück und die Gemeinschaft vergrub sich in die Geheimnisse der okkulten Philosophie, bevor sie sich in alle Winde zerstreute. Zwei Brüder blieben bei Rosencreutz bis zu seinem Tod im Alter von 106 Jahren anno 1484. Sein Grab sollte 120 Jahre lang verschlossen bleiben, wurde also 1604 von den Nachfolgern geöffnet, und sodann wollte die Bruderschaft neue Mitglieder rekrutieren, um die allgemeine Reformation divini et humani voranzutreiben. Die Bruderschaft erklärte ihre Treue zur evangelischen Religion, zum Heiligen Römischen Reich und zum Vierten Reich. Das war durchaus lutherisch, aber vom Hauptstrom der orthodoxen Lehre weit entfernt. 6 Mit der Darstellung von Christian Rosencreutz’ Leben und Lehren und den Aktivitäten seiner Bruderschaft wollte Andreae das Treiben der betrügerischen Alchemisten und Magier an den monarchischen und fürstlichen Höfen entlarven. Der wahrhaft Weise würde die Kluft zwischen Glauben und Wissen schließen, für Christus gegen den Papst kämpfen und dadurch jene allgemeine Reformation be-

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wirken, die zur spirituellen Wiedergeburt des Menschen und seiner mystischen Vereinigung mit Gott führe. Manche Gelehrten haben in Heidelberg ein Hauptzentrum der Ideale der Rosenkreuzer erblickt. Frances Yates meinte sogar, dass Andreaes Chymische Hochzeit durch die Heirat des jungen Kurfürsten mit der Tochter des englischen Königs Jakob I., Elizabeth, im Jahr 1613 inspiriert wurde. Die Idee eines Ordens der Rosenkreuzer stamme, so behauptete sie, von dem Eindruck, den die Zeremonien im Zusammenhang mit der Verleihung des Hosenbandordens an den Herzog von Württemberg 1603 auf Andreae gemacht hätten. 7 Sicher erhoffte man sich in der Pfalz politische Unterstützung durch Jakob I., befördert durch die Heirat des Kurfürsten mit Elizabeth. Kontakte mit England könnten dazu geführt haben, dass sich einige mit Vertretern der englischen okkulten Philosophie wie etwa John Dee und, wichtiger noch, dem Schrifttum des radikalen Protestantismus befassten. 8 Zudem gingen einige Mitglieder des magischalchemistischen Zirkels, der sich am Hof Rudolfs II. in Prag gebildet hatte, nach dem Tod des Kaisers zu Friedrich V. in die Pfalz. Der Ortswechsel gab der Beschäftigung mit den Arkanwissenschaften einen neuen, radikaleren Impetus. Er verband sich fortan mit den Vorstellungen der Reformierten von einer allgemeinen Reformation und mit den politischen Bestrebungen der Pfälzer Aktivisten, den böhmischen Thron für Friedrich zu sichern. Von Heidelberg breitete sich die Begeisterung für Theosophie und Pansophie sowie die neue politische Agenda nach Straßburg und östlich bis Schlesien aus, wo manche Intellektuellen sich schon als Avantgarde einer neuen Reformation unter Friedrichs Herrschaft in Böhmen sahen. Das Rosenkreuzertum war jedoch nicht auf Heidelberg beschränkt, hatte seinem Ursprung nach wohl nicht einmal viel mit der Pfalz und den politischen Ambitionen seiner Regenten und ihrer Berater zu tun. Andreae selbst jedenfalls hatte augenscheinlich keine Verbindung zu den pfälzischen Plänen. Als er nach 1617 realiter daranging, eine Gesellschaft zu gründen, suchte er die mäzenatische Unterstützung von August, dem zukünftigen Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel. 9 Es ging dabei im Wesentlichen um die Initiative für eine gemäßigte lokale religiöse Reform, nicht um den Versuch, die Welt neu zu erfinden. Verwirklicht wurde das Projekt jedoch nicht. Gerade als die Rosenkreuzer-Bewegung in den 1620er Jahren in ganz Europa Anhänger gewann, wandte Andreae sich von ihr ab. Seine Bedeutung liegt in den Idealen, in ihrer Anschlussfähigkeit an andere Interessen und Projekte sowie in seiner außerordentlichen Vielfalt von Kontakten, nicht aber in einem eigenen praktisch-politischen Projekt. Trotz aller Unterschiede bezogen sich die religiösen Vorstellungen von Gestalten wie Andreae, den Mystikern Valentin Weigel und Jakob Böhme sowie Johann Arndt, einem Pietisten avant la lettre, auf die nämlichen späthumanistischen Quel-

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len und auf die Ideale von Gelehrsamkeit und von der Besinnung auf authentische Texte. 10 Zugleich empfanden sie Unbehagen angesichts der konkurrierenden Ansprüche von Theologie und Philosophie. Sie suchten diese Ansprüche miteinander zu versöhnen, indem sie beide zu einer neuen Pansophie verbanden oder den Konflikt durch Erhebung zu einer neuen spirituellen Ebene überwanden. Das gilt auch für die Erziehungs- und Bildungspläne von Persönlichkeiten wie dem Lutheraner Wolfgang Ratke oder den Reformierten Johann Heinrich Alsted und Jan Comenius. Spürbar wird dabei überall das Bedürfnis, auf eine Epoche der Anarchie und des Niedergangs zu reagieren, ein einigendes Band zu finden, eine universalistische Vision und enzyklopädische Ambition zu verwirklichen. 11 Die religiösen und erzieherischen Reformpläne wurden selbst wiederum häufig mit einem weiteren Hauptthema der entsprechenden Autoren, nämlich dem Patriotismus, verbunden. So unterschiedliche Autoren wie Goldast und Ratke gehörten zu einer Gruppierung, die um 1600 eine Vielzahl bemerkenswerter Vorschläge zu einer Sprachreform unterbreiteten. Darin unterschieden sich die Deutschen nicht von anderen Ländern in Europa: Ähnliche Bewegungen gab es in England, Italien, Frankreich, den Niederlanden und Schweden. 12 Die Ausbildung und Pflege idiomatisch reiner Sprachformen verhinderte nicht notwendig die Fortsetzung der internationalen Kommunikation in lateinischer Sprache oder die Übernahme fremdsprachiger Modelle und Ausdrücke in Wissenschaft, Kunst, Rhetorik oder Dichtung. Die Debatte über eine Sprachreform wurde europaweit geführt und überall gab es Versuche, die Stilideale der antiken Rhetorik – puritas, perspicuitas, brevitas, ornatus (Genauigkeit, Klarheit, Kürze, Eleganz) – zum Maßstab für die jeweilige Landessprache zu machen. Der Wunsch nach einer Landessprache ohne Fremdzutaten (mittels Vermeidung von Wörtern ausländischen Ursprungs oder ihre Ersetzung durch deutsche Äquivalente) konnte natürlich eine politische Funktion haben und sich mit politischem Patriotismus verbinden. Viele derartige Vorschläge kamen aus protestantischen oder reformierten Umfeldern. Zentren waren die Pfalz und vor allem Schlesien. Die Pfalz mit ihrer Vorherrschaft der Reformierten war ein ideales Feld für humanistische Studien und ein Auffangbecken für politische Ideen und wissenschaftliche Methoden, die aus Frankreich und den Niederlanden bezogen wurden. Gleichermaßen wichtig war Schlesien, und zwar aus Gründen, die viel mit der Besonderheit des Territoriums selbst zu tun haben; dort fand man die politische und konfessionelle Vielschichtigkeit des Reichs gespiegelt. Ober- und Niederschlesien hatten ab dem 14. Jahrhundert zur böhmischen Krone gehört und umfassten eine Ansammlung von Fürstentümern, Grafschaften und sonstigen Herrschaftsgebieten, von denen einige unmittelbar, andere nur mittelbar der Krone unterstanden. 13 Immerhin war die königliche Macht dadurch abgeschwächt, dass sie von Böhmen aus ihren Weg finden musste. Zudem boten benachbarte deutsche Fürs-

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ten und die polnische Krone dem Widerstand einen gewissen Schutz. Deshalb war die Region zum Zufluchtsort für eine Vielzahl von Sekten und Außenseitergruppen geworden, die anderswo verfolgt wurden, wie etwa die Wiedertäufer und die Sozinianer. Im späten 16. Jahrhundert regierten reformierte Fürsten in Liegnitz, Brieg und Wohlau, während ihre Untertanen mehrheitlich lutherisch waren. In Schlesien insgesamt förderten die Habsburger die gegenreformatorischen Tendenzen, was beträchtliche Spannungen hervorrief, ohne die Probleme zu lösen. Somit erfasste die Krise in den Habsburger Landen auch Schlesien und viele schlesische Protestanten teilten die Hoffnung ihrer böhmischen Glaubensgenossen, dass Friedrich V. den böhmischen Thron besteigen würde. Schlesien besaß keine eigene Universität. Die Studenten wurden im Allgemeinen erst am Gymnasium von Danzig oder (ab 1601) dem von Beuthen ausgebildet; danach setzten sie ihre Studien im Reich oder im Ausland fort. Viele gingen nach Leiden, noch mehr aber nach Wittenberg oder an andere protestantische Universitäten in Deutschland. Und viele von denen, die in Leiden studierten, waren zu anderen Zeiten in Heidelberg oder Straßburg zu finden, wo sie Zirkeln angehörten, die sich um Persönlichkeiten wie Matthias Bernegger oder den pfälzischen Geheimrat Georg Michael Lingelsheim geschart hatten. Das bekannteste Beispiel ist Martin Opitz. 1597 wurde er in Bunzlau geboren; er studierte in Beuthen, wo er Protegé von Tobias Scultetus von Bregoschütz und Schwanensee war, dann in Frankfurt an der Oder. Sodann ging er nach Heidelberg, wo Lingelsheim ihn als Hauslehrer beschäftigte; auch besuchte er Bernegger in Straßburg. Als Heidelberg im Herbst 1620 von spanischen Truppen belagert wurde, reiste Opitz nach Leiden, wo er den Dichter und Gelehrten Daniel Heinsius besuchte. 1621 kehrte er nach Schlesien zurück. 14 Noch in Beuthen, im Jahr nach der Veröffentlichung des letzten der Rosenkreuzer-Manifeste, hatte er – auf Latein – einen Aufruf zur Förderung der deutschen Sprache geschrieben, in dem er Heinsius als beispielhaft für einen Dichter, der sich der Umgangssprache bediente, pries. Latein sei dagegen die Sprache des Katholizismus und der Unterdrückung Deutschlands. 15 1624 veröffentlichte er in Breslau sein Buch von der deutschen Poeterey, in dem er seine Gedanken über die Grundlinien einer neu zu schaffenden deutschen Dichtkunst darlegte. Die erste Sammlung seiner Gedichte wurde im selben Jahr in Straßburg von dem aus Heidelberg geflohenen Julius Wilhelm Zincgref, einem Doktor der Jurisprudenz, der auch in Philologie und Philosophie bewandert war, herausgegeben. 16 Das schlesische Beziehungsgefüge war kosmopolitisch, reformiert (oder sympathisierte zumindest mit der Sache der Reformierten) und eng mit Heidelberg und Straßburg verbunden. Die politische Situation ermöglichte es den protestantischen Humanisten, mit den aktivistischen Gruppen in Böhmen und im Reich sowie mit den calvinistischen Bewegungen Frankreichs und der Niederlande in Kontakt zu

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kommen. Die verbreitete Neigung, Protestantismus mit Freiheit gleichzusetzen, wurde durch die Parallele mit dem Kampf der Holländer gegen Habsburg verstärkt. Für Opitz war Heinsius deshalb so beispielhaft, weil er ein »nationaler« Dichter war. Opitz war in mancherlei Hinsicht ein typischer Vertreter des deutschen Späthumanismus, wobei seine ureigensten Interessen nur einen, allerdings zentralen Strang einer viel umfassenderen Bewegung repräsentierten. Natürlich wurden Themen des ursprünglichen deutschen Humanismus wiederaufgenommen: die Motive aus Tacitus’ Germania über die Frühgeschichte und Eigenarten der Deutschen, sowie das mutmaßliche Vermächtnis der alten germanischen Priesterdichter – der Druiden und Barden. Dazu kamen nun das Studium der deutschen Literatur des Mittelalters und eine intensivere Beschäftigung mit den Charakteristika der deutschen Sprache. Bei Autoren wie Goldast verband sich die Erforschung der mittelalterlichen Literatur mit dem Studium juristischer und verfassungsbezogener Texte. Dabei zog er Dokumente aus dem frühen und hohen Mittelalter, die konstitutiv für die diversen Theorien einer translatio imperii waren, ebenso zurate wie Texte, die das Wesen der gegenwärtigen Krise im Reich dokumentierten. 17 Goldast untersuchte als Erster die Heidelberger Manessische Liederhandschrift im Detail, wobei er insbesondere die emphatische Dichtersprache Walthers von der Vogelweide wie auch dessen Kritik an Papst und Kirche bewunderte. Die Manuskripte eröffneten Goldast eine vergangene Welt literarischer Errungenschaften in Deutschland. Die jetzigen Deutschen, Goldasts Zeitgenossen, mussten nicht befürchten, minderwertig oder rückwärtsgewandt zu sein: Ihr Kampf gegen Rom hatte schon lange vor der Reformation begonnen und für ihre Freiheit waren sie in ihrer ganzen Geschichte eingestanden. 18 In ihren Werken über Sprache und Grammatik bezogen sich die Gelehrten um 1600 zumeist auf die Fundamente, die Johannes Clajus in seiner 1578 erschienenen Schrift Grammatica Germanicae linguae gelegt hatte. Dieser Text war bemerkenswert, weil er zum einen die weit zurückreichende Geschichte des Deutschen betonte und zum anderen Luther als den zweiten Schöpfer der deutschen Sprache bezeichnete. 19 Allerdings gab es unter den protestantischen Autoren eine Vielzahl unterschiedlicher Einschätzungen. Lutheraner betonten gern den Status des Deutschen als einer heiligen Sprache und ihre »Wiederentdeckung« durch Luther als deutsches Schicksal. Dagegen hoben die Reformierten, nüchterner, eher das Potenzial der Umgangssprache zur Wiederherstellung von Einheit und Eintracht, bisweilen auch als Vorspiel für die Schaffung einer umfassenderen Eintracht unter den Sprechern all der verschiedenen Umgangssprachen, hervor. 20 Die Auseinandersetzung mit diesen neuen Themen erhielt häufig eine bestimmte politische Färbung. Wer eine Reform der deutschen Sprache förderte und

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ihre Verwendung als Einheitssprache im Reich forderte, lehnte das Latein als Universalsprache des Katholizismus und der Kaisertreuen ab. Die Erforschung der Ursprünge des Deutschen war zwar nicht neu, aber die Forderung, sie als Standardschriftsprache des deutschen Volkes zu verwenden. Die ersten Humanisten hatten um 1500 noch weitgehend lateinisch geschrieben und an eine translatio artium ebenso geglaubt wie an eine translatio imperii. Ihre Nachfolger gut ein Jahrhundert später waren von der Idee einer translatio imperii nicht mehr überzeugt und wollten sich auf Deutsch ebenso gut wie auf Latein ausdrücken können. Damit entsprachen sie den späthumanistischen Bestrebungen in anderen europäischen Ländern. Im Zusammenhang einer allgemeinen Hinwendung zur Umgangssprache sahen sich deutsche Schriftsteller vor die Aufgabe gestellt, die Genauigkeit wie auch die Würde ihrer Sprache zu beweisen. Opitz zum Beispiel wollte das Deutsche auf jenes Niveau heben, das schon vor langer Zeit von deutschen Autoren wie Celtis im Lateinischen erreicht worden war. Indes nur wenige wollten das Latein ganz aufgeben. Opitz schrieb auch weiterhin Gedichte, Epigramme und fast alle seine Briefe auf Latein. 21 Gelehrte wie Goldast, die viel zu der neuen Bewegung beitrugen, bedienten sich in ihren Schriften so gut wie gar nicht der Umgangssprache. Das deutsche Geistesleben blieb bis mindestens zum Ende des 17. Jahrhunderts zweisprachig und die Diskurse der Gelehrten waren auch weiterhin ausschließlich lateinisch. Opitz’ poetologische Ideale sollten für spätere Schriftsteller von enormer Bedeutung sein, doch zur Zeit ihrer Niederschrift war es wohl ihre politische Stoßrichtung, die Aufsehen erregte. Für das durch die Förderung des Deutschen angestrebte Hauptziel – die Herausbildung einer effektiveren Regierungs- und Verwaltungssprache – hatte die literarische Produktion nur Hilfsfunktion. Dieses Hauptziel hatten Wolfgang Ratkes Vorschläge von 1612 im Auge. Er forderte, dass Alt und Jung lernen sollten, mit Gott zu sprechen, indem sie die Bibel auf Hebräisch, Griechisch und Lateinisch lasen. Deutsch aber sollte als Bildungssprache an die Stelle des Lateinischen und neben Französisch und Italienisch als Sprache von Politik und Verwaltung treten. Für das Reich insgesamt sollte es eine einheitliche Sprache, Regierung und schließlich auch Religion geben. 22 Wahrscheinlich wurden Ratkes Ideen dem Reichstag gar nicht vorgetragen, aber sie fanden bei Christoph Helwig und Joachim Jungius, die mit ihm eine Zeit lang zusammenarbeiteten, begeisterte Aufnahme. 23 Auch die Pfalz, Hessen und Weimar zeigten sich interessiert, bevor Ratke von Ludwig von Anhalt-Köthen aufgenommen wurde.Versuche einer Schulreform dort scheiterten am Widerstand des Klerus, doch waren Ratkes Ideen von Einfluss auf die Gründung der Fruchtbringenden Gesellschaft 1617 in Weimar, für die Ratkes Mentor Ludwig sich entscheidend eingesetzt hatte. 24

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Erst viel später verpassten deutsche Literaturhistoriker dieser Gesellschaft und ihren Nachahmerinnen das – abwertend gemeinte – Etikett »Sprachgesellschaft«. Sie konzentrierten sich dabei auf die Folge dieser Gesellschaften, die mit der Fruchtbringenden Gesellschaft begann. 1633 wurde die (kurzlebige) Straßburger Tannengesellschaft gegründet, 1642–1643 die Deutschgesinnte Genossenschaft in Hamburg, 1644 der Nürnberger Pegnesische Blumenorden, 1658 der Hamburger Elbschwanenorden. Doch wirklich bedeutend war nur die Weimarer Gesellschaft, die mit einer Gesamtzahl von 890 Mitgliedern mehr als 60 Jahre lang bestand und die Gründung der anderen inspirierte. 25 Die Gesellschaften sind oftmals als Symptome nationaler Schwäche gesehen worden: Ihre Beschäftigung mit Sprache und der Wiederentdeckung einer heroischen Vergangenheit galt als Frühphase der Entwicklung einer Kulturnation als Ersatz für eine politische Nation. Damit aber werden die Unterschiede zwischen der ersten Gesellschaft und ihren Nachfolgerinnen wie auch der ideologische Kontext der Gesellschaft verkannt. Zudem übersehen traditionelle Interpretationen im Allgemeinen, dass die Beschäftigung mit Sprache anfänglich nur in zweiter Linie literarisch motiviert war. Tatsächlich bestand das Führungspersonal der Bewegung vor allem aus Geistlichen, Kanzleibeamten, Juristen und Gelehrten. 26 Mitglieder des Hauses Anhalt und des herzoglichen Sachsens gründeten die Fruchtbringende Gesellschaft, die so viel den politisch-konfessionellen Ambitionen des Fürsten Ludwig von Anhalt-Köthen verdankte. Der Fürst, ein Verwandter Christians von Anhalt, war ihr Initiator und von 1628 bis 1650 ihr Oberhaupt. Ihre Mitglieder waren überwiegend Aristokraten und es gab darunter nur wenige, die sich als Schriftsteller bezeichnen ließen; Martin Opitz, der 1629 als zweihundertstes Mitglied beitrat, war vielleicht der erste, damals aber schon Hofrat und geadelt. 27 Die Gesellschaft orientierte sich am Vorbild der Academia della Crusca in Florenz und ihr Hauptziel bestand darin, eine praktikable Sprache für Regierung und Verwaltung zu schaffen. Der umfassendere Zweck berief sich auf die Überzeugung, dass die Verbesserung der Sprache der erste Schritt zur Verbesserung des Verhaltens sei; insofern wäre »Vereinigung zur Förderung der Tugend« ein besserer Ausdruck als »Sprachgesellschaft«, denn Sprache galt als Grundlage von Tugend und moralischem Verhalten. In dieser Hinsicht hat die Gesellschaft viel mit anderen adligen Vereinigungen der damaligen Zeit gemein, wie etwa mit La noble Académie des Loyales, auch bekannt als L’Ordre de la Palme d’Or (Goldpalmenorden), gegründet 1617 in Amberg von der Frau Christans von Anhalt. Satzungsgemäß diente die Gesellschaft der Förderung von Fremdsprachen, zielte aber auch auf die Verbesserung adliger Tugenden bei ihrer ausschließlich weiblichen aristokratischen Mitgliederschaft. 28 Ferner gab es noch die Tugendliche Gesellschaft, die 1619 von Ludwigs Frau, Amoena Amalia von Anhalt-Köthen, und seiner Schwester, Anna Sophia von

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Schwarzburg-Rudolstadt, gegründet wurde. 29 Wie die Fruchtbringende Gesellschaft umfasste diese Vereinigung reformierte wie lutherische Mitglieder und die Tugendliche Gesellschaft, die bis zu Anna Sophias Tod 1652 existierte, verband ein Interesse an Sprache und Übersetzung mit dem Wunsch, eine »tugendhafte deutsche Nation« hervorzubringen. Das entsprechende Programm war direkt von Wolfgang Ratke inspiriert. Es könnte auch sein, dass Mitglieder der Fruchtbringenden wie auch der Tugendlichen Gesellschaft die Bildung der L’Académie des vrais amants initiierten, einer Gruppe von Personen, die sich für Honoré d’Urfés 1607–1627 veröffentlichten Schäferroman L’Astrée begeisterten und sich als »une réunion pastorale« (eine Schäfergesellschaft) bezeichneten. 30 Auch dies spricht dafür, dass die Fruchtbringende Gesellschaft keinen aus Enttäuschung geborenen kulturellen Nationalismus vertrat, sondern eine funktionale Rolle erfüllte. Jede dieser Gruppen repräsentierte unterschiedliche Facetten ein und desselben Phänomens: der Wiedergeburt des Adels um 1600 als einer kulturell versierten und gebildeten Kaste. Vereinigungen zur Förderung der französischen Kultur verbanden den Späthumanismus und ein literarisch-linguistisches Expertentum mit den ritterlichen Traditionen der deutschen höfischen Kultur. Zugleich hatte die Förderung der deutschen Sprache einen praktischen Bezug zu Regierungs- und Verwaltungstätigkeiten und diente einem politisch-konstitutionellen Zweck. 1619 kam es zum Bruch zwischen Ludwig von Anhalt-Köthen und dem ewig undankbaren Wolfgang Ratke, doch blieb Ludwig den Idealen, die sie vormals diskutiert hatten, treu. Er sorgte dafür, dass die Fruchtbringende Gesellschaft weiterhin für Lutheraner und Reformierte gleichermaßen offenblieb, was ja auch den jeweiligen Tendenzen der beiden Herrschaftshäuser – Anhalt und das herzogliche Sachsen – entsprach. Katholiken waren nicht explizit ausgeschlossen, doch vor 1652 wurde nur ein einziger als Mitglied zugelassen. 31 Allerdings sträubte sich Ludwig, obwohl selbst Anhänger des reformierten Glaubens, heftig gegen die Nominierung eines »rechten, redlichen, frommen, aufrichtigen, ehrliuchen klugen Calvinisten« durch Christian II. von Anhalt (1630–1656) und wandte ein, dass bislang niemand als Calvinist zugelassen worden sei noch es jemals werde, wenn er diesen der Unruhestiftung verdächtigen Titel trage. Die Gesellschaft, bekräftigte Ludwig, habe immer nur gute Christen akzeptiert. »Teutsche Aufrichtigkeit und Frömmigkeit« seien wichtiger als konfessionelle Kriterien. Im Interesse der Eintracht wurden Geistliche aller Konfessionen gar nicht erst zugelassen; eine Ausnahme gab es, nach einigem Zögern, für Johann Valentin Andreae. Die Gesellschaft war egalitär strukturiert, auch wenn die Mitglieder überwiegend dem Adel angehörten und Ludwig scharf reagierte, als Philipp von Zesen (* 1619, † 1689) Anspruch auf den Titel eines Fürsten der poetischen Künste erhob. 32 Die Fruchtbringende Gesellschaft spiegelte die soziale Wirklichkeit der Höfe

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und Regierungen, von denen sie ins Leben gerufen worden war, und verkörperte die patriotisch-religiösen Reformideale für das Reich, die ihre Gründer durch sie voranbringen wollten. Die späteren Gesellschaften hatten einen anderen Charakter. Ihre Mitglieder waren vorwiegend nichtadlig und pflegten zwar die patriotische Rhetorik der Fruchtbringenden Gesellschaft, spielten aber eine eher »provinzielle« Rolle in urbanen »Vaterländern« statt im Reich als Ganzem. Hat die Fruchtbringende Gesellschaft aber auch etwas erreicht? Leibniz kommentierte später, dass die »Fruchtbringer« wohl kaum Früchte getragen hätten. Gezierte literarische Übungen seien sinnlos, »so lange wir nicht unser Sprache in den Wißenschaften und Haupt-materien selbst üben.« 33 Das Deutsche würde erst dann ernst genommen, wenn es bei allen wichtigen Angelegenheiten benutzt werde. Leibniz’ Kommentare sind ein Echo der frühen Kritik aus den 1640er Jahren, als man die Sprachpuristen als lautstarke Gegner ausländischer (alamode) Einflüsse karikierte und ihnen vorwarf, sie würden nichts für das von ihnen so häufig in Klageliedern besungene deutsche Vaterland tun. 34 Ein Treffen (von elf Mitgliedern im Jahr 1624) war der Diskussion darüber gewidmet, wie man das Wort Materie am besten ins Deutsche übersetze – die Antwort war Zeug. Auf anderen Treffen erörterten die Mitglieder endlose Listen deutscher Äquivalente für Fremd- und Lehnwörter, vorgeschlagen von Philipp von Zesen (so etwa Jungfernzwinger für Nonnenkloster, Tageleuchter für Fenster oder Zeugemutter für Natur). 35 Diese offensichtlich pedantischen Beschäftigungen waren Wasser auf die Mühlen späterer Kritiker der Sprachgesellschaften. Doch reflektieren solche negativen Bewertungen die Perspektiven und Erfahrungen späterer Generationen, denen Zesens Aktivitäten als exzentrisch und amateurhaft erscheinen mussten. In den 1660er Jahren waren Grammatik und Literaturgeschichte seriöse Disziplinen geworden und zu dieser Zeit (1663) erschien auch das grammatische Hauptwerk von Johann Georg Schottelius (* 1612, † 1676). Spätere Gesellschaften und Reformvorschläge nahmen im Zusammenhang mit den zum Westfälischen Frieden führenden Ereignissen und den diversen Plänen für die Erneuerung des Reichs danach unterschiedliche Bedeutungen an. 36 Allerdings waren die Initiativen der Jahrzehnte nach 1600 auf unterschiedliche Weise hochbedeutsam. Sie förderten tatsächlich das Deutsche und sorgten für eine Verbindung zwischen Umgangssprache und Reich. 1646 bereits war das in deutscher Sprache erhältliche Schrifttum so umfangreich, dass Georg Philipp Harsdörffer einen Führer durch die zeitgenössische Literatur kompilierte. Bezeichnenderweise zählt zu denen als Meister der Sprachbeherrschung genannten Vorbildern nicht nur Luther (»der deutsche Cicero«), sondern auch der Historiker Johannes Aventin, Melchior Goldast, Christoph Lehmann (* 1570, † 1638, Chronist von Speyer und Sprichwortsammler), Friedrich Hortleder und die gesammelten

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»Reichsabschiede«, die die »Reinlichkeit unserer Sprache« zeigen, so wie Justinians Corpus Juris im reinsten Latein verfasst ist. 37 In diesen Studien und Forschungen zur deutschen Sprache und zu mittelalterlichen Texten konkretisiert sich die neue Sichtweise, in der das Reich nun nicht mehr als Fortsetzung des Römischen Reichs erscheint, sondern eine auf deutschsprachigen Texten beruhende diskursive Realität erhält. In seiner einflussreichen Abhandlung über Staatsrecht schrieb Johannes Limnäus (* 1592, † 1663) im Jahr 1629, als er Hofmeister beim Kanzler von Brandenburg-Kulmbach war, dass jeder, der wirklich das Reich, seine Stände und deren Untertanen kennenlernen wolle, Bartolus und Baldus beiseitelegen und sich stattdessen den Reichsabschieden, der Goldenen Bulle, den Urteilen des Reichskammergerichts und den »durch den Fleiß Goldasts gesammelten Werken«, zuwenden solle. 38 Allgemeiner gesprochen, nahmen die Reformer des frühen 17. Jahrhunderts die im Jahrhundert zuvor entwickelte Sprache des Patriotismus auf und erweiterten sie. Das Spektrum reichte von einem Grundvorrat an Bildern und Parolen aus der Epoche um 1500 bis zum Vokabular der Freiheit, das die Reichsstände im langen Kampf um ihre Religionsfreiheit entwickelt hatten. Angereichert wurde es von der patriotischen Rhetorik der Debatten über die Verteidigung des Reichs gegen die Franzosen oder die Türken. Um 1600 war der Terminus deutsche Nation, zumeist ergänzt durch Adjektive wie geschätzt, lieb oder geliebt, in protestantischen Schriften über das Reich zum Allgemeinplatz geworden. 39 Dieser patriotische Diskurs bekam nun durch die Forschungen der Späthumanisten wie auch durch seine argumentative Verwendung in Debatten über die aktuelle verfassungspolitische Krise des Reichs neue Nahrung. Es ist jedoch von Belang, dass es sich hierbei im Wesentlichen um einen protestantischen Diskurs handelt. Die katholischen Autoren ignorierten die linguistischen, grammatischen und dichtungstheoretischen Erwägungen von Opitz und seinen Zeitgenossen weitgehend. Zwar schrieb der Jesuit Friedrich von Spee sogar noch vor Opitz Gedichte in der Umgangssprache, damit »Gott auch in deutscher Sprach seine Poeten hätte«. Aber seine Verse wurden erst 14 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht. 40 Der Hauptstrom der katholischen Literatur teilte sich nach wie vor in zwei Richtungen: Da waren zum einen die in höchst elegantem Latein verfassten Werke und zum anderen die in Dialekt gehaltenen Arbeiten für den populären Gebrauch. Und während katholische Drucker zwischen 1550 und 1600 häufig Luthers Orthografie übernommen hatten, neigten sie nach 1600, oft auf Anweisung der Regierung, zur Rückkehr zu den alten »katholischen« Konventionen. 41 Die Differenzen waren nicht groß und legten dem Verständnis keine Steine in den Weg, doch beharrten viele kaisertreue Katholiken darauf, so wie sie auch an der Vorstellung festhielten, Latein sei die besondere Sprache des Reichs und das Reich ein heiliges und allumfassendes Imperium, der direkte Nachfolger des Römischen Reichs.

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Die Kluft zwischen Katholiken und Protestanten am Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs war zweifellos sehr tief, schien, gemessen an den Polemiken von Geistlichen aller Couleur, unüberbrückbar, das Präludium für einen Kampf bis zum bitteren Ende. Aber das neue Denken über das Reich schuf auch die Grundlage für mögliche Gemeinsamkeiten. Charakteristischerweise waren die meisten protestantischen Späthumanisten und Publizisten eher antijesuitisch als antimonarchisch eingestellt. Goldast war ein glühender Protestant, aber das hinderte ihn nicht daran, ein Werk über die Gesetze und Privilegien im böhmischen Königreich, insbesondere über die Erbfolge der Habsburger dortselbst, zu schreiben. Auch akzeptierte er 1627 den Titel eines Geheimrats. 42 Martin Opitz war bekennender Protestant, was ihn nicht davon abhielt, 1626 in den Dienst von Karl Hannibal I. von Dohna zu treten, des stockkatholischen Präsidenten der kaiserlichen Kammer in Schlesien. Ebenso wehrte er sich nicht dagegen, 1627 von Ferdinand II. in den Adelsstand erhoben zu werden und der katholischen Sache bis 1633 zu dienen. 43 Während all dieser Drehungen und Windungen jedoch blieb er den in seiner Jugend gefassten Ideen einer Sprachreform treu. Ein anderes Beispiel ist Opitz’ früherer Patron Caspar Dornau, der, durchaus typisch für viele der älteren schlesischen Späthumanisten, der Krone treu blieb, bis ihn die brutale Hinrichtung der Führer des Prager Aufstands (am 21. Juni 1621) seiner Illusionen beraubte. 44 Natürlich geht es dabei auch um Opportunismus. Jedoch waren viele in religiösen Dingen so grundlegend versöhnlich eingestellt, dass sie zwischen jesuitischen Machenschaften und monarchischer Politik, zwischen tyrannischem Machtmissbrauch und rechtmäßiger monarchischer Herrschaftsausübung eine deutliche Scheidelinie zogen. Antikaiserlich waren sie, insofern sie das Latein als universale Sprache des Reichs ablehnten, aber sie befürworteten eine deutsche Monarchie, die den grundlegenden Gesetzen des Gemeinwesens untergeordnet war. 45 So erklärt sich Ludwig von Anhalt-Köthens scharfe Reaktion auf den »gottesfürchtigen Calvinisten«, denn Ludwig wollte unbedingt alles vermeiden, was nach Rebellion gegen die rechtlichen Grundlagen des Reichs roch. Die Reformierten konnten immerhin noch gerade eben, jedenfalls ihren eigenen Argumenten zufolge, mit dem Augsburger Bekenntnis in Einklang gebracht werden. Der Pfälzer Christian von Anhalt scheint unter den fünf Brüdern neben ihm die Ausnahme gewesen zu sein. Einer seiner Brüder, August, ab 1621 Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft, schrak jedenfalls, trotz eines großen Interesses an chemischen und alchemistischen Untersuchungen nebst der damit zusammenhängenden Philosophie, genau wie Ludwig vor radikalen Visionen zurück. 1612 hatte ein Tiroler Adept versucht, August als den »Löwen von Mitternacht« zu identifizieren, der, gemäß einem ab 1600 zirkulierenden pseudoparacelsischem Manuskript, den (Habsburger) Adler vernichten und eine Ära des Friedens, der Ruhe und Einigkeit im Reich einleiten

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sollte. August aber lehnte diese Rolle ohne zu zögern ab: »Wenn ich der Löwe sein soll, so würde die liebe posterität übel versorgt sein, weil ohne blutt und Tod kan kein generalis Reformatio angehen noch vollendet warden.« 46 Nichts kennzeichnet die ambivalente Kombination von Loyalismus und Widerstand gegen eine als Tyrannei wahrgenommene Herrschaft besser als die Gründung eines Teutschen Friedbunds im Oktober 1622. Ins Leben gerufen hatte ihn Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar (* 1598, † 1662), einer der Gründer der Fruchtbringenden Gesellschaft, später der Nachfolger von Ludwig von Anhalt-Köthen als ihr Oberhaupt. 47 Sein Erzieher war Friedrich Hortleder, der ihm die schweren Strafen, die seinen ernestinischen Vorfahren nach dem Ausgangs des Schmalkaldischen Kriegs von den Habsburgern auferlegt worden waren, deutlich vor Augen geführt hatte. Im November 1619 schloss Wilhelm sich der Protestantischen Union an. Nach dem böhmischen Desaster wollte er angesichts der Bedrohung, die von den spanischen Truppen und der Katholischen Liga ausging, um Unterstützung für den protestantischen Widerstand werben. Sein Appell lautete, das »liebe vatterland Teutscher Nation« gegen »der Spanier List, Betrug und Tyranneu« zu verteidigen. Der Friedbund wollte einen allgemeinen und dauerhaften Frieden, Glaubensfreiheit für alle guten Christen (Fürsten wie Untertanen), eine gute Regierung im Reich, gerechte Gerichte und schnelle Rechtsprechung sowie Ehrlichkeit und Wohlstand in ganz Deutschland fördern. Der Krieg in Böhmen sollte beendet werden und jede Seite das von ihr Genommene zurückgeben. Fürsten und Stände sollten sich unter Seiner Kaiserlichen Majestät Ferdinand II. versammeln, um über die Wiederherstellung von Frieden und Wohlstand zu beratschlagen. Der Kaiser war als Souverän anzuerkennen, sollte aber verpflichtet sein, den Bedingungen der Wahlkapitulation zu folgen und seine Verbindungen zu den Spaniern und Jesuiten zu kappen. Der Friedbund scheiterte und im Oktober 1623 wurde Herzog Wilhelm gefangen genommen. Erst im Februar 1625 kehrte er von Wien nach Weimar zurück. In letzter Hinsicht fehlte dem Friedbund ohne die Unterstützung durch den Kurfürsten von Sachsen die Glaubwürdigkeit. Aber Wilhelm handelte aus Unmut gegen den Kurfürsten, zum einen aufgrund seiner Passivität und zum anderen, weil er das Oberhaupt der albertinischen Linie war, die den von den Ernestinern verwirkten Kurfürstentitel bekommen hatte. Aber Wilhelm bestritt, ein Rebell zu sein; er habe nur, erklärte er dem Kaiser, einen loyalen Bund gründen wollen. 48 Sein Unternehmen war zwar zum Scheitern verurteilt, aber dennoch von Bedeutung, denn sein Appell skizzierte all jene Grundsätze, die später im Westfälischen Frieden Berücksichtigung finden sollten. Sie waren der erste Versuch, die Ideale der Fruchtbringenden Gesellschaft in die politische Wirklichkeit zu übertragen. Sie illustrieren das verfassungspolitische Programm, das vom Späthumanismus und der frühen Sprachreformbewegung befördert werden sollte. Dieses Programm bildete den Kern des langen Konflikts, der 1618 begann.

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Anmerkungen 1 Kordes, Ratke, 41. 2 Wollgast, Philosophie, 276–279. 3 Zum Folgenden vgl. Hardtwig, Genossenschaft, 159–175; Wollgast, Philosophie, 263–345; Killy, Lexikon, I, 171 f.; Gilly, Rosenkreuzer. 4 Brecht, »Besold«; Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 121–122; Gross, Empire, 357–359; ADB, Bd. II, 556–558. 5 Wollgast, Philosophie, 305–306. 6 Montgomery zeichnet in Cross and crucible (bes. 113–122) Andreae als einen orthodoxen Lutheraner, was aber nicht erklärt, warum Andreae wegen seiner Ansichten so häufig in Schwierigkeiten geriet oder viele Kontakte zu zahlreichen Persönlichkeiten nichtorthodoxer Richtungen und des reformierten Glaubens unterhielt. 7 Yates, Rosicrucian enlightenment, 59–69, 70–102; vgl. auch Béhar, »Opitz«. 8 Evans, »Culture«, 23. 9 Hardtwig, Genossenschaft, Bd. I, 173–175. 10 Die Verbindung zwischen religiöser Reform, Rosenkreuzertum und Vorschlägen zur Reform von Sprache und Literatur findet sich bei Béhar, »Opitz«. 11 Hardtwig, Genossenschaft, Bd. I, 159–175; Evans, »Culture«, 21–23. 12 Polenz, Sprachgeschichte, Bd. II, 108; Jones, Sprachhelden, 3. 13 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 102–138; Weber, Schlesien, 7–41; Eickels, Schlesien, 8–52; Bahlcke, Regionalismus, 39–47, 343–360. 14 ADB, Bd. XXIV, 370–372; Killy, Lexikon, Bd. VIII, 504–505; Wollgast, Philosophie, 806– 826; Kühlmann, Opitz, 18–37. 15 Béhar, »Opitz«, 47. 16 DBE, Bd. X, 673; vgl. auch Béhar, »Opitz«. 17 Mulsow, »Gelehrte Praktiken«; Whaley, »German nation«, 315–320. 18 Weber, »Goldast«; Baade, Goldast, 19–20, 161–162. 19 Engels, Sprachgesellschaften, 33–54; Wells, German, 220–221. 20 Borst gibt in Turmbau, Bd. III., Teil 1, 1342–1376, eine ausgezeichnete Darstellung der deutschen Sichtweisen, deren Vielfalt größer als in anderen europäischen Ländern zur damaligen Zeit war. 21 Forster, »Barockliteratur«, 70–71. 22 Polenz, Sprachgeschichte, Bd. II, 110; Kordes, Ratke, 39–40. 23 Helwig und Jungius scheinen jedoch eher ein pragmatisches und ökonomisches Interesse an der Förderung des Deutschen gehabt zu haben; ihr Bruch mit Ratke 1615 war Ausdruck ihrer wachsenden Besorgnis über Ratkes immer heftigere Ablehnung von Autorität jeglicher Art. Wollgast, Philosophie, 423–425. 24 Kühlmann, »Sprachgesellschaften«, 256–257. 25 Der Pegnesische Blumenorden überdauerte alle und existiert auch heute noch. Allerdings wurde er nach 1700 zu einer literarischen Gesellschaft ohne die umfassenderen nationalen Dimensionen seiner anfänglichen Entwicklung. Fundierte Übersichten bieten Otto, Sprachgesellschaften, und Stoll, Sprachgesellschaften. Polenz, Sprachgeschichte, Bd. II, 107–124, stellt die linguistischen und einige politische Aspekte zusammenfassend dar. Immer noch nützlich ist das 1888 erschienene Werk von Schultz, Bestrebungen. 26 Jones, Sprachhelden, 5. 27 Forster, »Barockliteratur, 76.

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28 Die Gesellschaft hatte zwanzig Mitglieder: zehn Fürstinnen, sieben Gräfinnen und drei Edelfräulein. Wells, German, 267; Schultz, Bestrebungen, 19. 29 Berns, »Sozietätsbewegung«, 62; Westphal, »Frauen«, 378–383; Conersmann, »Tugendliche Gesellschaft«. 30 Schultz, Bestrebungen, 19–21; Conersmann, »Tugendliche Gesellschaft«, 589. 31 Hardtwig, Genossenschaft, 210. 32 Hardtwig, Genossenschaft, 207–224. 33 Kühlmann, »Sprachgesellschaften«, 258. 34 Schultz, Bestrebungen, 105–112; Jones, Sprachhelden, 8–9. 35 Zum Treffen von 1624 vgl. Otto, Sprachgesellschaften, 28. Sprachpurismus und Zesens Aktivitäten werden von Wells, German, 285–297, und Polenz, Sprachgeschichte, Bd. II, 107–123, diskutiert. 36 Vgl. Band II, S. 101–116. 37 Forster, »Harsdörffer’s canon«, 37–39; vgl. auch Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 132– 133, 152–153. 38 Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 152; zu Limnäus vgl. Gross, Empire, 204–225. 39 Noël, »Nation allemande«, 333–334. 40 Borst, Turmbau, Bd. III.1, 1348; Emrich, Literatur, 99–106. 41 Breuer, Oberdeutsche Literatur, 44–91; Breuer, »Nationalliteratur«, 706–711. Der Hauptunterschied lag darin, dass die katholischen Drucker Luthers Übernahme des Meißener Dialekts ablehnten und den Gewohnheiten oberdeutscher Sprachmuster (Synkopierung) und dem oberdeutschen Kanzleistil (Apokopierung) treu blieben. Die orthografischen Differenzen dauerten bis kurz nach 1750 an, als es eine erneute konfessionelle Auseinandersetzung über die »Zurückgebliebenheit« des katholischen Deutschlands gab. 42 Baade, Goldast, 43–44. 43 Killy, Lexikon, Bd.VIII, 505; Kühlmann, Opitz, 61–64. 44 Seidel, Späthumanismus, 386–393. 45 Polenz, Sprachgeschichte, 109, neigt, wie viele andere, zur Überbetonung der antikaiserlichen Dimension, ohne ihre loyalen Korollarien zu erkennen. 46 Gilly, »Löwe«, 253; ADB, Bd. I, 658–659. 47 Menzel, »Union«; Schmidt, »Teutsche Kriege«, 44–45. Wilhelm war der fünfte von zehn überlebenden Söhnen von Herzog Johann von Sachsen-Weimar und dessen Frau Dorothea Maria von Anhalt. Er dürfte sich im Klaren darüber gewesen sein, wie bescheiden seine Aussichten waren, verglichen mit der Macht und dem Renommee der Kurfürsten Christian II. (1591–1611) und Johann Georg I. (1611–1656), die vor seiner Volljährigkeit seine Vormunde waren. Sein frühes politisches Engagement zeigt das Streben nach einer politischen Rolle im Reich, die sein Erbe ihm nicht hat vermitteln können. Vgl. ADB, Bd. XLIII, 180–195. 48 Menzel, »Union«, 59.

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VI. Die deutschen Territorien und Städte nach 1555

39. Probleme der Interpretation

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arkierte der Augsburger Friedensschluss von 1555 einen Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Territorien? Viele deutsche Historiker sind Heinrich von Treitschke gefolgt, der keinen Zweifel daran ließ, dass die in seinen Augen trostlose Wendung der Dinge, die Folgen für die weitere deutsche Geschichte haben sollte, vor allem den Landesfürsten anzulasten sei. Seine Verachtung für eine Generation von »lutherischen Sauf- und Betefürsten« bestimmte lange Zeit den Tenor der Schriften über die deutschen Territorien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Da sie ausschließlich auf Jagd und Wohlleben bedacht waren, bestand, so Treitschke, ihr einziger – allerdings tragischer – Beitrag zur Entwicklung der deutschen Gesellschaft darin, dass sie durch die Unterdrückung und exzessive Besteuerung ihrer unglücklichen Untertanen dem Absolutismus Vorschub leisteten. 1 Diese Sichtweise ist längst schon revidiert worden, aber Elemente der alten Meistererzählung haben sich als erstaunlich widerstandsfähig erwiesen. Bernd Moellers einflussreicher Überblick über die Epoche konstatierte, dass 1555 das Zeitalter großer Persönlichkeiten zu Ende gegangen sei – Luther, Melanchthon, Kaiser Karl V., Moritz von Sachsen, Philipp von Hessen und der Augsburger Finanzier, Kaufmann und Patron Anton Fugger. Danach kamen, so Moeller, weniger bedeutende Personen – weniger einfallsreich, weniger unternehmungslustig, schließlich weniger international in ihrer Bedeutung. Die Epigonen der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, waren, meint er, engstirnig und religiös verblendet; in ihren Händen wurde die deutsche Gesellschaft hoffnungslos provinziell. 2 Neuere Interpretationen sehen die Sache nicht so düster.Vor allem wurde untersucht, welchen Beitrag die deutschen Regenten in dieser Epoche zu einem längerfristigen Prozess von Modernisierung, Staatsentwicklung und soziokultureller Veränderung geleistet haben. Einerseits rückte dabei der von Gerhard Oestreich in den 1960er Jahren geprägte Begriff der »Sozialdisziplinierung« in den Vordergrund, mit dessen Hilfe man analysieren konnte, inwieweit die Durchsetzung religiöser Orthodoxie und kirchlicher Disziplin im 17. Jahrhundert zur Herausbildung von »Absolutismus« beitrug. Andererseits wurde Ernst Walter Zeedens Einsicht in die strukturelle Ähnlichkeit der Methoden, mit denen die Kirchen der Lutheraner, Calvinisten und Katholiken Glaubenssysteme definierten und institutionelle Rahmenbedingungen zur Verbindung von Kirche und Staat schufen, weiter ausgearbeitet. Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard haben beide Ansätze zu zwei ein-

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VI. · Die deutschen Territorien und Städte nach 1555

flussreichen Paradigmen kombiniert: Konfessionalisierung und (wie sie es nennen) territoriale Staatsbildung. 3 Für Schilling war der Konfessionalisierungsprozess eine entscheidende Triebkraft bei der Entstehung des frühmodernen Staats. Die Ausweitung seiner Kontrolle auf die Kirche vergrößerte die Reichweite seiner Befugnisse durch den Zugriff auf die Armenhilfe, die Bildung und, mittels der Regelung von Heirat und Familienleben, das alltägliche Privatleben der Untertanen. Während die Ausweitung staatlicher Autorität schnell die Opposition der Stände oder der (insbesondere städtischen) Kommunen hervorrufen konnte, ging, Schilling zufolge, die vorherrschende Tendenz in den relativ kleinen politischen Gemeinwesen des Reichs dahin, die Macht in den Händen der Regenten zu konzentrieren. Für ihn deutet die Bestimmung des lutherischen Fürsten als summus episcopus, als Oberhaupt der Kirche in seinem Territorium, sogar auf eine neue Sakralisierung des Herrschers hin. Die Staatsbildung spielt auch in Wolfgang Reinhards Sichtweise von »Konfessionalisierung« eine Rolle, wobei er hauptsächlich daran interessiert ist, auf welche Weise der Prozess die Herausbildung von soziokulturellen Gruppen förderte, die sich durch bestimmte Überzeugungen und Normen, Erziehungssysteme und interne Disziplinierungsmechanismen, Ausschließungsrituale und sogar Sprachgebrauchsformen auszeichneten. 4 Kritiker der Konfessionalisierungstheorie haben viele ihrer zentralen Annahmen infrage gestellt. 5 Einige widersprachen der Vorstellung, dass die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlichen Kirchen wichtiger als ihre jeweiligen theologischen und kulturellen Identitäten sein sollen. Andere bezweifeln, dass die Konfessionalisierung immer von oben nach unten verlief oder dass, selbst wenn es so war, dadurch Einheitlichkeit erreicht wurde, geschweige denn einen wirksamen Mechanismus für die Kontrolle der Gesellschaft. Grundlegender noch haben Winfried Schulze und andere eingewendet, dass »Konfessionalisierung« einfach das falsche Etikett für einen Prozess der Modernisierung oder Rationalisierung von Regierungs- und Staatsstrukturen sei, der tatsächlich durch Säkularisierung gekennzeichnet war. 6 Je nach dem spezifischen Fall lässt sich möglicherweise in beiden makrohistorischen Theorien Wahres finden. Allerdings finden in solchen Theorien im Allgemeinen weder die Bestrebungen der Regenten, noch die Erfahrungen der Regierten einen angemessenen Platz. Die Aktivitäten der einen und die Reaktionen der anderen können durchaus unbeabsichtigte langfristige Folgen gehabt haben. Aber was den politischen und sozialen Rahmenbedingungen jener Epoche an Problemen, Möglichkeiten und Herausforderungen begegnete, ist für ein Verständnis dieser Aktivitäten und Reaktionen von größerer Bedeutung. In dieser Hinsicht war 1555 ein Wendepunkt ähnlich den Beschlüssen, die 1526 auf dem Reichstag zu Speyer gefasst wurden. Die damalige Entscheidung,

39. Probleme der Interpretation

die Religionsangelegenheiten bis zu einer Gesamtlösung für das Reich in den Händen der Fürsten und Stadträte zu lassen, stabilisierte die Situation, indem sie radikalen Experimenten einen Riegel vorschob und die Initiative in die Hände der Regenten legte. Dasselbe gilt auch für den Augsburger Religionsfrieden. Zwar gab es dieses Mal Einschränkungen und Garantien für bestimmte Gruppen in bestimmten Zusammenhängen und den Reichsstädten wurde das ius reformandi (die Bestimmung der Religion durch den Regenten), im Gegensatz zu den Fürsten und Herren, nicht zugebilligt. Doch auch diesmal, wie schon 1526, besiegelte das Abkommen Entwicklungen, die sich bereits in einigen Territorien ereignet hatten, und schuf rechtliche Rahmenbedingungen, innerhalb derer andere die Freiheit hatten, Reformen durchzuführen oder sich vor Erneuerung zu schützen. 7 Dieser Prozess vollzog sich nicht unmittelbar, sondern entfaltete sich über mehrere Jahrzehnte hinweg mit unterschiedlichen auslösenden Momenten und unterschiedlichen Intensitäten, Geschwindigkeiten und Erfolgen in kleinen und großen, säkularen und geistlichen, fürstlichen und städtischen Territorien. Bezeichnenderweise wurde das leitende Motto – cuius regio, eius religio: »Wes der Fürst, des der Glaube« (wie es damals hieß) – erst 1586 von Joachim Stephani geprägt. 8 Zudem stellte es zu diesem Zeitpunkt eine Vereinfachung der komplizierten Vereinbarungen von 1555 dar, wozu insbesondere die Rechte gehörten, die Katholiken wie Protestanten eingeräumt wurden, die nicht den Glauben ihres Regenten teilten. Somit schlägt sich in dem Motto vor allem die allmähliche Verhärtung der Fronten nieder. Ferner hatten viele der entscheidenden Entwicklungen der Jahre nach 1555, selbst solche, die die klerikale Organisation eines Territoriums betrafen, häufig wenig mit religiösem Glauben an sich zu tun. Anders gesagt, wurde Religion als Bestandteil von Autorität wahrgenommen: Gehorsame und treue Untertanen waren natürlicherweise eines Glaubens mit ihrem Herrscher beziehungsweise lehnten ihn zumindest nicht ab oder sich dagegen auf. Insofern sind säkulare Überlegungen von religiösen Überzeugungen nicht immer eindeutig zu unterscheiden. Vor allem aber ging es den Regenten und Städten aller Art nach 1555 um Stabilität. Nach den Tumulten der vorangegangenen Jahrzehnte wollten viele einfach nur noch ihre Position festigen oder Ordnung erzwingen. Der Kurfürst von Sachsen hatte womöglich das größte offensichtliche Interesse an Stabilität, denn so konnte er sichergehen, dass seine ernestinischen Vettern nicht die Entscheidung von 1547, den Kurfürstentitel an die Albertiner zu übertragen, infrage zu stellen vermochten. Andere Regenten hatten ähnliche Sorgen. In vielen Regionen hatten Jahrzehnte voller Konflikt und Ungewissheit zur Vernachlässigung zentraler Belange kirchlichen Regierens und damit zur Entwicklung ambivalenter und fließender konfessioneller Situationen geführt. Zugleich war die Beteiligung an diesen Konflikten überaus kostenträchtig gewesen und hatte für viele die Entwick-

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lung neuer und teurer militärischer und quasidiplomatischer Aktivitäten im Reich bedeutet. Demzufolge standen Finanz- und Steuerprobleme ganz oben auf der Tagesordnung. Die Maßnahmen für den Umgang mit diesen vielen Problemen waren Teil einer längerfristigen Evolution territorialer und städtischer Regierungstätigkeit, die im 15. Jahrhundert begonnen hatte. Aber der Erfolg mancher dieser Initiativen oder, in einigen Fällen, der durch die kumulativen Maßnahmen, die sich über einen langen Zeitraum erstrecken konnten, erreichte kritische Punkt hatte Implikationen für das politische System des Reichs insgesamt. In den 1580er Jahren trugen diese Entwicklungen dazu bei, dass viele Fürsten nun ein neues Selbstbewusstsein demonstrierten, sei es das der Stände gegen den Kaiser, sei es, in konfessionellen Blöcken oder Parteien, das eines Standes gegenüber einem anderen. Die Entwicklungen schärften auch die Aufmerksamkeit, mit der Regierungen auf Zeichen erneuter sozialer Spannungen in den Territorien selbst reagierten. Das war oft das auslösende Moment für weitere Interventionen und Bemühungen um strengere Regulierung, während die höheren Reichsgerichte in Speyer und Wien jetzt auch bei der Lösung von Konflikten zwischen Regenten und Regierten eine Rolle zu spielen begannen.

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Rudersdorf, »Landesväter«, 147–148. Moeller, Deutschland, 172. Einen Überblick mit relevanten Literaturhinweisen bieten Ehrenpreis und Lotz-Heumann, Reformation, 62–79; Schmidt, Konfessionalisierung, 86–122; vgl. auch Schilling, »Konfessionalisierung«, und Schilling, Konfessionalisierung, 21–41. Die Ängste des frühen 20. Jahrhunderts spiegeln sich in dem von Heinz Schilling herausgegebenen Band Konfessioneller Fundamentalismus (2007), in dem der Begriff der Konfessionalisierung als eine Form des »konfessionellen Fundamentalismus« weiterentwickelt wird. So zum Beispiel durch die Verwendung »kodierter« Vornamen, wobei die Katholiken Heilige, die Calvinisten alttestamentarische Personen bevorzugten. Vgl. Reinhard, »Zwang«, passim. Vgl. Schmidt, »Sozialdisziplinierung«. Schulze, Einführung, 48–52; Schmidt, Konfessionalisierung, 91–94. Gotthard, Religionsfrieden, 171–239. Schneider, Ius reformandi, 273, 309–312; vgl. auch Schulze, »Condordia«.

40. Günstige Bedingungen?

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bwohl Krise und Konfrontation traditionellerweise als Kennzeichen dieser Epoche gelten, hat sie de facto für Bedingungen gesorgt, die Initiativen zur Stabilisierung und Konsolidierung von Regierungstätigkeit grundsätzlich begünstigten. Der offensichtlichste Faktor war natürlich der Augsburger Friedensschluss selbst mit seinen Grundsätzen, aber auch Unklarheiten. Wie unterschiedlich die Grundsätze von Katholiken und Protestanten interpretiert wurden und welche Mehrdeutigkeiten im Detail mancher Klauseln steckten, wurden erst später offenbar und politisch zum Problem. 1 Für viele Regenten war auch die wirtschaftliche Entwicklung zur damaligen Zeit günstig, wenngleich die Städte davon weniger profitierten. Das mag angesichts der Leiden großer Teile der Bevölkerung, die in vielen Landesteilen in den 1580er Jahren zu erneuten Unruhen führten, paradox erscheinen, doch wurden Landbesitzer durch andere Entwicklungstendenzen bevorteilt. Aus Sicht des gemeinen Mannes entwickelten sich die Lebensbedingungen ab den 1560er Jahren eher krisenhaft. Ab etwa 1530 hatte es eine Folge von »warmen« Jahrzehnten gegeben, die nun zu Ende ging. Kühleres Klima führte zu bescheideneren Ernten und in manchen Gebieten wurden ohnehin ertragsärmere Flächen gar nicht mehr bewirtschaftet. Zwar ist der Klimawechsel nur für Süddeutschland und die Schweiz dokumentiert und kann daher nicht einfach auf die norddeutsche Tiefebene und den Ostseeraum übertragen werden, doch scheinen die Probleme weitreichend gewesen zu sein. 2 Ab etwa 1570 mehren sich Berichte über Missernten, sodass sich auch Krankheiten leichter ausbreiten und beträchtliche Auswirkungen haben konnten. In jedem Jahrzehnt gab es Pestausbrüche, die schlimmsten zwischen 1580 und 1585 sowie zwischen 1593 und 1603. Zwischen 1596 und 1600 waren Hessen, Nassau, Niedersachsen, Thüringen, Schlesien, Pommern und Ostpreußen nacheinander ganz besonders betroffen. Zudem kam es in dieser Epoche regelmäßig zu Ausbrüchen von Pocken, Ruhr, Typhus und Malaria. 3 Zwar ging das Bevölkerungswachstum von 0,6 Prozent auf 0,3 Prozent jährlich zurück, hörte aber nicht auf, sodass die Gesamtbevölkerung von »Deutschland« (in den Grenzen von 1914) zwischen 1550 und 1600 von etwa 12,6 Millionen auf etwa 16,2 Millionen anstieg. 4 Lebensmittelknappheit und Krankheiten wirkten sich in geografischer wie sozialer Hinsicht extrem unterschiedlich aus und trafen die untersten Schichten in Stadt und Land am härtesten. Vielen Gruppen, die auf den Lande oder in kleinen Landstädten gerade oberhalb der untersten Schichten exis-

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tierten, gelang es jedoch, durch wie immer auch begrenzte Subsistenzwirtschaft die Auswirkungen von Lebensmittelknappheit und Preisanstieg zu mildern. Zwar sanken überall Lebensstandard und -erwartung, doch war Überleben weiterhin möglich. 5 Wo die Bevölkerung in einem Gebiet durch Mangel oder Krankheit dezimiert wurde, glich man das Defizit durch eine »natürliche« Absenkung des Heiratsalters und somit durch erhöhte Fruchtbarkeit wieder aus. In Stadt und Land litt derjenige am wenigsten, der als Produzent fest etabliert und unabhängig war: Gutspächter mit sicheren Besitzrechten gegenüber Häuslern und besitzlosen Landarbeitern, Gildemeister gegenüber Handwerksgesellen. Überall öffnete sich die Schere zwischen relativem Wohlstand und Armut weiter, was zu sozialen und in einigen Gebieten auch politischen Spannungen führte. Der Lebensmittelmangel verweist noch auf einen anderen allgemeinen Trend dieser Epoche: den Preisanstieg.6 Die plausibelste Erklärung dafür ist wohl die rapide steigende Nachfrage nach Lebensmitteln aller Art, vor allem Weizen und Roggen, die durch die außergewöhnliche Bevölkerungszunahme in Westeuropa bewirkt wurde. Um 1600 überstieg die Nachfrage das Angebot bei Weitem. Ebenso könnte der ab etwa 1550 einsetzende Zustrom von südamerikanischem Silber, der zur Vermehrung der Geldmenge führte, eine Rolle gespielt haben. Diese Entwicklungstendenz kann sich gegen Ende des Jahrhunderts durch Währungsmanipulationen verschärft haben: Einige deutsche Fürsten suchten kurzfristige Profite dadurch zu erreichen, dass sie den Realwert ihrer Münzen durch Beimischung minderwertiger Metalle herabsetzten. Allerdings bleiben Bevölkerungswachstum und steigende Nachfrage nach Lebensmitteln Hauptursachen für die Aufwärtsbewegung der Preise. Von den steigenden Lebensmittelpreisen profitierten diejenigen am meisten, die für den Markt oder Überschuss produzierten. Dazu gehörten einige wohlhabende Bauern vor allem im Westen von Schleswig und Holstein sowie an der Ostseeküste, aber auch in Württemberg und anderen Regionen. Vom Vertrauen in die Gewinnträchtigkeit der Landwirtschaft zeugen auch steigende Gewinne bei der Übertragung von Landbesitz, steigende Grundstückspreise und die Entwicklung spekulativer regionaler oder lokaler Finanzmärkte für den Landkauf. 7 Die Gewinne aus der Landwirtschaft kamen vor allem dem Adel zugute, sowohl dem Landadel, der einem Fürsten untertan war, als auch den Fürsten, Grafen, Rittern und Prälaten selbst, soweit sie ihre Ländereien bewirtschafteten. In Gebieten mit vorherrschender Gutsherrschaft gab es noch stärkere Anreize, das landwirtschaftliche System zu konsolidieren, auszuweiten und zu intensivieren. 8 In anderen Gebieten nahm der Druck auf Pächter häufig zu, weil die Grundbesitzer das neue Profitpotenzial ausnutzen wollten. So entstanden der Gutsherrschaft vergleichbare Formen dort, wo vorher keine gewesen waren, wie etwa in Bayern und diversen österreichischen Territorien. Nicht zuletzt weckten die steigenden Gewinne in der Landwirtschaft

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die wachsenden Erwartungen vieler Regenten an regelmäßige Steuereinnahmen und verstärkten das Selbstbewusstsein der Landstände im Umgang mit Steuerforderungen seitens ihrer Regenten. Wie reichlich (selbst in Krisenzeiten) die Gewinne aus der Landwirtschaft flossen, zeigt sich in der außergewöhnlich umfangreichen Bautätigkeit der Profiteure. Unabhängige Bauern im Südwesten oder in Schleswig und Holstein investierten in größere, besser ausgestattete und reich verzierte Wohnhäuser, Adlige und Fürsten im ganzen Reich führten ehrgeizige Bauvorhaben durch. Je nach Region orientierte man sich beim Bau oder Umbau von Schlössern und Residenzen an den neuesten italienischen, französischen und holländischen Architekturstilen. 9 Im Süden und Osten dominierte der italienische Stil, während im Norden, besonders in Niedersachsen, wo viele Adlige in französischen Militärdiensten gestanden oder an der Seite der Niederländer gekämpft hatten, französische und holländische Bauweisen bevorzugt wurden. Einkünfte aus dem Militärdienst während der 1550er und 1560er Jahre konnten, in Verbindung mit den landwirtschaftlichen Gewinnen, in den späteren Jahrzehnten zur Finanzierung der »Weserrenaissance« beitragen. An der Ostseeküste, von Holstein über Mecklenburg und Pommern bis nach Ostpreußen, verdrängten jetzt Bauten aus Stein die relativ einfachen Fachwerkbauten und die kahlen Wohntürme des Mittelalters. 10 Verglichen mit dem Wohlstand des Adels schien den Reichsstädten und Tausenden Ortschaften in den Territorien das wirtschaftliche Glück abhandenzukommen.Viele Historiker haben den Aufstieg des Territorialstaats mit dem Niedergang der städtischen Gemeinschaft kontrastiert. Neuere Forschungen zeichnen ein vielschichtigeres Bild, machen aber zugleich deutlich, wie begrenzt unser Verständnis der städtischen Ökonomie noch immer ist. 11 Insbesondere ist die Funktionsweise der Vielzahl kleinerer Zentren, die regionale und lokale Netzwerke bildeten, in denen Stadt und Land miteinander in Wechselbeziehung standen, noch weitgehend ungeklärt. Wo ein solches Zentrum im Niedergang begriffen war, konnte ein anderes häufig florieren, sodass die wirtschaftliche Gesamtleistung nicht unbedingt abnahm. 12 Die erstaunlichste Wirtschaftsentwicklung erfuhren Gebiete, die an den Seehandel – Ostsee, Nordsee, Atlantik – und an die expandierenden Märkte Westeuropas gekoppelt waren. Wo holländische und englische Kaufleute vorangingen, folgten ihnen die deutschen Konkurrenten auf dem Fuß. Die Hanse siechte dahin, aber manche Hansestadt florierte. Hamburg entwickelte sich in dieser Zeit zum führenden Handels- und Finanzzentrum. 13 Überhaupt blühten die Handelszentren an Elbe, Weser (Bremen) und Ems (Emden) auf, während Köln durch den Militärkonflikt der 1580er Jahre Einbußen erlitt. Auch Danzig, Breslau, Frankfurt am Main und Leipzig waren wirtschaftlich erfolgreich. Oftmals waren die Aktivitäten ausländischer Kaufleute und Kaufmannsgesell-

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schaften von entscheidender Bedeutung. In Danzig übernahmen englische und holländische Kaufleute das Transport- und Zwischenhandelsgeschäft. In Hamburg schlossen sich aus Holland und Portugal Zugewanderte mit den einheimischen Kaufleuten zusammen, um im Südamerikahandel und auf dem Geldmarkt ein Vermögen zu machen. 14 Von Hamburg bis nach Köln, Aachen und Frankfurt am Main sorgten holländische Flüchtlinge in Produktionszweigen wie der Textilindustrie für Arbeitskräfte und das neueste Know-how. 15 Die »Weserrenaissance« des niedersächsischen Adels hatte ihr urbanes Äquivalent in Städten wie Hameln und Lemgo. In Regionen wie Westfalen hatten die mittelalterlichen Wirtschaftszentren – Bergkamen, Hamm, Lippstadt, Schwerte, Soest, Unna und Werl – ihren Platz zugunsten von Bielefeld, Iserlohn, Altena, Lüdenscheid und Siegen räumen müssen, wobei die Region insgesamt nicht an Wohlstand verlor. 16 Für Süddeutschland liegen die Verhältnisse nicht so einfach. Der Mittelmeerhandel, einstmals der bedeutendste Wirtschaftsfaktor im Reich, wuchs nicht mehr, war mithin in relativem Rückgang begriffen, blieb aber zumindest bis 1600 noch bedeutsam. Einige der führenden Handelshäuser aus der ersten Jahrhunderthälfte spielten keine führende Rolle mehr. Manche waren vom Bankrott der französischen und spanischen Monarchie in den 1550er und 1560er Jahren, der den süddeutschen Kapitalmarkt ruinierte, getroffen worden. Andere, wie die Fugger, hatten sich aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen und lebten als patrizische Rentiers oder waren geadelt worden und verfügten über Grundbesitz. 17 Aber neue Handelshäuser entstanden und die alten Handelsbeziehungen blieben erhalten. Diese Städte waren nie völlig vom italienischen Handel abhängig gewesen und verfügten über enge Verbindungen zu den dynamischen holländischen und amerikanischen Märkten, zu Südfrankreich und den östlichen Territorien der Habsburger. Auch in anderen Sektoren gab es eher Verschiebungen als absoluten Niedergang. In den Alpen, der Oberpfalz, dem Harz und dem Erzgebirge verloren Abbau und Verarbeitung von Kupfer und Silber nach 1550 an Bedeutung. 18 Dagegen florierte die vor allem in Nürnberg ansässige Eisen verarbeitende Industrie wie nie zuvor. Grund dafür war natürlich der Krieg gegen die Türken, aber auch aus Frankreich, den Niederlanden und England kamen reichlich Aufträge. Die Salzgewinnung florierte, was auch mit der gestiegenen Nachfrage nach Lebensmitteln zusammenhing. Bei der Textilproduktion gab es erhebliche Unterschiede. Die Nachfrage nach Wollstoffen aus Bayern etwa war rückläufig, weil ähnliche Produkte aus Sachsen oder Böhmen preiswerter waren (allerdings blieben die billigeren, nach Italien exportierten Lodenstoffe davon unberührt). 19 Die Tuchproduktion aus Wolle und Baumwolle boomte. In Augsburg wuchs die Flanellindustrie bis zum Ende des Jahrhunderts und auch in Ulm und Straßburg erzielte der Tuchhandel gute Gewinne. Um 1600 war das württembergische Calw bereits ein Zentrum

40. Günstige Bedingungen?

für die Produktion preiswerterer und leichterer Gewebe wie Kammgarn oder Barchent, die von den neuen Massenkonsummärkten stark nachgefragt wurden. 20 Auf diese Weise reagierte auch Süddeutschland auf die Nachfrage aus dem Nordund Ostseeraum, ohne deshalb die traditionellen Märkte zu vernachlässigen. Der Streit von Historikern über eine möglicherweise unmittelbar bevorstehende Krise oder über die letztlich negativen Folgen der Vorherrschaft von Tradition über Innovation kann die Tatsache nicht verbergen, dass auch in der zweiten Jahrhunderthälfte die Wirtschaft weitgehend florierte. 21 Die territorialen Städte, die im 16. Jahrhundert den größten Teil der ungefähr 3.500 städtischen Gemeinschaften ausmachten, wurden so zu einer weiteren potenziellen Geld- und Gewinnquelle für ihre Oberherren. Zumindest von dieser Last war die kleine Minderheit der Reichsstädte frei. Ihre Magistrate jedoch standen vor ähnlichen Herausforderungen wie die Fürsten und Regenten und die Art und Weise ihrer Reaktion veränderte den Charakter der urbanen Regierungstätigkeit.

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Schneider, Ius reformandi, 173–184, 202–218; Gotthard, Religionsfrieden, 240–280. Scott, Society, 252–255. Lanzinner, »Zeitalter«, 126–127. Schweiz und Österreich sind dabei nicht mitgerechnet. Scott, Society, 57; Pfister, Bevölkerungsgeschichte, 11–14. Der Lebensstandard gemessen am Roggenverbrauch sank zwischen 1500 und 1600 um 30 (in Augsburg um 50) Prozent. In Süddeutschland waren etwa 20 Prozent der Bevölkerung ohne regelmäßiges Einkommen oder unterernährt. Rabe, Geschichte, 628. Lanzinner, »Zeitalter«, 129–130; Mathis, Wirtschaft, 98–100, 165–167. Lanzinner, »Zeitalter«, 130; Rabe, Geschichte, 622. Vgl. auch S. 171–173. DaCosta Kaufmann, Court, 139–159; Rabe, Geschichte, 621–622; Lanzinner, »Zeitalter«, 131; vgl. auch Schütte, Schloß, und Müller, Schloß. HbDSWG, 404–405; Rieber, »Burg«; Großmann, Renaissance; Lüpkes und Borggrefe, Adel. Vgl. die Übersichten in Schilling, Stadt; Rosseaux, Städte; Gerteis, Städte. Scott, Society, 113–152. Lindberg, »Hamburg«. Kellenbenz, Unternehmerkräfte, passim. Schilling, »Innovation«. Mathis, Wirtschaft, 93–94. Häberlein, Fugger, 17–68. Mathis, Wirtschaft, 23–25, 35–39. Mathis, Wirtschaft, 30–31; HBayG, Bd. I, 685. Scott, Society, 92–93. Scott, Society, 252–255; Mathis, Wirtschaft, 50–51, 93–98.

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41. Staatenbildung?

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ie deutschen Territorien des 16. Jahrhunderts mit dem Wort Staat zu bezeichnen, ist problematisch. Zum einen waren es keine souveränen Gebilde, sondern ihre Regenten waren Vasallen des Monarchen. Zudem erfüllte das Reich viele staatliche Funktionen für sie: Verteidigung nach außen, Bewahrung des Friedens nach innen, Administration des Rechtswesens und die Formulierung von Rahmenbedingungen einer auf ein immer umfassenderes Spektrum von Gegenständen bezogenen Rechtsprechung inklusive Münz- und Polizeiordnung. 1 Selbst die größeren Territorien, die auf der Landkarte wie solide Blöcke wirken, waren streng genommen weder einheitlich noch integriert. Schaut man näher hin, sind es häufig Ansammlungen kleinerer Besitztümer gewesen, auf die ein Fürst Anspruch hatte und in denen er (oftmals unter anderen Bedingungen) Rechte besaß und Rechtsprechung ausübte. Manche dieser Besitztümer hatten mit Grundbesitz überhaupt nichts zu tun, wie etwa die Verwaltung von kirchlichen Stiftungen oder die Herrschaftsrechte über Personen. 2 So, wie die europäischen Monarchien composite monarchies, aus ehemals selbstständigen Fürstentümern und Königreichen zusammengesetzte Monarchien, waren, so waren die Gebiete des deutschen Adels ihrem Wesen nach aus mehreren Herrschaften zusammengesetzte Besitztümer oder Länderkomplexe. 3 Was bei den deutschen Territorien der damaligen Zeit häufig als Prozess der Staatsbildung gesehen wurde, ist eher eine neue und energischere Methode der Besitzverwaltung. Die meisten deutschen Fürsten verstanden ihre Territorien als Patrimonialgebilde und ihre Herrschaftsstrategie wurde durch dynastische Erwägungen und nicht durch abstrakte Auffassungen von einem Staat mit Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft bestimmt. Nichts kennzeichnet die vorherrschende Einstellung der Herrschaftshäuser besser als die Zähigkeit, mit der sie am Grundsatz der Erbteilung festhielten. 4 Die Goldene Bulle von 1356 hatte die Primogenitur als Regel für die sieben Kurfürstentümer festgelegt. Ansonsten bedeutete der Tod eines Fürsten im Allgemeinen, dass seine Ländereien unter die männlichen Erben aufgeteilt wurden. Selbst die Kurfürstentümer betrieben häufig eine Praxis, die ähnliche Wirkungen zeitigte. Nur Titel und Amt des Kurfürsten und seine Kernlande gingen in den exklusiven Besitz des ältesten Sohnes über. 5 Die Schaffung einer Sekundogenitur für jüngere Söhne vervielfachte die Anzahl kleiner Höfe, während Apanagen der Hauptlinie wichtige Ressourcen entzogen und bisweilen sogar zur Entstehung eines neuen

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Hofes führten. Die Pfalz und Brandenburg sorgten auf diese Weise regelmäßig für die jüngeren Söhne, während sich das albertinische Kursachsen nach 1547 durch Stabilität auszeichnete, weil die Dynastie ab 1499 eine Art Primogenitur praktizierte (allerdings wurden 1652 wieder drei jüngere Linien geschaffen). Nur die geistlichen Territorien blieben von diesen Problemen unberührt. Im Grunde war fast jede Dynastie im Reich ab und an mit Teilungsproblemen beschäftigt. Die Habsburger bildeten da keine Ausnahme, als Ferdinand I. 1564 seine Lande unter den drei Söhnen aufteilte. 1567 bedachte Landgraf Philipp von Hessen seine vier ehelichen Söhne, wenn auch in ungleicher Aufteilung. 6 Graf Joachim Ernst von Anhalt, der 1570 die Ländereien seiner Familie vereinigt hatte, vermachte sie 1586 seinem ältesten Sohn Johann Georg, der nach jahrelangen Verhandlungen mit seinen vier Brüdern eine Teilung vereinbarte und 1603 damit nicht weniger als fünf anhaltinische Fürstentümer schuf. 7 Die ernestinische Linie der Herzöge von Sachsen, die den Kurfürstentitel 1547 verloren, hatte sich 1600 in zwei Linien geteilt, der bis 1640 elf weitere Teilungen (vier in Sachsen-Weimar und sieben in Sachsen-Gotha) folgten. 8 Die Nachteile der Erbteilung waren weithin bekannt. Ganz abgesehen von der Zerstückelung repräsentativer Besitztümer, wurden Herrschaftshäuser oftmals in jahrelange Zänkereien verstrickt. Außerdem waren derlei komplizierte Arrangements häufig auch extrem teuer. Manche Auseinandersetzungen landeten vor dem Reichshofrat in Wien, wo der angestrengte Prozess sich über Generationen hinziehen konnte. Und selbst wenn eine Teilung friedlich verlief, verschlang die Etablierung zusätzlicher Höfe enorme Summen. Um die Auswirkungen zu mildern, wurden häufig Vorkehrungen zur gemeinsamen Verwaltung des Kernbesitzes getroffen. Es konnte auch, alternativ dazu, eine gemeinsame Regierung ins Leben gerufen werden, bei der der älteste Sohn als Leiter eines regierenden Konsortiums auftrat und die politischen Wünsche der Mehrheit in die Tat umsetzte. Die einzelnen Besitztümer eines Territoriums unterstützten gewöhnlich solche Maßnahmen, weil sie unweigerlich die Kosten der Teilung zu tragen hatten. Allerdings konnten sie nur so lang funktionieren, wie unter den Mitregenten Einigkeit herrschte. Trotzdem übernahmen nur wenige Herrschaftshäuser das Primogeniturprinzip. Paradoxerweise scheinen die protestantischen Fürsten im 16. Jahrhundert die Teilung sogar noch stärker befürwortet zu haben. Ihr Übertritt zum Protestantismus schloss die jüngeren Söhne von einer kirchlichen Laufbahn aus, aber sie wollten all ihren männlichen Nachkommen gegenüber fair sein. Dagegen konnten die katholischen Herrschaftshäuser ihren Söhnen (wenn auch oft gegen deren Willen) noch Kirchenposten verschaffen und sie waren offensichtlich gegenüber Experimenten zur Teilungsvermeidung aufgeschlossener. Die Habsburger wie auch die Wittelsbacher übernahmen im späten 16. Jahrhundert das Apanagesystem und strebten nach Vereinbarungen, die im Hinblick

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auf die Ressourcen des Gesamtterritoriums vernünftig waren. 9 Die Söhne von Ferdinand I. bestimmten schließlich ihren Neffen, Ferdinand II. (von der Steiermark), als einzigen Erben, teils, um mögliche Ansprüche Spaniens abzublocken, teils, um die katholische Sache in Mitteleuropa voranzubringen. In Bayern war es wohl der Einfluss der Naturrechtstheorien von Justus Lipsius auf Wilhelm V. (1579–1598) und Maximilian I. (1598–1651), der die beiden Herzöge dazu bewog, das Wohlergehen des gesamten Territoriums über die Ambitionen jüngerer Söhne zu stellen. Überdies waren sich die Habsburger wie die Wittelsbacher der Tatsache bewusst, dass das Schicksal des Katholizismus in Mitteleuropa von der erfolgreichen Verwaltung der dynastischen Ressourcen abhing. Trotz der so weitverbreiteten wie zählebigen Einstellung, die jeglichen Übergang von der patrimonialen zur territorialen Regierung behinderte, gab es in den eineinhalb Jahrhunderten nach 1450 bedeutende Schritte in Richtung auf eine Intensivierung der Administration und die Suche nach neuen Wegen der Machtausübung und Ressourcenmobilisierung. Zeitpunkt, Tempo und Ausmaß der Entwicklung von Verwaltungsämtern waren je nach Territorium unterschiedlich, ebenso die dabei verwendete Terminologie. 10 In einigen Gebieten wie etwa der Pfalz waren die Hauptelemente der neuen Verwaltungsstruktur ab den 1450er und 1460er Jahren existent. 11 Im Allgemeinen jedoch wird davon ausgegangen, dass die imperialen Reformen ab den 1490er Jahren, dann die von Ferdinand I. 1527 verordneten Verwaltungsreformen in den Habsburger Territorien und später die Reformen in Bayern und Sachsen als Vorbilder für andere Territorien dienten. In einigen Territorien gab die Reformation in den späten 1520er, 1530er und 1540er Jahren den Anstoß für Reformen, aber für die Mehrheit waren die Jahrzehnte zwischen 1570 und 1630 entscheidend. Zu dieser Zeit jedoch hatten andere noch gar nicht mit dem Reformprozess begonnen oder, durch die Kosten an den Rand des Ruins getrieben, aufgegeben. Der grundlegende Prozess war die Ausdifferenzierung von Hof und Verwaltung. Im 15. Jahrhundert hatte die wesentliche Funktion der Verwaltung darin bestanden, den persönlichen Interessen des Herrschaftshauses zu dienen und Einkünfte für den Fürsten und seinen Hof zu beschaffen. Der altdeutsche Ausdruck stat bezog sich schließlich auf den »Hofstaat«, den Haushalt oder das Gefolge am Hof eines Fürsten. 12 Das änderte sich allmählich in dem Maß, in dem neue Verwaltungsbeamte neben den alten Hofbeamten auftauchten. In der Pfalz zum Beispiel bestanden die alten, erblichen Hofämter fort: Die Grafen von Erbach waren Mundschenke, die Ritter von Hirschhorn Hofmeister, die Wild- und Rheingrafen höfische Erbmarschälle. 13 Daneben jedoch entstanden die neuen Ämter des »Großhofmeisters«, des »Kanzlers« und des »Marschalls« für Verwaltungsbeamte mit zunehmend klarem Arbeitsauftrag und festgelegter Vergütung. Andere große Höfe wie der sächsische in Dresden machten eine vergleichbare Entwicklung durch. 14

41. Staatenbildung?

Einige zentrale Institutionen gab es in fast allen Territorien. 15 Zum einen wurde ein Rat gebildet, um den Fürsten zu beraten und in seinem Namen wesentliche Regierungsfunktionen auszuüben. Dieser Rat trug Verantwortung für Angelegenheiten der Rechtsprechung wie Verwaltung und häufig nahm auch der Fürst selbst regelmäßig daran teil. Zum anderen entwickelte sich die alte, aus Geistlichen bestehende Institution der Kanzlei zu einem Amt mit spezielleren Aufgaben, in dem juristisch ausgebildete Laien unter der Aufsicht eines Kanzlers, der auch dem Rat angehörte, arbeiteten. Zum Dritten gab es ein Hofgericht, das sich mit juristischen Dingen befasste. Zum Vierten lag die Verantwortung für die Finanzen in den Händen des »Kämmerers«, der ursprünglich die Aufgabe hatte, die Rechnungen am Hof zu bezahlen, nun aber die Übersicht über alle Einkünfte des Fürsten, von Hoheitsrechten und Rechtsprechungsgebühren bis zu Grundbesitz und Steuern (neben anderen Quellen), besaß. Und schließlich kamen noch weitere Spezialabteilungen hinzu. In vielen protestantischen Territorien folgte man dem Vorbild von Württemberg, das schon 1548/49 einen Kirchenrat eingerichtet hatte, um die neuen Pflichten der Regierung im Hinblick auf die Kirche wahrnehmen zu können. Bayern machte es den katholischen Territorien (darunter auch einigen geistlichen Fürstentümern) durch die Schaffung (1570) eines »Geistlichen Rats« vor, der für die Schulen, die Verwaltung von Kirchengütern, die Berufung von Gemeindepriestern und die Beachtung von religionsbezogenen Dekreten verantwortlich war. Der Einführung eines »Hofkriegsrats« in Wien 1556 folgte Bayern zwischen 1583 und 1593; weitere Territorien führten diese Institution dauerhaft im Lauf des 17. Jahrhunderts ein. Auf der lokalen Ebene änderte sich nur wenig. Das System, das im 15. Jahrhundert in den meisten Gebieten des Reichs etabliert worden war – Ämter unter der Verwaltung eines ernannten Beamten, der kein Adliger sein musste, es aber für gewöhnlich war –, blieb vielfach bis ins 19. Jahrhundert unverändert bestehen. 16 Sicherlich blieben diese Ämter oder Distrikte im ganzen 16. Jahrhundert die Grundeinheiten der lokalen Verwaltung, wobei es jedoch problematisch sein konnte, die Kontrolle über sie auszuüben. In Gebieten, in denen die Ämter während des 15. Jahrhunderts in großem Stil an Adelsfamilien durch die Kommerzialisierung von Hoheitsrechten verpfändet worden waren – eine äußerst beliebte Methode, um finanziell flüssig zu werden –, konnte der Versuch, die Kontrolle zurückzugewinnen, zu einem jahrzehntelangen Kampf ausarten. 17 Als der Bischof von Hildesheim seine an den Adel verpfändeten Ämter zurückzuholen suchte, wandten die Adligen sich an benachbarte Fürsten, die selbst Pfandgläubiger waren, und baten sie erfolgreich um Unterstützung. Die resultierende militärische Auseinandersetzung zwischen 1519 und 1523 führte zum Verlust wichtiger Ämter und zur Abdankung des Bischofs. 18 Selbst zwischen den besser etablierten Territorien gab es beträchtliche Unter-

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schiede. Sachsen konnte die Kontrolle über viele adlige Hoheitsrechte zurückgewinnen und die Kontrolle über die meisten der ehemaligen Kirchengüter bewahren, womit sich die Anzahl der Ämter erhöhte. In Brandenburg dagegen waren während der Regentschaft von Kurfürst Joachim II. (1535–1571) nur 13 der 40 bis 45 Ämter im offiziellen Hofregister verzeichnet. Viele waren, zusammen mit einer beträchtlichen Anzahl ehemaliger Klöster, der Kontrolle von Adligen oder Geistlichen anheimgefallen, an die der notorisch verschuldete Regent sie verpfändet hatte. 19 Wo die Ämter finanziell unbelastet und vor äußerer Bedrohung mehr oder weniger sicher waren, konnten sie recht vernünftig als Verbindung zwischen den zentralen und den lokalen Institutionen fungieren. Der »Amtmann« hatte seinen Sitz in einem Schloss oder einem Marktflecken; er vertrat den Regenten und arbeitete mit den Stadträten und Dorfvorständen oder Bürgermeistern zusammen, um für die Weitervermittlung und Umsetzung von Gesetzen und Edikten zu sorgen, die aus der Zentralverwaltung nach unten durchgereicht wurden. 20 Er verfügte über Macht und Einfluss, regierte jedoch nicht, sondern sah zu, dass die Vorgaben der Regierung vor Ort von den zuständigen Stellen erfüllt wurden. Er konnte den zentralen Behörden über die lokalen Zustände genau Bescheid geben und war unabdingbar, wenn es darum ging, die Steuergelder der Kammer zukommen zu lassen. Nur Sachsen, Bayern und die Habsburger Territorien hatten dem Regierungsapparat eine Zwischenebene eingezogen. Das Kurfürsten- und das Herzogtum Sachsen hatten um 1550 ihre Ämter in Kreisen organisiert, jedes mit einem eigenen »Oberamtmann«. 21 Schon aus früheren Zeiten besaß jedes Habsburger Territorium ein für die Finanzen zuständiges »Viztum«, während Bayern in vier »Viztumämter« oder »Rentmeisterämter« unterteilt war. Jedes Viztumamt unterstand einem Viztum, dessen »Rentmeister« als Finanzkontrolleur der oberste Beamte war. 22 Ob dadurch jedoch das Regierungssystem effizienter wurde, ist nicht ganz klar. Der Kurfürst August von Sachsen lebte in dauernder Furcht, auf jeder Ebene seiner Finanzverwaltung betrogen zu werden. Zwar realisierte er zwischen 1577 und 1586 mit jährlich 238.000 Gulden das höchste Einkommen aller Fürsten im Reich, doch war sein Buchhaltungssystem alles andere als transparent. 23 So blieb die Struktur der unteren Verwaltungsebenen mehr oder weniger unverändert bestehen. Es wurde von ihnen einfach nur erwartet, dass sie mehr leisteten. Diese Erwartung wurde jedoch häufig durch den heruntergekommenen Zustand der lokalen Institutionen oder durch die Spannungen zwischen den Amtmännern und den lokalen Verwaltungsvertretern unterlaufen. Im Gegensatz dazu war es auf der höheren Ebene einfacher, auf die Anforderungen eines immer stärker spezialisierten Regierungsapparats zu reagieren. Der Regierungsrat und andere zentrale Institutionen gehorchten dem Kollegialprinzip,

41. Staatenbildung?

das diese Einrichtungen häufig genug schwerfällig und unflexibel machte. Mühselig war das Kollationieren von Meinungen und Voten, die zudem durch sozialen Rang und Alter der Mitglieder unterschiedliches Gewicht besaßen, was den ohnehin zeitraubenden Prozess noch weiter verlangsamte und häufig genug zu übergroßer Vorsicht und gar Bewegungslosigkeit führte. 24 Während sich die Anzahl der Beamten auf allen Ebenen vergrößerte und die zentralen Institutionen immer mehr Unterabteilungen hervorbrachten, wurden die tatsächlichen politischen Entscheidungen zunehmend vom Fürsten selbst in Abstimmung mit einer kleinen Gruppe vertrauenswürdiger Berater getroffen. Diese Geheimen Räte entstanden im Lauf des 16. Jahrhunderts in fast allen größeren Territorien; die anderen folgten diesem Beispiel im 17. Jahrhundert. 25

Anmerkungen 1 Zum Reich als Staat, der Funktionen an Kreise und Territorien übertrug, vgl. Schmidt, Geschichte. Kritik an dieser Auffassung üben Schilling, »Reichs-Staat«, und Reinhard, »Staat«. 2 Scott, Society, 14–15. 3 Elliott, »Composite monarchies«; Koenigsberger, »Monarchies«. 4 Fichtner, Primogeniture, 1–33. Neuhaus bietet in »Chronologie« eine nützliche Liste von Daten deutscher und anderer Primogeniturverordnungen. 5 Damit waren zum Beispiel alle nach der Goldenen Bulle von 1356 erworbenen Territorien ausgeschlossen. 6 Köbler, Lexikon, 274. 7 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 88–89. Die Grafen von Anhalt waren die einzigen Grafen im Fürstenkollegium; erst 1806 wurden sie Herzöge. Köbler, Lexikon, 16–17. 8 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. IV, 9–10. 9 Fichtner, Primogeniture, 34–60. 10 Der umfassendste Überblick mit Einzelheiten der Vielzahl an Variationen im Reich findet sich in DVG, 279–467 (Diskussion institutioneller Strukturen) und 468–941 (detaillierte Darstellung der meisten Territorien). 11 Cohn, Palatinate, 202–246. 12 Lanzinner, »Zeitalter«, 79. 13 Die Wild- und Rheingrafen, die die meisten ihrer Ländereien im 13. Jahrhundert verloren hatten, nannten sich Grafen zu Salm, als sie die Ländereien dieser Grafen ab 1475 erbten, aber das Erbmarschallamt der Pfalz war mit ihrem ursprünglichen Titel verbunden. Press, Calvinismus, 31. Am Ende des 18. Jahrhunderts umfassten die drei Grafschaften nicht mehr als etwa 220 km2 mit 11.000 Einwohnern. Köbler, Lexikon, 792–793. Zu den Grafen von Erbach vgl. Press, »Erbach«. 14 Müller, Fürstenhof, 18–29, gibt einen nützlichen Überblick. 15 Zum Folgenden vgl. DVG, 279–941. 16 Einen allgemeinen Überblick bietet DVG, 96–100, und HDR, Bd. I, Sp. 151–154. 17 Schubert, Spätmittelalter, 202–203; Krause, »Pfandherrschaften«. 18 Stanelle, Stiftsfehde, 1–3.

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19 Oestreich, »Verfassungsgeschichte«, 88; Heinrich, »Adel«, 237, gibt als Zahl 30 Ämter und Klöster an, die 1550 an Adlige verpfändet waren. 20 Wie das System in Württemberg funktionierte, beschreibt Scribner, »Police«, 106–108. 21 Lanzinner, »Zeitalter«, 84–85. 22 Haberkern und Wallach, Hilfswörterbuch, 647; Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 304, 327. 23 Schirmer, »Finanzen«, 179–183. 24 Willoweit, Verfassungsgeschichte, 127–128. 25 Lanzinner, »Zeitalter«, 82–83; Press, Kriege, 118–119; Müller, Fürstenhof, 25–29.

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eben der Einrichtung von Zentralverwaltungen in den deutschen Territorien vollzog sich auch die Entwicklung von Gesetzgebung und Finanzmanagement unter Bedingungen von im Reich getroffenen Arrangements und durch das Beispiel der Habsburger als territorialer Regenten. 1 Natürlich hatte es schon vor diesen Initiativen in einigen Territorien, vor allem in Städten wie Nürnberg mit seinen Reformen von 1479 und anderen süddeutschen Reichsstädten, vergleichbare Entwicklungen gegeben. 2 Generell aber kam der Impuls von Maximilian I. und Ferdinand I., die sich auf burgundische/französische Traditionen bezogen und mit den bis dato vorherrschenden deutschen/österreichischen Konventionen brachen. Vor allem sorgten sie für die Verbreitung des römischen Rechts und machten so den Zeitraum zwischen 1490 und 1530 zur entscheidenden Phase für die praktische Rezeption der neuen Rechtslehre im Reich. Der grundlegende Effekt dieses Prozesses lag in der Kollationierung oder Kodifizierung territorialer Gesetze, der Systematisierung rechtlicher Verfahren und der ständig wachsenden Policeygesetzgebung. Um 1550 hatten Territorien wie Bayern, Brandenburg und Württemberg den Habsburgern bereits nachgeeifert und Territorialgesetze kollationiert und veröffentlicht sowie gerichtliche Verfahrensregeln formuliert. Andere Territorien überarbeiteten ihre bereits im 15. Jahrhundert entwickelten Regelwerke in Übereinstimmung mit der für das Reich vorgesehenen Gesetzgebung. Ebenso wurden Strafgesetzbücher im Rahmen der von der Constitio Criminalis Carolina (der sogenannten Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V.) von 1532 vorgesehenen Regeln revidiert. Nach 1555 wurde die Rechtsreform zum Hauptaugenmerk der Regenten bei den Bemühungen, ihre Position zu stabilisieren und zu konsolidieren. Das römische Recht war so klar und autoritativ, dass es für alle, die auf der regionalen und lokalen Ebene jene Gesetzesherrschaft zu etablieren suchten, von der viele meinten, sie sei in den Institutionen des Reichs bereits präsent, attraktiver als je zuvor erscheinen musste. In manchen Fällen bestand das Ziel einfach nur darin, Gewohnheitsrecht in römisches Recht zu überführen. Die Pfalz, Baden, die Grafschaft Solms und die Reichsstädte Nürnberg und Frankfurt (Main) folgten dem von Herzog Christoph von Württemberg 1555 gegebenen Beispiel und wurden im Lauf der folgenden Jahrzehnte selbst zu häufig kopierten Modellen. 3 In Sachsen, wo der Kurfürst die Universitäten von Leipzig und Wittenberg anwies, alle existierenden Territorial-

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gesetze zu sammeln und zu überarbeiten, wurde 1572 ein Gesetzbuch publiziert, das römische Rechtsprinzipien einführte und zugleich jene traditionellen Gesetze, die mit dem römischen Recht zu vereinbaren waren, bewahrte. Ungeachtet aller Unterschiede in der Gewichtung, wurden die parallel verlaufenden Prozesse der Rechtsrevision mit einem gemeinsamen Ziel betrieben: Recht musste geschrieben oder gedruckt und veröffentlicht, Gewohnheitsrechte und lokale, durch mündliche Tradition überlieferte Gesetze mussten ersetzt werden. Zudem wurde damit die Rechtsprechung den lokalen Gerichten entzogen und die diesbezüglichen Rechte des Fürsten gestärkt, was nicht nur die Dorfgemeinschaften, sondern auch die Adels- und Stadtrechte in Mitleidenschaft zog. Der Rechtsprozess wurde gestrafft sowie beschleunigt und die Richter erhielten größere Entscheidungsbefugnis. Außerdem wurde der Rechtsprozess jetzt zunehmend in die Hand von juristisch ausgebildeten Fachleuten gelegt, die an die Stelle von nach dem Gewohnheitsrecht urteilenden Laienrichtern und -assessoren traten. Und schließlich zielten die Gesetzbücher darauf ab, jedes Territorium mit einer einzigen Zusammenstellung von Gesetzen auszustatten, was häufig jedoch erst zu einem späten Zeitpunkt erreicht wurde. So galt das für Oberbayern 1518 formulierte Gesetzbuch einfach als Modell für die Gesetzgebung, die später in Niederbayern gültig wurde. Ein einheitliches Gesetzbuch für beide Teile gab es erst 1618. 4 Auf vergleichbare Weise setzten die Reichspoliceyordnungen von 1530, 1548 und 1577 Normen, die in den Territorien in sehr viel detailliertere und umfassendere Gesetzgebung transformiert wurden. 5 Hunderte Verordnungen wurden veröffentlicht: Eine repräsentative Zusammenstellung der Aktivitäten von 39 Reichsständen (Kurfürsten, säkulare und geistliche Fürsten, Grafen und Reichsstädte) ergab, dass 98 Verordnungen allein im Zeitraum von 1548 bis 1600 veröffentlicht wurden (während es in den vorigen eineinhalb Jahrhunderten 53 gewesen waren). 6 Die Policeyordnungen umfassten generell ein breites Spektrum an Aufgaben. 7 Sie wollten alles Mögliche regulieren: Wucher, öffentliche Gesundheit und Hygiene, Markthandel, Feuerschutz, Gilden und Handwerk, Gotteslästerung, Fluchen und aggressives Verhalten, Luxusgesetze. Gemeinsames Thema war wiederum das Streben nach Ordnung. Ziel sei, so wurde immer wieder hervorgehoben, die Etablierung von Normen für das »Gemeinwohl«; dieser Terminus wurde bei der Begründung und Rechtfertigung von Gesetzen und Regeln am häufigsten verwendet. Die Policeygesetzgebung war kein groß angelegter Versuch, einen absoluten Staat zu errichten oder die Gesellschaft drakonischen Reglements zu unterwerfen. Vielmehr war sie eine Reaktion auf die tiefgehende Krise, die ab dem 15. Jahrhundert die gesellschaftlichen Traditionen erfasst hatte. Gesetzlosigkeit, neue wirtschaftliche Aktivitäten und damit verbundene soziale Verschiebungen sowie die durch die Reformation bewirkten Brüche waren nur einige Erscheinungsformen jener grundlegenden Probleme, die durch Policeygesetzgebungen gelöst wer-

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den sollten. Allerdings mussten derlei Gesetze häufig neu erlassen werden, was zeigt, dass sie nicht viel wirksamer als die Reichsgesetze waren, die ihnen als Beispiel dienten. Ein Jahrhundert später mokierte sich Christian Thomasius über die Policeyordnungen, die nur von den Kirchentüren und anderen Gegenständen, an denen man sie im Rahmen öffentlicher Verlautbarung befestigte, beachtet würden. 8 Auch die Reichsexekutionsordnung von 1555 hatte endlich die Verantwortung für die öffentliche Ordnung im Reich an die Territorien delegiert; jeder Regent war verpflichtet, im Fall einer Bedrohung der Sicherheit auf entsprechende Maßnahmen vorbereitet zu sein. Das aber enthüllte fast sofort die Unfähigkeit der Verteidigungssysteme in den Territorien. Einerseits funktionierte das alte feudale, auf Ritterschaft beruhende Militärsystem nicht mehr; der Kleinadel zog es vor, sich seiner militärischen Pflichten durch Zahlung zu entledigen. Andererseits waren Söldner überaus kostspielig und galten selbst als mögliche Bedrohung der öffentlichen Sicherheit. Aber die Notwendigkeit einer wirksamen Streitmacht zeigte sich in den Jahrzehnten nach 1555 mit aller Deutlichkeit. Auch dabei gingen die Habsburger tatkräftig voran. 9 Angesichts der Türkengefahr argumentierte Lazarus von Schwendi mit Nachdruck für die Neubelebung und Ausweitung der »Landfolge«, das heißt der Verpflichtung der Untertanen, in Notfällen Hilfsdienste zu leisten. Die ersten Elemente einer solchen Verteidigungsorganisation wurden im späten 15. Jahrhundert in Kärnten, der Krain und der Steiermark eingeführt; 1518 gab es ein vergleichbares System für Tirol und im weiteren Jahrhundert entwickelten die Habsburger aufgrund der permanenten türkischen Bedrohung ihre innerösterreichischen Milizen. 10 1572 sorgte Schwendi dafür, dass die elsässischen Stände einem ähnlichen System zustimmten, damit der Bedrohung durch Frankreich etwas entgegengesetzt werden konnte. Damit wurde eine einigermaßen wirksame regionale Kooperation ermöglicht, die ihr Ende fand, als die Protestanten auf den katholischen Regenten der österreichischen Vorlande, Erzherzog Ferdinand II., 1586 mit Misstrauen reagierten. 11 Neu an Schwendis Ideen war, dass er die Zweifel von Experten wie dem Reichsfeldmarschall Reinhard von Solms (* 1491, † 1562) an der Volksbewaffnung verwarf. 12 In einer Reihe von einflussreichen Beiträgen propagierte Schwendi Machiavellis Lob der römischen Tugend, das Volk in die Verteidigung des Vaterlands einzubeziehen. Diese Idee lag auch den Verteidigungsplänen zugrunde, die Johann VI. von Nassau-Dillenburg (1559–1606) entwickelte und die im Wesentlichen von seinem Sohn Johann VII. von Nassau-Siegen (1607–1623) umgesetzt und fortgesetzt wurden. Die Weigerung des Reichstags, den Reformierten Religionsfreiheit zu gewähren, wie es die Pfalz 1576 gefordert hatte, führte bei den kleineren reformierten Territorien zu einem Gefühl wachsender Unsicherheit. Vor allem Johann VI. stand unter dem Einfluss der Erfahrungen, die sein älterer Bru-

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der, Wilhelm von Oranien, in den Niederlanden gemacht hatte. Zudem kannte er die französischen Religionskriege und war sich der wachsenden Bedrohung im Nordwesten des Reichs bewusst, die von den Verwerfungen in den Niederlanden ausging. Ab Beginn der 1580er Jahre mobilisierte er die Streitkräfte der Wetterauer Grafen und hatte binnen eines Jahrzehnts ein beeindruckendes System der Rekrutierung und militärischen Ausbildung auf die Beine gestellt. 13 Die theoretischen und philosophischen Grundlagen der Nassauer Initiative lassen eine bedeutsame Weiterentwicklung von Schwendis Ideen erkennen. Schwendi hatte Machiavelli und die römische Antike beschworen, um der alten Institution der Landfolge neues Leben einzuhauchen. Der zukünftige Johann VII., jetzt noch Befehlshaber der Wetterauer Streitkräfte, entfaltete in seinem 1595 erschienenen Verteidigungsbuch so etwas wie eine neostoische Philosophie des Vaterlands. Unter Berufung auf die calvinistische Vertragstheorie von Theodor Beza (Théodore de Bèze) und anderen Werken, die sein Vater in den 1570er Jahren angeschafft hatte, schrieb er über die gegenseitige Verpflichtung von Herrschern und Untertanen. 14 Wenn man Letztere gut behandelt, sollte man keine Furcht davor haben, sie zu bewaffnen. Die Untertanen ihrerseits hatten die Pflicht, ihren Regenten und ihr Vaterland zu verteidigen. Indem sie eine traditionelle Form wiederbelebten, entwickelten die Grafen von Nassau sie weiter. Sie fassten das Volk nicht mehr rein feudalistisch als dem Adel untertan auf, sondern appellierten an die Menschen als Bewohner eines Territoriums oder Vaterlands. Natürlich waren sie vorsichtig genug, den Truppen adlige Befehlshaber vorzusetzen, und sie gingen wie Schwendi davon aus, dass die Rekrutierten gut entlohnt werden sollten. 15 Im Allgemeinen sahen sie in dieser Art von Militärorganisation eine Möglichkeit, das Vaterland zu stärken und die Bevölkerung zu integrieren und zu disziplinieren. Das Nassauer Modell fand viele Nachahmer. Beide Johanns warben unermüdlich für ihre Sache. Anerkennung wurde ihnen auch dadurch zuteil, dass ihre Milizen der Sache der Reformierten 1592 in der Pfalz erfolgreich zur Seite standen und dass es ihnen 1599 gelang, Nassau vor einer Plünderung durch vorbeiziehende spanische Truppen zu bewahren. 16 Die allgemeine Unsicherheit der Epoche, die zur Bildung zahlreicher regionaler Verteidigungsbündnisse und zur Gründung der großen konfessionellen Vereinigungen nach 1600 führte, verstärkte die Ausbreitung vergleichbarer Initiativen überall im Reich. 17 Die Pfalz hatte bereits in den 1580er Jahren mit Milizen experimentiert. Allein im Jahr 1600 wurden solche Verbände in Hessen, Braunschweig, Baden, Ansbach und dem Herzogtum Preußen gegründet; Sachsen und Brandenburg folgten 1613. Die Bewegung war nicht auf protestantische Territorien beschränkt. Nach einigen Jahren der Vorbereitung und des Studiums der Vorkehrungen in der Pfalz wie auch der Systeme in Florenz und anderen italienischen Orten veröffentlichte

42. Innenpolitik und Verteidigung

Maximilian I. von Bayern 1600 ein Dekret zur Aufstellung einer Miliz, womit er sich anderen katholischen Territorien wie Mainz, Würzburg und Bamberg anschloss. 18 1604 wies der Reichspfennigmeister Zacharias Geizkofler den Kaiser darauf hin, dass die meisten Fürsten im Reich in den letzten fünf Jahren solche Organisationen zur Heimatverteidigung institutionalisiert hätten. Er empfahl eine Überprüfung der Vorkehrungen in den österreichischen Erblanden mit dem Ziel, sie gemäß den modernen, von Nassau entwickelten und von Moritz von Hessen verfeinerten Systemen zu überholen. Theoretisch waren diese Milizen ein radikaler Neubeginn. Einbezogen war ein relativ geringer Prozentsatz der Bevölkerung: In Sachsen zum Beispiel wurden an die zehn Prozent eingezogen und nirgendwo gab es so etwas wie einen allgemeinen Wehrdienst. Doch die Rekrutierungsverfahren wiesen einen beeindruckenden Grad an Koordination und Ressourcenplanung auf. Beträchtlichen Wert legte man darauf, dass weder die Landwirtschaft noch die urbane Ökonomie zu leiden hatten. Auch wollte man freiwillige Rekruten; in Hessen etwa wurden bei der Einberufung Standardfragen gestellt wie: »Willst du wirklich Soldat werden?« 19 Außerdem wurden die Milizionäre zumeist mit den neuesten Feuerwaffen ausgerüstet. Allerdings achteten Regenten wie Herzog Maximilian von Bayern darauf, dass diese Waffen sicher verwahrt wurden, da er sie nicht in den Händen der Untertanen lassen wollte. 20 Fast nirgendwo wurde die Philosophie der Nassauer Grafen vollständig übernommen. Besondere Aufmerksamkeit wurde dem militärischen Drill gewidmet; in diesem Zusammenhang prägte Johann VI. den Ausdruck Trillerey. Abgesehen von der damit verbundenen Disziplinierung, war der Drill auch für die Handhabung der neuesten Feuerwaffen erforderlich: Die Nassauer Instruktionen für das Laden und Abfeuern einer Muskete listeten nicht weniger als 20 verschiedene Handlungen auf, die in der Bewegung und beim Feuern auf sich bewegende Ziele auszuführen waren. 21 Einige Regenten bevorzugten Rekruten aus der Stadt, da diese, selbst wenn sie den untersten Schichten entstammten, im Allgemeinen besser ausgebildet und daher den Anforderungen des Systems eher gewachsen waren. Klar ist auch, dass viele Regenten sich für die Idee, eine Streitkraft zur Verteidigung des territorialen Vaterlands aufzustellen, begeistern konnten. Die Haltung des Adels war dagegen nicht so eindeutig. In manchen Territorien wie etwa Sachsen wehrte sich der lokale Adel mit Nachdruck gegen die Einführung eines Milizsystems, da er dadurch seine eigenen Rechte über die Bauern gefährdet sah. 22 Anderenorts jedoch lag dem Adel auch sehr viel an einem verlässlichen Verteidigungssystem, das nicht nur preiswert war, sondern, vorausgesetzt die Truppen hatten adlige Befehlshaber, auch keine Bedrohung für die gesellschaftliche Ordnung darstellte. Tatsächlich ist es, nur zwei Generationen nach dem Bauernkrieg, bemerkenswert, dass Regenten überhaupt bereit waren, ihre Untertanen in die

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Verteidigung ihrer Territorien einzubeziehen und in einigen Fällen sogar mit Waffen auszustatten, die mit nach Hause genommen werden konnten. 23 Wie effektiv die Milizen in militärischer Hinsicht tatsächlich waren, steht auf einem anderen Blatt. Die Erfolge der Nassauer Truppen in den 1590er Jahren wurden in begrenzten lokalen Konflikten und taktischen Scharmützeln, nicht in ernsthaften militärischen Konfrontationen erreicht. Die Leistungen der bayrischen Milizen in den 1620er Jahren waren so enttäuschend, dass Maximilian das in sie investierte Geld für verschwendet hielt. Ab Ende 1632 wurden diejenigen, die man sonst rekrutiert hätte, de facto dazu gebraucht, um zu den Kosten von Söldnern beizutragen. 24 Was in Nassau, einem relativ kleinen Territorium, in dem der Regent zugleich der einzige Grundbesitzer war, funktionierte, ließ sich dort, wo der Regent gegen die Feindseligkeit des Adels kämpfen musste, sehr viel komplizierter an. Selbst in Nassau war es nicht einfach, Bauern zu bereitwilligen, gar begeisterten Soldaten zu machen. 25 Überall waren die Kosten beträchtlich und fiel es schwer, geeignete Befehlshaber und Ausbilder zu finden oder auch nur die neuesten Waffen zu besorgen. Mit der Zeit hätte das System vielleicht Erfolg haben können. Aber der Dreißigjährige Krieg erforderte wirksamere militärische Aktionen, die eine allgemeine Rückkehr zum Söldnertum notwendig machten. 26

Anmerkungen 1 Strauss, Law, 145–146. 2 Schubert, Spätmittelalter, 124–130, führt an, dass der Begriff Obrigkeit im 14. und 15. Jahrhundert von den Städten erfunden wurde. 3 Strauss, Law, 87–90. Einen Überblick über alle wichtigen Initiativen bietet Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 363–373. 4 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 365. 5 Härter, »Entwicklung«, 134–141. 6 Härter, »Entwicklung«, 136. 7 Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 74–91; Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 257–260. 8 DVG, 397. 9 Schulze, »Heeresreform«; Schnitter, Volk, 39–49. 10 Schulze, Landesdefension, 36–55. 11 Oestreich, »Heeresverfassung«, 296–297. 12 ADB, Bd. XXXIV, 584–585. Solms diente unter Karl V. und Maximilian II. 13 Schmidt, Grafenverein, 135–147. 14 Oestreich, Antiker Geist, 342–348; Schulze, »Landesdefensionen«, 145–146. 15 Schulze, »Landesdefensionen«, 143–145. 16 Oestreich, Antiker Geist, 298. 17 Schnitter, Volk, 113–132; HMG, Bd. I, 66–100. 18 Schulze, »Landesdefensionen«, 138; Albrecht, Maximilian I., 379–385; Frauenholz, Entwicklungsgeschichte, Bd. III.2, 9, 37–46. 19 Schulze, »Landesdefensionen«, 140–141.

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Albrecht, Maximilian I., 381. Schulze, »Landesdefensionen«, 142–143. Schulze, »Landesdefensionen«, 133. Schulze, »Landesdefensionen«, 146. Albrecht, Maximilian I., 384–385. Schmidt, Grafenverein, 147, 153–155. Frauenholz, Entwicklungsgeschichte, Bd. III.2, 31–34; Oestreich, Antiker Geist, 302–303; Schulze, »Landesdefensionen«, 147–148; Schnitter, Volk, 132–143.

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ass Aspekte der inneren und äußeren Sicherheit mit Problemen von Religion und kirchlicher Organisation, Bildung und moralischer Wachsamkeit zusammenhingen, dürfte jedem, der mit Regierungs- und Verwaltungstätigkeit befasst war, ganz natürlich vorgekommen sein. Zumindest implizit besagten die Bedingungen des Augsburger Friedensschlusses, dass die Reichsstände die Freiheit besaßen, sich in Sachen Religion und Kirche um die Wiederherstellung von Ordnung zu bemühen. Das hieß unter anderem, die Entsprechung zwischen der Religion eines Regenten und der seiner Untertanen, die vor der Reformation gegeben war, wiederherzustellen. Im Bewusstsein der Fürsten und Magistrate waren politischer und religiöser Gehorsam eng miteinander verbunden. Natürlich wurde im Augsburger Friedensschluss anerkannt, dass die vorreformatorischen Verhältnisse sich grundlegend gewandelt hatten und die Existenz von zwei christlichen Konfessionen im Reich zunächst einmal akzeptiert werden musste. Im Hinblick auf einige Reichsstädte wurde auch anerkannt, dass keine von beiden bevorzugt werden durfte, weil sonst ein Bürgerkrieg die Folge wäre, sodass Katholiken und Protestanten per Reichsgesetz gleiche Rechte erhielten. Im Allgemeinen aber galt, trotz des Grundrechts auf Emigration für katholische oder lutherische Minderheiten, die Daumenregel: Regenten konnten bestimmen, welcher Glaube der vorherrschende in ihrem Territorium sein sollte. Diesen Glauben zu verankern und für sein Wohlergehen zu sorgen, gehörte ebenso zu den Pflichten eines christlichen Herrschers wie die Pflege des Rechtssystems oder die Verteidigung seiner Untertanen gegen Angriffe. 1 In letzter Hinsicht hing der Versuch, Glaubensdisziplin durchzusetzen, von den politischen Gegebenheiten im Reich ab. Die deutschen Territorien erlebten in extremer Weise, was in vielen Ländern Ostmittel-, Mittel- und Westeuropas Alltag war: Grenzen, die nicht nur Herrschafts- und Rechtsprechungsbereiche, sondern auch miteinander konkurrierende Versionen des Christentums trennten. Eine offizielle Kirche und ihre Lehre zu etablieren, war genauso natürlich wie die Legitimierung der Regierungsbefugnis. Aber die gemeinsame politische Kultur prägte, unabhängig von der jeweiligen Konfession, die Ausdrucksformen kirchlichen Lebens in allen Territorien des Reichs. Die Katholiken in Bayern verband mit den Protestanten in Württemberg mehr als mit den Katholiken in Andalusien oder auf Sizilien. 2

43. Konfessionalisierung?

Es dauerte eine Weile, bis die Regenten (nicht alle) die ihnen 1555 gewährte Macht auch wirklich ausübten. Zudem machte die Entstehung einer zweiten protestantischen Kraft in Gestalt der calvinistischen oder reformierten Kirche die Lage nicht eben einfacher. Sie war reichsrechtlich nicht anerkannt, breitete sich aber, ungeachtet der Ablehnung durch den Reichstag, aus und wurde schon bald, nicht zuletzt durch den Übertritt des pfälzischen Kurfürsten, zu einer dauerhaften politischen Macht. Zudem mussten die Kirchen, bevor ekklesiastische Disziplin durchgesetzt werden konnte, selbst erst einmal klären, wozu genau sie sich bekannten: Vor der Konfessionalisierung stand die Bestimmung der Konfession. Selbst die katholische Kirche mit ihrer lang währenden Kontinuität von Doktrin und Dogma benötigte für ihre Erneuerung viele Jahrzehnte. In diesem Prozess gab es einige Marksteine: die Kodifizierung von Dogma und Ritual durch das Tridentinische Konzil (1545–1563), die Entstehung der jesuitischen Seminare im Reich ab 1552, die Gründung des Collegium Germanicum in Rom 1562, die Einrichtung des Systems von Botschaftern und Legaten in den 1570er/1580er Jahren und ab den späten 1590er Jahren die Entstehung eines Netzwerks von Kapuzinerklöstern. 3 Ebenso langwierig und noch komplexer war die Entwicklung der protestantischen Kirchen. 1557, 1558 und 1561 unternahmen die lutherischen Fürsten den Versuch, sich auf eine gemeinsame Lehre zu einigen, was jedes Mal scheiterte. Die nach Luthers Tod 1546 zwischen lutherischen Theologen auftretenden Differenzen wurden durch die Spannungen zwischen der albertinischen und der ernestinischen Linie der sächsischen Dynastie noch verstärkt. 1547 erhielten die Albertiner, die Karl V. immer treu geblieben waren, den Kurfürstentitel und die östliche Hälfte der ernestinischen Ländereien, darunter die Stadt Wittenberg samt ihrer Universität. Die neuen Kurfürsten machten nun Dresden zu ihrer Hauptresidenz und beanspruchten unter den Protestanten im Reich die Führungsrolle, weil sie ja nun über die Universität Wittenberg verfügten, deren theologische Fakultät von Melanchthon, Luthers anerkanntem Nachfolger, beherrscht wurde. 4 Unterdessen machten die zurückgesetzten ernestinischen Herzöge sich daran, ihre Machtposition in den ihnen verbliebenen Gebieten neu aufzubauen, und gründeten schon bald ihre eigene Universität in Jena, die 1558 ihren Lehrbetrieb aufnahm. 5 Die beiden sächsischen Universitäten wurden sodann zu institutionellen Brennpunkten unterschiedlicher Schulen lutherischen Denkens, die als Reaktion auf das Interim von 1548 entstanden und einander spinnefeind waren. Während Melanchthon versöhnlich argumentierte und Fragen der äußeren Form des Gottesdienstes für eher nebensächliche Dinge hielt (adiaphora), verurteilten die sogenannten Gnesiolutheraner (»Echte Lutheraner«) die Anhänger Melanchthons, die »Philippisten«, wegen ihrer Bereitschaft, »papistische« Rituale zu akzeptieren. Bezeichnenderweise betraf eine der ersten Berufungen an die Universität Jena den prominenten Gnesiolutheraner Matthias Flacius Illyricus.

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Während der 1550er Jahre gab es eine Reihe von theologischen Kontroversen, die verdeutlichten, wie tief gespalten die lutherischen Theologen waren. Aber wenn es um den Kernbereich von Luthers Lehren ging, waren sie durchaus fähig, zu kooperieren. So tat sich Melanchthon mit den Gnesiolutheranern Nikolaus von Amsdorf und Matthias Flacius Illyricus zusammen, um gemeinsam mit Calvin in einer Kampagne nach 1549 gegen Andreas Osiander zu Feld zu ziehen. Osiander hatte Luthers Rechtfertigungslehre geleugnet. Aber untereinander blieben sie zerstritten. Ein Versuch des Kanzlers der Universität Tübingen, Jakob Andreae, 1568/ 69 eine Einigung herbeizuführen, scheiterte am wechselseitigen Misstrauen. Zudem hegte keines der beiden Lager besondere Sympathie für einen Außenseiter, der ihnen überdies als zweitrangig galt. Die Situation in Jena entspannte sich etwas, nachdem Flacius 1561 entlassen worden war, weil er den Herzog der allzu exzessiven Kontrolle kirchlicher Angelegenheiten beschuldigte. In Wittenberg wurde es ruhiger, nachdem der Kurfürst 1574 den führenden philippistischen Theologen Christoph Pezel, seinen Superintendenten Johann Stössel und zwei seiner eigenen engsten Berater hatte einkerkern lassen, weil er sie einer Verschwörung mit den Calvinisten bezichtigte. 6 Die Kontroverse legte sich nun allmählich, denn nach dem Tod von Herzog Johann Wilhelm 1573 hatte Kurfürst August für seinen Neffen bis 1586 auch die Verwaltung der ernestinischen Ländereien übernommen, wodurch die Konkurrenz zwischen Wittenberg und Jena gedämpft wurde. Unterdessen war es Andreae und anderen gelungen, eine gemeinsame Erklärung zu verabschieden, und 1577 lag ein neues Glaubensbekenntnis vollständig vor. 7 Im Juni 1580, zum 50. Jahrestag des Augsburger Bekenntnisses, wurde es in Dresden veröffentlicht. In den folgenden Jahren sollten 86 Regierungen und über 8.000 lutherische Theologen und Pastoren die »Konkordienformel« anerkennen, die so für die nächsten zweieinhalb Jahrhunderte das formelle Repositorium der lutherischen Lehre wurde. Der Schlüssel zum Erfolg lag in ihrer moderaten und ausgewogenen Haltung. Durch die Rückbesinnung auf Luthers Schriften und das Augsburger Bekenntnis legte sie das Fundament für eine kanonische Tradition und eine gemeinsame Geschichte. Zugleich grenzte die Formel den lutherischen Glauben scharf gegen Katholizismus und Calvinismus ab. 8 Angesichts der vorherigen inneren Zerrissenheit des Luthertums war die Konkordienformel ein Triumph. Allerdings repräsentierten die 86 Regierungen, die sich ihr anschlossen, nur etwa zwei Drittel der lutherischen Territorien. In einer Art Verkehrung der Fronten der 1550er Jahre fanden viele Philippisten es jetzt schwierig, jene Kompromisse zu akzeptieren, die die Formel in ihren Augen im Hinblick auf von ihnen für »papistisch« gehaltene Rituale machte. Dabei vollzogen sie den Schulterschluss mit der reformierten Kirche der Schweiz, deren Lehren durch die Nachfolger von Zwingli, Bucer, Bullinger und Calvin vermittelt wurden.

43. Konfessionalisierung?

Sie lehnten alle Rituale und Zeremonielle ab und bestritten die Realpräsenz Christi im Brot des Abendmahls. Viele Fürsten hatten weniger hehre Motive für die Ablehnung der Formel. Philippisten waren nicht nur in den süddeutschen Reichsstädten, sondern auch in Pommern, Holstein, Anhalt, Hessen und Pfalz-Zweibrücken einflussreich. Für einige von Sachsens kleineren Nachbarn war das entscheidende Motiv ihre Furcht vor sächsischen Expansionsbestrebungen. So kamen zum Beispiel die Grafen von Reuss dazu, ihr eigenes Glaubensbekenntnis zu formulieren, das bis zum 20. Jahrhundert gültig blieb und sicherstellte, dass der Kurfürst keinen Grund fand, in ihrem Territorium eine Visitation durchzuführen. 9 Während einige Philippisten neutrale Lutheraner blieben, die sich zu keiner besonderen Tendenz oder Richtung bekannten, schlossen sich andere den deutschen Reformierten an. Wesen und Name dieser zweiten protestantischen Bewegung sind seit den späten 1970er Jahren Gegenstand von gelehrten Auseinandersetzungen geworden. Die offenkundige Unzufriedenheit der Philippisten mit dem Hauptstrom des Luthertums hat einige behaupten lassen, sie hätten sich dem Calvinismus zugewandt, um eine »zweite Reformation« zu bewirken. 10 Aber die deutsche reformierte Bewegung ordnete sich Calvin und dem Calvinismus nicht gänzlich unter und ihre Protagonisten sprachen lieber von einer »weiteren« statt von einer »zweiten« Reformation. 11 Im Großen und Ganzen waren sie von den Ergebnissen der lutherischen Reformen enttäuscht und wollten nicht nur die Kirche, sondern das Leben selbst reformieren. Sie teilten Calvins Ablehnung von Bildern jeglicher Art, ersetzten die Altäre durch Abendmahlstische und benutzten für den Wein einfache Becher; ihre Kirchen glichen um die Kanzel zentrierten Hörsälen, in denen es selbst einen Lutheraner fröstelte, wenn er sie betrat. 12 Auch die Lehre war wesentlich calvinistisch, was vor allem das Dogma der nur symbolischen Präsenz Christi im eucharistischen Brot betraf. Im Übrigen wurde bei den Reformierten den Laien gewöhnliches Brot statt der Hostie gereicht. Aber es gab auch bedeutende Unterschiede. Die klassischen calvinistischen Presbyterien waren nur für die frühe reformierte Bewegung typisch, die aus niederländischen Flüchtlingen bestand. Dergleichen gab es in den 1540er und 1550er Jahren in den Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg und der Grafschaft Mark. Eine vergleichbare Bewegung ließ die Reichsstadt Bremen 1581 calvinistisch werden. Einen weiteren Sonderfall – und das einzige Beispiel im Reich für die Verbindung von Calvinismus und Rebellion gegen die Obrigkeit, die für die Niederlande, Frankreich und Schottland so typisch war – bildete die ostfriesische Hafenstadt Emden. Dort spielten holländische Flüchtlinge die Hauptrolle in einer calvinistischen Rebellion gegen die etablierte Kirche der lutherischen »Fleischfresser«. Es war zugleich eine Rebellion der Stadtgemeinschaft gegen die regierenden Grafen. 13 Nach jahrzehntelangen Konflikten, die 1595 ihren Höhepunkt in einer Revolution fanden, war Graf Edzard II. endlich bereit, den Calvinismus als einzig legitime Re-

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ligion in der Stadt anzuerkennen. Die kommunalen Rechte wurden erneut bestätigt, als Enno III. 1599 die Nachfolge antrat. Es war die erste förmliche wie öffentliche rechtliche Anerkennung des Calvinismus im Reich durch einen Herrscher, der nicht der reformierten Kirche angehörte. Im Hinblick auf die Reichsgesetzgebung war die Anerkennung jedoch illegal. Von Anbeginn drehte sich der Konflikt nicht nur um religiöse Belange, sondern auch um kommunale Rechte. Alle ostfriesischen Stände, die lutherische Mehrheit wie das calvinistische Emden, stimmten dem Konkordat von 1599 zu, das die Grafen verpflichtete, die kirchlichen Rechte aller Kommunen anzuerkennen, wodurch das ius reformandi faktisch von den Fürsten auf die Kommunen übertragen wurde. 14 Verbreiteter war jedoch, dass die »weitere Reformation« der reformierten Kirche in Deutschland von oben durchgeführt wurde. Prominentestes Beispiel war die Pfalz, wo Friedrich III. (1559–1576) das von seinen Vorgängern Friedrich II. (1544–1556) und Ottheinrich (1556–1559) eingerichtete lutherische System mit Änderungen versah, die 1563 in der Veröffentlichung des Heidelberger Katechismus gipfelten. Die ungehemmte Entfaltung eines reformierten bzw. calvinistischen Systems fand ein vorläufiges Ende, als Ludwig VI. (1576–1583) sich entschloss, zum Luthertum zurückzukehren. Mitunter fanden in Hof und Verwaltung Säuberungsaktionen statt und an die fünf- bis sechshundert Pastoren mussten das Land verlassen. 1583 verlief das Ganze dann wieder umgekehrt; nun vertrieb Johann Casimir, der Administrator während der Unmündigkeit von Friedrich IV. (1583– 1592), die Lutheraner. Friedrich IV. (1592–1610) setzte diese Politik fort, wie auch sein Nachfolger Friedrich V. (1610–1623), der die Pfalz in das böhmische Abenteuer und damit in eine Katastrophe verstrickte, die zu seiner Absetzung, dem zeitweiligen Verlust der Kurwürde und der Rekatholisierung der Pfalz führte. Abgesehen von dem gewalttätigen lutherischen Zwischenspiel und dem chaotischen Ende, zeichnete sich das Pfälzer Modell durch seinen Top-down-Charakter aus. 15 Das klassische westeuropäische Modell war aber Bottom-up organisiert: Presbyterien waren die Grundlage für synodale Organisationen wie zugleich für den Anspruch von Gemeinden auf Regierungsbeteiligung, wo nicht gar auf eigenständige Regierung. Dagegen entstanden die reformierten Kirchen in Deutschland nicht in Kampf und Gegnerschaft gegen die Obrigkeit und ihre Presbyterien waren folglich wenig mehr als Agenturen der Staatskirche und Mittel zur Durchführung von fürstlicherseits angeordneten Visitationen. 16 Dem Beispiel der Pfalz folgen in den nächsten fünf Jahrzehnten eine ganze Reihe von Territorien, viele davon waren kleinere Grafschaften im Westen des Reichs. 17 In Westfalen waren es Bentheim, Tecklenburg und Lippe, am Rhein Neuenahr (inklusive der niederrheinischen Grafschaft Moers), Simmern, Zweibrücken und Baden-Durlach (zeitweilig im Jahr 1599). In der Wetterau wurde der reformierte Glaube zwischen 1577 und 1589 in fünf Grafschaften, allen voran Nassau-

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Dillenburg, eingeführt, gefolgt von Hanau-Münzenberg 1591, Anhalt 1596 und Hessen-Kassel 1606. Und schließlich kamen zwischen 1609 und 1616 noch ein paar verstreute schlesische Territorien dazu (Wohlau, Liegnitz, Brieg, Jägerndorf und Beuthen). Damit war die in sich so unterschiedliche Gruppe von insgesamt 28 reformierten Territorien im Reich vollständig. In fast allen wurden die für den Calvinismus so typischen demokratischen Kircheninstitutionen an die Struktur der deutschen Landeskirche, wie sie die lutherische Reformation hervorgebracht hatte, angepasst. Der lutherische Kirchenrat wurde einfach in Konsistorium umbenannt und aus Superintendenten wurden Inspektoren. In Nassau und drei der anderen Wetterauer Grafschaften beschloss die Herborner Synode von 1586 die Übernahme des presbyterialen Systems, das von der 1585 verabschiedeten Middelburger Kirchenordnung als Norm für alle westeuropäischen Calvinisten vorgesehen war. Die Pastoren wurden von Presbytern gewählt, die ihrerseits von der Gemeinde gewählt worden waren, und der Regent war der Synode verantwortlich. Aber der Graf kontrollierte die Kirche auch weiterhin »über den Kirchenrat, Superintendenten und Visitationen; außerdem finanzierte er die Kirche und regelte die Heiraten«. 18 Ungeachtet aller theologischen und kulturellen Unterschiede zwischen den drei Konfessionen, waren den in ihrem Namen durchgeführten Reformen wichtige Eigenschaften gemein. Obwohl in den meisten Fällen die religiöse Einstellung des Regenten entscheidend war, spielten auch territoriale Ambitionen eine wichtige Rolle. Die Etablierung einer territorialen oder Landeskirche ging Hand in Hand mit dem Bestreben, ein Territorium geografisch zu konsolidieren und seine Regierung effektiver zu gestalten. Wenn der Regent die Verantwortung für die Kirche übernahm, dann damit auch für ein Spektrum an mit ihr zusammenhängenden Institutionen. Die Verwaltung einer großen Anzahl von Wohltätigkeitseinrichtungen – Hospitälern, Armen- und Waisenhäusern und Ähnlichem – war zwangsläufig auf das Engste mit den sozialen und Wohlfahrtsfunktionen verbunden, die in den Policeyordnungen vorgesehen waren. Von größerer strategischer und politischer Bedeutung waren die Bildungseinrichtungen. Die Ausweitung der Regierungsfunktionen bewirkte die Aufblähung des Personals und steigerte damit den Bedarf an entsprechend ausgebildeten Beamten. Und mit der Festlegung der Konfession ging die Ausarbeitung theologischer Systeme einher, wozu man akademische Theologen ebenso wie Lehrer zur Unterrichtung der Geistlichen benötigte. Bislang hatten die Reichsstädte für die niedere und höhere Bildung gesorgt, jetzt aber übernahmen überall im Reich die Regenten die Initiative. Zwischen 1500 und 1618 hatte sich die Anzahl der Studenten fast verdoppelt und war von 4.200 auf ca. 8.000 gestiegen, wobei die Zunahme auf einen starken Rückgang in den 1520er und 1530er Jahren folgte. 19 Für die katholischen Regenten bestand das Problem darin, dass nach 1556 nur

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noch sieben Universitäten unter ihrer Kontrolle standen. 20 Drei von ihnen (Mainz, Trier und Erfurt) lagen danieder und die anderen vier (Köln, Wien, Freiburg und Ingolstadt) durchlitten Krisen unterschiedlichen Schweregrads. Trotz der Jesuiten wurde die Wiener Universität unter Maximilian II. faktisch protestantisch. Erst ab Mitte der 1570er Jahre wirkte die Einrichtung von jesuitischen Seminaren sich stärker aus. Die katholischen Territorien – die weltlichen wie die geistlichen – waren nur unvollkommen mit theologischen Seminaren und Schulen ausgestattet, wobei Letztere immerhin von Neuerungen der Jesuiten wie Unterricht in Leibeserziehung und Schauspiel profitierten. Diese Ergänzungen zum akademischen Lehrplan gab es bis zum frühen 17. Jahrhundert. Wichtig war der Einsatz von Regenten wie dem Herzog von Bayern oder Erzherzog Karl II. von Innerösterreich, ebenso der Druck seitens der von Rom eingesetzten Botschafter. Doch behinderten Domkapitel und die Geistlichkeit der Diözesen häufig den Fortschritt, da sie in solchen Maßnahmen einen päpstlichen Eingriff in ihre Rechte erblickten. Die elf Gründungen seitens der Jesuiten zwischen 1552 und 1616, die Etablierung neuer Universitäten in Territorien wie Augsburg (Dillingen 1553), Prag (Olmütz 1573), Würzburg (1575) und Graz (1586) und die Errichtung eines Netzwerks von höheren Schulen wirkten sich erst im Lauf des 17. Jahrhunderts nachhaltig aus. In den lutherischen Territorien, wo sich acht der vor der Reformation gegründeten Universitäten befanden, war die Lage besser. Von den acht wurden fünf während der 1530er Jahre protestantisch und zwischen 1527 (Marburg) und 1623 (Altdorf) wurden weitere sieben neu gegründet. 21 Anfänglich litten die protestantischen Universitäten unter dem gravierenden Nachteil, dass sie für ihre Abschlüsse keine kaiserliche oder päpstliche Legitimation bekommen konnten. 22 Die älteren Universitäten arbeiteten einfach unter ihrem mittelalterlichen Privileg weiter, auch wenn die Legalität dieses Vorgehens angezweifelt wurde. In Marburg jedoch wurden Doktortitel bis 1541 ohne formelle Anerkennung verliehen; dann gelang es Philipp von Hessen endlich, ein kaiserliches Privileg zu bekommen. Als man die Gründung der Universität Königsberg diskutierte, suchte man Rat bei Philipp Melanchthon wie auch bei dem Leipziger Humanisten Joachim Camerarius. Beide erklärten, der Unterricht in Theologie müsse frei von päpstlichen oder kaiserlichen Sanktionen sein. 23 Sofern eine Fakultät nur Zeugnisse (testimonia), nicht aber Titel verlieh, sahen sie kein Problem. Die Verleihung von Doktortiteln in den Fächern Medizin und Recht erachteten sie für problematischer, wussten aber keine Lösung. Die Situation in Königsberg war schwierig, weil das Herzogtum Preußen, das säkularisierte Territorium des Deutschritterordens, faktisch außerhalb des Reichsgebietes lag und Karl V. Herzog Albrecht nicht als Vasallen anerkannte. 24 Der Herzog wandte sich sogar an Rom, hatte damit aber, wie vorauszusehen war, keinen Erfolg. 1560 wurde eine Lösung gefunden, als Königsberg

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vom polnischen König ein Privileg erhielt. Dieser nämlich war Albrechts Oberherr, weil das Herzogtum Preußen ein Lehen des polnischen Königreichs war. Unterdessen veranlasste die Verleihung des Marburger Privilegs 1541 den Reichshofrat, neue Privilegien an alte Institutionen, die lutherisch geworden waren, und an Neugründungen zu vergeben, ein Verfahren, das nach dem Augsburger Friedensschluss quasi automatisch Anwendung fand. Während die lutherische Universität im Wesentlichen die vorreformatorischen Traditionen übernahm, ging von den Reichsstädten und kleinen Territorien, die sich so teure Bildungsausgaben nicht leisten konnte, eine bedeutsame Innovation aus. Die Lateinschulen, die häufig noch aus vorreformatorischer Zeit stammten, wurden reformiert und erweitert. In Hamburg (1529), Lübeck (1531) und Schleswig (1542) richtete Johannes Bugenhagen Gymnasien ein, die Studenten vor Ort auf das universitäre Studium vorbereiten und besonders jene aussuchen sollten, denen der Magistrat Fördermittel für das weitere Studium gewähren würde. 25 Am einflussreichsten war wohl das Gymnasium, das in Straßburg gegründet wurde. In den 1530er Jahren wollten Martin Bucer und Johann Sturm zu dem üblichen Verfahren, die Studenten nach Marburg oder Wittenberg zu schicken, eine Alternative entwickeln. 1538/39 öffnete auf Initiative von Sturm die später als Gymnasium illustre bekannte Schule ihre Pforten. 26 1544 wurde sie bereits von 600 Studenten besucht und diente anderen Reichsstädten und kleinen Territorien, mit wechselndem Erfolg, als Vorbild. 27 Der Straßburger Stadtrat aber hatte noch ehrgeizigere Pläne. 1566 erreichte man, dass der Reichshofrat die Abschlüsse des Gymnasiums als Äquivalent des Titels eines Bakkalaureus anerkannte, und die Bestätigung des schulischen Status als semiuniversitas führte bald zum Gesuch um ein reguläres Universitätsprivileg, das 1621 gewährt wurde. 28 Während viel Energie für die Reform oder Gründung von Universitäten und die Etablierung von ähnlichen Institutionen aufgewendet wurde, investierten die lutherischen Territorien auch in größerem Maß in höhere Schulen als die Katholiken. 29 Die Lutheraner hatten ja nach Jahrzehnten der Unsicherheit und der Unordnung in vielen Gegenden viel nachzuholen. In Augsburg, wo 1623 etwa ein Viertel der Einwohnerschaft katholisch war, gab es 20 protestantische Schulen für 1550 protestantische Schulkinder, aber nur vier katholische Lehranstalten für 240 katholische Schulkinder. 30 Doch auch dort hatten die Bedürfnisse der Regierung Vorrang. Im Großen und Ganzen gab man Lateinschulen, von denen man sich die Ausbildung von Pastoren und Beamten erhoffte, den Vorzug vor deutschen Schulen. In Württemberg und Braunschweig-Wolfenbüttel wurden die alten Klosterstifte in Seminare umgewandelt: Auch dort achtete man auf die soziale Funktion der Auszubildenden; ein Pastor war schließlich der verlängerte Arm der Regierung. Die reformierten Territorien standen vor anderen Problemen, entwickelten aber gegenüber der Bildung auch eine andere Einstellung als Katholiken und Lu-

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theraner. 31 Da sie vom Religionsfrieden ausgeschlossen waren, wurden ihnen auch keine kaiserlichen oder päpstlichen Privilegien zuteil. Genf hatte, nachdem der König von Frankreich ein Privileg verweigerte, sich eines von den Provinzen der nördlichen Niederlande besorgt; Leiden wollte die Gültigkeit seiner Abschlüsse, die ohne kaiserliches oder päpstliches Privileg gewährt wurden, auf England und Frankreich ausweiten. 32 Die deutschen Territorien und Reichsstädte jedoch, die zum verfassungsrechtlichen System des Reichs gehörten, das sie auf keinen Fall verlassen wollten, standen vor grundlegenden Problemen. Nur zwei Universitäten wurden infolge der Konversion von Regenten konfessionell reformiert: Heidelberg 1559 (und erneut 1584) und Marburg 1606; allerdings mussten beide während des Dreißigjährigen Krieges zeitweilig schließen. Auch das in Zerbst vom Grafen von Anhalt 1582 gegründete Gymnasium wurde nach der Konversion des Regenten 1596 reformiert. Weitere höhere Schulen, die lebensfähiger waren als manche Universität, wurden in Steinfurt (Grafschaft Bentheim), in Bremen, Danzig und in Beuthen (Oberschlesien) gegründet. 33 Das erfolgreichste aller reformierten Bildungsunternehmen war die Akademie, die 1584 von Johann VI. von Nassau-Dillenburg in Herborn gegründet wurde.Vorbilder waren das Gymnasium in Straßburg und seine Nachfolger, doch die »Hohe Schule« von Herborn übertraf sie alle. Binnen Kurzem galt sie als Prototyp der europäischen calvinistischen Akademie und zog Studenten aus Siebenbürgen, Litauen, Norwegen und Schottland sowie aus allen Teilen des Reichs an. 34 Eine Zeit lang war Herborn international bedeutsamer als alle Universitäten des Reichs. Ursprünglich war Herborn gegründet worden, um die Erziehung der Söhne des Grafen kostengünstiger zu gestalten, doch hatte die Hohe Schule das Glück, zu einer Zeit gegründet zu werden, als es größeren Zustrom von kryptocalvinistischen Flüchtlingen aus der Pfalz und Sachsen gab. Auch profitierte die Akademie von Graf Johanns allumfassender Vision zukünftiger Reformen und von der Berufung von Johannes Piscator (* 1546, † 1625) als erstem Professor für Philosophie. 35 Piscator hatte seine Ausbildung in Straßburg und Tübingen bekommen und dann in Heidelberg gelehrt, wo er auch das Pädagogium, die Lateinschule zur Vorbereitung auf das Studium, leitete. In Herborn vertrat er eine Mischung aus philippistischen Ideen à la Melanchthon und Bucer, konventionellem Aristotelismus und den neuen (antiaristotelischen) Ansätzen von Petrus Ramus (»Ramismus«). Sein späterhin berühmtester Schüler war Johann Heinrich Alsted (* 1588, † 1638), bei dem sich das Lokale – Alsted war gebürtiger Nassauer – mit dem Europäischen verband. Alsteds Student Johann Amos Comenius (* 1592, † 1670) wiederum trug unter anderen nicht unbeträchtlich zur philosophisch-wissenschaftlichen Blüte im England des 17. Jahrhunderts bei. 36 Bemerkenswert war auch die Aufmerksamkeit, die reformierte Territorien der elementaren und höheren Schulbildung zukommen ließen. 37 Im Gegensatz zu den

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Katholiken und Lutheranern befürworteten die reformierten Kirchen eine möglichst breite Alphabetisierung aus religiösen Gründen, ähnlich motiviert war das die Gründung von Milizen begleitende Denken, Patrioten durch Erziehung hervorzubringen. Dennoch hinkte die Wirklichkeit dem Ideal hinterher. Das Netzwerk an Schulen in Nassau war zwar beeindruckend, vor allem, als es der Hohen Schule ab 1590 gelang, Lehrer in ausreichender Anzahl auszubilden: Es gab Dorfschulen und Mädchen wurden ebenso unterrichtet wie Jungen. Im Ergebnis konnten also mehr Menschen lesen, aber das war natürlich noch keine Revolution in der Alphabetisierung. Die Bildungsbarriere zwischen Stadt und Land blieb bestehen und die Lateinschulen blieben im Wesentlichen auf die Söhne von Beamten, Pastoren und Angehörigen der Handwerkergilden beschränkt. Wahrscheinlich spielte das nassauische Elementarschulsystem weniger für die Bauernschaft als vielmehr für die Entwicklung von Comenius’ Bildungstheorien in den 1650er Jahren eine Rolle. Diese wurden nämlich in Europa einfussreich, nicht zuletzt für die Erziehungsideen von John Locke. Im Reich insgesamt breiteten sich in der ganzen Zeit zwischen dem Augsburger Frieden von 1555 und dem Dreißigjährigen Krieg Reformationen, »weitere Reformationen« der Calvinisten und katholischen Gegenreformationen aus. 38 Einige wurden schon sehr früh durchgeführt, andere später; einige wurden sehr schnell durchgesetzt, andere brauchten mehr Zeit; einige waren erfolgreich, andere schlugen ganz oder teilweise fehl. Die bislang erwähnten betrafen weitestgehend Territorien, die entweder bereits einigermaßen konsolidiert waren oder der Kontrolle eines einzelnen Regenten oder einer Dynastie unterstanden. Erheblich größere Probleme tauchten auf, wenn ein Regent seinen Willen dem Landesadel oder den Städten aufzuzwingen suchte, denn beide konnten Freistellung sowie Vorrechte und Privilegien beanspruchen und sie erfolgreich verteidigen. 39 Ebenso konnten die Nachbarn mächtiger Fürsten in deren Windschatten segeln oder sich zur Abgrenzung motiviert fühlen. So folgten zum Beispiel einige benachbarte Grafschaften von Kursachsen dem Kurfürsten, während andere, wie etwa Reuß, eigene Wege gingen. Reuß etablierte eine eigene »lokale« Konfession und übertrug sein Vasallentum von Sachsen nach Böhmen. 40 Für die Fürstbistümer Speyer und Worms war die mögliche Annektierung durch die Pfalz eine Bedrohung. In Speyer war die Situation besonders prekär, weil Bischof Marquard von Hattstein (1560–1581) als Katholik eher halbherzig und Gerüchten zufolge sogar ein heimlicher Schwenckfeldianer war. Aber die adligen Stiftsherren in seinem Domkapitel waren nicht gewillt, pfälzische Lehnsherren zu werden und so nicht nur ihre politische Unabhängigkeit, sondern auch ihre Pfründe zu verlieren. Folglich wurden sie die treibende Kraft für eine frühe Wiederbelebung des Katholizismus. 41 In Worms zeigten Bischof und Domkapitel mehr Einigkeit im Widerstand gegen den mächtigen Nachbarn und fochten ihren Kampf

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politisch durch Eingaben an den Reichstag und durch Beschwerden vor den kaiserlichen Gerichten aus. Doch konnte die katholische Erneuerung zusammen mit einem gewissen Grad an territorialer Konsolidierung erst unter Bischof Wilhelm von Effern (1604–1616) Fuß fassen. Worms gewann endgültig Sicherheit, als Bischof Georg Friedrich von Greiffenklau (1616–1629) Erzbischof von Mainz wurde und damit genügend Macht hatte, das Fürstbistum zu beschützen. 42 Noch komplizierter, bisweilen gar unlösbar, gestaltete sich die Lage dort, wo verschiedene Rechtsprechungen einander überlagerten, oder in Kondominien, wo zwei, drei oder gar vier Herrschaftshäuser sich nicht einigen konnten. 43 Selbst den Habsburger Erzherzögen von Tirol gelang es nicht, in ihren verstreuten schwäbischen Territorien von Vorderösterreich – insbesondere den Grafschaften von Hohenberg und Sigmaringen, der Landgrafschaft von Nellenburg, der Markgrafschaft von Burgau und der Landvogtei von Ober- und Niederschwaben – für Einheitlichkeit zu sorgen. 44 Ähnlich wurde auch in den Ländereien vieler Reichsritter, deren kirchliche Obrigkeitsrechte ohnehin umstritten waren, jede Entscheidung über religiöse Angelegenheiten so lange wie möglich hinausgeschoben, sofern sie nicht aus Rücksicht auf den nächsten territorialen Fürsten oder den Hof, an dem der Ritter diente, getroffen wurde. 45 Es ist schwierig, den Prozentsatz entweder der geografischen Gebiete oder der Bevölkerung im Reich zu bestimmen, die zwischen 1555 und 1618 nicht von Konfessionalisierung betroffen waren. Allerdings gab es reichsweit genügend lokale und regionale Hindernisse für einen solchen Prozess, gewissermaßen konfessionelles »Niemandsland«, um den bisweilen vermittelten Eindruck, die ganze deutsche Bevölkerung sei sozialer Disziplinierung unterworfen worden, hinreichend zu modifizieren. 46 Man muss also bei einer Bewertung der tatsächlichen Erfolge des Konfessionalisierungsvorgangs in all seinen Variationen vorsichtig sein. Einerseits bestimmten die nach 1555 einsetzenden Entwicklungen die konfessionelle Landkarte so, dass deren Konturen auch noch im 21. Jahrhundert erkennbar sind. 47 Andererseits haben sich die religiösen und kulturellen Differenzen, infolge derer Süddeutschland und das Rheinland überwiegend katholisch und viele Gebiete in Norddeutschland ebenso überwiegend protestantisch sind, über mehr als ein Jahrhundert entwickelt. Im Zeitraum zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Dreißigjährigen Krieg war vieles konfus und im Fluss begriffen. Bis die konfessionelle Lage in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts etwas klarer wurde, schlugen viele religiöse Gruppierungen einen vorsichtigen Verhandlungsweg ein, um Akzeptanz und Sicherheit in faktisch multikonfessionellen und pluralistischen Gemeinschaften zu finden. 48 Offensichtlich nutzten einige Fürsten die Macht, die ihnen durch den Augsburger Religionsfrieden zugesprochen wurde, um ihren Willen in Sachen Religion durchzusetzen. 49 Die protestantischen Stände beschwerten sich im Dezember 1570

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beim Kaiser, dass der Religionsfriede durch Herrscher gestört werde, die Untertanen aus religiösen Gründen vertrieben. 1582 beklagten sie sich erneut darüber, dass Untertanen aus ihren »Vaterländern« aus religiösen Gründen vertrieben würden, obwohl sie ihren Regenten »in politischer Hinsicht« gehorchten. Abgesehen von solchen Beschwerden und den Fällen, die mit einiger Regelmäßigkeit vor das Reichskammergericht gebracht wurden, wissen wir wenig über das Ausmaß oder den Einfluss solcher Migration. 50 Die Gesetzgebung selbst war nicht eindeutig; es blieb unklar, ob Untertanen das Recht auf Emigration oder Regenten das Recht auf Ausweisung hatten. Manche Untertanen wurden zweifellos vertrieben. In dieser Hinsicht gibt es keine Unterschiede zwischen katholischen, lutherischen und reformierten Regenten. Allerdings scheinen die Wiedertäufer nicht überall gleich behandelt worden zu sein. 51 84 Prozent aller Hinrichtungen von Wiedertäufern zwischen 1525 und 1618 wurden von katholischen Herrschern ausgeführt. In Territorien wie Hessen dagegen wurden sie ins Gefängnis gesperrt und vereinzelt sogar, wie in Krefeld, das zur reformierten Grafschaft Moers gehörte, offen toleriert. Im Hinblick auf die Frage, wie viele Untertanen von ihrem Recht auf Emigration Gebrauch machten, dürfte angesichts einer Ausreisesteuer von bis zu 30 Prozent des gesamten Besitzwertes die Antwort sein, dass sich wohl nur wenige so etwas leisten konnten oder wollten. 52 Wahrscheinlich blieben viele in ihrer Heimat und leisteten der offiziellen Religion Lippenbekenntnisse, aber wie wirksam war dann die »Konfessionalisierung«? Visitationen, von welcher Konfession auch immer durchgeführt, äußerten sich häufig zutiefst erschreckt über das Ausmaß an Irreligiosität auf dem Land. Allerdings kann das angesichts der unruhigen Verhältnisse, die in vielen Gebieten ab den späten 1530er Jahren herrschten, kaum verwundern. Viele Kirchspiele waren jahrzehntelang ohne geistliche Versorgung geblieben. Daraus resultierte nicht notwendig Glaubensmangel, sondern häufig traf man auf seltsame Formen eines volkstümlichen Christentums. Die reformierten Visitationsbeamten, die im späten 16. Jahrhundert die Oberpfalz besuchten, dürften mit großer Verwunderung vernommen haben, dass die Leute dort mitunter an drei Götter und bisweilen sogar noch an eine Göttin glaubten. 53 Dergleichen war kein Einzelfall. Zwischen dem Beamtentum der territorialen Regierungen und den soziokulturellen Bedingungen, die die Mitglieder der Visitationen bei ihren Reisen vorfanden, hatte sich eine Kluft geöffnet. Diese waren beflügelt von den neuesten humanistischen Reformidealen und mussten enttäuscht sein, auf in ihren Augen religiösen Aberglauben zu treffen. Gerade die Kirchenreform, gerade der Prozess, Konfessionen einzurichten, trennte sie von den Gemeinden, denen sie doch dienen sollten. Kirchenhierarchien wurden bürokratisiert und konzentrierten sich auf Verfahrensweisen. Wo Kirchen zu wirk-

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samen Agenturen der Konfessionalisierung geformt wurden, litten sie häufig genau darunter, dass sie auch Agenturen der Regierung waren und im Dorf genauso unbeliebt wie der Steuerbeamte waren. Hatte eine Kirche ihre Konfession erfolgreich definiert, war sie dabei oft genug akademisiert und intellektualisiert worden. Die Definition fand nämlich in den theologischen Fakultäten statt und ließ sich nicht so einfach in die Welt und Sprache des gemeinen Mannes übersetzen. Es gibt Hinweise aus katholischen und lutherischen Gebieten, dass auf lange Sicht der versuchten Konfessionalisierung von oben andere Gemeinden widerstanden und bei wiederholtem Wechsel der offiziellen Religion an ihrer eigenen Idee einer »christlichen Gemeinschaft« festhielten. Das war offensichtlich der Fall in Oberhessen, das 1576 lutherisch, 1605 calvinistisch und 1624 erneut lutherisch wurde. 54 Ebenso gilt das für die Oberpfalz, wo die offizielle Religion mit Einschluss der Wiedereinführung des Katholizismus 1621 fünfmal wechselte. 55 Untersuchungen katholischer Gebiete zeigen, dass sich katholische Identitäten auch entwickelten, wenn es keine starke Intervention seitens der Regierung gab. Wo diese fortwährend stattfand, war sie am erfolgreichsten, wenn sie an kommunale Traditionen und Frömmigkeiten anschloss, die ihren Ursprung im Spätmittelalter hatten. 56 In gewissem Sinn war die nach 1555 einsetzende Konfessionalisierung bei den neuen Eliten der territorialen Regierungen selbst am erfolgreichsten. Dazu gehörten »Juristen, Professoren, Schullehrer, der Klerus, Stadträte, Kaufleute, Gildemeister, Studenten, Dorfälteste, reiche Bauern, kleine Funktionäre, ländliche Handwerker«. 57 Für diese Gruppen war die Feier des 50. Jahrestags der Augsburger Konfession 1580 womöglich so bedeutsam wie die genaue Formulierung theologischer Lehrsätze in der Konkordienformel, um ein in gemeinsamer Geschichte wurzelndes Gefühl von Solidarität und Identität zu beschwören. Die Jahrhundertfeier der Reformation 1617 (das erste »moderne« Jahrhundertjubiläum) galt der religiösen wie auch der politischen Identität. Sie erinnerte daran, dass die Reformation nicht nur die richtige Lehre eingeführt, sondern auch die Verfassungsstruktur von Territorien, Städten und Reichsstädten bis hin zum Reich selbst verändert hatte. 58 Gelegentlich jedoch konnten Stände und Städte gegen den Versuch eines Regenten, seine Religion im Territorium durchzusetzen, rebellieren. 59 Die sächsischen Stände leisteten dem Versuch Christians I. (1586–1591), die reformierte Konfession einzuführen, erfolgreich Widerstand. Ebenso wehrten sich die Stände von Baden-Durlach gegen die Bestrebungen von Markgraf Ernst Friedrich (1584–1604) und die Stände von Hessen-Kassel lehnten die Übernahme des reformierten Glaubens von Landgraf Moritz ab (der deshalb 1627 abdanken musste). 60 Im Jahr 1600 wollte Graf Simon VI. zur Lippe (1579–1613) ein ehrgeiziges Reformprogramm mit einer reformierten Kirchenordnung abrunden, fand sich jedoch schon bald in einen

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heftigen Konflikt mit seiner eigenen Hauptstadt, Lemgo, verwickelt, deren Stadträte und Einwohner sich weigerten, ihre lutherischen Überzeugungen aufzugeben und den Grafen 1617 zwangen, ihre religiöse Autonomie anzuerkennen. 61 Ähnlich wehrte sich das lutherische Gütersloh gegen die reformierten Grafen von Bentheim oder das reformierte Emden gegen die lutherischen Grafen von Ostfriesland. 62 Sogar die größeren Territorien hatten bisweilen mit heftigem lokalem oder regionalem Widerstand zu kämpfen. Trotz aller Bemühungen von Friedrich IV. (1583– 1610), Friedrich V. (1610–1623) und ihrem Statthalter in Amberg, Christian von Anhalt, blieb die Oberpfalz überwiegend lutherisch. Und als Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg 1613 zum Calvinismus konvertierte, wollte keines seiner zahlreichen Territorien ihm dabei folgen. 63 Einerseits gab es nur wenige Gebiete im Reich, von denen sich sagen ließe, dass sie 1618 über eine vollständige konfessionelle Identität verfügten. Andererseits war die Frage nach der Beziehung zwischen politischer Herrschaft und religiöser Zugehörigkeit in den meisten Gebieten zu irgendeinem Zeitpunkt nach 1555 gestellt worden. Insgesamt war auch deutlich, dass die Strukturen des Reichs säkularisiert waren, aber der Aufbau von Landeskirchen ein unumkehrbares Merkmal der Entwicklung seiner konstituierenden Bestandteile war.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

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Simon, »Gute Policey«, 120–126, 108–110. Schindling, »Konfessionalisierung«, 20. Forster, Catholic Germany, 38–84. Ludwig, Philippismus, 45–77. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. IV, 19–26; Bauer, Universität Jena, 25–45. Rabe, Geschichte, 511–512. Ludwig, Philippismus, 147–301. Cameron, Reformation, 368; Rabe, Geschichte, 512–513. Schmidt, Geschichte, 105–106; Schindling und Ziegler, Die besten Einführungen über die Debatten zu diesem Thema, versehen zudem mit ausführlichen Literaturhinweisen, sind Ehrenpreis und Lotz-Heumann, Reformation, 62–79, und Schmidt, Konfessionalisierung, 44–54, 80–86. Eine gute englische Einführung ist Pochia Hsia, Social discipline, 1–9 26–38, und Cohn, »Princes«. Po-chia Hsias Übersicht ist besonders nützlich, weil sie den Zeitraum bis 1750 berücksichtigt, während die deutschen Darstellungen sich mehr oder weniger ausschließlich auf das 16. Jahrhundert konzentrieren. Greyerz, Religion, 110–127. Schilling, Aufbruch, 300. Die Spottbezeichnung war eine Anspielung auf den lutherischen Glauben an die Realpräsenz Christi im Abendmahl. Schilling, »Reformation und Bürgerfreiheit«; Gross, Empire, 108; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 169–178.

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15 Cameron, Reformation, 370–371; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 18–44. 16 Schmidt, Konfessionalisierung, 47–48; Press, Kriege, 145. 17 Cohn, »Princes«, 136–137 (eine Landkarte) und passim; Schmidt, Konfessionalisierung, 44– 45. 18 Cohn, »Princes«, 158–159. 19 Eulenburg, Frequenz, 76; Rosa di Simone, »Admission«, 303–304. Auf einen weiteren starken Rückgang während des Dreißigjährigen Krieges folgte eine Erholung; um 1700 lag die Zahl wieder bei 8.000, um ab 1735–1740 wieder zurückzugehen. Die Zahlen sind im Detail nicht verlässlich, da sie viele Variablen und Schätzungen bei fehlenden Daten enthalten. Doch die allgemeine Tendenz scheint zu stimmen. 20 HdtGB, Bd. I, 312–332; Hammerstein, Bildung, 35–43. 21 Die anderen Neugründungen waren Königsberg (1544), Jena (1558), Helmstedt (1576), Gießen (1607), Rinteln und Straßburg (1621). Bei den älteren Gründungen, die man reformierte, handelte es sich um Heidelberg, Leipzig, Rostock, Greifswald, Basel, Tübingen, Frankfurt/Oder und Wittenberg. HdtBG, Bd. I, 286–289. 22 HdtBG, Bd. I, 290. 23 Hammerstein, Bildung, 23–24; Gundermann, »Anfänge«; Moeller, »Königsberg«. 24 Vgl. S. 44–54, 322–325. 25 HdtBG, Bd. I, 296. 26 Das Standardwerk ist Schindling, Hochschule; vgl. auch Hammerstein, Bildung, 27–29; HdtBG, Bd. I, 293–295. 27 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 81; HdtBG, Bd. I, 295–298. 28 HdtBG, Bd. I, 293. 29 Schmidt, Konfessionalisierung, 23–24. 30 Warmbrunn, Zwei Konfessionen, 293. 31 Hammerstein, Bildung, 33–35; HdtBG, Bd. I, 298–299. 32 Menk, Herborn, 105–106. 33 Hammerstein, Bildung, 126. 34 Hotson, Alsted, 6–7; Hammerstein, Bildung, 126–127. 35 Hotson, Alsted, 17–20. 36 Hotson, Alsted, bes. 1–2, 7, 229. 37 Menk, »Territorialstaat«, passim; Schmidt, Konfessionalisierung, 54. 38 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.VII, 20–23. 39 Schneider, Ius reformandi, 256–265. 40 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. IV, 29–34. 41 Wolgast, Hochstift, 303–306; Press, »Hochstift Speyer«, 262–263. 42 Wolgast, Hochstift, 320–321. 43 Gotthard, Religionsfrieden, 292–316; Schneider, Ius reformandi, 242–256. 44 Zu Burgau vgl. Schiersner, Politik, 31–163, 202–244, 433–439. Zu Vorderösterreich allgemein vgl. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. V, 256–277, sowie Quarthal, »Vorderösterreich«. Die Landvogtei Schwaben war weniger ein Territorium als eine Ansammlung von Herrschafts-, Gerichtsbarkeits- und Eigentumsrechten. 45 Gotthard, Religionsfrieden, 242–243, 287–288; Schneider, Ius reformandi, 237–241. 46 Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.VII, 24–28. 47 Gotthard, Religionsfrieden, 19–20, 282–292. 48 Spohnholz’ Tactics ist eine faszinierende Untersuchung über Calvinisten, Lutheraner, Katholiken, Mennoniten und andere Dissidenten in Wesel (Kleve).

43. Konfessionalisierung?

49 Gotthard, Religionsfrieden, 119, 243–245, 284–285, 345, 527–535, 551–554. Für eine allgemeine Diskussion vgl. auch Schunka, »Glaubensflucht«, und Schäufele, »Konsequenzen«, 123–127. Mays »Zum ius emigrandi« enthält viele wichtige Informationen, doch wird die Perspektive durch die Auffassung verengt, Protestanten seien vor allem aus Abenteuerlust oder ökonomischen Gründen emigriert, was beides nicht plausibel ist. 50 Ruthmann, Reichskammergericht, 296–310. Beispiele für die recht zahlreichen Fälle finden sich in Ehrenpreis und Ruthmann, »Jus emigrandi«. 51 Schäufele, Konsequenzen, 127. 52 Gotthard, Religionsfrieden, 529. 53 Press, Kriege, 136. Eine ausgezeichnete Darstellung lutherischer Visitationen findet man in Strauss, House of learning, 249–299. 54 Mayes, Communal Christianity, 23–204. 55 Rabe, Geschichte, 562. 56 Forster, Catholic revival, 1–5, 18–60. 57 Po-chia Hsia, Social discipline, 143. 58 Sandl, »Interpretationswelten«; Leppin, »Antichrist«; Schönstädt, Antichrist, 10–13; Gotthard, Altes Reich, 80–82. 59 Schmidt, Konfessionalisierung, 99–100; Cameron, Reformation, 371–372. 60 Po-chia Hsia, Social discipline, 35–36. 61 Schilling, Konfessionskonflikt, 40–44, 152–351. 62 Schmidt, Konfessionalisierung, 49. 63 Die Grafschaft Mark war allerdings schon weitgehend reformiert. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 102–103.

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44. Finanzen, Steuern und Stände

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unehmende finanzielle Bürden belasteten die Regenten: die zunehmenden Funktionen der Regierungstätigkeit, die Militärkosten und eine überteuerte Hofhaltung. Auch die Etablierung einer Landeskirche war nicht billig, konnte jedoch zumindest teilweise durch die Aneignung von Kirchengut und kirchlichen Stiftungen bezahlt werden, was für die Errichtung einer neuen Universität oder Hochschule nicht möglich war. Typischerweise floss in den größeren Territorien etwa die Hälfte aller Einnahmen in die Hofhaltung, die Verwaltung und in die Errichtung und Erhaltung von Gebäuden. 1 So gehörte der Kampf mit steigenden Kosten und wachsenden Schulden im 16. Jahrhundert zum Entwicklungsprozess der meisten dieser Territorien. Am Finanzproblem zeigte sich ein wachsender Unterschied zwischen den größeren und den kleineren Territorien. Die kleinsten sahen am Ende wie große Adelslandsitze aus, die als Domänen verwaltet wurden, während andere die Gesamtstruktur einer territorialen Regierung vergleichbar sonstigen europäischen Monarchien entwickelten. Insbesondere baute man im 16. Jahrhundert zunehmend auf regelmäßige Steuerzahlungen. Für den Zeitraum zwischen 1500 und 1650 gibt es Schätzungen, denen zufolge die direkten Steuern um das Zehnfache zunahmen; für Bayern allerdings soll die Steigerungsrate zwischen 1480 und 1660 2.200 Prozent betragen haben. 2 Solche Zuwächse blieben politisch nicht ohne Folgen. Die meisten Territorien hatten im Lauf des 13. Jahrhunderts eine Art Einkommenssteuer, die »Bede« oder »Datz« eingeführt, die alle bis auf die Angehörigen von Adel und Klerus ein- bis dreimal im Jahr zu leisten hatten. 3 Sie verblieb jedoch auf dem Anfangsniveau und wurde nicht laufend erhöht, sodass sie auf lange Sicht durch Inflation im Wert sank. In Brandenburg zum Beispiel machte die »Urbede« zu Beginn des 17. Jahrhunderts höchstens drei Prozent vom Gesamteinkommen des Kurfürsten aus. 4 Zusätzlich wurden gelegentlich Sondersteuern erhoben, etwa für einen Krieg, für die Mitgift der ältesten Tochter des Regenten oder, im Fall von geistlichen Territorien, die Weihesteuer eines neu gewählten Bischofs. Ertragreicher waren Verbrauchssteuern, wie sie etwa auf Wein oder Bier erhoben und häufig auf andere Produkte ausgeweitet wurden. Doch auch sie reichten nicht aus, um die steigenden Kosten aufzufangen. Die wichtigste traditionelle Einkommensquelle resultierte aus Landbesitz, seien es landwirtschaftliche Nutzflächen oder Wald, vom Regenten direkt verwaltet oder verpachtet, auch an Bauern, die dann Abgaben leisteten. 5 Zusätzlich pro-

44. Finanzen, Steuern und Stände

fitierten einige Territorien vom Abbau von Metallen oder Salz, vom Münzrecht oder von Zollgebühren. Sachsen nebst den benachbarten Grafschaften und Tirol bezogen erhebliche Einkommen aus dem Bergbau; um 1550 stammte gut die Hälfte des kurfürstlich-sächsischen Einkommens aus solchen Quellen; in den 1520er Jahren verdankten sich zwei Drittel des Einkommens des Regenten von Tirol dem Silberbergbau. Hessen, Köln und Kleve profitierten von Flusszöllen, während andere Territorien daneben auch noch Straßen- und Brückenzoll erhoben: In den österreichischen Herzogtümern machten Zölle etwa ein Viertel des Gesamteinkommens aus, während sie sich in Brandenburg um 1600 auf etwa 35 bis 45 Prozent beliefen. Es gibt reichlich Hinweise darauf, dass die Ausnutzung von Landbesitz und Hoheitsrechten sich im Lauf des 16. Jahrhunderts intensivierte. Manche Regenten entwickelten unternehmerische Tatkraft. So gehörte der Ausbau der Gutsherrschaft östlich der Elbe zu den unternehmerischen Reaktionen auf die Notwendigkeit, das Einkommen zu erhöhen, denn man sah wohl, dass es einen wachsenden, gewinnträchtigen Markt für Landwirtschaftsprodukte gab. 6 Vergleichbare Initiativen zur Intensivierung von Land- und Forstwirtschaft zwecks Maximierung des Einkommens gab es überall im Reich. Einige Regenten ließen nicht nur für den Markt produzieren, sondern die Produkte auch be- oder verarbeiten. Auch Hoheitsrechte, etwa den Bergbau betreffende, wurden intensiviert. Die bayrischen Herzöge unternahmen Versuche, Privatpersonen zur anfänglichen Ausbeutung einer Mine zu bewegen, um später dann das Geschäft, wenn es lief, selbst zu übernehmen. 7 Norddeutsche Regenten betrieben hochkommerzialisierte Landwirtschaft, an die der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und Fisch angeschlossen war; ebenso betrieben sie Viehzucht. 8 Die Grafen von Mansfeld in Thüringen ließen Kupfererz bearbeiten, um Silber zu gewinnen, und schlossen mit benachbarten Herrschaftshäusern wie etwa den Grafen von Henneberg und Stolberg Handelsabkommen, um die Produktion zu steigern. 9 Der Kurfürst von Sachsen investierte regelmäßig in solche Unternehmungen, betrieb aber auch seine eigenen Landwirtschafts- und Bergbaubetriebe. In einigen Fällen zeitigte die Jagd nach Gewinn außerordentliche Resultate. Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel (1568–1589) war der erfolgreichste fürstliche Unternehmer seiner Generation: Seine Faktoreien und Werkstätten stellten so ziemlich alles her, von Messingkästen bis zu Gartenschmuck, Schachspielen, Feuerwaffen, Kanonen und aus Schlacke hergestellten Kanonenkugeln. 10 Markgraf Johann von Küstrin, der Bruder von Kurfürst Joachim II. von Brandenburg, von 1535 bis 1571 Regent des Fürstentums Brandenburg-Küstrin (ein für ihn als jüngeren Sohn geschaffenes Territorium, das im Wesentlichen aus der Neumark und einigen angrenzenden Herrschaftsgebieten bestand), war ebenfalls außergewöhnlich. Sein geschicktes Verhalten auf den internationalen Geldmärkten

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ließ sein Kapital im Lauf von 30 Jahren um das Zwölffache wachsen. Ungeachtet der Inflation, häufte er einen substanziellen Gewinn an und gehörte damit zu den seltenen Fürsten, die bei ihrem Tod keine Schulden, sondern ein Vermögen hinterließen – in seinem Fall 569.108 Taler (an die 780.000 Gulden). 11 Solche Fälle gab es nicht oft; zumeist hinterließen die Regenten ein zwiespältiges Erbe. Manchen gelang der Aufbau eines geheimen Schatzes für Notsituationen oder für Sonderausgaben und persönliche Geschenke. Nach dem Tod von Kurfürst August von Sachsen 1586 fand man heraus, dass er die Riesensumme von 1,8 Millionen Gulden angehäuft hatte. Allerdings hatte er selbst schon beträchtliche Schulden geerbt und weitere gemacht: So übernahmen 1570 die sächsischen Stände nicht weniger als 3,1 Millionen Gulden Schulden. Ohne diese Übernahme hätte August seinem Sohn nicht ein so substanzielles Erbe hinterlassen können. 12 Die Praxis, Gelder in einen Geheimschatz abzuzweigen, scheint bei den mächtigeren Fürsten, besonders jenen, die eine aktive Rolle in der Reichspolitik spielten, gang und gäbe gewesen zu sein. Doch selbst für diese Regenten war es ganz normal, Schulden zu erben, zu vermehren und an die nächste Generation weiterzureichen. Selbst die intensivste Ausbeutung von Landbesitz brachte kaum genug Geld, um die rapide steigenden Kosten für Regierung und Hofhaltung zu decken. Die Regierungen benötigten Geld in zunehmendem Maß, aber die landwirtschaftlichen Erträge konnten nicht immer den Bedarf abdecken. Unter Philipp dem Guten zeigen die hessischen Rechnungsbücher um 1550, dass neben Geld über 60 verschiedene Arten von Naturalien als Grundlage für die Einkommensberechnung angeführt wurden: alles von Äpfeln bis Ziegen. 13 Hessen war insofern gut verwaltet, als der Landgraf genau wusste, was es wert war. Seine detaillierten Aufstellungen boten eine ausgezeichnete Grundlage für die vierfache Aufteilung seiner Ländereien nach seinem Tod 1567. Sein ältester Sohn, Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, benutzte sie, um daraus ein Handbuch für Regenten zusammenzustellen: Sein »ökonomischer Staat« blieb bis ins 18. Jahrhundert bei den persönlichen Arbeitsunterlagen seiner Nachfolger. 14 Philipp von Hessen bezog Einkünfte aus Landbesitz, von Salzgewinnung über Rhein- und etwa fünfzig Landzölle bis zu ausländischen Subsidien (zum Beispiel vom König von Frankreich). Dennoch war er ständig von Krediten abhängig; so musste er sich 1544 in Frankfurt (Main) die relativ bescheidene Summe von 5.000 Gulden leihen, um sich die 35.000 Gulden für die Teilnahme am Reichstag zu Speyer leisten zu können.Während seiner Herrschaft wurden fortwährend Ämter verpfändet sowie wieder abgelöst und trotz ausgezeichneter Finanzverwaltung hinterließ er seinen Söhnen Schulden in Höhe von 823.650 Gulden. 15 Wie mit den Schulden verfahren wurde, ist typisch für die Epoche. Philipps vier Söhne zahlten gemeinsam 195.328 Gulden zurück und teilten weitere 137.360 Gulden dringender Schulden zwischen sich auf. Der Rest wurde an die hessischen

44. Finanzen, Steuern und Stände

Stände übertragen, die ihn mittels Steuern beglichen. 16 Wie die meisten anderen Territorien wurde auch Hessen zunehmend von regelmäßigen und höheren Steuern abhängig. Bis 1529 waren die Einkommen aus Landbesitz für 90 Prozent der gesamten Staatseinkünfte gut, in den 1540er Jahren waren es nur noch 59 Prozent. Im selben Zeitraum stieg der Anteil der aus Besteuerung generierten Einnahmen von zehn auf 38 Prozent. 17 Hinsichtlich des Zeitraums von 1550 bis 1586 sind die Zahlen für Kursachsen, bei Weitem das wohlhabendste aller Territorien, mit einem Jahreseinkommen aus Landbesitz und Zöllen von etwa 500.000 Gulden, ähnlich: Im Durchschnitt brachte die Besteuerung 42 Prozent der Gesamteinkünfte. 18 Um die Solvenz eines Territoriums zu bewahren, bediente man sich zunehmend zweier auf einander bezogener Hilfsmittel: Besteuerung und die Übernahme der Schulden durch die Stände. Die bis dato unregelmäßig erhobenen und bestimmten Zwecken dienenden allgemeinen Steuern wie etwa die »Fräuleinsteuer« für die Mitgift einer Prinzessin, wurden im Lauf des 16. Jahrhunderts regelmäßiger eingetrieben. Zugleich änderte sich die Art der Steuererhebung. Viele Regenten, darunter auch Philipp von Hessen, gaben das System, dem zufolge Steuern Städten und Ämtern anteilmäßig zugewiesen wurden, nach und nach auf. Die Städte zogen natürlich eine Art Einkommenssteuer vor, die mehr Gerechtigkeit ermöglichte und auch Adel und Bauernschaft einbezog. Die Argumente zur Rechtfertigung der zunehmend regelmäßigen Erhebung außerordentlicher Steuern wurden durch den Reichstagsbeschluss von 1530, dass der Regent die Türkensteuer den Untertanen aufbürden konnte, entscheidend gestärkt. 19 Da diese Kriegsbeiträge nach 1555 regelmäßig erhoben wurden, folgten ihnen die Territorialsteuern auf dem Fuß. Zugleich sahen die Regierungen die Möglichkeit, diese im Namen von Kaiser und Reich erhobenen Steuern mit einem Zuschlag zu versehen, der dann rein territorialen Zwecken diente. In Hessen zum Beispiel trieb Landgraf Philipp regelmäßig das Dreifache dessen ein, was er benötigte, um die Reichssteuern zu begleichen. 20 Seine Einnahmen vermehrten sich beträchtlich mit der erfolgreichen Einführung einer Einkommenssteuer, während die alte »Landsteuer« weitgehend auf ihren alten Zweck, für die Mitgift von Prinzessinnen zu sorgen, beschränkt blieb.21 In Brandenburg dagegen war die »Fräuleinsteuer« im frühen 17. Jahrhundert im Wesentlichen eine Jahressteuer. 22 Während also die gewöhnlichen Steuern höher ausfielen und regelmäßiger erhoben wurden, legten Regenten wie Philipp von Hessen ab 1550 auch bei indirekten Steuern zu. Die mittelalterliche Biersteuer war zu Beginn des 16. Jahrhunderts unbedeutend geworden, wurde aber in Hessen 1533 für vier Jahre wieder eingeführt, um neue Befestigungsanlagen zu finanzieren, und ab 1555 wurde sie als regelmäßige und ständig erhöhte Verbrauchssteuer festgesetzt. 23 Allerdings blieb fast überall die Festsetzung und Eintreibung von Steuern eine Sache von Planlosigkeit und Willkür. In Hessen zum Beispiel setzte man die Steuern durch eine per-

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sönliche eidesstattliche Erklärung selbst fest. 24 Und bei der Eintreibung kam es durchaus zu Unterschlagungen, selbst wenn die Beamten ausreichend und regelmäßig bezahlt wurden. Trotz aller Unzulänglichkeiten bleibt festzuhalten, dass gegen Ende des 16. Jahrhunderts regelmäßige Steuererhebung ein Merkmal fast aller deutschen Territorien war. Auch in dieser Hinsicht wurde ein Unterschied zwischen jenen Ständen sichtbar, die Steuern erheben, und denen, die es nicht konnten, weil sie dafür nicht die ausreichende Anzahl an Untertanen hatten. Die steuererhebenden Territorien waren zwar noch keine »Steuerstaaten«, aber hatten zumindest den Schritt von »Domänenstaaten« zu »Finanzstaaten« getan. Das zeigte sich auch in der wachsenden Literatur zu Steuerfragen und in der Bedeutung, die die Autoren des späten 16. Jahrhunderts in den Schriften über Regierungstätigkeit der Besteuerung beimaßen. Zu einem gewissen Grad war dies das Ergebnis von Kommentaren zum Fallrecht, die aus der wachsenden Anzahl von Steuerstreitigkeiten vor dem Reichskammergericht hervorgingen. 25 Doch wurden in den 1580er Jahren die neuen Funktionen der territorialen Regierung durch ein sich ständig verbreiterndes Spektrum an politischen Autoren beschrieben, erklärt und begründet. Einige hielten in der Tradition von Melchior von Osse (* 1505, † 1557) daran fest, dass die Regierung von Gott eingesetzt sei, um begrenzte öffentliche Pflichten zu erfüllen, womit vor allem die Bewahrung innerer und äußerer Sicherheit gemeint war. Die Regierung, meinte Osse, solle immer von dem zehren, was ihr gehört, und einer der am häufigsten zitierten Grundsätze lautete: »Sparsamkeit ist die beste Steuer« (parsimonia est optimum vectigal). 26 In den 1590er Jahren wurde die traditionelle Theorie vom »Domänenstaat« durch neue Ansätze ersetzt, die von Bodin und Lipsius beeinflusst waren und mit neuen Schlagworten aufwarteten: »Geld ist der Nerv der Dinge« (pecunia nervus rerum), hieß es unter Berufung auf Ulpian oder Tacitus und »Ohne Steuern kein Staat« (sine tributis nullus status) wurde Tacitus 1589 von Lipsius zitiert. Solche Sätze wurden die Maximen einer neuen Generation deutscher Autoren. 27 In den Jahren um 1600 wurde eine ganze Reihe einflussreicher Werke über Staatsfinanzen veröffentlicht, so von Eberhard von Weyhe (* 1553, † 1633), Georg Obrecht (* 1547, † 1612), Jakob Bornitz (* um 1560, † 1625) und Christoph Besold (* 1577, † 1638). Schon bald folgten die ersten Publikationen, die sich ausschließlich mit dem Problem der Besteuerung befassten, geschrieben von Caspar Klock (* 1583, † 1655), Matthias Giese (Lebensdaten unbekannt) und Christoph Wintzler (Lebensdaten unbekannt). Ihre Sammlung von Materialien zur Besteuerung wurde in den Jahren nach der Erstveröffentlichung 1608 mehrfach nachgedruckt. 28 Typisch für den sich allmählich herausbildenden Konsens war die Sichtweise von Bartholomäus Keckermann (* 1571, † 1608), dass die Regierung die Aufgabe

44. Finanzen, Steuern und Stände

habe, für das öffentliche Wohl (publica felicitas) zu sorgen. Keckermann, Calvinist und Professor in Heidelberg, danach Rektor des Danziger Gymnasiums, vertrat die Überzeugung, dass ein Untertan nicht das Recht auf Widerstand besäße, solange die Anordnungen der Magistrate sich nicht gegen Gott und seine Gebote richteten. Vor allem aber gehöre es zu den Pflichten der Untertanen, regelmäßig Steuern zu zahlen, um die Einkünfte aus dem Landbesitz zu ergänzen. 29 Wie in vielen anderen Werken jener Zeit lag die Betonung auf dem Recht des Regenten, Steuern zu erheben und Recht zu sprechen. Dabei handelte es sich um eine logische Ausweitung der traditionellen Herrschaftsvorrechte, doch wurde das Recht auf Steuererhebung jetzt zunehmend im Zusammenhang mit Bodins Theorie staatlicher Souveränität gesehen und galt als Eigenschaft der maiestas eines Regenten. 30 Doch war das Recht auf Besteuerung nicht einfach ein Attribut der Konsolidierung fürstlicher Macht. Alle Steuern mussten erbeten werden, auch wenn der Status der Bitte uneindeutig war. Die ursprünglichen Termini Bede oder precaria bedeuteten schließlich Bitte oder Gesuch, aber zugleich hieß es in einem alten Sprichwort, dass »die Bitten von Herren Befehle« seien. 31 Im 15. Jahrhundert hatten die größeren Territorien ihre Stände unregelmäßig einberufen, um Steuern außer der Reihe erheben zu können. Die Stände wurden an den Hof geladen, wo sie als Gäste des Herrschers weilten. Im 16. Jahrhundert traten Landtage häufiger und zunehmend an Orten außerhalb des Hofes zusammen, die Sitzungen und Verfahren wurden förmlicher und die Landtage entwickelten häufig ihre eigenen Verwaltungsstrukturen. Es gab für die Stände im Landtag höchst unterschiedliche Formen der Repräsentation. In den größeren Territorien herrschte das klassische Dreikammersystem (Klerus, Adel und Städte) vor. 32 In manchen Fällen jedoch verschwand der Klerus nach der Reformation als eigener Stand und blieb, wenn überhaupt, als Gruppe von Regierungsfunktionären übrig. Damit wurde die Position des Adels gegenüber den Städten gestärkt. In anderen Fällen teilte sich der Adel in zwei Kammern, so etwa in einigen Habsburger Territorien, wo sich der titulierte Adel in den Landtagen gegen die Ritter abgrenzte. Im Ergebnis wurde das Dreikammersystem, nur eben ohne Klerus, fortgeführt oder es entwickelte sich ein Vierkammersystem. 33 In Gebieten wie Baden, Württemberg und den fränkischen Territorien, in denen die Adligen zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus dem territorialen Rahmen »ausgebrochen« waren, um Reichsritter oder -grafen zu werden, setzten sich die Stände gewöhnlich aus Geistlichen, Städten und Vertretern der Distrikte oder Ämter zusammen. In einigen kleineren süddeutschen Territorien (zum Beispiel Kempten und Berchtesgaden) sowie an der Nordseeküste von Schleswig und Holstein gab es keine Landtage, sondern Bauernversammlungen, die sogenannten Landschaften. Und schließlich hatten einige geistliche Territorien wie Worms, Speyer, Eichstätt,

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Regensburg, Freising und Mainz gar keine institutionalisierten Stände. Dort übernahmen häufig die Domkapitel die Verantwortung für Besteuerung und Finanzkontrolle. Ebenso hatten die kleinsten Territorien von Reichsrittern und Reichsgrafen keine Ständeversammlungen, sondern kommunizierten mit ihren Untertanen auf weniger formelle Weise. In Schlesien war der Landtag im Wesentlichen eine Versammlung der Fürsten (inklusive des Bischofs von Breslau), während jedes konstituierende Fürstentum über seinen eigenen lokalen Landtag verfügte. 34 Die Typen von Landtagen und Versammlungen unterschieden sich nicht nur in ihrer Struktur, sondern auch in ihrer Effektivität. Am einflussreichsten waren die Landtage, in denen der Adel vertreten war. Während des 16. Jahrhunderts entwickelten einige im Hinblick auf Rolle und Status ein beträchtliches Selbstbewusstsein, was sich auch im Bau von Versammlungshäusern ausdrückte, die der Residenz des Fürsten in Größe und Pracht in nichts nachstanden. Die Mecklenburger Stände dagegen trafen sich traditionellerweise auf einem Feld außerhalb von Sternberg; der Herzog hielt in einem Zelt Hof, aber alle Verhandlungen fanden im Freien statt. 35 Die Landschaften an der Nordseeküste wiederum beschäftigten sich vorwiegend mit Deichbau und Küstenbefestigung. 36 Im Allgemeinen, darauf verweisen schon die Begriffe Landtag und Landschaft, repräsentierten die Stände das Territorium oder Land. In gewissem Sinn waren sie das Territorium, sofern ihnen all jene angehörten, die im Territorium untergeordnete Macht und Rechte besaßen. Bei der Entwicklung fast aller Arten von Gesetzgebung spielten sie eine Rolle. Häufig protestierten sie gegen die Einführung neuer gesetzlicher Regelungen oder andere Verfügungen, die korporative oder kommunale Rechte, Privilegien und Traditionen zu beschneiden drohten. Grundsätzlich aber waren sie ebenso wie der Regent auf Recht, Ordnung und Stabilität bedacht. Vorrechte und Autorität des Fürsten verdienten ebenso viel Anerkennung wie Adelsprivilegien oder städtische und kommunale Rechte. Kam der Landtag zusammen, ehrte man traditionsgemäß den Herrscher und bekräftigte die Rechte der Untertanen. Herrscher und Beherrschte waren auf vielerlei Weise voneinander abhängig. Häufig sorgten die Stände als Garanten eines Territoriums für dessen Weiterexistenz, sei es im Fall dynastischer Erbteilung, der Erbfolge eines Minderjährigen oder der Einkerkerung des Regenten durch eine andere Macht im Krieg. Die wichtigsten Institutionen eines Territoriums, wie etwa die Gerichte oder die Universität, konnten durch die regierenden Erben eines Fürsten gemeinsam am Leben erhalten werden. Auf diese Weise sorgten die Stände für eine Art dynastische Kontinuität. Ähnlich konnte ein Landtag der Garant für religiöse Kontinuität sein, insbesondere für den Fall, dass ein Herrscher Pläne für eine weitere Reformation hegte, die mit umfangreichen Verwaltungsreformen einhergehen sollte. Viel ist darüber diskutiert worden, wie die Beziehung zwischen den Regenten

44. Finanzen, Steuern und Stände

und ihren Landtagen und Landschaften genau zu fassen sei. 37 Gegnerschaft und Konflikt waren als Möglichkeit immer gegeben, wurden aber durch das Streben nach Eintracht und Zusammenarbeit aufgewogen. Der Unterschied zwischen Landtag und Hof wurde dadurch relativiert, dass in den meisten Landtagen eine »Hofpartei« und eine gewisse Anzahl an Regierungsfunktionären vertreten waren. Frühmoderne Landtage und Landschaften sind unzweifelhaft Bestandteil der langen Vorgeschichte der modernen Parlamente, doch waren sie keinesfalls im Sinn des 19. Jahrhunderts repräsentativ oder mandatiert. 38 Die vormals von den Historikern favorisierten Begriffe Polarität und Dualismus gelten heute als eher unzureichende Beschreibung der vielschichtigen und wechselweise abhängigen, jedoch letztlich hierarchischen Beziehung zwischen dem Regenten und den Ständen. Für das 16. Jahrhundert ist der entscheidende Punkt, dass Landtage und, in geringerem Ausmaß, Landschaften zur Entwicklung der neuen Strukturen territorialer Regierungen beitrugen. Das zeigt sich sehr deutlich im Hinblick auf Steuern und Finanzen. Die Entwicklung des kaiserlichen Steuersystems und der Formalisierung der Entscheidungsprozeduren des Reichstags bildeten den Rahmen für gleichlaufende Prozesse in den Territorien. Das Ansinnen eines Regenten an seine Stände erhielt größeres Gewicht durch die Tatsache, dass er den Auftrag erhalten hatte, im Namen von »Kaiser und Reich« Steuern zu erheben. Zugleich reagierten Landtage auf solche Ansinnen zunehmend so, wie der Reichstag auf die Gesuche des Kaisers: nämlich mit förmlichen Konsultationsprozessen, mit Verhandlungen über Beschwerden und mit Abkommen über Dauer und Bedingungen von Zugeständnissen. 39 Aber die Landtage und Landschaften sollten nicht nur ab und zu der Besteuerung zustimmen, sondern wurden in zunehmendem Maß auch dazu aufgefordert, die vom Regenten angehäuften Schulden zu übernehmen, bis die Verwaltung und Begleichung solcher Schulden zu einer ihrer Hauptaufgaben geworden war. 40 Diese finanziellen Aufgaben der Stände führten häufig zur Institutionalisierung von Landschaften, wo es vorher keine gegeben hatte. Auch unternahmen andere Regenten Anstrengungen zur Schaffung von Mechanismen, mittels derer sie den Untertanen ihre Schulden zukommen lassen konnten. 41 Das Herzogtum Zweibrücken richtete 1579 eine Landschaft ein, die explizit zwei Aufgaben bewältigen sollte: Erleichterung der Besteuerung und ihrer Verwaltung, Übernahme der beträchtlichen Schulden des Regenten durch die Städte und Ämter. In Baden wurde die Landschaft 1558 ins Leben gerufen und übernahm 1582 die Verantwortung für die Schulden des Markgrafen. Das wohl beeindruckendste Beispiel für so ein Unternehmen war der Versuch der Pfalz, die chronische Finanzknappheit 1603 durch Gründung einer Landschaft zu beheben. Dass diese Initiativen rein finanzielle Ziele verfolgten, war nicht unbedingt ein Hindernis. Viele Städte und Ämter zogen es vor, Schulden zu übernehmen oder

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dafür zu bürgen – manchmal gegen ein Versprechen der Schadloshaltung seitens des Regenten –, statt an ein anderes Territorium verpfändet zu werden und damit den Regenten wechseln zu müssen. Allerdings trafen solche Erwägungen in den kleinsten Territorien nicht immer den Kern der Sache. Der Versuch der neun Zweige des gräflichen Hauses Solms, eine Landschaft zu gründen, dauerte von 1614 bis 1618 und scheiterte zuletzt. Den Untertanen war klar, dass es nur darum ging, mehr Geld aus ihnen herauszupressen, während die Grafen selbst an den Beschwerden und Sorgen der Untertanen nicht interessiert waren, und schon gar nicht an ökonomischen Ratschlägen für ihre Haushaltsführung. Als die Grafen dann noch untereinander zu streiten begannen – einige von ihnen weigerten sich sogar, ihre Schulden offenzulegen – war das Projekt gestorben. 42 Wo es Landtage gab, änderte sich ihr Charakter, je mehr sie in den Regierungsprozess einbezogen wurden. 43 Je aufwendiger und komplizierter die Regierungstätigkeit wurde, desto weniger gelang es einem Landtag in Plenarsitzung, ein wirklicher Entscheidungsträger zu sein. Ab etwa 1550 – in manchen Fällen bedeutend eher, in anderen beträchtlich später – wurde die eigentliche Arbeit von Komitees geleistet, die Entscheidungsvorlagen oder endgültige Gesetzentwürfe dem Landtag zur formellen Zustimmung vorlegten. So konnten die Sitzungen eines Landtags auf einen oder zwei Tage beschränkt werden, was viele Adlige bevorzugten, denn Reisen und Unterkunft kosteten ebenso Geld wie die Abwesenheit von zu Hause zu einem entscheidenden Zeitpunkt (die Kosten für städtische Delegierte wurden aus dem Stadtsäckel bezahlt). 44 Die Komitees dagegen tagten bisweilen in Permanenz. Das wurde oftmals von Regenten gefördert, die Plenarsitzungen eines Landtags als lästig und ineffizient betrachteten und in ihnen eine Gelegenheit für Störenfriede sahen, schwierige Probleme aufzuwerfen. Außerdem schwand die Notwendigkeit, häufig Landtage einzuberufen, sobald die finanziellen Grundfragen – Besteuerung und Schuldenverwaltung – geklärt waren. Danach war es im Allgemeinen leichter, mit einer kleinen Gruppe »vernünftiger« (und häufig bestechlicher) Delegierter umzugehen als mit der unwissenden und widerspenstigen Menge, die – jedenfalls in den Augen eines Regenten – die Sitzungen des Landtags beherrschte. 45 Parallel zu den zentralen Behörden der territorialen Regierung bauten die Stände in dem Maß, in dem wachsende Verantwortlichkeiten Organisation und Personal erforderten, ihre eigenen Verwaltungsstrukturen auf.Viele Fürsten waren mehr als froh, dass die Steuererhebung in ihrem Namen von den Ständen durchgeführt wurde. Ebenso waren viele Stände darauf bedacht, das eingenommene Geld oder die Schulden zu verwalten, weil sie glaubten, damit eine gewisse Kontrolle über die Ausgaben zu haben. Die von Landtagen eingerichteten territorialen Kassen (die sogenannten Landkasten oder Kreditwerke) funktionierten häufig wie Banken: Sie konsolidierten Regierungsschulden, verwendeten Steuergelder, um

44. Finanzen, Steuern und Stände

Kredite zu bedienen und machten Investitionsangebote. 46 So ergänzten die ständischen und die Regierungsinstitutionen einander. Die Landtage und Landschaften trugen erheblich zur Entwicklung der Territorien bei, jedoch änderte sich die Lage in den Jahrzehnten um 1600. In einigen Territorien bewahrten die Stände ihre Position bis ins 17. Jahrhundert und darüber hinaus, während in anderen Gebieten ihre Bedeutung allmählich schwand. Die allgemeine Unfähigkeit von Landtagen, Entscheidungen zu treffen, legte die Initiative in die Hände der Regenten und ihrer Beamten. Zudem waren viele Landtage durch die einander widerstreitenden Interessen von Adel und Städten innerlich gespalten. Mit der Zeit bildeten die Mitglieder der ständigen Komitees eines Landtags und ihre Beamten eine eigene Identität aus und zeigten mehr Bereitwilligkeit, den Wünschen eines Regenten nachzukommen als die Interessen derjenigen zu vertreten, die sie im Land repräsentierten. Das galt besonders für die Finanzen, bezüglich derer die Komitees häufig geneigt waren, direkten Steuern für einen längeren Zeitraum zuzustimmen oder indirekte Steuern zu befürworten. Wo es Streitigkeiten gab oder wo Landtage oder Landschaften Kritik an der Ausgabenpolitik eines Regenten äußerten, konnten sie nicht viel bewirken. Besonders schwach war die Position von bäuerlichen Ständen. 1603 wagten es die Bauernvertreter von Lichtenberg-Kusel in Zweibrücken, mit der Nichtzahlung von Steuern zu drohen, falls ihr Regent noch weitere Schulden anhäufte. Pfalzgraf Johann I. aber erlegte dem Komitee einfach eine Geldstrafe für seine Frechheit auf und drohte den Mitgliedern mit Gefängnis, sollten sie sich eine derartige Kühnheit noch einmal erlauben. 47 Vor allem hing die Position der Landtage und Landschaften von ihrer Fähigkeit ab, Geld zu beschaffen: Trotz aller Veränderungen waren Landtage im Grunde immer noch »Geldtage«. Die finanzielle Rolle, die sie im 16. Jahrhundert spielten, wurde durch den gleichzeitigen Landwirtschaftsboom ermöglicht und viele finanzielle Geschäfte beruhten auf spekulativen Annahmen über fortgesetzt hohe Gewinne und Inflation. Für diese Spekulationen war der Dreißigjährige Krieg eine Katastrophe.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6

Lanzinner, »Finanzen«, 298. Edelmayer u. a., »Einleitung«, 13; Schulze, Deutsche Geschichte, 221. Schubert, Einführung, 203–204; Haberkern und Wallach, Hilfswörterbuch, Bd. I, 65. Klein, Finanzen, 14–15. Zum Folgenden vgl. Klein, Finanzen, 12–14. Scott, Society, 188–193.

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HBayG, Bd. I, 1673–1680. Redlich, »Unternehmer«, 20–26. Redlich, »Unternehmer«, 18–20, 21–22. Redlich, »Unternehmer«, 98–102. Zu den Bergbauaktivitäten des Herzogs vgl. Kraschewski, »Organisationsstrukturen«, und Kraschewski, »Kohlenbergbau«. Redlich, »Unternehmer«, 104–108. Schirmer, »Finanzen«, 179–183; Klein, Finanzen, 17–18. Krüger, Finanzstaat, 35. Zimmermann, Staat, XXI–XXII. Krüger, Finanzstaat, 225–245. Krüger, Finanzstaat, 242. Krüger, Finanzstaat, 299–300. Schirmer, »Finanzen«, 150. Schwennicke, Steuer, 49–54. Krüger, Finanzstaat, 288–290. Krüger, Finanzstaat, 294. Klein, Finanzen, 14–15. Krüger, Finanzstaat, 279–284; Schwennicke, Steuer, 79–87. Krüger, Finanzstaat, 269. Schwennicke, Steuer, 30–36, 102–110. Schwennicke, Steuer, 25–29, 40–41. Schwennicke, Steuer, 118, 128–129. Schwennicke, Steuer, 110–117; Stolleis, Pecunia, 73–103, 127–144; Klein, Finanzen, 20– 23. Über das Leben von Giese und Wintzler ist nichts bekannt. Krüger, Finanzstaat, 20–23. Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 154–186; Schwennicke, Steuer, 110–111. Schubert, Spätmittelalter, 203–204. Zwei ausgezeichnete Übersichten sind Lanzinner, »Zeitalter«, 89–90, und Press, »Formen«. Die umfangreichste Bibliografie enthält Krüger, Verfassung, 87–140. In Tirol gab es ein Vierkammersystem, weil dort die Bauernschaft durch die Vertreter der lokalen Höfe repräsentiert wurde. Press, Kriege, 112. Hamann, Werden, 60–61. Krüger, »Nordelbien«. Einen Überblick über die wechselnden Perspektiven seit dem 19. Jahrhundert bietet Krüger, Verfassung, 33–84. Carsten, Princes, V–VII, 423–428; Krüger, Verfassung, 62–65. Press, »Formen«, 295; Krüger, Verfassung, 13–17; Kokens Werk Landstände ist eine nützliche Untersuchung über die Braunschweiger Stände um 1600. Press, »Formen«, 292–294. Press, »Formen«, 294–295. Die folgende Information stammt aus Press, »Steuern«. Press, »Landschaft«. Lange, Landtag, 2–6. Lange, Landtag, 20. Lange, »Dualismus«, 321. Krüger, Verfassung, 13; Carsten, Princes, 429. Press, »Steuern«, 72–73.

45. Die Wiederkehr der Fürstenhöfe

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it am häufigsten wurde von den Landtagen die Verschwendungssucht der Höfe kritisiert. Im Lauf des 16. Jahrhunderts wurden die Fürstenhöfe zahlreicher und kostspieliger. Um 1500 umfasste ein großer Hofstaat zwischen einhundert und dreihundert Personen, ein Jahrhundert später waren es zwischen dreihundert und eintausend. 1 Grob geschätzt, verdoppelten sich in diesem Zeitraum die Hofhaltungskosten, wobei noch beträchtliche Summen für den Bau neuer Residenzen hinzukamen. Die neuere Forschung hat sich zumeist auf Entwicklungen in der Epoche nach 1648 konzentriert, doch lässt die Zunahme der erwähnten Kosten und Aktivitäten darauf schließen, dass schon in den Jahrzehnten nach 1555 grundlegende Veränderungen mit größeren politischen Implikationen stattfanden. Auf jeden Fall tritt zwischen 1590 und 1620 eine neue Qualität des höfischen Lebens zutage. Zudem trug die Wiederbelebung der Höfe in dieser Zeit zur Konsolidierung fürstlicher Macht bei und der Adel wurde erneut vom Glanz des Regenten und seiner Entourage angezogen, wohingegen die Landtage und ihre Institutionen isoliert wurden. Natürlich war der Hof immer der zentrale Ort der Regierung im Mittelalter gewesen, der Dreh- und Angelpunkt herrscherlichen Vasallentums und das Forum, wo diese Vasallen miteinander kommunizierten. 2 Doch Struktur und Funktionen waren durch diverse Faktoren in ihrer Effizienz gemindert worden. Erstens hatten die ab dem späten 15. Jahrhundert unternommenen Versuche einiger Regenten, benachbarte Adlige, vor allem Ritter, ihrem Territorium einzuverleiben, dazu geführt, dass viele das Territorium verließen und auch ihr Vasallentum aufgaben. Zweitens hatte die Reformation hier und da die Kluft zwischen den Fürsten und jenen, die Reichsritter oder -grafen wurden, noch vertieft. Ein Beispiel dafür war die Pfalz: Als sich der Kurfürst nach 1559 dem Calvinismus zuwandte, verließen die protestantischen Adligen seinen Hof in Heidelberg. Die Lage wurde dort noch dadurch erschwert, dass die Adligen lieber unter dem Schutz des Kaisers blieben, als dem Kurfürsten zu folgen und eine per Reichsgesetz verbotene religiöse Option zu ergreifen. Drittens liefen die strukturellen Veränderungen in der territorialen Regierung darauf hinaus, dass ab dem späten 15. Jahrhundert universitär gebildete Nichtadlige, vor allem Juristen, die Adligen mehr und mehr aus politischen Schlüsselstellungen verdrängten. Ab 1550 wurde die Position des Adels allmählich wieder stärker. Die Lage der Reichsritter stabilisierte sich dank kaiserlicher Anerkennung und Protektion (1566

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neu bestätigt). Die Unabhängigkeit der Grafen und Prälaten wurde durch ihr allgemein akzeptiertes Stimmrecht im Reichstag verstärkt, wobei die Grafen zwei Kuriatstimmen erhielten und die Prälaten eine. 3 Auf territorialer Ebene führte die kaiserliche Protektion zu einer Entspannung der Beziehungen zwischen Adel und Fürsten. Viele Adelsfamilien arbeiteten jetzt ihr Bildungsdefizit auf und wurden so für den Regierungsdienst wieder verwendbar. Die Tätigkeit als Knappe am Hof und die militärische Ausbildung wurden jetzt durch Reisen insbesondere nach Italien oder in die Niederlande (je nach politischer und konfessioneller Orientierung) und akademische Studien ergänzt (auch wenn es nicht immer zu einem Titel reichen mochte). 4 Zunehmend gab es Verordnungen für Regierungsräte in den Territorien, die für das Gleichgewicht zwischen Adligen und Nichtadligen sorgen sollten. In den geistlichen Territorien war es in der zweiten Jahrhunderthälfte klar, dass der (katholische) Adel die Kontrolle über die Reichskirche beibehalten würde. Die Domkapitel bewahrten, häufig mit verstärktem Nachdruck, ihre soziale Exklusivität und wählten weiterhin Adlige als Fürst- und Erzbischöfe. Das sicherte einer ganzen Anzahl von bischöflichen und erzbischöflichen Höfen das Überleben und verstärkte generell die Position des katholischen Hochadels im Reich. Die Position der neuen, nichtadligen Verwaltungseliten wurde häufig dadurch geschwächt, dass viele ihrer Angehörigen bestrebt waren, in den Adelsrang aufzusteigen.Viele Regenten waren nur allzu gern bereit, das zu unterstützen. Einige wollten gern die Rolle des alteingesessenen Adels schwächen, andere erhofften sich durch die Ausstellung von Adelspatenten finanziellen Gewinn. So verkaufte zum Beispiel der Pfälzer Kurfürst in der Oberpfalz Patente für ein Zehntel dessen, was die Aspiranten für den Ankauf von Ländereien der Größenordnung hätten aufbringen müssen, um normalerweise überhaupt erst anspruchsberechtigt zu werden. 5 Und schließlich wollten viele Fürsten selbst ihre Machtbasis erneuern, indem sie ihren Hof wieder zum regionalen Herrschaftszentrum aufwerteten. Der erste Schritt dorthin bestand in der Wiederverpflichtung des einheimischen Adels; der nächste Schritt in der Einbeziehung der benachbarten Reichsritter und Reichsgrafen, wodurch ihr Hof an Ansehen gewann, und der Fürst selbst an Reichweite seines Einflusses. Die meisten dieser Entwicklungen fanden an den Fürstenhöfen jener Territorien statt, in denen Reformen und Initiativen zur Verbesserung der Regierungstätigkeit betrieben wurden oder ein Herrschaftshaus sein Profil in den Rängen des Hochadels schärfen wollte. Nicht alle Regenten, die sich einen Hof hätten leisten können, taten es auch. Die vom Reichstag 1521 aus Steuergründen aufgestellte Matrikelliste gibt 300 bis 350 regierende Familien an, deren Haushalt als Hof be-

45. Die Wiederkehr der Fürstenhöfe

zeichnet werden könnte. Reichsritter und andere Mitglieder des Adels waren per definitionem aus dieser Kategorie ausgeschlossen, weil sie keine weiteren Adligen unter sich hatten. Doch waren fast 200 von den als Fürsten aufgelisteten Adelspersonen Grafen, deren durchschnittliche Haushaltsgröße zwar während des 16. Jahrhunderts anwuchs, aber nur in wenigen Fällen in einer echten Hofhaltung resultierte. Andererseits waren viele Reichsritter und territoriale Adlige, gräfliche Dynastien, am Bauboom des späten 16. Jahrhunderts beteiligt. Sie ließen viele Schlösser und Kastelle im neuen Renaissancestil errichten, wobei sie häufig der vom Kaiser und führenden Fürsten vorgegebenen architektonischen Mode folgten. 6 Trotz hoher Einkünfte aus der Landwirtschaft belasteten diese Projekte Familien häufig mit drückenden Schulden. Begrenzte Ressourcen und schlechte Kreditwürdigkeit ließ die meisten Grafen auf den Ausbau einer Hofhaltung verzichten und Kosten sparen, indem sie in die Dienste des Kaisers oder eines mächtigen Fürsten traten. Das Haus Nassau war, mit seinen Höfen in Dillenburg und anderenorts, eine bemerkenswerte Ausnahme. Dort nämlich gab es geordnete Finanzen, Verwaltungstalent und, durch Johanns VI. älteren Bruder Wilhelm, Verbindungen zu den Oraniern, die den eigenen Status merklich verbesserten. Zwei süddeutsche Grafenlinien des Hauses Hohenzollern – Hechingen und Sigmaringen –, die 1623 zu Fürstentümern aufstiegen, wurden durch die Kosten, die bei dem Versuch entstanden, einen ihrem neuen Status angemessenen Hof zu unterhalten, schnell in den Ruin getrieben. 7 Unter den Fürsten waren die Habsburger die Trendsetter, nicht nur die erzherzoglichen Häuser, sondern auch die Monarachen selbst, deren Höfe ihre vielfältigen Rollen als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, Territorialfürsten und Könige von Böhmen widerspiegelten. 8 Nach ihnen kam, als einziger weiterer säkular-katholischer Hof von Bedeutung, Bayern. Dort war, nach dem Tod von Ludwig X. und der damit verbundenen Auflösung des Landshuter Hofs, nur noch München übrig geblieben. Dessen Glanz resultierte zum Teil aus dem Anspruch der bayrischen Wittelsbacher, gegenüber den Verwandten in der Pfalz die ältere Linie zu sein, zum Teil auch aus ihrem Überlegenheitsgefühl gegenüber den Habsburgern. Die meisten anderen bedeutenden Höfe waren protestantisch, angeführt von dem Hof des sächsischen Kurfürsten in Dresden. Trotz fortwährender finanzieller Schwierigkeiten unternahmen die pfälzischen Kurfürsten enorme Anstrengungen, um Heidelberg als Konkurrenz zu etablieren, während die Herzöge von Württemberg finanziell besser gestellt, aber in der Hofhaltung bescheidener waren. 9 Auch der vierte säkulare Kurfürst, der von Brandenburg, hatte erhebliche finanzielle Probleme und der Hof in Berlin wurde erst nach 1650 zum regionalen Machtzentrum entwickelt. Ansonsten waren größere Höfe über das ganze Reich verstreut,

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von Gottorp in Holstein über Güstrow und Schwerin in Mecklenburg, den welfischen (Braunschweiger) Höfen in Wolfenbüttel und Celle bis zu Kassel (Hessen), Kulmbach (Ansbach) sowie Neuburg und Zweibrücken für die jüngeren Linien der pfälzischen Wittelsbacher. Unter den geistlichen Fürstentümern waren die Höfe der Kurfürsten von Mainz dortselbst und in Aschaffenburg bedeutende Zentren, ebenso die Höfe der Kurfürsten von Köln und Trier. Die Höfe der Bischöfe von Würzburg, Bamberg, Münster und Paderborn taten sich hervor, weil sie politisch einflussreich und opulent ausgestattet waren, während die Höfe der Bischöfe von Freising, Regensburg, Konstanz, Worms und Speyer eher bescheidenen Zuschnitt hatten. Während die Anzahl der säkularen (zumeist protestantischen) Höfe durch Erbteilung wuchs, blieb die Anzahl der geistlichen nach 1555 konstant, mit Ausnahme der Säkularisierung einiger norddeutscher Fürstbistümer, die zuvor bereits ihrer Unabhängigkeit verloren hatten. Was einen bedeutenderen Hof von einem weniger bedeutenden unterschied, waren sein regionaler Status und sein grenzüberschreitender Einfluss. Geld, Größe und Glanz waren wichtig, Macht jedoch grundlegend. Der Wiener Hof konkurrierte mit München um die schwäbischen Grafen und Reichsritter, während Dresden den Hochadel der Harzregion und Thüringens anzog und mit Prag um die böhmischen Vasallen wetteiferte. Die Wetterauer Grafen standen traditionell dem Kölner Hof nahe, doch nach dem »Kölnischen Krieg« von 1582/83, der jede Hoffnung auf die Säkularisierung des Erzbistums zunichte machte, wurden sie loyale Anhänger Heidelbergs. In dieser Zeit waren Wien (und nach 1583 Prag), Dresden, Heidelberg und München die weitaus wichtigsten Höfe. Die konfessionelle Spaltung änderte die soziale Landkarte des Hochadels ganz entschieden. Die traditionelle Zugehörigkeit zu bestimmten Höfen zerbrach ebenso wie die Netzwerke jener Dynastien, zwischen denen Bündnisse durch Heirat gestiftet wurden. Dennoch waren am kaiserlichen Hof zu Wien (dann Prag) auch weiterhin protestantische Adlige zu finden, bei Rudolf II. sogar Graf Simon VI. zur Lippe, seines Zeichens reformierter Konfession. 10 Auf der Ebene der kaiserlichen Politik überlagerte das religiöse Moment nicht notwendig alle anderen Erwägungen, obwohl damals die wachsende Kluft zwischen dem Hof und den protestantischen Adligen Böhmens und der österreichischen Kronlande den Kern jener Krise bildete, die zum Dreißigjährigen Krieg führte. Selbst in regionalen Zusammenhängen konnte Machtpolitik religiöse Überzeugung auf den zweiten Platz verweisen. In der Pfalz waren die Probleme besonders vielschichtig.11 Territorialisierung und Religionspolitik wirkten zusammen und führten zur erheblichen Schwächung des regionalen Systems. Zum einen machten sich viele Adlige vom Vasallentum frei und wurden Reichsritter. Zum anderen vertrieb die Einführung des reformierten Glaubens durch Friedrich III. die überwiegend lutherischen Ritter vom Hof. Sie

45. Die Wiederkehr der Fürstenhöfe

fürchteten nämlich nicht nur das Risiko, einem per Reichsgesetz illegalen Glauben zu folgen, sondern auch den Verlust ihrer Unabhängigkeit, sofern Heidelberg ihnen auf ihren Besitzungen die religiösen Vorkehrungen diktieren konnte. Ihr Weggang konnte durch die Ankunft »auswärtiger« Adliger aus weit entfernten Gebieten wie Ostpreußen oder Mecklenburg nur teilweise kompensiert werden. Die lutherische Restauration unter Ludwig VI. (1576–1583) brachte den einheimischen Adel nur für kurze Zeit an den Hof zurück, denn schon 1583 führte Johann Casimir den reformierten Glauben wieder ein. Als er 1592 starb, steckte der Heidelberger Hof in der Krise. Ein Lösungsversuch bestand darin, die reformierte Kirche zu konsolidieren und zugleich neue Verbindungen zum internationalen Netzwerk der Reformierten und Calvinisten zu knüpfen. Ebenso wichtig war es jedoch, einen Kompromiss mit den regionalen lutherischen Adligen auszuhandeln, um sie dauerhaft an den Hof zurückzuholen. Das Ergebnis dieser augenscheinlich widersprüchlichen Initiativen war die Verstärkung des für den pfälzischen Hof typischen intellektuellen Charakters. 12 Heidelbergs Calvinismus aulicus (höfischer Calvinismus) besaß ein einzigartiges Profil: Er war territorial wie regional und zugleich und darüber hinaus auch noch international; reformiert und philippistisch, enthielt er aber auch calvinistische und lutherische Elemente. Er zog lutherische Reichsritter ebenso wie calvinistische Exilanten aus West-, Nord- und Mitteleuropa an. Die Heirat Friedrichs V. (1610–1623) mit Elisabeth Stuart, der Tochter Jakobs I., im Jahr 1613 unterstrich einmal mehr, in welchem Maß die pfälzischen Kurfürsten sich, trotz akuter Finanzprobleme und einer ungünstigen territorialen Basis, über den Mainstream deutscher Politik erhoben hatten. Doch schlug der Triumph sehr schnell in Hybris um. 13 Mit dem Griff nach dem böhmischen Thron hatte sich Friedrich gründlich verrechnet und sein Fehlschlag stürzte die Pfalz ins Verderben. In mancher Hinsicht war der Heidelberger Hof außergewöhnlich, aber er erlebte auch viele der Veränderungen, die nach 1550 die meisten deutschen Höfe betrafen. Als sich die zentralen mittelalterlichen Hofämter in Agenturen der Territorialregierung verwandelten, wurden sie mit einer Kombination aus adligen Zeremonial- und reinen Hofhaltungsbeamten besetzt. 14 Traditionelle Ämter wie Mundschenk und Hofmarschall blieben Adligen vorbehalten und spielten auch weiterhin in den zunehmend komplizierteren Hofritualen eine herausragende Rolle. Adlige dienten als Marschall oder Hofmeister, wobei diesen Titeln manchmal ein »Oberst-« oder (im letzteren Fall) »Groß-« vorangestellt wurde, als Kämmerer oder berittener Gefolgsmann, wobei dieser häufig vom Knappen über den Hofjunker und Kammerjunker bis zum Kammerherrn aufstieg. Dazu gesellte sich ein ständig wachsendes Ensemble von Küchen- und Kellermeistern, Quartiermeistern, Silberbewahrern, Jägern, Stallmeistern, Befehlshabern von Leibwachen, Gold- und Silberschmieden, Musikmeistern, Hofnarren und, eher selten, Hofpoeten. Viele die-

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ser Beschäftigten hatten große Gruppen von hierarchisch organisierten Arbeitskräften unter sich. Nicht zu vergessen im Reigen der Hofbeamten sind der (im 16. Jahrhundert unweigerlich jesuitische) Beichtvater an katholischen und der Hofprediger an protestantischen Höfen. Das Hofzeremoniell folgte alten burgundischen Traditionen und neueren italienischen und spanischen Moden. Letztere wurden durch die Habsburger eingeführt, desgleichen die italienischen Gebräuche und Stilformen, die aber auch über Frankreich ins Reich gelangten. 15 Die höfische Kultur wurde häufig von politischen und religiösen Zugehörigkeiten geprägt: Heidelberg pflegte französische Bräuche, ältere burgundische Traditionen und niederländische Sitten, während Dresden über den kaiserlichen Hof zu Wien burgundische und italienische Zeremonien zelebrierte. Katholiken wie auch Protestanten aller Couleur folgten im Wesentlichen den Habsburgern, wenn sie Protokolle formulierten, die das höfische Alltagsleben und das Procedere bei Jahresfesten, Taufen, Heiraten und Todesfällen für die Herrscherfamilie sowie für Krönungen oder Thronfolgezeremonien bis in alle Einzelheiten regelten. Allerdings war das deutsche Hofleben nicht so streng ritualisiert, wie seine Übernahme burgundischer Traditionen vermuten lassen könnte. Darin schlagen sich die geringe Größe vieler Höfe wie auch das Fehlen einer klaren Unterscheidung zwischen Hof und Regierung nieder. Erst ab dem späten 17. Jahrhundert, als die Regierungsfunktionen stärker vom Hof abgegrenzt waren, gewann das Ritual an Eigenständigkeit. 16 Neue Formen vermischten sich mit älteren Traditionen zu verschiedensten Kombinationen. 17 Weiterhin erfreuten sich die tradierten Unterhaltungsformen großer Beliebtheit. Extravagante Feste, Trinkgelage, Kraftproben (die manchmal kaum mehr als ein trunkenes Gerangel waren), Tierkämpfe, musikalische Unterhaltungen und Maskeraden spielten im Alltagsleben eine herausragende Rolle, wobei die Jagd eine Abwechslung darstellte. Sie hatte natürlich auch politische Funktionen. Philipp von Hessen riet seinen Söhnen zur Jagd, weil sie so ihre Ländereien inspizieren und vielleicht manch armen Bittsteller treffen könnten, dem man sonst nicht erlauben würde, sich an seinen Regenten zu wenden. 18 Friedrich II. von Schleswig-Holstein-Sonderburg (1583–1610) nutzte Jagdausflüge zur Kontaktpflege mit seinen Adligen. 19 Aber die Jagd war auch eine gute Gelegenheit zu Fress- und Saufgelagen. Trotz der neuen französischen und italienischen Ideale höfischer Sitten und Gebräuche machten viele deutsche Adlige einen Kult daraus, »echt teutsch« zu sein. Vorbilder fanden sie in trinkfreudigen Fürsten wie Friedrich IV. von der Pfalz (1583–1610) oder den Sachsen Christian II. (1591–1611) und Johann Georg I. (1611–1656). Einige ältere Traditionen wurden in ein Renaissancegewand gekleidet. Turniere und Tjoste fanden immer noch (wie viele andere höfische Unterhaltungen) im Schlosshof statt. (Erst im Lauf des 17. Jahrhunderts wurden Feste und Amüse-

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ments in die inneren Räumlichkeiten verlegt.) Doch nahm der traditionelle Tjost jetzt eine andere Form an. Er erstreckte sich mit einer ganzen Anzahl von Wettbewerben – Ringelstechen, Fußkampf mit Schwert und Speer, Kübelstechen (wobei Diener oder Knappen in wattierten Jacken Fässer oder Kübel auf dem Kopf trugen), Lanzenstechen (wobei man den Gegner vom Pferd stoßen musste) – über mehrere Tage. In solchen Festlichkeiten kristallisierte sich auch die zunehmend hierarchische Struktur des Hofs, die sich zudem in prunkvollen Umzügen äußerte. Zwar blieben Elemente seriösen militärischen Trainings Bestandteil der Turniere, doch waren ihre programmatischen und kommunikativen Aspekte wahrscheinlich noch wichtiger. 20 An den protestantischen Höfen, von Heidelberg über Stuttgart und Kassel bis nach Jägersdorf in Schlesien, wurde das Turnier mitsamt seinem Prunk zum Mittel für die Verkündung der politisch-religiösen Identität der teilnehmenden Fürsten und der protestantischen Sache im Reich. 21 Ähnliche Verlautbarungen, im Dienst anderer politischer Zielsetzungen, gab es anlässlich von Hochzeiten und anderen Festlichkeiten in München und Dresden. Aber die Turniere waren nur ein Aspekt im wachsenden Spektrum höfischer Unterhaltung. 22 Zu den Neuerungen, die zwischen 1580 und 1618 an den Höfen zu finden waren, gehörten Frühformen von Ballett und Oper, oft als Bestandteil von Maskenbällen und Festumzügen. Schon im frühen 16. Jahrhundert gab es in den Reichsstädten Nürnberg und Augsburg pyrotechnische Darbietungen, Feuerwerk und Illuminationskunst, was nach 1560 zu Bestandteilen höfischer Unterhaltung wurde. Etwa zur gleichen Zeit tauchten die ersten italienischen Schauspieltruppen an den deutschen Höfen auf; ihnen folgten in den 1580er Jahren die Engländer. Ihre Verträge und Reiseerlaubnisse ermöglichten ihnen auch den Auftritt in Zentren wie Frankfurt, Leipzig, Nürnberg und Straßburg, wo es keine Fürstenhöfe gab. Und schließlich wurden die Höfe samt den Städten, in denen sie angesiedelt waren, zu Kunst- und Bildungszentren. Entwicklungen im Baustil nach 1550 waren Bestandteil einer längerfristigen Wandlung, die im späten 15. Jahrhundert begonnen hatte. Der neue frühmoderne Stil beginnt mit dem Bau der Residenz der Wettiner in Meißen, der 1471 errichteten Albrechtsburg. 23 Ihr Baumeister hatte sich von vorwiegend französischen Vorbildern wie Vincennes, dem Louvre und den Schlössern von Jean de Berry inspirieren lassen. In der neuen Architekturform »Schloss« erhielten die charakteristischen Elemente der mittelalterlichen Burg, vor allem Türme und Tore, zunehmend symbolische Funktion, indem sie die Stärke und Gerechtigkeit des Regenten repräsentieren. Die Suiten des Fürsten, die im Allgemeinen in der Nähe des Turms lagen, wurden zunehmend luxuriöser ausgestattet, um der modernen Regierung und Verwaltung ein entsprechendes Ambiente zu verschaffen und dem Bestreben des Fürsten, seine Regentschaft hervorzuheben, Ausdruck zu verleihen. Durch das In- und Miteinander französischer und italie-

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nischer wie traditioneller Stilelemente entstanden neue symbolische Bedeutungen. Die von den Wettinern entwickelten Stil- und Strukturformen strahlten auf benachbarte Territorien wie Brandenburg, Anhalt, Mansfeld und Hessen aus. Spätestens Ende des 16. Jahrhunderts war der Wettiner Stil in den deutschen Gebieten nördlich des Mains beherrschend geworden, und wenn Zentren wie Heidelberg oder Landshut und München nun auch einflussreich geworden waren, so nicht zuletzt deshalb, weil auch sie die Wettiner zum Vorbild genommen hatten. Überall wurden ältere Bauwerke überholt oder in Teilen neu erbaut, wobei die überkommenen Kernelemente jedoch erhalten blieben. Das historisch gewachsene »Aussehen« galt für das frühmoderne Schloss als äußerst wichtig. Das relativiert den traditionell gern betonten Kontrast zwischen der mittelalterlichen Burg, die im Lauf der Zeit immer weiter ausgebaut wurde, und der frühmodernen Residenz, die angeblich als Gesamtbau konzipiert war. Als zum Beispiel Herzog Ulrich III. von Mecklenburg 1558 daranging, für seine Dynastie eine völlig neue Hauptresidenz in Güstrow errichten zu lassen, achteten er und sein Architekt, Franz Part, darauf, dass sie so aussah, als sei sie schon vor langer Zeit erbaut und von Generation zu Generation den Umständen angepasst. 24 Weitere offizielle Gebäude wurden häufig ebenfalls im vorherrschenden Stil errichtet. Das symbolische Vokabular des frühmodernen Schlosses wurde auf die Rathäuser im Territorium übertragen; so symbolisierten sie als Orte fürstlicher Verwaltung die Präsenz und Kompetenz obrigkeitlicher Autorität. 25 Nach 1550 gestalteten italienische Architekten und Baumeister unter anderem die Höfe von Wien, Innsbruck, Prag, Dresden und München um. 26 Kurfürst Ottheinrich (1556–1559) beauftragte bei seinem Herrschaftsantritt einen holländischen Baumeister, in Heidelberg eine Residenz im Renaissancestil zu errichten. Das war der Anfang einer programmatischen Umgestaltung der Stadt, so wie Ottheinrich zuvor schon Neuburg an der Donau, das Zentrum von Pfalz-Neuburg, wo er ab 1522 Mitregent und ab 1542 alleiniger Regent gewesen war, umgestaltet hatte. 27 Neuburg und Heidelberg gehörten zu einem (lutherischen) religiösen Reformprogramm und einer allgemeinen Verstärkung und Intensivierung der Regierungsfunktion. Auf ganz ähnliche Weise gestaltete Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel (1568–1589) Schloss und umgebende Stadt in einen Renaissancekomplex um, wozu auch die längste Straße mit Gebäuden neuen Stils im Reich gehörte. 28 Auch im katholischen Erneuerungsprogramm, das der ehrgeizige Bischof Julius Echter von Mespelbrunn (1573–1617) in Würzburg in Gang setzte, waren Bauprojekte so wichtig wie Finanzreformen. 29 Doch es wurde nicht nur gebaut, es wurde auch gesammelt. Maximilian II. und Rudolf II. waren leidenschaftliche Sammler von Antiquitäten, Bildern, Münzen und Kuriositäten aller Art. 30 Die »Kunst- und Wunderkammer« war die typische

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Verkörperung des rastlosen Eklektizismus jener Epoche. Der ernestinisch-sächsische Kurfürst Friedrich der Weise (1486–1525) hatte für die Schlosskirche Allerheiligen in Wittenberg eine der größten Reliquiensammlungen überhaupt angelegt. Sein albertinischer Nachfolger August (1553–1586) legte in Dresden die Fundamente für eines der spektakulärsten Ensembles von Gebäuden und Sammlungen in Mitteleuropa. 31 Fast jeder wirklich ehrgeizige Fürst richtete damals zumindest eine umfangreiche Bibliothek ein oder stockte eine bereits existierende auf, häufig im Zusammenhang mit der Gründung einer Universität oder Hochschule. Mit der Kunst und den diversen Sammlungen ging die Bildungsförderung einher. Obwohl die Höfe, als Zentren feudaler Netzwerke und Regierungssitze, konfessionalisiert waren, förderte die Schirmherrschaft über späthumanistische Bildung geistige und kulturelle Ideale, die konfessionelle Grenzen tendenziell überschritten. In einigen Fällen war die Universität oder Hochschule eng mit dem Hof verbunden, in anderen Fällen war die Beziehung – in geografischer wie anderer Hinsicht – weniger eng. Doch während manche Fakultäten in den Dienst der regierungsseitig betriebenen Konfessionalisierung gepresst wurden und sich ihr Fokus demzufolge verengte, wurde der Hof als Zentrum humanistischer Kultur Bestandteil eines umfassenderen europäischen Netzwerks. In dieser Hinsicht stand das lutherische Holstein dem rekatholisierten Bayern erstaunlich nahe. 32 Justus Lipsius zum Beispiel erhielt von protestantischen wie auch katholischen Höfen Einladungen. 33 Was ihn für Regenten so anziehend machte, war die Tatsache, dass er die weitgespannten universitär-philosophischen Passionen jener Epoche verkörperte. Die Philologie war nur der Ausgangspunkt für eine umfassende Beschäftigung mit allen Aspekten der antiken Welt, von der Politik bis zur heidnischen Religion, und das Spektrum der Gelehrsamkeit wurde noch durch Ausflüge in die Naturwissenschaft, die Magie, die Astrologie und die Alchemie erweitert. Rudolf II. hatte ein außergewöhnliches breites Interessenspektrum, dem er seine Schirmherrschaft zukommen ließ. Aber er stand auch im Wettbewerb mit seinen Zeitgenossen in Sachsen, Brandenburg, der Pfalz, Bayern und anderswo. Überall forschte man nach dem großen alchemistischen Geheimnis und erkundete die Grenzen der Natur und der menschlichen Erfahrung. 34 Es wäre falsch, von einer inhärent gegnerschaftlichen Beziehung oder gar von der Unvereinbarkeit von Hof und Universität auszugehen.Vielmehr wurde das von den höheren Fakultäten vermittelte Bildungsspektrum vom Hof häufig ergänzt und erweitert. Auch konnte der Hof bei der Übertragung von Elementen der akademischen Kultur in die politische Sphäre eine Rolle spielen. Wie die Geschichte der ersten deutschen Sprachgesellschaften zeigt, war die kulturelle und geistige Rolle des Hofes von tief greifender Bedeutung für die Entwicklung der politischen Kultur des Reichs. 35

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Anmerkungen 1 Lanzinner, »Zeitalter«, 85. Vergleichbare Zahlen nennt Müller, Fürstenhof, 30. Der bayrische Hofstaat umfasste 1508 etwa 160 Personen, die Kosten lagen bei 3.800 Gulden; um 1600 waren es 540 Personen und 7.000 Gulden. Ebd., 30–31. 2 Stievermann, »Courts«, schildert informativ mehrere süddeutsche Höfe um 1500. 3 1550 erhielten die schwäbische und die Wetterauer Grafenbank das Stimmrecht; die fränkische 1641 und die westfälische 1654. Schmidt, Grafenverein, 169. Die Prälaten erhielten die Kuriatstimme formell 1575; ab 1653 hatten sie zwei Stimmen, eine für die schwäbischen und eine für die rheinländischen Prälaten. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 97–98. 4 Hammerstein, Bildung, 46–47; HdtBG, Bd. I, 88. 5 Press, »Adel«, 20. 6 Braunfels, Kunst, Bd. III, 277–352. 7 Press, »Adelshöfe«, 41–42. 8 Press, »Imperial court«. 9 Mertens, »Hofkultur«. 10 Schmidt, Grafenverein, 376. 11 Press, »Zweite Reformation«. 12 Mertens, »Hofkultur«; Wolgast, »Profil«; Zwierlein, »Heidelberg«; Hepp, »Heidelberg«; DaCosta Kaufmann, Court, 209–211; Clasen, Palatinate, 33–46. 13 Pursell, Winter King, 23–31, 65–91, 123–163. 14 Müller, Fürstenhof, 19–25. 15 DaCosta Kaufmann, Court, 50–73, 138–231; Müller, Fürstenhof, 11–16. 16 Buttlar, »Leben«, 4–6. 17 Buttlar, »Leben«; Otto, »Fürstenleben«; vgl. auch Voigt, Hofleben. 18 Schulze, Deutsche Geschichte, 213. 19 Lockhart, Frederik II, 47, 49. 20 Watanabe-O’Kelly, Triumphall shews, 13–35. Die Behauptung, die militärische Funktion der Turniere zeige sich auch daran, dass die Lanzenreiter in der britischen und deutschen Armee erst nach dem Ersten Weltkrieg abgeschafft wurden, übersieht, dass die »modernen« Lanzenreiter – die Ulanen – eine von Sachsen zu Beginn des 18. Jahrhunderts eingeführte Neuerung waren. Vorbild waren die von Polen im 16. Jahrhundert eingeführten Ulanentruppen, die ihrerseits auf das osmanische Militär zurückgingen (daher auch der Ursprung des Wortes Ulan). Das heißt nicht, dass Tapferkeit und Reitkunst in der militärischen Ausbildung der Adligen keine Rolle mehr spielten, aber im späten 16. Jahrhundert wurden solche traditionellen Fähigkeiten durch akademisches Studium ergänzt. Vgl. auch Schmidt, Vaterlandsliebe, 328–350. 21 Watanabe-O’Kelly, Triumphall shews, 37–63. 22 Berns, »Festkultur«, besonders 296–298. 23 Müller, Schloß, 42–66. 24 Müller, Schloß, 247–250. 25 Müller, Schloß, 358–376. 26 DaCosta Kaufmann, Court, 139–165. 27 Braunfels, Kunst, Bd. I, 302–304; Schütte, Schloß, 89–101; DaCosta Kaufmann, Court, 209–211. 28 Braunfels, Kunst, Bd. I, 329–333. 29 Braunfels, Kunst, Bd. II, 282–283; Schock-Werner, Bauten, 17–18, 21–62, 201–215.

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30 Evans, Rudolf II, 162–195; DaCosta Kaufmann, Court, 166–203; Moran, »Patronage«, 169– 175. 31 Watanabe-O’Kelly, Court culture, 37–88; Braunfels, Kunst, Bd. I, 252–258. 32 Evans, »Rantzau«, 258. 33 Papy, »Lipsius«. 34 Evans, Rudolf II, 196–242; Moran, Alchemical world, 11–24, 171–176; Nummedal, Alchemy, 79–85; Lanzinner, »Zeitalter«, 124–125. 35 Vgl. S. 575–579.

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m Vergleich zu den bemerkenswerten Entwicklungen, die es nach 1555 in vielen Territorien gab, galten die deutschen Städte als durch Stagnation und Verfall gekennzeichnet. Ihre große Zeit, so hieß es bei den meisten Historikern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sei das Mittelalter und der Höhepunkt die Ära der Reformation gewesen. Danach traten die Fürsten die Flammen urbaner Freiheit aus; die europäische Wirtschaftsentwicklung verdammte die deutschen Städte zur Rückständigkeit; die übrig gebliebenen Reichsstädte verloren ihre politische Bedeutung und erlebten eine lange Epoche des Niedergangs. 1 Forschungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben viel dazu beigetragen, diese Einschätzung zu revidieren. Der ökonomische Wandel war weniger dramatisch oder verheerend wie häufig angenommen. Einige Städte verloren ihre Führungsrolle, während andere an Bedeutung gewannen. Tonangebende Familien verschwanden und wurden bald durch andere ersetzt: Die Mitgliedschaft in den Eliten der Patrizier und Kaufleute wechselte, aber die sozialen Gruppen selbst blieben mitsamt ihrem Platz in der politischen Hierarchie der Städte erhalten. Wenn die Reichsstädte als Gruppe nach 1555 weniger innovativ wirkten, so zumindest teilweise deshalb, weil viele von ihnen jene Verwaltungs- und Rechtsreformen, die von Fürsten jetzt so nachdrücklich durchgesetzt wurden, schon seit Langem eingeführt hatten. Soweit die meisten Stadträte darauf bedacht waren, den Status quo zu erhalten, erweckten viele Städte den Anschein von Konservatismus. Aber Erscheinungen können täuschen. Allerdings verfuhren die Magistrate von Reichsstädten wie Nürnberg, Ulm, Frankfurt oder Ravensburg, die außerhalb des urbanen Bereichs noch umfangreiche Territorien zu verwalten hatten, bei der Regierung ihrer Untertanen nicht weniger rigoros als irgendein Fürst. 2 In vielfacher Hinsicht schuf das Augsburger Friedensabkommen für die Reichsstädte völlig neue Rahmenbedingungen, wodurch sich ihre Geschichte von der der Territorien in wichtigen Aspekten unterschied. Nach Anzahl und Status wurden sie klarer definiert als jemals zuvor. Die Matrikelliste von 1521 wies 85 Freie und Reichsstädte aus. Allerdings hatten einige wenig Interesse daran, in dieser Liste aufzutauchen, da sie fürchteten, dadurch mit Reichssteuern belastet zu werden. Es gab sogar vehemente Proteste und manche bestritten, überhaupt jemals Reichsstadt gewesen zu sein. Nur durch einen Fehler, behaupteten sie, seien sie auf die Liste geraten. So hatte der Reichstag zum Beispiel Hamburg 1510 zur Reichsstadt erklärt, was der Herzog von Holstein und die Stadt selbst zurück-

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wiesen. Hamburg zeigte erst sehr viel später Interesse daran, Reichsstadt zu werden und Reichssteuern zu zahlen, während die Herzöge von Holstein (die auch Könige von Dänemark waren) diesen Status erst 1768 anerkannten. 3 Doch erhob Hamburg, wie auch viele andere Städte im Norden und Nordwesten Deutschlands, Anspruch auf einen autonomen Status. Einige Städte waren Mitglieder der Hanse, andere verwiesen auf mittelalterliche Freibriefe und sonstige rechtliche Privilegien. Soweit sie den Schutz des Kaisers nicht brauchten und die Unterstützung durch das Reich nicht für vorteilhaft oder notwendig hielten, waren sie mit dem Status quo zufrieden; für die meisten norddeutschen Städte hatte das Reich im 15. und frühen 16. Jahrhundert kaum praktische Bedeutung. Das Augsburger Abkommen von 1555 unterschied schärfer zwischen territorialen oder Landstädten und Reichsstädten. Da den Regenten nun die konfessionelle Entscheidungsbefugnis zugewiesen worden war, hatten sie die Landstädte fest im Griff: Reichsrecht setzte lokale Privilegien außer Kraft. Die Proteste der norddeutschen Landstädte verhallten ungehört und auch der Vorschlag, für die Hansestädte eine Ausnahmeregelung zu finden, blieb erfolglos. Das führte in den folgenden Jahrzehnten bei den Städten zu einer ständigen Verschlechterung ihrer Position. Bezeichnend dafür ist das Schicksal der Hanse. 1554 einigten sich die Mitglieder darauf, regelmäßig Beiträge zu zahlen, bei Streitigkeiten ein Schiedsgericht anzurufen, sich gegenseitig zu unterstützen und regelmäßige Treffen abzuhalten. 1557 trafen sich Vertreter von 63 Städten, um neue Artikel für den Bund zu vereinbaren. Aber die regelmäßigen Treffen fanden nicht statt und die Artikel wurden zuletzt 1579 erneuert. 1604 hatte die Hanse noch 14 Mitglieder, von denen nur Hamburg, Lübeck und Bremen wirklich aktiv waren. Welche Rolle fürstlicher Druck bei diesem Niedergang spielte, zeigt sich an einer Bemerkung von Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel (1589–1613), der die Hanse als »eine verbotene Conspiration und rottierung« bezeichnete. 4 Doch führte die Territorialisierung nicht zur Auslöschung stadtbürgerlicher Freiheiten und Traditionen. Viele Städte spielten für die Politik ihres Territoriums eine Schlüsselrolle. Sie trugen zur Wirtschaft bei, waren Verwaltungs- oder höfische Zentren oder verfügten über eine Festung. Als Mitglieder der Landstände wirkten sie am Prozess politischer Willensbildung mit und verteidigten ihre Interessen auf vergleichbare Art wie die ländlichen Kommunen. Die Regierung beruhte nicht nur auf Befehl und Gehorsam, sondern auch auf dem Dialog, und die Stimme der Städte war häufig zu vernehmen. Dennoch gelang es nur solchen Städten, ihre Autonomie zu bewahren, die – wie etwa Emden und Lemgo – in Territorien lagen, in denen der Regent schwach war. Städte wie Magdeburg, Erfurt, Braunschweig, Münster, Göttingen, Lüneburg, Rostock und Stralsund erhielten sich ihre faktische Autonomie bis ins 17. Jahrhundert, weil sie eine besondere wirtschaftliche oder strategische Bedeutung besaßen, doch die meisten von ihnen fielen früher oder

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später in fürstliche Hände. Von den etwa 4.000 Landstädten, die es damals im Reich gab, konnten nur die wenigsten ihre traditionelle Freiheit bewahren. Für die Freien und Reichsstädte dagegen hatte der Artikel 27 des Augsburger Religionsfriedens festgelegt, dass immer dann, wenn Katholiken und Anhänger der Augsburger Konfession gleichermaßen Bürger der Stadt waren, die Rechte jeder Gruppe respektiert werden mussten. 5 Einerseits wurde damit der unabhängige Status dieser Städte bekräftigt, andererseits hatten die Magistrate nicht das ius reformandi, sodass bei (tatsächlichen oder eingebildeten) Verletzungen des Artikels 23 die kaiserlichen Gerichte angerufen werden mussten, was die Möglichkeit einer Intervention seitens des Monarchen eröffnete. Der ungewisse Status der Reichsstädte zeigte sich auch daran, dass sie im politischen System des Reichs nicht die gleichen politischen Rechte wie die Fürsten besaßen. Sie wurden zum Reichstag eingeladen und hatten dort auch ihr eigenes Kollegium. Doch scheiterten alle Versuche, ihrer Stimme förmliche Anerkennung zu sichern, an der Opposition der Fürsten. 6 Selbst die Drohung, dem Gegenangriff auf die Türken die Beiträge zu verweigern, rief 1582 nur eine bedeutungslose Zusicherung hervor. Erst 1648 erhielten die Reichsstädte die Bestätigung für das volle Stimmrecht (votum decisivum), wobei es durch die Einführung des konfessionellen Paritätsprinzips bei Abstimmungen gleich wieder unwirksam gemacht wurde, denn die Parität durchkreuzte bei entscheidenden Problemen das auf Kollegien beruhende Abstimmungssystem. Im gescheiterten Bemühen um gleiches Stimmrecht zeigte sich der im Vergleich mit den Fürsten geringere Status der Reichsstädte, ebenso aber ihre wachsende Uneinigkeit. Vor 1555 hatten sie aufgrund der Verfolgung gemeinsamer Interessen ein gewisses Ausmaß an Solidarität bewahrt, wobei sie die sich immer deutlicher herausschälende konfessionelle Teilung in ihren Rängen vermieden. Nach 1555, als diese Teilung im Reich formell etabliert wurde, schwächte sich die vormalige Solidarität ab. Das wiederum verstärkte die Interessenunterschiede zwischen den 65 verbleibenden Reichsstädten. Große Städte wie Augsburg hatten kaum etwas mit Provinzstädtchen oder den kleinen Reichsflecken im Elsass gemein, die den lokalen Habsburger Regenten verpflichtet waren und nach 1648 ohnehin nicht mehr zum Reich gehörten. Städte in jenen Regionen, in denen die kaiserliche Regierung seit eh und je präsent war und die dem Monarchen traditionell verbunden waren, hatten wenig mit den Städten am Rand des Reichs gemein, wo die kaiserliche Regierung erst allmählich Fuß zu fassen begann. Viele waren auch so klein, dass sie, wie Reichsgrafen oder -ritter, dazu neigten, einem benachbarten Fürsten zu folgen, der häufig auch der »Patron« der Stadt war oder dort über Rechtsprechungsbefugnisse verfügte. Doch war die unsichere Position der Reichsstädte in gewissem Maß das Ergebnis zweier Initiativen, die Karl V. lancierte, aber nicht vollendete. König Ferdinand

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begründete seine Weigerung, Magistraten das ius reformandi zu gewähren, damit, dass sie zwischen der Krone einerseits und der Bürgerschaft andererseits keine unabhängige Obrigkeit bildeten, und verfolgte damit im Wesentlichen dieselbe Linie wie Karl. 7 Paradoxerweise wurde die Position der Stadträte unter Ferdinand und seinen Nachfolgern dadurch gestärkt, dass die Krone in einer Auseinandersetzung zwischen Magistrat und Bürgerschaft immer den Stadtrat unterstützte. Karl V. wollte seinen Sieg im Schmalkaldischen Krieg zu einem letzten Versuch, die konfessionelle Einheit zu schmieden, nutzen, indem er einen Kompromiss formulierte, der – so hoffte er – für Katholiken und Protestanten gleichermaßen akzeptabel sein sollte. Der Kaiser besaß nicht die Mittel, die Mehrheit der Fürsten für sein Interim gewogen zu machen, aber er konnte seine (im Fall von Augsburg durch spanische Truppen verstärkte) Autorität dazu nutzen, es den süddeutschen Reichsstädten aufzuzwingen, wodurch eine Reihe von bislang protestantischen Städten gezwungenermaßen rekatholisiert wurde. Die meisten konnten schon nach kurzer Zeit zum Protestantismus zurückkehren, einige aber erst nach 1555. Doch verschaffte diese Episode den katholischen Minderheiten eine – wenngleich zeitlich begrenzte – rechtliche Grundlage und sie blieben auch nach der Rückkehr der Städte zum Protestantismus unter kaiserlichem Schutz. Zur gleichen Zeit hatte Karl V. in einer Reihe von süddeutschen Reichsstädten Verfassungsreformen durchgesetzt. Er hatte mit Augsburg und Ulm begonnen und das Unternehmen bis 1552 auf 25 weitere Städte ausgedehnt. 8 In jedem Fall wurden die Zünfte aus der städtischen Regierung ausgeschlossen und ein Patriziat etabliert. Karls Motiv war deutlich: Er wollte diejenigen bestrafen, die mit dem Schmalkaldischen Bund gemeinsame Sache gemacht hatten. Diese Überlegung gab ihm auch sein Modell an die Hand: die Nürnberger Verfassung, in der die Zünfte in den letzten zwei Jahrhunderten keine politische Rolle gespielt hatten. Nürnberg war nämlich ab 1525 nicht nur lutherisch, sondern auch weiterhin der Krone treu ergeben. Die Stadt hatte sich 1531 geweigert, dem Schmalkaldischen Bund beizutreten, und war während des Kriegs neutral geblieben. Erinnerungen an die Unruhen während der Reformation wurden noch dadurch verstärkt, dass die Augsburger Patrizier das Aufbegehren der Stadt gegen die Krone im Schmalkaldischen Krieg den Zunftmitgliedern des Stadtrats zur Last legten. Folglich hielt Karl es für gerechtfertigt, die dreihundert Ratsmitglieder zu sich zu zitieren, sie zurechtzuweisen und dann sämtlich zu entlassen. Am folgenden Tag wurde ein sehr viel kleinerer Rat, bestehend aus 41 Mitgliedern, ernannt. Die meisten stammten aus Patrizierfamilien und nur sieben waren Vertreter der sonstigen urbanen Gemeinschaft.Vergleichbare Aktionen wurden auch in anderen Reichsstädten durchgeführt.Verantwortlich war eine Reichskommission unter Führung eines Dr. Heinrich Haas, dessen Name das Wortspiel »Hasenräte« inspirierte. Manche Stadträte bestanden hinterher aus nicht mehr als 20 Mitgliedern.

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Zwar betrachteten die Entlassenen ihre neuen Herren mit Groll und Verachtung, aber der Wandel sollte langlebig sein. In den meisten Fällen währten die neuen Verfassungen bis ins 19. Jahrhundert. Die später hier und da erfolgten Zusätze dienten vor allem dazu, die aristokratische Verfassung den Gegebenheiten anzupassen. In manchen Städten hatte es so etwas wie ein richtiges Patriziat nie gegeben, in anderen wie Esslingen, Reutlingen, Schwäbisch Hall und Schwäbisch Gmünd gab es nicht genug Patrizierfamilien, um einen Stadtrat zu bilden. 9 In diesen Fällen wurde die repräsentative Funktion des Stadtrats noch mehr eingeschränkt, was etwa dazu führte, dass Wahlen durch das Prinzip der Kooptierung ersetzt wurden und sich die Notwendigkeit ergab, neue Patrizier aus den Reihen der führenden Kaufmannsfamilien zu rekrutieren. Jedoch war selbst das nicht immer einfach, denn der Anteil der für die Vollbürgerschaft wählbaren männlichen Bevölkerung sank häufig unter 20 Prozent. 10 Das bedeutete auch, dass Ämter über Generationen hinweg von den Mitglieder ein und derselben Familie besetzt wurden, was aber wieder durch das in den meisten Fällen gültige Rotationsprinzip ausgeglichen wurde. Dennoch blieb der unvermeidliche und häufig zutreffende Verdacht, dass die Reichsstädte von Oligarchien regiert wurden. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist Ulm, wo der Stadtschreiber die Aufgabe, das äußerst komplizierte Wahlverfahren handhabbar zu machen, dadurch vereinfachte, dass er die Ergebnisse schon vorher festlegte. Nachwahlkorrekturen waren kaum notwendig.11 Karl V. konnte aus den religiösen und politischen Reformen, die er in den süddeutschen Reichsstädten in Gang setzte, keinen Nutzen mehr ziehen. Schwer zu sagen, welche der beiden Dimensionen bedeutsamer war oder ob die Maßnahmen in seiner Vorstellung mit anderen Ideen für die Schaffung eines kaiserlichen Bundes oder einer Reichsreform zusammenhingen. Weder Ferdinand noch dessen Nachfolger setzten Karls Initiativen fort und die religiöse Reform wurde vielerorts schon bald wieder rückgängig gemacht. Das brachte eine Vielzahl ungewöhnlicher Konstellationen hervor. 12 In Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl waren die Patrizier überwiegend katholisch und diese im Wesentlichen protestantischen Städte wurden nun katholisch regiert. In einer Reihe anderer Städte wie Ulm, Kaufbeuren, Donauwörth und Leutkirch kontrollierten die Protestanten selbst nach der Rekatholisierung weiterhin den Stadtrat, mussten sich aber mit der fortdauernden Existenz einer substanziellen katholischen Minderheit ins Benehmen setzen. Die Mehrheit der Reichsstädte (ungefähr 35) blieb oder wurde protestantisch, wobei sie zumeist – auch dies eine Spiegelung des Verhältnisses zwischen den Reichsstädten und dem Kaiser – orthodox lutherisch waren. Sie scheuten das Risiko der Ächtung infolge einer Annäherung an den Calvinismus. Nur Bremen, das am Rand des Reichs lag und mehr mit dem calvinistischen Emden als mit einer

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süddeutschen Reichsstadt gemein hatte, übernahm den Calvinismus. 1618 waren ungefähr 20 Reichsstädte noch oder wieder katholisch. Die übrigen waren in der einen oder anderen Weise gemischtkonfessionell. Die durch diese unterschiedlichen Formen von Koexistenz und durch die verschiedenen späteren städtischen Reformationen hervorgerufenen Probleme garantierten, dass Karl V. zumindest eines von seinen Zielen erreicht hatte: Seine Intervention hatte die traditionelle Rolle des Kaisers als Ober- und Schutzherr der Reichsstädte bekräftigt und betraf nach 1555 die Reichsstädte ganz allgemein. Die Formulierungen im Artikel 27 des Friedensabkommens führten dazu, dass Probleme, die Anlass gaben, sich an den Monarchen zu wenden und die daher dessen Eingreifen zur Folge hatten, in vielen Reichsstädten auftraten, nicht aber in den 27, die von Karls Maßnahmen zu Beginn der 1550er Jahre betroffen worden waren. Während Hamburg und Lübeck von der kaiserlichen Macht zu weit entfernt lagen, um ihren Schutz zu ersehnen oder ihre Intervention zu fürchten – Hamburg war sich zu dieser Zeit über seinen Status ohnehin noch unsicher –, waren fast alle anderen Reichsstädte auf diese oder jene Weise potenziell betroffen. Katholische Juristen wiesen gern darauf hin, dass es vermutlich keine einzige Stadt gab, in der nicht zumindest eine kirchliche Institution oder ein Rest von Kirchengut in katholischem Besitz verblieben waren. 13 Im protestantischen Regensburg zum Beispiel gab es Reste von Ländereien, die einst bischöflicher Besitz gewesen waren, drei unabhängige katholische Einrichtungen (Kloster Sankt Emmeran, die Stifte Nieder- und Obermünster) und das Kollegiatstift zur Alten Kapelle, das unter bayrischer Patronage stand. Obwohl es in Regensburg nur drei protestantische gegenüber zehn katholischen Kirchen gab, galt die Stadt als durch und durch protestantisch. 14 In Dortmund hatte sich die Reformation nach vielen Jahrzehnten theologischer Konflikte und politischer Kämpfe 1570 endlich durchgesetzt. Doch gab es noch eine katholische Minderheit, zu der auch einflussreiche Patrizier gehörten, und der Erzbischof von Köln übte sein Recht, die Berufung von Pastoren zu überwachen, noch bis 1585 aus. Sein Gerichtshof wurde gar erst 1589 geschlossen. Selbst danach existierten drei katholische Klöster noch weiter und 1616 musste der Stadtrat es hinnehmen, dass den Franziskanern die Parochialrechte gewährt wurden (die die Dominikaner dort schon besaßen). 15 In vielen Reichsstädten wurden die hartnäckigen religiösen Probleme, wenn überhaupt, erst so spät gelöst, dass der Konfessionalisierungsprozess und die Entwicklung einer konfessionellen Kultur erst im 17. Jahrhundert wirklich vorankommen konnten. Für viele Städte wurden erst mit dem Westfälischen Frieden entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen. 16 Das Beispiel Aachen zeigt die lokale Vielschichtigkeit und die regionalen Auswirkungen einer konfessionellen Verschiebung sowie deren Folgen für die Reichs-

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politik. 17 Einerseits war Aachens geografische Lage prekärer als die von Dortmund, weil die Stadt den spanisch besetzten Niederlanden näher war. Wie Dortmund musste auch Aachen mit den Ansprüchen zweier regionaler Nachbarn auf Rechtsprechung kämpfen – mit dem Herzog von Jülich und dem Bischof von Lüttich (und indirekt mit dessen Vorgesetztem, dem Erzbischof von Köln). Andererseits hatte dort auch Habsburg Interessen, was die Gefahr einer spanischen Militärintervention mit sich brachte und das Augenmerk des Monarchen auf die Situation verstärkte. Der entscheidende Unterschied zu Dortmund lag im konfessionellen Bereich. Die Dortmunder Reformation hatte ihre Ursprünge in Humanismus und Luthertum und der Stadtrat war orthodox lutherisch ausgerichtet. In Aachen dagegen waren ab etwa 1544 die Lutheraner und Calvinisten weitgehend wohlhabende Flüchtlinge aus Flandern und dem Artois in den südlichen Niederlanden. Versuche des katholisch besetzten Stadtrats, die Flüchtlinge von der politischen Beteiligung auszuschließen, führten lediglich zu Hilfeersuchen an protestantische Fürsten. In den 1570er Jahren lebten an die 8.000 Protestanten mit 12.000 Katholiken zusammen und viele Protestanten verfügten über persönlichen und wirtschaftlichen Einfluss, sodass die katholische Mehrheit nicht umhin konnte, sie als Vollbürger anzuerkennen und ihnen Zugang zu den politischen Ämtern, auch zum Stadtrat, zu gewähren. Das wiederum veranlasste die Katholiken, sich an den Herzog von Jülich zu wenden, der sich wiederum beim Kaiser darüber beschwerte, dass seine Aachen betreffende kirchliche Rechtsprechungsbefugnis verletzt worden sei. Daraufhin wandte sich der Stadtrat gegen den Herzog an das Reichskammergericht. Schließlich entschied der Reichshofrat 1593, die Stadt habe gemäß dem Augsburger Frieden nicht das Recht, den konfessionellen Status quo zu verändern, die Calvinisten hätten überhaupt keine Rechte und alle in Aachen seit 1560 vorgenommenen Änderungen seien ungültig. Als der Stadtrat dies Urteil nicht anerkennen wollte und sich deshalb an den Kaiser und alle Reichsstände wandte, drohte Rudolf II. zunächst direkte Maßnahmen an, sprach dann 1598 die Ächtung aus und beauftragte Erzherzog Albrecht, den Generalgouverneur der südlichen Niederlande, mit der Exekution. Angesichts der Gefahr einer spanisch-jülischen Besetzung von Aachen kapitulierten die protestantischen Ratsmitglieder und der Erzbischof von Köln überwachte die Rekatholisierung der Stadt. Die Protestanten wurden verbannt, bis ein Aufstand 1611 erneut einen protestantisch beherrschten Stadtrat einsetzte, gegen den der Kaiser machtlos war, da auch Jülich jetzt protestantisch beherrscht wurde und daher bereit war, seine Rechtsprechungsbefugnis in den Dienst der Aachener Protestanten zu stellen. Der Triumph währte nicht lange, denn 1614 wurde die Stadt durch das Eingreifen spanischer Truppen endgültig rekatholisiert. Ähnliche Auseinandersetzungen, jeweils mit Auswirkungen für die politische

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Situation im Reich, gab es in Köln, Straßburg und am spektakulärsten in Donauwörth, das 1607 rekatholisiert und zu einer bayrischen Landstadt herabgestuft wurde. 18 Viele andere Städte hatten weniger schwerwiegende Probleme zu bewältigen, was häufig zu Hilfs- oder Nichteinmischungsersuchen an benachbarte Mächte oder zu Eingaben bei Reichsgerichten und zur Berufung von Kommissionen zur Schlichtung des Streits führte. In vielen Fällen gab es zumindest die Androhung von Intervention oder, wie 1604 in Dortmund, von bewaffnetem Widerstand, als die protestantische Bürgerschaft sich gegen den Reichskommissar stellte, der ein Gerichtsurteil zugunsten der Katholiken durchsetzen wollte. 19 Solche Kontroversen ergaben sich ab den späten 1570er Jahren immer häufiger. Sie spiegelten und verstärkten die wachsenden konfessionellen Spannungen im Reich. Ebenso häuften sich die Spannungen zwischen den Stadträten und der Bevölkerung. Konfessionelle Auseinandersetzungen spielten dabei eine Rolle, aber ebenso das breitere Spektrum der Reichsstädte. Die Spannungen entluden sich um 1600 in einer Reihe von Aufständen. In dieser Hinsicht erfuhren Karls V. Reformen in den süddeutschen Reichsstädten eine Art Fortsetzung andernorts. Nach den reformatorischen Jahrzehnten, in denen die Zünfte politisch an Boden gewannen, gab es jetzt bei den Bildungs- und Handelseliten eine starke Tendenz zur Oligarchie. Doch erregten Patrizier, die sich zunehmend aus dem aktiven Geschäft zurückzogen, ohne deshalb die politische Macht aus den Händen geben zu wollen, den Groll derer, die für den Reichtum sorgten, von den Zünften ganz zu schweigen. 20 In Städten wie Frankfurt, Aachen und Hamburg wurde der Status quo durch die Ankunft von Flüchtlingen aus den Niederlanden infrage gestellt. 21 Die wirtschaftlich sehr aktiven Neusiedler forderten schon bald das Wahlrecht und die Beteiligung an der städtischen Regierung. Wo aber Stadträte neue Gemeinschaften von Calvinisten oder Juden tolerierten, fühlten viele Alteingesessene sich durch die Konkurrenz bedroht oder verdrängt. In vielen Fällen war auch die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm, zwischen Vollbürger und bloßem Stadtbewohner ein Grund für zunehmende Spannungen. Verschärft wurden sie durch Wachstumseinflüsse. In den 1570er und 1580er Jahren gab es Wirtschaftsprobleme, in den 1560er und späten 1570er Jahren Pestepidemien. Beides führte zu erheblichen, wenn auch temporären Bevölkerungsrückgängen. Im Allgemeinen sorgten hohe Geburtenraten sowie Einwanderung (sowohl vom Land her als auch aus Gebieten wie den Niederlanden) dafür, dass in vielen Städten die Bevölkerungszahl in späten 16. Jahrhundert Spitzenwerte erreichte, wobei die unteren Bevölkerungsschichten gewöhnlich die höchsten Raten zu verzeichnen hatten. Ein großer Zustrom von Wirtschaftsmigranten konnte, wie in Hamburg oder Aachen, den Wohlstand fördern, aber auch ökonomische und soziale Ungleichheit, gewaltige Statusdifferenzen und geringe Chancengleichheit bei der politischen Beteiligung bewirken. 22

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Zwar waren die Ursachen für Unzufriedenheit und Spannungen höchst unterschiedlich – wirtschaftlich, sozial, konfessionell, politisch –, doch wurden die Konfrontationen in einem Diskurs artikuliert, der praktisch allen Reichsstädten gemein war. Was die Konflikte des 17. Jahrhunderts von den spätmittelalterlichen Aufständen gegen die urbane Obrigkeit unterschied, war die Sprache. Die Konfliktdarstellungen kleideten sich in die argumentative Sprache der akademischen Jurisprudenz. Ab 1555 hatten die städtischen Oligarchien sich die neue, humanistische (und nach 1576 von Bodin beeinflusste) Sprache der Souveränität angeeignet und sie der christlichen Tradition angepasst. Sie bezeichneten sich als Autoritäten deo gratia (durch die Gnade Gottes) oder als »Obrigkeit« 23 und ihre politischen Gemeinschaften als Republiken nach römischer Art, ihre Bürgermeister als consules, die Stadräte als senatores und ihre Mitbürger als Untertanen. Selbst die kleinsten Reichsstädte wie Bopfingen (das 1600 knapp unter 1.000 Einwohner zählte) oder Buchau (mit 750 Einwohnern im Jahr 1632) bedienten sich der Formel Senatus populusque Bopferingis oder Senatus populusque Buchaviensis. 24 Die Kritiker der Obrigkeit brachten andere Argumente vor. Sie bestanden darauf, dass die Bürgerschaft der wirkliche Souverän sei, die den Stadtrat mit bestimmten Pflichten betraue. Die Stadt, so hieß es häufig, sei ein status mixtus, eine Mischung aus Aristokratie und Demokratie. In mancher Beziehung typisch war die Diskussion in Hamburg um 1600, wo es keine wirkliche Revolution gab. 1602/03 brachte eine Auseinandersetzung über den Amtseid für Senatoren den Bürgermeister zu der Behauptung, dass die Bürgerschaft kein Recht hätte, gegen den Senat Widerstand zu leisten, mochte er auch noch so »gottlos, tyrannisch und geitzich« sein. 1618, während einer Kontroverse über die Absichten des Senats, die Aufenthaltserlaubnis für die sephardischen Juden (die kurz zuvor aus Spanien und den Niederlanden eingewandert waren) zu erneuern, wollte die Bürgerschaft erneut wissen, ob der Senat Hamburg für eine Aristokratie oder eine Demokratie halte. Der Senat war klug genug, keine klare Antwort zu geben: Solche Fragen, meinte Bürgermeister Vincent Moller, seien nur nutzlose scholastische Spielereien; in der Realität sei keine Stadt eine reine Aristokratie oder Demokratie. 25 Moller war nicht der einzige Magistrat, der sich so gewitzt verhielt. Auch in Aachen und anderswo wurde so reagiert, was aber die Situation nicht immer entschärfte. 26 In Frankfurt am Main zum Beispiel gab es seit Langem schon Klagen über Vetternwirtschaft und Korruption, aber auch darüber, dass der Stadtrat den städtischen Bankrott infolge des Schmalkaldischen Kriegs vertuscht hatte (Frankfurt hatte Finanzgarantien gegeben und auch im Zusammenhang mit dem Krieg spekuliert). Anlässlich der Wahl von Kaiser Matthias 1612 hatte die Bürgerschaft einen Eid zu leisten, der sie verpflichtete, für die Sicherheit der Wahlzeremonie zu sorgen. Das war als Gegenleistung für die Bestätigung der städtischen Privilegien der übliche Brauch. Diesmal jedoch nahmen die Vertreter der Bürgerschaft die

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Gelegenheit wahr, Matthias, den Kurfürsten und schließlich auch dem Stadtrat einen umfangreichen Beschwerdekatalog vorzulegen. Sie forderten die Veröffentlichung aller Privilegien, die bestätigt werden sollten (in der Hoffnung, rechtlichen Schutz vor der Besteuerung, die der Stadtrat verhängt hatte, zu finden), die Kontrolle der von den Juden geforderten Zinssätze und die Kontrolle der Kornpreise. Als der Rat sich weigerte, kam es zum Aufstand. Schließlich gab es einen Vertrag, vermittelt durch Reichskommissare, zu denen auch der Erzbischof von Mainz, Vertreter des Landgrafen von Hessen-Darmstadt und zwei weitere Fürsten gehörten. Aber damit waren nicht alle zufrieden und es gab einen weiteren Aufstand, angeführt von dem Lebkuchenbäcker Vincenz Fettmilch. Die Patrizier wurden aus dem Rat vertrieben. 27 Daraufhin ächtete der Kaiser den Bäcker und die Autorität des neuen, mit Rebellen besetzten Rats wurde noch weiter durch die Plünderung des Judenghettos und die Vertreibung der Juden aus der Stadt beschädigt. Unterdessen sorgten sich der Erzbischof von Mainz und der pfälzische Kurfürst zunehmend: der eine um das Schicksal der Katholiken in der Stadt, der andere um die reformierten Gemeinden und beide um die Gefahr für ihre jeweiligen benachbarten Territorien. 1613 hatten die Unruhen Worms erreicht, wo die Bürger ebenfalls die Juden vertrieben, und in Wetzlar wurde der Rat gestürzt und erst wieder eingesetzt, als Vertretern der Bevölkerung Einsicht in städtische Dokumente und die Finanzen gewährt wurde. 28 Nun drohte eine regionale Krise, in die wichtige Repräsentanten beider Konfessionen involviert werden könnten, weshalb eine Intervention des Monarchen sich als dringlich erwies. Am Ende konnte ein militärisches Vorgehen durch einen diesmal gegen Fettmilch gerichteten Aufstand verhindert werden. Der Bäcker wurde gefoltert und 1616 öffentlich hingerichtet, der vormalige Rat wieder eingesetzt und die Juden in die Stadt zurückgeholt. 29 Auch in Worms und Wetzlar dauerte es nicht lange, bis die Ordnung wiederhergestellt war. Wie in Aachen ging es auch in Frankfurt um lokale Probleme, die jedoch für die regionale Stabilität und Sicherheit gefährlich werden konnten, weil bei den Konflikten konfessionelle Aspekte eine Rolle spielten und die Auseinandersetzungen so zu den wachsenden religiösen Spannungen im Reich beitrugen. 30 Ebenso waren drei weitere Gesichtspunkte von Bedeutung. Zum einen stellten sich in einer Krise die Reichsbehörden immer auf die Seite der Stadträte, nicht auf die der Bürger. Wenn Beschwerden friedlich vorgetragen wurden, konnte man auf die Sympathie der Reichsgerichte setzen; Reichskommissare würden sich für die Magistrate verwenden. Kam es zu einer Rebellion, war es mit der Sympathie vorbei, dann wurde mit militärischem Eingreifen und der Wiederherstellung des Status quo ante gedroht. Ebenso typisch war, zum Zweiten, die Tatsache, dass ein dauerhaftes Gleichgewicht in Verbindung mit einer Art von Institutionalisierung von Bürgerbeteiligung an der urbanen Politik erst mehr als einhundert Jahre später erreicht wurde. 31

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Zum Dritten erwies sich der Fettmilchaufstand in Frankfurt als Vorspiel für eine lange Reihe von heftigen Auseinandersetzungen, die sich bis ins 18. Jahrhundert erstreckten. Der Streit um die Interpretation der republikanischen Tradition in den Reichsstädten erreichte seinen Höhepunkt vor 1618; beigelegt wurde er erst sehr viel später. Trotz aller Zerstörungen, die der Dreißigjährige Krieg gerade den kleinsten Reichsstädten zufügte, stellten die Reichsstädte insgesamt eine weitere Dimension der deutschen politischen Kultur dar, die während der gesamten Epoche der Frühmoderne durch Kontinuität gekennzeichnet war.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

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Gerteis, Städte, 1–12; Schilling, Städte, 51–56. Gmür, »Städte«. Schmidt, »Städtehanse«, 31; Aretin, Altes Reich, Bd. I, 110. Schmidt, »Städtehanse«, 37. Pfeiffer, »Religionsfriede«, 271–278. Schmidt, »Städtehanse«, 54–55; Schmidt, »Städte«, 36–39. Isenmann, »Reichsstadt«, 62. Naujoks, Zunftverfassung, 10–18. Rabe, Rat, 15–16, 168–173. Rabe, Geschichte, 650. Rabe, Geschichte, 651. Warmbrunn, Zwei Konfessionen, 13–14. Schneider, Ius reformandi, 283. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.VI, 35–57. Schilling, »Dortmund«, 163. Enderle, Konfessionalisierung, 384; Enderle, »Reichsstädte«, 259–269. Schneider, Ius reformandi, 229–231; Schilling, »Bürgerkämpfe«; Schmitz, Verfassung; Molitor, »Reformation«. Zu dem ähnlichen Beispiel von Wesel vgl. Spohnholz, Tactics. Schneider, Ius reformandi, 231–234. Seinen Status als Reichsstadt erhielt Donauwörth erst 1705 zurück, um ihn 1714 erneut zu verlieren. Schilling, »Dortmund«, 163–164. Gereis, Städte, 83. Schilling, »Innovation«, 14–30. Schilling, »European crisis«, 136–141. Schilling, »European crisis«, 150. Press, Kriege, 75; Deutsches Städtebuch, Bd. IV. 2, 52, 334. Diese Formeln imitierten die offizielle Bezeichnung der antiken Römischen Republik: Senatus populusque Romanus – Senat und Volk von Rom. Schilling, »Republikanismus«, 117–118; Whaley, Toleration, 15–16. Einen Überblick über die Konflikte in Frankfurt und anderen Städten mitsamt einer umfassenden Chronologie bieten Friedrichs, »Town revolts«, und Blickle, Unruhen, 41–45. Friedrichs, »Politics«; Koch, »Fettmilchaufstand«; Lustiger, »Fettmilchaufstand«; Ulmer, Turmoil, 23–51.

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Friedrichs, »Town revolts«, 44–45. Vgl. auch S. 668–669. Meyn, Bürgeraufstand. Soliday, Community, 16.

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weifellos gab es im späten 16. Jahrhundert in den Städten und Territorien eine Ausweitung der Regierungstätigkeit. Die Anzahl der Behörden nahm zu, ebenso die Aktivitäten, die Regulierungen, die Interventionen, die Versuche, nicht nur das Gesetz, sondern auch Glaubens- und Verhaltensweisen zu normieren. Viele Historiker fanden deshalb die Theorie anziehend, dass die Regenten in dieser Epoche systematisch versuchten, die Gesellschaft zu disziplinieren oder die Regierungsprobleme rational zu bewältigen. Bisweilen wurden Verbindungslinien zur religiösen Disziplinierung gezogen, während andere Gelehrte in den Entwicklungen das Ergebnis einer Reaktion auf religiöse Konflikte sehen, das seinen Ausdruck auch in der Entstehung einer säkularisierten Weltanschauung in den gebildeten Schichten fand. In jedem Fall stellt sich die Frage, wie wirkungsvoll Regierungsinitiativen wirklich waren, sei es im Hinblick auf ihre speziellen Ziele, sei es im Hinblick auf ihren gesamtgesellschaftlichen Einfluss. 1 Hat das Streben nach größerer Kontrolle tatsächlich zu mehr Disziplin geführt? Haben die vielen mit der Konfessionalisierung verbundenen Maßnahmen eine in sich einheitlichere Gesellschaft hervorgebracht, die mit marginalen Gruppen oder für abweichend erklärten Personen weniger tolerant umging? Haben die Entwicklungen der Epoche tatsächlich eine rationalere oder zumindest säkularere Sichtweise der Gesellschaft und der Regierungsfunktionen gefördert? In welchem Ausmaß gelang es der deutschen Gesellschaft nach 1555, mit periodisch auftretenden Krisen umzugehen? Antworten auf diese Fragen hängen auch davon ab, wie man die Mentalität jener Epoche einschätzt. Zweifellos haben Konflikte und Unruhen manchen Denker zum Rückzug in die stoische Philosophie veranlasst, wo er Ratschläge zur Herstellung politischer Stabilität fand. Der Kult um Lipsius brachte diese Ideologie hervorragend zum Ausdruck. Lipsius’ Tacitus-Editionen und seine eigenen Schriften, in die viel von Tacitus’ Lehren eingegangen war, bereiteten einer politischen Wissenschaft den Boden, die sich um 1600 entwickelte und den Anspruch erhob, religiöse und andere Parteiungen zu überwinden. 2 Der unmittelbare Einfluss ging, nicht nur in Deutschland, von Giovanni Boteros (* um 1544, † 1617) Della ragione di stato (Über die Staatsräson, 1589) aus. Zwei bedeutende deutsche Werke nahmen das Thema 1602 auf: zum einen der Discursus politicus de prudentia politica comparanda (Politischer Diskurs über den Erwerb politischer Klugheit) von Jakob Bornitz (* um 1560, † 1625), der sächsi-

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scher Beamter und ab 1607 Reichssteuerbevollmächtigter in der Oberlausitz und Niederschlesien war, und zum anderen die Disputatio de iure publico (Disputation über das Staatsrecht) des Altdorfer Professors Arnold Clapmarius (* 1574, † 1604). Im Gefolge von Botero suchten die deutschen Autoren wahre politische Klugheit von Machiavellis böser, unmoralischer Pseudopolitik abzugrenzen. Allerdings wurden beide beschuldigt, verkleidete Machiavellisten zu sein, und insbesondere die Theologen waren unablässig damit beschäftigt, Machiavellis Leben und Lehren zu denunzieren, sodass eine seriöse Beschäftigung mit seinen Ideen im Reich erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts beginnen konnte. Immerhin gelang es Bornitz und Clapmarius, den Begriff der Staatsräson oder ratio status aus seinen Verbindungen mit den Lehren Machiavellis zu lösen. Und er wurde fortan der Prüfstein für die neuen akademischen Fächer Politik und Staatsrecht. Ebenso gab es Entwicklungen im wissenschaftlichen Denken, die als Spiegelbild eines Kampfs zwischen Rationalität und Irrationalität interpretiert wurden. Persönlichkeiten wie Johannes Kepler (* 1571, † 1630) oder Matthias Bernegger (* 1582, † 1640), der Straßburger Geschichtsprofessor und Übersetzer von Werken Galileis, werden manchmal zu Helden einer neuen, rationalistischen Wissenschaft stilisiert, die auch nüchternere und distanziertere Perspektiven auf Religion und Politik vermittelte. Kepler schied die wissenschaftliche Wahrheit rigoros von der religiösen Wahrheit und bestand darauf, dass Kopernikus mathematisch im Recht sei, auch wenn die Kirche behauptete, er habe aus theologischen Gründen Unrecht. 3 Keplers Denkweise demonstrierte augenscheinlich den allmählichen Triumph der Vernunft über die Unvernunft. 1596, im Alter von 24 Jahren, erklärte er, dass im Mittelpunkt aller Planetenbahnen ein bewegender Geist, die Sonne, ruhe, während die Planeten durch eine geheimnisvolle göttliche Kraft bewegt würden, die über Einsicht in geometrische Prinzipien verfüge. Zudem sei jeder der drei höheren Planeten von Hass auf die anderen erfüllt. 1621 argumentierte er, der Ausdruck »Geist« sei durch »Kraft« zu ersetzen und »Hass« sollte lediglich als Positionsdifferenz, Bewegung, Licht und Farbe verstanden werden. Keplers religiöse Ansichten waren und blieben konfessionell ungebunden, was ihm und seiner Familie nicht zum Vorteil gereichte. Er weigerte sich, die Konkordienformel zu unterschreiben, trat aber auch nicht zum Katholizismus über. Er hielt nichts davon, den Calvinismus zu dämonisieren, und sympathisierte mit der geistigen Welt des reformierten Christentums, jedoch ohne sich ihr anzuschließen. 4 Zwar liegt die Versuchung nahe, Entwicklungen in Politik und Wissenschaft als sinnbildlich für die gesamte Epoche zu sehen, doch ist das eine übermäßige Vereinfachung. Es ist leicht, die neuen Ideen als Ergebnisse des konfessionellen Kampfs, als Triumph des Lichts über die Finsternis, zu interpretieren. Die Theoretiker der ratio status gingen davon aus, dass eine erfolgreiche Regierungstätig-

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keit von der Beherrschung der arcana imperii, der Geheimnisse der Herrschaft, abhänge, die nur denjenigen zugänglich seien, die sich dem Thema mit der richtigen Einstellung näherten. Keplers Astronomie war möglicherweise streng empirisch, aber seine Astrologie hing an einer Theorie der Aspekte und Harmonien von Planeten, die nicht weniger esoterisch als irgendeine Theologie war. Zu seinen Pflichten als Mathematiker in Graz und Linz und als Hofmathematiker in der Nachfolge von Tycho Brahe in Prag von 1601 bis 1612 gehörte es, Horoskope und Almanache zum Zweck von Prophezeiungen zu erstellen. Schon mit seinem ersten Almanach war er erfolgreich: Er sagte einen strengen Winter, einen Bauernaufstand und einen türkischen Angriff vorher, was ihm einen dauerhaft guten Ruf und eine verlässliche Einkommensquelle bescherte. Keplers Astrologie war Grundlage und Motivation seiner Astronomie bei dem Versuch, eine neue und solidere Begründung für seinen Glauben an die Beziehung zwischen himmlischen Erscheinungen und irdischen Ereignissen zu finden. 5 Er verstand sein wissenschaftliches Unternehmen insgesamt nicht als Alternative zum Glauben an Gott, sondern als wirksamere Methode, Gott näher zu kommen. Solche Wechselwirkungen zwischen Rationalität und Irrationalität zeigen, dass die Kluft zwischen der Kultur des Volks und der der Eliten nicht allzu groß war; vielmehr hatten die gebildeten und die eher bildungsfernen Schichten im Hinblick auf Kultur und lebensweltliche Überzeugungen vieles gemein. 6 Die medizinische Literatur des 16. Jahrhunderts kombinierte empirische und »moderne« Einsichten mit der traditionellen Weisheit von Heilern und Kräuterkundlern. 7 Regenten und Magistrate suchten gern den Rat von Wahrsagern und anderen »weisen« Männern oder Frauen, häufig genug von Zigeunern oder sonstigem fahrendem Volk, um verlorene Schätze und andere Dinge wiederzuerlangen. Ebenso wandten sich die gewöhnlichen Leute an solche Personen, wenn es um erkrankte Tiere, Brand oder Missernten ging. 8 Allerdings gerieten solche Praktiken im Lauf des 16. Jahrhunderts mehr und mehr in Verruf und um 1600 wurden sie von den Geistlichen verurteilt und von der Obrigkeit häufig geächtet, doch die ihnen zugrunde liegenden Glaubensüberzeugungen hielten sich hartnäckig. Einige Regenten bedienten sich dieser Praktiken noch im 18. Jahrhundert, um wertvolle Mineralien zu entdecken. 9 Schließlich waren Hofalchemisten kaum kenntnisreicher als wahrsagende Zigeuner und unterschieden sich von Jahrmarktzauberern nur durch ihre vorgebliche Wissenschaftlichkeit, auch wenn sie bisweilen über tatsächliche Kenntnisse verfügten. Die Beschaffenheit kollektiver Mentalitäten und Einstellungen ist von entscheidender Bedeutung, wenn man einschätzen will, wie die Zeitgenossen ihre Umwelt wahrnahmen. In der Zeit nach 1555 gab es überall ein beträchtliches Bevölkerungswachstum und manche Gruppen erlangten Reichtum. In vielen Territo-

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rien gab es nach den Tumulten der ersten Jahrhunderthälfte eine Stabilisierung der Verhältnisse, die sich nach 1580 in einem Bauboom für Schlösser und Residenzen niederschlug. Dennoch erlebten viele Zeitgenossen diese Jahrzehnte als eine Periode voller Ungewissheit und Instabilität. Geistliche und andere Kommentatoren waren zunehmend davon überzeugt, in einem Zeitalter von Seuchen und Verfall zu leben, dem Präludium zum Ende der Welt. Der lutherische Pastor Daniel Schaller aus Brandenburg zum Beispiel behauptete, dass die Welt sich in ihrer physischen Erscheinung verändere: Das Licht werde geringer, der Boden unfruchtbarer, die Gewässer weniger fischreich und selbst Stein und Eisen nicht mehr so hart wie einst. Nicht nur er erwartete die unmittelbar bevorstehende ruina mundi (den Verfall der Welt). 10 Für Katholiken, vor allem für die Jesuiten, die während dieser Jahrzehnte an praktisch jedem katholischen Hof eine Rolle spielten, war das Heilmittel kein Problem: Die Regenten mussten ihre Anstrengungen zur Stärkung der religiösen Disziplin im Innern und zum allseitigen Kampf gegen die Feinde der wahren Religion verdoppeln. Der Weg war vorgezeichnet, sie mussten nur willens sein, ihn zu beschreiten. Dagegen waren die Protestanten in der Diagnose der Zeitkrankheiten sehr viel eschatologischer. 11 Zuversichtlich wurde das Weltende für 1588, 1600 und 1604 vorhergesagt. Diese Erwartungen blieben unerfüllt und speisten im frühen 17. Jahrhundert den breiten Strom eines protestantischen Millenarismus. 12 Die erste Zentenarfeier der Reformation 1617 fand im Gedenken an eine triumphale Geschichte und im ängstlichen Ausblick auf ihr Ende statt. Gelehrte wie der hoch angesehene Matthias Bernegger sprachen aus, was viele Zeitgenossen dachten, wenn sie in düsteren Erklärungen die Heraufkunft eines neuen barbarischen Zeitalters beschworen. 13 Etwa zu dieser Zeit veröffentlichte Johann Valentin Andreae (* 1586, † 1654), ein Freund von Bernegger, den ersten einer ganzen Folge von Plänen für einen Bund, der sich die Erneuerung der gesamten Gesellschaft zum Ziel gesetzt hatte. Andreaes fantastische Erzählung von der Entstehung des Rosenkreuzerordens stieß nach seiner Publikation 1614 auf große Beachtung, ebenso die Kritik, die er in dem einige Jahre später publizierten Werk Christianopolis an der Gesellschaft seiner Zeit übte. 14 Für viele Calvinisten kam der millenaristische Augenblick nach ihrer Niederlage in der Schlacht am Weißen Berg 1620, dem Vorklang zu ihrer Unterdrückung in Mitteleuropa und ihrer Vertreibung ins Exil. 15 Im Reich mehrten sich solche Vorstellungen wieder in den 1630er Jahren, als weite Gebiete von der klassischen Kombination aus Krieg, Hunger und Krankheit betroffen waren. Die Intensität dieser späteren Entwicklungen hat die Erfahrung der Jahrzehnte nach 1555 bis zu einem gewissen Grad überschattet. 16 Wenn protestantische Autoren den allgemeinen Niedergang der Moral beklagten, so war das auch Ausdruck

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der Enttäuschung unrealistischer hoher Erwartungen an die Reformation und ihre Folgen. Unter Katholiken gab es ähnliche Klagen, die im Grunde den während der reformatorischen Jahrzehnte erlittenen Terrainverlust beweinten, eine Trauer, die durch ähnlich unrealistische, von den Beschlüssen des Tridentinischen Konzils genährte Erwartungen noch intensiviert wurde. Häufige Ausbrüche der Pest verstärkten das Gefühl, die Welt sei im Verfall begriffen, und auch die türkische Bedrohung wurde als Strafe für die Sündhaftigkeit der Welt aufgefasst. In den 1590er Jahren fragten sich manche sogar, ob nicht das Reich als vierte und damit letzte Weltmonarchie (im Anklang an das Buch Daniel) dazu bestimmt sei, vom Osmanischen Reich überwunden zu werden. 17 Einige glaubten, dass die Krise von 1570 den Beginn einer nicht enden wollenden Kette von Katastrophen markierte, und bis in die 1620er Jahre blieb sie ein Bezugspunkt, an dem spätere Krisenjahre gemessen wurden. 18 Es war der erste wirklich harte Winter der »kleinen Eiszeit«, dem 1569 katastrophale Missernten von Russland über die Ukraine und Polen bis nach Böhmen vorangegangen waren. In vielen Gebieten folgten auf den Winter von 1570 drei Jahre sehr schlechter Wetterbedingungen, begleitet von Lebensmittelknappheit, schweren Ausbrüchen von Pest und anderen Krankheiten. Erst 1575 kehrte wieder Normalität ein. Das Wesen der Krise und ihre Bedeutung wurden in einer den Einfluss noch steigernden Flut von Veröffentlichungen beschrieben und analysiert. 19 Drucker nahmen die Gelegenheit wahr und veröffentlichten alte Texte über alle möglichen Krankheiten und Katastrophen, Ärzte publizierten diagnostische Ratgeber und Kleriker ihre Predigten, in denen sie erklärten, wie und warum die Welt bestraft werde. Besonders beliebt waren Kommentare zu Hesekiels dunklen Prophezeiungen über Hunger und Pest, desgleichen Werke zu Tod und Sterben oder Traktate, die erklärten, warum die Kraft der Sonne nachließ und die Energie der Welt schwächer wurde. Die so unterschiedlichen Einlassungen von Theologen einerseits und Ärzten andererseits beleuchten den janusköpfigen Aspekt zeitgenössischer Expertengutachten. 20 Fast ausnahmslos machten die Theologen die sündige Menschheit für den Zustand der Welt verantwortlich, während die Ärzte im Großen und Ganzen die Krise als Naturphänomen betrachteten und kaum noch auf theologische Zusammenhänge und Kausalitäten verwiesen, was für die medizinische Literatur des 15. Jahrhunderts noch typisch gewesen war. Die von den Ärzten vorgeschlagenen Heilmittel mögen nutzlos oder gar schädlich gewesen sein, doch den bestunterrichteten Praktikern war klar, dass die Ursachen der Krankheiten nicht im Reich der Metaphysik zu finden waren. Auch die Reaktion der Politiker zeigt einen zweifachen Aspekt. Die Magistrate mussten häufig enorme Anstrengungen unternehmen, um Getreide zu kaufen und für ihre Bevölkerung zu sorgen. 21 1572 kaufte der Stadtrat von Augsburg sogar

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den Türken eine substanzielle Lieferung Getreide ab. Auf den Treffen der Reichskreise oder auf Städtetagen tauschte man sich über solche und ähnliche Operationen aus und erörterte weitere legislative Maßnahmen, um die Krise zu bewältigen. Die von den Kreisen gemeiniglich vorgeschlagenen Maßnahmen umfassten Gesetze gegen Luxusausgaben und zur Förderung der Moral, Einschränkungen des Bierbrauwesens, die Ausweisung fremder Bettler und das Verbot der Spekulation mit Getreide. In Franken erwog der Kreis sogar die Schaffung eines regionalen zollfreien Marktes für Getreide und andere Nahrungsmittel, wobei Kreismitglieder, die bei der Profitmacherei erwischt wurden, bestraft werden sollten. 22 Allerdings erwies sich die Umsetzung dieses Plans als unmöglich. Der Vorschlag, als Heilmittel für die wetterbedingten Probleme Gesetze gegen den Luxus und für die Moral zu verabschieden, zeigt, dass die Ursachendiagnose der Politiker durchaus der glich, die der Klerus in seinen Predigten verkündete. Der bayrische Kanzler Thaddäus Eck (* 1514 oder 1515, † 1574) zum Beispiel veröffentlichte 1571 einen verheerenden Bericht über die Steuerkrise in Bayern. 23 Genaue Einsichten in die Gründe für die gegenwärtige Armut der Steuerzahler und die explodierenden Kosten für Hofhaltung und Verwaltung verbanden sich mit einer allgemeinen Diagnose, die laxe Sitten, Sündhaftigkeit und Vernachlässigung der Religion als ultimative Quelle aller zeitgenössischen Übel benannte. Das war die öffentliche Rechtfertigung für die beispiellose Masse an Gesetzen, die während der folgenden drei Jahre über die Untertanen hereinbrach und alles abdeckte, von der Münzqualität bis zur Gotteslästerung. So waren viele Regierungen gezwungen, sich zu Beginn der 1570er Jahre in Krisenbewältigung zu üben, und das dabei erworbene Wissen prägte ihre Reaktion auf ähnliche Probleme in den folgenden Jahrzehnten. Vielfach intensivierten Regierungen jene Arten von Initiativen, die sie in der ersten Jahrhunderthälfte auf den Weg gebracht hatten, und entwickelten beständigere Maßnahmen zur Armenfürsorge. 24 In den protestantischen Gebieten hatte die Reformation fast alle Institutionen der Armenfürsorge in die Hände der Regenten und Stadträte gegeben, während sich in den katholischen Gebieten die Zentralisierung der bestehenden Institutionen als schwierig erwies. Aber auch hier gab es tatkräftige Regenten wie Julius Echter von Würzburg (1573–1617), die neue Einrichtungen für Kranke, Waisenkinder und Arme als Bestandteil eines umfassenden Reform- und Erneuerungsprogramms gründeten. Die »Kommunalisierung« der Armenfürsorge bedeutete auch ihre Beschränkung auf die einheimischen Bedürftigen. Vorangetrieben wurde das durch 1530, 1548 und 1577 verabschiedete Reichsgesetze, die alle Regenten verpflichteten, sich um ihre eigenen Armen zu kümmern. Das führte zur Registrierung der Armen wie auch zu Versuchen, alle auszuweisen, die stadt- oder landfremd waren. Fast alle Regierungen unternahmen Anstrengungen dieser Art und achteten auch darauf, dass die Bedürftigen in einem ihnen zuträglichen Maß arbeiteten.

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Wie wirksam diese Maßnahmen waren, lässt sich nicht mit Sicherheit ermitteln. Wenn Schätzungen korrekt sind, denen zufolge vier bis fünf Prozent (in Städten bis zu zehn Prozent und mehr) der Bevölkerung in normalen Zeiten langfristig auf Unterstützung angewiesen waren, dürfte der Anstieg in Krisenzeiten nicht mehr zu bewältigen gewesen sein. 25 Jedoch konnte selbst dann durch die Maßnahmen, die fast alle Regierungen bereithielten, vielen geholfen werden. Die Bedürftigen wurden weder dämonisiert noch kriminalisiert. Die neuen Arbeitshäuser, die sich an der englischen Besserungsanstalt (1556) und dem Amsterdamer Armenhaus (1595) und Arbeitshaus (1597) orientierten, wurden im Reich während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegründet: in Bremen 1609–1613, in Lübeck 1613, in Hamburg 1614–1622 und in Danzig 1629. Ihre Prinzipien beeinflussten die gesellschaftlichen Diskussionen und die Politik im späteren 17. und im 18. Jahrhundert. 26 Die Arbeitshäuser waren eine bedeutsame Abkehr von den in Deutschland um 1600 herrschenden Konventionen und ihr Beispiel fand erst nach 1700 stärkere Beachtung. Im späten 16. Jahrhundert ließ die rigorose Ausschließung der Nichteinheimischen aus der Armenfürsorge eine Bevölkerungsschicht entstehen, der nur die Wahl blieb, unterwegs zu sein und zu betteln. Wie groß ihre Anzahl war, ist schwer zu bestimmen, könnte aber in ruhigen Zeiten etwa drei bis vier Prozent der Bevölkerung ausgemacht haben, während sie in Krisenzeiten sehr viel höher gelegen haben dürfte. Die ausgegrenzten Armen fanden die unterschiedlichsten Gruppen und Individuen vor, die auf der Wanderschaft waren: von Zigeunern bis zu Vagabunden, von Hausierern und Wanderarbeitern wie zum Beispiel Messerschleifern über Gaukler bis zu Verbrechern und Banditen.Wie umfangreich diese Gruppen im Einzelnen waren, ist unbekannt. Manchen sehr vorsichtigen Schätzungen zufolge gab es etwa eintausend Zigeuner im Reich und auch die Anzahl der professionellen Banditen dürfte eher gering gewesen sein. 27 Nichtsdestotrotz konnte schon ihre Existenz akute Ängste auslösen. In einer Krise wurden womöglich alle Nichtsesshaften über einen Kamm geschoren und galten der etablierten Gesellschaft als Bedrohung. Zahlreiche Regierungen suchten Fremde zu vertreiben oder gar nicht erst ins Land zu lassen. Einerseits gab es viele Erlasse mit langen Listen von Gruppen, die auszuschließen waren, wobei Ausdrücke wie Zigeuner unterschiedslos zur Bezeichnung höchst unterschiedlicher Gruppen verwendet wurden. Andere Erlasse sprachen von fremden Bettlern und Nichtsesshaften als Ketzern oder Gottlosen, die eine christliche Gesellschaft ausgestoßen habe. Andererseits wurden solche Erlasse derart häufig wiederholt, dass ihre Wirksamkeit sehr begrenzt gewesen sein dürfte. Die Gesetzgebung gegen Vagabunden und Zigeuner erreichte in den 1570er Jahren und in der Periode von ca. 1590 bis 1605 ihren Höhepunkt, während es nach 1580 in mehreren Städten zu Ausschreitungen gegen Juden kam. Das scheint den Schluss zu begünstigen, dass die deutsche Gesellschaft in jener Epoche intole-

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ranter wurde. Einige Historiker haben dies für ein direktes Ergebnis der Konfessionalisierung gehalten, die die Gleichsetzung des himmlischen Jerusalem mit irdischen Städten und Staaten zur Folge hatte. 28 Zweifellos gab es solche Einstellungen in manchen Reichsstädten, deren von Mauern und Befestigungsanlagen umschlossener Raum solche theologischen Bilder leicht hervorzurufen vermochte. Insgesamt jedoch war die Sachlage komplizierter. Die Zigeuner hatte man schon fast im gesamten 16. Jahrhundert verfolgt; in den 1580er Jahren galten sie bereits als Kriminelle und Spione im Dienst der Türken und in vielen Erlassen wurden alle Nichtsesshaften als »Zigeuner« bezeichnet. 29 Ob sie um 1600 stärker verfolgt oder abgelehnt wurden als um 1500 ist durchaus unklar. Wo man versuchte, sie mit anderen Vagabunden per Gesetz zu vertreiben, scheiterte man häufig. Viele kleinere Territorien wie die der Grafen und Ritter duldeten sie sogar oder es fehlten die Mittel oder die Bereitschaft, gegen sie vorzugehen. 30 Noch schwieriger ist der Fall der Juden, von denen es um 1600 etwa 35.000– 40.000 gab. Nach den Vertreibungen im 15. und frühen 16. Jahrhundert existierten größere Gemeinschaften aschkenasischer Juden (also solchen aus Deutschland, Nordfrankreich, England und Italien) nur in Frankfurt am Main, Friedberg, Fulda, Worms, Speyer, Wien und Prag. In Hamburg hatte sich in den 1580er Jahren eine kleine Gemeinschaft sephardischer Juden, Flüchtlinge aus Spanien und Antwerpen, niedergelassen. 31 Insgesamt gab es im 16. Jahrhundert ein beständiges Wachstum jüdischer Gemeinschaften in Kleinstädten und auf dem Land, das sich besonders in den kleinen und zersplitterten Territorien des Mittelrheins, Frankens und der Wetterau konzentrierte. Grafen und Ritter waren bekanntermaßen toleranter als die Regenten großer, geschlossener Territorien und zudem, wie die Regenten größerer, aber uneinheitlicher Territorien, weniger fähig zu entschiedenem Vorgehen. 32 Gab es in einem Gebiet Schwierigkeiten, konnte man leicht über die Grenze in ein Gebiet mit anderer Rechtsprechung gelangen. Während manche Fürsten, wie etwa Bischof Julius Echter von Würzburg, die Juden systematisch vertrieben und sie sogar an der Durchreise zu hindern suchten, wurden sie anderenorts mehr oder weniger toleriert. 33 Im Allgemeinen wurde die Tolerierung dadurch erleichtert, dass Karl V. die traditionelle kaiserliche Protektion der Juden auf dem Reichstag zu Speyer 1544 und in erweiterter Form 1548 bestätigt hatte. 34 Verboten war damit die Belästigung von Juden und die Schließung ihrer Synagogen. Zudem wurde ihnen ausdrücklich die Berechnung höherer Zinssätze als Ausgleich für ihre generell benachteiligte Situation gestattet. In der Praxis waren die jüdischen Gemeinden jedoch den territorialen Regenten untertan. Die Einführung des römischen Rechts ab dem späten 15. Jahrhundert resultierte in der Formulierung von Landesordnungen wie auch von »Judenordnungen«. Letztere regelten die Beziehungen zwischen christlichen und jüdischen

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Einwohnern. Dabei erwiesen sich die Ansichten von Johannes Reuchlin, die er 1511 vortrug, als besonders einflussreich. Obwohl die (katholische) Kirche die Juden als untergeordnet betrachtete, seien sie gemäß römischem Recht cives (Bürger) und sollten daher als concives (Mitbürger) der Christen behandelt werden. 35 Die Bedingungen für die Niederlassung von Juden wurden oftmals sorgfältig spezifiziert. Einige Territorien versuchten, die Anzahl zu begrenzen, indem sie nur dem ältesten Sohn erlaubten, zu heiraten und sich niederzulassen. 36 Fast überall mussten die Juden Sondersteuern und, als Ausgleich für die Erlaubnis, einen bestimmten Handel ausüben zu dürfen, Abgaben zahlen. 1530 hatte der Reichstag alle Juden dazu verpflichtet, ein gelbes Abzeichen zu tragen. Allerdings wurde die Bestimmung nicht systematisch ausgeführt und schon bald vollständig ignoriert. 37 Die nachfolgende lokale Gesetzgebung zielte häufig darauf ab, Juden und Christen voneinander zu trennen, und vor allem in den Städten wurden die Juden in klar abgegrenzten Ghettos gehalten. Im praktischen Leben aber pflegten Christen und Juden vielfältigen Umgang miteinander und nur in Krisenzeiten wurden die Grenzlinien schärfer gezogen. Obwohl katholische wie protestantische Theologen über ein ganzes Arsenal an judenfeindlichen Argumenten verfügten, die anzuwenden sie nicht zögerten, wuchsen die jüdischen Gemeinschaften im Reich beständig und besonders nach 1550. In einer Mischung aus Habgier und Respekt vor dem kaiserlichen Schutz nahmen die meisten Regenten davon Abstand, gegen die Juden vorzugehen. Zwei Arten von Problemen konnten dieses prekäre Gleichgewicht stören. Das erste war im Wesentlichen ein politisches und verfassungsmäßiges Problem. Die jüdischen Gemeinden unternahmen von Zeit zu Zeit den Versuch, ihre Aktivitäten zu koordinieren. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatten Rabbiner damit begonnen, lockere regionale Verbände und territoriale Gerichtshöfe zu bilden sowie Oberrabbiner einzusetzen. Einige von ihnen erhielten kaiserliche Genehmigungen und Karl V. hatte selbst zu Beginn der 1520er Jahre einen Reichsoberrabbiner ernannt; das Amt gab es in Worms bis 1574. 1529 gab es eine Versammlung von regionalen Rabbinern in Günzburg, der es zwar nicht gelang, eine dauerhafte überregionale Organisation ins Leben zu rufen, die jedoch Josel von Rosheim im Elsass zum Vertreter aller Juden im Reich bestimmte. Die Reichsbehörden akzeptierten ihn als »Sprecher der gesamten Judenheit«, als »Gemeiner Jüdischeit Anwalt«, und er konnte Karl V. 1544 dazu bereden, ein Privileg zugunsten der Juden zu erteilen. Josels Tod 1554 beraubte die Juden ihres einflussreichsten Fürsprechers und das Ende des Reichsrabbinats von Worms beendete auch zeitweilig die Koordinierung der Aktivitäten im Reich. 38 1603 gab es einen weiteren Versuch, eine einheitliche Verwaltungsorganisation – ähnlich dem Ausschuss der vier Länder in Polen – zu schaffen, was jedoch auf erheblichen Widerstand stieß. 39 Eine Versammlung von 26 Gemeindevertre-

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tern traf sich auf der Frankfurter Herbstmesse und verabschiedete eine Reihe von Resolutionen, denen zufolge die Rechtsprechung rabbinischer Gerichtshöfe verstärkt, ein zentraler Fonds für interne Gemeindeangelegenheiten eingerichtet und die Ausbildung der Rabbiner geregelt werden sollte. Ein Informant denunzierte die Teilnehmer bei den Kurfürsten von Mainz und Köln als Verschwörer und die Kurfürsten leiteten im Namen des Kaisers sofort Maßnahmen gegen die Frankfurter Versammlung in die Wege. Zu der Zeit war Rudolf II. trotz der Fürsprache einflussreicher jüdischer Finanziers und Lehrer am Prager Hof nicht in der Lage, zugunsten der Juden einzuschreiten. Die Vorstellung, die Juden könnten es darauf abgesehen haben, die Autorität des Kaisers zu untergraben, war natürlich ein Fantasieprodukt, aber die Kläger beharrten darauf, dass schon die Einberufung einer behördlich nicht genehmigten »Synode« ein Verbrechen sei und Resolutionen zur Rechtsprechung von rabbinischen Gerichten in kaiserliche Vorrechte eingriffen. Zwar wurden die Beschuldigungen bald abgewiesen, doch der Erzbischof von Köln stritt noch bis 1623 in der Angelegenheit, den Juden eine größere Summe Strafgeld abzupressen, um seine angeblich »beträchtlichen« Ausgaben decken zu können. Von Anfang an ging es nicht um kaiserliche Vorrechte, sondern um die Rechte und Interessen der territorialen Fürsten. Die Initiative von 1603 war der letzte Versuch der Juden, eine reichsweite Organisation zu gründen. Die Zukunft lag in der Konsolidierung von »Landjudenschaften«. 40 Auf kurze Sicht trug die Krise von 1603 auch zu dem spektakulärsten Beispiel für die zweite Art der Destabilisierung jüdischer Gemeinden bei: der Vertreibung der Juden aus Frankfurt während des Fettmilchaufstands von 1614. Dort spielten wirtschaftliche wie auch politische Probleme eine Rolle. 41 Die Juden wurden der Münzfälschung beschuldigt, ebenso aber des unfairen Wettbewerbs mit den Zünften und übermäßig hoher Zinsraten bei Krediten. Wirklich entlarvend jedoch war die an den Stadtrat gerichtete Beschwerde, er habe seine Befugnis überschritten und gegen die Interessen der Stadt gehandelt, indem er Juden überhaupt die Ansiedlung erlaubte. Wenn es in der christlichen Gesellschaft eine politische Krise gab, bekamen die Juden die Wut der Christen zu spüren. In diesem Fall erwies sich der kaiserliche Schutz der Juden zusammen mit seinem Recht, in die Angelegenheiten einer Reichsstadt direkt eingreifen zu können, als hilfreich. Einerseits zeigt die Affäre, die sich von vielen anderen nur durch ihre Heftigkeit und die politisch prekäre Lokalisierung unterschied, die latente, wirtschaftlich gegründete Feindschaft von christlichen Zunftmitgliedern und anderen Bürgern gegen die Juden, die leicht in Gewalt umschlagen konnte. Zum anderen lässt sie erkennen, dass Kaiser, Stadträte und viele Fürsten ein Interesse daran hatten, die Juden vor solcher Gewalt zu schützen und dafür zu sorgen, dass sie auch weiterhin ihren Beitrag zum Wirtschaftsleben und zum Stadtsäckel leisten konnten.

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Zwei weitere Phänomene des späten 16. Jahrhunderts dokumentieren, in welchem Maß die Territorien mit bestimmten Problemen ökonomischer Provenienz umgehen konnten, während sie solchen, die durch soziale Ängste erzeugt wurden, hilflos gegenüberstanden. Die Bewältigung von Streitigkeiten zwischen Bauern und Grundbesitzern fällt in die erste, der Hexenwahn in die zweite Kategorie. Nach dem Bauernkrieg von 1525 gab es eine Ruheperiode, dann aber entwickelten sich ab den 1560er Jahren neue Unruhen, vor allem aufgrund von Missernten und Lebensmittelknappheit, steigenden Preisen, den Versuchen der Grundbesitzer, höhere Feudalabgaben und -pflichten zu erzwingen oder Allmenden und Gemeindewälder in Domänenbesitz zu verwandeln. Hinzu kam noch die ständig wachsende Last steigender Reichssteuern. Die geografischen Schwerpunkte waren die Territorien von Südwestdeutschland und Oberösterreich, aber die Unruhen griffen auch auf Bayern, Salzburg, Passau und Tirol sowie nach 1600 auf Pommern, Brandenburg und Schlesien über. In Oberösterreich flammte 1595 ein größerer Aufstand auf, der sich bis 1597 hinzog, und auch viele andere Auseinandersetzungen mündeten in Gewalt oder schwelten jahrelang vor sich hin. Kommunale Solidarität kämpfte gegen grundherrlichen Wucher und immer wieder kam es dabei zu Scharmützeln und kleineren Gefechten. Doch wirklich charakteristisch für diese Unruhen war, dass sie eher juristisch als mit Waffen ausgefochten wurden. 42 Vor 1550 brachten Untertanen gegen ihre Regenten an die 180 Fälle pro Jahr vor das Reichskammergericht, danach waren es im Durchschnitt jährlich 438. Sicher standen möglichen bäuerlichen Klägern einige Verfahrenshindernisse im Weg. 43 Aus Rücksicht auf den sozialen Status von Grafen, Rittern, Prälaten und Grundherren legte das Gerichtsverfahren 1555 fest, dass alle gegen sie gerichteten Beschwerden zunächst an ein Schlichtungsverfahren verwiesen werden müssten und erst vor Gericht verhandelt würden, wenn dieses scheiterte. 1594 wurde entschieden, dass Beschwerden von Untertanen an ihre Regenten zu verweisen seien und ein Bericht erstellt werden müsse, bevor das juristische Procedere beginnen könne. Überdies waren Rechtsvertreter teuer, ebenso Reisen und Unterhaltskosten für die Bauerndelegationen, die zu Anhörungen zum Reichskammergericht nach Speyer oder zum Reichshofrat nach Wien reisen mussten. Der Vorteil lag, vor allem, wenn der Prozess sich lange hinzog, aufseiten der Grundbesitzer. Dennoch waren die Beschwerdeführer nicht machtlos.Viele Regenten und Stadträte waren darauf bedacht, die Verwicklungen eines Gerichtsfalls zu vermeiden. Sie fürchteten eine beschämende Niederlage und die Möglichkeit eines militärischen Eingriffs durch benachbarte Regenten, um ein Gerichtsurteil zu erzwingen. War ein Fall erst einmal vom Gericht angenommen worden, konnte jeder, der zu Gewaltmitteln griff, sofort geächtet und Ziel militärischer Aktivitäten seitens des Kreises werden. Zudem entwickelte sich die neue Berufsform der Bauern-

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advokaten, die bereitwillig ihre Dienste anboten, sobald sie von einer Auseinandersetzung Wind bekamen. 44 Auch verständigten sich die Bauern untereinander darüber, was vor Gericht zu erreichen sei, und Bauerndelegationen informierten sich bei anderen Abordnungen, die sie unterwegs oder im Gerichtsgebäude trafen. Ging es zum Beispiel auf dem Reichstag oder anderswo um das Thema Reichssteuern, kam der klagewillige Charakter der deutschen Bauernschaft häufig zur Sprache. Zwar dürften vielen Grundherren die von ihren Untertanen erlangten Rechte ein Dorn im Auge gewesen sein, doch wurde die gerichtliche Lösung von Konflikten immer mehr zur Regel. 1600 entschied der Deputationstag, dass in allen Territorien Gerichte zur Anhörung von Beschwerden, die von Untertanen gegen ihre Regenten erhoben wurden, eingerichtet werden sollten. Das wiederum führte dazu, dass die rechtspolitische Kultur auf die konstituierenden Teile des Reichs verlagert wurde. 45 Für alle an diesem Vorgang Beteiligten war das Reich als System mit einer ausgeprägten rechtspolitischen Kultur eine Realität, die ihr lokales und regionales Leben prägte. Rechtsverfahren spielten auch bei der Hexenverfolgung eine wichtige Rolle, wobei die Verfolgungen selbst häufig durch soziale Ängste ausgelöst wurden. Das Phänomen wird gern als »Hexenwahn« bezeichnet, was aber in mancher Hinsicht irreführend ist. 46 Bei vielen Verfolgungen spielte hysterisches Verhalten eine Rolle und sie waren aus moderner (anachronistischer) Sicht natürlich irrational, zudem äußerst brutal mit Folterungen verbunden. Dennoch beruhte die Entscheidung, eine Hexe zu verfolgen, mitsamt den folgenden juristischen Verfahrensweisen auf ernsthaften Überlegungen und Glaubensüberzeugungen. Hexen wurden europaweit verfolgt, aber etwa die Hälfte der 40.000–50.000 Personen, die zwischen dem 15. und dem Ende des 18. Jahrhunderts – mit einer besonders intensiven Phase zwischen 1580 und 1660 – hingerichtet wurden, waren Untertanen des Reichs; im Bereich des heutigen Deutschlands gab es vielleicht an die 20.000 Opfer. 47 Die neue, nach 1560 einsetzende Phase der Hexenverfolgung unterschied sich von dem Vorgehen im 15. und frühen 16. Jahrhundert durch ihre Breite sowie komplexere juristische und verwaltungstechnische Prozeduren. Auch die theologischen und juristischen Begründungen von Hexenprozessen waren raffinierter geworden. 1572 erweiterte Kursachsen als erstes Territorium die Gesetzgebung gegen den Einsatz von Zauberkräften durch ein Dekret, das für einen Pakt mit dem Teufel die Todesstrafe vorsah. 48 In den früheren Zeiten waren Hexen durch die Inquisition und kirchliche Behörden verfolgt worden; jetzt war Hexerei eine Angelegenheit für säkulare Regierungen und das Strafjustizsystem. 49 Die ersten Verfolgungen gab es 1562–1563 und 1570–1574, aber sie nahmen ab Mitte der 1580er Jahre an Häufigkeit und Schärfe zu. Die schlimmsten Kampagnen, die mehrere Tausend Opfer forderten, gab es in den 1630er Jahren, vor

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allem in den fränkischen Bistümern Würzburg, Bamberg und Eichstätt, des Weiteren auch in Mainz, Hessen und Westfalen. Eine letzte Verfolgungswelle, mit abnehmender Intensität, gab es zwischen 1650 und 1670. In den protestantischen Gebieten gab es gegen 1700 so gut wie keine Hexenprozesse mehr; in den katholischen Gebieten gab es noch Einzelfälle. Die letzte Hinrichtung einer Hexe im Reich fand 1775 in Kempten statt. 50 Nicht alle Gebiete waren betroffen und in Regionen mit Hexenverfolgungen gab es keine allgemeine Vorgehensweise. Hexenjagden waren im Allgemeinen lokale Angelegenheiten, und das selbst in Territorien, in denen die Verfolgung stärker betrieben wurde. In Bayern zum Beispiel war die Hinrichtung von Hexen auf eine relativ kleine Anzahl von Distrikten beschränkt. 51 In der überwiegenden Mehrheit der Prozesse ging es nur um eine jeweils kleine Anzahl von Hexen, aber in Südwest- und Südostdeutschland kam es im Zeitraum zwischen 1562 und 1666 zu von öffentlicher Panik angetriebenen Prozesswellen, die die Hinrichtung von 20 oder mehr Personen zur Folge hatten. 52 Am Niederrhein wie auch in Norddeutschland (mit Ausnahme von Mecklenburg) gab es vergleichsweise wenig Hexenjägerei. Im Süden war die Aktivität in Bayern eher beschränkt, verglichen mit dem territorial stärker zersplitterten Südwesten. Die meisten Hexenprozesse gab es in der Region, die im Westen von Lothringen und Trier, im Norden von Westfalen, Minden und Schaumburg begrenzt wurde und sich über die anhaltinischen Fürstentümer, die sächsischen Herzogtümer und die Bistümer Bamberg, Eichstätt und Augsburg bis zur Schweiz erstreckte. In den größeren, in sich geschlossenen Territorien wie Bayern, BraunschweigWolfenbüttel und Kursachsen waren die Verfolgungen kontrollierter und häufig auch begrenzter als in den kleinsten Territorien oder in stark zerklüfteten Gebieten wie der Region um Trier, wo einige der blutigsten Verfolgungen der frühen 1590er Jahre stattfanden. Im Gegensatz dazu gab es in der calvinistischen Pfalz, obwohl auch sie stark zersplittert war, so gut wie keine Hexenprozesse. Im Allgemeinen fanden mehr Hexenprozesse in katholischen als in lutherischen Territorien und relativ wenige in den größeren Reichsstädten statt. Frauen (vor allem alleinstehende) wurden eher angeklagt als Männer, obwohl es genügend Prozesse auch gegen Männer gab, um die Interpretation des Phänomens als Krieg gegen Frauen infrage zu stellen. 53 Auch wenn Katholiken eher als Protestanten zur Verfolgung neigten, waren es doch bei beiden Konfessionen Vertreter religiöser Erneuerung, die zu den eifrigsten Verfolgern gehörten.Von den katholischen Regenten im südöstlichen Deutschland zum Beispiel zeigten mit Konkubinen lebende Reformgegner wie die Fürstäbte von Kempten oder Bischof Johann Philipp von Gebsattel aus Bamberg (1598– 1609) wenig Interesse an Hexen, während Reformer wie die Bischöfe von Augsburg, Eichstätt und Bamberg, aber auch säkulare Herrscher wie die bayrischen

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Herzöge Wilhelm V. (1579–1598) und Maximilian I. (1598–1651) eifrige Verfolger waren. Allerdings gibt es einen Befund, der dieser weitverbreiteten Korrelation zu widersprechen scheint, denn in Südwestdeutschland gab es Widerstand gegen die Hexenverfolgung durch Prediger, die Katastrophen als göttliche Warnungen und nicht als Teufelswerk verstanden. 54 Die Vielfalt der lokalen und regionalen Zusammenhänge bei den zahllosen Ausbrüchen von Hexenverfolgung im Reich hat allen Versuchen, für das Phänomen eine übergreifende Erklärung zu finden, widerstanden. 55 Die Häufung von Fällen nach 1580 deutet offenkundig auf einen Zusammenhang mit den durch ungünstige klimatische Verhältnisse hervorgerufenen sozialen Spannungen und Ängsten hin. Der zuerst 1486 veröffentlichte Malleus Maleficarum (Hexenhammer, wörtlich: Hammer der Übeltäter), ein Kompendium kirchlicher Lehren über Hexen, wurde 1520 dreizehnmal aufgelegt, 1574 erneut veröffentlicht und erfuhr 1576 und 1579 zwei weitere Auflagen. 56 In den 1580er Jahren erschienen weitere wichtige Werke über Hexerei, darunter eine deutsche Übersetzung von Bodins einflussreichem Werk De magorum daemonomania (Über den Dämonenwahnsinn der Hexer, 1581). 1589 erschien der Tractatus de confessionibus maleficorum et sagarum (Abhandlung über die Geständnisse der Zauberer und Hexen) des Trierer Weihbischofs Peter Binsfeld, der sofort ins Deutsche übersetzt wurde. Binsfeld hatte eine umfassende Anleitung zur Entlarvung und Verfolgung von Hexen verfasst. Zehn Jahre später fassten die Disquisitionum magicarum libri VI (Untersuchungen über die Magie in sechs Büchern) des Jesuiten Martin Delrio die bisherige Literatur zusammen und komplettierten den ideologischen Rahmen für die Prozesse der nächsten Jahrzehnte. Zwar ist es schwierig, die Ursachen der Hexenverfolgungen eindeutig zu bestimmen, aber sehr wahrscheinlich hingen viele mit konfessionellen Reformprogrammen zusammen. Die Ächtung tradierter magischer Praktiken durch religiöse Reformer machte es leicht, Personen als Hexen zu denunzieren, die solche Praktiken weiterhin betrieben. Der Teufel scheint die reformerische Denkungsart ganz besonders beschäftigt zu haben und fand zudem Widerhall in der Bevölkerung. Die 1560er Jahre erlebten eine Flut von Büchern über den Teufel: An die 100.000 Exemplare waren im Umlauf. Im nächsten Jahrzehnt flaute das Interesse etwas ab, belebte sich danach aber wieder. 57 Zur gleichen Zeit konnten erhöhte konfessionelle Spannungen und sektiererische Schmähungen leicht dazu führen, dass jemand der Hexerei und Teufelsbeschwörung beschuldigt wurde. Doch gibt es auch viele Beispiele dafür, dass gerade »weise« Frauen und Männer, die wegen ihrer Einsichten besonderen Einfluss genossen, zu Verfolgungen anstachelten. 58 Die Rolle, die solche Frauen und Männer bisweilen spielten, verweist auf ein weiteres Charakteristikum der Verfolgungen – die Kollaboration zwischen der breiten Bevölkerung und den gebildeten Eliten. 59 Auch Rudolf II. hatte Angst da-

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vor, verhext zu werden, desgleichen Maximilian I. von Bayern, der Augsburger Fürstbischof Johann Eglof von Knöringen und andere. 60 Keineswegs zufällig trifft die Hexenangst 1587 mit der Veröffentlichung der Historia von D. Johann Fausten zusammen. Die anonym publizierte, fiktionale Schilderung von Faustens Pakt mit dem Teufel stand in tiefem Einklang mit den Ängsten der damaligen Zeit und spiegelte Furcht und Faszination angesichts des Okkulten. Bis 1600 waren 24 Ausgaben erschienen und hatte die erste noch einen eher bescheidenen Umfang gehabt, so war die einstweilen letzte ein Band von fast 700 Seiten. 61 Was Geschlecht und Status angeht, hatte der fiktive Faust mit dem durchschnittlichen Opfer der Hexenverfolgung allerdings kaum etwas gemein. Hexen waren zumeist Leute aus der »einfachen« Bevölkerung, die von ihren Nachbarn oder ihrer Gemeinschaft denunziert wurden. Auf diese Weise beschuldigt, musste Keplers Mutter von 1615 bis 1621 Untersuchungen und sogar einen Prozess über sich ergehen lassen. Kepler selbst bemühte sich um ihre Verteidigung. Er leugnete nicht die Existenz von Hexen, entlarvte die Anschuldigungen gegen seine Mutter aber als Frauenklatsch und -tratsch. 62 So wurden viele Prozesse und umfänglichen Untersuchungen auf ausdrückliches Verlangen der jeweiligen Gemeinschaft vor Ort durchgeführt; bisweilen griffen auch die Behörden ein, um den Ausbruch oder die Ausbreitung von Unruhen zu verhindern. Geschah dies schnell, konnte die Regierung in den Augen der Untertanen an Ansehen gewinnen. Immerhin war sie darauf bedacht, die Menschen vor dem Teufel zu schützen. Hexenprozesse konnten auch dazu benutzt werden, politische Unabhängigkeit oder den Anspruch darauf zu demonstrieren. Im Fall der Reichsabtei von Sankt Maximin bei Trier resultiert der außerordentliche hohe Grad an Hexenverfolgungen aus dem Bestreben des Fürstabts Reiner Biewer (1581–1613), ein Reichsedikt von 1570, das sein Territorium dem Kurfürsten von Trier zuschrieb, rückgängig zu machen. 63 Zwischen 1586 und 1596 wurde etwa ein Fünftel der im Territorium der Abtei lebenden Bevölkerung (die Liste der Angeklagten umfasst 6.300 Namen) Opfer von Untersuchungen und Prozessen, die vor allem dazu dienten, dem Abt das Recht auf Rechtsprechung zu sichern; mindestens 400 der Angeklagten wurden verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Alle Fälle wurden sorgfältig dokumentiert und Kommentare heben hervor, dass die Prozesse ohne Hinzuziehung eines höheren Gerichts in Trier durchgeführt wurden. Anders gesagt, ergriff Biewer die Gelegenheit, anlässlich der angeblichen Präsenz von Hexen genau jene Prärogative auszuüben, die ihm zuvor vom Kaiser gewährt worden waren, um gegen die Ansprüche des Kurfürsten von Trier auf Oberherrschaft und höhere Gerichtsbarkeit seinen reichsunmittelbaren Status zu behaupten. Ähnliche Erwägungen könnten auch bei den Anklagen gegen eine ungewöhnlich hohe Anzahl an gut situierten Mitgliedern der städtischen Elite in Trier eine Rolle gespielt haben. Dort gehörte die Verurteilung und Hinrichtung des zuvor

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fanatischen »Hexenrichters« Dietrich Flade am 19. September 1589 zu den spektakulärsten Ereignissen. Trier hatte seinen Status als Reichsstadt um 1580 verloren, stritt aber noch gegen die Herabstufung zur Territorialstadt des Kurfürstentums Trier. Die Hexenverfolgung in Trier war eine Methode, durch die der Kurfürst seine Diözesanrechte ausnutzen wollte, um die Unterwerfung der Stadt unter seine weltliche Autorität zu besiegeln. Hier war die Unterscheidung zwischen den Diözesanrechten des Kurfürsten und seinen Rechten als Regent von Bedeutung. Offensichtlich gab es im Territorium des Kurfürstentums selbst (die Gebiete, über die der Kurfürst als weltlicher Regent bereits herrschte) keine besonders intensiven Hexenverfolgungen, auch wenn der Kurfürst-Erzbischof Johann VII. von Schönenberg (1581–1599) ein energischer Reformer und, wie sein Weihbischof Peter Binsfeld, von der Angst besessen war, verhext zu werden. Andererseits unterstützte der Erzbischof mit Nachdruck Binsfelds eifernde Hexenverfolgung in seiner Diözese außerhalb der Ländereien, die er selbst regierte. Das betraf vor allem Gebiete, auf die er seine Herrschaftsbefugnisse ausdehnen wollte, also die Stadt Trier, die Abtei Sankt Maximin, die zersplitterten Regionen an der Saar und in der Eifel, Teile von Lothringen und den größeren Teil der luxemburgischen Provinz der spanischen Niederlande. Überall dort waren Hexenprozesse verbreitet. 64 Die gebildeten und die gewöhnlichen Leute glaubten gleichermaßen an Hexen, selbst jene, die gegen die Prozesse waren oder zu Vorsicht rieten. Viele Prozesse führten zu einer intensiven Auseinandersetzung in den Behörden, in denen Skeptiker und Vorsichtige das Ungestüm der leidenschaftlichen Hexenjäger zu zügeln suchten. In den meisten Fällen opponierten sie gegen die eingesetzten Methoden, insbesondere die Folter, die doch nur das erbrachte, was die Folterer hören wollten. Diesen Weg beschritten einige der prominentesten Gegner der Hexenprozesse. Der calvinistische Hofarzt in Düsseldorf, Johann Weyer (* 1516, † 1588), kämpfte gegen die erste Welle der Verfolgungen, die 1561 begann, mit der Veröffentlichung von De praestigiis daemonum (Von den Blendwerken der Dämonen) im Jahr 1563. Dieses Buch sollte für die nächsten zweihundert Jahre die hauptsächlichen Argumente gegen die Hexenverfolgung liefern. 65 Dabei leugnete er nicht die Macht des Teufels oder die Existenz von Hexen, führte aber an, dass deren Aussagen reine Einbildungen seien, mit denen der Teufel ihren unwissenden Geist geschlagen habe. 66 Weyer hielt die Hexen für die eigentlichen Opfer und die von ihnen unter der Folter gestandenen Verbrechen für das Werk des Teufels. Weitere Gegner waren die Jesuiten Adam Tanner (* 1572, † 1632) und Friedrich von Spee (* 1591, † 1635) sowie der lutherische Theologe Matthäus Meyfahrt (* 1590, † 1642). Die Umstände der Veröffentlichung von Spees Cautio Criminalis (Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse, 1631) sind nicht ganz geklärt. Die Jesuiten schrieben ihren Mitgliedern keine Einstellung zur Hexerei vor, dennoch erschien Spees Buch ano-

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nym in der lutherischen Universitätsstadt Rinteln in Hessen, vielleicht, um die Zensur zu umgehen. Insgesamt plädierten Tanner und Spee dafür, die Hexen zu bekehren, statt sie hinzurichten, und traten für bessere Seelsorge ein als für Verfolgungen, die leicht ausarten konnten. Die Grundlagen des Hexen- und Teufelsglaubens wurden nur von ganz wenigen infrage gestellt. Offensichtlich hatten jedoch einige schon sehr früh Einsicht in die Unruhe, die Hexenprozesse hervorrufen konnten, und in die Folgen wahlloser Beschuldigungen, die allmählich zum Ende der Verfolgungen führten. Einflussreiche Schriften wie Peter Binsfelds Tractatus von 1589 beruhigten all jene, die gern glauben wollten, dass Gott die Verurteilung von zu Unrecht Angeklagten nicht dulden würde, viele aber hatten da so ihre Zweifel. In Bayern zum Beispiel gab es die erste große Prozesswelle in den 1590er Jahren. Gegen Ende des Jahrzehnts kam es zu erheblichen regierungsinternen Konflikten zwischen den Befürwortern weiterer Verfahren – zumeist Jesuiten aus allen Ländern Europas und Juristen – und denen, die zu Vorsicht und Mäßigung rieten – vor allem einheimische Adlige und Patrizier. Die Schriften von Adam Tanner spiegelten die Argumente der Moderaten und sorgten ihrerseits ab den 1620er Jahren für die Verbreitung und Verstärkung moderater Einstellungen in Südostdeutschland und anderswo. 67 Zunächst jedoch triumphierten die Hexenjäger und 1612 wurde in Bayern eine umfassende vierzigseitige Anordnung gegen Hexen aller Art veröffentlicht. 68 Nur ein Jahr später konnten die Moderaten wieder die Initiative an sich ziehen, als klar wurde, dass der »Hexenrichter« von Wemding, Gottfried Sattler, Berichte gefälscht und willkürliche Verhaftungen und Folterungen angeordnet hatte, um sich den Besitz der Opfer anzueignen. Den Fall Sattler – der »Richter« wurde nach kurzem Prozess hingerichtet – führten Tanner und nach ihm Spee ausführlich an, um zu beweisen, dass die bei der Hexenverfolgung angewendeten gerichtlichen Verfahrensweisen korrupt und fehlerhaft waren. 69 Ihre Erörterung dieses Falles und anderer, ähnlich gelagerter, grub den Hardlinern unter den Hexenjägern nach und nach das Wasser ab. Die Schriften von Tanner und Spee waren bis ins 18. Jahrhundert hinein einflussreich und nach dem Ende der Prozesse in den 1670er Jahren traten neue Kritiker auf, so der Amsterdamer Prediger Balthasar Bekker (* 1634, † 1698) und Christian Thomasius (* 1655, † 1728), die nun die dämonologische Grundlage des Hexenglaubens in Zweifel zogen. 70 Der große Einfluss solcher und ähnlicher Ansätze sorgte dafür, dass die Hexen von nun an eher wegen Verzauberung oder Betrug statt eines Teufelspakts angeklagt wurden, während ihre Verfolger zunehmend wegen Verleumdung und Unruhestiftung verurteilt wurden, statt als Hexenjäger aktiv zu werden. 71 In den Hexenverfolgungen zeigt sich auch die Verzweiflung von Menschen, die für ihre Kümmernisse keinen vernünftigen Grund finden konnten. Ebenso wird

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deutlich, dass die Regierungen den sozialen Ängsten und ihren Ursachen mit derselben Denkungsart wie ihre Untertanen begegneten. Sie alle gehörten derselben geistigen Welt an. Die Regierungen suchten ständig das Heilmittel für die Auswirkungen von Hunger und Krankheit in einer Gesetzgebung, die das moralische und religiöse Verhalten fördern sollte. Es war also nur logisch, dass sie die Verfolgung derjenigen, die des Pakts mit dem Teufel verdächtig waren, unterstützten. Zugleich lässt sich an den Hexenjagden offensichtlich ablesen, wie abhängig die Regierungen von denen waren, über die sie herrschten und die sie zu disziplinieren suchten. Hätten sie die Prozesse und Verurteilungen verweigert, wäre ihre Autorität vielleicht nachhaltig beschädigt worden. So lief wohl der beste Vorschlag, den die aufgeklärten Kritiker der Prozesse machen konnten, darauf hinaus, die im Irrtum befangene Hexe in die christliche Gemeinschaft zurückzuholen. In mancher Hinsicht waren die Hexenjagden ein extremes Beispiel für die vorherrschende Einstellung gegenüber Verbrechen und Missetaten allgemein. 72 Für viele Gebiete sind Kriminalstatistiken nicht verfügbar, aber in Bayern, das besonders gründlich untersucht wurde, sind augenscheinlich zwischen 1560 und 1630 etwa 90 Prozent aller Todesurteile wegen Gewaltverbrechen (inklusive Mord) und Verbrechen gegen Eigentum, Moral oder Religion vollstreckt worden. 73 In der ersten Jahrhunderthälfte gab es häufiger Verfolgungen aufgrund von moralischen und religiösen Delikten (36 Prozent) als aufgrund von Eigentumsdelikten (25 Prozent) oder Gewalttaten (20 Prozent). 74 In den meisten Gebieten Bayerns machte die Hinrichtung von Hexen nur einen Bruchteil der Gesamtzahl aus. 75 So waren zum Beispiel von 48 zwischen 1574 und 1591 in München hingerichteten Delinquenten 31 wegen Raub und jeweils vier wegen Mord und Hexerei verurteilt worden. 76 Die zwei Jahrzehnte zwischen 1560 und 1580 waren, was Hinrichtungen angeht, ein Höhepunkt. Das korreliert mit dem Einsetzen der ersten Krisen wie auch dem Beginn der Regierungs- und Kirchenreformen, die zu dieser Zeit in vielen Territorien und Städten in Gang kam. Die Regierungen fassten mehr lebensweltliche Gebiete als je zuvor ins Auge, um die Reformation, die Reform von Religion und Gesellschaft (wobei sie kaum jemals zwischen beiden unterschieden), voranzutreiben. Gotteslästerung wurde nun als crimen laesae maiestatis divinae – Verbrechen der Beleidigung göttlicher Majestät – definiert, das von der Regierung verfolgt werden müsse. 77 Sexuell abweichendes Verhalten, inklusive ehelicher Untreue, wurde zusammen mit Prostitution und einer weiteren Liste von Vergehen kriminalisiert. Die meisten protestantischen Territorien hatten ihre Bordelle bis zu den 1540er Jahren geschlossen und die katholischen Gebiete folgten ihnen darin nach 1555. 1591 schloss Köln endlich das Bordell, das die Stadtväter höchstselbst im frühen 15. Jahrhundert eröffnet hatten, um die Prostitution durch Eindämmung und Institutionalisierung kontrollieren zu können. In Bayern wurde die

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Prostitution 1562 kriminalisiert. Etwas später unterstrich Herzog Wilhelm V. (1579–1598) sein Motiv für die Schließung des 1433 gegründeten Münchner Bordells, indem er die letzten sieben Prostituierten in ein Nonnenkloster schickte. Nicht umsonst war er als »Wilhelm der Fromme« bekannt. 78 Dieser Prozess der Bereichserweiterung für die Justiz schritt, wenn auch ungleichmäßig, von Gebiet zu Gebiet voran. 79 Selbst dort, wo die Reform relativ erfolgreich war und als beispielhaft galt, war ihr Einfluss wahrscheinlich eher Zufälligkeiten verpflichtet. Die Übersetzung von Gesetzen in Politik und deren tatsächliche praktische Umsetzung waren ein mit vielen Unwägbarkeiten behafteter Vorgang. In den meisten Fällen war das Ausmaß an echter gesellschaftlicher Kontrolle eher gering. Offenkundig klar ist jedoch, dass die Formulierung von Gesetzen und ihre Ausführung, mochte beides auch noch so inadäquat sein, im Wesentlichen den Interessen der Regenten wie auch ihrer Untertanen entsprachen. Trotz aller Auseinandersetzungen über Prinzipien und Einzelfälle resultierten Gesetz und Strafe aus der Zusammenarbeit von Regierungen, Kirchen, Ständen und Gemeinden. Selbst eine begrenzte Gesetzesvollstreckung war ohne die Mitarbeit der Bevölkerung nicht möglich. Viele Verbrechen konnten nur verfolgt werden, weil sie den Behörden angezeigt worden waren. Auch die Betonung der Sünde als eine Ursache für Missetaten gibt die Ansichten der gebildeten und der gewöhnlichen Schichten wieder: Anschuldigungen wegen Hexerei und Teufelspaktiererei waren nur die extremste Bekundung dieses Einverständnisses. Das zeigt sich auch in der harten Bestrafung von Verbrechen. Untertanen, Richter, Fürsten und ihre Ratgeber – sie alle glaubten, dass die Hinrichtung von Hexen und Übeltätern die Welt zur Übereinstimmung mit Gottes natürlicher Ordnung zurückführen werde. 80 Die Besserung von straffällig Gewordenen war nicht vorgesehen; die Strafe konzentrierte sich auf Sühne und sollte auf andere so abschreckend wie möglich wirken. Die Idee, Strafe durch Einschließung in Arbeitshäusern zu erwirken, setzte sich im 17. Jahrhundert erst allmählich durch. 81 Vorher war die Todesstrafe in jeglicher Form – erhängen, enthaupten, aufs Rad flechten, verbrennen – die einzige für schwere Rechtsbrüche verhängte Sanktion. Insofern waren öffentliche Hinrichtungen auch Rituale der Reinigung und Schauspiele der Belehrung. Sie waren Ereignisse, an denen die Öffentlichkeit nicht als passives Publikum, sondern aktiv, im Sinn von Mitredenden, also von am Ritual Beteiligten, teilnahm. Nichtöffentliche Hinrichtungen hatten keinen gesellschaftlichen Wert. 82 Die Mischung aus Angst und Unterdrückung, aus verzweifelten Versuchen, Kontrolle zu erlangen, und millenaristischer Hoffnung auf Erneuerung, verleiht der Epoche vor dem Dreißigjährigen Krieg ihre besondere Intensität. Insofern die grundlegenden natürlichen und wirtschaftlichen Ursachen der Angst und Un-

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sicherheit, die ab den 1560er Jahren überall im Reich grassierten, bis in die 1620er und 1630er Jahre fortdauerten, blieben viele der damaligen Probleme ungelöst. Die lange Kriegszeit intensivierte diese Probleme und brachte weiteren Druck hervor, der zur Entstehung neuer Lösungsansätze auch für die Schwierigkeiten des Regierens führte. Die Visionäre der Jahre um 1600 hegten die Hoffnung auf eine allgemeine religiöse Erneuerung. Männer wie Johann Valentin Andreae waren vom Scheitern der diversen Anläufe zur Reformation im 16. Jahrhundert enttäuscht und mussten sich nun selbst überzeugen, dass die chaotische Zeit, in der sie lebten, das Vorspiel zu einem neuen Zeitalter war.Was aber heraufzog, war alles andere als eine allgemeine Reformation. Immerhin erwies sich die neue Reichsverfassung, die mit dem Friedensschluss von 1648 einherging, als bemerkenswert haltbar und nützlich für die langfristige Sicherheit und Stabilität des Reichs und seiner konstitutiven Bestandteile.

Anmerkungen 1 Skeptisch äußert sich Schmidt in »Sozialdisziplierung«. 2 Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 198–203; Stolleis, Arcana. Zum größeren Kontext vgl. Burke, »Tacitism«, und Muhlack, »Tacitismus«. 3 Press, Kriege, 316–317; DBE, Bd. V, 506–507; Wollgast, Philosophie, 221–262; Donahue, »Astronomy«, 581–584. 4 Lanzinner, »Kepler«. 5 North, Astronomy, 309–326. 6 Friedeburg, Lebenswelt, 24–36. 7 Schulze, Deutsche Geschichte, 266–267. 8 Hippel, Armut, 43; Friedeburg, Lebenswelt, 33; Schubert, »Mobilität«. 9 Schubert, Arme Leute, 254; Fricke, Zigeuner, 143, 146–148, 408–424. 10 Schulze, »Untertanenrevolten«, 300–301. 11 Diesen Ansatz diskutiert mit zahlreichen Beispielen Dixon, »Astrology«. 12 Schulze, »Untertanenrevolution«, 301. 13 Kühlmann, Gelehrtenrepublik, 42–66. 14 Wollgast, Philosophie, 282–299; Hardtwig, Gemeinschaft, 158–175. 15 Hotson, Paradise, 109–120, 160. 16 Behringer, »Krise«, 148. 17 Schulze, Türkengefahr, 40–46. 18 Behringer, »Krise«, 54–58, 77–101. Eine umfassendere Diskussion der Probleme bieten die Essays in Behringer u. a., Konsequenzen. 19 Behringer, »Krise«, 62–75. 20 Behringer, »Krise«, 101–128. 21 Behringer, »Krise«, 128–133, 151–152. 22 Behringer, »Krise«, 133. 23 Behringer, »Krise«, 137–142. 24 Jütte, Armenfürsorge, 330–367; Fehler, Poor relief, 109–153. 25 Hippel, Armut, 21.

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VI. · Die deutschen Territorien und Städte nach 1555

26 Jütte, Poverty, 171, 174–175. 27 Hippel, Armut, 35–36, 42. Bei den Zigeunern beruhen Zahlenangaben auf reinen Mutmaßungen. 28 Roeck, Außenseiter, 7–22. 29 Fricke, Zigeuner, 34–35, 149; Härter, »Kriminalisierung«, 45–47. 30 Häberlein, »Minderheiten«, 153–161. 31 Battenberg, Juden, 11–12. 32 Battenberg, Juden, 11–12. 33 Roeck, Außenseiter, 32–33. 34 Battenberg, Zeitalter, Bd. I, 188. 35 Battenberg, Zeitalter, Bd. I, 175–176. 36 Hippel, Armut, 41. 37 Das kaiserliche Privileg von 1544 räumte ein, dass die Juden das Abzeichen nicht außerhalb ihres Wohnorts tragen müssen. Battenberg, Zeitalter, Bd. I, 188. 38 Battenberg, Zeitalter, Bd. I, 190. Die Bezeichnungen für Josel von Rosenheim alle bei Selma Stern, Josel von Rosheim. Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, Stuttgart, 1959, S. 76. 39 Meyer, German-Jewish history, Bd. I, 87–91. 40 Battenberg, Zeitalter, Bd. I, 242–245. 41 Friedrichs, »Politics«; Lustiger, »Fettmilchaufstand«; Ulmer, Turmoil, 23–51. 42 Schulze, Deutsche Geschichte, 270–272, 282–292; Schmidt, Geschichte, 137–142. 43 Gabel, »Untertanen«, 275–276. 44 Baumann, »Advokaten«; Troßbach, »Reichsgerichte«, 129–131; Below und Breit, Wald, 157–159. 45 Gabel, »Untertanen«, 276; Troßbach, »Reichsgerichte«, 129–130, 132; Gabel, »Beobachtungen«, 149, 165–166. 46 Vgl. etwa Roper, Witch craze. Dennoch ist Ropers Buch die beste allgemeine Untersuchung des Phänomens, die sich finden lässt. 47 Behringer, Hexen, 192–194. 48 Behringer, Hexen, 135. 49 Behringer, Hexen, 72–79. 50 Behringer, Hexen, 403–404; Roper, Witch craze, 15–43. Die letzte Hinrichtung einer Hexe im deutschsprachigen Europa fand im protestantischen Kanton Glarus (Schweiz) 1782 statt. 51 Behringer, Persecution, 389. 52 Midelfort, Witch hunting, 72; Behringer, Persecution, 63. 53 Schormann, Hexenprozesse, 116–122. 54 Midelfort, Witch hunting, 193–194; Roper, Witch craze, 6, 18, 90, 95. 55 Eine Fülle an lokalen und regionalen Informationen findet man unter http://www.histori cum.net/themen/hexenforschung/lexikon/ (Zugriff am 20. Mai 2014). 56 Behringer, »Krise«, 73. 57 Midelfort, Witch hunting, 69–70. 58 Rummel, »»Weise« Frauen«. 59 Friedeburg, Lebenswelt, 76–78. 60 Behringer, Persecutions, 409. 61 Behringer, Hexen, 183, 399; Völker, Faust, 181–182; Coupe, Reader, 215–217; Midelfort, Witch hunting, 70; Evans, »Culture«, 20. Der »Faust« von 1600 hatte 671 Seiten.

47. Umgang mit Krisen

62 Schulze, Deutsche Geschichte, 252–253. 63 Voltmer, »Superhunt?«, 229–230, Anm. 17, 249–251. Der Abt weigerte sich auch, an den Kurfürsten Steuern zu entrichten; Türkensteuern zahlte er ebenfalls nicht. Sankt Maximin verlor schließlich 1669 den Kampf um seine Unabhängigkeit von Trier. 64 Zur führenden Rolle von Weihbischöfen vgl. Brodkorb, »Weihbischöfe«, 73, 81. 65 Behringer, Hexen, 134–135. 66 Schormann, Hexenprozesse, 34–35. 67 Behringer, Persecution, 322–323, 355–357. 68 Sie wurde 1665 und 1746 erneuert und blieb nominell bis zur großen Strafrechtsreform von 1813 in Kraft. Behringer, Persecutions, 287. 69 Behringer, Persecutions, 292–295. 70 Schormann, Hexenprozesse, 39–40. Ein spätes Beispiel für Hexenwahn und einen Prozess in Langenburg (Grafschaft Hohenlohe) 1672, wo die neue Denkweise noch nicht angekommen war, erörtert Robisheaux, Last witch. 71 Midelfort, Witch hunting, 81–84. 72 Einen guten Überblick bieten Van Dülmen, Kultur, Bd. II, 246–274, und Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 406–435. 73 Behringer, Hexen, 130. 74 Behringer, »Mörder«, 99. 75 Behringer, Hexen, 268. 76 Behringer, »Mörder«, 95. Von den übrigen neun Personen wurden drei (Wiedertäufer) wegen Ketzerei, zwei wegen Münzfälschung, einer wegen Gewaltandrohung, einer wegen Sodomie, einer wegen Bigamie und einer wegen Ehebruch hingerichtet. 77 Van Dülmen, Kultur, Bd. II, 247, 258, 269–274. 78 Behringer, »Mörder«, 100; Hippel, Armut, 38–39. 79 Lanzinner, »Zeitalter«, 167–168. 80 Lanzinner, »Zeitalter«, 171. 81 Spierenburg, »Confinement«, 9–24. 82 Van Dülmen, Theater, 147.

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VII. Der Dreißigjährige Krieg, 1618–1648

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b dem 19. Jahrhundert sind ganze Generationen von Historikern von dem Grundsatz ausgegangen, der Dreißigjährige Krieg sei die größte Katastrophe der deutschen Geschichte gewesen. Joachim Fest sprach 2004 von der »Urkatastrophe« der Deutschen. 1 Hier liege, so meinte er, der Ursprung der autoritären Tradition in Deutschland. Während die Fürsten ihre Untertanen niedertraten, traten ausländische Mächte Deutschland nieder. Die nationale Sache wurde um zwei Jahrhunderte zurückgesetzt. Fests Kommentar ist Ausdruck einer langen Tradition, die sich auf zwei Themen konzentriert. Zum einen gibt es die literarischen Zeugnisse, die – wie etwa Grimmelshausen – vom negativen Einfluss des Kriegs auf die deutsche Gesellschaft berichten. Zudem veranlassten die grauenhaften Kriege des 20. Jahrhunderts Autoren von Thomas Mann über Bertolt Brecht bis zu Günter Grass, zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und den Ereignissen ihrer eigenen Zeit Parallelen zu ziehen. Grimmelshausens umfangreicher Roman Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch beschreibt die traumatischen Erfahrungen des unschuldigen Simplicius während der Kriegsjahre, die ihn dazu bringen, Europa zu verlassen und sein Leben als Einsiedler im Südatlantik zu beschließen. Ein wirklicher Bestseller wurde er erst im 20. Jahrhundert. Ebenso bleibt Andreas Gryphius’ Sonett Threnen des Vatterlandes / Anno 1636 das vielleicht einzige deutsche Gedicht aus dem 17. Jahrhundert, das allgemeiner bekannt und in fast allen deutschen Gedichtanthologien vertreten ist. Die moderne Geschichtsforschung hat ein differenzierteres Bild entworfen. Einerseits war der Krieg unzweifelhaft für viele Gemeinschaften in vielen Teilen des Reichs eine Katastrophe; die Verluste an Menschenleben waren erschreckend hoch und das Kriegstrauma beschäftigte noch das Denken von Generationen danach. Andererseits waren die langfristigen Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft und ihre wirtschaftliche Entwicklung vielleicht nicht ganz so einschneidend, wie es die nationale Tradition angenommen hat. Zum Zweiten haben Romanciers wie auch historisch-politische Autoren die negative Bedeutung des Kriegs und des Westfälischen Friedens für die weitere Entwicklung der deutschen Geschichte festzulegen versucht. Typisch für diese Beurteilungen, die lange Zeit die Norm darstellten, ist Heinrich Laubes Lamento in seinem Roman Der deutsche Krieg, der 1863–1866 erschien. Der Krieg, so Laube, habe das Ende eines halben Jahrtausends markiert, in dem die Deutschen im Her-

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VII. · Der Dreißigjährige Krieg, 1618–1648

zen Europas gestanden hätten. Und der Westfälische Friede »vergiftete das Deutsche Reich in Herz und Nieren. Er vergiftete den Kaiser, er vergiftete die Nation.« 2 Diese Sichtweise beherrschte lange Zeit die Meistererzählung der deutschen Geschichte und ist auch heute noch einflussreich. Doch wurden 1998, anlässlich des 350. Jahrestags des Westfälischen Friedens, sehr viel positivere Urteile laut. 3 Der Vertrag wurde als Grundlegung einer dauerhaften Friedensordnung und als deutsche Verfassung, gar als Fundament des deutschen Rechtsstaats gefeiert. Allerdings scheint der Zustand des Reichs am Vorabend des Krieges auf den ersten Blick keinen Anlass für eine Revision der tradierten Perspektive zu bieten. Die internationale Lage war unheilschwanger; die meisten europäischen Mächte litten unter innenpolitischen Konflikten und waren bereit, gegen äußere Feinde (wirkliche und imaginäre) loszuschlagen. Im Reich selbst war die Lage so schlecht wie nur möglich. Jahrzehntelang hatte es harte Winter und Missernten gegeben und in deren Folge Lebensmittelknappheit, Krankheiten und Ängste. Weitverbreitet waren Unruhen in Stadt und Land. Die Hexenjagden waren das augenfälligste Symptom einer Gesellschaft, deren Seelenlage bis zum Äußersten gespannt war. Zwischen den Konfessionen herrschte Feindseligkeit. 4 Katholische und calvinistische Aktivisten standen einander mit ungezügeltem Verfolgungswahn gegenüber.Viele Calvinisten sahen die Katholiken im Bann der »blutrünstigen Jesuiten«, deren Führer im Bündnis mit Madrid und Rom an einer Universalmonarchie arbeiteten. Die Katholiken wiederum sahen alle Protestanten – auch die reichstreuen Lutheraner – im Bann der gefährlichen Calvinisten, die als Agenten des Teufels darauf aus waren, den katholischen Glauben auszulöschen und den Kaiser wie auch alle Stände dem Reich der skrupellosen Erben Machiavellis einzuverleiben. Der Streit der Konfessionen, insbesondere das konsequent eingehaltene Verbot interkonfessioneller Heirat, hatte die traditionelle Solidarität des deutschen Hochadels in Mitleidenschaft gezogen. Das gesamte politische System des Reichs wirkte paralysiert. Die Jahre einer schwachen und entscheidungsarmen Regierung unter Rudolf II. und Matthias hatten die Autorität der Krone untergraben. Die Mühlen des Justizsystems mahlten nicht mehr; die Reichsgerichte konnten den Bedingungen des Augsburger Friedensschlusses von 1555 keinen Sinn mehr abgewinnen. Auch der Reichstag war so in sich gespalten, dass eine Einberufung vergeblich gewesen wäre. Ab etwa 1606 ging die Gefahr eines türkischen Angriffs stark zurück, sodass dem Kaiser nun ein wichtiges Instrument politischer Disziplinierung fehlte. Gegen den Geist und alle Traditionen des Reichs hatten sich bewaffnete Bündnisse gebildet, in denen viele die Vorbereitung auf einen unvermeidlichen Bürgerkrieg sehen wollten. Aber alle diese Spannungen sind nur ein Teil des gesamten Bildes. Die Extremisten beider Seiten sahen über den umfangreichen Bestand an vermittelnden Positionen hinweg, der zwischen ihnen lag. Sicher wurden auch viele von denen,

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die auf Ausgleich bedacht waren, über kurz oder lang in den Konflikt hineingezogen, doch blieben sie fast ausnahmslos der Sache des Reichs verpflichtet. Ja, nicht einmal die Extremisten wollten das Reich beseitigen. Die katholische Polemik gegen die Calvinisten verfehlte das Ziel ebenso wie umgekehrt die calvinistische Polemik gegen die Katholiken. Beide waren sich grundlegend uneins darüber, wie die Bedingungen des Friedensabkommens von 1555 zu interpretieren seien, und das schlug sich in der Handlungsunfähigkeit von Reichskammergericht und Reichstag nieder. Diese Uneinigkeit betraf auch ein größeres Problem, das mit der Struktur des Reiches selbst zusammenhing. In gewissem Sinn ging es dabei um den Reichshofrat, also um das Gericht, das vom Kaiser direkter kontrolliert wurde. Je mehr nun das Reichskammergericht in konfessionelle Auseinandersetzungen hineingezogen wurde, desto häufiger verkündete der Reichshofrat Erlasse zugunsten von Katholiken. Zu den Faktoren, die ab den frühen 1580er Jahren die politische Situation belasteten, gehörte die keineswegs falsche protestantische Auffassung, dass der Reichshofrat kein echter Gerichtshof, sondern vielmehr eine Agentur der kaiserlichen Regierung sei. Damit aber wurden alle alten Argumente über die Vorrechte des Kaisers und die Machtbalance zwischen Kaiser und Ständen wiederbelebt. Im Grunde waren die Probleme um 1600 die gleichen wie die der Debatte um Kaiser Maximilians Reformvorschläge ein Jahrhundert zuvor. Der Unterschied lag darin, dass die konfessionelle Spaltung die Position des Kaisers durch das Bündnis zwischen Krone und den katholischen Ständen gestärkt hatte. Das war vor allem das Ergebnis des Entschlusses, die geistlichen Territorien gegen protestantische Subversion zu verteidigen. Aber diese Interessengemeinsamkeit war zugleich begrenzt und davon abhängig, dass die katholischen Stände zwar den Schutz des Kaisers, aber keinen an sich mächtigen Kaiser wollten.

Anmerkungen 1 2 3 4

In Die Welt vom 10. September 2004: http://www.welt.de/print-welt/article339631/Mit leidlosigkeit-bis-zum-allerletzten-Punkt.html (aufgerufen am 20. Mai 2014). Mannack, »Streit«, 702. Cramers Thirty Years War ist eine ausgezeichnete Untersuchung über die Kriege im Gedächtnis der Deutschen des 19. Jahrhunderts. Vgl. die Essaysammlung von Bussmann und Schilling (Hgg.), 1648. Gotthard, Altes Reich, 80–82.

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ber Umfang und Art des Dreißigjährigen Kriegs haben die Historiker gestritten. 1 Einige meinten, die Ereignisse in Deutschland müssten als Teil eines viel längeren und umfassenderen Kampfs begriffen werden, zum Beispiel als Episode in einem Achtzigjährigen Krieg, in dessen Zentrum die Position der Habsburger in Europa stand. Die wichtigsten Elemente dieses Konflikts waren die Rebellion der Niederlande gegen die spanische Herrschaft ab 1568 und die Rivalität zwischen Spanien und Frankreich, die ihren Höhepunkt in einer militärischen Konfrontation zwischen 1635 und 1659 fand. Aber die Zeitgenossen sprachen im 17. Jahrhundert schon bald von einem »deutschen Krieg« und bei dessen Ende von dem »dreißigjährigen deutschen Krieg«, womit sie seine Dauer bezifferten und ihn zugleich vom Schmalkaldischen Krieg des 16. Jahrhunderts abgrenzten. 2 Natürlich musste der deutsche Krieg auch auf andere Konflikte jener Zeit bezogen werden. Zahlreiche deutsche Fürsten, nicht zuletzt die Habsburger selbst, hatten Verwandte und Interessen außerhalb des Reichs, die im Lauf der politischen und militärischen Entwicklung die Wahrnehmung ihrer eigenen Position prägte. Ebenso konnten benachbarte Mächte wie Frankreich, Polen und Schweden die Krise des Reichs nicht ignorieren und bezogen sie in ihr jeweils eigenes Kalkül ein. In Frankreich beobachtete man die Habsburger Machtstellung in Europa mit Misstrauen und fürchtete, von Spanien und Österreich in die Zange genommen zu werden. Das war schon im 16. Jahrhundert einer der politischen Schlüsselfaktoren gewesen und das galt auch für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Andererseits hatte Ludwig XIII. anfänglich Sympathie für Ferdinands Zwangslage, denn in den 1620er Jahren stand er einer ähnlichen Gefahr gegenüber: Im Südwesten Frankreichs drohten die Hugenotten mit einer Abspaltung vergleichbar der niederländischen. 3 Nachdem das Problem durch die Zerstörung des Hugenottenstützpunktes La Rochelle 1628 gelöst war, wandte sich die französische Politik wieder verstärkt der habsburgisch-spanischen Zange zu, wobei sie das Augenmerk auf Spanien ebenso wie auf die österreichischen Territorien im Reich richtete. Die holländische Rebellion fand auch weiterhin Widerhall. Rein rechtlich hörten die holländischen Provinzen erst 1648 auf, Bestandteil des Reichs zu sein. Das bevorstehende Ende des zwölfjährigen Waffenstillstands, den Spanien und Holland 1609 geschlossen hatten, wurde von den Politikern überall mit Sorge betrachtet, je näher das Datum rückte.

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Auch in Norditalien gab es weitere Feindseligkeiten gegen die Habsburger, vor allem vonseiten Venedigs und Savoyens. Frankreich zog dort seine Fäden und der Papst war ein unzuverlässiger Verbündeter. 4 Zudem gewann die Lage in Italien im Licht der nahen Beendigung des spanisch-holländischen Waffenstillstandsabkommens und der Verständigung zwischen Spanien und den österreichischen Habsburgern im Oñate-Vertrag von 1617 neue Bedeutung. 5 Spanische Truppen mussten nach Tirol gelangen, um Österreich zu unterstützen und von dort in die südlichen Niederlande weiterzumarschieren, während österreichische Truppen die Lombardei erreichen wollten. Den Schlüssel zu alldem bildete das zwischen dem Comer See und dem Inn gelegene Veltlin, ein überwiegend katholisches Untertanenland des protestantischen Kantons Graubünden. 1618 wurde im Veltlin ein katholischer Aufstand brutal unterdrückt, was den Habsburgern den Vorwand für eine Intervention im Jahr 1620 lieferte, bei der viele Protestanten ums Leben kamen, während das Veltlin an Spanien fiel. Aber Italien blieb ein gefährlicher Boden: Frankreich war bereit, Graubünden zu unterstützen, und zudem gab es immer wieder Unsicherheiten im Hinblick auf die Erbfolge in Mantua, an der Habsburg und Frankreich gleichermaßen interessiert waren. 1617 hatten die spanischen und österreichischen Habsburger ihre divergenten und gemeinsamen Interessen endlich auf einen Nenner gebracht und waren, um sie zu verfolgen, zur Zusammenarbeit bereit. Hätten sie all ihre Ziele erreicht, wäre ihre Macht in Europa umfassend gewesen. Dennoch gab es keinen Plan zur Errichtung einer habsburgischen Universalmonarchie, wie manche Feinde behaupteten. 6 Neue potenzielle Konflikte bahnten sich im Ostseeraum an. Die katholische Wasa-Dynastie in Polen hielt ihren Anspruch auf die schwedische Krone aufrecht. Sigismund III., der Vetter des Kaisers, hatte den schwedischen Thron 1592 bestiegen, war aber von seinem Onkel, Herzog Karl, gestürzt worden. Karls Sohn Gustav Adolf, lutherischer Konfession, wollte seinen Thron gegen alle polnischen Ansprüche verteidigen und seinen Herrschaftsbereich im Ostseeraum ausweiten. 7 Das wiederum missfiel Dänemark. Die Dänen hatten gegen Schweden 1563–1570 und 1611–1613 zwei große Kriege geführt, um ihre Hegemonie in Skandinavien und ihre Vorherrschaft im Ostseeraum zu erhalten. Nach dem zweiten Krieg war Christian IV. (1588–1648) ein Verteidigungsbündnis mit den Holländern eingegangen. Zudem betrafen ihn auch die deutschen Angelegenheiten, denn als Herzog von Holstein war er Fürst des Reichs. Er hatte Reichtümer angehäuft, die sich zum einen den Sundzöllen, zum anderen dem von Schweden 1613 gezahlten Schadenersatz von einer Million Taler verdankten. 8 Christians Vorgänger, Frederik II. (1559–1588), war in seiner Politik vorsichtig gewesen. Er hatte als protestantische graue Eminenz gehandelt und seinem Land den Ruf erworben, eine Macht zu sein, mit der man rechnen

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müsse. Doch war er klug genug, sich auf keinen der zahlreichen Pläne zur Verteidigung des europäischen Protestantismus, die französische, holländische, englische und deutsche Gesandte ihm vortrugen, einzulassen. Christian war die Lage des europäischen Protestantismus nicht so wichtig; er wollte seine eigenen politischen, territorialen und dynastischen Interessen auf einem Schauplatz verteidigen, den zu beherrschen er überzeugt war. 9 Weil so viele ineinander verschränkte Konflikte in den Dreißigjährigen Krieg hineinspielten, hat es auch Auseinandersetzungen darüber gegeben, worum der Krieg eigentlich geführt wurde. Die Beteiligten werden natürlich ihre jeweils unterschiedlichen Antworten geben. Für viele war der Konflikt ein Kampf gegen die Habsburger in Europa. Die deutsche protestantische Propaganda wies immer wieder auf die internationalen Zusammenhänge des deutschen Kampfes gegen Habsburg hin, indem sie »teutsche Libertet« gegen »spanische Servitut« ausspielte und damit, wie schon die Vorgänger in den 1580er Jahren, unterstellte, Spanien sei der eigentliche Feind. 10 Eine Variation des Themas war die Behauptung, der Krieg sei ein europaweit geführter Kampf gegen Jesuitismus und Katholizismus, ein Kampf um das generelle Überleben des Protestantismus. Ferdinand II. selbst glaubte von Zeit zu Zeit, einen heiligen Krieg zu führen. 11 Doch in den Anweisungen an Wallenstein drängte Ferdinand seinen General, das »praetextum der Religion« so häufig wie möglich ins Feld zu führen, so, wie es die Feinde auch höchst wirkungsvoll gemacht hätten. 12 Die Religion war nie die einzige Motivationskraft. Die Protestantische Union löste sich bald nach Kriegsbeginn auf, ohne eine einzige Schlacht ausgetragen zu haben. Tatsächlich war der Krieg nicht einfach ein Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten. Die Protestanten waren gespalten und viele Lutheraner standen den reformierten oder calvinistischen Aktivisten ebenso misstrauisch gegenüber wie den aktivistischen Katholiken. 13 Zeitweilig war der lutherische Kurfürst von Sachsen einer der wichtigsten Verbündeten des Kaisers. Manch gemäßigter reformierter Regent hatte mehr mit den lutherischen Reichstreuen als mit seinen Glaubensgenossen gemein, die sich offen mit den Calvinisten in Frankreich und den Niederlanden identifizierten. Wiederum gab es Lutheraner, die gegen die Autorität des sächsischen Kurfürsten aufbegehrten und deshalb lieber den pfälzischen Kurfürsten unterstützten. Und nicht alle Katholiken rannten blindwütig gegen den Protestantismus an. Herzog Maximilian von Bayern verfolgte mit der Unterstützung des Kaisers eigene dynastisch-territoriale Interessen, die ihn später zur Opposition gegen die Krone führten. Selbst die von der protestantischen Propaganda immer wieder verteufelten Jesuiten waren in Wirklichkeit recht flexibel. Ihre Politik war von Region zu Region jeweils eine andere. Die jesuitischen Beichtväter und Berater kannten die weltlichen Interessen ihrer fürstlichen und königlichen Herren sehr genau, und

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wenn sie ihre spirituellen Bestrebungen mit jenen Interessen in Einklang bringen wollten, mussten sie häufig genug nicht die Konfrontation empfehlen, sondern den Kompromiss. 14 Die jesuitischen Beichtväter in Wien (Wilhelm Lamormaini, * 1570, † 1648) und München (Adam Contzen) vertraten eine energische Gegenreformation. Dennoch war ihr Ziel nicht der totale Sieg, sondern die Wiederherstellung der Position, die der Katholizismus 1555 genossen hatte. In den 1630er Jahren sah es nicht mehr danach aus, als ob dieses Ziel erreicht werden könnte, und so rieten ihre Nachfolger, Johann Gans (* 1591, † nach 1648) in Wien und Johannes Vervaux (* 1585, † 1661) in München, zu einer gemäßigten Haltung. Die Idee einer göttlichen Mission sollte fallen gelassen werden. In Spanien sah Francisco Aguado den Krieg als wesentlich säkularen Konflikt, in dem Spaniens tatsächliche Feinde die Holländer und Franzosen waren, nicht aber die deutschen Protestanten. Der jesuitische Generalobere Muzio Vitelleschi (* 1563, † 1645) befehligte keine monolithische Organisation, sondern versuchte, zwischen den einzelnen Regionen mit ihren jeweils unterschiedlichen Perspektiven einen Mittelkurs zu steuern. Der Krieg war insofern ein religiöser Konflikt, als jeder Konflikt im Reich religiös gefärbt war. Schließlich gehörten die Rechte der deutschen Fürsten hinsichtlich der kirchlichen Rechtsprechung zu ihren grundlegendsten Prärogativen. Auseinandersetzungen über die mehrdeutigen Formulierungen im Augsburger Religionsfrieden hatten zur wachsenden Verfassungskrise geführt. Insbesondere waren Probleme, die die Ländereien der katholischen Kirche betrafen, ungelöst geblieben. So war der Konflikt, der 1618 begann, in diesem Sinn eine bewaffnete Fortsetzung des politischen und rechtlichen Konflikts, der schon seit Jahrzehnten im Reich ausgetragen wurde. Zwar ging es zunächst vor allem darum, die Kontrolle der Habsburger über Österreich und Böhmen wiederherzustellen, doch schon bald weitete der Kampf sich aus und drehte sich sodann um die Problematik der deutschen Bistümer und der kaiserlichen Autorität. In den Mittelpunkt rückte dabei der Umgang des Kaisers mit Friedrich V., weil sich daraus wichtige Fragen über die Sitten und Gesetze des Reichs und die Macht des Kaisers ergaben. Schließlich unterschied sich der Krieg in zweierlei Hinsicht von allen vorangegangenen Konflikten. Zum einen war die Begleitpropaganda so umfangreich wie noch nie, was auch an der Weiterentwicklung des Buchdrucks lag. Flugschriften und Flugblätter gehörten zu jedem politischen Diskurs. 15 Im frühen 17. Jahrhundert erschienen die ersten Nachrichtenblätter und Zeitungen. Zudem hatte sich um 1600 der deutsche, kaiserliche Postdienst vom spanischen getrennt. Die von der Familie Taxis betriebene Reichspost arbeitete sehr effizient und hochprofitabel und beschleunigte die Übermittlung und den Austausch von Informationen beträchtlich. 16 Darüber hinaus hatte das Reich keine Zentralregierung und somit war das deutsche Postsystem weder der Inquisition noch jenen regierungsseitigen

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Beschränkungen ausgeliefert, die die private Nutzung ähnlicher Systeme in Frankreich und England bis in die 1620er Jahre behinderten. Der Dreißigjährige Krieg war der erste Konflikt, der vor dem Hintergrund jener Kommunikationsrevolution ausgetragen wurde, die den Nachrichtenhunger schuf, den sie bald selbst befriedigte. Der Frankfurter Postmeister Johann von der Birghden, der 1615 vom Generaloberpostmeister Lamoral von Taxis ernannt worden war, um die neu eingerichtete Frankfurter Poststation zu leiten, baute den Postdienst bald nach Nürnberg, Leipzig, Hamburg und andere Städte aus und versorgte sie mit seiner eigenen Zeitung, der »Frankfurter kaiserlichen Reichsoberpostamtszeitung«. 17 Es hieß, dass seine Berichte und – genauso wichtig – seine Falschberichte so viel Wert wie eine Armee waren. Als Lutheraner war er den katholischen Reichsbehörden natürlich verdächtig und wurde wegen angeblicher politischer Agitation 1626 entlassen (aber von den Schweden, die Frankfurt 1631 bis 1635 besetzt hielten, sofort wieder eingestellt). Die Wechselfälle des Kriegs trieben viele Drucker in den Ruin, aber anfänglich profitierten sie von einem wahren Boom an Aufträgen. Allein im Jahr 1618 wurden anlässlich der böhmischen Krise 1800 Flugschriften und einige hundert Flugblätter gedruckt. Ein solches Ausmaß wurde nicht wieder erreicht, wenngleich es in den Jahren 1629–1633, 1635 und 1643–1648 weitere Höhepunkte propagandistischer und literarischer Aktivität gab. Zwei weitere Publikationsformen blieben durchgehend wichtig. Die erste waren Meinungsäußerungen, die deutsche Regenten fortwährend bei Juristen und anderen Experten an ihren eigenen oder »befreundeten« Universitäten in großen Mengen in Auftrag gaben. Da die Reichsinstitutionen nicht funktionierten und es bis 1640 keine Reichstage gab, kommunizierten die Fürsten ihre Aktivitäten mittels Flugschriften und Positionspapieren, die als »Denkschriften« bekannt waren. 18 Die Akademiker, vor allem die Vertreter des neuen Fachs »Staatsrecht«, kamen der fürstlichen Begehr nur zu gern nach. Verbunden mit dieser Tätigkeit war die Praxis, erbeutete Dokumente des Feindes zu veröffentlichen, um dessen Hinterhältigkeit und weitgespannte Verschwörungen zu entlarven. Wer sie veröffentlichte, wie Ferdinand II., nachdem ihm das Archiv des Winterkönigs in Prag in die Hände gefallen war, wollte zeigen, dass Moral und Recht auf seiner Seite waren, und zugleich weniger mächtige Beteiligte, deren Aktivitäten ans Licht gekommen waren, vor weiteren aufrührerischen Taten warnen. 19 Das andere neue Element des Kriegs war die Art und Weise, in der er militärisch geführt wurde. 20 Die meisten Parteiungen im Reich waren auf einen längeren Konflikt jämmerlich schlecht vorbereitet. Die von den deutschen Regenten in den vorangegangenen Jahrzehnten aufgebauten Milizen erwiesen sich in den Kämpfen der 1620er Jahre als nutzlos. Zugleich konnte nur eine kleine Minderheit es sich leisten, Söldnerheere aufzustellen. Schon zu Beginn der 1620er Jahre, noch vor

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den wirklich ernsten Kämpfen, steckten viele deutsche Territorien bereits in einer Finanzkrise. 1625 hatte der Krieg einen Umfang angenommen, der jeden vorherigen Konflikt bei Weitem übertraf, und während des nächsten Jahrzehnts zogen mehr als eine Viertelmillion Soldaten durch das Reich. 21 Die traditionellen Methoden, Geld für militärische Zwecke aufzutreiben, erwiesen sich häufig als unzureichend. Beide Seiten verließen sich auf ausländische Subventionen, ebenso aber auf die den Heeren immer großzügiger gewährte Erlaubnis, während der Kämpfe sich von dem zu bedienen, was im Land zu finden war. Die eine Methode war einfach die Plünderung: Die Truppen nahmen sich an Nahrung, Pferden und anderen Gütern, was sie so brauchten. Die andere Methode bestand in der Ausweisung bestimmter Gebiete als zuständig für den Unterhalt einer Garnison oder anderer Streitkräfte, wobei alle regulären Steuern und Abgaben für die Dauer der Feindseligkeiten zu diesem Zweck bereitgestellt wurden. Ein frühes Beispiel gab der Kaiser, als er 1620 Herzog Maximilian das Recht gewährte, die Oberpfalz und Oberösterreich zu besetzten und Steuern zu erheben. 22 Eines der Hauptinstrumente der kaiserlichen Kriegsfinanzierung war die Konfiszierung oder der zeitweilige Einbehalt des Eigentums von »Rebellen«, was aber auch zu einem weiteren Zankapfel zwischen dem Kaiser und seinen Kritikern wurde. Das gilt auch für den kühnsten Versuch, eine schlagkräftige kaiserliche Streitmacht auf die Beine zu stellen, den der böhmische Befehlshaber Albrecht Wallenstein in den 1620er Jahren unternahm. 23 Wallenstein war weniger ein Neuerer als vielmehr ein Unternehmer, der das Kontributionssystem zur vollen Leistung ausbaute. Um die Auswirkungen verzögerter Kontributionszahlungen zu umgehen, ließ er von seinem Bankier Hans de Witte einen Kreditrahmen organisieren. De Witte war ein Flüchtling aus Flandern, der, als er sich 1603 in Prag niederließ, formell zum Calvinismus übertrat und seine internationalen Kontakte nutzte, um ein florierendes Bankgeschäft aufzubauen, zu dessen Kunden auch der kaiserliche Hof gehörte. Trotz seiner religiösen Zugehörigkeit wollte de Witte mit dem calvinistischen System in Prag nach 1618 nichts zu tun haben; er kompromittierte lieber seinen Glauben, als die Korruption und Unfähigkeit der böhmischen Stände zu dulden. 24 Wallensteins Motive sind Gegenstand vieler Spekulationen gewesen. Er selbst behauptete später, er habe ein Heer auf die Beine stellen und nicht eine eigene Privatarmee unterhalten wollen. Wallenstein stammte aus böhmischem Adel und trat im Alter von 20 Jahren zum Katholizismus über. Ab 1615 diente er in den Streitkräften der mährischen Stände als Obrist. Mit einem von ihm selbst ausgehobenen kleinen Söldnerheer hatte er für Ferdinand gegen Venedig und dann für dessen Sieg in Böhmen gekämpft, was ihm die Grundherrschaften Friedland und Reichenberg einbrachte – Fundament und Herzstück eines expandierenden und

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konsolidierten Territoriums, das Ferdinand 1624 in den Rang eines Herzogtums erhob. Im Jahr zuvor hatte Wallenstein die Tochter von Graf Harrach geheiratet und damit seine Beziehung zu einigen der einflussreichsten Mitglieder von Ferdinands Hofstaat gefestigt. Auch sein militärisches Unternehmen expandierte in dem Maß, wie die Aufstellung neuer Regimenter per Subkontrakt vergeben wurde, wobei wieder neue Subkontrakte für die Rekrutierung von Kompanien geschlossen wurden. Im Gegensatz zu anderen damaligen Befehlshabern von Söldnerheeren stellte Wallenstein Rekrutierungspatente in seinem Namen aus, nicht in dem seines Arbeitgebers. 25 Erweckte Wallenstein zunächst den Eindruck eines Aufsteigers, der den Kaiser unterstützte, um davon zu profitieren, so war die Beziehung schnell ins Gegenteil verkehrt, denn schon bald war Ferdinand von Wallensteins Fähigkeit, ein Heer von 24.000 Mann zu rekrutieren sowie zu unterhalten und ihm darüber hinaus acht Millionen Gulden zu leihen, abhängig. Das Herzogtum Friedland war nur der erste Teil seiner Belohnung. 1627 erhielt er das schlesische Fürstentum Sagan und andere konfiszierte Gebiete. Ein Jahr später folgte das Herzogtum Mecklenburg und ein Geheimvertrag von 1632 enthielt den Hinweis, dass er das Kurfürstentum Brandenburg haben könne, wenn er es erobere. Solche Macht erregte Neid, Feindseligkeit und Besorgnis. Katholische Fürsten wie der Herzog von Bayern fühlten sich von dem Senkrechtstarter beiseitegedrängt. Selbst die engsten Ratgeber des Kaisers bemerkten unruhig, wie mächtig Wallenstein geworden war. Zudem gab es Anzeichen dafür, dass er als unabhängige, quasisouveräne Macht nicht mehr im Interesse der Habsburger, sondern für seinen eigenen Staat im Staate handeln könnte. So wurde er im Juni 1630 auf Betreiben der Kurfürsten entlassen. Doch schon 1632 rief man ihn gegen die Schweden zurück, nachdem Maximilian von Bayern sein Territorium und seinen Oberbefehlshaber, Johann Tserclaes Graf von Tilly, verloren hatte. Ende des Jahres hatte Wallenstein ein Heer von 120.000 Mann rekrutiert und bewaffnet. Doch baute er seinen Sieg über Gustav Adolf bei Lützen am 16. November 1632 nicht weiter aus, was in Wien Misstrauen säte. Im Februar 1634 entband ihn ein kaiserliches Dekret von seinem Kommando und ordnete seine Verhaftung oder, wenn das nicht möglich sein sollte, seine Hinrichtung an. Ende Februar wurde er ermordet. Wallenstein war das spektakulärste Beispiel für einen Militärunternehmer. Doch operierten auf der anderen Seite, wenngleich in sehr viel geringerem Umfang, in den 1630er Jahren Graf Ernst von Mansfeld (bis zu seinem Tod 1626) und Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar auf ganz ähnliche Art. Dergleichen konnte im Reich nach 1618 florieren, weil die normalerweise gültigen Regeln durch die Dysfunktionalität seiner politischen und rechtlichen Institutionen außer Kraft gesetzt worden waren. Sie hatten der einen wie der anderen Seite Hoffnung auf eine

49. Welche Art von Konflikt?

Lösung der Probleme vermittelt. Während des ersten Kriegsjahrzehnts hatten der Kaiser und die Katholiken mehr Anlass zum Optimismus.

Anmerkungen 1 Einen guten Überblick bietet Asch, Thirty Years War, 1–8; vgl. auch Burkhardt, Krieg, passim. 2 Mortimer, »Contemporaries«; Mueller, »Thirty Years War«; Schmidt, »Teutsche Kriege«, 49. 3 Lublinskaya, Absolutism, 146–219; Asch, Thirty Years War, 77–79. 4 Zu Savoyen vgl. Osbourne, Dynasty, 19–49, 143–192. 5 Parker, Thirty Years War, 37–38. 6 Asch, Thirty Years War, 34–46; Parker, Thirty Years War, 2–10. 7 Parker, Thirty Years War, 62. 8 Ab 1429 wurde der Sundzoll von allen Schiffen erhoben, die den Øresund durchfuhren. Sie mussten ihn in Helsingør entrichten; 1567 betrug er 1–2 Prozent des Frachtwerts. Als Dänemark 1660 gezwungen war, seine Provinzen östlich des Sunds Schweden zu überlassen, war der Sundzoll weit weniger ertragreich, er wurde aber erst 1857 abgeschafft. 9 Lockhart, Frederik II, 316–317. 10 Schmidt, Universalmonarchie, 29–50, 440–450. 11 Bireley, »Religious war«. 12 Schormann, »Krieg«, 277. 13 Gotthard, »Wer sich salviren könd«. 14 Bireley, Jesuits, 1–32, 267–275. 15 Burkhardt, Krieg, 225–232; Schmidt, Universalmonarchie, 84–94; Langer, Thirty Years War, 235–257. 16 Behringer, Merkur, 166–175. 17 ADB, Bd. II, 658–660; Behringer, Merkur, 382–392. 18 Parker, Thirty Years War, 99. 19 Schormann, Krieg, 32; Press, Kriege, 200. 20 Die Militärgeschichte, mit einer detaillierten Darstellung aller Schlachten, behandelt Guthrie, Battles, und Guthrie, Later Thirty Years War. Die umfassendste Darstellung in englischer Sprache, inklusive ausgezeichneter militärischer Analysen, ist Wilson, Europe’s tragedy.Vgl. auch Langer, Thirty Years War, 127–186. 21 Parker, Thirty Years War, 186. 22 Press, Kriege, 208. 23 BWDG, Bd. III, 3025–3031. 24 Schormann, Krieg, 88. 25 Anderson, War, 48–49.

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n der ersten Phase des Konflikts mobilisierte Ferdinand Verbündete und Ressourcen, um seine Autorität in Österreich und Böhmen wiederherzustellen. Aus Rom kamen zwei Millionen Gulden, Spanien bot Truppen an und der Botschafter Iñigo Oñate beredete Ferdinand, Maximilian von Bayern Kostenerstattung, Handlungsfreiheit, den Besitz aller von der Katholischen Liga eroberten Territorien und die Übergabe des pfälzischen Kurfürstentitels zu versprechen. Der Aussicht, die Vorherrschaft der pfälzischen Wittelsbacher zu beenden, konnte Maximilian nicht widerstehen. Im Vertrag von München am 8. Oktober 1619 erklärte er sich bereit, ein Heer der Liga gegen die Rebellen ins Feld zu schicken. Im folgenden Frühjahr gab es eine Reihe von Zusammenkünften in Würzburg und Mühlhausen, bei denen die Kurfürsten und einige Fürsten sich über weitere Hilfe verständigten, damit das »böhmische Feuer« nicht auf das Reich übergriff. Die katholischen Kurfürsten versprachen, säkularisierten kirchlichen Grundbesitz nicht zurückzufordern außer gegen faire Entschädigungszahlungen, soweit die Besitzer dem Kaiser treu blieben. Dem Kurfürsten von Sachsen wurde die Lausitz als Lehen versprochen, wenn er eine Armee bereitstellte. Die Entscheidung über die bayrische Forderung, den pfälzischen Kurfürsten zu ächten, wurde auf die Zeit nach dem Ende der Feindseligkeiten vertagt. Unterstützung erhielt der Kaiser aus Frankreich, als der Herzog von Angoulême am 3. Juli in Ulm einen Waffenstillstand zwischen Union und Liga vermittelte. 1 Ludwig XIII. bot sogar an, ein Heer zu entsenden; er verstand seinen Vetter, schließlich hatte er auch mit den Calvinisten zu kämpfen. Statt des Heers gab es jedoch einen komplizierten Plan, dessen erste Stufe, ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Ferdinand und Friedrich V., jedoch scheiterte. Unterdessen verschaffte das Ulmer Abkommen den Kaiserlichen einen entscheidenden Vorteil, weil die Streitkräfte der Liga nun in Richtung Österreich marschieren konnten, während die Truppen der Union im Westen festsaßen, weil die spanische Streitmacht von Ambrogio di Spinola sich von den Niederlanden her näherte. 2 Dagegen hatte die Regierung in Prag nur sehr wenig erreicht. Friedrichs internationale Kontakte, die ihn für die Rebellen so anziehend gemacht hatten, boten keine große Unterstützung an. Er wurde von Dänemark, Schweden, den republikanischen Niederlanden und Venedig als König anerkannt, aber nur die Niederländer ließen ihm Geld zukommen. 3 Sein Schwiegervater, Jakob I. von England, zögerte

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aus Prinzip mit der Anerkennung, weil er Usurpatoren ablehnte, aber er hatte auch Bedenken, dass die Vorgänge in Böhmen seine Verständigungsversuche mit Spanien gefährden könnten: Die Pfälzer erkannten nicht, dass Jakob mit den Niederländern wie auch mit den Spaniern Frieden haben wollte. 4 Friedrichs triumphaler Einzug in Prag kaschierte eine prekäre Situation. Böhmische Streitkräfte schlossen sich mit Bethlen Gábors Truppen zusammen, um im Oktober 1619 erneut auf Wien zu marschieren. Die Niederlage der Habsburger Armee in Ungarn war ein schwerer Schlag; der spanische Botschafter glaubte, das Schicksal des Hauses Österreich hänge am seidenen Faden. 5 Aber Bethlens Vormarsch wurde durch die Nachricht aufgehalten, dass der König von Polen Ferdinand die Rekrutierung von Kosaken gestattet habe. Im November waren sie nach Süden bis Oberungarn vorgedrungen und bedrohten jetzt Bethlens eigenes Fürstentum Siebenbürgen. Obwohl der ungarische, antihabsburgisch eingestellte Landtag ihn am 15. Januar 1620 zum Fürsten von Ungarn wählte, war Bethlen gezwungen, sich aus dem Krieg zurückzuziehen. Damit war Friedrich ohne mächtige Verbündete. Er war nun auf seine eigenen Kräfte, die böhmischen und österreichischen Stände und eine Handvoll unbedeutenderer deutscher Fürsten angewiesen, von denen viele jüngere Söhne waren, die über wenig bis kein Land geschweige denn Geld verfügten. Als die Krise kam, war Graf Mansfelds 4.000 Mann starkes Söldnerheer von geringem Nutzen, denn es war in Pilsen einquartiert. Abgesehen davon, war Mansfeld schon dabei, die böhmische Sache zu verraten, denn er stand – als Gegenleistung für seine Ernennung zum Reichsgrafen und Statthalter der Provinz Luxemburg – mit dem kaiserlichen Befehlshaber Graf Bucquoy in Verhandlungen. 6 Friedrich selbst stand finanziell schlecht da; die Pfalz war seit Jahrzehnten in einer Wirtschaftskrise. Auch der böhmische Staatsschatz reichte für einen größeren Konflikt nicht aus. 7 Anfang 1619 war die provisorische Regierung so knapp bei Kasse, dass sie Städte mit Gewalt zur Kreditvergabe zwang. Im August schuldete sie ihren Truppen Sold in Höhe von 1,8 Millionen Talern. Die ersten Monate von Friedrichs Hofhaltung in Prag hatten durch Festlichkeiten und Extravaganzen ohne Ende riesige Summen verschlungen. Kein Wunder, dass er schon bald sein Silbergeschirr und andere Kostbarkeiten verpfänden musste. Zudem herrschte er nicht über ein vereinigtes Gemeinwesen. Die regionalen Schranken zwischen den Ständen blieben hoch; die Confoederatio Bohemica und ihre diversen Nebenländer hatten kein eindeutiges Zentrum, von dem Impulse ausgehen konnten. In fast allen Regionen gab es noch adlige Katholiken in beträchtlicher Anzahl sowie Protestanten, die vorsichtig oder dem Kaiser treu ergeben waren. 8 Zudem waren die adligen Aktivisten vielleicht Rebellen in eigener Sache, jedoch ihren Bauern gegenüber strikt autoritär. 9 Während humanistische Dichter wie der junge Martin Opitz den neuen Herrscher feierten, zeigte sich die

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Bevölkerung von Friedrich wenig begeistert. Er war zwar nicht die Marionette seiner eifernden calvinistischen Ratgeber, hatte aber sehr wenig Zeit, um seine Position in Prag zu festigen, vom Königreich insgesamt zu schweigen. 10 Die calvinistische Umgestaltung des Veitsdoms in Prag sorgte in der von Lutheranern und Katholiken beherrschten Stadt für Befremden und Besorgnis. Zu keinem Zeitpunkt gab es die Aussicht auf eine Massenerhebung zur Verteidigung der böhmischen Freiheiten. Das Ende kam schnell und mit Entschiedenheit. Die Truppen der Liga unter Tilly besetzten Ende Juli 1620 Oberösterreich, die kaiserlichen Truppen unter Bucquoy Niederösterreich und die Sachsen im Norden die Lausitz. Dann marschierten Tilly und Bucquoy nordwärts nach Prag und verwickelten die böhmischen Streitkräfte am 8. November am Weißen Berg direkt außerhalb der Stadt in eine Schlacht, die kaum zwei Stunden währte. Für die Verteidigung Prags waren keine Vorkehrungen getroffen worden, vielmehr schloss die Stadt die Tore, um den aufgeriebenen böhmischen Truppen den Zutritt zu verwehren. Man drohte sogar damit, den König auszuliefern. Am nächsten Tag, ganz früh am Morgen, verließen Friedrich und sein Hofstaat Prag in Richtung Breslau. Nach einem vergeblichen Versuch, den Widerstand in Schlesien zu organisieren, floh Friedrich nach Brandenburg und von dort nach Den Haag. Die Herrschaft des »Winterkönigs« war beendet. Friedrichs Tage als Kurfürst der Pfalz waren ebenfalls gezählt. Das Angebot, er könne mit Nachsicht rechnen, wenn er sich der kaiserlichen Autorität unterwarf, schlug er aus, woraufhin im Januar 1621 die Ächtung erfolgte. Das beeindruckte die meisten deutschen Protestanten und führte, zusammen mit weiteren kaiserlichen Zusicherungen, im April zur Auflösung der Union und der Entlassung ihrer Streitkräfte. Ob Friedrich die Pfalz halten konnte, hing nun von drei Söldnerheeren ab, die von Desperados und Abenteurern angeführt wurden. Mansfeld hatte sich nach dem böhmischen Fiasko in Richtung Westen bewegt, während der lutherische Markgraf von Baden-Durlach unter verheerenden Kosten 10.000 Mann rekrutierte, nicht aus Loyalität gegenüber der Pfalz, sondern weil seine katholischen Verwandten vor dem Reichshofrat ein Urteil gegen ihn erwirkt hatten. Sollte die Pfalz fallen, so kalkulierte er, wäre für ihn alles verloren. 11 Weniger klar sind die Motive von Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel, dem Administrator von Halberstadt. Man kannte ihn als den »tollen Halberstädter«; er war Friedrichs englischer Ehefrau verfallen und von ritterlichen Idealen beseelt. Als jüngerer Bruder des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel und lutherischer Administrator eines Bistums, dessen Domkapitel seine militärischen Abenteuer ablehnte und ihn so weit wie möglich von der Regierung fernhielt, musste auch er den Triumph des Kaisers fürchten. 12 Aber die Pfalz war nicht zu retten. Der Markgraf wurde am 6. Mai 1622 bei

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Wimpfen geschlagen, Mansfeld immer wieder ausmanövriert, bis er sich ins Elsass zurückzog, während Christian sich von Norden aus langsam gegen den Widerstand kaiserlicher und hessischer Verbände vorangekämpft und dabei Städte und kirchliche Einrichtungen geplündert hatte, um seine Truppen zu versorgen. Am 20. Juni wurde er jedoch von Tilly bei Höchst geschlagen, bevor er den Main überqueren konnte. Mittlerweile hatten Spinolas spanische Truppen die linksrheinischen Pfälzer Territorien besetzt, während das Heer der Liga unter Tilly die rechtsrheinischen Gebiete übernahm. Heidelberg fiel am 19. September und Mannheim kurz danach. Im März 1623 gab Friedrich von Den Haag aus den Befehl, die letzte große Festung in Frankenthal aufzugeben. Nachdem Heidelberg gefallen war, bestand wenig Hoffnung, dass Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar mit seinem sechs Wochen später lancierten Appell zur Gründung eines Friedensbundes Gehör finden würde. Die Vorstellung, alles solle nun vergeben werden und die Reichsstände, unter Einschluss des pfälzischen Kurfürsten, könnten sich mit dem Kaiser zusammensetzen, um über ein dauerhaftes Friedensabkommen, das allgemeine Religionsfreiheit garantiere, zu beraten, war völlig unrealistisch, zumal es keine Persönlichkeit mit Macht und Einfluss gab, die so einen Plan unterstützen würde. 13 Abgesehen von seiner traditionellen Loyalität, war der sächsische Kurfürst im Augenblick ohnehin mehr damit beschäftigt, von der Lausitz Schadenersatz zu erhalten, als sich um die Schwierigkeiten der am Aufstand beteiligten Adligen zu kümmern. Einer von Herzog Wilhelms ernestinischen Vettern, Herzog Friedrich von Sachsen-Altenburg, rekrutierte eine kleine Streitmacht, aber sonst gab es keine Reaktionen auf den Appell. Im Sommer darauf verfolgte Tilly Christians Heer auf seiner Flucht nordwärts durch Westfalen. Aus der geplanten Flucht in die holländische Republik wurde nichts, denn am 6. August stellte ihn Tilly kurz vor der Grenze bei Stadtlohn. Christians Heer wurde aufgerieben. Hohe Offiziere, darunter Herzog Wilhelm von Weimar, wurden als Gefangene nach Wien überführt, während Christian mit ein paar Regimentern entkommen konnte. Er zog jedoch die Konsequenzen aus der Niederlage und legte das Amt als Administrator von Halberstadt zugunsten des Herzogs Friedrich von Holstein nieder.

Anmerkungen 1 2

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Parker, Thirty Years War, 54. Spinola (* 1569, † 1630) war Genueser und als Kommandant in spanischen Diensten. Er spielte eine Schlüsselrolle, als die Spanier Anfang des 17. Jahrhunderts versuchten, die Niederlande zurückzuerobern.Vgl. Israel, Dutch Republic 1476–1806, 387–388. Schormann, Krieg, 30–31; MacHardy, War, 72–73. Pursell, Winter King, 53–57; Clasen, Palatinate, 25.

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5 Schormann, Krieg, 30; Parker, Thirty Years War, 46–50, 52. 6 Ritter, Geschichte, Bd. III, 192–193. Mansfeld war ein jüngerer Sohn und von daher kein regierender Fürst. 7 Schormann, Krieg, 87–88; Clasen, Palatinate, 31–32. 8 MacHardy, War, 76–88. 9 Wilson, Reich, 121–122. 10 Pursell, Winter King, 93–116. 11 Press, »Badische Markgrafen«, 36–38. 12 ADB, Bd. IV, 677–683. 13 Menzel, »Union«, 38–40.

51. Ferdinand der Siegreiche

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es Kaisers Sieg war glänzend, nicht aber, wie er damit umging. Zunächst einmal mussten Versprechen, die er den Verbündeten gemacht hatte, eingelöst werden. Spanien wollte die Kontrolle über die linksrheinischen Gebiete der Pfalz wiedererlangen, um eine Transitroute für die Truppenbewegungen zu den Niederlanden zu haben. Zudem erwarteten die Spanier österreichische Hilfe für ihre militärischen Unternehmungen im Veltlin, das Graubünden durch den im September 1622 geschlossenen Vertrag von Lindau an Österreich und Spanien abtreten musste. Nur sechs Wochen später schloss der französische König den Frieden von Montpellier mit den Hugenotten und hatte dadurch freie Hand für die erneute Unterstützung der Schweizer Protestanten. Darin lag, wie Richelieu (1624 zum Ersten Minister ernannt) nachdrücklich betonte, der Schlüssel für den erfolgreichen Kampf gegen die Habsburger Hegemonie. Auch das Maximilian von Bayern gegebene Versprechen erwies sich als problematisch. Insgeheim nur war ihm der Titel eines Kurfürsten zugesichert worden, doch flog das auf, als der Pfälzer Geheime Rat Ludwig Camerarius eine Geheimkorrespondenz veröffentlichte, die eine Leugnung unmöglich machte. Zudem bestand Rom darauf, die Titelübernahme auch formell zu bestätigen und forderte die berühmte Heidelberger Bibliothek als Belohnung für gewährte Unterstützung. Ferdinand zögerte, Friedrich eine solche Strafe aufzuerlegen, und Maximilian von Bayern zögerte ebenfalls, denn es wäre ein teures Geschenk, und dazu noch eines, das jetzt zu seinem Besitz gehörte. Auf jeden Fall präsentierte er dem Kaiser die Rechnung für die eigenen Kosten, die sich auf genau 116.000.771 Gulden, 40 Kreuzer und ein Heller beliefen. 1 Schließlich wurde die Bibliothek doch nach Rom verfrachtet, zuerst jedoch wurde in München jedes Exemplar mit einem Exlibris des neuen bayrischen Kurfürsten versehen. 2 Bei einem Treffen ausgesuchter Fürsten in Regensburg im Januar/Februar 1623 wurde Maximilian als Kurfürst belehnt und die Pfalz unter die gemeinsame Verwaltung von Spanien und Bayern gestellt. 3 Heidelberg blieb bis 1648 in bayrischer Hand; eine kurze Unterbrechung gab es 1633–1635, als die Stadt von schwedischen Truppen besetzt war. Maximilian erhielt ein zeitlich begrenztes Lehen für die Oberpfalz und Oberösterreich als Ausgleich für die zwölf Millionen Gulden, die Ferdinand als Kosten anerkannt hatte. 1628 erhielt er die Oberpfalz als Dauerlehen anstelle der 10 Millionen Gulden, die ihm der Kaiser immer noch schuldete.

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Mit Ausnahme des Landgrafen von Hessen-Darmstadt blieben die nach Regensburg eingeladenen protestantischen Fürsten fern. Die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg waren empört, weil der Kaiser insgeheim etwas so Gravierendes ohne vorherige Konsultation versprochen hatte. Sie schickten aber Gesandte, um ihre Einwände zu Gehör zu bringen. Der Kurfürst von Sachsen zog sich aus dem Bündnis mit Ferdinand zurück, ließ sich aber das Lehen Oberlausitz bestätigen und sicherte sich mit der Unterlausitz ein weiteres als Entschädigung für die Kosten.4 Die Einwände der Kurfürsten bewogen Ferdinand, den Kurfürstentitel an Maximilian für die Dauer seines Lebens, nicht aber seines Hauses, zu verleihen. Der wachsende Groll der Protestanten über die ungerechte Behandlung Friedrichs V. wurde dadurch jedoch nicht besänftigt. Er steigerte sich vielmehr noch angesichts der Behandlung, die den eroberten Territorien zuteilwurde. In den linksrheinischen Pfalzgebieten begannen die spanischen Streitkräfte sogleich mit einer systematischen Gegenreformation; 5 ebenso verfuhr Maximilian von Bayern rechtsrheinisch und in der Oberpfalz. Die Universität Heidelberg wurde geschlossen und stattdessen 1622 eine Jesuitenschule eingerichtet. Die protestantischen Verlagshäuser, die von der Verbreitung calvinistischer Kultur profitiert hatten, mussten ihre Geschäfte einstellen. Die Besatzer arbeiteten mit dem Bischof von Speyer, Christoph von Soetern (ab 1623 auch Erzbischof und damit Kurfürst von Trier) an einer systematischen Gegenreformation, wobei sich Maximilian auch auf die Mitarbeit der Jesuiten und Kapuziner stützte. Doch wurden diese Bemühungen von mehreren Faktoren behindert. Zum einen gab es einfach nicht genug Kleriker, um die vertriebenen Calvinisten zu ersetzen, und zum anderen entstanden Konflikte zwischen den diversen Autoritäten. Als Bischof von Speyer war Soetern von den Calvinisten angegriffen worden, weshalb er jetzt eine katholische, politisch aber schwache Pfalz wollte. Maximilian dagegen hegte den Plan, aus der Pfalz eine jesuitische Bastion des militanten Katholizismus am Rhein zu machen, was Soetern wie auch die Kurfürsten von Mainz und Köln gar nicht schätzten. Die Spanier verfolgten militärische Ziele, vornehmlich das eines Durchmarschgebiets nach den Niederlanden, was sie in Konflikt mit den drei geistlichen Kurfürsten brachte, deren Ländereien von derlei Operationen betroffen sein würden. In der Oberpfalz gab es für Maximilian solche Hindernisse nicht. 6 Die calvinistischen Verwaltungsbeamten waren schnell entlassen und der katholische Gottesdienst wurde wieder eingeführt. 1626 wurden alle reformierten Prediger ausgewiesen, denen zwei Jahre später die Lutheraner folgten. Auch verließen viele Mitglieder der alten lutherischen Elite das Land und zogen das Exil der erzwungenen Konversion vor. Im Gegensatz zur Rheinpfalz war die Gegenreformation hier erfolgreich. 1628, als Maximilian die Oberpfalz endgültig in Besitz nahm, war das Territorium durch und durch katholisch.

51. Ferdinand der Siegreiche

Ferdinand verfuhr in seinen Territorien nicht anders. Die Methoden, mit denen er die Kontrolle in Graz errungen hatte, wandte er jetzt allgemein an. 7 Politische Kontrollmaßnahmen verbanden sich mit systematisch durchgeführter Gegenreformation. In Böhmen wurde energisch gegen Rebellion und Ketzertum vorgegangen. Am 21. Juni 1621 wurden 27 Anführer, darunter zehn Adlige und Jan Jesensk, Rektor der Prager Universität, öffentlich hingerichtet. Den Vorsitz über das Spektakel führte Ferdinands Statthalter, Fürst Karl von Liechtenstein. Mehr als 1.500 weitere Angehörige des Adels wurden von einem Sondergericht verurteilt und an die 600 verloren ihren Grundbesitz ganz oder teilweise. Aber auch Letztere wurden des ganzen Besitzes beraubt, weil sie für den Rest lediglich finanziell entschädigt wurden. Das Geld wiederum wurde in Münzen ausgezahlt, die von Liechtenstein im Bündnis mit Hans de Witte und dem jüdischen Finanzier Jakob Bassevi systematisch minderwertig hergestellt wurden. Die drei gehörten zu einem fünfzehnköpfigen Konsortium, das im Januar 1622 alle Münzanstalten in Böhmen, Mähren und Niederösterreich für ein Jahr gemietet hatte. Ziel war es, die Rebellen zu ruinieren und den Aufkauf ihrer Besitztümer durch loyale Katholiken zu erleichtern; ruiniert wurde dadurch allerdings die böhmische Wirtschaft. 8 Die Aktivitäten von Liechtenstein und seinen Mitstreitern destabilisierten die Ökonomie auch in anderen Teilen des Reichs, weil weitere Regenten ihrem Beispiel folgten: Zwei Jahre lang herrschte Währungsinstabilität, es war die sogenannte Kipper- und Wipperzeit. 9 In Böhmen folgte der Auslöschung der politischen Opposition sehr bald die Erzwingung religiöser Uniformität. Erst wurden die calvinistischen, dann die lutherischen Pfarrer ausgewiesen, die religiösen Freiheiten förmlich beseitigt, die Wiedertäufer und andere Sekten massenweise vertrieben. Danach beseitigte man die Privilegien der Städte und beschlagnahmte ihre Ländereien. 1627/28 wurde der gesamte Adel vor die Wahl gestellt, zum Katholizismus überzutreten oder ins Exil zu gehen. Die Rechts- und Verfassungsstrukturen, die die Rebellion begünstigt hatten, wurden systematisch abgebaut. 1627 wurde für Böhmen die »Verneuerte Landesordnung« verkündet, im folgenden Jahr erhielt Mähren ein ähnliches Statut. 10 Die neue Verfassung beraubte die Stände ihrer Rechte, allen voran des Wahlrechts für die böhmische Krone. Sie war nun erblich und an das Haus Habsburg gefallen. Der Katholizismus war die einzige Religion und die Geistlichkeit wieder der erste Stand. Nur das Judentum wurde noch toleriert. Alle Staatsbeamten mussten einen Eid auf den König leisten. Das Amt der Burggrafen von Karlstein, der traditionellen Hüter der königlichen Insignien, entfiel. 11 Andere Ämter wurden dem König unterstellt, der Beamte ernennen (und entlassen) konnte und von den Ständen das Recht übernahm, Adelspatente zu verleihen. Auch die Rechtspre-

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chungsbefugnisse der Krone wurden erheblich erweitert. Und schließlich wurde die deutsche Sprache als Amtssprache dem Tschechischen gleichgestellt. Insgesamt verließen 150.000 Exilanten Böhmen. Die Verfassungsbestimmungen wurden 1640 etwas gelockert, als der Landtag einiges an Macht zurückgewann, aber das religiös-politische Fundament bestimmte das böhmische Gemeinwesen bis ins 19. Jahrhundert. Keineswegs waren alle, die vom Verkauf konfiszierten Eigentums profitierten, außerböhmischer Herkunft. Doch liefen die Veränderungen der 1620er Jahre, die durch Landvergabe an italienische, irische und französische Militärkommandanten nur leicht abgewandelt wurden, auf die Schaffung einer Kaste von individuellen Großgrundbesitzern hinaus, die der Krone treu waren und an der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie standen. 12 Ähnliche Veränderungen vollzogen sich, angetrieben durch politisches Kalkül, in Mähren, wo selbst Persönlichkeiten wie Karl von Žerotín nun für die Loyalität, die sie in der Krise von 1618/19 bewiesen hatten, belohnt wurden. Žerotín war nach dem Aufstand eingekerkert worden und ging nach der Vertreibung der Mährischen Brüder 1629 ins Exil. 13 Die Ober- und die Niederlausitz hatten nicht unter solchen Maßnahmen zu leiden, weil sie jetzt unter der Herrschaft des Kurfürsten von Sachsen standen, der die religiösen Freiheiten der Einwohner unangetastet ließ. In Schlesien, das der Kurfürst im Namen des Kaisers unterwarf, entwickelte sich die Lage ähnlich. 14 Im Dresdener Akkord vom 28. Februar 1621 befürwortete der Kurfürst die Wiederherstellung des Status quo von 1618 gegen die Zahlung einer Strafe in Höhe von 300.000 Gulden und die förmliche Anerkennung Ferdinands II. als des rechtmäßigen Herrschers. Da Ferdinand den Kurfürsten nicht verärgern wollte und überdies noch durch die von Bethlen Gábor ausgehende Gefahr abgelenkt war, stimmte er zögernd zu. Die Gegenreformation kam in Schlesien schrittweise voran; den Habsburgern fiel ein Territorium nach dem andern zu, erst durch Eroberung, dann, langsamer, durch Erbschaft, weil einige der einheimischen Dynastien ausstarben. Dennoch konnten die Herzöge von Brieg und Liegnitz-Wohlau gemeinsam mit Breslau und dem Fürsten von Oels 1633 eine »Verbindung« mit Sachsen, Brandenburg und Schweden eingehen und so im Westfälischen Frieden die Anerkennung ihrer Rechte sichern. Wenig hilfreich für die schlesische Gegenreformation war es, dass der neue Bischof von Breslau, Fürst Karl Ferdinand von Wasa, bei seiner Wahl 1625 erst zwölf Jahre alt war. Mit seiner Volljährigkeit hatte er weitere hohe geistliche Ämter angesammelt, obwohl er nie zum Priester geweiht oder als Bischof gesalbt worden war. Immerhin zog er es später vor, in Warschau zu leben, sodass ab Mitte der 1630er Jahre ein energischer bischöflicher Administrator und ein engagierter Weihbischof wirkliche Reformen in Gang setzen konnten. In Ober- und Niederösterreich kam es zu jeweils unterschiedlichen Entwick-

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lungen. In Niederösterreich hatte Ferdinand 148 Adlige, darunter 86 Protestanten, 1620 dazu beredet, ihm einen Treueeid zu leisten. 15 Dabei wurde den Protestanten die Religionsfreiheit versprochen. Wer den Eid verweigerte, wurde geächtet und, wie in Böhmen, mit der Beschlagnahmung des Eigentums bestraft. 1627 minderte Ferdinand sein Versprechen zu einer bloßen Garantie persönlicher Gewissensfreiheit herab und verbot dem Adel, protestantische Prediger und Schulmeister zu beherbergen, weil damit der Katholizismus beleidigt und die Rebellion begünstigt würde. Oberösterreich wurde ähnlich brutal wie Böhmen behandelt. 16 Der Rebellenführer Georg Erasmus Tschernembl floh beim Einmarsch bayrischer Truppen nach Württemberg. Jedoch wurde der Fortgang politischer Unterdrückung und Gegenreformation zunächst dadurch aufgehalten, dass Maximilian und Ferdinand unterschiedliche Interessen verfolgten. Maximilian wollte vor allem Geld, um seine Truppen zu bezahlen und seine Kosten zu decken, was Stabilität der Verhältnisse erforderte. Ferdinand wollte bestrafen und disziplinieren, was die Stabilität gefährdete. Die Erhebung monatlicher Steuern in Höhe von 26.000 Gulden zur Erhaltung der bayrischen Garnison schuf, im Verein mit den Auswirkungen der Münzverschlechterung von 1622/23, Missernten in den Jahren 1622–1624 und einer Pestepidemie 1625/26, eine äußerst prekäre Lage, die noch dadurch verschärft wurde, dass die bayrischen Besatzungsbehörden unter Adam von Herberstorff die gegen Ketzerei gerichteten Erlasse Ferdinands in die Tat umsetzten. Im Oktober 1624 bekamen protestantische Prediger und Lehrer vier Wochen Zeit, das Land zu verlassen, und Ostern 1626 erhielten alle Nichtadligen den Befehl, zu konvertieren oder zu gehen. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die Ankunft zahlreicher italienischer Missionare der Congregatio de Propaganda Fide in Rom, um dem Mangel an deutschen Klerikern abzuhelfen. Als die Italiener vormals protestantische Pfarrbezirke übernahmen, regte sich bei den Laien Widerstand. Im Mai 1626 spitzte sich die Lage zu, als in Frankenburg fünftausend bewaffnete Bauern das Schloss belagerten. Ihre Anführer erklärten, sie würden lieber sterben als »papistisch« werden. Herberstorff reagierte kompromisslos brutal. Er marschierte mit 650 Soldaten nach Frankenburg, setzte 36 gut beleumundete Männer aus Städten und Dörfern fest und befahl ihnen, gegeneinander um ihr Leben zu würfeln. 17 (der 18), die verloren, wurden an Ort und Stelle gehängt. Die Nachricht vom »Frankenburger Würfelspiel« verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Schon bald kam es zu einem Massenaufstand, angeführt von Stefan Fadinger, einem Bauern und Hutmacher, und dessen Schwager, Christoph Zeller. Anfänglich war der Aufstand höchst erfolgreich, doch als Fadinger am Juli an einer Schussverletzung starb, war die Bewegung führerlos. Auch gelang es den Bauern nicht, sich ausländischer Hilfe zu versichern. Es gab Kontakte zu einem dänischen

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Gesandten, der aber keine Unterstützung bieten konnte. Gerüchte über eine von Adligen angeführte »allgemeine Erhebung« in Österreich und Südböhmen veranlassten Graf Mansfeld und Johann Ernst von Sachsen-Weimar, nach Süden zu marschieren und sich mit den Truppen von Bethlen Gábor zu vereinen, um erneut Wien anzugreifen. Doch der oberösterreichische Adel scheute vor einer Kooperation mit der Bauernschaft zurück, weil man befürchtete, dass ein allgemeiner Bauernkrieg sich nicht nur gegen die Regenten, sondern auch gegen die Grundbesitzer richten könnte. 17 Ende 1626 war der Widerstand gebrochen. Im Januar 1627 flammte er noch einmal auf, wurde aber kurz und brutal niedergeschlagen. Verurteilungen, Beschlagnahmungen, Massenhinrichtungen und die Einquartierung von 12.000 Soldaten in der Region erzwangen die Unterwerfung der Bevölkerung. 1628 wurde die bayrische Besatzung, einer der Hauptfaktoren für die Verschärfung der Situation, beendet und Maximilian mit der Oberpfalz ausbezahlt, die ihm auf Dauer übereignet wurde. Oberösterreich blieb jedoch unsicher und 1632 sowie 1635/36 kam es zu weiteren Unruhen. Diese Instabilität hatte den Fortgang der Rekatholisierung bis 1631 behindert, der danach jedoch so unerbittlich wie anderswo vorangetrieben wurde. Über 100.000 Personen, zumeist aus Oberösterreich, wurden vertrieben. In den meisten habsburgischen Kernländern wurde die politische Kontrolle ausgeweitet und parallel dazu für religiöse Uniformität gesorgt, was sich als zunehmende Zentralisierung und Konsolidierung eines habsburgischen Staats neben dem Reich interpretieren ließ. Die Einrichtung einer »Erbländischen Hofkanzlei«, die unabhängig vom Reichserzkanzler, dem Kurfürsten von Mainz, operieren sollte, war sicherlich ein weiterer Schritt auf dem Weg, die Habsburger Lande von der Gesetzgebung des Reichs auszunehmen. 18 Praktisch wurden damit jedoch lediglich Ansprüche formell geltend gemacht, die es seit dem späten 15. Jahrhundert gab, und zudem brauchte die Hofkanzlei sehr lang, um sinnvolle Funktionen zu entwickeln. Bedeutsamer waren die Methoden, mit denen Ferdinand seinen Hofstaat zu neuer Stärke führte, indem er den Hochadel von Ober- und Niederösterreich, aber nun auch die Magnaten deutschen und einheimischen Ursprungs aus Böhmen und Mähren, an sich band. Hinzu kamen noch die jesuitischen Beichtväter, sodass der Hof zum Symbol für die neue Stabilität und religiöse Uniformität von Ferdinands Territorien wurde. 19 In anderer Hinsicht aber benahm sich Ferdinand kaum anders als seine Vorgänger. Er sorgte für eine neue dynastische Linie in Tirol und Vorderösterreich, wo sein Bruder Leopold zunächst als Statthalter und ab 1621, nachdem dieser zugunsten seines Vetters auf die Bistümer Passau und Straßburg verzichtet und Claudia de Medici geheiratet hatte, als regierender Fürst tätig war. 20 Nachdem die unmittelbare Krise bewältigt war, konnten lokale Institutionen in den Gebieten unter Ferdinands Kontrolle allmählich wieder eine Rolle spielen und er war immer bereit,

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mit dem Adel Kompromisse einzugehen, sofern sich dieser zum Katholizismus und zur Krone bekannte. 21 Während der 1620er Jahre stand Ferdinand im Kampf um die Aufrechterhaltung seiner Stellung in Ungarn. Die Türken unterstützten Bethlen Gábor, was dem Siebenbürger Fürsten wiederholte Angriffe auf das habsburgische Ungarn ermöglichte und so eine Verbindung zwischen Ferdinands protestantischen Feinden im Reich und denen im Osten herzustellen drohte. Dass Bethlen erfolglos blieb, lag zum großen Teil am Kampf der Osmanen gegen Persien: Als ihr Feldzug zur Rückgewinnung Bagdads (das sie 1624 verloren hatten) fehlschlug, war Bethlen Ende Dezember 1626 gezwungen, mit Ferdinand den Frieden von Pressburg zu schließen. 22 Schon bald kam es wieder zu Feindseligkeiten, aber die Unterstützung für Bethlen blieb unsicher. Sein Tod 1629 ließ die Probleme ungelöst; der Nachfolger, György Rákóczi, versuchte, mit Frankreich und Schweden zusammenzuarbeiten, was ebenfalls erfolglos blieb und 1647 mit dem Frieden von Linz endete. Ferdinand, und ab 1637 sein Sohn und Nachfolger Ferdinand III., konnten Ungarn halten, doch wurde es erst in den 1670er Jahren (und unvollständig) rekatholisiert. 23 Ferdinands Politik nach den böhmischen und österreichischen Aufständen war nicht innovativ, sondern vollzog nur das nach, was viele deutsche Regenten schon Jahrzehnte zuvor begonnen hatten. Als erster Habsburger setzte er den Grundsatz cuius regio eius religio in seinen Territorien konsequent durch. Sein Vorgehen gegen die Rebellen war, den damals üblichen Kriegsregeln zufolge, angemessen und desgleichen seine Religionspolitik im Licht des Augsburger Friedensschlusses. Mit dem Versuch aber, überall im Reich ein und dieselbe Politik durchzusetzen, wich er erheblich von der bisherigen Politik und womöglich auch von dem, was rechtlich geboten war, ab.

Anmerkungen 1 2

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Langer, »Krieg«, 290. Keunecke, »Maximilian«; Kirschberger, »Vorbereitung«. 1816 wurden nach dem Wiener Kongress die Manuskripte zurückgegeben, während die Bücher bis heute in Rom aufbewahrt werden, mit Ausnahme des Codex Manesse, der Manessischen Liederhandschrift. Vielleicht war sie unter den Büchern, die mit Friedrich nach Prag reisten; jedenfalls kam sie irgendwann nach Paris und wurde 1888 der Heidelberger Bibliothek zurückgegeben. Gotthard, Säulen, Bd. I, 100–112. Köbler, Lexikon, 468, 483. Die Habsburger überließen die Territorien Sachsen im Frieden von Prag 1635. Schindling und Ziegler, Territorien Bd.V., 39–42. Schmid, »Kurfürst Maximilian«. Winkelbauer, Ständefreiheit, Bd. I, 73–78, 98–104. Parker, Thirty Years War, 80–81.

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Kindelberger, »Economic crisis«. Evans, Making, 197–200. Evans, Making, 198. Evans, Making, 200–210. Bosl, Böhmen, 289. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 130–135; Evans, Making, 299–301. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 130–131. Zum Folgenden vgl. Langer, »Krieg«, 309–312; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. I, 131–132. Press, Kriege, 208–209. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. II, 78–79. Press, Kriege, 207; Press, »Imperial court«, 307–309; Bireley, Religion, 82–97. BWDG, Bd. II, 1628–1629; ADB, Bd. XVIII, 398–402. Parker, Thirty Years War, 78; Pamlényi, Hungary, 154–157. Press, Kriege, 203. Evans, Making, 235–237.

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F

erdinands energische Unterdrückung der Aufstände sorgte im ganzen Reich für Ehrfurcht und Erschrecken. Tillys Sieg über Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel am 6. August 1623 war überwältigend. Trotz wachsender Bereitschaft an den protestantischen Höfen, auch bei Jakob I. von England, schien der exilierte »Winterkönig« Friedrich V. wenig Aussicht auf mächtige Bündnispartner zu haben, die sich seiner Sache im Reich annehmen könnten. Fast jeder protestantische Hof, in Deutschland wie auch außerhalb des Reichs, hatte Flüchtlinge aufgenommen, die von der Unterdrückung ihres Glaubens Schreckliches zu berichten wussten. Tausende begannen in Ungarn, Polen, Schlesien, Schweden, Dänemark, den Vereinigten Niederlanden und England ein neues Leben. Andere kapitulierten und suchten ihr altes Leben unter veränderten Bedingungen neu aufzubauen. Christian von Anhalt, einst Ferdinands entschiedenster Gegner, wurde im Januar 1621 geächtet. Er ging zunächst nach Stade (im Territorium des protestantischen Administrators des Bistums Bremen) und suchte dann Zuflucht in Stockholm und Flensburg. Aber die Treue zu seiner Dynastie und der Wunsch, seine Territorien zu erhalten, bewogen ihn letztlich zur Versöhnung mit dem Kaiser, die durch seinen Sohn vermittelt wurde. Im Juni 1624 leistete er in Wien den Treueeid und zog sich auf seine anhaltinischen Ländereien zurück. Im politischen Leben spielte er keine Rolle mehr. 1 Die Habsburger Position verstärkte sich zunehmend. Als französische Truppen im Herbst 1624 in Graubünden und das Veltlin einmarschierten, war das nur ein zeitweiliger Rückschlag. Der spanische Feldzug gegen die Vereinigten Niederlande erreichte im Juni 1625 einen Höhepunkt, als Spinola die Festung Breda, einen alten Stützpunkt der Oranier, erstürmte. Im selben Jahr wurde Genua gegen Angriffe von Frankreich und Savoyen verteidigt, die Holländer aus dem brasilianischen Bahía vertrieben und eine englische Streitmacht vor Cádiz zurückgeschlagen. »Gott ist Spanier«, schrieb der Graf von Olivares, »dieser Tage kämpft er für unsere Nation.« 2 1625 wurden auch 11.000 spanische Soldaten zu Garnisonen an Rhein und Ems und in der Grafschaft Lippe entsandt, was die kaiserliche Position weiter stärkte. Sinn und Zweck dieser Aktion war es, eine Wirtschaftsblockade gegen die holländische Republik zu errichten, zunächst aber die westliche Flanke von Tillys Streitmacht, die in Westfalen und Hessen Quartier genommen hatte, zu

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sichern. Im Osten bezog, höchst geheim, Wallensteins neues Heer, von Böhmen kommend, an den Grenzen von Niedersachsen Stellung. Wallenstein, ab 1623 Herzog von Friedland, wurde im April 1625 zum Oberbefehlshaber über alle kaiserlichen Truppen im Reich und den Niederlanden ernannt und beauftragt, eine Streitmacht von 24.000 Mann auszuheben, um Tillys Truppen zu verstärken. Ein Jahr zuvor hatte man in Madrid und Wien mit Erörterungen darüber begonnen, wie die habsburgischen Landstreitkräfte durch Flotten in der Nord- und Ostsee sinnvoll ergänzt werden könnten. 3 Die beiden Habsburger Dynastien hatten bei der Verfolgung dieser Strategie verschiedene Ziele im Auge. Madrid wollte die Wirtschaftsblockade gegen die Holländer aufrechterhalten und ein davon unabhängiges Handelsnetzwerk (zu dem auch die deutsche Nordsee sowie die Ostseehäfen des Reichs und Polens gehören sollten) errichten. Olivares war klar, dass Spanien nicht mehr darauf setzen konnte, die Holländer zu unterwerfen, er kannte Spaniens begrenzte Ressourcen und prekäre Finanzlage. Vor allem wollte er einen dauerhaften Frieden unter besseren Bedingungen als denen des Waffenstillstands von 1609 erreichen. Ferdinands Ziele waren recht unterschiedlicher Art. Seine Berater drängten ihn zur Unterstützung des spanischen Projekts, denn das Reich könnte durch die südamerikanischen Schätze nur gewinnen. Aber sie wollten auch erreichen, dass die Häfen in Ostfriesland und an der Elbe fest in kaiserlicher Hand blieben und dass der Gewinn von einer Million Taler pro Jahr, der aus dem reichsunmittelbaren Teil des spanischen Nord- und Ostseeprojekts erwartet wurde, direkt Ferdinands Schatztruhen zugutekäme. 4 Zugleich bot die Krise der frühen 1620er Jahre die Gelegenheit, einige der umstrittenen Probleme der letzten Jahrzehnte zugunsten der katholischen Kirche und der Krone zu lösen. 5 1620 hatten die Kurfürsten von Mainz und Köln sowie der Herzog von Bayern im Namen aller katholischen Stände versichert, dass die Kirchengüter in den Kreisen Sachsens und Niedersachsens nicht angerührt würden, solange die Besitzer dem Kaiser treu blieben. 6 Damit sollte einstweilen die Loyalität Sachsens und anderer Territorien gewahrt werden, auch wenn die katholischen Fürsten zur selben Zeit explizit ihre Überzeugung, die Gesetzgebung von 1555 sei nach wie vor gültig, bekräftigt hatten. Dazu gehörte auch das reservatum ecclesiasticum, die Bestimmung, dass ein geistlicher Fürst, der zum Luthertum übertrat, damit sein Bistum verwirkt habe. 1620 waren sie jedoch nicht in der Lage, diese Interpretation auch durchzusetzen. Nach Tillys Sieg bei Stadtlohn am 6. August 1623 jedoch, als kaiserliche Truppen weit nach Nordwestdeutschland vordrangen, konnte der Kaiser verschiedene Methoden, das Problem enteigneter Kirchengüter zu lösen, abwägen. Zumindest könnte er gegen diejenigen vorgehen, die nicht loyal geblieben waren. Darüber hinaus war es jetzt möglich, eine umfassende Restitution kirchlicher Ländereien anzustreben und sie durch den spanischen Militärkordon, die

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kaiserlichen Landstreitkräfte und eine (noch zu schaffende) Flotte in Nord- und Ostsee vor zukünftigen Angriffen zu schützen. Ferner wäre die Autorität der Krone durch die Aufstellung habsburgischer Kandidaten in solchen Bistümern zu stärken. Diese Überlegungen gingen weit über die Zukunft der Reichskirche hinaus. Der Kaiser und seine Berater richteten ihr strategisches Denken auch auf Gebiete des Reichs, die zuvor kaum von kaiserlicher Politik berührt worden waren. Hätten sie alle ihre Ziele erreicht, wäre das Reich in eine sehr starke Monarchie verwandelt worden. Die Pläne der Habsburger entfalteten sich nach und nach in einem Prozess, der sich über mehrere Jahre hinzog. Doch reichten die von Ferdinand und Maximilian von Bayern in Böhmen, Österreich und den pfälzischen Gebieten bis 1623 durchgesetzten Maßnahmen aus, um einige protestantische Regenten davon zu überzeugen, dass die Habsburger vor nichts zurückschreckten. Eine Reihe von Faktoren kam zusammen, um eine neue Opposition gegen die habsburgische Hegemonie auf die Beine zu stellen. Die Bemühungen Friedrichs V. um Unterstützung für seine Wiedereinsetzung erhielten neue Schwungkraft durch seinen alten Hofrat, Ludwig Camerarius, der in der Exilregierung die Führungsrolle übernommen hatte. 7 Er reaktivierte die Kontakte zu allen protestantischen Mächten und brachte insbesondere Schweden und Dänemark als mögliche Verbündete ins Gespräch. Aber die Sache ging nicht recht voran, denn weder Frankreich noch England wollten direkte Maßnahmen ergreifen; zudem starb im April 1625 Jakob I. Eine weitere schwerwiegende Komplikation war die Rivalität zwischen Schweden und Dänemark. Camerarius bevorzugte eine von Schweden geleitete Aktion. 8 1623 wurde der Plan geschmiedet, durch Polen nach Böhmen einzumarschieren, um Friedrich wieder als König einzusetzen, was auch den dynastischen Zielen des schwedischen Königs zupasskam, der die Macht seiner katholischen Verwandten in Polen schmälern wollte. Im Jahr darauf wurde der Plan geändert: Nun sollte die Invasion im Westen erfolgen und Friedrich nur noch die Wiedereinsetzung in der Pfalz bringen. Schließlich aber wurden Gustav Adolfs Forderungen – eine Streitmacht von 50.000 Mann und der Ausschluss Frankreichs aus jeglichem Bündnis – für übertrieben bzw. unvernünftig gehalten. Die langen Verhandlungen mit Schweden weckten in Dänemark die Befürchtung, Gustav Adolf könne den möglichen Erfolg in Deutschland nutzen, um die schwedische Hegemonie auf den ganzen Ostseeraum auszudehnen; ein Ziel, das ihm seit seiner Thronbesteigung 1611 vor Augen schwebte. Christian IV. von Dänemark hatte schon 1616 mit dem Bau des Hafens Glücksstadt an der Elbe reagiert, um die Flussmündung zu kontrollieren und die Handelsschiffe von und nach Hamburg abzufangen. 1621 zwang er Hamburg, die Oberherrschaft der dänischen Krone anzuerkennen. Als er von dem Plan, Friedrich wieder einzusetzen, erfuhr, tat er

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sein Bestes, um den Verbündeten ein besseres Angebot als Gustav Adolf zu machen. Er konnte es sich leisten, denn finanziell war er so gut gestellt, dass er auf eigene Kosten ein beträchtliches Heer zu rekrutieren vermochte; zudem musste er daheim keine Rücksicht auf ängstliche Ständevertreter nehmen. Aber Christian hatte noch andere Gründe, über die Lage im Reich besorgt zu sein. Im Gegensatz zum Schwedenkönig war er ein Reichsfürst und Mitglied des Kreises Niedersachsen. Zudem hatte er starke dynastische Interessen in den Bistümern Bremen, Verden und Osnabrück südwestlich des Herzogtums Holstein. 9 Bremen und Verden waren besonders wichtig, weil sie die Kontrolle über die Mündungen von Weser und Elbe ermöglichten. 1621 war Christians Sohn Frederik Koadjutor des Erzbistums Bremen geworden, wo ein Verwandter, Johann Friedrich von Holstein-Gottorp, Administrator war (1597–1634). 1623 wurde er als Nachfolger Philipp Sigismunds von Braunschweig-Wolfenbüttel Bischof von Verden. 10 Der Versuch, Frederik auch die Nachfolge Philipps im Bistum Osnabrück zu sichern, scheiterte knapp an der katholischen Mehrheit im dortigen Domkapitel, die Kardinal Eitel Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen wählte. 11 Das war ein deutliches Zeichen für die Öffentlichkeit: Das Kapitel wählte einen engen Berater des Kaisers und des Erzbischofs von Köln, Ferdinand von Bayern, beide Führer der katholischen Gegenoffensive im Reich. Sicher hatte Christian starke dynastische Gründe für die Bildung einer Streitkraft zum Schutz der Besitzungen seines Sohnes, doch sollte man sein Engagement zur Verteidigung der Freiheiten des Kreises Niedersachsen nicht unterschätzen. Er konnte durchaus zwischen seinen strategischen Erwägungen als dänischer König und seinem Einsatz als deutscher Fürst für die Verteidigung der Freiheit gegen den Kaiser unterscheiden. 12 Wahrscheinlich muss unentschieden bleiben, welchen Anteil die unterschiedlichen Interessen – Rivalität mit Schweden, Sorge über spanische Pläne für den Ostseeraum, dynastische Bestrebungen in den niedersächsischen Bistümern und Furcht vor einer kaiserlichen Intervention zugunsten der Katholiken in Nordwestdeutschland – in seinem Bewusstsein einnahmen, zusammen aber motivierten sie ihn 1625 zum Handeln. Zuerst mobilisierte er die Streitkräfte im Niedersächsischen Kreis. Im April 1625 gelang es ihm nach etlichem Hin und Her, sich zum Befehlshaber wählen zu lassen. 13 Natürlich hatte er den Vertreter des Kölner Erzbischofs (in seiner Eigenschaft als Bischof von Hildesheim) gegen sich, aber auch viele der protestantischen Kreismitglieder wollten sich nur ungern in einen Konflikt hineinziehen lassen und Geld zur Verfügung stellen. Als sie endlich darin übereinkamen, ein Heer von 10.000 Fußsoldaten und 3.000 Berittenen aufzustellen, ersuchten sie Christian sogleich, das Geld vorzustrecken, wobei sie baldige Rückzahlung versprachen. Zudem sollten die Truppen nur im Kreis und nur zu Verteidigungszwecken eingesetzt werden. Aber der Auftrag, Friedrichs V. Kurfürstentum zurückzuerobern, dem die

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Haager Allianz im Dezember 1625 zugestimmt hatte, verlieh Christans Politik eine offensive Stoßrichtung, was viele seiner Nachbarn im Kreis weiter beunruhigte. 14 Vor allem die Städte Lübeck, Hamburg und Bremen sahen in ihm einen gefährlichen, beutegierigen Ausländer. Die Solidarität im Kreis begann schon vor der Haager Allianz zu bröckeln. 15 Auch die Feindseligkeiten fingen schon vor dem Ausbruch des Krieges an, weil jede Seite sich beeilte, Winterquartiere zu beziehen und Nachschublinien aufzubauen. Zusätzlich zu seinen Streitkräften konnte Christian sich auf Söldnertruppen unter Mansfeld und Johann Ernst von Sachsen-Weimar stützen. Doch mit ihnen hatten die Kaiserlichen leichtes Spiel. Tillys Soldaten lagen an den Grenzen des Westfälischen Kreises in Garnison und Wallensteins wachsende Armee rückte schon bald nordwärts zur Elbe hin vor. Zunächst kam es noch zu kleineren Gefechten, dann, nach einem Sieg im April bei Dessau, startete eine kaiserliche Großoffensive. 16 Mansfelds Versuch, nach Süden zu entkommen, um sich mit Behtlen Gábor zu einem weiteren Angriff auf Wien zusammenzuschließen, machte Wallenstein durch einen Marsch zunichte, der ihn und sein Heer über 800 Kilometer von Zerbst in Anhalt bis nach Oberungarn führte. Der Angriff auf Wien kam nicht zustande, Bethlens türkische Geldgeber erlitten in Bagdad eine Niederlage und so schloss er Frieden mit Ferdinand. Mansfeld und Johann Ernst starben bald darauf und die Reste ihrer Heere wurden von dänischen Militärbeauftragten in den Norden zurückgebracht. Unterdessen hatte auch Christian eine verheerende Niederlage hinnehmen müssen: am 27. August 1626 bei Lutter am Barenberge. Zug um Zug löste sich das Bündnis auf. Die meisten Mitglieder des Niedersächsischen Kreises streckten gleich die Waffen. Christians Neffe, Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, zog seine Truppen zurück und kappte alle Verbindungen mit Dänemark. Die Herzöge von Mecklenburg wollten sich den Forderungen des einheimischen Adels nach Frieden nicht verschließen. 17 1627 machte es Wallenstein und Tilly keine Mühe, Christians Streitkräfte bis nach Holstein und Jütland zu verfolgen.18 Die Kaiserlichen teilten nun die Kriegsbeute unter sich auf und planten die Neuordnung Norddeutschlands. Der größte Gewinner war Wallenstein selbst: Am 1. Februar 1628 erhielt er das Herzogtum Mecklenburg, das seine Truppen im Vorjahr besetzt hatten, als Lehen. Seine Erhebung zu einem Fürsten des Reichs, verbunden mit der Übernahme eines herzoglichen Territoriums, das, gegen alle Tradition, einem Außenseiter statt einem fürstlichen Verwandten des geächteten Vorbesitzers zufiel, gehörte zu den vielen missgünstigen Vorwürfen, die später gegen ihn und Ferdinand erhoben wurden. 1628 aber wagte keiner einen Einwand. Nun schienen beide Hauptziele der Habsburger Politik zum Greifen nahe. Zum Ersten sah es so aus, als könnten nach dem militärischen Sieg im Norden Olivares’ Pläne für ein Handelsnetzwerk zwischen Spanien und dem Ostseeraum verwirk-

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licht werden. 19 Wallenstein hatte neben Mecklenburg noch den Titel eines »Generalissimus« erhalten, dem alle kaiserlichen Truppen unterstellt waren und dessen Machtbefugnisse denen des Kaisers glichen; außerdem war er noch »General des Ozeanischen und Baltischen Meeres«. Die Flotte existierte allerdings noch nicht und der Plan hing von der Kooperation der Hanse- und anderer Hafenstädte ab. 1628 scheiterte der Versuch, die strategisch wichtige pommersche Hafenstadt Stralsund zur Aufnahme einer kaiserlichen Garnison zu bewegen, woran sich die Schwäche einer rein landbasierten militärischen Position zeigte. Stralsund wehrte sich gegen die Belagerung durch einen auf 24 Jahre ausgelegten Pakt mit Schweden und erhielt dafür acht Schiffe mit Munition und Soldaten. Die Stadt verlor ihre Freiheit an Schweden, aber Wallensteins Abbruch der Belagerung war der erste ernsthafte Rückschlag für die kaiserlichen Streitkräfte. Christian IV. fühlte sich dadurch ermutigt, die nahe gelegene Insel Usedom einzunehmen und Jütland wie auch das dänische Kernland zu verteidigen, indem er Wallenstein durch eine Reihe von Raubzügen an den holsteinischen und pommerschen Küsten ablenkte. 20 So gelang es ihm, mit dem Kaiser in Lübeck einen durchaus ehrenhaften Frieden zu schließen: Er konnte seine Gebiete behalten, musste dafür aber versprechen, sich jeder weiteren Intervention im Reich zu enthalten. Allerdings war Christian nur im Landkrieg besiegt worden, während er weiterhin über seine tüchtige Flotte verfügte, sodass nun die Habsburger Nord- und Ostseepläne Makulatur waren. Zum Zweiten eröffnete der Sieg der Kaiserlichen die Möglichkeit, sich der Bistümer anzunehmen. Dazu gab es eine Reihe von Vorschlägen. 21 Maximilian von Bayern wollte sofort katholische Bischöfe und Domkapitel ernennen, aber alle Einkünfte aus den Bistümern zehn Jahre lang für sich behalten, um die Kriegskosten zu decken. Auf einer Konferenz in Brüssel im Herbst 1626 argumentierte Ferdinands Gesandter, dass der Kaiser die eroberten Pfründe unter seinen »verdienten Mitstreitern« verteilen sollte. Wallenstein empfahl, Halberstadt und Magdeburg gemäß Kriegsrecht zu beschlagnahmen und Ferdinands zweiten Sohn, den 14 Jahre alten Erzherzog Leopold Wilhelm, dort einzusetzen. Auf einem Treffen von Kurfürsten in Mühlhausen im Oktober und November 1627 wurden die katholischen Kurfürsten gebeten, Vorschläge zu machen, wie die Bistümer und anderes Kirchengut, das ab 1552 – in ihren Augen illegal – enteignet worden war, restituiert werden könnte. Fortschritte gab es schon bald. In Osnabrück wurde Franz Wilhelm von Wartenberg, entsprossen einer morganatischen Ehe Herzog Ferdinands von Bayern (ein Onkel von Maximilian I.), 1625 als Nachfolger Eitel Friedrichs gewählt und 1628, nach der Niederlage Christians IV., eingesetzt. 22 Erzherzog Leopold Wilhelm wurde 1627 in Halberstadt und das Jahr darauf in Magdeburg gewählt. 23 Diese Fortschritte im Norden ermutigten eine ganze Reihe katholischer Regenten anderswo zu intensiven Konfessionalisierungskampagnen. Die Kurfürstentümer von

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Mainz und Köln, die Fürstbistümer von Eichstätt, Bamberg und Würzburg und das Territorium des Fürstpropstes von Ellwangen in Schwaben ragten dabei besonders heraus. In den meisten von ihnen kam es jetzt zum ersten Mal zu umfassenden Hexenverfolgungen, die schlimmer als alles waren, was in dieser Hinsicht vor dem Krieg passiert war. 24 Einflussreiche Stimmen, darunter Maximilian von Bayern und der jesuitische Beichtvater des Kaisers, Wilhelm Lamormaini, drängten Ferdinand, die Zügel fest in die Hand zu nehmen. Offensichtlich auf der Höhe seiner Macht und im Glauben an die Solidarität der katholischen Fürsten fühlte Ferdinand sich bereit, den Problemen des Reichs seine Lösung angedeihen zu lassen. Am 6. März 1629 erließ er das Restitutionsedikt. 25 Alle Mehrdeutigkeiten des Friedensschlusses von 1555 wurden beseitigt und das Reichskammergericht war angewiesen, die kaiserliche (also katholische) Interpretation des Gesetzes zu übernehmen. Kaiserliche Kommissare sollten die Rückgabe aller von den Protestanten ab 1552 enteigneten Kirchengüter überwachen. Die Rechte derer, die zum Augsburger Bekenntnis standen, blieben gewahrt, doch Calvinisten und protestantische Sekten waren vom Religionsfrieden explizit ausgeschlossen. Wer die Umsetzung des Edikts behinderte, wurde mit »Acht und Aberacht« bedroht. 26 Die möglichen Folgen waren atemberaubend. Fast alle säkularisierten Bistümer waren direkt bedroht, und zwar nicht nur Bremen und Magdeburg, sondern auch Minden, Halberstadt, Lübeck, Verden, Ratzeburg, Schwerin und Cammin, von denen manche seit Langem als »territoriale« Bistümer galten. Der Status von Brandenburg, Havelberg und Lebus im Kurfürstentum Brandenburg war ungeklärt, obwohl man davon ausging, dass der Kaiser es nicht wagen würde, dort einzugreifen. Dem Kurfürsten von Sachsen wurde zugesichert, dass Meißen, Merseburg und Naumburg, die von seinen Vorgängern territorialisiert worden waren, unangetastet blieben. Tatsächlich jedoch wurde weder Sachsen noch Brandenburg etwas zugestanden, was über das in Mühlhausen 1627 gegebene Versprechen, kein Eigentum würde ohne Rechtsprozess zurückgefordert, oder über noch frühere Zusicherungen, die Ländereien seien sicher, sofern die Besitzer der Krone treu blieben, hinausging. Direkt erwähnt wurden im Edikt an die fünfhundert Klöster in Schwaben, Franken und Niedersachsen sowie, potenziell, alle anderen Kirchengüter in jeglichem protestantischen Territorium des Reichs. Noch vor Verkündung des Edikts machte sich Erzherzog Leopold daran, das Eigentum der katholischen Kirche im Elsass zu restituieren und alle Untertanen zur Konversion zu zwingen. Anderenorts begann die Rekatholisierung gleich nach der Verkündung. Binnen zweier Jahre waren fünf Bistümer und mehr als einhundert Klöster in den Schoß der katholischen Kirche zurückgekehrt. Kaiserliche Kommissare brachten, unterstützt von Truppen Wallensteins, fast zwanzig klösterliche Institutionen zurück, andere wur-

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den im Herzogtum Braunschweig, in Hessen und in Nassau reklamiert. Diese Vorgänge lösten fast überall Zorn und Bestürzung aus, zumal die Protestanten sich auf die Jahrhundertfeier des Augsburger Bekenntnisses von 1530 vorbereiteten. In manchen Gegenden wurde heftig Widerstand geleistet. In Magdeburg, wo die Restitution von Klöstern 1628 begonnen hatte, rebellierten die Einwohner gegen den Stadtrat und zwangen im September 1629 Wallenstein zum Abbruch einer Belagerung.27 Der protestantische Administrator, Christian Wilhelm von Brandenburg, kehrte im Juli 1630 heim, um seine Ländereien von dem damals sechzehnjährigen Erzherzog Leopold Wilhelm zurückzufordern. Nach einem Feldzug, in dessen Verlauf Magdeburg fast völlig in Flammen aufgegangen wäre, nahm Tilly im Mai 1631 das Erzbistum ein. Sein Triumph war kurzlebig: Schon im September wurden die meisten Städte des Territoriums von schwedischen Truppen besetzt. Das schwedische Eingreifen in den Krieg setzte dem Restitutionsprozess ein jähes Ende. Aber die Grundlagen von Ferdinands Autorität waren schon angegriffen, lange bevor Gustav Adolf am 6. Juli 1630 an der Küste von Usedom landete. Während der Kaiser anscheinend von Erfolg zu Erfolg eilte, wurden viele katholische Führer unruhig und ängstlich. So waren die katholischen Kurfürsten angesichts der maritimen Pläne Spaniens stark verunsichert und hegten den Verdacht, das sei Bestandteil von Habsburgs Geheimvorhaben, die deutsche Freiheit zu untergraben. 28 Auf dem Treffen in Mühlhausen im September 1627 hatten sie sich heftig über das Eindringen spanischer Truppen in ihre Territorien beklagt. Der Kurfürst von Köln, Ferdinand von Bayern, der dazu noch Bischof von Hildesheim, Münster, Lüttich und Paderborn war, hatte in all seinen Territorien ganz besonders unter dem spanischen Embargo gegen die Holländer und spanischen Garnisonen im Reich zu leiden.Vor allem aber wollte keiner von den katholischen Kurfürsten in den Konflikt zwischen Spanien und den Vereinigten Niederlanden hineingezogen werden. Maximilian von Bayern wiederum vernahm mit Entsetzen Gerüchte über ein Geheimabkommen, das im November 1626 zwischen Wallenstein und dem Kaiser in Bruck an der Leitha geschlossen worden sein sollte und Wallenstein angeblich das Recht zugestand, das ganze Reich zu besetzen, um es ausbluten und dann in die Hände des Kaisers fallen zu lassen. 29 Auf einem Treffen in Würzburg im Februar 1627 hatte die Liga eine Protestnote verfasst und nach Wien gesandt. Selbst die Rückeroberung der norddeutschen Bistümer führte zu Spannungen zwischen München und Wien. 30 Der Kurfürst von Köln, ein Wittelsbacher, hatte sich bereits mitsamt seinen Bistümern am Niederrhein und in Westfalen als regionaler Machtfaktor etabliert; nun war der Kaiser entschlossen, seinen Sohn, Erzherzog Leopold Wilhelm, zu fördern, während Maximilian, der wiederum seinen Sohn bereits versorgt hatte, jetzt ebenso entschlossen war, seinem Verwandten, Franz Wilhelm von Wartenberg, eine angemessene Stellung zu verschaffen. Maximilian mag als Kur-

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fürst ein Emporkömmling gewesen sein, dem insbesondere Sachsen und Brandenburg misstrauten, doch stand er allen Versuchen, die Krone zu stärken, genauso argwöhnisch gegenüber wie seine Kollegen. Unruhe gab es verständlicherweise auch unter den protestantischen Fürsten. Sachsens Loyalität hielt noch trotz härtester Prüfung in den 1620er Jahren. Brandenburg hatte an den Diskussionen im Vorfeld der Haager Allianz nur am Rand teilgenommen und sich zurückgezogen, bevor Christian IV. den Niedersächsischen Kreis mobilisierte. 31 Beide Kurfürsten weigerten sich, der Übertragung des Kurfürstentitels von der Pfalz nach Bayern zuzustimmen, da das konfessionelle Gleichgewicht damit zugunsten der Katholiken verschoben würde. Zudem bestritten sie dem Kaiser das Recht auf eine solche Maßnahme, zumal Maximilian ein Fürst von geringerem Status war. 32 Keiner der beiden nahm am Treffen von Mühlhausen 1627 teil, sie äußerten aber mit starken Worten ihren Protest gegen die Aktivitäten von Wallenstein und seine Belehnung mit dem Herzogtum Mecklenburg. Ebenso empört waren sie, wie viele andere protestantische Fürsten, als 1627 das Reichskammergericht das Urteil des Reichshofrats von 1623 über die Teilung von Hessen bestätigte. 33 Die lutherische Darmstädter Linie hatte sich gegen die 1604 vollzogene Besetzung von Territorien der ausgestorbenen Marburger Linie durch die calvinistische Kasseler Linie gewandt. Beide Gerichte entschieden zugunsten von Georg II. von Darmstadt und verurteilten Wilhelm V. von Kassel zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von einer Million Taler für die illegale Okkupation, die sein Vorgänger veranlasst hatte. Wieder bestritten die beiden Kurfürsten dem Kaiser und seinem Reichshofrat das Recht, in solchen Angelegenheiten zu entscheiden, zumal klar war, dass Kassel wegen seiner Religion verurteilt worden war. Das Restitutionsedikt brachte Sachsen und Brandenburg sodann an den Rand offenen Widerstands. Georg Wilhelm von Brandenburg war besonders erzürnt, weil er Gerüchte aus Wien gehört hatte, denen zufolge Ferdinand mit dem polnischen König konspirierte, um das Herzogtum Preußen, das Georg Wilhelm als polnisches Lehen hielt, zu rekatholisieren. Dennoch wollten die beiden Kurfürsten an ihrer Politik der Loyalität festhalten; immerhin hatten sie beträchtliche Belohnungen erhalten: Sachsen zum Beispiel für seine traditionelle Treue und die Unterstützung bei der Niederwerfung des böhmischen Aufstands die Lausitz. Brandenburgs Position wurde durch den Umstand kompliziert, dass der Kurfürst und sein Geheimrat reformiert, die Stände dagegen lutherisch waren. Als einziger reformierter Kurfürst nach der Exilierung Friedrichs V. war Georg Wilhelm besonders angreifbar. Früh zeigte er Interesse am Bündnis zwischen England, Holland und Dänemark, doch verweigerten ihm die Stände das Geld für ein Heer. Danach wurde die Politik durch Georg Wilhelms Favoriten und engsten Berater, den niederrheinischen Katholiken Adam von

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Schwarzenberg, bestimmt. Er hatte ausgezeichnete Kontakte nach Wien, verfuhr in seiner Politik aber weitgehend nichtkonfessionell und förderte damit eher die Dynastie seines Herrn als dessen Konfession. 34 Er unterstützte also die Krone und erhielt im Gegenzug Zusicherungen für Magdeburg und Kleve, das Versprechen des Kaisers, Brandenburg bei der Nachfolge in Pommern, wo das Aussterben der herzoglichen Linie absehbar war, zu unterstützen, sowie das vage Versprechen, in Mecklenburg die Nachfolge Wallensteins antreten zu können. Der Mantuanische Erbfolgekrieg gab den katholischen wie auch den protestantischen Kurfürsten den Anlass, aktiv zu werden. Vincenzo II., der Herzog von Mantua und Montferrat, hinterließ keinen männlichen Erben. Das führte zu einem Kampf zwischen Frankreich und dem spanischen König. Frankreich unterstützte die Ansprüche des Herzogs von Nevers, während Spanien eine französische Nachfolge um jeden Preis verhindern wollte. Ferdinand war als Oberherr des Herzogtums und aufgrund der zwischen Spanien und Österreich vereinbarten gegenseitigen Unterstützung direkt involviert. Dank Spaniens desolater Finanzlage, die sich noch verschärfte, als die Holländer am 8. September 1628 die Silberfracht der aus Südamerika kommenden Flotte kaperten, konnte Nevers das Herzogtum übernehmen. Die lange spanische Belagerung von Casale machte die Sache nicht einfacher, zumal der Konflikt mit den Holländern ein kritisches Stadium erreicht hatte. Die Lage verschlimmerte sich weiter, als die französische Monarchie im Oktober 1628 die hugenottische Festung La Rochelle genommen hatte. Im Februar 1629 führte Ludwig XIII. ein französisches Heer über die Alpen, um Casale zu entsetzen. 35 Österreich musste eingreifen, um die spanische Position in Norditalien zu retten. Zwei schwerwiegende Folgen ergaben sich daraus. Zum einen war ein Krieg zwischen Frankreich und, auf der anderen Seite, Spanien und Österreich unvermeidlich geworden. Zum anderen protestierten die deutschen Kurfürsten lautstark gegen die Entsendung von 50.000 Soldaten aus Wallensteins Armee nach Italien. Auch viele deutsche Fürsten waren dagegen, dass Institutionen des Reichs für die Interessen der spanischen Habsburger eingesetzt werden sollten. Vielleicht hatten die Gerüchteköche Recht: Der Kaiser wollte die »teutsche Libertät« untergraben, indem er aus Deutschland eine Monarchie à la Frankreich und Kastilien machte.

Anmerkungen 1

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Press, »Fürst Christian I.«, 213–214; ADB, Bd. VI, 149. Im westlich von Hamburg elbnah gelegenen Stade gab es ab dem späten 16. Jahrhundert eine kleine Gemeinschaft holländischer Calvinisten; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. III, 52–54. Parker, Thirty Years War, 92. Bireley, Religion, 24–25; Elliott, Olivares, 216–219; Lockhart, Denmark, 85–86. Documenta Bohemica, Bd. III, 258–264; Memoranden von Georg Ludwig von Schwarzenberg und Johann Ulrich von Eggenberg.

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Bireley, Religion, 25–27; Documenta Bohemica, Bd. III, 264. Wolgast, Hochstift, 326. Schubert, Camerarius, 189–213; Clasen, Palatinate, 26–30. Camerarius war von 1626 bis 1641 schwedischer Gesandter in den Vereinigten Niederlanden. Schubert, Camerarius, 306–338; ADB, Bd. III, 724–726. Lockhart, Denmark, 74. Lockhart, Frederik II, 306–308. Eitel Friedrich war Probst von Magdeburg, Köln und Straßburg, kurkölnischer Obersthofmeister und enger Berater des Kaisers bei den Verhandlungen in Frankfurt und München 1619. Dafür ernannte ihn Papst Paul V. im Januar 1621 zum Kardinal. ADB, Bd. XLVIII, 327–328. Lockhart, Denmark, 131–132. Schormann, Krieg, 36; Guthrie, Battles, 118–119. Asch, Thirty Years War, 80–88. Lockhart, Denmark, 126. Guthrie, Battles, 120–122. Lockhart, Denmark, 149. Lockhart, Denmark, 174–176. Elliott, Olivares, 332–335, 360–361. Lockhart, Denmark, 189–191. Wolgast, Hochstift, 326. Schwaiger, Wartenberg, 23–28, 31–34; NDB, Bd.V, 365; Gatz, Bischöfe 1648 bis 1803, 558– 561. Wolgast, Hochstift, 327–328. Vgl. S. 669–677. Frisch, Restitutionsedikt, 22–68 (Abdruck des Edikts auf den Seiten 183–194). Die »Aberacht« trat nach einem Jahr und einem Tag (»nach Jahr und Tag«) in Kraft. Die Unterscheidung zwischen Acht und Aberacht war zu der Zeit schon nicht mehr virulent, aber man benutzte die Formel noch, um die Schwere eines Vergehens zu betonen. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. I, 582–583, und Bd. II, 424–425. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 81–83. Kessel, Spanien, 52–57, 269–303; Israel, Dutch Republic, 204–223. Mann, Wallenstein, 441–450. Wolgast, Hochstift, 327–329. Lockhart, Denmark, 116–118. Gotthard, Säulen, Bd. I, 105–112. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. IV, 283–284; Parker, Thirty Years War, 86. Kober, »Favorit«, 237–238. Wilson, Europe’s tragedy, 424, 440–446; Press, Kriege, 212–215; Parker, Thirty Years War, 41, 105–109; Schormann, »Krieg«, 245–249; Kampmann, Europa, 65–66.

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ie Jahre von 1630 bis 1635 werden häufig als »Schwedischer Krieg« bezeichnet. Das ist richtig, sofern es sich auf die Rolle bezieht, die Gustav Adolf und sein Kanzler Oxenstierna spielten, doch lenkt es die Aufmerksamkeit von der Hauptstoßrichtung der deutschen Politik nach dem Restitutionsedikt ab: Katholiken wie Protestanten unternahmen, wiewohl einander keineswegs freundlich gesinnt, gemeinsame Anstrengungen, um das Reich und natürlich ihre jeweiligen Interessen vor den Bestrebungen des Kaisers und der Schweden zu schützen. Die ersten entscheidenden Schritte machten die katholischen Kurfürsten. Ihr Misstrauen gegen Wallenstein war weiter gewachsen und so spielten sie ihre Macht aus. Seit 1628 war Ferdinand darauf bedacht, seinen Sohn, der bereits König von Böhmen und Ungarn war, zum römischen König wählen zu lassen. Aber das Thema wurde nicht einmal formell auf die Tagesordnung für das Treffen gesetzt, das der Kurfürst von Mainz für Juli 1630 in Regensburg einberufen hatte. 1 Während der fünf Monate währenden Zusammenkunft wurde es demonstrativ ignoriert, während die Kurfürsten systematisch ihre eigenen Ziele verfolgten. Ferdinand musste der Forderung zustimmen, das Reich zukünftig nicht ohne die ausdrückliche Erlaubnis der Kurfürsten in einen Krieg zu führen. Er verpflichtete sich, die militärischen Aktivitäten in Italien einzustellen und im Oktober mit Frankreich Frieden zu schließen. Vor allem wurde er gezwungen, Wallenstein zu entlassen und das Kommando über das um gut drei Viertel reduzierte Heer auf den General der Liga, Tilly, zu übertragen. Jegliche Erörterung über ein mögliches Eingreifen des Reichs in den spanisch-holländischen Konflikt, die Ferdinand sich von den Kurfürsten erhofft hatte, wurde vertagt, weil, so die Begründung, dies eine Angelegenheit sei, die alle Stände beträfe und darum nur von allen entschieden werden könne. Unbeantwortet blieben die Fragen nach dem Schicksal des geächteten ehemaligen Kurfürsten der Pfalz und nach der Durchsetzung des Restitutionsedikts. Auch in Bezug auf die Nachfolge Ferdinands wurde nichts unternommen. Der Regensburger Kurfürstentag stand im Zeichen der Agenda der katholischen Kurfürsten, die zugleich als Anführer der Liga zusammenkamen. Die beiden protestantischen Kurfürsten waren nicht persönlich anwesend. Ihnen ging es nicht so sehr um Wallenstein als um die Restitutionsproblematik. Dabei jedoch

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blieben die Katholiken unversöhnlich, weshalb die protestantischen Kurfürsten ihre bisherige Politik der Loyalität gegenüber dem Kaiser einer Neubewertung unterzogen. Doch selbst noch 1630 zauderte Johann Georg von Sachsen, während Georg Wilhelm von Brandenburg darauf drängte, aktiv zu werden. Die beiden trafen sich im April 1630 in Annaberg, doch ohne klares Ergebnis; bei einem zweiten Treffen im September in Zabeltitz wurde vereinbart, dass Johann Georg für den Februar 1631 alle protestantischen Regenten nach Leipzig zusammenrief, um die Sorgen und Beschwerden zu erörtern und ein gemeinsames Vorgehen zu beschließen. 2 Die katholischen Kurfürsten wollten dieses Treffen verhindern, indem sie eine Konferenz von Katholiken und Protestanten zur Überprüfung des Restitutionsedikts ankündigten. Fast hätte Johann Georg daraufhin seine Pläne wieder geändert, doch erwies sich die Tatsache, dass sich die führenden Theologen Sachsens und Brandenburgs ebenfalls in Leipzig trafen, um sich zu verständigen und einigen, für die Entscheidungen der Regenten als hilfreich. 3 Im April 1631 bildeten sie einen Verteidigungsbund mit einem Heer von 40.000 Mann unter Leitung des Kurfürsten von Sachsen. Sie forderten die Annullierung des Restitutionsedikts, den Rückzug von Tillys kaiserlichen und ligistischen Truppen aus allen protestantischen Territorien und die Beendigung der Abgaben zur Erhaltung der Truppen. Ihr allgemeines Ziel sei es, so erklärten sie, die grundlegenden Gesetze, die Reichsverfassung und die deutsche Freiheit der protestantischen Stände aufrechtzuerhalten. 4 Was die beiden protestantischen Kurfürsten hauptsächlich zu ihrem Abkommen veranlasste, war die Nachricht, dass der schwedische König auf Usedom gelandet sei. Der Regensburger Kurfürstentag hatte ein Machtvakuum hinterlassen, in das sie als dritte Kraft zwischen dem Kaiser und Gustav Adolf vorzudringen gedachten. Ähnliche Überlegungen brachten Maximilian von Bayern dazu, im Mai 1631 ein Bündnis mit Frankreich zu schmieden. 5 Nach dem Vertrag von Bärwalde, den Frankreich und Schweden im Januar 1631 geschlossen hatten, fürchtete Maximilian nun die Schweden, so wie er zuvor den Kaiser gefürchtet hatte, vor allem, weil der Vertrag die »Restitution der unterdrückten Stände« vorsah. Der Geheimvertrag von Fontainebleau gab ihm die verlangten Sicherheiten: ein für acht Jahre gültiges gegenseitiges Verteidigungsabkommen, die Anerkennung seines Kurfürstentitels und die Bezuschussung seiner finanziellen Verpflichtungen gegenüber Kaiser und Reich. Richelieu kalkulierte damit, dass nun weitere katholische Fürsten ihre Treue zum Kaiser überdenken könnten. Außerdem konnte Frankreich eventuell zwischen Gustav Adolf und seinen Gegnern im Reich die Rolle eines Vermittlers übernehmen. Doch wurden alle durch die Schwächung der kaiserlichen Position hervorgeru-

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fenen Überlegungen vom Vordringen der schwedischen Truppen zunichtegemacht. Sie kamen so rasch voran, dass selbst der letzte Versuch einer bikonfessionellen Erörterung des Restitutionsedikts vorzeitig beendet wurde. 6 Die Konferenz war auf Vorschlag der katholischen Kurfürsten anberaumt worden und so fanden sich im August 1631 in Frankfurt die Vertreter von vierzehn katholischen und einundzwanzig protestantischen Territorien ein. Doch Anfang Oktober war noch nichts erreicht worden und die katholischen Delegierten ergriffen die Flucht, um nicht in die Hände der vorrückenden schwedischen Streitkräfte zu fallen. Das hatte wohl niemand vorausgesehen, als Gustav Adolf am 6. Juli 1630 mit zunächst nur 1.000 Fußsoldaten und 3.000 Berittenen an der Küste von Usedom landete. Seine Karten reichten nicht einmal bis zur Elbe. Deutsche Protestanten haben im 19. und frühen 20. Jahrhundert den schwedischen König abwechselnd als heldenhaften protestantischen Missionar, den Streiter für die deutsche protestantische Nation, das politische Gegenstück zu Luther oder den blonden arischen Übermenschen dargestellt. 7 Nach seinen ersten militärischen Erfolgen im Reich bejubelten ihn zeitgenössische Flugblattschreiber gar als »Löwen des Nordens«, der von einer anonymen, aber äußerst populären Vorkriegsprophezeiung als Streiter für das wahre Christentum, Geißel des Hauses Habsburg und Erbauer eines neuen Zeitalters von Frieden und Einheit im Reich vorausgesagt worden war. 8 Allerdings war in der Erklärung vom Juni 1630, die der Landung vorausging, von der Verteidigung des Protestantismus nicht die Rede und selbst sechs Jahre später und vier Jahre nach Gustav Adolfs Tod 1632 erinnerte der schwedische Kanzler Axel Oxenstierna seinen Staatsrat daran, dass der Krieg »nicht so sehr eine Sache der Religion, sondern der Rettung des status publicus, zu dem auch die Religion gehört«, gewesen sei. 9 Tatsächlich entwickelten sich Schwedens Kriegsziele mit den anfänglich so nicht erwarteten Erfolgen. Begonnen wurde der Feldzug im Dienst der schwedischen Sache. Obwohl Gustav Adolf schon zu Beginn der 1620er Jahre Interesse an einem Eingreifen in die deutsche Politik gezeigt hatte, ging es ihm zuallererst um den Anspruch seiner katholischen Verwandten in Polen auf die schwedische Krone und um die Bedrohung durch Dänemark im Ostseeraum, dem jüngsten Konflikt in einer langen Reihe von Streitigkeiten zwischen den beiden Ländern. Die Kontrolle über die Ostsee war kein Zweck an sich, sondern die Garantie für Sicherheit und dringend benötigte Profite. Dem Pfälzer Rat Ludwig Camerarius mag 1623 ein Krieg zur Wiedereinsetzung Friedrichs als böhmischer König und zur Einsetzung Gustav Adolfs als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs vorgeschwebt haben. 10 Aber der schwedische König verlor daran schnell das Interesse, sobald die Idee einer Invasion über die Weichsel zum Angriff auf Böhmen und Österreich aufgegeben wurde. 1625 startete er einen Feldzug gegen Polen mit einem Angriff auf Livland und den polnischen Teil Preußens. 11

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Dieses Unternehmen verband sich erneut mit der Idee, in einem zweiten Stadium des Kriegs erst Schlesien und dann die österreichischen Erblande anzugreifen. 1626 konnte Gustav Adolf erfolgreich die Ostseeküste von Danzig bis nach Narva (Estland) unter Kontrolle bringen, was Kaiser Ferdinand in Unruhe versetzte, nicht nur, weil er der Schwager des polnischen Königs Sigismund III. war, sondern auch aufgrund seiner eigenen militärischen Ambitionen in Norddeutschland. Wallenstein befürchtete einen schwedischen Angriff auf die Küste Pommerns und begann im August 1626 einen Feldzug, um die Schweden aus Preußen zu vertreiben. Im darauffolgenden Jahr entsandte er ein Regiment zur Unterstützung des polnischen Königs. Bald darauf kommentierte er sein Vorgehen: Hätte er die schwedische Gefahr ignoriert, wäre ihm ein Feind erwachsen, der schlimmer als die Türken wäre. 12 Wallensteins Strategie zwang Gustav Adolf, seine Aufmerksamkeit von Schlesien auf Niedersachsen zu richten, denn von dort drohte größere Gefahr. Die spanisch-österreichischen Pläne für ein maritimes Bündnis unter Einbeziehung Polens bedrohten alles, was Schweden bisher erreicht hatte, ja sogar die schwedische Wasa-Dynastie selbst. So lag der schwedische König mit den Habsburgern gleich auf zweierlei Weise im Konflikt: Einerseits unterstützten sie seine Rivalen, die katholischen Wasas, andererseits hatten sie Pläne für die Ostsee, die Polens Macht Auftrieb gegeben hätten. Die schwedische Propaganda der 1620er Jahre spiegelte diese Dualität, die später für den Krieg in Deutschland nutzbar gemacht werden konnte. 13 Zum einen wurde der Konflikt mit Polen als Krieg zwischen Protestantismus und Papisterei dargestellt, den die schwedische Krone zu führen moralisch verpflichtet sei. Zum anderen konnten die Konflikte der 1620er Jahre im Rahmen der nationalen Mythologie präsentiert werden, die die schwedische Geschichte zu ihren gotischen Ursprüngen zurückverfolgte. Die humanistischen Gelehrten des 16. Jahrhunderts schmückten die Behauptung, die Schweden seien die älteste Nation, entsprechend aus, was dann als Rechtfertigung für alles Mögliche herhalten konnte, von der Behauptung des Vorrangs über die Herrscher des Heiligen Römischen Reichs bis zu militärischen Expeditionen nach Polen, Pommern und Mecklenburg, wobei man sich auf König Berik aus dem 9. Jahrhundert berief. 14 Aber auch die Spanier wollten von den Goten abstammen und so beriefen sich Schweden wie Spanier auf die Westgoten, die in grauer Vorzeit in Spanien gelandet waren. Gelehrte in beiden Ländern schufen um 1600 Mythen über westgotische Ursprünge. 15 In beiden Fällen wurde der Mythos als Erklärung und Rechtfertigung für einen universellen Konflikt, die Religion betreffend, benutzt, wobei das religiöse Thema vor allem für das gewöhnliche Volk, der westgotische Mythos für die Gebildeten gedacht war, aber in der schwedischen Propaganda geriet beides durcheinander und so trugen westgotische Krieger und Römerkönige den schwedischen Löwen gemeinsam übers Meer. 16

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Die Stände erteilten Gustav Adolf im Januar 1628, zwei Monate nach Wallensteins entscheidendem Schlag gegen den dänischen König Christian IV., ihre Zustimmung zum Krieg gegen den Kaiser. Christian hatte die Schweden um Hilfe gebeten, aber da er überlebte, verschob Gustav Adolf eine Intervention, die ihn von seinem Konflikt mit Polen abgelenkt und seinen ehemaligen Rivalen unnötig gestärkt hätte. Da bot Wallensteins Belagerung von Stralsund im Sommer 1628 eine vielversprechende Gelegenheit. Eine eher bescheidene Streitmacht reichte, um Wallenstein zum Rückzug zu zwingen und dem schwedischen König ein Bündnis zu bescheren, das die Stadt fest an ihre Befreier band, die dort eine starke Garnison einrichteten. 17 Damit hatte er die Kontrolle über den polnischen Teil der Ostseeküste nach Westen erweitert und fasste bald darauf Wismar ins Auge, Wallensteins einzigen großen westlichen Marinestützpunkt. Doch trotz einer erneuten Resolution im Januar 1629 ergriff Gustav Adolf keine Initiative zum Kampf gegen Kaiser Ferdinand. Zu diesem Zeitpunkt verfolgte Gustav Adolf weiterhin das Ziel, seine Strategie gegen Polen auszuweiten: Er wollte Wallensteins Truppen von der Küste vertreiben und dafür sorgen, dass sie nicht zurückkamen. In diesem Sinn war die »Erklärung«, die vor der Landung auf Usedom abgegeben wurde, ganz ehrlich: Gustav Adolf beklagte sich darüber, dass der Kaiser Polen geholfen habe und die Habsburger Ostseepläne Schweden bedrohten. Außerdem wollte Gustav Adolf die Freiheit der deutschen Fürsten bewahren. Auch dieses Vorhaben diente dazu, die Ostseeküste durch Wiederherstellung des Status von 1618 zu sichern und dafür Sorge zu tragen, dass die wiedereingesetzten protestantischen Stände nicht noch einmal von kaiserlich-katholischen Streitkräften überwältigt werden konnten. Das würden schwedische Stützpunkte in Stralsund, Wismar und anderswo garantieren. Sie sollten bleiben, solange es nötig war. 18 Am Ende war es eine französische Intervention, die den Feldzug in Deutschland ermöglichte. Im September 1629 vermittelte Frankreich einen sechsjährigen Waffenstillstand zwischen Polen und Schweden in Altmark. So konnte Schweden Livland und die Zolleinkünfte der Ostseehäfen zwischen Danzig und Narva behalten, während Polen seine Ansprüche auf den schwedischen Thron wahrte. Damit ging Gustav Adolf zwar ein erhebliches Risiko ein, aber er sicherte sich eine strategisch günstige Position an der Ostseeküste und vor allem die Zolleinkünfte (die einem Drittel der gesamten schwedischen Staatseinkünfte entsprachen), was beides von unschätzbarem Wert war. 19 Außerdem versprach Frankreich finanzielle Unterstützung, die sich auf jährlich 400.000 Taler für eine schwedische Streitmacht von 36.000 Mann belief. Gustav Adolf musste nicht länger zögern. Als er mit seinen Truppen landete, war die kaiserliche Macht auf einem Tiefpunkt angelangt. Wallenstein hatte man entlassen, die besten Truppen waren in Italien, Polen sowie den Niederlanden engagiert und um die im Reich verbliebenen

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drehte sich eine Auseinandersetzung darüber, ob kaiserliche Truppen mit denen der Liga zusammengeführt werden sollten oder ob Tilly Oberbefehlshaber zweier unterschiedlicher Streitkräfte sein sollte. Den Schweden konnte das nur recht sein, denn ein großer Feldzug war momentan gar nicht zu leisten und ihre Intervention war nicht eben begeistert aufgenommen worden. Da gestaltete es sich einfacher, die Truppen aufs Festland zu bringen und in Pommern einen Brückenkopf einzurichten, indem man die Herzöge durch den Vertrag von Stettin (vom 20. Juli 1630) zu einem »ewigen« Bündnis zwang, das sie verpflichtete, ihre Ressourcen dem schwedischen Militär zur Verfügung zu stellen, und Schweden das Recht gab, das Herzogtum zu beschlagnahmen, wenn Bogislaw XIV. ohne männlichen Erben starb. 20 Ansonsten verbündeten sich nur Bremen und das geplagte Magdeburg mit den Schweden, dazu noch eine Handvoll enteigneter Fürsten. Es ist bezeichnend für die anfänglich begrenzten Kriegsziele Gustav Adolfs, dass die mit den meisten Fürsten abgeschlossenen Verträge nur ihre Restitution und die Zahlung von Entschädigung (satisfactio) vorsahen. Lediglich die Territorien an der Ostseeküste wurden in »ewige« Verträge eingebunden, die dauerhafte Sicherheit (assecuratio) und Entschädigungszahlungen für Schweden garantieren sollten. 21 Unterdessen trafen sich die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg mit weiteren protestantischen Fürsten im Februar 1631 in Leipzig, um ihre Neutralität und Unabhängigkeit zu erklären. 22 Ihre Hoffnung, dass die Bildung des Leipziger Bundes Ferdinand zum Einlenken bewegen und somit die schwedische Intervention überflüssig machen könnte, wurde durch Tillys vernichtenden Angriff auf Magdeburg im Mai 1631 zunichtegemacht. 23 Gustav Adolf kam zu spät, um Magdeburg zu retten, aber das Massaker an der Einwohnerschaft und das Niederbrennen der Stadt schufen eine neue Situation. Nachrichten von Tillys brutalem Vorgehen – in Wirklichkeit trug er wohl nicht die Schuld – wurden in ganz Europa durch Zeitungen, Flugschriften und Flugblätter verbreitet. Weitverbreitete Sympathie für die Sache der Protestanten, im Reich und international, stärkte Gustav Adolfs Position und veranlasste den Kurfürsten von Brandenburg, durch dessen Gebiet die Schweden nach Magdeburg marschiert waren, sich dem Feldzug anzuschließen. Am 11. September war auch der Kurfürst von Sachsen dazu bereit, nachdem der Kaiser Tilly befohlen hatte, gegen Sachsen einen Präventivschlag zu führen. Erneut schlug Ferdinands Versuch, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen, fehl und es sollte noch schlimmer kommen. Am 17. September brachten die Streitkräfte des schwedischen Königs im Verbund mit ihren diversen Alliierten Tilly bei Breitenfeld nahe Leipzig eine vernichtende Niederlage bei. Damit änderte sich alles, denn damit endete eine lange Periode militärischer Überlegenheit für die kaiserlichen Streitkräfte. Gustav Adolf war jetzt in der Lage, sich zum Herren von Deutschland aufzuschwingen und den Plan für eine deutsche Liga unter seiner

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Führung, den er im Mai 1631 formuliert hatte, in die Tat umzusetzen. 24 Das reichte nun weit über die anfänglichen Ziele, die mit der Sicherung der Ostseeküste verbunden waren, hinaus. Gustav Adolfs Kanzler, Axel Oxenstierna, war skeptisch und fragte sich, wie der König seine Position an der Küste von Stützpunkten am Rhein, in Schwaben oder Bayern aus verteidigen wollte. 25 Aber jetzt schienen die vagen Ziele, die in der schwedischen religiös-westgotischen Propaganda anklangen, auf einmal erreichbar: Führerschaft einer siegreichen protestantischen Liga und die Errichtung eines schwedischen Imperiums in Deutschland. Zugleich radikalisierte der schwedische Sieg die Forderungen vieler protestantischer Fürsten, was einen Kompromiss mit dem Kaiser eine Zeit lang wenig wahrscheinlich machte. 26 Die Schweden ließen Tillys Heer entkommen. Ein Teil, unter Graf Pappenheim, marschierte nach Nordwesten, von wo aus er die schwedischen Nachschublinien bedrohte. Tilly selbst zog sich nach Hessen-Kassel zurück und ging dann nach Nördlingen, um sich zwecks Verteidigung von Bayern mit den Streitkräften Maximilians zu vereinen. Auch Gustav Adolf teilte seine Truppen auf. Eine Gruppe zog nach Norden, um Mecklenburg zu schützen, eine andere stieß nach Magdeburg und von dort nach Westfalen vor. Das sächsische Heer marschierte durch Böhmen, um Prag einzunehmen; eine Hilfstruppe besetzte Schlesien. Der Hauptteil der schwedischen Armee marschierte nach Erfurt, der Stadt des Kurfürsten von Mainz, wo Gustav Adolf sich den versammelten Räten und Vertretern der Bürgerschaft als der Erretter des Protestantismus vorstellte.Von dort ging es durch Franken nach Frankfurt und Mainz, wo er sein Winterquartier aufschlug. In Mainz unternahm der schwedische König den Versuch, die Fundamente einer neuen Ordnung in Deutschland zu legen.27 Seine Gemahlin, Maria Eleonora, wurde an einem neuen Hof in Mainz untergebracht und Oxenstierna zum König bestellt. Die katholischen Fürsten und Bischöfe flohen; ihre Territorien wurden als Kriegsbeute behandelt. Die Bibliotheken und Kunstsammlungen von Kirchen, Klöstern und Fürstenhöfen wurden geplündert, die besten Bücher und Kunstwerke nach Stockholm gebracht. Viele Territorien wurden vom neuen Herzog von Franken, wie Gustav Adolf sich selbst bezeichnete, an treue Befehlshaber wie Herzog Bernhard von Weimar vergeben. Der König zog nun sehr viel mehr Verbündete als bisher an, doch gehörten sie weiterhin hauptsächlich zu den weniger mächtigen Adligen des Reichs: fränkische Reichsritter, die ernestinischen Fürsten von Sachsen-Weimar, Vertreter von Reichsstädten wie Ulm und Straßburg und – wieder einmal – jene Fürsten, die in den 1620er Jahren enteignet und vertrieben worden waren, zuallererst der ehemalige Pfälzer Kurfürst Friedrich V., der sofort aus Den Haag nach Mainz gekommen war, um dem neuen Herrn seine Aufwartung zu machen. Andere mussten zum Bündnis mit Schweden gezwungen werden und Verträge schließen, die für Gustav Adolf wichtig waren, damit die deutschen Territorien für seine Truppen aufkamen.

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Es fielen hohe Kosten an, was Gustav Adolfs Herrschaft nicht eben populär machte. Auch kam die Bildung einer Liga ebenso wenig voran wie die diversen Pläne des Königs für eine Reform der Reichsinstitutionen. Es war nicht einmal klar, ob er Kaiser oder nur ein Fürst des Reichs werden oder das Reich zerstören wollte. Aber im Augenblick sicherte ihm die Überlegenheit der Waffen die Treue der deutschen Protestanten. Die kaiserliche Position sollte sich noch weiter verschlechtern. Als Tilly im März 1632 versuchte, schwedische Truppen aus Bamberg zu vertreiben, war das für Gustav Adolf die Rechtfertigung, gegen Bayern vorzurücken, das er bisher, gemäß dem Vertrag von Bärwalde, als neutral hatte betrachten müssen, da es durch den Vertrag von Fontainebleau mit Frankreich verbündet war. Nach ein paar Wochen hatte die Hauptmacht des Königs die bayrische Grenze erreicht. Tillys Heer wurde bei Rain aufgerieben und der Feldherr selbst tödlich verletzt. Am 17. Mai zogen Gustav Adolf und Friedrich V. im Triumph in München ein. Jetzt wurden Maximilians Sammlungen wie vor zehn Jahren die von Friedrich in Heidelberg geplündert, die Kanone und andere Waffen gingen an Gustav Adolf über. Die umliegenden Städte und Dörfer wurden ausgeraubt. Maximilian floh nach Salzburg und kehrte erst nach drei Jahren in seine Residenzstadt zurück. Der Kaiser befand sich jetzt in einer verzweifelten Lage. Er konnte sich nicht mehr auf die Katholische Liga stützen und seine spanischen Verwandten hatten kaum noch die Möglichkeit, ihm zu helfen. 28 Schwedische Eroberungen am Rhein blockierten die »spanische Route«, und obwohl Speyer im Frühjahr 1632 zurückgewonnen wurde, blieb die spanische Position labil. Unter neuen Angriffen seitens der Holländer zogen die Spanier ihre Truppen aus den Garnisonen im Reich zusammen, doch konnten sie den Verlust von Maastricht im August 1632 nicht verhindern. In Italien wurden die spanischen Streitkräfte nach dem Ende des Mantuanischen Erbfolgekriegs durch die Pest dezimiert. In dieser sich fortlaufend verschlimmernden Situation schien es keine Alternative zur Reaktivierung von Wallenstein zu geben. Bereits im Dezember 1631 hatte es Gespräche gegeben, bei denen der General zusagte, für den Kaiser eine substanziell neue Armee von 70.000 Mann aufzustellen und auszurüsten. Im April 1632 erhielt er umfangreiche Kommandobefugnisse.29 Die genauen Bedingungen des in Göllersdorf (Niederösterreich) geschlossenen Abkommens sind nicht bekannt, scheinen aber Wallenstein mit der Autorität ausgestattet zu haben, begrenzte Friedensverträge zu unterzeichnen, das Oberkommando über alle kaiserlichen Streitkräfte im Reich zu übernehmen und alle von ihm eroberten Gebiete entweder zu beschlagnahmen oder die jeweiligen Regenten zu verschonen. Des Weiteren sollte der König von Ungarn – der Erbe des Kaisers und spätere Ferdinand III. – vom aktiven Militärdienst befreit und das Restitutionsedikt widerrufen

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werden. Für alle Gebiete, die Wallenstein während des Kriegs verlöre, würde er als Ausgleich Ländereien in Österreich erhalten. Wallenstein operierte taktisch vorsichtig, denn er wollte die einzig noch verbliebene kaiserliche Armee nicht aufs Spiel setzen. Er marschierte nach Westen, um in der Oberpfalz die Restbestände von Maximilians Heer zu übernehmen und richtete sich dann in einem gut befestigten Kastell vor den Toren von Nürnberg ein. Unterdessen begannen seine Befehlshaber damit, die Sachsen aus Böhmen und Mähren nach Norden abzudrängen. Gustav Adolfs Unterfangen, Wallenstein bei Nürnberg zu belagern, führte zu nichts. Er hing für Monate fest, erlitt schwere Verluste und versäumte den entscheidenden Durchbruch, den er benötigt hätte, um nach Wien vorzustoßen. Als Gustav Adolf die Belagerung abbrach, marschierte Wallenstein nach Sachsen und nahm am 1. November Leipzig ein. Nun glaubte er, für dieses Jahr seien die Kämpfe beendet, und schickte seine Leute ins Winterquartier. Aber er wurde von den Schweden, die ihm nach Norden gefolgt waren, überrascht und bei Lützen zur Schlacht gezwungen. Gleich starke Heere standen einander gegenüber, es kam zu heftigen Gefechten mit schweren Verlusten auf beiden Seiten.Wallenstein sah keine Erfolgsperspektive und zog sich nach Böhmen zurück. Die Niederlage legte er seinen Offizieren zur Last, von denen er siebzehn hinrichten ließ. Die Schweden aber konnten ihren Erfolg nicht genießen, denn Gustav Adolf war auf dem Schlachtfeld gestorben. Der Tod des Schwedenkönigs im Alter von nur 39 Jahren rief unter den Verbündeten Bestürzung hervor: Die letzte wahrhaft charismatische Persönlichkeit hatte den Kriegsschauplatz verlassen. Seine Thronfolgerin, Tochter Christina, war erst sechs Jahre alt. Nun lag die schwedische Politik, daheim und im deutschen Reich, in den Händen von Kanzler Axel Oxenstierna. Er kannte Deutschland gut, denn er hatte in Rostock, Jena und Wittenberg studiert. Er war vorsichtiger, politisch geschickter und nicht so impulsiv wie sein verstorbener König, doch fehlte ihm, trotz seines Selbstbewusstseins im Umgang mit Fürsten und Monarchen, die Autorität der Krone. Frankreich machte sich gleich daran, Schwedens Position einzuschränken. Besorgt hatte Richelieu die schwedischen Erfolge im Westen und Süden beobachtet und bot deutschen Fürsten und Städten weiterhin Schutz an: Trier bereits 1631, vielen anderen 1632 und 1633. Im August 1633 besetzten französische Truppen Lothringen und eroberten Nancy und andere wichtige Orte. Ende 1634 kontrollierte Frankreich einen breiten Streifen Reichsgebiet zwischen Basel im Süden, Koblenz im Norden und Lothringen im Westen. In Kaiserslautern, Speyer, Philippsburg, Mannheim und Ehrenbreitstein (Kurfürstentum Trier) waren starke Garnisonen eingerichtet worden. Zugleich reduzierte Frankreich die finanziellen Zuwendungen an Schweden und unterwarf sie immer unangenehmeren Bedingungen. Dennoch konnte Oxenstierna anfänglich in politischer Hinsicht mehr er-

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reichen, als es Gustav Adolf gelungen war. Weiterhin trieb er die Doppelstrategie – Sicherung der Ostseeküste und Bildung eines Bündnisses freundlich gesinnter Fürsten zu deren Schutz – voran. Im April 1633 hatte er den Heilbronner Bund gegründet, dem die fränkischen, schwäbischen, kurrheinischen und oberrheinischen Reichskreise angehörten. Der Bund sollte für die »teutsche Libertät«, die Wiedereinsetzung der protestantischen Stände und die »Satisfaktion« (Entschädigung) Schwedens kämpfen. Oxenstierna wurde Direktor des Bundes. 30 Er tat seine zukünftigen Absichten deutlich kund, indem er die Pfalz und den Kurfürstentitel an die Erben von Friedrich V. (der im Alter von 36 Jahren wenige Wochen nach Gustav Adolf gestorben war) zurückgab. Sie standen noch unter der Vormundschaft Philipp Ludwigs von Simmern. 31 Andere ehemalige Verbündete von Friedrich V. und Gustav Adolf wurden reich belohnt: Das lutherische Baden-Durlach bekam das katholische Baden-Baden, Württemberg erhielt katholische Ländereien in Oberschwaben, die Grafen von Hohenlohe gewannen ebenfalls Grundbesitz hinzu und die Reichsstädte durften Kirchengüter, die sich innerhalb ihrer Mauern befanden, beschlagnahmen. Schwedische Generale und Offiziere erhielten ebenfalls Ländereien als Belohnung, so wurde zum Beispiel Feldmarschall Horn mit Ländereien des Deutschritterordens bei Mergentheim ausgestattet. Oxenstierna zeigte seine persönlichen Ambitionen, indem er für sich selbst die Gebiete des Kurfürsten von Mainz, des Reichserzkanzlers, reservierte. Auch machte er sich ohne Umschweife an die Bildung einer neuen Regierung, die aus Reichsrittern bestand, und initiierte eine Wirtschafts- und Verwaltungsreform. Den militärischen Eckstein von Oxenstiernas deutschem System bildete die große und stark befestigte Gustavsburg am Zusammenfluss von Main und Rhein, in der 17.000 Soldaten Platz fanden. Zwar erreichte Oxenstierna viel, doch wies sein System zwei grundlegende Fehler auf. Zum einen stand es finanziell auf schwachen Füßen. 32 Der Bund war verpflichtet, eine große Armee mit jährlichen Kosten von mehr als zehn Millionen Taler zu unterhalten, und dazu mussten die Verbündeten noch für die umfangreichen Soldrückstände der verschiedenen Streitkräfte aufkommen, von denen manche seit 1627 kein Geld gesehen hatten, sodass es nicht einmal möglich war, die exakten Summen zu berechnen. Französische und holländische Zuzahlungen flossen nun direkt dem Bund zu; die Mitglieder verpflichteten sich, jährlich zweieinhalb Millionen Taler aufzubringen, aber das reichte bei Weitem nicht, sodass direkte lokale Abgaben erhoben werden mussten. Oxenstierna blieb nichts anderes übrig, als seinen Befehlshabern freie Hand zu lassen und einigen exorbitanten Forderungen nachzukommen. Bernhard von Weimar, Oberbefehlshaber der Streitkräfte des Bundes, wurden mit den Ländereien der Bischöfe von Würzburg und Bamberg belehnt, um seine Truppen finanzieren zu können; sein Ehrgeiz, als landloser jüngerer Sohn ein eigenes Erbfürstentum zu erhalten, wurde befriedigt, als

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er mit dem Herzogtum Franken belehnt und so Vasall der schwedischen Krone wurde. 33 Bernhards schwedischer Mitstreiter, der Befehlshaber Gustav Karlsson Horn, Graf von Björnborg, konnte weite Teile des Elsass unter Kontrolle bringen. Unzufriedenheit und Androhungen von Meuterei unter den Söldnern im Winter 1632/33 führten dazu, dass nun weitere Befehlshaber und Offiziere belohnt wurden. Mit Erlaubnis von Oxenstierna machten es sich viele einfach und plünderten das Land aus, das ihnen zur Verfügung gestellt wurde. Manche zahlten nicht nur ihre Soldaten aus, sondern machten immense Gewinne: Große Summen wurden nach Stockholm geschickt, um Paläste bauen zu lassen und sie mit geraubten Kunstwerken auszustatten. 34 Weitere Steuern auf alle zum Bund gehörenden Ländereien wurden auf dem Frankfurter Treffen im Juli beschlossen, dennoch blieben die finanziellen Probleme ungelöst. Oxenstierna verfiel sogar darauf, Kirchengüter zu verkaufen, die noch gar nicht erbeutet worden waren. So verkaufte er zum Beispiel 1633 Eichstätt und Augsburg für über eine Million Taler als Erbeigentum an Graf Brandenstein und fügte als Geschenk noch das Fürstbistum Konstanz mit dem Titel »Fürst von Konstanz« hinzu. 35 Während Gustav Adolf die Ländereien der katholischen Kirche in Maßen für politische Patronage genutzt hatte, war Oxenstierna gezwungen, sie vor allem als Geldquelle zu behandeln. Noch gravierender war, dass es Oxenstierna nicht gelang, die volle Unterstützung von Brandenburg oder Sachsen zu erlangen. 36 Anfänglich war keiner der beiden Kurfürsten gewillt, sich Oxenstiernas Bund anzuschließen. Für Brandenburg ging es hauptsächlich um die Erbfolge in Pommern. Würde man Pommern nach dem – offenkundig unmittelbar bevorstehenden – Tod von Bogislaw XIV. gewinnen, wozu der Erbvertrag von 1493 Brandenburg berechtigte, hätte man Zugang zur Odermündung und damit zur Ostsee. Aber Pommern spielte auch bei den schwedischen Plänen eine Schlüsselrolle und war, zusammen mit Mecklenburg, ein Territorium, das die Schweden um jeden Preis halten wollten. Der Vorschlag einer Heirat von Georg Wilhelms Sohn mit Königin Christina (Georg Wilhelms Schwester hatte Gustav Adolf geheiratet) reichte bei Weitem nicht aus, um den brandenburgischen Kurfürsten damit zu versöhnen, dass Schweden seine pommerschen Aussichten durchkreuzt hatte. Sein Misstrauen gegen die schwedischen Absichten in Pommern ließ ihn die für seine Dynastie übliche Politik fortsetzen, die darin bestand, den sächsischen Vorgaben zu folgen. Allerdings trat er dafür ein, dass sein Land und Sachsen einen Friedensschluss herbeiführen sollten. In Dresden wurde der sächsische Kurfürst von Gesandten belagert, die unbedingt sein Gehör finden wollten. Oxenstierna erschien persönlich und schickte dann weitere Diplomaten. Aus Dänemark kam Graf Wartensleben, um Vermittlung zwischen Dresden und Wien anzubieten – keineswegs aus Selbstlosigkeit. Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt trat ebenfalls mit allem Nachdruck für Verhand-

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lungen mit dem Kaiser ein. Ihn trieb die Angst, dass sein Verwandter, Landgraf Wilhelm von Hessen-Kassel, reformierten Glaubens, das Bündnis mit Schweden ausnutzen könnte, um die Marburger Gebiete wiederzuerlangen, die sein Vater 1627 verloren hatte. Wallenstein schickte Emissäre mit einer Vielzahl ständig wechselnder Pläne für Krieg und Frieden. Ausländische Gesandte aller Couleur trugen Ratschläge aller Art vor. Der Kurfürst von Sachsen hatte sein Bündnis mit Schweden im Dezember 1632 nach Gustav Adolfs Tod beendet und war im Augenblick nicht geneigt, es wieder aufzunehmen. Oxenstiernas Pläne erregten seinen Ärger darüber, dass seine traditionelle Rolle als Führer der deutschen Protestanten ignoriert wurde, und er wollte unter keinen Umständen ein bloßes Anhängsel der schwedischen Krone sein. Da jedoch die Forderungen des Kaisers anfänglich zu hart waren und ein plausiblerer Plan nicht zu haben war, stimmte Sachsen im Frühjahr 1633 doch einem weiteren Bündnis mit Schweden zu. Anfänglich ließ sich der Kurfürst von der unmöglichen Vorstellung reizen, der sächsische Erbe könnte mit schwedischer Hilfe den böhmischen Thron besteigen, da der Pfälzer Prätendent, Friedrich V., am 29. November 1632 in Mainz gestorben war. Dieses Bestreben wurde bald in den Plan, Schlesien zu besetzen, abgeändert, was größeren Spielraum für Verhandlungen mit dem Kaiser schaffen würde. Das neue Bündnis mit Schweden, bei dem Brandenburg wieder Sachsen folgte, stand jedoch unter keinem guten Stern, da Oxenstierna und der Kurfürst öffentlich Beleidigungen austauschten. 37 Im Juli 1634 schwand jede Aussicht, dass Sachsen oder Brandenburg dem Heilbronner Bund beitreten würden, endgültig dahin, als Oxenstierna den vollen Umfang der schwedischen Entschädigungsforderungen verdeutlichte, wozu auch ganz Mecklenburg und Pommern gehörten. 38 Während all dieser Verhandlungen, die sich von Anfang 1633 bis Anfang 1634 hinzogen, gingen die Kämpfe weiter: im Südwesten zwischen französischen und schwedischen Truppen auf der einen und denen von Spanien, Österreich und der Katholischen Liga auf der anderen Seite, im Nordwesten zwischen schwedischen Bündnispartnern und einem kaiserlichen Heer an der Weser. Doch waren das Nebenschauplätze; dort sollte keine entscheidende Schlacht stattfinden. Die tatsächliche Verwerfungslinie lag im Osten, wo die Heere von Schweden und seinen Verbündeten der kaiserlichen Armee Wallensteins gegenüberstanden. Dort wurden die Ereignisse des Jahres 1633 weitgehend von Wallenstein selbst bestimmt und dort war die Diplomatie wichtiger als die Kriegführung.

Anmerkungen 1 2

Gotthard, Säulen, Bd. I, 370–378, und Bd. II, 606–607, 713–719. Press, Kriege, 216–217; Gotthard, »Luthertum«, 88–90.

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Parker, Thirty Years War, 117; vgl. auch Nischan, »Reformed Irenicism«. Parker, Thirty Years War, 118; vgl. auch Nischan, »Brandenburg’s Reformed Räte«. Parker, Thirty Years War, 106–108. Gotthard, Säulen, Bd. I, 378–379. Cramer, »Cult«; Kroener, »Gustav-Adolf-Mythos«; Opgenoorth, »Gustav Adolf«. Gilly, »Löwe«, 252–253, 263–268. Parker, Thirty Years War, 109. Parker, Thirty Years War, 62, 66. Ritter, Geschichte, Bd. III, 353; Roberts, Imperial experience, 32–35. Mann, Wallenstein, 466. Roberts, Imperial experience, 69–73. Roberts, Imperial experience, 71–72; Roberts, Early Vasas, 91–92, 152–153, 201, 469; Frost, Northern wars, 134–135. Burkhardt, Krieg, 58–59. Burkhardt, Krieg, 58; Goetze, Oxenstierna, 22–28. Roberts, Essays, 82–83. Roberts, Essays, 85–86. Sigismunds III. Nachfolger, Wladyslaw IV. (1632–1648), war von 1632 bis 1634 mit einem Krieg gegen Russland beschäftigt, bei dem er es versäumte, entweder verlorenen Grund und Boden gutzumachen oder seinen Anspruch auf den Zarenthron zu bekräftigen, den er von 1611 bis 1619 innegehabt hatte. 1635 kam das polnische Parlament einem Versuch zuvor, einen Krieg um den schwedischen Thron zu beginnen, indem es in Stuhmsdorf einem 26-jährigen Frieden zustimmte, der es Schweden erlaubte, Livland zu behalten. Das Herzogtum Preußen und die Zolleinnahmen der Ostseehäfen fielen an Polen. Vgl. Stone, Polish-Lithuanian state, 149–155; Frost, Northern wars, 33, 142–147. Roberts, Essays, 86–87. Das stand im Konflikt mit der Erwartung des Kurfürsten von Brandenburg, Pommern gemäß den Bedingungen des Vertrags von Grimnitz (1529) zu erben, in dem Brandenburg seinen Anspruch auf Oberherrschaft über Pommern aufgab und den reichsunmittelbaren Status des Herzogtums anerkannte. Im Gegenzug erhielt Brandenburg das unzweideutige Recht auf Erbschaft, wenn die herzogliche Linie in Pommern aussterben sollte. Brandenburg verwendete auch weiterhin Wappen und Titel des pommerschen Herzogtums. Nach einem Schlaganfall im Jahr 1633 wurde Bogislaw XIV. für regierungsunfähig erklärt. Als er 1637 kinderlos starb, errichteten die Schweden eine Besatzungsregierung. Miller und Taddey, Lexikon, 143, 483; ADB, Bd. III, 56–58; Schindling und Ziegler, Territorien, Bd. II, 203–204. Roberts, Essays, 86–92. Gotthard, »Luthertum«, 88–90. Schmidt, Krieg, 51–52; Wilson, Europe’s tragedy, 468–470; Langer, »Krieg«, 301. Roberts, Essays, 91–92. Goetze, Oxenstierna, 87–90. Frisch, Restitutionsedikt, 160–169. Langer, »Krieg«, 301–302. Parker, Thirty Years War, 116–117, 119. Mann, Wallenstein, 826–834. Roberts, »Oxenstierna«, 77–81. Ritter, Geschichte, Bd. III, 552.

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32 Parker, Thirty Years War, 121–122; Asch, Thirty Years War, 107–108; Langer, »Heilbronner Bund«, 121. 33 Damit war er kein Reichsfürst (diese Würde hätte ihm nur der Kaiser selbst verleihen können) und er musste einwilligen, dass sein Herzogtum an die schwedische Krone zurückfiele, wenn er ohne Erben stürbe. Langer, »Heilbronner Bund«, 120. 34 Frost, Northern wars, 134. 35 Wolgast, Hochstift, 337. 36 Dickmann, Frieden, 74–77; Roberts, »Oxenstierna«, 75–76. 37 Langer, »Heilbronner Bund«, 119. 38 Langer, »Heilbronner Bund«, 121–122.

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as Wallenstein eigentlich erreichen wollte, lässt sich schwer sagen. Um persönliche dynastische Bestrebungen dürfte es ihm nicht zu tun gewesen sein, denn er hatte keinen männlichen Erben. Spätere Beschuldigungen, die ihm Verrat vorwarfen, dürften mit ziemlicher Sicherheit unbegründet gewesen sein, auch wenn einige Verhandlungen als gegen kaiserliche Interessen gerichtet interpretiert werden konnten.Vor seiner Wiederernennung hatte er mit Gustav Adolf korrespondiert, wovon der Kaiser jedoch nichts wusste. 1 Als Ferdinand ihn im April 1632 zurückholte, erhielt er die Befugnis, mit Sachsen zu verhandeln, doch dürften die Instruktionen nicht gelautet haben, sich mit Frankreich, Schweden und sogar den böhmischen Exilanten in Verbindung zu setzen. Sein strategisches Hauptziel war, einen Keil zwischen Schweden und die protestantischen Kurfürsten zu treiben, und er ging mit Sachsen zweimonatige Waffenstillstandsabkommen ein, um das zu erreichen. Im Oktober 1633 stieß er nach Schlesien vor und besiegte eine schwedische Einheit bei Steinau, danach besetzte er wichtige Städte in Brandenburg und der Lausitz. Doch ließ er Sachsen unangetastet und zog sich ins Winterquartier nach Böhmen zurück. Dann machte er Dresden und Berlin ein erneutes Friedensangebot. Für viele in seinem Umkreis war sein Verhalten unverständlich. Er erklärte sich selten und legte oft eine herrscherliche Arroganz, gepaart mit rücksichtsloser Brutalität, an den Tag. In ihm vereinigte sich beträchtliches Talent mit Zügellosigkeit, narzisstischer Eitelkeit und Größenwahn. Im letzten Lebensjahr war er auch sichtbar krank und erweckte häufig den Eindruck, nicht mehr realitätstüchtig zu sein. Ganz sicher verfolgte er einander ausschließende Ziele, was bei den deutschen Fürsten allerdings nicht unüblich war, auch wenn nur wenige von ihnen Wallenstein als gleichrangig ansahen. Er blieb der Außenseiter: immer viel zu beweglich und rastlos erfinderisch, um ein bescheidener Diener der Krone zu sein. Aber genau darauf beruhte seine Autorität, denn sein deutsches Fürstentum, das viele ohnehin anzuerkennen sich weigerten, hatte er fast sofort nach Erwerb auch schon wieder verloren. Trotz dieser Negativa konnte er außerordentlich kühn und zugleich pragmatisch sein. Er bildete zwar die Avantgarde der katholischen Gegenoffensive im Norden Deutschlands, doch sicherte er als Herzog von Mecklenburg dem protestantischen Adel die Bewahrung seiner religiösen Rechte zu. 2 In Friedland war er, als Vasall der böhmischen Krone, zur Durchsetzung des Katholizismus verpflich-

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tet; als Reichsfürst war es sein Vorrecht, das ius reformandi auszuüben, wie es ihm passte. Nach seiner Entlassung 1630 zog er sich anstandslos auf seine böhmischen Besitzungen zurück, doch als Ferdinand ihn zurückholte, suchte er sofort einen für den Kaiser ehrenhaften Kompromiss. 1628/29 war er einer Entscheidungsschlacht mit Christian IV. ausgewichen, weil er eingesehen hatte, dass ihm die Kräfte fehlten, einen Monarchen zu besiegen, der über eine ausgezeichnete Flotte wie auch eine umfangreiche Armee verfügte. 1632/33 suchte er angesichts von Feinden, allen voran Schweden und Frankreich, die er seiner Überzeugung nach nicht besiegen konnte, eine Lösung, vor allem aber den Kompromiss mit Sachsen und Brandenburg. Wiens Bereitwilligkeit, die spanischen Ambitionen in Italien und den Niederlanden zu unterstützen, war er immer mit Kritik begegnet. In Wien wiederum wurde der Chor der Kritiker Wallensteins im Lauf des Jahres 1633 immer umfangreicher. Seine Hinhaltetaktik wurde nicht als notwendiger Vorrang der Diplomatie, sondern als Verrat gewertet. Die Gegner von Wallensteins Politik waren um Belege für sein Versagen nicht verlegen: Die Protestanten kontrollierten weite Gebiete Bayerns und Westdeutschlands. In Schlesien hatte Wallenstein seinen Sieg bei Steinau nicht zu nutzen gewusst. Im November fiel Regensburg Bernhard von Weimar in die Hände, weil Wallenstein Maximilians Garnison von 2.000 Mann nicht zu Hilfe gekommen war. Einer nach dem anderen fielen Wallensteins Verbündete von ihm ab und schlossen sich der Gruppe um den jesuitischen Beichtvater Ferdinands, Lamormaini, an, die ungeduldig darauf drängte, aktiv zu werden. Ihre Entschlossenheit wurde durch den spanischen Repräsentanten Marquis Sancho de Castañeda (und ab Oktober 1633 durch Graf Oñate) verstärkt, der Wallensteins unablässige Opposition gegen Wiens Unterstützung der spanischen Italien- und Hollandpolitik gar nicht schätzte. Nun arbeiteten sie vertrauliche Pläne aus, denen zufolge eine spanische Armee unter Kardinalinfant Ferdinand entsendet werden sollte, doch musste zuvor Wallenstein auf den Oberbefehl über alle katholischen Truppen im Reich verzichten oder seines Rechtes darauf enthoben werden. 3 Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die Nachricht, dass der Generalissimus alle seine Obersten veranlasst hatte, ihm am 12. Januar 1634 in Pilsen einen Treueeid zu leisten, der sie an ihn mehr als an jeden anderen band. Als Ferdinand von diesem »Pilsener Schluss« erfuhr, ordnete er an, dass man Wallensteins habhaft werden müsse, lebendig oder tot. Im Dezember 1633 hatte Ferdinand sich heimlich die Komplizenschaft von Wallensteins drei Oberkommandierenden – Johann von Aldringen, Matthias von Gallas und Octavio Piccolomini – gesichert. Am 24. Januar 1634 wurde Wallenstein bei einem Geheimtreffen seines Amtes enthoben und selbst ein zweiter Pilsener Schluss am 24. Februar konnte Wallenstein nicht mehr die Loyalität der Mehrheit seiner Offiziere garantieren. Mit einer kleinen Gruppe enger Verbündeter floh er von Prag nach Eger, in Rich-

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tung der Sachsen und Schweden. Danach wurden seine Vertrauten – Christian von Ilow, Adam Trčka und Vilém Kinsky – umgebracht. Wallenstein selbst wurde am 25. Februar von Walter Butler, Walter Leslie, Walter Devereux und John Gordon, dem Garnisonskommandanten von Eger, ermordet. Jeder von ihnen hatte zumindest einen der beiden Eide auf den Generalissimus geleistet. Alle am Mord Beteiligten wurden mit großzügigen Zuweisungen aus den umfassenden Besitzungen des toten Generals belohnt. 4 Ob Ferdinand den Tod seines Heerführers beabsichtigt hatte oder nicht – die Tatsache, dass er seine Jesuiten beschwor, für einen erfolgreichen Ausgang der Operation zu beten, spricht für Ersteres –, diese brutale Tat trug nicht dazu bei, seinen Ruf im Reich zu verbessern. 5 Oxenstierna wies die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg denn auch schnell darauf hin, wie gefährlich es sei, mit dem Kaiser zu verhandeln. 6 Allerdings war nun der Weg frei für einen wichtigen Sieg der Kaiserlichen. Oxenstierna gelang es im April 1634 nicht, den Heilbronner Bund zu erweitern; dennoch machten die Schweden und ihre Verbündeten größere Fortschritte, als im Juli die Kämpfe wieder aufflammten. 7 Die Sachsen rückten wieder in Böhmen ein und drangen bis Prag vor; Streitkräfte des Heilbronner Bundes nahmen das bayrische Landshut ein. Aber Ferdinand von Ungarn, der Sohn des Kaisers, dem Wallensteins Kommandobefugnisse übertragen worden waren, besetzte Regensburg und Donauwörth und belagerte Nördlingen. Anfang September traf der Kardinalinfant mit der versprochenen spanischen Armee ein. Die beiden Ferdinands erstürmten Nördlingen und versetzten Bernhard von Weimars protestantischem Heer einen entscheidenden Schlag: Fast die Hälfte seiner 25.000 Soldaten starb, 4.000 kamen in Gefangenschaft. Bernhard floh ins Elsass und Oxenstierna zog alle Garnisonen südlich des Mains ab. Der Mythos der schwedischen Unbesiegbarkeit war dahin. Der Heilbronner Bund löste sich auf; Oxenstierna verließ Deutschland und kehrte nur noch einmal kurz zurück, bevor er 1636 endgültig nach Schweden ging.8 Sein langjährigster Verbündeter, Landgraf Wilhelm von Hessen-Kassel, war nun überzeugt, dass nur noch Frankreich die deutschen Protestanten vor habsburgischer Tyrannei bewahren könnte. Er wollte sogar den französischen König zum Kaiser wählen, denn nur dadurch könne die »deutsche Libertät« gerettet werden. 9 Darüber sollte in den Jahrzehnten nach Kriegsende noch viel diskutiert werden. 10 Jetzt aber war der Kaiser ein Habsburger und der Zusammenbruch der schwedischen Macht zwang zum Kompromiss mit ihm. Nach der protestantischen Niederlage von Nördlingen machten die 1633 in Leitmeritz begonnenen Verhandlungen zwischen Hessen-Darmstadt, Sachsen und dem Kaiser bei ihrer Fortsetzung in Pirna rasche Fortschritte. Ferdinands jüngste Erfolge hatten seine Position beträchtlich gestärkt, dennoch war seinen Beratern klar, dass auch er Kompromisse eingehen musste, um ein tragfähiges Abkommen zu erzielen. Schließlich konnten er und der Kurfürst von Sachsen am 30. Mai 1635 in Prag Frieden schließen.

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Der Vertrag formulierte den Wunsch der Unterzeichner, es solle »die werthe Teutsche Nation zu voriger Integritet, Tranquillitet, Libertet und Sicherung reducirt« werden. 11 Die vordringlichsten verfassungsrechtlichen, religiösen und territorialen Konflikte waren beizulegen. Alle Bistümer und andere Kirchengüter, die von den Protestanten vor dem Passauer Vertrag von 1552 übernommen worden waren, behielten ihren gegenwärtigen Status. Was zwischen 1552 und dem 12. November 1627 den Besitzer gewechselt hatte, sollte ohne Wechsel der Religion für 40 Jahre unter den gegenwärtigen Herrschaftsverhältnissen verbleiben. Damit war das Restitutionsedikt aufgehoben. Nach Ablauf der 40 Jahre sollte eine paritätisch mit Katholiken und Protestanten besetzte Kommission ein einvernehmliches Abkommen anstreben. Scheiterten diese Bemühungen, gälte weiterhin der Status von 1627. Allerdings waren sowohl die Reichsritter als auch die Reichsstädte mit Ausnahme von Nürnberg, Straßburg, Ulm und Frankfurt von diesen Bestimmungen ausgeschlossen, was bedeutete, dass das Restitutionsedikt in weiten Gebieten Schwabens und Frankens noch durchgesetzt werden konnte. Magdeburg fiel an den zweiten Sohn des sächsischen Kurfürsten, August, der zum Administrator auf Lebenszeit gewählt worden war. Als Anerkennung von Brandenburgs Administratorschaft vor 1628 musste er dem Kurfürstentum eine lebenslange Rente entrichten. Erzherzog Leopold Wilhelm gab alle Ansprüche auf Magdeburg auf, wurde aber als Fürstbischof von Halberstadt bestätigt. Wichtige Institutionen sollten reformiert und wiederbelebt, Maßnahmen zur Befreiung des Reichs von ausländischen Truppen und zur darauf folgenden Sicherung von Frieden und Stabilität ergriffen werden. Das Reichskammergericht sollte paritätisch mit Katholiken und Protestanten besetzt werden und die Kurfürsten waren aufgerufen, die zukünftige Besetzung des Reichshofrats zu überdenken. Die kaiserliche Armee sollte bestehen bleiben und es fiel den Ständen zu, finanzielle Mittel für ihre Erweiterung bereitzustellen. Der Kaiser war zwar als Oberbefehlshaber vorgesehen, aber Sachsen erhielt das Kommando über die protestantischen Truppen und Maximilian von Bayern das über die Streitkräfte, die praktisch denen der Katholischen Liga entsprachen. 12 Mit Ausnahme des Kurfürstenbunds und den traditionellen Erbschaftsverträgen zwischen den Dynastien sollten alle Ligen und Bündnisse aufgelöst werden. Einige führende Fürsten wurden belohnt, einige der enteigneten wieder eingesetzt. Sachsen erhielt die Bestätigung für den Besitz der Lausitz gemäß den Abkommen von 1620 sowie 1623 und dazu noch Gebiete von Magdeburg. Brandenburg wurde die Erbfolge in Pommern zugesagt. Die Herzöge von Mecklenburg und Lothringen erhielten ihre Ländereien zurück. Die Übertragung des Kurfürstentitels von der Pfalz auf Bayern wurde bestätigt, ebenso der Besitzwechsel der Oberpfalz. Als Gegenleistung nahm Maximilian es auf sich, der kaiserlichen Armee eine be-

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trächtliche Summe zukommen zu lassen. Der Hauptgewinn für die Habsburger bestand darin, dass für alle ihre Territorien, mit Ausnahme einiger schlesischer Gebiete, keine rechtliche Beschränkung des ius reformandi galt. Ferdinand konnte die Aufhebung des Restitutionsedikts im Reich akzeptieren, aber nicht in seinen eigenen Territorien. Andere Fürsten wurden bestraft. Die Erben Friedrichs V. verloren ihre Territorien und den Kurfürstentitel auf Dauer, wobei der Kaiser allerdings Vorkehrungen für den Fall traf, dass sie als Fürsten zur Loyalität zurückkehrten. Im Augenblick jedoch blieben sie von der allgemeinen Amnestie zusammen mit all den anderen, die an den böhmischen und pfälzischen Unruhen teilgenommen hatten, ausgenommen. Der calvinistische Landgraf von Hessen-Kassel wurde enteignet und seine Territorien von seinem lutherischen Verwandten in Hessen-Darmstadt übernommen. Der lutherische Herzog von Württemberg und der calvinistische Markgraf von Baden-Durlach, die in den 1620er Jahren zu den Rebellenführern gehört hatten, wurden ebenfalls von der Amnestie ausgeschlossen, bis der Kaiser entschied, ihnen zu vergeben. 13 Die diversen ernestinischen Herzöge von SachsenWeimar erhielten die Möglichkeit, an der Amnestie teilzuhaben, wenn sie sich der Autorität des Kaisers beugten. 14 Ferdinand II. legte den Entwurf des Friedensplans einer Versammlung von 24 Theologen vor. Sein Beichtvater, Lamormaini und vier weitere Jesuiten, waren entschieden dagegen, am Ende jedoch stimmte eine Mehrheit von sechzehn Teilnehmern der versöhnlicheren Haltung von Graf Trauttmannsdorff zu, der bei den Verhandlungen mit dem Kurfürsten von Sachsen, Wallenstein, dem König von Ungarn, den Vertretern der spanischen Habsburger und dem kaiserlichen Geheimrat der Hauptberater des Kaisers gewesen war. 15 Mochte Lamormaini auch beklagen, dass der Kaiser mehr eingeräumt hatte, als Gott gefällig sein könne, so war es doch in Wirklichkeit nicht genug. Der Friedensplan war außerordentlich detailliert, doch blieben immer noch wichtige potenzielle Konfliktzonen und Mehrdeutigkeiten. Immerhin hatten sich für Kaiser und Katholizismus beträchtliche Vorteile ergeben; vor allem blieb Südwestdeutschland, traditionell eine Hochburg der Habsburger, mehrheitlich in der Hand katholischer Fürsten. Das Restitutionsedikt war suspendiert, aber nicht annulliert. Das Problem des rechtlichen Status der Reformierten war jedoch weiterhin unklar: Der Kurfürst von Brandenburg gehörte zu der kleinen Anzahl von Calvinisten, die in die Amnestie einbezogen worden waren. Wer enteignet blieb, verfolgte weiterhin seine Ansprüche. Die Wiedereinsetzung der Herzöge von Mecklenburg und Pommern (und die Erneuerung von Brandenburgs Anspruch auf die pommersche Erbfolge) ging zwar in Ordnung, aber noch waren die Schweden im Besitz dieser Territorien und noch war über ihre Entschädigung kein Wort gefallen. Wahrscheinlich war der Hauptfehler des Friedensvertrags, dass er auf der Annahme beruhte, die schwe-

54. Wallenstein und danach

dische Macht sei dauerhaft erschüttert und Frankreich werde nicht weiter eingreifen. Beide Annahmen sollten sich schon bald als falsch erweisen. Der Prager Frieden war ein deutscher Frieden, dem fast alle deutschen Stände beipflichteten. 16 Er wurde von einer starken Welle patriotischer Friedenspropaganda begleitet, die die Rettung der deutschen Freiheiten und die Wiederherstellung des politischen Gemeinwesens feierte. 17 Die Anhänger des Kaisers und seiner Verbündeten verkündeten natürlich die Tugenden der neuen kaiserlichen Ordnung. Bemerkenswerter war der begeisterte Widerhall derer, die auf der Gegenseite oder – während des letzten Jahrzehnts – der Krone eher gleichgültig gegenübergestanden hatten. Sogar die reformierten Fürsten von Anhalt erklärten den Vertrag zum wahrhaften Band deutscher Einheit. Einige kritisierten jetzt auch mit Nachdruck den gegen das Vaterland gerichteten Militärdienst und setzten Frieden und Einigkeit höher als die konfessionelle Solidarität an. Deutsche, die weiterhin in schwedischen Diensten standen, gerieten unter Druck, das Engagement zu beenden und lieber der eigenen Nation zu dienen. Tatsächlich gaben drei Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft ihre schwedischen Stellungen auf. 18 Sicher gab es im Hinblick auf das in den Lobreden zum Prager Frieden verwendete Vokabular ziemliche Unterschiede. Österreichische und spanische Autoren sprachen gern von der »deutschen Nation« (die unter dem Kaiser vereint sei). 19 Dagegen ging es vielen Fürsten vor allem um die »teutsche Libertät« (die Freiheit von der Habsburger Tyrannei). Zwar verschwanden derlei Nuancen im frühen Nachglühen des Friedens, doch blieben die bedeutsameren verfassungspolitischen Probleme ungelöst. Insbesondere hatte der Kaiser den Vorschlag des Landgrafen Georg von Hessen-Darmstadt, dass die Stände insgesamt über Kernfragen entscheiden sollten und Schweden in Friedensverhandlungen einzubeziehen sei, wiederholt abgelehnt. Das Abkommen, dem zufolge die Fürsten für die Erhaltung einer kaiserlichen Armee zahlen sollten, war eine bedeutsame Neuerung, deren Implikation vielen Fürsten bitter aufstieß, war doch ihr traditionelles Recht auf Entscheidung übergangen worden. Auch die katholischen Kurfürsten fragten sich, ob es klug war, dass der Kaiser mit einem einzigen Fürsten einen Vertrag aushandelte, dem alle anderen beipflichten sollten. In dieser Lage wäre es nützlich gewesen, einen Reichstag einzuberufen, aber der war seit 1613 nicht mehr zusammengetreten, und der Kaiser war nicht versessen darauf, ihn jetzt wieder zu beleben. 20 Der Frieden von Prag markierte den Beginn einer deutschen Friedensbewegung, die einige Veränderungen durchmachte, aber bis zum Ende des Kriegs existierte. Schließlich sollten Elemente des Prager Systems und der dadurch geweckten Empfindungen das dauerhaftere Abkommen von 1648 prägen. Aber die Jahre zwischen 1635 und 1648 stellten ein weiteres Stadium jenes Kampfs um die Verfassung dar, der dem Krieg von Anfang an zugrunde gelegen hatte.

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Suvanto, Politik, 37–41. Mann, Wallenstein, 580. Asch, Thirty Years War, 108–109. Evans, Making, 202–203. Parker, Thirty Years War, 125. Suvanto, Politik, 185–186. Roberts, »Oxenstierna«, 83–84. Roberts, »Oxenstierna«, 85–92. Parker, Thirty Years War, 127. Schmidt, »Französischer Kaiser?« Wandruszka, Reichspatriotismus, 66. Asch, Thirty Years War, 115. Der Herzog von Württemberg erhielt 1638 die Begnadigung und einige Ländereien zurückerstattet; Friedrich V. von Baden-Durlach wurde erst 1648 wieder eingesetzt. Schindling und Ziegler, Territorien, Bd.V, 144–145, 188–189. Bis auf Bernhard von Weimar akzeptierten alle diesen Vorschlag. ADB, Bd. II, 439–450. Bireley, Jesuits, 162–164; ADB, Bd. XXXVIII, 531–537. Asch, Thirty Years War, 114. Wandruszka, Reichspatriotismus, 71–81; Schmidt, Geschichte, 167–168; Hansen, »Patriotismus«, 36–48; vgl. auch Schmidt, Vaterlandsliebe, 358–415. Schmidt, Geschichte, 168. Asch, Thirty Years War, 110–111. Höbelt, Ferdinand III., 163–176.

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I

m Monat der Unterzeichnung des Friedens von Prag erklärte Frankreich Spanien den Krieg. Auslösendes Moment war die Verhaftung Philipp Christoph von Söterns durch spanisches Militär. Sötern war Kurfürst von Trier und seit 1631 Verbündeter Frankreichs; die Spanier überstellten ihn an Ferdinand, der ihn bis 1645 in Haft hielt. Tatsächlich ging es bei diesem Konflikt um Flandern sowie um Zonen von Nebenkonflikten in den Pyrenäen, den Westalpen und Norditalien sowie schließlich am Ober- und Mittelrhein und in den Argonnen. Der Französisch-Spanische Krieg dauerte bis zum Pyrenäenfrieden 1659, aber die Auseinandersetzungen in Deutschland spielten im letzten Jahrzehnt des Dreißigjährigen Krieges eine wichtige Rolle und begründeten Frankreichs Ansprüche auf Beteiligung am Frieden von 1648 sowie auf Entschädigung. Im Südwesten des Reichs übernahm Frankreich die Restbestände des Systems wie auch der strategischen Optionen der Schweden. Schweden war 1634 besiegt worden, doch in Deutschland noch präsent, auch wenn der Konflikt militärisch und finanziell erhebliche Kosten verursacht hatte. Der Rückzug nach Norddeutschland wurde von der wachsenden Einsicht begleitet, dass man sich so schnell wie möglich auch aus dem Krieg überhaupt zurückziehen müsse. Allerdings war man sich in Stockholm darüber einig, dass zuvor gewissen Bedingungen zu erfüllen waren: Schweden verlangte Entschädigung für die Opfer, die es der Sache des deutschen Protestantismus gebracht hatte – die Kontrolle über alle Ostseehäfen und die dauerhafte Begrenzung habsburgischen Einflusses in Norddeutschland. Solange diese Bedingungen nicht erfüllt waren, fühlte Schweden sich verpflichtet, den Kampf fortzusetzen. In mancher Hinsicht sah es so aus, als sollte es für Schweden jetzt einfacher werden. Der Prager Friedensschluss hatte bei manchen Fürsten für erhebliche Enttäuschung gesorgt. Zu ihnen gehörte der enteignete Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel, der zwar aus seinem Territorium vertrieben worden war, aber sein Heer mitgenommen hatte. Nach seinem Tod 1637 weigerte sich, wie zuvor schon er selbst, nun auch seine Witwe, Amalie Elisabeth, dem Prager Frieden zuzustimmen. Nach einem längeren Waffenstillstand führte sie den Krieg selbstständig weiter und erzielte in den 1640er Jahren mit französischer Hilfe erhebliche Erfolge zugunsten ihres noch unmündigen Sohnes, des späteren Wilhelm VI. 1 Ebenso hatten viele der reformierten Wetterauer Grafen ihre Ländereien an

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Hessen-Darmstadt, Mainz, benachbarte katholische Dynastien oder direkte Newcomer verloren, denen der Kaiser jetzt Schirm und Schutz angedeihen lassen konnte. Dazu zählten Fürst Adelbert von Lobkowitz, der Reichsvizekanzler Graf Ferdinand Sigismund Kurtz und Graf Adam von Schwarzenberg, der katholische Favorit des Kurfürsten von Brandenburg. 2 Im Norden unterhielten die ob des Verlustes ihrer Bistümer erzürnten Herzöge von Braunschweig bis 1642 ein Heer. Als Frankreich offen in den Krieg eingriff, hatte auch Schweden einen mächtigen neuen Verbündeten. Im März 1636 wurde in Wismar ein Vertrag zwischen Frankreich und Schweden ausgehandelt, der jedoch zwei Jahre lang unratifiziert blieb, weil Oxenstierna sich zunächst um die Möglichkeit eines durch den sächsischen Kurfürsten vermittelten Friedens kümmerte und dann eine neue Offensive gegen Brandenburg und Sachsen zu initiieren suchte. Im März 1638 schließlich sah er keine andere Möglichkeit, als den Vertrag in Hamburg zu ratifizieren, was Schweden erhebliche finanzielle Unterstützung für weitere Militäroperationen verschaffte. Oxenstierna zögerte nicht ohne Grund so lange, denn die französischen Kriegsanstrengungen waren anfänglich gar nicht erfolgreich. Auch Frankreich litt unter Mittelknappheit. Seit den frühen 1620er Jahren hatte es sich mehr oder weniger offen am Konflikt beteiligt und dabei große Summen investiert. Höhere Steuern waren ein zweischneidiges Schwert, denn vor und nach 1635 machten verbreitete Unruhen kostspielige militärische Gegenmaßnahmen erforderlich. Die Feldzüge zu Kriegsbeginn waren durch Fehlschläge gekennzeichnet. Eine französisch-holländische Offensive im Jahre 1635 erreichte keines ihrer Ziele und auch die ersten Interventionen in Italien brachten nichts ein. Der von Bernhard von Weimar und Kardinal de la Valette unternommene Invasionsversuch in Süddeutschland scheiterte vollständig; stattdessen gelang es einer Armee aus Spanien und Kaiserlichen 1636, in Nordfrankreich bis nach Amiens vorzustoßen, und der kaiserliche General Gallas hätte fast noch Dijon eingenommen. Erst Bernhards zweiter Feldzug, begonnen 1637, war erfolgreich. Systematisch eroberte er das gesamte Elsass und nahm im Dezember die strategisch wichtige Stadt und Festung Breisach am Rhein ein. Sein militärisches Können war über jeden Zweifel erhaben, aber als Bündnispartner war er unbequem. Von Anfang an hatte er finanzielle Forderungen erhoben, die Richelieu schwer verdaulich fand, und er wollte augenscheinlich seine Unabhängigkeit von Frankreich bewahren. 3 Fortwährend beharrte er darauf, als Oberbefehlshaber seiner Truppen anerkannt zu werden und nicht Untertan der französischen Krone zu sein. Zudem war das Herzogtum Franken, das Bernhard von den Schweden erhalten hatte, nach dem Ende ihrer Herrschaft ihm wieder abhandengekommen (an Mainz), weshalb er jetzt die Landgrafschaft Elsass mit Breisach forderte (was alles vordem zum habsburgischen Vorderösterreich gehört hatte). Problematisch war

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aus Richelieus Sicht, dass Bernhard zudem verlangte, das Territorium als unabhängiger Regent zu besitzen, nicht als Vasall der französischen Krone. Es wäre schwierig gewesen, eine autonome Macht in einer strategisch so wichtigen Region zu etablieren. Der Knoten löste sich, als Bernhard am 11. Juli 1639 im Alter von 35 Jahren an einer Krankheit starb. Er vermachte seine Ländereien seinen Brüdern und äußerte den Wunsch, dass sie (die Ländereien) im Reich verblieben. Sein Nachfolger solle den Schweden treu bleiben. Bernhards Tod gab Richelieu die Möglichkeit, Land und Heer zu übernehmen; die Truppen standen jetzt unter dem Kommando von Bernhards Stellvertreter, Johann Ludwig von Erlach. Bernhards Erfolg in Südwestdeutschland fiel mit einer allgemeinen Wende des Kriegs zusammen. Durch die Besetzung des Elsass wurde den Spaniern die Route nach Flandern verlegt. Im Oktober 1639 wurde ihre Flotte vor Dover durch den holländischen Admiral Maarten Tromp vernichtend geschlagen und damit war auch der Wasserweg unsicher geworden. 4 1640 gab es zwei umfangreiche Erhebungen gegen die spanische Krone: Im Frühjahr rebellierten die Katalanen, deren Führer sich im Januar des darauffolgenden Jahres einem französischen Protektorat unterstellten, und im Dezember gab es Aufruhr bei den Portugiesen. 5 Der Aufstand der Katalanen schleppte sich hin, bis sie sich 1652 wieder der Herrschaft Kastiliens unterwarfen, während der portugiesische Aufstand, genährt von den Reichtümern Brasiliens, Erfolg hatte und 1668 zur dauerhaften Selbstständigkeit Portugals führte. Nun war die spanische Armee in Flandern ihrer Nachschublinien beraubt und auch die finanziellen Mittel flossen in andere Kanäle. Kein Wunder, dass ihr die Franzosen 1643 bei Rocroi eine schwere Niederlage zufügten. Jetzt konnte niemand mehr die Franzosen an der Expansion nach Norden hindern: 1646 fiel ihnen Dünkirchen in die Hände. Allerdings waren die Holländer von der Aussicht auf ein starkes, angriffslustiges Frankreich als Nachbarn gar nicht angetan, sodass sie sofort Friedensverhandlungen mit den Spaniern aufnahmen. Das führte zum Ende des achtzigjährigen Kriegs der Spanier gegen die holländischen Rebellen und zur internationalen Anerkennung der holländischen Republik im Westfälischen Frieden. So waren die spanischen Habsburger nicht mehr in der Lage, den Österreichern zu Hilfe zu kommen, und Spanien verschwand aus der Propaganda der deutschen Protestanten. 6 Währenddessen hielten Frankreich und Schweden trotz aller finanziellen Belastungen den Druck aufrecht. Ihr Vertrag sah vor, dass die Schweden die österreichischen Erblande von Norden her angriffen, während die Franzosen durch Süddeutschland nach Osten vorstießen. Unter den brillanten Befehlshabern Johan Banér (bis 1641), Lennart Torstensson (1641–1645) und Karl Gustav Wrangel (ab 1645) gelangen den schwedischen Streitkräften einige wirksame Operationen, aber kein entscheidender Sieg. 1639

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marschierte Banér durch Brandenburg und Sachsen, schlug ein kaiserliches Heer und gelangte bis nach Prag. 1641 bewegten sich schwedische und französische Truppen auf Regensburg zu, um den dort stattfindenden Reichstag zu bedrohen. 1642 gelangte Torstensson nach Mähren und seine Berittenen machten die Umgegend von Wien unsicher. Beim Nahen der kaiserlichen Armee zogen sie sich nach Sachsen zurück und brachten dann den Kaiserlichen bei Breitenfeld eine entscheidende Niederlage bei. Die Schweden hatten jetzt in Norddeutschland so große Bewegungsfreiheit, dass sie im Dezember 1643 Dänemark den Krieg erklärten, weil sie von Gesprächen zwischen Wien und Kopenhagen über ein Bündnis gehört hatten und Dänemark von einer zukünftigen Friedenskonferenz ausschließen wollten. 7 Torstensson konnte einen relativ leichten Sieg erringen, der Dänemarks Rolle als internationale Macht beendete. Zwar war ein kaiserliches Heer nordwärts entsandt worden, um den Dänen beizustehen, doch waren die Schweden zur Ablenkung ein Bündnis mit György Rákoczi von Siebenbürgen eingegangen, was zu einem Angriff auf das österreichische Ungarn führte. Die Weigerung der Türken, Rákoczi zu unterstützen, ermöglichte Ferdinand im Dezember 1645 den Friedensschluss von Wien. Doch der frühe Rückruf des kaiserlichen Heers von Holstein nach Böhmen gab Torstensson die Gelegenheit, es bei Magdeburg aufzureiben. Ferdinands Bemühungen, ein neues Heer auszurüsten, begegneten die Schweden mit einer weiteren Invasion in Böhmen, die am 6. März 1645 bei Jankau, südöstlich von Prag, mit einer verheerenden Niederlage für die Kaiserlichen endete, der schlimmsten, die sie im gesamten Krieg hatten hinnehmen müssen. Binnen weniger Wochen hatten die Schweden Krems an der Donau eingenommen und in Wien erblickte man berittene Streitkräfte auf der anderen Seite des Flusses. Des kaiserlichen Bündnispartners beraubt, blieb dem Kurfürsten von Sachsen jetzt nur noch der Weg zu Friedensverhandlungen mit den Schweden. Als sie endlich begannen, konnte Schweden auftrumpfen und die Entschädigungen erhalten, um derentwillen es den Krieg zuletzt geführt hatte. Auch Frankreich konnte sich, wenngleich weniger leicht, im Vorfeld der Verhandlungen eine günstige Ausgangslage sichern. Die Politik änderte sich weder durch Richelieus noch durch Ludwigs XIII. Tod: Mazarin schickte weiterhin Truppen nach und durch Süddeutschland. 1643 und 1644 konnten bayrische Truppen unter Graf Franz von Mercy einen französischen Angriff zurückschlagen und Freiburg entsetzen. Aber 1645 eroberte Turenne Mergentheim, während die Bayern am 3. August 1645 bei Alerheim nahe Nördlingen standhielten. Im darauffolgenden Jahr jedoch besetzten französische und schwedische Truppen Bayern. Ein Waffenstillstandsabkommen brachte nur eine kurzfristige Atempause, denn als Bayern ein paar Monate später wieder an die Seite des Kaisers zurückkehrte, wurde das Land erneut verheert. Die Besatzung endete erst mit

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der Unterzeichnung des Friedensvertrags. Im Mai 1648 versetzten Turenne und Wrangel dem Heer Maximilians bei Zusmarshausen nahe Augsburg den Todesstoß. Im Oktober 1648 belagerten schwedische Streitkräfte unter General Johann Christoph von Königsmarck Prag und besetzten die Kleinseite und den Hradschin, wo sie die rudolfinischen Sammlungen plünderten. 8 Zwar dauerten die Kämpfe in Böhmen und Bayern an, bis die Nachricht vom Frieden eintraf, doch hatten die Schlachten von Jankau und Alerheim praktisch das Ende des Krieges markiert. Der Kaiser hatte eine demütigende Niederlage erlitten und die Bayern waren eliminiert worden. Frankreich und Schweden hatten ihr letztes Kriegsziel – die Besetzung der Erblande – nicht erreicht, dem Kaiser jedoch Schaden genug zugefügt, um ihn zu Konzessionen an ihre deutschen Verbündeten zu zwingen und die von ihnen gewünschten Entschädigungen zu erhalten. Entscheidungsschlachten gab es in diesem Stellungskrieg nicht, doch wurde deutlich, dass die kaiserlichen Streitkräfte nicht zu einer ernsthaften Gegenoffensive in der Lage waren. Als nach 1640 die spanischen Hilfsgelder ausblieben, konnten die Österreicher keine Kredite mehr für weitere Truppen auftreiben. Als schwedische Truppen vor Wien auftauchten, konnte Ferdinand nur noch geloben, der Muttergottes eine Statue zu errichten, wenn die Stadt verschont bliebe, was seine Nachrufschreiber später als angemessene Reaktion lobten. 9 In welchem Ausmaß Ferdinands militärische Position und damit auch seine diplomatische Verhandlungsmasse dahingeschmolzen waren, wird daran erkennbar, dass von den etwa 200 Garnisonen, die es 1648 im Reich gab, sich nur 14,5 Prozent in österreichischer und bayrischer Hand befanden. 42 Prozent gehörten den Schweden, 28 Prozent den Franzosen und 13,5 Prozent ihrem Verbündeten Hessen-Kassel. 10 Obwohl es bis zuletzt noch Gefechte gab, verlangten praktisch alle Seiten nach Frieden. Alle Beteiligten spürten die militärischen und finanziellen Bürden, die zu innenpolitischen Verwerfungen führten. In Frankreich gab es zwischen 1636 und 1646 eine Reihe von Aufständen in der Bevölkerung und wachsende Spannungen entluden sich im Januar 1648 in einer Rebellion des Amtsadels; es kam zur sogenannten Fronde. In Schweden erklärten viele, sie hätten sich bei den Eroberungszügen ruiniert. In England neutralisierte der Bürgerkrieg von 1642 die Politik zugunsten der enteigneten Pfälzer und veranlasste viele auf dem Kontinent zu größerer Vorsicht, um nicht einen ähnlichen Aufstand im eigenen Land zu provozieren. Der Friedenswunsch war auch im Reich selbst sehr stark und die frühen 1640er Jahre erlebten eine weitere Welle patriotischer Schriften, in denen das Verlangen nach Frieden Ausdruck fand. 11 Für die deutschen Kriegsbeteiligten war der Weg zum Frieden durch den Niedergang des kaiserlichen Prestiges und die Beziehung zwischen Ferdinand und den Reichsständen gekennzeichnet. Während der Schlussphase des Kriegs gab es eine

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ganze Reihe von Friedensinitiativen, die sich auf unterschiedlichen Ebenen zu verschiedenen Zeiten und mit wechselnden Kombinationen von Akteuren entfalteten. So waren der Kaiser, die Kurfürsten, einzelne Fürsten und Gruppen von Fürsten um den Frieden bemüht. Dazu kamen französische und schwedische Initiativen, hier und da auch Vermittlungsversuche seitens des Papstes, der Dänen und anderer Mächte. Das wichtigste Charakteristikum dieser oft unkoordinierten Abfolge von Friedensinitiativen war die Verbindung mit einer neuen Version des alten Machtkampfs im Reich. Zunächst schien die politische Zukunft des Reichs in den Händen des Kaisers und der Kurfürsten zu liegen. Auf dem Kurfürstentag zu Regensburg im September 1636 einigte man sich ohne Schwierigkeit auf die Wahl von Ferdinands II. Erben, der bereits König von Böhmen und Ungarn war, zum römischen König. 12 Allerdings verschoben die Kurfürsten im Versuch, Ferdinand zum Frieden zu zwingen, die Bestätigung der Wahl um einige Monate. Zugleich erneuerten sie die Steuerbewilligung aus dem Prager Friedensvertrag und erörterten eine umfassende Agenda, wie sie sonst nur der Reichstag behandelte. Ferdinand II. starb, bevor er wirklich etwas für den Frieden unternehmen konnte. Im Februar 1637 folgte ihm Ferdinand III., der die Vorhaben weiterzuführen hatte, nämlich für Frieden zu sorgen und das Reich zu habsburgischen Bedingungen zu einen, die militärische Vorherrschaft wiederherzustellen und ausländische Truppen auszuweisen. Zunehmend jedoch wurden die Schwächen des Prager Friedensvertrags sichtbar und so wuchs die Bereitschaft des neuen Kaisers, Zugeständnisse zu machen. 1645 war er sogar willens, Frieden um jeden Preis zu schließen. Dennoch waren Ferdinand II. wie auch Ferdinand III. entschlossen, höchstselbst den Frieden zu stiften, während die Kurfürsten andere Vorstellungen hegten. Da der Reichstag seit Langem nicht mehr zusammengetreten war, betrachteten sie sich als regierende Körperschaft des Reichs. Ab den späten 1620er Jahren forderten sie mit Nachdruck, Status und Rechte von Königen des Reichs zu erlangen. 13 1628 nahm ein Gesandter der Medici in der kaiserlichen Kapelle einen besseren Platz als sie ein. Das führte schon bald dazu, dass die Republiken Venedig und Genua einen entsprechenden Status beanspruchten, was die Kurfürsten in Harnisch brachte. Sie bestanden auf dem Vorrecht, in der Kapelle und bei Tisch in direkter Nähe des Kaisers zu sitzen, und das war mehr als nur ein Gezänk um Sitzordnungen. Vielmehr ging es den Kurfürsten um ihre Vorrangstellung, ihren herausragenden Status als »Säulen« des Reichs. Ein weiterer Aspekt dieser Situation betraf ihr Verhältnis zum Kaiser. Wie weit reichte ihre Befugnis, im Namen der Krone Politik zu betreiben? Konnten sie den Kaiser zwingen, gegen seinen Willen Frieden zu schließen? Dabei herrschte unter ihnen Uneinigkeit, aber in den 1630er Jahren dominierte zumeist der Kurfürst von Bayern die Diskussion. Er spielte die Doppelrolle als treuester Verbündeter und

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zugleich schärfster Gegner des Kaisers und suchte in seinen Verhandlungen mit Wien und Paris immer das Beste für Bayern herauszuschlagen. Insofern waren Maximilians Motive deutlich erkennbar. Er wollte alles behalten, was ihm nach der Niederlage der Pfalz zugefallen war und verhielt sich oft so, als wäre es ihm egal, ob er das mit Unterstützung des Kaisers oder des französischen Königs erreichte. 1640 übten die Kurfürsten auf Ferdinand III. beträchtlichen Druck aus. Bei ihren Diskussionen in Nürnberg schlugen sie erneut ein Sondertreffen zur Ausarbeitung eines Friedensplans vor, zu dem auch die kreisausschreibenden Fürsten eingeladen werden sollten. 14 Das war an sich keine schlechte Idee; es wäre so einfacher gewesen, Gelder für einige Unternehmungen aufzutreiben, und hätte vielleicht gar für eine gewisse patriotische Schubkraft, vergleichbar der von 1635, gesorgt. Jedoch enthielt der Vorschlag Konsequenzen, die für Wien und die anderen Fürsten nicht annehmbar waren. Die Tatsache, dass die Initiative von den Kurfürsten ausging, die ihrer Vorstellung nach auch die Liste der Eingeladenen verlängern würden, ließ die Rolle des Kaisers unberücksichtigt. Immerhin war es sein ausschließliches Recht, Versammlungen im Reich einzuberufen und im Namen des Reichs Frieden zu schließen. Zugleich beschwerte sich eine Gruppe von Fürsten unter Führung der Herzöge von Braunschweig lebhaft darüber, dass auch ihre Rechte dadurch verletzt würden: Entscheidungen, die das gesamte Reich betrafen, konnten auch nur vom gesamten Reich (das heißt von den Ständen im Reichstag) getroffen werden. Die Kurfürsten waren also am Frieden um seiner selbst willen ebenso interessiert wie an der grundsätzlichen Frage, wer ihn schließen sollte. Die Einberufung einer neuen Körperschaft, bestehend aus ihnen selbst und den kreisausschreibenden Fürsten, hätte ihnen eine führende Rolle verliehen und das Reich möglicherweise in eine Oligarchie verwandelt, mit den Kurfürsten als Oligarchen. Angesichts dessen zogen es der Kaiser und die anderen Reichsstände vor, zu den traditionellen Formen der Politik und damit zum Reichstag zurückzukehren. Damit aber stand erneut die Frage nach dem Machtverhältnis zwischen Kaiser und Reichsständen im Raum. Ferdinand bestand darauf, den Reichstag unverzüglich stattfinden zu lassen, weil er glaubte, dass nur ein von allen Ständen befürworteter Friede von Dauer sein könne und dass die Kreise immer noch der Krone treu wären oder ihr wieder treu werden oder sie zumindest als höchste friedenschließende Instanz im Reich unterstützen würden. Das war nicht ganz falsch. Nachdem der Reichstag und andere Institutionen lahmgelegt worden waren, blieben die Kreise als einziger Bestandteil der Infrastruktur übrig, die sich den Krieg hindurch ihre Funktionsfähigkeit erhalten hatten. 15 Einige nahmen weiterhin ihre wirtschaftlichen Aufgaben wahr, was während

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der Periode der Währungsinstabilität zu Beginn der 1620er Jahre von entscheidender Bedeutung war. Einige waren den zunehmenden konfessionellen Spannungen durch getrennte Zusammenkünfte von Katholiken und Protestanten begegnet. Einige hatten entschlossene und bisweilen erfolgreiche Versuche unternommen, sich nicht von der einen oder anderen der kriegführenden Parteien in Dienst nehmen zu lassen. Der Kaiser hatte sich wiederholt an die Kreise gewandt, um Geld und Truppen aufzutreiben. Ihre Bedeutung für die regionalen Organisationsstrukturen des Reichs zeigte sich auch daran, dass die schwedische Besatzung sie zur Grundlage ihrer Herrschaftsausübung machte. Das Kreissystem erhielt durch den Prager Frieden auch insofern einen neuen Impetus, als man wieder darauf verfiel, Steuern und Soldaten über die Kreise zu rekrutieren. Das verlieh neues Selbstbewusstsein. Im Niederrheinischen Kreis machte Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, seit 1614 Regent von Jülich, der Kreisversammlung den Vorschlag, die ganze Region für neutral zu erklären und kaiserlichen wie protestantischen Truppen den sofortigen Abzug nahezulegen. Daraus wurde jedoch nichts, weil zu viele Parteien ein Interesse daran hatten, ihre Präsenz in dem strategisch wichtigen Territorium Jülich mit seinen zahlreichen Rheinübergängen aufrechtzuerhalten. 1639 aber erklärte der Niedersächsische Kreis aufgrund einer ähnlichen Initiative formell seine Neutralität. 16 Der Trend setzte sich zu Beginn der 1640er Jahre fort. Individuen und Gruppen schlossen separate Friedensabkommen mit dem Feind, der ihnen am nächsten war, oder sie fielen in den Chor der Reichsstände ein, die einen Frieden forderten, der ihnen ihre Rechte und Prärogative sichern sollte. Ein schlagendes Beispiel war das Waffenstillstandsabkommen, das der Kurfürst von Brandenburg 1641 mit Schweden schloss. Es war ein schwerer Schlag für den Kaiser, der doch das Reich insgesamt zu repräsentieren beanspruchte. 17 Sachsen tat es 1645 Brandenburg gleich. 1648 war dem Kaiser als echter Verbündeter nur noch Bayern geblieben, das aber eine Reihe von schweren Niederlagen hatte einstecken müssen und ohnehin zwischen Frankreich und Österreich hin und her pendelte. Der Reichstag zu Regensburg begann im September 1640 und dauerte über ein Jahr. 18 Der Kaiser konnte zwar die Forderung abwehren, seine Armee unter die Kontrolle der Stände zu stellen, doch andere Konzessionen musste er machen: Eine umfangreiche Amnestie war zu erlassen (von der die Pfalz, Braunschweig-Lüneburg und Hessen-Kassel ausgenommen blieben), aller kirchliche Grundbesitz, der sich am 1. Januar 1627 in weltlicher Hand befand, blieb unangetastet, womit das Restitutionsedikt und die entsprechenden Bestimmungen im Prager Vertrag vom Tisch waren. Hier erfolgte die Zustimmung trotz erbitterter Opposition aus Rom, eine weitere bedeutsame Abkehr von den Grundsätzen, die das Handeln der Krone bis jetzt bestimmt hatten. Allerdings wurde die Umsetzung dieses Abkommens aufgeschoben, bis alle

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Stände ihren Frieden mit dem Kaiser gemacht hatten. 19 Der Reichstag verpflichtete den Kaiser auch, in Friedensverhandlungen einzutreten, aber die Forderung, dass die Fürsten ebenfalls zu direkter Teilnahme befugt seien, ging dem Kaiser zu weit: Sie durften nur Gesandte schicken. Ferdinand hoffte nämlich immer noch, innenpolitische Fragen aus den Verhandlungen mit ausländischen Mächten heraushalten zu können. Es blieben offene Probleme, deren Erörterung auf einen Deputationstag verwiesen wurde, der im darauffolgenden Jahr in Frankfurt stattfinden sollte. Jetzt aber stand die Frage im Raum, wer zur Teilnahme an den Verhandlungen berechtigt sein sollte. Im Dezember 1641 hatte der Kaiser seine Vertreter in Hamburg angewiesen, sich mit denen von Frankreich und Schweden auf den Eintritt in förmliche Friedensverhandlungen zu einigen. Sein Widerstand gegen die Einbeziehung der Fürsten wurde allerdings durch eine Reihe von Ereignissen aufgerieben. Viele protestantische Fürsten drängten weiterhin auf ihre Teilnahme und die Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel, die immer noch mit Frankreich und Schweden verbündet war, wirkte auf die beiden Mächte ein, sich für die Rechte und Freiheiten der deutschen Fürsten stark zu machen. So verschickten Frankreich und Schweden viele Einladungen und schon bald verließen Fürsten oder ihre Vertreter en masse Frankfurt in Richtung Münster und Osnabrück. Nach der Niederlage von Jankau gab Ferdinand nach und räumte allen Reichsständen das Recht ein, an den Verhandlungen teilzunehmen. Die Frankfurter Versammlung wurde hastig aufgelöst und der Reichstag selbst auf zwei parallel stattfindende Sitzungen verlagert: Die Katholiken tagten in Münster, die Protestanten in Osnabrück. Mit dieser Konzession war das erste große mit dem Frieden verbundene Problem gelöst: Der Kaiser hatte den Fürsten das Recht zugestanden, an Entscheidungen über Krieg und Frieden beteiligt zu werden. Am Beginn der drei Jahre dauernden Friedensverhandlungen war so das Machtverhältnis zwischen Kaiser und Reichsständen als einem gemeinsamen Souverän in Belangen des Reichs wiederhergestellt und alle Pläne Ferdinands II. zur Schaffung einer deutschen Monarchie Makulatur. Aber auch von einer Oligarchie der Kurfürsten war keine Rede mehr. Die Fürsten hatten 1644 in Frankfurt erklärt, dass das Reich nicht nur aus dem Kaiser und den Kurfürsten bestehe; sollte das der Fall sein, müssten sie in Zukunft auch ihre Kriege allein führen und bezahlen. 20 Die Machtbalance zwischen Kaiser und Reich, die von der Verfassungskrise am Beginn des Jahrhunderts gestört worden war, fand allmählich zu sich selbst zurück. Doch wie die Friedensverhandlungen zeigen sollten, war diese Balance nicht das, was Frankreich und Schweden vorschwebte, als sie die »teutsche Libertät« zu unterstützen bekundeten.

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ADB, Bd. I, 383–385. Schmidt, Grafenverein, 447. ADB, Bd. II, 439–450. Israel, Dutch Republic 1476–1806, 537. Elliott, Olivares, 519–532, 571–599. Schmidt, Universalmonarchie, 443. Lockhart, Denmark, 257–265. Frost, Northern wars, 134. Repgen, »Ferdinand III«, 147; Ganter, Paix, 232. Repgen, »Ferdinand III«, 151; Höbelt, Ferdinand III., 224–264. Stein, »Religion«; Hansen, »Patriotismus«, 149–169; Schmidt, Geschichte, 173–177; Meid, Literatur, 482–483. Wilson, Europe’s tragedy, 585–587. Gotthard, Säulen, Bd. II, 727–731. Die Kurfürsten erhoben ihren Anspruch über Jahrzehnte hinweg immer wieder und er war auch Thema bei den Friedensverhandlungen von 1648, als sie zum ersten Mal den Titel »Exzellenz« für sich reklamierten, der normalerweise den Gesandten souveräner Staaten vorbehalten war. Croxton und Tischer, Peace, 80. Gotthard, Säulen, Bd. I, 384–399. Magen, »Reichskreise«. Parker, Thirty Years War, 149; Burkhardt, Krieg, 113. Dickmann, Frieden, 105–110. Dickmann, Frieden, 99–103. Croxton und Tischer, Peace, 78–79. Burkhardt, Krieg, 11.

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ie ersten Kontaktaufnahmen zum Zweck von Friedensverhandlungen gab es zwischen den Krieg führenden Parteien bereits 1628–1630. 1 Ein päpstlicher Vorschlag für eine Friedenskonferenz in Köln 1636 scheiterte daran, dass Rom nicht mit Ketzern und diese nicht mit Vertretern des Papstes verhandeln wollten. Eine Konferenz von 1638 in Lübeck, später nach Hamburg verlegt, führte ebenfalls zu nichts. Allmählich aber gewann die Vorstellung von einem allgemeinen Frieden, einem pax universalis, zur Beendigung der Konflikte zwischen Frankreich und Spanien, Spanien und den Niederlanden, zwischen dem Kaiser und Frankreich sowie Schweden samt ihren diversen Verbündeten, an Boden und ein neuer Versuch, sich zu einigen, wurde 1641 in Hamburg von Dänemark vermittelt. Der Wunsch aller Beteiligten, einen Frieden zu schließen, der die jeweiligen Interessen am besten berücksichtigte, zeigte sich sofort in intensivem Gezanke darüber, wer zu den Verhandlungen und zu welchen Bedingungen zugelassen werden sollte. 2 Nicht einfacher wurde die Angelegenheit dadurch, dass Frankreich den deutschen Kaiser, Ferdinand III., nicht formell anerkannte, weil er vor dem Tod seines Vaters zum römischen König gewählt worden war. Da er deshalb dem Vater automatisch als Kaiser nachgefolgt war, hatte, so die Franzosen, keine eigentliche Wahl stattgefunden. Für sie war er lediglich König von Ungarn und nicht berechtigt, an Vertragsverhandlungen teilzunehmen. Zudem bestand Frankreich darauf, dass Spanien den Vertragsbedingungen vor Unterzeichnung zustimmen sollte. So wurde der Hamburger »Präliminarfrieden« vom Dezember 1641 zwischen Vertretern des Kaisers und Schwedens geschlossen, während Erstere mit den Vertretern Frankreichs nur Absichtserklärungen austauschten und der dänische König eine Garantie für die Zustimmung des Königs von Spanien abgab. Zumindest bot der Vertrag die Rahmenbedingungen für eine Friedenskonferenz. Der Notwendigkeit, eine Reihe von Abkommen zu schließen und gleichzeitig Rücksicht auf konfessionelle Empfindlichkeiten zu nehmen, begegnete man durch die Wahl zweier benachbarter Lokalitäten: In Münster fanden die Verhandlungen zwischen Frankreich und den katholischen Mächten statt, in Osnabrück die Gespräche zwischen dem Kaiser und Schweden samt seinen Verbündeten. Aus Ferdinands Sicht gab diese Anordnung Anlass zu der Hoffnung, dass er, um exzessiven schwedischen Forderungen etwas entgegenzusetzen, ein katholisches Bündnis bilden könnte, während die kaiserlichen Repräsentanten zugleich hofften, dass

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die deutschen Themen nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlungen gemacht würden. Beide Städte wurden während der Unterredungen zu entmilitarisierten Zonen unter Kontrolle multinationaler Streitkräfte. Der Beginn war zunächst für den 25. März 1642 vorgesehen, wurde dann aber auf den 11. Juli 1643 verschoben, weil der »vorläufige« Vertrag kein allgemeines Waffenstillstandsabkommen enthielt, sodass bis zur endgültigen Unterzeichnung der Verträge gekämpft wurde. Wie der Gesandte Prior Adam Adami, ein katholischer Hardliner, bemerkte, sie seien es »gewohnt, im Winter zu lavieren und im Sommer zu traktieren.« 3 Verfahrensfragen, insbesondere solche der Teilnahme, spielten 1642–1645 fortwährend eine Rolle. 4 Die außerdeutschen Mächte schickten Delegationen, sobald das Eröffnungsdatum der Konferenz feststand. Frankreich und Schweden unterstützten, in Verfolgung ihrer eigenen Ziele, eine Forderung, die am lautstärksten von Hessen-Kassel und einigen protestantischen Fürsten erhoben wurde und besagte, dass alle Reichsstände eine Einladung erhalten sollten. Jedoch erst am 29. August 1645, nach den Niederlagen von Alerheim und Jankau, versandte der Kaiser eine allgemeine Einladung, womit sich die Anzahl der Delegationen und der zu erörternden Themen beträchtlich erhöhte. Insgesamt tauchten an die 194 diplomatische Gesandtschaften, manche mit über 200 Mitgliedern, und 176 Bevollmächtigte aus 16 europäischen Ländern, 140 Reichsstände und 38 weitere Stände in Münster oder Osnabrück auf. Die Kosten allein der Konferenz beliefen sich, Schätzungen zufolge, auf 3,2 Millionen Taler. 5 Münster war gegenüber Osnabrück der renommiertere Ort, weil hier die internationalen Verhandlungen stattfanden, bei denen für Frankreich der päpstliche Nuntius Fabio Chigi und der venezianische Botschafter Alvise Contarini mit am Tisch saßen. Aber Osnabrück gewann an Bedeutung, nachdem der Frankfurter Deputationstag aufgelöst worden war und die Vertreter der protestantischen Fürsten zu den Schweden stießen, um über die zentralen Aspekte des Friedens im Reich, über die Lösung der politischen und religiösen Probleme, zu verhandeln. Schweden stand in direkten Gesprächen mit dem Kaiser, da es Dänemark als Vermittler durch den Krieg von 1643–1645 aus dem Spiel genommen hatte. Nachdem der Kaiser verpflichtet worden war, alle deutschen Fürsten zur Teilnahme zu laden, wurden beide Konferenzen von Sitzungen des Reichstags begleitet, wobei die katholischen und die protestantischen Teilnehmer zwar getrennt tagten, sich aber regelmäßig austauschten. Was für Ergebnisse brachten die Gespräche? Ein Frieden zwischen Frankreich und Spanien kam nicht zustande, weil die Spanier angesichts der offenkundigen Schwäche der französischen Krone (wachsende Unruhen ab Januar 1648, Staatsbankrott im Juli, Beginn der Frondes im August) es für angeraten hielten, den Krieg fortzusetzen. 6 Immerhin jedoch schlossen Spanien und die Vereinigten Niederlande im Januar 1648 einen Friedensvertrag, mit dem ein Krieg, der Europa während

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der letzten 80 Jahre polarisiert hatte, beendet wurde. Bereits im September 1646 hatte Frankreich ein Abkommen zugunsten seiner Entschädigungsansprüche erzielt; Schweden folgte im Februar 1647. Die wichtigsten Abkommen, die das Reich betrafen, waren bis April 1648 ausgehandelt worden. In den folgenden Monaten gab es noch einige Probleme zu klären: Es ging um das Geld für den Rückzug der schwedischen Truppen, zudem bestand Frankreich darauf, dass Lothringen nicht zum Gegenstand der Friedensverhandlungen gemacht werde und der Kaiser formell zusichere, von einer weiteren Unterstützung Spaniens abzusehen. Am 24. Oktober 1648 unterschrieb der Kaiser Verträge mit Frankreich (Instrumentum Pacis Monasteriense) und Schweden (Instrumentum Pacis Osnabrugense), wobei die Deutschland betreffenden Klauseln des Osnabrücker Vertrags einfach in den von Münster eingefügt wurden. Beide Verträge wurden in Münster unterzeichnet und bilden zusammen den Westfälischen Frieden. 7 Die schiere Anzahl der Teilnehmer und Interessen machte die Verhandlungen über fast alle Punkte schwierig und zähflüssig. Die ausländischen Gesandten äußerten sich oft abfällig über die Vertreter der deutschen Fürsten. Der französische Graf d’Avaux bemerkte einmal herablassend, es seien alles »gelehrte Doktoren [des Rechts]«. Selbst Graf Maximilian von Trauttmannsdorff, der kaiserliche Bevollmächtige, der diese Art von Vertretern aus Reichstags- und anderen Sitzungen gut kannte, beklagte sich, dass die deutschen Fürsten Lehrer und Schulmeister geschickt hätten, die nur Verwirrung stifteten. 8 Aber die arrogante Kritik des französischen Aristokraten verfehlte ihr Ziel und Trauttmannsdorff war wütend, weil die gelehrten Fachleute ihm so viele Zugeständnisse abrangen. Schließlich waren verfassungspolitische und rechtliche Probleme für den Krieg ausschlaggebend gewesen, Probleme, die von einer umfangreichen, zumeist aus Protestanten bestehenden Expertenschaft in den Jahren nach 1600 beschrieben und analysiert worden waren. Die nach Osnabrück und Münster entsandten Vertreter kannten sich in dieser Literatur aus. Für die Protestanten in Osnabrück ging es darum, den Grundsätzen jener Analysen Gesetzeskraft zu verleihen, was bedeutete, in einem umfassenden, allgemeinen Frieden, der alle umstrittenen Themen der letzten einhundert Jahre einer Lösung zuführte, die juristischen und dynastischen Rechte ihrer Herrschaft zu sichern oder, häufig genug, wiederherzustellen. Dazu mussten allgemeine Verfassungsgrundsätze ebenso wie die Bedingungen des Religionsfriedens im Reich angegangen werden. Angesichts der zahlreichen umstrittenen Veränderungen im Besitzstand vor und während des Kriegs war eine große Menge von Einzelfällen aufzuarbeiten. Da die Krone viel von den kirchlichen und weltlichen Gütern, die in den 1620er Jahren den Besitzer gewechselt hatten, dazu verwandte, um ihre Unterstützer zu entschädigen, denen Rückzahlung versprochen worden war, musste die Untersuchung von Einzelfällen nicht nur die genauen Umstände des

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Besitztransfers erkunden, sondern auch von der Krone zu leistende Entschädigungen festsetzen, sollten die Güter ihren ursprünglichen Eigentümern zurückerstattet werden. 9 Die Haltungen der Protestanten zu den Hauptthemen reichten von Kaisertreue bis zur Kritik am Haus Habsburg. Die am wenigsten Kompromissbereiten fanden ihre Ansichten in einer Abhandlung mit dem Titel De ratione status in Imperio nostro Romano-Germanico (Über die Staatsräson in unserem Römisch-Deutschen Reich), geschrieben von Hippolithus a Lapide (das ist Bogislaw Philipp von Chemnitz) wohl um 1640, als der Autor Offizier in der schwedischen Armee war, und veröffentlicht zwischen 1640 und 1647. 10 Die Schrift war entweder eine verspätete Reaktion auf den Prager Frieden oder ein »Schlachtruf« für die Feinde Habsburgs während der Friedensverhandlungen. Jedenfalls war es eine wütende antihabsburgische Polemik und eine radikale Bejahung »teutscher Libertät« auf Kosten kaiserlicher Vorrechte. Unter Berufung auf Bodins Theorie der Souveränität sah der Autor den Kaiser lediglich als Galionsfigur und das Reich demzufolge als reine Aristokratie. Er schlug vor, den Titel auf eine andere Dynastie zu übertragen und die Vorrechte der Habsburger dem Reichstag, der häufiger zusammentreten sollte, zurückzuerstatten. Kaum weniger abschätzig äußerte er sich über die Kurfürsten, die er dafür verantwortlich machte, dass die Reichsstände ihrer Rechte und Freiheiten beraubt worden waren. 11 Zur Gruppe der Aktivisten unter den protestantischen Fürsten gehörten die vom Prager Frieden Ausgeschlossenen, die zumeist der reformierten Konfession angehörten. Ihr herausragende Fürsprecherin war die Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel, die letzte Verbündete Frankreichs und Schwedens, die bei diesen Mächten unermüdlich um Unterstützung für die Sache der deutschen Freiheit warb. Andere, vor allem lutherische Loyalisten alten Stils, sympathisierten vielleicht mit der Freiheitsrhetorik, lehnten aber die Ansichten Bogislaw Philipps ab oder verurteilten sie sogar, weil sie die Bedeutung der Religion für das Reich leugnete und offen die Lehren Machiavellis vertrat. Das Buch wurde in vielen Gebieten verboten und vom Henker öffentlich verbrannt. Allerdings hatte sich der Einfluss des sächsischen Kurfürsten, des traditionellen Führers der deutschen Protestanten, nach dem von ihm 1645 geschlossenen Waffenstillstand mit Schweden vermindert. Die Einstellungen der Aktivisten wurden nur durch das Misstrauen gegenüber Frankreich und die von ihnen erreichten Zugeständnisse abgemildert. Auch zwischen den in Münster tagenden katholischen Fürsten herrschte keine Einigkeit. Einige waren sehr daran interessiert, den protestantischen Ansprüchen in Norddeutschland nicht nachzukommen. Zunächst spielten drei Persönlichkeiten, allesamt fanatische Parteigänger des Kaisers und Spaniens, eine Hauptrolle. 12 Franz Wilhelm von Wartenberg zum Beispiel war darauf versessen, neben Osna-

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brück, wo er 1625 zum Bischof gewählt worden war, auch die Fürstbistümer Minden und Verden wieder zu bekommen. Zudem vertrat er die Interessen seines Verwandten Ferdinand, des Kurfürsten von Köln. Zusätzlich zu seiner Stimme hatte er noch die Vollmacht für 15 weitere Stimmen. Adam Adami, Prior des Benediktinerklosters von Murrhardt in Württemberg, war der Gesandte der Fürstabtei Corvey sowie mehrerer schwäbischer Abteien und 41 schwäbischer Prälaten. Johann Leuchselring repräsentierte die katholische herrschende Elite von Augsburg (die Katholiken waren dort in der Minderheit) und 16 weitere katholische Reichsstädte in Schwaben. Doch schmolz der Verhandlungsmacht suggerierende Stimmenblock dieses Triumvirats mit der militärischen Schwächung der kaiserlichen Position dahin und gemäßigtere Kräfte drängten nach vorn. Es waren häufig Parteigänger Frankreichs wie der Kurfürst von Trier mit seiner Klientel. Und der Kurfürst von Bayern wusste sehr gut, dass er mehr von der Bewahrung der deutschen Freiheiten als von der Förderung der kaiserlich-katholischen Kirche zu erwarten hatte. Wenn es einen Helden bei den Friedensverhandlungen gab, dann war es Graf Maximilian von Trauttmannsdorff (* 1584, † 1650), der im November 1645 eintraf und im Juni 1647 wieder abreiste. 13 Er gehörte seit 1606 dem Reichshofrat sowie seit 1618 dem Geheimen Rat an (ab 1637 war er dessen Präsident) und war der Berater, dem Ferdinand III. am meisten vertraute. Er konnte nie so unabhängig operieren wie Richelieu und Mazarin in Frankreich oder wie Olivares in Spanien, aber er hatte vom Kaiser weitreichende Vollmachten erhalten, die er äußerst geschickt zu nutzen verstand. Insbesondere suchte er die Interessen der österreichischen Habsburger als Territorialfürsten ebenso zu wahren wie ihre Position als Kaiser und er sorgte so weit wie möglich dafür, dass der Frieden zu Lasten anderer Personen und Institutionen ging. Dazu gehörten nicht nur die Reichskirche und jene weltlichen Herrscher, die ihres Eigentums beraubt worden waren, sondern auch die spanischen Verwandten des Kaisers, die erbost über die Entscheidung waren, in letzter Hinsicht auch ohne Spanien ein Abkommen mit Frankreich zu schließen. Ferdinands III. Geheiminstruktionen sahen mehr Zugeständnisse vor, als Trauttmannsdorff tatsächlich machte. Als er im Juni 1647 nach Wien zurückkehrte und die Verhandlungsführung an Isaak Volmar übergab, hatte er alle wichtigen Elemente des Friedensschlusses berücksichtigt. Dank seines Geschicks wurde ein dauerhafter Friede erzielt. Das Reich blieb intakt und unter habsburgischer Führung. Der Grundsatz des Friedens lautete »immerwährendes Vergessen und Amnestie« (perpetua oblivia et amnestia). 14 Alles, was während des Krieges geschehen war, sollte vergessen und niemand von der Generalamnestie ausgeschlossen werden; alle Dynastien wurden in ihr Land, in Amt und Würden wiedereingesetzt und niemand sollte für sein Verhalten vor oder während des Krieges bestraft werden. Auch sollte aller Grund- und sonstiger Besitz nach der Restitution so bald wie

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möglich von den kaiserlichen Gerichten überprüft und die Restitution selbst, falls notwendig, berichtigt werden. Tatsächlich wurden anhand der Vertragsbedingungen über 10.000 Fälle verhandelt; manche davon waren im Text selbst aufgeführt, die große Masse aber ergab sich aus den allgemeinen Bestimmungen. 15 Der wichtigste Akt von Amnestie und Restitution betraf die Pfalz. Die Rechte ihrer enteigneten und exilierten Herrscher waren selbst zum casus belli geworden. Die im Vertrag festgelegten Bedingungen waren für Karl Ludwig, den Sohn und Erben Friedrichs V., eine Enttäuschung, objektiv betrachtet aber ein Beispiel für Ausgewogenheit und Kompromiss. Bayern durfte den pfälzischen Kurfürstentitel dauerhaft behalten, womit Maximilian I. zum wichtigsten weltlichen Kurfürsten wurde. Er konnte auch die Oberpfalz behalten, musste dafür aber das Geld abschreiben, das die Habsburger ihm für seine Militärhilfe von vor 1623 schuldeten, und zudem alle restlichen Ansprüche auf Einkommen aus Oberösterreich aufgeben; alle Dokumente, die sich auf solche Ansprüche bezogen, waren dem Kaiser zur Vernichtung auszuhändigen. Für Karl Ludwig und seine Erben wurde eine achte Kurwürde geschaffen; als Territorium erhielt er die von der Größe leicht geschrumpfte Rheinpfalz, versehen mit einigen Verpflichtungen hinsichtlich der religiösen Rechte ihrer Bewohner. Weitere Klauseln betrafen die Restitution von Baden-Baden, Württemberg und sechzehn gräflichen Dynastien, die ihre Ländereien während des Kriegs verwirkt hatten. Eine Reihe von Generalklauseln weitete die Amnestie auf alle während des Kriegs verfallenen Lehen oder abgewickelten Geschäfte, auf alle österreichischen Untertanen und zahlreiche weitere Gruppen aus. Logischerweise war mit der Restitution auch die Lösung der rechtlichen Probleme verbunden, die Anlass für die Enteignung gewesen waren; es musste also ein neues religiöses Abkommen ausgehandelt werden. 16 Die Friedensschlüsse von Passau (1552) und Augsburg (1555) wurden bekräftigt und zu Grundlagengesetzen des Reichs erklärt, erhielten aber keine definitive Interpretation. Das ius reformandi wurde als für alle deutschen Regenten gültig bestätigt und nun auch auf die Reichsstädte und -ritter ausgeweitet, doch in Reinform blieb es nur in Österreich, Böhmen und den unter direkter habsburgischer Kontrolle stehenden Teilen Schlesiens gültig. Die Habsburger selbst waren von den Beschränkungen, die nun für die anderen deutschen Regenten galten, ausgenommen. Die offizielle Religion in den einzelnen Territorien wurde durch die Festlegung eines »Normaljahres« bestimmt, das mit dem 1. Januar 1624 als Stichtag begann. 17 So waren die katholischen geistlichen Territorien von nun an geschützt, weil ein amtierender Bischof oder anderer Amtsinhaber seine Pfründe bei einem Religionswechsel sofort verlieren würde. Wo jedoch am 1. Januar 1624 ein Domkapitel aus Protestanten und Katholiken zusammengesetzt gewesen war, blieb dieses Verhältnis dauerhaft erhalten. Die einzigen Ausnahmen bildeten jene Territorien, die

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durch den Friedensschluss explizit säkularisiert worden waren, um schwedische Entschädigungsansprüche zu befriedigen. Während die Position der Reichskirche im Süden und Westen damit gefestigt war, mussten Bischöfe ihre Diözesanrechte über Territorien, die für protestantisch gehalten oder jetzt offiziell protestantisch wurden, aufgeben. Sonderregeln für die Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Biberach und Ravensburg, wo Katholiken und Protestanten vor 1618 die Macht gemeinsam ausgeübt hatten, sollten dafür sorgen, dass die politischen und religiösen Rechte jeder Konfession geschützt wurden. Die Regeln für Augsburg sahen sogar eine jährliche oder zweijährliche Ämterrotation zwischen Protestanten und Katholiken vor. Der Fall Donauwörth, der zu den Ursachen des Kriegs gehört hatte, sollte auf einem zukünftigen Reichstag entschieden werden. 18 Dieselben Prinzipien galten auch für die Rechte von Individuen als Mitgliedern konfessioneller Gruppen. Alle protestantischen Untertanen katholischer Regenten und umgekehrt verfügten über alle die Rechte (wie etwa Eigentümerschaft an Kirchen und Klöstern oder das Recht, mit Schenkungen von Pfründen bedacht zu werden), die sie am 1. Januar 1624 genossen hatten. Anhänger der offiziellen Religion hatten das Recht auf öffentlichen, andere das Recht auf privaten Gottesdienst (exercitium religionis privatum) in Kirchengebäuden ohne Türme oder Glocken. Katholiken und Protestanten, die vor dem Stichtag in einer Stadt oder einem Territorium gleich welcher Art kein Recht auf Gottesdienst genossen hatten, durften ihn jetzt häuslich feiern (exercitium religionis domesticum), das heißt, sie konnten zu Hause beten und ihre Kinder religiös unterrichten; ferner hatten sie das Recht, in einem benachbarten Territorium zur Kirche zu gehen und ihre Kinder zur Schule zu schicken. Niemand durfte aus religiösen Gründen diskriminiert oder von Handel und Markt, von Handwerk und öffentlichem Begräbnis ausgeschlossen werden. Wessen Religion vor 1624 toleriert worden war, konnte, wenn er wollte, auswandern (beneficium emigrandi). 19 Wiederum konnte ein Regent jeden, dessen Religion vor 1624 nicht toleriert worden war, oder der sich zwischen 1624 und 1648 von der offiziellen Religion abgewandt hatte, zur Emigration zwingen, musste ihm dafür aber fünf Jahre Zeit geben; wer allerdings nach 1648 dergleichen getan hatte, dem wurden nur drei Jahre gewährt. 20 Wenn ein Untertan aus freien Stücken oder gezwungenermaßen seines Glaubens halber auswanderte, durfte er sein Eigentum verkaufen oder es von anderen in seinem Sinn verwalten lassen. 21 Alle diese Rechte galten nur für Katholiken und protestantische Anhänger des Augsburger Bekenntnisses. Die reformierten Protestanten oder calvinistischen Kirchen bezeichnete der Vertrag als solche, »die Reformierte genannt werden«, und die insofern zum Augsburger Bekenntnis zählten. Für diese Gruppe von Protestanten (das Wort protestantes tauchte im Text nur ein einziges Mal auf) galt, dass wenn ein Fürst von einem Glauben zum anderen übertrat, er die Rechte der

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vorherrschenden offiziellen Religion achten und sich selbst damit begnügen sollte, einen Hofprediger seiner religiösen Überzeugung zu ernennen. 22 Dasselbe galt implizit für jeden Fürsten, der vom Protestantismus zum Katholizismus übertrat. Andere christliche Sekten wurden nirgendwo im Reich toleriert. Alles in allem war der Grundsatz cuius regio eius religio damit aufgehoben. Einige Protestanten hatten Einwände formuliert. Wer zu emigrieren gezwungen sei, meinten sie, solle dazu fünfzehn Jahre Frist bekommen und Regenten hätten nicht mehr Recht, ihren Untertanen eine Religion aufzuzwingen, als sie es für die Erhebung von Steuern besäßen, denn die Deutschen seien ein »freies Volk«. 23 Doch trotz seiner Beschränkungen beseitigte der neue Friedensvertrag die Unklarheiten, die seinem Vorgänger zum Schaden gereicht hatten. Zudem war in allen bisherigen Abkommen hervorgehoben worden, dass die konfessionelle Spaltung nur temporär sei, während der Vertrag von Osnabrück sie auf Dauer gestellt sah. Zwar wies er hier und da auf die begrenzte Gültigkeit bestimmter Vereinbarungen hin, »bis man sich durch Gottes Gnade über die Religion verständigt haben wird«, sagte aber nichts über die Menschenmöglichkeit einer solchen Verständigung. 24 Vielmehr war die religiöse Spaltung nunmehr in der Reichsverfassung fest verankert. Das im Vertrag von 1555 formulierte Verbot von Veröffentlichungen aller Art, die den Frieden verunglimpften oder gefährdeten, wurde bekräftigt; die Regenten waren angehalten, ihre Untertanen, insbesondere Juristen und Theologen, daran zu hindern, seine Bestimmungen in herabsetzender Weise zu interpretieren. Die religiöse Parität (aequalitas exacta mutuaque) war für die Reichsinstitutionen festgeschrieben. 25 Alle Deputationen sollten aus Katholiken und Protestanten in gleicher Anzahl zusammengesetzt sein. 26 Auf dem Reichstag sollten Religionsfragen von jeder Konfession für sich erörtert (itio in partes) und dann in gemeinsamen Verhandlungen (amicabilis compositio) friedlich gelöst oder, wenn keine Einigkeit erzielt wurde, vertagt werden; Mehrheitsentscheidungen gab es in solchen Angelegenheiten nicht. Dieselbe Parität sollte bei der Besetzung von Reichskammergericht und Reichshofrat Berücksichtigung finden; der Reichshofrat sollte durch den Kurfürsten von Mainz »so oft wie nötig« Visitationen unterzogen werden und umstrittene Fälle vor den Reichstag bringen; das Reichskammergericht sollte seine Arbeit so bald wie möglich wieder aufnehmen. 27 Da für den und in dem Krieg auch die Frage nach dem Verhältnis von Kaiser und Ständen eine wichtige Rolle gespielt hatte, enthielt der Friedensvertrag Klauseln, mit deren Hilfe der Streit um die Struktur des politischen Gemeinwesens ein für alle Mal beigelegt werden sollte. Der Anstoß dafür kam zum Teil von den Franzosen und Schweden, die die Macht der Habsburger im Reich begrenzen wollten, was gut zu den Bestrebungen radikaler Protestanten wie Bogislaw Philipps von Chemnitz passte. Doch schreckten die Stände vor einer radikalen Veränderung des Status quo im

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Reich zurück. Ein frankoschwedischer Vorschlag, monarchische Wahlen während der Lebenszeit eines Kaisers (vivente imperatore) zu verbieten, hätte bei Verwirklichung den Habsburgern die Sicherung ihrer Thronfolge unmöglich gemacht. Ebenso heikel war der Vorschlag, dass nur einstimmige Reichstagsbeschlüsse Gesetz und alle kaiserlichen Beschlüsse vom Reichstag ratifiziert werden sollten. Damit wäre das ganze System blockiert worden. Die deutschen Fürsten lehnten beide Vorschläge ab und die Franzosen schlossen mit Bedauern, dass die Deutschen ihr Vaterland abgöttisch liebten. 28 Tatsächlich fürchteten die deutschen Fürsten ein starkes Frankreich oder Schweden mehr als das normalerweise schwache Habsburg, das sie kannten; sie wollten eine Rückkehr zur Machtbalance zwischen »Kaiser und Reich«, die seit der Herrschaft von Maximilian I. die Grundlage des Gemeinwesens gewesen war. Für die meisten Fürsten reichte es aus, die verfassungsrechtlichen Implikationen ihrer Zulassung zu den Verhandlungen klar vor Augen geführt zu bekommen. Ihre territorialen Rechte in Sachen Politik und Religion wurden bestätigt, also das ius territoriale (Landesrecht) und das ius territorii et superioritatis (Landeshoheit), die beide im Verlauf des 16. Jahrhunderts Gültigkeit erlangt hatten.29 Die Fürsten gewannen dadurch nicht mehr, als was auch den Reichsstädten zugestanden wurde, und die Reichsritter, die mit ihren Rechten jetzt formell reichsrechtlich anerkannt waren, hatten damit keineswegs die vollständige Souveränität erlangt. Die Reichsstände waren übrigens nicht in ihrer Gesamtheit persönliche Unterzeichner der Verträge, sondern eine relativ kleine Anzahl unterschrieb für alle. Ebenso wurde bestätigt, dass jeder Reichsstand bei der Verabschiedung oder Interpretation von Gesetzen betreffend Krieg und Frieden, die Rekrutierung und Einquartierung von Truppen sowie den Bau von Festungen im Reich eine eigene Stimme besäße. All diese Angelegenheiten sollten zukünftig von allen Ständen im Reichstag durch freie Abstimmung entschieden werden. Zugleich wurde das Recht der Reichsstände bestätigt, untereinander oder mit ausländischen Mächten Bündnisse einzugehen, vorbehaltlich einer Bestimmung, die gegen Kaiser oder Reich gerichtete Bündnisse untersagte. 30 Auch das war ein alter Brauch, den Ferdinand II. mit dem Prager Friedensvertrag beseitigen wollte und der nun wiederhergestellt wurde. Der Reichstag selbst sollte sich binnen sechs Monaten nach Ratifizierung des Vertrags zusammenfinden, um ein breites Spektrum an Reformen zu erörtern, darunter Vorkehrungen für die Wahl von designierten Nachfolgern für den Kaiserthron, eine festgeschriebene, kaiserliche Wahlkapitulation, das Procedere für die Ächtung von Reichsständen, die Kreisreform und die Reichssteuern. Es gab keinen Versuch, die prärogativen Befugnisse des Kaisers zu bestimmen, geschweige denn einzuschränken. Bedeutsame Änderungen nahm der Friedensvertrag im Hinblick auf die mit

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Schweden und Frankreich vereinbarten Entschädigungen vor. Vor allem die Zugeständnisse an Schweden hatten weitreichende Folgen für die Reichskirche und einige norddeutsche Fürsten, während die Frankreich gewährten Konzessionen im Südwesten Deutschlands zu einem neuen Machtverhältnis führten. Trotz der Absichten der schwedischen und französischen Unterhändler beeinträchtigten ihre Gewinne das Reich nur marginal. Die Verhandlungen mit Schweden verliefen unkompliziert. 31 Schweden erreichte sein Ziel, dauerhaft an der südlichen Ostseeküste Fuß zu fassen. Es gewann Westpommern mit Stettin, Stralsund und Rügen sowie den westpommerschen Anspruch auf einen Teil der Pfründe des ehemaligen Bistums Cammin in Ostpommern. Cammin galt jetzt als säkularisiertes protestantisches Bistum ohne Bischof. Außerdem bekam Schweden die mecklenburgische Hafenstadt Wismar mitsamt zwei angrenzenden Distrikten sowie die ehemaligen Erzbistümer Bremen und Hamburg und das Bistum Verden als säkulares Herzogtum. Alle diese Territorien erhielt Schweden als Reichslehen. So wurde der schwedische König ein Fürst des Reichs, wobei der Vertrag allerdings die erworbenen Territorien von der Rechtsprechung der beiden höchsten Reichsgerichte ausnahm (es galt das privilegium de non appellando, das heißt, die Bewohner konnten juristisch nicht weiter als bis zum höchsten territorialen Gerichtshof gehen). Außerdem erhielt Schweden das Recht, eine Universität zu gründen. Die Rechte und Privilegien von Stralsund wurden gesondert garantiert; ebenso erhielten die Stände und Untertanen der anderen Territorien eine allgemeinere Garantie. Schwieriger zu lösen war das Problem der Entschädigung im Hinblick auf die schwedischen Militärkosten: Schweden verlangte anfänglich 20 Millionen Taler, man einigte sich schließlich auf fünf Millionen. Im Gegenzug verpflichtete sich Schweden, seine Truppen im Umfang von etwa 60.000 Mann abzuziehen (zwei Drittel davon waren ausländische Söldner, die dringend bezahlt werden mussten, auch weil es schon Soldrückstände gab). 32 Die Schweden eingeräumten Zugeständnisse machten für eine Reihe von Fürstentümern Entschädigungen notwendig. Als Ersatz für den Verlust seiner Rechte an Westpommern und Rügen erhielt Brandenburg die Bistümer Halberstadt und Minden und das Recht auf Erbfolge für das Erzbistum Magdeburg nach dem Tod des derzeitigen Administrators (der Fall trat 1680 ein). Diese relativ großzügige Regelung verdankte sich auch dem französischen Interesse an einem Gegengewicht zu Schweden in Norddeutschland. Mecklenburg wurde für den Verlust von Schwerin mit den säkularisierten Bistümern Schwerin und Ratzeburg entschädigt. Sogar Braunschweig-Lüneburg, das durch die Säkularisierung von Magdeburg, Bremen-Hamburg, Halberstadt und Ratzeburg seine Anwartschaft auf diverse kirchliche Pfründe verloren hatte, wurde mit Ausgleich bedacht: Es erhielt das Recht, beim Tod des gegenwärtigen katholischen Amtsinhabers, Franz Wilhelms

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von Wartenberg, für Osnabrück einen Bischof zu stellen. Der erste protestantische Fürstbischof sollte dann von einem Katholiken abgelöst und der Wechsel dann zur Regel werden, ohne Beeinträchtigung des katholischen Status des Bistums oder der Rechte, die der Erzbischof von Köln als Metropolit daran hielt. Bezeichnend für die Verhandlungen mit Schweden war der Zugriff auf Kirchengüter als Entschädigung. Die zwei protestantischen Fürstbischöfe von Lübeck (seit 1586 in den Händen von Schleswig-Holstein-Gottorp) und Osnabrück unterstanden dem Kaiser und nicht dem Papst, die Diözesanrechte katholischer Bischöfe in protestantischen Territorien waren dauerhaft aufgehoben. 33 Diese Kompensation wurde überhaupt zum allgemeinen und zukunftswiesenden Prinzip. Eine wirkliche Alternative gab es nicht, da mit Ausnahme der Herzöge von Pommern alle norddeutschen Herrschaftshäuser den Krieg überlebt hatten und ebenso versorgt sein wollten wie Schweden. Obwohl der Kaiser lediglich kirchlichen Landbesitz aufgab, der realiter schon lange für die katholische Kirche verloren war, setzte er damit ein Beispiel für die Zukunft, denn nun war die Säkularisation in der Verfassungspraxis des Reichs verankert. Das Abkommen zwischen Frankreich und dem deutschen Reich stellte einen von beiden Seiten eingegangenen Kompromiss dar. 34 Frankreich zielte darauf ab, die Hegemonie der Habsburger in Europa zurückzustutzen, indem es zum einen die beiden Zweige der Dynastie, den spanischen und den österreichischen, zu entzweien und zum anderen die Autonomie der deutschen Fürsten zu stärken suchte. Richelieu wie auch Mazarin wollten italienische und deutsche Bündnisse unter französischer Protektion schaffen, die es für jeden Kaiser unmöglich machen sollten, das Reich militärisch zu mobilisieren. Unter Mazarin (ab 1642) bestand Frankreich auch auf territorialer Entschädigung in Form des Elsass und wollte die Kontrolle über strategisch wichtige Festungen am Rhein erlangen. Mit diesen Zielen hing auch das Problem Lothringen zusammen. 35 Lothringen war seit 1542 kein kaiserliches Lehen mehr, war aber unter der Protektion des Reichs geblieben, obwohl das mit ihm eng verbundene, nordwestlich gelegene Herzogtum Bar ein Lehen der französischen Krone war. Während Herzog Heinrich II. († 1624) neutral geblieben war, ergriff Karl IV. Partei für Kaiser Ferdinand II. und Philipp IV. Folglich wurde Lothringen 1634 von Frankreich besetzt und ihm später die Teilnahme an den Friedensverhandlungen verweigert. Da über den Status von Lothringen keine Einigkeit erzielt werden konnte, dauerte die Besatzung fort und die Herzöge von Lothringen lebten bis 1697 vorwiegend im Exil am kaiserlichen Hof. Unterdessen spielte Lothringen, eingezwängt zwischen französischem Territorium im Nordwesten und Elsass im Süden eine wichtige Rolle bei der Vervollständigung der Länder der französischen Krone. Der Vertrag sprach vom Wunsch, Frieden und Freundschaft zwischen dem Kaiser und dem französischen König zu verstärken und die allgemeine Sicherheit

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zu fördern. Da Frankreich immer behauptet hatte, selbstlos für die Freiheit der deutschen Fürsten zu handeln, waren die Gewinne, die es schließlich erhielt, formell gesehen ein käuflicher Erwerb. Der französische König war bereit, Erzherzog Ferdinand Karl von Tirol, dem Regenten des zukünftigen Österreichs, insgesamt drei Millionen Livre zu zahlen und zwei Drittel der Schulden, die die Habsburger Regierung im elsässischen Ensisheim angehäuft hatte, zu übernehmen. Im Gegenzug gab Österreich die Landgrafschaften Ober- und Niederelsass und alle damit verbundenen Rechte auf, desgleichen die Stadt und Festung Breisach sowie das Amt Hagenau mit seiner Jurisdiktion über die Dekapolis, den Zehnstädtebund (Bündnis zehn freier Reichsstädte) im Elsass. Ferner erhielt Frankreich das Recht, Festungen auf dem rechten Rheinufer bei Breisach und Philippsburg (im Territorium des Kurfürsten von Trier) zu unterhalten. Es hatte das Recht auf ungehinderten Zugang zu Wasser und zu Land; weitere Festungen sollten am rechten Rheinufer zwischen Basel und Philippsburg nicht gebaut und der Verlauf des Rheins sollte nicht verändert werden. Die Bistümer Metz, Toul und Verdun, die seit 1552 unter französischer Kontrolle standen, wurden nun formell als Besitztümer Frankreichs anerkannt, wobei jedoch unklar blieb, ob damit einfach das Territorium der Fürstbistümer oder das sehr viel größere Gebiet der Diözesen als solcher gemeint war. Die elsässischen Reichsstädte und andere nicht direkt Habsburg unterstellte Lehen blieben Teil des Reichs, aber auch dort war der Status unklar. So existierte die »Landgrafschaft Elsass«, die Österreich den Franzosen überließ, de facto gar nicht, sondern war eine rechtliche Fiktion, ersonnen vor allem, um Mazarin von der Vorstellung abzulenken, dass der König von Frankreich ein Reichsfürst werden könnte. In Italien gewann Frankreich mit dem Frieden von Cherasco auch die Grenzfestung Pinerolo im Piemont. Einerseits gelang es Mazarin weder, einen deutschen Bund unter französischer Protektion zu gründen, noch den französischen König in die Reihen der deutschen Fürsten einzuschmuggeln. Andererseits erhielt Frankreich durch die territorialen Abmachungen des Friedensvertrags beträchtlichen Spielraum für zukünftige Interventionen im Reich. Zu den wichtigsten Vorkehrungen gehörte wohl das Verbot jeglicher österreichischer Unterstützung für Spanien: Zwar wurde die Zugehörigkeit des Burgundischen Kreises zum Reich bestätigt, doch durften weder der Kaiser noch die Reichsstände, getrennt oder gemeinsam, in mögliche Konflikte sowohl in den Spanischen Niederlanden als auch in der Franche-Comté eingreifen. 36 Ferdinand III. wehrte sich bis zuletzt heftig gegen diese Bestimmung und gab erst nach, als der Kurfürst von Bayern ihm ein Ultimatum stellte. Eine interessante Implikation dieser Klausel war die Tatsache, dass die Vereinigten Niederlande durch ihre Zugehörigkeit zum Burgundischen Kreis formell Teil des Heiligen Römischen Reichs

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blieben, während ihre Unabhängigkeit durch ihre Aufnahme in die Liste der Verbündeten des Kaisers wie auch Schwedens im Vertrag von Osnabrück implizit anerkannt wurde. 37 Im Gegensatz dazu fiel die Regelung der territorialen Forderungen des dritten »Siegers«, der Landgräfin von Hessen-Kassel, sehr moderat aus. 38 Hatte sie mit Erfolg die Sache der deutschen Freiheit vertreten, so galt das nicht für ihre Gebietsansprüche. Sie erhielt die ehemalige Reichsabtei Hersfeld, doch keinerlei Ländereien von Mainz, Köln, Paderborn, Münster und der Reichsabtei Fulda. Hier wurden die Ansprüche finanziell durch eine Zahlung von 600.000 Talern abgegolten; als Gegenleistung zog die Landgräfin ihre Truppen ab. Außerdem erklärte sich Hessen-Kassel bereit, die Marburger Erbfolge, die es durch ein Urteil des Reichshofrats 1623 erlangt hatte, zurückzugeben. Letztlich obsiegte der Wunsch der deutschen Stände nach einer Wiederherstellung des Reichs. Ihr wesentlich konservativer Ansatz zeigte sich auch daran, dass sie der formellen Ablösung der Schweiz vom Reich nur zögernd zustimmten. Erst nach beträchtlichen Auseinandersetzungen stimmten sie einer Klausel zu, der zufolge die Kantone »im Besitz voller Freiheit und Exemtion vom Reiche« seien – eine recht verschämte Bestätigung der Tatsache, dass die Schweiz seit 1499 nichts mehr mit dem Reich zu tun hatte. 39 Im Allgemeinen war die Bereitschaft zu Reform und Innovation erloschen, sobald man sich auf Maßnahmen zur Behebung des Missbrauchs kaiserlicher Macht geeinigt hatte. Das zeigte sich in gewisser Weise auch an der Bereitschaft aller Beteiligten, zu dem System von Zöllen und Abgaben zurückzukehren, das 1618 vorherrschend gewesen war. 40 Interessanterweise bestanden Schweden und Frankreich darauf und diese relevante Bestimmung des Friedensvertrags wurde formuliert, ohne die Stände zu konsultieren. Mit ein paar unbedeutenden Ausnahmen wurden alle Zölle, Abgaben und Steuern, die diverse Monarchen und Fürsten während des Kriegs erhoben hatten, abgeschafft. Die Grenze am Oberrhein wurde für den Handel vollständig geöffnet. Im Norden erhielt Schweden gewisse Rechte, um die Militärausgaben bewältigen zu können (die im Verhältnis zum steuerlichen Aufkommen in Schweden selbst hoch blieben), erhielt aber die Anweisung, dafür zu sorgen, dass die Zölle nicht dem Handel in Pommern und Mecklenburg schadeten. Ansonsten kehrte man zum alten System zurück, in dem der Kaiser und die Kurfürsten die Zölle genehmigten. Wer aber sollte für die Durchsetzung der Bestimmungen des Friedensvertrags sorgen? Die Antwort darauf stellte auch einen Kompromiss zwischen den Absichten der Franzosen und Schweden einerseits und den Interessen von Kaiser und Reichsständen andererseits dar. Ursprünglich hatten Frankreich und Schweden die Vorstellung vertreten, dass alle Beteiligten – also die beiden großen Mächte und alle deutschen Stände jeweils für sich – verpflichtet sein sollten, die Vertrags-

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bestimmungen, wenn notwendig mit Waffengewalt, durchzusetzen. 41 Jedoch erkannten die kaiserlichen Gesandten, dass damit die Befugnisse der Reichsgerichte erheblich eingeschränkt und somit der Kaiser seiner Funktion als höchste justizielle Instanz beraubt worden wäre. Das war auch die Absicht gewesen, wie die französischen und schwedischen Gesandten implizit zugaben, als sie einen Gegenvorschlag, den schwedischen Riksdag und die französischen Parlamente und Generalstände gleichermaßen mit solchen Befugnissen auszustatten, sofort zurückwiesen. Im Endeffekt wurden der Kaiser und die Reichsstände als ein das Reich repräsentierender Gesamtsignatar bestimmt – was dem staatsrechtlichen Verständnis des souveränen deutschen politischen Gemeinwesens als »Kaiser und Reich« entsprach. Jeder der Unterzeichner wurde zum Garanten des Vertrages. Damit erhielten Frankreich und Schweden das Recht, im Reich zu intervenieren, falls dem Frieden zuwidergehandelt wurde. Allerdings war das Recht in praxi durch die Bestimmung begrenzt, dass alle Streitigkeiten zunächst vor die Reichsgerichte gebracht werden sollten und die Garanten erst einschreiten konnten, wenn eine Streitigkeit nicht innerhalb von drei Jahren friedlich beigelegt worden war. 42 Die Vorstellung ging dahin, dass alle Streitigkeit normalerweise durch friedliche Verhandlungen oder die Reichsgerichte beigelegt werden sollten. Der Vertrag galt, zusammen mit den anderen grundlegenden Gesetzen (leges et constitutiones fundamentales imperii) seit der Goldenen Bulle, als immerwährendes Verfassungsgrundgesetz des Reichs (perpetua lex et pragmatica imperii sanctio). Der dadurch inaugurierte immerwährende Frieden sollte durch die Stärkung der friedenserhaltenden Kräfte der Reichskreise (ebenfalls eine Wiederbelebung und keine wirkliche Innovation) untermauert werden. Kein Reichsstand durfte seine Rechte mittels Gewalt durchzusetzen trachten. 43 Als endgültige Friedensgarantie wurde eine Klausel eingefügt, die – und das war unmittelbar vielleicht wichtiger als die Frankreich und Schweden zugedachte Rolle – jeden möglichen Einwand gegen den Vertrag von vornherein verhinderte. 44 Das richtete sich zweifellos gegen Einwände Roms betreffend die Säkularisierung von Kirchengut und die Annullierung von Diözesanrechten. 45 Der Truppenrückzug und die Restitution von Eigentum nahmen mehrere Jahre in Anspruch; die letzten schwedischen Streitkräfte zogen 1653 ab. Bemerkenswerterweise verliefen all diese Vorgänge friedlich. Der Reichshofrat musste sich vor dem Juli 1654 mit 973 Beschwerdefällen befassen, die aber fast alle schnell gelöst wurden. 46 Die im Vertrag festgelegten Übergangsbestimmungen, zu denen die Berufung von Kommissionen zur Schlichtung von Streitigkeiten ebenso wie eine Vorkehrung für den Aufschub der Rückzahlung von kriegsbedingten Schulden gehörten, waren im Großen und Ganzen wirksam. Der Rückzug der schwedischen Truppen und die dem Königreich zu leistenden Zahlungen stellten Probleme dar,

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mit denen sich eine Konferenz in Nürnberg von Mai 1649 bis November 1650 auseinandersetzte. 47 Selbst nachdem sie ihre Arbeit abgeschlossen hatte, blieben noch viele Probleme ungelöst, wie auch zahlreiche Fragen, deren Erörterung auf den nächsten Reichstag verschoben worden war. Doch gab es gute Gründe für die Friedensfeiern, die am 15. und 17. Mai 1648 mit Festlichkeiten in Münster begannen und mit einem Fest in Schweinfurt am zweiten Sonntag nach Trinitatis 1660 endeten. Allein zwischen Mai und Dezember 1648 gab es 178 Gedenkfeiern in verschiedenen Gebieten des Reichs. 48

Anmerkungen 1 Repgen, »Hauptprobleme«, 401. Das umfangreichste Nachschlagewerk in englischer Sprache, das auch auf die deutsche Literatur, die anlässlich der 350-Jahr-Feier des Westfälischen Friedens veröffentlicht wurde, Bezug nimmt, ist Croxton und Tischer, Peace. Wo nicht anders angegeben, lehnt sich die folgende Darstellung eng an dieses ausgezeichnete Werk an. 2 Dickmann, Frieden, 103–104. 3 Parker, Thirty Years War, 160. 4 Dickmann, Frieden, 163–189. 5 Bosbach, Kosten, 224. 6 Repgen, »Hauptprobleme«, 407–408; Asch, Thirty Years War, 136–137. 7 Online findet man die Texte (mit Übersetzungen) unter http://www.pax-westphalica.de (zuletzt aufgerufen am 21. Mai 2014). Eine gute deutsche Version gibt es in Buschmann, Kaiser, Bd. II, 11–128. 8 Dickmann, Frieden, 195. 9 Croxton und Tischer, Peace, 78–79. 10 Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 203–206; Gross, Empire, 235–254; Wandruszka, Reichspatriotismus, 81–83; Schmidt, Vaterlandsliebe, 404–410. 11 Gross, Empire, 247–248. 12 Dickmann, Frieden, 199–201. 13 Croxton und Tischer, Peace, 297–299; ADB, Bd. XXXVIII, 531–536; Dickmann, Frieden, 195, 243–246; Repgen, »Ferdinand III.«, 157–161; Höbel, Ferdinand III., 266–270. 14 Am leichtesten zugänglich sind die Vertragstexte von Münster (Instrumentum Pacis Monasteriense, kurz IPM) und Osnabrück (Instrumentum Pacis Osnabrugense, kurz IPO) in Buschmann, Kaiser, Bd. II, 11–108. Der oben zitierte Grundsatz findet sich in IPO, Art. II. 15 Press, Kriege, 261. 16 Wolgast, »Religionsfrieden«, bes. 64–75, 86–91. 17 IPO Art. V, § 2. Für die Pfalz war das »Normaljahr« 1618 (IPO Art. IV, § 6), weil sonst die protestantischen Kurfürsten in ein 1624 rekatholisiertes Territorium zurückgekehrt wären (allerdings kehrten später protestantische Gemeinden zurück). 18 Das Problem bestand darin, dass Bayern die Stadt im Dezember 1607 als Entschädigung für die Kosten, die dem Land durch die Exekution des Gerichtsurteils gegen die Donauwörther Protestanten entstanden waren, besetzt hatte. Die Stadt erlangte ihre Unabhängigkeit nur für kurze Zeit, von 1705 bis 1714, zurück, bevor sie endgültig dem Land Bayern einverleibt wurde.

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19 IPO Art.V, § 30. 20 IPO Art.V, §§ 36–37. 21 Er konnte jederzeit in seine Heimat zurückkehren, um hinsichtlich des Eigentums nach dem Rechten zu sehen oder geschäftlich damit zu verfahren. 22 IPO Art.VII. 23 Asch, »Glaubensfreiheit«, 113. 24 IPO Art.V, §§ 1, 14, 25, 31. 25 IPO Art.V, § 1. 26 IPO Art.V, §§ 51–52. 27 IPO Art.V, §§ 53–62. 28 Asch, Thirty Years War, 138–139; Repgen, »Hauptprobleme«, 411. 29 IPO Art.VIII, § 1.Vgl. auch IPO, Art. IV, § 17, und Art.VIII, § 4. 30 Ash, Thirty Years War, 141–142. 31 IPO Art. X, §§ 1–16. 32 IPO Art. XVI, § 8; Dickmann, Frieden, 422–424. 33 Wolgast, Hochstift, 340–345. 34 IPM, Präambel und §§ 3–4, 69–91. 35 Croxton und Tischer, Peace, 175–177; Dickmann, Frieden, 224–226, 478–482. 36 IPM, § 3; Buschmann, Kaiser, Bd. II, 109. 37 IPO Art. XVII, §§ 10–11; Buschmann, Kaiser, Bd. II, 104; Repgen, »Hauptprobleme«, 407. Die Kaiser statteten noch bis ins 18. Jahrhundert die spanischen Könige mit feudaler Herrschaftsbefugnis über die gesamten Niederlande aus. Croxton und Tischer, Peace, 309. 38 Repgen, »Hauptprobleme«, 426–427; IPO Art. XV, §§ 1–15; Buschmann, Kaiser, Bd. II, 88– 93. 39 IPO Art.VI. Vgl. Croxton und Tischer, Peace, 288–289. Wie die Vereinigten Niederlande erlangte auch die Schweiz 1648 rein juristisch-formell keine Souveränität; Schweizer Juristen sahen die Kantone noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts als Teile des Reichs, wenngleich aller Verpflichtungen enthoben. Aus heutiger Sicht ist es aber wahrscheinlich korrekt, 1648 als faktischen Beginn schweizerischer Souveränität zu betrachten. 40 Repgen, »Regelungen«. Ähnlich bestimmte der Vertrag, dass zukünftig all jene, die Truppen durch das Reich marschieren ließen, für die von diesen verursachten Kosten aufkommen sollten; die Bevölkerung sollte diesbezüglich nicht steuerlich belastet werden. IPO Art. XVII, § 9. 41 Asch, Thirty Years War, 140. 42 IPO Art. XVII, § 6. Aretin, Altes Reich, Bd. I, 26–29. 43 IPO Art. XVII, § 7. 44 IPO Art. XVII, § 3; Croxton und Tischer, Peace, 241–243. 45 Der Einwand des päpstlichen Gesandten Fabio Chigi gegen die Schaffung einer achten Kuriatstimme war insofern formell korrekt, als die Goldene Bulle vorsah, dass es keine Veränderung des Kurfürstenkollegiums ohne päpstliche Zustimmung geben dürfe. Croxton und Tischer, Peace, 220. 46 Luh, Reich, 15–18. 47 Croxton und Tischer, Peace, 208–209. 48 Gantet, Paix, 192, 213; Repgen, »Friede«, 632–637; Hansen, »Patriotismus«, 149–169.

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schilderte William Crowne, der den englischen Gesandten zum Kurfürstentag nach Regensburg begleitete, die Auswirkungen des Kriegs auf sehr anschauliche Weise. Zwischen Mainz und Frankfurt gab es nur Zerstörung. 1 Die Einwohner von Mainz waren so schwach, dass sie nicht einmal kriechen konnten, um die ihnen dargereichten Almosen im Empfang zu nehmen. In Nürnberg konnte der englische Botschafter Thomas Howard, Earl of Arundel, die legendäre Pirckheimer-Bibliothek mit von Dürer illustrierten Manuskripten für nur 350 Taler erwerben, weil der Besitzer dringend Geld und Nahrungsmittel benötigte. Crowne war nicht der einzige Reisende, der über das Ausmaß der Zerstörung des Landes und des physischen wie moralischen Verfalls seiner Bewohner, von Szenen äußerster Brutalität und Gerüchten über Lustmorde und Kannibalismus, zutiefst erschrocken war. Solche Berichte gruben sich in das kollektive Gedächtnis des Krieges ein und haben die Darstellungen ganzer Generationen von Historikern geprägt. Neuere Forschungen haben jedoch das schwarz in schwarz gemalte Bild der Vergangenheit und die häufig behaupteten Auswirkungen des Kriegs und seiner Folgen auf die Entwicklung der deutschen Gesellschaft und Kultur infrage gestellt. Es hat drei Hauptfelder der Auseinandersetzung gegeben: zum einen die Frage nach Intensität und Ausmaß der Wirkungen des Kriegs, zum Zweiten die Folgen dieser Wirkungen für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft, zum Dritten die Frage nach den psychologischen und kulturellen Wirkungen des Kriegs. Ein Hauptproblem beim Umgang mit diesen Fragen liegt in der Verlässlichkeit der Quellen.Viele sind, wie etwa der Bericht von Crowne, unzweifelhaft aufrichtige Beschreibungen bestimmter Vorfälle und Erfahrungen, zugleich aber häufig durch Berufung auf möglicherweise weniger verlässliche literarische oder propagandistische Quellen ergänzt. Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen zum Beispiel wurde 1621 oder 1622 in der Reichsstadt Gelnhausen geboren und war so unmittelbarer Zeuge des Kriegsgeschehens, das er in seinen berühmten Romanen Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch (1669) und Trutz Simplex: Oder Ausführliche und wunderseltzame Lebensbeschreibung der Erzbetrügerin und Landstörzerin Courasche (1670) schilderte. Dennoch sind es, bei allem Realismus im Detail, Werke der Literatur. 2 Geschichten von ungezügelter Gewalt, unbeschreiblicher Grausamkeit, Vorfälle von Massenmord an Kindern oder massenhafter Vergewaltigung, von Kannibalismus und Leichenschändung entspringen zweifellos wirklichen Erfahrungen,

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die hier und dort gemacht wurden, waren aber häufig auch das Produkt unbestätigter Gerüchte, wenn nicht gar literarischer Topoi, die reale Leiden und Nöte durch Sensationalisierung und Dämonisierung noch stärker hervorheben wollten. Aussagekräftige Statistiken sind äußerst schwierig zu erlangen und selbst solche über Bevölkerungszahlen bleiben höchst ungenau. 3 Deutsche Bevölkerungshistoriker haben traditionell mit Schätzungen gearbeitet, die auf der angenommen Populationsgröße innerhalb der Grenzen des deutschen Reichs zwischen 1871 und 1914 beruhten. Neuere Schätzungen beruhen auf weniger anachronistischen Kriterien, bleiben aber auch im Rahmen reiner Vermutungen. Einer Schätzung zufolge, die auf Berechnungen anhand des deutschen Gebiets in den Grenzen von 1871 beruhen, betrug die Bevölkerungszahl um 1600 etwa 15 bis 17 Millionen und ging bis 1650 auf 10 bis 13 Millionen zurück. 4 Diejenigen, die mit Schätzungen bezogen auf das Gebiet des frühneuzeitlichen Reichs arbeiten, gehen davon aus, dass die Bevölkerung während des Kriegs von 20 Millionen auf 16 bis 17 Millionen zurückging. 5 Wenn diese Zahlen stimmen, war der Verlust während des Dreißigjährigen Kriegs proportional höher als im Zweiten Weltkrieg.6 Für Günther Franz belief sich der Verlust insgesamt auf 33 Prozent, wobei 40 Prozent auf das Land und 30 Prozent auf die Städte entfielen; andere Schätzungen sehen den Rückgang eher bei 15 Prozent. Sicher gab es regional bedingt große Unterschiede. Am schlimmsten betroffen waren Pommern und Mecklenburg im Nordosten sowie Thüringen und Hessen in Mittel- und Südwestdeutschland. In den Habsburger Territorien erlitten die Gebiete der böhmischen Krone – Böhmen, Mähren, Schlesien, Ober- und Niederlausitz – Verluste zwischen 10 und 30 Prozent, während die Bevölkerung in den österreichischen Herzogtümern, abgesehen von »normalen« Epidemien und religiös bedingten Vertreibungen, mehr oder weniger konstant blieb. In anderen Gebieten des Reichs hatte es Württemberg besonders hart getroffen. Schätzungen zufolge ging die Bevölkerung zwischen 1634 und 1655 um 57 Prozent zurück, wobei einige Distrikte an die 77 Prozent, andere 31 Prozent verloren. Erst 1750 war die Bevölkerungszahl wieder auf dem Stand von 1618 angekommen. Dagegen blieben weite Gebiete Nordwestdeutschlands vom Krieg fast unberührt. Selbst dort, wo es augenscheinlich hohe Verluste gab, waren diese durch – oft nur zeitweilige – Migration und nicht durch Todesfälle bedingt. 1637 zum Beispiel, als in Sachsen auf dem Land Hunger und Krankheit wüteten, nahm die Bevölkerung von Leipzig zeitweilig um ein Drittel zu. 7 Anhand der Entwicklung in Württemberg lassen sich wichtige Aspekte der Auswirkungen des Kriegs auf die Zivilbevölkerung herausarbeiten. Die meisten Zivilisten kamen nicht durch Kriegshandlungen selbst ums Leben, sondern durch die von marodierenden Truppen oder Besatzungsarmeen verursachten Folgen. Kaiserliche Truppen besetzten Württemberg nach ihrer Niederlage gegen die Schwe-

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den in Nördlingen und führten Plünderungen und Zerstörungen in einem Ausmaß durch wie später die Franzosen und Schweden in Bayern. Finanzieller Ruin, Hungersnot und Krankheit waren die unvermeidlichen Folgen. Im Allgemeinen gab es in den Jahren nach 1634/35, als sich die Heere in Stellung begaben, um ihren Herren bei Friedensverhandlungen eine gute Ausgangsposition zu sichern, wahrscheinlich mehr Opfer in der Zivilbevölkerung als in den 1620er Jahren. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass die Kommandanten in der ersten Kriegsphase häufig die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Zivilbevölkerung zu mildern suchten. Wallenstein und andere Befehlshaber erkannten, dass ihre Kampffähigkeit vom Geld aus der Besteuerung lokaler Gemeinschaften abhing: Durch Kriegsbrutalität traumatisierte Zivilisten konnten dazu nicht viel beitragen, vor allem, wenn ihre Besitztümer zerstört worden waren. 8 Allerdings reichte der unablässig auf die Bevölkerung ausgeübte Druck durch abgepresste Kontributionen allein schon aus, viele Gebiete zu ruinieren. Erschwerend kam hinzu, dass diese Lasten den Menschen häufig durch Streitkräfte ausländischer Herkunft oder anderer konfessioneller Identität aufgezwungen wurden. In vielen Gebieten kam es während der Kriegsjahre zu einer Intensivierung von Ereignis- und Verhaltensmustern der Vorkriegszeit. Epidemien und Nahrungsknappheit nach harten Wintern und Missernten waren die Hauptursachen für den österreichischen Bauernkrieg von 1625, wobei die Lage noch durch die von den bayrischen Besatzungstruppen aufgezwungene Besteuerung und die Durchsetzung der von Ferdinand II. befohlenen Rekatholisierungsmaßnahmen verschärft wurde. 9 In Bayern selbst waren die Bauernunruhen von 1633/34 auch eine Reaktion auf die von bayrischen und schwedischen Truppen verursachten Belastungen. Der Kurfürst verhielt sich kompromisslos: Sobald das Ausmaß der Unruhen deutlich geworden war und die Bauern sich zu bewaffneten Verbänden zusammengeschlossen hatten, schickte er Truppen, um den Aufstand im Keim zu ersticken. Seine Gerichte verhängten dann die üblichen drakonischen Strafen gegen die Anführer. Immerhin zögerte er, danach in den am meisten betroffenen Gebieten Truppen einzuquartieren. 10 Ähnliche Ursachen hatten Unruhen, die zur etwa gleichen Zeit im Elsass und Breisgau ausbrachen. Die Hexenjagden, die um 1630 in Köln, Mainz, Bamberg, Eichstätt, Ellwangen und Würzburg stattfanden, wiederholten ebenfalls Muster aus der Vorkriegszeit. Diese Ereignisse wurden insofern durch den Krieg intensiviert, als sie sehr deutlich mit der von vielen, vor allem geistlichen Regenten nach Verkündung des Restitutionsedikts verfolgten Rekatholisierungspolitik in Zusammenhang standen. In manchen Gebieten wurde den Hexenverfolgungen erst durch die Ankunft der Schweden Einhalt geboten, in anderen, wie etwa Köln, sorgten Absprachen zwischen dem Kurfürsten und dem Reichsgericht für die Einstellung. 11

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Trotz der Zerstörungen, die der Krieg in vielen Gebieten direkt oder indirekt angerichtet hatte, scheint eine Erholung relativ zügig eingetreten zu sein. So kam zum Beispiel in Württemberg und weiten Teilen Bayerns die Landwirtschaftsproduktion bald wieder in Gang. Und wenn viele Missstände in der deutschen Gesellschaft vor dem Krieg von Übervölkerung verursacht worden waren, so war zumindest dieses Problem erst einmal gelöst. Die Nachkriegsjahre führten hier und da auch zu neuem Aufschwung. Manche Handelszentren wie Hamburg und, in geringerem Ausmaß, Bremen, aber auch Straßburg im Südwesten, konnten während der Kriegsjahre expandieren und auch sonst vom Krieg in jeder Hinsicht profitieren.Verlassene Bauernhöfe fanden schnell neue Besitzer. In den Städten gab es für Handwerk und Handel neue Arbeit und manche Handwerkszweige hatten sogar während des Kriegs floriert. Die Städte – bedeutende wie Augsburg, aber auch kleinere wie Nördlingen – bieten ein differenziertes Bild. Die reichsten wurden am meisten durch Kontributionen, Militärabgaben und Plünderungen beeinträchtigt. Sie waren es auch, die am meisten darunter litten, dass die Zinsen für Vorkriegskredite nicht gezahlt und die Währungen in der »Kipper- und Wipperzeit« der frühen 1620er Jahre abgewertet wurden. Die Armen litten am meisten durch Hunger und Krankheiten, während die Mittelschichten das Auf und Ab des Krieges so gerade überleben konnten. 12 Vergleichbares gilt für viele ländliche Gebiete. Viele Adlige, vor allem Reichsgrafen und Reichsritter, die in den Vorkriegsjahrzehnten auf steigende Preise gesetzt hatten, wurden durch ausbleibendes Einkommen während der Kriegsjahre und den längerfristigen, durch den Konflikt beschleunigten wirtschaftlichen Abschwung ruiniert. 13 Manche Familien mussten Schuldenlasten noch bis ins 19. Jahrhundert abtragen. Östlich der Elbe führte der Krieg bei gleicher Problemlage zum weiteren Ausbau des Gutsherrensystems, wodurch die Stellung des Adels gegenüber den Bauern gestärkt und diese in Leibeigene verwandelt wurden. Insgesamt entwickelte der Adel, ob er nun direkt dem Kaiser oder einem Fürsten untertan war, durch seine im Krieg verschärfte ökonomische Lage ein neues Interesse für den höfischen Dienst. Welche Rolle der Krieg in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung des Reichs gespielt hat, bleibt unsicher. Vielfach waren die Muster ökonomischer Aktivität bereits im 16. Jahrhundert ausgebildet worden. Der Krieg akzentuierte einige Entwicklungen, wie etwa den langfristigen relativen Abstieg der süddeutschen Reichsstädte, doch hatte die Verschiebung des Schwerpunkts der europäischen Wirtschaft vom Mittelmeer- hin zum Nordsee- und Atlantikraum schon lange vor dem Krieg begonnen und entfaltete sich unabhängig davon weiter. Sicherer ist die Tatsache, dass der Krieg und die ihm in den Jahrzehnten nach 1648 folgenden Konflikte für die Regierungsarbeit in den Territorien und, als indirekte Folge, für die regionalen Strukturen der Reichskreise neue Herausforderun-

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gen hervorbrachten. So, wie die Regierungen im späten 16. Jahrhundert auf soziale Verwerfungen zu reagieren suchten, so taten sie es jetzt auf die allzu offensichtlichen Folgen von Krieg und Konflikten. Der Wiederaufbau war häufig vom festen Entschluss begleitet, mit einer neuen Version der Suche nach Ordnung und Stabilität, die die Reaktion deutscher Regenten auf die zahlreichen Krisen seit den 1520er Jahren gekennzeichnet hatte, zu dauerhaften Lösungen zu kommen. Für die größeren Territorien bedeutete das den Aufbau stehender Heere. Sie ersetzten die Söldner- und Landsknechtstruppen, die in den vorangegangenen zwei Jahrhunderten die Kriegführung dominiert hatten. Wallenstein und Bernhard von Weimar waren die erfolgreichsten, aber auch die letzten Beispiele dieser Art von Militärunternehmertum gewesen. So intensivierte oder beschleunigte der Krieg einige Langzeittrends. Zahllose Städte, Dörfer und Regionen litten unter katastrophalen Einbrüchen von Krankheit und militärischer Besatzung, die Schäden bis hin zu völliger Zerstörung verursachten. Dennoch ist es letztlich die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft und Gesellschaft, die am meisten beeindruckt. Der Krieg war eine Krise ohnegleichen und dennoch erholten sich Gemeinschaften mit bemerkenswerter Schnelligkeit noch von den schlimmsten Auswirkungen. Auch wird die Einschätzung der langfristigen Folgen des Dreißigjährigen Kriegs dadurch erschwert, dass binnen zwanzig Jahren das Reich eine weitere Reihe ruinöser Kriege durchlitt. Zwar fanden sie an der Peripherie statt, aber die finanziellen Kosten waren erheblich. Wirtschaftliche und soziale Indikatoren zu messen sowie ihre Bedeutung einzuschätzen, ist keine exakte Wissenschaft, aber das Ausmaß der vom Krieg verursachten sozialen oder kulturellen Traumatisierung zu bestimmen, ist so gut wie unmöglich. Hat die Kriegserfahrung bestimmte Formen der Religiosität gefördert, die Entwicklung skeptischer oder mystischer Philosophie begünstigt, zur Entstehung bestimmter Arten von Musik geführt? Tradierte Behauptungen, der Dreißigjährige Krieg habe die Neigung der Deutschen zu Innerlichkeit und Spiritualität intensiviert, wo nicht allererst verursacht, sagen häufig mehr über die von nationalistischen Historikern des 19. Jahrhunderts geschaffenen Mythen als über die Wirklichkeit des 17. Jahrhunderts. 14 Der Dreißigjährige Krieg stand Pate bei der Geburt des Mythos von der verspäteten oder unpolitischen Nation. 15 Doch wurden dem Krieg dabei die Ambitionen und Neurosen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts übergestülpt. Die pathetisch aufgeladenen Darstellungen einer ihrer Vergangenheit beraubten Nation verzerrten eine Wirklichkeit, die in ihrer Bedeutung für die Geschichte des Reichs nach 1648 sehr viel weltzugewandter und konkreter war. Gewiss thematisiert die Kultur der damaligen Zeit – die des Volks und die der Gebildeten – den dringenden Wunsch nach Frieden und Stabilität. Fast alle großen Autoren stellen in ihren Werken das Thema des leidenden Volks und der Unter-

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drückung des Vaterlands in den Mittelpunkt. Es kann nicht überraschen, dass sich in Deutschland zu jener Zeit eine Tradition des Trauerspiels entwickelte, die sich vor allem mit dem Leben von Tyrannen und Märtyrern, mit Leid und Verurteilung beschäftigte und in der jedes Drama einen Schreckenskatalog voller Grausamkeiten und Horrorgeschichten enthielt. Georg Philipp Harsdörffer bestimmte in seiner Abhandlung über die deutsche Dichtung (Poetischer Trichter, 1647–1653) die Stoffe des Trauerspiels als »Könige / Fürsten / und Herren Verzweifflung / Mordthaten / Verfolgung / Meineid / Betrug / Blutschanden / Schlachten / Tod / Grabschrifften / Klagelieder / etc.« 16 Zugleich bestand Harsdörffer, wie Opitz und andere, darauf, dass alles lebensgetreu sein müsse: Der Zusammenhang zwischen Kunst und Erfahrung lieferte reichlich Stoff für Überlegungen. Ebenso erscheint es logisch, dass sich solche Beschäftigungen am Ende des Krieges mit dem Wunsch nach Frieden verbanden. Nach Jahrzehnten voller Aufruhr war man nur allzu gern bereit, die Rückkehr zur Normalität zu feiern, auch wenn in vielen Gebieten die Feier um eine beträchtliche Zeit der Normalität vorausging. 17

Anmerkungen 1 Parker, Thirty Years War, 146–147 (die deutsche Übersetzung von Crownes Reisebericht ist erschienen unter dem Titel Blutiger Sommer. Eine Deutschlandreise im Dreißigjährigen Krieg, Darmstadt 2011, übers. von Alexander Ritter und Rüdiger Keil). 2 Kühlmann, »Simplicissimus«. 3 Pfister, Bevölkerungsgeschichte, 12–15, 76–79. 4 Schmidt, Krieg, 91–92. Die detaillierteste Übersicht über regionale Bevölkerungsverluste bietet immer noch Franz, Krieg, 5–51. Für Württemberg werden seine Ergebnisse von Hippel, »Bevölkerung«, bestätigt.Vgl. auch Theibault, »Demography«, und Vasold, »Bevölkerungsverluste«. 5 Schormann, »Krieg«, 269. 6 Parker, Thirty Years War, 192–193. 7 Parker, Thirty Years War, 189. 8 Schormann, Krieg, 114–116. 9 Vgl. S. 703–707. 10 Langer, »Krieg«, 312–313; Press, »Soziale Folgen«, 253–254. 11 Schormann, Hexenprozesse, 54–56, 63–71. 12 Asch, Thirty Years War, 181–182. 13 Press, »Soziale Folgen«, 246–247. 14 Vgl. auch Neveux, Vie spirituelle, IX–XLVII und passim. 15 Faulenbach, Ideologie, 38–42; Schönemann, Rezeption; Mannack, »Rezeption«; Mannack, »Streit«; Cramer, »War«; Cramer, Thirty Years War; Smith, Continuities, 74–108. 16 Brenner, »Drama«, 541. 17 Repgen, »Friede«, 632–635; Gantet, Paix, 127–167.

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elche Bedeutung der Dreißigjährige Krieg für das politische Gemeinwesen hatte, ist genauso umstritten wie seine Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft. Einerseits gab es positive Einschätzungen der Art, dass im Westfälischen Frieden der Ursprung für das Gleichgewicht der Mächte in Europa liege – das »Westfälische System« habe die Beziehungen zwischen den souveränen Staaten Europas dauerhaft stabilisiert. Andererseits haben deutsche Historiker 1648 immer wieder als Katastrophe für die deutsche Nation gesehen, als einen Frieden, der auch die letzten Reste des Reichs beseitigte und die Deutschen ausländischen Mächten und tyrannischen deutschen Fürsten auslieferte. Deutschland, so hieß es oft, sei aus diesem Elend nur durch BrandenburgPreußen erlöst worden, das tapfer die Verantwortung für das Schicksal der Nation übernommen habe. Beide Einschätzungen halten einer Überprüfung nicht stand. Die an den Friedensverhandlungen Beteiligten hatten nicht die Absicht, ein Machtgleichgewicht zwischen den souveränen Mächten Europas zu schaffen. 1 Die Vorstellung, dergleichen könne möglich sein, war vielleicht eine der sehr langfristigen Folgen des Friedensschlusses. Doch dachte in Münster und Osnabrück niemand an die Entstehung eines »Westfälischen Systems« souveräner Staaten, die keine höhere Autorität anerkannten, oder an ein System, in dem drei Großmächte die Gleichrangigkeit aller souveränen Staaten garantierten. 1648 ging es darum, die Hauptprobleme der unmittelbaren Vergangenheit zu lösen. Aus französischer Sicht musste die Macht der habsburgischen Achse Spanien–Österreich gebrochen und die Entstehung einer Habsburger Monarchie im Reich verhindert werden. Spätere Kommentatoren wie Leibniz, Rousseau, Kant und Schiller rühmten den Westfälischen Frieden als ersten Schritt in Richtung auf einen universellen Frieden, doch sollte ihre Zukunftsprojektion nicht mit einer Beschreibung der Realität verwechselt werden. 1648 blieb der Konflikt zwischen Spanien und Frankreich, der von beiden Seiten in gewisser Weise als der eigentliche Kampf betrachtet wurde, ungelöst und im Ostseeraum kam es noch bis etwa 1660 zu fortgesetzten feindseligen Auseinandersetzungen. Zudem wurde Europa schon bald nach 1648 in eine Vielzahl von Konflikten gestürzt. Sollte es damals überhaupt ein »Westfälisches System« gegeben haben, war es 1670 schon wieder erledigt – das Opfer

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französischen und schwedischen Missbrauchs der Rolle als Friedensgaranten. Erst nach drei Jahrzehnten entstand ein echtes System der Machtbalance. Natürlich gab es einige grundlegende Probleme, die 1648 gelöst wurden, wie etwa die Beendigung des Konflikts zwischen Spanien und den Vereinigten Niederlanden. Der Kampf der holländischen Rebellen gegen die Spanier hatte Befürworter und Gegner in fast jedem europäischen Land gut 80 Jahre lang polarisiert. 2 Nun aber mussten die Menschen ihre eigene Position nicht mehr anhand der ideologisch-konfessionellen Polarität der Kämpfe in den Niederlanden bestimmen, was erheblich zur Marginalisierung des konfessionellen Elements in der europäischen Politik beitrug. Gefördert wurde diese Tendenz wohl noch durch ein weiteres unbeabsichtigtes Ergebnis der Ereignisse von 1648. Der Protest des Papstes gegen den Westfälischen Frieden, der 1649 verbreitet wurde, war aus Sicht der Kurie vielleicht logisch, zeigt aber nur die wachsende Bedeutungslosigkeit Roms in der europäischen Politik – der Papst und die von ihm repräsentierte Kirche waren keine politischen Schwergewichte mehr. 3 Genau deshalb waren die Unterhändler in Münster und Osnabrück durch eine Art Protestabwehrklausel den Einwänden des Papstes zuvorgekommen. 4 Der Westfälische Frieden war säkular und hatte eine säkularisierende Wirkung, weil er geistlichen Mächten, Konzilen oder dem Papsttum explizit das Recht verweigerte, ihn infrage zu stellen. Spekulationen über die Bedeutung des Friedens für die Entwicklung des internationalen Systems lassen außer Acht, dass es sich wesentlich um einen deutschen Frieden handelte. Abgesehen von allgemeinen Bekundungen friedlicher Absichten, sagen die Verträge nichts über Europa als Ganzes, sondern sehr viel über Deutschland im Besonderen aus. Einschätzungen der Bedeutung des Friedens für die deutsche Geschichte fielen traditionellerweise negativ aus. Fritz Dickmann, Autor des Standardwerks über den Westfälischen Frieden, kam 1959 zu dem Schluss, er sei für das deutsche Volk und für das Heilige Römische Reich eine nationale Katastrophe gewesen, »der Anfang jener tödlichen Krankheit, der es schließlich erlag«. »Das Jahr 1648 ist«, daran hat Dickmann keinen Zweifel, »eines der großen Katastrophenjahre unserer Geschichte«. 5 Das Reich habe, so argumentiert der Autor, aufgehört, ein Staat zu sein, und alle seine Regierungsfunktionen seien von den Territorien übernommen worden, die in ihrer Souveränität bestätigt worden wären. Darin folgte Dickmann der Mehrheit der deutschen Historiker der vorangegangenen eineinhalb Jahrhunderte, die behaupteten, der Frieden habe die Deutschen der Tyrannei französischer Manipulation und Kontrolle ausgeliefert und durch die Übertragung von Souveränität auf die Fürsten das Ringen um die deutsche Einheit um mehr als zwei Jahrhunderte zurückgeworfen. Die deutschnationale Tradition der Geschichtsschreibung verwies auf den Verlust des Elsass, der Schweiz und der Niederlande und auf den, wie sie meinten, Zusammenbruch des Reichs als einer funktionierenden Einheit.

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Derlei negative Einschätzungen stehen in bemerkenswertem Kontrast zur positiven Bewertung, die der Frieden in den eineinhalb unmittelbar auf ihn folgenden Jahrhunderten erfuhr. Kommentatoren hatten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keinen Zweifel daran, dass der Westfälische Friede die wahre Reichsverfassung sei und die Grundlagen wie Rahmenbedingungen für die friedliche Entwicklung des Reichs als Quelle der Freiheit seiner Bewohner geliefert habe. 6 Typisch waren positive Sichtweisen der Verträge. Johann Gottfried von Meiern zum Beispiel, der 1734–1736 die Acta Pacis Westphaliae Publica herausgab, bezeichnete den Frieden als »ein Göttliches Gnadengeschenk«. Johann Jacob Schmauss erklärte 1766, der Friede sei »das Band, wodurch die Ruhe des teutschen Reichs und die Freundschaft zwischen Catholischen und Protestanten erhalten wird«. 7 Christoph Matthäus Pfaff schrieb 1742 von dem Palladium der Freiheiten der deutschen Kirchen, dem »Palladium libertatis Germaniae ecclesiasticae«. 8 Ähnliche Auffassungen finden sich ebenfalls häufig in der umfangreichen Literatur des 18. Jahrhunderts über Recht und Politik im Reich. Auch die Jahrhundertfeier des Friedens 1748 beschwor das Gute, das der Friede gebracht habe, und pries seine Rolle als grundlegendes Verfassungsgesetz des Reichs. 9 Diese Bewertungen sind von modernen Historikern, besonders im Umfeld der 350-Jahr-Feier des Friedens 1998, wieder ernst genommen worden. Das Reich wurde damals keineswegs fremden Mächten ausgeliefert; immerhin garantierte der Kaiser, zusammen mit Schweden und Frankreich, den Frieden, auch wenn die Bedingungen für die Garantie so vage gehalten waren, dass es praktisch unmöglich war, sich darauf zu berufen. 10 Sowohl die Garantieklausel als auch der »Verlust« des Elsass waren Historikern wichtig, die zu Zeiten bitterer Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich schrieben, als es Auseinandersetzungen über das Elsass und, nach 1919, den Versailler Vertrag gab. Ebenso entstellte eine nationalistische Teleologie die Bedeutung der Klauseln über die Rechte der Reichsstände. Der im Vertrag verwendete Terminus lautete ius territoriale, was formal dem Begriff Landeshoheit am nächsten kam. Der Ausdruck droit de souveraineté (der dem lateinischen maiestas entsprechen würde), tauchte zwar in einigen französischen Entwürfen, nicht aber im Vertragstext selbst auf. 11 Wenn der Friedensvertrag tatsächlich die »Magna Carta der deutschen Fürsten« war, dann liefen die ihnen eingeräumten Rechte nicht auf Souveränität hinaus. 12 Die Fürsten blieben den Gesetzen des Reichs, der Jurisdiktion seiner Gerichte und letztlich der Jurisdiktion des Kaisers untergeordnet. Allerdings waren einige Fürsten der größeren Territorien schließlich in der Lage, die keineswegs eindeutige Position, die im Vertrag festgeschrieben war, zu ihren Gunsten zu nutzen. Diese Möglichkeit hatten die weniger mächtigen Fürsten und Reichsstände, insbesondere die Reichsritter und Reichsstädte, nicht, weshalb sie vielleicht mehr als alle anderen die Sicherheitsvorkehrungen schätzten, die

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ihnen ihre quasi unabhängige Existenz im politischen Gemeinwesen bewahrten. Spätere Entwicklungen waren 1648 so wenig vorhersehbar wie die Tatsache, dass der Kaiser im späteren 17. Jahrhundert erneut eine starke Position ausbauen würde. Der Vertrag bedeutete das Ende aller Versuche, aus Deutschland eine Monarchie zu machen, beließ dem Kaiser aber seine Stellung in der souveränen Entität »Kaiser und Reich« als letzte rechtsprechende Autorität und als Oberherr des Lehnsreichs. Auf eine präzise Bestimmung kaiserlicher Prärogative und Machtbefugnisse verzichtete der Vertrag. In anderer Hinsicht stärkte der Westfälische Friede die österreichischen Habsburger beträchtlich. Dadurch, dass ihre Länder vom Religionsfrieden ausgenommen waren, konnten sie ihre Herrschaft über Österreich und Böhmen stabilisieren und damit die Grundlage für die Neubelebung der kaiserlichen Autorität im Reich schaffen, ohne die Habsburg nicht in der Lage gewesen wäre, bei der Verteidigung des Reichs gegen die Türken und die Franzosen im späteren 17. Jahrhundert eine entscheidende Rolle zu spielen. Auf sehr lange Sicht könnte die Konsolidierung der Habsburger Monarchie nach 1648 auch die Grundlage für Österreichs Trennung vom Reich zugunsten eines rein habsburgischen (österreichisch-ungarischen) Imperiums gebildet haben, aber das ließ sich 1648 noch nicht vorhersehen und war auch während der nächsten mehr als einhundert Jahre für die Habsburger oder ihre Berater kein Thema. Der Friedensvertrag gehörte zu einer ganzen Reihe grundlegender Gesetze für das Reich, aber er war eines der umfassendsten. Er enthielt eine neue Definition eines alten Gleichgewichts der Mächte. Seine zahlreichen Klauseln über Amnestie und Restitution zielten darauf, alle verfassungsrechtlichen Probleme des vergangenen Jahrhunderts zu lösen. Die Arbeit, diese Probleme zu definieren, hatten die (hauptsächlich protestantischen) Autoren und Kommentatoren auf sich genommen, die auch das neue Fach »Staatsrecht« geschaffen hatten. Der Westfälische Friede stellte die verfassungsbezogene Implementierung des von ihnen formulierten Staatsrechts für das Reich dar. Das war wesentlich die Formalisierung des Systems, das aus den Debatten über die Reformvorschläge Maximilians I. um 1500 hervorgegangen war. Die Grundsätze dieses Systems hatten den Kern fast jeder folgenden politischen Auseinandersetzung und Krise ausgemacht. Die 1648 festgeschriebenen Grundsätze waren »teutsche Libertät« und die Herrschaft des Rechts. »Teutsche Libertät«, zuvor das Motto in Zeiten, in denen sich die Reichsstände gegen den Kaiser zusammenschlossen, war nun Bestandteil der Verfassung. 13 Die Herrschaft des Rechts war förmlich in den Artikeln festgelegt, die sich mit der Beilegung von Konflikten und der Bewahrung des Friedens zwischen den Reichsständen befassten. Auch die »teutsche Libertät« wurde jetzt weiter gefasst. Zwar waren die im Vertrag näher aufgeführten Rechte meistenteils die der Regenten, doch schränkten die Bedingungen des religiösen Friedens diese

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Herrschaftsrechte ein und garantierten zudem die Rechte von Individuen. Das Prinzip der individuellen Gewissensfreiheit blieb zwar auf Katholiken, Protestanten und Reformierte beschränkt, war nun aber festgeschrieben, wie auch das Prinzip der Eigentumssicherheit: Die Regierung hatte nicht das Recht, in die Gewissensfreiheit einzugreifen oder die Sicherheit des Eigentums zu beeinträchtigen. Wurde gegen die Rechte der Reichsstände oder der Individuen verstoßen, konnten sie vor Gericht gehen, um Urteile zu erwirken, die Gesetzeskraft besaßen und von den bewaffneten Streitkräften der Kreise durchzusetzen waren. Der Prozess der »Verrechtlichung« des Reichs, der Mitte des 16. Jahrhunderts begonnen hatte, war nun zum logischen Abschluss gebracht worden. Politisch war der religiöse Konflikt durch den Friedensvertrag endgültig beigelegt. Die Fälle, die er nicht explizit regeln konnte oder die nicht durch Rekurs auf das »Normaljahr« entschieden werden konnten, waren von den Gerichten zu klären. Hier galt nun, wie auch bei den legislativen Mechanismen, das Prinzip konfessioneller Parität, damit religiöse Auseinandersetzungen nicht mehr in Bürgerkriege münden konnten. Auf diese Weise wurde die deutsche Politik nachhaltig entkonfessionalisiert. Das heißt nicht, dass es keine konfessionellen Auseinandersetzungen mehr gegeben hätte; auch konnten politische Parteiungen im Reich bisweilen einen konfessionellen Charakter annehmen. In den 1720er Jahren kam es zu einer akuten konfessionellen Krise und nach 1740 konnte sich Friedrich II. von Preußen, selbst kein gläubiger Monarch, der konfessionellen Politik, wenn es sein musste, auf meisterhafte Weise bedienen. Doch in seinen Grundlagen war das Reich mit seinen Gesetzen 1648 säkularisiert worden. Zudem verschwand nach der Niederschlagung des böhmischen Aufstands, mit der die calvinistische Avantgarde in die europäische Diaspora versprengt wurde, und nach dem Tod von Gustav Adolf die millenaristische Tradition aus dem Hauptstrom der deutschen und mehr noch: der europäischen Politik. 14 Zwar führte Ludwigs XIV. Widerrufung des Edikts von Nantes 1685 zu einer Neubelebung eschatologischer Propaganda, auch und gerade bei den calvinistischen Opfern und ihren Glaubensbrüdern und -schwestern in ganz Europa. Aber das dauerte nur kurz und hatte auch nicht die Überzeugungskraft früherer eschatologischer und chiliastischer Visionen. Es war funktionale Propaganda, die durch Wiederbelebung alter negativer Klischeevorstellungen die öffentliche Meinung mobilisieren sollte. Niemand ging ernsthaft davon aus, dass der französische König die Menschheit erretten werde, auch versprach Ludwig nicht, das Himmelreich auf Erden zu errichten. Im Großen und Ganzen war die Idee eines universellen oder heiligen Reichs an ihr Ende gelangt. Dennoch bedienten sich katholische wie protestantische Juristen weiterhin dieser Terminologie. Die Rechtstitel, die ihre Verwendung begründeten, wurden nicht aufgegeben oder abgeschafft. Das »Reichsherkommen«, die Tradition

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der Staatsgeschäfte, war ein einflussreiches Prinzip des Systems. Es sorgte dafür, dass nichts, und sei es auch überflüssig, aufgegeben wurde. Immer wieder waren deutsche Intellektuelle von Leibniz bis Schiller und den Frühromantikern von der Idee des Universalismus fasziniert, was häufig als Beweis für die deutsche Sehnsucht nach einem verlorenen Traum von einem großen Reich gedeutet wurde. Immer, so hieß es, sehnten sich die Deutschen, manchmal gutmütig, dann wieder tyrannisch, danach, eine Art von Weltreich zu errichten. Tatsächlich war die universalistische Rhetorik sehr häufig ein Mittel, um das Ideal einer Menschheitsentwicklung zu entwerfen, und diente nicht der Förderung deutsch-imperialer Bestrebungen. Ihr Ausgangspunkt war ein universales, einzelne Staaten transzendierendes Christentum. Die politische Wirklichkeit des Reichs wurde zum einen durch die Regierungsfunktionen des Reichstags, zum anderen durch die feudalen Funktionen des Kaisers bestimmt. Die Kombination beider Funktionen gestattet es auch, die geografische Ausdehnung des Reichs gemäß dem Westfälischen Frieden festzulegen. Zum feudalen Reich gehörten Teile Oberitaliens und Burgunds, während die Schweiz und die Niederlande faktisch davon losgelöst waren. Die Position der zur böhmischen Krone gehörenden Gebiete war nicht eindeutig bestimmt, doch standen sie vielleicht den Habsburgern näher als dem Reich. Doch alle diese Ländereien lagen außerhalb des »Reichs der deutschen Nation«. Es bestand per definitionem aus jenen Ständen, die dem Reichstag angehörten oder, wie im Fall der Reichsritter, Reichssteuern zahlten. Um 1500 war dieses Reich großenteils auf Oberdeutschland und die alten Kernregionen des Systems der Hohenstaufen beschränkt, Gebiete, die auch 1648 noch von zentraler Bedeutung waren und ihr Prestige der besonderen Nähe zur Krone pflegten. Doch war das Reich jetzt auch im Norden präsent, wenngleich der Zweite Nordische Krieg (1655–1660) schon bald zeigte, wie begrenzt die Reichweite im Ostseeraum war. Nach 1648 suchten viele Gebiete, die bislang an einer Mitgliedschaft nicht interessiert gewesen waren, Anerkennung und Beteiligung samt den damit einhergehenden Vorteilen. So hatte das Reich eine Verfassung und ein funktionierendes politisches und rechtliches System – aber war es damit ein Staat? Seine Einwohner nutzten das System, waren daran beteiligt und identifizierten sich damit: positiv durch die Freiheiten, die es ihnen gewährte, und negativ gegen die Feinde des Reichs. Kann es also als »Staat der deutschen Nation« bezeichnet werden? Deutsche Historiker haben dies üblicherweise verneint. Fritz Dickmann zum Beispiel folgte einer langen Tradition, als er 1959 bemerkte, das Reich habe 1648 aufgehört, ein Staat zu sein. 15 Selbst viele von denen, die sich nach 1945 von der preußisch-deutschen Tradition abwandten, gingen weiter davon aus, dass das Reich ein pränationales, nichtstaatliches föderatives System gewesen sei. Bestenfalls war es der Vorläufer eines vereinten Europa, nicht aber der Nationalstaat des 19. Jahrhunderts. Der

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postnationalstaatliche Charakter der alten Bundesrepublik Deutschland schien dazu einzuladen, im Reich einen vornationalen, frühneuzeitlichen Vorläufer zu sehen, sodass der Nationalstaat der Epoche von 1871 bis 1945 als Abweichung erscheinen musste. Die von Georg Schmidt 1999 vorgetragenen neuartigen Argumente, das Reich, das er als »Reichsstaat« bezeichnete, als den frühneuzeitlichen Nationalstaat der Deutschen anzusehen, haben heftige Reaktionen hervorgerufen. 16 Doch ist, was er an Begründungen anführt, überzeugend. Das Reich war kein zentralisierter oder zentralisierender Staat, sondern einer mit dezentralisierten Regierungsfunktionen auf unterschiedlichen Ebenen: Kaiser, Reichstag, Reichskreise, territoriale Regierungen. Insofern hatte er viel gemein mit anderen europäischen Monarchien der damaligen Zeit, die keine Zentralstaaten, sondern composite monarchies waren, aus ehemals selbstständigen Fürstentümern und Königreichen zusammengesetzte Monarchien. Vergleiche des Reichs mit den Bestrebungen einiger westeuropäischer Monarchien oder dem Modell dessen, was aus einigen von ihnen wurde, führen in die Irre. Hilfreicher ist der Vergleich mit dem polnisch-litauischen Verbund, mit den Vereinigten Niederlanden oder der Schweizer Eidgenossenschaft. Kritiker haben bisweilen bizarre Umschreibungen gewählt, um den Begriff »Staat« zu vermeiden. Einer bezeichnete das Reich als »teilmodernisiertes Reichssystem« (Schilling), ein anderer als »neuartiges zweistöckiges Herrschaftssystem« (Reinhardt) oder aber als »segmentäres Verfassungssystem« (Marquardt), das aus an die zehntausend weitgehend autonomen »lokalen Herrschaften« zusammengesetzt war. 17 Der gemeinsame Nenner besteht in der Abwesenheit von Eigenschaften, die dem europäischen Staat als notwendige zugeschrieben werden: ein einheitliches Ensemble von Untertanen oder Staatsbürgern, ein einheitliches, zusammenhängendes Territorium, eine ungeteilte, souveräne staatliche Autorität mit außenpolitischer Handlungsfreiheit und innenpolitischem Gewaltmonopol. 18 Gut möglich, dass der nur selten verwendete Begriff Reichsstaat nicht viel besagt. Im frühneuzeitlichen Deutsch bedeutete »Staat« häufig so viel wie »System« und so muss das Wort »Staat« in seiner Anwendung auf das Reich nichts anderes bedeuten als in seiner Anwendung auf die zum Reich gehörenden Territorien. Wahr ist auch, dass das Reich sich von vielen benachbarten politischen Gemeinwesen erheblich unterschied. Zu den grundlegendsten Unterschieden gehört, dass es auf dem kaiserlich-feudalen Verband, dem »Reichslehnsverband«, beruhte und somit zum Beispiel die ursprünglichen, aus dem Mittelalter stammenden friedensbewahrenden Funktionen solcher Systeme beibehalten hatte. Dem Reich fehlten jene Eigenschaften frühneuzeitlicher Staaten, die militärische Macht, Expansionismus oder Kolonialismus zum Ausdruck brachten. Allerdings hatten die Staatsrechtstheoretiker, die zwischen 1648 und 1806 über das Reich schrieben, keine Hemmung, es als Staat zu bezeichnen. 19 Und Lud-

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wig XIV., der mehr als jeder andere wusste, was ein Staat war, riet dem Dauphin im Zuge abnehmender Wertschätzung, sich von den imposanten Titeln des Kaisers nicht beeindrucken oder einschüchtern zu lassen: »A leur faire justice, on doit les regarder commes les chefs et les capitaines généraux d’une République d’Allemagne« (»Um ihnen [den Kaisern] gerecht zu werden, muss man sie als die Feldherren oder Oberbefehlshaber einer Republik Deutschland ansehen«) – Ludwig sah Deutschland als einen, wenngleich nicht besonders mächtigen Staat an, und zwar als Republik, nicht als Monarchie. 20 Die Behauptung, das Reich sei kein Staat gewesen, wird häufig mit dem Hinweis darauf gestützt, dass es ein nach 1648 zur Weiterentwicklung unfähiges System war. Der Friede habe zwar die Probleme des vorangegangenen Jahrhunderts gelöst, aber keinen Horizont für den Umgang mit den Herausforderungen des kommenden eröffnet. Das erscheint auf den ersten Blick plausibel, denn es verweist auf häufig zitierte Bemerkungen über die Inkompetenz und den erstarrten Zustand des Reichs und seiner Institutionen im Endstadium. Außerdem war der Westfälische Friede seiner Absicht nach unzweifelhaft restaurativ, zielte er doch darauf, das Reich in einen Status quo ante zu versetzen, statt etwas Neues zu schaffen. 21 Aber dieser Staat schrieb sich in einen Vertrag ein, der sich selbst als perpetua lex et pragmatica imperii sanctio (immerwährendes Verfassungsgrundgesetz des Reichs) bezeichnete und der nur sechs Jahre später vom Reichstag als »Fundamental-Gesetz des Hl. Reiches« anerkannt wurde, und das war an sich selbst eine Innovation. 22 Der Terminus »Fundamental-Gesetz des Hl. Reiches« tauchte bemerkenswerterweise zum ersten Mal in einem gesetzlichen Dokument von 1636 auf, nämlich in der Wahlkapitulation von Ferdinand III. 1654 galt der Westfälische Friede als Höhe- und Schlusspunkt einer Reihe von Fundamentalgesetzen wie der Goldenen Bulle von 1356, dem Ewigen Landfrieden von 1495 und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 samt seiner »Exekutionsordnung«. Aber die Friedenskonferenz ließ auch zentrale Probleme offen (die sogenannten negotia remissa), die von einem kommenden Reichstag entschieden werden sollten. Die Lösung dieser Probleme beschäftigte das Reich noch einige Jahrzehnte. Die Debatte darum und das Wesen des Reichs wurden von vielen außenpolitischen Herausforderungen geprägt, die das ihre zur Weiterentwicklung des politischen Gemeinwesens bis ins frühe 19. Jahrhundert beitrugen.

Anmerkungen 1 2 3

Duchhardt, »Westphalian System«; Parker, Thirty Years War, 192–196; Repgen, »Friede«, 639–640; Wolfrum, Krieg, 33–46. Parker, Thirty Years War, 196. Dickmann, Frieden, 494–496; Heckel, »Konfessionalisierung«, 672–684.

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4 IPO, Art. XVII, § 3. 5 Dickmann, Frieden, 496. Unverändert steht diese Beurteilung noch in der 7. Auflage von 1998.Vgl. auch Aretin, Altes Reich, Bd. I, 26–27. 6 Repgen, »Friede«, 637–641; Kremer, Friede, passim. 7 Schmidt, Geschichte, 192. 8 Schneider, Ius reformandi, 479 (Anm. 72). 9 Gantet, Paix, 303–360; Repgen, »Friede«, 637–638; Whaley, Toleration, 186, 194; François, Grenze, 153–167. 10 Aretin, Altes Reich, Bd. I, 26–29. 11 Gotthard, Altes Reich, 103. 12 Press, »Soziale Folgen«, 244. 13 Schmidt, »Westfälischer Friede«. 14 Lau, Stiefbrüder, 202–251, 464–469, behauptet, dass die französischen Angriffe der 1660er Jahre in ganz Europa nationale Reaktionen hervorriefen, die ihre Stärke aus der Dämonisierung Ludwigs XIV. als »weltlicher Antichrist« bezogen; auf diese Weise dienten der religiösen Tradition entlehnte Bilder rein weltlichen Kampagnen, die ihrerseits »modernen« nationalen Identitäten den Boden bereiteten. 15 Dickmann, Frieden, 494. 16 Schmidt, Geschichte. Zur Kontroverse vgl. Whaley, »Old Reich«; Schnettger, »Reichsverfassungsgeschichtsschreibung«, 145–151. Schmidt antwortet auf die Kritiker in seinem Aufsatz »Das frühneuzeitliche Reich«. 17 Schilling, »Reichs-Staat«, 394; Reinhard, »Frühmoderner Staat«; Marquardt, Reich. 18 Reinhard, »Frühmoderner Staat«, 347; Reinhard, Staatsgewalt, 52–55. 19 Kremer, Friede, 67–79. 20 Noël, »Nation allemande«, 327. 21 Press, »Krise«. 22 Conrad, Rechtsgeschichte, Bd II, 360.

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Literatur

–,

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Literatur

–,

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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»Das Reich als Verteidigungs- und Friedensorganisation«, in: ders. (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806: Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806 (Dresden, 2006), 118–33. –, Konfessionalisierung und Staatsinteressen: Internationale Beziehungen 1559–1660 (Paderborn, 2007). – (Hg.), Konfessioneller Fundamentalismus: Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600 (München, 2007). Schilling, Johannes, »Hutten und Luther«, in: Johannes Schilling und Ernst Giese (Hgg.), Ulrich von Hutten und seine Zeit: Schlüchterner Vorträge zu seinem 500. Geburtstag (Kassel, 1988), 87–115. Schindling, Anton, Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt: Gymnasium und Akademie in Strassburg 1538–1621 (Wiesbaden, 1977). –, »Reichskirche und Reformation: Zu Glaubensspaltung und Konfessionalisierung in den geistlichen Fürstentümern des Reiches«, in: Johannes Kunisch, Klaus Luig und Peter Moraw (Hgg.), Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte (Berlin, 1987), 81–112. –, »Konfessionalisierung und Grenzen von Konfessionalisierbarkeit«, in: Anton Schindling und Walter Ziegler (Hgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung: Land und Konfession 1500–1650, 7 Bde. (Münster, 1989–1997), VII, 9– 44. – und Walter Ziegler (Hgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung: Land und Konfession 1500–1650, 7 Bde. (Münster, 1989–1997). –, »Der Passauer Vertrag und die Kirchengüterfrage«, in: Winfried Becker (Hg.), Der Passauer Vertrag von 1552: Politische Entstehung, reichsrechtliche Bedeutung und konfessionsgeschichtliche Bewertung (Neustadt an der Aisch, 2003), 105–123. Schirmer, Uwe, »Die Finanzen im Kurfürstentum Sachsen (1553–1586)«, in: Friedrich Edelmayer, Maximilian Lanzinner und Peter Rauscher (Hgg.), Finanzen und Herrschaft: Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert (Wien und München, 2003), 143–185. Schlink, Roland, Hoffmann von Fallerslebens vaterländische und gesellschaftskritische Lyrik (Stuttgart 1981). Schmid, Alois, »Humanistenbischöfe: Untersuchungen zum vortridentinischen Episkopat in Deutschland«, Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, LXXXVII (1992), 159–192. –, »Kurfürst Maximilian I. von Bayern und die Obere Pfalz«, in: Johannes Laschunger (Hg.), Der Winterkönig: Königlicher Glanz in Amberg (Amberg, 2004), 116–131. Schmid, Peter, »Reichssteuern, Reichsfinanzen und Reichsgewalt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts«, in: Heinz Angermeier (Hg.), Säkulare Aspekte der Reformationszeit (München, 1983), 153–199. –, Der gemeine Pfennig von 1495: Vorgeschichte und Entstehung, verfassungsgeschichtliche, politische und finanzielle Bedeutung (Göttingen, 1989). Schmidt, Alexander, »Ein französischer Kaiser? Die Diskussion um die Nationalität des Reichsoberhauptes im 17. Jahrhundert«, Historisches Jahrbuch, CXXIII (2003), 149–177. –, Vaterlandsliebe und Religionskonflikt: Politische Diskurse im Alten Reich (1555–1648) (Leiden, 2007). Schmidt, Georg, Der Städtetag in der Reichsverfassung: Eine Untersuchung zur korporativen Politik der freien und Reichsstädte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Stuttgart, 1984).

Literatur

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»›Frühkapitalismus‹ und Zunftwesen: Monopolbestrebungen und Selbstverwaltung in der frühneuzeitlichen Wirtschaft«, in: Bernhard Kirchgässner (Hg.), Stadt und wirtschaftliche Selbstverwaltung (Sigmaringen, 1987), 77–114. »Des Prinzen Vaterland? Wilhelm I. Von Oranien (1533–1584) zwischen Reich, deutscher Nation und den Niederlanden«, in: Ralph Melville (Hg.), Deutschland und Europa in der Neuzeit: Festschrift für Karl Otmar Fhrh. von Aretin zum 65. Geburtstag, 2 Bde. (Stuttgart, 1988), I, 223–239. »Ulrich von Hutten, der Adel und das Reich um 1500«, in: Johannes Schilling und Ernst Giese (Hgg.), Ulrich von Hutten und seine Zeit: Schlüchterner Vorträge zu seinem 500. Geburtstag (Kassel, 1988), 19–34. »Die politische Bedeutung der kleineren Reichsstände im 16. Jahrhundert«, Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus, XII (1989), 185–206. Der Wetterauer Grafenverein: Organisation und Politik einer Reichskorporation zwischen Reformation und Westfälischem Frieden (Marburg, 1989). »Städtetag, Städtehanse und frühneuzeitliche Reichsverfassung«, in: Michael Stolleis (Hg.), Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt (Köln und Wien, 1991), 41–61. »Der Westfälische Frieden: Eine neue Ordnung für das Alte Reich?«, in: Reinhard Mußgnug (Hg.), Wendemarken in der deutschen Verfassungsgeschichte (Berlin, 1993), 45–72. »Integration und Konfessionalisierung: Die Region zwischen Weser und Ems im Deutschland des 16. Jahrhunderts«, Zeitschrift für historische Forschung, XXI (1994), 1–36. »Die Städte auf dem frühneuzeitlichen Reichstag«, in: Bernhard Kirchgässner und HansPeter Brecht (Hgg.), Vom Städtebund zum Zweckverband (Sigmaringen, 1994), 29–43. »Deutschland am Beginn der Neuzeit: Reichs-Staat und Kulturnation?«, in: Christine Roll (Hg.), Recht und Reich im Zeitalter der Reformation (Frankfurt am Main, 1996), 1–30. »Schmalkaldischer Bund und ›Reichs-Staat‹«, in: Der Schmalkaldische Bund und die Stadt Schmalkalden (Schmalkalden, 1996), 3–18. »Luther und die frühe Reformation: Ein nationales Ereignis?«, in: Bernd Möller (Hg.), Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch (Gütersloh, 1998), 54–75. »Städtehanse und Reich im 16. und 17. Jahrhundert«, in: Antjektrin Graßmann (Hg.), Niedergang oder Übergang? Zur Spätzeit der Hanse im 16. und 17. Jahrhundert (Köln, 1998), 25–46. Geschichte des Alten Reiches: Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806 (München, 1999). »Teutsche Kriege: Nationale Deutungsmuster und integrative Wertvorstellungen im frühneuzeitlichen Reich«, in: Dieter Langewiesche und Georg Schmidt (Hgg.), Föderative Nation: Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg (München, 2000), 33–61. »Die ›deutsche Freiheit‹ und der Westfälische Friede«, in: Klaus Garber (Hg.), Der Frieden: Rekonstruktion einer europäischen Vision (München, 2001), 323–347. »Die frühneuzeitliche Idee ›deutsche Nation‹: Mehrkonfessionalität und säkulare Werte«, in: Heinz-Gerhard Haupt und Dieter Langewiesche (Hgg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte (Frankfurt am Main, 2001), 33–67. »Das früneuzeitliche Reich: Komplementärer Staat und föderative Nation«, Historische Zeitschrift, CCLXXIII (2001), 371–399.

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Literatur

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»›Teutsche Libertät‹ oder ›Hispanische Servitut‹: Deutungsstrategien im Kampf um den evangelischen Glauben und die Reichsverfassung, 1546–1552«, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548/50: Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt (Gütersloh, 2005), 166– 91. –, »›Aushandeln‹ oder ›Anordnen‹: Der komplementäre Reichs-Staat und seine Gesetze im 16. Jahrhundert«, in: Maximilian Lanzinner (Hg.), Der Reichstag 1486–1613: Kommunikation, Wahrnehmung, Öffentlichkeit (Göttingen, 2006), 95–116. –, »Die Idee ›deutsche Freiheit‹: Eine Leitvorstellung der politischen Kultur des Alten Reiches«, in: Georg Schmidt, Martin van Gelderen, Christopher Snigula (Hgg.), Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa, 1400–1850 (Frankfurt a. M., 2006), 159– 189. –, »Der Kampf um Kursachsen, Luthertum und Reichsverfassung (1546–1553): Ein deutscher Freiheitskrieg?«, in: Volker Leppin (Hg.), Johann Friedrich I., der lutherische Kurfürst (Gütersloh, 2006), 55–84. –, »Das Reich und die deutsche Kulturnation«, in: Heinz Schilling (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806: Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806 (Dresden, 2006), 105–116. –, Der Dreißigjährige Krieg, 8 Aufl. (München, 2010). –, »Die Union und das Heilige Römische Reich deutscher Nation«, in: Albrecht Ernst und Anton Schindling (Hgg.), Union und Liga 1608/09: Konfessionelle Bündnisse im Reich: Weichenstellung zum Religionskrieg (Stuttgart, 2010), 9–28. Schmidt, Heinrich, Ostfriesland im Schutze des Deiches (Leer, 1975). Schmidt, Heinrich Richard, Reichsstädte, Reich und Reformation: Korporative Religionspolitik 1521–1529/30 (Stuttgart, 1986). –, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (München, 1992). –, »Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung«, Historische Zeitschrift, CCLXV (1997), 639–682. Schmidt, Peer, Spanische Universalmonarchie oder »teutsche Libertet«: Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges (Stuttgart, 2001). Schmitz, Walter, Verfassung und Bekenntnis: Die Aachener Wirren im Spiegel der kaiserlichen Politik (1550–1616) (Frankfurt a. M., 1983). Schneider, Bernhard Christian, Ius reformandi: Die Entwicklung eines Staastkirchenrechts von seinen Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches (Tübingen, 2001). Schneider, Konrad, Die Münz- und Währungspolititk des Oberrheinischen Reichskrieges im 18. Jahrhundert (Koblenz, 1995). Schnell, Rüdiger, »Deutsche Literatur und deutsches Nationalbewußtsein im Spätmittelalter und Früher Neuzeit«, in: Joachim Ehlers (Hg.), Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter (Sigmaringen, 1989), 247–319. Schnettger, Matthias, »Impero romano–Impero germanico: Italienische Perspektiven auf das Reich in der frühen Neuzeit«, in: Matthias Schnettger (Hg.), Imperium Romanum – Irregulare Corpus – Teutscher Reichs-Staat: Das Alte Reich im Verständnis der Zeitgenossen und der Historiographie (Mainz, 2002), 53–75. –, »Principe sovrano« oder »Civitas imperialis«? Die Republik Genua und das Alte Reich in der frühen Neuzeit, 1556–1797 (Mainz, 2006). –, »Von der ›Kleinstaaterei‹ zum ›komplementären Reichs-Staat‹. Die Reichsverfassungsgeschichtsschreibung seit dem Zweiten Weltkrieg«, in: Hans-Christof Kraus (Hg.), Geschichte der Politik: Alte und neue Wege (München, 2007), 129–154.

Literatur

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Literatur

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Literatur

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Register Aachen 40, 209, 218, 314–315, 429, 492– 493, 507, 514, 527, 594, 653–657 Ablasshandel 74, 122, 129, 138, 153, 189, 194, 196, 219 Absberg, Thomas von 271–272, 276–277 Adelsrepublik Friedberg 70 Adolf III. von Schaumburg, Erzbischof von Köln (1546–1556) 353, 496 Agricola, Rudolf 143–144, 146, 150 Albrecht II., heilig-römischer König (1438– 1439) 119 Albrecht III., der Tapfere, Herzog von Sachsen (1464–1500) 106 Albrecht IV., Herzog von Bayern (1465– 1508) 109–111 Albrecht V., Herzog von Bayern (1550– 1579) 415, 428, 435, 476, 486, 488–489 Albrecht V., Herzog von Österreich (1404– 1437) 40 Albrecht Alcibiades, Markgraf von Brandenburg-Kulmbach (1527–1553) 411–413, 415, 443–444, 484–485 Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz (1514–1545) 126–127, 129, 138, 151, 194–195, 207, 237, 322, 352–353 Albrecht von Brandenburg-Ansbach, Herzog von Preußen (1525–1568) 45, 238, 324– 325, 411 Alchemie 645 Alexander VI., Papst (1492–1503) 159 Allgäu 69, 71, 176, 286, 288 Altdorfer Universität 566–567, 616, 661 Althusius, Johannes 564–565 Amberg 519, 558, 576, 623 Ämterreform 598–600 Amtmann 268–269, 271–272, 600 Andreae, Jakob 612 Andreae, Johann Valentin 569–571, 577, 663, 679

Anhalt 106, 321, 323, 510, 576–577, 597, 613, 615, 644, 672, 713, 739 Annaberg 167, 721 Antiklerikalismus 134, 141, 145, 231, 253, 283, 431 Anton der Gute, Herzog von Lothringen (1508–1544) 274, 289, 294–295 apokalyptisches Denken 115–116, 282, 300, 311 Appenzell 179 Architektur 137, 593, 639, 643–644, 663 Aretin, Karl Otmar von 24 Armenfürsorge 333, 665–666 Armer Konrad (Aufstand) 180–181, 285 Arminius 86, 151, 218 Arndt, Johann 471 Arnisäus, Henning 565 Aschaffenburg 231, 640 Astrologie und Astronomie 85, 164, 282, 645, 662 Aufklärung 27–29, 374 Augsburg 50, 52, 57, 102, 104–105, 110, 125–127, 131–132, 136, 141, 150, 168– 171, 204, 228, 286, 305, 314, 325, 327, 330, 334, 347–348, 373–378, 381, 387, 392, 401–402, 406–407, 411, 414–417, 423, 444, 477–487, 492–494, 501–503, 533, 548, 580, 594, 612, 616–617, 622, 643, 650–652, 664–665, 672, 730, 745, 755, 757, 770 Augsburger Frieden 10, 24, 64, 91, 96, 203, 278, 315, 332–333, 349, 354, 379, 416, 423–424, 427, 441, 445, 477, 491, 494, 509, 543, 545, 569, 587, 589, 591, 610, 619–620, 648–650, 654, 686, 691, 707, 715–716, 756, 780 August, Herzog von Braunschweig-Lüneburg (1635–1666) 571 August I., Kurfürst von Sachsen (1553–

Register

1586) 426, 428, 435, 486–487, 495, 497, 503–504, 507, 600, 612, 628, 645

Baden 25, 72, 111, 179–181, 291, 298, 323, 339, 489, 513, 519, 523, 603, 606, 614, 622, 631, 633, 698, 729, 738 Balthasar von Dernbach, Fürstabt von Fulda (1570–1576, 1602–1606) 489 Bamberg 157, 226, 283–284, 288, 291, 352, 386, 412–413, 434, 483–484, 548, 607, 640, 672, 715, 727, 729, 769 Basel 43, 54, 107–108, 116, 118–121, 125– 126, 131, 141, 153, 157, 184, 244–246, 249–250, 275, 298, 352, 433, 728, 762 Basel (Universität) 624 Bauernkrieg 85, 92–94, 173–174, 186, 203, 213, 239, 241–242, 256, 261, 277, 280– 301, 305, 309, 325–328, 338, 410, 484, 530, 607, 670, 706, 769 Bayern 23, 25, 51, 69, 72, 74, 110–112, 134– 135, 147, 171–172, 174, 177, 206, 213, 225, 230–231, 257, 268, 271, 282, 294– 295, 298, 300, 321–322, 335, 343–345, 350–352, 359, 370, 377, 384–392, 399, 401, 413, 415, 428, 430, 434–435, 465, 476, 486, 488, 490, 495–498, 502–503, 510, 515, 519–522, 524, 527, 530–531, 547–551, 561, 592, 594, 598–600, 603, 607, 610, 615, 626, 639, 645, 665, 670, 672, 676–677, 690, 694, 696, 701–702, 710– 717, 721, 726–727, 735, 737, 744–748, 755–756, 762, 769–770 Bebel, Heinrich 147, 149 Bekker, Balthasar 676 Bergbau 167–169, 182, 185, 270, 347, 454, 556, 627 Berlichingen, Götz von 106, 241, 271, 281, 288 Berlin 639, 734 Bern 83, 180, 245, 250 Bernardo Clesio, Bischof von Trient (1514– 1539) 358, 388 Bernegger, Matthias 573, 661, 663 Berthold von Henneberg, Erzbischof von Mainz (1484–1504) 57, 60, 62, 64, 107, 159

Besançon 44, 124 Besold, Cristoph 570, 630 Besteuerung siehe Steuer Beukelsz, Jan 311–312 Bevölkerung(sentwicklung) 79, 165–167, 171–175, 184–185, 296, 324, 591–592, 652, 655, 768 Beza, Theodor 606 Biberach 652, 757 Blickle, Peter 27, 94–95, 281 Bodin, Jean 76, 564–565, 630–631, 656, 673, 754 Böhm, Hans 137, 179 Böhme, Jakob 571 Böhmen 40, 45–46, 51, 55–56, 62–63, 73, 79, 99, 119, 134, 165, 173, 213, 301, 344, 351, 359, 362, 370, 383, 386, 400, 408– 409, 411, 413, 427–432, 530, 532–533, 535–536, 538–539, 542, 546, 550–551, 553–561, 571–573, 581, 594, 619, 639– 640, 664, 691, 693, 696–697, 703–706, 710–711, 720, 722, 726, 728, 734, 736, 744–746, 756, 768, 776 Bonn 125, 497–498 Bornitz, Jakob 630, 660–661 Brady, Thomas 16, 27, 95, 111, 301 Brandenburg 22, 25, 40, 45, 51, 55, 60, 71, 73–74, 82, 111–112, 119, 124, 126, 128, 135, 166, 173, 195, 272, 322, 325, 330, 346, 349, 354, 362, 386–387, 392, 394, 398, 400, 406, 408, 413, 415, 429, 435–436, 439, 462, 478, 481, 484, 491, 494, 497– 498, 503, 505, 509, 511, 515, 519–527, 546–548, 553, 558, 561, 597, 600, 603, 606, 623, 626–627, 629, 639, 644–645, 663, 670, 694, 698, 702, 704, 715–718, 721, 725, 730–731, 734–738, 742, 744, 748, 760, 773 Brandenburg-Ansbach 45, 238, 321, 324, 372, 383, 387, 483–484 Brandenburg-Kulmbach 322, 399, 411, 579 Brant, Sebastian 160–161 Braunschweig 74, 111, 127, 132, 168, 182, 206, 225, 232, 254, 275, 310, 322–323, 330, 342, 344, 346, 350, 372, 381, 389, 391, 397–399, 413, 436, 490, 510, 515, 565, 567, 571, 606, 617, 627, 640, 644, 649,

829

830

Register

672, 698, 709, 712–713, 716, 742, 747– 748, 760 Brecht, Bertolt 685 Brecht, Martin 28 Breisgau 100, 108, 181, 285, 769 Bremen 124, 127, 310, 315, 343, 381, 400, 406–407, 409, 437, 478, 495, 593, 613, 618, 649, 652, 666, 709, 712–715, 725, 760, 770 Brenz, Johannes 238, 477 Breslau 370, 573, 593, 632, 698, 704 Brixen 46, 126, 289–290, 293, 352, 531 Bryce, James 22 Bucer, Martin 238, 249, 275, 353, 391, 406, 612, 617–618 Buchdruck 82, 157–162, 195, 347, 691 Bucquoy, Charles Bonaventure de Longueval, Graf von 559–560, 697–698 Bugenhagen, Johannes 295, 309–310, 330, 332, 338, 371, 617 Bundschuh-Bewegung 85, 180–181, 278, 282, 291 Bürgerschaft 314 Burgund 40–45, 54–56, 63, 83, 99–106, 109, 162, 180, 203–204, 207–208, 210, 343, 345–346, 363–364, 366, 403, 408, 450, 454, 458, 464, 467, 470, 603, 642, 762, 778 Bursfelde 132–133

Cajetan, Thomas 152, 197–198, 218 Calvin, Jean 15, 364, 612–613, Calvinismus 15, 278, 364, 415, 424, 426, 434, 467, 480–482, 487, 493, 502–505, 519–520, 531, 533, 539, 551, 558, 573, 587, 606, 611–615, 618–619, 623, 637, 641, 652–655, 661, 663, 672, 686–687, 690, 693, 696, 698, 702–703, 715, 717, 738, 757, 777 Camerarius, Joachim 616 Camerarius, Ludwig 701, 711, 722 Cammin 124, 126, 354, 715, 760 Campeggio, Lorenzo 228, 230 Carlowitz, Georg von 348 Carsten, F. L. 73 Celtis, Conrad 63, 84, 149–151, 575

Chemnitz, Philipp Bogislaw von 567, 754, 758 Chiemsee 124 Chieregati, Francesco 227–228 Christian, Herzog von Braunschweig 698– 699, 709 Christian I., Fürst von Anhalt-Bernburg (1586–1630) 432, 505–506, 518–520, 523, 535, 539, 545–551, 558–559, 623, 709 Christian I., Kurfürst von Sachsen (1586– 1591) 503, 506, 622 Christian II., Fürst von Anhalt-Bernburg (1630–1656) 577, 580 Christian II., Kurfürst von Sachsen (1591– 1611) 503, 642 Christian IV., König von Dänemark (1588– 1648) 523, 689–690, 711–714, 717, 724, 735 Christoph, Herzog von Württemberg (1550– 1568) 385, 415, 428, 434, 485, 603 Christoph von Braunschweig-Wolfenbüttel (1511–1547) 127 Chur 123, 125–126, 135, 290 Clapmarius, Arnold 566, 661 Clemens VII., Papst (1523–1534) 213, 228, 366–367 Clemens VIII., Papst (1592–1605) 536 Cochlaeus, Johannes 85, 150 Confessio Augustana 330 Confessio Bohemica 533 Confessio Fraternitatis 569 Confessio Tetrapolitana 375 Conring, Hermann 86, 567 Contzen, Adam 568, 691 Cottbus 349 Crossen 349

Daniel Brendel von Homburg, Erzbischof von Mainz (1555–1582) 429, 490 Danzig 68, 565, 573, 593–594, 666, 723–724 DDR 19, 26–28, 93 Declaratio Ferdinandea 416, 478, 490–491 Dessau, Bündnis von 232 Dessau, Schlacht bei (1626) 713 deutsche Länder 21, 23, 27, 34, 86 deutsche Libertät 32, 358, 383, 385, 390,

Register

399, 401, 409, 417, 502, 548, 550, 559, 718, 729, 736, 739, 749, 754, 776 deutsche Sprache 39, 80–83, 144, 150, 153, 158–159, 218, 233, 347, 573–579, 704 Deutschland 9–11, 15, 19–34, 39–43, 63, 67, 79, 85, 93, 95, 105, 123, 144, 150, 251 Deutschordensritter 124, 468 Deventer 117, 133, 143, 146 Dickmann, Fritz 774, 778 Dillinger Universität 616 Dinkelsbühl 68, 501, 652, 757 Dithmarschen 71, 171 Donauwörth 387, 521–523, 538, 566, 652, 655, 736, 757 Dortmund 525–526, 653–655 Dreißigjähriger Krieg 10, 16, 24, 46, 155, 315, 423, 477, 514, 518, 532, 580, 608, 618–620, 635, 640, 658, 678, 685–780; siehe auch Gegenreformation; Westfälischer Friede Dreitzel, Horst 29 Dresden 347, 550, 598, 611–612, 640–645, 704, 730, 734 Dürer, Albrecht 238, 296, 767

Eberhard I., der Bärtige, Graf und Herzog von Württemberg (1459–1496) 74, 136, 181, 336 Eberlin, Johann, von Günzburg 244–245, 257, Ebernburg 153, 267, 273, 275 Eck, Johannes 153, 171, 197, 239, 350–351, 375 Eck, Leonhard von 350, 352, 385, 387, 389 Eichstätt 343, 352, 548, 631, 672, 715, 730, 769 Eichstätter Bund 386–387 Einbeck 381 Ellwangen 548, 715, 769 Elsass 15, 44, 65, 71, 85, 100, 110–111, 132, 137, 142, 146–147, 164–166, 174, 177, 179–181, 212, 280–283, 288–294, 305, 344, 430, 511, 549, 559, 605, 650, 668, 699, 715, 730, 736, 742–743, 761–762, 769, 774–775 Emden 81, 315, 593, 613–614, 623, 649, 652

Emigration, Recht auf (ius emigrandi) 479, 610, 621, 757 Entkonfessionalisierung 777 Erasmus, Desiderius (Erasmus von Rotterdam) 143–146, 151, 154, 193–194, 222, 244, 246–247, 254, 257, 261–263, 332, 345–351, 392, 431 Erbeinung 390 Erblande 56, 73, 98–101, 105, 107, 111, 162, 164, 169, 204, 230, 273, 360, 362–363, 383, 402–403, 408, 427, 431, 445, 450– 451, 458, 464–465, 538, 543–544, 549– 550, 553, 556, 558, 561, 607, 723, 743, 745 Erbverbrüderung 79, 435 Erfurt 131, 143, 146, 190–191, 252–253, 352, 444, 649, 726 Erfurter Universität 141, 190, 616 Erich, Herzog von Braunschweig-Calenberg (1491–1540) 399 Erich von Braunschweig-Grubenhagen, Bischof von Münster (1532) und Paderborn (1508–1532) 127 Ernst, Erzherzog von Österreich 430, 432, 469, 532, 534, 536 Ernst I., Herzog von Braunschweig-Lüneburg (1520–1546) 323, 372, 381 Ernst von Bayern, Erzbischof von Köln (1583–1612) 488, 496–498 Esslingen 60, 211, 215, 230, 381, 383, 652 Eugen IV., Papst (1431–1447) 119, 122 Europäische Union 25 Ewiger Landfriede (1495) 20, 57, 108, 209, 269, 403, 780

Ferdinand I., heilig-römischer Kaiser (1558– 1564) 40, 46, 152, 204, 210–214, 226, 229–231, 233, 250, 277, 289, 301, 323, 342, 344, 357–378, 384–394, 399–403, 407–408, 411–417, 423, 427–436, 441, 444, 451, 462, 468–470, 475–480, 485– 492, 531–532, 564, 597–598, 603, 652 Ferdinand II., heilig-römischer Kaiser (1619– 1637) 522–524, 531–532, 535, 538–539, 542, 548–561, 580–581, 598, 605, 688– 697, 701–725, 734–738, 741, 744–746, 749, 759, 761, 769

831

832

Register

Ferdinand III., heilig-römischer Kaiser (1637–1657) 707, 727, 746–751, 762, 780 Ferdinand von Bayern, Erzbischof von Köln (1612–1650) 488, 669, 712, 716, 755 Fest, Joachim 685 Feudalismus 26, 93, 245, 606 Franche-Comté 41, 44, 63, 344, 351, 363– 364, 762 Franken 68–69, 111–112, 149, 171, 174– 176, 207, 269–271, 273, 276–277, 283, 288, 293–295, 308, 437–438, 447, 486, 491, 665, 667, 715, 726, 730, 737, 742 Frankfurt am Main 40, 54, 121, 148, 207, 274, 280, 288, 314, 381–382, 392, 427, 429, 443, 446, 456–457, 505, 560, 593– 594, 603, 628, 643, 648, 655–658, 667, 669, 692, 722, 726, 730, 737, 749, 752, 767 Frankfurt an der Oder 573 Franz I., König von Frankreich (1483– 1498) 103, 204–206, 246, 363, 366 Franz II., heilig-römischer Kaiser (1792– 1806) 23 Franz, Günther 296, 299, 768 Franz Wilhelm von Wartenberg, Fürstbischof von Osnabrück (1625–1634) 714, 716, 754, 760–761 Frecht, Martin 238 Frederik II., König von Dänemark (1559– 1588) 468, 689–690, Frederik III., König von Dänemark (1648– 1670) 712 Freiberg 182, 348 Freiburg im Breisgau 100, 153, 244, 334, 744 Freiburger Universität 77, 616 Freie Städte 50, 68, 94, 108 Freising 125, 127, 135, 352, 488, 632, 640 Friedberg 70, 515, 667 Friedeburg, Robert von 29 Friedrich I., Kurfürst der Pfalz (1451– 1476) 74 Friedrich I. Barbarossa, heilig-römischer Kaiser (1155–1190) 39, 50 Friedrich II., der Große, König von Preußen (1740–1786) 22, 25, 777

Friedrich II., Kurfürst der Pfalz (1544– 1556) 346, 434, 614 Friedrich III., der Weise, Kurfürst von Sachsen (1486–1525) 45, 138, 192, 194, 198, 205, 207, 221–222, 225, 236–237, 260, 322, 324, 645 Friedrich III., heilig-römischer Kaiser (1452– 1493) 41, 53, 55–56, 63, 83–85, 99, 119 Friedrich III., Kurfürst der Pfalz (1559– 1576) 434, 480–481, 487, 614, 640 Friedrich IV., Kurfürst der Pfalz (1583– 1610) 497, 503, 523, 614, 623, 642 Friedrich V., Kurfürst der Pfalz (1610– 1623) 550, 559, 561, 571, 573, 614, 623, 641, 691, 696–702, 709, 711–712, 717, 722, 726–727, 729, 731, 738, 756, Friedrich von Wied, Erzbischof von Köln (1562–1567) 429, 482, 496 Friesland 70, 100, 465, 623, 710 Fritz, Joß 181–182 Fruchtbringende Gesellschaft 575–581, 739 Frundsberg, Georg von 106 Fugger 105, 107, 138, 168, 170–171, 194, 207, 210, 215, 294, 587, 594 Fulda 151, 352, 489–490, 520, 522, 667, 763 Fürstbischöfe 124, 126, 321, 352–353, 404, 412, 415, 476, 482, 498 Fürstenkonkordat (1447) 119, 122

Gais, Peter 181 Gaismair, Michael 281, 289–290, 293–294 Ganerbschaft 70 Gattinara, Mercurio Arborio di 204, 208, 212, 222 Gebhard Truchsess von Waldburg, Erzbischof von Köln (1577–1583) 496– 498, 503, 510 Gegenreformation 342, 431–432, 489–490, 522, 531–532, 535–538, 542, 545, 549, 555, 573, 619, 691, 702–705 Geiler, Johann, von Kaysersberg 127 Geistlicher Rat 599 Geizkofler, Zacharias 432, 520, 543–545, 607 Gelnhausen 107, 767 Gelnhausen, Konrad von 117

Register

Genf 180, 364, 618 Georg, Herzog von Sachsen (1500–1539) 224, 227, 232, 237, 257, 295, 322, 343– 348, 390, 397 Georg, Markgraf von Brandenburg-Ansbach (1536–1543) 372 Georg II., Landgraf von Hessen-Darmstadt (1626–1661) 717, 730, 739 Georg Friedrich, Markgraf von BadenDurlach (1604–1622) 698 Georg Friedrich von Greiffenklau, Erzbischof von Mainz (1626–1629) 620 Georg von Podiebrad, König von Böhmen (1458–1471) 46, 344 Georg Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg (1619–1640) 717, 721, 730 Gerichtshöfe 57, 177, 222, 268–269, 350, 451–452, 493, 653, 668–669, 760 Gesetz, Gesetzgebung 20, 25, 33, 41, 43, 50, 57–58, 72, 75–76, 96, 120, 159, 233, 248, 258–259, 268, 286, 298, 313, 330, 333– 335, 339, 349, 357, 374, 376, 378, 391, 404, 406, 415–416, 424, 437, 441–458, 464–465, 478–479, 487, 491–493, 514, 526, 528, 547, 560, 563–569, 580, 600, 603–605, 610, 614, 621, 632, 634, 637, 641, 665–668, 671, 678, 691, 706, 710, 715, 721, 753, 756, 759, 764, 775–777, 780 Geyer, Florian 281, 288, 294, 484 Gießener Universität 566–567, 624 Gnesen 124 Goldast von Haiminsfeld, Melchior 33, 563, 572–575, 578–580 Goldene Bulle 45–46, 51, 376–377, 436, 450, 456, 548, 579, 596, 764, 766, 780 Görz 46, 103 Goslar 346, 381, 391 Göttingen 381, 649 Gottorp 640 Gottsched, Johann Christoph 33 Granvelle, Nicholas Perrenot de 392–393, 399 Gravamina 62, 121–123, 148, 152, 219, 222, 224, 226–228, 231, 245, 322–323, 360, 442, 478, 482 Graz 430, 432, 531–532, 546, 662, 703 Grazer Universität 616

Gregor XIII., Papst (1572–1585) 516 Greifswalder Universität 77, 624 Grimmelshausen, Johann Jakob Christoffel von 685, 767 Großes Abendländisches Schisma 116–117, 120, 122 Grumbach, Wilhelm von 277, 444, 447, 483–487 Grundherrschaft 172–173, 176–179, 290 Gurk 124, 135 Gustav Adolf, König von Schweden (1611– 1632) 546, 689, 694, 711–712, 716, 720– 731, 734, 777 Güstrow 640, 644 Gutsherrschaft 171–173, 592, 627

Habsburger Dynastie 103, 207, 403, 463, 710 Habsburger Lande 146, 166, 282, 289, 321, 342, 351, 416, 430, 518, 534, 549, 553– 561, 573, 706 Hadrian VI., Papst (1522–1523) 227–228, 262, 351 Hagenau 110, 393, 511, 549, 762 Halberstadt 123, 127, 129, 194, 254, 322, 399, 478, 495, 512, 698–699, 714–715, 737, 760 Hamburg 68, 82, 124, 308–309, 313, 315, 332, 381, 437, 576, 593–594, 617, 648– 649, 653, 655–656, 666–667, 692, 711, 713, 742, 749, 751, 760, 770 Handel 53, 81, 108–109, 158, 161, 167–170, 176, 183–184, 190, 210, 214–215, 229, 245, 272, 306, 314, 347, 365–366, 454, 593–594, 627, 668, 710–711, 713, 757, 763, 770 Hannover 45, 381, 413 Hanse 81–82, 168–169, 437, 593, 649 Harsdörfer, Georg Philipp 578, 772 Havelberg 135, 354, 478, 494, 715 Hegau 285–286, 293 Hegius, Alexander 143, 146 Heidelberg 118, 142–143, 145, 147, 150, 197, 238, 278, 480, 519, 558–559, 571, 573–574, 614, 637, 639–644, 699, 701, 707, 727

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Register

Heidelberger Bund 413, 434 Heidelberger Universität 74, 141, 618, 702 Heilbronn 281, 288, 294, 508–509 Heilbronner Bund 729, 731, 736 Heinrich I., Herzog von BraunschweigLüneburg (1486–1520) 206, 232 Heinrich II., der Jüngere, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel (1514–1568) 310, 322, 342, 344, 346, 350, 389–391, 398 Heinrich II., König von Frankreich (1547– 1559) 402, 411 Heinrich III., König von Frankreich (1574– 1589) 504–505 Heinrich IV. heilig-römischer Kaiser (1084– 1106) 39 Heinrich IV. von Navarra, König von Frankreich (1589–1610) 504–505, 509, 511, 519, 523, 525–528, 530 Heinrich V. von Knöringen, Fürstbischof von Augsburg (1598–1646) 522 Heinrich VIII., König von England (1509– 1547) 205, 222, 262, 364, 401 Heinrich der Fromme, Herzog von Sachsen (1539–1541) 348, 397 Heinrich Julius, Herzog von BraunschweigWolfenbüttel (1589–1613) 567, 649 Heinsius, Daniel 573–574 Held, Matthias 388–389 Helmstedter Universität 565, 624 Herborn 564, 615, 618 Herder, Johann Gottfried 33, 81 Hermann von Wied, Fürstbischof von Köln (1515–1547) 352–353, 397 Hess, Tobias 570 Hessen 25, 53, 69, 122, 133, 135, 274, 276, 296, 298, 307, 321, 336–337, 371, 375, 381, 384–386, 389–392, 398, 410, 413, 415, 435, 466, 480, 489–491, 503, 575, 591, 606–607, 613, 621, 627–629, 644, 672, 709, 716–717, 768 Hessen-Darmstadt 657, 702, 717, 730, 736, 738–739, 742 Hessen-Kassel 523, 615, 622, 640, 717, 726, 731, 736, 738, 741, 745, 748, 752, 754, 763 Hessen-Marburg 717 Hexenverfolgung 502, 670–678, 686, 715, 769

Hipler, Wendel 281, 288, 293 Historiografie 19, 23, 31, 92, 423 Hochstift 125 Hoffmann, Hanns Hubert 24 Hofkriegsrat 599 Hofmann, Melchior 311 Holstein 44, 71, 166, 172–173, 436, 468, 485, 510, 519, 592–593, 613, 631, 640, 645, 648–649, 689, 712–714, 744 Hortleder, Friedrich 563, 578, 581 Hubmaier, Balthasar 284, 286, 293 Humanismus 15, 29, 33, 63, 80–86, 121, 129, 140–161, 164, 184, 190–194, 218, 236–239, 244–249, 254–255, 257, 261– 263, 273, 278, 304, 307, 310, 332, 334, 346–351, 368, 392, 399, 409, 428, 430– 431, 448, 535, 564, 571–581, 616, 621, 645, 654, 656, 697, 723; siehe auch Erasmus, Desiderius; Hutten, Ulrich von Hus, Jan 117, 182, 189, 191, 196–197, 224 Hussiten 46, 54, 134, 192, 344, 557 Hutten, Ulrich von 86, 144, 146–147, 151–153, 166, 199, 218, 245, 267, 273– 278

Illyricus, Matthias Flacius 477, 611–612 Industrie 157, 161, 166–168, 174, 176, 182, 270, 594 Ingolstädter Universität 77, 350, 616 Innozenz VIII., Papst (1484–1492) 159 Innsbruck 82, 98, 111, 147, 162, 289, 411– 412, 430, 432, 644 Insignien 40, 703 Italien 39–49, 56–57, 59, 63, 75, 79, 83–84, 86, 99–107, 117, 123, 127, 140–152, 169, 205, 207–208, 212, 222, 285, 294, 363– 368, 377, 400, 402, 408–409, 414, 427, 430, 449, 451, 461–464, 470, 502, 526, 547, 549, 560, 572, 594, 638, 642–644, 667, 689, 705, 718, 720, 724, 727, 735, 741–742, 762, 778 ius emigrandi 479, 610, 621, 757 ius reformandi 372, 415, 491, 493, 589, 614, 650–651, 735, 738, 756

Register

Jakob I., König von England (1603–1625) 523, 571, 641, 696–697, 709, 711 Jankau, Schlacht bei (1645) 744–745, 749, 752 Jenaer Universität 567, 611–612, 624 Jesuiten 426, 433, 489, 521, 560, 581, 616, 663, 675–676, 686, 690, 702, 736, 738 Joachim I. Nestor, Kurfürst von Brandenburg (1499–1535) 232, 322, 342, 344, 346 Joachim II. Hector, Kurfürst von Brandenburg (1535–1571) 346, 398, 600, 627 Joachim III. Friedrich, Kurfürst von Brandenburg (1598–1608) 503, 512, 519 Johann, der Beständige, Kurfürst von Sachsen (1525–1532) 232, 237, 348, 372, 385 Johann, Markgraf von Brandenburg-Küstrin (1535–1571) 349, 406, 411, 627 Johann I., Herzog von Zweibrücken (1569–1604) 442, 635 Johann III., Herzog von Jülich-Kleve-Berg (1521–1539) 342, 345–346 Johann VI., Graf von Nassau-Dillenburg (1559–1606) 465–467, 605–607, 618 Johann VII., Graf von Nassau-Siegen (1607– 1623) 605–606 Johann VII. von Schönenberg, Fürstbischof von Trier (1581–1599) 675 Johann Adam von Bicken, Fürstbischof von Mainz (1601–1604) 520 Johann Albrecht, Herzog von Mecklenburg (1547–1576) 411 Johann Casimir von Pfalz-Lautern 497, 503–506, 511, 614, 641 Johann Eglof von Knöringen, Bischof von Augsburg (1573–1575) 674 Johann Ernst I., Herzog von SachsenWeimar (1615–1620) 706, 713, Johann Friedrich, Herzog von Württemberg (1608–1628) 543 Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen (1532–1547) und Herzog von Sachsen (1547–1554) 385, 399–401, 408, 412, 435, 484–487, 496 Johann Georg, Graf und später Fürst von Hohenzollern-Hechingen (1605–1623) 542, 548

Johann Georg, Kurfürst von Brandenburg (1571–1598) 439, 497, 503 Johann Georg, Kurfürst von Sachsen (1611– 1656) 550, 583, 597, 721 Johann Philipp von Gebsattel, Bischof von Bamberg (1598–1609) 672 Johann Schele, Bischof von Lübeck (1420– 1439) 121 Johann Schweikhard von Kronberg, Fürstbischof von Mainz (1604–1626) 520, 542, 547 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg (1608–1619) 360, 503, 519–520, 524, 527, 623 Johann Wilhelm, Herzog von Jülich-KleveBerg (1592–1609) 350, 524–525 Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen (1566–1572) 612 Johann Zápolya, Wojwode von Siebenbürgen (1511–1526) 99, 213, 359, 371, 387 Joseph II., heilig-römischer Kaiser (1765– 1790) 25, 43 Juden(tum) 105, 174, 374, 450, 655–657, 666–669, 703 Jülich 275, 346, 390, 413, 525–527, 548, 654, 748 Jülich-Kleve-Berg 135, 321, 323, 342, 344– 345, 350–351, 390–391, 397, 434–436, 477, 493, 496, 519, 524, 526–528, 539, 546–547, 613 Julius, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel (1568–1589) 346, 436, 627, 644 Julius II., Papst (1503–1512) 101, 152 Julius Echter von Mespelbrunn, Bischof von Würzburg (1573–1617) 490, 665, 667

Karl I., der Große, Kaiser (800–814) 39–40, 566 Karl I., der Kühne, Herzog von Burgund (1465–1477) 41, 55–56, 83, 85, 108 Karl I. Ludwig, Kurfürst der Pfalz (1648– 1680) 756 Karl II., Herzog von Geldern (1492–1538) 390

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Register

Karl IV., heilig-römischer Kaiser (1347– 1378) 40, 51, 562 Karl V., heilig-römischer Kaiser (1519– 1556) 40, 54, 60, 91–92, 95–96, 115, 121, 152, 155, 169–170, 198, 203–236, 245, 250, 261, 270, 273–275, 282, 301, 305– 306, 314, 325, 343–346, 349–351, 353, 357–379, 384–417, 423, 427, 430, 432, 434, 439, 441–444, 448, 453, 461, 463– 464, 475, 484, 487, 524, 587, 603, 611, 616, 650–655, 667–668 Karl VIII., König von Frankreich (1483– 1498) 41, 102–103, 107 Karlsruhe 267 Karlstadt, Andreas Bodenstein von 236, 253–254, 261, 332 Kärnten 46, 101, 106, 124, 181, 430, 531, 605 Kasimir, Markgraf von BrandenburgKulmbach (1515–1527) 106, 322–323 Katholische Liga 349, 389–391, 504–505, 510, 524, 527, 543, 547, 581, 696, 731, 737 Katholizismus 96, 117, 133, 154, 239, 250, 312, 342–354, 397, 429, 431–432, 478, 490–491, 495, 519, 526–527, 532, 548, 555, 560, 570, 573, 575, 598, 612, 619, 622, 661, 690–691, 693, 702–703, 705, 707, 734, 738, 758 Kaufbeuren 652 Keckermann, Bartholomäus 564–565, 630– 631, Kempis, Thomas a 133, 157 Kempten 109, 176–177, 179, 286, 298, 352, 381, 631, 672 Kepler, Johannes 570, 661–662, 674 Khlesl, Melchior 432, 536–560 Kirchenordnungen 253, 271, 275, 309–310, 321, 323, 329–332, 336–337, 346, 348– 349, 383, 615, 622 Kirchenrat 599 Kitzingen 242 Kleinstaaterei 72 Klettgau 108, 285–286 Koblenz 166, 388, 728 Köbler, Gerhard 32 Koler, Konrad, von Soest 118 Köln 42–44, 50–52, 68, 74, 85, 118, 123–

128, 132, 141–142, 145–146, 159, 168, 221, 275, 306, 314–315, 342, 344, 352– 353, 390, 398, 400, 436–437, 444, 465, 482, 492, 495–498, 501, 507, 509–512, 520, 524–525, 568, 593–594, 616, 627, 640, 653–655, 669, 677, 702, 710, 715– 716, 751, 755, 763, 769 Kompositionspolitik 543–549 Konfessionalisierung 275, 342, 425, 501, 588, 610–623, 645, 653, 660, 667, 714 Königsberg 325, 411, 616 Königsberger Universität 616, 624 Konkordate 62, 117–118, 135, 614; siehe auch Fürstenkonkordat; Wiener Konkordat; Wormser Konkordat Konkordienformel 612, 622, 661 Konstanz 125, 131–132, 135, 250, 375, 381, 400, 640, 730, Konzil von Basel 55, 118–121, 475 Konzil von Konstanz (1414–1418) 54, 116, 118, 120, 131, 135, 141, 197, 224, 262, 433, 475, Konzil von Trient 128, 343, 349, 368, 399, 407, 412, 424–425, 432, 476, 483, 531, 556 Kraichgau 69, 273–274 Krain 46, 101, 106, 179, 181, 430, 531, 605 kreisausschreibender Fürst 60–61, 447, 747 Kreise 25, 43, 60–61, 108, 211, 213, 277, 361, 374–375, 416–417, 441–457, 466, 468, 506–507, 528, 600, 665, 710, 729, 747–748, 764, 770, 777, 779 Kreisoberst 447 Kreistag 60, 388, 443–445, 447 Krieger, Leonard 29 Krönungsriten 39–40 Kues, Nikolaus von 55, 62, 121, 126, 132 Kulmbach 484, 518 Kulmbach-Bayreuth 523 Kuriatstimme 638, 646, 766 Kurtz, Graf Ferdinand Sigismund 742

Ladislaus II., König von Böhmen (1471– 1516) 46, 99, 102, 110 Lamormaini, Wilhelm 691, 715, 735, 738 Landauer Einung 272, 275 Landeshoheit 67, 76, 759, 775

Register

Landsberger Bund 434–435, 465, 480, 520 Landschaften 73, 291–292, 298–299, 631– 635; siehe auch Landtage Landshut 72, 110, 391, 639, 644, 736 Landtage 73, 289, 291, 298, 361, 489, 535, 537–539, 550, 553–557, 631–637, 697, 704; siehe auch Landschaften Landwirtschaft 165–172, 176, 270, 304, 592–593, 607, 626–628, 635, 639, 770 Langenstein, Heinrich von 117–118 Latein (Verhältnis zum Deutschen) 573– 575 Lausitz 40, 166, 173, 273, 362, 538–539, 554, 559–560, 696, 698–699, 702, 704, 717, 734, 737, 768 Lavant 124 Lebus 135, 354, 478, 494, 715 Leibeigenschaft 172–177, 287, 290, 298 Leipzig 153, 189, 197, 254, 347–348, 406, 457, 593, 643, 692, 721, 725, 728, 768 Leipziger Universität 603–604, 624 Leitmeritz 557, 736 Lemgo 315, 594, 623, 649 Leo X., Papst (1512–1521) 152, 194, 205, 207 Leopold II., heilig-römischer Kaiser (1790– 1792) 43 Leopold V., Erzherzog von Österreich und Bischof von Straßburg (1607–1626) 511, 526–527, 539, 706, 715 Liegnitzer Universität 568 Limnäus, Johannes 568–569, 579 Lindau 334, 375 Lindau, Vertrag von (1622) 701 Linz 141, 411, 430, 534, 537, 550, 554, 662 Linz, Frieden von (1647) 707 Linz, Vertrag von (1534) 386 Lippe 315, 339, 614, 709 Lipsius, Justus 425, 433, 545, 564, 598, 630, 645, 660 Literatur 29, 82, 115, 120–121, 134, 147, 150, 153, 157–158, 161, 215, 239, 347, 410, 424–425, 457–458, 563–565, 574, 578–579, 630, 662, 664, 765, 767, 775 Livland 462, 468–469, 722, 724, 732

Lothar III., heilig-römischer Kaiser (1133– 1137) 563, 568 Lothringen 44, 103, 108, 274, 289, 294–295, 321, 344, 351, 411–412, 414, 510–511, 672, 675, 728, 737, 753, 761 Lübeck 68, 81, 126, 150, 170, 308, 310, 332, 340, 381, 437, 453, 467, 478, 495, 617, 649, 653, 666, 713–715, 751, 761 Ludwig I., Fürst von Anhalt-Köthen (1603– 1650) 575–577, 580–581 Ludwig II., König von Ungarn und Böhmen (1516–1526) 222, 359 Ludwig IV. von Bayern, heilig-römischer Kaiser (1328–1347) 564 Ludwig V., Kurfürst der Pfalz (1508–1544) 342, 346 Ludwig V., Landgraf von Hessen-Darmstadt (1596–1626) 519 Ludwig VI., Kurfürst der Pfalz (1576–83) 497, 503, 614, 641 Ludwig X., Herzog von Bayern (1516– 1545) 72, 230, 350, 385, 639 Ludwig XI., König von Frankreich (1463– 1483) 41 Ludwig XII., König von Frankreich (1498– 1515) 41, 103, Ludwig XIII., König von Frankreich (1610– 1643) 688, 696, 718, 744 Ludwig XIV., König von Frankreich (1643– 1715) 777, 780 Lüneburg 321, 649 Luther, Martin 26, 28, 81, 91–93, 96, 115– 116, 121, 129, 138, 144, 153–154, 162, 171, 182, 186, 189–199, 203, 209, 215– 264, 267, 273–275, 282–283, 287, 294– 295, 300, 305–306, 322, 324–333, 338, 347–348, 350, 360, 371–373, 376, 379, 391–394, 401, 574, 578–579, 587, 611– 612, 722; siehe auch Luthertum; Reformation Luthertum 94, 154, 244–264, 273, 278, 300, 306, 311–312, 323, 332, 336–337, 347– 348, 424–425, 466, 493–497, 505–510, 530–533, 551, 567, 570, 612–614, 654, 710 Lützen, Schlacht bei (1632) 694, 728 Luxemburg 40–41, 51, 675, 697

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Machiavelli, Niccolo 564, 605–606, 661, 686, 754 Magdeburg 124, 127, 129, 159, 168, 182, 190, 194, 322, 354, 381, 399–400, 406– 407, 409, 411, 478, 492–496, 503, 507, 512, 649, 714–718, 725–726, 737, 744, 760 Mähren 45, 134, 301, 362, 533, 538–539, 546, 560, 703–704, 706, 728, 744, 768 Maier, Hans 29 Mainz 42, 51, 57, 74, 82, 107, 118–129, 141, 152, 157, 159, 170, 182, 189–190, 194, 221, 232, 237, 252, 275–276, 281, 288, 293, 298, 321–322, 352, 371, 384, 386, 389, 392, 395, 398, 400, 404, 417, 429, 434, 436, 440, 444, 446, 489–490, 512, 520, 524, 542, 547–548, 607, 616, 620, 632, 640, 657, 669, 672, 702, 706, 710, 715, 720, 726, 729, 731, 742, 758, 763, 767, 769 Mainzer Universität 77, 568 Majestätsbriefe 539, 553, 556–557 Mann, Thomas 685 Mannheim 699, 728 Mansfeld 168, 190–191, 237, 255–256, 289, 323, 381, 510, 627, 644 Mansfeld, Ernst Graf von 559–560, 694, 697–699, 706, 713 Marburger Universität 326, 331, 566–567, 616–618 Marius, Richard 190 Martin V., Papst (1417–1431) 118, 122 Marx, Karl 92–93, 280, Marxismus 26, 92–93, 296, 301 Matthäus Lang von Wallenburg, Erzbischof von Salzburg (1519–1540) 126–127 Matthias, heilig-römischer Kaiser (1612– 1619) 458, 509, 515, 529, 523, 534, 536– 560, 656–657, 686 Matthias Corvinus, König von Ungarn (1458–1490) 56, 99 Maximilian I., heilig-römischer Kaiser (1486–1519) 20, 24, 40–43, 53–59, 62– 63, 81–84, 96, 98–112, 115, 121–123, 126, 145–155, 159, 161, 164, 169–170, 181, 186, 198, 203–210, 213, 218, 267, 269, 273–274, 277, 282, 301, 324, 342, 344, 357, 427, 487, 603, 687, 759, 776 Maximilian I., Herzog von Bayern (1598–

1651) 515, 520, 522, 524, 527, 547–548, 551, 598, 607–608, 673–674, 690, 693– 694, 696, 701–702, 705–706, 711, 714– 717, 721, 726–728, 735, 737, 745, 747, 756 Maximilian II., heilig-römischer Kaiser (1564–1576) 364, 407–408, 426–435, 448, 457, 463–465, 468–471, 475, 477, 480–481, 486–487, 491–494, 507, 524, 530, 532–535, 540, 616, 644 Mazarin, Jules de 744, 755, 761–762 Mecklenburg 73–74, 124, 127, 135, 137, 166, 173, 323, 348, 411, 436, 478, 519, 593, 632, 640–641, 644, 672, 694, 713–714, 717–718, 723, 726, 730–731, 734, 737– 738, 760, 763, 768 Meißen 55, 82, 124, 135, 192, 347, 354, 397, 435, 478, 643, 715 Melanchthon, Philipp 154, 236–237, 253, 263–264, 283, 295, 322, 328–332, 338, 371, 375–376, 391, 393, 430, 433, 476– 477, 564, 587, 611–612, 616, 618 Memmingen 249, 283, 286, 292, 294, 298, 375, 413 Merseburg 124, 135, 327, 354, 397, 435, 478, 715 Metz 124, 274, 383, 411, 413–414, 450, 510, 762 Meyfahrt, Matthäus 675 Militärabgaben/Militärausgaben 59, 74, 107, 210, 337, 371, 375, 398, 449, 458, 626, 741, 760, 763, 770 Militärreform 448–449, 467 Millenarismus 85, 164, 253, 663, 678, 777 Miltitz, Karl von 198, 218 Minden 389, 395, 398, 478, 672, 715, 755, 760 Missernten 174, 502, 591, 662, 664, 670, 686, 705, 769 Mönchsorden 129 Monopole 105, 167, 169–171, 210, 215, 245, 270, 374, 458 Moraw, Peter 24, 52 Moritz, Herzog (1541–1547) und Kurfürst (1547–1553) von Sachsen 348, 397– 400, 407–408, 411–414, 435, 587 Moritz, Landgraf von Hessen-Kassel (1579– 1627) 515, 519, 607, 622

Register

Moser, Johann Jakob 24, 33, 43 Mühlhausen 256, 286, 289, 295–296, 306, 696, 714–717 Müller, Hans 284, 294 München 110, 549–550, 639–640, 643–644, 677, 691, 701, 716, 727 München, Vertrag von (1619) 696 Münster 125–127, 184, 300, 311–312, 352, 384, 388, 390, 398, 488, 510, 534, 640, 649, 716, 749, 751–754, 763, 765, 773–774 Müntzer, Thomas 93, 244, 251, 254–257, 261, 286, 289, 292, 294–295, 300

Napoleon I., Kaiser von Frankreich (1804– 1815) 22–23, 25, 64, 357 Nassau 100, 465–467, 591, 605–608, 614– 615, 618–619, 639, 716 Naumburg 127, 135, 354, 397, 415, 435, 477–478, 715 Naumburg-Zeitz 124, 327 Neunjähriger Bund 387 Nikolaus V., Papst (1447–1455) 119 Nördlingen, Schlacht bei (1634) 726, 736, 744, 769–770 Normaljahr 756, 765, 777 Nürnberg 40, 55, 59–60, 68, 107, 110, 127, 136, 141, 147, 168–169, 184, 211, 214, 227–232, 238, 242, 267, 271–272, 276, 284, 292, 298, 305, 307, 310, 316, 322, 324, 330, 333–334, 376, 379, 383, 386, 392, 412, 434–437, 483–484, 518, 576, 594, 603, 643, 648, 651, 692, 728, 737, 747, 765, 767

Oberpfalz 132, 395, 506, 519, 558, 562, 594, 621–623, 638, 693, 701–702, 706, 728, 737, 756 Ochsenhausen 179, 352 Ockham, Wilhelm von 190–191, 263 Oekolampadius, Johannes 249, 275 Oestreich, Gerhard 24, 587 Oldenburg 44, 467, 519 Olivares, Gaspar de Guzmán, Graf von 709–710, 713, 755 Olmützer Universität 616

Opitz, Martin 573–576, 579–580, 697, 772 Osiander, Andreas 324, 612 Osnabrück 126, 352, 390, 398, 712, 714, 749 Osnabrücker Friedenkongress/-vertrag 10, 751–753, 758, 761, 763, 773–774 Osse, Melchior von 30, 630 Österreich 10, 15, 22–23, 25, 44, 46, 56, 60, 62, 63, 65, 69, 73–74, 98–107, 111, 119, 132, 135, 137, 146, 161, 169, 175, 179, 204, 206, 212–213, 224, 230, 290, 335, 345, 351, 358, 362, 386–387, 399, 402–403, 407–408, 413, 430, 432, 439, 445, 450, 453, 458, 461–465, 469–471, 518, 522– 523, 530–539, 542, 544–547, 551, 554– 555, 560, 592, 603, 605, 607, 616, 620, 627, 640, 670, 688–689, 691, 693, 696–707, 711, 718, 722–723, 727–728, 731, 739, 742–745, 748, 755–756, 761–762, 768– 769, 773, 776 Ottheinrich, Kurfürst der Pfalz (1556– 1559) 434, 479, 614, 644 Otto I., heilig-römischer Kaiser (962–973) 39 Ottobeuren 352 Oxenstierna, Axel 720, 722, 726, 728–731, 736, 742

Paderborn 126–127, 352, 390, 398, 496, 640, 716, 763 Pamphlete 9, 145, 218, 220, 239 Passau 135, 352, 432, 526, 539, 670, 706 Passau, Vertrag von (1552) 412–414, 476, 478, 737, 756 Patriotismus 25–26, 33–34, 80, 94, 146–147, 150, 154–155, 161, 231, 245–246, 273, 409, 432, 448, 472, 563, 569, 572, 578– 579, 619, 739, 745, 747 Paul III., Papst (1534–1549) 367–368, 388, 402 Paul IV., Papst (1555–1559) 368, 414, 433, 475–476 Paul V., Papst (1605–1621) 719 Paurmeister, Tobias 567 Pavia, Schlacht von (1525) 285, 294, 363, 366 Petersdom (Rom) 40, 117, 194

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Register

Peutinger, Conrad 141, 147 Pfalz 73–74, 80, 135, 177, 209, 211, 230, 274, 276, 323, 344, 346, 384, 386–387, 392, 398–401, 406, 413, 429, 434–436, 445, 453, 465, 475, 479–492, 496–498, 503–508, 510, 514–515, 518–528, 539, 543, 549–551, 558–561, 563, 570–571– 575, 597–598, 603–606, 611–614, 618– 619, 633, 637–645, 657, 672, 690, 696– 699, 701–702, 711, 717, 720, 729, 737– 738, 745, 748, 756 Pfalz-Neuburg 386, 519, 523–528, 644, 748 Pfalz-Zweibrücken 524, 613 Pfeiffer, Heinrich 256, 289 Philibert, Markgraf von Baden-Baden (1556–1569) 488–489 Philipp, Kurfürst der Pfalz (1476–1508) 127 Philipp I., der Schöne, König von Kastilien (1504–1506) 100, 103, 162 Philipp I., Landgraf von Hessen (1518– 1567) 232, 250, 276, 289, 294, 322–323, 326–327, 370–373, 376–378, 381–386, 389–391, 398–401, 408, 412, 468, 480, 587, 597, 616, 628–629, 642 Philipp II., König von Spanien (1556– 1598) 364, 407–408, 413–414, 428, 430, 432, 454, 458, 461, 463–465, 467, 480, 504–505 Philipp II., Markgraf von Baden-Baden (1569–1588) 488–489 Philipp III., König von Spanien (1598– 1621) 430, 463, 524, 527, 536–537, 549, 559 Philipp Christoph von Sötern, Erzbischof von Trier (1623–1652) 741 Philipp Ludwig, Herzog von Pfalz-Neuburg (1569–1614) 519, 523 Philosophie siehe Humanismus; Scholastik Pilgerfahrten 137 Pirckheimer, Willibald 141, 147, 152, 199, 238, 267 Pius II., Papst (1458–1464) 148 Pius IV., Papst (1559–1565) 476 Planitz, Hans von 226, 228 Polen 45, 99, 169, 173, 323–325, 359, 381, 411, 462, 468–469, 534, 546–547, 553, 664, 668, 688–689, 697, 709–711, 722–724

Polizei 75 Polizeiordnungen 75, 374, 446, 455–456, 596, 604–605, 615 Pomesanien 124, 324, 354 Pommern 45, 124, 173, 436, 519, 591, 593, 613, 670, 718, 723, 725, 730–731, 737– 738, 760–761, 763, 768 Prag 124, 126, 134, 141, 150, 255, 362, 429– 432, 456, 514, 522, 527, 530, 535–539, 546, 552, 554–561, 571, 580, 616, 640, 644, 662, 667, 669, 692–693, 696–697– 698, 703, 726, 735–736, 744–745 Prag, Friede von (1635) 736, 739, 741, 746, 748, 754, 759 Press, Volker 11, 13, 24, 31 Preußen 22–23, 25, 45, 47, 92, 124, 166, 238, 299, 323–325, 353, 411, 524, 591, 593, 606, 616–617, 641, 717, 722–723, 732, 773, 777 privilegium de non appellando 46, 450, 760 privilegium de non evocando 46 Propaganda (im Dreißigjährigen Krieg) 690–691 Protestantische Union 506, 543, 546, 581, 690 Protestantismus 28, 93, 96, 147, 154, 249, 304, 321–339, 344–354, 357, 370–379, 384, 397–398, 409, 411, 482, 488–490, 497, 524, 530–535, 555, 571, 574, 597, 651, 690, 722–723, 726, 741, 758; siehe auch Calvin, Jean; Calvinismus; Wiedertäufer Provence 42, 103, 208 Pütter, Stephan Heinrich 24, 33

Ranke, Leopold von 22, 92, 104, 231, 280, 342, 423 Ratke, Wolfgang 572, 575, 577, 582 Ratzeburg 126, 135, 478, 715, 760 Ravensburg 71, 169, 648, 652, 757 Reformation 21, 24, 26–28, 30, 33–34, 61– 62, 69, 74–75, 84–86, 91–96, 115, 126, 128, 133–134, 138, 144–145, 147, 153–154, 157, 159–161, 165, 170, 182, 185–186, 189, 194, 203, 208–209, 216, 220, 229, 233, 237–242, 244–245, 250–253, 255,

Register

261–263, 271, 273, 280–283, 289–290, 300–301, 304–316, 321–322, 325–326, 328, 332–338, 342–343, 346–347, 351– 353, 370, 378–379, 397, 410, 434–435, 439, 492, 502, 570–571, 574, 598, 604, 610, 613–616, 619, 622, 631–632, 637, 648, 651, 653–654, 663–665, 677, 679; siehe auch Luther, Martin; Luthertum; Protestantismus Regensburg 9, 55, 109, 125, 135, 137, 150, 352, 368, 378, 391, 393, 399, 416, 444, 476, 479, 491–492, 507–508, 521–522, 538, 543–544, 632, 640, 653, 701–702, 720– 721, 735–736, 744, 746, 748, 767 Regensburger Konvent 230–232, 351 Reichsabschied 57, 82, 120, 371, 374, 415, 441, 578–579 Reichsdeputation 121, 437–438, 446, 454, 468, 479, 505, 508, 515 Reichsdörfer 44 Reichserzkanzler 42–44, 417, 542, 706, 729 Reichsexekutionsordnung 60, 416, 446, 451, 605 Reichsgraf(schaft)en 69–70, 76, 170, 177, 321, 342, 344, 387, 406, 437–438, 557, 632, 638, 650, 697, 770 Reichshofrat 58, 403, 451–452, 493, 514– 515, 521–522, 525, 528, 535, 542, 548, 564, 570, 594, 617, 654, 670, 687, 698, 717, 737, 755, 758, 763–764 Reichskammergericht 20, 57–61, 213, 284, 297, 310, 374–379, 382–384, 386, 389, 392–393, 401, 403, 416, 442, 446–452, 456, 464, 479, 484, 490–493, 508, 512– 515, 520, 543, 564, 579, 621, 630, 654, 670, 687, 715, 717, 737, 758 Reichskirche 17, 115, 120, 123, 125–126, 128, 151, 270–271, 275, 344, 351, 354, 416, 638, 711, 755, 757, 760 Reichskreise siehe Kreise Reichsmatrikel 54, 124, 438, 446, 507 Reichsregiment 59–60, 64, 107, 210–215, 222, 226–230, 272, 276, 297, 374, 376 Reichsritter 69–70, 76, 96, 177, 267–268, 277, 321, 324, 342, 344, 352, 387, 393– 394, 415, 417, 437–438, 456, 472, 481,

483, 490, 620, 631–632, 637–641, 650, 726, 729, 737, 759, 770, 775, 778 Reichsschlüsse 57, 464 Reichsstädte 44, 50, 57, 68–70, 76, 80, 105, 125, 136, 170, 177, 182, 184–185, 210– 211, 214, 226, 229, 238–239, 249–251, 270–272, 277, 281, 298, 301, 304–308, 313–315, 321, 339, 342, 344, 375, 382– 383, 387, 391–393, 400, 406, 409, 411– 412, 415, 436–437, 441, 445, 450, 458, 478, 493, 501, 508, 523, 546, 563, 589, 593, 595, 603–604, 610, 613–618, 622, 643, 648–658, 667, 672, 726, 729, 737, 755– 759, 762, 770, 775 Reichsunmittelbarkeit 69, 73, 181, 297, 324–325, 394, 434, 438, 489, 674, 710, 732 Reichsvikar 51, 211, 366, 408 Reichsvizekanzler 433; siehe auch Held, Matthias; Kurz, Graf Ferdinand Sigmund; Seld, Georg Sigismund; Ulm, Johann Ludwig von Reinkingk, Dietrich 30, 567 René II., Herzog von Lothringen 103, 108 reservatum ecclesiasticum 415, 478–479, 494–495, 498, 710 Restitutionsedikt 715–717, 720–722, 727, 737–738, 748, 769 Reuchlin, Johannes 144–146, 154, 160, 236, 273, 668 Reutlingen 206, 210, 652 Revolution, fehlgeschlagene frühbürgerliche 26, 27 Rheinische Einung (1532) 384–385 Rheinischer Städtebund (1254) 50 Richard von Greiffenklau, Erzbischof von Trier (1511–1531) 275–276 Richelieu, Armand Jean du Plessis de 701, 721, 728, 742–744, 755, 761 Rinteln (Universität) 624 Ripen, Vertrag von (1460) 44 Ritter, Ritterschaft 53–54, 69–70, 73, 83, 98, 105–111, 124–126, 173, 224, 264, 267– 278, 280–281, 323–325, 438, 462, 468– 469, 472, 478, 483–487, 490–491, 513, 532, 577, 592, 598, 605, 620, 631, 637, 640, 667, 670, 698; siehe auch Reichsritter; Ritterkrieg

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Register

Ritterkrieg 213, 241, 267–278, 485 römischer König 56, 170, 201, 212–213, 345, 358, 370, 376, 386–387, 408, 429, 431, 475, 491, 550, 720, 746, 751 römisches Recht 29, 57–58, 75, 184, 208, 268, 307, 330, 342, 374, 403, 442, 456, 513, 566–567, 603–604, 667–668 Rosenkreuzer 569–571, 573, 663 Rosheim, Josel von 668 Rostock 153, 315, 624, 649, 728 Rothenburg ob der Tauber 281, 484, 523 Rothmann, Bernhard 311 Rottweil 52, 306 Rubeanus, Crotus 146, 151 Rudolf I. von Habsburg, römisch-deutscher König (1273–1291) 52, 135 Rudolf II., heilig-römischer Kaiser (1576– 1612) 426, 431–433, 442, 457–458, 471, 491–495, 501, 505, 507, 510–511, 520– 522, 526–540, 542, 549, 553, 566, 571, 640, 644–645, 654, 669, 673, 686 Rufus, Mutianus 143, 146, 154 Ruprecht von der Pfalz, heilig-römischer König (1400–1410) 110, 118, 120

Sachsen 51, 55, 60, 71–73, 106, 119, 124, 128, 135, 166, 173, 175, 190, 198, 205, 209, 211, 225–227, 232, 237, 255–256, 259, 268, 282, 289, 296, 307, 321–322, 327– 332, 336–337, 347–349, 359, 362, 370– 372, 375, 377, 381–386, 389–391, 398– 400, 408, 413–415, 429, 435–436, 453– 454, 457–458, 466, 475, 478, 480–482, 489–493, 495, 497–498, 503–507, 515, 519–520, 522, 524, 527, 544, 553, 561, 576–577, 589, 594, 597–600, 603, 606– 607, 613, 618–619, 627–629, 645, 671– 672, 690, 696, 698, 702, 704, 710, 715, 717, 721, 725, 728, 730–731, 734–738, 742, 744, 748, 768 Sachsen-Anhalt 523 Sachsen-Gotha 597 Sachsen-Weimar 563, 581, 597, 694, 699, 706, 713, 726, 738 Säkularisierung (Westfälischer Friede) 757, 760–761, 764

Salentin von Isenburg, Erzbischof von Köln (1567–1577) 496 Salzburg 124–127, 135, 179, 280–282, 290– 291, 298, 343, 350–351, 387, 389, 434, 442, 520, 670, 727 Samland 124, 299, 324, 354 Sankt Gallen 179, 245, 250, 264 Sankt Maximin 674–675 Schaffhausen 43, 107, 250 Schappeler, Christoph 249, 286–287 Schaumburg 672 Schlesien 40, 45, 53, 62, 134, 173, 362, 533– 534, 537, 546, 571–573, 580, 591, 632, 643, 670, 698, 704, 709, 723, 726, 731, 734–735, 756, 768 Schleswig 44, 124, 174, 332, 592–593, 617, 631, 642, 761 Schlettstadt 108, 141, 181 Schmalkaldischer Bund 345, 381–394, 397– 398, 400, 410, 484, 523, 651 Schmalkaldischer Krieg 305, 340, 353, 406, 410, 432, 503, 563, 581, 651, 656, 688 Schmidt, Georg 13, 25, 31, 779 Schneeberg 167, 182 Schnell, Rüdiger 81 Scholastik 141, 145–146, 151, 190, 193–194, 197, 236, 261–263, 656 Schottwien 536 Schussenried 177, 352 Schwaben 61, 69, 73, 100, 107, 109–110, 166–167, 170–171, 174–175, 179, 269– 273, 277–278, 282–283, 286–295, 298, 308, 314, 344, 430, 437–439, 447–448, 485–486, 521–522, 547–548, 620, 715, 726, 729, 737, 755 Schwäbischer Bund 50, 53, 109–111, 145, 152, 169, 179, 206, 210, 213, 232, 269, 272–273, 276, 284–285, 288, 294–296, 300, 323, 383–387, 393–394, 402, 434, 438, 523 Schwäbisch Gmünd 652 Schwäbisch Hall 652 Schwarzenberg, Johann von 226, 228 Schwarzwald 177, 282–284, 286, 288, 291, 294 Schweden 381, 467–469, 561, 572, 688–689,

Register

692, 694, 696, 704, 707, 709, 711–712, 714, 720–754, 758–764, 769, 775 Schweinfurt 379, 765 Schweiz 43, 47, 56, 71, 79, 83, 95, 109, 124, 135, 165, 179, 180, 244, 246, 249–251, 270, 283, 288, 290, 292–293, 311, 326, 372–373, 381–382, 450, 467, 477, 547, 591, 612, 672, 701, 763, 774, 778–779 Schwenckfeld, Caspar von 300, 619 Schwendi, Lazarus von 432, 448–449, 471, 545, 605–606 Schwerin 124, 135, 354, 478, 640, 715, 760 Sebastian von Heusenstamm, Erzbischof von Mainz (1545–1555) 395 Seckau 124 Seckendorff, Veit Ludwig von 30 Seld, Georg Sigismund 433, 475– Sickingen, Franz von 106, 153, 213, 218, 267, 270, 272–278 Sigismund, heilig-römischer Kaiser (1433– 1437) und König (1411–1437) 40, 54– 55, 118–121, 135, 269 Sigismund I., König von Polen (1506–1548) 99, 324–325 Sigismund III. Wasa, König von Polen (1587– 1632) 469, 546, 689, 723 Sigmund, Herzog von Tirol (1446–90) 108– 109 Simon VI., Graf zur Lippe (1561–1613) 432, 622, 640 Sleidanus, Johannes 157, 410 Soden 71 Spalatin, Georg 198, 236–237, 329 Spee, Friedrich von 579, 675–676 Spengler, Lazarus 199, 238 Speyer 125, 135, 166, 181, 212, 227–229, 232–233, 283, 297, 300, 323, 326, 328, 352, 354, 370–371, 393, 398, 442, 444, 449, 456–458, 513, 534, 563, 578, 588, 590, 619, 628, 631, 640, 667, 670, 702, 727–728 Sprache siehe deutsche Sprache Srbik, Heinrich von 23 Staden 70 Städte siehe Freie Städte; Reichsstädte Städtetag 229, 393, 665 Stadtlohn, Schlacht bei (1623) 699, 710 Staupitz, Johannes von 192, 198, 238

Steiermark 46, 101, 106, 124, 179, 181, 273, 281, 430, 522, 531, 598, 605 Sternberg 137, 632 Steuern 20, 43, 50, 54–55, 58–60, 64, 73–74, 105–107, 116, 191, 121–125, 131, 136, 148, 175, 178–179, 181, 183, 185, 198, 209–210, 214, 229, 268–271, 277, 284, 287, 289, 297–299, 314, 322–324, 338, 362, 374–375, 381, 393–394, 403, 438, 441–442, 446–447, 450–451, 455, 464, 467, 470, 472, 475, 483, 491–492, 495, 506–509, 512, 514–515, 521–522, 530, 532, 536, 544, 546, 554, 567, 587, 590, 593, 599–600, 621, 626–635, 638, 648–649, 657, 665, 668, 670–671, 693, 705, 730, 742, 746, 748, 758–759, 763, 769, 778 Stolleis, Michael 29 Stralsund 649, 714, 724, 760 Straßburg 44, 50, 68, 108, 125, 127–128, 132, 136, 157–158, 169, 181, 229, 238, 249–250, 274–275, 307, 311, 332–333, 371, 375, 381, 385, 410, 449, 503, 509– 514, 517, 526–527, 571, 573, 576, 594, 617–618, 643, 655, 706, 726, 737, 770 Straßburger Universität 567, 624 Strauss, Gerald 29 Stühlingen 284–285 Stuttgart 52, 60, 278, 285, 333, 336, 511, 643 Suleiman der Prächtige, osmanischer Sultan (1520–1566) 358–361, 401, 471 Sulzbach 71 Sundgau 63, 100, 108, 293, 344 Superintendenten 330, 612, 615

Tacitus, Publius Cornelius 33, 86, 147–149, 151, 245, 564, 574, 630, 660 Tanner, Adam 675–676 Tauler, Johann 133, 193 Taxis (Familie) 162, 458, 691–692 Tetzel, Johann 194–197 teutsche Libertät siehe deutsche Libertät Thomasius, Christian 605, 676 Thurgau 250, 284, Thüringen 69, 72, 128, 166–168, 171, 174– 176, 190, 192, 255–256, 280–281, 283,

843

844

Register

286, 288–289, 293, 295–296, 413, 491, 591, 627, 640, 768 Thurn, Graf Heinrich Matthias von 554– 560 Tilly, Johann Tserclaes Graf von 694, 698– 699, 709–710, 713, 716, 720–721, 725–727 Tirol 46, 56, 99–100, 103–110, 167–168, 170, 174, 212, 280–281, 289–291, 293– 294, 298, 430, 525, 531, 534–535, 547, 549–550, 559–560, 580, 605, 620, 627, 670, 689, 706, 762 Toke, Heinrich 121 Torgau 232, 411, 505 Toul 124, 352, 411, 450, 762 translatio imperii 39, 82, 85, 86, 146, 148– 149, 565–567, 574–575 Trauttmannsdorff, Graf Maximilian von 738, 753, 755 Treitschke, Heinrich von 423, 587 Trient 46, 101, 128, 289–290, 343, 349, 352, 358, 367–368, 398–399, 402, 404, 407, 412, 424–425, 428, 432, 476, 483, 531, 556 Trier 42, 44, 51, 55–56, 74, 123–126, 137, 141, 159, 170, 205, 275–276, 344, 352, 384, 390, 400, 434, 436, 444, 480, 496, 524, 640, 672–675, 702, 728, 741, 755 Trierer Universität 616 Trithemius, Johannes 82, 150 Tschernembl, Georg Erasmus von 523, 538, 554, 705 Tübinger Universität 74, 333, 612, 624 Türkensteuer 438, 442, 472, 491–492, 495, 507–509, 512, 515, 521–522, 544, 629

Ueberweg, Friedrich 29 Ulm 68, 229, 238, 244, 250, 400, 406, 594, 648, 651–652, 696, 726, 737 Ulm, Johann Ludwig von 542 Ulrich, Herzog von Württemberg (1498– 1550) 53, 60, 152, 181, 205–206, 210, 213, 273, 285, 336–337, 345, 383–386, 400, 406, 434 Ungarn 40, 46, 56, 62–63, 99–100, 102, 168– 169, 181, 213–214, 222, 301, 323–324, 358–360, 362, 364, 366, 368, 370, 373, 378, 383, 387–389, 392–393, 408, 413, 427,

430–431, 448, 454, 470–471, 509, 530–534, 537–539, 544, 550–560, 697, 707, 709, 713, 720, 727, 736, 738, 744, 746, 751 Utrecht 124, 343, 351, 374, 384

Vagabundieren, Gesetze gegen 335, 666– 667 Vener, Job 54, 120–121 Verden 127, 411, 478, 712, 715, 755, 760 Verdun 124, 352, 411, 450, 762 Vorlande 56, 100, 212, 273, 430, 439, 531, 605

Wahlkapitulation 58, 121, 209–210, 214, 222, 353, 377, 408, 427, 429, 475, 494, 581, 759, 780 Währungssystem 453–454 Waldburg, Georg Truchsess von 276, 285, 288–289, 294–295, 297 Waldshut 284, 285, 291 Wallenstein, Albrecht 560, 690, 693–694, 710, 713–718, 720, 723–724, 727–728, 731, 734–738, 769, 771 Wartburg 225, 236, 251, 253, 257 Wassili III., Großfürst von Moskau (1505– 1533) 99, 102 Wehler, Hans Ulrich 30 Weigel, Valentin 570 Wein, Weinanbau 159, 166, 174 Weingarten 177, 294, Weingarten, Vertrag von (1525) 288, 295, 352, 438 Weißen Berg, Schlacht am (1620) 663, 698 Wenzel, heilig-römischer König (1378–1400) und König von Böhmen (1378–1419) 40, 118 Westfalen 52, 133, 167, 171, 174, 271, 280, 339, 352, 437, 467, 594, 614, 672, 699, 709, 716, 726 Westfälischer Friede 10, 21, 24, 44, 64, 68, 379, 443, 563, 578, 581, 653, 685–686, 704, 743, 751–765, 773–780 Wetterau 70, 79, 100, 111–112, 272, 406, 437, 465, 467, 482, 491, 495–497, 504, 511, 606, 614–615, 640, 646, 667, 741

Register

Weygandt, Friedrich 281, 289, 293 Wiedertäufer 248–249, 252, 255, 296, 300, 310–312, 371, 386, 388, 392, 573, 621, 703 Wien 43, 56, 84, 99–100, 111, 141–142, 150, 182, 359–361, 373, 389, 393–394, 428, 430–432, 456, 461, 463, 467, 486–487, 493, 535, 537, 546, 555, 559–561, 590, 597, 599, 640, 642, 644, 667, 670, 691, 694, 697, 699, 709–710, 713, 716–718, 728, 730, 735, 744–745, 747, 755 Wien, Friede von (1645) 744 Wiener Konkordat (1448) 119–122 Wiener Universität 141, 616 Wilhelm I. von Oranien, Statthalter von Holland (1559–1584) 437, 465–466, 504, 606 Wilhelm IV., Herzog von Bayern (1508– 1550) 72, 111, 213, 230, 322, 350, 352, 377, 385, 390, 399, 488, Wilhelm IV., Herzog von Sachsen-Weimar (1620–1662) 581, 699 Wilhelm IV., Landgraf von Hessen-Kessel (1567–1592) 466, 504–506, 628 Wilhelm V., Herzog von Bayern (1579– 1598) 673, 678 Wilhelm V., Herzog von Jülich-Kleve-Berg (1539–1592) 345–346, 350, 390, 435, 493 Wilhelm V., Landgraf von Hessen-Kassel (1627–1637) 731, 736, 741 Wilhelm VI., Landgraf von Hessen-Kassel (1637–1663) 741 Wimpfeling, Jakob 86, 147, 150, 154, 158 Wimpfen 305, 699 Windesheimer Kongregation 132–133 wissenschaftliches Denken (Rationalität/ Irrationalität) 661–662 Wittenberg 138, 189, 192, 194–196, 199, 244, 251–254, 267, 322, 330–332, 348, 382, 611–612, 617, 645 Wittenberger Universität 77, 154, 192, 230, 236–237, 573, 603, 611 Wolf Dietrich von Raitenau, Erzbischof von Salzburg (1587–1612) 442, 508 Wolfgang, Fürst von Anhalt-Köthen (1508– 1562) 372

Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, Herzog von Jülich (1614–1652) 524– 525, 527, 748 Wollgast, Siegfried 28 Worms 52, 57, 102–105, 115, 125, 132, 135, 198, 209, 211, 213–215, 218, 221–227, 231, 233, 236, 238, 245, 252, 256, 267, 274, 388, 393, 398, 456, 477, 491, 619–620, 631, 640, 657, 667–668 Wormser Edikt (1521) 189, 225–233, 237, 240, 261, 273, 282, 308, 322, 346, 350, 370, 375, 379, 456 Wormser Konkordat (1122) 50, 123 Wullenwever, Jürgen 310 Württemberg 23, 25, 53, 60, 73–74, 80, 110– 111, 132–136, 147, 152, 174–175, 179– 181, 205, 210–214, 230, 238, 273–274, 280, 283, 285, 288–289, 291, 333, 336– 337, 344–345, 351, 379, 383–387, 395, 400, 406, 409, 413, 415, 428, 434, 475, 480–481, 485, 504, 510–511, 518–519, 522–523, 531, 543, 546, 571, 592, 599, 603, 610, 617, 631, 639, 705, 729, 738, 740, 755–756, 768, 770 Würzburg 125, 137, 157, 179, 272, 288, 291, 323, 352, 371, 384, 412–413, 434, 483– 485, 489–490, 520, 548, 607, 640, 644, 665, 667, 672, 696, 715–716, 729, 769 Würzburger Universität 616 Wyclif, John 117, 191, 196, 262

Zasius, Johann Ulrich 433, 475 Žerotín, Karl 554, 558–559, 704 Zesen, Philipp von 577–578 Zeydel, Edwin Hermann 35 Ziegler, Niclas 82 Zigeuner, Gesetzgebung gegen 666–667 Zürich 94, 165, 179, 246–251, 276, 283, 285, 295, 372 Zwilling, Gabriel 253 Zwingli, Ulrich, und Zwinglianismus 15, 94, 244–251, 259, 263, 283–284, 287, 294– 296, 300, 305–306, 336, 371–373, 375, 377, 379, 381–383, 415, 434, 612 Zwölf Artikel 283, 287–288, 290–291, 295

845

Die wichtigsten Territorien des Heiligen Römischen Reiches um 1547

DÄNEMARK

Nordsee

FRANKREICH

SCHWEIZER EIDGENOSSENSCHAFT

Kirchliche Territorien Reichsgrenze 0

50

100

150 km

OSMANISCHES REICH

SAVOYEN

PREUSSEN

Ostsee

N

S

POLEN

BÖHMEN

Territorien der Hohenzollern Brandenburg Franken

Territorien der Wettiner Albertinisches Sachsen Ernestisches Sachsen

Territorien der Wittelsbacher Bayern Pfalz ÖSTERREICH

Habsburger Territorien österreichisch spanisch

REPUBLIK VENEDIG

Oldenburgische Territorien Schleswig-Holstein

Adria

OSMANISCHES REICH

Oldenburg

Die Kreise des Heiligen Römischen Reiches um 1512

DÄNEMARK

Nordsee

FRANKREICH

SCHWEIZER EIDGENOSSENSCHAFT

SAVOYEN

0

50

100

150 km

OSMANISCHES REICH

I TA L I E N I S C H E S TA AT E N

PREUSSEN

Ostsee

N

S

POLEN

BÖHMEN (kein Kreis)

Kreise Kurrheinischer Kreis Oberrheinischer Kreis Burgundischer Kreis Österreichischer Kreis Westfälischer Kreis Obersächsischer Kreis Niedersächsischer Kreis Fränkischer Kreis Schwäbischer Kreis REPUBLIK VENEDIG

Adria

Bayrischer Kreis (in schraffierten Regionen gab es eine größere Anzahl von Reichsrittern)

Reichsgrenze