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German Pages 337 Year 2003
JOCHEN STROHMEYER
Das europäische Umweltinformationszugangsrecht als Vorbild eines nationalen Rechts der Aktenöffentlichkeit
Beiträge zum Informationsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Hansjürgen Garstka, Prof. Dr. Michael Kloepfer, Prof. Dr. Friedrich Schoch
Band5
Das europäische U mweltinformationszugangsrecht als Vorbild eines nationalen Rechts der Aktenöffentlichkeit
Von Jochen Strohmeyer
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Göttingen hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 2003 Duncker &
ISSN 1619-3547 ISBN 3-428-10971-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Meinen Eltern
Vorwort Die Frage, inwieweit die Staatsbürger zur Einsicht in die von den Verwaltungen geführten Akten berechtigt sein sollten, ist in allen jüngeren Epochen Gegenstand einer leidenschaftlich geführten Diskussion gewesen. Anders als eine Vielzahl anderer rechtsstaatlich und demokratisch verfaßter Staaten verhaftet Deutschland noch immer an einer nur beschränkten Aktenöffentlichkeit (§ 29 VwVfG), obwohl das Grundgesetz dem einfachen Gesetzgeber durchaus den Spielraum eröffnet, auch ein grundsätzlich allgemeines Akteneinsichtsrecht einzuführen. Aufgrund der Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union und der damit verbundenen Pflicht zur Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie (90/313/EWG) erlangt die Debatte eine neue Dynamik, die auch durch den Ruf der friedlichen Revolution des Jahres 1989 nach mehr Transparenz als Reaktion auf die undurchschaubare Entscheidungstindung des politischen Systems der DDR gefördert wird. Unter Auswertung der in der (auch internationalen) Praxis gesammelten Erfahrungen mit weitgehenden Informationszugangsrechten behandelt der Verfasser deshalb als Vervollständigung bestehender Ansätze alle denkbaren Aspekte der Thematik unvoreingenommen und abschließend und gelangt zu folgendem Ergebnis: Das beste gegenwärtig denkbare Regelungsmodell besteht in der Einführung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts. Da die Bundesregierung entgegen ihrer Koalitionsvereinbarung seine Einführung in dieser Legislaturperiode aus nicht ersichtlichen Gründen bedauerlicherweise versäumt hat, bleibt zu hoffen, daß sie ihre Überlegungen bei einer erneut anstehenden Entscheidung kritisch überprüft- die vielfaltigen parteiübergreifenden Skandale während der Entstehungszeit der vorliegenden Arbeit machen die Notwendigkeit einer transparenteren politischen Praxis auch im geeinten Deutschland offenkundig. Die vorliegende Arbeit ist die aktualisierte Fassung der Dissertation des Verfassers, die der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen im Winter 2001/2002 vorgelegen hat. Sie befindet sich auf dem Stand vom 30. November 2001. Wichtige Neuerungen finden überwiegend noch in den Fußnoten Berücksichtigung. Für die Betreuung der Arbeit, die blitzartige Erstellung des Erstgutachtens und vor allem die außergewöhnliche wissenschaftliche Freiheit während der fünf Jahre an seinem Göttinger Lehrstuhl danke ich Herrn Prof. Dr. Franz-Joseph Peine. Mein Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Dr. Michael Silagi für die ebenfalls ungewöhnlich schnelle Erstellung des Zweitgutachtens und der Fakultät für die Anberaumung eines kurzfristigen Rigorosumstermins. Hervorzuheben bleibenalldie Menschen, die aufgrundihrer persönlichen Bereitschaft zur Aufmunterung und Diskusssion für das Entstehen einer wertvollen wis-
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Vorwort
senschaftliehen Abhandlung unverzichtbar sind und die alle zu nennen fast unmöglich ist: Für die unabdingbaren zahlreichen Streitgespräche in sachlich scharfem, aber gleichzeitig frei und freundschaftlich geführtem Diskurs möchte ich mich insbesondere bei den Herren Priv.-Doz. Dr. Peter Unruh, Priv.-Doz. Dr. Karl-Eberhard Hain und Assessor Stefan Mißling bedanken. Auch die Rechtsreferendare Jens Schmidt und Moritz von Münchhausen sowie Tobias Hellenbroich dürfen nicht unerwähnt bleiben. Die Schärfung meines Blicks für die außeruniversitäre Realität und die Praxis von Informationszugangsrechten in der Verwaltung verdanke ich vor allem Herrn Peter Jürgens, Dezernent am Landkreis Göttingen. Nicht vergessen werden dürfen meine Tante Rosi Grottemeier und meine Eltern, die nach vielen, vielen Jahren der Hilfestellung mittels ihrer Korrekturen nunmehr doch noch daraufhoffen können, mir die Tücken und Feinheiten der deutschen Sprache erfolgreich vermittelt zu haben; meinen Eltern sei diese Arbeit auch gewidmet. Verantwortlich für Inhalt und Sprache bleibt freilich allein der Verfasser, der sich über Kritik jeglicher Art erfreutzeigen würde. Dortmund, im April 2002
Jochen Strohmeyer
Inhaltsverzeichnis Einleitung und Gang der Untersuchung
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Teil I Europarechtliche Vorgaben und Problemstellungen A. Die Zwecke des Umweltinfonnationszugangsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemaufriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Denkbare Interpretationen des Art. 1 der Richtlinie 90/313/EWG . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die der Umweltinformationsrichtlinie zugrundeliegenden Konzeptionen der Gemeinschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Konzeption der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Konzeption des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Konzeption des Wirtschafts- und Sozialausschusses . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Konzeption des Rates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vergleich der Konzeptionen . . ... . ........ . . . ........ .. . . . ...... . . . . . .... 3. Interpretationsansätze aus dem Gesamtkonzept gemeinschaftlichen Umweltinfonnationsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umweltpolitische Aktionsprogramme und sonstige Akte "sui generis" b) Maßgebliches Umweltrecht bis 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätze gemeinschaftlichen sekundären Umweltrechts . . . . . . . . bb) Grundsätze höherrangigen, gemeinschaftlichen Umweltrechts . . . . c) Maßgebliches Informationsrecht bis 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ermittlung des nonnativen Sinns der Umweltinformationsrichtlinie mittels historisch-teleologischer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 250 (ex-Art. 189a) EGV als Beschränkung des historischen Gesetzgebers... . ................ . . . . ... ................ . . . . . . . ............... . ..... . .. IV. Ermittlung der Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erreichbarkeil des Umweltschutzziels . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . . . .. . .. . . . 2. Erreichbarkeil des Wettbewerbsziels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnisse zu A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Vereinbarkeil des Umweltinfonnationszugangsrechts mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Formelle Rechtmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts . . . . . . . . . . . . 79 1. Ermächtigungsgrundlage und "Titandioxid-Rechtsprechung" . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Wahrung von Subsidiaritätsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3. Sonstige formelle Rechtmäßigkeilsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Materielle Rechtmäßigkeit des Umweltinfonnationszugangsrechts . . . . . . . . . . . 82
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Inhaltsverzeichnis l. Vereinbarkeil des Zugangsrechts mit sonstigen allgerneinen Rechtsgrundsätzen.................. . ... . ................ . . . . ...................... . .... . . 2. Vereinbarkeil des Zugangsrechts mit den Gemeinschaftsgrundrechten . . . . . a) Vereinbarkeil des Zugangsrechts mit gemeinschaftsgrundrechtlichem Datenschutz . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . aa) Datenschutzrelevanter Regelungsgegenstand des Zugangsrechts . . (1) Gruppe 1 - aufgrundspezieller Fachgesetze bereits offenbarte Daten... . . . . . . . ................ . ...... . .................. . ... .. . (2) Gruppe 2 - bisher nicht offenbarte, von den Behörden im Zusammenhang mit Genehmigungsverfahren oder Überwachungstätigkeiten erlangte Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gruppe 3 -Daten über Amtswalter, Sachverständige und Gutachter... . . . . . .................. . ...... . ................ .. . .. . . . . (4) Gruppe 4 - Daten sonstiger Beteiligter an Verwaltungs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . (5) Gruppe 5 - Namen von Betroffenen von Umwelteinwirkungen ..... ... .. ....... . ........... . . . . . . . .. .... . ..... .... .... . . . . . bb) Eingriff in gemeinschaftsgrundrechtliche Schutzpositionen . . . . . . . cc) Einschränkbarkeil von gemeinschaftsgrundrechtliehen Schutzpositionen ........ . . . . .... ... . ........ .... . ................... ... . . . . ... dd) Schranken-Schranken- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . (1) Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Gruppe l .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . .. (2) Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Gruppe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Gruppe 3 . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Gruppe 4 . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Geeignetheil .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . (b) Erforderlichkeil . . . . .. .. . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . (c) Angernessenheil . . . . . . .. . . . . . .. . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . (d) Gewährleistung von Datenschutz durch Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. (e) Primärrechtskonforme Auslegung des Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Gruppe 5 . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Vereinbarkeit des Zugangsrechts mit gemeinschaftsgrundrechtlichem Datenschutz . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . b) Vereinbarkeil des Zugangsrechts mit gemeinschaftsgrundrechtlich geschützten Eigenturnsrechten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ... aa) Eingriff in gemeinschaftsgrundrechtliche Schutzpositionen . . . . . . . bb) Ergebnis zu b) . . . . . .......... . ..... . .... .. .... . ... . .......... . ...... c) Vereinbarkeil des Zugangsrechts mit sonstigen Gemeinschaftsgrundrechten . . . . . .. . . . . . . ..... . .. .. . . . . . . ... . . .......... .. .. . . . .. . ... . ........ 3. Ergebnis zu B. . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . .. . .. . . . .. .. . .. . .. . . . . . . . . .
82 85 85 85 86 87 87 87 88 88 89 90 90 91 92 92 93 93 93 94 95 l 05 106 106 107 108 108 108
Inhaltsverzeichnis
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Tei/2
Die systematische Stellung des Zugangsrechts im deutschen Umweltund Informationsrecht und seine empirischen Wirkungszusammenhänge
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A. Vergleich des Anwendungsbereichs deutscher Informationsansprüche . . . . . . . . . . . . . . 111
I. § 4 UIG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen des §4 Abs.1 S.1 UIG ...... . ... ................ . . . . . . ... 2. Ausnahmen von § 4 Abs. 1 S. 1 UIG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorschriften der beschränkten Aktenöffentlichkeit . . . ................ . . . . . .... 1. Einfach-gesetzliche bundesrechtliche Vorschriften, insbesondere § 29 VwVfG ................ . ........................ . . . ................. . . . . . .... a) Voraussetzungen des§ 29 Abs. 1 S. I VwVfG ............... . . .. .. . .... b) Ausnahmen von§ 29 Abs. 1 S.1 VwVfG . ..................... ... . . .... c) Verhältnis des §29 VwVfG zu §4 UIG .. . . . ................... . . . ...... 2. Landesrechtliche einfach-gesetzliche Vorschriften ................ . . . . . . . . . 3. Bundesverfassungsrechtliche Vorschriften .. .. ... . ..... . ........ ... . ........ a) Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1, S. 1, 2. Hs. GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige grundgesetzliche Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorschriften des Planungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Planfeststellungsverfahren §§ 72ff., 72 Abs. 1, Hs. 2, 29, 73 Abs. 3 S. 1 VwVfG ................. . . . ................... . .. . ................ . ....... .. . 2. Einsichtsrechte in atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einsichtsrechte in sonstigen Genehmigungsverfahren .. .. . ... ........ . ... . . 4. Einsichtsrechte im Planungsrecht im Verhältnis zu §4 UIG . . ..... .. . . . . . . . IV. Zugangsrechte zu behördlichen Umweltkatastern und -Verzeichnissen .. . . . ... 1. Informationszugangsrechte zu den Wasserbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Informationszugangsrechte zu sonstigen Umweltkatastern ........ . .... . . . . 3. Sonstige umweltrechtliche Kataster ohne Informationszugangsrechte des Bürgers . .. .. . ... .... .... . . . ................. . . . .... . ................... . . . . . . V. Sonstige spezielle Zugangsrechte des Umweltrechts . .............. . .... . . . ... 1. §§116f.S.-H.,§§119f.M.-V.WGund§67BbgNatSchG . . .. . . . . . . .. .. . . . 2. §9 UmweltHG . . . .. ... ..... ............... ... ... . . . ................... . ..... 3. § 29 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Allgemeine Zugangsrechte für den gesamten Bereich des Umweltrechts . . ... 1. Vorschriften der Verfassungen Sachsens (Art. 34), Sachsen-Anhalts (Art. 6 Abs. 2) und Thüringens (Art. 33) ..... . ..... . . . . . .. . . . .. . . . .. . ...... . . . ... .. 2. Art. 39 Abs. 7 S. 2 der Verfassung Brandenburgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 6 Abs. 3 der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Exkurs: Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen und § 4 Abs. 3 UIG . . . VII. Allgemeine Zugangsrechte ohne Bezug zum Umweltrecht .......... . . . ...... . 1. Brandenburg ......... . . . ................ ... . . . . ................... . . . .... . . . 2. Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schleswig-Holstein . ... . . . . . . ....... . . . . . ....... .. ... .. ........ ... . ...... .. . VIII. Ergebnis des Vergleichs der untersuchten Informationsansprüche . . . . . . . . . . . . .
111 112 115 122 122 123 125 126 133 134 134 134 136 136 140 141 146 146 146 147 148 149 149 151 152 154 154 155 156 156 160 161 163 164 165
B. Die Entstehungsgeschichte und der Sinn der Informationsansprüche des deutschen Rechts ... .. ...................... . . . ...................... . ........ . . . .. . ..... . ........ 167
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Inhaltsverzeichnis I. Die historische Entwicklung vor Inkrafttreten des Grundgesetzes . . . . . . . ... .. . II. Beschränkte Aktenöffentlichkeit nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und die Entstehung der Verwaltungsverfahrensgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Die Entstehung und der Sinn informationsrechtlicher Vorschriften im Planungsrecht ... IV. Die Entstehung und der Sinn des §29 BNatSchG oooooo V. Der Sinn der zwischen der Umweltinformationsrichtlinie und dem UIG in Kraft getretenen informationsrechtlichen Vorschriften ........... . ..... . . . .... l. Spezielle landesrechtliche, einfach-gesetzliche Umweltinformationszugangsrechte . 2. Umweltinformationszugangsrechte in den Verfassungen der fünf neuen 00
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··oo ••oo •••oo················ ······· 186 Länder ···oo•••oooo•··················oo·· a) Art. 6 Abs. 3 der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Art. 39 Abs. 7 S. 2 Bbg Verf, Art. 34 SächsVerf, Art. 6 Abs. 2 S.-A. Verf und Art.33 ThürVerf . . . . . . oooo···········oooooo, .. oo ...... oo. ····oo····· 191 3. Bewertung des Zeitraums zwischen der Verabschiedung der Umweltinformationsrichtlinie und dem lnkrafttreten des UIG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 VI. Die Entstehung und der Sinn allgemeiner Informationsfreiheitsgesetze . . . . . . . 193 VII. Diskussion über die systematische Stellung des Umweltinformationszugangsrechts des § 4 Abs. 1 S. l UIG 194 00 00 00
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C. Konkrete Erfahrungen mit dem Umweltinformationszugangsrecht und mit Modellen weitergehender Aktenöffentlichkeilen in anderen Staaten und internationalen Organisationen I. Methodische Problemstellungen . . . .. II. Konkrete Erfahrungen in Deutschland mit § 4 Abs. l S. l UIG . . . . . . . . . . . . . . . . l. Präventivkontrolle ..... . 2. Nachträgliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis der konkreten Erfahrungen mit§ 4 Abs. l S. l UIG III. Spezielle konkrete Erfahrungen mit Aktenöffentlichkeiten in ausgewählten Staaten und internationalen Organisationen .. . . l. Kommerzielle Nutzung der Informationszugangsrechte .. . . . . . . . .... . . . . . .. a) Die Nutzung des FOIA und die FOI Services Companies .. . .... ... . . .. b) Zugangsrechtsbedingte Services Companies in anderen Staaten . . . . . .. c) Bewertung der kommerziellen Nutzung von Informationszugangsrech00
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.. •oo ···oo············· ·oo······· ten ····oooo••·oo·····ooooo•oo········oo·· Das Argument der Überlastung und der Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Einwand sich kaum verändernder Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Problem des möglicherweise abnehmenden Informationsflusses . . . . . . Zusammenfassung der internationalen Erfahrungen und mögliche Rückschlüsse auf Umweltinformationszugangsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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Tei/3
Bewertung des Umweltinformationszugangsrechts und seine mögliche Funktion als Vorbild von Modellen weitergehender Aktenöffentlichkeit in Deutschland A. Die Verfassungsmäßigkeit und die politische Zweckmäßigkeit des Urnweltinforma-
tionszugangsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verfassungsmäßigkeit des Urnweltinformationszugangsrechts ............ 1. Die abwägungsrelevanten Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefährdungen des Schutzes personenbezogener Daten, der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und des Staatswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Etwaige Grundrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eingriffe in Art. 12 Abs.1, Art.14 Abs.1 und Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Eingriffe ........ . ... b) Unzulässige Staatswohlbeeinträchtigungen ......................... . . . . c) Ergebnis zur Verfassungsmäßigkeit des Urnweltinformationszugangsrechts ......................................................... . . . .. ... .. . II. Die Zweckmäßigkeit des Urnweltinformationszugangsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berücksichtigungsbedürftige Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die erreichten Umweltschutzziele im Verhältnis zu ihren Kosten ...... . . ..
B. Zweckmäßigkeit einer denkbaren Lockerung des Grundsatzes der beschränkten Aktenöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Argumente für ein allgerneines Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zulässigkeil dernokratie- und rechtsstaatsfördernder Zielsetzungen von Akteneinsichtsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die tatsächlichen Zusammenhänge zwischen Informationszugangsrechten und demokratischen, rechtsstaatliehen und sonstigen Aspekten . . . . . . . . . . . . 3. Gewichtung der Argumente . .. ...... ....... . .. . . .. . .. .... .. . .. . .... ... . .... . a) Die Bedeutung der Präventivkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Gewicht der Erweiterung der Kommunikationsfreiheiten ..... . . ... c) Gewichtung demokratischer und rechtsstaatlicher Aspekte ... . .... . .. . 4. Gesamtgewichtung der für die Einführung eines allgerneinen Akteneinsichtsrechts sprechenden Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Argumente gegen ein allgerneines Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grund- und sonstige verfassungsrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafrechtliche Vorgaben für Akteneinsichtsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerrechtliche Vorgaben für Akteneinsichtsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sozialrechtliche Vorgaben für Akteneinsichtsrechte .............. . . . ... d) Zwischenergebnis hinsichtlich der Bereiche Straf-, Steuer- und Sozialrecht .............. . ...................... . . . . . . . . . ............. . ..... . ... e) Sonstige grundrechtlich sensible Bereiche . . . . . . . ............. . . . ....... f) Vorgaben für Akteneinsichtsrechte aus Gründen des Staatswohls . . . . . . g) Ergebnis zu grund- und sonstigen verfassungsrechtlichen Vorgaben . . . 2. Zweckmäßigkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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241 241 242 244 244 244 246 251 252 252 252 253 262 264 264 269 274 275 278 279 284 286 286 287 290 291 292 293 294 295 295
14
Inhaltsverzeichnis III. Abwägung und wertende Betrachtung ..... . .. . . . . . . . ................ . . . . . . .. . . 301 IV. Zusammenfassung der Ergebnisse als konkrete Eckdaten für die gebotene Einführung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
C. Anwendung der gefundenen Ergebnisse auf die neuen Informationsfreiheitsgesetze der Länder ...................... . . . . . ... . ............ . . . ...................... . . . .. .. . 310 I. Das Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Brandenburgs . . . . . . . . . . 311 li. Die allgemeinen Akteneinsichtsrechte Berlins und Schleswig-Holsteins .. . . . . 312 D. Schlußbetrachtung ............... . . . .................. . . . . . .................. . . . . . . ... 315
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . .. . . .. . . . 319 Sachwortverzeichnis . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Abkürzungsverzeichnis aA ABI. Alt. a.F. AP
Aufl. Bd. Begr. Begrd. BR-Drs. BT-Drs. bzw. CMLRev. ders. dies. Diss. Doc EEA EGV EGMR elni EP EuG EuGH EU-Kolleg Fn FS GA GB GH GS Hrsg. Hs. IPbürgR i.b. a. i.S.v. i.V.m.
anderer Auffassung Amtsblatt Alternative alte Fassung Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz Auflage Band Begründung Begründer Bundesratsdrucksache Bundestagsdrucksache beziehungsweise Common Market Law Review derselbe dieselbe, dieselben Dissertation Dokument Einheitliche Europäische Akte EG-Vertrag (auch in der Amsterdamer Fassung) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Environmental Law Network International Europäisches Parlament Gericht l. Instanz Europäischer Gerichtshof Schriftenreihe des Europa-Kollegs Hamburg; herausgegeben von Bruha, Thomas und See/er, Hans-Joachim Fußnote Festschrift Generalanwalt Großbritannien Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Gedächtnisschrift Herausgeber Halbsatz Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte in bezugauf im Sinne von in Verbindung mit
16 Korn Kommission Korn-B Korn-E MdB Mio Mrd mwN RetE-UIG Rl Rn Rz.
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u.a. u.ä. UAbs. UBA UGB-AT usw. UTR
u.v.a. UVP WSA Ziff. z. B.
Abkürzungsverzeichnis Kommission Kommissionsdokument (i.V. m. Jahreszahl und fortlaufender Nummer) Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte, der das Verfahren vor der Kommission abschließt Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte über die Zulässigkeil einer Beschwerde Mitglied des Bundestags Millionen Milliarden mit weiteren Nachweisen Referenten-Entwurf zum UIG Richtlinie Randnummer Randziffer siehe Seite und andere und ähnliche Unterabsatz Umweltbundesamt Entwurf eines Umweltgesetzbuches - Allgemeiner Teil und so weiter Umwelt- und Technikrecht, Schriftenreihe des Instituts für Umweltund Technikrecht der Universität Trier; herausgegeben von: Breuer, Rüdiger/Kloepfer, Michael/Marburger, Peter/Schröder, Meinhard und viele andere Umweltverträglichkeitsprüfung Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuß Ziffer zum Beispiel
Soweit im Rahmen dieser Arbeit verwendete Abkürzungen in diesem Verzeichnis keine Erwähnung finden, wird zitiert nach: Kirchner, Hildebert: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, Berlin u. a., 1993
Einleitung und Gang der Untersuchung Im Rahmen der Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie 90/313/EWG ist durch § 4 Abs. I S. I UIG jedermann ein subjektiv-öffentliches Recht auf freien Zugang zu den bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen eingeräumt worden. Die deutsche Lehre charakterisiert diesen Anspruch gemeinhin als ,.voraussetzungsloses" subjektiv-öffentliches Recht, weil er zwar nur auf Antrag, aber ohne Nachweis irgendeines Interesses besteht. Insoweit steht § 4 UIG in einem Spannungsverhältnis zu herkömmlichen Informationszugangsrechten des deutschen Rechts, die vom Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit ausgehen. So setzt der das deutsche Recht überwiegend prägende § 29 VwVfG auch dann ein rechtlich schützenswertes Interesse des Antragstellers voraus, wenn Umweltinformationen betroffen sind. Das Umweltinformationszugangsrecht gestaltet folglich das Informationsverhältnis zwischen Bürger, Verwaltung und gegebenenfalls betroffenen Dritten für den Bereich des Umweltrechts auf prinzipiell neue Weise aus. Dieser Tatbestand fordert zu der Untersuchung auf, wie sich § 4 UIG in die bisherige deutsche Rechtsordnung systematisch einfügen läßt (Teil 2) und ob auch in anderen Bereichen als dem Umweltrecht der Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit zumindest überdacht werden sollte (Teil 3). Vor einer solchen Untersuchung muß (in Teil I) der Frage nachgegangen werden, ob die Umweltinformationsrichtlinie ihrerseits in Einklang mit europarechtlichen Vorgaben steht. Anderenfalls entfaltete sie keine Verbindlichkeit für die Mitgliedstaaten und wäre nicht geeignet, das Verhältnis des Bürgers zur Verwaltung in Deutschland zu beeinflussen. In Teil I erscheint es sinnvoll und erforderlich, zunächst die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 90/313/EWG zu analysieren. Erst hierdurch lassen sich die Zwecke des Informationszugangsrechts, über die in der Literatur und selbst bei den Organen der Gemeinschaft weitgehende Unsicherheit zu bestehen scheint, genau bestimmen. Die Ermittlung der Zwecke des Zugangsrechts führt gleichzeitig zur Bestimmung seines Rangs innerhalb des Gemeinschaftsrechts. Des weiteren ist die Legitimität der Zwecke des Zugangsrechts Voraussetzung für eine mögliche Einschränkung des europäischen Primärrechts einschließlich der Gemeinschaftsgrundrechte. Ist das Umweltinformationszugangsrecht Bestandteil des Sekundärrechts, stellt das Primärrecht grundsätzlich den Prüfungsmaßstab für seine Rechtmäßigkeit dar. In Teil 2 kann es nicht darauf ankommen, die zahllosen in den einschlägigen Kommentaren und Aufsätzen zum UIG bereits abgehandelten Einzelprobleme zu erörtern und zu wiederholen. Vielmehr soll eine systematische Einordnung des Zugangsrechts in die gleichzeitig umgestalteten grundlegenden Strukturen versucht 2 Strohmeyer
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Einleitung und Gang der Untersuchung
werden, die nur einige dem Verfasser besonders aktuell oder wichtig erscheinende Probleme exemplarisch herausgreift. Dabei ist zum einen das Verhältnis des § 4 UIG zu den zahlreichen anderen Informationszugangsrechten des deutschen Rechts zu untersuchen, die sich gerade im Bereich des Umweltrechts zunehmend vom Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit zu entfernen scheinen. Zum anderen ist intensiv nach Gründen für diese Entwicklung zu suchen, die sich insbesondere aus den zugrundeliegenden gesetzgebensehen Motivationen ergeben. Hinsichtlich der mit dem Umweltinformationszugangsrecht verfolgten Intentionen des Gesetzgebers, die er allesamt aufgrundeines überaus mittelbaren Wirkungszusammenhangs zu erreichen hofft, ist des weiteren eine empirische Betrachtung geboten, die die tatsächliche Erreichbarkeil dieser Ziele überprüft. Mangels bislang nicht hinreichender Erfahrungen in Deutschland ist insoweit auch auf Material zurückzugreifen, das mit den Informationszugangsrechten von anderen ausgewählten Staaten und internationalen Organisationen, in denen der Grundsatz allgemeiner Aktenöffentlichkeit vollständig oder weitgehend verwirklicht ist, gesammelt werden konnte. Dieses erlaubt darüber hinaus eine Prognose für die zukünftig zu erwartenden praktischen Folgen des UIG und ist zugleich Voraussetzung für eine Beantwortung der in Teil 3 gestellten Frage nach der politischen Zweckmäßigkeit verschiedener Informationszugangsrechte. In Teil 3 ist zunächst zu diskutieren, ob das Umweltinformationszugangsrecht einen verfassungsmäßigen und legitimen Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen herbeiführt, die sich- typisch für das Umweltrecht- im Spannungsfeld eines mehrseitigen Rechtsverhältnisses bewegen, dessen Akteure hier der Informationssuchende, die Behörde und der Geheimnisschutzbegehrende sind. Für die Legitimität des Zugangsrechts spricht aus Sicht des Informationssuchenden, daß er durch die erweiterte Zugänglichkeil von Informationen seine Rechtsschutzmöglichkeiten, seinen allgemeinen Kenntnisstand ihn interessierender Gegebenheiten und durch eine Einflußnahme auf die Behörden letztlich möglicherweise auch den Umweltschutz verbessern kann. Gleichzeitig stellt die vermehrte tatsächliche Verbreitung hinreichender Informationen in der Bevölkerung als mögliche Folge von Informationszugangsrechten eine zwingende Voraussetzung für den Prozeß der demokratischen Willensbildung dar. Aus Sicht der Behörde dient die Geheimhaltung hingegen dem Schutz der Effizienz und gegebenenfalls sogar der Funktionsfähigkeit der Verwaltung. Währenddessen kann der Geheimnisschutzsuchende geltend machen, die Behörden seien aufgrund der staatlichen Pflicht, seine Grundrechte zu schützen, zur Geheimhaltung verpflichtet. Erweist sich der durch den Umweltinformationsanspruch für den Bereich des Umweltrechts zugunsten prinzipieller Aktenöffentlichkeit vollzogene Wandel des Informationsverhältnisses zwischen Bürger und Verwaltung in dieser Diskussion als legitim, so liegt es nahe, die Berechtigung des Grundsatzes der beschränkten Aktenöffentlichkeit auch in anderen Bereichen kritisch zu überprüfen. Ist dieser ein Relikt obrigkeitsstaatlicher Vergangenheit und erscheinen auf dem Weg zu einer modernen
Einleitung und Gang der Untersuchung
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Verwaltung auch in anderen Bereichen als dem Umweltrecht voraussetzungslose Informationsansprüche als denkbar oder sogar geboten? Oder bestehen Gründe, warum ein voraussetzungsloses Informationszugangsrecht gerade und vielleicht allein im Umweltrecht seine Berechtigung hat? Diese Fragestellung lenkt den Blick auf andere Bereiche des Verwaltungsrechts wie das Archivrecht, das Sozialrecht u. a., bei denen im Spannungsfeld von Rechtsschutz, Demokratie, Funktionsfähigkeit der Verwaltung und staatlicher Schutzpflicht gegenüber Dritten möglicherweise ebenfalls Gründe bestehen, zu einer bereichsspezifischen Ausformung des Maßes an garantierter Aktenöffentlichkeit zu gelangen. Dieser Ansatz ermöglicht nachfolgend die Bewertung der jüngsten Aktivitäten der Landesgesetzgeber Brandenburgs, Berlins und Schleswig-Holsteins, die weitgehende allgemeine Akteneinsichtrechte eingeführt haben. Diese Arbeit will in Teil 1 folglich einen Beitrag dazu leisten, die zumeist vereinfacht betrachteten, komplexen europarechtlichen umweltinformationspolitischen Vorgaben genauer zu strukturieren. Dieses Vorgehen erweist sich letztlich als zwingende Voraussetzung aller weiterführenden Ableitungen und vermag durch die praktische Auseinandersetzung mit der Umweltinformationsrichtlinie die Dogmatik gemeinschaftsrechtlich gebotener Auslegungsmethodik im allgemeinen und nicht zuletzt auch in bezug auf die Gemeinschaftsgrundrechte zu verfeinern. In Teil 2 soll der sich aufdrängende, bisher aber noch nicht hinreichend durchgeführte Vergleich der durch das Europarecht bedingten Rechtslage im Bereich des Umweltinformationsrechts mit den bisherigen nationalen informationsrechtlichen Strukturen in Deutschland geleistet werden. Unter Einbeziehung der diesen Strukturen zugrundeliegenden gesetzgebensehen Motivationen soll verdeutlicht werden, daß sich dem nationalen Informationsrecht weder ein wertungswiderspruchsfreies System entnehmen läßt noch daß sich das Umweltinformationszugangsrecht in ein solches vermeintliches System eingliedern ließe oder gar die Schaffung umfassender neuer Strukturen intendierte. Das Umweltinformationszugangsrecht wird damit auf die ihm nachweislich zumdenbaren Funktionen beschränkt, deren tatsächliche Erreichbarkeil durch die nachfolgend gelieferte empirische Betrachtung zumindest ansatzweise dargelegt wird. In Teil 3 soll zunächst die Verfassungsmäßigkeit und sodann die Zweckmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts nachgewiesen werden. Diese Untersuchung liefert bereits einen Großteil der relevanten Eckdaten für eine sinnvolle allgemeine Ausgestaltung des Informationsverhältnisses zwischen dem Bürger und der Verwaltung im Zeitalter der Informationsgesellschaft Nachdem Verfasser im Anschluß eine Vielzahl immer wieder für und gegen Informationszugangsrechte vorgebrachte Argumente entkräftet haben wird, ergibt sich als Gesamtergebnis ein einfaches, politisch zweckmäßiges und verfassungsrechtlich zulässiges Modell dieses Verhältnisses für alle Bereiche des Verwaltungsrechts. Nochmals sei an dieser Stelle betont, daß es im Rahmen dieser Arbeit nicht darauf ankommen kann, viele der bereits umfassend abgehandelten Problemstellungen des 2*
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Einleitung und Gang der Untersuchung
Umweltinformationsrechts erneut im einzelnen zu wiederholen. Als Ziel dieser Arbeit seien vielmehr möglichst viele neue Aspekte angesprochen und diskutiert. Bekannte Problemfelder, auf deren Darstellung wegen ihres engen Zusammenhangs zur Problemstellung nicht verzichtet werden kann, werden deshalb möglichst knapp behandelt. Gleichzeitig soll der zur Verfügung stehende Rahmen nicht durch das Zitieren der kaum mehr übersehbaren Literatur gefüllt werden. Ohne die gebotene wissenschaftliche Sorgfalt zu vernachlässigen, soll inhaltlich übereinstimmende und ältere Literatur deshalb nicht erschöpfend wiedergegeben werden. Es bleibt vorwegzunehmen, daß ein elementarer kantischer Grundsatz auch nach mehr als 200 Jahren keiner Revolution bedarf: "Alle auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen , deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind Unrecht." lmmanuel Kant 1
1 Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden, Anhang II, z. B. in: Reclam-Reihe Nr. l501, Stuttgart 1984, S.50.
Teil]
Buroparechtliche Vorgaben und Problemstellungen Die Umweltinformationsrichtlinie enthält Vorgaben, bei denen sehr umstritten ist, in welchem Maße sie im deutschen Umsetzungsrecht zu berücksichtigen sind 1; ferner wirft sie eine Vielzahl neuer reineuroparechtlicher Problemstellungen auf. Hier sollen nur diejenigen europarechtlichen Fragen beantwortet werden, die eine Verbindung zu der aufgeworfenen Thematik der Teile 2 und 3 aufweisen, - entweder, weil sie vorab notwendige, wichtige Klarstellungen ermöglichen, oder weil die sich später bei der Bestimmung des Verhältnisses von Bürger und Verwaltung in Deutschland stellenden Probleme gleichfalls auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts bestehen und dort ähnliche Lösungen, wenn auch aus Sicht des Europarechts, gefunden werden müssen. Teil 1 soll deshalb damit beginnen, die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts herauszuarbeiten (A.). Dabei soll auch der Stellenwert des Zugangsrechts im System des Gemeinschaftsrechts ermittelt werden, bevor der Frage der Vereinbarkeil des Zugangsrechts mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht nachgegangen werden soll (B.).
A. Die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts I. Problemaufriß Anders als bei anderen europäischen Sekundärrechtsakten3 erschließt sich der vollständige Sinn der Umweltinformationsrichtlinie nicht ohne weiteres aus ihrer in Art. 1 niedergelegten Zielsetzung. Die deutsche Fassung des Art. 1 lautet: ,,Ziel dieser Richtlinie ist es, den freien Zugang zu den bei den Behörden vorhandenen Informationen über die Umwelt sowie die Verbreitung dieser Informationen zu gewährleisten und die grundlegenden Voraussetzungen festzulegen, unter denen derartige Informationen zugänglich gemacht werden sollen." 1 V gl. beispielsweise: Röger, UPR 1994, 216 ff. zum Begriff des "Vorverfahrens", Schrader, ZUR 1994, 221 ff. zur Erhebung einer "angemessenen Gebühr'' und Ekardt, NI 1997, 175 ff. zu weiteren Problemstellungen. 2 Vgl. dazu im einzelnen insbesondere unten, B. 3 Vgl. z.B. Art. I der Richtlinie 96/61/EG (ABI. Nr.L 257/26) des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung oder Art. 1 der Richtlinie des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten vom 2.4.1979 (ABI. Nr. L 103/1 ).
22
1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
Nach der vorherrschenden Auffassung verzichtet diese Formulierung auf eine wirkliche Zweckbestimmung 4, da die Gewährleistung des Zugangs zu Informationen und deren Verbreitung kein Selbstzweck sei 5 • Diese Äußerungen dürften dahingehend zu verstehen sein, daß "Zweck" im Sinne des normativen Sinns eines Gesetzes6 zutreffend nicht als gesetzgeberisches Streben nach irgendeinem wertneutralen Erfolg verstanden werden kann. Vielmehr ist eine Bindung des Gesetzgebers an materielle, am Gemeinwohl orientierte, sachliche Gründe anzunehmen7, die sich insbesondere verdeutlicht, wenn der Gesetzgeber gedenkt, Grundrechte einzuschränken8. Art. I wird deshalb oftmals nicht als echte Zweckbestimmung, sondern als Beschreibung des Inhalts der nachfolgenden Normen angesehen9• Gleichwohl wird vereinzelt eine sich zusätzlich am englischen 10, italienischen 11 und französischen 12 Wortlaut orientierende, einen wirklichen Zweck erblickende Interpretation des Art. 1 der Richtlinie vertreten, nach der den Bürgern ein Freiheitsrecht auf Zugang zu Umweltinformationen garantiert werden soll 13 • Dabei sei es die Eigenart dieses Freiheitsrechts, daß es gerade nicht- wie typischerweise die Informationsansprüche des deutschen Rechts- der Durchsetzung eines sonstigen materiellen Rechts diene. Es stelle vielmehr ein schlichtes demokratisches Beteiligungsrecht14 dar, das eine Mitwirkung des Bürgers an Entscheidungen ermöglichen solTuriaux, § 1 Rn 1 mwN; Feldhaus, in: UTR 22, S. 76. s Turiaux, ebenda; Reinhardt, Die Verwaltung 1997, 161, 164. 6 Zu den vielfaltigen terminologischen Unterschieden in der deutschsprachigen Literatur zur Methodenlehre soll hier nicht Stellung genommen werden. Eine solche Diskussion wäre aber auch nicht sinnvoll, weil Auslegungsgegenstand hier das europäische Sekundärrecht ist und nicht das deutsche Recht, und so nicht alle rein nationalen Argumente zutreffend sein können. Außerdem ist die gemäß Art. 220 (ex-Art. 164) EGV für die Auslegung des Gemeinschaftsrecht maßgebliche Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen. Gefolgt sei hier deshalb der im deutschen Rechtskreis relativ gängigen Terminologie von Larenz, S. 312 ff., soweit nicht die Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts eine Abweichung davon erforderlich machen. Dort explizit zum Begriff des normativen Sinns: S. 318. 7 Larenz, S.316f. 8 Zur allgemeinen Diskussion um den legitimen Normzweck bei Grundrechtseinschränkungen vgl. beispielsweise: Sachs, in: Sachs, Art.20 Rn 149 mwN. Zum notwendigen "materiellen" normativen Sinn der Umweltinformationsrichtlinie: Turiaux, § l Rn 1. 9 So z. B.: Turiaux, §I Rn l mwN; Wegener, in: S/S/W, §I Rn 15; Feldhaus, in: UTR 22, S.76. 10 Directive on the freedom of access to information on the environment (gleiche Formulierung: Art. l). 11 Direttiva concemente la liberta di accesso all'informazione in materia di ambiente (gleiche Formulierung: Art. 1). 12 Directive concemant la liberte d'acd~s al'information en matiere d'environnement (gleiche Formulierung: Art.l). 13 Krämer, in: UTR 22, S. 77; Winter, in: UTR 22, S. 84. 14 Schon hier ist daraufhinzu weisen, daß sich die Verwendung des Begriffs "demokratisch" in diesem Zusammenhang keinesfalls als unproblematisch erweist: Unten, in Teil 3, B. I. 1., wird Verfasser nämlich zeigen, daß es dem Staat verwehrt ist, Maßnahmen pauschal auf vermeintlich "demokratische" oder (insoweit stellt sich in Teil 1 und 2 die gleiche Problematik) 4
A. Die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts
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le 15 • Diese Ansicht kann sich dabei im Ansatz auf Art.4 der Sprachenverordnung 16 stützen, der für Verordnungen 17 des Rates die gleiche Verbindlichkeit aller Amtssprachen anordnet 18• Im Gegensatz zu den zitierten Fassungen, die- wie auch der spanische und der portugiesische Wortlaut- ein Recht auf Zugang betonen, ähneln allerdings die niederländische 19 und die dänische 20 Version eher der deutschen, die lediglich von der Gewährleistung eines freien Zugangs spricht. Da sich jedenfalls im übrigen in der Richtlinie selbst keine weiteren Zielsetzungen finden lassen, wird zur Bestimmung des sie rechtfertigenden normativen Sinns überwiegend auf die ihr vorangestellten Erwägungsgründe verwiesen. Im 4. Erwägungsgrund findet das bei einer vor allem auf den damaligen Art. 130s (jetzt: 175) EGV 21 gestützten Richtlinie 22 zu erwartende Ziel des Umweltschutzes Erwähnung: "rechtsstaatliche" Zielsetzungen zu stützen. Gleichwohl will Verfasser zunächst die fremde Wonwahl beibehalten, ohne sie sich zu eigen zu machen, um unnötige Komplexität zu vermeiden. Wird es unten in Teil 3 speziell um die Anwendung der Art. 20, 79 Abs. 3 GG gehen und deshalb ein genauer Begriffsapparat erforderlich sein, so wäre hier eine derartige Genauigkeit schon deshalb nicht stringent durchhaltbar, weil die Beteiligten des europäischen Kommunikationsprozesses über eine Öffentlichkeit von Umweltinformationen aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft bei ihren als "demokratisch" und "rechtsstaatlich" gekennzeichneten Überlegungen freilich nicht vom Verständnis des Grundgesetzes ausgehen. Solange es an einem gemeinsam entwickelten gemeinschaftsrechtlichen Demokratiebegriff mangelt, sind Unklarheiten in einer solchen Diskussion unvermeidbar. 15 Winter, vorletzte Fußnote, ebenda. 16 Verordnung Nr. I zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vom 15.04.1958 (ABI. Nr. 17/385, zuletzt geändert durch die Beitrittsakte 1994 (in der Fassung des Beschlusses 95/1/EG, Euratom, EGKS des Rates vom 1.1.1995 (ABI. Nr. L l/218)) vom 24.6.1994, ABI. Nr.C 241/285). 17 Das gleiche gilt nach dem Wortlaut des Art. 4 auch für "andere Schriftstücke von allgemeiner Geltung" und damit- soweit ersichtlich- nach einhelliger Auffassung jedenfalls auch für Richtlinien, die wie die Umweltinformationsrichtlinie an alle Mitgliedstaaten gerichtet sind. So z.B. Streinz, Rn240; Weber, in: G/T/E, Art.217 Rn5; Bruha, in: Eu-Kolleg Bd.19, S. 19; wohl auch Klein, in: Handkom. EUV/EGV, Art. 217 Rn2; kommentarlos ebenso auch EuGH E 1977, 1999,2010. 18 Gemäß Art. 1 der VO also alle Amtssprachen der einzelnen Mitgliedstaaten außer Irisch (Gälisch). 19 Deze richtlijn heeft tot doel de vrije toegang tot milieu-informatie waarover de overheidsinstanties beschikken en ... (Art. 1 der Richtlinie). 2 Formaalet med dette direktiv er at sikre fri adgang til ... miljoeoplysninger (Art. 1 der Richtlinie). 21 Verfasser zitien die Vorschriften des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft grundsätzlich nach der Numerierung der geltenden Amsterdamer Fassung des EGV. Die Maastrichter Fassung ist als ex-Anikel in Klammern (ex-Art.) angegeben. Als Abkürzung für den EG-Yenrag sei einheitlich die alte Zitierweise ,,EGV" verwendet. Soweit es auf die zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit geltende Fassung ankommt oder eine derartige Fassung von Dritten zitiert wird, ist diese als ehemalige Fassung ausdrücklich gekennzeichnet. Dabei findet in Klammern wiederum die Amsterdamer Fassung Erwähnung, wenn diese sinngemäß oder sogar wörtlich übereinstimmt. Demzufolge ist nur dann genau eine Ordnungszahl genannt, wenn die zitierte Fassung lediglich zu dem maßgeblichen Zeitpunkt besteht, bestanden hat oder sinngemäß paßt.
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
"Der Zugang zu umweltbezogenen Informationen wird den Umweltschutz verbessern." Aus diesem Grund wird vor allem der Umweltschutz als der Hauptzweck der Richtlinie angesehen23 • Trotz der optimistischen Formulierung des 4. Erwägungsgrundes bleibt jedoch unklar, wie durch den Regelungsgegenstand Umweltinformationszugangsrecht das Regelungsziel Umweltschutz realisiert werden soll. Insoweit bestehen weitere Meinungsunterschiede. Zumeist wird angenommen, die Umweltinformationsrichtlinie versuche, den Bürger zu instrumentalisieren, indem sie durch die Einräumung eines subjektiven Informationsanspruchs eine größere Öffentlichkeit des Verwaltungshandeins schaffe, um so mittelbar den Vollzug des objektiven Rechts zu beeinflussen 24• Diese Annahme sei im folgenden als Instrumentalisierung des Bürgers für die Vollzugskontrolle des Umweltrechts bezeichnet. Der insoweit unterstellte Wirkungszusammenhang zwischen einem effizienteren Vollzug der Umweltgesetze und der Einräumung eines Umweltinformationszugangsrechts sei erst unten auf seine empirisch nachweisbare Richtigkeit überprüft25 • Darüber hinausgehend wird von einigen Autoren angenommen, daß mit dieser Instrumentalisierung aufgrundder mit ihr verbundenen Gefahr des Bekanntwerdens von Umweltbeeinträchtigungen eine dem Entstehen dieser Verschmutzungen vorbeugende Abschreckung potentieller Umweltverschmutzer einhergeht26• Andererseits wird eine Realisierung des Umweltschutzziels aber auch dadurch erwartet, daß die Verbreitung von Umweltinformationen zu einer Erweiterung des Umweltbewußtseins der Bürger führe. Dies rufe einerseits eine größere Akzeptanz von Umweltschutzmaßnahmen, andererseits ein umweltfreundlicheres Verhalten in der Bevölkerung hervor27 • Dieser unterstellte Wirkungszusammenhang, der ebenfalls zumindest einer knappen, weiter unten dargestellten 28 empirischen Absicherung bedarf, sei im folgenden als Sensibilisierung des Bürgers für den Umweltschutz bezeichnet29 • Zu berücksichtigen ist, daß die Instrumentalisierung und die Sensibilisierung teilweise als gleichberechtigte Mittel der Richtlinie zur Erreichung ihres Umweltschutzziels angesehen werden 30• 22 Gemäß ihrer Präambel stützt sich die Richtlinie "insbesondere" auf Art. 130 s (jetzt: 175) EGV. 23 So z. B. Erichsen/Scherzberg, S. 1; Eifert, DÖV 1994, 544, 545; von Schwanenflügel, DÖV 1993, 95, 96; Schröder, NVwZ 1990, 905, 906. 24 So: explizit: Reinhardt, Die Verwaltung 1997, 161, I64. Umfassend auch: Masing, S. 30ff.; ähnlich: Röger, UIG, § 1 Rn4; Fluck/Theuer, § 1 Rn 11; Erichsen/Scherzberg, S. 1 f.; vgl. Kommission in: 4. AP, ABI. Nr.C 70 vom 18.3.1987, S. I6 (2.6.1.). 25 V gl. dazu unten, Teil 2, C. 26 So ausdrücklich allein: Röger, UIG, § 1 Rn4. 27 Röger, UIG, § I Rn 4; Fluck/Theuer, § I Rn 11 mwN; Erichsen/Scherzberg, S. 1 f.; vgl. Kommission in: 4.AP, ABI. Nr.C 70 vom 18.3.1987, S.16f. (2.6.3.ff.). 28 V gl. unten, IV. l. 29 Der Begriff der "Sensibilisierungsmaßnahme" wird (anders als der von den Gemeinschaftsorganen vemiedene Begriff der lnstrumentalisierung) in diesem Zusammenhang auch regelmäßig von den Gemeinschaftsorganen verwendet- z. B.: Rat: ABI. Nr. C 63/l f. vom 6.3.1986; WSA: ABI. Nr.C 281!21, S.23. 3 Fluck/Theuer, § 1 Rn 11, 19; Erichsen/Scherzberg, S. 2.
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A. Die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts
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Eine dritte, grundlegend verschiedene Auffassung sucht den normativen Sinn der Umweltinformationsrichtlinie weder in der Einführung eines Freiheitsrechts auf Umweltinformationen noch im Umweltschutz, sondern- oder zumindest auch 31 - in der Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Gemeinschaft32• Sie stützt sich dabei auf den 5. Erwägungsgrund der Richtlinie: "Die Unterschiede der in den Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften über den Zugang zu umweltbezogenen Informationen im Besitz der Behörden können dazu führen, daß die Bürger in der Gemeinschaft hinsichtlich des Zugangs zu Informationen und/oder bezüglich der Wettbewerbsbedingungen unterschiedlich behandelt werden." Diese unterschiedlichsten, am Wortlaut und Kontext orientierten und auf den ersten Blick durchaus naheliegenden Interpretationen lassen vermuten, daß zur genauen Bestimmung des Sinns der Umweltinformationsrichtlinie ein erheblicher Begründungsaufwand nötig ist. -Darüber hinaus ist eine am Wortlaut des Art. 1 orientierte Auslegung hier nicht zulässig, weil nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Gemeinschaftsvorschrift nach ihrer Zielsetzung und dem Gesamtsystem, in das sie hineingestellt ist, auszulegen ist, wenn der Wortlaut der Bestimmung wegen der verschiedenen sprachlichen Fassungen keine klare und einheitliche Auslegung in der strittigen Frage zuläßt33 • Da auch die "Zweckbestimmung" des Art. 1 allenfalls begrenzt zur Ermittlung des Sinns der Richtlinie beitragen kann und der Richtlinie selbst Zwecksetzungen auch an anderer Stelle nicht entnehmbar sind, bleiben lediglich zwei Interpretationsansätze übrig: Einerseits ließe sich erwägen, den Sinn der Richtlinie aus dem systematischen Bedeutungszusammenhang des gesamten sonstigen gemeinschaftlichen Umweltinformationsrechts herzuleiten, andererseits ist vor allem aufhistorisch-teleologische Auslegungskriterien, also auf die Regelungsabsicht, die angestrebten Zwecke und die Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers abzustellen34 • Letzteres führt sowohl zu den der Umweltinformationsrichtlinie vorangestellten Erwägungsgründen des Rates als dem Gesetzgeber der Gemeinschaft, aber auch zu den Normvorstellungen der sonSchröder, in: UTR 22, S. 83. Fluck, in: UTR 22, S.48; anders allerdings: Fluck/Theuer, §I Rn IOf. 33 EuGHE 1974, 1287, 1293; EuGH El977,425,435; EuGHE1977, 1999,2010. Dieser zutreffenden, sich letztlich aus der Notwendigkeit der Einheitlichkeit des geltenden Rechts ergebenden und auch im Völkerrecht praktizierten Ansicht wird - soweit ersichtlich- auch einhellig in der Literatur zugestimmt. Vgl. beispielsweise: Bleckmann, NJW 1982, 1177, 1180 und Bruha, in: EU-Kolleg Bd. 19, S. 97 f. mwN. Letzterer weist indes wie auch die zuletzt zitierte EuGH-Entscheidung daraufhin, daß bei dieser Vorgehensweise rechtsstaatliche Probleme entstehen könnten. Diese Probleme hängen vor allem mit dem Grundsatz des Wortsinns als Grenze zulässiger Auslegung (Larenz, S. 322ff. mwN.) zusammen, der hier folglich nicht in aller Strenge anwendbar sein kann. 34 Nochmals sei darauf hingewiesen, daß hier terminologisch der Methodenlehre von Larenz gefolgt wird, soweit nicht die Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts-insbesondere eine unterschiedliche Methodik des EuGH, dessen Entscheidungen gemäß Art.220 (ex-Art.l64) EGV maßgebliche Bedeutung für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts besitzen- eine Abweichung von diesen Begriffen erforderlich machen. 31
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
stigen am Rechtsetzungsprozeß beteiligten Gemeinschaftsorgane 35 , wie sie während der Entstehung der Umweltinformationsrichtlinie und auch schon vorher in zahlreichen Aktionsprogrammen, Vorschlägen, Stellungnahmen und Entschließungen zum Ausdruck gekommen sind. Dabei ist die Vorstellung der Kommission von überragender Bedeutung, weil ihr nach der gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzverteilung für die meisten Regelungsgegenstände das alleinige Gesetzgebungsinitiativrecht zusteht, und der Rat deshalb zwingend an die Grundsätze der Konzeption der Kommission gebunden ist36• Die Argumente in den Dokumenten der anderen Gemeinschaftsorgane erlangen Bedeutung, weil sich die Erwägungsgründe des Rates und der Vorschlag der Kommission teilweise ausdrücklich auf sie beziehen. Die umweltpolitischen Aktionsprogramme der Gemeinschaft liefern darüber hinaus allgemeine Informationen über die Gesamtkonzeption gemeinschaftlichen Umweltinformationsrechts. Aus diesen Prämissen ergeben sich folgende methodische Schritte: Durch Anwendung einerseits historischer und andererseits am systematischen Gesamtzusammenhang des gemeinschaftlichen Umweltinformationsrechts orientierter Auslegungskriterien sollen zunächst denkbare Interpretationsmöglichkeiten des Art. 1 der Richtlinie ermittelt werden (II.). Dabei ist auf die Entstehungsgeschichte der Richtlinie unter ausführlicher Darstellung der Konzeptionen der am Rechtsetzungsprozeß beteiligten Gemeinschaftsorgane einzugehen. Dieses Vorgehen ist die Grundvoraussetzung für die Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers und für den Versuch, aufgrunddes Gesamtkonzepts des gemeinschaftlichen Umweltinformationsrechts Aussagen zum Inhalt der Richtlinie zu treffen. Außerdem macht es die am Gesamtkonzept orientierte Auslegung erforderlich, die Rechtsqualität und Aussagefähigkeit der Aktionsprogramme und anderer Handlungsformen der Gemeinschaftsorgane zu untersuchen. Nachdem die abstrakt gefundenen Interpretationsmöglichkeiten herausgearbeitet worden sind, ist zu ermitteln, welche von ihnen in den Rechtsgeltungsbereich der Richtlinie konkret Eingang gefunden haben (III.). Dabei wird zur Bestimmung des Willens des historischen Gesetzgebers auf die Erwägungsgründe des Rates und die Kompetenzverteilung zwischen den Gerneißschaftsorganen einzugehen sein. Insbesondere muß die Aussagekraft dieses Willens im Hinblick auf die Bindung des Rates an den Vorschlag der Kommission gemäß Art. 250 (ex-Art.l89 a) EGV untersucht werden. Sodann ist kontrollierend zu differenzieren, ob die nunmehr herausgearbeiteten Zwecke der Richtlinie allesamt auch Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts darstellen oder ob mit dem Zugangsrecht noch andere durch die Richtlinie geschaffene Instrumente zur Errei35 Neben dem Rat hier also Kommission, EP und WSA, wobei der WSA wegen Art. 7 (exArt.4) EGV nicht als Organ sondern als Nebenorgan anzusehen ist (Streinz , Rn338; Klein, in: Handkom. EUV/EGV, Art.4 Rn47; Nettesheim in: Grabitz/Hilf, KommEU Art.4 Rn31 ). 36 Vgl.: Schmitt von Sydow, in: G{f/E, Art.155, Rn43; Schoo, in: G[f/E, Art.189a, Rn 12. EuGH E 1989, 1517, 1549f. -Art. 251 und ex-Art.l89aEGV sehen für das Mitentscheidungsverlabren zwar eine Ausnahme von dieser Bindung vor, nach dem 1990 insoweit maßgeblichen Art. 149 EG V bestand diese Ausnahme jedoch noch nicht.
A. Die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts
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chung dieser Ziele konkurrieren (IV.). Dies hätte zur Folge, daß mögliche Primärrechtseinschränkungen je nach einschränkendem Instrument durch unterschiedliche am Allgemeinwohl orientierte Zwecke zu legitimieren wären.
II. Denkbare Interpretationen des Art.l der Richtlinie 90/313/EWG 1. Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie Den erkennbaren Beginn der Arbeit an einer Rechtsnorm, die einen besseren Zugang zu Umweltinformationen ermöglichen soll, markiert eine Initiative des Europäischen Parlaments im Jahr 1985. Ohne daß freilich zu diesem Zeitpunkt schon feststeht, daß dieser Zugang durch einen subjektiv-rechtlichen Anspruch gewährt werden soll, fordert das Parlament die Kommission auf, einen diesbezüglichen Vorschlag zu erarbeiten 37, und wendet sich mit dem gleichen Anliegen an seinen Umweltausschuß. Dieser legt im April1987 einen Bericht vor38 , dessen darin enthaltener Entschließungsantrag unter Vomahme zahlreicher Änderungen im Mai 1987 überwiegend vom Plenum angenommen wird 39 • Obwohl die Kommission eine in diese Richtung zielende Initiative als sehr bedeutsam ansieht40 , legt sie erst Ende Oktober 1988 einen Vorschlag für eine Umweltinformationsrichtlinie vor41 • Dieser wird in den Stellungnahmen des Europäischen Parlaments und des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses42 als eine der notwendigen Maßnahmen zur Förderung des Umweltschutzes begrüßt und gebilligt. Daraufhin erarbeitet die Kommission einen neuen Vorschlag, der die geringen Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments und des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses EP doc. B2 -736/85 vom 16.7.85. EP doc. A2- 30/87 vom 13.4.87 S. 5 ff. (PE, 111.012/endg.). 39 So im Wege aufeinander folgender Abstimmungen des Plenums gemäß Art. 113 I. c) und d) GO EP über die einzelnen Erwägungsgründe und Aspekte des Entschließungsantrags in: ABI. Nr. C 156/91 f. vom 15.6.87.- In namentlicher Abstimmung über den gesamten Antrag fand sich hingegen keine parlamentarische Mehrheit für den Entschließungsantrag (ebenda, S.92). 40 Vgl. die sich sogleich anschließenden Ausführungen zur Konzeption der Kommission. 41 ABI. Nr.C335/5 vom30.12.88 (Korn 88, 484endg).- DerGrund fürdiese Zurückhaltung der Kommission dürfte dabei einerseits darin bestehen, daß die damaligen Art. 235 und Art. 100 (jetzt: 308 und 94) EGV als mögliche Rechtsgrundlagen vor dem Inkrafttreten der EEA am 1.1.1987 für einen so weitreichenden Rechtsakt wohl kaum ausgereicht hätten (ähnlich: Krämer, focus, S. 295; und allgemein bedenklich zur gemeinschaftlichen Umweltpolitik vor Inkrafttreten der EEA: Streinz, Rn 929). Andererseits setzte auch der durch die EEA eingefügte damalige Art. l30s (jetzt: 175) EGV Einstimmigkeit des Rates voraus. Die Änderung dieses Art. l30s EGV, der sodann nur noch eine qualifizierte Mehrheit verlangt, erfolgte erst durch den Vertrag von Maastricht. Außerdem mangelte es in einigen Staaten zunächst am politischen Willen zu einer solchen Regelung. Gerade der deutsche Vertreter im Ministerrat war zunächst streng gegen die Umweltinformationsrichtlinie- vgl. Engel, Akteneinsicht, S. 186 mwN. 42 ABI. Nr. C 120/231 vom 16.5.1989 beziehungsweise ABI. Nr. C 139/47 vom 5.6.1989. 37 38
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I. Teil: Europarechtliche Vorgaben
teilweise berücksichtigt43 • Dieser erneute Vorschlag wird vom Ratjedoch nicht als Richtlinie verabschiedet. Vielmehr verändert der Rat nahezu jede einzelne Vorschrift des Vorschlags der Kommission und verabschiedet durch einstimmigen Beschluß diesen eigenen, noch heute unveränderten Gesetzestext als die Umweltinformationsrichtlinie 90/313/EWG44 •
2. Die der Umweltinformationsrichtlinie zugrundeliegenden Konzeptionen der Gemeinschaftsorgane a) Die Konzeption der Kommission Die Konzeption der Kommission läßt sich anband der vier ersten, bis zu 50 Seiten langen, von der Kommission bis 1987 erarbeiteten (und vom Rat später als Anhang eigener Entschließungen gebilligten) Aktionsprogramme der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz45 gut bestimmen. Im 1. und 2. Aktionsprogramm ist die Kommission sehr deutlich und betont unmißverständlich, der Erfolg einer Umweltpolitik setze voraus, daß alle Gruppen der Bevölkerung und alle sozialen Kräfte in der Gemeinschaft dazu beitragen müßten, die Umwelt zu schützen und zu verbessern. Dazu gehöre eine ständige und eingehende Unterweisung auf allen Ebenen, damit sich jeder in der Gemeinschaft des Problems bewußt werde und seine Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen voll und ganz übernehme46. Zu diesem Zweck seien zahlreiche Unterweisungs-und Informationsmaßnahmen an Schulen, Universitäten und in allen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erforderlich47 • Die Kommission betont also die Verantwortung und die Möglichkeit des einzelnen, die Versehrnutzung der Umwelt zu vermeiden. Sie bewertet die Situation 1973 und 1976 deshalb dahingehend, daß zunächstjedermann über die Probleme und die ABI. Nr. C I 02/6 vom 24.4.1990. Richtlinie des Rates vom 7. Juni 1990 (ABI. Nr.L 158 vom 23.6.1990, S.56) überden freien Zugang zu Informationen über die Umwelt (90/313/EWG). 45 I. AP = Erklärung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten vom 22.11.1973 (ABI. Nr. C 112/1 ff.). 2. AP = Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten vom 17.5.1977 (ABI. Nr.C 139/1 ff.). 3. AP =Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten vom 7.2.1983 (ABI. Nr. C 46/1 ff.). 4. AP =Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten vom 19.10.1987 (ABI. Nr.C 289/3ff.). 46 l.AP, S.46f.; 2.AP, S.41. 47 Genannt werden insbesondere: Heranziehung von umweltrechtlich spezialisierten Führungskräften, Einführung von Umweltstudiengängen, Stipendien für Umweltstudien, regelmäßige Publikationen von Berichten über den Zustand der Umwelt, Kampagnen zum Recycling und zur Einsparung von Rohstoffen, Einführung von Umweltsiegeln u. v. a. mehr- ebenda, S. 41 ff. bzw. 46 f. 43 44
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eigenen Möglichkeiten des Umweltschutzes informiert werden müsse. Dabei findet ein subjektiv-öffentliches Recht auf Umweltinformationen noch keinerlei Erwähnung. Der Schwerpunkt liegt vielmehr im erzieherischen Bereich. Das Umweltbewußtsein, das zunächst Voraussetzung für eine aktive Beteiligung des einzelnen sei, soll nach Kräften gefördert werden. Der einzelne soll durch seine Information für Fragen des Umweltschutzes sensibilisiert und durch zunehmendes Umweltbewußtsein und wachsendes Verantwortungsgefühl immer mehr für den Umweltschutz gewonnen werden. Im 3. Aktionsprogramm erscheinen die Aussagen der Kommission weniger eindeutig.·Zwar vertieft die Kommission den Gedanken der Informationsverbreitung durch seine Verknüpfung mit dem wichtigen Vorsorgeprinzip48 , andererseits scheint sich die Kommission den Vorwurf der Vernachlässigung der Umweltschutzpolitik gefallen lassen zu müssen, wenn sie die bisher propagierten Umweltschutzaktionen nunmehr den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen will, weil die Wiederbelebung der Wirtschaft eine vorrangige Zielsetzung der gesamten Gemeinschaft sei 49• Trotz dieser mißverständlichen Formulierung vom "Vorrang" der Wirtschaftspolitik läßt sich ihrem unmittelbaren Kontext jedoch entnehmen, daß das 3. Aktionsprogramm keine Trendwende der Kommission in der Umweltpolitik markiert. Laut Kommission müsse nämlich verhindert werden, die verschlechterte Wirtschaftslage als Vorwand für eine weniger konsequent verfolgte Umweltpolitik zu benutzen50• Die Beiläufigkeit, mit der die Kommission anmerkt, die Ausbildung und Sensibilisierung des Bürgers auf dem Gebiet des Umweltschutzes sei zu verbessern und zu verstärken 5 1, erklärt sich daraus, daß die Kommission ausdrücklich den in dieser Hinsicht bereits erzielten Erfolg ihrer bisherigen Politik herausstellt52• Durch die Verknüpfung der Informationspolitik mit dem Vorsorgegrundsatz, nach dem Umweltgefahren und-schädennach Möglichkeit vermieden und gar nicht erst entstehen sollen, setzt die Kommission vielmehr ihre bisherige Umweltschutzpolitik in vertiefter Form fort, weil das Vorsorgeprinzip im Umweltrecht grundsätzlich den Vorrang vor der Beseitigung von Umweltproblemen genießt53 • Außerdem deutet die Formulierung, daß es wichtig sei, die erforderlichen Kenntnisse und Informationen zu verbessern und sie allen Entscheidungsträgem und allen beteiligten Parteien einschließlich der Öffentlichkeit leicht zugänglich zu machen 54, erstmalig eine Tendenz zu einem freien Umweltinformationszugang an. 3.AP S.6. So aufS. 4 des 3. AP. Mit Sorge deshalb auch die Stellungnahmen des EP vom 17.6.1982 (ABI. Nr.C 182/102) und des WSA vom 26. und 27.5.1982 (ABI. Nr.C 205/28f. (2.4.)). 5o So aufS. 4 des 3. AP. 51 3.APS.6. 52 3.AP S.3. 53 Beispielhaft für eine rechtliche Positivierung dieses Grundsatzes sei §4 Abs. 1 KrW-/AbfG genannt. Vgl. im allgemeinen auch: Kloepfer, § 4 Rn 5 ff., 7 und zum gemeinschaftsrechtlichen Vorsorgegrundsatz: ders. , § 9 Rn 28. Speziell zum Zusammenhang des Vorsorgeprinzips mit dem Umweltinformationszugangsrecht siehe die Ausführungen unten in Teil 3, A. II. 2. 54 3.AP, S.6. 48
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
Im 4. Aktionsprogramm sieht sich die Kommission nach Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte durch die Einführung der Art.130r-t (ähnlich jetzt: 174-176) in den EGV und durch den Beschluß des Europäischen Rates über ein Europäisches Jahr des Umweltschutzes 1987 55 in ihrer Umweltpolitik bestätigt. Im 6. Erwägungsgrund betont sie den alle gemeinschaftlichen Umweltschutzmaßnahmen charakterisierenden Grundsatz der Vorbeugung und vertieft die bisherige informationsrechtliche Konzeption in einem ausführlichen Kapitel "Information und Erziehung" 56• In diesem Kapitel wird erneut die herausragende Bedeutung der Umwelterziehung des Bürgers, der Entwicklung eines Umweltbewußtseins, der Bürgerverantwortung für die Umwelt und die ausalldem folgende Notwendigkeit einer aktiven Mitwirkung des einzelnen am Umweltschutz betont57• Dabei solle gerade im Europäischen Jahr des Umweltschutzes versucht werden, die Aufmerksamkeit der Bürger zu erreichen58, um sie in der dargestellten Weise zu sensibilisieren. Zusätzlich finden jedoch auch neue Gedanken Eingang in das 4. Aktionsprogramm. Nachdem der Wirtschafts- und Sozialausschuß 1982- soweit ersichtlich - als erstes Gemeinschaftsorgan explizit auf das Defizit im Vollzug des gemeinschaftlichen Umweltrechts hingewiesen hat 59 und der Kommission seit 1984 eine Entschließung des Europäischen Parlaments über den freien Zugang des Bürgers zu allen Akten der Gemeinschaftsinstitutionen60 vorliegt, scheint die Kommission auch diesen Ansätzen Rechnung tragen zu wollen. Nach der im Bericht des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz 1985 enthaltenen Aufforderung der Kommission, einen Vorschlag für einen Rechtsakt über den freien Zugang zu Umweltinformation auszuarbeiten61 , kündigt die Kommission im 4. Aktionsprogramm in einem Kapitel "Information und Erziehung" eine Überprüfung an, ob ein Gesetz über die Freiheit der Umweltinformationen unter gleichzeitigem Schutz derjenigen Informationen, die rechtmäßigerweise als vertraulich betrachtet werden können, geboten sei62 • An dieser Stelle erwähnt die Kommission also zum ersten Mal einen freien Zugang zu Umweltinformationen im Sinne eines subjektiv55 Beschluß des Europäischen Rates auf der Tagung vom 29./30.3.1985 (vgl. in: ABI. vom 18.3.86, Nr. C 63/1). 56 4. AP, S. 16ff. 57 Ebenda, insbesondere S.17. 58 Ebenda. 59 ABI. Nr. C 205/28 vom 9.8.82. 60 Entschließung des EP zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren vom 24.5.1984 (ABI. Nr. C 172!176). 61 Entschließungsantrag des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz über den Zugang der Bürger zu Informationen über Umweltverschmutzung vom 13.4.87, EP-Doc. A2-30/87 (PE 111.012/endg.) S.3 ff.- in den meisten Abstimmungspunkten gemäß Art. 113 I . c) GO EP genehmigt vom Plenum am 15.6.1987, ABI. Nr. C 156/91 f. Anders als dies oft zitiert wird, jedoch gerade nicht im Hinblick auf diese Aufforderung der Kommission. 62 So: Sinngemäß im 4. AP, S.16 (2.6.2.).
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öffentlichen Rechts, für den mit dem nunmehr geltenden Art. 130 s (jetzt: 175) EGV auch eine sicherere Rechtsgrundlage besteht. Mit diesem neuen Instrument versucht die Kommission, dem vom Wirtschaftsund Sozialausschuß aufgezeigten umweltpolitischen Mißstand des mangelnden Vollzugs des gemeinschaftlichen Umweltrechts entgegenzuwirken und gleichzeitig den Gedanken der Entschließung des Europäischen Parlaments von 1984 über die allgemeine Aktenöffentlichkeit zu Gemeinschaftsdokumenten aufzugreifen. So wird über die bisher allein verfolgte Sensibilisierung des Bürgers hinaus konkret nunmehr auch seine Instrumentalisierung bei gleichzeitiger Erweiterung seiner Rechtsschutzmöglichkeiten in Verwaltungsverfahren angesprochen. Der gesamte Prozeß der Regulierung und Anwendung der bestehenden Vorschriften sei transparenter zu gestalten, insbesondere bezüglich der Information der Öffentlichkeit63 • Es sei folglich wichtig, die durch nationale Vorschriften Einzelpersonen und Gruppen eingeräumten Möglichkeiten zur Verteidigung ihrer Rechte oder Interessen in Verwaltungsverfahren zu verbessem 64 • Es müsse insbesondere Situationen Rechnung getragen werden, in denen der Zugang zu Informationen ein Element zum besseren Schutz von Mensch oder Umwelt bedeute, sei es durch die bessere Anwendung von Vorschriften oder sei es durch sonstige Maßnahmen 65 • Kurz vorher bemerkt die Kommission, sie habe eine stattliche Anzahl von mitunter erheblichen Unterlassungen und Abweichungen bei der Umsetzung der gemeinschaftlichen Vorschriften in innerstaatliches Recht festgestellt 66 • Außerdem werfe auch die praktische Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften auf nationaler Ebene erhebliche Probleme auf67• Neben Zwecken des Umweltschutzes soll der freie Zugang zu Umweltinformationen also auch einen verbesserten Rechts- und sogar allgemeinen Interessenschutz des einzelnen ermöglichen, der seinerseits über den Instrumentalisierungsmechanismus positiv auf Ziele des Umweltschutzes rückwirkt Am 31.10.1988 legt die Kommission einen ersten Richtlinienvorschlag für eine Umweltinformationsrichtlinie vor68 • Wie auch später die verabschiedete Richtlinie enthalten weder dieser noch der nachfolgende Richtlinienvorschlag der Kommission einen ausdrücklich benannten oder erläuterten normativen Sinn im jeweils vorgeschlagenen Gesetzestext. Folglich ist auch an dieser Stelle der Entstehungsgeschichte und den Erwägungsgründen nachzugehen, in denen die Kommission sogleich ausdrücklich auf die vier bisherigen Aktionsprogramme verweist 69 • Sie zitiert wörtlich aus dem 4. Aktionsprogramm, daß es notwendig sei, die Regulierung und Anwendung der bestehenden Vorschriften transparenter zu gestalten, insbesondere 4.AP, S.l6 (2.6.1.). Ebenda. 65 Ebenda. 66 Ebenda, S. 9 (2.2.2.). 67 Ebenda (2.2.4.). 68 ABI. Nr. C 335/5 vom 30.12.1988 (Korn 88,484 endg.). 69 Ebenda, 1. und 2. Erwägungsgrund. 63
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I. Teil: Europarechtliche Vorgaben
was die Information der Öffentlichkeit anbelange, und deshalb Wege zur Verbesserung des Zugangs der Öffentlichkeit zu Informationen, über die die Umweltbehörden verfügen, zu finden seien. Im 5. Erwägungsgrund hebt sie den Gedanken der zusätzlichen Kontrolle der Verwaltung durch die Instrumentalisierung des Bürgers für den Umweltschutz hervor. Der Anspruchscharakter des freien Zugangsrechts ergibt sich aus dem 13. Erwägungsgrund und Art. 7 des Richtlinienvorschlags, nach denen dem Bürger im Fall der Verweigerung des Zugangs zu Umweltinformationen ein gerichtlicher oder durch die Verwaltung gewährleisteter Rechtsbehelf zur Seite stehen müsse. Das Zugangsrecht soll dabei gemäß Art. 3 des Vorschlags ohne Nachweis eines Interesses gewährleistet werden. Im 7. Erwägungsgrund führt die Kommission zusätzlich eine in diesem Zusammenhang bisher nicht diskutierte wettbewerbsrechtliche Begründung für die Richtlinie ein. Danach könnten die bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Unterschiede der in den Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften über den Zugang zu Umweltdaten ungleiche Wettbewerbsbedingungen herbeiführen. Abgesehen von diesem Rekurs auf das Wettbewerbsrecht und dem Gedanken der Transparenz in Umweltverwaltungsverfahren stellt sich der Richtlinienvorschlag der Kommission also als Instrument der Umweltpolitik dar, mit dem die Bevölkerung durch die Eimäumung eines Informationsrechts für einen erfolgreicheren Vollzug des bestehenden Umweltrechts instrumentalisiert werden soll. Neben dem Gedanken der zusätzlichen Kontrolle der Verwaltung kommt dabei im 5. Erwägungsgrund erstmals deutlich zum Ausdruck, daß die Instrumentalisierung des Bürgers insbesondere auch zur (präventiven- der Verfasser) Vermeidung von Umweltbeeinträchtigungen beitragen soll. Überraschenderweise findet eine aktive Informationspolitik hinsichtlich der Sensibilisierung des Bürgers nur noch mittelbar durch Verweis auf andere Dokumente70 oder in unscharfer Form Erwähnung: Zu nennen ist insoweit etwa der 15. Erwägungsgrund, der ohne nähere Begründung und inhaltlichen Zusammenhang allgemein anführt, daß umweltbezogene Informationen verbreitet werden sollen. Dies merkt der Wirtschafts- und Sozialausschuß in seiner Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag denn auch kritisch an71 • Nachdem das Europäische Parlament diesen Vorschlag der Kommission unter Amegung einiger Änderungsvorschläge gebilligt und der Wirtschafts- und Sozialausschuß Stellung genommen hat, legt die Kommission am 20.3.1990 einen zweiten Vorschlag für eine Umweltinformationsrichtlinie des Rates vor72 • Er enthält nur eine größere Abweichung vom Konzept des ersten Vorschlags, die in der Ergänzung um einen neuen 4. Erwägungsgrund besteht und damit die nachfolgenden Gründe um jeweils eine Ordnungszahl erhöht. Der neue 4. Erwägungsgrund enthält den wört70 So im 3. Erwägungsgrund, in dem auf die Stellungnahme des EP zum 4. AP verwiesen wird, das sich an der von der Kommission wörtlich zitierten Stelle (ABI. Nr. C 156/138f. vom 15.6.1987) ausgiebig mit der Bildungs- und Erziehungspolitik befaßt. 7 1 ABI. Nr. C 139/47 vom 5.6.1989, 1.2.3. 72 ABI. Nr. C 102/6ff. vom 24.4.1990.
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lieh vom Parlament übernommenen feststellenden Satz, daß der öffentliche Charakter von Informationen ein wesentlicher Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft sei. Ohne der Instrumentalisierung des Bürgers für den Umweltschutz eine geringere Bedeutung als bisher beizumessen, erweitert die Kommission folglich den Gedanken der Transparenz in Umweltverwaltungs verfahren. Anders als bisher wird dieser Transparenzgedanke nicht vor allem dem Rechts- und Interessenschutz und damit dem Rechtsstaatsprinzip zugeordnet, sondern dem demokratischen Prinzip73 • Die Kommission scheint bezüglich der Notwendigkeit größerer Transparenz somit nunmehr dem Kurs des Europäischen Parlaments 74 in Richtung allgemeiner Aktenöffentlichkeit folgen zu wollen, zumal diese Ergänzung allgemein von "Informationen" spricht und nicht, wie an dieser Stelle zu erwarten gewesen wäre, von Umweltinformationen. Im Rahmen einer Gesamtkonzeption des gemeinschaftlichen Umwelt- und Informationsrechts dient die Umweltinformationsrichtlinie nach Auffassung der Kommission also mehreren Zwecken: dem Ziel eines verbesserten Umweltschutzes, der Sicherstellung eines verbesserten Rechtsschutzes der Bürger in Umweltverwaltungsverfahren, der Förderung einer gewissen zusätzlichen Demokratisierung der verpflichteten Verwaltung und schließlich der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Da nach Auffassung der Kommission die Inanspruchnahme der neu erworbenen Rechte durch die damit verbundene mittelbare, teilweise präventive Vollzugskontrolle positiv auf den Umweltschutz rückwirkt, muß dem Umweltschutzziel dabei der Vorrang vor den anderen Aspekten beigemessen werden. Dabei spielt innerhalb des Umweltschutzaspekts die Sensibilisierung der Bevölkerung für Umweltprobleme eine untergeordnete Rolle. Die Kommission stützt die Richtlinie aus ihrer Sicht somit zutreffend auf den damaligen Art. 130 s (jetzt: 175) EGV.
b) Die Konzeption des Europäischen Parlaments Die Konzeption des Europäischen Parlaments ergibt sich nicht unmittelbar aus der generellen Billigung des 1. Richtlinienvorschlags der Kommission für eine Umweltinformationsrichtlinie. Dort schlägt das Europäische Parlament lediglich 13 Änderungen vor, die, abgesehen von dem soeben erläuterten Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung von Informationen für die demokratische Gesellschaft, mehr 73 Nochmals sei hier im Hinblick auf die Verwendung der Begriffe "demokratisch" und ,,rechtsstaatlich" angemerkt, daß sie sich Verfasser auch an dieser Stelle nicht zu eigen machen will, sondern zunächst die fremde Wortwahl beibehält, um unnötige Komplexität zu vermeiden. Obwohl Verfasser unten in Teil 3, B. I. 1., zeigen wird, daß es dem Staat verwehrt ist, Maßnahmen pauschal auf vermeintlich "demokratische" oder "rechtsstaatliche" Zielsetzungen zu stützen, kann eine derartige begriffliche Genauigkeit bei der Betrachtung des europäischen Kommunikationsprozesses über eine Öffentlichkeit von Umweltinformationen nicht durchgehalten werden- vgl. insoweit auch schon oben, I. 74 Vgl. dazu die sich sogleich anschließenden Ausführungen zur Konzeption des Europäischen Parlaments.
3 Strohmeyer
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1. Teil: Buroparechtliche Vorgaben
oder weniger Detailfragen betreffen75 • Weiterführende umweltinformationspolitisehe Äußerungen des Parlaments lassen sich vielmehr seinen älteren amtlichen Dokumenten entnehmen. - Zu nennen sind seine Stellungnahmen zu den Aktionsprogrammen 76 und die Entschließungen des Parlaments, in denen es einerseits die Kommission zur Erarbeitung einer Rechtsvorschrift zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren auffordert 77 und andererseits Erwägungen zur Bedeutung der Öffentlichkeit von Umweltinformationen anstellt18 • Dabei läßt sich jeder dieser drei Dokumentsarten eine spezifische Funktion innerhalb eines allgemeinen Konzepts des Parlaments für ein gemeinschaftliches Umweltinformationsrecht zuordnen. Gleichzeitig bekunden diese Dokumente die konkrete Ansicht des Parlaments über die von der Kommission vorgeschlagenen, speziell mit der Umweltinformationsrichtlinie intendierten Aspekte. In den Stellungnahmen zu den Aktionsprogrammen folgt das Parlament zunächst den Ansätzen der Kommission. Es betont in seinen Stellungnahmen zum 1. und 2. Aktionsprogramm die Bedeutung einer zielstrebig verfolgten Politik der Information und Erziehung, die der Entwicklung eines stärkeren Umweltbewußtseins dienen solle79 • In der Stellungnahme zum 2. Aktionsprogramm wird dieser Gedanke durch die Erkenntnis des notwendigerweise vorbeugenden Charakters einer sinnvollen Umweltpolitik verstärkt 80• Bezüglich des 3. Aktionsprogramms kommt das Parlament zu keiner speziell informationsrechtlichen Aussage. Es betont zwar den präventiven Charakter der Umweltpolitik, äußert im übrigen aber nur allgemeine Kritik an der umweltpolitischen Untätigkeit des Rates und spezielle Kritik an der mißverständlichen Aussage der Kommission vom "Vorrang" der Wirtschaftspolitik. 75 Vgl. die Billigung des 1. Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie des Rates über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt durch das Europäische Parlament vom 13.4.1989 (ABI. Nr. C 120/231 ff.). 76 Stellungnahme und Entschließung des EP zum l.AP vom 03.7.73 (ABI. Nr. C 62/16ff.); Stellungnahme und Entschließung des EP zum 2.AP vom 24.3.76 (ABI. Nr. C 178/44ff.); Stellungnahme und Entschließung des EP zum 3.AP vom 17.6.82 (ABI. Nr.C, 182/102ff.); Stellungnahme und Entschließung des EP zum 4. AP vom 14.5.87 (ABI. Nr. C, 156/138 ff.), im folgenden zitiert als: EP zum 1. (etc.) AP. 77 Entschließung des EP zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren vom 24.5.1984 (ABI. Nr. C 172/176 f.) und Entschließung des EP zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren vom 22.1.1988 (ABI. Nr. C 49/175 f.) in Kenntnis der Vorbereitung eines Entschließungsantrags des EP zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren durch den Ausschuß für Jugend, Kultur, Bildung, Information und Sport vom 10.11.1987, EP-Doc. A2-208/87 (PE 107.541/endg.), S. 5 ff. 78 Entschließung des EP zur Information über Umweltverschmutzung vom 16.7.1985, EPDoc. B 2-736/85 (PE 99 759). Vgl. auch den Entschließungsantrag des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz über den Zugang der Bürger zu Informationen über Umweltverschmutzung vom 13.4.87, EP-Doc. A2-30/87 (PE 111.012/endg.), S.3ff., den das Plenum am 15.6.1987, ABI. Nr. C 156/91 f. in den meisten Abstimmungspunkten gemäß Art. 113 1. S. 1 c) GO EP genehmigt hat. 79 EP zum l.AP, S.l8, zum 2. AP S.47f. (Nr.23 und 30). 8o EP zum 2. AP, S. 45.
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In der nach seinen - sogleich zu untersuchenden - Entschließungen abgegebenen Stellungnahme zum 4. Aktionsprogramm behält das Parlament den kritischen Ton gegenüber der Kommission bei. Es fordert auch von ihr eine konkrete Umweltpolitik, an deren erster Stelle nach wie vor eine umfassende Bildungs- und Informationspolitik stehen müsse 81 • Es betont dabei unter anderem den Gedanken der Verantwortung des einzelnen, die Notwendigkeit transparenter im Sinne von für die Bevölkerung verständlichen 82 Informationen und die Erforderlichkeil der Unterrichtung aller Bürger durch eine spezifische Gemeinschaftsaktion83 • Wie schon die Überschrift des Kapitels "Bildungs- und Informationspolitik" vermuten läßt, stellen die an dieser Stelle aufgeführten Forderungen an die Kommission allesamt Maßnahmen einer aktiven gemeinschaftlichen Umweltinformationspolitik dar. Die Idee einer passiven Informationspflicht der Gemeinschafts- oder mitgliedstaatliehen Institutionen, mit der ein Informationszugangsrecht des Gemeinschaftsbürgers korrespondiert, findet sich an dieser Stelle nicht, obwohl auch das Parlament das Vollzugsdefizit des gemeinschaftlichen Umweltrechts im selben Dokument als problematisch ansieht84• Trotz der zwischenzeitlich vom Parlament gefaßten Entschließungen zur Erarbeitung eines Kornmissionsvorschlags für ein Zugangsrecht zu Informationen in Gemeinschaftsverfahren finden auch demokratische oder rechtsstaatliche Aspekte der Öffentlichkeit von Verfahren und Informationen keinerlei Erwähnung in der Stellungnahme zum 4. Aktionsprogramm. Insgesamt lassen die vier Stellungnahmen erkennen, daß das Parlament mit den in den Aktionsprogrammen vorgesehenen Maßnahmen allein eine aktive Sensibilisierungspolitik verfolgt. Aussagen über das durch die Umweltinformationsrichtlinie eingeführte Zugangsrecht lassen sich ihnen nicht entnehmen. Eine andere Tendenz ist hingegen den Entschließungsanträgen zu entnehmen. Bereits 1984 faßt das Europäische Parlament seine erste Entschließung zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren in der Erwägung der Erforderlichkeil eines Höchstmaßes an Öffentlichkeit der Verwaltung, die dem Bürger ausreichenden Rechtsschutz gegen Handlungen der Gemeinschaft85 gewährleisten solle 86• Diese Erwägung wiederholt und verdeutlicht es durch eine zweite Entschließung zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren im Jahre 1988: Das Parlament bedauert die EP zum 4. AP, S. 139. Der Begriff transparenter Informationen findet sich an dieser Stelle eingebettet in ein Unterkapitel mit dem Titel "Bildungs- und Informationspolitik", das sich in den anderen gleichrangigen Spiegelstrichen mit spezifischen Ausformungen einer umfassenden gemeinschaftlichen Sensibilisierungsstrategie befaßt. Folglich wäre es fehlerhaft, den Begriff transparenter Informationen in diesem Zusammhang mit rechtsstaatliehen oder demokratischen Inhalten zu füllen. 83 Ebenda, vorletzte Fußnote. 84 EP zum 4.AP, S.l40. 85 Daß sich dieser Rechtsschutz nicht gegen die Mitgliedstaaten richten soll, ist aufgrund des deutlichen Wortlauts der Entschließung unumstritten - vgl. zum Beispiel: Krämer, Focus, S.295. 86 Entschließung des EP zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren vom 24.5.1984, ABI. Nr.C 172/176. 81 82
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1. Teil: Buroparechtliche Vorgaben
Untätigkeit von Rat und Kommission seit der gleich titulierten Entschließung von 1984 und fordert nunmehr als abschließende Konsequenz die Kommission zur Erarbeitung eines Vorschlags einer Rechtsvorschrift zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren auf87• Dabei betont es ausdrücklich, daß sich diese Rechtsvorschrift an den in Dänemark und den Niederlanden geltenden Regelungen orientieren solle88; an Vorschriften also, die eine allgemeine Aktenöffentlichkeit im Sinne eines voraussetzungslosen Informationszugangsrechts des Bürgers in allen Bereichen der Verwaltung eingeführt haben 89• Gegenstand dieser Entschließung ist also der Zugang zu allen bei den Gemeinschaftsorganen vorhandenen Informationen, sie enthält keinesfalls eine Beschränkung auf das Umweltrecht Sachliche Gründe für diese Vorgabe allgemeiner Aktenöffentlichkeit finden sich in der neuen Entschließung nicht. Statt dessen verweist das Parlament auf eine aus dem Jahr 1979 stammende Empfehlung der Beratenden Versammlung des Europarats an seine Mitgliedstaaten, ein System allgemeiner Aktenöffentlichkeit nach USamerikanischem Vorbild zu schaffen 90• Außerdem stützt es sich mit Nachdruck auf einen Bericht und die zugehörigen Entschließungsanträge einzelner Abgeordneter des Ausschusses für Jugend, Kultur, Bildung, Information und Sport91 • Erscheint dabei der Hinweis auf das ältere Dokument der Beratenden Versammlung, das bereits vor der alten gleichlautenden Entschließung von 1984 bestand, eher als zusätzliche Legitimierung der nachfolgenden Aufforderung der Kommission ohne neue oder vertiefende Aspekte, so enthält der Bericht demgegenüber eine Vielzahl gewichtiger Neuigkeiten. - Er unterstützt zunächst die Erwägung, das wichtigste Motiv der (auf Antrag gewährten) passiven Informationserteilung (durch die Behörden) bestehe darin, daß für einen umfassenderen Rechtsschutz des Bürgers in einer Zeit gesorgt werden solle, in der die Verwaltung mit immer mehr Aufgaben betraut und zu deren Bewältigung auch besser ausgestattet worden sei, während sich andererseits die parlamentarische Kontrolle zunehmend als weniger wirksam erweise. Durch Stärkung des Prinzips der Öffentlichkeit könne hingegen Streitfällen vorgebeugt und ein wirksamerer Rechtsschutz herbeigeführt werden92 • Abgesehen davon erlaube die auf Antrag erlangte Information aber nicht nur, die Bürger besser gegen Mißbräuche der Bürokratie zu schützen93 , sondern insbesondere auch, die Verwaltung transparenter zu machen und damit die politische Beteiligung zu verstärken 94 • 87 Entschließung des EP zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren vom 22.1.1988, ABI. Nr. C 49/175 f. 88 Ebenda. 89 Vgl. dazu, Turiaux, Einl. (vor§ 1), Rn 10 mwN. 90 Empfehlung der Beratenden Versammlung des Europarates Nr. 854/1979 vom 1.2.1979 (abgedruckt in deutscher Sprache beispielsweise in: EuGRZ 1979, 187f.). 91 Bericht dieses Ausschusses vom 10.11.1987, EP-Doc. A2-208/87 (PE 107.541/endg.) S.5ff. 92 Ebenda, S.10. 93 Ebenda, S. 9. 94 Ebenda. - Gemeint ist selbstverständlich die Gewährung einer verstärkten Möglichkeit der Bürgerbeteiligung.
A. Die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts
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Überwiegend dient die insoweit vom Parlament als Ziel angestrebte allgemeine Aktenöffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren also der Nachbesserung des Rechtsschutzes des Bürgers, dessen Rechte durch den immer intensiveren Zugriff der modernen Verwaltung insbesondere durch die Leistungs- und Planungsverwaltung zunehmend als gefährdet erscheinen95 • Gleichzeitig sieht das Parlament die Aktenöffentlichkeit jedoch auch als ein demokratisches Phänomen und versteht das Zugangsrecht als demokratisches Beteiligungsrecht des Bürgers als zwingend notwendige Voraussetzung seiner politischen Willensbildung. Besonders deutlich wird dies in den vom Parlament ebenfalls "zur Kenntnis genommenen" Anlagen zu die" sem Bericht, in denen der Aspekt des Rechtsschutzes keinerlei Erwähnung mehr findet. Das Parlament betont dort die Überzeugung, daß die parlamentarische Demokratie nur leistungsfähig sein könne, wenn die Bürger und ihre Vertreter vollständig informiert seien. Außerdem sei in unserer heutigen Gesellschaft das öffentliche Leben so komplex und fachbezogen geworden, daß die Dienste und Gremien der Regierung häufig Informationen erarbeiteten und besäßen, die aus anderen Quellen nicht bezogen werden könnten 96• Unterstreicht das Plenum des Parlaments diese demokratischen Aspekte in seiner Entschließung auch nicht ausdrücklich, so lassen die mehrfach zitierten, eine allgemeine Aktenöffentlichkeit begrüßenden Dokumente gleichwohl den Schluß zu, daß das Parlament neben dem nach wie vor überwiegenden Rechtsschutzgedanken dem allgemeinen Informationszugangsrecht zu Verfahren der Gemeinschaft zumindest auch den Charakter eines demokratischen Beteiligungsrechts beimißt. Dieser Schluß beachtet auch die im Hinblick auf Art.113 Abs. l. S. 2 GO EP, nach dem das Parlament nicht auch über die in den Berichten angeführten Begründungen abstimmt, gebotene Vorsicht. Zwar wurde der Bericht ohnehin nicht im ganzen vom Parlament gebilligt97 , sondern nur zur Kenntnis genommen, gleichwohl läßt sich aber zulässigerweise annehmen, daß sich das Parlament diese Gedanken mit der 1988 gefaßten Entschließung zu eigen gemacht hat, da sie abgesehen von den erläuterten Verweisen keine eigenen Gründe anführt. Eine ähnliche Entwicklung läßt sich für die Entschließungen des Parlaments zur Bedeutung der Öffentlichkeit von Umweltinformationen feststellen. Die Entschließung von 1985 zur Information über Umweltverschmutzung 98 läßt noch keine eindeutige Zuordnung als Instrument einer aktiven oder auch passiven Umweltinformationspflicht zu. - Der Titel und die gegenüber der Kommission erhobene Forderung, Vorschläge auszuarbeiten, in denen die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, die Betroffenen über die Gefahren für ihre Gesundheit und Sicherheit zu unterrichten, sprechen eher für eine aktive Informationspflicht Eine derartige bloße Unterrichtung hielte sich im Rahmen der bis zu diesem Zeitpunkt in den ersten drei AkV gl. hierzu ausführlich: Gurlit, S. 3 ff., 8 ff., 35 ff. Bericht vom 10.11.1987, S.17. 97 Dazu soeben im Haupttext des vorangegangenen Absatzes. 98 Entschließung des EP vom 16.7.1983, EP-Doc. B 2-736/85 (PE 99759). 95 96
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l. Teil: Europarechtliche Vorgaben
tionsprogrammen unterstützten Bildungs- und Erziehungspolitik, auf die an dieser Stelle überraschenderweise nicht verwiesen wird. Für ein subjektives Informationsrecht des Bürgers spricht hingegen vor allem der Verweis auf die 1970 von der Beratenden Versammlung des Buroparats empfohlene Ergänzung des Art. I 0 EMRK. Nach dieser Empfehlung sollte die Freiheit, Informationen verlangen zu können und eine entsprechende Verpflichtung der öffentlichen Behörden, Informationen über Fragen des öffentlichen Interesses zugänglich zu machen, garantiert werden99 • Darüber hinaus bekundet das Parlament an gleicher Stelle die Ansicht, daß die Öffentlichkeit ein Recht auf den Zugang zu Informationen über die Belastung der Umwelt mit bestimmten Stoffen und das Vorhandensein gewisser gefahrlieber Stoffe in ihrem Lebensbereich habe. Diese beiden Äußerungen sprechen für ein vom Parlament intendiertes subjektives Recht des Bürgers. Dabei betont erstere eher ein politisches Beteiligungsrecht, Informationen über Fragen des öffentlichen Interesses verlangen zu können, letztere hingegen ein aus rechtsstaatliehen Gründen eingeräumtes prozessuales Recht zum Schutz eines überragend wichtigen materiellen Rechtsguts, dem individuellen Gesundheitsschutz. Trotz gewisser Uneinheitlichkeiten wird dabei schon deutlich, daß für das Parlament bei der Öffentlichkeit von Umweltinformationen als Ziel die Vermeidung von Gesundheitsgefahrdungen im Vordergrund steht. Demgegenüber fordert der Ausschuß für Umweltfragen in seinem Bericht aus dem Jahr 1987 die Kommission eindeutig zur Erarbeitung einer Richtlinie über ein Umweltinformationszugangsrecht der Bürger auf 100• Gerade diese Aufforderung fand beim Plenum jedoch keine Zustimmung 101 und teilt insofern das Schicksal anderer einzelner Aspekte des Berichts, die hier im folgenden deshalb auch nicht als Argumentationsmaterial herangezogen werden. Die Zustimmung des Plenums findet hingegen die Erwägung, daß der Umweltschutz eine notwendige Voraussetzung für die Bewohnbarkeit der Erde, die Erhaltung und Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen und sogar das Fortbestehen von Menschheit und Natur selbst sei und daß das Recht auf eine leidlich intakte, natürliche Umwelt, sauberes Wasser und gesunde Luft als Bestandteil der fundamentalen Rechte des Menschen anzusehen seien 102• Ferner teilt das Plenum die Auffassung, daß die spezialisierten staatlichen Stellen das Zusammentragen von Informationen im Namen und im Auftrag der Gesellschaft, die sie gewählt habe und die sie bezahle, wahrnähmen, so daß es auch ihre Aufgabe sei, dafür zu sorgen, diese Informationen auch jenen in der Gesellschaft verfügbar zu machen, die von ihnen Kenntnis zu nehmen wünschten. Außerdem sei es für die parlamentarische KontrolVgl. auch zu dieser Empfehlung: ebenda. Bericht des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz vom 13.4.1987, EP-Doc. A2-30/87 (PE 111.012/endg.), S. 7, Nr. 7. 101 Protokoll der Sitzung vom 14.5.1987, ABI. Nr. C 156/04, S. 91 f. 102 Bericht des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz vom 13.4.1987, EP-Doc. A2-30/87 (PE 111.012/endg.), S. 5, Nr. A. und D. 99
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A. Die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts
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le und Entscheidungstindung in Umweltfragen notwendig, daß sowohl Abgeordnete als auch Bürger und ihre Organisationen klar und umfassend informiert seien 103• Die Notwendigkeit der Kontrolle der Verwaltung durch den instrumentalisierten Bürger zur Beseitigung des Vollzugsdefizits des gemeinschaftlichen Umweltrechts wird hingegen nicht angesprochen. Auch die vom Ausschuß vertretene Meinung, daß in vielen Ländern engagierte und für den Umweltschutz wichtige Bürger, Umweltorganisationen und andere Institutionen ihre Aufgaben nur dann gut erfüllen könnten, wenn sie dabei über alle Informationen verfügten, die staatliche Stellen und/oder die Wirtschaft besäßen 104, teilt das Plenum nicht. Zustimmen konnte das Plenum hingegen dem Rekurs des Ausschusses auf das Wettbewerbsrecht, nach dem eine klare Regelung bezüglich der Öffentlichkeit von Informationen in Umweltfragen zum Zwecke der Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft wünschenswert sei 105 • Die Plenarentscheidung über den Bericht rückt durch die dramatisierende Darstellung der Gefahr für das Fortbestehen von Menschheit und Natur also erneut den Gesundheitsschutz in den Vordergrund, ohne sich abschließend auf eine aktive oder passive Informationspflicht festzulegen. Gleichwohl findet jedoch auch Beachtung die demokratische Vorstellung von der Gesellschaft, der staatliche Stellen zu dienen haben, indem sie unter anderem die zusammengetragenen Informationen für die parlamentarische Kontrolle und politische Willensbildung zur Verfügung stellen. Anders als in den Stellungnahmen zu den Aktionsprogrammen verdeutlichen sich in den Entschließungen des Parlaments also differenziertere umweltinformationspolitische Vorstellungen. Einerseits zeigt sich ein eigenes Konzept der Verwirklichung eines allgemeinen subjektiven Zugangsrechts zu Akten im staatlichen Besitz zum Zweck eines effektiven Rechtsschutzes gegen eine immer intensiver eingreifende Verwaltung - andererseits eine Orientierung, die, basierend auf subjektiven Rechten oder bloßen Pflichten der Behörden, überwiegend den Gesundheitsinteressen der Bürger dient. Beide Konzepte nehmen im Laufe ihrer Entwicklung durch das Parlament später zusätzlich demokratische Aspekte des Aktenzugangsrechts und der von staatlichen Stellen zusammengetragenen Informationen auf. Nach der allgemeinen umweltinformationspolitischen Konzeption des Europäischen Parlaments steht folglich keineswegs die lnstrumentalisierung des Bürgers zur Kontrolle der Umweltverwaltung zum Zwecke eines effektiven Umweltschutzes im Vordergrund der Richtlinie. In der Konzeption des Parlaments haben vielmehr die Aspekte eines besonderen Gesundheitsschutzes der Bevölkerung vor den Gefahren der Umweltverschmutzung und der Nachbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers aufgrunddes intensiveren behördlichen Eingriffs in seine Freiheiten die größte Bedeutung. Außerdem wird den Informationen eine demokratiEbenda, S. 5 f., Nr. H. und K. Ebenda, Nr. I. und J. 105 Ebenda, Nr. R. 1o3 104
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
sehe Bedeutung zugemessen. Dies kommt vor allem in dem bereits erwähnten und von der Kommission übernommenen Änderungsvorschlag Nr. 1 zum Richtlinienvorschlag der Kommission für eine Umweltinformationsrichtlinie zum Ausdruck, nach dem der öffentliche Charakter von Informationen einen wesentlichen Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft darstelle 106• Verbinden sich Informationen mit einem subjektiv-rechtlichen Anspruch auf deren Erlangung, so entsteht nach der Konzeption des Parlaments ein demokratisches Beteiligungsrecht des Bürgers. Ferner mißt das Parlament an einer einzigen Stelle auch dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen eine gewisse Bedeutung zu, ohne dies näher zu erläutern. c) Die Konzeption des Wirtschafts- und Sozialausschusses Vor seiner Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag 107 hat der Wirtschafts- und Sozialausschuß nur die Gelegenheit, sich in seinen Stellungnahmen zu den Aktionsprogrammen zu seiner Vorstellung von einem gemeinschaftlichen Umweltinformationsrecht zu äußern. In den letztgenannten Dokumenten betont er kontinuierlich die beiden gleichen und von ihm als vorrangig eingestuften Gedanken der Sensibilisierung des Bürgers für Fragen des Umweltschutzes und der Beseitigung der bestehenden Vollzugsdefizite des gemeinschaftlichen Umweltrechts: Einerseits müsse das Umweltbewußtsein des Bürgers geweckt werden, damit dieser seine Verantwortung für die Umwelt erkenne und übernehme 108, andererseits sei der sich seit dem 3. Aktionsprogramm abzeichnende Mißstand des genannten Vollzugsdefizits zu beseitigen 109• Gleichwohl trifft der Wirtschafts- und Sozialausschuß anders als die bisher untersuchten Gemeinschaftsorgane gerade in seiner Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag eine Reihe verschiedener umweltschutzrechtlicher Aussagen, die Rückschlüsse auf sein Gesamtkonzept erlauben. Er betont zunächst, daß er grundsätzlich alle Maßnahmen zur Förderung des Umweltschutzes und des Umweltbewußtseins begrüße 110• Anschließend zitiert er seine eigene Stellungnahme zum 106 Vgl. die Billigung des 1. Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie des Rates über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt durch das Europäische Parlament vom 13.4.1989 (ABI. Nr.C 120/231.). 107 Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend den freien Zugang zur Information im Umweltbereich vom 31.3.1989 (ABI. Nr. C 139), S.47ff. 108 Stellungnahme des WSA zum 1. Aktionsprogramm vom 26./27.6.1973 (ABI. Nr. C 88), S. 1, 2; Stellungnahme des WSA zum 2. Aktionsprogramm vom 29./30.9.1976 (ABI. Nr.C 281 ), S. 21, 23 f.; Stellungnahme des WSA zum 3. Aktionsprogramm vom 26./27.5.1982 (ABI. Nr. C 205), S. 28, 29; Stellungnahme des WSA zum 4. Aktionsprogramm vom 13.5.1987 (ABI. Nr.C 180), S. 26, 30f. 109 Stellungnahme des WSA zum 3. Aktionsprogramm vom 26./27.5.1982 (ABI. Nr. C 205), S. 28; Stellungnahme des WSA zum 4. Aktionsprogramm vom 13.5.1987 (ABI. Nr. C 180), S.26, 27f. 110 Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend den freien Zugang zur Information im Umweltbereich vom 31.3.1989 (ABI. Nr. C 139), S. 47.
A. Die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts
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4. Aktionsprogramm, nach der er Vorschläge der Kommission unterstütze, die eine verbesserte Zusammenarbeit mit Umweltverbänden, Nichtregierungsorganisationen und sonstigen Beteiligten ermöglichten. Unter diesem Gesichtspunkt sei es wichtig, der interessierten Öffentlichkeit Einblick in die Vorarbeiten der Kommission zum Umweltschutz zu geben, aber auch in die Ergebnisse zur europaweiten Überwachung von Umweltschutzmaßnahmen 111 • Weist der Wirtschafts- und Sozialausschuß damit nachdrücklich auf das Problem des schon 1982 von ihm gerügten Vollzugsdefizits des gemeinschaftlichen Umweltrechts hin, so überrascht, daß er im übrigen den von der Kommission im Zusammenhang mit dem Vorschlag für eine Umweltinformationsrichtlinie entwickelten Gedanken der Instrumentalisierung des Bürgers nicht aufgreift. Der einzelne Bürger wird von ihm nicht als Vollzugskontrolleur erwähnt, obwohl nach dem Richtlinienvorschlag der Kommission auch natürliche Personen explizit Inhaber des Umweltinformationsanspruchs sind. Darüber hinaus äußert sich der Ausschuß dahingehend, daß die aktive Informationspolitik der Behörden und Körperschaften gegenüber der Allgemeinheit auf dem Umweltsektor mindestens ebenso wichtig sei wie die Gewährleistung von Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht im Einzelfall 112• Im Gegensatz zu dem Aspekt der Beseitigung des Vollzugsdefizits wird also der ebenfalls in den Aktionsprogrammen entwickelte Sensibilisierungsgedanke fortentwickelt. Gleichwohl sind nach Auffassung des Wirtschafts- und Sozialausschusses aber auch Gemeinschaftsregelungen über den Zugang zu Umweltinformationen unbedingt erforderlich hinsichtlich der Gewährleistung des Informationsaustausches über die innerstaatlichen Grenzen hinweg 113 • Auch das Informationszugangsrecht als ein Instrument passiver Informationspolitik soll also vor allem der Verbreitung von Umweltinformationen dienen. Abgesehen von dieser konkreten Einschätzung der Bedeutung des Zugangsrechts nimmt der Wirtschafts- und Sozialausschuß insgesamt eher allgemein zu umweltinformationspolitischen Fragen Stellung. Er befürwortet den ebenfalls notwendigen Zugang auch zu Gemeinschaftsdokumenten 11\ eine starke Beteiligung der Öffentlichkeit am umweltpolitischen Entscheidungsprozeß 115 und- wie bereits erläutertdie mindestens ebenso wichtige aktive Informationspolitik 116• Eine überaus konkrete und kritische Äußerung zum Zugangsrecht findet sich hingegen bezüglich der von Kommission und Parlament geteilten Auffassung, daß das Zugangsrecht Wettbewerbsverzerrungen beseitigen könnte. Nach Einschätzung des Ausschusses seien Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der bestehenden Rechtslage 111 Ebenda(mit Verweis aufdie Stellungnahme vom 13.5.87 [ABI. Nr.C 180), S.26, 31). Im Zitat wurden Originalsatzbau und -wortwahl des WSA vom Verfasser bewußt beibehalten. 112 Ebenda, 1.2.3. 113 Ebenda, 1.2.1. (Originalsatzbau und -wortwah1 des WSA wurden vom Verfasser bewußt beibehalten.) 11 4 Ebenda, S. 48, 1.3. 115 Ebenda, S.47, 1.1. 116 Ebenda, 1.2.3.
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
nämlich nicht zu befürchten, da sich der Richtlinienentwurf nur auf Informationsansprüche gegenüber Behörden und öffentlichen Körperschaften beziehe 117 • Außerdem sei keinesfalls eine volle Harmonisierung erreichbar, da sich die Frage, welche Informationen bei den innerstaatlichen Behörden und Körperschaften vorlägen und also dem Anspruchsteller mitgeteilt werden könnten, überwiegend nach innerstaatlichem Recht richte 118• Die untersuchte Stellungnahme läßt insgesamt also kein klares Bild einer mit der Umweltinformationsrichtlinie verbundenen Konzeption des Wirtschafts- und Sozialauschusses erkennen. Rechtsstaatliche oder demokratische Aspekte bringt er an keiner Stelle mit dem Vorschlag zu einer Umweltinformationsrichtlinie in Verbindung. Gegen einen positiven wettbewerbsrechtlichen Effekt wird ausdrücklich Stellung bezogen. Ordnet der Wirtschafts- und Sozialausschuß das Umweltinformationszugangsrecht folglich allein dem Umweltschutzrecht zu, so geht er gleichwohl nicht auf den Gedanken der Instrumentalisierung des Bürgers ein, obwohl er das Vollzugsdefizit schon länger und intensiver als andere Gemeinschaftsorgane kritisiert. Als speziell umweltrechtliche Funktion der Richtlinie kommt nach den insgesamt unklaren Aussagen des Ausschusses also allein die Verbreitung von Umweltinformationen in Betracht.
d) Die Konzeption des Rates Die Schwierigkeit der Bestimmung der Konzeption des Rates ergibt sich aus der innergemeinschaftlichen Kompetenzverteilung bei Erlaß eines Akts in einem Verfahren nach Art.249ff. (ex-Art. 189ff.) EGV. Der EGV sieht für die meisten Sekundärrechtsakte ein Vorschlagsmonopol der Kommission vor 119• Als Konsequenz dieses Monopols bestimmt Art. 250 (ex-Art. 189 a) EGV 120, daß der Rat Abweichungen von einem Kommissionsvorschlag grundsätzlich nur einstimmig beschließen kann. Überspitzt wird deshalb kommentiert, daß der Rat, soweit er auch nur ein Komma im Kommissionsvorschlag abändern wolle, auf die Einstimmigkeit aller seiner Mitglieder angewiesen sei 121 • Unter keinen Umständen dürfe der Rat den Vorschlag völlig neu formulieren 122, weil er sonst einen Rechtsakt annähme, zu dem es keinen m Ebenda, 1.2.2. Ebenda, 1.2.1. 119 Schweitzer!Hummer, Rn203; Streinz, Rn292; Oppermann, Rn353ff. 120 Zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie ergab sich die gleiche Rechtsfolge noch aus dem damaligen Art. 149 EGV. Dieser eröffnete dem Rat aber allenfalls einen noch kleineren Spielraum, da das Verfahren der Mitentscheidung noch nicht in den EGV eingeführt worden war und Art. 149 EGV deshalb anders als später Art. 189 a und jetzt Art. 250 EGV zugunsten dieses Verfahren selbstverständlich keine Ausnahme enthielt. 121 Schmitt von Sydow, in: G{f/E, Art. 155, Rn 43; ähnlich streng: Schoo, in: G{f/E, Art. 189a, Rn 12; und Hummer, in: Grabitz/Hilf, (alt), Art. 155, Rn 57. 122 Schmitt von Sydow, ebenda. 118
A. Die Zwecke des Umweltinfonnationszugangsrechts
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Vorschlag gebe 123 • Vielmehr müsse der letztlich vom Rat angenommene Rechtsakt auch nach seiner Änderung noch den gleichen Gegenstand betreffen und dem Zweck des Kommissionsvorschlags entsprechen 124• Eine eigenständige Konzeption des Rates ist aufgrund dieser Kompetenzverteilung folglich vor allem aus den Abweichungen des Rates von den Kommissionsvorschlägen abzuleiten. Eine konkrete Begründung für die von ihm vorgenommenen Änderungen legt der Rat nämlich regelmäßig nicht vor. Seine Intention ergibt sich damit aus der Bindung des Rates an die grundsätzliche Konzeption der Kommission und dem von ihm genutzten Spielraum, der diese für einstimmig vom Rat beschlossene Abweichungen eröffnet. Zwar verlangt ein umweltrechtliches Tatigwerden der Gemeinschaft nach der 1990 geltenden Fassung des Art. 130s Abs. 1 EGV ohnehin einen einstimmigen Ratsbeschluß125, auch ein solcher befreit den Rat aber nicht von seiner Bindung an die Grundsätze des Vorschlags der Kommission. Auch für die Entschließungen des Rates über die umweltpolitischen Aktionsprogramme der Gemeinschaft, für die fraglich ist, ob sie möglicherweise mangels der Qualität eines Rechtsakts nicht dem Initiativmonopol der Kommission unterliegen 126, bietet sich gegebenenfalls nicht notwendigerweise aus rechtlichen, jedenfalls aber aus praktischen Gründen ein vergleichendes Vorgehen an. Der Rat weicht nämlich auch in allen Entschließungen über die Durchführung der umweltpolitischen Aktionsprogramme vom Wortlaut des ihm jeweils vorliegenden Kommissionsvorschlags ab. Ein Vergleich der Kommissionsvorschläge mit den späteren Entschließungen des Rates bezüglich der Aktionsprogramme ist eher weniger ergiebig. In der Erklärung des Rates über das 1. und 2. Aktionsprogramm stellt er in den Erwägungsgründen lediglich fest, daß die Aktionen der als Anhang beigefügten Aktionsprogramme durchzuführen seien 127 und daß er die Ausrichtungen der Programme genehmige 128• Während die Vorschläge der Kommission vorgesehen haben, daß "der Rat das beigefügte Aktionsprogramm annimmt" 129 oder (1973 noch etwas vorsichtiger) "billigt"130, relativiert der Rat die Aktionsprogramme und die darin vorgesehenen Einzelmaßnahmen durch die bloße Genehmigung ihrer Ausrichtungen, ohne zu den konkret im Programm genannten Maßnahmen inhaltlich Stellung zu nehmen. EuGH E 1989, 1517, 1549f.; Schoo, ebenda, Rn 14. EuGH, ebenda. 125 In der Amsterdamer Fassung des Art. 175 Abs. 1 EGV ergeht umweltschützendes Sekundärrecht nunmehr grundsätzlich im Verfahren der Mitentscheidung. Art. 130 s Abs. 2 EGV der damaligen Fassung, der unter bestimmten Voraussetzungen eine Ausnahme von seinem Abs. 1 zuließ, hatte bis 1990 hingegen keinen praktischen AnwendungsfalL- Krämer, in G{f/E, 4. (Vor-)Aufl., Art. 130s Rn 10. 126 Vgl. zu den Aktionsprogrammen sogleich unten, S. 29 ff. 127 ABI. Nr.C 112/1 vom 20.12.73, bzw. ABI. Nr. C 139/1 vom 13.6.77. 128 ABI. Nr. C 139/1, S. 2 vom 13.6.77; sehr ähnlich: ABI. Nr. C 112/1, S. 2 vom 20.12.73. 129 ABI. Nr. C 115/1 vom 24.5.76. 13 KOM (73) 530 endg./A vom 10.4.1973 (amtlich nicht veröffentlicht). 123 124
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
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Ähnlich genehmigt der Rat in seiner Entschließung über das 3. Aktionsprogramm dessen allgemeine Ausrichtung, ohne die einzelnen Programmpunkte zu diskutieren 131 • Zwischen die Erwägungsgründe dieser Entschließung und dem wiederum als Anhang gefaßten eigentlichen Aktionsprogramm fügt er indes eine volle Amtsblattseite neuer oder ihm besonders wichtig erscheinender Gesichtspunkte ein. Speziell umweltinformationspolitisch erklärt er dabei, daß der Entwicklung von Verfahren zur Beurteilung von Auswirkungen auf die Umwelt 132 und dem Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten besondere Bedeutung gebühre 133• Ohne nochmals ausdrücklich den in den drei ersten Aktionsprogrammen entwickelten Gedanken der Sensibilisierung des Bürgers für den Umweltschutz hervorzuheben, legt der Rat den Schwerpunkt auf die Verfügbarkeil von umfassenden Informationen über die Umwelt als Voraussetzung einer effektiven Umweltschutzpolitik. Diese Folgerung besitzt hinsichtlich ihrer Offensichtlichkeit indes kaum einen höheren Erkenntniswert. Mit der Verabschiedung einer Entschließung über ein Europäisches Umweltjahr 1987 nähert sich der Rat umweltinformationspolitisch der Konzeption der Kommission an. Er billigt nicht nur das anhängende Aktionsprogramm für das Europäische Umweltjahr, sondern äußert im 4. Erwägungsgrund ausdrücklich, daß es in diesem Jahr vor allem angezeigt sei, eine erhöhte Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den Schutz und die Verbesserung der Umwelt zu erreichen 134• Diesen Sensibilisierungsgedanken betont der Rat auch in seiner Entschließung über das 4. Aktionsprogramm 135 , das sich wie das 3. Programm in drei Teile gliedert. Vorangestellt sind die Erwägungsgründe, die von denen der Kommission zumindest sprachlich abweichen, dann folgt eine Aufzählung mit vom Rat als vorrangig erachteten Gesichtspunkten des Umweltschutzes, die ansatzweise diesmal auch Bestandteil des Kornmissionsvorschlags gewesen sind 136, und zuletzt findet sich das anhängende, eigentliche Aktionsprogramm, das der Rat generell billigt 137 • Der Rat ist der Auffassung, das Europäische Jahr des Umweltschutzes biete eine willkommene Gelegenheit, eine Änderung der Verhaltensweisen zu fördern und den Anstoß für Maßnahmen zu ABI. Nr. C 46/1, S. 2 vom 17.2.83. Ebenda, S. 2, b), sprachlich vom Verfasser geschönt. 133 Ebenda, i). 134 Entschließung des Rates vom 6.3.1986 über ein Aktionsprogramm für das Europäische Umweltjahr ( 1987), ABI. Nr. C 63/1. 135 Entschließung des Rates zur Fortschreibung und Durchführung einer Umweltpolitik und eines Aktionsprogramms der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz vom 19.10.1987, ABI. Nr.C 328/1. 136 Der Kommissionsvorschlag (ABI. Nr. C 70/3, S.4f. vom 18.3.1987) enthielt eine Aufzählung wichtiger Gesichtspunkte von a)-s). Die des Rates (Entschließung vom 19.10.1987, ABI. Nr. C 328/1, S. 2 ff.) reicht von a)-v), wobei die jeweils als a) ... bezeichneten Punkte keinesfalls übereinstimmen. 137 Entschließung des Rates zur Fortschreibung und Durchführung einer Umweltpolitik und eines Aktionsprogramms der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz vom 19.10.1987, ABI. Nr.C 328/1, S. l-3. 131
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A. Die Zwecke des Urnweltinformationszugangsrechts
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geben, die für eine Umsetzung dieses neuen Bewußtseins in die Praxis erforderlich seien 138• In einem vom Rat eingefügten Gesichtspunkt findet sich - anders als noch im Kommissionsvorschlag-der verbesserte Zugang zu umweltbezogenen Informationen als eines von sieben besonders geeigneten umweltschützenden Instrumenten 139, dessen Funktionsweise er indes nicht erläutert. Aufgrund der Äußerungen in den Aktionsprogrammen läßt sich eine Konzeption des Rates bezüglich eines Umweltinformationszugangsrechts folglich nur im Ansatz bestimmen. Durch die generelle Billigung aller Aktionsprogramme im ganzen schließt er sich auch nur generell der Konzeption der Kommission bezüglich eines Umweltinformationszugangsrechts an. Die Frage, ob dieses generelle Anschließen aber auch eine Billigung des rechtsstaatliehen Aspekts der Vermittlung eines verbesserten Rechtsschutzes des Bürgers umfaßt, den die Konzeption der Kommission seit dem 4. Aktionsprogramm enthält, ist hingegen zu verneinen. Dagegen spricht, daß der Rat trotz zahlreicher anderer bekräftigender Ergänzungen weder diesen rechtsstaatliehen Aspekt noch die zwischenzeitliche Erklärung des Parlaments zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren ausdrücklich hervorhebt. Da er auch das vom Wirtschafts- und Sozialausschuß lange vorher aufgezeigte Vollzugsdefizit nicht anspricht, ist vielmehr davon auszugehen, daß der Rat bis zu diesem Zeitpunkt mit dem Zugangsrecht allein umweltpolitische Zielsetzungen in Verbindung bringt, bei denen die Sensibilisierung des Bürgers im Vordergrund steht. Aussagekräftigere Ergebnisse ermöglicht dagegen ein Vergleich der Vorschläge der Kommission mit der vom Rat beschlossenen Umweltinformationsrichtlinie, deren Wortlaut bis heute unverändert geblieben ist. Ein Vergleich der Gesetzestexte von Richtlinie und Vorschlag ergibt zunächst, daß kein einziger Artikel der Richtlinie mit dem letzten Vorschlag der Kommission übereinstimmt. Hieraus läßt sich aber keine Aussage für die Konzeption des Rates ableiten, da sowohl der Richtlinientext als auch der des Kommissionsvorschlags im jeweiligen Artikel 1 die "Selbstzwecke" der Zugangsgewährleistung und Informationsverbreitung in den Vordergrund stellen. Für die Bestimmung des normativen Sinns der Richtlinie kann diesen Gesetzestexten, wie oben im Ausgangspunkt schon festgestellt worden ist 140, insoweit nichts entnommen werden. Der Rat führt eine größere Umgestaltung der Vorlage aber nicht nur beim Text sondern auch bei den Erwägungsgründen durch. -Nur zwei von ihnen bleiben wörtlich erhalten, andere, vornehmlich die praktische Ausgestaltung des Zugangsrecht betreffende Erwägungen werden ergänzt, weggelassen oder abgeändert. Von diesen Änderungen sind vier näher zu untersuchen, die eine besondere umweltinformationspolitische Bedeutung besitzen. Eine besonders auffällige Abweichung des Rates vom Vorschlag der Kommission besteht darin, daß er den neuen 4. Erwägungsgrund, der den öffentlichen Charakter von Informationen als einen wesentlichen Bestandteil einer demokratischen GesellEntschließung des Rates vorn 19.10.1987, ABl. Nr. C 328/1. Ebenda, S. 4, u). 140 Dazu ausführlich oben, I. 138
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
schaft feststellt, nicht übernimmt. Neu ist dieser insofern gewesen, als die Kommission ihn nicht schon im ursprünglichen Richtlinienvorschlag anführt, sondern erst nach Anregung durch die Stellungnahme des Europäischen Parlaments im endgültigen Entwurf für eine Umweltinformationsrichtlinie. Mit dieser zusätzlichen Feststellung hat sich die Kommission ein Stück der Konzeption des Parlaments angenähert, nach der eine Umweltinformationsrichtlinie auch in demokratischer Hinsicht beachtenswerte Bedeutung besitzt. Dies hat oben den Schluß ermöglicht, daß die Kommission mit der Übernahme dieses Grundes der Umweltinformationsrichtlinie neben dem überwiegenden Umweltschutzzweck nunmehr auch eine gewisse demokratische Bedeutung beimißt 141 • Da der Rat die Umweltinformationsrichtlinie trotz dieser kaum übersehbaren Entwicklung ohne diese Feststellung verabschiedet, ist hieraus auf eine deutliche Ablehnung dieses Ansatzes von Parlament und Kommission zu schließen. Eine die demokratischen Elemente verstärkende Bedeutung besitzt die Umweltinformationsrichtlinie nach der Konzeption des Rates also nicht. Über die Frage, ob der Rat mit der Richtlinie auch rechtsstaatliche Ziele verfolgt, gibt eine kleine aber bedeutsame Änderung des 1. Erwägungsgrundes Aufschluß. Dort hatte die Kommission vorgeschlagen, unter anderem die Notwendigkeit zu betonen, den gesamten Prozeß der Regulierung und Anwendung derzeitiger Vorschriften transparenter zu gestalten, insbesondere was die Information der Öffentlichkeit anbelange. Dieser vom Rat nicht in die Richtlinie übernommene Halbsatz über die Transparenz der Umweltverwaltung stammt wörtlich aus dem 4. Aktionsprogramm und verdeutlicht, daß ein Zweck des freien Zugangs zu Umweltinformationen nach der Kommission auch die Gewährleistung eines verbesserten Rechts- und allgemeinen Interessenschutzes des einzelnen darstellt 142• Im Richtlinienvorschlag der Kommission heißt es im 1. Erwägungsgrund weiter, daß die Verbesserung des Zugangs zu Umweltinformationen zu diesem Zwecke- also der Transparenz (der Verf.)- in Betracht gezogen werde. Indem der Rat den Halbsatz um die Transparenz einfach streicht, bezieht sich der Zweck, zu dem die Verbesserung des Zugangs zu Umweltinformationen in Betracht gezogen wird, nunmehr sprachlich-grammatikalisch auf die von Rat und Kommission als Einleitung ihres jeweiligen ersten Erwägungsgrundes herausgestellten Grundsätze und Ziele der vier Aktionsprogramme. Da der Richtlinienvorschlag auch an keiner anderen Stelle der Bedeutung der Transparenz von Umweltinformationen nachgeht, ist folglich davon auszugehen, daß der Rat auch diesen Aspekt bewußt aus der Umweltinformationsrichtlinie entfernt hat. Seiner umweltinformationspolitischen Konzeption liegen also auch keine rechtsstaatliehen Gesichtspunkte zugrunde. Die dritte umweltinformationspolitisch relevante Änderung nimmt der Rat in seinem 4. Erwägungsgrund vor, der inhaltlich auf den 6. Erwägungsgrund des letzten Kommissionsvorschlags Bezug nimmt. Dort führt die Kommission aus, daß der freie Zugang zu im Besitz der Behörden befindlichen Umweltdaten die Beteiligung 141 142
Zu diesen Herleitungen vgl. bereits oben, a) und b). Vgl. dazu ausführlich oben, a).
A. Die Zwecke des Urnweltinformationszugangsrechts
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der Bürger an den Verfahren zur Kontrolle der Umweltverschmutzung und zur Verhütung von Umweltbeeinträchtigungen verstärken und damit wirksam zur Erreichung von Umweltschutzzielen beitragen würde. Diesen Instrumentalisierungsmechanismus reduziert der Rat auf den Satz, der Zugang zu umweltbezogenen Informationen im Besitz der Behörden werde den Umweltschutz verbessern. Insofern erscheint es problematisch, aus dem in der Richtlinie verbliebenen Satz zu folgern, daß der Bürger auch nach der Konzeption des Rates für die Kontrolle des Vollzugs des gemeinschaftlichen Umweltrechts instrumentalisiert werden solle. Der Kommissionsvorschlag war insoweit gut verständlich und enthielt keine darüber hinausgehenden Folgen. Denk- aber nicht nachweisbar ist allenfalls, daß der Rat den Instrumentalisierungsgedanken zwar intendierte, von seiner Ausformulierung aber Abstand nahm, um in jedem Fall zu verhindern, daß von der Kontrolle der Verwaltung durch den Bürger zum Zweck des Umweltschutzes auf eine vom Rat gerade nicht gewollte demokratische Zwecksetzung der Richtlinie geschlossen werden könnte 143 • Erst recht läßt sich dem Verhalten des Rates keine Aussage darüber entnehmen, ob und inwieweit er Teilaspekte der Instrumentalisierung - etwa nur die nachträgliche Kontrolle der Behörden oder auch die Präventiveffekte- ablehnt, oder nicht. Läßt sich nicht mit Sicherheit klären, ob der Rat das im 4. Erwägungsgrund festgeschriebene Umweltschutzziel durch die Instrumentalisierung des Bürgers zu erreichen gedenkt, so hilft möglicherweise der vom Rat in den Aktionsprogrammen vor allem verfolgte Sensibilisierungsgedanke weiter. Dieser wird in der Richtlinie nicht ausdrücklich genannt. Im 3. Erwägungsgrund zitiert der Rat aber wörtlich aus dem Kapitel der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum 4. Aktionsprogramm, das mit "Bildungs- und Informationspolitik" überschrieben ist und folglich eine Reihe von Maßnahmen aktiver Umweltinformationspolitik enthält 144 • Diese vierte, umweltinformationspolitisch bedeutsame Änderung des Kommissionsvorschlags könnte den Schluß zulassen, daß der Rat das im 4. Erwägungsgrund genannte Umweltschutzziel durch eine weitere, mit der Richtlinie verbundene Sensibilisierung der Bevölkerung erreichen möchte. Dagegen spricht jedoch, daß der Rat dies dann zumindest sehr ungeschickt zum Ausdruck gebracht hätte. Den Gesichtspunkt, den der Rat aus dem Kapitel "Bildungs- und Informationspolitik" zitiert, ist an dieser Stelle nämlich der einzige, der inhaltlich unklar formuliert ist. Zitiert wird, daß die Unterrichtung jedes Bürgers durch eine spezifische Gemeinschaftsaktion möglich gemacht werden müsse. Soll allein aufgrunddieses Zitats auf den Sensibilisierungsgedanken geschlossen werden, vermag weder beantwortet zu werden, warum der Rat nicht einen der präziseren Spiegelstriche oder die Über143 Diesen Schluß, der für den Fall, daß das Umweltschutzziel hinreichend in den Vordergrund gestellt wird, keinesfalls zwingend ist, zieht aber: Gusy, JZ 1999, 1169, 1169. 144 Stellungnahme und Entschließung des Europäischen Parlaments zum 4. AP vorn 14.5.1987 (ABI. Nr. C 156/138 f., Nr. 7. a)). Der dritte hier aufgeführte Spiegelstrich wird vorn Rat wörtlich zitiert.
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l. Teil: Europarechtliche Vorgaben
schrift des Kapitels zitiert hat, noch warum der Rat den Sensibilisierungsgedanken trotz zahlreicher von ihm vorgenommener Änderungen nicht ausdrücklich in die Erwägungsgründe der Richtlinie aufgenommen hat. Der 4. Erwägungsgrund läßt sich folglich auch nicht mit Hilfe des Sensibilisierungsgedankens genauer deuten. Als Konzeption des Rates läßt sich bisher folglich allein bestimmen, daß die Richtlinie dem Umweltschutz dienen soll. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, kann durch Analyse der Ratsdokumente nicht geklärt werden. Demgegenüber schließt sich der Rat dem auch von der Kommission erwogenen wettbewerbsrechtlichen Gedanken überwiegend an. Anders als die Kommission im 8. Erwägungsgrund ihres Richtlinienvorschlags erblickt der Rat in seinem 5. Erwägungsgrund keine "erheblichen Unterschiede" der in den Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften über den Zugang zu Umweltdaten im Besitz der Behörden, sondern nur "Unterschiede", die zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen beziehungsweise unterschiedlichen Behandlungen der Bürger bezüglich der Wettbewerbsbedingungen führen könnten. Die sprachlich unschöne Fassung des Rates weicht inhaltlich nicht vom Vorschlag der Kommission ab. Unabhängig davon, ob Unterschiede oder wesentliche Unterschiede in den Regelungen der Mitgliedstaaten zu den befürchteten Wettbewerbsverzerrungen führen können, mißt der Rat der Richtlinie also auch wettbewerbsrechtliche Bedeutung zu. Da auch in der Richtlinie dieser Wettbewerbsbezug an keiner anderen Stelle verdeutlicht wird, ist auch für die Konzeption des Rates davon auszugehen, daß der Wettbewerb neben dem Umweltschutz nur ein Nebenziel darstellt. Dafür spricht neben zahlreichen umweltbezogenen Erwägungsgründen auch, daß der Rat dem Vorschlag der Kommission insoweit folgt, als er die Richtlinie ebenfalls insbesondere auf den damaligen Art. 130s (jetzt: 175) EGV stützt. Demokratische oder rechtsstaatliche Aspekte verbindet der Rat mit der Umweltinformationsrichtlinie hingegen nicht.
e) Vergleich der Konzeptionen Eine spezielle Funktion innerhalb des allgemeinen gemeinschaftlichen Umweltinformationsrechts nimmt die Umweltinformationsrichtlinie vor allem nach der Vorstellung der Kommission ein. Auch dem Rat lassen sich spezielle Aussagen zuordnen, die indes überwiegend abgrenzen, welchen der von der Kommission betonten Funktionen die Richtlinie nicht dienen soll. Im Gegensatz dazu erläutert der Wirtschafts- und Sozialausschuß anläßlich seiner Beschäftigung mit der Richtlinie überwiegend nur seine allgemeinen umweltinformationspolitischen Vorstellungen. Gleichsam zwischen diesen Polen sind die Dokumente des Europäischen Parlaments einzuordnen. Es faßt sich zwar in seiner konkreten Stellungnahme zur Richtlinie sehr kurz, seine konkreten Ansichten über die im einzelnen von der Kommission vorgetragenen Aspekte kommen aber in zahlreichen anderen Parlamentsdokumenten zum Ausdruck. - Nach der Kommission soll die Umweltinformationsrichtlinie hauptsächlich dem Umweltschutz dienen. Dieser soll durch den speziellen um-
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weltinformationszugangsrechtlichen Gedanken der Instrumentalisierung des Bürgers für die Kontrolle des Vollzugs des Umweltrechts erreicht werden. Diese Instrumentalisierung besteht nach der Kommission darin, durch die Gewährung eines subjektiven Umweltinformationsanspruchs eine größere Öffentlichkeit des Verwaltungshandeins herbeizuführen, um so mittelbar einen strengeren Vollzug des Umweltrechts durchzusetzen und Umweltbeeinträchtigungen präventiv vorzubeugen. Im Sinne einer möglichst effektiven Vorsorge dürfte der Zweck dieses Zugangsrechts nach der Kommission damit auch darin bestehen, potentielle Umweltverschmutzer aufgrund der abschreckenden Wirkung einer möglichen Offenbarung ihres Verhaltens von in Betracht gezogenen Umweltverschmutzungen abzuhalten. Eine nur untergeordnete Rolle spielt bei Erreichung dieses Hauptziels Umweltschutz der Sensibilisierungsgedanke. Nebenzwecke stellen ein verbesserter Rechtsschutz der Bürger in Umweltverwaltungsverfahren, eine gewisse zusätzliche Demokratisierung der verpflichteten Verwaltung und die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen dar. Von diesen Nebenzwecken unterstützt der Rat nur den wettbewerbsrechtlichen Aspekt. Mögliche rechtsstaatliche oder demokratische Inhalte der Richtlinie versucht der Rat erkennbar zu vermeiden. Auch nach seiner Konzeption ist die Richtlinie hauptsächlich ein Mittel zur Erreichung umweltpolitischer Ziele. Die Wirkungsweise dieses Mittels erklärt er aber nicht. Insofern ähnlich wie der Rat äußert sich der Wirtschafts- und Sozialausschuß anläßlich seiner Befassung mit der Richtlinie hauptsächlich allgemein zu umweltpolitischen Aspekten. Danach steht für den Ausschuß nach wie vor eine aktive Bildungs- und Informationspolitik zum Schutz der Umwelt im Vordergrund. Trotz des von ihm betonten Vollzugsdefizits erwähnt er eine mögliche Instrumentalisierung des Bürgers nicht. Auch demokratische oder rechtsstaatliche Aspekte finden keinerlei Erwähnung in dieser allgemeinen Stellungnahme. Sehr konkret und kritisch zur Richtlinie prognostiziert der Ausschuß hingegen der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen keinen Erfolg. Nach Auffassung des Europäischen Parlaments kann der Umweltschutz hingegen nicht uneingeschränkt als Hauptzweck der Richtlinie eingestuft werden. Diese vorrangige Bedeutung kommt dem Umweltschutz nur zu, soweit er die Menschen vor konkreten Gefahren der Umweltverschmutzung bewahren will. Schon diese Einschränkung zeigt, daß der Umweltschutz nur zusammen mit dem rechtsstaatliehen Aspekt der Nachbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers aufgrund des intensiver gewordenen behördlichen Eingriffs in seine Freiheiten als Hauptziel der Richtlinie angesehen werden kann. Dieser rechtsstaatliche Aspekt steht nach dem Parlament gleichzeitig im Mittelpunkt allgemeiner gemeinschaftlicher Informationspolitik. Als Nebenzwecke der Richtlinie erblickt das Parlament wie die Kommission sowohl demokratische als auch wettbewerbsrechtliche Aspekte. Ein Vergleich aller Konzeptionen ergibt folglich, daß kein Haupt- oder Nebenzweck der Richtlinie die uneingeschränkte Zustimmung aller beteiligten Institutionen der Gemeinschaft findet. Der Umweltschutz, der vom Parlament nur mit Einschränkung, ansonsten aber von allen Beteiligten als Hauptzweck der Richtlinie an4 Strohmeyer
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
gesehen wird, erlangt die breiteste Unterstützung. Auch diese vermeintliche Einigkeit läßt sich aber nur über eine begriffliche Ungenauigkeit erzielen. -Herrscht über diesen Hauptzweck unter dem Begriff des Umweltschutzes Einigkeit, so verbinden damit unterhalb dieses einigenden Begriffs alle Beteiligten eine mehr oder weniger eigenständige umweltinformations- oder rechtsstaatspolitische Vorstellung. Eine gewisse Einigkeit besteht, abgesehen vom insoweit sehr kritischen Wirtschafts- und Sozialausschuß, auch über den Nebenzweck der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Insoweit läßt sich indes vermuten, daß auch diese vermeintliche Einigkeit nur Bestand hat, weil weder Kommission noch Rat noch Europäisches Parlament diesen Gesichtspunkt auch nur mit einem einzigen Satz näher erläutern. 3. Interpretationsansätze aus dem Gesamtkonzept gemeinschaftlichen Umweltinformationsrechts Bei diesem dogmatisch als systematisch-teleologisch einzustufendem Ansatz zur Auslegung einer Norm 145 wird versucht, verwandten Regelungen Grundsätze zu entnehmen, die möglicherweise auch eine Aussage über die auslegungsbedürftige Norm erlauben könnten 146• Als verwandte Regelungen kommen dabei auch höherrangige Normen in Betracht. Jedwede Konformauslegung stellt der Sache nach nur einen Spezialfall der systematisch-teleologischen Interpretation dar147• Als allseits bekanntes Anwendungsbeispiel für diese dabei zumeist nicht als solche wahrgenommene Vorgehensweise sei hier kurz die Auslegung des Art. 64 Abs. 1 GG herangezogen. Danach stehe dem Bundespräsidenten nach ganz herrschender Meinung unter anderem deshalb kein politisches Prüfungsrecht hinsichtlich der Ernennung der Bundesminister zu, weil sich aus vielerlei Vorschriften ergebe, daß das Grundgesetz insgesamt einen "schwachen" Bundespräsidenten definiere, so daß auch Art. 64 Abs. 1 GG in diesem Sinn zu interpretieren sei 148• Ein bewußter wahrgenommenes Beispiel stellt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Nichtigkeit der sogenannten Kasseler Verpackungssteuer dar. Diese Steuer entbehrte im Ergebnis 145 Spezieller als der im übrigengefolgten Methodenlehre von Larenz, vgl. insoweit: Bydlinski, aaO, S.454. Vgl. auch: Kramer, Ernst A., S.113, demzufolge "die ratio legis letztlich aus der gesamten Rechtsordnung ermittelt werden kann". In letzterem Sinn auch Rüthers, Rn744ff. mwN, 748,777 und Lutter, JZ 1992, 593,602. 146 Bydlinski, S. 454f. Konkret für die umweltrechtlichen Richtlinien der Gemeinschaft auch: Bleckmann, ZGR 1992, 364, 369. - Der EuGH praktiziert diesen Ansatz beispielsweise in: EuGH E 1975,421, 431; 1978, 2037,2074. Wardort streitig, ob Verordnungen mitBlick auf Art. 190 (jetzt: 253) EGV hinreichend begründet waren, so bestimmte der EuGH der Sache nach den Sinn einer Richtlinie erst durch Erläuterung der Erwägungsgründe und Ziele anderer nicht in Frage stehender, aber verwandter Verordnungen. V gl. insoweit außerdem auch: Lutter, JZ 1992, 593, 602 (dort auch Fn 117 mwN). 147 So auch in bezugauf die "verfassungskonforme" Auslegung auch: Bydlinski, S.455. Lutter, JZ 1992, 593, 602f. hält auch die Primärrechtskonformität für einen Unterfall der systematisch-teleologischen Auslegung einer Richtlinie. 148 Vgl. statt aller: Meyn, in: von Münch/Kunig, Art.64 Rn5 mwN.
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einer Rechtsetzungskompetenz der Stadt Kassel, weil die mit ihr beabsichtigte Lenkungswirkung im Widerspruch zu der in diversen bundesrechtlichen Normen zum Ausdruck kommenden Gesamtkonzeption des Bundes einer Abfallvermeidungsstrategie stand, die insgesamt auf dem Grundsatz der Kooperation zwischen der Verwaltung und den beteiligten Kreisen der Abfallwirtschaft bei der Abfallvermeidung basierte 149• Diesen Auslegungsansatz fruchtbar zu machen, wird hier ähnlich wie im Verpackungssteuerurteil 150 zusätzlich dadurch erschwert, daß er nicht auf die Interpretation einer einzelnen Norm, des Art. 1 der Umweltinformationsrichtlinie, beschränkt werden kann, sondern die Richtlinie insgesamt umfassen muß. Bestimmt Art. 1 "den Zweck" der Richtlinie, so können verwandte Regelungen nicht allein in den verschiedensten Zweckbestimmungen aller denkbaren Gemeinschaftsrechtsakte erblickt werden. Verwandte Vorschriften liegen vielmehr nur vor, soweit sie auch einen sachlich vergleichbaren Regelungsgegenstand besitzen. Die Umweltinformationsrichtlinie beinhaltet Regelungen des Umweltinformationsrechts. Durch die Einführung eines voraussetzungslosen subjektiven Rechts des einzelnen auf Zugang zu den bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen bei gleichzeitiger Normierung verschiedener Ausnahmetatbestände gestaltet sie das Informationsverhältnis zwischen Bürger, Verwaltung und gegebenenfalls betroffenen Dritten für den Umweltsektor auf prinzipiell neue Weise aus 151 • Daraus lassen sich die MindestVoraussetzungen für Rechtsakte ableiten, die zulässigerweise als verwandt bezeichnet werden können und deshalb möglicherweise Rückschlüsse auf die Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie erlauben. - Zunächst müßten sie ebenfalls ein solches Umweltinformationsverhältnis definieren, ohne an den Bürger, dem die Information zugänglich gemacht werden soll, die Anforderung des Nachweises eines berechtigten oder gar rechtlichen Interesses zu stellen. Ferner müßten möglicherweise als verwandt einzustufende Rechtsakte demselben normativen Sinn dienen, der aufgrund der bisherigen Untersuchung der Umweltinformationsrichtlinie überhaupt in Betracht kommen kann, also entweder dem Umweltschutz durch Instrumentalisierung oder Sensibilisierung des Bürgers, der Verbesserung des Rechtsschutzes der Bürger, der Einführung eines demokratischen Beteiligungsrechts oder der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Um überhaupt Rechtswirkungen 149 BVerfG E 98, 106, 117 ff.- Insoweit hatte das Bundesverfassungsgericht zwar nicht die Kasseler Satzung auszulegen, aufgrund der das Prüfungsprogramm umkehrenden konkurrierenden Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG zugunsten des Bundes war jedoch das Bundesabfallwirtschaftsrecht dahingehend zu überprüfen, ob es seinerseits abschließend den Grundsatz der Kooperation zwischen den Behörden und den beteiligten Kreisen festlegte und damit eine Lenkungssteuer als entgegengesetztes Prinzip ausschloß, weil die Steuergesetzgebungskompetenz des Art.105 Abs. 2a GG nicht dazu befugt, in den Kompetenzbereich eines anderen Sachgesetzgebers vorzugreifen (Vgl. zu letzterem ausdrücklich: BVerfG, ebenda.). 150 Vgl. die in der vorigen Fußnoten erläuterte zusätzliche Problematik. 151 Daneben werden die Mitgliedstaaten durch Art. 7 der Richtlinie verpflichtet, ihre Öffentlichkeilen aktiv über den Zustand der Umwelt zu informieren. Diese aktive Informationspflicht ist prinzipiell jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit. Inwieweit sie aber dennoch zu untersuchen ist, weil der normative Sinn der Richtlinie nicht unabhängig von einem Teil derselben bestimmt werden kann, wird sogleich (vgl.IV.l.) geklärt werden.
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dieser Art herbeiführen zu können, müßten sie freilich auch Bestandteil der Rechtsordnung sein, also die Qualität einer Rechtsregelung aufweisen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Tag der Verabschiedung der Umweltinformationsrichtlinie, gemäß Art. 10 S. 2 der Richtlinie also der 7.6.1990. Verwandte Rechtsnormen müßten zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft getreten sein, später wirksame werden nur der Vollständigkeit halber oder als zusätzliche Begründung der noch 1990 geltenden Rechtslage erwähnt. Um verwandte Rechtsakte zu ermitteln und ihre Aussagekraft im Hinblick auf die Auslegung der Richtlinie zu überprüfen, werden der Übersichtlichkeit halber das gemeinschaftliche Umweltrecht und das gemeinschaftliche Informationsrecht getrennt betrachtet, soweit dies möglich ist. Vorab seien Rechtscharakter und Aussagekraft der zahlreichen umweltinformationspolitischen gemeinschaftlichen Akte "sui generis" einschließlich der umweltpolitischen Aktionsprogramme untersucht. a) Umweltpolitische Aktionsprogramme und sonstige Akte "sui generis" Der Katalog der in Art. 249 (ex-Art. 189) EGV genannten Rechtshandlungen ist nicht abschließend. Neben den dort erwähnten Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen finden sich in der Praxis der Gemeinschaftsorgane auch Beschlüsse, Entschließungen, Erklärungen, Programme, gemeinsamen Standpunkte u. a. 152• Zum Teil sind diese Handlungsformen auch an keiner anderen Stelle des gemeinschaftlichen Primärrechts vorgesehen. Gleichwohl werden sie einhellig für zulässig gehalten, soweit nicht das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung oder sonstige Vorgaben der Verträge verletzt werden 153 • Abgesehen von diesen Beschränkungen liegt den Akten "sui generis" keine geordnete Systematik zugrunde. Die Rechtswirkungen der einzelnen Handlung können nicht generell ermittelt werden, es bedarf vielmehr einer Einzelprüfung des in Frage stehenden Aktes 154• Maßgebliche Differenzierungskriterien sind dabei die Urheberschaft des Aktes, die ausdrückliche Nennung des Aktes im Vertrag oder eine gewisse inhaltliche Nähe zu einer generelleren Ermächtigungsgrundlage und der rechtliche Bindungswille des Urhebers, von einer Ermächtigung Gebrauch zu machen oder nicht 155 • Trotz durchaus bestehender Auseinandersetzungen über die als Anhang von Entschließungen des Rates gebilligten umweltpolitischen Aktionsprogramme konnten die durch sie aufgeworfenen Problemstellungen bisher nicht gelöst werden. Eine ofAllgemein zu den Akten "sui generis" statt aller: Oppermann, Rn577ff. mwN. Bothe, FS-Schlochauer, S. 774; Everling, GS-Constatinesco, S. 152f. 154 Oppermann, Rn589; Everling, GS-Constatinesco, S. l51 , 155. 155 Everling, GS-Constatinesco, S. 141 ff.; ähnlich: Bothe, FS-Schlochauer, S. 765ff. und Epiney, S. 22 mit Bezug zu den umweltpolitischen Aktionsprogrammen; ansatzweise: B{B/P/S, S.187 und auch schon der EuGH: E 1964, 1329, 1345. 152 153
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fene Frage besteht darin, ob sie rechtlichen oder lediglich politischen Charakter besitzen 156• Gestritten wird vor allem aber darüber, ob ihnen unabhängig von ihrem Charakter auch rechtlichelS7 oder nur politische 158 Wirkung zukommt. Der Unterschied beider Fragestellungen wird weder im Zusammenhang mit den Aktionsprogrammen noch bei der Charakterisierung anderer Akte "sui generis" deutlich wahrgenommen 159• Von größerer Bedeutung ist sicherlich, in welchem Ausmaß einem solchen Akt Rechtsverbindlichkeit zukommt, gleichwohl ist sein Charakter keinesfalls irrelevant. Er hat nämlich, wie sich gerade an dieser Stelle der Untersuchung verdeutlicht, Einfluß auf das Ausmaß der Rechtswirkungen. - Stellten die Aktionsprogramme keine Rechtsregeln, also abstrakt-generelle Rechtsakte, dar, so gehörten sie nicht zur Gemeinschaftsrechtsordnung und könnten im Rahmen der objektiven Auslegung aus dem Gesamtkonzept gemeinschaftlichen Umweltrechts nicht verwertet werden. Außerdem wären sie keiner gerichtlichen Durchsetzung fähig. Gleichwohl folgte daraus nicht zwingend, daß sie keinerlei Rechtswirkungen nach sich zögen. Vielmehr könnten sie gleichwohl zumindest im Rahmen der historischen Auslegung wichtige Indizien für die Interpretation einer Rechtsnorm liefern und damit mittelbar Rechtswirkung entfalten 160• Umgekehrt hängt freilich das Ausmaß der Rechtswirkungen mit der ersten Frage zusammen, denn nur, wenn die Aktionsprogramme zumindest Rechtscharakter besitzen, kommt auch eine rechtliche Bindung der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten an ihre Inhalte in Betracht. Rechtscharakter, mittelbare Rechtswirkung und rechtliche Bindungswirkung sind folglich begrifflich und inhaltlich zu unterscheiden. Da die unterschiedlichen Einordnungen der Aktionsprogramme kaum begründet werden 161 , muß anhand der genannten Kriterien eine eigenständige Lösung gefunden werden. 156 Den Rechtscharakter verneinend: Bothe, FS-Schlochauer, S. 763 f. und Breier, ZUR 1995, 302, 302. Oppermann, Rn577 ff. spricht hingegen bezüglich aller Akte "sui generis" allgemein von Rechtsakten; Borchardt, in: Röninger/Weyringer, S. 99f. allgemein von Rechtshandlungen. 157 So vor allem: Krämer, in: Ehlerrnann/Bieber, I A 69, Art. 130s Rn 29ff.; explizit zur rechtlichen Bedeutung der Aktionsprogramme eins bis vier auch: ders., in: Rengeling, (EUDUR), § 14 Rn 15ff. 158 So beispielsweise: Kloepfer, Umweltrecht, § 9 Rn46 mwN. Noch weiter differenzierend: Epiney, S. 22 mwN. 159 Oppermann, Rn 577ff. spricht beispielsweise allgemein von Rechtsakten, setzt sich ebenda aber intensiv mit ihren unterschiedlichen Rechtswirkungen auseinander. Kloepfer, spricht zum Teil von ,,keiner Rechtswirkung" (Umweltrecht, § 9 Rn 46), ,,keiner rechtlichen Bindungswirkung" (Umweltrecht, § 9 Rn 47), und auch von "rechtlicher Unverbindlichkeit" (in: A/P/W, § 6 Rn 565). Demgegenüber untersucht Bothe, FS-Schlochauer, S. 772 sehr differenziert die ,,rechtliche Bedeutung nicht-rechtlicher Nonnen". Auch BIBIPIS, S. 187 unterscheiden die in Art. 189 (jetzt: 249) EGV nicht genannten Rechtshandlungen sorgfältigst von den anderen Handlungen und Programmen der EG. 160 Ähnlich zum Ganzen: Bothe, FS-Schlochauer, S. 770f. 161 Anders allerdings: Epiney, S. 20ff. im Rahmen einerneueren wissenschaftlichen Auseinandersetzung über die Einordnung des 5. AP; mit Begründung auch: Breier, ZUR 1995, 302ff.
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Das wichtigste Kriterium der Einordnung der in Art.249 (ex-Art.189) EGV nicht genannten Handlungsformen "sui generis" ist die Nennung in oder die Nähe zu anderen Vorschriften des Primärrechts. -Ist dort wie beispielsweise in den ehemaligen Art. 54 Abs. 1, 63 Abs.1 oder dem neuen Art.138 Abs. 3 EGV eine in Art. 249 (exArt. 189) EGV nicht genannte Beschlußform ausdrücklich vorgesehen, so stellt der Akt "sui generis" gleichwohl eine Rechtshandlung dar 162• Insoweit ist selbstverständlich unerheblich, an welcher Stelle der Verträge ein Gemeinschaftsorgan zum Erlaß eines Rechtsaktes ermächtigt ist 163• Da sich die Ermächtigungsgrundlage für die Verabschiedung der Aktionsprogramme mit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte verändert hat, ist das 4. Aktionsprogramm im Hinblick auf dieses Kriterium getrennt von den früheren Programmen zu untersuchen. Das 5. Aktionsprogramm erging hingegen erst nach dem maßgeblichen Jahr 1990, insoweit spräche indes die nunmehr ausdrückliche Nennung der in einem formalisierten Verfahren zu verabschiedenden Aktionsprogramme in der Maastrichter Fassung des Art.l30s Abs. 3 S.l EGV eher für ihren Rechtscharakter 164• Die neue Amsterdamer Fassung des Art. 175 Abs. 3 EGV, derzufolge umweltpolitische Aktionsprogramme nunmehr im Verfahren der Mitentscheidung anzunehmen sind, hat auf die Qualität der bis 1990 beschlossenen Programme keinen Einfluß. Grundlage des 4. Aktionsprogramms ist Art. 130 s Abs. 1 EGV in der Fassung nach lokrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte. Danach beschließt der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses einstimmig über das Tätigwerden der Gemeinschaft. Folglich ist die Verabschiedung umweltpolitischer Aktionsprogramme auch nach lokrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte nicht ausdrücklich im Primärrecht vorgesehen. Umgekehrt besteht mit der allgemeinen Ermächtigung des Rates zur Durchführung einer Umweltpolitik eine hinreichende Nähe zum Gemeinschaftsrecht, so daß der Rechtscharakter des 4. umweltpolitischen Aktionsprogramms nicht von vornherein auszuschließen ist. Da der insoweit durch den damaligen Art. 130s Abs. 1 EGV prinzipiell zur Setzung von Recht ermächtigte Rat als Urheber des 4. Aktionsprogramms anzusehen ist 16 S, hängt die Rechtsqualität von 162 Explizit für die dort genannten "allgemeinen Programme": BIBIPIS, S. 187 und Borchardt, in: Röttinger/Weyringer, S. 101. 163 Ähnlich: Everling, GS-Constatinesco, S.l34 mit weiteren Beispielen und Nachweisen. 164 Insbesondere darauf beruft sich Krämer, in: Ehlermann/Bieber, I A 69, Art. l30s Rn29ff.; gegenteiliger Ansicht hingegen nach wie vor Kloepfer, Umweltrecht, §9 Rn46. Entscheidend dürfte insoweit freilich sein, inwieweit auch die weiteren Kriterien durch das 5. AP erfüllt werden, inwieweit also der Rechtsbindungswille der Gemeinschaftsorgane bei der Formulierung von ,,Zielen" reicht. Vgl. dazu auch: Epiney, S. 24f. - Die andere Frage der rechtlichen Bindungswirkung ist hingegen bereits mit Hinweis auf eindeutige Passagen der Entschließung über das 5.AP vom EuGH ausdrücklich verneint worden (EuGH E 1996 I, 6669, 6695 f. (Rz. 31 f.) ). 165 Selbst wenn entgegen einhelliger Auffassung (vgl. beispielsweise: Epiney, S. 22 mwN) eine Abstützung der Entschließung auf die "gemischte Formel" (dazu sogleich unten im Text) erforderlich gewesen sein sollte, ändert dies nichts an der prinzipiellen Befugnis des Rates
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seinem Rechtsbindungswillen ab. Ist er zum Erlaß von Recht prinzipiell ermächtigt, so kann sich gleichwohl ein mangelnder Rechtsbindungswille des Rates aus der Entschließung über das Programm selbst 166 oder den Umständen ihrer Entstehung ergeben. - Ein erstes Indiz, das gegen den Rechtsbindungswillen des Rates spricht, besteht gerade in der von ihm gewählten Handlungsform einer Entschließung 167 • Die damalige Fassung des Art. 130 s EGV ermächtigt den Rat nämlich auch zum Erlaß von Verordnungen und Richtlinien, deren Regelungsgegenstände im 4. Aktionsprogramm umschrieben werden und die er später auf gleicher Grundlage erläßt. Darüber hinaus verwendet der Rat für diese jedenfalls schwächere Handlungsform die sogenannte "gemischte Formel", er handelt also gleichzeitig auch in seiner Zusammensetzung aus den im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten. Dies läßt auf Umstände schließen, nach denen zumindest bei einigen Mitgliedstaaten keine Gewißheit besteht, ob sich alle im Aktionsprogramm vorgesehenen Maßnahmen auf Kompetenzen der Gemeinschaft stützen lassen 168 • Vor allem sprechen aber Aufbau und Inhalt des 4. Aktionsprogramms gegen einen Rechtsbindungswillen des Rates. Keinesfalls verabschiedet der Rat das Aktionsprogramm als seine eigene Entschließung, das eigentliche Aktionsprogramm stellt vielmehr eine Ausarbeitung der Kommission dar 169• Die Entschließung des Rates zur Fortschreibung und Durchführung einer Umweltpolitik und eines umweltpolitischen Aktionsprogramms besteht neben den Erwägungsgründen und der als Anhang beigefügten Ausarbeitung eines Aktionsprogramms der Kommission im wesentlichen aus einer Reihe eigener, ihm besonders wichtig erscheinender umweltschützender Gesichtspunkte. Erst im Anschluß an diese eigenen Gesichtspunkte erwähnt der Rat das Aktionsprogramm der Kommission, das er mit der größtmöglichen Distanz "zur Kenntnis nimmt" und dessen Ausrichtung er "allgemein billigt". Demnach sprechen Aufbau und Formulierung der Entschließung des Rates für einen politischen Kompromiß innerhalb des Rates, demzufolge die Ausarbeitung der Kommission nicht gegenstandslos, gleichwohl aber möglichst geschwächt werden und sich den Gesichtspunkten des Rates unterordnen sollte. Mangels eines Rechtsbindungswillens des Rates hinsichtlich des 4. umweltpolitischen Aktionsprogramms stellt es also keinen Rechtsakt dar. Ein anderes Ergebnis läßt sich auch nicht mit der Gegenmeinung 170 auf zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs stützen, in denen die Rechtsgültigkeit (dann in der Zusammensetzung der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten), Recht zu setzen - gegebenenfalls führte dies lediglich zu einem die Gemeinschaft ebenfalls rechtlich bindenden völkerrechtlichen Vertrag (vgl. beispielsweise: Streinz, Rn275f.). 166 Entschließung des Rates zur Fortschreibung und Durchführung einer Umweltpolitik und eines Aktionsprogramms der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz vom 19.10.1987, ABI. Nr.C 328/1. 167 Ebenso: Epiney, S. 22. 168 Ebenso: Epiney, S. 22. 169 Vgl. dazu auch schon ausführlich oben, 2.a). 110 Krämer, in: Rengeling, (EUDUR), § 14 Rn20f.
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
von zwei Richtlinien von der Existenz hinreichender Ermächtigungsgrundlagen abhing 171 • Dort erwähnt der Gerichtshof im Rahmen seiner Begründung zwar die umweltpolitischen Aktionsprogramme. An genau diesen Stellen betont der Gerichtshof jedoch ausdrücklich, daß sich die in Frage stehenden Richtlinien keinesfalls - wie das beklagte Italien andeutete 172 - nur auf das Aktionsprogramm stützten. Als Rechtsgrundlage legt der Gerichtshof vielmehr die Rechtsangleichung nach dem damaligen Art.lOO (nach 1987: lOOa,jetzt: 95) EGV zugrunde, da das Primärrecht bis dahin keinerlei ausdrückliche umweltrechtliche Kompetenz der Gemeinschaft kennt. Kern der Entscheidungen ist also gerade, daß sich weder die fraglichen RiebtIinien noch sonstige Rechtsakte zum Zweck des Umweltschutzes auf die umweltpolitischen Aktionsprogramme oder eine sonstige allgemeine Umweltschutzkompetenz berufen können. Da unabhängig von der Verabschiedung der Aktionsprogramme folglich vor allem entscheidend ist, ob sich ein Rechtsakt zum Zweck des Umweltschutzes auf den damaligen Art.100 (nach 1987: 100a, jetzt: 95) EGV stützen läßt, sprechen auch diese eher unklaren Entscheidungen allenfalls begrenzt für den Rechtscharakter des 4. Aktionsprogramms. Demgegenüber spricht eine sehr viel frühere und eindeutigere Entscheidung des Gerichtshofs gegen die Einstufung dieses Programms als Rechtsakt 173• Dort bewertet der Gerichtshof die Wahl des Rates, in Form einer Entschließung zu handeln, obwohl er auch die Kompetenz zum Erlaß einer Richtlinie oder einer Verordnung besaß, als ausreichendes Indiz dafür, daß der Rat die damit verbundenen bindenden Rechtsfolgen gerade nicht herbeiführen will. Verbindet man diese Folgerung bezüglich des Rechtsbindungswillens des Rates mit dem zuvor gefundenen Ergebnis, daß der Rat auch ohne Erlaß der umweltpolitischen Aktionsprogramme aufgrunddes damaligen Art. 100 (nach 1987: lOOa, jetzt: 95) EGV die Kompetenz zum Erlaß von Umweltrichtlinien und -Verordnungen besitzt 17\ so spricht die Wahl des Rates, den Inhalt der Aktionsprogramme in der Form von Entschließungen zu verabschieden, ebenfalls eher gegen den Rechtscharakter der Aktionsprogramme. Ist vielmehr auch nach dem Gerichtshof der Rechtsbindungswille des ermächtigten Urhebers maßgeblich, so ist der Rechtscharakter des 4. Aktionsprogramms aufgrund der oben geführten Argumentation abzulehnen. Folglich führt das 4. umweltpolitische Aktionsprogramm zu keinerlei rechtlicher Bindung der Gemeinschaftsorgane, es entfaltet vielmehr nur mittelbare Rechtswirkungen in dem Sinne, daß es im Rahmen der historischen AusEuGHE1980, 1099, 1106undE1980, 1115,1122. Ebenda, S.1103 und 1119. 173 EuGH E 1964, l329ff., 1345. 174 Daß diese Auffassung auch der der anderen Gemeinschaftsorgane entsprach, ergibt sich daraus, daß verbindliche Gemeinschaftsrechtsakte auf dem Gebiet des Umweltrechts auch schon vor Verabschiedung des 1. AP aufgrunddes damaligen Art.100 (1987: lOOa, jetzt: 95) EGV erlassen worden waren. Als Beispiel sei hier exemplarisch die Richtlinie 70/220/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen bezüglich der Verunreinigung der Luft durch Abgase von Kraftfahrzeugmotoren (ABI. 1970 Nr. L 76 S.1 ff.) genannt (weitere bei: Epiney, S. 10, wo sich auch Kritik an der Praxis, Richtlinien und Verordnungen auf die damaligen Art.100 und 235 EGV zu stützen, zitiert findet). 171
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legung sonstigen Gemeinschaftsrechts herangezogen werden kann. Für die hier durchzuführende objektiv-teleologische Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie kann es nicht herangezogen werden. Es stellt eine politische Absichtserklärung175 von nicht zu unterschätzender, vielfaltiger praktischer Bedeutung dar 176. Bezüglich der drei ersten Aktionsprogramm ist schon fraglich, ob diese vor Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte überhaupt mit dem gleichen Inhalt als Rechtsakte hätten erlassen werden können oder ob es insoweit schon an der hinreichenden Nähe zu der in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage des damaligen Art. 100 (nach 1987: 100a, jetzt: 95) EGV mangelt. Selbst wenn ersteres unterstellt wird, gilt jedoch auch für diese Aktionsprogramme, daß sie vom Rat lediglich mit größtmöglicher Distanz als Anhang eigener Entschließungen generell gebilligt werden - so "nimmt der Rat" beispielsweise in der Entschließung über das 3. Aktionsprogramm "Kenntnis von dem im Anhang enthaltenen Aktionsprogramm und genehmigt generell dessen Ausrichtung 177". Folglich muß für die drei ersten Aktionsprogramme im Ergebnis erst recht das gleiche gelten. Auch sie stellen keine Rechtsakte dar und können im Rahmen der objektiv-teleologischen Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie nicht herangezogen werden. Noch eindeutiger gilt dieses Ergebnis auch für die sonstigen gemeinschaftlichen Akte "sui generis" mit umweltinformationspolitischem Inhalt- die bereits oben im Rahmen der historischen Auslegung untersuchten Entschließungen des Europäischen Parlaments zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren und zur Information über Umweltverschmutzung 178 und die ein allgemeines Umweltgrundrecht befürwortende Grundrechtserklärung des Parlaments 179• Diese finden weder an sonstiger Stelle des Primärrechts noch im Katalog des Art. 249 (ex-Art.l89) EGV Erwähnung. Auch eine sonstige Ermächtigung des Parlaments, Rechtsregelungen im Bereich der Umwelt- oder Informationspolitik zu setzen, ist nicht ersichtlich. Sie stellen kein geltendes Recht dar 180. 175 Vgl. dazu im Ergebnis ebenfalls: Epiney, S. 22 und Kahl, S. 61 beide mwN. 176 Zur praktischen Bedeutung vgl. insoweit vor allem: Krämer, in: Rengeling, (EUDUR),
§ 14 Rn 15 ff., die dort indes mit der rechtlichen Bedeutung vermengt wird. -Eine bisher indes kaum beachtete Bedeutung der umweltpolitischen Aktionsprogramme dürfte zusätzlich darin liegen, daß auch ohne gehaltvolle Bindung daran allein die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Programme die Sensibilisierung für die gefährdete Umwelt fördert und damit auch ohne Verbindlichkeitaufgrund ihrer bloßen Existenz den Umweltschutz fördern. 177 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten vom 7.2.1983 (ABI. Nr. C 46/1 f.). Ähnlich in der Erklärung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten (über das l. AP) vom 22.11.1973 (ABI. Nr. C 112/1 f.) und der Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten (über das 2.j\P) vom 17.5.1977 (ABI. Nr.C 139/1 f.). 178 V gl. dazu schon ausführlich oben, 2. b ). 179 Grundrechtserklärung des EP vom 12.4.1989 (ABI. Nr. C 120, S. 52). 18 Für die Grundrechtserklärung und weitere ähnliche Erklärungen des EP im Ergebnis ausdrücklich ebenso: Ruffert, S.41 mwN. Auch insoweit spricht Oppermann, Rn586f. zwar allgemein von ,,Rechtsakten", dies dürfte aber durch den Überblickscharakter seiner Darstellung
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I. Teil: Europarechtliche Vorgaben
Ähnliches gilt im Ergebnis trotz der prinzipiellen Nennung von Stellungnahmen in Art. 249 Abs. 5 (ex-Art. 189 Abs. 5) EGV auch für die oben untersuchten Stellungnahmen des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Richtlinienvorschlag der Kommission für eine Umweltinformationsrichtlinie. - Die Kompetenz zum Erlaß von Rechtsregeln für den Umweltbereich liegt beim Rat. Wirtschafts- und Sozialausschuß und Europäisches Parlament können nach der gemeinschaftlichen Kompetenzverteilung insoweit nicht Urheber abstrakt-genereller Regelungen sein, die im Rahmen der objektiv-teleologischen Auslegung berücksichtigt werden könnten.
b) Maßgebliches Umweltrecht bis 1990 Obwohl die gemeinschaftliche Umweltschutzpolitik zumindest nicht ausdrücklich in den Gründungsverträgen der Gemeinschaften verankert gewesen ist und sie sich auch 181 deshalb erst in den 70er Jahren und auf zunächst unsicherer Rechtsgrundlage zu entwickeln begann, waren bereits vor dem Erlaß der Umweltinformationsrichtlinie 1990 knapp 200 umweltbedeutsame Sekundärrechtsakte der Gemeinschaft in Kraft getreten 182• Getrennt von diesen Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen ist das anders zu begründende und unterschiedlich strukturierte gemeinschaftliche Primärrecht und dabei auch die von der Gemeinschaft eingegangenen völkerrechtlichen Bindungen zu untersuchen. aa) Grundsätze gemeinschaftlichen sekundären Umweltrechts Mehrere Sekundärrechtsakte enthalten Umweltinformationsregelungen, durch die dem einzelnen Informationen durch die Behörden zugänglich gemacht werden sollen, die auch Dritte, typischerweise größere Wrrtschaftsunternehmen, betreffen können 183• Zu unterscheiden sind bei diesen aktiven behördlichen Informationspflichten die gesundheitsschützenden, über spezielle Gefahren informierenden Pflichten, von denen die im Zusammenhang mit der Planung größerer umweltrelevanter Vorhaben im weitesten Sinn ergangen sind und eine Verfahrensbeteiligung der Bürger vorsehen. Die in beiden Gruppen enthaltenen aktiven Informationsbegründet sein, da auch er, ebenda, das geltende Gemeinschaftsrecht als Grenze für ,jede Rechtswirkung sonstiger Rechtsakte" ansieht. 181 Ein weiterer Grund liegt freilich darin, daß auch die Öffentlichkeiten in den Mitgliedstaaten erst kurz zuvor begannen, sich der bestehenden Umweltprobleme bewußt zu werden, und folglich auch Kodifizierungen des Umweltrechts in den Mitgliedstaaten erst in den 70er Jahren in größerem Umfang entstanden. Vgl. dazu: Peine, Kodifikation, S. 23 und Prümm, S.2lf. mwN. 182 Vgl. Krämer, in: G/T/E, 4. (Vor-)Aufl., Vorbemerkung zu Art.l30r-t EGV, Rn 53. 183 Vgl. als ersten Überblick allein: Turiaux, Einleitung, Rn 109ff. mwN, in dem bereits mehr als ein Dutzend solcher Sekundärrechtsakte Erwähnung finden.
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pflichtenkorrespondieren dabei gegebenenfalls mit subjektiven Zugangsrechten der Bürger 184, wie sie die Umweltinformationsrichtlinie enthält. Als Beispiel 185 für die vor allem die Gesundheit schützenden Informationspflichten sei hier Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie über die Gefahren schwerer Unfalle bei bestimmten Industrietätigkeiten genannt 186• Dieser bestimmt, daß die potentiell betroffenen Personen über Sicherheitsmaßnahmen und das richtige Verhalten im Falle bestimmter Industrieunfalle aktiv informiert werden müssen. Exemplarisch 187 für die Informationspflichten der Behörden bei der Anlagenplanung im weitesten Sinn seien hier die im Hinblick auf den Kreis der zu Beteiligenden und den Umfang der UVP-pflichtigen Anlagen besonders weitgehenden Art. 9 und 6 Abs. 2 der UVPRichtlinie 188 genannt. Diese bestimmen, daß der Öffentlichkeit sowohl jeder Genehmigungsantrag, der unter die Richtlinie fallt, als auch die darüber von der Behörde getroffene Entscheidung gegebenenfalls 189 einschließlich der Gründe und Erwägungen zugänglich gemacht werden müssen. Für die erste Normengruppe läßt sich ihre Aussagekraft im Hinblick auf die Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie jedoch relativ unproblematisch verneinen. Ihr normativer Sinn besteht darin, den jeweils kleinen, potentiell von einer durch Menschen geschaffenen speziellen Gesundheitsgefahr betroffenen Teil der Bevölkerung auf das mögliche Eintreten derselben vorzubereiten. Die Information durch die Behörde richtet sich nicht an die Gesamtbevölkerung, sondern ausschnittartig nur an einen kleinen Adressatenkreis innerhalb des Gebietes, in dem sich bestimmte Gefahren möglicherweise auswirken können. Vor allem bestehen aber hinsichtlich vieler vergleichbarer Gefahren keinerlei Informationspflichten, obwohl solche bei184 V gl. zu diesem, in jedem Einzelfall komplizierten Problem, dem hier aufgrund des sogleich gefundenen Ergebnisses nicht näher nachgegangen werden muß, ausführlichst: Ruffert, s. 236ff. 185 Weitere Beispiele für aktive und insbesondere die Gesundheit schützende Informationspflichten sind dargestellt bei: von Schwanenflügel, DVBI. 1991, 93, 96. Nicht in den Kontext des hier untersuchten Informationsdreiecks fallen hingegen die ebenda, unter Nr. 1. dargestellten Beispiele, in denen die Mitgliedstaaten durch Sekundärrecht verpflichtet werden, der Kommission bestimmte Informationen zuzuleiten. 186 Richtlinie des Rates vom 24.6.82, (ABL. L Nr. 230/1, Art. 8 geändert durch ABI. L Nr. 336/14 vom 7.12.88). Nach 1990 erneut geändert durch die Richtlinie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen vom 9.12.1996 (ABI. L 1997 Nr. 10/13 ff.). 187 Weitere bei: von Schwanenflüge I, DVBI. 1991, 93, 96, Nr. 2. 188 Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27.6.1985 (ABI.L Nr. l75/40ff.). Nach 1990 geändert durch die neue UVP-Richtlinie vom 3.3.1997 (ABI. Nr. L 73/5 ff.); erneut geändert durch die Richtlinie 2001/42 EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vom 27.6.2001 (noch nicht im Amtsblatt erhältlich). Dabei beziehen sich die nachfolgenden Zitierungen auf die im hier untersuchten Zusammenhang maßgebliche Fassung des Jahres 1990. 189 Insoweit erlaubt Art. 9 der UVP-Richtlinie auch eine abweichende Regelung durch die Mitgliedstaaten.
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
spielsweise 190 bei der Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe 191 oder zumindest bei der Richtlinie über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch 192 unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes erst recht zu erwarten gewesen wären. Da der Gemeinschaftsgesetzgeber die Bürger also eher zufällig über Umweltgefahren zu informieren scheint, als ein in sich geschlossenes Informationssytem zu normieren, ermöglicht diese erste Normengruppe aufgrund ihres in doppelter Hinsicht ausschnittartigen Charakters allenfalls gewisse, begrenzte umweltinformationspolitische Umkehrschlüsse. - Erläßt der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Vorschrift, die die Behörden der Mitgliedstaaten verptlichtet 193, die potentiell betroffenen Bürger über die möglichen Gefahren schwerer Industrieunfälle zu informieren, so läßt dies vermuten, daß einerseits die übrige Bevölkerung insoweit nicht informiert werden muß und andererseits bei allen anderen und selbst gleich bedrohlichen Gefahren eine solche Verpflichtung der Behörden aufgrund des Gemeinschaftsrechts nicht besteht. Indem der Gemeinschaftsgesetzgeber aber mit dem Erlaß der Umweltinformationsrichtlinie über diese ausschnittartigen Regelungen hinausgeht und das Umweltinformationsverhältnis durch allgemeine Regeln völlig neu gestaltet, vermögen Schlüsse, die sich gerade auf die Abwesenheit einer solchen Informationsregelung, die sich umfassend an die gesamte Bevölkerung richtet, stützen, nicht mehr zu tragen. Vielmehr kann eine Auslegung aus dem Gesamtkonzept verwandter Normen generell nicht darauf beruhen, von bestehenden Detailregelungen auf Inhalte einer neuen allgemeinen Regelung zu schließen- auch insoweit sei hier also ein Beitrag zur allgemeinen juristischen Methodenlehre erbracht. Inwieweit mit diesen gesundheitsschützenden Informationspflichten subjektive Zugangsrechte korrespondieren, kann offen bleiben, da solche mindestens ebenso speziellen Charakter besäßen. Für die Gruppe der aktiven Informationspflichten der Behörden bei der Planung größerer umweltrelevanter Vorhaben ergibt sich ein abweichendes Bild. Jedenfalls Art. 6 Abs. 2 der UVP-Richtlinie bestimmt als Adressatenkreis die gesamte Öffentlichkeit194. Da im Falle eines privaten Projekts sowohl beim Zugänglichmachen des Genehmigungsantrags als auch bei der behördlichen Entscheidung darüber private Weitere bei von Schwanenflügel, DVBI. 1991, 93, 96. Richtlinie des Rates vom 27.6.1967 (ABI. Nr. L 196/1 ff.; bereits vor 1990 fast zwanzigfach geändert, aber nicht hinsichtlich der oben im Text inhaltlich verwendeten Aussage- vgl. dazu: Schulz/Becker, Bd. 4 Nr. EG 290 S. 1). 192 Richtlinie des Rates vom 15.7.1980 (ABI. Nr. L 229/11 ff.). Nach 1990 geändert durch die neue, gleichlautende Richtlinie vom 3.11.1998 (ABI. Nr. L 330/32 ff., berichtigt durch: ABL. 1999 Nr. L 45/55.). 193 Selbstverständlich grundsätzlich erst nach Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten. 194 So der uneingeschränkte Wortlaut, der im Gegensatz zu dem 2. Spiegelstrich und Art. 9 der UVP-Richtlinie nicht nur die "betroffene Öffentlichkeit" nennt und der in diesem Sinn ausdrücklich auch vom Bundesverwaltungsgericht hervorgehoben wird - BVerwG DVBI. 1995, 1012, 1016. 190
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Unterlagen offenbart werden, entsteht insoweit auch ein Informationsfluß im Dreiecksverhältnis. Dabei ist ähnlich wie in Art. 3 Abs. 2 der Umweltinformationsrichtlinie in der 1990 maßgeblichen Fassung des Art. 10 Abs. 1 der UVP-Richtlinie eine Regelung über die legitime Geheimhaltung bestimmter, insbesondere der gewerblichen Geheimnisse enthalten. Insoweit ähneln die umweltinformationsrechtlichen Normierungen der UVP-Richtlinie also durchaus der Umweltinformationsrichtlinie. Außerdem ist kein Sekundärrecht über die Planung ähnlicher Vorhaben ersichtlich, das keinerlei Öffentlichkeitsbeteiligung vorsieht. Fraglich ist jedoch, ob auch die Zielsetzung der UVP-Richtlinie mit dem denkbaren normativen Sinn der Umweltinformationsrichtlinie als verwandt anzusehen ist. Der normative Sinn der Einführung des Instruments der Umweltverträglichkeitsprüfung besteht darin, dem privaten oder öffentlichen Projektträger und den über die Zulässigkeit von Großvorhaben entscheidenden Behörden Erkenntnisse und Informationen über die Auswirkungen bestimmter Projekte auf die natürliche Umwelt möglichst frühzeitig und umfassend zugänglich zu machen 195 • Auch die Öffentlichkeitsbeteiligung dient vor allem dem Ziel, die Informationsbasis der Behörden und Projektträger zu verbessern 196 • Es ließe sich folglich halten, daß - wie auch für die Umweltinformationsrichtlinie denkbar- nach der UVP-Richtlinie eine Instrumentalisierung des Bürgers zum Zweck des Umweltschutzes intendiert sei, die darin bestehe, den Entscheidungsträgern durch die Beteiligung der Bürger am Verwaltungsverfahren die Suche nach einer umweltverträglichen Lösung aufgrund der umfassender zur Verfügung stehenden Umweltinformationen zu erleichtern. Aufgrund dieser Annahme könnten weitere Folgerungen auf den normativen Sinn der Umweltinformationsrichtlinie möglich sein. Dagegen spricht jedoch, daß die Richtung des Informationsflusses in beiden Fällen gegensätzlich ist. Können im Anwendungsbereich der Umweltinformationsrichtlinie ausschließlich die bei den Behörden bereits vorhandenen Informationen abgerufen werden, so kann der Informationsfluß nur dahingehend gerichtet sein, dem Bürger diese Information zukommen zu lassen, also bei ihm einen Wissenszuwachs zu bewirken. Auch nach der UVP-Richtlinie wird zwar die geplante Durchführung eines UVP-pflichtigen Vorhaben allgemein bekannt gemacht und der Bürger insoweit informiert, dies stellt jedoch lediglich den logisch notwendigen und letztlich formalen Ausgangspunkt des Verfahrens dar, der zu keinem über eben diese Information hinausgehenden Wissenszuwachs beim Bürger führen kann. Auch die Bekanntmachung ist eine notwendige Voraussetzung der letztlich angestrebten Zielsetzung, den Projektträgern und den Behörden umweltbedeutsame Informationen zukommen zu lassen. Setzt die Umweltinformationsrichtlinie Informationen bei der Behörde voraus, so sollen der Behörde nach der UVP-Richtlinie die umweltrelevanten projektbezogenen Informationen erst zugänglich gemacht werden. Auch dies ließe sich sicherlich nicht völlig unzutreffend als eine "lnstrumentalisierung des 195 Besonders deutlich insoweit§ 1 UVPG, der sich am damaligen Art. 2 der Richtlinie orientiert. Ebenso: Erbguth/Schink, Einleitung, Rn7f.; Hanneklaus, in: Hoppe, Vorbemerkungen, Rn 3 f., 6; Kloepfer, Umweltrecht, §5 Rn84 mwN. Vgl. auch BayVGH UPR 1992, 157, 158. I% Explizit: Erbguth/Schink, Einleitung, Rn 18; ähnlich auch Hanneklaus, ebenda.
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Bürgers, die letztlich dem Umweltschutz zu Gute kommen soll," bezeichnen, eine "Instrumentalisierung" zum Zweck der Informationserlangung der Behörden und der privaten Projektträger stellt jedoch keinen denkbaren normativen Sinn der Umweltinformationsrichtlinie dar. Darüber hinaus ist der Informationsfluß nach der UVP-Richtlinie nur zeitlich auf die Durchführung des Genehmigungsverfahrens eines Projekts begrenzt, während die Umweltinformationsrichtlinie auch die Informationserlangung nach Abschluß eines solchen Verfahrens ermöglicht, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der normative Sinn der UVP-Richtlinie nicht mehr erreicht werden kann. Damit ist auch die UVP-Richtlinie im Ergebnis nicht im hier untersuchten Sinn als verwandt mit der Umweltinformationsrichtlinie anzusehen. Die Frage, inwieweit mit den Informationspflichten der UVP-Richtlinie subjektive Zugangsrechte des Bürgers korrespondieren, kann offen bleiben. Aus den umweltbedeutsamen Sekundärrechtsakten der Gemeinschaft läßt sich also kein umweltinformationspolitisches Gesamtkonzept konstruieren, das einen Schluß auf den normativen Sinn der Umweltinformationsrichtlinie erlauben würde. bb) Grundsätze höherrangigen, gemeinschaftlichen Umweltrechts Bis 1990 enthielt das geschriebene Primärrecht keinerlei Aussagen umweltinformationspolitischer Art, die Rückschlüsse auf die Ausgestaltung eines allgemeinen Umweltinformationsverhältnisses zwischen Bürger, Behörde und möglicherweise betroffenen Dritten ermöglichen könnten.- In Art. 174 Abs. 3, 1. Spiegelstrich (exArt. 130r Abs. 3, 1. Spiegelstrich) EGV wird allein die Selbstverständlichkeit betont, daß die Gemeinschaft bei der Erarbeitung ihrer Umweltpolitik die verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Daten zu berücksichtigen hat. Auch der jüngere Vorschlag der Kommission von 1991, den EGV durch den Maastrichter Unionsvertrag um ein Umweltinformationszugangsrecht zu erweitern, fand bis heute nicht die Zustimmung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten 197• Der durch den Vertrag von Amsterdam hinzugefügte Art. 255 EGV trifft hingegen keine umweltspezifische Informationsregelung. Das neue, in Art. 2 EGV verankerte Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung enthält keine spezielle Informationsregelung. Möglicherweise ist im Jahre 1990 aber ein allgemeines oder zumindest auf den Zugang zu Umweltinformationen bezogenes Umweltgrundrecht im Gemeinschaftsrecht verankert. Der zum Teil aus Art. 174-176 (ex-Art. 130r-t) EGV abgeleitete allgemeine Grundsatz eines "bestmöglichen Umweltschutzes" besitzt unbestrittenermaßen zwar keinerlei subjektiv-rechtlichen Charakter 198, möglicherweise besteht ein solches Umweltgrundrecht aber als ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind regetVgl. Ruffert, S.40 mwN und Kahl, S. 90 mwN. Vgl. statt aller: Kahl, S. 86ff. mwN. Zur Herleitung dieses Grundsatzes: ders., S. lOff. und S. 69ff. mwN. 197
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mäßig Bestandteil des gemeinschaftlichen Primärrechts 199 und ergeben sich aus einer wertenden rechtlichen Betrachtung der die Gemeinschaft prägenden Rechtsstrukturen. Dies sind die erkennbaren Strukturprinzipien der Gemeinschaften wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts und vor allem die internationalen Menschenrechtskonventionen und die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten200• Diese wertende Rechtsvergleichung orientiert sich dabei weder am kleinsten gemeinsamen Nenner noch an einem durch Kumulation der verschiedenen mitgliedstaatliehen Gewährleistungen definierbaren Maximalstandard. Vielmehr ist die Lösung heranzuziehen, die den gemeinschaftlichen Interessen und Bedürfnissen am besten entspricht. Folglich müssen nicht zwingend alle Verfassungen den gefundenen allgemeinen Rechtsgrundsatz enthalten201 • Im Wege richterlicher Dezision hat der Europäische Gerichtshofaufgrund dieser Erkenntnisquellen fortwährend neue solcher Grundsätze als im Primärrecht verankert angesehen 202 • Bestünde demnach ein allgemeines oder zumindest auf den Zugang zu Umweltinformationen bezogenes Umweltgrundrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts, hätte dies zur Folge, daß die Umweltinformationsrichtlinie in ihrem Kern nur deklaratorischen Charakter besäße und diesen Grundsatz lediglich näher ausgestaltete. Umfassende internationale und nationale Diskussionen über ein allgemeines Umweltgrundrecht begannen Anfang der 70er Jahre als Reaktion auf die als Phänomen und Problem erkennbar werdende zunehmende Umweltverschmutzung 203 • Der Schutzbereich eines trotz aller Diskussion nur schwierig definierbaren allgemeinen Umweltgrundrechts ließe sich in etwa als ein dem einzelnen zustehender subjektiver Anspruch auf ein Dasein in einer intakten Umwelt charakterisieren204 • Ein solches individualrechtliches Umweltgrundrecht mit materiellen Inhalten leidet anerkanntermaßen jedoch vor allem unter seiner grundrechtssystemfremden Struktur, da es vor allem bekanntlich schwer zu realisierende staatliche Leistungspflichten begrün199 Zwar kann nicht allen allgemeinen Rechtsgrundsätzen ein einheitlicher Rang zugewiesen werden, da im Falle der Verletzung der Gemeinschaftsgrundrechte durch die Verträge aber auch letztere gegebenenfalls gemeinschaftsgrundrechtskonform auszulegen sind (EuGH E 1991 I, 2951 , 2964 Rz.43; EuGH E 1992 I, 2601,2609 Rz.23), lassen sich aber zumindestdie Gemeinschaftsgrundrechte uneingeschränkt dem Primärrecht zuordnen. Vgl. zum Ganzen auch: Bleckmann, Rn607. 200 Zu diesem völlig unbestrittenen Problemkomplex statt aller: Oppermann, Rn479ff., 484 f. mwN. 2o1 Vgl. Oppermann, Rn479ff., 483 mwN; Bleckmann, Rn574. 202 Vgl. die zahlreichen Beispiele ebenda. 203 Vgl. beispielsweise die bei Ruffert, S. 20 nachgewiesenen zahlreichen internationalen diesbezüglichen Tagungen z. B. in Bonn, Straßburg, Salzburg und Lissabon und ebenda, S. 31 f. die parallele Entwicklung in Deutschland. 204 Vgl. dazu ähnlich: Krämer, EuGRZ 1988, 285, 286 und Ruffert, S. 22 f. mit Nachweisen vergleichbarer fremdsprachiger Definitionsversuche.
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det und nur an zweiter Stelle darauf abzielt, klassische hoheitliche Eingriffe abzuwehren205. Darüber hinaus ruft es zahlreiche Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Definition von Begriffen wie der "intakten Umwelt" und des "Daseins in der Umwelt" hervor206. Aus diesen Gründen hat es weder in die bedeutsamen rechtsverbindlichen internationalen Verträge und Konventionen noch in die Verfassungen der Mitgliedstaaten, ausgenommen allenfalls 207 der Verfassungen Portugals 208 und Spaniens209, Eingang gefunden 210. Speziell in Deutschland wird darüber hinaus die Relativierung der sonstigen Grundrechte als unmittelbar geltende Rechtsnormen befürchtet und schlechthin die Justitiabilität eines solchen relativ unbestimmten Grundrechts bezweifele 11 • Da aber vor allem die Verfassungen der Mitgliedstaaten und die internationalen Menschenrechtskonventionen den Erkenntnishorizont für die Begründung im Gemeinschaftsrecht verankerter allgemeiner Rechtsgrundsätze darstellen, enthält folglich auch das Primärrecht kein allgemeines Umweltgrundrecht mit materiellem Inhalt. Allein aufgrund des in der portugiesischen Verfassung verankerten Individualrechts im Wege der vom Europäischen Gerichtshof oftmals relativ frei vorgenommenen wertenden Rechtsvergleichung auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Primärrechts zu schließen, erscheint hinsichtlich der mit einem allgemeinen Umweltgrundrecht verbundenen, allerorts betonten Problemstellungen überkonstruiert und deshalb unzulässig 212• Ruffert, S. 20ff. mwN. Ebenso: Krämer, ebenda. Ähnlich: Hobe, ZUR 1994, 15, 18 mwN. 207 Während der Grundrechtscharakter der portugiesischen Bestimmung überwiegend anerkannt wird (Krämer, ebenda; Ruffert, S. 36 f. mwN; Kahl, S. 87 mwN- aA aber: Kloepfer, Umweltrecht, § 9 Rn 133), wird er für die dem Wortlaut nach auf eine Staatszielbestimmung hindeutende Formulierung der spanischen Vorschrift indes überwiegend bestritten (vgl. zum Streit: Kahl, und Ruffert, ebenda mwN), insbesondere auch aufgrundihrer eher geringen praktischen Bedeutung (dazu Ruffert, ebenda). 208 Art. 66 Abs. 1 der Verfassung der Republik Portugal vom 2.4.1976 (zuletzt geändert am 25.11.1992) lautet: "Jeder hat das Recht auf eine menschenwürdige, gesunde und ökologisch ausgewogene Umwelt und ist verpflichtet, für ihre Erhaltung Sorge zu tragen." 209 Art.45 der Verfassung Spaniens vom 29.12.1978 (zuletzt geändert am 27.8.1992) lautet in seinen ersten beiden Absätzen: "(Abs. l) Alle haben das Recht, eine der Entfaltung der Persönlichkeit förderliche Umwelt zu genießen, sowie die Pflicht, sie zu erhalten. (Abs. 2) Die öffentliche Gewalt wacht über die vernünftige Nutzung aller Naturreichtümer mit dem Ziel, die Lebensqualität zu schützen und zu verbessern und die Umwelt zu erhalten und wiederherzustellen. Dabei stützt sie sich auf die unerläßliche Solidarität der Gemeinschaft." 210 Die Verfassungen Belgiens (Art. 23 der koordinierten Verfassung vom 17.2.1994), Deutschlands (Art. 20 a GG), Griechenlands (Art. 24 Abs. 1 der Verfassung vom 11 .6.1975, zuletzt geändert am 12.3.1986), der Niederlande (Art. 21 der Verfassung vom 17.2.1983, zuletzt geändert am I 0.6.1995) und Österreichs (Bundesverfassungs-Gesetz v. 10.11.1920, zuletzt geändert am 21 .12.1994) enthalten demgegenüber lediglich Staatszielbestimmungen, die zum Teil erst nach 1990 in Kraft traten, beziehungsweise im Fall des späteren Beitritts Österreichs Bedeutung erlangen konnten. Vgl. dazu Steinberg, S. 71 und den Abdruck der Verfassungstexte bei: Kimme/, dessen Übersetzungen hier und in den vorangegangenen Fußnoten zugrunde gelegt werden. 2 11 Dazu: Ruffert, S. 32. 212 Im Ergebnis ebenso: Ruffert, S. 38 ff., 40, 42, Zils, S. 13; und Kahl, S. 87 mwN. 2os
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Ob und inwieweit die sogenannten "umweltschützenden Teilgewährleistungen" anderer Grundrechte einen materiellen Grundrechtsschutz gegen Umweltverschmutzungen zu vermitteln vermögen, kann dahingestellt bleiben 213 • Soweit nämlich auch die Gemeinschaftsgrundrechte auf Schutz des Lebens und der Gesundheit ähnlich wie Art. 2 Abs. 2 GG beispielsweise Schutz vor Gefahren der Nutzung von Kernenergieanlagen gewährleisten, geht dieser Schutz nicht über die Tatbestände dieser einzelfallartig zum Tragen kommenden grundrechtliehen Gewährleistungen hinaus. Typisch ist vielmehr, daß der gleiche Schutz auch gegenüber Gefahren ohne umweltrechtlichen Bezug besteht, als Beispiel sei der Anspruch auf Lebensschutz während einer verbrecherischen Entführung genannf14. Da aus diesen nur punktuell justitiablen Schutzpflichten folglich nicht auf ein über die Schutzgüter der einzelnen Grundrechte hinausreichendes allgemeines Grundrecht auf Umweltschutz geschlossen werden kann215 , erlauben solche, in besonders gefährlichen konkreten Situationen begründbaren Schutzpflichten keinerlei Schlüsse auf den Inhalt einer allgemeinen Regelung über die Ausgestaltung des allgemeinen Umweltinformationsverhältnisses zwischen Bürger, Behörde und Dritten. Auch Art. 8 Abs. 1 EMRK, der den Schutz der Wohnung und des Privat- und Familienlebens garantiert, gewährleistet nur diesen teilweisen Schutz vor Umweltverschmutzungen: So sind etwa die unterzeichnenden Staaten verpflichtet, einem bestimmten privatrechtliehen Unternehmen zumdenbare lokale Umweltverschmutzungen, die im Einzelfall für die Wohnsituation der Nachbarn unzumutbare, weil gesundheitsschädigende Immissionen nach sich ziehen, zu untersagen anstatt zu dulden oder sogar zu unterstützen216. Wird in der Praxis folglich nicht mehr für ein Umweltgrundrecht mit einem über die letztlich auf anderen Grundrechten beruhenden Gewährleistungen hinausgehenden materiellen Inhalt gestritten, so gilt das Gegenteil für die Forderung nach der Einführung eines Umweltgrundrechts mit lediglich prozeduralem Inhalt2 17 • Ein solches, praktisch durchführbares prozedurales Umweltgrundrecht könnte aus einem Beteiligungsrecht der Bürger an umweltrelevanten Entscheidungen der Verwaltung, einem individuellen Klagerecht zur Abwehr von Umweltbeeinträchtigungen und einem angemessenen Zugangsrecht zu umweltbezogenen Informationen bestehen218 • Ihm liegt die dem deutschen Recht eher fremde Vorstellung zugrunde, daß die Beteiligung des Bürgers in einem Verfahren per se die Wahrnehmung individueller Rechte bedeutet, selbst wenn damit keine sonstigen materiell definierbaren Rechte 213 Im Ergebnis diese Möglichkeit auch für die Gemeinschaftsgrundrechte vorsichtig bejahend: Ruffert, S.45ff., 62. 21• Vgl. BVerfGE 46, 160, 164f.- "Schleyer". 21s Ebenso explizit: Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rn 19. 216 EGMR EuGRZ 1995, 530, 532f. 217 Kiss, in: Kromarek, S. 13 ff., 25; ders./Shelton, S. 25; Habe, ZUR 1994, 15, 19; Krämer, EuGRZ 1988, 285, 291; Jadot, in: Kromarek, S.51 ff., 51 ; Ruffert, S. 23 mwN. 218 Krämer, EuGRZ 1988, 285, 291 ;Hobe, ZUR 1994, 15, 19;Jadot, in: Kromarek, S.51 ff., 51; Moltke, in: Kromarek, S. 107ff., 112.
5 Strohmeyer
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
verwirklicht werden sollen 219 • Die Formulierung eines Umweltgrundrechts mit solchen rein formellen subjektiven Rechtspositionen unterläge keinerlei definitorischen oder grundrechtsinstitutionellen Bedenken, es ergäbe sich ähnlich dem Inhalt der Informationsrichtlinie ein auch die Beteiligung der Bürger und Rechtsschutz gewährleistendes, unmittelbar geltendes subjektives Recht220 auf einer höheren Rangebene. Mit Blick auf die Aussagekraft der Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie ist indes fraglich, ob - wie dies bei den Befürwortern eines rein prozeduralen Umweltgrundrechts zum Teil anklingt221 - die Existenz eines zumindest umweltinformationsbezogenen ungeschriebenen Zugangsgrundrechts als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts nachgewiesen werden kann. Die den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zugrundeliegenden internationalen Menschenrechtskonventionen oder die Verfassungen der Mitgliedstaaten müßten also ein solches Zugangsrecht zumindest im Ansatz bereits 1990 beinhaltet haben. Während Versuche, die EMRK mit umweltbezogenen Individualansprüchen anzureichern, mißlangen 222, enthält auf universeller Ebene nur die Rio-Erklärung der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro 1992 umweltgrundrechtliche Ansätze. Diese statuiert in ihrem Grundsatz 1 ein Recht "der Menschen" auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur und in Grundsatz 10 ein "angemessenes Umweltinformationszugangsrecht" des einzelnen. Gleichwohl vermag die Erklärung von Rio jedoch keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Primärrechts zu begründen, weil sie der Kategorie der nicht rechtsverbindlichen, sondern nur politisch in gewisser Hinsicht verbindlichen völkerrechtlichen Erklärungen zuzuordnen ist223 • Da sie darüber hinaus erst aus dem Jahre 1992 stammt, kann auf eine Auseinandersetzung mit den problematischen, in Anführungsstriche gesetzten Begriffen unterbleiben 224 • Umstritten ist hingegen die Verbindichkeit der auf dem Gipfel in Nizza im Januar 2001 verabschiedeten EU -Grundrechtscharta225 • Demgegenüber beansprucht das am 25 .6.1998 219 V gl. dazu die interessanten Ausführungen bei: Winter; in: UTR 22, S. 83 ff. und explizit bezeichnenderweise nicht aus dem deutschen Rechtskreis: Kiss/Shelton, S. 25: "The right to liberty and to security, an abstract concept which is not easy to translate into substance by other means, establishes itself in procedural guarantees. That which the law assures is the existence and proper functioning of certain procedures which constitute protection against arbitrary action, preventing the organs of the state from infringing upon the liberty and security of its citizens .... So conceived, the right to environment is as concrete in its implementation as any other right guaranteed to individuals or groups." 220 Ähnlich: Kiss, in: C/C/W, S. 51 f. : "Le droit a Ia protection de l'environnement peut etre concu comme Je droit a l'information de chaque individu de ce qui pourrait affecter son environnement, Je droit aIa participation du processus decisionel et Je droit au recours au cas ou ces regles auraient ete violees." 221 Vgl. insbesondere: Krämer, in: UTR 22, S. 77. 222 Vgl. zu den verschiedenen, unter anderem von Deutschland angeregten Versuchen: Ruffert, S.28f. mwN. 223 Ruffert, S. 26; Kloepfer, Umweltrecht, § 9 Rn 94, 66. 224 Vgl. zu diesen: Ruffert, S. 26 mwN. m Vgl. insoweit: Alber, EuGRZ 2001 , 349, 350ff. mwN.
A. Die Zwecke des Umweltinfonnationszugangsrechts
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in Aarbus (nicht von der EU) unterzeichnete und im Herbst 2001 in Kraft getretene Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten völkerrechtliche Verbindlichkeit 226 • Unabhängig von ihrer Verbindlichkeit können aber auch diese ebenfalls nach 1990 unterzeichneten Dokumente nicht mehr den Sinn der früher verabschiedeten Umweltinformationsrichtlinie erklären. Sonstiges, für die Gemeinschaft verbindliches umweltinformationsbezogenes Völkerrecht ist nicht ersichtlich227 • Bezüglich der Verfassungen der Mitgliedstaaten ist vorab zu bemerken, daß viele Mitgliedstaaten schon vor Erlaß der Umweltinformationsrichtlinie ein Umweltinformationszugangsrecht in ihren Rechtsordnungen verwirklicht hatten 228, mit Ausnahme Italiens regelmäßig als ein Teil eines allgemeinen lnformationszugangsrechts. Ausgangspunkt dieser Rechtslage stellen jedoch keine durch die Verfassungen dieser Staaten garantierten Umweltgrundrechte dar.- Wie soeben kursorisch gezeigt werden konnte, ist ein individuelles Umweltgrundrecht nämlich nur in der Verfassung Portugals verankert 229, ohne indes ein spezielles prozeduralesRecht ausdrücklich zu erwähnen. Folglich läßt sich auch im Wege großzügiger wertender Rechtsvergleichung kein gemeinschaftsrechtlicher allgemeiner Grundsatz eines lndividualgrundrechts auf Umweltinformationszugang ableiten. Insgesamt läßt sich mithin festhalten, daß das gemeinschaftliche primäre Umweltrecht jedenfalls im Jahre 1990 keine allgemeinen Rechtsgrundsätze enthält, die eine Aussage über die Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie ermöglichen könnten. Erst recht statuiert das Primärrecht insoweit folglich keine generellen Vorgaben für die Ausgestaltung eines Umweltinformationsverhältnisses durch die Gemeinschaftsorgane. c) Maßgebliches Informationsrecht bis 1990 Im Gegensatz zu den zahlreichen gemeinschaftlichen Sekundärrechtsakten des Umweltrechts sind auf dem Gebiet des sekundären Informationsrechts bis 1990 keinerlei gemeinschaftliche Aktivitäten ersichtlich230 • Auch geschriebenes Primärrecht 226 Vgl. dazu die Ausführungen der Kommission in ihrem Bericht an den Rat und das EP über die Erfahrungen aus der Anwendung der Umweltinformationsrichtlinie vom 29.6.2000 (KOM (2000), 400 endg.), S. 9 f. 227 Vgl. auch den Überblick zum 1990 insoweit geltenden Recht bei Kloepfer, Umweltrecht, 1. (Vor-)Auf!., § 6 Rn 30. 228 Zu nennen sind hier Dänemark, Schweden, Griechenland, die Niederlande, Frankreich, und Italien. Bezüglich ihrer Fundstellen vgl.: Turiaux, Einleitung, Rn !Off. 229 Art. 66 Abs. 1 der Verfassung der Republik Portugal vom 2.4.1976, zuletzt geändert am 25.11.1992. 230 Gegenteiliges gilt für die nach 1990 beginnende lebhafte Entwicklung im Bereich des Zugangs zu Rats- und Kommissionsdokumenten durch den Verhaltenskodex 93n39!EG v. 6.12.1993 für den Zugang der Öffentlichkeit zu Rats- und Kommissionsdokumenten (ABI. Nr. L 340/41), der näher konkretisiert wird durch den Beschluß des Rates 93n31/EG v. 20.12.1993 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten (ABI. Nr. L 340/43) und
s•
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I. Teil: Europarechtliche Vorgaben
besteht bis 1990 insoweit nicht231 • Als ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze des primären Gemeinschaftsrechts erkannten der Europäische Gerichtshof beziehungsweise das Gericht erster Instanz hingegen ein Recht auf Akteneinsicht 232 und ein Recht auf Information 233 an. Diese richterlich anerkannten Informationsrechte stehen in allen Entscheidungen jedoch in engem Zusammenhang mit der Verteidigung sonstiger materieller subjektiver Rechte. Sie sind demnach keinesfalls voraussetzungslos im Sinne der Umweltinformationsrichtlinie und kommen folglich nicht als verwandte Normen in Betracht. Für die Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie von Bedeutung könnten aber einerseits die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sein, andererseits die verbindlichen internationalen Menschenrechtskonventionen. Demgegenüber sind unverbindliche 234 internationale Empfehlungen und Erklärungen - wie die Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung des Buroparats über die Erweiterung des Informationszugangs der Öffentlichkeit235 oder Art.19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der das Recht auf Empfang von Inforden Beschluß der Kornmission 94/90/EGKS, EG, Euratom v. 8.2.1994 über den Zugang zu den der Kornmission vorliegenden Dokumenten (ABI. Nr.L 46/58). Vgl. auch die jüngste Entwicklung in Form der ab dem 3. Dezember 2001 geltenden Verordnung (EG) Nr.1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vorn 30. Mai 2001 (ABI. EG Nr. L 145/43) über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kornrnission in Verbindung mit den dann unmittelbar geltenden Grundsätzen des neuen Art. 255 Abs. 1 EGV. Diese Verordnung ist gemäß ihres Art.19 S. 1 zwar bereits am 3. Juni 2001 in Kraft getreten, sie soll nach S. 2 ausdrücklich aber erst ab dem 3.12.2001 gelten und die bis dahin unter dem Vorbehalt derartiger ausführender Bestimmungen stehende Geltung des neuen Art.255 Abs. 1 EGV aktivieren. -Vgl. zum Ganzen ausführlich unten, Teil 2, C. III. I. b) "Stichwort: EU-Recht". 231 Nach Inkrafttreten des Vertrags von Arnsterdam hätte sich beispielsweise die Frage gestellt, ob nicht die nunmehr in Art. 255 EGV verankerten Informationsansprüche des Bürgers allgerneine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts darstellen, die auch für die Interpretation der Umweltinformationsrichtlinie von Bedeutung sind. 232 EuGH E 1979,461, 512f.; EuGH E 1993 II, 389, 404f. Rz.29f.; EuGH E 1995 II, 1779, 1802 Rz. 59 rnwN; EuGH E 1995 II, 1851, 1880 Rz. 69. 233 Kokott, AöR 121 (1996), 599,617 mit Verweis aufEuGH E 1991 I, 3236,3241 Rz.17. Insoweit ist allerdings noch nicht abschließend geklärt, ob die in der Entscheidung erläuterte aktive Informationspflicht der Gemeinschaftsbehörden mit einem subjektiven Informationsrecht des einzelnen korrespondiert. Da es aber auch insoweit letzlieh um die Wahrung der Verteidigung sonstiger materieller Rechte geht, muß dem nicht näher nachgegangen werden. 234 Vgl. zur Unverbindlichkeit der Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung: Cartou, A 1/1 S. 7 ff., 9, der diese Unverbindlichkeit für Handlungen der Parlamentarischen Versammlung auch damit begründet, daß diese lediglich "die Funktion eines ,Forschungslaboratoriurns' füreuropäische Ideen und Lösungen habe". Zur Unverbindlichkeit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Seidl-Hohenveldern, Rn 1585. 235 Vgl. einerseits die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarals vom 23.1.1970 über Massenmedien und Menschenrechte, die eine Erweiterung des Art. IO EMRK vorsah (Empfehlung 582/1970), andererseits die Empfehlung vorn 1.2.1979 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Regierungsdokumenten und die Informationsfreiheit (Empfehlung 854/1979).
A. Die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts
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mationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln und ohne Rücksicht auf Grenzen gewährleistet - vom Europäischen Gerichtshof bei der Ermittlung allgemeiner Rechtsgrundsätze bisher- soweit ersichtlich - nicht herangezogen worden. Neben den Verfassungen der Mitgliedstaaten sind folglich Art. 10 Abs. 1 der EMRK und Art. 19 Abs. 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte zu untersuchen, die jedermann das Recht auf freien Informationsempfang einräumen. Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK garantiert jedermann die Freiheit zum Empfang von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und enthält seinem Wortlaut nach folglich keine Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. HS GG vergleichbare Beschränkung auf allgemein zugängliche Quellen. Dementsprechend hatte die Europäische Kommission für Menschenrechte zunächst offen gelassen, ob mit Art. 10 EMRK ein uneingeschränktes Recht auf Einsicht in Akten der öffentlichen Verwaltung verbunden ist236• Nur kurze Zeit später verneinte sie jedoch einen Anspruch, die Namen der Mitglieder einer Verwaltungskommission zu erfahren, die über die Einstufung des Beschwerdeführers in einem Gefängnis zu entscheiden hatten237 • Abgelehnt wurde auch ein Recht auf Information über Eintragungen in einem geheimen Register, da aus Art. 10 EMRK nicht folge, daß ein Staat der Verpflichtung unterläge, bestimmte Informationen einem Individuum tatsächlich zu geben 238 • Aufgrund dieser Spruchpraxis wird die Informationsfreiheit nach der EMRK nunmehr allgemein in dem restriktiven Sinn verstanden, daß sie kein uneingeschränktes Recht aufEinsieht in Akten der öffentlichen Verwaltung gewährleistet239 • Dies hatten zuvor auch zwei Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung bereits mittelbar zum Ausdruck gebracht, indem sie eine dahingehende Erweiterung des Art. 10 der EMRK vorsahen240. Auch die Informationsfreiheit der EMRK ist folglich nicht als mit der Umweltinformationsrichtlinie verwandt anzusehen. Tatbestandlieh weiter als Art. 10 EMRK geht die durch Art. 19 Abs. 2 des IPbürgR gewährleistete Informationsfreiheit, die den Empfang von Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift, oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl gewährleistet. Insoweit vermittelt die eher spärlich ergangene Spruchpraxis jedoch keinen Aufschluß darüber, ob auch ein Recht auf Einsicht in behördliche Akten gewährleistet wird 241 . Da die universellen Menschenrechtsge236 Korn-E 8383n8, Decisions and Reports, 17, 227. (Amt!. Sammlung dieser Kommission seit 1975). 237 Korn-E 8575n9, Decisions and Reports, 20, 203. 238 Leander ./.Schweden, GH 116,29 Ziff. 74; Gaskin ./. GB, GH 160, 20f. (Kom-B 9248/81 vom 17.5.1985). 239 Villiger, Rn599; Frowein/Peukert, Art.lO Rn392; Seidel, S.103. 240 Vgl. einerseits die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 23.1.1970 über Massenmedien und Menschenrechte, die eine ausdrückliche Erweiterung des Art. 10 EMRK vorsah (Empfehlung 582/1970), und andererseits die Empfehlung vom 1.2.1979 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Regierungsdokumenten und die Informationsfreiheit (Empfehlung 854/1979). 241 Ebenso: Seidel, S. 108 ff. mwN über die ergangene Spruchpraxis.
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l. Teil: Buroparechtliche Vorgaben
währleistungen vom Europäischen Gerichtshof auch nur sporadisch als Auslegungshilfe für das Gemeinschaftsrecht oder als zusätzliche Legitimation für ein von ihm gefundenes Ergebnis herangezogen werden 242, sei hier deshalb der Schluß zulässig, daß auch Art. 19 Abs. 2 des IPbürgR keine Aussage über die Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie erlaubt. Für die Verfassungen der Mitgliedstaaten ergibt sich bei der Gewährleistung allgemeiner Informationsfreiheit ein ähnliches Bild wie für die Gewährleistung eines allgemeinen oder umweltinformationsbezogenen Umweltgrundrechts: Nur die Verfassungen Finnlands und Schwedens garantieren eine Informationsfreiheit, die sich explizit auch auf den Zugang zu Dokumenten und anderen Aufzeichnungen im Besitz der Behörden erstreckt, soweit dieser Zugang nicht aus zwingenden Gründen eingeschränkt worden ist243 • Daneben enthalten nur die Verfassungen Portugals und Spaniens weitreichende auf den Empfang von Informationen gerichtete Grundrechte, ohne dabei eine konkrete Aussage zu treffen, ob davon auch ein Zugangsrecht zu Behördenakten umfaßt wird 244 • Wird diese Frage im Grundgesetz durch die Beschränkung der Informationsfreiheit auf allgemein zugängliche Quellen verneint, so stellt die griechische Verfassung die prinzipielle Pflicht der Behörde, den Bürgern auf Antrag Auskünfte zu erteilen, unter den Vorbehalt des Erlasses eines dahingehenden die Behörden verpflichtenden Gesetzes 245 • Demgegenüber gewähren die Verfassungen aller anderen Mitgliedstaaten kein Grundrecht auf Informationsfreiheit, auch nicht in den Mitgliedstaaten, in denen ein weitgehendes allgemeines Informationszugangsrecht einfach-gesetzlich eingeführt wurde und seit vielen Jahren praktiziert wird 246 • Eine wertende Betrachtung der Verfassungen der Mitgliedstaaten kann nur ergeben, daß ein allgemeines Akteneinsichtsrecht keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts darstellt. Insgesamt enthält das gemeinschaftliche Informationsrecht bis zum Jahr 1990 also auch bei wertender Betrachtungsweise keinerlei Grundsätze, die zur Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie aus dem Gesamtkonzept des verwandten GeVgl. insoweit Oppermann, Rn491 f. und Bleckmann, Rn588 jeweils mwN. § 10 Abs. 2 der Finnischen Regierungsform vom 17.7.1919 (zuletzt geändert am 1.8.1995). Kapitell § 3 der Verfassung des Königreichs Schwedens vom 1.1.1975 (zuletzt geändert am 1.1.1980) in Verbindung mit Kapitel 2 § 1 des Pressefreiheitsgesetzes. 244 Art. 37 Abs. 1 der Verfassung der Republik Portugal vom 2.4.1976 (zuletzt geändert am 25.11.1992) und Art. 20 Abs. I d) der Verfassung Spaniens vom 29.12.1978 (zuletzt geändert am 27.8.1992). Art. 268 der portugiesischen Verfassung, der den Bürgern auf Verlangen das Recht einräumt, von der Verwaltung über die Vorgänge informiert zu werden, an denen sie ein unmittelbares Interesse haben, und Art. 105 b) der spanischen Verfassung, nach dem selbst der Zugang des Bürgers zu Registern und Archiven unter einem gewährenden Gesetzesvorbehalt steht, sprechen indes eher dagegen, daß auch ein allgemeines Akteneinsichtsrecht gewährleistet werden soll. Ähnlich: von Schwanenflügel, DVBI. 1991, 93, 95 (Fn 31, 32). 245 Art. 10 Abs. 3 der Verfassung der Republik Griechenland vom 11.6.1975 (zuletzt geändert am 12.3.1986). 246 Vgl. zu den einzelnen Verfassungstexten die Übersetzungen bei: Kimme/, dessen Übersetzungen hier und in den vorangegangenen Fußnoten zugrunde gelegt wurden. 242 243
A. Die Zwecke des Umweltinfonnationszugangsrechts
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meinschaftsrechts beitragen könnten. Die Gemeinschaft konnte ein Umweltinformationszugangsrecht vielmehr nur sekundärrechtlich einräumen, ähnlich wie viele Mitgliedstaaten ein solches Recht auf einfach-gesetzlicher Ebene eingeführt haben. Eine dahingehende Verpflichtung der Gemeinschaftsorgane aufgrund des Primärrechts bestand nicht. Trotz zahlreicher, an verschiedenster Stelle bestehender Umweltinformationsregelungen und umweltinformationsbezogener Absichtserklärungen lassen diese keinerlei Aussage im Hinblick auf die Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie zu. Auch die objektiv-teleologische Auslegung aus dem Gesamtkonzept gemeinschaftlichen Umweltinformationsrechts ist erfolglos. Ihr können keine weiteren denkbaren Interpretationsansätze entnommen werden.
111. Ermittlung des normativen Sinns der Umweltinformationsrichtlinie mittels historisch-teleologischer Auslegung Konnte gezeigt werden, daß auf den Wortlaut gestützte und systematisch-teleologische Auslegungsansätze, den normativen Sinn der Umweltinformationsrichtlinie nicht erklären zu vermögen, so kommen nunmehr allein historische Interpretationsmöglichkeiten in Betracht. Mag die Behauptung, der Zweck eines europäischen Sekundärrechtsakts ergebe sich aus den einer Verordnung oder Richtlinie vorangestellten Erwägungsgründen 247 auch unangemessen übertrieben sein, so stellt der Europäische Gerichtshof bei der Auslegung des Sekundärrechts aber durchaus verstärkt auf subjektive Auslegungskriterien ab 248 • Lassen sich die Ziele eines abstraktgenerellen Sekundärrechtsakts nicht unmittelbar seinen einzelnen Regelungen entnehmen, greift der Gerichtshof bei der Ermittlung der Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers in der Tat vor allem auf die dem Sekundärrechtsakt vorangestellten Erwägungsgründe zurück 249, zusätzlich aber auch auf die Entstehungsgeschichte der Norm 250• Die Erwägungsgründe, deren eigentliche Funktion die Erfüllung der Begründungspflicht nach Art. 253 (ex-Art. 190) EGV darstellt251 , werden damit zum wichtigsten Faktor historischer Auslegung. Der normative Sinn der Umweltinformationsrichtlinie ergibt sich folglich aus der Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers der Umweltinformationsrichtlinie.
So und ohne jegliche Einschränkung aber: Schmalz, Rn275, 268. Bleckmann NJW 1982, 1177, 1178; vgl. auch die Entscheidungen des EuGH in den nachfolgenden Fn. 249 Vgl. beispielsweise: EuGH E 1980,813, 823; 1983,3781, 3791ff.; 1991,2069,2176. 250 Vgl. beispielsweise: EuGH E 1976, 153, 160; 1979,2693,2701. Außerdem: Bleckmann, NJW 1982, 1177, 1178 und Lutter, JZ 1992,593,599 beide mwN. 251 Schmidt, in: G{f/E, Art.190 Rn3ff. 247 248
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
l. Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers Gemäß der im Jahre 1990 geltenden Fassung des Art. 130s Abs. 1 EGV konnte die Umweltinformationsrichtlinie nur aufgrundeines einstimmigen Beschlusses des Rates verabschiedet werden. Das Parlament war nur anzuhören und konnte deshalb nur unverbindliche Stellungnahmen abgeben, während die Konsequenzen des Initiativrechts der Kommission im Anschluß zu erläutern sind. Als historischer Gesetzgeber der Umweltinformationsrichtlinie ist also allein der Rat anzusehen. Die mit der Umweltinformationsrichtlinie verbundene Konzeption des Rates konnte aber bereits oben252 unter Anwendung der soeben genannten, auch vom Gerichtshof verwendeten Methoden herausgearbeitet werden. Sie sei hier nochmals kurz zusammengefaßt: Der Umweltinformationsrichtlinie selbst konnte die Konzeption des Rates nicht entnommen werden, auch die darin enthaltenen Abweichungen vom durch die Kommission vorgeschlagenen Text führten nicht weiter. Demgegenüber ließen die Erwägungsgründe des Rates umfassende Schlüsse zu. Einerseits, weil durch ihren Verweis auf ausgewählte Dokumente der Entstehungsgeschichte der Umweltinformationsrichtlinie ein größeres Argumentationspotential eröffnet wird. Andererseits, weil sie zum Teil deutlich von den von der Kommission vorgeschlagenen Erwägungsgründen abweichen und sich der Rat auf diese Weise wie auch durch die Auswahl einiger bestimmter Dokumente zumeist gezielt von den Konzeptionen der anderen Gemeinschaftsorgane abgrenzt. Diese Abgrenzungen ergaben, daß die mit der Umweltinformationsrichtlinie verfolgte Konzeption des Rates hauptsächlich darin besteht, den Umweltschutz zu verbessern. Dabei legte sich der Rat weder auf den Instrumentalisierungs- noch auf den Sensibilisierungsgedanken fest. Da er beide Varianten durchaus anspricht, sind damit beide Wirkungsweisen aber keinesfalls ausgeschlossen. Daneben spielt für den Rat als Nebenzweck auch die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen eine Rolle 253 • Soweit sich aus dem folgenden keine Einschränkungen oder Präzisierungen ergeben, entspricht diese Konzeption folglich dem normativen Sinn der Umweltinformationsrichtlinie. 2. Art.250 (ex-Art.189a) EGV als Beschränkung des historischen Gesetzgebers Fraglich ist jedoch, wie sich die angesprochene Verkürzung der Gesetzgebungskompetenz des Rates um das grundsätzlich bei der Kommission liegende Gesetzgebungsinitiativrecht254 auf die Aussagekraft der Einstufung des Rates als dem historischen Gesetzgeber und die von ihm verfolgten Zwecke auswirkt. Als Konsequenz dieses Vorschlagsmonopols der Kommission bestimmt Art. 250 (ex-Art. 189a) V gl. dazu umfassend oben, II. 2. d). V gl. ebenda. 254 Vgl. zu dem gesamten hier betrachteten Problemkomplex auch schon oben, S. 7f., 21 mwN. m
253
A. Die Zwecke des Umweltinfonnationszugangsrechts
73
EGV 255 , daß der Rat Abweichungen von einem Vorschlag im herkömmlichen Anhörungsverfahren nur einstimmig beschließen kann. Unter keinen Umständen dürfe der Rat den Vorschlag völlig neu formulieren 256 • Er nehme sonst einen Rechtsakt an, zu dem es keinen Vorschlag gebe257 • Vielmehr muß der letztlich vom Rat angenommene Rechtsakt auch nach seiner Änderung noch den gleichen Gegenstand betreffen und dem Zweck des Kommissionsvorschlags entsprechen 258 • Die vom Rat beschlossene Umweltinformationsrichtlinie müßte alsotrotzaller vom Rat vorgenommenen Änderungen denselben Gegenstand regeln und demselben normativen Sinn wie der Kommissionsvorschlag dienen. Betreffen die im Richtlinientext vom Rat vorgenommenen Änderungen nicht den Kern der Umweltinformationsrichtlinie 259 , so kann auch bezüglich des Vergleichs der Konzeptionen auf oben gefundene Ergebnisse verwiesen werden: Auch nach der Konzeption der Kommission dient die Umweltinformationsrichtlinie vor allem der Verbesserung des Umweltschutzes 260, die vor allem durch die Instrumentalisierung des Bürgers erreicht werden soll. Der Hauptzweck der Umweltinformationsrichtlinie stimmt also mit dem diesbezüglichen Vorschlag überein, wie auch in der übereinstimmenden, von Rat und Kommission getroffenen Wahl des damaligen Art. 130 s EGV als Ermächtigungsgrundlage zum Ausdruck kommt. Ferner betrachten Rat und Kommission die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen als Nebenzwecke der Richtlinie. Unabhängig davon, daß die Kommission mit ihrem Vorschlag über den Rat hinausgehend als Nebenzwecke auch eine Verbesserung des Rechtsschutzes der Bürger in Umweltverwaltungsverfahren und eine gewisse zusätzliche Demokratisierung der verpflichteten Verwaltung erreichen wollte 261, kann folglich von einer hinreichenden Übereinstimmung der von Rat und Kommission verfolgten Zwecke ausgegangen werden. Bei Übereinstimmung des Hauptzwecks und eines Nebenzwecks kann von einem aliud keine Rede sein, selbst wenn der Rat weitere von der Kommission vorgeschlagene Nebenzwecke bewußt ausklammert. Den Anforderungen des Art. 250 (ex-Art.l89a) EGV ist damit genügt.
IV. Ermittlung der Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts Lassen sich als Hauptzweck der Richtlinie vorerst also der Umweltschutz und als Nebenzweck die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen festhalten, so gebietet die Eigenart der Umweltinformationsrichtlinie eine weitere Überprüfung des bisher Im Jahre 1990 ergab sich diese Rechtsfolge aus dem damaligen Art. 149 Abs. 1 EGV. Schmitt von Sydow, in: G{f/E, Art.155, Rn43; Schoo, in: G{f/E, Art. 189a, Rn 12. 257 EuGH E 1989, 1517, 1549f.; Schoo, ebenda, Rn 14. 258 Ebenda. 259 Vgl, dazu schon oben, II. 2. d). 260 Vgl. dazu oben 11.2.e). 261 Vgl. insoweit ebenda. 255
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
gefundenen Ergebnisses. - Wirkt die Richtlinie aufgrund der Zwischenschaltung der instrumentalisierten oder sensibilisierten Bürger im Hinblick auf diese Zwecke nur mittelbar, so muß an dieser Stelle zumindest ansatzweise empirisch überprüft werden, ob und gegebenenfalls wie ihre Vorschriften überhaupt zu mehr Umweltschutz und weniger Wettbewerbsverzerrung führen können. Ansonsten lägen die hinter der Richtlinie stehenden Absichten des Rates im Bereich rechtlich irrelevanter politischer Beweggründe, die allein die Inanspruchnahme einer gemeinschaftlichen Ermächtigungsgrundlage nicht zu rechtfertigen vermögen 262. Eine umfassendere, statistische Problemstellungen berücksichtigende Untersuchung der empirischen Erfahrungen mit der Richtlinie und anderen Informationszugangsrechten soll in Teil 2 erfolgen. 1. Erreichbarkeit des Umweltschutzziels
Zumeist wird angenommen, die Umweltinformationsrichtlinie versuche, den Bürger zu instrumentalisieren, indem sie durch die Einräumung eines subjektiven Informationsanspruchs eine größere Öffentlichkeit des Verwaltungshandeins schaffe, um so mittelbar den Vollzug des geltenden Umweltrechts zu beeinflussen 263 . Basierte diese Einschätzung zunächst eher auf sicherlich nicht fernliegenden Behauptungen, so konnten zwischenzeitlich durchgeführte empirische Untersuchungen zeigen, daß die Instrumentalisierung des Bürgers zumindest von dahingehendem Erfolg gekrönt ist264 , daß das Zugangsrecht überhaupt von den Bürgern wahrgenommen wird. Folglich erscheint die Eignung des Umweltinformationszugangsrechts, den Vollzug der Umweltgesetze und damit den Umweltschutz zu verbessern, nach einem ersten näheren Blick als wahrscheinlich 265 . Andererseits wird eine Realisierung des mit der Richtlinie bezweckten Umweltschutzziels aber auch dadurch erwartet, daß die Verbreitung von Umweltinformationen zu einer Erweiterung des Umweltbewußtseins der Bürger führe. Ein gesteigertes Umweltbewußtsein rufe einerseits eine größere Akzeptanz von Umweltschutzmaßnahmen in der Bevölkerung hervor, andererseits umweltfreundlicheres Verhalten266. Empirisch-psychologisch ließ sich auch dieser von der Kommission und anderen Gemeinschaftsorganen unterstellte Zusammenhang von erhöhter Kenntnis 262 Vgl. dazu insbesondereEuGH E11991, 2867,2898 Rz.10 (Titandioxid). Zum Nachweis, daß der EuGH vielmehr zunehmend auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Kriterien abstellt, vgl. außerdem die bei Turiaux, Einleitung, Rn 164 dargestellte Rechtsprechung des EuGH. 263 So explizit: Reinhardt, Die Verwaltung 1997, 161, 164. Ähnlich aber auch: Röger, UIG, §I Rn4; Fluck/Theuer, § 1 Rn 11; Erichsen!Scherzberg, S. 1 f.; vgl. auch die Kommission im 6. Erwägungsgrund des geänderten Vorschlags für eine Umweltinformationsrichtlinie vom 20.3.1990 (ABI. Nr. C 102/6 v. 24.4.1990). 264 Vgl. für Deutschland insbesondere die empirischen Daten bei: Albin, S.134ff., 156. 265 Ausführliehst dazu, unten, Teil 2, C. 266 Röger, UIG, § 1 Rn4; Fluck!Theuer, § 1 Rn 11 mwN; Erichsen!Scherzberg, S. 1 f.; vgl. Kommission in: 4.AP, ABI. Nr.C 70 vom 18.3.1987, S.16f. (2.6.3.ff.).
A. Die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts
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von Umweltproblemen, die zu gesteigertem Umweltbewußtsein und damit letztlich zu einer höheren Umweltverantwortung führt, alsbald praktisch nachweisen267 . Insoweit besteht folglich auch ein hinreichender empirischer Zusammenhang zwischen erzieherischer Verbreitung von Umweltinformationen, höherem Umweltbewußtsein und Verbesserung des Umweltschutzes. Fraglich ist aber, ob durch die Regelungsgegenstände der Umweltinformationsrichtlinie überhaupt eine Verbreitung von Umweltinformationen in diesem Sinne erreicht werden kann, wie sich Art. I der Richtlinie ausdrücklich zum Ziel setzt. - Auf der Hand liegt nämlich, daß von dem Umweltinformationszugangsrecht überwiegend nur die Bürger und Umweltschutzverbände Gebrauch machen, die sich ohnehin für Aspekte des Umweltschutzes einsetzen oder interessieren268. Deren Umweltbewußtsein muß aber nicht erst geweckt werden. Der Gebrauch des Umweltinformationszugangsrechts setzt insoweit vielmehr bereits ein gewisses Umweltbewußtsein voraus. Bezüglich der Inanspruchnahme des Zugangsrechts durch Industrieunternehmen u. ä. ist hingegen fernliegend zu vermuten, daß ein Umweltbewußtsein bei der kommerziellen oder auf die Abwehr von Umweltschutz zielenden Nutzung des Zugangsrechts entstehen könnte. Folglich führt das Zugangsrecht nicht zu einer Verbreitung von Umweltinformationen und damit zu keinem größeren Umweltbewußtsein 269. Zu beachten ist jedoch, daß Regelungsgegenstand der Umweltinformationsrichtlinie nicht allein das Zugangsrecht ist. In Art. 7 der Richtlinie ist vielmehr auch eine aktive Informationspflicht der Mitgliedstaaten enthalten. Danach "ergreifen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um der Öffentlichkeit allgemeine Informationen über den Zustand der Umwelt, z. B. durch die regelmäßige Veröffentlichung von Zustandsberichten, zur Verfügung zu stellen". Insoweit enthält die Richtlinie also auch einen informationsverbreitenden, erzieherischen Teil, für dessen umweltschützenden Erfolg ein empirischer Nachweis prinzipiell erbracht ist270. Diese aktive Informationspflicht besteht ihrerseits unabhängig vom Zugangsrecht271. Werden zum Teil also sowohl Instrumentalisierung als auch Sensibilisierung gleichzeitig als Mechanismen der Richtlinie zur Erreichung des Umweltschutzziels angesehen 272 , so könnte dies in der Unterscheidung von Zugangsrecht und aktiver Informationspflicht seine Berechtigung finden. Auch die Konzeption des Rates, sich weder auf Instrumentalisierung noch auf Sensibilisierung festzulegen, könnte darin und in Anbetracht der bei den Erwägungsgründen üblichen und generell auch gebotenen Kürze ihren guten Grund finden. Die aktive InformationsJanssen, in: Bruns, S. 77ff., 82ff. Vgl. insoweit auch die bestätigenden empirischen Ergebnisse des Österreichischen Bundesumweltministeriums in seinem Bericht über die Erfahrungen mit der Vollziehung des (österreichischen) Umweltinformationsgesetzes, Anhang, S.37. 269 Ebenso kritisch gegenüber gegenteiligen in ihrer Umfrage geäußerten Einschätzungen: Albin, S. 156. 270 V gl. insoweit nochmals: Janssen, in: Bruns, S. 77 ff., 82 ff. 271 Deutlich betont dies auch: Engel, S. 190f. 272 Fluck/Theuer, § 1 Rn 11, 19; Erichsen!Scherzberg, S. 2. 267
268
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
pflicht und das Zugangsrecht stellen also strukturell unterschiedliche Rechtsinstitute dar. -Die aktive Informationspflicht ruft Umweltbewußtsein und damit Akzeptanz von Umweltschutzmaßnahmen hervor, das Zugangsrecht wird hingegen nur in Anspruch genommen, wenn bereits ein Umweltbewußtsein vorhanden ist. In letzterem Fall ermöglicht der Rechtsanspruch des Zugangsrechts aber eine potentielle Kontrolle der Umweltverwaltung, weil auch Informationen verlangt werden können, über die die Behörden nur ungern Auskunft erteilen. Demgegenüber eröffnet die aktive Informationspflicht den Behörden ein relativ großes Auswahlermessen bezüglich der Informationen, die der Öffentlichkeit tatsächlich zugänglich gemacht werden. Demzufolge ist auch die Gefahr der Veröffentlichung schützenswerter Geheimnisse Dritter beim Zugangsrecht deutlich größer, der mögliche Informationsanspruch setzt den entscheidenden Amtswalter in Einzelfällen einer schwierigen Abwägungspflicht bezüglich des "Ob" der Informationsgewährung aus. Ferner kann allenfalls das Zugangsrecht die Gefahr der Funktionsunfähigkeit der Verwaltung aufgrundvon Überlastung hervorrufen 273 • Im Ergebnis wird damit das Verhältnis des Bürgers zur Verwaltung durch die aktiven Informationspflichten nicht prinzipiell berührt. Da Gegenstand dieser Untersuchung gerade deshalb nur das Zugangsrecht ist, wird im folgenden auf die Sensibilisierung des Bürgers nicht mehr einzugehen sein. Das Umweltinformationszugangsrecht wirkt nicht durch den Sensibilisierungsmechanismus, dieser hat im Rahmen der Richtlinie nur aufgrundihres Art. 7 eine Bedeutung. Die aktive Informationspflicht stellt vielmehr einen Fremdkörper innerhalb der Richtlinie dar, die abgesehen von der Zielsetzung der Informationsverbreitung in allen anderen Vorschriften Einzelheiten des Zugangsrechts normiert. Da der normative Sinn der Richtlinie aufgrund der komplexen Problemstellungen nur insgesamt ermittelbar war, mußte bisher freilich auch der Sensibilisierungsgedanke mit in die Untersuchung einbezogen werden. Für die sogleich zu beantwortende Frage der Erreichbarkeit des Wettbewerbsziels ist darüber hinaus festzuhalten, daß sich die geäußerten Befürchtungen hinsichtlich möglicher Wettbewerbsverzerrungen auch nach dem ausdrücklichen Wortlaut des 5. Erwägungsgrundes der Richtlinie nur auf die unterschiedlichen Zugangsrechte in den Mitgliedstaaten und nicht auch die aktiven Informationspolitiken beziehen.
2. Erreichbarkeit des Wettbewerbsziels Aufgrund der durch die Richtlinie begründeten Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Umweltinformationsverhältnis zwischen Bürger, Behörden und Dritten unter weitgehend vereinheitlichten Bedingungen zu erschaffen, können sich Unternehmen nach Umsetzung der Richtlinie auf ein insoweit vereinheitlichtes System verlassen. Soweit die zuvor unterschiedlichen Systeme der Mitgliedstaaten zu Wettbe273 Vgl. zu diesen und weiteren strukturellen Unterschieden überblicksartig denMarck-Bericht im Namen des Ausschusses für Jugend, Kultur, Bildung, Information und Sport über Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren vom 10.11.1987, EP-Doc. A2- 208/87 (PE 107.541/endg.) S. 5 ff.
A. Die Zwecke des Umweltinformationszugangsrechts
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werbsverzerrungen geführt haben, sind diese durch die Rechtsvereinheitlichung zunächst unmittelbar beseitigt. Gleichwohl ist diese typische Argumentation der Gemeinschaftsorgane, die häufig auch bei anderen Sekundärrechtsakten verwendet wird, um mit ihr die Heranziehung des Art. 95 (ex-Art. 100a) EGV als Ermächtigungsgrundlage gemeinschaftlichen Handeins zu rechtfertigen, im Fall der Umweltinformationsrichtlinie aufgrund von drei Gegenargumenten stark angreifbar. -Zunächst ist nämlich festzustellen, daß eine volle Harmonisierung wegen des Art. 176 (ex-Art. 130t) EGV, der den Mitgliedstaaten ermöglicht, Umweltschutzmaßnahmen zu ergreifen oder beizubehalten, die über die der Gemeinschaft hinausgehen, ohnehin nicht erreicht werden kann274 • Gleichwohl findet selbstverständlich eine gewisse Harmonisierung statt, weil ein höheres, von der Gemeinschaft vorgegebenes Mindestmaß zukünftig nicht mehr unterschritten werden darf. Vor allem spricht gegen die Realisierbarkeil des wettbewerbsrechtlichen Harmonisierungserfolgs aber das Prinzip der Regelungsakzessorietät des Zugangsrechts 275 • Diese Regelungsakzessorietät besteht darin, daß gemäß Art. 1 der Richtlinie nur die "bei den Behörden vorhandenen" Umweltinformationen erlangt werden können. Die Quantität und die Qualität der "vorhandenen" Informationen richten sich aber überwiegend nach nicht harmonisiertem nationalem Rechf76 • Die Harmonisierung des Zugangsrechts ist insoweit rein formalen Charakters, sie erstreckt sich nicht auf den materiellen Inhalt des Anspruchsgegenstands. Damit besteht aber die naheliegende Gefahr, daß es aufgrundder bestehenden Unterschiede in den Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Sammlung und Speicherung von Informationen erst zu Wettbewerbsverzerrungendurch die Umweltinformationsrichtlinie kommt277 • Mag also schon aufgrund der bisherigen Betrachtung der Wettbewerbsverzerrungen vermeidende Effekt der Umweltinformationsrichtlinie als allenfalls sehr begrenzt angesehen werden, so steht diesem drittens gegenüber, daß zweifelhaft ist, ob im Jahr 1990 überhaupt eine Verzerrung des Wettbewerbsaufgrund der unterschiedlichen mitgliedstaatliehen Zugangsrechte vorliegt 278 • Nachgewiesene dahingehende Erkenntnisse bestehen - soweit ersichtlich - bis heute nicht. Sowohl der Rat als auch die Kommission bringen anders als in den Erwägungsgründen anderer harmonisierender Sekundärrechtsnormen auch ihre dahingehende Ungewißheit zum Ausdruck. Ihnen zufolge ,,können" lediglich "die Unterschiede der in den Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften über den Zugang zu umweltbezogenen Informationen im 274 Stellungnahme des WSA zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend den freien Zugang zur Information im Umweltbereich vom 31.3.1989 (ABI. Nr. C 139), S. 47ff., 1.2.1. 275 Zur - soweit ersichtlich - Einführung dieses Begriffs vgl. Eifert, DÖV 1994, 544, 548 f. 276 Ebenso: Eifert, ebenda; der Sache nach auch: Fluck, in UTR 22, S.48 und der WSA in seiner Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend den freien Zugang zur Information im Umweltbereich vom 31.3.1989 (ABI. Nr.C 139), S.47ff., (1.2.1.). 277 So insbesondere: Fluck, in: UTR 22, S. 48. 278 Zweifelnd insoweit insbesondere der WSA in seiner Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend den freien Zugang zur Information im Umweltbereich vom 31.3.1989 (ABI. Nr.C 139), S.47ff., 1.2.2.
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
Besitz der Behörden dazu führen, daß die Bürger in der Gemeinschaft hinsichtlich des Zugangs zu Informationen und/oder bezüglich der Wettbewerbsbedingungen unterschiedlich behandelt werden" 279 • Nachall dem ist folglich davon auszugehen, daß dem Nebenzweck der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen nur eine sehr geringe Bedeutung beizumessen ist. - Kann im Rahmen dieser Darstellung weder empirisch nachgewiesen werden, daß das von Rat und Kommission gewünschte Wettbewerbsziel überhaupt nicht erreicht werden kann, noch das Gegenteil, so kann dieser Aspekt gleichwohl im folgenden der Darstellung außer Betracht gelassen werden. Er ist von so geringer Bedeutung, daß er nahezu vollständig hinter das Umweltschutzziel zurücktritt.
V. Ergebnisse zu A. Die Bestimmung des normativen Sinns des Umweltinformationszugangsrechts unterliegt einer Vielzahl von Schwierigkeiten. Die ,,Zweckbestimrnung" des Art. 1 der Richtlinie ist mehrdeutig, die einzelnen Bestimmungen lassen diesen Sinn nicht erkennen, und die verbindlichen unterschiedlichen sprachlichen Fassungen erschweren eine Auslegung. Auch umfassende objektiv-teleologische Erwägungen helfen kaum weiter, so daß überwiegend auf historische Auslegungskriterien zurückzugreifen ist. Insofern sind aufgrund zahlreicher gemeinschaftsrechtlicher Besonderheiten eine Vielzahl von Dokumenten der Gemeinschaftsorgane zu betrachten gewesen. Im Ergebnis läßt sich der Wille des historischen Gesetzgebers gleichwohl erfolgreich bestimmen. - Normativer Hauptsinn des Zugangsrechts ist eine Verbesserung des Umweltschutzes, ein demgegenüber praktisch völlig zurücktretender Nebensinn besteht in der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Demgegenüber verfolgt es keinerlei demokratische oder rechtsstaatliche Zielsetzungen, wie immer wieder behauptet wurde. Die Idee einer Verbesserung des Umweltschutzes durch das Umweltinformationszugangsrecht beruht dabei auf dem Versuch, die Bürger dafür zu gewinnen, von 279 Zitat des 5. Erwägungsgrundes des Rates- sehr ähnlich die Formulierung der Kornmission im 8. Erwägungsgrund im zweiten Kornmissionsvorschlag für eine Umweltinformationsrichtlinie (ABI. Nr. C 102/6ff. vorn 24.4.1990). Vgl. demgegenüber beispielsweise die Richtlinie 1999/45/EG (ABI. 1999 Nr.L 200, S. 1) zur Angleichung der Vorschriften für die Kennzeichnung ... gefährlicher Zubereitungen: "Trotz der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften weichen die Regelungen der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung bestimmter gefährlicher Zubereitungen beträchtlich voneinander ab. Diese Unterschiede stellen Handelshernnisse dar, führen zu unterschiedlichen Wettbewerbssituationen und behindern direkt das Funktionieren des Binnenmarkts (2. Erwägungsgrund)". Ähnlich auch die ältere Änderungsrichtlinie 83/264/EWG (ABI. 1983 Nr. L 147, S. 9) zur Änderung der Richtlinie zur Angleichung der Vorschriften für Beschränkungen der Verwendung ... gefährlicher Stoffe ... : ,,Einige Mitgliedstaaten haben für die obengenannten Stoffe bereits Verbote erlassen; diese wirken sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gerneinsamen Markts aus. Es ist daher erforderlich, die einschlägigen Rechtsvorschriften anzugleichen ..." (6. Erwägungsgrund).
B. Vereinbarkeil mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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einem ihnen eingeräumten subjektiven Informationsanspruch Gebrauch zu machen und so eine größere Öffentlichkeit des Verwaltungshandeins herbeizuführen, um so mittelbar einen strengeren Vollzug und eine bessere Einhaltung des geltenden sonstigen Umweltrechts durchzusetzen. Nach einer ersten kurzen empirischen Betrachtung erscheint es als wahrscheinlich, daß das Zugangsrecht dieses Umweltschutzziel erreichen kann. Demgegenüber führt es zu keiner größeren Verbreitung von Umweltinformationen und damit zu keinem größeren Umweltbewußtsein, da von ihm ganz überwiegend nur die Bürger und Umweltschutzverbände Gebrauch machen, die sich ohnehin für Aspekte des Umweltschutzes einsetzen oder interessieren. Eine größere Akzeptanz von Umweltschutzmaßnahmen in der Bevölkerung und ein generell umweltfreundlicheres Verhalten sind aufgrund eines zugangsrechtsbedingt gesteigerten Umweltbewußtseins also nicht zu erwarten.
B. Vereinbarkeit des Umweltinformationszugangsrechts mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts Das deutsche Recht ist nicht Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts. Dies gilt- mit Ausnahme der durch die Umweltinformationsrichtlinie sicherlich nicht betroffenen Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG- nach ganz herrschender Meinung auch für die Vorschriften des Grundgesetzes einschließlich der Grundrechte 280 • Demgegenüber darf das Sekundärrecht aber nicht in Widerspruch zu höherrangigem Gemeinschaftsrecht stehen. Insoweit ist das Umweltinformationszugangsrecht folglich auf seine Vereinbarkeil mit den Vorgaben des EGV und den vom Europäischen Gerichtshof anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu überprüfen. Gerade diese Rechtsgrundsätze, zu denen insbesondere auch die Gemeinschaftsgrundrechte zählen, gebieten mittlerweile einen dieser Vereinbarkeitsprüfung zugrunde zu legenden Prüfungsaufbau, wie er auch bei der Normenkontrolle am Maßstab des Grundgesetzes regelmäßig verwendet wird.
I. Formelle Rechtmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts 1. Ermächtigungsgrundlage und "Titandioxid-Rechtsprechung" Erscheint es möglich, daß eine Richtlinie sowohl umweltpolitische als auch marktvereinheitlichende Zwecke verfolgt, so ist in jüngerer Zeit immer wieder strei280 Seit BVerfGE 73, 339, 387 - "solange II" auch in Deutschland immer einhelligere Auffassung.- Vgl. beispielsweise: Streinz, Rn202ff., 205; Oppermann, Rn624; Schweitzer/Hummer, Rn 859ff., 869, alle mwN. Früher so schon der EuGH, vgl. die Nachweise in EuGH E 1989,3165,3191, Rz.38.
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l. Teil: Europarechtliche Vorgaben
tig gewesen, ob sie auf Art. 95 (ex-Art.lOOa) oder Art.175 (ex-Art.l30s) EGV zu stützen ist281 • Zunächst erachtete der Europäische Gerichtshof in der TitandioxidEntscheidung den damaligen Art.lOOa Uetzt: 95) EGV selbst für eine produktionsbezogene Regelung als richtige Ermächtigungsgrundlage 282 , obwohl der Rat die Titandioxid-Richtlinie wie auch das Umweltinformationszugangsrecht auf den damaligen Art. 130 s Uetzt: 175) EGV hatte stützen wollen. Die Entscheidung stieß allerorts auf große Kritik, weil sie eine Überbetonung der Harmonisierung darstelle und die Gefahr der Umgehung der Kompetenzen anderer Organe und der Mitgliedstaaten drohe 283 • In der Folgezeit hielt der Gerichtshof deshalb nur bedingt an dieser Rechtsprechung fest und entschied entgegengesetzt über die Abfallrichtlinie, da die Harmonisierungswirkung in ihrem Fall nur einen Nebeneffekt dargestellt habe 284 • In ständiger Rechtsprechung im Bewußtsein der Problematik hat der Gerichtshof nunmehr - teils anband anderer Kompetenznormkonflikte - eine als gesichert zu bezeichnende Rechtsprechung entwickelt, nach der es auf den objektiv bestimmbaren Schwerpunkt einer zu bewertenden Maßnahme ankomme 285 • Reicht es damit für einen objektiven Maßstab nicht aus, daß sowohl Rat als auch Kommission die Umweltinformationsrichtlinie auf den damaligen Art.l30s Uetzt: 175) EGV stützen wollen, so konnte oben aber bereits gezeigt werden 286, daß ihr objektiver Regelungsgegenstand schwerpunktmäßig nicht der Harmonisierung dient. Ihr Schwerpunkt liegt vielmehr in der Verbesserung des Umweltschutzes. Sie wurde also zutreffend auf den damaligen Art. 130s (jetzt: 175) EGV gestützt. Auch dem Umweltinformationszugangsrecht liegt demnach die richtige Ermächtigungsgrundlage zugrunde.
2. Wahrung von Subsidiaritätsvorgaben Zum Zeitpunkt des Erlasses der Umweltinformationsrichtlinie war der allgemeine Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 5 Abs. 2 (ex-Art. 3 b Abs. 2) EGV noch nicht Bestandteil des Gemeinschaftsrechts. Gleichwohl sah jedoch die sogenannte "Besserklausel" des ehemaligen Art. 130r Abs. 4 S. 1 EGV vor, daß die Gemeinschaft im Bereich der Umweltschutzpolitik nur insoweit tätig wird, als die Umweltschutzziele auf Gemeinschaftsebene besser erreicht werden können als auf der Ebene der ein281 Vgl. dazu die Darstellung bei: Turiaux, Einleitung, Rn 158ff., 171 f. mwN der Rechtsprechung des EuGH. 282 EuGH EI 1991, 2867, 2900f., Rz. 23f. 283 Vgl. insoweit die bei: Turiaux, Einleitung, Rn 161 f. , 169f. nachgewiesene Kritik am EuGH. 284 EuGH EI 1993,939, 968f., Rz. 9, 19ff. 285 EuGH EI 1991, 4529, 4566, Rz. 9, 17f. "kontaminierte Lebensmittel im Fall nuklearer Unfälle"; EuGH EI 1993, 939, 965ff., Rz. 7, 19ff. mwN "Abfallrichtlinie"; EuGH EI 1994, 2857, 2880ff., Rz.17ff., 25ff. "AbfallverbringungsVO"; EuGH EuGRZ 1999,221,223, Ziffer 35ff. mwN. 286 Vgl. dazu oben, A. V.
B. Vereinbarkeil mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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zeinen Mitgliedstaaten. Unabhängig von der Frage der Justitiabilität und damit der praktischen Bedeutung dieser Klausel, ist folglich zu klären, ob das Umweltinformationszugangsrecht ihren materiellen Anforderungen genügt. Wird gerade im Bereich des Umweltrechts die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips wegen der zahlreichen grenzüberschreitenden Umweltprobleme zum Teil als gering betrachtet, so zeigt das Zugangsrecht, daß sich damit gleichwohl nicht in allen Fällen eine gemeinschaftliche Zuständigkeit begründen läßt.- Besteht der normative Sinn des Zugangsrechts konkret darin, den Umweltschutz durch die Beseitigung von Vollzugsdefiziten anderer gemeinschaftsrechtlicher umweltschützender Normen zu verbessern, erscheint es inhaltslos, seine allgemeine Vereinbarkeil mit Subsidiaritätsgrundsätzen abstrakt durch den prinzipiell grenzüberschreitenden Charakter von Umweltproblemen zu begründen 287 • Entscheidend muß sein, ob die Beseitigung von Vollzugsdefiziten des übrigen gemeinschaftlichen Umweltrechts durch das Umweltinformationszugangsrecht besser erreicht werden kann als durch vergleichbare Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Zur Beantwortung dieser Frage muß kurz ein Blick auf Begriff und Art der nach allgemeiner Auffassung bestehenden weitreichenden Vollzugsdefizite des gemeinschaftlichen Umweltrechts geworfen werden. Nach den von der Kommission verwendeten Begrifflichkeiten bedeutet "Vollzug einer Richtlinie" regelmäßig die hinreichende Umsetzung der Richtlinie durch die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten und ihre konsequente Anwendung durch Behörden und Gerichte288 • Sowohl bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in die nationalen Rechtsordnungen289 als auch der nachfolgenden Anwendung der umgesetzten gemeinschaftlichen Vorgaben 290 entstehen nach einhelliger Auffassung große Defizite. Die Gründe dafür liegen teils in strukturellen Defiziten von Umweltrechtsnormen 291 , teils in mangelnden Kapazitäten an Vollzugspersonal 292, teils in föderalen Strukturen der Mitgliedstaaten 293 , vor allem aber in der mangelnden Motivation der Normadressaten, die jeweilige Vorschrift zu vollziehen294• Demzufolge kann mit Recht von einem doppelt begründeten Vollzugsdefizit des gemeinschaftlichen Umweltrechts gesprochen werden: Der effektive Vollzug des Umweltgemeinschaftsrechts krankt nicht nur an den Schwierigkeiten, die der Vollzug umweltrechtlicher Vorschriften erfahrungsgemäß auch stets 287 So aber der Ansatz der Kommission im 7. Erwägungsgrund des erneuerten Vorschlags für eine Umweltinformationsrichtlinie vom 24.4.1990 (ABI. Nr. C 102/6 ff.). Demgegenüber kritisch schon der WSA in seiner Stellungnahme zum l. Kommissionsvorschlag vom 5.6.1989 (ABI. Nr. C l39/47ff., (1.2.1.)). Die Richtlinie selbst geht hingegen auf den ehemaligen Art. l30r Abs. 4 S. I EGV nicht mehr ein. 288 Vgl.: Mitteilung der Kommission über die Durchführung des Umweltrechts der Gemeinschaft, KOM (96) 500 endg. 289 Albin, S. 73ff. mwN; Krämer, in: Lübbe-Wolff, S.l4f.; Ruffert, S.5f. mwN. 290 Krämer, in: Lübbe-Wolff, S.l7f.; Albin, S.81 ff. mwN; Ruffert, S.5ff. mwN. 291 Albin, S. 74 mwN. 292 Epiney, S. 134; Ruffert, S. 6; Krämer, in: Lübbe-Wolff, S. 32. 293 Ruffert, S. 8. 294 Krämer, in: Lübbe-Wolff, S.31; Ruffert, S.5f.; Albin, S.83 mwN.
6 Strohmeyer
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I. Teil: Europarechtliche Vorgaben
in den Mitgliedstaaten mit sich gebracht hat, es kommen auch die Probleme der Umsetzung und der Anwendung Europäischen Gemeinschaftsrechts hinzu 295 • Nach Betrachtung der bestehenden Vollzugsdefizite liegt nunmehr auf der Hand, daß das Umweltinformationszugangsrecht der "Besserklausel" genügt. - Mangelt es unter anderem beträchtlich am politischen Willen der Mitgliedstaaten und ihrer Verwaltungen, das übrige gemeinschaftliche Umweltrecht zu vollziehen, so ist allenfalls eine Gemeinschaftsnorm in der Lage, das Recht entgegen dieser Motivationen durchzusetzen. Das Umweltinformationszugangsrecht genügt folglich den gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsvorgaben. 3. Sonstige formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen Wie bereits gezeigt werden konnte und mußte 296 , wurde das Rechtsetzungsverfahren im Hinblick auf Art. 250 (ex-Art. 189a) EGV, der dem 1990 geltenden Art.149 EGV entspricht, eingehalten. Europäisches Parlament und Wirtschafts- und Sozialausschuß wurden angehört und auch im übrigen sind Fehler im Rechtsetzungsverfahren nicht ersichtlich. Indem die Umweltinformationsrichtlinie vor den Erwägungsgründen auf die Beteiligung der anderen Gemeinschaftsorgane im Rechtsetzungsprozeß hinweist und diese Erwägungsgründe nach intensiver Auslegung die allgemeinen mit der Richtlinie verbundenen Ziele erkennen lassen, ist auch der Begründungspflicht des Art. 253 (ex-Art. 190) EGV genügt, an die im Falle abstrakt-genereller Regelungen vom Gerichtshof nur geringe Anforderungen gestellt werden 297 • Eine Bekanntmachung der Richtlinie nach Art. 254 (ex-Art. 191) EGV ist erfolgt. Das Umweltinformationszugangsrecht genügt also den formellen gemeinschaftsrechtlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen.
II. Materielle Rechtmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts 1. Vereinbarkeit des Zugangsrechts mit sonstigen allgemeinen Rechtsgrundsätzen
Neben den Vorgaben des geschriebenen Primärrechts überprüft der Europäische Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Richtlinien und Verordnungen vor allem im Hinblick auf die sogleich zu untersuchenden Gemeinschaftsgrundrechte, also eine subjektiv-rechtliche, individualschützende Zielrichtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze. Der Grund dafür ist darin zu finden, daß die wichtigste Funktion allgeÄhnlich: Ruffert, S. 5 ff., 7. V gl. dazu oben, A. II. I. 297 V gl. die umfassend nachgewiesene Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Begründungspflicht bei: Schmidt, in: G{f/E, Art.l90, Rn6ff., 9. 295
2%
B. Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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meiner Rechtsgrundsätze in der Schließung von planwidrigen Lücken in der Gemeinschaftsrechtsordnung liegt298 und sich die Abwesenheit effektiven Gemeinschaftsrechts im Bereich des Grundrechtsschutzes schon früh und intensiv bemerkbar gemacht hat299 • Wurde bezüglich des Umweltinformationszugangsrechts aber nicht nur vereinzelt behauptet, es überlaste die Verwaltung und gefährde damit ihre Funktionsfähigkeit im Bereich des Umweltrechts 300, so drängt sich die bisher kaum untersuchte Frage auf, ob die allgemeinen Rechtsgrundsätze auch eine Dimension des Schutzes der Interessen der Mitgliedstaaten vor der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft beinhalten301 . Soweit diese Schutzdimension zu bejahen wäre, müßten die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten darauf untersucht werden, ob die Funktionsfähigkeit effektiver Verwaltungen ein die nationalen Gesetzgeber bindendes Prinzip der mitgliedstaatliehen Verfassungsrechtsordnungen darstellt. Der Europäische Gerichtshof hat eine solche Schutzrichtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze - soweit ersichtlich - bisher zumindest nicht ausdrücklich anerkannt 302. Demgegenüber geht der Gerichtshof- wie auch viele Stimmen der Literatur 303 - im Zusammenhang mit dem Prinzip der Gemeinschaftstreue des Art. 10 (ex-Art. 5) EGV entgegen dessen Wortlaut von einer wechselseitigen Beistandspflicht von Mitgliedstaaten und Gemeinschaft aus 304. Formuliert der Gerichtshof, Art. 5 (jetzt: 10) EGV sei Ausdruck der allgemeinen Regel, daß den Mitgliedstaaten und Organen gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit und Unterstützung oblägen305 , so spricht dies allerdings eher für die Anerkennung eines dahingehenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes als für eine Interpretation dieser Vorschrift. Der Gerichtshof und ihm folgend weite Teile der Literatur gehen also von einer Regelungslücke im Gemeinschaftsrecht aus, die auch bundesstaatsähnliche Verpflichtungen der Gemeinschaftsorgane zugunsten der Mitgliedstaaten beinhaltet306. Erscheint damit die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Verwaltungen der Mitgliedstaaten als grundsätzlich zulässiger Prüfungsmaßstab für den Erlaß gemeinschaftlichen Sekundärrechts, so ist zu bedenken, daß trotz des Postulats wechselseitiger Verpflichtungen praktisch bisher nahezu ausschließlich die mitgliedstaat298 So beispielsweise: Schweitzer/Hummer, Rn 15 und Bleckmann, Europarecht, Rn 613; Zils, S.11; grundlegend: Lecheler, S. l85 mwN. Ähnlich auch: Streinz, Rn355 unter Betrachtung von EuGH E 1957, 83, 117 f. 299 EuGH E 1969,419,425, "Stauder"; 1970, 1125, 1135; vgl. auch Streinz, Rn355. 300 So beispielsweise: Lemp, S. 19ff., 23; ihm zustimmend: Kloepfer, S. 54, Amon, S. 57, Sünner, S. 58 und Czychowski, S. 64- alle in UTR 22. 3ot So insbesondere: Bleckmann, Europarecht, Rn610. 302 Ebenso: Bleckmann, Europarecht, Rn610. 303 Vgl. statt aller die umfassenden Nachweise bei: Lück, S. 23, Fn9. 304 EuGH E 1983, 255, 287, Rz. 37; 1986, 29, 81, Rz. 38; 1988, 4821, 4855, Rz. 34; 1989, 175, 192 Rz. 9. 305 Zitiert nach EuGH E 1986,29,81, Rz.38 mwN; sehr ähnlich aber EuGH E 1988,4821, 4855, Rz. 34; E 1989, 175, 192 Rz. 9, in denen wechselseitige Pflichten in keinem Fall direkt dem damaligen Art. 5 (jetzt: 10) EGV entnommen werden. 306 Neben den Nachweisen in den vorangegangenen Fußnoten vgl. auch: Oppermann, Rn486mwN.
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I. Teil: Europarechtliche Vorgaben
liehen Treuepflichten im Vordergrund stehen307• Die rechtsdogmatische Entwicklung ist insoweit noch nicht abgeschlossen. Ob aber - unabhängig von der Schutzdimension der allgemeinen Rechtsgrundsätze - die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten die Funktionsfähigkeit effektiver Verwaltungen als ein die nationalen Gesetzgeber bindendes Prinzip beinhalten, kann auch aus rechtstatsächlichen Gründen dahingestellt bleiben. - Die 1990 und kurze Zeit später geäußerten Befürchtungen sind keinesfalls allesamt leicht von der Hand zu weisen gewesen, wie auch Befürworter des Umweltinformationszugangsrechts eingeräumt haben 308• Ein Blick auf andere Mitgliedstaaten hat indes schon im Jahr 1990 gezeigt, daß sogar ein allgemeines Aktenzugangsrecht praktisch durchführbar ist und mit zunehmender Geltungsdauer mit immer weniger Aufwand in die Rechtsordnung integriert werden kann 309 • Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zugangsrechts im Jahre 1990 ist aber entscheidend, daß es ohnehin nicht auf eine gewisse zunehmende Arbeitsbelastung der einzelnen Dienststellen bei gleichem Personal ankommt. - Wäre die Gemeinschaft verpflichtet, die Funktionsfähigkeit der Behörden der Mitgliedstaaten nicht zu gefährden, so bestünde diese Verpflichtung nicht in Abhängigkeit der von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Anzahl von Sachbearbeitern. Der Vollzug des Gemeinschaftsrechts inklusive der gesetzlichen Umsetzung gemeinschaftlicher Vorgaben in die nationalen Rechtsordnungen ist vielmehr eine typische Aufgabe der Mitgliedstaaten, die keiner Rechtfertigung bedarf. Die Mitgliedstaaten besitzen die Pflicht, ihre Behörden so zu organisieren, daß die Effektivität und einheitliche Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gewährleistet ist 310• Auch der Gerichtshof wendet seine ständige Rechtsprechung, nach denen ein Mitgliedstaat sich nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen kann, um damit die Nichtbeachtung von Verpflichtungen zu rechtfertigen, die sich aus Richtlinien der Gemeinschaft ergeben, auf die tatsächliche personelle Besetzung der Behörden der Mitgliedstaaten an 311 • Er betont damit eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die auf der Hand liegt, deren Artikulierung aber wohl bewußt weitgehend vermieden wird 312• Die sich gegebenenfalls ergebende Notwendigkeit, mehr Sachbearbeiter einzustellen, befreit die Mitgliedstaaten nicht vom Vollzug des Gemeinschafts307 Bezeichnend die umfassende Monographie von Lück, in der der Autor den umfassenden Kapiteln zu mitgliedstaatliehen Pflichten kein wechselseitiges Korrelat gegenüberstellen konnte. Entgegen einem allgemeinen bloßen Postulat stellt der Gerichtshof allerdings eine gemeinschaftliche Treuepflicht der Kommission in: EuGH E 1989, 175, 192, Rz. 9 fest. 3os Vgl. beispielsweise: Winter, in: UTR 22, S. 59 f. 309 So selbst die gegen die Gewährung allgemeiner Aktenöffentlichkeit eingestellte damalige Bundesregierung in einer Großen Anfrage über die mögliche Einführung dieses Modells in Deutschland (BT Drs. 12/1273, S. 2ff., 3 f.). 310 Weber, S. 46; Gornig/Trüe, JZ 1993, 934, 938; Lück, S. 34f. alle mwN. 3 11 EuGH E 1982, 153, 156f., Rz.5. 312 Soweit ersichtlich wagen lediglich Weber, S. 46; Gornig!Trüe, JZ 1993, 934, 938 und Lück, S. 34 f. die nicht nur gemeinschaftlich gebotenene, sondern auch selbstverständliche angemessene Ausstattung der mitgliedstaatliehen Behörden anzusprechen.
B. Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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rechts. Ein denkbarer allgemeiner Rechtsgrundsatz der Wahrung der Funktionsfähigkeit der nationalen Verwaltungen wird durch das Umweltinformationszugangsrecht also nicht verletzt. Andere möglicherweise betroffene allgemeine Rechtsgrundsätze als die Gemeinschaftsgrundrechte sind nicht ersichtlich. 2. Vereinbarkeit des Zugangsrechts mit den Gemeinschaftsgrundrechten Möglicherweise verletzt die Einführung des Umweltinformationszugangsrechts durch den Gemeinschaftsgesetzgeber aber Gemeinschaftsgrundrechte. Die Verletzung privater oder unternehmenscher Rechte auf Geheimhaltung der sie betreffenden Umweltinformationen ist keinesfalls offensichtlich ausgeschlossen. Nach deutschem Verständnis wäre das Zugangsrecht folglich auf seine Vereinbarkeit mit den Tatbeständen der Art. 2 Abs. 1, I Abs.l und Art. 14, 12 GG zu untersuchen. Für die Gemeinschaftsgrundrechte ist dieses Vorgehen hingegen nicht einhaltbar, weil sie aufgrund ihrer einzelfallartigen, richterrechtlichen Anerkennung weniger deutlich umrissene Tatbestände besitzen. Entscheidend für die Vereinbarkeit des Zugangsrechts mit den Gemeinschaftsgrundrechten ist, ob sein Regelungsgegenstand in keinem Einzelfall gemeinschaftsgrundrechtlich geschützte Positionen in unzulässiger Weise verkürzt. Die Zuordnung einer nachweisbar gemeinschaftsrechtlich geschützten Rechtsposition zu einem "allgemeinen gemeinschaftlichen Eigentumsoder Persönlichkeitsgrundrecht" ist nicht erforderlich. Sie widerspräche vielmehr der richterrechtlichen Struktur der allgemeinen Rechtsgrundsätze.
a) Vereinbarkeif des Zugangsrechts mit gemeinschaftsgrundrechtlichem Datenschutz aa) Datenschutzrelevanter Regelungsgegenstand des Zugangsrechts Die Einräumung eines voraussetzungslosen Zugangsrechts zu den bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen birgt prinzipiell die Gefahr in sich, daß an die Antragsteller auch die Informationen über private Dritte offenbart werden, die von ihnen legitimerweise als geheimhaltungsbedürftig angesehen werden. Diese Gefahr beruht vor allem auf den besonders umfassenden Definitionen der Begriffe "Informationen über die Umwelt" und "Behörden" in Art. 2 der Umweltinformationsrichtlinie. Danach sind "Informationen über die Umwelt" alle in Schrift-, Bild-, Ton- oder DV-Form vorliegenden Informationen über den Zustand der Gewässer, der Luft, des Bodens, der Tier- und Pflanzenwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen sowie über Tätigkeiten (einschließlich solcher, von denen Belästigungen wie beispielsweise Lärm ausgehen) oder Maßnahmen, die diesen Zustand beeinträchtigen oder beeinträchtigen können, und über Tätigkeiten oder Maßnahmen zum Schutz dieser Umweltbereiche einschließlich verwaltungstechnischer Maßnahmen
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
und Programme zum Umweltschutz. Als "Behörden" sind hingegen die Stellen öffentlicher Verwaltung, die auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene Aufgaben im Bereich der Umweltpflege wahrnehmen und über diesbezügliche Informationen verfügen, mit Ausnahme der Stellen, die im Rahmen ihrer Rechtsprechungs- oder Gesetzgebungszuständigkeit tätig werden, anzusehen. Aus diesen Definitionen und den regelungsakzessorisch damit verbundenen Vorschriften des jeweiligen nationalen Rechts, das durch die sonstigen Gesetze die tatsächlich bei den Behörden vorhandenen Informationen bestimmt, lassen sich die Situationen entwickeln, in denen das Umweltinformationszugangsrecht möglicherweise gegen gemeinschaftsgrundrechtlich geschützte Datenschutzinteressen verstößt. Sinnvollerweise - insbesondere im Hinblick auf eine unten durchzuführende möglichst konkrete Abwägung- sind diese Situationen in typische Fallgruppen zu untergliedern. Regelungsakzessorisch sollen hier die nach deutschem Recht bei den Behörden vorhandenen Informationen herangezogen werden, weil sie in größerem Ausmaß als in anderen Mitgliedstaaten bestehen 313 und damit einen möglichst umfassenden gemeinschaftsgrundrechtliehen Prüfungsrahmen gewährleisten. (1) Gruppe 1 - aufgrund spezieller Fachgesetze bereits offenbarte Daten In einer ersten Gruppe lassen sich die Umweltinformationen zusammenfassen, die bereits aufgrund fachgesetzlicher Vorschriften öffentlich zugänglich gewesen sind. Zu nennen sind insoweit Umweltinformationen über den Umstand, daß eine bestimmte oder bestimmbare Person eine Anlage betreibt, Schadstoffe einleitet oder emittiert, Schutzgebiete beeinträchtigt etc. Diese Informationen sind unter anderem aufgrund der §§ 6, 9 UVPG, 8, 29 BNatSchG, 27 BimSchG i.V. m. lOa der 9. BimSchVO, 21,21 c WHG i.V. m. 127 LWG R-P, 100f. HaWaG, 73,74 VwVfG, 4, 6 AtVfVO bei den Behörden vorhanden 314• Der Name des Betreibers, Emittenten, Einleiters etc. stellt beispielsweise im Hinblick auf seine Liquidität, seinen früher bereits in Erscheinung getretenen Willen zur Wiedergutmachung von Umweltschäden u. ä. ebenfalls eine für den Umweltschutz wichtige Information dar und zählt folglich zu den Umweltinformationen im Sinne des Art. 2 der Richtlinie 315 • Für weitergehende Informationen wie Geschäfts- oder Privatadressen der Betroffenen wird dies im Einzelfall unter Beriicksichtigung des Gesichtspunkts der Effektivität der Umweltverwaltung zu bewerten sein.
m Fluck, in: UTR 22, S.48. Vgl. zu dieser Gruppenbildung ähnlich: Erichsen!Scherzberg, S. 93. Allgemein zu den verschiedensten, bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen: Fluck/Theuer, § 8 Rn78 mwN. m Ebenso: Erichsen/Scherzberg, S. 91. 314
B. Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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(2) Gruppe 2- bisher nicht offenbarte, von den Behörden im Zusammenhang mit Genehmigungsverfahren oder Überwachungstätigkeiten erlangte Daten In einer zweiten Gruppe lassen sich die bisher nicht öffentlich zugänglichen Umweltinformationen zusammenfassen, die die Behörden bei der Durchführung von Genehmigungsverfahren nach dem KrW-/AbfG, ChemG, TierSchG, WHG etc. oder bei einer in diesen Gesetzen angeordneten Überwachungstätigkeit potentiell umweltgefährdender Handlungen erlangt haben. Auch diese umfassen den Namen des Setreibers oder der überwachten Person als wichtigen InformationsbestandteiL (3) Gruppe 3 -Daten über Amtswalter, Sachverständige und Gutachter In einer dritten Gruppe sind die zahlreichen Fälle zusammenzufassen, in denen die erbetenen Unterlagen die Namen von Amtswaltern, Gutachtern oder Sachverständigen enthalten, die Vorgänge gezeichnet haben oder in anderer Weise an einem Verfahren beteiligt gewesen sind. Ihre Namen stellen ebenfalls Umweltinformationen dar, weil der Name des Verfassers oder Amtswalters im Hinblick auf die Qualität und Seriosität der Stellungnahme beziehungsweise die politische Neutralität der Amtshandlung Bedeutung erlangen kann. Bezüglich der Amtswalter spielt auch der Aspekt der vom Umweltinformationszugangsrecht intendierten Beseitigung von Vollzugsdefiziten in der Umweltverwaltung eine gewichtige Rolle 316• (4) Gruppe 4 -Daten sonstiger Beteiligter an Verwaltungs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren Als vierte Gruppe sind die in den Akten enthaltenen Namen von Personen zu nennen, die Einwendungen erhoben haben, oder als sich äußernde oder widersprechende Eigentümer, Mieter oder Pächter benachbarter Grundstücke oder in sonstiger Weise am Verwaltungsverfahren beteiligt gewesen sind. Auch insoweit bergen die Namen der Betroffenen Indizien für die umweltrechtliche Bedeutsarnkeit der Äußerungen in sich. Ferner erlangen sie auch im Hinblick auf die fünfte Gruppe Bedeutung, in der es darum geht, Umweltauswirkungen auf Nachbarn etc. zu bestimmen. Zu dieser vierten Gruppe sollen auch die zahlreichen in anderen Verfahren registrierten Umweltinformationen gezählt werden. Zu nennen sind die nicht strafrechtlichen317 Verstöße gegen umweltrechtliche Vorschriften wie beispielsweise das wilde Entsorgen normalen Hausmülls 318 und die Abwehr solcher drohender Verstöße Ebenso: Turiaux, § 8 Rn22. Straftaten sind wegen des Gerichte nicht einschließenden Behördenbegriffs des Art. 2 der Richtlinie nicht unmittelbar zugänglich. - Vgl. dazu: Schomerus, in: S/S/W, § 3 Rn 38 f. mwN. 318 Dieses fällt regelmäßig nicht unter den Straftatbestand des § 326 StGB - OLG Celle, NJW 1986, 2326, 2326. Vgl. zu dieser Untergruppe auch: Fluck/Theuer, § 8 Rn 78. 316
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I. Teil: Europarechtliche Vorgaben
durch das klassische Polizeirecht inklusive der Ersatzvornahmen und des Gewerberechts. Die Namen der Sünder und Störer erlangen ebenfalls im Hinblick auf den Wiedergutmachungswillen etc. umweltrechtliche Bedeutung. (5) Gruppe 5- Namen von Betroffenen von Umwelteinwirkungen Eine fünfte Gruppe stellen die Daten im Hinblick auf Krankheiten oder körperliche Beschwerden als Auswirkungen von Umweltbelastungen auf den Menschen dar, die ebenfalls vom Begriff der Umweltinformation im Sinne des Art. 2 der Umweltinformationsrichtlinie als umfaßt anzusehen sind 319• bb) Eingriff in gemeinschaftsgrundrechtliche Schutzpositionen Fraglich ist folglich, ob und welche der in den einzelnen Fallgruppen möglicherweise offenbarten Informationen gemeinschaftsgrundrechtlichem Schutz unterliegen. Soweit ersichtlich hat der Europäische Gerichtshof bis heute weder ein Gemeinschaftsgrundrecht auf Datenschutz noch auf informationeile Selbstbestimmung als im Gemeinschaftsrecht verankert angesehen 320• Allgemein anerkannt ist demgegenüber ein Gemeinschaftsgrundrecht auf Schutz der Privatsphäre, das sich insbesondere auf Art. 8 der EMRK stützen kann 321 • Fraglich ist folglich, ob sich aus den internationalen Konventionen und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten schließen läßt, daß dieser Schutz der Privatsphäre auch den Schutz vor der Weitergabe privater Informationen durch die Behörden an Dritte umfaßt. Der Gerichtshof hat dazu bisher nur teilweise Stellung genommen und speziell das Recht des einzelnen, seinen Gesundheitszustand geheimzuhalten, als im Recht der Privatsphäre verankert angesehen 322 • Die Anwort läßt sich jedoch verschiedenen bereits vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen entnehmen, die derselben Fragestellung zum Teil in konkretem Zusammenhang mit der Umweltinformationsrichtlinie nachgegangen sind. Danach umfaßt der Schutz der Privatsphäre auch das Verbot der unbefugten Weitergabe personenbezogener Daten durch die Behörden323 • Die Untersuchungen stützen sich dabei auf die von allen Mitgliedstaaten unterzeichnete Datenschutzkonvention des Europarats aus dem Jahre 1981 324 und Art. 8 EMRK in seiner Konkretisierung durch die Rechtsprechung des EGMR, der Datenschutzan319 V gl. zu dieser herrschenden Meinung statt aller umfassend: Turiaux, § 2, 3 Rn 53 ff., 55 mwN. 320 Bis 1991 explizit ebenso: Erichsen/Scherzberg, S. 82; Wurst, JuS 1991, 448, 451. 321 EuGH E 1992 I, 2575,2609, Rz. 23; E 1994 I, 4739,4789, Rz.l7; E 1994 I, 5173, 5l93f., Rz.29ff. mwN. 322 EuGH E 1992 I, 2575, 2609, Rz. 23. 323 Mähring, EuR 1991, 369, 374; Erichsen/Scherzberg, S. 82f.; Turiaux, § 8 Rn2; Wurst, JuS 1991,448,451, alle mwN. 324 Text und deutsches Zustimmungsgesetz in: BGBI. II, 1985, 538ff.
B. Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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sprüchevon Betroffenen mehrfach bejaht hat 325 • Den Untersuchungen zufolge wiesen zudem die Verfassungen aller Mitgliedstaaten den Datenschutz als grundrechtsrelevanten Faktor auf326• Umgekehrt ergibt sich aus diesen Erkenntnisquellen gleichzeitig die Grenze des gemeinschaftlich garantierten Datenschutzes. Entsprechend Art. 1 der Datenschutzkonvention sind nur personenbezogene Daten geschützt. Personenbezogene Daten stellen dabei gemäß Art. 2 a) der Konvention alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person dar, so daß sich der Begriff weitestgehend mit dem des § 3 Abs. 1 BDSG deckt 327• Da die Ergebnisse dieser Untersuchungen- soweit ersichtlich- bis heute unbestritten geblieben sind, läßt sich anband der dargelegten Begründungen von ihrer Richtigkeit ausgehen. Da in jeder der gebildeten Gruppen die Namen von Betreibern, Amtswaltern, Umweltsündern usw. offenbart zu werden drohen, unterfallen sie alle dem gemeinschaftlichen Begriff der personenbezogenen Daten. Sie unterliegen folglich dem Schutz des gemeinschaftlichen Grundrechts auf Schutz der Privatsphäre. cc) Einschränkbarkeil von gemeinschaftsgrundrechtliehen Schutzpositionen Ähnlich der deutschen Grundrechtsdogmatik geht auch der Europäische Gerichtshof seit Beginn seiner Grundrechtsrechtsprechung ständig davon aus, daß die Gemeinschaftsgrundrechte Schranken unterliegen 328, die ihrerseits den SchrankenSchranken des Verhältnismäßigkeilsgrundsatzes und der Wesensgehaltsgarantie gerecht werden müssen 329 • Als Schranken der Gemeinschaftsgrundrechte hat der Gerichtshof die dem allgemeinen Wohl dienenden Ziele der Gemeinschaft330 und damit einen "weiten verfassungsimmanenten Schrankenvorbehalt" 331 anerkannt. Diesem Allgemeinwohl dient zweifellos auch der Umweltschutz, der gleichzeitig eine Zielsetzung der Gemeinschaft darstellt 332 • Das Umweltinformationszugangsrecht ge325 Vgl. die Nachweise bei Wurst, S.451, Mähring, EuR 1991, 371ff., 373, und Villiger, Rn555f. 326 Mähring, EuR 1991, 369, 374; ihm folgend Wurst, S. 451; letzterem folgend Erichsenl Scherzberg, S. 82. 327 Turiaux, § 8 Rn4. 328 Seit EuGH E 1970, 1125, 1135, Rz. 4 "Internationale Handelsgesellschaft" ständige Rechtsprechung: vgl. z. B. EuGH E 1974, 491, 507 f., Rz. 14 "Nold"; E 1979, 3727, 3750, Rz. 32 "Hauer"; E 1980, 1979, 1997, Rz. 21 "Testa"; E 1985, 538, 549, Rz. 12 "ADBHU"; E 1989, 2609,2639, Rz. 18 "Wachauf"; E 1992 I, 2577,2609, Rz.23. 329 EuGH E 1974, 491, 508, Rz. 14 "Nold"; E 1979, 3727, 3747 Rz. 23 "Hauer"; E 1986, 2897, 2912 "Keller"; E 1989, 2237, 2269, Rz. 21 "Schräder" ; E 1992 I, 2577, 2609, Rz. 23; E 1994 I, 4973, 5065, Rz. 78. 330 EuGH E 1970, 1125, 1135, Rz.4 "Internationale Handelsgesellschaft"; E 1974, 491,508, Rz. 14 "Nold"; E 1992 I, 2577, 2609, Rz. 23; vgl. auch: Wetter, S.102f. mwN. 33 t Streinz, S. 411 mwN. 332 EuGH E 1985, 531,549, Rz.13. Vgl. auch Rengeling, S. 218f. mit weiterführenden dogmatischen Überlegungen.
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l. Teil: Europarechtliche Vorgaben
nügt damit der Schrankenregelung des gemeinschaftsgrundrechtliehen Schutzes personenbezogener Daten. dd) Schranken-Schranken - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Da nicht alle personenbezogenen Daten sondern nur die bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen offenbart werden sollen, greift die Einführung des Zugangsrechts nicht in den Wesensgehalt des Schutzes personenbezogener Daten ein. Der überwiegende Teil privater Informationen wird nicht allgemeinzugänglich, der Schutz der Privatsphäre bleibt in seinem Kern erhalten. Die dem Art. 19 Abs. 2 GG ähnliche Wesensgehaltsgarantie der Gemeinschaftsgrundrechte333 wird durch das Umweltinformationszugangsrecht folglich nicht verletzt. Als deutlich komplexer stellt sich demgegenüber die Prüfung dar, ob das Zugangsrecht datenschutzrechtliche Positionen in unverhältnismäßiger Weise verkürzt. Insoweit kann freilich nicht die Erhaltung der natürlichen Umwelt in Verhältnis zum Schutz der Privatsphäre gesetzt werden. Eine solche "Abwägung" wäre zu abstrakt und damit inhaltslos und beliebig. Entscheidend ist vielmehr, ob das Zugangsrecht datenschutzrechtliche Positionen in jedem Einzelfall der fünf gebildeten Gruppen nur in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise beschränkt. ( 1) Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Gruppe 1
Die Preisgabe der in dieser ersten Gruppe zusammengefaßten, sich durch ihre vorherige Veröffentlichung auszeichnenden personenbezogenen Daten im Rahmen der Gewährung eines Umweltinformationszugangs zugunsten Dritter müßte sich im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtlich legitime Umweltschutzziel des Zugangsrechts als geeignet, erforderlich und angemessen erweisen334• Wie oben bereits ansatzweise diskutiert335 , unterliegt schon die Geeignetheit des Zugangsrechts gewissen Bedenken. Gleichwohl ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung von der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Erfolgs des Instrumentalisierungsmechanismusses und damit von der Geeignetheit des Zugangsrechts auszugehen 336• Hinsichtlich der Erforderlichkeil des Zugangsrechts ist vor allem fraglich, ob das Umweltschutzziel nicht in gleichem Maße auch durch weniger einschneidende mildere Mittel erVgl dazu: Wetter, S. 108 mwN. Vgl. zu diesen Ausprägungen auch des gemeinschaftsgrundrechtliehen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: EuGH E 1970, 1125, ll37f., Rz. 12, 16 "internationale Handelsgesellschaft"; E 1989, 2237, 2239, Rz. 21 "Schräder"; vgl. auch: Wetter, S.l04ff. mwN. 335 Vgl. oben A. IV. I. Ausführlich dazu unten, Teil 2, C. 336 Ebenso für den Umsetzungsgesetzgeber auch: Turiaux, § 8 Rn 13; ausführlich: unten, Teil2, C. 333
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B. Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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reicht werden könnte. Zu denken ist an Schwärzungen der Namen oder Anonymisierungen der Adressen der Betreiber oder des Ortes der jeweiligen Anlage. Dieser datenschutzrechtlich typische Ansatz versagt indes hier und regelmäßig im Umweltinformationsrecht, weil der Name eines Anlagenbetreibers, Emittenten, Einleiters etc. gerade typischerweise zur umweltrechtlichen Verantwortlichkeit gehört. Er besitzt damit gewichtigen Einfluß auf die Einschätzung möglicher Umweltgefahren oder den Erfolg einer erforderlichen Sanierung oder sonstige Kompensation von bereits eingetretenen Umweltschäden. Der Ort einer Anlage läßt beispielsweise im Falle einer bestimmten Emission in einer ökologisch besonders sensiblen Region wie den Gebirgswäldern oder dem Wattenmeer überhaupt erst Schlüsse auf denkbare Umweltgefahren zu. Da folglich ein gleich geeignetes, milderes Mittel nicht ersichtlich ist, ist das Zugangsrecht insoweit also auch erforderlich. Da die personenbezogenen Daten der ersten Gruppe aufgrund fachgesetzlicher Vorschriften bereits öffentlich geworden sind, liegt der mit der Einführung eines voraussetzungslosen Informationsanspruchs verbundene Eingriff im Hinblick auf diese Daten darin, daß sie nunmehr einem größeren Kreis von Interessenten und zeitlich unbegrenzt zugänglich sind. Demgegenüber liegt die Intensität dieses Eingriffs auf einer besonders geringen Stufe, weil der früher engere Kreis der Zugangsberechtigten nach dem jeweiligen Fachrecht keinesfalls einem Verbot der Weitergabe der erlangten Informationen unterworfen ist und insoweit keine Vertraulichkeit der Daten mehr besteht337• Demnach läßt sich für alle Einzelfälle dieser Gruppe ohne weiteres von der Angemessenheil dieses Eingriffs im Hinblick auf den sehr wahrscheinlichen umweltschützenden Erfolg ausgehen. (2) Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Gruppe 2
Hinsichtlich Geeignetheil und Erforderlichkeil ergeben sich keine neuen Gesichtspunkte. Auch insoweit führt der Verzicht auf die Nennung des Namens des Betreibers oder des Ortes der Anlage zu einer geringeren Eignung des Zugangsrechts. Mangels vorheriger Zugänglichkeil besitzt der Eingriff indes eine deutlich größere Eingriffsintensität Demgegenüber könnte aber der erhebliche sogenannte Sozialbezug dieser Daten das Zugangsrecht gleichwohl als angemessen erscheinen lassen. Das Ausmaß des Sozialbezugs einer Handlung ergibt sich daraus, inwieweit ein in der Gemeinschaft lebender Bürger durch sein Verhalten auf andere einwirkt und dadurch die persönliche Sphäre von Mitmenschen und Belange der Gemeinschaft berührt338. Es bestimmt nach deutschem verfassungsrechtlichen Verständnis in umgekehrter Proportionalität die zu gewährleistende Schutzintensität der offenbarten Daten339. Mangels anderer ersichtlicher Gesichtspunkte ist dieser sinnvolle Maßstab Erichsen!Scherzberg, S. 87; Turiaux, § 8 Rn 18. BVerfGE 35, 202, 220 ,,Lebach". 339 Vgl. Murswiek, in: Sachs, Art.2, Rn 104 und Turiaux, § 8 Rn 17 beide mwN. 337
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
auch für das Gemeinschaftsrecht anzulegen, soweit dadurch nicht die eigentliche Verhältnismäßigkeilsprüfung umgangen wird, deren Konkretisierung die Definition des Sozialbezugs dient. Der erhebliche Sozialbezug des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage ergibt sich daraus, daß der Setreiber erheblich zumindest auf die unmittelbare Umwelt und damit die Lebensbedingungen anderer Menschen und damit ihre Rechte und Interessen und die der Allgemeinheit einwirkt. Selbst wenn im Einzelfall keine Umweltgefahr vorliegt, entstehen Belastungen, die im Hinblick auf das umweltschutzrechtliche Vorsorgeprinzip unmittelbar Interessen der Allgemeinheit berühren340• Folglich ist auch insoweit von der Rechtmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts auszugehen 341 • (3) Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Gruppe 3
Auch der Verzicht auf die Nennung der Namen der Amtsleiter, Sachverständigen und Gutachter stellt ein weniger geeignetes Mittel dar, weil sie Einfluß auf die Qualität und Seriosität der Stellungnahmen beziehungsweise die politische Neutralität der Amtshandlungen besitzen. Ihre Preisgabe wäre folglich im Hinblick auf das Umweltschutzziel als geeignet und erforderlich anzusehen. Der Eingriff in den Schutz der Privatsphäre läge insoweit auf einer geringeren lntensitätsstufe, da Gutachter, Sachverständige und Amtswalter in aller Regel mit der Veröffentlichung ihrer Handlungen rechnen 342 • Für die Gutachter und Sachverständigen ist dies oftmals der Hauptzweck ihrer Tätigkeit, während die Ausübung eines öffentlichen Amtes im demokratischen Staat prinzipiell einen starken Sozialbezug aufweist343• Demgegenüber ist dem umweltschützenden Ziel des Zugangsrechts gerade bezüglich dieser Gruppe ein besonders großer Erfolg zu prognostizieren, weil durch die Instrumentalisierung des Bürgers dem durch die Verwaltungen erzeugten Vollzugsdefizit entgegengewirkt werden soll. Die Preisgabe der personenbezogenen Daten der dritten Gruppe im Rahmen des von Dritten geltend gemachten Umweltinformationszugangsrechts ist folglich ebenfalls angemessen. (4) Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Gruppe 4
Die Abwägung mit den in dieser Gruppe quasi übrig gebliebenen Geheimhaltungsinteressen der im weitesten Sinne Einwender, sonstigen Beteiligten und Umweltsündem erweist sich an mehreren Stellen komplizierter. Ebenso: Erichsen/Scherzberg, S. 94f.; Turiaux, § 8 Rn 19. Ebenso für das deutsche Verfassungsrecht: Erichsen/Scherzberg, S. 93 f.; Turiaux, § 8 Rnl7,19. 342 Turiaux, § 8 Rn 22; Erichsen/Scherzberg, S. 94. 343 Ebenso: Erichsen/Scherzberg, S. 94. 340 341
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(a) Geeignetheit Aufgrund des weiten Kreises der Betroffenen dieser Gruppe unterliegt bereits die Geeignetheit des Zugangsrechts Bedenken. Zum Teil wird beispielsweise darauf hingewiesen, daß hinsichtlich der Widerspruchsführer, Einwender und Informanten kaum Fälle denkbar seien, in denen die Weitergabe des Namens des Informanten einen unmittelbaren Einfluß auf die umweltschädigenden Vorgänge haben könnte 344• Wie die in dieser Aussage gemachte Einschränkung "kaum" bereits vermuten läßt, trifft sie jedoch keineswegs in allen denkbaren Konstellationen zu. Auch Widerspruchsführer und Einwender vermögen neue umweltrechtliche oder tatsächliche Aspekte in ein Verwaltungsverfahren einzubringen, deren Seriosität und Qualität durchaus von ihrem Namen abhängen. Auch auf der Seite der Informanten ist Unseriosität und Querulantenturn keinesfalls ausgeschlossen. Die Geeignetheit läßt sich in diesem Bereich vielmehr nur im Einzelfall bestimmen. (b) Erforderlichkeit Die Erforderlichkeil der Offenbarung der personenbezogenen Daten dieser Gruppe unterliegt keinen zusätzlichen Bedenken. Wie zuvor erweisen sich Schwärzungen und Anonymisierungen auch hier im Hinblick auf die stets bedeutsame umweltschutzrechtliche Verantwortlichkeit oder die Aussagekraft der Information als weniger geeignet. (c) Angemessenheil Wie schon die Andeutungen in der Prüfung der Geeignetheit gezeigt haben, ist es für diese Auffanggruppe besonders schwierig, generell zu bestimmen, ob Umweltschutz- oder Datenschutzinteressen der Vorrang einzuräumen ist. Allein aufgrund der Qualifikation als Umweltinformationen weisen alle dieser personenbezogenen Daten in Verbindung mit dem Prinzip der umweltschutzrechtlichen Verantwortlichkeit einen gewissen Sozialbezug auf345• Umgekehrt würde durch die Weitergabe dieser Daten in nahezu keinem Fall in die Intimsphäre als engstem, unmittelbar persönlichkeitsgeprägtem Bereich und Gegenbegriff zum Sozialbezug eingegriffen, deren Offenbarung nach deutschem verfassungsrechtlichen Verständnis stets unzulässig wäre 346 • Durch Zuhilfenahme konkreter Beispiele läßt sich vielmehr zeigen, daß teilweise der Aspekt des Sozialbezugs und teilweise der der Vertraulichkeit der personenbezogenen Daten im Vordergrund steht.- Während der Name von Minderjährigen im Hinblick auf die Wertungen des Jugendstrafrechts Dritten im Falle einer Turiaux, § 8 Rn 14. Ebenso: Turiaux, § 8 Rn 19. 346 Vgl. beispielsweise: BVerfG E 27, 1, 6 "Mikrozensus"; 34, 238, 245 ,,heimliche Tonbandaufnahmen"; 35, 202, 220f. ,,Lebach", 65, 1, 44,46 "Volkszählung". 344 345
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
Umweltordnungswidrigkeit sicherlich nicht offenbart werden sollte, stellt sich dies für den unbelehrbaren, erwachsenen Wiederholungstäter, der gegen denselben Ordnungswidrigkeitentatbestand verstößt, möglicherweise anders dar. Verteilt letzterer quasi gewerbsmäßig nicht nur den eigenen, sondern auch den Hausmüll seiner Nachbarn wild in der Landschaft, so ist die Grenze vom unerfreulichen Jugendstreich zum öffentlichen Ärgernis deutlich überschritten. Der so entstehende Sozialbezug kann die Offenbarung des Namens im Rahmen eines von Dritten geltend gemachten Umweltinformationsanspruchs als verhältnismäßig erscheinen lassen. Ähnlich ist der Name des Nachbarn, der erfolgreich die Genehmigung einer Entsorgungsanlage für Atommüll verhindern kann, weil allein ihm eine subjektivrechtlich geschützte Nutzung durch die Genehmigung unmöglich gemacht würde347, sicherlich so bedeutsam für die gesellschaftlichen Umweltinteressen, daß ein Umweltinformationszugangsrecht Dritter bejaht werden müßte, während die Namensnennungen anderer Einwender oben schon Zweifel im Hinblick auf ihre Geeignetheit aufwarfen. Mögen diese Beispiele konstruiert erscheinen, so verdeutlichen sie gleichwohl, daß es für die große Zahl der in der vierten Gruppe gemeinsam untersuchten Umweltinformationen nicht möglich ist, einen generellen Vorrang des Informationsanspruchs beziehungsweise der privaten Geheimhaltungsinteressen festzustellen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber stand folglich vor der Entscheidung, die Weitergabe dieser personenbezogenen Daten gänzlich nicht zuzulassen und damit den Anwendungsbereich des Umweltinformationszugangsrechts erheblich zu verkleinern oder aber eine Abwägungsmöglichkeit vorzusehen, anhand derer im Einzelfall über die Offenbarung der personenbezogenen Daten zugunsten des Umweltschutzes im Sinne der Verwirklichung praktischer Konkordanz zweier prinzipiell schützenswerter Güter entschieden werden kann 348 . (d) Gewährleistung von Datenschutz durch Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie Fraglich ist aber, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber in dem in der Umweltinformationsrichtlinie festgelegten Verhältnis von Umweltschutz- und Datenschutzinteressen den datenschutzrechtlichen Anforderungen hinreichend Rechnung getragen 347 Als praktisches Beispielläßt sich die auf Antrag von Herrn Bernstorff bewilligte Genehmigung des Rahmenbetriebsplans zur Salzgewinnung in Gorleben durch das Bergamt Celle anführen (vgl. die tageszeitung [taz) vom 18.4.1998). Diese erschwert- ohne hier politisch zu Problemen der Atomenergie Stellung nehmen zu wollen - ganz gewiß die im gesellschaftlichen Interesse liegende Erkundung einer möglicherweise sicheren Entsorgungsmöglichkeit des drängenden Problems des Atommülls. 348 Für den deutschen Umsetzungsgesetzgeber ebenso: Erichsen!Scherzberg, S. 95; prinzipiell zu dieser typischen Problematik zwischen Akteneinsicht und Persönlichkeitsschutz: Schünemann, DVBI. 1988,520, 521,527 mwN. Auch nach BVerfG E34, 238, 245 "Lebach" läßt sich nur im Einzelfall zugunsten der Privatsphäre des einzelnen oder der Interessen der Allgemeinheit entscheiden.
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hat. Problematisch ist insoweit, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie zumindest dem Wortlaut nach keine Pflicht zur Einzelfallabwägung der für den Vollzug des Zugangsrechts verantwortlichen, mitgliedstaatlichen Behörden vorgesehen hat. Nach dieser Vorschrift ,,können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß ein Antrag auf Zugang zu einer Umweltinformation abgelehnt wird, wenn diese die Vertraulichkeit personenbezogener Daten und/oder Akten berührt". Obwohl die Klausel bei wohlwollender Umsetzung durch die Mitgliedstaaten sicherlich einen hinreichenden Datenschutz gewährleisten könnte, eröffnet sie die Gefahr der Umgehung des gemeinschaftsgrundrechtlich abgesicherten, datenschutzrechtlichen Minimums, wenn die Mitgliedstaaten diesen Minimalschutz nicht durch die Umsetzung einer Abwägungsmöglichkeit absichern. Demnach hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber gegen gemeinschaftsgrundrechtliche Datenschutzgewährleistungen verstoßen, wenn die "Kann"-Bestimmung des Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie den Mitgliedstaaten tatsächlich den Spielraum eröffnet, auf die Gewährleistung dieses Minimums zu verzichten. Mittlerweile haben zwar alle Mitgliedstaaten die Umweltinformationsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt und dabei weitestgehend auch Datenschutzklauseln eingeführt349• Die hier untersuchte Frage, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber bei Erlaß der Umweltinformationsrichtlinie seinen gemeinschaftsgrundrechtliehen Verpflichtungen nachgekommen ist, muß indes nach rechtlichen Kriterien und damit unabhängig von der tatsächlichen Umsetzung durch die Mitgliedstaaten beantwortet werden. Schon die regelmäßig bei der Umsetzung des gemeinschaftlichen Umweltrechts auftretenden Vollzugsdefizite zeigen, daß es auf die praktisch erfolgte Umsetzung durch die Mitgliedstaaten nicht ankommt. (e) Primärrechtskonforme Auslegung des Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie Nach- soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung 350 und ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 351 sind die Mitgliedstaaten im allgemeinen nicht die Adressaten der Gemeinschaftsgrundrechte. Diese sind entwickelt worden, um eine Lücke des Gemeinschaftsrechts zu schließen und die Gemeinschaftsorgane an in allen Mitgliedstaaten verwirklichte und damit auch auf Gemeinschaftsebene Geltung beanspruchende Grundsätze des Rechtsstaats zu binden. Da es der Gemeinschaft darüber hinaus an der Kompetenz mangelt, außerhalb der in den Verträgen vorgesehenen begrenzten Regelungsbereiche zwingendes Gemeinschaftsrecht für 349 V gl. den Bericht der Kommission an den Rat und das EP über die Erfahrungen aus der Anwendung der Umweltinformationsrichtlinie vom 29.6.2000 (KOM (2000), 400 endg.), Anhang B: Zusammenfassung der Berichte der Mitgliedstaaten über ihre Erfahrungen bei der Umweltinformationsrichtlinie, S. 24 ff. 350 Vgl. beispielsweise Streinz, Rn 368, Kokott, AöR 1996, 599, 604f., und Bleckmann, Rn620, 623 alle mwN. 35t Vgl. insbesondere EuGH E 1987,3719,3754, Rz.28 "Demirel".
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
die Mitgliedstaaten zu setzen, sind die Mitgliedstaaten keiner allgemeinen und unmittelbaren Bindung an die Gemeinschaftsgrundrechte unterworfen 352• Aus dem gleichen Grund besteht unstreitig auch in den Politiken, bei denen den Mitgliedstaaten insgesamt viel Spielraum verbleibt, weil mangels gemeinschaftlicher Kompetenzen nur wenige gemeinschaftsrechtliche Vorgaben bestehen, keinerlei unmittelbare Bindung an die Gemeinschaftsgrundrechte353 • Möglicherweise kann der aufgezeigte Mangel des Umweltinformationszugangsrechts aber durch primärrechtskonforme Auslegung der Umweltinformationsrichtlinie beseitigt werden. Eine Konformauslegung des gemeinschaftlichen Sekundärrechts wird- soweit ersichtlich - allgemein für zulässig gehalten 354 und vom Gerichtshof regelmäßig praktiziert 355, während eine dogmatische Auseinandersetzung mit der durch sie aufgeworfenen Problemstellungen bisher kaum ersichtlich ist356• Mag die Konformauslegung dem mit mehreren Rangebenen verschiedener Normen vertrauten Rechtsanwender als allgemeines Rechtsprinzip eher selbstverständlich als ungewöhnlich erscheinen, so stellen sich im Hinblick auf die primärrechtskonforme Auslegung gemeinschaftlichen Sekundärrechts zwei spezielle europarechtliche Probleme. Einerseits ist zu betonen, daß im Rat nach wie vor Regierungsmitglieder der Mitgliedstaaten entscheiden und mitunter wie im Fall der Informationsrichtlinie nur einstimmig Rechtsakte verabschieden können. Insofern ließe sich halten, daß es durch die primärrechtskonforme Auslegung zu einer von den Mitgliedstaaten nicht gewollten Bindung an gemeinschaftsrechtliche Vorgaben komme. Andererseits könnte eingewendet werden, daß es aufgrund dieser primärrechtskonformen Auslegung doch zu einer, dann mittelbaren Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte käme, die sich mangels einer Lücke im nationalen Umsetzungsrecht, das den Bindungen an die Verfassungen der Mitgliedstaaten unterliegt, als überflüssig erweisen könnte. Die mit der primärrechtskonformen Auslegung verbundenen Probleme überschneiden sich folglich mit der Frage der Reichweite einer möglichen mittelbaren Bindungswirkung der Gemeinschaftsgrundrechte. Während deshalb auf das Problem der Reichweite der Bindungswirkung der Gemeinschaftsgrundrechte ausführlich einzugehen sein wird, läßt sich das Aigument der Überschreitung des mitgliedstaatliehen Rechtsbindungswillens aufgrund großzügiger Interpretation einer Richtlinie durch den Rechtsanwender leicht entkräften. Zum einen geht die dem Europäischen Gerichtshof durch Art. 220 (ex-Art. 164) EGV zugewiesene Aufgabe der Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrags nicht über das Maß rechtsfortbildender richterlicher Interpretation hinaus, dem jeder Gesetzgeber in einem durch Gewaltenteilung geprägten SyVgl. zur Begründung dieses Grundansatzes statt aller: Bleckmann, Rn611, 620, mwN. EuGH E 1985, 2605, 2627, Rz. 26 "Cinetheque". 354 Vgl. beispielsweise: Schmidt, in: Handkom. EUV/EGV, Art. 189 Rn 22 mwN; Bleckmann, Rn607; Kokott, AöR 1996,599,604 mwN; Wetter, S. 98. 355 EuGH E 1983, 4063, 4075 Rz. 13, 15; 1986, 3477, 3510, Rz. 21; 1991 I, 3617, 3637, Rz.12mwN. 356 Anders- soweit ersichtlich- nur: Bleckmann, Rn607, 611 ff. 352
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B. Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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stem unterliegt. Vor allem ändert aber die Zusammensetzung des Rates aus Vertretern der Mitgliedstaaten nichts daran, daß die eigentlichen Ratsbeschlüsse Willensund Rechtsakte allein der Gemeinschaft sind. Die Verantwortlichkeit des Vertreters der Mitgliedstaaten gegenüber seinem Heimatland ist im Innenverhältnis politischer Art und auf die Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Rechtsakts ohne Bedeutung. Fraglich ist somit, ob eine mittelbare Bindung der Mitgliedstaatenaufgrund primärrechtskonformer Auslegung überflüssig oder sogar schädlich ist, wenn die Umsetzungsgesetzgeber nicht nur an Vorgaben der nationalen Verfassungen sondern auch der Gemeinschaftsgrundrechte gebunden sind. Diese können nämlich durchaus voneinander abweichen, weil die Gemeinschaftsgrundrechte im Wege der wertenden Rechtsvergleichung ermittelt werden, so daß nicht in der Verfassung jeden Mitgliedstaats das rechtsstaatliche Prinzip verankert sein muß, das der Gerichtshof als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkennt357 • Demnach erscheint auch eine mittelbare Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte im Sinne einer nach Möglichkeit widerspruchsfreien Rechtsordnung allenfalls sinnvoll, soweit eine von den Verfassungen der Mitgliedstaaten nicht ausgefüllte dahingehende Regelungslücke besteht. Nach der wohl überwiegenden Auffassung besteht eine solche Regelungslücke nicht, wenn und soweit den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts ein Spielraum zusteht358• Soweit umgekehrt bindende Vorgaben bestünden, fanden nach der "solange 2"-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutsche Grundrechte keine Anwendung. Dies führe zu einer Lücke im System effektiven Grundrechtsschutzes bei der Umsetzung zwingenden sekundären Gemeinschaftsrechts, die durch die Gemeinschaftsgrundrechte zu schließen sei 359• Nach dieser Auffassung kommt es im Ergebnis zu einer mittelbaren Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, soweit zwingende gemeinschaftsrechtliche Vorgaben bestehen und deshalb der Rekurs auf nationale Grundrechte aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts unzulässig ist. Diese Bindung ergänzt folglich den nationalen Grundrechtsschutz im Sinne des "solange 2"-Beschlusses um den durch sie verkürzten Teil und gewährleistet so einen umfassenden Grundrechtsschutz. Mag diese Auffassung auf den ersten Blick plausibel erscheinen, so muß sie in einem wichtigen Punkt auf Kritik stoßen. Die entscheidende Vorfrage, inwieweit Zum Prinzip der wertenden Rechtsvergleichung schon oben, A. II. 3. b) bb). Besonders deutlich: Gulmann, in: EuGHE 1994 I, 955,971 f., Rz.32f. ,,Bostock" undNicolaysen, EuR 1989,215, 222f. mwN. Ähnlich: Rengeling, S.200, 190, Streinz, Rn368, und Gersdorf, AöR 119 (1994), 400, 407, die zwar alle die sogleich untersuchte, unklare Rechtsprechung des EuGH zur Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte "im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts" zitieren, diese jedoch ausdrUcklieh auf den Bereich zwingender Vorgaben oder Verpflichtungen des Gemeinschaftsrechts beschränken. 359 Vgl. insbesondere: Rengeling, S. l90 undNicolaysen, EuR 1989,215, 220f. beide mwN. Ähnlich: Streinz, Rn 368. Umfassend auch: Iones, insbesondere S. 71 ff., 79. 357 358
7 Strohmeyer
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1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
überhaupt zwingende gemeinschaftsrechtliche Vorgaben bestehen und damit das eigentliche praktische Problem, ist mit ihr nämlich noch keinesfalls gelöst. Ein Blick auf die Praxis wird zeigen, daß auch nach dieser Auffassung auf eine genaue Auslegungsmethodik nicht verzichtet werden kann. - Praktisch sind drei Konstellationen denkbar, in denen Gemeinschaftsgrundrechte Folgefragen im Hinblick auf den Vollzug einer sekundären Gemeinschaftsvorschrift aufwerfen können: Erstens ist denkbar, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Sachregelung vorgibt und gleichzeitig ebenfalls sekundärrechtlich den dabei zu gewährleistenden Gemeinschaftsgrundrechtsschutz anordnet. Diese ist mit der dem "solange 2"-Beschluß zugrundeliegenden Situation vergleichbar, die regelmäßig beim Vollzug von gemeinschaftlichen Verordnungen vorliegt. Zweitens ist das seltene Gegenbeispiel denkbar, in dem der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Regelung trifft und gleichzeitig Einschränkungen verbietet, die zum Schutz von Grundrechten genutzt werden könnten. In dieser Konstellation ist der Sekundärrechtsakt nichtig, wenn die Regelung in Gemeinschaftsgrundrechte eingreift. Drittens erläßt der Gemeinschaftsgesetzgeber in allen anderen Fällen eine Regelung, ohne bis ins Detail festzulegen, inwieweit der Umsetzungsgesetzgeber Gemeinschaftsgrundrechte schützen muß oder darf. Dieser letzte, zumeist anzutreffende Fall entspricht der Situation des Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Umweltinformationsrichtlinie und der allgemein bei Richtlinien typischen Konstellation. Erst die Auslegung und nicht eine mehr oder weniger prinzipielle Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte kann ergeben, inwieweit gemeinschaftsrechtliche Vorgaben bestehen und inwieweit diese Vorschrift den Mitgliedstaaten einen Spielraum eröffnet. Die Auslegung eines Sekundärrechtsakts und die mögliche Bindung an Gemeinschaftsgrundrechte hängen folglich in dem Sinn zusammen, daß sich eine mittelbare Bindung der Mitgliedstaaten an Gemeinschaftsgrundrechte allenfalls als Folge der Auslegung ergeben kann. Keinesfalls erübrigt sich die Auslegung eines Sekundärrechtsakts, weil vorschnell von Vorgaben des Gemeinschaftsrechts ausgegangen werden kann, die durch die Zuhilfenahme von Gemeinschaftsgrundrechten ausgefüllt werden müßten. Für die Vorschrift des Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie ergibt sich demnach folgendes: Die oben angeführten Beispiele zeigen, daß innerhalb der vierten Gruppe Einzelnille konstruierbar sind, in denen der Datenschutz Vorrang vor dem Umweltschutzziel des Zugangsrechts haben muß. In diesem Bereich des datenschutzrechtlich zwingend zu garantierenden Minimums müssen sich im Ergebnis deshalb gemeinschaftsweit die Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen durchsetzen können. Da die Richtlinie anderenfalls nichtig wäre, ist fraglich, ob sie dieses Ergebnis rechtlich stets ermöglicht. Da aufgrund der wertenden Rechtsvergleichung nicht notwendigerweise alle nationalen Verfassungen dieses Ergebnis garantieren können müssen 36(>, muß die Richtlinie dieses Ergebnis selbst erzwingen. Insoweit 360 So sieht sich beispielsweise Italien nicht verpflichtet, von Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie Gebrauch zu machen. V gl.: Bericht der Kommission an den Rat und das EP über die Erfahrungen aus der Anwendung der Umweltinformationsrichtlinie vom 29.6.2000 (KOM
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sind rechtsdogmatisch zwei Ergänzungen des Regelungsgegenstands der Richtlinie denkbar. Einerseits könnte mit der wohl überwiegenden Meinung die problematische "Kann"-Bestimrnung mit der Pflicht der nationalen Rechtsanwender, beim Vollzug der Norm die Gemeinschaftsgrundrechte zu beachten, verknüpft werden, ohne die Bestimmung selbst näher auszulegen. Andererseits bietet sich der Lösungsansatz an, eine primärrechtskonforme, das Ermessen des Umsetzungsgesetzgebers reduzierende Auslegung des Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie vorzunehmen. Nach dieser letzteren, hier vertretenen Auffassung erübrigte sich der Rekurs auf die Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte. Die nationalen Behörden hätten schlicht das gemeinschaftsrechtskonforme Umsetzungsrecht zu vollziehen. Der Unterschied der hier vertretenen Auffassung zu der wohl überwiegenden Auffassung liegt folglich nicht nur in der rechtsdogmatischen Begründung des insoweit gemeinschaftsgrundrechtlich vorgegebenen Ergebnisses: Das Umweltinformationszugangsrecht darf gemeinschaftsweit in keinem Fall das gemeinschaftsgrundrechtlich zu gewährleistende Minimum an Schutz personenbezogener Daten, das in Einzelfällen der Gruppe 4 offenbart zu werden droht, verletzen. Dogmatisch vorzugswürdiger erscheint aber die alltägliche Bindung des Rechtsanwenders an ausgelegte Rechtssätze anstelle einer überflüssigen Konstruktion mittelbarer Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte. Es besteht kein Grund, von der naheliegenden und banalen Aussage abzuweichen, daß die nationalen Grundrechte die Nationen und die Gemeinschaftsgrundrechte die Gemeinschaft binden. Soweit eine solche gemeinschaftsgrundrechtskonforme Auslegung praktiziert wird, können keine Regelungslücken entstehen, für die ein Rekurs auf die Bindung an Gemeinschaftsgrundrechte erforderlich wäre. Diese Bindung ist eine überflüssige Kategorie. In allen anderen Fällen, in denen auch innerhalb der vierten Gruppe Spielraum im Rahmen einer Güterahwägung besteht, ist ein gemeinschaftsrechtlich zwingend einzuhaltendes Minimum nicht betroffen. Die Mitgliedstaaten sind insoweit folglich nur an ihr nationales Verfassungsrecht gebunden. Nach einer anderen, nicht nur in der dogmatischen Begründung abweichenden Auffassung finden die Gemeinschaftsgrundrechte auch in dem Bereich Anwendung, in dem ein mitgliedstaatlicher Umsetzungsspielraum besteht361 • Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß die Mitgliedstaaten eine Art Auftragsverwaltung für die Gemeinschaft durchführten. Die nationalen Verwaltungen handelten insoweit als "europäische Organe" und seien folglich den europäischen Regeln unterworfen. Da das zu vollziehende Europäische Gemeinschaftsrecht durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze geprägt sei, müßten diese auch bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts beachtet werden. Dies gelte nicht nur, soweit es die Staaten binde, sondern auch soweit es ihnen einen Ermessensspielraum einräume, weil bei der (2000), 400 endg.), Anhang B: Zusammenfassung der Berichte der Mitgliedstaaten über ihre Erfahrungen bei der Umweltinformationsrichtlinie, S. 24 ff., 36. 361 Vgl. insbesondere Bleckmann, Rn6ll ff., 614; ähnlich: Wetter, S. 94f. 7*
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l. Teil: Europarechtliche Vorgaben
Ausübung dieses Ermessens die im Gesetz verankerten Prinzipien und Leitideen konkretisiert werden müßten, zu denen beim Gemeinschaftsrecht auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze gehörten 362• Dieser Auffassung ist jedoch entgegenzuhalten, daß die allgemeinen Rechtsgrundsätze keinesfalls allgemeingültige, übergeordnete Prinzipien darstellen. Einerseits gebietet der Grundsatz der Subsidiarität, daß es zu keiner unnötigen Überlagerung des nationalen Rechts kommt. Darauf weist schon die eigentliche, lückenfüllende Funktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze hin. Vor allem spricht andererseits gegen diese Auffassung aber, daß sich sowohl die Umsetzungsgesetzgeber als auch die nationalen Behörden an zwei verschiedene übergeordnete Wertungsmaßstäbe gebunden sähen, die inhaltlich voneinander abweichen, ohne intern in einem Rangverhältnis zueinander zu stehen, weil im Ermessensbereich der Mitgliedstaaten schon begrifflich kein Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts besteht. Auch das von der Gegenauffassung angeführte Prinzip der gemeinschaftsweiten einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts findet gerade keine Anwendung, soweit das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten Ermessensspielräume eröffnet. Soweit indes der "effet utile" einer Richtlinie umgangen zu werden droht, liegt schlicht eine kein Ermessen beinhaltende, verbindliche sekundärrechtliche Zielvorgabe vor, wie Art. 249 Abs. 3 (ex-Art. 189 Abs. 3) EGV dies auch ausdrücklich bestimmt. Die sicherlich oftmals schwierige und letztverbindlich vom Europäischen Gerichtshof zu entscheidende Frage, inwieweit zwingende Vorgaben bestehen, kann allein einer Auslegung der anzuwendenden Normen entnommen werden363 • Im Ermessensbereich ist die Annahme einer mittelbaren Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte folglich nicht nur dogmatisch weniger überzeugend, sondern schadet dem effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts. Das hier gefundene Ergebnis widerspricht entgegen dieser Auffassung keinesfalls der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Diese wird erst hier herangezogen, weil sich beide Auffassungen und auch die hier vertretene Variante von ihr bestätigt sehen. Sie ist nur schwer erfaßbar, weil sich der Gerichtshof in seinen regelmäßig knapp gehaltenen Urteilsgründen in keinem Fall zu den umfassenden Ausführungen des jeweiligen Generalanwalts äußert und auch die verschiedenen Generalanwälte begründete, aber konträre Auffassungen vertreten. Alles spricht demnach dafür, daß auch den Richtern des Gerichtshofs untereinander bisher keine Einigung auf eine einheitliche Linie gelingt. Als Beleg seien zunächst drei Entscheidungen des Gerichtshofs zum Problem der primärrechtskonformen Auslegung herangezogen, die die hier vertretene Auffassung unterstützen. In den Entscheidungen "Lome", "Klensch" und "Neu" entwikkelt der Gerichtshof nämlich den Grundsatz, daß eine Bestimmung des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts im Falle ihrer Auslegungsbedürftigkeit möglichst so auszule362 363
Nach: Bleckmann, Rn614. Vgl. ähnlich: Nicolaysen , EuR 1989,215,221.
B. Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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gen sei, daß sie mit den Bestimmungen des EGV vereinbar sei364 • In der insoweit jüngsten Entscheidung "Neu" bezeichnet der Gerichtshof diesen Grundsatz als "gefestigte Rechtsprechung" und erweitert ihn auch auf die Vereinbarkeit mit den "allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts" 365 • Diesen Entscheidungen läßt sich zwar nicht entnehmen, ob auch die Gemeinschaftsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze von dieser Vereinbarkeitsprüfung umfaßt werden oder ob diese nicht zum "EGV" oder den "allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts" zu zählen sind, sie sprechen jedoch für einen selbstverständlichen Umgang des Gerichtshofs mit dem naheliegenden Prinzip der primärrechtskonformen Auslegung. Drei andere Entscheidungen des Gerichtshofs, die sich konkreter mit der Frage der mittelbaren Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte befassen, werden demgegenüber von allen vertretenen Auffassungen als Bestätigung ihrer Thesen herangezogen. In den Entscheidungen "Cinetheque", "Demirel" uq.d "E. R. T." geht der Gerichtshof nämlich davon aus, daß er zwar für die Einhaltung der Grundrechte auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts zu sorgen habe, er jedoch nicht prüfen könne, ob ein nationales Gesetz, das zu einem Bereich gehöre, der in das Ermessen des nationalen Gesetzgebers falle, mit der EMRK vereinbar sei 366• Falle eine solche Regelung hingegen in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts, so habe der Gerichtshof, wenn er im Vorabentscheidungsverfahren angerufen werde, dem vorlegenden Gericht alle Auslegungskriterien an die Hand zu geben, die es benötige, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten beurteilen zu können, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern habe 367 • Besteht Einigkeit darüber, daß die Aussage der älteren Urteile "Cinetheque" und "Demirel" eher gegen eine mittelbare Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte spricht, so wird das weitergehende ,,E.R. T."-Urteil von der Gegenauffassung oft als Wende in dieser Rechtsprechung angesehen 368• Demgegenüber sieht die wohl überwiegende Auffassung die Streitfrage lediglich dahingehend verschoben, inwieweit mitgliedstaatliche Bestimmungen "im Rahmen des Gemeinschaftsrechts" ergangen seien und lehnt dies ab beispielsweise im Fall der jüngeren Rechtssache "Bostock", weil den Mitgliedstaaten insoweit unstreitig ein Umsetzungsspielraum zustehe 369• Abgesehen davon, daß die seit dem "E.R. T."-Urteil betonte Auslegungshilfe durch den Gerichtshof370 auch im Rahmen der hier vertretenen Konzeption einer primärrechtskonformen Auslegung sekundärer Gemeinschaftsrechts364 EuGH E 1983, 4063, 4075 ,,Lome" ; E 1986, 3503, 3510, Rz. 21. "K1ensch"; E 1991 I, 3633, 3637, Rz.12 "Neu". 36s EuGH E 1991 I, 3633, 3637, Rz. 12 "Neu". 366 EuGH E 1985,2605,2627, Rz.26 "Cinetheque" ; E 1991 I, 2951,2964, Rz.42 ,,E.R.T."; ähnlich: E 1987, 3719,3754, Rz.28 "Demire1". 367 EuGH E 1991 I, 2951, 2964, Rz. 42 "E. R. T.". 368 Vgl. beispielsweise: Bleckmann, Rn623. 369 Gulmann, in: EuGH E 1994 I, 955, 971 f., Rz. 32f. "Bostock". 370 Vgl. neben EuGH E 1991 I, 2951,2964, Rz.42 ,,E.R.T." auch: E 1994 I, 955,983, Rz.16 "Bostock" und E 1997 I, 2631,2645, Rz. 15 mwN "Kremzow".
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1. Teil: Europarecht1iche Vorgaben
akte ihren wichtigen Platz findet, weil auch die letztverbindliche Auslegung eines Sekundärrechtsakts bezüglich zwingender Vorgaben des Primärrechts dem Gerichtshof verbleibt, lassen sich auch die unmittelbar anschließenden Ausführungen im .,E.R. T."-Urteil in die hier vertretene Konzeption einfügen. In der nachfolgenden Randziffer betont der Gerichtshof nämlich, daß insbesondere, wenn ein Mitgliedstaat sich auf Art. 66 (jetzt: 55) in Verbindung mit Art. 56 (jetzt: 46) EGV berufe, um eine Regelung zu rechtfertigen, die geeignet sei, die Ausübung der Dieostleistungsfreiheit zu behindern, diese im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen sei 371 • Diese Ausführungen legen den Schluß nahe, daß die mitgliedstaatliehen Gesetzgeber schlicht an ausgelegtes Gemeinschaftsrecht gebunden sind, dessen konkreter Inhalt sich seinerseits erst aufgrund gemeinschaftsgrundrechtskonformer Auslegung ermitteln läßt. Umgekehrt ließe sich wiederum bereits der Folgesatz zur Unterstützung der Gegenauffassung heranziehen. Danach könne die in Art. 66 (jetzt: 55) in Verbindung mit Art. 56 (jetzt: 46) EGV vorgesehene Ausnahme für die betreffende nationale Regelung nur dann gelten, wenn sie im Einklang mit den Grundrechten stehe, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern habe 372• Drei weitere Entscheidungen des Gerichtshofs sprechen demgegenüber in der Tat eher für die Gegenauffassung. In den Rechtssachen .,Wachauf", .,Bostock" und .,Graff" betont der Gerichtshof nämlich, daß auch die Mitgliedstaaten die Erfordernisse des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung bei der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zu beachten hätten und diese deshalb, soweit irgend möglich, in Übereinstimmung mit diesen Erfordernissen anwenden müßten 373 • Allerdings sprechen auch Teile der Ausführungen des Gerichtshofs in der Rechtssache .,Wachauf", auf die er sich im .,Bostock"-Urteil ausdrücklich stützt, dafür, daß der Gerichtshof lediglich eine primärrechtskonforme Auslegung der in Frage stehenden Verordnung vornimmt. So stellt der Gerichtshof unmittelbar vor der soeben zitierten Passage fest, daß eine gemeinschaftsrechtliche Regelung, die dazu führen würde, daß ein Pächter nach Ablauf des Pachtverhältnisses entschädigungslos um die Früchte seiner Arbeit und der von ihm vorgenommenen Investitionen gebracht würde, mit den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung unvereinbar wäre 374 • Diese Ausführungen schließen keinesfalls aus, daß der Gerichtshof entgegen der Vorlagefrage auch an dieser Stelle lediglich die Vereinbarkeil der Verordnung mit den Gemeinschaftsgrundrechten überprüft. Dafür spricht auch sein nachfolgender Hinweis, daß die fragliche Regelung der Verordnung den zuständigen nationalen Behörden einen Ermessensspielraum lasse, der weit genug sei, um ihnen die Anwendung dieser Regelung in EuGH E1991 I, 2951,2964, Rz.43 .,E.R.T.". Ebenda. 373 EuGH E 1994 I, 955, 983, Rz. 16 ,.Bostock" und E 1994 I, 3361, 3379, Rz. l7 ,.Graff". Ähnlich: E 1989,2609, 2639, Rz. 19 ,.Wachauf". 374 EuGH E 1989, 2609, 2639, Rz.19 ,.Wachauf" . 37 1 372
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einer mit den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes im Einklang stehenden Weise zu ermöglichen375• Auch die - soweit ersichtlich -letzte zu dieser Problematik ergangene Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache "Kremzow" bringt keine Klarheit. Ähnlich den Entscheidungen ,,E. R. T." und "Bostock" betont der Gerichtshof vor allem die von ihm zu leistende Auslegungshilfe im "Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts"376. Allerdings falle eine Regelung nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts, wenn sie keinen Bezug zum Gemeinschaftsrecht herstelle, der eng genug wäre, die Anwendungen der Gemeinschaftsbestimmungen zu rechtfertigen 377 • Der Gerichtshof faßt damit den "Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts" etwas enger. Er entscheidet folgerichtig, daß zwar jeder Freiheitsentzug geeignet sei, die Ausübung der Freizügigkeit der Unionsbürger zu behindern, daß damit aber mitgliedstaatliche Straftatbestände, die ein vom Gemeinschaftsrecht nicht geschütztes Verhalten sanktionierten, nicht als im "Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ergangen" angesehen werden könnten 378 • Nachall dem erscheint eine einheitliche dogmatische Einordnung der Rechtsprechung des Gerichtshofs kaum möglich379.- Bezeichnend ist vielmehr, daß auch die umfassend begründeten Versuche verschiedener Generalanwälte, diese Rechtsprechung des Gerichtshofs in dogmatischer Hinsicht zu ordnen, allesamt erfolglos blieben. - Zunächst führte der Generalanwalt Trabucchi anläßlich der Rechtssache "Watson und Belmann" aus, daß der Schutz der Menschenrechte gemeinschaftsrechtlich auch im Verhältnis zu den Staaten von Bedeutung sei, soweit das geltend gemachte Grundrecht mit einem Rechtsverhältnis oder einer Rechtslage verknüpft sei, deren Regelung den spezifischen Gegenstand des Vertrags ausmache. Da jedoch die Gewährleistung der Grundrechte in den Mitgliedstaaten in erster Linie deren Gerichten und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte obliege, könne der Europäische Gerichtshof der Gemeinschaften mitgliedstaatliche Akte nicht im gleichen Umfang auf ihre Grundrechtskonformität überprüfen wie Akte der Gemeinschaftsorgane380. Darüber weit hinausgehend proklamierte Generalanwalt Jacobs im Sinne der Gegenauffassung anläßlich der Rechtssache "Wachauf", daß die Mitgliedstaaten selbstverständlich den gleichen Zwängen in bezug auf den Grundsatz der Achtung der Grundrechte wie der Gemeinschaftsgesetzgeber unterlägen, wenn sie aufgrund der ihnen durch Gemeinschaftsrecht übertragenen Befugnisse handelten381. In der Rechtssache "Konstantinidis" bekräftigt er, daß jeder GemeinschaftsEuGH E 1989, 2609, 2640, Rz. 22 "Wachauf". E 1997 I, 2631,2645, Rz.15 "Kremzow". 377 E 1997 I, 2631,2645, Rz.16 ,,Kremzow". 378 E 1997 I, 2631,2645, Rz.16 "Kremzow" . 379 Vgl. nach ebenfalls umfassender Betrachtung im Ergebnis ähnlich: Ruffert, EuGRZ 1995, 518ff., 522 mwN. 380 Trabucchi, in: EuGH E 1976, 1185, 1207 "Watson und Belmann". 381 Jacobs, in: EuGH E 1989, 2609, 2629, Rz. 22 "Wachauf". 375
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bürger davon ausgehen dürfe, daß er, wohin er sich in der Europäischen Gemeinschaft zu Erwerbszwecken auch begebe, stets im Einklang mit einer gemeinsamen Ordnung von Grundwerten behandelt werde, insbesondere denen, die in der EMRK niedergelegt seien. Mit anderen Worten sei er berechtigt, zu sagen "civis europeus sum" und sich auf diesen Status zu berufen, um sich jeder Verletzung seiner Grundrechte zu widersetzen 382• Demgegenüber hält Generalanwalt Gulmann anläßlich der Rechtssache "Bostock" diese Ausführungen seines Kollegen ausdrücklich für zu weitgehend 383• Er hält zunächst fest, daß jedenfalls nationale Rechtsvorschriften, die nicht im Rahmen des Gemeinschaftsrechts ergangen seien, nicht auf ihre Vereinharkeil mit Gemeinschaftsgrundrechten überprüft werden könnten 384 • In Übereinstimmung mit der wohl überwiegenden Auffassung sei seines Erachtens die entscheidende Frage, ob die konkret zu überprüfenden mitgliedstaatliehen Bestimmungen so eng mit dem Gemeinschaftsrecht verknüpft seien, daß sie als "im Rahmen des Gemeinschaftsrechts ergangen" zu betrachten seien 385 • Diese verneint er in den nachfolgenden Ausführungen, weil den Mitgliedstaaten insoweit unstreitig ein Umsetzungsspielraum zustehe 386• Obwohl alle Generalanwälte umfassende Erwägungen unter Berücksichtigung der bis dahin ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs anstellen und gleichwohl zu widersprüchlichen Ergebnissen bezüglich der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs kommen, nahm der Gerichtshof in keinem der genannten Fälle zu den jeweiligen Ausführungen der Generalanwälte Stellung 387• Da aber auch die Urteile selbst keine einheitliche dogmatische Linie erkennen lassen, erscheint die oben herausgearbeitete, hier vertretene Auffassung als die natürlichste, keine unnötigen Kategorien oder Grundrechtsüberlagerungen herbeiführende Lösung der aufgeworfenen Problemstellung. Das Umweltinformationszugangsrecht darf gemeinschaftsweit in keinem Fall das gemeinschaftsgrundrechtlich zu gewährleistende Minimum an Schutz personenbezogener Daten verletzen. Die "Kann"-Vorschrift des Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie ist deshalb primärrechtskonform dahingehend auszulegen, daß innerhalb dieses Minimalbereichs eine Ermessensreduktion auf ein "Muß" vorliegt. Darüber hinaus besteht kein Grund, von der naheliegenden und banalen Aussage abzuweichen, daß die nationalen Grundrechte die Nationen und die Gemeinschaftsgrundrechte die Gemeinschaft binden. Soweit gemeinschaftsgrundrechtskonform Jacobs, in: EuGH E 1993 I, 1191, 1211 f., Rz.46 "Konstantidinis". Gulmann, in: EuGH E 1994 I, 955, 971, Rz. 31, Fn 12 "Bostock". 384 Gulmann, in: EuGH E 1994 I, 955,971, Rz.31 "Bostock". 385 Gulmann, in: EuGH E 1994 I, 955,971 f., Rz.32 "Bostock". Vgl. dazu ähnlich auchRengeling, S.200, 190, Streinz, Rn368, und Gersdorf, AöR 119 (1994), 400,407, die zwar alle die Rechtsprechung des EuGH zur Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte "im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts" zitieren, diese jedoch ausdrücklich auf den Bereich zwingender Vorgaben oder Verpflichtungen des Gemeinschaftsrechts beschränken. 386 Gulmann, in: EuGH E 1994 I, 955, 972f., Rz.33f. "Bostock". 387 Vgl. dazu auch: Ruffert, EuGRZ 1995, 518ff., 522 mwN. 382 383
B. Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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ausgelegt wird, können keine Lücken entstehen, für die ein Rekurs auf die Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte erforderlich wäre. Diese Bindung ist eine überflüssige Kategorie. In allen anderen Fällen, in denen auch innerhalb der vierten Gruppe Spielraum besteht, ist ein gemeinschaftsgrundrechtlich zwingend einzuhaltendes Minimum nicht betroffen. Die Mitgliedstaaten sind insoweit folglich nur an Vorgaben ihrer nationalen Verfassungsrechtsordnungen gebunden. Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie vermag also in Verbindung mit dem Prinzip der gemeinschaftsgrundrechtskonformen Auslegung in allen Fällen auch der vierten Gruppe den datenschutzrechtlichen Vorgaben der Gemeinschaftsgrundrechte gerecht zu werden. (5) Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Gruppe 5 Auch die Preisgabe der Daten der Betroffenen von Umwelteinwirkungen im Hinblick auf Krankheiten oder körperliche Beschwerden müßte sich im Rahmen der Gewährung eines Umweltinformationszugangs zugunsten Dritter als geeignet, erforderlich und angemessen erweisen. Bezüglich dieser Daten ist jedoch nicht ersichtlich, inwieweit die Nennung auch der Namen der Betroffenen zu einem effektiveren Umweltschutz führen könnte, weil die Betroffenen dieser Gruppe keiner umweltrechtlichen Verantwortlichkeit unterliegen. Der Verzicht auf die Preisgabe ihrer Namen durch eine Anonymisierung stellt insoweit folglich ein gleich geeignetes, aber milderes Mittel im Hinblick auf das angestrebte Umweltschutzziel dar. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß es mitunter umweltrechtlich von Bedeutung sein kann, eine spezielle Gruppe im Einwirkungsbereich einer bestimmten, beispielsweise noch nicht vollständig erforschten Umweltgefahr eingrenzen zu können. Wollen etwa private Antragsteller feststellen, ob in der Nachbarschaft eines bestimmten Kernkraftwerks eine Häufung von Krebserkrankungen nachweisbar ist, so läßt sich diese umweltrechtlich relevante Frage ebenso effektiv durch die Auswertung anonymisierter Daten beantworten. Die Krankheitshäufigkeit innerhalb eines bestimmten Personenkreises ist regelmäßig unabhängig von personenbezogenen Daten der einzelnen Individuen bestimmbar. Das Umweltinformationszugangsrecht ist in bezug auf diese fünfte Gruppe also nicht als erforderlich anzusehen. Personenbezogene Daten dürfen Dritten in diesem Bereich von den Behörden generell also nicht zugänglich gemacht werden 388• Auch insoweit ist Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie folglich dahingehend primärrechtskonform auszulegen, daß in diesem Bereich eine Ermessensreduzierung auf ein "Muß" anzunehmen ist.
388
Vgl. ähnlich für das deutsche Umsetzungsrecht Turiaux, § 8 Rn 23 f.
106
l. Teil: Europarechtliche Vorgaben
ee) Ergebnis zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Vereinbarkeit des Zugangsrechts mit gemeinschaftsgrundrechtlichem Datenschutz Art. 3 Abs. 2, 5. Spiegelstrich der Richtlinie vermag also in Verbindung mit dem Prinzip der gemeinschaftsgrundrechtskonformen Auslegung in allen Fällen der verschiedenen Gruppen den datenschutzrechtlichen Vorgaben der Gemeinschaftsgrundrechte gerecht zu werden. Das Umweltinformationszugangsrecht verstößt also nicht gegen ein gemeinschaftliches Datenschutzgrundrecht
b) Vereinbarkeil des Zugangsrechts mit gemeinschaftsgrundrechtlich geschützten Eigentumsrechten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Aufgrund der weiten Definitionen des Art. 2 der Umweltinformationsrichtlinie ist ebenfalls die Gefahr nicht femliegend, daß schützenswerte private Geheimhaltungsinteressen im Hinblick auf Patentrechte, Urheberrechte oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse etc. durch die Gewährung des Informationszugangs zugunsten Dritter unzulässigerweise von den Behörden weitergegeben werden. Das diesen Rechten oder Interessen zugrunde liegende Wissen kann - beispielsweise als Umwelterfindung über energieeffizientere Turbinen, als komplexe architektonische Planung von Großanlagen, als Information über Betriebsstörungen oder Emissionsdaten389 - eine Umweltinformation darstellen und ist in den genannten und in vergleichbaren Beispielen auch regelmäßig bei den Behörden gespeichert. Darauf weist auch bereits der Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 2, 4. Spiegelstrich der Richtlinie hin. Dieser bestimmt, daß die Mitgliedstaaten vorsehen können, daß ein Antrag auf Zugang zu einer Umweltinformation abgelehnt wird, wenn er Betriebsund Geschäftsgeheimnisse einschließlich des geistigen Eigentums berührt. Auch die Richtlinie geht folglich davon aus, daß das Umweltinformationszugangsrecht insoweit Geheimhaltungsinteressen Privater berühren kann. Die möglicherweise schützenswerten Geheimhaltungsinteressen finden schon in diesem Ausnahmetatbestand getrennt Erwähnung. Die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind folglich vom geistigen Eigentum zu unterscheiden. Unter dem Begriff des geistigen Eigentums wird regelmäßig das durch besondere Rechtsvorschriften und Verfahren geschützte Wissen verstanden, dessen Schutz üblicherweise mit seiner Eintragung und Veröffentlichung verbunden ist 390. Zum geistigen Eigentum zählen demnach die gemäߧ§ 1, 9, 35 PatG, §§ 1, 9, 15 WZG, §§ 3, 14,41 MarkenG, §§ 1, 7 GeschmMG, §§ 1, 8, 11 GebrMG, §§ 2-9 VerlG, §§ 1, 11,97 UrhG geschützten und zum Teil gemäß § 11 GeschmMG, § 31 PatG, § 8 Abs. 5 GebrMG, § 3 Vgl. weitere Beispiele bei Fluck/Theuer, § 8 Rn 332 ff. Vgl. dazu und zum folgenden statt aller: Turiaux, § 8 Rn 26 und Fluck/Theuer, § 8 Rn 111 ff., 114/119 beide mwN. 389
390
B. Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
107
Abs. 2 WZG, § 62 MarkenG eingetragenen Patent-, Lizenz-, Warenzeichen-, Marken-, Geschmacks- und Gebrauchsmuster-, Verlags- und Urheberrechte. Das geistige Eigentum zeichnet sich also typischerweise durch seine weitgehende Publizität aus. Obwohl bei den Lizenz-, Verlags- und Urheberrechten keine Eintragung vorgesehen ist, steht auch bei ihnen regelmäßig nicht die Geheimhaltung, sondern die Verwertung dieser Rechte im Vordergrund 391 • Der Schutz des geistigen Eigentums steht damit einer möglichen Weitergabe dieses Wissens aufgrund des Umweltinformationszugangsrechts Dritter nicht entgegen. Insoweit muß lediglich nach den jeweiligen Spezialvorschriften verhindert werden, daß von dem geschützten Recht in unerlaubter Weise Gebrauch gemacht wird. Diese Erleichterung eines unerlaubten Gebrauchmachens ist jedoch nicht Gegenstand des Umweltinformationszugangsrechts. Das geistige Eigentum rechtfertigt also generell nicht die Versagung des Informationszugangs 392• Ohne diese Publizität, also vor Durchlaufen des gesetzlich vorgezeichneten Anmeldungs- und EintTagungsverfahrens unterfallt technisches oder betriebliches Wissen (Know-how) hingegen den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Diese grenzen sich durch die Durchführung des Anmeldungs- und Eintragungsverfahrens vom geistigen Eigentum ab, die folglich den Übergang vom Betriebs- und Geschäftsgeheimnis zum gewerblichen Schutzrecht markiert393• aa) Eingriff in gemeinschaftsgrundrechtliche Schutzpositionen Fraglich ist aber, ob diese Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gemeinschaftsgrundrechtlichem Schutz unterliegen. Der Gerichtshof hat bisher nicht entschieden, ob unter das gemeinschaftsrechtlich anerkannte Eigentumsgrundrecht394 auch die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen fallen 395 • Fraglich ist folglich, ob sich aus den internationalen Konventionen und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten schließen läßt, daß dieser Eigentumsschutz auch den Schutz vor der Weitergabe privater unternehmenscher Betriebsund Geschäftsgeheimnisse durch die Behörden an Dritte umfaßt. Diese Frage wird in der Literatur widersprüchlich beantwortet. Nach einer Auffassung gehören die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zum gemeinschaftlichen Eigentumsgrundrecht, weil diese insbesondere in allen Mitgliedstaaten in irgendeiner Form rechtlich geschützt seien 396• Überzeugender ist jedoch die Gegenauffassung, die darauf verweist, daß ein "in irgendeiner Form anerkannter Schutz" für die Entwicklung eines Turiaux, § 8 Rn31 mwN. Ebenso: Turiaux, § 8 Rn 26 und weitestgehend auch: Fluck/Theuer, § 8 Rn 121. 393 Turiaux, § 8 Rn31 und Fluck!Theuer, § 8 Rn 121 beide mwN. 394 Vgl. beispielsweise EuGH E 1979, 3727, 3745, Rz. 17 "Hauer". Im übrigen statt aller: Rengeling, S. 32ff. mwN. 395 Ebenso: Turiaux, § 8 Rn 69 und Erichsen!Scherzberg, S. 68. 396 Turiaux, § 8 Rn 69 mit Verweis auf die Untersuchung von Lukes/Vieweg!Hauck. 39 1 392
108
1. Teil: Europarechtliche Vorgaben
allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Gemeinschaftsrechts nicht ausreicht, sondern daß es insoweit einer gemeinsamen Verfassungskonzeption der Mitgliedstaaten bedarf397. Die von beiden Auffassungen zugrunde gelegte umfassende Untersuchung unterscheidet insoweit nämlich ganz bewußt die Verankerung des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten von einfachgesetzlichen nationalen Vorgaben. Als Ergebnis findet sie, daß keine der untersuchten Verfassungen Belgiens, Dänemarks, Frankreichs, Großbritanniens, Irlands, Italiens, Luxemburgs und der Niederlande zum damaligen Zeitpunkt einen nennenswerten, praktisch relevanten verfassungsrechtlichen Betriebs- und Geheimnisschutz gewährleistete 398 • Da nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aber erforderlich ist, daß ein allgemeiner Rechtsgrundsatz auch von den gemeinsamen Verfassungen der Mitgliedstaaten getragen wird, ist ein gemeinschaftsgrundrechtlicher unternehmerischer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisschutz zu verneinen, zumal auch die EMRK keinen Ansatzpunkt für ein gegenteiliges Ergebnis enthält. bb) Ergebnis zu b) Das Umweltinformationszugangsrecht ist also auch mit dem gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsgrundrecht vereinbar, das Unternehmerische Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nicht umfaßt.
c) Vereinbarkeif des Zugangsrechts mit sonstigen Gemeinschaftsgrundrechten Ein Verstoß gegen sonstige Gemeinschaftsgrundrechte ist eher fernliegend. Soweit sich in außergewöhnlichen Ausnahmefällen dennoch die Gefahr der Verletzung anderer individualrechtlicher Schutzpositionen ergeben könnte, dürften die weiteren Ausnahmetatbestände des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie in Verbindung mit dem hier fortentwickelten Prinzip der Konformauslegung einen hinreichenden Schutz gewährleisten.
3. Ergebnis zu B. Da das Umweltinformationszugangsrecht folglich auch materiell rechtmäßig ist, kann nunmehr festgestellt werden, daß das Umweltinformationszugangsrecht mit allen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts in Einklang steht. Es ist mit Blick auf die Erichsen/Scherzberg, S. 69. Ähnlich: Schröder, ZHR 1991, 471, 475. Lukes/Vieweg/Hauck, S.42 ff. , 45(Belgien), 114f. (Dänemark), 166ff., 170 (Frankreich), 230f. (Großbritannien), 293ff., 295 (Irland), 338ff., 341 (Italien); 413ff., 416 (Luxemburg), 464f. (Niederlande). 397 398
B. Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
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nachfolgenden Teile 2 und 3 folglich geeignet, das Informationsverhältnis zwischen Bürger und Behörde in Deutschland zu beeinflussen.
Tei/2
Die systematische Stellung des Zugangsrechts im deutschen Umwelt- und Informationsrecht und seine empirischen Wirkungszusammenhänge Das in Teil 1 auf seine Zweckbestimmung und seine Vereinbarkeil mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht untersuchte Zugangsrecht des Art. 3 Abs. 1 der Umweltinformationsrichtlinie stellt seit der Umsetzung der Richtlinie durch das Umweltinformationsgesetz vom 8.7.1994 1 kein unmittelbar anwendbares, geltendes Recht in Deutschland mehr dar. Die vor dem lokrafttreten des UIG am 16.7.19942 weitgehend angenommene unmittelbare Anwendbarkeit der Umweltinformationsrichtlinie3 seit Ablauf der Umsetzungsfrist am 31.12.1992 endet mit ihrer Umsetzung durch das UIG, soweit dieses die europarechtlichen Vorgaben hinreichend beachtet4. Ein Umweltinformationszugangsrecht in Deutschland gewährleistet nunmehr §4 Abs.1 S.l UIG. §4 UIG wird deshalb den Schwerpunkt der Untersuchung dieses Teil 2 einnehmen, in dem - unter Berücksichtigung empirischer Erfahrungen mit anderen weitgehenden nationalen und internationalen Informationszugangsrechten - vor allem das Verhältnis des Umweltinformationszugangsrechts zu anderen Informationsansprüchen des deutschen Rechts systematisch untersucht und der sich im Bereich von Umwelt- und Informationsrecht vollziehende Wandel erklärt werden soll. Dabei wird im Rahmen einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des deutschen Umsetzungsrechts mehrfach auf Vorgaben der Richtlinie zurückzugreifen sein.
1 Verkündet als Art. I des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7.6.1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt vom 8.7.1994 (BGBI.I, S.I490ff. - Gemäß Art.3 dieses Gesetzes in Kraft getreten am 16.7.1994) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.8.2001 (BGBI.I, S. 2218ff.). 2 Vgl. die vorherige Fußnote. 3 Vgl. beispielsweise Erichsen!Scherzberg, S. 129 ff., 138; Wegener, in: S/S/W, Europarechtliehe Ein!., Rn21 ff.; von Schwanenflügel, DÖV 1993,95, 102; OVG Schleswig, ZUR 1997, 43, 45; Röger, NuR 1994, 125 ff., 126 f. (Anmerkung zum abwegigen und abweichenden Urteil des VG Stade,ebenda, S.l49ff.) undders., NWVBI. 1994,460, 461 f. entgegenOVG Münster, ebenda S.458ff.; Haller, UPR 1994, 88ff. Nahezu alle mwN. 4 Vgl. beispielsweise Wegener, in: S/S/W, Europarechtliche Ein!., Rn33 mwN und Schmidt! Müller, S. 34 mwN.
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
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A. Vergleich des Anwendungsbereichs deutscher Informationsansprüche Ansatzpunkt einer systematischen Einordnung des Anspruchs auf Umweltinformationen ist§ 4 Abs. 3 UIG, demzufolge andere Ansprüche auf Informationszugang unberührt bleiben. Zu klären ist demnach das Verhältnis des Anwendungsbereichs des § 4 UIG im Vergleich zu anderen Vorschriften des deutschen Informations- und Umweltrechts.
I. §4 UIG Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 UIG hat jeder Anspruch auf freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, die bei einer Behörde oder einer Person des Privatrechts im Sinne des § 2 Nr. 2 vorhanden sind. Nach S. 2 kann die Behörde auf Antrag Auskunft erteilen, Akteneinsicht gewähren oder Informationsträger in sonstiger Weise zur Verfügung stellen. Dabei darf die Behörde nach S. 3 von einer bestimmten begehrten Art des Informationszugangs nur abweichen, wenn hierfür gewichtige von ihr darzulegende Gründe bestehen. Laut Abs. 3 bleiben daneben andere Ansprüche auf Zugang zu Informationen unberührt. Der Zweck dieser Regelungen wird ähnlich wie beim Zugangsrecht der Umweltinformationsrichtlinie nicht verständlicher durch die Betrachtung der "Zweckbestimmung" des § 1 UIG, der den Art. 1 der Richtlinie wörtlich übernimmt und folglich ebenfalls keinerlei Aussage über den normativen Sinn des deutschen Umweltinformationszugangsrechts trifft5 • Da insoweit weder das UIG selbst noch die dazu veröffentlichten Gesetzesmaterialien weitere Anhaltspunkte bieten und es gesetzgebungstechnisch gerade und ausschließlich dazu dient, die Umweltinformationsrichtlinie umzusetzen6 , orientiert sich sein normativer Sinn also ausschließlich an dem der Richtlinie. Gerade hinsichtlich des mit der Richtlinie verfolgten Umweltschutzziels besteht gemäß Art. 249 Abs. 3 (ex-Art. 189 Abs. 3) EGV auch eine Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten. Der wettbewerbsrechtliche Nebensinn der Richtlinie ist hingegen nicht Bestandteil des UIG. Die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten stellt vielmehr der Natur der Sache nach einen Rechtfertigungsgrund allein für das Tätigwerden der Gemeinschaft dar. Die Parlamente der Mitgliedstaaten besitzen keinerlei über die sich aus Art. 249 Abs. 3 (ex-Art. 189 Abs. 3) EGV ergebende Umsetzungsverpflichtung hinausgehende Möglichkeit, derartige Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Insoweit zeigt sich vielmehr gerade der Sinn der Gemeinschaftsrechtsordnung überhaupt. Den normativen Sinn des UIG bilden folglich ausschließlich Gesichtspunkte des Umweltschutzes. Auch nach dem UIG soll dieses Umweltschutzziel vor allem durch das dem Bürger durch § 4 Abs. 1 S. I UIG eingeräumte Umweltinformationszugangsrecht erreicht werden, das eine größere Öffentlichkeit 5 6
V gl. dazu ausführliehst bereits oben, Teil 1, A. BT-Drs.I2nl3s, s. 1.
112
2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
des Verwaltungshandeins herbeiführt und so mittelbar den Vollzug des sonstigen geltenden Umweltrechts zu beeinflussen vermag 7 • Demgegenüber verfolgt auch das UIG keinerlei demokratische 8 oder rechtsstaatliche Zielsetzungen, mit denen es im· mer wieder in Verbindung gebracht wird. Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, daß die nationalen Gesetzgeber - de lege ferenda - Informationszugangsrechte nicht mit solchen Zielsetzungen "aufladen" könnten, wofür die jüngsten Aktivitäten einiger Landesgesetzgeber möglicherweise ein Beispiel sind9• Ob dies sinnvoll wäre, beziehungsweise sich im Hinblick auf dieses jüngste Landesrecht als sinnvoll darstellt, ist Gegenstand der Untersuchung in Teil 3. 1. Voraussetzungen des § 4 Abs.l S. 1 UIG
Mittels des soeben wiedergegebenen § 4 UIG gewährleistet das UIG nach allgemeiner Auffassung ein voraussetzungsloses subjektiv-öffentliches Recht auf den Erhalt der bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen. Als subjektiv-öffentliches Recht stellt § 4 Abs. 1 S. 1 UIG selbst einen materiellen Anspruch dar, nicht hingegen ein verwaltungsverfahrensrechtliches Instrument, das nur in Verbindung mit sonstigen Rechtspositionen oder anhängigen Verfahren geltend gernacht werden könnte 10• Wichtige praktische und prozessuale Konsequenz des materiellen Charakters dieses Anspruchs ist, daß §44a S.l VwGO, der gerichtliche Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen, zu denen Informationszugangsrechte zumeist zählen 11 , nur gleichzeitig mit einem Angriff der Hauptsacheentscheidung zuläßt, keine Anwendung auf § 4 UIG findet 12• Der materielle Umweltinformationsanspruch ist damit jederzeit und eigenständig gerichtlich durchsetzbar. Der Anspruch entsteht allein durch die Stellung eines dahingehenden Antrags, ohne daß vorn Antragsteller ein wie auch immer geartetes berechtigtes Interesse gel7 Zum Ganzen auch Röger, § 1 Rn 3 ff., 4 f.- Zu den empirischen Zusammenhängen von Zugangsrecht und Verbesserung des Umweltschutzes vgl. schon oben, Teil 1, I. und vor allem ausführlich unten, C. 8 Auch hier sei im Hinblick auf die Verwendung der Begriffe "demokratisch" und "rechtsstaatlich" darauf hingewiesen, daß sie sich Verfasser auch an dieser Stelle nicht zu eigen machen will, sondern zunächst die fremde Wortwahl beibehält, um unnötige Komplexität zu vermeiden, während erst unten in Teil 3, B.l. l. insoweit ein eigenes Modell entworfen werden soll. Wird es unten speziell um die Anwendung der Art. 20, 79 Abs. 3 GG gehen und deshalb ein genauer Begriffsapparat erforderlich sein, so ist eine derartige Genauigkeit in Teil 2 ähnlich wie in Teil 1 schon deshalb nicht stringent befolgbar, weil immer wieder "demokratische" und ,,rechtsstaatliche" Überlegungen in bezug auf andere Informationsordnungen geäußert werden, deren Inhalt freilich von dem des deutschen Grundgesetzes verschieden ist. 9 Zum Erlaß allgemeiner Akteneinsichts- und Informationsgesetze in Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen in den Jahren 1998-2001 vgl. ausführliehst unten, VII. und B. VI. 10 BT-Drs. 12n138, S. 8; Turiaux, §4 Rn 1 und Wegener, in: S/S/W, §4 Rn6ff. beide mwN. 11 Vgl. Schenke, in: K/S §44a Rn5, letzter Spiegelstrich mwN. 12 Schenke, in: K/S, §44aRn4a; König, DÖV 2000, 45,49; Kollmer, NVwZ 1995,858,862, allemwN.
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
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tend gemacht werden müßte 13 • Einer Begründung des Antrags bedarf es nur, soweit diese zur Ermittlung des genauen Inhalts eines gestellten Antrags notwendig ist 14• Im übrigen entsteht auch durch einen formlosen, prinzipiell also auch mündlichen 15 Antrag ein materieller Umweltinformationsanspruch. Die Kostenpflichtigkeit erfolgreicher Informationsbegehren 16 gemäß § 10 UIG in Verbindung mit den speziellen oder allgemeinen Kostenordnungen des Bundes und der Länder 17 stellt keinerlei Gegenleistung für die erhaltenen Umweltinformationen dar. Die Mitgliedstaaten dürfen nur einen angemessenen Betrag in Rechnung stellen und nicht die ihnen insgesamt entstandenen Kosten auf die Informationsbegehrenden abwälzen und diese dazu mißbrauchen, potentielle Antragsteller von der Geltendmachung ihrer Zugangsrechte abzuhalten 18 • Anspruchsberechtigt ist nach dem Wortlaut des Gesetzes ,jeder". Umfaßt im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 UIG sind nicht nur alle natürlichen Personen gleich welcher Staatsangehörigkeit, sondern auch alle juristischen Personen gleich welchen Sitzes 19• Gegenstand des Anspruchs ist die Erlangung von Umweltinformationen, die bei den Behörden vorhanden sind, die die Behörden also zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag aufgrund ihrer nach bisherigem Recht bestehenden Befugnisse erlangt haben 20• Gemäß § 2 Nr. 2 UIG sind auch die Umweltinformationen zugänglich, die bei natürlichen oder juristischen Personen des privaten Rechts vorhanden sind, die öffentlich-rechtliche Aufgaben im Bereich des Umweltschutzes wahrnehmen und die der Aufsicht von Behörden unterstellt sind; umfaßt wird insbesondere also auch der Bereich des Verwaltungsprivatrechts 21 • Das UIG enthält weder eine Ermächtigung zur weitergehenden Erhebung von Umweltdaten noch eine Pflicht der Behörden, sich Informationen zu beschaffen, die über das Nachschlagen in herkömmlichen Akten, das Abrufen von Daten aus zentralen EDV-geTuriaux, §4 Rn3 und Fluck!Theuer, §4 Rn31, beide mwN. Vgl. die von § 5 Abs. 1 UIG geforderte erforderliche ,,hinreichende Bestimmtheit" des Antrags, die dazu dient, den Behörden zu ermöglichen, mit vertretbarem Zeitaufwand dem Begehren des Antragstellers zu genügen. 15 Vgl. dazu: Schomerus, in: S/S/W, § 5 Rn 3 und Fluck!Theuer, § 5 Rn 14, beide mwN. 16 Schon Art. 5 der Richtlinie "Gebühren für die Übermittlung von Informationen" weist darauf hin, daß die gegenteilige, durch die ehemalige Fassung des § 10 UIG nahe gelegte anfangliche Praxis in Deutschland, auch für erfolglose Anträge Kosten zu veranschlagen, europarechtswidrig ist- bestätigt durch EuGH E 2000-I, 5087, 5122, Rz.59. 17 Diese finden sich abgedruckt in der Loseblattsammlung von Fluck/Theuer, Teil C. 18 EuGH E 2000-I, 5087, 5119f., Rz. 47f. 19 Wegener, in: S/S/W, §4 Rn4f. mwN, insbesondere auch zur strittigen Frage der Anwendbarkeit des Anspruchs zugunsten juristischer Personen des öffentlichen Rechts, die das BVerwG mittlerweile für den Fall einer Informationen begehrenden Gemeinde verneint hat - BVerwG GewArch 1996, 86, 87 f. 2o Turiaux, § 2 Rn 63. 21 Ferner die Figuren der Beleihung und des Verwaltungshelfers, soweit man den Beliehenen nicht (zutreffend) schon unter den Behördenbegriff des § 3 Abs. 1 S. I UIG subsumiert-vgl. zum Ganzen: Turiaux, § 1 Rn 100ff., 105f., 109ff., alle Fundstellen mwN. 13 14
8 Strohmeyer
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
stützten Datenspeichern oder das Anfordern von Informationen von Verwaltungshelfern im weiteren Sinne der §§ 9, 2 Nr. 2 UIG hinausgeht22 • Ähnlich wie Art. 2 der Richtlinie definiert § 3 UIG die Begriffe "Behörde" (Abs.l) und "Informationen überdie Umwelt" (Abs.2). Diese Begriffe sind im Sinne der europarechtlichen Vorgaben besonders weit auszulegen 23; nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist davon beispielsweise generell auch eine Stellungnahme einer Landschaftspflegebehörde im Rahmen ihrer Beteiligung im Planfeststellungsverfahren umfaßt24 • Besteht hinsichtlich dieser bisher untersuchten Tatbestandsmerkmale der§§ 2-4 UIG mittlerweile weitestgehende Einigkeit, so erscheint die Frage der Art des dem Antragsteller zu gewährenden Zugangs noch nicht abschließend geklärt. Seinem Wortlaut nach scheint der diese Frage betreffende § 4 Abs. 1 S. 2 UIG eine typische Ermessensvorschrift darzustellen. Unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben ist dennoch fraglich, ob die Behörde tatsächlich zwischen der Auskunftserteilung, der Gewährung von Akteneinsicht und der Überlassung sonstiger Informationsträger wählen darf. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie enthält seinem Wortlaut nach keine Aussage über die Art des zu gewährenden Zugangs. Gleichwohl ergibt sich aus dem Gesamtkontext des gemeinschaftlichen Zugangsrechts mit weiten Begriffsdefinitionen in Art. 2, engen Ausnahmevorschriften in Art. 3 Abs. 2 und der untypischen Regelung des Art. 4, die für den Fall eines ein Zugangsrecht ablehnenden Bescheids ausdrücklich die Möglichkeit der Anfechtbarkeil vor einem mitgliedstaatliehen Gericht anordnet, daß die Richtlinie insgesamt einen möglichst effektiven lnformationszugang sichern will 25 • Darüber hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs derjenigen Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift der Vorzug zu geben, die ihr eine "nützliche", ihrer Funktion entsprechende und effektive Wirksamkeit verleiht26 • Demnach hat die Behörde das ihr durch § 4 Abs. 1 S. 2 UIG eingeräumte pflichtgemäße Ermessen im Sinn eines möglichst uneingeschränkten und ungehinderten Informationszugangs des Antragstellers auszuüben 27 • Ein Auswahlermessen der Behörde besteht nur zwischen solchen Vgl. insbesondere Turiaux, § 2 Rn 63 ff. Vgl. insbesondere EuGH E 1998-1, 3809f., 3832f., Rz.19 "Meck1enburg", dem sich das BVerwG JZ 1999, 1166, 1168 ausdrücklich anschließt. 2• EuGH E 1998-1, 3809f., 3833 f., Rz.20ff., 22 "Mecklenburg". Im Anschluß an diese Entscheidung des EuGH hielt auch das BVerwG, JZ 1999, 1166, 1168 Informationen über die staatliche finanzielle Förderung eines umweltverbessernden Produktionsverfahrens, die ein Betreiber einer Reststoffverwertungsan1age im Rahmen eines Subventionierungsverfahrens den Behörden übermittelt hatte, für einen tauglichen Gegenstand eines begründeten Antrags eines Dritten nach §§4, 5 UIG. 25 So vor allem auch BVerwGE 102, 282, 285 ff. nach näherer Auslegung des Zugangsrechts auch unter teleologischen Gesichtspunkten. Vgl. auch BVerwG, JZ 1999, 1166, 1168f.; Turiaux, §4 Rn29 und umfassend Wegener, in: S/S/W, §4 Rn 16f. mwN. 26 Sog. "effet utile"- vgl. dazu die zahlreichen Nachweise unter anderem zur Rechtsprechung des EuGH bei: Wegener, in: S/S/W, ebenda. 27 BVerwGE 102, 282, 286f. 22 23
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
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Informationsmitteln, die im wesentlichen die gleiche Informationseignung besitzen28. Damit kommt mit Blick auf den Zweck der Umweltinformationsrichtlinie den Wünschen des Antragstellers besondere Bedeutung bei der Ermessensausübung zu 29. Seit der jüngsten Neubekanntmachung des UIG sieht § 4 Abs. 1 S. 3 UIG deshalb vor, daß die Behörde von einer bestimmten begehrten Art des Informationszugangs nur abweichen darf, wenn hierfür gewichtige von ihr darzulegende Gründe bestehen. In der Regel entspricht diesem Begehren die Einsicht in behördliche Akten, dem Zugangsrecht ist von der Behörde folglich grundsätzlich durch die Gewährung von Akteneinsicht zu entsprechen 30.
2. Ausnahmen von § 4 Abs. 1 S. 1 UIG Hinsichtlich der bisher behandelten, niedrigen anspruchsbegründenden Voraussetzungen entscheidet letztlich die Reichweite der Ausnahmetatbestände der §§ 7 und 8 UIG darüber, ob eine Umweltinformation offenbart und damit regelmäßig allgemein zugänglich wird oder nicht31 . Der Bundesgesetzgeber hat von der Ermächtigung des Art. 3 Abs. 2 und 3 32 der Umweltinformationsrichtlinie umfassend Gebrauch gemacht und zum Schutz öffentlicher Belange einerseits (§ 7 UIG) und privater Belange andererseits(§ 8 UIG) in insgesamt sieben Absätzen 18 Ausnahmetatbestände normiert33. Teilweise ist er dazu aus den oben in Teil I dargestellten europarechtlichen Gründen verptlichtet34. Soweit er hingegen tatsächlich einen Spielraum bei der Umsetzung der Richtlinie besitzt, besteht eine solche Umsetzungspflicht zum Teil auch wegen grundgesetzlicher Vorgaben 35 . BVerwGE 102, 282,287. BVerwGE I 02, 282, 287 f. 30 Vgl. statt aller: Wegener, in: S/S/W, § 4 Rn 17 mit zahlreichen Nachweisen. 31 Ebenso Rossi, UPR 2000, 175, 177; Schrader, in: S/S/W, § 7 Rn 1. 32 Insoweit vertritt eine sich auf die von Abs. 2 unterscheidende Formulierung des Abs. 3 des Art. 3 der Richtlinie stützende Gegenauffassung indes den Standpunkt, daß die Richtlinie in Abs. 3 keine Ermächtigung zugunsten der Mitgliedstaaten enthalte, sondern sich unmittelbar an die mitgliedstaatliehen Behörden richte und direkt eine Aussage über den Umweltinformationsanspruch treffe (vgl. insoweit: Schrader, in: S/S/W, § 7 Rn26 mwN). Dieser Auffassung ist jedoch zutreffend entgegenzuhalten, daß sich auch die Umweltinformationsrichtlinie- wie in Art. 249 (ex-Art. 189) EGV vorgesehen - gemäß ihrem Art. 10 ausdrücklich an die Mitgliedstaaten richtet (zutreffend deshalb: Turiaux, § 7 Rn 41; Fluck/Theuer, § 7 Rn 204, 205/207; Erbguth/Stollmann, UPR 1994,81, 85; Kramer, §7 Nr.l7.). 33 Zu dieser Zählweise ebenso: Röger, § 7 Rn I und Schrader, in: S/S/W, § 7 Rn 4. 34 Die Ausführungen in Teil I hatten ergeben, daß der Begriff des "Könnens" des Art. 3 Abs. 2 der Umweltinformationsrichtlinie aus gemeinschaftsgrundrechtliehen Gründen partiell als Verpflichtung zu verstehen ist und deshalb auch die nationalen Gesetzgeber an die auf diese Weise primärrechtskonform ausgelegte "Fassung" der Richtlinie gebunden sind - vgl. dazu oben, Teilt, B.II.2.a)dd)(4)(e). 35 Vgl. zu grundgesetzliehen Vorgaben im Hinblick auf Art. 2, 14 und 12 GG vor allem: Erichsen/Scherzberg, S. 88ff., 97 und S. 71 ff., 76. Summarisch auch: Fluck/Theuer, §7 Rn3n, undRöger, § 8 Rn2. Reinhardt, spricht in: Die Verwaltung 1997, 161, 180f. an, daß in Einzel2s
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
Ganz überwiegend besitzen die in § 7 und § 8 UIG normierten Ausnahmetatbestände zwingenden Charakter, ohne daß es im Ergebnis auf die vom Bundesgesetzgeber gewählte Formulierung ankommt, ob ein Umweltinformationsanspruch schon "nicht besteht" 36, ein solches Informationsbegehren "abzulehnen ist" 37 oder ob solche Informationen "nicht(... ) zugänglich gemacht werden dürfen" 38• Lediglich die Soll-Bestimmung des§ 7 Abs. 2 UIG eröffnet der Behörde die Möglichkeit, daß sie ausnahmsweise einem Umweltinformationsbegehren vollständig entsprechen darf. Die strukturelle Ausgestaltung der meisten Ausschlußgründe als zwingende Vorschriften widerspricht dabei nicht den europarechtlichen Vorgaben, da Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie lediglich regelt, daß die Mitgliedstaaten bestimmen können, daß ein Antrag abgelehnt wird. Eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihren Behörden eine Ermessensentscheidung zu erlauben, besteht hingegen nicht39 • Eine andere sogleich zu diskutierende Frage ist hingegen, ob keiner der 18 vom Bundesgesetzgeber eingeführten Ausnahmetatbestände seinem jeweiligen Inhalt nach die europarechtlich zulässigen Einschränkungsmöglichkeiten überschreitet. Gemäß dem 7. Erwägungsgrund der Richtlinie sind Einschränkungen des Umweltinformationszugangsrechts nämlich nur in ganz bestimmten, genau bezeichneten Fällen gerechtfertigt. Daraus folgt einerseits, daß neben den in Art. 3 der Richtlinie normierten Ausnahmetatbeständen keine weiteren bestehen, andererseits, daß die dort genannten Ausnahmetatbestände grundsätzlich restriktiv auszulegen sind 40• Vor allem ist vor diesem Hintergrund jedoch auch die Formulierung des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie zu sehen, nach der die Mitgliedstaaten den Informationszugang ablehnen können, wenn einer der in Art. 3 Abs. 2 aufgeführten Bereiche "berührt" ist41 • Dies bedeutet nach dem grundsätzlichen Anliegen der Richtlinie nicht, daß jedweder Zusammenhang mit den genannten Ausnahmetatbeständen ausreicht, um den Informationsanspruch zu versagen. Wäre jeder Zusammenhang ausreichend, bestünde angesichts der Vielzahl der von den Mitgliedstaaten einführbaren Ausnahmebestimmungen die Gefahr, daß der Umweltinformationsanspruch praktisch vollkommen ausgeschlossen werden könnte. Über die thematische "Berührung" hinaus muß deshalb ein gewisser Grad an Beeinträchtigung des dem jeweiligen Ausnahmetatbestand zugrunde liegenden Schutzguts zumindest wahrscheinlich sein. Unzureichend wäre demgegenüber, zwischen den gewünschten Informationen und dem jeweiligen Ausnahmetatbestand einen nahezu beliebigen Zusammenhang zu knüpfen42 • fallen auch eine grundrechtskonforme Auslegung des UIG erforderlich sein kann. Vgl. zum Ganzen ausführlich auch unten, Teil 3, B. II. 36 So etwa die zahlreiche Varianten beinhaltenden §§ 7 Abs. I und 8 Abs. I UIG. 37 Insoweit allein § 7 Abs. 3 UIG. 38 Insoweit allein § 7 Abs. 4 UIG. 39 V gl. insoweit statt aller: Röger, § 7 Rn 3. 40 Vgl. insbesondere Turiaux, vor§§ 7, 8 Rn 2 mwN und EuGH E 1998-1, 3809f., 3834, Rz. 23 ff., 25 "Mecklenburg". 41 Ähnlich vor allem die englische und die französische Fassung der Richtlinie: "to affect" und "traiter" . 42 Vgl. zum Ganzen: Turiaux, vor §§7, 8 Rn2f. mwN.
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
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Für die Anwendung der§§ 7 und 8 UIG ergibt dies die folgende, auch von der Behörde (zumindest theoretisch) bei einer Entscheidung über einen Umweltinformationsantrag, der die Ausnahmetatbestände berührt, generell zugrunde zu legende Systematik: Erstens sind die Ausnahmetatbestände der §§ 7 und 8 UIG überhaupt nur anwendbar, soweit sie nicht ihrem Inhalt nach die europarechtlichen Ermächtigungen überschreiten. Zweitens kommt die (auch teilweise) Versagung eines Umweltinformationszugangs nur in Betracht, wenn die in der Richtlinie genannten und in das nationale Recht übernommenen Ausnahmetatbestände mit einem gewissen Gewicht betroffen sind. Soweit diese Voraussetzungen vorliegen, muß die Behörde den Umweltinformationszugang versagen43 • Dabei erlaubt die neue Fassung des§ 4 Abs. 2 UIG nunmehr in Konformität mit Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 44 auch im Bereich der Ausnahmetatbestände des Art. 3 Abs. 2 regelmäßig nur eine teilweise Zugangsversagung. Eine Ausnahme von dieser Systematik der Ausnahmetatbestände gilt nur in den Fällen des § 7 Abs. 2 UIG, in denen die Behörde keine obligatorische Entscheidung trifft. Zu ergänzen bleibt abschließend, daß die obligatorischen Ausnahmetatbestände des § 8 UIG ihrerseits allesamt unbestimmte Rechtsbegriffe - wie etwa die "schutzwürdigen Interessen" nach § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UIG - beinhalten, die eine Abwägung der Behörde auf der Tatbestandsseite dieser Normen erforderlich machen45 • Im Rahmen der Betrachtung der einzelnen Ausnahmen von § 4 Abs. 1 S. 1 UIG schließt zunächst der praktisch kaum bedeutsame § 7 Abs. 1 Nr. 1 UIG den Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen aus, soweit das Bekanntwerden der Informationen die internationalen Beziehungen, die Landesverteidigung oder die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden berührt oder eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit verursachen kann46• Innerhalb des § 7 warfen bisher auch die Ablehnungsgründe des Abs. 1 Nr. 3, der eine dem Umweltinformationszugangsrecht zuwiderlaufende Verschlechterung des Gesamtzustands der Umwelt verhindern soll, des Abs. 3 über offensichtlich mißbräuchliche Anträge und des Abs. 4, der die Weitergabe von Informationen verbietet, die ein privater Dritter der Behörde ohne rechtliche Verpflichtung übermittelt hat, keine größeren Schwierigkeiten in der Praxis auf47 • Unklar insoweit: Turiaux, vor § 7 Rn 4. Vgl. insoweit die Verurteilung Deutschlands aufgrund der alten Fassung des UIG, die eine derartige Regelung noch nicht enthielt, durch den EuGH in: E 2000-I, 5087, 5114, Rz. 29ff., 37. 45 Vgl. insoweit zu § 8 I S. 1 Nr. 1 UIG: Turiaux, § 8 Rn 12 ff.; Schrader, in: S/S/W, § 8 Rn 7; Röger, § 8 Rn 7; Fluck/Theuer § 8 Rn 98. Zu den anderen Varianten des § 8: Turiaux, § 8 Rn 40, 85; Schrader, in: S/S/W, § 8 Rn 29; Röger, § 8 Rn 35, 38; Fluck!Theuer, § 8 Rn 278, 283,374. 46 Vgl. aber die Entscheidung des OVG Schleswig UPR 1998, 472. Dazu wiederum Rossi, UPR 2000, 175, 177. 47 Vgl. zu Abs.3 allerdings BVerwG JZ 1999, 1166, 1166 und dazu wiederumRossi, ebenda, S. 178 f.; vgl. i. ü. die allgemeine Kommentarliteratur zu § 7 UIG, beispielsweise Schrader, in: S/S/W, § 7 Rn 19 ff. oder Turiaux, § 7 Rn 36 ff. 43 44
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
In Zusammenhang mit der Vertraulichkeit der Beratung von Behörden nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 UIG steht auch § 7 Abs. 2 UIG, nach dem ein Antrag abgelehnt werden soll, wenn er sich auf die Übermittlung noch nicht abgeschlossener Schriftstücke oder noch nicht aufbereiteter Daten oder verwaltungsinterner Mitteilungen bezieht. Die beiden ersten Varianten dieser Regelung, die die Effektivität des Verwaltungshandelns sichern sollen48 , schließen den Informationszugang nicht abschließend aus, sondern verschieben seine Gewährung lediglich auf einen späteren Zeitpunkt49 • Demgegenüber dürfte die 3. Variante des § 7 Abs. 2 UIG zukünftig eine größere praktische Relevanz besitzen. Nachdem mittlerweile als geklärt angesehen werden darf, daß die gesetzlich vorgeschriebene Einholung einer Stellungnahme einer anderen Behörde zu umweltrelevanten Fragen im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens einerseits Umweltinformationen betrifft50, andererseits regelmäßig nicht die Vertraulichkeit der Beratung der Behörden berührt5 1, wird im Rahmen dieser SollVorschrift entschieden werden, ob solche Stellungnahmen öffentlich zugänglich werden oder nicht52• Als eines der Kernprobleme der Anwendung des UIG hat sich lange Zeit die Auslegung des ehemaligen § 7 Abs. I Nr. 2 UIG erwiesen. Diesem zufolge bestand das Zugangsrecht nicht während der Dauer eines Gerichtsverfahrens oder eines strafrechtlichen Verfahrens sowie eines verwaltungsbehördlichen Verfahrens hinsichtlich derjenigen Daten, die der Behördeaufgrund des Verfahrens zugehen. Ein heftiger Streit entbrannte vor allem über die Reichweite des Begriffs des "verwaltungsbehördlichen Verfahrens", der hier wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung für die denkbare Reichweite von Informationszugangsrechten und damit auch im Hinblick auf den Teil3 dieser Arbeittrotz seiner Erledigung durch die UIG-Novelle 2001 erläutert.werden soll.- Aufgrund des allgemein gehaltenen Wortlauts des verwaltungsbehördlichen Verfahrens ging insbesondere die damalige Bundesregierung davon aus, daß ein Umweltinformationszugangsrecht während der Dauer sämtlicher laufender Verwaltungsverfahren ausgeschlossen sein sollte53 • Diese Auffassung erwies sich jedoch mit Blick auf den Zweck der Umweltinformationsrichtlinie und ihren 7. Erwägungsgrund, demzufolge Ausnahmen vom Zugangsrecht nur in ganz beBR-Drs. 797/93 S. 34. Ebenso Turiaux, §1 Rn46; Schrader, in: S/S/W, §7 Rn28. 50 Insoweit der EuGH zu der besagten Stellungnahme einer Landschaftspflegebehörde im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens- EuGH E 1998-1, 3809f., 3833f., Rz. 20ff., 22 "Mecklenburg". 51 OVG Schleswig ZUR 1997, 43, 44; OVG Schleswig UPR 1998,472, 472; Ähnlich auch das VG Mainz NuR 1996, 266, 266, das über die Stellungnahme einer Behörde des Landes Rheinland Pfalz nach § 16 Abs. 4 S. 2 GenTG zu entscheiden hatte. 52 Folgerichtig das VG Mainz NuR 1996, 266, 266 und ihm zustimmend Rossi, UPR 2000, 175, 178. 53 BT-Drs. 12nl38 S. 13; so auch Erichsen!Scherzberg, S. 66 und VG Gelsenkirchen NuR 1995, 158, 158; vgl. zu weiteren denkbaren Interpretationen unter Berücksichtigung des europarechtlich maßgeblichen Begriffs des "Vorverfahrens" statt aller Fluck!Theuer, § 7 Rn 99 mwN. 4s
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stimmten, genau bezeichneten Fällen gerechtfertigt sind, als kaum vertretbar. Überzeugend ist hingegen die sich an europarechtlichen Vorgaben orientierende und vom Europäischen Gerichtshof bestätigte Gegenauffassung. Nach dieser umfaßte § 7 Abs. 1 Nr. 2, 3. Variante a. F. UIG ein Verwaltungsverfahren, das lediglich eine Maßnahme der Verwaltung vorbereitet, nur dann, wenn es einem gerichtlichen oder quasigerichtlichen Verfahren unmittelbar vorausgeht und durchgeführt wird, um Beweise zu beschaffen oder ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, bevor das eigentliche Verfahren eröffnet wird 54.§ 7 Abs.l Nr. 2, 3. Variante a. F. UIG stützte sich nämlich auf Art. 3 Abs. 2, 3. Spiegelstrich der Umweltinformationsrichtlinie, der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, Ausnahmetatbestände einzuführen für "Sachen, die bei Gericht anhängig oder Gegenstand von Ermittlungsverfahren (einschließlich Disziplinarverfahren) sind oder waren oder die Gegenstand von Vorverfahren sind". Rechtfertigungsgrund des Bundesgesetzgebers für den Ausschluß jeglichen laufenden verwaltungsrechtlichen Verfahrens könnte damit der letztgenannte, europarechtlich auszulegende Begriff des Vorverfahrens gewesen sein. Einer weiten Wortlautinterpretation des "Vorverfahrens" stehen aber bereits die anderssprachigen Fassungen der Richtlinie entgegen, die von ihrem Wortlaut her überwiegend nur auf Ermittlungsverfahren abzielen, die gerichtliche und quasigerichtliche Verfahren vorbereiten sollen55• Gegen eine weite Interpretation der isoliert betrachteten deutschen Fassung spricht auch der sprachliche Bedeutungszusammenhang des "Vorverfahrens" zu den benachbarten Begriffen "anhängige Gerichtsverfahren, Ermittlungs- und Disziplinarverfahren". Diese Verfahren sind allesamt dem gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Bereich zuzuordnen, in dem sich die Unterrichtung der Öffentlichkeit nach Regeln vollzieht, die der speziellen Art des jeweiligen Verfahrens in besonderer Weise angepaßt sind, und in dem deshalb das Regime des Umweltinformationszugangsrechts beschränkt werden können soll56• Darüber hinaus spricht auch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie gegen die Deutung der damaligen Bundesregierung. Die Ergänzung des fraglichen Ausnahmetatbestands wurde aufgrund der Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses in den zweiten Richtlinienvorschlag der Kommission für eine Umweltinformationsrichtlinie übernommen. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß hatte diese Anregung in einem Klammerzusatz aber selbst mit "gemeint sind hier Verfahren bei Polizeibehörden oder Staatsanwaltschaften" erläutert57 • Nach seiner Vorstellung sollten auch die Ver54 EuGH E 1998-I, 3809f., 3834f., Rz. 23ff., 30 "Mecklenburg"; bestätigt durch EuGH E 2000-I, 5087,5114, Rz.25ff., 27. 55 Vgl. Englisch: "preliminary investigation proceedings"; Französich: "instruction preliminaire"; Italienisch: "azione investigativa preliminare" usw. in: EuGH E 1998-I, 3809 f., 3835 f., Rz. 29 "Mecklenburg". Zu den Rechtsfolgen divergierender sprachlicher Fassungen vgl. bereits ausführlich oben, Teil 1, A. I. 56 Ähnlich: Schrader, in: S/S/W, § 7 Rn 15; die gleiche Argumentation verwendet auch das BVerwG in etwas anderem Zusammenhang, BVerwG UPR 2000, 118, 119. 57 Stellungnahme des WSA zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend den freien Zugang zur Information im Umweltbereich vom 31.3.1989 (ABI. Nr. C 139), S.47ff., 49.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
fahren vom Ausnahmetatbestand umfaßt werden, die lediglich formal noch keine gerichtlichen oder quasigerichtlichen Verfahren darstellen, die aber deren notwendige Vorstufe sind 58 • Neben diesen Aspekten sprachlicher und historischer Auslegungsmethoden ließ sich der Europäische Gerichtshof in der zitierten Entscheidung "Mecklenburg" vor allem in eher formaler Weise von systematisch-teleologischen Gesichtspunkten leiten. Art. 3 Abs. 2, 3. Spiegelstrich stelle eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung der Richtlinie dar und könne folglich nicht so ausgelegt werden, daß seine Wirkung über das hinausgehe, was zum Schutz der von ihm gewährleisteten Interessen erforderlich sei 59• Diesem Gedanken liegt materiell zugrunde, daß die Subsumtion aller Verfahren unter den Begriff des Vorverfahrens, die der Vorbereitung behördlicher Entscheidungen und sonstiger Maßnahmen der Behörden dienen, der Richtlinie im wesentlichen ihren Inhalt und damit ihre praktische Wirksamkeit nehmen würde 60• Gerade die wichtigsten Verfahren zur Genehmigung der Errichtung und des Betriebs einer umweltbeeinträchtigenden Anlage, in denen die freie Zugänglichkeit von Umweltinformationen zu einem besseren Umweltschutz führen könnte, blieben vom Anwendungsbereich des Zugangsrechts ausgenommen61. Aufgrund dieser Erwägungen sind unter den verwaltungsbehördlichen Verfahren im Sinne des § 7 Abs. l Nr. 2, 3. Variante UIG folglich nur die Verwaltungsverfahren zu verstehen gewesen, die einem gerichtlichen oder quasigerichtlichen Verfahren unmittelbar vorausgehen wie etwa das strafrechtliche oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Ermittlungsverfahren. Auch Vorverfahren im Sinne der §§ 68 ff. VwGO stellten folglich keine Vorverfahren gemäß Art. 3 Abs. 2, 3. Spiegelstrich der Richtlinie dar62. - Durch die Neufassung des§ 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG im Jahr 2001 hat der Gesetzgeber diesen Streit zugunsten der hier vertretenen Auffassung entschieden. Er hat den Ausschlußgrund des verwaltungsbehördlichen Verfahrens aufgehoben und die bislang vorhandenen Varianten des Gerichtsverfahrens und des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens um Disziplinar- und ordnungswidrigkeitsrechtliche Verfahren ergänzt. Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 UIG besteht der Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen nicht, soweit durch das Bekanntwerden der Informationen personenbezogene Daten offenbart und dadurch schutzwürdige Interessen der Betroffenen beeinträchtigt würden (Nr. l) oder der Schutz des geistigen Eigentums entgegensteht (Nr. 2); ferner dürfen nicht Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse unbefugt zugänglich gemacht werden (Satz 2). In jedem Fall sind die Betroffenen vor der Entscheidung 58 Diese naheliegende Intention wird dem WSA vom Generalanwalt La Pergola, in EuGH E 1998-1, 3809, 3821, Rz. 23 "Mecklenburg" unterstellt, sie findet sich in der Stellungnahme des WSA indes so nicht. 59 EuGH E 1998-1, 3809f., 3834, Rz. 23 ff., 25 "Mecklenburg". 60 GA La Pergola, in EuGH E 1998-1, 3809, 3821, Rz. 24 "Mecklenburg", auf den sich der EuGH im selben Urteil auch weitestgehend beruft- vgl. ebenda, S. 3834ff., insbesondere Rz.25. 61 Vgl. insbesondere auch Turiaux, §7 Rn23f. mwN. 62 Vgl. dazu Schrader, in: S/S/W, § 7 Rn 15; Fluck!Theuer, § 7 Rn 110 mwN.
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über die Offenbarung anzuhören (Abs. 2 S. 1). § 8 UIG macht von der Ermächtigung des Art. 3 Abs. 2, 4. und 5. Spiegelstrich der Richtlinie zum Schutz privater Belange Gebrauch 63 und verwirklicht damit den vom Grundgesetz vorgeschriebenen Grundrechtsschutz im Hinblick auf personenbezogene Daten und eigentumsrechtliche Positionen. Auch die Ablehnungsgründe des § 8 UIG stellen allesamt zwingende Vorschriften dar. Anders als die in § 7 UIG geregelten Ausnahmen enthalten die Tatbestände des § 8 UIG aber allesamt auslegungsbedürftige, gerichtlich voll überprüfbare unbestimmte Rechtsbegriffe- in S. 1 Nr. 1 die "schutzwürdigen Interessen" der Drittbetroffenen64, inS. 1 Nr. 2 das "Entgegenstehen" des Schutzes des geistigen Eigentums65 und inS. 2 das "unbefugte" Zugänglichmachen der genannten Geheimnisse66. Im Ergebnis ist die Behörde demnach im Anwendungsbereich der Ausnahmetatbestände des § 8 UIG regelmäßig verpflichtet, aufgrund der unbestimmten Rechtsbegriffe auf Tatbestandsseite eine Abwägung zwischen der Schutzwürdigkeit der offenbarten Daten oder Geheimnisse des Betroffenen und dem den Umweltschutz fördernden Informationsinteresse des Antragstellers durchzuführen67. Dabei darf sich die anspruchsverpflichtete Behörde nicht am bisherigen Modell der beschränkten Aktenöffentlichkeit orientieren und damit das Zugangsrecht weitestgehend unterbinden. Sie hat vielmehr die Tendenz der Richtlinie zu berücksichtigen, einen möglichst weitgehenden, freien Zugang zu allen Umweltinformationen zu garantieren68. In einem Anwendungsfall des§ 8 UIG hat das Gericht dementsprechend entschieden, daß sich eine Behörde nicht allgemein darauf berufen könne, daß "private Belange tangiert seien", um ein Zugangsrecht abzulehnen. Vielmehr sei der Hinweis auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit bestimmter Daten so einleuchtend zu untermauern, daß die Beteiligten sowie das Gericht die Gründe für die Informationszugangsverweigerung (... ) als triftig anerkennen könnten 69 • Von besonderer praktischer Wichtigkeit im Hinblick auf § 8 UIG erscheint der Umstand, daß die Ausnahmetatbestände des § 8 UIG nur selten einen völligen Ausschluß des Zugangsrechts gebieten dürften. Die Möglichkeit der Anonymisierung und der Unkenntlichmachung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen wird in aller Regel nur zu einem teilweise unbegründeten Informationsbegehren führen 70. Der partiell gewährleistete Zugang wird dabei das Begehren des Antragstellers oftmals hinreichend befriedigen. Vgl. zu diesen Vorschriften der Richtlinie schon ausführlich oben, Teil I S. 63. Vgl. insoweit Turiaux, § 8 Rn 12ff.; Schrader, in: S/S/W, § 8 Rn7; Röger, §8 Rn7; Fluck/ Theuer, § 8 Rn 98. 65 Vgl. insoweit Turiaux, § 8 Rn 40; Röger, § 8 Rn 35; Fluck/Theuer, § 8 Rn 278, 283. 66 Vgl. insoweit Turiaux, §8 Rn85; Schrader, in: S/S/W, §8 Rn29; Röger, § 8 Rn38; Fluckl Theuer, § 8 Rn 374. 67 Turiaux, § 8 Rn 12ff., 40, 85; Schrader, in: S/S/W, § 8 Rn7, 29, 49; Röger, §8 Rn7, 35, 38; Fluck/Theuer, § 8 Rn 98, 278, 283, 374. 68 Ähnlich: Schrader, in: S/S/W, § 8 Rn49. 69 VG München GewArch 1996, 173, 174. 70 Ähnlich: Fluck/Theuer, § 8 Rn 51/53. 63
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Insgesamt ist damit der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 S. 1 UIG trotz zahlreicher Ausnahmetatbestände besonders umfangreich. Mit Blick auf den Zweck der Umweltinfonnationsrichtlinie, im Interesse des Umweltschutzes ein möglichst weitreichendes Zugangsrecht zu Umweltinfonnationen zu gewährleisten, sind im Ergebnis alle Ausnahmen des Zugangsrechts und alle anspruchsbegründenden Voraussetzungen - soweit überhaupt vorhanden - "eng" zu interpretieren. Demnach läßt sich die im folgenden zu überprüfende Behauptung aufstellen, daß sich der Infonnationsanspruch nach dem UIG, soweit Umweltinfonnationen betroffen sind, gegenüber nahezu allen anderen konkurrierenden Infonnationsansprüchen in der Praxis durchsetzen wird, obwohlletztere gemäß § 4 Abs. 3 UIG unberührt Anwendung finden.
II. Vorschriften der beschränkten Aktenöffentlichkeit Der Begriff der beschränkten Aktenöffentlichkeit beschreibt die aufgrund des § 29 VwVfG, diesem entsprechenden landesrechtliehen Vorschriften und des Art. 5. Abs. 1, S. 1, 2. Hs. GG allgemein in Deutschland geltende Rechtslage in bezugauf die Gewährung von Akteneinsichtsrechten während laufender Verwaltungsverfahren. Diese sogleich näher zu erläuternden Vorschriften prägen das deutsche Recht außerhalb des Bereichs des Umweltrechts auch noch maßgeblich nach lokrafttreten des UIG.
1. Einfach-gesetzliche bundesrechtliche Vorschriften, insbesondere § 29 VwVfG Im Zentrum bundesrechtlicher Regelungen stehen §§ 29, 30 VwVfG, die auch im fönnlichen Verfahren nach §§ 63 ff. VwVfG Anwendung finden. Einsichtsrechte nach der spezielleren Regelung des § 25 SGB X sind an noch strengere Voraussetzungen geknüpft, die sich insbesondere durch ein differenzierteres, der sachlichen Materie angepaßtes System im Bereich der Geheimhaltung bestimmter Daten auszeichnen. Sie müssen deshalb im folgenden nicht untersucht werden. Soweit keine die Akteneinsicht regelnden Vorschriften bestehen, besitzt der Bürger unter der Voraussetzung des Nachweises eines berechtigten Interesses nur einen Anspruch gegen die Behörde auf ennessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht, der sich letztlich aus grundgesetzliehen Vorgaben ergibe 1•
7 1 Ganz h. M., vgl. zuletzt: König, DÖV 2000, 45, 46; außerdem die zahlreichen Nachweie bei: Engel, S. 86f.; aA, soweit ersichtlich, nur No/te, DÖV 1999, 363ff., der einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung auch ohne berechtigtes Interesse annimmt. V gl. zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben unten, Teil 3, B. II.
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a) Voraussetzungen des § 29 Abs.l S.l VwVjG Gemäߧ 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Nach allgemeiner Auffassung gewährt§ 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG damit dem Informationsbegehrenden einen Anspruch auf Akteneinsicht72 • Dieser Anspruch wurzelt im Rechtsstaatsprinzipund dient vor allem dem Zweck, durch die Herbeiführung einer gewissen "Fairneß" und "Waffengleichheit" der Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens einen effektiven (Grund-)Rechtsschutz zu ermöglichen73 • Daneben dient § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs und in nicht subjektivrechtlicher Hinsicht der Wahrheitstindung durch die Behörde und dem Aspekt der Kontrolle und der Legitimität der Entscheidungen der Verwaltung 74 • Voraussetzung des§ 29 Abs. 1 S.1 VwVfG ist vor allem ein rechtliches Interesse des am Verfahren beteiligten Antragstellers. Ein Anspruch des Beteiligten auf Akteneinsicht zur Wahrung seiner rechtlichen Interessen besteht nicht nur, soweit er subjektive Rechte verfolgt. Ein rechtliches Interesse liegt vielmehr schon vor, wenn die Einsichtnahme bezweckt, eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu erhalten75 • Umgekehrt reichen rein wirtschaftliche oder ideelle Interessen, die dem in zahlreichen anderen Vorschriften enthaltenen, weiteren Begriff des "berechtigten Interesses" noch unterfallen 76, nicht aus 77 • Anspruchsberechtigt sind nur die gemäß § 13 V w VfG formell Beteiligten eines begonnenen und noch nicht beendeten Verwaltungsverfahrens. Das sind nach § 13 VwVfG der Antragsteller und der Antragsgegner des Verfahrens, die (auch zukünftigen) Adressaten eines Verwaltungsakts, die Parteien eines (auch noch zu schließenden) öffentlich-rechtlichen Vertrags und die Beigezogenen nach § 13 Abs. 2 VwVfG. Wer noch nicht am Verfahren beteiligt ist, obwohl durch den Ausgang des Verfahrens seine rechtlichen Interessen berührt werden, muß zunächst einen Antrag auf Hinzuziehung zum Verfahren nach § 13 Abs. 2 S. 1 VwVfG stellen und tatsächlich von der Behörde hinzugezogen worden sein. Erst dann ist er formell Beteiligter des Verwaltungsverfahrens. Im übrigen, also auch vor Beginn oder nach Abschluß des Bonk, in: S/B/S, §29 Rn I; Ramsauer, in K/R, §29 Rn I; Peine, Verwaltungsrecht, Rn I99. Ramsauer, in: K/R, §29 Rn2f. und Engel, S.8I ff., 129f., beide mwN. Vgl. zum Ganzen auch: Trantas, passim. 74 Ramsauer, in: K/R, § 29 Rn 2 f., Grünewald, in: Obennayer, § 29 Rn 2 f. und Engel, S. 8I ff., I29 f., alle mwN. 7s BT-Drs. 7/910, S. 52- Begründung des VwVfG-Entwurfs. 76 Bonk, in: S/B/S, § 29 Rn 42 mwN; vgl. hinsichtlich wirtschaftlicher Interessen auch BVerwGE 36,218,226 zu §43 Abs.I VwGO und zur Frage ideeller Interessen im Rahmen des § Il3 Abs. I S. 4 VwGO: BVerwGE I2, 87, 90. 77 Turiaux, Ein!. Rn30; Bonk, in: S/B/S, § 29 Rn42 beide mwN. 72
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Verfahrens gemäߧ 22 beziehungsweise§ 9 VwVfG, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Akteneinsicht Vielmehr entscheidet die Behörde insoweit nach ihrem Ermessen78. Soweit eine Vertretung stattfindet in den Fällen des sogenannten Massenverfahrens nach §§ 17 f. Vw VfG, bei dem eine Beteiligung von mehr als 50 Personen mit gleichartigen Anträgen oder Interessen in Betracht kommt, steht das Akteneinsichtsrecht gemäߧ 29 Abs. 1 S. 3 VwVfG nur dem Vertreter der Personengruppe zu. Gegenstand des Anspruchs sind nur die das Verfahren des Beteiligten betreffenden Akten, die die Behörde führt oder die sie beigezogen hat19• Sie ist nicht verpflichtet, dem Antragsteller sonstige gewünschte Informationen zu beschaffen 80• Zu betonen ist, daß der aufgrunddes § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG gewährte Anspruch nur soweit reicht, wie die Kenntnis der Akten zur Wahrung der rechtlichen Interessen des Antragstellers erforderlich ist. Damit kann die Behörde nach ihrem Ermessen die Einsichtnahme in beigezogene Akten, die keinerlei rechtlichen oder tatsächlichen Bezug zum Verwaltungsverfahren aufweisen, ganz oder teilweise verwehren. In Betracht kommt, bei der Gewährung eines teilweisen Informationszugangs nur einige der im Verfahren geführten Akten zugänglich zu machen; innerhalb einer Akte können einzelne Blätter ausgenommen oder einzelne Informationen durch Schwärzung oder Anonymisierung unkenntlich gemacht werden81 • Gemäß § 29 Abs. 3 S.1 VwVfG erfolgt die tatsächliche Akteneinsichtnahme in den Amtsräumen der Behörde, die die Akten führt. Läßt sich der Anspruch aus § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG folglich zutreffend als unselbständiges, verfahrensbezogenes Akteneinsichtsrecht und damit als bloßes Hilfsmittel der Durchsetzung eines sonstigen subjektiven Rechts charakterisieren82, so sind die Rechtsfolgen eines abgelehnten Antrags eines Beteiligten auf Akteneinsicht im Hinblick auf § 44 a S. 1 V wGO noch immer nicht abschließend geklärt. Im Sinne der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4 GG und dem verfahrensrechtlichen Gehalt der Grundrechte kommt eine gesonderte gerichtliche Erzwingung des Informationsanspruchs dann in Betracht, wenn die Auskunftsverweigerung der grundrechtlich geschützten effektiven Rechtsverfolgung entgegen stünde83 , wenn also die Verwirklichung des sonstigen materiellen Rechts durch die Verweigerung des unselbständigen Anspruchs des § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG gefährdet würde 84 • Im Ergebnis können nach allgemein gelten78 Zum Ganzen statt aller: Bonk, in: S/B/S, §29 Rn31 f. mwN. Zu den nach Beendigung des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigenden archivrechtlichen Grundsätzen vgl. auch: Nau, passim. 79 Peine, Verwaltungsrecht, Rn 199. 8o Bonk, in: S/B/S, § 29 Rn 35 f. 81 Bonk, in: S/B/S, §29 Rn36f. mwN. 82 Ähnlich: Reinhardt, Die Verwaltung 1997, 162, 169; König, DÖV 2000,45,48. 83 BVerfGE NJW 1991, 415, 416 (explizit zu§ 44a VwGO). 84 Ähnlich: Reinhardt, Die Verwaltung 1997, 162, 170 mwN auch zur Rechtsprechung des BVerfG zur verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte.
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dem deutschen Verwaltungsverfahrens- und -prozeßrecht deshalb verweigerte Akteneinsichtsanträge nach § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG regelmäßig nicht isoliert gerichtlich durchgesetzt werden. In den Fällen des §46 VwVfG, in denen offensichtlich ist, daß die Verletzung einer Verfahrenshandlung die behördliche Entscheidung in der Hauptsache nicht beeinflußt hat, ist sogar eine rechtswidrigerweise verweigerte Akteneinsicht nicht gerichtlich erzwingbar, selbst wenn sie zusammen mit einem Rechtsbehelf in der Hauptsache geltend gemacht wird85 ; insoweit bleibt dem Antragsteller bei berechtigtem Interesse nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit gemäߧ 113 Abs. 1 S.4 VwGO analog 86•
b) Ausnahmen von §29 Abs.l S.l VwVJG Gewährt § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG dem Informationsbegehrenden einen Anspruch auf Akteneinsicht, besteht demgegenüber nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den lnformationszugang, soweit sich das Begehren auf die Erlangung von Informationen richtet, die den Ausnahmetatbeständen des Abs.1 S. 2 oder des Abs. 2 unterfallen. Nach § 29 Abs. 1 S. 2 beziehungsweise Abs. 2 VwVfG ist die Behörde befugt,- grundsätzlich aber nicht verpflichtet87 - nach ihrem Ermessen die Akteneinsicht zu verweigern, soweit das Informationsbegehren Entwürfe oder Vorbereitungsarbeiten der Behörde betrifft, beziehungsweise bestimmte öffentliche Interessen oder private Interessen Dritter zu beeinträchtigen droht. Bei ihrer Ermessensentscheidung hat die Behörde das Für und Wider der Gewährung der Akteneinsicht sorgfaltig und unter Berücksichtigung der Bedeutung der Akteneinsicht für das rechtliche Gehör und die Sachentscheidung abzuwägen 88• Eine Verpflichtung der Behörde zur Versagung der Akteneinsicht kann sich häufig jedoch aus anderen Vorschriften ergeben, insbesondere aus§ 30 VwVfG. Soweit die privaten Belange des § 29 Abs. 2, 3. Variante VwVfG Geheimnisse beteiligter Dritter im Sinne von§ 30 VwVfG darstellen, also insbesondere zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnisse oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse89 , besteht ein Anspruch des Dritten gegen die Behörde, daß diese nicht unbefugt offenbart werden. Ob die Behörde "befugt" im Sinne dieses unbestimmten Rechtsbegriffs des § 30 VwVfG ist, ein Geheimnis eines Dritten gegenüber dem Informationsbegehrenden zu offenbaren, ist regelmäßig - soweit nicht der Dritte zustimmt oder speSchenke, in: K/S, §44a Rn 1 mwN. Schenke, in: K/S, §44a Rn 1 mwN. 87 Ramsauer, in: K/R, § 29 Rn 25; Clausen, in: Knack, § 29 Rn 18; Bonk, in: S/B/S, § 29 Rn 52. Zu der gegenteiligen Auffassung von Grünewald, in: Obermayer, § 29 Rn 26, nach der die Behörde generell kein Ermessen ausüben muß, siehe die sogleich folgenden Ausführungen. 88 V gl. Ramsauer, in: K/R, § 29 Rn 25; Bonk, in: S/B/S, § 29 Rn 52; Engel, S. 44. 89 Zu den Begriffen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vgl. schon oben, Tei11, B.II.2. b). Der Umfang der zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Umstände orientiert sich hingegen weitgehend an § 203 Abs. 1 und 2 StGB, dem sich § 30 Vw VfG erkennbar nach seinem Wortlaut und seiner Entstehungsgeschichte anschließt (Vgl. dazu Bonk, in: S/B/S, § 30 Rn 8 mwN). 85
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
zialgesetzliche Vorschriften bestehen - aufgrund einer von der Behörde vorzunehmenden umfassenden Abwägung zwischen den Geheimhaltungs- und Offenbarungsinteressen der Betroffenen zu beurteilen90 • Diese Abwägung unterscheidet sich dadurch von der allein aufgrunddes § 29 Abs. 2 VwVfG vorzunehmenden behördlichen Ermessensentscheidung, daß dort die Zugangsgewährung, bei § 30 VwVfG hingegen die Zugangsversagung den Regelfall darstellt 91 • Nach einer gegenteiligen Auffassung sei in allen Varianten des Abs. 2 wegen des vermeintlich eindeutigen Wortlauts kein Raum für die Ausübung eines behördlichen Ermessens 92 • Diese Auffassung verkennt jedoch, daß die Behörde in den beiden ersten Varianten des Abs. 2 lediglich im Rahmen eines zweiseitigen Rechtsverhältnisses zwischen dem Informationsbegehrenden und ihr selbst entscheidet und deshalb mit Blick auf die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes gegen staatliche Maßnahmen in einem gewissen Rahmen über die öffentlichen (gegebenenfalls sogar "eigenen") Belange zugunsten des Bürgers disponieren können muß 93 • In allen Fällen, in denen die Behörde die endgültige Versagung der Informationen in Betracht zieht, hat sie zu prüfen, ob nicht zumindest eine teilweise Zugangsgewährung in Betracht kommt. Alle Varianten des § 29 Abs. 2 VwVfG unterstehen einer Beschränkung durch die Konjunktion "soweit".
c) Verhältnis des §29 VwV.fG zu §4 UIG Eröffnet§ 29 VwVfG insgesamt ein ausdifferenziertes System von Zugangsrechten zu behördlichen Akten während eines laufenden Verwaltungsverfahrens, so scheint der umweltinformationsrechtliche ehemalige Ausschlußgrund des verwaltungsbehördlichen Verfahrens gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2, 3. Variante a. F. UIG gerade auf dieses System des § 29 VwVfG mittels der Vorschrift des § 4 Abs. 2 a. F. (jetzt: Abs. 3) UIG verweisen zu wollen 94 • Diese zu jenem Zeitpunkt auch vom Bundesgesetzgeber gewollte Konsequenz ist jedoch aufgrund der soeben aufgezeigten zwingenden europarechtlichen Vorgaben unzulässig. Nach geltendem Europarecht dürfen aufgrund der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verwaltungsbehördliche Verfahren, die lediglich eine Maßnahme der Verwaltung vorbereiten, nur dann vom Umweltinformationsanspruch ausgenommen sein, wenn sie einem gerichtlichen oder quasigerichtlichen Verfahren unmittelbar vorausgehen 90 Vgl. insbesondere die Begründung des Regierungsentwurfs 1973 zum damals gleichlautenden §26 VwVfG: BT-Drs. 7/910, S. 54; vgl. auch BVerwGE 74, 115, 119; Bonk, in: S/B/S, §30 Rn20 und Engel, S.43ff., 55 ff., 59, beide mwN. Grundsätzlich auch BVerfGE 65, I, 43ff. "Volkszählung". 91 Turiaux, Einleitung, Rn37 mwN; Engel, S.44ff., 55, 127 mwN. 92 Grünewald, in: Obermayer, § 29 Rn 26. 93 Ähnlich ohne sachliche Begründung: Engel, S. 55, 127. 94 So vor der Entscheidung des EuGH E 1998-I, 3809f., 3834f., Rz. 23ff., 30 "Mecklenburg" vom 17.6.1998 auch: Clausen, in Knack, (Vorauflage) § 29 Rn 11. 8. (1.4.98) undBonk, in: S/B/S, § 29 Rn 23.
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
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und durchgeführt werden, um Beweise zu beschaffen oder ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, bevor das eigentliche Verfahren eröffnet wird 95 • Ein Informationsbegehren während eines laufenden Verwaltungsverfahrens kann in Anwendung des § 4 Abs. 3 (Abs. 2 a. F.) UIG demnach also nicht erst seit der Novellierung des UIG im Jahre 2001 sowohl auf§ 4 Abs. 1 S. 1 UIG als auch auf§ 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG gestützt werden. Soweit der Antragsteller Zugang zu Umweltinformationen begehrt, hat ein solches Anliegen des Antragstellers im Rahmen des UIG ganz überwiegend größere Aussicht auf (gegebenenfalls auch umfassenderen) Erfolg: Anspruchsberechtigt ist nach § 4 Abs. 1 S. 1 UIG jedermann, nicht nur der engere Kreis der gemäߧ 13 VwVfG formal Beteiligten des Verwaltungsverfahrens. Ferner kennt das UIG keine Anspruchsvoraussetzung wie die im Rahmen des § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG zu überwindende gewichtige Hürde eines rechtlichen Interesses des Antragstellers. Auch hinsichtlich der Art des Zugangs zu einer Umweltinformation eröffnet das UIG eine größere Auswahlmöglichkeit, da die Behörde nur dann von einer vom Bürger ausdrücklich gewünschten Zugangsart zugunsten eines anderen (im wesentlichen gleich geeigneten) Informationsmittels abweichen darf, wenn hierfür gewichtige von ihr darzulegende Gründe bestehen. Weder nach dem UIG noch nach dem VwVfG bestehen Informationsbeschaffungspflichten der Behörde. Auch hinsichtlich der gerichtlichen Durchsetzbarkeil des Anspruchs im Falle der Verweigerung der Akteneinsicht eröffnet der Anspruch des § 4 Abs. 1 S. 1 UIG dem Antragsteller im Hinblick auf §44a S.1 VwGO die günstigeren Perspektiven. Die isolierte Durchsetzung des Informationsbegehrens ist nur nach dem UIG möglich, und auch die Gefahr des Scheiteros der Durchsetzung des Anspruchs zusammen mit der Hauptsache in den Fällen des § 46 VwVfG besteht hier anders als bei § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG nicht. Im Bereich der Ausnahmetatbestände läßt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt hingegen noch nicht mit Sicherheit und allgemein abschätzen, ob die Ausnahmen des Umweltinformationszugangsrechts tatsächlich generell enger sind als die des § 29 Abs. 2 VwVfG, wie es bei einem solchen um weitgehende Umweltaktenöffentlichkeit bemühten Anspruch zu erwarten ist. Der Grund dafür liegt darin, daß der Bundesgesetzgeber nahezu alle nach der Umweltinformationsrichtlinie prinzipiell zulässigen Ausnahmetatbestände in das UIG übernommen hat. Die dabei in den§§ 7 und 8 UIG enthaltenen 18 Ausnahmetatbestände sind- abgesehen von den soeben dargestellten Entscheidungen - bisher aber kaum Gegenstand nationaler oder europäischer gerichtlicher Praxis gewesen. Auch ist bisher nur bei einigen dieser Tatbestände die Reichweite europarechtlicher Vorgaben geklärt. Ferner ist in der umfangreichen umweltinformationsrechtlichen Literatur bislang kein umfassender Vergleich der Ausnahmetatbestände des UIG mit denen des VwVfG ersichtlich. Im Rahmen dieser Untersuchung soll deshalb nicht den insoweit bestehenden zahlreichen offenen Streitfragen nachgegangen werden, die bei einem vollständigen Ver95 EuGH E 1998-1, 3809f., 3834f., Rz. 23ff., 30 "Mecklenburg"; bestätigt durch EuGH E2000-I, 5087,5114, Rz.25ff., 27.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
gleich zusätzlich in ein Verhältnis zu den (ebenfalls teilweise streitigen)% Einzelheiten der Ausnahmen von§ 29 Abs.l S.1 VwVfG gesetzt werden müßten. Anstelle eines solchen auf ungeklärte Vorfragen gestützten und aufgrund seines Umfangs kaum ein Ergebnis erwarten lassenden Vorhabens seien hier deshalb nur die größeren Fallgruppen verglichen, in denen die Ansprüche aus §4 Abs.1 S. 1 UIG und§ 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG generell Ausnahmen unterliegen. - In diesem Rahmen lassen sich im UIG drei größere Gruppen von Ausnahmen festmachen: Ausnahmen zum Schutz privater Belange(§ 8), zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Staates sowie seiner Institutionen(§ 7 Abs. 1 Nr. 1, 1., 2. und 4. Variante UIG) und zum Schutz des staatlichen Innenbereichs. Letzterem sind einerseits die Gewährleistung der Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden und die Verhinderung mißbräuchlicher Anträge zuzuordnen(§ 7 Abs. 1 Nr. 1, 3. Variante, § 7 Abs. 3 S. 1 UIG), andererseits der Schutz der Daten aus laufenden Strafverfahren etc., der noch nicht aufbereiteten Daten und der verwaltungsinternen Mitteilungen sowie der Unterlagen, die private Dritte den Behörden ohne rechtliche Verpflichtung übermittelt haben (§ 7 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 2, 7 Abs. 4 S. 1 UIG). Hinsichtlich des Schutzes des staatlichen Innenbereichs läßt sich für die verschiedenen in dieser Gruppe zusammengefaSten Einzelfalle des UIG kein jeweiliger Gegenpart im VwVfG finden. Das VwVfG faßt die Inhalte dieser Gruppe vielmehr weitgehend in nur einem Tatbestand zusammen, dem § 29 Abs. 2, 1. Variante VwVfG; daneben schließt§ 29 Abs.1 S. 2 VwVfG vergleichbar mit§ 7 Abs. 2 UIG 97 den Informationszugang vorübergehend für Entwürfe zu Entscheidungen sowie die Arbeiten zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung aus. Gemäß § 29 Abs. 2, 1. Variante VwVfG trifft die Behörde eine Ermessensentscheidung über die Zugangsgewährung, soweit durch sie die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde beeinträchtigt würde. Hierdurch wird der Behörde die Möglichkeit gegeben, Akteneinsicht in Fallen zu verweigern, in denen die Kenntnis des Akteninhalts den Erfolg des Verfahrens gefährden könnte 98 • Das gleiche gilt, wenn eine Behörde zur Wahrung ihrer Funktionsfähigkeit ihre Arbeitsweise, ihre Informationsquellen oder die Namen von Informanten usw. geheimhalten muß 99• Folgerichtig läßt sich feststellen, daß die einzelnen im UIG zum Schutz des Innenbereichs der Verwaltung enthaltenen Ausnahmen allesamt auch durch § 29 Abs. 2, 1. Variante i. V. m. Abs. 1 S. 2 VwVfG umfaßt sind 100• Indes liegt eine Deckungsgleichheit insofern nicht vor, weil der Anwendungsbereich des § 29 Abs. 2, 1. Variante VwVfG seinerseits über die bisher genannten Einzelfälle hinausgeht. - Anders als das unterhalb der Mißbrauchsschwelle die Behörde nicht vor stark erhöhten Arbeitsbelastungen schützen96 V gl. beispielsweise Bonk, in: S/B/S, § 29 Rn69ff. mwN zu den im Rahmen des§ 29 Abs. 2 VwVfG strittigen Fragen der wesensmäßigen Geheimhaltung von Prüfungsakten, ärztlichen Gutachten gegenüber dem Patienten und Arzt- und Patientendaten gegenüber Dritten. 97 Ebenso: Erichsen/Scherzberg, S. 100. 98 Ramsauer, in: K/R, §29 Rn29 mwN. 99 Ramsauer, in: K/R, §29 Rn29, 31 mwN. 100 Teilweise ausdrücklich ebenso: Erichsen/Scherzberg, S. 59, 100.
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
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de UIG 101 liegt eine Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung der Behörde im Sinn des § 29 Abs. 2, I. Variante VwVfG nämlich schon vor im Fall einer außergewöhnlichen, übermäßigen Inanspruchnahme der Diensträume oder des Personals 102• Die Ausnahmetatbestände des §29 Abs.2, 1. Variante i.V.m. Abs.1 S.2 VwVfG reichen damit teilweise weiter als die zum Schutz des staatlichen Innenbereichs nach § 7 Abs. 1 Nr. 1, 3. Variante, § 7 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 2, § 7 Abs. 4 S. 1 UIG. Die zweitgenannte Gruppe von Ausschlußgründen des UIG, die dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Staates dient, findet hingegen schon sprachlich eine Ähnlichkeit in § 29 Abs. 2, 2. Variante VwVfG. Das hier vor Nachteilen geschützte "Wohl des Bundes oder eines Landes" wird als betroffen angesehen, wenn die Offenbarung der Informationen die äußere oder innere Sicherheit oder die Beziehungen zu ausländischen Staaten oder internationalen Organisationen des Bundes oder eines Landes beeinträchtigen würde 103• Nach einer detaillierteren Definition sind davon auch geheimzuhaltende Angelegenheiten der Verteidigung, des Zivilschutzes, des Verfassungsschutzes sowie alle Angelegenheiten von erheblicher staatspolitischer Bedeutung umfaßt 104• § 29 Abs. 2, 2. Variante VwVfG ist damit als eine "Staatswohlklausel" zu verstehen, die ähnlich der Funktion des § 7 UIG der Einschränkung einer prinzipiell bestehenden, normativen Veröffentlichungspflicht dient, deren Weite die Berücksichtigung entgegenstehender Interessen erfordert 105• Demzufolge kann von einer weitgehenden inhaltlichen Deckungsgleichheit zwischen dem die "internationalen Beziehungen", die "Landesverteidigung" und die "erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" umfassenden Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1, 1., 2. und 4. Variante UIG und dem durch§ 29 Abs. 2, 2. Variante VwVfG geschützten "Wohl des Bundes oder eines Landes vor Nachteilen" ausgegangen werden 106• Eine ebenfalls bereits sprachliche Ähnlichkeit findet sich auch bei den Ausnahmen zum Schutz privater Belange. Sowohl § 8 Abs. 2 S. 1 UIG als auch § 30 VwVfG sprechen explizit davon, daß Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht "unbefugt zugänglich gemacht", beziehungsweise "offenbart" werden dürfen. Umfaßt diese Ähnlichkeit nur einen Teil der Vorschriften zum Schutz privater Belange, so liegt soVgl. dazu ausführlich schon in Teil 1, B. II. 1. Ramsauer, in: KIR, §29 Rn32; Grünewald, in: Obermayer, §29 Rn29. 103 Grünewald, in: Obermayer, § 29 Rn 33 f. 104 Clausen, in Knack, § 29 Rn 20. 105 Vgl. zu diesen parallelen Funktionen ebenso: Erichsen!Scherzberg, S. 62. 106 Vgl. dazu im Ergebnis auch Erichsen/Scherzberg, S. 63, die allerdings Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie mit§ 29 Abs.2, 2. Variante VwVfG vergleichen. Insoweit besteht indes nahezu wörtliche Identität zwischen Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie und § 29 Abs. 2, 2. Variante VwVfG. Lediglich für den Richtlinienbegriff der "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit", der nach einhelliger Meinung nach deutscher ordnungsrechtlicher Terminologie als "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit" zu verstehen ist, wären Unterschiede zu diskutieren gewesen, wenn der Bundesgesetzgeber diese Gefahrklausel in § 7 Abs. I Nr. 1 UIG nicht gerade in Form der Bedeutung der Richtlinie übernommen hätte. 10 1
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wohl § 8 UIG als auch§ 29 Abs. 2, 3. Variante i. V. m. § 30 VwVfG erkennbar der Gedanke zugrunde, daß in diesen Bereichen eines dreiseiligen Informationsverhältnisses eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse des einen und dem Geheimhaltungsinteresse des anderen Privaten stattfinden muß. Beide Regelungen beinhalten zu diesem Zweck eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe, anhand derer im Rahmen der Güterahwägung die "richtige" Lösung im Sinne eines möglichst schonenden Ausgleichs der betroffenen Interessen gefunden werden kann. Letztlich ergibt sich die Reichweite dieser Ausnahmetatbestände damit sowohl nach § 8 UIG als auch nach§ 29 Abs. 2, 3. Variante i.V. m. § 30 VwVfG aus einer Abwägung der betroffenen lnteressen 107• Auch insoweit läßt sich damit davon ausgehen, daß zwischen beiden Ausnahmetatbeständen zum Schutz privater Belange eine weitgehende inhaltliche Deckungsgleichheit besteht. Vor allem in den beiden inhaltlich vergleichbaren Fallgruppen von UIG und VwVfG- zum Schutz privater Belange einerseits und dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Institutionen andererseits 108 - könnte allerdings fraglich sein, ob insoweit nicht eine gewisse Korrektur des bisher gefundenen Ergebnisses aufgrund weiterer struktureller Erwägungen erforderlich ist: Im Hinblick auf die Ausnahmen zum Schutz privater Belange ist dem UIG mit dem VwVfG gemeinsam, daß die Behörde zumindest einen teilweisen Informationszugang zu gewährleisten hat und zur Gewährung praktischer Konkordanz verpflichtet ist. Zu beachten ist jedoch der strukturelle und praktisch wichtige Umstand, daß auch in diesem Bereich mit Blick auf die unterschiedlichen Gesetzeszwecke beim UIG- unter Berücksichtigung der Vorgaben der Richtlinie- die Zugangsgewährung, nach VwVfG aber die Zugangsversagung den Regelfall darstellt 109• Regelungszweck des§ 29 VwVfG ist vor allem die Gewährung von Akteneinsicht eines Beteiligten zum Zweck der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes, im engen Rahmen des § 29 Abs. 2, 3. Variante i.V. m. §30 VwVfG wirddieserZweckjedochdurchden in §30 VwVfG im Vordergrund stehenden Geheimnisschutz überlagert. Damit kommt es insoweit nicht zu einer "freien" Abwägung zweierprinzipiell gleichgewichtiger Belange, das Abwägungsergebnis wird vielmehr regelmäßig zugunsten der Geheimhaltung ausfallen. Anders bleiben auch im Falle der Abwägung nach § 8 UIG die Vorgaben der höherrangigen Richtlinie maßgeblich, nach denen eine möglichst umfangreiche Umweltaktenöffentlichkeit zum Zweck des Umweltschutzes gewährleistet werden soll. Die Aufstellung einer solchen "Regel" im Anwendungsbereich der § 29 Abs. 2, 3. Variante i.V. m. § 30 VwVfG besitzt auch im Rahmen einer Abwägung, die ihrerseits im Rahmen eines Ausnahmetatbestands zu einer Grundregel- dem § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG- durchzuführen ist, eine spürbare Relevanz im Hinblick auf die in der Schmidt/Müller, S.33 mwN in Anlehnung an BT-Drs.l2nl38, S.l4. Vgl. insgesamt nochmals in bezugauf den Schutz öffentlicher Belange: Erichsen!Scherzberg, S. 59, 62f. 100 und in bezugauf private Belange: Schmidt/Müller, S. 33 in Anlehnung an BT-Drs. 12/7138, S.14. 109 So insbesondere auch: Reinhardt, S. 170; im Hinblick allein auf§ 30 VwVfG auch: Knemeyer, NJW 1984,2241, 2243f. mwN; Bonk, in: S/B/S, §30 Rn20. 107 108
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
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Praxis gefundenen Ergebnisse 110• Wie bei bisher allen betrachteten Aspekten kann deshalb auch insoweit festgehalten werden, daß der Anspruch des UIG weiter reicht als der des VwVfG, soweit Umweltinformationen betroffen sind. Umgekehrt führt eine andere strukturelle Begebenheit jedoch auch zu einem engeren Anwendungsbereich des Informationsanspruchs nach dem UIG: Zu beachten ist nämlich, daß das VwVfG in § 29 Abs. 2, 2. Variante die Behörde zu einer Ermessensentscheidung über die Akteneinsicht ermächtigt, das UIG hingegen ohne Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben in der vergleichbaren zweiten Fallgruppe zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Staates gemäß § 7 Abs. 1 Nr. I, 1., 2. und 4. Variante UIG eine zwingend ablehnende Entscheidung der Behörde vorsieht. Sind aber nach dem VwVfG insoweit durchaus Fälle denkbar 111 , in denen vergleichbar mit§ 7 Abs. 1 Nr. 1, 1., 2. und 4. Variante UIG Materien des Staatswohls mit einem gewissen Gewicht betroffen sind und muß die Behörde nach dem VwVfG gleichwohl eine Ermessensentscheidung treffen, so ist insoweit der Anwendungsbereich des Informationsanspruchs nach dem UIG enger. Soweit das UIG auch die Ausnahmetatbestände der- in UIG und VwVfG lediglich ähnlich und nicht deckungsgleich ausgeprägten - dritten Gruppe zum Schutz des staatlichen Innenbereichs als zwingende Ablehnungsgründe ausgestaltet hat 112, gilt dies auch für diese, weil der Behörde auch im Rahmen des § 29 Abs. 2, 1. Variante VwVfG Ermessen zusteht. Insoweit besitzt also der Umweltinformationsanspruch im Vergleich zur letztgenannten Vorschrift im Bereich der § 7 Abs. 1 Nr. 1, 3. Variante, § 7 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 4 S. 1 UIG einen engeren Anwendungsbereich. Darüber hinaus sind auch ohne größeren Aufwand Einzelfälle konstruierbar, in denen nur das VwVfG, nicht aber auch das UIG zu einem Informationsanspruch führt, weil sich der Gesetzeszweck des UIG von dem des§ 29 VwVfG unterscheidet und damit im Rahmen einer Abwägung unterschiedliche Wertungen vorzunehmen sind. Sollten gegen einen Informationsanspruch sowohl nach dem UIG als auch nach dem VwVfG Geheimhaltungsinteressen Dritter ins Feld geführt werden, so sprechen für die Gewährung des Informationsanspruchs nach dem UIG Umweltschutzaspekte, nach dem VwVfG hingegen Aspekte der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes. Verfolgt der Antragsteller aber ganz überwiegend Rechtsschutzinteressen und sind objektive Aspekte des Umweltschutzes nur in geringem Maße betroffen, so hätte ein Antrag auf Einsicht in Umweltakten allein nach § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG Erfolg 113. - Zu denken ist etwa an den Bauantrag zur Erweite110 Vgl. dazu Engel, S. 295, wenn unmittelbar auch nur in bezugauf die Umweltinformationsrichtlinie. 111 Vgl. insbesondere VGH München NVwZ 1990,778, 779f. zu den insoweit vergleichbaren§§ 99, 100 VwGO. 112 Also alle zu dieser Gruppe gehörenden Vorschriften mit Ausnahme der Soll-Vorschrift des§ 7 Abs. 2 UIG. 113 Der Gedanke des§ 30 VwVfG steht nicht dem Ergebnis entgegen, daß sich im Einzelfall in der Abwägung auch private Rechtsschutzinteressen gegenüber schutzwürdigen Geheimnissen Dritter durchsetzen können- vgl. z. B. BVerwGE 10, 274, 279; 49, 89, 93 f.
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rung einer objektiv relativ geräuscharmen gewerblichen baulichen Anlage, gegen den ein vereinzelter Nachbaraufgrund seiner persönlichen Lärmempfindlichkeit im Rahmen seiner Anhörung Bedenken des Gesundheitsschutzes erhebt. Diese Stellungnahme stellt gerade im Hinblick auf den Namen des Einwenders, dessen Person dem zu erwartenden leichten Anstieg des Lärmpegels besondere Bedeutung zukommen läßt, eine Umweltinformation dar 114• Gleichzeitig ist die persönlich bedingte Umweltempfindlichkeit ein personenbezogenes Datum. Begehrt der Bauherr in dieser Konstellation bei der Baubehörde den Namen des Bedenkenträgers, etwa um eine schnelle, einvernehmliche Lösung des Konflikts zu erzielen, so kann sein Rechtsschutzinteresse dabei von überwiegendem Gewicht sein. Zu denken ist insbesondere an den Fall, daß ein erheblicher Verzug bei der Durchführung des Genehmigungsverfahrens seine wirtschaftliche Existenz zu gefährden droht. Demgegenüber wäre das konkrete umweltschützende Interesse, mit dem bei der Betroffenheit personenbezogener Daten im Rahmen ihrer Schutzwürdigkeit im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 UIG abzuwägen ist, an der Erlangung des Namens des Nachbarn von eher geringem Gewicht. Außerdem geht der Informationsanspruch des VwVfG teilweise weiter bei Informationen, die ein privater Dritter der Behörde ohne rechtliche Verpflichtung übermittelt hat. Soweit diese keine personenbezogenen Daten, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse im Sinne von § 30 VwVfG enthalten 115 und soweit diese nicht im Einzelfall zur Wahrung der Funktionsfähigkeit der Behörde im Sinne von § 29 Abs. 2, 1. Variante VwVfG geheimgehalten werden müssen 116, sind sie nach dem VwVfG zugänglich. Demgegenüber sind dahingehende Anträge nach dem UIG gemäß § 7 Abs. 4 von der Behörde zwingend abzulehnen. Da sich im Anwendungsbereich der Ausnahmetatbestände kleinere Fallgruppen und Einzelfälle sowohl zugunsten eines weiteren Anwendungsbereichs des Informationsanspruchs nach§ 4 Abs. 1 S. 1 UIG als auch desjenigen nach § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG nachweisen lassen, ist insgesamt festzuhalten, daß insoweit von etwa gleich weitreichenden Zugangsrechten auszugehen ist. Allgemein erscheint es damit für den Antragsteller regelmäßig erfolgversprechender, Zugang zu Umweltinformationen während eines laufenden Verwaltungsverfahrens nach dem UIG zu beantragen. Dazu muß er weder Beteiligter des Verfahrens sein noch ein rechtliches Interesse nachweisen. Ferner besitzt er eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Art des Informationszugangs und trägt nicht die Risiken der§§ 44a S. 1 VwGO und 46 VwVfG. Der Anspruch des § 4 Abs. 1 S. 1 UIG wird deshalb in der Praxis den Anspruch aus § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG auch während laufender Verwaltungsverfahren weitestgehend verdrängen, soweit Umweltinformationen betroffen sind.
Vgl. etwa Schomerus, in: S/S/W, § 3 Rn85 mwN und auch BT-Drs. l2nl38, S. l2. Und damit gleichzeitig auch verfassungsrechtlichem Schutz unterliegen; vgl. dazu im Zusammenhang mit den Vorgaben der Richtlinie zu§ 7 Abs. 4 UIG: Erichsen!Scherzberg, S. 98. 116 Vgl. dazu soeben im Haupttext. 114
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2. Landesrechtliche einfach-gesetzliche Vorschriften Das VwVfG des Bundes gilt für die Verwaltungstätigkeit der Behörden des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts(§ 1 Abs. 1 Nr. 1). Für die überwiegend auch für den Vollzug des Bundesrechts zuständigen Landesbehörden gilt hingegen die Subsidiaritätsregel des Abs. 3, nach der das VwVfG für die Ausführung von Bundesrecht durch die Länder nicht gilt, soweit die Verwaltungstätigkeit der Behörden landesrechtlich durch ein Verwaltungsverfahrensgesetz geregelt ist. Nachdem am 24.8.1993 das VwVfG LSA in Kraft getreten ist und damit seit diesem Zeitpunkt alle Länder eigene Verwaltungsverfahrensgesetze besitzen, ist der unmittelbare Anwendungsbereich des VwVfG des Bundes gering geworden. Gleichwohl ist es durch die Landesgesetze zunächst zu keinerlei Rechtszersplitterung gekommen, weil die Länder die Landesverwaltungsverfahrensgesetze mit weitgehend übereinstimmendem Inhalt oder mit Verweisen auf das VwVfG des Bundes erlassen haben. Diese Vorgehensweise war schon vor lokrafttreten des VwVfG des Bundes gemeinsam vom Bund und den (damaligen) Ländern geplant gewesen 117, um vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Verwaltungsverfahrensrechts ein bundesweit durch weitgehende Rechtseinheit geprägtes effektives Verwaltungsverfahrensrecht zu erschaffen. Bis zum Beginn der 1998 einsetzenden jüngsten Entwicklung des Erlasses allgemeiner Akteneinsichts- und Informationsgesetze in den Ländern Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und NordrheinWestfalen, auf die ausführlich unten einzugehen sein wird 118 , hat diese bundesweite Rechtseinheit auch im Hinblick auf§§ 29, 30 VwVfG des Bundes fortbestanden. Von§ 29 VwVfG abweichende landesrechtliche Regelungen kennen lediglich§ 88 LVwG S.-H. und Art.28 BayVwVfG 119• Beide Vorschriften erkennen Informationsbegehren nur in noch etwas engerem Rahmen als begründet an als der Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit des§ 29 VwVfG. Gemäߧ 88 LVwG S.-H. besteht ein Rechtsanspruch nur, wenn dieser an anderer Stelle gesetzlich vorgesehen ist; im übrigen wird Akteneinsicht nur nach Ermessen gewährt. Art. 29 BayVwVfG begrenzt den Anspruch auf Akteneinsicht auf die einzelnen einschlägigen Teile der begehrten Akte oder Akten. Die gleiche Konsequenz eines noch engeren Anwendungsbereichs des Anspruchs auf Akteneinsicht ziehen auch die landesrechtliehen Abweichungen von§ 30 VwVfG nach sich, soweit sie wie die Regelungen des jeweiligen § 3 a der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder Baden-Württemberg, Berlin (§ 2a), Brandenburg, Harnburg und Nordrhein-Westfalen den Bereich der 117 Zu dieser Intention im Rahmen der Entstehungsgeschichte des VwVfG vgl. statt aller: Henneke, in: Knack, vor§ I Rn4 mwN. 1 18 Vgl. zu diesen unten, VII. und B. VI. sowie unten, Teil3, C. 119 Die Iandesrechtlichen Vorschriften sind in ihren Abweichungen vom VwVfG des Bundes abgedruckt bei: SIBIS, Dritter Teil, S. 2122ff.; bezüglich weiterführender Nachweise zu den geringen Iandesrechtlichen Abweichungen zu §§29, 30 VwVfG des Bundes vgl.: Clausen, in: Knack, §29 Rn I mwN und Rn44 mwN.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
grundsätzlichen Geheimhaltung auf alle personenbezogenen Daten - anstelle nur der zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse - erweitern. Ohne die unten vorzunehmende Betrachtung der jüngeren Entwicklung in einigen Ländern zu berücksichtigen, läßt sich demnach festhalten, daß auch die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder weitestgehend dem bundesrechtlichen Modell derbeschränkten Aktenöffentlichkeit folgen. Da sie in Einzelheiten lediglich noch beschränkteren Aktenzugang gewährleisten, ist davon auszugehen, daß der Anspruch des § 4 Abs. 1 UIG auch in der Praxis der Landesbehörden weitestgehend die § 29 VwVfG vergleichbaren Vorschriften der Länder verdrängen wird, soweit Umweltinformationen betroffen sind.
3. Bundesverfassungsrechtliche Vorschriften a) Informationsfreiheit des Art. 5 Abs.J, S.J, 2. Hs. GG Die Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1, S. 1, 2. Hs. GG gewährt nach einhelliger Auffassung keinen Anspruch des Bürgers auf Akteneinsicht 120 • Insoweit mangelt es an der nach tatsächlichen Umständen zu beurteilenden Allgemeinzugänglichkeit der behördlichen Akten als Informationsquelle. Entsprechend der überwiegend abwehrrechtlichen Dimension der Grundrechte bietet auch die Informationsfreiheit vor allem Schutz vor staatlichen Eingriffen in bereits anderweitig zugängliche Quellen 121 •
b) Sonstige grundgesetzliche Vorschriften Auch sonstige Bestimmungen des Grundgesetzes vermitteln regelmäßig keinen Anspruch auf Akteneinsicht Hinsichtlich der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1, 2. Variante GG und nach ganz herrschender Meinung auch der Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2, 1. Variante GG ergibt sich dies ebenfalls aus dem überwiegend abwehrrechtlichen Charakter der Grundrechte, während das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG- wenn ebenfalls auch nur selten- eher ein Akteneinsichtsrecht zu begründen vermag 122• Demgegenüber lassen sich aufgrund der in Art. 20 GG verankerten Prinzipien in Einzelfällen nur staatliche Informationspflichten konstruieren, denen es aufgrund ihrer Struktur als Verfassungs120 Vgl. nur Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rn25 und Starck, in: vM!K/S, Art.5 Rn49, beidemwN. 121 Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rn 25, 28. 122 Vgl. BVerfG NJW 1986, 1243, 1243 und BVerwG NJW 1986, 1277, 1278 zur Wissenschaftsfreiheit; zur Pressefreiheit statt aller: Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rn 35 (Stichwort Informationsanspruch) mit umfangreichen Nachweisen auch der Rechtsprechung. Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht vgl. in diesem Zusammenhang: Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 2, Rn 40 mw N sowie Gola/Schomerus, S. 274 f. und als Beispiel für einen durch es bedingten Akteneinsichtsanspruch: BVerwGE 82, 45, 50f.
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prinzipien und ihrer Stellung im Grundgesetz außerhalb des Grundrechtskatalogs aber an subjektiv-rechtlichem Inhalt mangelt 123 • Mit Blick auf die subjektiv-rechtsstaatlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG läßt sich dieses Ergebnis hingegen aus der Überlegung folgern, daß dem Bürger aus verfassungsrechtlichen Gründen auch heute keine weitergehenden Akteneinsichtsansprüche zustehen können, als ihm insoweit vor Inkrafttreten des§ 29 VwVfG zugesprochen wurden. Vor Inkrafttreten des § 29 VwVfG wurde nämlich gemeinhin davon ausgegangen, daß dem Bürger im Falle der Abwesenheit einer ihm ein subjektives Recht auf Akteneinsicht einräumenden einfach-gesetzlichen Regelung lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht besitzt, soweit nicht aufgrund der genannten Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG ausnahmsweise eine Ermessensreduktion der Behörde anzunehmen istl 24 • Voraussetzung war indes auch für einen bloßen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung die Darlegung eines berechtigten Interesses. Anderenfalls bestand nicht einmal ein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und damit praktisch kein subjektiv-rechtlicher Inhalt eines von der Behörde tatsächlich gewährten Informationszugangs 125• Da dieser Meinungsstand in Abwesenheit einer allgemeinen einfach-gesetzlichen Regelung notwendigerweise auf verfassungsrechtlichen Überlegungen beruhte, läßt sich hieraus noch heute gut auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung des Informationsverhältnisses zwischen dem Informationsbegehrenden, der Behörde und dem gegebenenfalls betroffenen Dritten schließen, da die Verfassungsdogmatik in der Zwischenzeit insoweit keine grundsätzlich neuen Aspekte hervorgebracht hat 126• Damit läßt sich auch für die subjektiv-rechtsstaatliehen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG festhalten, daß sie dem Bürger grundsätzlich kein subjektives Recht auf Akteneinsicht vermitteln. Auch die sich erst nach dem Inkrafttreten des VwVfG durchsetzende Anerkennung einer verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte im Sinne der Mülheim-Kärlich-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vermittelt keinen über das bisher Gesagte hinausgehenden Anspruch auf Akteneinsicht Bundesverfassungsgerichtlich bejaht wurde insoweit nur die Frage, ob die Grundrechte neben dem Inhalt des materiell einfach-gesetzlichen Rechts auch den der Verfahrensvorschriften beeinflussen, soweit diese für einen effektiven Grundrechtsschutz von BeVgl. Herzog, in: MD, Art. 5 Rn 101 für das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip. Vgl. allgemein: Haueisen, NJW 1967,2291, 2292 mwN. Explizit zu Art.103 Abs.1 GG auch im Verwaltungsverfahren: BVerfGE 17, 86, 95 f. Außerdem allgemein auch nach Inkrafttreten des§ 29 VwVfG außerhalb seines Anwendungsbereichs: BVerwGE 30, 154, 157; 74, 115, 117 f.; BVerwG NJW 1983, 2954, 2954; OVG Münster NJW 1989, 544, 545; VG Braunschweig NJW 1987,459, 459f. 125 Vgl. zum Ganzen zuletzt: König, DÖV 2000,45, 46; außerdem die zahlreichen Nachweise bei Engel, S. 86f. 126 Ähnlich: Gallwas, NJW 1992, 2785, 2787. Vgl. zuletzt auch: BVerfG 1 BvR 2623/95 vom 24.1.2001, Abs.56ff. "NTV". 123
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deutung sind und der Staat sie in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten erläßt127. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht nicht über die Frage entschieden, inwieweit der Staat aufgrund grundgesetzlicher Vorgaben überhaupt zum Erlaß oder einer bestimmten normativen Ausgestaltung solcher Verfahrensvorschriften verpflichtet ist. Insoweit weisen vielmehr auch die abweichenden, einen insgesamt intensiveren Grundrechtsschutz befürwortenden Sondervoten darauf hin, daß sich auch aus der in Art. 2 Abs. 2 GG verkörperten objektiven Grundentscheidung keine unmittelbar ins einzelne gehende normative Ausgestaltung des Verfahrensrechts herleiten läßt 128 • Insgesamt läßt sich damit festhalten, daß grundgesetzliche Vorschriften nur in den seltenen Fällen unmittelbar ein Akteneinsichtsrecht gewährleisten, in denen ausnahmsweise die subjektiv-rechtsstaatliehen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art.l03 Abs.l GG der Behörde keinen Spielraum für eine Ermessensentscheidung über die Zugangsgewährung lassen oder die Grundrechte einen Leistungsanspruch begründen. Neben§ 29 VwVfG spielt deshalb ein Rückgriff auf die Akteneinsichtsansprüche unmittelbar aus der Verfassung nur eine geringe praktische Rolle. Zum Verhältnis des § 4 UIG zu grundgesetzliehen Informationsansprüchen kann demnach auf die soeben gefundenen Ergebnisse verwiesen werden: Soweit Umweltinformationen betroffen sind, wird der Anspruch des § 4 Abs. I S. I UIG in der Praxis auch diese seltenen Ansprüche weitestgehend verdrängen.
III. Vorschriften des Planungsrechts Im Bereich des Planungsrechts weichen die gesetzlichen Informationsregelungen wegen der unterschiedlichen Interessenlage regelmäßig von den Vorschriften der §§ 29, 30 VwVfG ab. Im Hinblick auf die teilweise erheblichen Auswirkungen eines Vorhabens auf eine große Anzahl von Betroffenen und das Bemühen um eine gute, allgemeinverträgliche und damit allseits eher akzeptierte Lösung sehen die planungsrechtlichen Vorschriften regelmäßig eine frühzeitige und umfassende Beteiligung der Betroffenen und damit spezielle Informationsregelungen vor.
1. Planfeststellungsverfahren §§ 72 ff., 72 Abs. 1, Hs. 2, 29, 73 Abs. 3 S. 1 VwVfG Das allgemeine Planfeststellungsverfahren, dessen Vorschriften beispielsweise bei der Errichtung oder der Änderung von Bundesfernstraßen und ihrer Nebenanla127 Insoweit gerade BVerfGE 53, 30ff., 63 ff., 65 .,Mülheim-Kärlich" mit zahlreichen Nachweisen in diesem Zusammenhang weniger bekannter, älterer Entscheidungen des BVerfG. 128 Sondervoten der Richter Sirnon und Heußner in: BVerfGE 53, 30ff., 69 ff., 77 f. Sie hegen indes Zweifel, ob insoweit die tatsächliche Ausgestaltung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens den gleichwohl prinzipiell zu berücksichtigenden Vorgaben des Grundgesetzes genügt (S. 78).
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gen, dem Aus- und Neubau von Bundeswasserstraßen oder dem Ausbau von Gewässern(§§ 17 FemStrG, 14 Abs.1 S.1 WaStrG, 31 Abs. 2 S. 1 WHG) Anwendung finden 129, kennt zwei verschiedene dem Bürger möglicherweise zustehende Informationseinsichtsrechte. Gemäߧ 73 Abs. 3 S.1 VwVfG besteht einerseits ein Recht, den ausgelegten Vorhabenplan des Vorhabenträgers im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung einzusehen. Andererseits gewährleisten§§ 72 Abs. 1, Hs. 2, 29 VwVfG inhaltlich darüber hinausgehend ein Akteneinsichtsrecht. Das sich in drei Teile- die Aufstellung eines Plans, das Anhörungsverfahren und den eigentlichen Planfeststellungsbeschluß - gliedemde Planfeststellungsverfahren 130 sieht gemäß § 73 Abs. 3 S. 1 VwVfG vor, daß der Plan im Rahmen des Anhörungsverfahrens öffentlich in den von dem Vorhaben betroffenen Gemeinden auszulegen ist. Der Plan besteht aus den Zeichnungen und Erläuterungen, die das Vorhaben, seinen Anlaß und die von dem Vorhaben betroffenen Grundstücke erkennen lassen(§ 73 Abs. 1 S. 2 VwVfG). Der konkrete Umfang der auszulegenden Unterlagen richtet sich danach, daß er den potentiell Betroffenen ermöglicht festzustellen, welche Auswirkungen das Vorhaben mit sich bringt und welche Maßnahmen sie demzufolge treffen sollten. Einsichtsberechtigt ist im Sinne dieser "Anstoßfunktion" folglich jede natürliche oder juristische Person, die potentiell einwendungsberechtigt sein könnte 131 • Gemäß § 73 Abs.4 S. 1 VwVfG kann jeder, dessen Belange durch das Verfahren berührt werden, Einwendungen gegen den Plan erheben. Ein solches Berührtsein liegt bereits vor, wenn die Möglichkeit der Beeinträchtigung rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Interessen des Einwenders nicht völlig fernliegend erscheint 132• Läßt sich der Anwendungsbereich des Einsichtsrechts in die öffentlich ausgelegten Unterlagen ohne größere Mühen bestimmen, so ist sein Verhältnis zum Akteneinsichtsrecht nach§§ 72 Abs. 1, Hs. 2, 29 VwVfG überaus problematisch. Offenbar ist auch der Gesetzgeber mit Blick auf die Verweisung des § 72 Abs. 1, Hs. 2 VwVfG davon ausgegangen, nicht völlig auf ein Akteneinsichtsrecht verzichten zu können. Allerdings ist § 29 gemäß § 72 Abs. 1 Hs. 2 VwVfG nur mit der Maßgabe anzuwenden, daß Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen zu gewähren ist. Nach dem Wortlaut des§ 72 Abs. 1 Hs. 2 VwVfG dürfte demnach Akteneinsicht nur für Beteiligte im Sinne des§ 13 VwVfG 133 und auch nur im Rahmen eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde zu gewähren sein 134• Von dieser na129 Vgl. umfassende weitere Nachweise bei Peine, Öffentliches Baurecht, Rn422 und speziell zu landesrechtlichen, straßenrechtlichen und wasserrechtlichen Planungen ebenda, Rn451, 477 mwN. 130 Vgl. insoweit ausführlich Peine, Öffentliches Baurecht, Rn425ff. mwN. 131 Ausführliehst statt aller: Allesch!Häußler, in: Obermayer, § 73 Rn 77 mwN. 132 Vgl. Peine, Rn432. 133 So entgegen der tatsächlich h. M. i. E.: Graffe, S. 149; Bank, in: S{B/S, § 72 Rn 105. 134 So entgegen der vermeintlich h. M. i. E.: Fluck/Theuer, § 4 Rn 101; Dürr, in: Knack, § 72 Rn22; König, DÖV 2000, 45, 47; Allesch/Häußler, in: Obermayer, §72 Rn28; ähnlich: Bank, in: S{B/S, § 72 Rn 115.
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heliegenden Interpretation weichen indes zwei zu unterscheidende Auffassungen ab: Einerseits nimmt eine vermeintlich herrschende Meinung für den Regelfall einen Anspruch auf Akteneinsicht an 135, andererseits soll dieser Anspruch nach einer tatsächlich herrschenden Meinung allen Einwendungsberechtigten zukommen, der Begriff des Beteiligten also im Planfeststellungsverfahren modifiziert sein 136• Für den Aspekt der tatsächlich herrschenden Meinung läßt sich anführen, daß der historische Gesetzgeber angenommen hat, wegen der großen Anzahl der Verfahrensbeteiligten aus Praktikabilitätsgründen keinen Anspruch auf Akteneinsicht gewähren zu können 137, und damit selbst von einem erweiterten Beteiligtenkreis ausgegangen ist. Demgegenüber widerspricht die von der vermeintlich herrschenden Meinung regelmäßig angenommene Ermessensreduktion nicht nur dem eindeutigen Wortlaut des § 72 Abs. 1, Hs. 2 VwVfG, sondern auch der soeben dargelegten Praktikabilitätserwägung des historischen Gesetzgebers, um deren Willen er den engeren Wortlaut gewählt hat. Die von der vermeintlich herrschenden Meinung angenommene regelmäßige Ermessensreduktion könnte damit ihre Rechtfertigung allein in verfassungsrechtlichen Erwägungen finden, auf die sie zum Teil auch zurückgreift, indes ohne sie näher darzulegen 138 . Solchen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsansätzen sind jedoch die soeben dargestellten - ihrerseits mit der insoweit bestehenden herrschenden Meinung in Einklang stehenden - Ausführungen entgegenzuhalten, daß sich ein Akteneinsichtsanspruch des Bürgers unmittelbar aus dem Grundgesetz nur in Ausnahmefällen aus Art. 19 IV und Art. 103 Abs. 1 GG herleiten läßt. Gerade wenn man also der tatsächlich herrschenden Meinung darin folgt, zum Kreis der Verfahrensbeteiligten im Planfeststellungsverfahren alle Einwendungsberechtigten zu zählen, läßt sich mit den nur ausnahmsweise ermessensreduzierend wirkenden Grundrechten nicht auf eine regelmäßige Ermessensreduktion schließen. Vielmehr kann auch die Ausübung des durch§ 72 Abs.l, Hs. 2 VwVfG angeordneten pflichtgemäßen Ermessens nur in Einzelfällen reduziert sein. Für die rechtmäßige Ausübung dieses Ermessens dürfte demnach im Einklang mit dem historischen Gesetzgeber139 und entgegen der vermeintlich herrschenden Meinung der Grundsatz gelten, daß die Versagung der Akteneinsicht um so eher ermessensgerecht ist, je mehr die für die (auch von Art. 19 IV und Art.l03 Abs.1 GG geschützte) Rechtsverteidigung notwendigen Unterlagen zusammen mit den Plänen nach § 73 Abs. 3 S. 1 m Ramsauer, in: K/R, § 72 Rn 19; Turiaux, Ein!. Rn47; Breuer, FS Sendler, S. 367; Engel, S.3lf.mwN. 136 Vgl. insoweit: Allesch/Häußler, in: Obermayer, §72 Rn28; Dürr, in: Knack, §72 Rn22; König, DÖV 2000,45, 47; Turiaux, Ein!. Rn46; Engel, S. 29. 137 Vgl. die Begründung der BReg zum gleichlautenden § 68 des Regierungsentwurfs 73 - BT-Drs. 7/910, S. 87. 138 Z. B. Ramsauer, in: K/R, § 72 Rn 19. 139 Auch die BReg geht- neben der Annahme einer regelmäßig großen Anzahl der Beteiligten- in der Begründung des § 72 (damals gleichlautend § 68) VwVfG des Regierungsentwurfs 1973 zum VwVfG davon aus, daß effektiver Rechtsschutz teilweise bereits hinreichend durch§ 73 (damals gleichlautend§ 69) VwVfG gewährleistet wird, und erblickt demnach einen funktionellen Zusammenhang zwischen beiden Vorschriften.
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VwVfG ausgelegt werden und je mehr Personen von dem Planfeststellungsverfahren betroffen sind 140• Der größere Kreis der Beteiligten beeinflußt die Ermessensausübung in dem vom historischen Gesetzgeber gewollten Sinn. Das Kriterium des Umfangs der im Planeinsichtsverfahren ausgelegten Unterlagen schafft einen funktionsgerechten Ausgleich zweiergesetzlich angeordneter, überwiegend der Verfolgung subjektiver Rechte dienender Einsichtsrechte. Diese Steuerung des Funktionsausgleichs durch die Ausübung des Ermessens durch die über die Akteneinsicht entscheidende Behörde ist häufig auch unter Flexibilitätsgesichtspunkten erforderlich. Da nämlich weder die Anhörungsbehörde, geschweige der in eigenen Rechten Betroffene die Auslegung zusätzlicher Unterlagen gegenüber dem Träger des Vorhabens durchsetzen kann 141 , sichert im Einzelfall erst die Gewährung von Akteneinsicht einen effektiven Rechtsschutz. Im Ergebnis läßt sich damit festhalten, daß im Planfeststellungsverfahren jede natürliche oder juristische Person, die potentiell einwendungsberechtigt sein könnte, ein Einsichtsrecht in den ausgelegten Plan besitzt. Wessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, gehört nach der zutreffenden herrschenden Meinung zum weiten, oft mehr als tausend Einwendungsberechtigte zählenden Kreis der Verfahrensbeteiligten, denen auch ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die inhaltlich weitergehende Akteneinsicht zusteht. In bezug auf die Einsicht in den ausgelegten Plan wird damit im Planfeststellungsverfahren eine Teilöffentlichkeit des Verwaltungsverfahrens erreicht, die indes aus Sicht des Informationsbegehrenden in zweierlei Hinsicht deutlich hinter der Akteneinsicht zurück bleibt. Einerseits mangelt es dem Vorhabenträger aufgrund seiner gegenläufigen Interessen regelmäßig an der auch durch die Anhörungsbehörde nicht erzwingbaren Bereitschaft, alle den Informationsbegehrenden interessierenden Unterlagen auszulegen. Andererseits umfaßt der auszulegende Plan anders als die Akten weder die wichtigen Stellungnahmen anderer Behörden noch die eingeholten Gutachten oder sonstige Unterlagen, soweit sie nicht der Erläuterung des Vorhabens dienen, sondern der Beurteilung und Bewertung des Vorhabens durch die Behörde 142• Mit Blick auf den im Planfeststellungsverfahren gewährten Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Akteneinsicht ist hinsichtlich seiner Voraussetzungen der Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit weitestgehend aufgehoben: Die Informationsbegehrenden müssen durch das Vorhaben- statt in ihren rechtlichen Interessen betroffen zu sein - lediglich in ihren Belangen berührt sein und zählen allein dadurch zu den Anspruchsberechtigten. Hinsichtlich seiner Rechtsfolgen verpflichtet dieser Anspruch die Behörde hingegen nur zu einer Ermessensentscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht, nicht aber wie § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG oder§ 4 Abs. 1 S. 1 UIG auch zu der Gewährung der Akteneinsicht selbst. Statt aller zutreffend: Allesch/Häußler, in: Obermayer, § 72 Rn28. Vgl dazu und zum Auseinanderfallen von Anhörungs- und Genehmigungsbehörde ausführlich Peine, Öffentliches Baurecht, Rn429. 142 Peine, Öffentliches Baurecht, Rn431 mwN. 140
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Hinter dem Anspruch des § 4 Abs. 1 S. 1 UIG bleiben deshalb beide Einsichtsrechte des Planfeststellungsverfahrens deutlich zurück, zumal ihre Geltendmachung anders als§ 4 Abs. 1 S. 1 UIG zeitlich an das (hier förmliche) Verwaltungsverfahren gebunden bleibt. Soweit die einem Planfeststellungsverfahren zugrunde liegenden ausgelegten Unterlagen oder Akten Umweltinformationen enthalten, empfiehlt sich deshalb auch dem großen Kreis der Einwendungsberechtigten, Unterlagen- und Akteneinsichtsanträge auf das UIG zu stützen.
2. Einsichtsrechte in atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren Ähnlich dem allgemeinen Planfeststellungsverfahren kennen auch das atom- und das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren nebeneinander sowohl ein Einsichtsrecht in die öffentlich auszulegenden Antragsunterlagen sowie den Sicherheitsberichtund die Kurzbeschreibung des Vorhabenträgers (§ 7 AtomG iVm §§ 3 und 6 Abs. 1 AtomVfVO; § 10 Abs. 3 S. 1 BlmSchG, ergänzt durch § 10 Abs. 10 BlmSchG i.V. m. §§ 3ff., 8ff. der 9. BlmSchVO) als auch ein inhaltlich weitergehendes Akteneinsichtsrecht (§ 6 Abs.4 AtomVfVO; § 10a der 9. BlmSchVO). Anders als § 73 Abs. 4 VwVfG sehen die atom- und immissionsschutzrechtlichen Einsichtsrechte in die Antragsunterlagen aber nicht einmal eine Beschränkung des Kreises der Einsichtsberechtigten auf jedermann im denkbaren räumlichen Einwirkungsbereich des Vorhabens und der Einwendungsberechtigten auf diejenigen, die durch das Vorhaben berührt werden können, vor. Unstreitig ist deshalb in diesen Genehmigungsverfahren jedermann hinsichtlich der öffentlich ausgelegten Auslagen einsichts- und einwendungsberechtigt (Jedermann-Einwendungsbefugnis). Auch verweisen die vorgenannten Vorschriften des atom- und immissionsschutzrechtlichen Planungsrechts hinsichtlich des Akteneinsichtsrechts anders als § 72 Abs. 1 2. Hs. VwVfG nicht allgemein auf§ 29 VwVfG, sondern lediglich auf eine entsprechende Anwendung der§ 29 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 und 3 VwVfG. Aus der hierdurch von der Verweisung vorgenommenen Ausklammerung des § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG, der seinerseits auf den engen Beteiligtenbegriff des§ 13 VwVfG verweist, wird einhellig geschlossen, daß das in diesen Verfahren zu gewährende Akteneinsichtsrecht ebenfalls jedermann zusteht. Auch dieses Akteneinsichtsrecht ist ausweislich der genannten Vorschriften aber nur nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde zu gewähren. Besteht auch insoweit verbreitete Unzufriedenheit darüber, daß der Bürger lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht besitzt, so bleiben auch diese Bedenken rein politischer Art, weil sich verfassungsrechtlich eine generelle Ermessensreduktion insoweit nicht nachweisen läßt 143• Im Hinblick auf die ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren betreffende Mülheim-Kärlich-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei 143 Vgl. explizit zum atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren: Hett, S. 39ff. mwN; Graffe, S.68ff. mwN.
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hier nochmals darauf hingewiesen, daß das Gericht insoweit nicht über die Frage der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen normativen Ausgestaltung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens entschieden hat 144, sondern lediglich über Verstöße gegen einfach-gesetzliche Positivierungen des Verfahrensrechts mit drittschützender Funktion. Dies bestätigt das Bundesverfassungsgericht im Gorleben-Beschluß, in dem es dem Gesetzgeber bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten auch hinsichtlich verfahrensausgestaltender Regelungen einen weiten Einschätzungsspielraum zubilligt: Wenn der Gesetzgeber in Erfüllung seiner Schutzpflichten Regelungen treffe und damit Schutzmaßstäbe setze, konkretisierten diese den Grundrechtsschutz 145 • Gewähren damit sowohl die atom- und immissionsschutzrechtlichen Vorschriften noch weitergehende Einsichtsrechte als das allgemeine Planfeststellungsverfahren und damit eine Jedermann-Öffentlichkeit hinsichtlich der auszulegenden Antragsunterlagen und tatbestandlieh einen Jedermann-Anspruch auf Akteneinsicht, so bleiben auch diese Einsichtsrechte hinter dem UIG zurück. Weder können im Auslegungsverfahren Gutachten und Stellungnahmen eingesehen werden, noch besteht prinzipiell ein Anspruch auf die Gewährung der Akteneinsicht Außerdem gelten diese Einsichtsrechte ebenfalls nur während der Durchführung des jeweiligen Anlagegenehmigungsverfahrens. Soweit die einem atom- oder immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren zugrunde liegenden ausgelegten Unterlagen oder Akten Umweltinformationen enthalten, empfiehlt sich deshalbtrotzder jedermann zustehenden Einsichtsberechtigung, Unterlagen- und Akteneinsichtsanträge auf das UIG zu stützen. 3. Einsichtsrechte in sonstigen Genehmigungsverfahren Neben den dargestellten Vorschriften der§§ 29f., 72ff. VwVfG und des Atomund Immissionsschutzrechts enthalten auch zahlreiche weitere planungsrechtliche Verfahren Informationszugangsregelungen; zu nennen sind beispielsweise das Immissionsschutzrecht selbst, das Gentechnikrecht, das Recht der Bauleitplanung, die Umweltverträglichkeitsprüfung usw. Da sich auch diese Planungen im wesentlichen an den bisher dargestellten Vorschriften orientieren, erübrigt sich insofern eine ebenso ausführliche Untersuchung; vielmehr sei nur kurz auf Unterschiede eingegangen. Zunächst ist festzuhalten, daß freilich nicht alle Vorhaben mit noch so geringer immissionsschutzrechtlicher Relevanz dem komplexen Anhörungsverfahren des § 10 Abs. 3 S. I BlmSchG, ergänzt durch § 10 Abs. 10 BlmSchG iVm §§ 3 ff., 8 ff. der 9. BimSehVO unterliegen. Einerseits bestehen die vorgenannten Einsichtsrechte nicht bei den nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen nach § 22 BlmSchG. Ande144 145
Vgl. nochmals explizit BVerfGE 53, 30, 61 "Mülheim-Kärlich". BVerfGE 77, 381, 405 "Gorleben".
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rerseits sieht § 24 der 9. BimSchVO für die gemäß § 19 BimSchG i.V. m. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und der Spalte 2 des Anhangs der 4. BimSchVO im vereinfachten Verfahren zu genehmigenden Anlagen vor, daß unter anderem die §§ 8 bis lOa der 4. BimSchVO keine Anwendung finden; im vereinfachten Genehmigungsverfahren gilt folglich unmittelbar § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG mit dem engen Kreis der Beteiligten des§ 13 VwVfG 146• Ähnlich dem Immissionsschutzrecht stellt sich die Situation im Recht der Genehmigung gentechnischer Anlagen dar. Gemäß § 8 Abs. 1 S. 2 GenTG bedarf die Errichtung einer gentechnischen Anlage grundsätzlich einer Genehmigung. Teil des Genehmigungsverfahrens ist nach§ 18 Abs. 3 GenTG regelmäßig ein Anhörungsverfahren, das den Anforderungen des§ 10 Abs. 3 bis 8 BimSchG entsprechen muß. Der diese Voraussetzungen näher konkretisierende § 4 GenTAnhVO sieht ähnlich der 9. BimSchVO eine öffentliche Auslegung der nach §§ 4ff. GenTVfVO zu bestimmenden, umfangreichen Antragsunterlagen des Vorhabenträgers vor. Mit dieser Auslegungspflicht korrespondiert unstreitig ein Einsichts- und Einwendungsrecht eines jeden Bürgers 147 • Anders als§ 10a der 9. BimSchVO kennt die GenTAnhVO aber kein inhaltlich darüber hinausgehendes Akteneinsichtsrecht Ein Recht zur Akteneinsicht steht demnach nach der allgemeinen Regelung des § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG nur dem engen Kreis (§ 13 Abs. 1 VwVfG) der Beteiligten des auf den Erlaß eines Verwaltungsakts gerichteten gentechnischen Genehmigungsverfahrens zu 148• Für eine Erweiterung des zugrunde zu legenden Beteiligtenbegriffs bietet das GenTG keine Anhaltspunkte; im Hinblick auf die Möglichkeit der Hinzuziehung nach§ 13 Abs. 2 VwVfG darf ohne besondere Gründe- die hinsichtlich der bisher untersuchten planungsrechtlichen Vorschriften vorlagen - nicht von einem größeren Kreis potentiell materiell Betroffener auf eine Erweiterung des formalen Beteiligtenbegriffs des§ 13 Abs.1 VwVfG geschlossen werden 149• Sonstige Betroffene können nur ihren allgemeinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht geltend machen. Nur teilweise an das Anlagenplanungsrecht erinnern hingegen die Informationsregelungen der Bauleitplanung nach dem BauGB. Zwar bestehen hinsichtlich der fertigen Pläne gemäß § 6 Abs. 5 S. 3, beziehungsweise § 10 Abs. 3 S. 2 BauGB zugunsten jedermann und hinsichtlich der Planentwürfe gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB zugunsten der sogenannten gemeindlichen Öffentlichkeit 150 Einsichtsrechte, die abgesehen von letzterem nicht an das zum Entstehen des Plans führende Ebenso: Turiaux, Einl. Rn 76. Wegen des allgemein gehaltenen Wortlauts des § 4 Abs. 1 S. 2 GenTAnhVO ebenso: Hirsch/Schmidt-Didczuhn, § 18 Rn38, 42 mwN. 148 Ebenso: Brocks/Pohlmann/Senft, S. ll3 und Hirsch/Schmidt-Didczuhn, § 18 Rn 39f. mwN. 149 Instruktiv und ausführlich insoweit: Bonk, in: S!B/S, § 13 Rn 9 f. Explizit zu § 18 GenTG auch: Hirsch/Schmidt-Didczuhn, § 18 Rn40; unklar allerdings ebenda, Rn41. 150 V gl. zu dieser nicht unmittelbar dem Wortlaut "Bürger" entnehmbaren Interpretation des § 3 BauGB unten, B. 111. Stichwort: "Bürger". 146
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Verfahren gebunden sind, sondern von denen dauerhaft Gebrauch gemacht werden kann 151 • Daneben gewährleisten aber auch die Bauleitplanungsverfahren dem Bürger keinerlei inhaltlich darüber hinausgehende Akteneinsichtsrechte. Der Grund der Unanwendbarkeit des § 29 VwVfG liegt insoweit in der vom Gesetzgeber bewußt getroffenen 152 Begrenzung des Begriffs des Verwaltungsverfahrens auf diejenigen Verfahren, die auf den Erlaß eines Verwaltungsakts oder den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet sind (§ 9 VwVfG). Die Bauleitpläne stellen aber keine Verwaltungsakte dar. Der Bebauungsplan wird von der Gemeinde gemäߧ 10 Abs.1 BauGB ausdrücklich in der Form der Satzung erlassen, der Flächennutzungsplan stellt demgegenüber nach herrschender Meinung einen Hoheitsakt eigener Art dar, jedenfalls mangels Außenwirkung aber keinen Verwaltungsakt153. Auch soweit die Realisierung eines Vorhabens gemäß der teilweise durch unmittelbaren Rückgriff auf die UVP-Richtlinie zu ergänzenden 154 Anlage zu § 3 UVPG einer vorherigen Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muß, gelten die typischen Grundsätze über die Informationszugangsrechte der Bürger bei der Planung von Großvorhaben. Wenn - wie häufig der Fall - umweltverträglichkeitsprüfungspflichtige Vorhaben gleichzeitig nach der 9. BlmSchVO oder der AtomVfVO zu beurteilen sind, finden im Hinblick auf die Subsidiaritätsklausel des § 4 UVPG ausschließlich diese spezielleren Informationszugangsregelungen Anwendung. Soweit die Fachgesetze nicht den durch das UVPG verbürgten informationsrechtlichen Standard erreichen, garantieren §§ 6, 9 UVPG ein JedermannEinsichtsrecht in die Unterlagen eines urnweltverträglichkeitsprüfungspflichtigen Vorhabens, dessen Realisierung bevorsteht. Mit diesem Einsichtsrecht korrespondiert gemäß der Verweisung des § 9 Abs. 1 S. 2 UVPG auf§ 73 Abs. 4 VwVfG ein Einwendungsrecht der von dem Vorhaben berührten Bürger. Die Antwort auf die Frage nach einem inhaltlich weitergehenden Akteneinsichtsrecht wird hingegen weder durch Verweisung noch ansonsten ausdrücklich im UVPG geregelt. Sie ergibt sich mittelbar aber aus § 2 Abs. 1 S. 1 UVPG, demzufolge die Umweltverträglichkeitsprüfung einen unselbständigen Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren darstellt. Aus dieser Unselbständigkeit der Umweltverträglichkeitsprüfung läßt sich folgern, daß sich die Zulässigkeit eines Vorhabens im übrigen, also abgesehen von Fragen der Umweltverträglichkeitsprüfung, nach den herkömmlichen fachgesetzlichen Vorschriften inklusive der dort geregelten Akteneinsichtsrechte richtet. Demnach gewährt das UVPG kein weitergehendes allgerneines AkteneinsichtsVgl. auch Bielenberg!Krautzberger, in: Emst/Zink.ahn/Bielenberg, § 10 Rn 119 mwN. Vgl. dazu: Clausen, in: Knack, vor §9 Rn2, 10. 153 Vgl. insoweit statt aller: Peine, Öffentliches Baurecht, Rn 194,224 mwN. 154 Vgl. insoweit beispielsweise die Verurteilung Deutschlands durch den EuGH in: E 1995-1, 2189, 2223, Rz. 34 ff. "Großkrotzenburg". Die europarechtlichen Defizite dieser Anlage sind indes nunmehr zumindest teilweise behoben worden durch die Neufassung des UVPG vom 27.7.2001 (BGBI.I, 1950ff., 1957ff.). 151
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recht. Das gleiche gilt für die teilweise erlassenen ergänzenden UVP-Gesetze der Länder 155 • Ähnlich, bedingt durch die vom Grundgesetz verteilte Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern, aber nochmals um eine Ebene komplizierter, stellt sich die Situation auch im Bereich des Wasserrechts dar. Neben dem soeben bereits angesprochenen 156, beim Ausbau eines Gewässers gemäß § 31 Abs. 2 WHG durchzuführenden Planfeststellungsverfahren enthält vor allem das Verfahren der wasserrechtlichen Bewilligung weitgehende Einsichtsrechte der Bürger, an der sich diese Ähnlichkeit und Komplexität gut verdeutlichen läßt. Gemäߧ 9 S. 1 WHG, der insofern Ausdruck der bloßen Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 GG ist, kann die Bewilligung nur in einem Verfahren erteilt werden, das gewährleistet, daß die Betroffenen und die beteiligten Behörden Einwendungen geltend machen können. Im Hinblick auf die insoweit eröffnete Möglichkeit, das Bewilligungsverfahren landesrechtlich auszugestalten, haben die Länder sowohl in bezug auf ein Einsichtsrecht in Antragsunterlagen als auch hinsichtlich eines weitergehenden Akteneinsichtsrechts verschiedene Regelungsstrukturen hervorgebracht. Hier soll allein das Akteneinsichtsrecht näher betrachtet werden, das die Länder auf vier 157 unterschiedliche Arten regeln. Eine erste, in Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt geltende Variante bestimmt ausdrücklich, daß ein Akteneinsichtsrecht der Betroffenen nur nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde zu gewähren ist 158 • Die zweite Variante der Länder Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Schleswig-Holstein verweist hingegen auf die Verfahrensvorschriften des Iandes- oder bundesrechtlichen Planfeststellungsverfahrens 159 • Auch diese Verfahrensvorschriften gewähren aber den Betroffenen, im Ergebnis mit§ 72 Abs.1, 2. Hs. VwVfG vergleichbar 160, lediglich einen Anspruch auf ISS Vgl. insoweit die drei erlassenen Gesetze über die UVP der Länder Baden-Württemberg (G. v. 12.12.91, GBI. S. 848), Berlin (G. v. 21.7.1992, GVBI. S.234) und Nordrhein-Westfalen (G. v. 29.4.92, GV NW S.l75). 156 Vgl. zu den Wasser- und Abwasserbüchern hingegen sogleich unten, IV. 157 Mit Blick auf die sogleich zu untersuchenden Regelungen der§§ 116f. S.-H. WG und der identischen§§ 119f. M.-V. WG, die einen verfahrensunabhängigen Jedermann-Anspruch auf Akteneinsicht über die bei den Wasserbehörden vorhandenen wasserwirtschaftliehen Daten begründen, wäre auch eine Einteilung in fünf Varianten nicht undenkbar. Diese- wie unten, V., zu zeigen sein wird-§ 4 UIG in der Tat ähnlichen, wenn auch nur wasserbezogenen Einsichtsrechte bestehen jedoch ohne sachlichen Zusammenhang zu einer durchzuführenden Planung und sollen deshalb nicht im Rahmen der Untersuchung planungsrechtlicher Vorschriften, sondern gesondert unten betrachtet werden. 158 § 23 S. 3 Brem WG; § 24 Abs. 1 S. 2 Nds WG; § 24 S. 3 S.-A. WG. 159 § 108 Abs.1 S.1 B.-W. WG; § 107 Abs. 2, Abs.1 Hess WG; §§ 110 Abs.1 S. 1, 114 Rh.-Pf. WG; §§ 108, I 15 Abs.2 ThürWG; § 119 S.-H. WG. Bezüglich der§§ 116f. S.-H. WG sei hier nochmals auf die Anmerkung der vorletzten Fußnote verwiesen. 160 § I 19 S.-H. WG verweist hingegen gerade nicht über die dort in Abs. 1 S. I genannten §§ 136f., 140, 143 LVwG S-H auf§ 72 VwVfG. Die gleiche Rechtsfolge eines bloßen Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung ergibt sich insoweit aber aus der hinter § 29 Abs. 1 S. VwVfG zurückbleibenden allgemeinen Regelung des § 88 Abs. 1 S. 2 LVwG S.-H., die bereits oben untersucht wurde, II. 2.
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Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde. Die am häufigsten von den Länder gewählte dritte Variante ordnet demgegenüber für die Gewährung einer wasserrechtlichen Bewilligung die Anwendung der landesrechtliehen Vorschriften über das förmliche Verwaltungsverfahren an 161 . Diese treffen wie auch §§ 63ff. VwVfG aber keine Regelung über die zu gewährende Akteneinsicht Während insoweit streitig ist, inwieweit die allgemeinen Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder ergänzend Anwendung finden 162, kann dies im Ergebnis dahingestellt bleiben: Selbst wenn man der Auffassung folgt, die allgemeinen Regelungen seien ergänzend anwendbar, so gewähren auch die dem § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG vergleichbaren landesrechtliehen Regelungen 163 nur dem engen Kreis der formal am Verwaltungsverfahren Beteiligten ein allgemeines Akteneinsichtsrecht Die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder enthalten§ 13 VwVfG inhaltlich entsprechende Regelungen, während kein Landeswassergesetz für das Bewilligungsverfahren eine Erweiterung des Beteiligtenkreises vorsieht. Wie bereits mehrfach betont, stellt die teilweise Erweiterung des Kreises der gegenüber derErteilungeiner wasserrechtlichen Bewilligung Einwendungsberechtigten auf die materiell Betroffenen im Hinblick auf die gesetzgebensehe Wertung durch die Möglichkeit der Hinzuziehung nach§ 13 Abs. 2 VwVfG und den entsprechenden Landesgesetzen nicht gleichzeitig eine Erweiterung des Kreises der formal am Verwaltungsverfahren Beteiligten dar 164. Das gleiche Ergebnis ergibt auch die Betrachtung der vierten Variante Berlins, die teilweise ein spezielles förmliches Verfahren umschreibt und andererseits allgemein auf die Vorschriften des Berliner Verwaltungsverfahrensgesetzes verweist165. Auch insoweit ist eine Erweiterung des Kreises der formal am Verwaltungsverfahren Beteiligten und damit Akteneinsichtsberechtigten nicht ersichtlich. Trotz zahlreicher landesrechtlich unterschiedlicher Ausgestaltungen des Verfahrens der wasserrechtlichen Bewilligung läßt sich damit festhalten, daß sich auch im Zusammenhang mit wasserrechtlichen Planungen keine dem UIG vergleichbare Kombination eines Rechtsanspruchs auf Akteneinsicht, der nicht ausschließlich dem engen Kreis der nach § 13 Abs. 1 VwVfG formal Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens zusteht, finden läßt.
16 1 Art. 83 Abs. 2 Bay WG (mit teilweisem Verweis auch auf das beschleunigte, beziehungsweise das Planfeststellungsverfahren mit der Möglichkeit der Zuordnung auch zur 2. Variante, jedenfalls aber gleichem Ergebnis);§ I30 Bbg WG; §§ 18, 85 Abs.I, 93 Hbg WG; § 143 S.I Nr. I NRW WG; § ll4 Abs.l S. 1 Nr. I Saar WG; § I4 Abs. I Sächs WG; § 122 Abs. I Nr. I M.-V. WG. Im Hinblick aufdie §§ 119f. M.-V. WGvgl. die Anmerkung dervorletzten Fußnote zu§§ 116f. S.-H. WG. 162 Großzügig: Engel, S. 34; enger: Czychowski, § 9 Rn 3. 163 Vgl. dazu schon ausführlich oben, II. 2. 164 Im Ergebnis ebenso: Czychowski, § 9 Rn I8; anderer Auffassung: Engel, S. 35. 165 § 86 Abs. 3 Bin WG.
10 Strohmeyer
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4. Einsichtsrechte im Planungsrecht im Verhältnis zu §4 UIG Für alle planungsrechtlichen Vorschriften ergibt sich demnach das Ergebnis, daß sie oftmals ein Jedermann-Einsichtsrecht in ausgelegte Unterlagen beinhalten, einen darüber hinausgehenden Akteneinsichtsanspruch jedoch nur nach pflichtgemäßem Ermessen der über die Akteneinsicht entscheidenden Behörde gewähren. Die Kombination eines Rechtsanspruchs auf Akteneinsicht gekoppelt mit einer Erweiterung des Kreises der Einsichtsberechtigten über§ 13 VwVfG hinaus besteht im geltenden Planungsrecht hingegen nicht. Auch während eines planungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens erscheint es damit für den Antragsteller regelmäßig erfolgversprechender, Einsicht in Umweltinformationen während eines laufenden Verwaltungsverfahrens nach dem UIG zu beantragen. Der Anspruch des § 4 Abs. 1 S. 1 UIG wird deshalb in der Praxis auch die Einsichtsrechte während laufender planungsrechtlicher Verwaltungsverfahren weitestgehend verdrängen, soweit Umweltinformationen betroffen sind.
IV. Zugangsrechte zu behördlichen Umweltkatastern und -Verzeichnissen Sind Einsichtsrechte in Grundbücher und Handelsregister dem Zivilrecht seit langem bekannt, so stammen Gesetze über die Errichtung behördlicher Verzeichnisse im Bereich des Umweltrechts aus jüngerer Zeit. Ihre insbesondere durch Landesrecht ständig wachsende Anzahl- zu nennen sind die Wasserbücher, Boden-, Abwasser- und Altlastenkataster, aber auch das bundesrechtliche Emissionskataster - läßt aber auf ihre besondere momentane Popularität schließen. Zur von der ehemaligen Bundesregierung befürworteten Einführung eines alle Medien umfassenden allgemeinen Umweltkatasters, in das jede Person ohne Nachweis eines Interesses einzusehen berechtigt ist 166, konnte sich bisher indes auch die neue Bundesregierung nicht durchringen. 1. Informationszugangsrechte zu den Wasserbüchern In die gemäߧ 37 WHG zu führenden Wasserbücher sind die dauerhaften Erlaubnisse, Bewilligungen, alten Rechte, alten Befugnisse, Wasserschutzgebiete und Überschwemmungsgebiete einzutragen. Nicht Bestandteil der Wasserbücher sind hingegen die Kontrollkartei, die der Gewässeraufsicht zur behördlichen Überwachung der Gewässernutzungen dient, die Überwachungsergebnisse, Verfahrensakten und die Antragsunterlagen 167• Die ausfüllenden Regelungen der Länder enthal166 Antwort der BReg S. 11 f. auf die Große Anfrage insbesondere der Fraktion der SPD über Informationszugangsrechte für Bürgerinnen und Bürger in: BT-Drs. 12/1273 v. 9.10.1991. 167 Im einzelnen bestehen durchaus landesrechtliche Unterschiede hinsichtlich der über§ 37 WHG hinausgehenden eintragungspßichtigen Tatbestände (Vgl. dazu die Übersicht bei Czy-
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ten Vorschriften über die Einsicht in die Wasserbücher. Einsichtsbefugt ist in nahezu allen Ländern jede Person und ohne den Nachweis eines Interesses 168• Lediglich in Baden-Württemberg und Berlin 169 hat der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Einsicht nachzuweisen. Ausreichend ist indes ein tatsächlich vorliegendes, nach vernünftigen Gesichtspunkten anzuerkennendes gerechtfertigtes Interesse, das auch wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann 170• Die Wasserbücher gewährleisten damit nahezu bundesweit ein hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen mit § 4 Abs. 1 S. 1 UIG vergleichbares Einsichtsrecht in bestimmte, von der öffentlichen Hand registrierte Umweltinformationen. Insoweit entsteht durch die Wasserbücher- ähnlich wie im Atom- und Bundesimmissionsschutzrecht in bezug auf die auszulegenden Antragsunterlagen - eine JedermannÖffentlichkeit. Auch ist diese nicht wie alle bisher untersuchten Einsichtsrechte auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt, währenddessen ein Verfahren durchgeführt wird. Gleichwohl bleibt der dem Bürger durch die Wasserbücher gewährte Informationszugang beträchtlich hinter dem des UIG zurück, weil in ihnen letztlich nur wenige umweltschutzrelevante Informationen gespeichert sind. Die Wasserbücher enthalten nämlich weder die Kontrollkartei und die Überwachungsergebnisse der Gewässeraufsicht noch die Verfahrensakten und die Antragsunterlagen. Außerdem treffen sie selbstverständlich keine Aussagen über die anderen Umweltmedien. Trotz eines anderen ersten Anscheins lassen sich die Wasserbücher damit kaum als Instrumente des Umweltschutzes bezeichnen. Sie sind vielmehr herkömmlichen zivilrechtlichen Verzeichnissen vergleichbar, wie auch die an § 12 GBO angelehnte Struktur des § 37 WHG vermuten läßt. Sie dienen den Wasserbehörden für ihre Planung und zur Ermittlung der Beteiligten eines wasserrechtlichen Verfahrens; nach Maßgabe des Landesrechts auch dazu, der Allgemeinheit einen Überblick über den wesentlichen Inhalt der Rechtsverhältnisse und über die für die einzelnen Gewässer getroffenen Schutzanordnungen zu geben 171 •
2. Informationszugangsrechte zu sonstigen Umweltkatastern Eine den Wasserbüchern der meisten Länder strukturell ähnliche Situation besteht ferner aufgrunddes § 18 Abs. 2 B.-W. BodSchG bezüglich der Bodendatenbank Baden-Württembergs und aufgrund des Art. 94 Bay WG bezüglich der Abwaschowski, § 37 Rn 7 f.). Diese Tatbestände umfassen wie auch§ 37 WHG jedoch allesamt weitere einzutragende Rechtsverhältnisse, Fragen über wasserrechtliche Schutzgebiete oder über Hochwasserschutzmaßnahmen, keinesfalls aber die im Text genannten Informationen. Vgl. im allgemeinen zu den Wasserbüchern auch: Peine, in: A/P/W, S. 954 mwN. 168 Art. 94 Bay WG; § 144 Abs. 1 Bbg WG; § 170 Brem WG; § 100 Hbg WG; § 117 Hess WG; § 133 M.-V.WG; § 189Nds WG; § 160NRWWG; § 127 R.-P. WG; § 125 SaarWG; § 106 Sächs WG; § 190 S.-A. WG; § 135 S.-H. WG; § 124 Thür WG. 169 § 117 B.-W. WG und § 102 Bin WG. 110 Vgl. Burmeister, in: Winter, S.122 mwN. 171 Ebenso: Czychowski, § 37 Rn 1. 10*
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serkataster Bayerns. Hiernach besteht ein Auskunftsanspruch über die in der Bodendatenbank geführten Daten beziehungsweise ein Akteneinsichtsrecht in die Abwasserkataster zugunsten von jedennann ohne den Nachweis eines Interesses. Der wichtige Unterschied dieser Ansprüche zu den Einsichtsrechten in die Wasserbücher besteht in den registrierten Inhalten der verschiedenen Register. Das Abwasserkataster beinhaltet gerade nicht überwiegend nur ein Verzeichnis der Rechte Dritter, sondern Infonnationen über die Planunterlagen des jeweiligen Grundstücks eines Einleiters von Abwassern in Abwasserbehandlungsanlagen, Analysedaten der durchgeführten Abwasseruntersuchungen und Protokolle der Betriebsbegehungen und Schriftwechsel mit gewerblichen Einleitern (Art. 94, 89 Bay WG). Die Bodendatenbank enthält hingegen Infonnationen über die physikalische, chemische und biologische Beschaffenheit des Bodens, die Bodennutzung sowie Nutzungseinschränkungen aufgrund von Bodenüberwachungs- und -sanierungsmaßnahmen (§§ 18, 15, 8 ff. B.-W. BodSchG). Auskünfte über Rechtsverhältnisse an Grundstükken werden interessanterweise nach§ 18 Abs. 2 S. 2 B.-W. BodSchG gerade nicht erteilt. Durch beide Ansprüche wird damit der Bereich der Öffentlichkeit spezieller Umweltinfonnationen erweitert. Anders als den Wasserbüchern liegt diesen Ansprüchen damit auch eine umweltschützende Zielsetzung zugrunde. Gleichwohl bleiben sowohl § 18 Abs. 2 B.-W. BodSchG als auch Art. 94 Bay WG deutlich hinter dem UIG zurück, da auch sie insgesamt nur einen kleinen Ausschnitt aller denkbaren Umweltinfonnationen umfassen. Im Hinblick auf § 18 Abs. 2 B.-W. BodSchG kommt hinzu, daß lediglich ein Auskunftsanspruch gegen die Behörde besteht und kein unmittelbarer Anspruch auf Akteneinsicht
3. Sonstige umweltrechtliche Kataster ohne Informationszugangsrechte des Bürgers Zu nennen sind ferner einerseits die bundesrechtlichen §§ 44 ff. BlmSchG, andererseits weitere bisher nicht genannte landesrechtlich begründete Kataster. Die bundesimmissionsschutzrechtlichen Emissionskataster sind für Belastungsgebiete aufzustellen. Sie enthalten Angaben über Art, Menge, räumliche und zeitliche Verteilung und die Austrittsbedingungen von Luftverunreinigungen bestimmter Anlagen und Fahrzeuge (§ 46 BlmSchG). Daneben sollen unter bestimmten Voraussetzungen Luftreinhaltepläne aufgestellt werden, die auch Infonnationen über Art und Umfang der festgestellten Luftverunreinigungen, der daraus folgenden schädlichen Umwelteinwirkungen und der Ursachen der Luftverunreinigungen enthalten (§ 47 BlmSchG). Bestimmungen über den Zugang zu den Katastern und Plänen oder über deren Veröffentlichung trifft das BlmSchG hingegen nicht. Auch § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG ist nicht anwendbar, da diese Kataster und Pläne Verwaltungsinterna darstellen 172 und damit insoweit kein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG 172 Burmeister, in: Winter, S. 123; Schulze-Fielitz, in: Koch/Scheuing, § 46 Rn 67f., § 47 Rn97 f. mwN.
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durchgeführt wird. Die Behörde kann folglich nach ihrem Ermessen Zugang gewähren. Das gleiche gilt im Ergebnis für weitere landesrechtliche Kataster wie die Altlastenkataster nach§§ 15 Bbg AbfG, 32 Abs.1 S. 2 NRW AbfG, 21 R.-P. AbfG, in denen regelmäßig zwar umweltschutzrechtlich bedeutsamere Informationen gespeichert sind als in den Wasserbüchern, über die die Behörden zugunsten Dritter aber nur nach ihrem Ermessen Auskunft erteilen. Bezüglich der Existenz weiterer Kataster dieser Struktur sei hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.
V. Sonstige spezielle Zugangsrechte des Umweltrechts Des weiteren sei hier auf einige sehr spezielle umweltrechtliche Vorschriften eingegangen, die sich im Gegensatz zu den vorgenannten Vorschriften dadurch auszeichnen, daß siein-wenn teilweise auch nur marginalen- Einzelflillen einen weitergehenden oder praktisch vorteilhafteren Informationszugang als das UIG gewährleisten oder von denen dies zumindest behauptet wird. 1. §§ 116f. S.-H., §§ 119f. M.-V. WG und§ 67 BbgNatSchG
Zunächst sind insoweit zwei weitere landeswasserrechtliche Regelungen zu betrachten. Die identischen§§ 116f. S.-H. und§§ 119f. M.-V. WG gewähren nämlich über die in beiden Ländern gewährleistete Einsicht in die Wasserbücher hinausgehend jedermann auf Antrag einen Anspruch gegen die Wasserbehörden auf Auskunft über die bei ihnen vorhandenen wasserwirtschaftliehen Daten(§ 116 Abs. 1 S.-H. und § 119 Abs. 1 M.-V. WG). Ausdrücklich ist bestimmt, daß diese Auskunft wie auch beim UIG nach Wahl des Antragstellers durch die Einsichtnahme in die der Wasserbehörde vorliegenden Schriftstücke oder durch die Erteilung von Ablichtungen oder ähnlichem zu erteilen ist (§ 117 Abs. 2 S.-H. und § 120 Abs. 2 M.-V. WG). Da auch diese landesrechtliehen Einsichtsansprüche nicht vom Nachweis eines etwaigen Interesses abhängig sind, stellt sich mithin die Frage, wie sich ihre Ausnahmetatbestände zu denen der§§ 5, 7 und 8 UIG verhalten. Auffällig ist bei einem solchen Vergleich die markante Ähnlichkeit der Ausnahmetatbestände, die aus dem Umstand herrührt, daß die Vorschriften der Länder aus der Zeit vor Inkrafttreten des UIG stammen und ihrerseits die Erfüllung der landesrechtliehen Umsetzungspflichten in bezugauf die Umweltinformationsrichtlinie bezweckten 173 • So enthalten § 117 Abs. 1 S. 2 S.-H. und § 120 Abs. 1 S. 2 M.-V. WG wie auch §§ 5, 7 Abs. 3 UIG Ablehnungsgründe für zu unbestimmte oder offensichtlich mißbräuchlich gestellte Anträge. Ferner besteht der Anspruch einerseits nicht für Daten aus nicht abgeschlossenen Untersuchungen, Berichten, Studien oder Verfahren(§ 116 173
Vgl. den Hinweis bei: Thiem, S.l44.
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Abs. 2, Nr. 3 S.-H. und§ 119 Abs. 2, Nr. 3 M.-V. WG), andererseits nicht für personenbezogene Daten und Daten, die ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis enthalten, wenn durch die Auskunft schutzwürdige Belange des Betroffenen oder der Allgemeinheiterheblich beeinträchtigt würden(§ 116 Abs.2, Nr.1 S.-H. und§ 119 Abs.2, Nr. 1 M.-V. WG). Da im Rahmen der Abwägung über schutzwürdige Belange auf Seiten des Antragstellers das in seinem Antrag zum Ausdruck kommende öffentliche Interesse am Schutz der Umwelt zu gewichten ist(§ 116 Abs. 3 S.-H. und§ 119 Abs. 3 M.-V. WG), sind auch diese landesrechtliehen Vorschriften erkennbar Teil des dem UIG überwiegend zugrunde liegenden Ziels der Instrumentalisierung des Bürgers zur Erreichung eines besseren Vollzugs des Umweltrechts. Abweichend von § 7 Abs. 1 Nr. 1 UIG enthalten §§ 116f. S.-H. und §§ 119f. M.-V. WG indes keinerlei Ausnahmetatbestände zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Staates oder der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Außerdem sind die Ausnahmetalbestände der§ 116 Abs.2, Nr.2 S.-H. und§ 119 Abs.2, Nr.2 M.-V. WG für Daten, die den Wasserbehörden von Dritten mitgeteilt worden sind, § 7 Abs. 4 UIG zwar ähnlich, aber enger 174: Während nach dem UIG Informationen, die ein Dritter der Behörde ohne rechtliche Verpflichtung übermittelt hat, nicht offenbart werden dürfen, gilt dieses Verbot für die Wasserbehörden der genannten Länder nur, wenn sie diese Daten auch zukünftig nicht aufgrund einer bereits bestehenden speziellen gesetzlichen Grundlage noch ermitteln dürften 175 • Der Unterschied wird besonders deutlich bei der Berechtigung der Behörden, Informationen im Rahmen ihrer zahlreichen Überwachungstätigkeiten zu sammeln, zu deren Offenbarung der überwachte Bürger nicht von sich aus verpflichtet ist. Diese müßte sich die Behörde durch die Ausübung ihrer Kontroll- und Betretungsrechte erst mühsam und möglicherweise mit geringerem Erfolg selbst beschaffen 176• In diesem engen Rahmen gehen damit die Informationsansprüche nach§§ 116f. S.-H. und§§ 119f. M.-V. WG weiter als der des UIG. Auch diese Ansprüche sind nicht zeitlich an die Durchführung eines etwaigen Verfahrens gebunden. § 44a VwGO und§ 46 VwVfG finden auf sie keine Anwendung, da sie selbst subjektiv-öffentliche Rechte darstellen. In den Ländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern kann es deshalb im Einzelfall sinnvoll sein, Anträge auf Einsicht in die bei den Wasserbehörden vorhandenen wasserwirtschaftliehen Daten nicht auf das UIG zu stützen, sondern auf §§ 116f. S.-H. 177 beziehungsweise§§ 119f. M.-V. WG. Ebenso: Fluck/Theuer, §4 Rn 141. Ebenso: Fluck/Theuer, §4 Rn 141. 176 Vgl. dazu anhand des §52 BimSchG: Schrader, in: S/S/W, § 7 Rn 38 mwN- im Hinblick auf §52 BimSchG wird dies besonders deutlich hinsichtlich der Ermittlungsberechtigung der Behörde auf benachbarten Grundstücken nach Abs. 6, da die Nachbarn selbstverständlich keinen Auskunftspflichten unterworfen sind. Speziell zum Umfang der Ermittlungsbefugnisse im Rahmen der Gewässeraufsicht durch die auskunftsverpflichteten Wasserbehörden vgl. § 83 S.-H. und§§ 90ff. M.-V. WG. 177 Für Schleswig-Holstein ist indes schon hier anzumerken, daß das sogleich unten, VII. 3., zu untersuchende Informationsfreiheitsgesetz des Landes Schleswig-Holstein hinsichtlich der Möglichkeit der Offenbarung von Informationen, die ein Dritter der Behörde 174
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Ähnliches gilt für den auf naturschutzbezogene Daten gerichteten Informationsanspruch in Brandenburg nach§ 67 Abs. 1 BbgNatSchG. Danach erteilen die Naturschutzbehörden auf Antrag Auskunft über die bei ihnen vorhandenen naturschutzbezogenen Daten. Ein struktureller Unterschied besteht zu§§ 116f. S.-H., §§ 119f. M.-V. WG nur darin, daß der Antragsteller kein Wahlrecht zwischen der Auskunftserteilung und der Akteneinsicht besitzt. Im übrigen entspricht § 67 Abs. 1 BbgNatSchG wörtlich den§§ 116f. S.-H., §§ 119f. M.-V. WG; als ein weiterer rein redaktioneller Unterschied ist lediglich festzuhalten, daß sich Mißbrauchs- und Bestimmtheitsklausel in keiner gesondert numerierten Norm, sondern in einem Absatz 4 geregelt finden. Auch im Land Brandenburg kann es deshalb im Einzelfall sinnvoll sein, Anträge auf Auskunft über die bei den Naturschutzbehörden vorhandenen naturschutzbezogenen Daten nicht auf das UIG zu stützen, sondern auf § 67 Abs.1 BbgNatSchG.
2. § 9 UmweltHG Liegen Tatsachen vor, die die Annahme begründen, daß eine Anlage (im Sinne des Anhangs 1 des UmweltHG) einen Schaden verursacht hat, so kann der Geschädigte von den Behörden, die die Anlage genehmigt haben oder überwachen, oder deren Aufgabe es ist, Einwirkungen auf die Umwelt zu erfassen, Auskunft verlangen, soweit dies zur Feststellung, daß ein Anspruch auf Schadensersatz nach dem Umwelthaftungsgesetz besteht, erforderlich ist(§ 9 S. 1 UmweltHG). In§ 9 S. 2 UmweltHG finden sich die wörtlich übernommenen Ausnahmetatbestände des § 29 Abs. 2 VwVfG, die hier freilich mit Blick auf den Zweck des Umwelthaftungsgesetzes zu verstehen sind. Steht § 9 S. 1 UmweltHG damit in Zusammenhang mit einer zivilrechtliehen Schadensregulierung, so stellt er gleichwohl nach einhelliger Meinung einen materiellen öffentlich-rechtlichen Informationsanspruch gegen die genannten Behörden dar 178• Gegenüber § 4 Abs. 1 S. I UIG bleibt er indes in mehrfacher Hinsicht zurück, da der Antragsteller Geschädigter einer Umwelteinwirkung sein muß (§ 1 UmweltHG) und Tatsachen vorzubringen hat, die den in § 9 S. I UmweltHG genannten Zusammenhang zwischen bestimmten Tatsachen und einem durch eine Anlage verursachten Schaden als möglich erscheinen lassen. Auch besteht nach § 9 S. I UmweltHG kein Anspruch auf Akteneinsicht, obgleich die Behörde auch Akteneinsicht anstelle der Auskunft gewähren darf 179• Nach den gängigen Kommentierungen des Umwelthaftungsgesetzes bestehe ein praktischer Vorteil gegenüber dem UIG zugunsten des kleinen Kreises der Anspruchsberechtigten aber darin, daß der Anspruch nach § 9 S. I UmweltHG mangels bisher nicht ersichtlicher spezieller Gebührentatbestände kostenfrei sei 180 • Wie bereits vereinzelt angedeutet ohne rechtliche Verpflichtung übermittelt hat, noch geringere Anforderungen stellt, als §§ 116f. S.-H. WG. 178 Vgl. vor allem: Peter, in: Salje, § 9 Rn2f. mwN; außerdem: Fluck/Theuer, §4 Rn 165. 179 Vgl. Peter, in: Salje, § 9 Rn20 und Fluck/Theuer, § 4 Rn 166 beide mwN. 180 So z. B. Peter, in: Salje, § 9 Rn 21 mwN; ihm folgend: Turiaux, Einleitung, Rn 90f.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
wurde 181 , ist diese Aussage vor allem in ihrer Allgemeinheit aber zumindest sehr ungenau: Zum ersten sind spezielle Gebührentatbestände zum UmweltHG mittlerweile nicht mehr völlig unbekannt 182• Zum zweiten kennen andere Landesgebührenordnungen offen formulierte Gebührenauffangtatbestände 183 • Zum dritten sehen einige Länder allgemein die Erhebung einer Gebühr für Aktenauskunft und -einsieht vor 184• Zum vierten sind die Behörden zur Erhebung von Schreib-, Post- und Telefongebühren teilweise auch dann verpflichtet, wenn Gebühren (mangels eines Gebührentatbestands) nicht verlangt werden dürfen 185 • Je nach Art und Ort des gewährten Informationszugangs unterliegen Anträge auf Informationen nach§ 9 S. 1 UmweltHG also unterschiedlichen Kostenregelungen. Da demgegenüber der Europäische Gerichtshof in dem gegen Deutschland angestrengten Vertragsverletzungsverfahren für die Umweltinformationsrichtlinie festgestellt hat, daß die Mitgliedstaaten den Antragstellern allenfalls angemessene, nicht vom Gebrauchmachen des Umweltinformationsanspruchs abschreckende Kosten in Rechnung stellen dürfen, erscheint es sehr zweifelhaft, daß der Anspruch des § 9 S. 1 UmweltHG gegenüber dem UIG regelmäßig einen wirklichen praktischen Vorteil beinhaltet.
3. § 29 BNatSchG § 29 Abs. 1 S. 1 BNatSchG räumt den (nach § 29 Abs. 2 BNatSchG) anerkannten Naturschutzverbänden ein Mitwirkungsrecht in naturschutzrechtlichen Verfahren ein. Soweit nicht in anderen Rechtsvorschriften eine inhaltsgleiche oder weitergehende Form der Mitwirkung vorgesehen ist, ist den Naturschutzverbänden Gelegenheit zur Äußerung sowie zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben bei der Vorbereitung naturschutzrechtlicher Verordnungen und Satzungen, Plänen und Programmen nach§§ 5, 6 BNatSchG, bei Befreiungen von Schutzgebietsregelungen und bei Planfeststellungen mit möglichen Eingriffen in Natur und Landschaft nach§ 8 BNatSchG. Erweitert wird dieser Katalog teilweise durch landesrechtliche Vorschriften 186, die das auf Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG gestützte rahmengesetzliche Bundesnaturschutzgesetz ausfüllen. Diese Mitwirkungsbefugnis der Naturschutzverbände schließt unstreitig ein, zunächst überhaupt im Vorfeld solcher Verfahren von den Behörden eine Benachrichtigung zu erhalten; nach dem Wortlaut des § 29 Abs. 1 S. 1 BNatSchG außerdem das Recht, sich zu äußern und Insbesondere von Fluck/Theuer, § 4 Rn 176. Vgl. z. B. Nr. 88.1 der Anlage zu § 1 Abs. 1 der Nds. Allgemeinen Gebührenordnung (60-360DM). 183 Vgl. z.B. Nr.4 der Anlage zu§ 1 B.-W. GebVO. 184 Vgl. z. B. Nr. 11 der Anlage zu§ 1 HessAllgVwKostO. 185 Vgl. z.B. § 11 Abs.1 S.1 BremGebBeitrG, § 13 Abs.l S.l NdsVwKostG, §9 Abs.l S.l HessVwKostG, § 10 Abs. 2 R.-P. LGebG. 186 Vgl. beispielsweise §60a Nr.4 und 5 NdsNatSchG und §35 Abs.1 Nr.4 HessNatSchG zur Verhütung eines Formenmißbrauchs bei Plangenehmigungen mit möglichen naturschutzrechtlichen Eingriffswirkungen. Vgl. zahlreiche weitere Erweiterungen bei: Gassner, in: G!B/S/S, §29 Rn37. 181
182
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
153
Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu nehmen. Umstritten ist, ob darüber hinaus auch ein Akteneinsichtsrecht in die vollständige Verfahrensakte besteht. Aus§ 29 VwVfG läßt sich ein solches Recht nicht herleiten, weil eine bloße Mitwirkung nach§ 29 BNatSchG im Hinblick auf§ 13 Abs. 3 VwVfG zu keiner formalen Beteiligtenstellung im Sinne dieser Vorschrift führt 187• Auch scheint der Verweis des § 29 Abs. 1 S. 2 BNatSchG allein auf§ 29 Abs. 2 VwVfG gegen ein solches Akteneinsichtsrecht zu sprechen. Demgegenüber verlangt nach zutreffender Auffassung aber der Zweck der Verbandsbeteiligung, eine umfassende Entscheidungsgrundlage durch die Beiziehung behördenexternen Sachverstands zu schaffen, ein Einsichtsrecht in die vollständige Verfahrensakte 188• Nur durch die Kenntnisnahme aller naturschutzrechtlich relevanten Umstände können die Verbände eine sachverständige Hilfestellung leisten. Auf Antrag hin ist den Verbänden damit auch Akteneinsicht zu gewähren. Grenze dieses Anspruchs sind gemäß § 29 Abs. 1 S. 2 BNatSchG einerseits die oben untersuchten, sinngemäß anzuwendenden Ausnahmetatbestände des § 29 Abs. 2 VwVfG; andererseits die §§ 28 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwVfG, nach denen die Mitwirkung der Verbände unterbleiben kann, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint oder durch die Mitwirkung die Einhaltung einer für die die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde. Außerdem hat gemäß §§ 29 Abs.1 S. 2 BNatSchG, 28 Abs. 3 VwVfG eine Mitwirkung zu unterbleiben, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht. In einem Vergleich mit den Vorschriften des UIG bleibt das Einsichtsrecht des § 29 BNatSchG damit erkennbar in mehrfacher Hinsicht zurück: Es steht- wenn Voraussetzung der bundesnaturschutzrechtlichen Anerkennung eines Vereins gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG auch die Eintrittsmöglichkeit jedermanns ist- nur einem sehr engen Kreis von Berechtigten zu, es enthält zusätzliche Ausnahmetatbestände und ist zeitlich an die Durchführung eines Verfahrens gebunden. Gleichwohl besitzt es bei der Mitwirkung der Verbände bei der Vorbereitung von Naturschutzverordnungen einen weiteren Anwendungsbereich als das UIG. Soweit nämlich Schutzgebiete wie beispielsweise die Naturschutzgebiete nach den landesrechtliehen Vorschriften von den obersten Landesbehörden durch Rechtsverordnung ausgewiesen werden, besteht das Umweltinformationszugangsrecht gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UIG in Einklang mit Art. 2 b) der Richtlinie nicht 189• 187 Vgl. dazu: Engel, S.42 und insbesondere weiter differenzierend: Clausen, in: Knack,§ 13 Rn 15 mwN; aA Gassner, in: G!B/S/S, §29 Rn20. 188 So die h.M., vgl. beispielsweise Enge/, S.42 und Gassner, in: G/B/S/S, §29 Rn 19, beide mwN. Entgegen VGH Kassel NVwZ 1982, 689, 690 anderer Auffassung- soweit ersichtlich- wohl nur VGH Kassel, NuR 1984,28, 30. Vgl. zur Herleitung dieses Hauptzwecks ausführlich (aus dieser Arbeit zugrunde liegenden sytematischen Gründen) erst unten, S.134ff. ts9 Nach einer Gegenauffassung sei der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UIG richtlinienkonform auf die behördliche Tätigkeit im Rahmen der formellen Gesetzgebung zu beschränken (zum Streit vgl. insoweit die Nachweise bei Schomerus, in S/S/W, § 3 Rn 90 mwN). Danach bestünde der Vorteil des Einsichtsrechts nach §29 BNatSchG im Vergleich zu dem des UIG nur in den Ländern, die wie Schleswig-Holstein und Brandenburg gemäߧ 16
154
2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
VI. Allgemeine Zugangsrechte für den gesamten Bereich des Umweltrechts Vor Inkrafttreten des UIG am 16.7.1994 bestehen in Deutschland Informationszugangsrechte für größere Bereiche des Umweltrechts oder das gesamte Umweltrecht nur in den fünf neuen Ländern. Als Folge der Umwälzungen in der DDR tritt noch im Jahre 1989 die Verordnung der DDR über Umweltdaten in Kraft 190, nach deren § 1 Abs. 1 Umweltdaten über den Zustand der natürlichen Lebensumwelt grundsätzlich öffentlich sind. Daran orientiert nehmen die Verfassungen aller neuen Länder ähnliche, im folgenden zu betrachtende Regelungen auf. 1. Vorschriften der Verfassungen Sachsens (Art. 34), Sachsen-Anhalts (Art. 6 Abs. 2) und Thüringens (Art. 33)
Gemäß Art. 34 der Sächsischen Verfassung hat jede Person das Recht auf Auskunft über Daten, welche die natürliche Umwelt in ihrem Lebensraum betreffen, soweit sie durch das Land erhoben oder gespeichert worden sind und soweit nicht Bundesrecht, rechtlich geschützte Interessen Dritter oder überwiegende Belange der Allgemeinheit entgegenstehen. Ein sehr ähnliches, nahezu wörtlich identisches Recht gewähren die Verfassungen der Länder Sachsen-Anhalts (Art. 6 Abs. 2) und Thüringens (Art. 33). Alle drei Verfassungen beinhalten folglich ein alle Umweltmedien umfassendes Jedermann-Informationszugangsrecht Voraussetzung dieses Anspruchs ist keinerlei rechtliches Interesse, sondern wegen der notwendigen Betroffenheit der antragstellenden Person in "ihrem natürlichen Lebensbereich" nur eine gewisse räumliche Nähe zu der begehrten Information 191 • Neben dieser Einschränkung des Jedermarm-Anspruchs ist der Anwendungsbereich dieser Vorschriften im Vergleich zum UIG auch enger hinsichtlich seiner ausdrücklichen Begrenzung auf die ,,natürliche Umwelt", die die zahlreichen umweltrelevanten menschlichen Tätigkeiten nicht umfaßt 192• Außerdem gewähren sie keinen Anspruch auf Akteneinsicht, sondern nur einen Auskunftsanspruch. Zuletzt unterliegen sie einer größeren Anzahl von Ausnahmetatbeständen, beispielsweise stehen allein aufgrunddes Verweises auf das "Bundesrecht" die§ 29 Abs. 2 VwVfG, §§ 7 und 8 UIG und so fort kumulativ ihrer Durchsetzung entgegen. Abs. 7 S.-H. NatSchG beziehungsweise § 19 Abs. 1 BbgNatSchG im Hinblick auf Nationalparke über Schutzgebietsausweisungen durch formelles Gesetz entscheiden. 190 Verordnung vom 13.11.1989, DDR-GBI.I 1989, S. 241. 191 Zu dieser Voraussetzung einer erforderlichen gewissen räumlichen Nähe vgl. ähnlich: Fluck/Theuer, §4 Rn92/97; Turiaux, Ein!. Rn20; Reich, Art. 6 Rn4. 192 Ebenso: Turiaux, Ein!. Rn 20. V gl. auch Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rn 16 f. zur Notwendigkeit einer Korrektur des Verständnisses des allgemeineren Begriffs der "Umwelt" als die bloße ,,natürliche Umwelt", aus der im Umkehrschluß ein engeres Verständnis des vom Landesverfassungsgeber ausdrücklich gewählten Begriffs der "natürlichen Umwelt" folgt.
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
155
Gleichwohl besitzen die Umweltinformationsansprüche der hier betrachteten Landesverfassungen aber auch einen weiteren Anwendungsbereich als § 4 Abs. 1 UIG. Anders als das UIG, das nur einen Anspruch auf die bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen gewährleistet(§§ 1, 3 Abs. 1 S. 1 UIG und Art. 1 der Richtlinie), garantieren die Landesverfassungen tatbestandlieh nämlich einen Anspruch auf die bei allen Trägern der öffentlichen Gewalt vorhandenen Informationen, also auch gegen die Legislative und die Judikative.
2. Art. 39 Abs. 7 S. 2 der Verfassung Brandenborgs Neben dem sogleich zu untersuchenden, populäreren Art. 21 Abs. 4 BbgVerf, der ein allgemeines Akteneinsichtsrecht zu verbürgen scheint, beinhaltet die Verfassung Brandenburgs in Art. 39 Abs. 7 S. 2 auch einen speziellen Umweltinfonnationsanspruch. Laut Art. 39 Abs. 7 S. 1 sind das Land, die Gemeinden und die Gemeindeverbände verpflichtet, Informationen über gegenwärtige und zu erwartende Belastungen der natürlichen Umwelt zu erheben und zu dokumentieren; Eigentümer und Betreiber von Anlagen unterliegen einer entsprechenden Offenbarungspflicht Gemäß S. 2 hat jeder das Recht auf diese Informationen, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen. Nach S. 3 regelt das Nähere ein Gesetz. Gemeinsam ist diesem Informationsanspruch mit dem Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens, daß auch er sich nicht nur wie § 4 Abs. 1 UIG gegen die Behörden richtet, sondern gegen das Land insgesamt. Ferner ist auch er nur auf Auskunft gerichtet, für ein darüber hinausgehendes Akteneinsichtsrecht, von dem vergleichsweise Art. 21 Abs. 4 BbgVerf ausdrücklich spricht, ist nichts ersichtlich. Anders als in den anderen Ländern umfaßt er aber auch die umweltrelevanten menschlichen Tätigkeiten, wie insbesondere in der Formulierung über die zu erwartenden Belastungen der Umwelt zum Ausdruck kommt 193 • Des weiteren ist er nicht auf den räumlich-natürlichen Lebensbereich des Antragstellers beschränkt und damit wie § 4 Abs. 1 UIG völlig voraussetzungslos. Ob er außerdem engere Ausnahmetatbestände als die anderen Verfassungen oder sogar das UIG aufweist, bleibt hinsichtlich seiner allgemeinen Bezugnahme auf entgegenstehende öffentliche oder private Interessen unklar. Erst nach lokrafttreten des in Art. 39 Abs. 7 S. 3 BbgVerf vorgesehenen Gesetzes ließe sich diese Frage beantworten 194 • Das sogleich zu betrachtende Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz (AIG) Brandenburgs kommt als ein solches konkretisierendes Gesetz nicht in Betracht, da es seinerseits gegenüber "bereichsspezifischen Regelungen für einen unbeschränkten Personenkreis" zurücktritt 195 • Ebenso: Turiaux, Ein!. Rn21. Ebenso: Fluck/Theuer, § 4 Rn 89. 195 Vgl. zu diesen nicht völlig eindeutigen Tatbestandsmerkmalen des§ 1 BbgAIG sogleich unten, VII. 1. 193
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156
2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
3. Art. 6 Abs. 3 der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns Auch die Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns kennt ein Umweltinfonnationszugangsrecht. Gemäß Art. 6 Abs. 3 hat jeder das Recht auf Zugang zu Informationen über die Umwelt, die bei der öffentlichen Verwaltung vorhanden sind. Nach Abs. 4 regelt das Nähere ein Gesetz. Der Wortlaut dieser Regelung orientiert sich demnach erkennbar nicht an den Vorschriften der soeben dargestellten Landesverfassungen, sondern am Wortlaut des Art. 1 der Umweltinformationsrichtlinie. Auch ihr Anwendungsbereich erstreckt sich wie der des UIG aber anders als die Ansprüche auf Umweltdaten in den Verfassungen aller anderen neuen Länder nicht auf die Legislative und die Judikative. Dafür gewährleistet die Verfassung MecklenburgVorpommerns ein Akteneinsichts- und kein bloßes Auskunftsrecht wie Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Auch im übrigen dürfte der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf weitestgehend mit dem des UIG übereinstimmen. Auch insoweit lassen sich Einzelfragen erst nach lokrafttreten des in Art. 6 Abs. 4 M.-V. Verf vorgesehenen, das Nähere regelnden Gesetzes beantworten.
4. Exkurs: Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen und § 4 Abs. 3 UIG Soweit die Umweltinformationsansprüche der Verfassungen der Länder über den Anwendungsbereich des UIG hinausgehen, stellt sich im Hinblick auf die Art. 31, 142 GG die Frage ihrer Rechtsgültigkeit, beziehungsweise die der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlaß des UIG. Soweit das UIG auf einer hinreichenden Bundeskompetenz beruht und seinerseits in § 4 Abs. 3 (ehemals Abs. 2) 196 in wirksamer Weise andere Ansprüche auf Zugang zu Informationen für unberührt erklärt, stellt sich die Frage der Reichweite der den Ländern damit verbleibenden Gesetzgebungskompetenzen. Unstreitig kennt das Grundgesetz keine spezielle Transfonnationskompetenz, die den in Deutschland für die Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften zuständigen Verband bestimmt. Anwendung finden vielmehr die allgemeinen Grundsätze der Art. ?Off. GG. Ebenfalls läßt sich dem Grundgesetz nach einhelliger Auffassung weder eine generelle Umweltschutzkompetenz noch eine spezielle Berechtigung zur Regelung des Umweltinformationsrechts zugunsten des Bundes entnehmen. Will der Bund damit ein relativ umfassendes, auch für die Landesverwaltung Verpflichtungen begründendes Gesetz erlassen, das materiell der Beseitigung des im Umweltrecht bestehenden Vollzugsdefizits, also dem Umweltschutz, dient, so kann er dies nur, soweit sich jedes auch noch so kleine Detail eines solchen Gesetzes I% Der durch das Gesetz vom 27.7.2001 (BGBI.I 1950) eingeführte Abs.3 entspricht wörtlich dem ehemaligen Abs. 2, auf den sich deshalb der Großteil der nachfolgenden Nachweise bezieht.
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
157
jeweils auf einen der speziellen Kompetenztitel der Art. 73 ff. GG zugunsten des Bundes zurückführen läßt, auf die sogenannte Mosaikkompetenz 197 • Eine Anwendung dieser Grundsätze führt im Ergebnis zu einer Bejahung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Begründung eines materiell-rechtlichen Umweltinformationsanspruchs. Dies gilt nach der allgemein herrschenden Auffassung auch, soweit die in Anspruch genommenen Kompetenznormen wie Art. 75 Abs.1 Nr. 3 und 4 GG 198 rahmenrechtlicher Natur sind. Die insoweit im UIG enthaltene punktuelle Vollregelung sei zulässig, weil ein hinreichend starkes Interesse bestehe, sämtliche Umweltinformationen, die infolge des Vollzugs von Bundesrecht gesammelt würden, einem einheitlichen Zugangsrecht zu unterwerfen. Aus dem gleichen Grund sei das UIG im Hinblick auf die Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse auch als erforderlich im Sinne von Art. 72 Abs. 2 GG anzusehen. Abgesehen von den Bereichen des Bauordnungsrechts, des Polizeirechts im Eilfall, des Binnenfischerei- und Denkmalschutzrechts 199 besitzt der Bund danach umfassende Kompetenzen zur Einführung eines materiell-rechtlichen Umweltinformationsanspruchs. Das folglich keinen Anspruch aufbauordnungs-, eilpolizei-, binnenfischerei-und denkmalschutzrechtliche Umweltinformationen vermittelnde UIG ist im übrigen also unter Wahrung der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen des Grundgesetzes zustande gekommen 200 • Für die Länder bedeutet dies, daß sie unmittelbar aus dem Grundgesetz berechtigt, europarechtlich aber auch verpflichtet sind, in den Bereichen Bauordnungsrecht, Polizeirecht im Eilfall, Binnenfischerei- und Denkmalschutzrecht ein materielles Umweltinformationszugangsrecht zu erlassen. Im übrigen besitzen die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, soweit der Bund nicht von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Im Hinblick auf den Anwendungsbereich eines materiellen Umweltinformationsanspruchs hat der Bund durch § 4 Abs. 1, §§ 2 f., §§ 7 f. UIG der Sache nach umfassend Gebrauch gemacht. Die Anspruchsverpflichtung besteht insbesondere auch zu Lasten der Landesbehörden, da eine§ 1 Abs. 3 VwVfG entsprechende Subsidiaritätsregelung fehlt. Landesrechtliehe Vorschriften wären damit nichtig, soweit sie (wie beispielsweise die Verfassun197 Vgl. zum Ganzen insoweit: Röger, NuR 1995, 175, 176 mwN; speziell zur "Mosaikkompetenz" auch: Peine, NuR 2001, 421, ebenda mw N, der insoweit den Begriff "Kompetenzmix" verwendet. 198 Genauer genommen ist das UIG vor der auch Art. 75 und 72 GG betreffenden Verfassungsänderung vom 27.10.94 nach der alten Grundgesetzlage (auf die sich auch die nachfolgend zitierten Literaturmeinungen beziehen) in Kraft getreten. Im Text sei im Interesse des flüchtigen Lesers die neue, bislang keine anderen bundesverfassungsgerichtliehen Entscheidungen produzierende neue Rechtslage zitiert. 199 Allein im Hinblick auf diese Bereiche wird insoweit zum Teil eine andere, noch weitergehende Bundeskompetenzen bejahende Auffassung vertreten: Vgl. zum Streitgegenstand insoweit statt aller: Schomerus, in: S/S/W, § 2 Rn 16f. 200 V gl. zum Ganzen ausführlich und differenzierter statt aller: Erichsen!Scherzberg, S. 33 ff. und Röger, NuR 1995, 175, 176f., alle mwN.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
gen Brandenburgs, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens) den Anwendungsbereich eines materiellen Umweltinformationsanspruchs (auch auf die Legislative und die Judikative) erweitern und soweit §4 Abs. 3 UIG sie nichttrotzder der Sache nach abschließenden Regelungen eines materiellen Umweltinformationsanspruchs zuläßt. Gemäß § 4 Abs. 3 UIG "bleiben daneben 201 andere Ansprüche auf Zugang zu Informationen unberührt". Ersichtlich eröffnet der Bund damit auch den Ländern eine materielle Regelungsmöglichkeit, die über die den Ländern durch §§ 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 UIG eingeräumte Möglichkeit zur Bestimmung von vom Bundesrecht abweichender Zuständigkeits- und Kostenvorschriften hinausgeht. Fraglich ist hingegen, ob§ 4 Abs. 3 UIG neben fachgesetzlichen Umweltinformationsansprüchen, wie beispielsweise§§ 116f. S.-H., §§ 119f. M.-V. WG und§ 67 BbgNatSchG auch allgemeinere landesrechtliche Umweltinformationsregelungen (mit teilweise weiterem Anwendungsbereich) zuläßt, wie sie die Verfassungen der fünf neuen Länder beinhalten. Bezweifelt wurde dies unter Hinweis auf Teile der gesetzgebensehen Begründung des UIG 202 • Auf Seite 12 dieser Begründung speziell zu § 4 Abs. 2 (dem heutigen Abs. 3) UIG findet sich eine Ausführung, derzufolge Absatz 2 klarstelle, daß Informationsansprüche, die speziell geregelt seien, durch das Gesetz nicht verdrängt würden und parallel zu den Ansprüchen aufgrund dieses Gesetzes geltend gemacht werden könnten (Anspruchskonkurrenz). Aus dieser Passage zieht die Literatur teilweise den Schluß, daß lediglich fachgesetzliche, also vom sachlichen Anwendungsbereich her speziellere Landes-Umweltinformationsansprüche vom UIG unberührt bleiben sollen. Allgemeinere, fachübergreifende Umweltinformationsrechte seien aber vom UIG abschließend erfaßt und damit einer landesrechtliehen Regelung entzogen 203 • Entgegen dieser Auffassung ist aber zu beachten, daß die Gesetzesbegründung an anderer Stelle eine abweichende Deutung nahe legt. Auf Seite 9 der Begründung des UIG findet sich nämlich zum Verhältnis der Regelung des § 4 Abs. 1 UIG zu anderen Informationsansprüchen die wichtige Anmerkung, daß ( ... ) fachrechtliche und sonstige Regelungen eines Informationsanspruchs- wäre es, daß sie (ganz oder teilweise) weitergingen oder daß sie weniger weitgehend wären -unberührt blieben. Aufgrund dieser Passage ist zu vermuten, daß der Gesetzgeber eben nicht nur andere fachrechtliche, sondern auch sonstige, allgemeinere Regelungen eines Informationsanspruchs unberührt lassen wollte 204 • Auch besteht nach dieser Interpretation kein Widerspruch zwischen den Aussagen der Gesetzesbegründung auf Seite 9 und Seite 12, da mit einer "speziellen" Regelung von Informationsansprüchen im Sinne von Seite 12 statt einer Verengung des sachlichen Anwendungsbereichs der Norm auch eine Verengung ihres räumlichen Anwendungs201 Unstrittig ist mit "daneben" der in § 4 Abs. 1 UIG unmittelbar zuvor geregelte Umweltinformationsanspruch gemeint; vgl. Röger, NuR 1995, 175, 178. 202 BT-Drs. 12nl38. 2oJ So: Fluck/Theuer, § 4 Rn 90. 204 Ebenso: Röger, NuR 1995, 175, 178.
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bereichs im Falle einer nur landesrechtlich geltenden Regelung gemeint sein kann 205 • Klarer und verwertbarer sind folglich die Ausführungen auf Seite 9, die die hier vertretene Auffassung stützen, daß § 4 Abs. 3 (ehemals 2) UIG auch allgemeine landesrechtliche Informationsansprüche zulassen will. Für dieses Ergebnis spricht auch ein Vergleich der zeitlichen Entstehungsgeschichte der hier in Verhältnis zu setzenden Normen, da die Verfassungen der fünf neuen Länder allesamt in den Jahren 1992 und 1993 entstanden sind 206 • Das erst am 8.7.1994 verabschiedete UIG hätte nach der Gegenauffassung demzufolge auch die sehr jungen Landesverfassungen partiell verdrängen wollen, ohne darüber in der Gesetzesbegründung auch nur ein Wort zu verlieren. Dieses Ergebnis scheint aber kurz nach der Wende hinsichtlich der besonderen Symbolkraft dieser Verfassungen als überaus unwahrscheinlich. Demnach ist davon auszugehen, daß § 4 Abs. 3 UIG auch allgemeine landesrechtliehe Informationsansprüche zuläßt207 • Konsequenz dieses Ergebnisses ist indes nicht, daß die Länder Regelungen erlassen dürfen, die im Ergebnis dazu führen können, daß der materielle Regelungsgehalt des UIG oder der Umweltinformationsrichtlinie unterschritten wird. Eine solche, § 1 Abs. 3 VwVfG vergleichbare allgemeine Subsidiaritätsklausel stellt§ 4 Abs. 3 UIG gerade nicht dar, wie die gescheiterten Versuche Schleswig-Holsteins, im Gesetzgebungsverfahren über den Bundesrat eine solche Klausel in das UIG einfügen zu lassen, belegen 208 • Die Länder können gemäß §4 Abs. 3 UIG zwar engere Umweltinformationsansprüche vorsehen als das UIG, praktisch bleiben solche aber ohne selbständigen Anwendungsbereich, da sie die materiellen Regelungen des UIG nicht zu verdrängen vermögen. Diese seltene gesetzgebungstechnische Konsequenz erklärt die unübliche Wahl des Wortes "daneben" in§ 4 Abs. 3 UIG. Ein weiterreichender Anwendungsbereich landesrechtlicher Umweltinformationsansprüche kann demgegenüber durchaus praktische Relevanz besitzen. Zu beachten sind bei einer solchen Iandesrechtlichen Erweiterung des Umweltinformationsanspruchs freilich die sonstigen europarechtlichen und grundgesetzliehen Vorgaben. Eine Ausweitung des Tatbestands des Umweltinformationszugangsrechts, wie sie durch die neuen Landesverfassungen mit Ausnahme der Mecklenburg-Vorpommerns auch auf die Judikative und Legislative vorgenommen wird, ist dabei weitestgehend unproblematisch, weil insoweit noch nicht abschließend über die öffentlichen oder privaten InEbenso: Röger, NuR 1995, 175, 178. Vgl. insoweit BbgGVBI. I 1992, 298ff.; SächsGVBI. 1992, 243ff.; S.-A.GVBI. 1992, 600ff.; ThürGVBI. 1993, 625ff. Ebenfalls M.-V. GVOBI. 1993, 312ff., worauf es hier freilich nicht ankommt. 207 Ebenso und teilweise zum Ganzen noch ausführlicher: Röger, NuR 1995, 175, 178 f. mwN. 208 Selbst der Bundesrat befürwortete nicht den dieselbe Konsequenz nach sich ziehenden von Schleswig-Holstein unter anderem in BR-Drs.797/93, S. 2 gemachten Vorschlag zu einer restriktiven Definition des Behördenbegriffs (§ 2: "Dieses Gesetz gilt für Informationen über die Umwelt, die bei den in § 3 Abs. 1 bestimmten Behörden l. des Bundes, 2. der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, soweit der Zugang zu Informationen über die Umwelt nicht durch Landesgesetz geregelt wird, vorhanden sind."). 2os
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teressen an der Verhinderung der Offenbarung der Umweltinformationen entschieden ist. Die europarechtlichen und grundgesetzliehen Grenzen dieser Kompetenz der Länder zeigt sich vielmehr im Bereich der Ausnahmetatbestände209: Selbstverständlich dürfen die Länder nicht den gemeinschaftlich sekundärrechtlich vorgeschriebenen oder den grundgesetzliehen Grundrechtsstandard oder den von der Richtlinie oder dem UIG bestimmten Schutz öffentlicher Interessen unterschreiten. Im Ergebnis eröffnet § 4 Abs. 3 UIG den Ländern demnach neben den Bereichen des Bauordnungsrechts, des Polizeirechts im Eilfall, des Binnenfischerei- und Denkmalschutzrechts, in denen ihnen schon aufgrund der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen nach dem Grundgesetz eine Regelungsbefugnis verbleibt, auch die Möglichkeit, innerhalb des vom UIG kompetenzmäßig abgedeckten Bereichs konkurrierende Landesregelungen zu erlassen. Materiell kann der Anwendungsbereich solcher Vorschriften enger oder weiter sein als der des UIG, praktisch bedeutsam sind aber nur weitergehende Regelungen, da das Landesrecht gegenüber dem UIG keine verdrängende Wirkung besitzt. Da solches Landesrecht außerdem die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts und des Grundgesetzes zugunsten Dritter und öffentlicher Interessen zu beachten hat, wird sich diese Regelungskompetenz der Länder nahezu ausschließlich auf eine Erweiterung des Anspruchstatbestands eines Umweltinformationszugangsrechts erstrecken. § 4 Abs. 3 UIG ermöglicht weiter in die Breite aber nicht in die Tiefe gehende Umweltinformationsansprüche der Länder. Im Hinblick auf die soeben betrachteten Regelungen der Verfassungen Brandenburgs, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens bedeutet dies, daß sie in zulässiger, rechtsgültiger Weise ihre eigenen Umweltinformationsansprüche, die sie unabhängig vom UIG gewähren, auf die bei der Judikative und der Legislative vorhandenen Informationen erweitern durften.
VII. Allgemeine Zugangsrechte ohne Bezug zum Umweltrecht
Das Bundesrecht kennt Jedermann-Informationszugangsrechte ohne Bezug zum Umweltrecht nicht. Demgegenüber sind in jüngster Zeit in Brandenburg, Berlin und Schleswig-Holstein Gesetze in Kraft getreten, die jedermann ein solches Recht ohne den Nachweis eines berechtigten Interesses gewähren. In Nordrhein-Westfalen ist am 27.11.2001 ebenfalls ein Informationsfreiheitsgesetz verabschiedet worden, das am 1.1.2002 in Kraft getreten ist. Eine Kommentierung zu diesem jüngsten Gesetz besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt - soweit ersichtlich - noch nicht. Da sich seine wichtigsten Regelungen in etwa an denen des Informationsfreiheitsgesetzes Schleswig-Holsteins orientieren, soll es im folgenden nicht gesondert betrachtet werden. 209
Vgl. ebenso: Röger, NuR 1995, 175,181.
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1. Brandenburg
Neben dem soeben untersuchten Recht aus Art. 39 Abs. 7 S. 2 hat gemäß Art. 21 Abs. 4 BbgVerf jeder nach Maßgabe des Gesetzes das Recht auf Akteneinsicht und sonstige amtliche Unterlagen der Behörden und Verwaltungseinrichtungen des Landes und der Kommunen, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen. Die Vorschrift spricht demnach von einem nicht nur für das Umweltrecht geltenden, sondern einem alle bei den Behörden vorhandenen Informationen umfassenden voraussetzungslosen Jedermann-Akteneinsichtsrecht Es bricht damit als erste in Deutschland erlassene Regelung vollständig mit dem Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit Im Sinne der soeben210 und in Teil1 211 vorgenommenen Ausführungen ist sie im Hinblick auf ihren umweltinformationsrechtlichen lnhalt2 12 auch mit Bundes- und Europarecht vereinbar. Fraglich und von Anfang an überaus umstritten ist hingegen, ob Art. 21 Abs. 4 BbgVerf überhaupt "unmittelbar anwendbar" ist, dem einzelnen also bereits ohne die im Verfassungstext genannte "Maßgabe des Gesetzes" ein subjektiv-öffentliches Recht garantiert, oder ob solche Ansprüche erst durch den Erlaß eines ausführenden einfachen Gesetzes entstehen 213 • Der Wortlaut der Vorschrift ist zweideutig und auch seine Entstehungsgeschichte läßt keinen eindeutigen Schluß zu: Nach umfassenden Diskussionen und zahlreichen Entwürfen stellt der an der Erarbeitung der Verfassung Brandenburgs maßgeblich beteiligte Verfassungsausschuß am 15.11.91 214 die Regelung des damaligen Entwurfs des Art. 21 Abs.4 BbgVerf unter einen Ausgestaltungsvorbehalt Danach besitzt nach S. 1 der Vorschrift jeder ein voraussetzungsloses Einsichtsrecht in die Akten der Verwaltung. Nach S. 2 regelt das Nähere ein Gesetz. Diese eindeutig im Sinne unmittelbarer Anwendbarkeit zu verstehende Formulierung trifft jedoch bis zur Schlußphase des Verfassungsgebungsverfahrens auf großen Widerstand der CDU und der FDP, als dessen Konsequenz die unklare Kompromißformulierung zu sehen ist. Insoweit ließe sich die Vgl. insbesondere zur Verbandszuständigkeit im Verhältnis zum Bund soeben, VI.4. Vgl. dazu oben, Teill, B.II.2.a)dd) (4)(e) die Ausführungen zur Bindung der Mitgliedstaaten an die im Hinblick auf den Datenschutz gemeinschaftsgrundrechtskonform auszulegende Richtlinie, der das Land Brandenburg durch die Gewährleistung des Schutzes entgegenstehender privater Interessen gerecht wird. 212 Unten in Teil3, B.II. ist außerdem das Verhältnis ihres sonstigen Inhalts zu den Grundrechten zu klären. 213 Gegen diese "unmittelbare Anwendbarkeit" vgl. vor allem: Breidenbach/Kneife l-Haverkamp, in: Simon/Franke/Sachs, § 21 Rn25 mit umfassenden Ausführungen zur Entstehungsgeschichte des Art.2l Abs.4 BbgVerf. Dagegen: Partsch, NJ 1998,346, 347f. mwN. 214 Vgl. zu den vorangehenden Entwürfen des Art.21 Abs.4 BbgVerfkonkret: Breidenbach/ Kneifel-Haverkamp, in: Simon/Franke/Sachs, § 21 Rn25, Fn57 mwN. Ebenda, ist auch der im Hinblick auf Art. 21 Abs. 4 BbgVerf relevante Entwurf des Verfassungsausschusses vom 15.11.91 abgedruckt. Zur Einsetzung des Verfassungsausschusses und der allgemeinen Entwicklung der Verfassung Brandenburgs, die ähnlich wie die unten, B. V. 2. a) näher untersuchte Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns entsteht: Häberle, in: ders., Bd. 39, S. 319ff., Bd. 41, S.69ff., Bd.42, S.l49ff., Bd.43, S. 355ff. 210 211
ll Strohmeyer
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
weitergehende Frage stellen, ob mit Art. 21 Abs. 4 BbgVerf überhaupt eine rechtswirksame Norm entstanden ist, wenn selbst dem über das (Verfassungs-)Gesetz abstimmenden Parlament bis zuletzt keine Einigung über seinen Inhalt gelingt. Einen Kompromiß in der Sache findet das Parlament insoweit nämlich nicht, vielmehr wird der Wortlaut der Norm lediglich so zweideutig gefaßt, daß letztlich der Rechtsanwender eine mehr oder weniger zufällige Entscheidung über ihren Inhalt trifft. Ein Kompromiß wird im Parlament nur in dem Sinn getroffen, daß sich beide Streitparteien einen etwa gleich wahrscheinlichen Erfolg einer Entscheidung des Rechtsanwenders in der von ihnen bevorzugten Interpretation erhoffen. Trotz dieses Willensmangels des Parlaments hat der Rechtsanwender - will er nicht gegen das Rechtsverweigerungsverbot verstoßen 215 - jedoch über den Inhalt der im formalisierten parlamentarischen Verfahren verabschiedeten Norm zu entscheiden, soweit mindestens eine sinnvolle Deutung möglich ist. Da hier zwei Interpretationsmöglichkeiten in Betracht kommen, ist Art. 21 Abs. 4 BbgVerf folglich nicht als nichtig anzusehen. Zwischen den beiden denkbaren Deutungsalternativen erscheint es nach hier vertretener Auffassung richtig, die Abkehr von der eindeutig unmittelbar anwendbaren Fassung des Entwurfs des Verfassungsausschusses zugunsten der Kompromißformulierung als Verzicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit des durch die Verfassung gewährten Akteneinsichtsrechts zu verstehen, der gleichzeitig mit einem Auftrag an den einfachen Gesetzgeber, ein derartiges Gesetz zu erlassen und damit das Grundrecht des Art. 21 Abs. 4 BbgVerf zu aktivieren, verbunden wird216 • Vergleichbar ist die Struktur des Art. 21 Abs. 4 BbgVerf damit nach hier vertretener Auffassung mit dem durch die Inhalts- und Schrankenbestimmungen normgeprägten Schutzbereich des Art. 14 GG. Hinsichtlich des mangelnden unmittelbaren Anwendungsbereichs des Art. 21 Abs. 4 BbgVerf sei deshalb im folgenden nur noch auf das konkretisierende, mittlerweile in Kraft getretene Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Brandenburgs (AIG) eingegangen, das ebenfalls ein umfassendes voraussetzungsloses Jedermann-Akteneinsichtsrecht garantiert 217 • Gemäß § 1 AIG hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes das Recht auf Akteneinsicht, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen nach den §§ 4 und 5 entgegenstehen oder andere Rechtsvorschriften bereichsspezifische Regelungen für einen unbeschränkten Personenkreis enthalten. Nach Abs. 2 besteht das Akteneinsichtsrecht gegenüber den verschiedensten Behörden. Mit Blick auf die hier untersuchten Anwendungsbereiche der verschiedenen umweltbezogenen Informationszugangsrechte 218 ist damit bereits das Entscheidende Vgl. dazu: Rüthers, Rn823ff. mwN. Ebenso: Breidenbach/Kneifel-Haverkamp, in: Simon/Franke/Sachs, § 21 Rn 25, insbesondere Fn 57. 2 17 Gesetz vom 10.3.1998, GVBI.I, S.46ff. 218 Ausführlicher zu den allgemeinen, nicht auf Umweltinformationen beschränkten Akteneinsichtsrechten siehe unten, Teil3, C. 21s
21 6
A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
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gesagt, ohne daß hier auf weitere Einzelheiten des AIG219 eingegangen werden müßte: "Bereichsspezifische Regelungen für einen unbeschränkten Personenkreis" gehen dem AIG vor, in bezug auf Umweltinformationen findet das AIG neben dem UIG also keine Anwendung 220• Art. 39 Abs. 7 S. 2 BbgVerf geht§ 1 AIG wegen seines höheren Rangs und seiner Bereichsspezifität vor. Die bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen sind in Brandenburg also vor allem aufgrunddes UIG von jedermann abrufbar, daneben auch aufgrund Art. 39 Abs. 7 S. 2 BbgVerf, der aber keine engeren Voraussetzungen für den Anspruch auf Umweltinformationen bestimmen darf. Für die Erlangung der bei der Judikative und der Legislative vorhandenen Umweltinformationen können Informationszugangsrechte darüber hinausgehend auf Art. 39 Abs. 7 S. 2 BbgVerf gestützt werden. Auf die bei den Behörden vorhandenen Akten gerichtete Einsichtsanträge, die keine Umweltinformationen enthalten, können gegebenenfalls nach den unten in Teil 3 näher zu betrachtenden Regeln des AIG Erfolg haben.
2. Berlin In Berlin ist am 30.10.1999 das Gesetz zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin (BlniFG) in Kraft getreten 221 • Zweck dieses Gesetzes ist es, durch ein umfassendes Informationsrecht das in Akten festgehaltene Wissen und Handeln öffentlicher Stellen unter Wahrung des Schutzes personenbezogener Daten unmittelbar der Allgemeinheit zugänglich zu machen, um über die bestehenden Informationsmöglichkeiten hinaus die demokratische Meinungs- und Willensbildung zu fördern und eine Kontrolle des staatlichen Handeins zu ermöglichen(§ l BlniFG). Gemäß § 3 Abs. l S. l BlniFG hat jeder Mensch nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 genannten öffentlichen Stellen nach seiner Wahl ein Recht auf Einsicht in oder Auskunft über den Inhalt der von der öffentlichen Stelle geführten Akten. Öffentliche Stellen im Sinne des § 2 Abs. 1 BlniFG sind nahezu alle Einrichtungen der Berliner Verwaltung. Ähnlich dem AIG in Brandenburg gewährleistet also auch das Berliner IFG ein Jedermann-Zugangsrecht zu den meisten der bei den Behörden vorhandenen Informationen ohne den Nachweis eines Interesses. Eine umweltinformationsrechtliche Bedeutung besitzt dabei auch das Berliner IFG im Hinblick auf seinen § 2 Abs. 2, nach dem sich der Zugang zu Informationen über die Umwelt allein nach dem UIG in der jeweils geltenden Fassung bestimmt, nicht. Es besitzt neben dem UIG keinen umweltinformationsrechtlichen Anwendungsbereich. Auf seinen übrigen Anwendungsbereich wird hingegen unten in Teil3 zurückzukommen sein 222 • 219 Vgl. dazu die Darstellungen von Breidenbach!Palenda, LKV 1998, 252ff. und Partsch, NJ 198, 346ff. mwN sowie von Winterhager, passim. 220 Ebenso: Breidenbach!Palenda, LKV 1998, 252, 253. 221 Gemäß § 23 dieses Gesetzes zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin (Berliner Informationsfreiheitsgesetz- IFG) vom 15.10.99 (GVBI. 1999, 561). 222 Vgl. unten, Teil3, C.
II*
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
3. Schleswig-Holstein Ebenfalls ist in Schleswig-Holstein unlängst das Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Schleswig-Holstein (IFG-S.-H.) in Kraft getreten 223 • Auch dieses garantiert gemäß seinem § 4 jeder natürlichen und juristischen Person des Privatrechts einen Anspruch auf Zugang zu den bei einer Behörde vorhandenen Informationen. Der Anspruch besteht nicht gegen den Landtag im Rahmen seiner Gesetzgebungstätigkeit, die Gerichte in Ausübung von Tätigkeiten mit richterlicher Unabhängigkeit und den Landesrechnungshof (§ 3 Abs. 3 IFG-S.-H.). Nach§ 5 Abs. 1 IFG-S.-H. besitzt der Antragsteller ein Wahlrecht zwischen der Erteilung von Auskunft und der unmittelbaren Einsicht des Informationsträgers, der die Informationen enthält, oder seiner Kopie. Zunehmend interessant und möglicherweise strukturverändernd könnte die Regelung des § 5 Abs. 6 IFG-S.-H. werden, nach der die Behörde auf eine Veröffentlichung insbesondere im Internet verweisen kann, wenn sie dem Antragsteller die Fundstelle angibt. Weniger deutlich als in Brandenburg und Berlin ist hingegen sein Verhältnis zu anderen Informationszugangsrechten geregelt. § 17 IFG-S.-H. bestimmt, daß Rechtsvorschriften, die einen weitergehenden Zugang zu Informationen ermöglichen oder ihre Grundlage in besonderen Rechtsverhältnissen haben, unberührt bleiben. Hinsichtlich der Vorschriften, die "ihre Grundlage in besonderen Rechtsverhältnissen haben", läßt sich lediglich raten, welche gemeint sein könnten. Die Gesetzesmaterialien treffen darüber keine Aussage. Im übrigen läßt sich die Vorschrift des § 17 IFG-S.-H. aber dahingehend verstehen, daß sie allgemein allen Bürgern ein Minimum an zu gewährleistender Informationsfreiheit sichern will 224 • Anstelle einer gegenüber dem UIG nachrangigen Anwendung, wie sie die Informationsfreiheitsgesetze Berlins und Brandenburgs vorsehen, bezweckt § 17 IFG-S.-H. ähnlich wie § 4 Abs. 3 UIG eine parallele Anwendbarkeit seiner Vorschriften, die in jedem Anwendungsfall ein informationsrechtliches Minimum gewährleistet, gleichzeitig weitergehende Vorschriften aber nicht verhindert. Trotz dieser Funktion der Sicherung des informationsrechtlichen Minimums ist freilich nicht ausgeschlossen, daß das Informationsfreiheitsgesetz auch einen umweltrechtlichen Anwendungsbereich besitzen kann, der weiter reicht als der des UIG. Hinsichtlich des bereits erläuterten Tatbestands des Informationsrechts des IFG-S.-H. scheint in bezugauf Umweltinformationen eine weitgehende Deckungsgleichheit mit dem UIG zu bestehen. Beide Informationsansprüche sind voraussetzungslos, nur gegen die Behörden gerichtet und eröffnen ein Wahlrecht zwischen Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht Soweit die Ausnahmetatbestände betroffen sind, läßt sich aber auch ein partiell weitergehender Anwendungsbereich des InIFG-S.-H. vom 9.2.2000, GVBI. S. 166; in Kraft seit dem 25.2.2000 (§ 18 IFG-S.-H). So auch explizit die Begründung zum Entwurf eines § 17 IFG-S.-H., der indes die "Vorschriften mit Grundlage in besonderen Rechtsverhälltnissen" noch nicht erwähnte - LT-Drs. 14/2374, S. 19. 223
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A. Vergleich deutscher Informationsansprüche
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formationsfreiheitsgesetzes nachweisen. Ähnlich wie soeben hinsichtlich der §§ 116f. S.-H. WG dargelegt, kennt nämlich auch das Informationsfreiheitsgesetz keinen § 7 Abs. 4 UIG vergleichbaren Ausnahmetatbestand hinsichtlich der Informationen, die Dritte den Behörden ohne rechtliche Verpflichtung übermittelt haben. Anders als nach§§ 116f. S.-H. WG ist für die Zulässigkeil der Offenbarung solcher Informationen- soweit sie nicht gleichzeitig nach§§ 11 f. IFG-S.-H. schützenswerte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder personenbezogene Daten darstellen- nach dem Informationsfreiheitsgesetz aber noch nicht einmal erforderlich, daß die Behörden diese Daten aufgrund einer bereits bestehenden speziellen gesetzlichen Grundlage ermitteln dürften. Dahingehende Umweltinformationsanträge sollte der Informationsbegehrende in Schleswig-Holstein also auf das Informationsfreiheitsgesetz stützen. Im übrigen kennt auch das Informationsfreiheitsgesetz in §§ 9-12 umfassende Ausnahmetatbestände zum Schutz privater und öffentlicher Interessen 225 • Nur im Bereich der von Dritten ohne rechtliche Verpflichtung an die Behörden übermittelten Daten ist damit der Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes im Bereich des Umweltschutzrechts prinzipiell weiter als der des UIG. Auf das Verhältnis des Informationsfreiheitsgesetzes zu anderen Informationszugangsrechten außerhalb des Umweltrechts sei unten in Teil3 eingegangen 226 •
VIII. Ergebnis des Vergleichs der untersuchten Informationsansprüche Die umfassende Betrachtung des Verhältnisses des Anwendungsbereichs des UIG zu zahlreichen anderen Vorschriften des deutschen Informations- und Umweltrechts führt zur Bestätigung der oben angestellten Vermutung: Der Umweltinformationsanspruch des UIG wird sich in der Praxis gegenüber nahezu allen anderen konkurrierenden Informationsansprüchen durchsetzen, soweit Umweltinformationen betroffen sind. Der Grund hierfür liegt vor allem in seinen geringen Anspruchsvoraussetzungen, nach denen jedermann ohne den Nachweis eines etwaigen Interesses allein durch die Stellung eines Antrags Zugang zu allen bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen im weitesten Sinn erhält. Des weiteren eröffnet dieser Anspruch ein Wahlrecht zwischen Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht Außerdem besteht er nicht nur während eines sonstigen laufenden Verfahrens, er stellt vielmehr ein zeitlich unbegrenztes, materielles subjektiv-öffentliches Recht dar, für das die Beschränkungen der §§44a VwGO, 46 VwVfG nicht gelten. Der Umweltinformationsanspruch unterliegt zwar der großen Anzahl von 18 Ausnahmetatbeständen und einer grundsätzlichen Kostenpflichtigkeit, wegen des europarechtlich vorgegebenen normativen Sinns des Umweltinformationszugangsrechts, einen möglichst 225 226
Vgl. dazu im übrigen die Erläuterungen von Bäum/er, NJW 2000, 1982, 1986. Vgl. unten, Teil3, C.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
weiten Anspruch zum Zweck des Umweltschutzes zu garantieren, gehen im Ergebnis aber auch insoweit andere Informationsansprüche nur in kleineren Fallgruppen weiter. Ausprägungen dieses Sinns stellen die Gewährung eines zumindest partiellen Informationszugangs auch im Bereich der Ausnahmetatbestände dar, deren prinzipiell "enge" Auslegung und die Kostenfreiheit (partiell) erfolgloser Anträge. Gegenüber diesem Umweltinformationsanspruch nach dem UIG bleiben in ihrer Gesamtheit alle anderen angesprochenen Informationsansprüche im Bereich des Umweltrechts zurück. Zu betonen sind aber nochmals die Fallgruppen, in denen ihr Anwendungsbereich über den des UIG hinausgeht. Diese können vor allem in praktischen Situationen Bedeutung erlangen, in denen es dem Antragsteller auf die sonstigen Vorteile des UIG nicht ankommt, weil es ihm beispielsweise gleich ist, ob er Auskunft oder Akteneinsicht erhält, oder weil er selbst als Naturschutzverein anerkannt ist. Vor allem ist wegen § 4 Abs. 3 UIG aber keinesfalls ausgeschlossen, daß derjenige, der die Erlangung von Umweltinformationen anstrebt, den überwiegenden Anteil dieser Informationen nach dem UIG verlangt, einen Anspruch auf den Rest der begehrten Informationen aber auf die sogleich nochmals grob skizzierten Vorschriften stützt. Auf der Seite des Tatbestands läßt sich ein weiterreichendes Umweltinformationszugangsrecht vor allem in den Verfassungen der fünf neuen Länder mit Ausnahme Mecklenburg-Vorpommerns nachweisen. Die Verfassungen Brandenburgs (Art. 39 Abs. 7 S. 2), Sachsens (Art. 34), Sachsen-Anhalts (Art. 6 Abs. 2) und Thüringens (Art. 33) garantieren nämlich jedermann ein Zugangsrecht auch zu den bei der Legislative und der Judikative vorhandenen Umweltinformationen ihrer Länder. Ähnlich weicht auch § 29 BNatSchG zugunsten der anerkannten Naturschutzverbände von der Begrenzung des Anspruchs auf die bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen ab, soweit Schutzgebiete (nach dem jeweils maßgeblichen) Landesrecht durch Rechtsverordnungen oder formelle Gesetze ausgewiesen werden. Insoweit besteht das Mitwirkungs- und Akteneinsichtsrecht der anerkannten Naturschutzverbände zum Teil auch in Bereichen, die funktional der Gesetzgebung zuzuordnen sind. Im Bereich der Ausnahmetatbestände ist augenfallig, daß eine Reihe anderer Informationsansprüche im Fall der von privaten Dritten ohne rechtliche Verpflichtung übermittelten Umweltdaten weniger weitreichende Ausnahmen kennen: §§ 116f. S.-H., §§ 119f. M.-V. WG und§ 67 BbgNatSchG lassen die Offenbarung solcher wasserwirtschaftlicher beziehungsweise naturschutzbezogener Daten prinzipiell zu, wenn die jeweilige Behörde die von Dritten übermittelten Daten zukünftig noch aufgrundeiner bestehenden Grundlage ermitteln dürfte. In Schleswig-Holstein unterliegen solche von Dritten freiwillig übermittelten Daten unter dem Regime des neuen Informationsfreiheitsgesetzes überhaupt keinem speziellen Schutztatbestand mehr. Ebenso wird auch nach § 29 VwVfG und den vergleichbaren landesrechtliehen Vorschriften der Akteneinsichtsanspruch des rechtlich in seinen Interessen betroffenen, formal an einem Verwaltungsverfahren Beteiligten nicht durch die Frei-
B. Sinn der Informationsansprüche
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willigkeitder Übermittlung der in den Verfahrensakten vorhandenen Informationen begrenzt. Hinsichtlich aller in diesem Absatz genannten Vorschriften ist indes anzumerken, daß allein mit der Abwesenheit eines solchen speziellen Schutztatbestands noch keine abschließende Entscheidung zugunsten der Offenbarung der von Dritten freiwillig übermittelten Umweltinformationen getroffen ist. Selbstverständlich enthalten auch diese Vorschriften Schutzklauseln zum Schutz von personenbezogenen Daten, von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und dem Schutz des Staates, denen die freiwillig von Dritten übermittelten Daten unterfallen können. Abgesehen vom Bereich der freiwillig von Dritten übermittelten Umweltinformationen ließen sich nur einzelne Fallgruppen nachweisen, in denen andere Informationszugangsrechte auf der Rechtsfolgenseite weiter reichen als das UIG. Einerseits ließ sich zeigen, daß das VwVfG in der Variante des§ 29 Abs. 2, 2. Variante die Behörde zu einer Ermessensentscheidung über die Akteneinsicht ermächtigt, das UIG hingegen in den vergleichbaren Regelungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1, 1., 2. und 4. Variante UIG eine zwingend ablehnende Entscheidung der Behörde vorsieht. Andererseits konnten Konstellationen konstruiert werden, in denen der vom umweltschützenden UIG abweichende, rechtsschutzorientierte Zweck des§ 29 VwVfG im Rahmen von Abwägungsentscheidungen zu einem Anspruch auf Akteneinsicht allein nach dem VwVfG führt. Das Gleiche gilt freilich für die§ 29 VwVfG vergleichbaren Vorschriften der Länder. Darüber hinausgehend soll hier nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, daß nicht auch im Rahmen anderer Informationszugangsrechte die Konstruktion ähnlicher Einzelfalle möglich sein könnte. Insgesamt ist damit der über das UIG im Bereich von Umweltinformationen hinausgehende Anwendungsbereich dieser Vorschriften eher gering. Wegen der Möglichkeit, die in diesen Vorschriften gewährten Rechte parallel geltend machen zu können, kommt ihnen aber gleichwohl eine gewisse praktische Bedeutung zu.
B. Die Entstehungsgeschichte und der Sinn der Informationsansprüche des deutschen Rechts I. Die historische Entwicklung vor lnkrafttreten des Grundgesetzes Obwohl in Schweden schon im Jahre 1766 ein allgemeines Akteneinsichtsrecht zur Kontrolle der Verwaltung durch die Bürger eingeführt wurde 227 und auch die deutsche Aufklärung noch im 18. Jahrhundert ähnliche Publizitätsforderungen erhob228, findet sich im reaktionären Deutschland des 19. Jahrhunderts Behördenöf221 Zu dieser Tryckfrihetsförordningen, die zuerst 1766 in Kraft trat, vgl. ausführlich unten, C. III. I. b) Stichwort: "Schweden". 228 Vgl. insbesondere den in der Einleitung gewählten Ausspruch von Kant,lmmanuel aus: Zum ewigen Frieden, Anhang II, z. B. in: Reclam-Reihe Nr.l501, Stuttgart 1984. S. 50: "Alle
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fentlich.keit überwiegend zum Zweck interner Kontrolle der Loyalität der Beamten zu ihrer Regierung. Noch 1804 erläßt König Friedrich Wi1helm III. von Preußen eine aus heutiger Sicht mindestens ein Lächeln herausfordernde königlich-preußische Kabinettsorder: "Wollte man eine gewisse und schickliche Art von Öffentlichkeit ganz verweigern, so würde kein Mittel übrig bleiben, die Nachlässigkeit oder Treuelosigkeit öffentlich angestellter Staatsdiener zu entdecken. (.. .)" 229 Die Folgeentwicklung ist vom Mangel eines Bürgertums mit starker sozialer und politischer Bedeutung geprägt, der anders als in Frankreich zum Scheitern der Revolution in Deutschland führt. Als Ersatz für substantielle Veränderungen und als politische Beschwichtigung potentieller zukünftiger Gegner führen die Bürokratien, die vordem gerade in Preußen den ursprünglich fortschrittlichen, aufgeklärten Absolutismus geprägt haben, Reformen "von oben" durch. Dabei bleibt das traditionelle Staatssystem und seine Bürokratie erhalten230, das Maß an gewährleisteter Öffentlichkeit wird nicht erweitert. Während der Periode des gegenrevolutionären Widerstands und später in der totalitären Zeit wird (nicht nur in Deutschland) nahezu vollständig zum autoritären Prinzip des Amtsgeheimnisses und der Geheimregierung zurückgekehrt231. Den Zusammenhang zwischen der mächtigen traditionellen Bürokratie und dem ihr immanenten Prinzip der Geheimhaltung verdeutlicht Weber in seiner Analyse bürokratischer Herrschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Aufgrund ihres spezialisierten Wissens sei die Bürokratie ein starker Machtfaktor, der häufig Wünsche und Vorgaben anderer staatlicher Institutionen zu ignorieren vermag. Sobald die Bürokratie ihr überlegenes Wissen als Machtbasis erkenne, werde sie wie jede andere Organisation versuchen, ihre Macht durch das Mittel der Geheimhaltung ihrer Kenntnisse und Absichten zu wahren und zu mehren 232 • Nach letztlich unbestrittener Auffassung läßt sich die in Deutschland am Prinzip der Geheimhaltung orientierende Verwaltungspraxis bis zum lokrafttreten des Grundgesetzes demnach auf die spezifischen historischen Vorfindlich.keiten zurückführen.
auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind Unrecht". 229 Zitiert nach Schwan, vorS. 1. 230 Vgl. zu diesen selbstverständlich komplexeren Entwicklungen, die hier nur überblicksartig angedeutet werden können, z. B. Burmeister, in: Winter, S. 88 ff. mwN. Speziell zur Informationsrechtslage in Deutschland vgl. auch ausführlich: Schwan, S. IXff. 231 V gl. hierzu insbesondere Schwan, S. IXff. 232 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Autl., Tübingen 1980 (Erstauflage 1922), S. 572. Ihm folgend: Gurlit, S. 31 f. mwN.
B. Sinn der Informationsansprüche
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II. Beschränkte Aktenöffentlichkeit nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und die Entstehung der Verwaltungsverfahrensgesetze Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes stellt sich die Frage des Umfangs des (bereits durch das Grundgesetz selbst vorgegebenen) Maßes an zu gewährleistender Öffentlichkeit neu. Die Kommunikationsfreiheiten, die Rechtsschutzgarantien und die Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes müssen im Hinblick auf ihren möglicherweise Publizität garantierenden Inhalt interpretiert werden. Das Ergebnis dieser insoweit oben lediglich überblicksartig durchgeführten, weil mittlerweile nahezu unbestrittenen Betrachtung des Grundgesetzes läßt sich wie folgt wiederholen: Die Vorschriften des Grundgesetzes gewährleisten nur in den seltenen Ausnahmefällen ein subjektiv-öffentliches Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, in denen die subjektiv-rechtsstaatliehen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG ausnahmsweise der Behörde keinen Spielraum für eine Ermessensentscheidung über die Gewährung der Einsicht in die Akten lassen 233 • Betont sei hier nochmals, daß diese in einzelnen Gerichtsentscheidungen anerkannten Ausnahmen auf einer Verbindung subjektiver Interessen mit dem Rechtsstaats-, nicht aber mit dem Demokratieprinzip beruhen. Die ebenfalls bereits oben ausgesprochene Konsequenz dieser herrschenden Verfassungsinterpretation ist, daß der Bürger auch im Geltungsbereich des Grundgesetzes ganz regelmäßig keinen Anspruch auf Akteneinsicht besitzt, soweit ihm nicht einfach-gesetzliche Vorschriften, die ihrerseits in Einklang mit höherrangigem Verfassungsrecht stehen, einen solchen Anspruch ausdrücklich oder konkludent zugestehen. Im übrigen besitzt der Bürger unter der Voraussetzung des Nachweises eines berechtigten Interesses lediglich einen Anspruch gegen die Behörden auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht Praktisch bestehen einfach-gesetzliche Vorschriften, die dem Bürger ein subjektives Akteneinsichtsrecht vermitteln, in der Nachkriegszeit zunächst nur selten234 • Erst mit dem parallelen Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der damaligen Länder am 1.1.1977 werden Akteneinsichtsrechte des Bürgers zum Zweck der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes geschaffen, die nahezu alle Subordinationsverhältnisse zwischen der Verwaltung und dem Bürger betreffen. Da diese Rechte indes an strenge, oben ausführlich betrachtete Voraussetzungen gebunden sind, stellen sie keine Abkehr vom bisher in Deutschland geltenden Prinzip einer weitgehend beschränkten Aktenöffentlichkeit dar. Durch die Knüpfung des Akteneinsichtsrechts an die genannten Voraussetzungen versuchen Vgl. dazu und zum nachfolgenden ausführlicher oben, A. II. 3. Bezeichnend ist das Akteneinsichtsrecht des einen ersichtlich engen Anwendungsbereich besitzenden § 35 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung; vgl. außerdem die Akteneinsichtsrechte in den damaligen Vorschriften der§ 90 BBG, §34FGG, §56 BRRGund § 193 BEG. 233
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
die Gesetzgeber, ein ausgewogenes Mittelmaß zwischen der rechtsstaatspolitisch bedenklichen Geheimhaltung der Akten und der damals als offensichtlich inakzeptabel erkannten unumschränkten Aktenöffentlichkeit festzuschreiben 235 .
111. Die Entstehung und der Sinn informationsrechtlicher Vorschriften im Planungsrecht Etwa zur gleichen Zeit schafft der Bundesgesetzgeber in größerem Umfang informationsrechtliche Vorschriften im Bereich des Planungsrechts. In den Jahren 1974-1976 entstehen dem Grunde nach die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung im bundesimmissionsschutzrechtlichen236 und im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren237, desgleichen freilich auch im allgemeinen Planfeststellungsverfahren der§§ 72ff. VwVfG. Die Einsichtsrechte der Bürger in Bauleitplanungsverfahren sind hingegen schon Bestandteil der Erstfassung des Bundesbaugesetzes vom 20.5.1960 238. Demgegenüber werden das UVPG und das GenTG erst 1990 erlassen. Zur Bestimmung des jeweiligen normativen Sinns der verschiedenen planungsrechtlichen Informationsregelungen ist in zweierlei Hinsicht zu differenzieren: Zum einen sind die Einsichtsrechte im Rahmen der allgemeinen Öffentlichkeitsbeteiligung vom inhaltlich weitergehenden und nur den formal am Verfahren Beteiligten zustehenden Akteneinsichtsanspruch zu unterscheiden. Zum anderen ist zu beachten, daß sich der Zweck der Einsichtsrechte als ein Element unter vielen im Rahmen der allgemeinen Öffentlichkeitsbeteiligung nicht für alle Planungen gemeinsam bestimmen läßt, sondern vom Umfang, der Art und nicht zuletzt den speziellen gesetzlichen Regeln der jeweiligen Planung abhängt. Als unproblematisch erweist sich dabei zunächst die Bestimmung des normativen Sinns der nicht durch eine behördliche Ermessensentscheidung eingeschränkten 235 Vgl. BT-Drs. 7/910, S. 52 zum damaligen§ 25 des Gesetzentwurfs eines VwVfG des Bundes. 236 § 10 BlmSchG ist im wesentlichen bereits Bestandteil der ursprünglichen Fassung des BlmSchG vom 15.3.1974 (BGBI.I, S. 721, 724f.); eine Konkretisierung insbesondere des Akteneinsichtsrechts gewährleistet hingegen erst die 9. BlmSchVO vom 18.2.1977 (BGBI. I, S. 274), die ihrerseits teilweise auf das zwischenzeitlich in Kraft getretene VwVfG verweist. 237 Der heutige § 7 Abs. 4 S. 3 des Atomgesetzes besteht (zunächst als Abs. 3 S. 3) seit der Änderung des AtomG vom 15.7.1975 (BGBI.I S. 1885, 1887); die die Einzelheiten regelnde AtVfVO stammt hingegen erst vom 18.2.1977 (BGBI. I, S. 280). 238 § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB vergleichbare Normierungen sind als frühzeitige Bürgerbeteiligung weitestgehend schon in § 2 a BBauG enthalten, der zum einen seinerseits § 2 Abs. 6 der Erstfassung des BBauG vom 20.5.1960 (BGBI.I, S. 341) übernimmt und zum anderen durch das Gesetz zur Änderung des BBauG v. 18.8.76 (BGBI.I, 2221 , 2223, 2227 (2256/3617)) um die sogenannte vorgezogene Bürgerbeteiligung ergänzt wird. § 6 Abs. 5 S. 3 und§ 10 Abs. 3 S. 2 BauGB sind ebenfalls - nach zwischenzeitlicher Verschiebung der inhaltlichen Regelung des § 10 Abs. 3 S. 2 BauGB in § 12 BBauG - bereits vollständig in § 2 Abs. 8 BBauG der Erstfassung des BBauG enthalten.
B. Sinn der Informationsansprüche
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Ansprüche der Bürger auf Akteneinsicht in planungsrechtlichen Verfahren. Soweit dem engen Kreis derjenigen, deren rechtliche Interessen durch ein Vorhaben betroffen werden und die Beteiligte des Verfahrens sind, ein solcher Akteneinsichtsanspruch zusteht, läßt sich dieser ausschließlich dem Zweck der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes zuordnen. Insoweit handelt es sich der Sache nach gerade um den Anspruch des § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Problematischer ist hingegen die Bestimmung des informationsrechtlichen Sinns der Einsichtsrechte im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung, der aufgrund der dort besonders ausdifferenzierten Entwicklung zunächst am Beispiel des Atomrechts bestimmt werden soll. Im Jahr 1972 betonte das Bundesverwaltungsgericht allgemein, daß die in Verfahrensvorschriften vorgesehene Verfahrensbeteiligung Dritter regelmäßig nichts weiter wäre als ein der Verwaltung vorgeschriebenes Mittel, sich möglichst umfassend über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu unterrichten239 • Daraufhin begannen einige oberste Verwaltungsgerichte diesen Gedanken auch auf die Öffentlichkeitsbeteiligung im allgemeinen und damit auch auf die Einsichtsrechte der Bürger in die öffentlich auszulegenden Antragsunterlagen des Vorhabenträgers im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren zu übertragen 240• Dieser Auffassung trat indes das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf die wachsende Kritik an dieser Rechtsprechung in der Literatur in seinem Mülheim-Kärlich-Beschluß entgegen 241 • Seitdem kann es als wohl ganz herrschende Meinung angesehen werden, daß die Öffentlichkeitsbeteiligung im allgemeinen zugunsten klagebefugter Dritter zumindest auch die Funktion des vorverlagerten Rechtsschutzes erfüllt242 • Der Sache nach läßt sich diese Funktion einerseits als Kompensation für die materielle Präklusion der von den Klagebefugten nicht rechtzeitig geltend gemachten Rechte gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 AtVfVO verstehen. Andererseits erklärt sie sich aus dem Umstand, daß hinsichtlich der einschneidenden Folgen der zu beurteilenden Fragen eine Beschleunigung der endgültigen Entscheidung im allseitigen Interesse liegt und diese unter Wahrung der rechtlichen Interessen der von den Auswirkungen des Vorhabens Betroffenen nur durch Rechtsschutz bereits zu einem Zeitpunkt gewährleistet werden kann, in dem noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen wurden 243 • Die nur noch vereinzelt vertretene Gegenauffassung, daß die Öffentlichkeitsbeteiligung allgemein nicht dem vorverlagerten Rechtsschutz diene 244 , bestreitet aus ihrer Sicht folgerichtig auch die materiell präkludierende Wirkung des § 7 Abs. 1 S. 2 AtVfVO. BVerwGE 41, 58, 63 ff., 65. OVG R.-P. GewArch 1977, 133, 135f.; BayVGH GewArch 1975,61,63. 241 BVerfGE 53, 30, 62ff. mit Nachweisen weiterer Rechtsprechung und der angesprochenen Literatur (S. 63 f.). 242 BVerfGE 53, 30, 62ff., 65 f.; weitere Nachweise finden sich insbesondere bei Erbguth, S. 247f. 243 BVerfGE 61, 82, 113ff. "Sasbach" zum damaligen, gleichlautenden §3 Abs. l AtAnlVO. 244 So nach dem Mülheim-Kärlich-Beschluß insbesondere noch: Erbguth, S. 253 ff., 261 ff. 239
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
Im Sinne der vom Bundesgesetzgeber zunehmend beabsichtigten Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und der auch praktischen Gefahr vollendeter Tatsachen bei der Genehmigung von Großvorhaben, die durch die mit wachsender Komplexität der Sachfragen zunehmende und gemäß § 7 Abs. 4 S. 3 AtomG zulässige Aufspaltung des gesamten Genehmigungsverfahrens in Teilabschnitte hervorgerufen wird 245 , verdient aber die herrschende Auffassung den Vorzug. Damit ist die alte Doktrin von der ausschließlichen Informationsfunktion der Öffentlichkeitsbeteiligung als ein reines, das Verfahren selbst effektivierendes Mittel zur besseren Information der Behörde als überwunden anzusehen. Vielmehr kann die Öffentlichkeitsbeteiligung im allgemeinen nicht nur dieser klassischen Informationsfunktion dienen, sondern auch dem vorverlagerten Rechtsschutz des Bürgers, der informationsrechtlich anders zu bewertenden besseren Information des Bürgers und sonstigen lnteressenvertretungs-, Befriedungs-, Legitimations-, Kontroll- und Förderungsfunktionen 246 • Bezogen sich die bisherigen Ausführungen auf die Öffentlichkeitsbeteiligung im allgemeinen als eine Bündelung verschiedener Teilaspekte, so wird mit der prinzipiellen Anerkennung ihrer verschiedenen Funktionen die Zuordnung der jeweils mit bestimmten Teilen der Öffentlichkeitsbeteiligung bezweckten Funktionen erforderlich; damit sei zur Bestimmung des normativen Sinns der Einsichtsrechte des Bürgers in die öffentlich auszulegenden Antragsunterlagen des Vorhabenträgers gemäß § 6 Abs. 1 AtomVfVO zurückgekehrt. Die seit dem Mülheim-Kärlich-Beschluß der Öffentlichkeitsbeteiligung im allgemeinen zugeschriebene Funktion der Gewährleistung vorverlagerten Rechtsschutzes läßt sich auch konkret am vorgenannten Einsichtsrecht nachweisen: Besonders deutlich gelingt dies anhand des gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 AtomVfVO ebenfalls auszulegenden und damit allgemein einsehbaren sogenannten Sicherheitsberichts. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 AtomVfVO soll dieser im Hinblick auf die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz die für die Entscheidung über den Antrag erheblichen Auswirkungen des Vorhabens darlegen und Dritten insbesondere die Beurteilung ermöglichen, ob sie durch die mit der Anlage und ihrem Betrieb verbundenen Auswirkungen in ihren Rechten verletzt sein können. Auch die Bundesregierung geht in ihrer (nach dem Mülheim-Kärlich-Beschluß aktualisierten) Begründung der atomrechtlichen Verfahrensverordnung davon aus, daß Maßstab (für die inhaltlichen Anforderungen) und Ziel des Sicherheitsberichts sei, daß durch die Angaben erkennbar werde, ob Dritte in ihren Rechten 245 Auf diesen praktischen Umstand weist auch schon hin das BVerfGE 61, 82, 115 "Sasbach". 246 V gl. zu diesen letztgenannten sonstigen Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung im allgemeinen ausführlichst: Hett, S. 79ff. und überblicksartig auch: Erbguth, S. 249, beide mwN. Entgegen Hett, S. 81 ff. sei hier indes der Begriff der Informationsfunktion klassisch verstanden und nur auf den Informationszuwachs bei den Behörden bezogen (wie hier z. B. explizit auch: Gaentzsch, in: Schlichter/Stich, § 3 Rn 3 mwN), um die andersartige Intention des Gesetzgebers herausarbeiten zu können, die er mit dem Informationszuwachs auf Seiten des Bürgers bezweckt.
B. Sinn der Informationsansprüche
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verletzt werden könnten 247 • Für die Einsichtsrechte des Bürgers in die Planunterlagen im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 6 Abs. 1 AtomVfVO läßt sich demnach festhalten, daß sie überwiegend der Wahrung der rechtlichen Interessen der von dem Vorhaben Betroffenen dienen. Nicht ausgeschlossen ist damit indes, daߧ 6 Abs. 1 S. 1 AtomVfVO auch dem Wissenszuwachs der Behörden dient, also auch die klassische Informationsfunktion erfüllt. Unmittelbar vermag das Einsichtsrecht des Bürgers freilich allenfalls dem Bürger selbst einen Informationszuwachs zu verschaffen; ähnlich wie oben in Teil 1 bei der UVP-Richtlinie ist insoweit aber auch das Einsichtsrecht des Bürgers im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren in einem Funktionszusammenhang mit nachfolgend erhobenen Einwendungen zu sehen, die als eigentliche, unmittelbare Informationsquelle der Behörde in Betracht kommen 248 • Diese zusammen vorgenommene Bewertung beider Rechtsinstitute entspricht der nachweisbaren Intention des historischen Gesetzgebers der atomrechtlichen Verfahrensverordnung: Um der Behörde ein möglichst umfassendes Bild über die Auswirkungen des bekanntgemachten Vorhabens zu geben, ( ...)soll den Einwendem Gelegenheit gegeben werden, die ihren Einwendungen zugrunde liegenden Überlegungen zu erläutem 249 • In seinem vom historischen Gesetzgeber angeordneten Kontext dient § 6 Abs. 1 AtomVfVO also nicht ausschließlich dem vorverlagerten Rechtsschutz, sondern auch der klassischen lnformationsfunktion. Eine praktische, kritisch zu beantwortende, hier aber nicht näher zu erläuternde Frage ist indes, inwieweit der fachlich und juristisch nicht vertretene Privatmann- abgesehen von einigen privaten Experten- überhaupt dazu in der Lage ist, den Behörden im Rahmen des hochtechnischen atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens, dessen Unterlagen in der Regel das Ergebnis jahrelanger Planungen durch Fachleute darstellen 250, neue Informationen zu vermitteln. Seine teilweise betonte "Standortnähe" erscheint jedenfalls im Hinblick auf die Komplexität der Zusammenhänge von untergeordneter Bedeutung251 • Hinsichtlich weiterer denkbarer Funktionen der einzelnen Elemente der Öffentlichkeitsbeteiligung ist zu untersuchen, ob § 6 Abs. 1 AtomVfVO auch einen Wissenszuwachs beim Bürger intendiert. Zwar erlangt der Bürger Einsicht in ihm regelmäßig bisher unbekannte Sachverhalte, praktisch ist jedoch überaus fraglich, ob er diese hochtechnischen Sachverhalte zu verstehen vermag. Trotz dieses praktischen, auch vom Bundesverfassungsgericht erhobenen 252 Einwands läßt sich jedoch eine eindeutige Intention, auch den Bürger durch§ 6 Abs. 1 AtomVfVO substantiell inBR-Drs.467/81, S. 6f. der Begründung. Vgl. zu diesem Zusammenhang, der verhindert, daß die ausdrückliche angeordnete Intention des historischen Gesetzgebers durch eine übermäßige Isolierung zusammenhängender Dinge untergraben wird, oben, Teil I, A. II. 3. b)aa). 249 BR-Drs. 524/76, S. 8 der Begründung. 250 So auch das BVerfG im Sasbach -Beschluß, BVerfGE 61 , 82, 116ff. 251 Ebenso: Hett, S. 87 ff. mit intensiver Darstellung und Diskussion auch der Gegenauffassung. 252 BVerfGE 61, 82, 116ff. "Sasbach"; kritisch auch: Hett, S. 96f. 247
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
formieren zu wollen, in den Gesetzesmaterialien nachweisen. Nach der Begründung der atomrechtlichen Verfahrensverordnung biete insbesondere die im Rahmen der Planeinsicht einsehbare Kurzbeschreibung dem technisch nicht vorgebildeten Bürger die Möglichkeit, sich einengenauenÜberblick über die geplante Anlage zu verschaffen253. In der nach dem Mülheim-Kärlich-Beschluß aktualisierten Regierungsbegründung der Verordnung wird auch auf den Sicherheitsbericht als wesentliche Informationsquelle für Dritte hingewiesen 254. Dabei stehen die beiden zitierten Passagen der Begründungen - anders als der praktische Einwand des Bundesverfassungsgerichts- nicht in Bezug zur Funktion des vorverlagerten Rechtsschutzes oder der besseren Information der Behörde. Selbst wenntrotzder Jedermann-Berechtigung praktisch nur einige mit den technischen Fragen atomrechtlicher Anlagen vertraute Experten den Sicherheitsbericht usw. zu verstehen vermögen, kommt damit dem § 6 Abs. I AtomVfVO auch die Funktion zu, den Bürger besser zu informieren. Mit dem Nachweis einer derartigen Funktion des § 6 Abs. 1 AtomVfVO ist gleichzeitig gezeigt, daß im Rahmen planungsrechtlicher Einsichtsrechte in Deutschland in den 70er Jahren zum ersten Mal Informationszugangsrechte zugunsten der Bürger bestehen, die nicht ausschließlich der Gewährleistung eines effektiven Schutzes sonstiger materieller subjektiver Rechte dienen oder einer höheren Verfahrenseffizienz. Ohne näher auf die sonstigen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung im allgemeinen in Zusammenhang gebrachten Funktionen eingehen zu müssen, läßt sich damit für das Einsichtsrecht in atomrechtliche Planungsunterlagen festhalten, daß es Elemente der in dieser Zeit intensiv unter dem politischen Slogan "mehr Demokratie wagen" in Deutschland geführten Diskussion um mehr demokratisch-partizipatorische255 Inhalte des Rechts umsetzt. Trotz der offen geführten politischen Debatte findet sich in den Gesetzesmaterialien das Wort "Partizipation" nicht. Das Gleiche gilt im Ergebnis auch für die Einsichtsrechte des bundesimmissionsschutzrechtlichen Verfahrens nach § 10 Abs. 3 S. 1 BimSchG und §§ 3 ff., 8 ff. der 9. BlmSchVO. Auch insoweit lassen sich als Zwecke dieser Einsichtsrechte die Rechtsschutz- und Informationsfunktion festhalten sowie die bessere Information des Bürgers aus demokratisch-partizipatorischen Gründen. Die Rechtsschutzfunktion ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des§ 10 Abs. l S.l der 9. BlmSchVO, nach dem diejenigen Unterlagen auszulegen sind, die Angaben über die Auswirkungen der Anlage auf die Nachbarschaft und die Allgemeinheit enthalten. Bekräftigt wird sowohl sie als auch die Informationsfunktion durch die Gesetzesmaterialien. Danach seien Unterlagen auszulegen, um es Dritten zu ermöglichen zu beurteilen, ob BR-Drs.524/76, S.4. BR-Drs. 467/81, S. 6. 255 Hinsichtlich der Verwendung des Demokratiebegriffs soll an dieser Stelle erneut darauf hingewiesen sein, daß Verfasser ihn sich mit einem derartig undifferenzierten Ir!halt nicht zu eigen machen will: Der Begriff "demokratisch-partizipatorisch" ist hier vielmehr schlicht der spezifischen politischen Debatte entnommen, obwohl Verfasser unten in Teil 3, B.l. I. zeigen wird, daß sich nicht alle in dieser politischen Debatte als "demokratisch" bezeichneten Maßnahmen auf das Demokratieprinzip des Art. 20 GG stützen lassen. 253
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und in welchem Umfang sie von den Auswirkungen einer Anlage betroffen werden können 256; die nachfolgende Erörterung diene hingegen auch dem Zweck, weitere sachliche Grundlagen für die Entscheidung zu gewinnen 257 • Die auf demokratisch-partizipatorischer Motivation beruhende Information des Bürgers ergibt sich als Funktion des bundesimmissionsschutzrechtlichen Einsichtsrechts in die Planunterlagen hingegen aus der allgemeinen amtlichen Begründung der 9. BimSchVO, nach der die Vorschriften über die vom Antragsteller vorzulegende allgemein verständliche Kurzbeschreibung des Vorhabens, die öffentliche Bekanntmachung und die Auslegung von Antrag und Unterlagen eine umfassende Unterrichtung der Öffentlichkeit gewährleisteten 258 • Die demokratisch-partizipatorischen Elemente des bundesimmissionsschutzrechtlichen Einsichtsrechts lassen sich zusätzlich auch anband seines weiten, jedermann berechtigenden Anwendungsbereichs demonstrieren. Sind (anders als nach pessimistischer Einstellung gegenüber den möglichen Gefahren von Atomanlagen) bei einer Vielzahl der in der 4. BimSchVO genannten Anlagen negative Auswirkungen auf das gesamte Bundesgebiet undenkbar und ist damit die mögliche Beeinträchtigung der Rechte weit entfernt wohnender Bürger ausgeschlossen und steht diesen gleichwohl ein Einsichtsrecht in die Antragsunterlagen zu, so kann dieses Recht nicht der Verwirklichung des Schutzes sonstiger materieller Rechte dienen. Vielmehr wird insoweit der alleinige Zweck, die Bürger über wichtige Entscheidungen hinreichend zu informieren, um so möglicherweise auch einen größeren Konsens über die später getroffene Entscheidung zu erzielen, besonders deutlich. Fraglich ist demgegenüber, ob sich auch dem Einsichtsrecht des § 73 Abs. 3 VwVfG in die Antragsunterlagen im allgemeinen Planfeststellungsverfahren eine demokratisch-partizipatorische Funktion zuschreiben läßt. In der gängigen Literatur wird dies wohl überwiegend bejaht 259 , teilweise bleibt insoweit aber unklar, ob die von der Literatur als vom Gesetz gewollt angesehene bessere Information des Bürgers ohne Zusammenhang zur Rechtsschutzfunktion zu sehen ist260• Die Literatur kommt damit im Ergebnis zu Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung des allgemeinen Planfeststellungsverfahrens, die denen der zuvor untersuchten speziellen, hochformalisierten Verfahren gleichen. Mag dieses Ergebnis hinsichtlich der insgesamt ähnlichen Strukturen der in den vorgenannten Verfahren durchzuführenden Öffentlichkeitsbeteiligungen auf den erBR-Drs. 526n6, S. 6 der Begründung. BR-Drs. 526n6, S. 9 der Begründung. 258 BR-Drs. 526n6, S. 2 der Begründung. 259 Besonders deutlich: Allesch/Häußler, in: Obermayer, § 73 Rn 7 mwN, die dies als ,,kommunikative Komponente" des Gedankenaustauschs bezeichnen; ähnlich: Ramsauer, in: K/R, §73Rn2mwN. 260 So sieht beispielsweise Dürr, in: Knack, § 73 Rn 8 mwN ausdrücklich die Information des Bürgers als Wahrung des rechtlichen Gehörs an; ähnlich: Bonk, in: S/B/S § 73 Rn 38 mwN. 256
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
sten Blick naheliegen, so sprechen doch zwei Andersartigkeiten des allgemeinen Planfeststellungsverfahrens gegen diese Annahme gleicher Funktionen. Zum einen ist anders als nach § 6 Abs. 1 AtomVfVO und § 10 Abs. 3 S. 1 BlmSchG im Rahmen des§ 73 Abs. 3 VwVfG nämlich gerade nicht jedermann einsichtsberechtigt Vielmehr ist die Einsichtsberechtigung des§ 73 Abs. 3 VwVfG gerade an die potentielle Betroffenheit des Bürgers von einer Anlage gekoppelt. Zwar ist dieser Kreis potentiell Betroffener, der jedermann im denkbaren räumlichen Einwirkungsbereich eines Vorhabens einschließt, freilich deutlich umfassender als beispielsweise die Gruppe der nach § 29 Abs. 1 VwVfG Akteneinsichtsberechtigten261 , sein Umfang richtet sich jedoch letztlich nach dem Kriterium der möglichen Betroffenheit sonstiger subjektiver Interessen. Zum anderen ist bezeichnend, daß die Ausführungen der amtlichen Begründung des Planfeststellungsverfahrens keinerlei Hinweis auf die Information des Bürgers außer zu Zwecken des Rechtsschutzes beinhaltet. Vielmehr findet sich in dieser Begründung allein die Passage, daß durch die Benachrichtigung von der Auslegung des Plans allen übrigen nichtortsansässigen bekannten Betroffenen die Möglichkeit gegeben werde, Einwendungen zu erheben, und daß damit rechtsstaatliehen Grundsätzen ausreichend Rechnung getragen werde262 • Im Ergebnis mangelt es damit letztlich an jedwedem Anhaltspunkt, § 73 Abs. 3 VwVfG auch eine demokratischpartizipatorische Funktion zuzuschreiben, die Gegenauffassung liefert ihrerseits keinerlei Begründung. Folgerungen aus der allgemeinen politischen Debatte lassen sich am Gesetz nicht festmachen. Selbst wenn die Öffentlichkeitsbeteiligung im allgemeinen Planfeststellungsverfahren im praktischen Einzelfall tatsächlich einen befriedenden Effekt herbeizuführen vermag, der gewöhnlich als eine der Konsequenzen partizipatorischer Inhalte des Rechts gehandelt wird, so ist dieser nicht als normative Funktion des § 73 Abs. 3 VwVfG zu bewerten. Der Grund für diesen nicht-partizipatorischen Charakter des § 73 Abs. 3 VwVfG dürfte sich darauf zurückführen lassen, daß er zwar gemeinsam mit dem übrigen Teil des VwVfG am 25.5.1976 verabschiedet wird, eine Übereinkunft über seinen wesentlichen Inhalt und Wortlaut jedoch bereits vor Beginn der politischen Partizipationsdebatte in der "Münchener Fassung" des VwVfG aus dem Jahre 1965 erzielt wird und er im Anschluß daran nur noch geringfügige Änderungen erfährt 263 • Auch wenn sie wie die atomrechtlichen und bundesimmissionsschutzrechtlichen Einsichtsrechte im Jahre 1976 entstehen, kommt den Einsichtsrechten des Verwaltungsverfahrensgesetzes (§ 29 Abs. 1 S.1 und§ 73 Abs. 3 VwVfG) also keinerlei demokratisch-partizipatorischer Charakter zu. Für die Bestimmung der spezifischen Funktionen der Einsichtsrechte der § 3 Abs.2 S.1, §6 Abs.5 S. 3 und§ 10 Abs. 3 S. 2 BauGB ist zunächst zu differenzieren: Vgl. zum Umfang beider Kreise bereits ausführlich oben, A.III. BT-Drs. 7/910, S. 88. 263 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des § 73 VwVfG vor allem: Allesch!Häußler, in: Obermayer, § 73 Rn 1 mwN. 261 262
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Wahrend das Einsichtsrecht des § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB hinsichtlich seines lediglich "die_Bürger" und nicht jedermann berechtigenden Wortlauts nach wohl ganz herrschender Meinung nur den Gemeindebürgern im weitesten Sinne zusteht und zusätzlich denjenigen, die von der.Bauleitplanung betroffen sind oder ein sonstiges Interesse an der frühzeitigen Beteiligung besitzen, der sogenannten gemeindlichen Öffentlichkeit264 , stellen die§ 6 Abs. 5 S. 3 und§ 10 Abs. 3 S. 2 BauGB echte Jedermann-Rechte ohne jedwede personelle Beschränkung dar265 • Für§ 6 Abs. 5 S. 3 und § 10 Abs. 3 S. 2 BauGB ist darüber hinaus charakteristisch, daß sie zeitlich nicht an die Planung gebunden sind, sondern von ihnen nach der Bekanntmachung der Pläne dauerhaft Gebrauch gemacht werden kann. § 6 Abs. 5 S. 3 und § 10 Abs. 3 S. 2 BauGB unterscheiden sich damit deutlich von den anderen, in planungsrechtlichen Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung enthaltenen Einsichtsrechten. Ihr Hintergrund läßt sich anhand ihrer speziellen Einsichtsobjekte erklären, besonders deutlich im Hinblick auf den gemäߧ 10 Abs. 3 S. 2 BauGB zu jeder behördlichen Geschäftszeit von jedermann einsehbaren Bebauungsplan. Bestimmt nämlich § 10 Abs. 1 BauGB als Rechtsnatur des Bebauungsplans die Form der Satzung und damit einer abstrakt-generellen Rechtsregelung, so ist damit als charakteristische Wirksamkeitsvoraussetzung aller Rechtsnormen vom Normgeber die hinreichende Verkündung der Bebauungspläne sicherzustellen. Da eine gängige Verkündung auch der Bebauungspläne aber im Hinblick auf ihren zeichnerischen, teils farblichen, (unter dem Vorbehalt der zu gewährleistenden Verständlichkeit) technisch nicht beliebig verkleinerbaren Teil und den Mangel an lokalen Verkündungsblättern auf erhebliche praktische Schwierigkeiten und finanziellen Aufwand stieße, hat sich der Gesetzgeber des BauGB/BBauG in rechtsstaatlich zulässiger Weise für ein zweistufiges System der Ersatzverkündung dieser speziellen Normen entschieden: Die Bekanntmachung der Genehmigung des Bebauungsplans (oder soweit eine Genehmigung nicht erforderlich ist, der Beschluß des Bebauungsplans durch die Gemeinde) dient als Teil des sich auf die Rechtsetzung beziehenden Verkündungsverfahrens, und das nachfolgende Bereithalten des Bebauungsplans ersetzt den Abdruck in einem Verkündungsblatt266 • Damit stellt sich das mit der Bereithaltungspflicht korrespondierende Einsichtsrecht des Bürgers aus § 10 Abs. 3 S. 2 BauGB als Teil der rechtsstaatlich notwendigen Verkündung der Bebauungspläne als Rechtsnormen dar. Diese Funktion erklärt gleichzeitig die zeitliche und personelle Unbeschränktheil dieses Rechts. Zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits ein Beschluß über den Bebauungsplan gefaßt ist, scheidet demgegenüber eine partizipatorische Funktion des § 10 Abs. 3 S. 2 BauGB aus. 264 Battis, in: B/K/L, § 3 Rn6; Bielenberg, in: EfZ/B, § 3 Rn8 mwN; Schrödter, in Schrödter, § 3 Rn 9 mwN; Gaentzsch, in: Schlicher/Stich, § 3 Rn 5. Eine möglicherweise bestehende Gegenauffassung (vgl. beispielsweise Hendler, S. 8) spricht insoweit von einer Jedermann-Öffentlichkeit ohne zu klären, ob damit die sogenannte "gemeindliche Öffentlichkeit" gemeint ist oder ein noch weitergehender Kreis von Einsichtsberechtigten. 265 Löhr, in: BIK/L, § 10 Rn41; Bielenberg!Krautzberger, in: E(Z/B, § 10 Rn 125. 266 Zu diesem Komplex der Ersatzverkündung statt aller: Bielenberg!Krautzberger, in: EfZ/B § 10 Rn70ff. mwN.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
Ähnlich stellt sich die Situation in bezug auf das jedermann zustehende Einsichtsrecht in die genehmigten Flächennutzungspläne gemäß § 6 Abs. 5 S. 3 BauGB dar. Ein Unterschied besteht indes darin, daß die Flächennutzungspläne nach herrschender Auffassung mangels Außenwirkung keii-ie Rechtsnormen, sondern Hoheitsakte eigener Art darstellen267• Aus diesem Grund bedürfen die Flächennutzungspläne nicht aus rechtsstaatliehen Gründen einer Verkündung. Da das Gesetz mit dem Flächennutzungsplan gleichwohl im Hinblick auf das Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB nicht unerhebliche Rechtswirkungen auf den Bebauungsplan verbindet, der seinerseits eine den Bürger belastende Rechtsnorm darstellen kann, hat sich der einfache Gesetzgeber durch§ 6 Abs. 5 S. 2 BauGB auch für die Bekanntmachung der Flächennutzungspläne als Voraussetzung für ihre Wirksamkeit entschieden. Da demnach aus rechtsstaatliehen Gründen keine Ersatzverkündung notwendig ist und Wirksamkeitsvoraussetzung des Flächennutzungsplans nur die Bekanntmachung nach § 6 Abs. 5 S. 2 BauGB ist, handelt es sich bei dem Einsichtsrecht des § 6 Abs. 5 S. 3 BauGB um eine eigenständige Regelung, auf die der einfache Gesetzgeber auch hätte verzichten dürfen 268 • Ebenso ist eine partizipatorische oder der Information der Behörden dienende Funktion des § 6 Abs. 5 S. 3 BauGB zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits ein Beschluß über den Flächennutzungsplan gefaßt ist, ausgeschlossen. Hinsichtlich seines zeitlichen und personellen Anwendungsbereichs ist deshalb gleichwohl davon auszugehen, daß § 6 Abs. 5 S. 3 BauGB ähnlich wie § 10 Abs. 3 S. 2 BauGB lediglich eine (nicht rechtsstaatlich vorgegebene) verkündungsähnliche Funktion erfüllen soll, die dem Bürger eine Vorbereitung auf die durch den Flächennutzungsplan mittelbar angekündigten Entwicklungen ermöglicht. Für dieses Ergebnis spricht insbesondere auch der Umstand, daß beide Einsichtsrechte bereits in der Urfassung des BBauG in einer Vorschrift als Einsichtsrecht in die Bauleitpläne zusammengefaßt gewesen sind und der historische Gesetzgeber damit eine aus seiner Sicht rechtsstaatswidrige Geheimhaltung der Bauleitpläne verhindem wollte 269 • Im Gegensatz zu den§ 6 Abs. 5 S. 3 und§ 10 Abs. 3 S. 2 BauGB ähnelt die Struktur des § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB den zuvor untersuchten Einsichtsrechten in die Planunterlagen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Planung von Großanlagen: Die Entwürfe der Bauleitpläne sind für die Dauer eines Monats für die gemeindliche Öffentlichkeit einsehbar, danach bestehen nur noch die Rechte der § 6 Abs. 5 S. 3 und§ 10 Abs. 3 S. 2 BauGB. Da der Umfang des Kreises der Einsichtsberechtigten bei § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB ähnlich 270 wie beim Einsichtsrecht des allVgl. dazu schon oben, A. III. 3. Vgl. zu diesem Komplex i. b. a. den Flächennutzungsplan statt aller: Bielenberg, in: E{Z/B §6 Rn44ff. mwN. 269 V gl. insoweit den historischen Gesetzgeber zum ursprünglichen § 2 Abs. 8 BBauG in: BT-Drs. 3/336, S. 62f. 270 Ein Unterschied besteht freilich darin, daß die Beteiligung der gemeindlichen Öffentlichkeit nicht als Betroffenenbeteiligung bezeichnet werden darf. Gleichwohl dürfte insbesondere in kleinen Gemeinden de factoder Kreis der Gemeindebewohner im weitesten Sinne weitest267
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gemeinen Planfeststellungsverfahrens in Zusammenhang mit der Möglichkeit der Betroffenheit sonstiger subjektiver Interessen steht, läßt sich auch diesem Einsichtsrecht zuvörderst die Funktion der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes zuschreiben. Daneben dient das Einsichtsrecht-insoweit ebenfalls betrachtet in einem vom Gesetzgeber gewollten Funktionszusammenhang mit nachträglich erhobenen Einwendungen 271 - nach völlig unbestrittener Auffassung auch der besseren Information der Behörde. Anders als in den zuvor betrachteten Fachplanungsverfahren besteht in der Praxis der Bauleitplanung eine größere Wahrscheinlichkeit, daß es an konzentriertem technischem und juristischem Sachverstand der Gemeinden mangelt, wofür die Existenz der§§ 214ff. BauGB einen schlagenden Beweis darstellt. Die Informationsfunktion des Bürgers, der seine eigenen Interessen und seine nähere Umgebung genau kennt, ist hier evident. Fraglich ist indes die demokratisch-partizipatorische Bedeutung des § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB. Wird auch diese Bedeutung des§ 3 Abs. 2 S. 1 BauGB heute einhellig in der Literatur272 und der Rechtsprechung 273 genannt, so sind auch ihrer Annahme teilweise ähnliche Bedenken entgegenzubringen wie bei§ 73 Abs. 3 VwVfG. Einerseits ist soeben bereits auf die teilweise Verknüpfung des Kreises der nach § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB Einsichtsberechtigten mit der potentiellen Betroffenheit sonstiger subjektiver Interessen hingewiesen worden, andererseits betont auch der historische Gesetzgeber in seiner Begründung der Ursprungsfassung des Einsichtsrechts in § 2 Abs. 6 BBauG 1960 eine solche demokratische Dimension mit keinem Wort. Demzufolge findet auch in den ersten Kommentierungen des BBauG 1960 das Prinzip der Partizipation in diesem Zusammenhang keinerlei Erwähnung. Im Rahmen der hier durchgeführten teilweise historischen Betrachtung der in Deutschland entstehenden Einsichtsrechte ist demnach differenzierend festzuhalten, daß § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB zumindest in seiner Urfassung des § 2 Abs. 6 BBauG noch keinen demokratisch-partizipatorischen Inhalt aufweist. Die eigentliche Diskussion um Partizipation im BBauG beginnt erst mit der Erarbeitung und der späteren Bewertung des Städtebauförderungsgesetzes (StBfG) vom 30.7.1971 274 • Insbesondere im Hinblick auf§ I Abs. 4 S.4 StBfG, demzufolge den Betroffenen Gelegenheit gegeben werden soll, bei der Vorbereitung und Durchführung der (städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungs-)Maßnahmen mitzuwirken, nehmen Teile der Literatur auch anderer Disziplinen im Zuge der zwischengehend mit dem Kreis derjenigen übereinstimmen, deren Interessen möglicherweise von der Bauleitplanung einer Gemeinde betroffen sein können. 271 V gl. zu § 3 BauGB insoweit ausführlichst: Gaentzsch, in: Schlichter/Stich, § 3 Rn 3 mwN und Schrödter, in: ders., § 3 Rn 3 mwN. Außerdem auch: Peine, Rn431.1. ü. zu dieser teilweise notwendigen gemeinsamen Betrachtung von Einsichtsrechten und nachträglich erhobenen Einwendungen schon soeben im Haupttext und oben in Teil 1, A. II. 3. b) aa). 272 Vgl. beispielsweiseßielenberg, in: E(Z/B, §3 Rn2; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich, §3 Rn3 mwN und Schrödter, in: ders., §3 Rn3 mwN. 273 Vgl. insbesondere BVerfGE 77,288, 300. 274 BGBI. I, S. 1125 ff. 12*
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
zeitlich aufgekommenen allgemeinpolitischen Debatte demokratisch-partizipatorische Inhalte der Bauleitplanung an 275 • Diese sich am Wort "Mitwirkung" verbeißende und in anderen Stellungnahmen der Literatur276 heftig bestrittene Auffassung verkennt indes, daß gerade § 1 Abs. 4 S. 4 StBfG durch sein Anknüpfen an der Betroffenenstellung die rechtsstaatliche Bedeutungmöglichkeit von Partizipation betont. Demgegenüber findet sich gerade auch in der Begründung des StBfG durch den historischen Gesetzgeber keinerlei Hinweis auf neu geschaffene demokratischpartizipatorische Inhalte. Im Vordergrund steht vielmehr und insbesondere auch im Hinblick auf § 1 Abs. 4 S. 4 StBfG ein zu gewährleistender wohnungsbaurechtlicher Interessenausgleich zwischen Art.14 Abs. 1 und Abs. 2 GG 277 • Eine wirkliche partizipatorische Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung im Bauleitplanungsverfahren läßt sich damit erst mit der Novelle des BBauG vom 18.8.1976 nachweisen. In dieser Novelle wird die bisherige frühzeitige Bürgerbeteiligung des§ 2 Abs. 6 BBauG um die (heute in§ 3 Abs. 1 BauGB verankerte) vorgezogene Bürgerbeteiligung ergänzt und insgesamt zusammen mit anderen Regelungen als neuer§ 2a BBauG 1976 gefaßt278 • In der Begründung dieser Novelle äußert sich der Gesetzgeber ausdrücklich dahingehend, daß die Vorschriften des BBauG 1960 über die Beteiligung der Bürger an der Aufstellung der Bauleitpläne dem Demokratieverständnis nicht mehr gerecht würden und daß die Bürger deshalb bei der Aufstellung der Bauleitpläne umfassend und möglichst frühzeitig über die beabsichtigte Planung unterrichtet werden müßten279 • Erst mit dieser Novelle läßt sich damit dem Einsichtsrecht des § 2 a Abs. 6 S. 1 BBauG 1976, der mit dem heutigen§ 3 Abs. 2 S. 1 BauGB nahezu wörtlich übereinstimmt, auch eine demokratisch-partizipatorische Funktion zuschreiben. Diese Novelle des BBauG vom 18.8.1976, deren Änderungen am 1.1.77 in Kraft treten, steht damit in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zum Erlaß der 9. BlmSchVO und der AtomVfVO und ist gemeinsam mit diesen Verordnungen - anders als noch das ebenfalls nahezu zeitgleich beschlossene VwVfG- Ausdruck für ein im geltenden Recht jener Zeit nachweisbares "gewagtes Mehr an Demokratie". Mit Abklingen der politischen Partizipationsdebatte in den achtziger Jahren verschwindet auch die Bereitschaft des Gesetzgebers, sich im Verlauf von Gesetzgebungsverfahren jüngerer planungsrechtlicher Vorschriften intensiv mit partizipatorischen Fragen auseinanderzusetzen. Im § 18 Abs. 3 S. 2 des politisch ebenfalls umstrittenen Gentechnikgesetzes vom 20.6.1990 wird beispielsweise nur noch schlicht bestimmt, daß bei der Genehmigung bestimmter gentechnischer Anlagen ein AnhöVgl. insoweit statt aller die umfassenden Nachweise bei: Battis, S. 23 mwN. Vgl. insoweit ebenfalls statt aller: Battis, S. 25 ff. mwN. 277 BT-Drs.6/510, S.28 zu§ I StBfG. 21s BGBI.I, S.2221 ff., 2223. 279 BT-Drs. 7/2496, S.l f. der allgemeinen Begründung der Novelle 1976.
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rungsverfahren durchzuführen ist, das den Anforderungen des § 10 Abs. 3-8 BlmSchG entspricht. Auch die amtliche Begründung des GenTG verweist insoweit auf die Begründung des BlmSchG280 • Da§ 10 Abs. 3 S. 1 BlmSchG seinerseits bereits eine einschränkungslose Jedermann-Einsichtsberechtigung vorsieht und sich das GenTG hieran orientiert, sind damit auch partizipatorische Inhalte des gentechnischen Genehmigungsverfahrens zu bejahen. Überraschend bleibt aber die Unauffälligkeit dieser Antwort auf die vormals leidenschaftlich gestellte Frage. Auch der Begründung der das Nähere regelnden GenTAnhVO sind keine dahingehenden Ausführungen entnehmbar. Gleichermaßen ist auch keinerlei Debatte über partizipatorische Inhalte des UVPG ersichtlich, soweit nicht UVP-pflichtige Vorhaben nach den gemäß § 4 UVPG vorrangigen Vorschriften des Atom- oder Bundesimmissionsschutzrechts zu betrachten sind. Auch das UVPG bedient sich vielmehr in § 9 Abs. 1 S. 2 UVPG einer Verweisung, nach der ein durchzuführendes Anhörungsverfahren den Anforderungen der§ 73 Abs. 3, 4-7 VwVfG zu entsprechen hat. Es verweist also auf eine Vorschrift, die nach hier vertretener Auffassung keine demokratisch-partizipatorische Funktion erfüllt, ohne daß das UVPG selbst oder die ihm zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien einen Hinweis auf diese Funktion beinhalten würden. Damit kommt auch dem nach dem UVPG durchzuführenden Anhörungsverfahren ausweislich der Verweisung und der Gesetzesmaterialien keine partizipatorische Bedeutung zu. Wie oben in Teil 1 bereits angedeutet wurde 281 , dienen die Vorschriften des UVPG vielmehr überwiegend der besseren Information des Vorhabenträgers in einem ähnlichen Sinn, der früher in der klassischen Rechtsprechung als die ausschließliche (Informations-)Funktion des Verwaltungsverfahrens betont wurde. Diese altmodisch anmutende Zielsetzung ergibt sich beim UVPG indes unmittelbar aus dem Gesetzestext des § 1 UVPG. Danach sei es Zweck des UVPG, daß bei UVP-pflichtigen Anlagen zur wirksamen Umweltvorsorge nach einheitlichen Grundsätzen die Auswirkungen auf die Umwelt frühzeitig und umfassend ermittelt, beschrieben und bewertet würden und das Ergebnis der UVP so früh wie möglich bei allen behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeil berücksichtigt werde. In Einklang mit der UVP-Richtlinie wird damit die spezifisch umweltschützende Funktion des Instruments der Umweltverträglichkeitsprüfung deutlich, die sich von den übrigen betrachteten planungsrechtlichen Vorschriften ihrer Art nach unterscheidet. Insgesamt betrachtet liefert die Untersuchung der informationsrechtlichen Vorschriften des Planungsrechts ein sehr differenziertes Bild der mit ihnen verbundenen Zwecke: Soweit dem engen Kreis derjenigen, deren rechtliche Interessen durch ein Vorhaben betroffen werden und die Beteiligte des Verfahrens sind, ein § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG vergleichbarer Akteneinsichtsanspruch zusteht, läßt sich dieser aus280 BT-Drs. 11/5622, S. 28 zum damaligen§ 16 Abs. 2 des Gesetzentwurfs, der nahezu mit dem späteren § 18 Abs. 3 S. 2 identisch ist. 281 Vgl. oben, Teil1, A. II. 3. b)aa).
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schließlich dem Zweck der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes zuordnen. Im Sinne des Mülheim-Kärlich-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts läßt sich aber- mit Ausnahme des nach dem UVPG gewährten Rechts - auch den Einsichtsrechten der Bürger im Rahmen allgemeiner Öffentlichkeitsbeteiligungen die Funktion der Gewährleistung eines vorverlagerten Rechtsschutzes zuschreiben. Für die Einsichtsrechte der § 6 Abs. 5 S. 3 und § 10 Abs. 3 S. 2 BauGB ist letztgetroffene Aussage hingegen nur partiell zutreffend - sie bewirken keine Vorverlagerung des Schutzes, stehen aber in Zusammenhang mit dem allgemeinen rechtsstaatliehen Gebot der Verkündung von Normen. Gegenüber dieser regelmäßig nachweisbaren rechtsstaatliehen Komponente der Öffentlichkeitsbeteiligung ist hinsichtlich einer demokratisch-partizipatorischen Funktion jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob sie Bestandteil der fraglichen Norm ist. Ein Indiz für die demokratisch-partizipatorische Funktion eines Einsichtsrechts ist regelmäßig die völlige Unbeschränktheil des Kreises der Einsichtsberechtigten. Im übrigen ist der Wille des historischen Gesetzgebers maßgeblich. In Anwendung dieser Kriterien läßt sich hinsichtlich der Einsichtsrechte des Atom-, des Bundesimmissionsschutz-, des Gentechnikrechts und des § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB der Partizipationsgedanke nachweisen, nicht hingegen im allgemeinen Planfeststellungsverfahren, bei der UVP und hinsichtlich § 6 Abs. 5 S. 3 sowie § 10 Abs. 3 S. 2 BauGB.
IV. Die Entstehung und der Sinn des § 29 BNatSchG Das Mitwirkungs- und damit auch das Akteneinsichtsrecht der anerkannten Naturschutzverbände gemäߧ 29 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ist bereits Bestandteil der Erstfassung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 20.12.76, das am 24.12.76 in Kraft tritt. Zunächst ist eine Regelung der Mitwirkung von Verbänden weder im Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zu einem Bundesnaturschutzgesetz282 noch im Regierungsentwurf283 enthalten gewesen. Auch der Entwurf des Bundesrats enthält lediglich eine Klausel, die es den Ländern ermöglicht, eine§ 29 BNatSchG vergleichbare Mitwirkungsregelung einzuführen 284. Erst der federführende Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten schlägt in seinem Bericht vom 21.6.76 eine der heutigen Vorschrift entsprechende Regelung vor285. Der Ausschuß versteht die Einführung eines solchen Mitwirkungsrechts als politischen Kompromiß: Die von verschiedenen Seiten während des Gesetzgebungsverfahrens geforderte Verbandsklage im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege sei von sämtlichen beteiligten Ausschüssen abgelehnt worden; statt dessen sei nunmehr bestimmten(... ) BT-Drs. 7/324. BT-Drs. 7/886. 284 BT-Drs. 7/3879, S. 9f. (damals noch als§ 18 Abs. 2 des Entwurfs des Bundesrats). 285 BT-Drs. 7/5171, S.10 (Antrag) und BT-Drs. 7/5251, S. 13 (Begründung speziell des §29 BNatSchG). 282
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Organisationen ein Anhörungsrecht (... ) einzuräumen 286 • Gleichwohl ist mit dieser politischen Anlehnung an das Institut der Verbandsklage nichts über den normativen Sinn des § 29 Abs. 1 S. 1 BNatSchG gesagt. Da die Gesetzesmaterialien im übrigen keine weitergehende Aussage über Sinn und Zweck der Mitwirkung von Verbänden bei naturschutzrechtlich bedeutsamen Entscheidungen treffen, muß dieser anband der Eigenarten des § 29 BNatSchG ermittelt werden. Markant fallt an § 29 Abs. 1 S. 1 BNatSchG auf, daß er in Widerspruch zu der von der Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht geprägten Vorstellung steht, nach der Privatrechtssubjekten prozessuale Rechtspositionen nur zum Zweck der Durchsetzung sonstiger materieller Rechte zustehen. Im Hinblick auf die Naturschutzverbände ist nämlich ein solches sonstiges materielles Recht nicht ersichtlich. Vielmehr gewährleistet gerade erst die gesetzliche Regelung des § 29 Abs. 1 S. 1 BNatSchG den anerkannten Naturschutzverbänden ein subjektives Recht, das inhaltlich auf Positionen der Mitwirkung beschränkt bleibt. Mangels eines sonstigen Rechts der Verbände, dessen Durchsetzung ihr Mitwirkungsrecht dienen könnte, ist damit jedwede Rechtsschutzfunktion des § 29 Abs. 1 S. 1 BNatSchG zu verneinen. Hinsichtlich des Zeitpunkts des Erlasses des BNatSchG im seihen Jahr wie der 9. BimSchVO, der AtomVfVO und der partizipatorischen Novelle des BBauG 1976 liegt demgegenüber eine demokratisch-partizipatorische Funktion des § 29 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nahe, die einhellig auch in der Literatur bejaht wird287 • Eine solche kommt, wie ausgeführt, nicht schon hinreichend in der amtlichen Begründung zum Ausdruck, sie ergibt sichjedoch aus einer Voraussetzung für die Anerkennung eines privatrechtliehen Vereins als mitwirkungsberechtigt Gemäß § 29 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 BNatSchG sind nämlich nur Vereine anzuerkennen, die jedermann den Eintritt ermöglichen, der die Ziele des Vereins zu unterstützen gedenkt. Damit ist sichergestellt, daß zumindest prinzipiell jedermann- wenn auch nur mittelbar durch die Verbände - vor bedeutsamen naturschutzrechtlich relevanten Entscheidungen angehört wird. Gleichwohl befreit diese Anerkennungsvoraussetzung nicht von der Frage, warum der Gesetzgeber anders als in den anderen 1976 eingeführten Verfahren im Naturschutzrecht nur diese mittelbare Partizipationsmöglichkeit der Bürger durch die Verbände eingeführt hat. Eine echte Jedermann-Beteiligung wäre aufwendiger, keinesfalls jedoch undurchführbar. Die Beantwortung dieser Frage rückt die wichtigsten Funktionen des § 29 BNatSchG in den Vordergrund: Die Begünstigung unmittelbar nur der Verbände beruht auf dem bei ihnen gebündelten Sachverstand und dem Vertrauen in ihr historisch anerkanntes naturschutzrechtliches Engagement. Dem steht auf Seiten der Naturschutzbehörden zum Teil ein geringeres Verständnis naturschutzrechtlicher Zusammenhänge gegenüber, vor allem aber auch ein EntBT-Drs. 7/5251, S. 13. Vgl. beispielsweise Gassner, in: G/8/S/S, § 29 Rn 2 und Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn71. 286
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
Scheidungskonflikt zwischen den von Dritten regelmäßig verfochtenen, konkreten wirtschaftlichen Interessen und dem weniger handfesten Allgemeininteresse am Naturschutz 288 . Ausdruck dieser Kontliktlage, die regelmäßig zu Entscheidungen gegen den Naturschutz führt, ohne daß diese damit als rechtswidrig qualifiziert werden müßten, ist das seit jeher beklagte spezielle Vollzugsdefizie89 im Naturschutzreche90. Neben der durch den Gedanken des gebündelten Sachverstands angesprochenen klassischen Informationsfunktion der Beteiligung Privater am Verfahren besteht der normative Sinn des § 29 BNatSchG demnach vor allem in der sogenannten Sachanwaltsfunktion der Verbände zum Zweck der Beseitigung des Vollzugsdefizits bestehender naturschutzrechtlicher Regelungen 291 • Das öffentliche Allgemeininteresse an einer erhaltenswerten Natur soll durch die Gewährleistung eines subjektiven Rechts zugunsten historisch bewährter und engagierter naturschutzrechtlicher Verbände intensiver geschützt werden.
V. Der Sinn der zwischen der Umweltinformationsrichtlinie und dem UIG in Kraft getretenen informationsrechtlichen Vorschriften Die Zeitspanne zwischen der Verabschiedung der Umweltinformationsrichtlinie und dem Inkrafttreten des UIG vom 7.6.1990 bis zum 16.7.1994 erweist sich im Hinblick auf den Erlaß von Vorschriften, die den Bürgern Informationszugangsrechte gewähren, besonders ereignisreich. Zur Bestimmung ihres normativen Sinns sind die in dieser Zeit entstandenen speziellen einfach-gesetzlichen Umweltinformationszugangsrechte einiger, unter anderem auch der alten Länder und die Landesverfassungen der fünf neuen Länder getrennt zu betrachten. 1. Spezielle landesrechtliche, einfach-gesetzliche Umweltinformationszugangsrechte Bereits kurz nach Verabschiedung der Umweltinformationsrichtlinie beginnen in vielen Ländern Arbeiten zur Einführung spezieller umweltrechtlicher Informationszugangsrechte292. Zwar verabschiedet kein Land in dem Bewußtsein der BemühunVgl. insoweit ebenfalls: Gassner, in: G/B/S/S, § 29 Rn 2 f. mwN. Vgl. speziell zu den Defiziten des Vollzugs des europäischen Umweltrechts schon oben, Teil I, A. II. 2. c). Allgeif!ein zu Vollzugsproblemen des Umweltrechts in Deutschland: LübbeWoljf, NuR 1993, 217, 218ff. mwN. 290 Vgl. speziell zum Vollzugsdefizit des Naturschutzrechts vor (und teilweise auch nach) Inkrafttreten des BNatSchG: Soell, NuR 1993,301,301 und insbesondere das Umweltgutachten 1974 des Rates von Sachverständigenfür Umweltfragen, S.l80f. mwN. Zum Naturschutzdefizit vor Inkrafttreten des Grundgesetzes und in der DDR auch: Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn59ff., 68ff.; zur Entwicklung im Dritten Reich: ders., ebenda, Rn55f. 291 Ebenso: Gassner, in: G/B/S/S, §29 Rn6 mwN. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn71 mwN. 292 Vgl. dazu statt aller die Darstellung bei Röger, NuR 1995, 175, 175 mwN. 288
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B. Sinn der Informationsansprüche
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gen des Bundes, die Richtlinie umzusetzen, ein vollständiges Landes-UIG, gleichwohl entstehen nach und nach die speziellen, oben in Abschnitt A. hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs dargestellten Zugangsrechte: Am 7.6.1991 wird das Gesetz zur Änderung des schleswig-holsteinischen Wassergesetzes unter Einführung der (damals noch als§§ 87 a und b numerierten) §§ 116f. S.-H. WG verabschiedet, die jedermann einen Auskunftsanspruch über die bei den Wasserbehörden vorhandenen wasserwirtschaftliehen Daten gewährleisten; am 24.6.91 folgt das baden-württembergische Einsichtsrecht in die Bodendatenbank gemäß § 18 Abs. 2 des neuen Landes-Bodenschutzgesetzes; § 67 BbgNatSchG über die Gewährleistung eines Auskunftsanspruchsüber naturschutzbezogene Daten kommt als Bestandteil der Erstfassung des brandenburgischen Naturschutzgesetzes vom 25.6.1992 hinzu; die mit der schleswig-holsteinischen Regelung identischen§§ 119f. M.-V. WG sind ebenfalls in der Erstfassung des Wassergesetzes von Mecklenburg-Vorpommern vom 30.11.92 enthalten; schließlich führt eine Novelle zur allgemeinen Verfahrensbeschleunigung vom 12.4.94 zur Änderung des bayerischen Wassergesetzes, das in Art. 94 nunmehr auch jedermann die Einsicht in das Abwasserkataster ermöglicht293. In bezug auf alle genannten Vorschriften spricht bereits der gemeinsame Zeitpunkt ihres Erlasses kurz vor Inkrafttreten des UIG des Bundes dafür, daß sie der Erfüllung der europarechtlichen Umsetzungsverpflichtung aus der Richtlinie dienen. Dagegen ließe sich zwar einwenden, daß selbstverständlich allen Landesgesetzgebern insoweit bewußt gewesen ist, daß die jeweiligen Regelungen ersichtlich nur einem Ausschnitt der Umsetzungsverpflichtung nachkämen und im übrigen der Erlaß vollständiger Landes-UIG erforderlich gewesen wäre. Gleichwohlläßt sich nahezu allen diesbezüglichen Gesetzesmaterialien entnehmen, daß der Sinn dieser Vorschriften zumindest überwiegend in der Erfüllung europarechtlicher Verpflichtungen zu sehen ise94• Rechtsstaatliche oder demokratisch-partizipatorische Elemente beinhalten diese Vorschriften also wie auch die Richtlinie selbst nicht. Für andere Deutungen bestehen keine Anhaltspunkte 295 . Normativer Sinn der §§ 116f. S.-H. WG, § 18 Abs.2BodSchG B.-W., §67BbgNatSchG, §§ 119f. M.-V. WGundArt.94 BayWG ist folglich die Verbesserung des Umweltschutzes.
293 Als§ 4 des Beschleunigungsgesetzes bau- und wasserrechtlicher Verfahren (ABI. S. 209, 237f.). 294 Besonders instruktiv sind die Ausführungen des historischen Gesetzgebers Mecklenburg-Vorpommerns, der ausdrücklich die Problemstellung zwischen Umsetzungsverpflichtung und dem eigentlich notwendigen Erlaß einer umfassenderen Regelung thematisiert: LTDrs.1/1266, S.85 und 117f. Vgl. zu§§ 116f. (im Entwurfnoch §§87a und b) S.-H. WG: LTDrs.12/1109, S.35, 66; zu§ 18 Abs.2 BodSchG B.-W.: LT-Drs.l0/4437, S.37; zu Art. 94 Bay WG: LT-Drs. 12/1 3482, S. 78, wenn auch unter Bezugnahme auf die Abwasserrichtlinie 91/271/EWG. 295 In der Literatur vgl. wie hier beispielsweise zu§ 18 Abs. 2 BodSchG B.-W.: Spilok, § 18 Rn4.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
2. Umweltinformationszugangsrechte in den Verfassungen der fünf neuen Länder Konnte oben die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Informationsregelungen der Verfassungen der fünf neuen Länder- mit Ausnahme der absichtlich unklar belassenen und deshalb keinen eigenen unmittelbaren Anwendungsbereich besitzenden Vorschrift des Art. 21 Abs. 4 BbgVerf- ohne nennenswerte Probleme gelingen, so erweist sich die Ermittlung des diesen Vorschriften zugrunde liegenden normativen Sinns als überaus schwierig. Dies verwundert auf den ersten Blick hinsichtlich der kaum übersehbaren Fülle der diesen Verfassungen vorausgehenden Gesetzesmaterialien: In der Zeit zwischen dem Beginn der Erarbeitung neuer Verfassungen an den "Runden Tischen" insbesondere des Jahres 1990 und ihrer Verabschiedung in den Jahren 1992/93 sind insgesamt nicht weniger als 40 Verfassungsentwürfe erstellt und umfassend diskutiert worden296 • Gleichwohl vereinfacht die Flut dieser Entwürfe und der mit ihnen verbundenen Gesetzesmaterialien nicht die Interpretation der letztlich verabschiedeten Verfassungen. Vielmehr verdeutlicht sie die typische historische Situation einer Verfassunggebung, die von Distanz zu den bisherigen Strukturen und gleichzeitig einem großen Maß an Freiheitlichkeil geprägt ist: In ihrem Verlauf wandelt sich die anfängliche, in der speziellen geschichtlichen Situation begründete Euphorie der an der Verfassunggebung beteiligten Kräfte in die allmähliche Normalisierung, Parlamentarisierung und Suche nach Konsens für den letztlich verabschiedeten Verfassungstext297 • Auch im Hinblick auf die hier zu betrachtenden Bestimmungen der Art. 39 Abs. 7 S. 2 BbgVerf, Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf, Art. 34 SächsVerf, Art. 6 Abs. 2 S.-A. Verfund Art. 33 ThürVerf erschwert diese typische Entwicklung die Ermittlung ihres normativen Sinns - im einzelnen bedarf es eines extremen Aufwands zu zeigen, welcher ursprünglich-euphorisch mit einer nur ähnlichen Vorschrift angestrebte Sinn noch Zweck der Norm sein soll, die nach zahlreichen Kompromissen letztlich "übrig bleibt" und die von ihrem Wortlaut und Anwendungsbereich her nur noch partiell die ursprünglich beabsichtigten Zwecksetzungen zu tragen vermag. Um sich dieser Aufgabe nicht zu entziehen, sei dieser Aufwand hier exemplarisch für die Bestimmung des Sinns des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf betrieben, eine umfassendere Betrachtung aller landesverfassungsrechtlicher Vorschriften kann hier nicht geleistet werden. Die für Mecklenburg-Vorpommem gefundenen Ergebnisse erlauben aber eine weitgehende, relativ verläßliche Übertragbarkeit auf die Verfassungen der anderen neuen Länder, die im Anschluß kurz zu betrachten sind.
Vgl. statt aller überblicksartig: Häberle, in: ders. Bd. 43, S. 356f. mwN. Ebenso: Häberle, in: ders. Bd. 43, S. 356. Ähnlich hinsichtlich der Entwicklung in Brandenburg: Franke/Kneifel-Haverlwmp, in: Simon/Franke/Sachs, § 2 Rn I f. 296
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B. Sinn der Informationsansprüche
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a) Art. 6 Abs. 3 der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns Während Art. 6 Abs. 1 und 2 der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns vom 23.5.1993 rein datenschutzrechtliche Regelungen enthalten, hat nach Abs. 3 jeder das Recht auf Zugang zu Informationen über die Umwelt, die bei der öffentlichen Verwaltung vorhanden sind. Das Nähere bestimmt ein (im Hinblick auf Umweltinformationen bisher nicht erlassenes) Gesetz (Abs.4). Das geltende Verfassungsrecht hat damit nur noch einen geringen Bezug zur ersten mecklenburg-vorpommerschen Vorläuferregelung des sogenannten Verfassungsentwurfs des Regionalausschusses, den im Jahre 1990 überwiegend eine im Auftrag der "Runden Tische" der Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg tätige Arbeitsgruppe erstellt298 • Art. 11 Abs. 1 dieses Entwurfs sieht nämlich noch ein allgemeines, nicht auf Umweltinformationen beschränktes Jedermann-Akteneinsichtsrecht gegenüber "den Verwaltungen" vor, soweit nicht rechtlich geschützte Interessen Dritter oder das Allgemeinwohl entgegenstehen299 • Im Hinblick auf diesen Vorschlag und andere dem Grundgesetz unbekannte, weitreichende soziale "Grundrechte" dieses Entwurfs (Arbeit/ Wohnraum) erheben die als Sachverständige berufenen300 Staatsrechtslehrer schon frühzeitig Bedenken. Staatsziele und Grundrechte müßten auseinander gehalten werden, um nicht durch gerichtlich nicht durchsetzbare Staatszielbestimmungen, die fälschlicherweise als Grundrechte formuliert würden, unerfüllbare Erwartungen der Bürger zu wecken 301 • Es müßten unnötige Divergenzen zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit vermieden werden 302• Darüber hinaus engten auch zu viele Zielbestimmungen in zweckwidriger Weise die Handlungsfähigkeit des (einfachen) Gesetzgebers ein 303• Als deutlich gestutzter Entschärfungsversuch läßt sich in diesem Sinne die Vorschrift des Art. 13 Abs. 2 des Verfassungsentwurfs dieser Sachverständigen verstehen, nach dem jedermann nunmehr nur noch ein Recht auf Auskunft über Daten und Vorhaben besitzt, welche die natürliche Umwelt in seinem Lebensraum betreffen, und soweit nicht Bundesrecht, rechtlich geschützte Interessen Dritter oder das durch Landesgesetz bestimmte Wohl der Allgemeinheit entgegenstehen304 • Mit dem sich diesem Sachverständigenentwurf weitestgehend anschließenden Entwurf der Ver298 Vgl. zu diesen Neuanfängen in Mecklenburg-Vorpommern ausführliehst auch: LTDrs.1/3100, S.44ff., 48f. 299 Vgl. insoweit: LT-M.-V., Ausschußdrucksache Nr. 8 der Verfassungskommission vom 15.2.91, S.11. 300 Ausgesprochen wurde diese Berufung von der vom Rechtsausschuß des ersten gewählten Landtags von Mecklenburg-Vorpommern eingesetzten Verfassungskommission.- Vgl. zu deren Aufgaben und ihrer Ein- und Zusammensetzung: LT-Drs. l/31 00, S. 44. 301 Von Mutius, Albert, in: LT-M.-V., Kurzprotokoll der 3. Sitzung der Verfassungskommission am 14.3.91 , S. 5. 302 Starck, Christian, in: LT-M.-V., Kurzprotokoll der 3. Sitzung der Verfassungskommission am 14.3.91, S. 6. 303 Ders. , ebenda. 304 Vgl. in: LT-M.-V., Kommissionsdrucksache Nr. 18 vom 22.1.92, S. 7.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
fassungskommission vom 7.4.92 305 sind Modelle allgemeiner Aktenöffentlichkeit endgültig aufgegeben, wenn sich der Entwurf der Verfassungskommission auch ausdrucklieh als Minimalkonsens des aktuellen Stands der Beratungen bezeichnet. Er begrenzt das Umweltauskunftsrecht darüber hinaus auf die bei der vollziehenden Gewalt vorhandenen Informationen. Abweichende Vorschläge beispielsweise der Bürgerbewegung und der Partei Die Griinen beziehen sich auch in der Zukunft nur noch auf eine Erweiterung des umweltrechtlichen Anspruchs 306. Die in der Zeit zwischen diesen Entwürfen erneut von einigen Mitgliedern der Verfassungskommisssion erhobene Forderung, das allgemeine Akteneinsichtsrecht des Art. ll des Entwurfs des Regionalausschusses in den Entwurf der Sachverständigen zu überführen307, blieb folglich ungehört. Das Protokoll der ebenfalls zwischen den beiden Entwürfen liegenden Sitzung der Verfassungskommission vom 27.3.92 308 hält ferner besonders deutlich fest, daß auch die Schaffung eines Jedermann-Umweltinformationsrechts von der Mehrheit der Kommissionsmitglieder bewußt zugunsten eines aus subjektiver Betroffenheit folgenden und damit an der Lehre vom subjektivöffentlichen Recht orientierten, schwachen Umweltauskunftsrechts vermieden werden soll. Nach diesem im Zwischenbericht der Verfassungskommisssion vom 30.4.92 festgehaltenen Stand der Entwicklung 309 schien demnach auch die Einführung eines dem UIG vergleichbaren Jedermann-Umweltinformationszugangsrechts in die Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns zunächst als gescheitert. Das verbliebene Recht war auf Auskunft und auf die bei der vollziehenden Gewalt vorhandenen Umweltinformationen begrenzt worden. Zu einer letzten Änderung der geplanten Vorschrift, die seitdem der Fassung des heutigen Jedermann-Umweltinformationszugangsrechts des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf entspricht, entschließt sich die Verfassungskommission erst ein gutes Jahr später, nachdem der Umweltausschuß des Landtags auf eine solche Änderung im Hinblick auf eine ansonsten drohende Unvereinbarkeit der Vorschrift mit der Umweltinformationsrichtlinie hingewiesen hat 310• Hinsichtlich der unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie in bezug auf die Definition des Begriffs der Umwelt und die Zugänglichkeil aller Umweltinformationen, die nicht etwa auf den räumlichen Lebensbereich eines potentiellen Informationsbegehrenden beschränkt sei, seien die Begrifflichkeilen des Entwurfs des Zwischenberichts der Verfassungskommission an die Formulierungen der Richtlinie anzupassen, um "definitorische Unklarheiten auszuschließen" 311 . Im Sinne europarechtlicher Umsetzungsvorgaben wird deshalb LT-M.-V., Kommissionsdrucksache Nr. 24, S. 6 (und im allgemeinen ausdrücklich, S. I). V gl. beispielsweise, ebenda, S. 6. 307 Vgl. die Forderungen vom 7.2.92: LT-M.-V., Kurzprotokoll der 17. Sitzung der Verfassungskommission, S. 13. 3os LT-M.-V., Kurzprotokoll der 18. Sitzung der Verfassungskommission, S.l2f. 309 LT-Drs. l/2000, S.4, 79. 310 LT-Drs. 1/3100 vom 7.5.93, Verfassungsentwurf und Abschlußbericht der Verfassungskommission, S. 85 ff.; zur Beteiligung des Umweltausschusses, ebenda, S. 51 ff. 3 11 Vgl. die Begründung des Umweltausschusses ebenda, S. 86. 305
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B. Sinn der Informationsansprüche
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die Beschränkung des Rechts auf Informationen des persönlichen Lebensraums zurückgenommen und statt des bloßen Auskunftsrechts wieder ein Zugangsrecht formuliert. In grober Verkennung europarechtlicher Zusammenhänge geht der Umweltausschuß dabei davon aus, daß die von ihm selbst angenommene weitgehende unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie dazu führe, daß die Richtlinie insoweit keiner- bis dahin auch noch nicht vollzogener- Umsetzung in nationales Recht bedürfe312. Dieser von der Verfassungskommission ohne Kritik zur Einschätzung der europarechtlichen Lage übernommene letzte Änderung der Fassung des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verfliegt also die Motivation zugrunde, die landesverfassungsrechtliche Bestimmung vor einer möglichen Kollision mit dem höherrangigen Europarecht zu bewahren. Wie auch im übrigen niemand, der an der Entstehung des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf beteiligt ist, erwägt folglich auch der Umweltausschuß keineswegs, möglicherweise einer Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie zu unterliegen. Scheidet damit die Erfüllung europarechtlicher Verpflichtungen als normativer Sinn des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf aus, so bleiben unter Berücksichtigung der soeben dargestellten Entstehungsgeschichte weitere denkbare, mit dieser Verfassungsnorm möglicherweise verfolgte Zwecksetzungen zu prüfen. Gegen die ebenfalls aufgrund der Existenz der Umweltinformationsrichtlinie naheliegende Interpretation, das landesverfassungsrechtliche Einsichtsrecht als Instrument des Umweltschutzes zu qualifizieren, lassen sich verschiedene Argumente anführen. Einerseits spricht gegen seinen umweltschutzrechtlichen Sinn die Stellung des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf, der zusätzlich mit den datenschutzrechtlichen Bestimmungen der Absätze 1 und 2 gesetzgebungstechnisch verwoben ist, im Kapitel über die Grundrechte, da der mit · "Umweltschutz" titulierte Art. 12 im nachfolgenden Kapitel der Staatszielbestimmungen steht. Ließe sich dieser Aspekt noch durch den speziellen Wirkungszusammenhang des Umweltinformationszugangsrechts als Instrument der funktionalen Subjektivierung des Bürgers durch die Einräumung eines (Grund-)Rechts erklären, so spricht gegen diese Annahme, daß weder dieser Wirkungsmechanismus noch das diese Instrumentalisierung des Bürgers legitimierende umweltschutzrechtliche Vollzugsdefizit in den zahlreichen Gesetzesmaterialien Erwähnung finden. Des weiteren läßt sich der Sinn des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verfauch nicht ohne Bedenken einer Rechtsschutz- oder einer demokratisch-partizipatorischen Funktion zuordnen. Gegen die Annahme, Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf diene dem Rechtsschutz, spricht seine Voraussetzungslosigkeit, in deren Konsequenz prinzipiell auch dann ein Zugangsrecht zu Umweltinformationen besteht, wenn die Möglichkeit der Beeinträchtigung sonstiger materieller Rechte unter allen vernünftigerweise erdenklichen Gesichtspunkten ausgeschlossen ist. Gegen eine demokratisch-partizipatorische Funktion des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf läßt sich hingegen anführen, daß die Beschränkung des Akteneinsichtsrechts auf den Bereich des Umweltrechts gerade als im Verfassungsgebungsprozeß bewußt vollzogene Abkehr von der noch nach Art. 11 312
Vgl. ebenda, S. 86.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
des Entwurfs des Regionalausschusses gewährten allgemeinen Aktenöffentlichkeit zu verstehen ist. Im Ergebnis scheitert damit der Versuch, Art. 6 Abs. 3 M.- V. Verf auf direktem Weg einen bestimmten normativen Sinn zuzuordnen. Wie dies soeben vermutet worden ist, stellt Art. 6 Abs. 3M.-V. Verfinder Tat den "übrig gebliebenen" Extrakt zwischen anfänglicher Euphorie und späterer parlamentarischer Konsenssuche der Beteiligten des Verfassunggebungsprozesses dar, während lediglich sein konkreter Wortlaut auf zutreffenden europarechtlichen Überlegungen beruht. Der richtige Ansatzpunkt für seine Interpretation dürfte deshalb vor allem seinem speziellen historischen Ausgangspunkt zu entnehmen sein, soweit nicht während der in den Gesetzesmaterialien dokumentierten Suche nach Konsens konkret erhobene Einwendungen der Mehrheit der Beteiligten entgegenstehen. Die spezifische historische Ausgangssituation wird im Hinblick auf den Regelungsgegenstand des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf durch zwei markante Umstände geprägt, in deren Schnittpunkt der ursprüngliche Sinn der Norm zu suchen ist: Einerseits führte die praktische Wirkungslosigkeit der durchaus vorhandenen und im theoretischen Grundsatz fortschrittlichen Umweltgesetze der DDR insbesondere in den 80er Jahren mit den zunehmenden Versorgungsschwierigkeiten zu teilweise katastrophalen, die Menschen zu politischem Protest veranlassenden Umweltbedingungen 313 • Andererseits stellt die vollständige Abwesenheit von Transparenz in der Entscheidungstindung des politischen Systems der DDR einen der am meisten Sprengkraft beinhaltenden Kritikpunkte der friedlichen Protestbewegung dar. Als Reaktion auf das allgemeine Umweltschutzdefizit entsteht nach Beginn der Umwälzungen noch im Jahre 1989 die Verordnung der DDR über Umweltdaten 31 \ nach deren§ 1 Abs. 1 Umweltdaten über den Zustand der natürlichen Lebensumwelt grundsätzlich öffentlich sind. Als Antwort auf die Bevormundung durch ein undurchschaubares System enthält bereits der noch unmittelbarer mit den Tendenzen der friedlichen Revolution zusammenhängende und von starkem Mißtrauen gegenüber der früher als allgegenwärtig erlebten Staatsgewalt geprägte Entwurf einer Verfassung des zentralen Runden Tischs der DDR aus dem Jahre 1990 eine mit einer Reihe der Verfassung(swirklichkeit) der DDR fremden Informationszugangsrechten ausgestattete Informationsordnung 315 • In Mecklenburg-Vorpommem reagieren die Beteiligten des Verfassunggebungsprozesses mit dem noch weiter reichendere Informationszugangsrechte beinhaltenden Verfassungsentwurf des Regionalausschusses. Auffallig ist die in allen Landesverfassungen zum Ausdruck kommende Tendenz, die Informationszugangsrechte und die Bestimmungen zum Schutz der Umwelt mit dem Rang und der Qualität von Grundrechten zu versehen, um ihre Bedeutung herVgl. dazu statt aller: Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn 84 ff., 86. Verordnung vom 13.11.1989, DDR-GBI.Il989, S. 241. 315 V gl. insbesondere Art. 15 Abs. I S. 1 und Art. 33 Abs. 3 S. 2 dieses Entwurfs, dessen Abdruck zu finden ist und dessen Entstehungsgeschichte erläutert wird in: Häberle, in: ders., Bd. 39, S. 350ff., 320ff. 313
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B. Sinn der Informationsanspruche
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auszustellen und sie vor unangemessenen zukünftigen staatlichen Eingriffen zu bewahren. Diesen anfangliehen Positionen werden indes im weiteren Verfassunggebungsprozeß nach und nach Kompromisse abgerungen, die allerdings ihrerseits nicht rein politischen Charakter tragen, sondern teilweise auf ebenfalls von der Verfassungsbewegung gewollten anderen Zielsetzungen beruhen. Zu nennen ist als Reaktion auf die Bespitzelung durch die Stasi beispielhaft der Schutz von Daten Dritter, der insoweit folgerichtig teilweise Eingang in dieselben Artikel der neuen Landesverfassungen gefunden hat. Trotz dieser Kompromisse ließe sich indes nur unbegründet behaupten, daß die jeweils abgewandelte, übriggebliebene Norm nicht mehr den ursprünglich angerlachten Sinn verfolgen sollte. Demzufolge findet sich - soweit ersichtlich - in keinen der den neuen Verfassungen zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien eine dahingehende Aussage, daß Umweltschutz oder staatliche Transparenz anderen prinzipiell vorrangigen Werten unterzuordnen seien. Im Ergebnis ist vielmehr zu schließen, daß Umweltschutzgesichtspunkte und das Bestreben nach Transparenz staatlicher Gewalt, wenn kompromißbedingt auch nur im Bereich staatlicher Umweltverwaltung, nach wie vor als normativer Sinn des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verfanzusehen sind. Bezeichnend für dieses Ergebnis, aber auch die Ausgangssituation und den Entwicklungsprozeß der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns läßt sich die Erklärung der Mitglieder der SPD-Fraktion zu ihrem (zustimmenden) Abstimmungsverhalten in bezug auf die Schlußabstimmung über den (letzten) Verfassungsentwurf vom 5.5.93 heranziehen. Neben überwiegender Zufriedenheit über den Inhalt des verabschiedeten Entwurfs betont diese Erklärung seine Kompromißhaftigkeit, die sich für die SPD-Fraktion unter drei hervorgehobenen Aspekten zeigt, die alle einen starken Bezug zum Umweltschutz oder zu Fragen der Öffentlichkeit von Informationen aufweisen. Zusammengefaßt bedauert die SPD-Fraktion insbesondere, daß es nicht gelungen sei, eine allgemeine Verbandsklage für Umwelt- und Sozialverbände, die Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen des Landtags und ein umfangreiches Akteneinsichtsrecht auf Seiten des Parlaments in der neuen Landesverfassung festzuschreiben 316•
b) Art. 39 Abs. 7 S. 2 Bbg Verf, Art. 34 SächsVerf, Art.6Abs. 2 S.-A. VerfundArt.33 ThürVerf Selbstverständlich liegt den Art. 39 Abs. 7 S. 2 Bbg Verf, Art. 34 SächsVerf, Art. 6 Abs. 2 S.-A. Verfund Art. 33 ThürVerf eine identische Ausgangslage zugrunde; ferner weichen auch die Anwendungsbereiche dieser Zugangsrechte als Ergebnisse der Landesverfassunggebungsprozesse nur wenig voneinander ab, wie oben gezeigt 316
LT-M.-V., Kornmissionsdrucksache 51 der Verfassungskornrnisssion vorn 5.5.93, S. 3.
192
2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
werden konnte 317• Ein für die Interpretation dieser Normen bedeutsamer Unterschied zu Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf besteht indes darin, daß die Verfassungsentwürfe der anderen neuen Länder mit Ausnahme Brandenburgs weder zu Beginn noch zu späterer Zeit allgemeine Akteneinsichtsrechte vorsehen und sich auch in den Gesetzesmaterialien - soweit ersichtlich - keine dahingehend erhobenen Forderungen finden. Gleichwohlliegt auch den Umweltinformationszugangsrechten der Verfassungen Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens nicht nur der Gedanke des Umweltschutzes, sondern auch der Transparenz der Ausübung der Staatsgewalt zugrunde. Dies läßt sich besonders daran belegen, daß anders als in Mecklenburg-Vorpommern nicht nur die bei den Verwaltungen der Länder vorhandenen Informationen öffentlich eingesehen werden können, sondern die bei allen landesstaatlichen Institutionen vorhandenen Informationen. Eine Begrenzung des Zugangsrechts auf die Verwaltungen kennen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nicht, vielmehr knüpfen die Gesetzesmaterialien dieser Länder insgesamt- soweit ersichtlich- keinerlei Bezug zur Umweltinformationsrichtlinie. Für Brandenburg liegt eine an staatlicher Transparenz orientierte Auslegung der Verfassung insgesamt hinsichtlich der Bemühungen um eine (nach hier vertretener Auffassung überwiegend gescheiterte) Manifestation allgemeiner Aktenöffentlichkeit im Art. 21 Abs. 4 BbgVerf auf der Hand. Mit Blick auf die überwiegend parallelen Entwicklungen und der identischen ursprünglichen Motivationen der Verfassungsbewegungen lassen sich folglich auch den Art. 39 Abs. 7 S. 2 Bbg Verf, Art. 34 SächsVerf, Art. 6 Abs. 2 S.-A. Verfund Art. 33 ThürVerf der Umweltschutz und die Gewährleistung staatlicher Transparenz als normativer Sinn zuordnen. 3. Bewertung des Zeitraums zwischen der Verabschiedung der Umweltinformationsrichtlinie und dem lokrafttreten des UIG Die im Hinblick auf den Erlaß von Informationszugangsrechten besonders ereignisreiche Zeit zwischen der Verabschiedung der Umweltinformationsrichtlinie und dem Inkrafttreten des UIG ist also von zwei vollständig zu trennenden Entwicklungen geprägt: Einerseits entwickeln die fünf neuen Länder weitestgehend unabhängig von der Richtlinie eigene voraussetzungslose Umweltinformationszugangsrechte zum Zweck des Umweltschutzes und der Gewährleistung einer partiellen Transparenz der landesstaatlichen Gewalt und verankern diese in ihren neuen Verfassungen. Andererseits bemühen sich nicht nur die neuen Länder ausdrücklich darum, zumindest partiell durch Spezialvorschriften in ihren Landeswasser-, -bodenschutzund -naturschutzgesetzen ihren aus der Richtlinie obliegenden Umsetzungsverpflichtungen zu genügen.
317
Vgl. oben, A. VI.
B. Sinn der Informationsansprüche
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VI. Die Entstehung und der Sinn allgemeiner Informationsfreiheitsgesetze Die oben im Hinblick auf ihren Anwendungsbereich betrachteten allgemeinen Informationszugangsrechte Brandenburgs, Berlins und Schleswig-Holsteins treten deutlich später als das UIG in den Jahren 1998, 1999 und 2000 in Kraft318 • Ihr normativer Sinn ist hinsichtlich ihres nicht auf Umweltinformationen begrenzten (IFG-S.-H.) oder diese sogar ausschließenden (BbgAIG und BlniFG) Anwendungsbereichs freilich nicht im Umweltschutz zu sehen. Ähnlich unklar wie die des UIG ist zwar die Bestimmung des Gesetzeszwecks des § 1 IFG-S.-H., nach dem Zweck des IFG-S.-H. sei, den freien Zugang zu den bei den Behörden vorhandenen Informationen sowie die Verbreitung dieser Informationen zu gewährleisten und die grundlegenden Voraussetzungen festzulegen, unter denen derartige Informationen zugänglich gemacht werden sollen. Gleichwohlläßt sich aufgrund der Gesetzesmaterialien aus Schleswig-Holstein und Brandenburg, dessen AIG keine im Gesetzestext selbst formulierte Zweckbestimmung beinhaltet, auch diesen lnformationsfreiheitsgesetzen ein ähnlicher normativer Sinn entnehmen, wie er in § 1 BlniFG formuliert ist. Danach sei es der Zweck des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes, durch ein umfassendes Informationsrecht das in Akten festgelegte Wissen und Handeln öffentlicher Stellen unter Wahrung des Schutzes personenbezogener Daten unmittelbar der Allgemeinheit zugänglich zu machen, um über die bestehenden Informationsmöglichkeiten hinaus die demokratische Meinungs- und Willensbildung zu fördern und eine Kontrolle des staatlichen Handeins zu ermöglichen. Ähnlich betont der Gesetzentwurf Schleswig-Holsteins, die Förderung der Möglichkeit einer individuellen Meinungsbildung und die Einflußnahme auf die staatliche Willensbildung bei gleichzeitiger Erzeugung von Transparenz und mittelbar ausgeübter Kontrolle staatlicher Handlungen 319• Weniger präzise finden sich zwar vergleichbare Aussagen im Gesetzentwurf Brandenburgs, der das Recht des Bürgers auf Einsicht in staatliche Akten allgemeiner als Möglichkeit einer verbesserten Teilnahme an der politischen Mitgestaltung hervorhebt 320• Gleichwohl ergibt sich ein ähnlicher normativer Sinn des BbgAIG aus dem in der Begründung wiederholt genannten Bemühen, durch das AIG den Art. 21 Abs. 4 BbgVerf auszugestalten 321 , der seinerseits die heftigste landesverfassungsrechtliche Reaktion auf die undemokratischen und nicht transparenten Strukturen der DDR darstellt. In allen Gesetzesmaterialien wird die 318 Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz (AIG) Brandenburgs vom 10.3.98 (GVBI. I/1998, S. 46); Gesetz zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin (Berliner Informationsfreiheitsgesetz- IFG) vom 15.10.1999 (GVB!. 1999, 561 ); Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen fürdas Land Schleswig-Holstein- IFG-S.-H. (GVBI. 2000, 166); im folgenden im Plural allgemein als Informationsfreiheitsgesetze bezeichnet. Beachte auch das in der Darstellung nicht mehr berücksichtigte Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27.11.2001-IFG NRW (GVBI. 2001, 806). 319 LT-Drs. 14/2374, S. 11. 32o LT-Drs. 2/4417, S. 7. 321 Ebenda, S. I und 7 f.
13 Strohmeyer
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
bewußte Abkehr vom bisher in der Bundesrepublik dominierenden Prinzip des Amtsgeheimnisses und des Geheimwissens hervorgehoben 322• Im Vordergrund der Informationsfreiheitsgesetze stehen also die kommunikationsfreiheitsrechtliehen und die von den Landesgesetzgebern als demokratisch bezeichneten Funktionen von Informationszugangsrechten323 •
VII. Diskussion über die systematische Stellung des Umweltinformationszugangsrechts des §4 Abs.l S.l UIG Nach Durchführung dieser umfassenden Betrachtungen läßt sich nunmehr versuchen, das Umweltinformationszugangsrecht des § 4 Abs. 1 S. 1 UIG systematisch in das Funktionsgefüge sonstiger bis zu seinem Inkrafttreten bestehender Akteneinsichts- und sonstiger Informationsansprüche einzugliedern. Zunächst läßt sich in Deutschland eine im allgemeinen weitgehend kontinuierliche Entwicklung der entstehenden Informationszugangsansprüche feststellen: Nach Überwindung des Absolutismusses kommt es mangels einer erfolgreichen Revolutionsbewegung in Deutschland nicht zur plötzlichen, von der Aufklärung geforderten Einführung vollständiger Publizität staatlichen Handelns, sondern nur zu sehr begrenzten "Reformen von oben". Nach Zerschlagung des Totalitarismusses ist das deutsche Verwaltungsverfahrensrecht unter dem Regime des Grundgesetzes zunächst von einer rechtsstaatliehen Lockerung des Prinzips des Amtsgeheimnisses geprägt, die sich später durch Inkrafttreten des § 29 VwVfG einfach-gesetzlich fortsetzt und dort als Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit manifestiert. Da sich aus grundrechtliehen oder demokratischen Vorgaben des Grundgesetzes unter dem Einfluß der sich zunehmend etablierenden Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht keine weitergehenden Informationszugangsrechte zwingend ableiten lassen, wird ein großzügigeres Maß an Aktenöffentlichkeit in der Folgezeit hingegen nur sehr begrenzt gewährt. Auch der Mülheim-Kärlich-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, der zu einem ernsthafteren Umgang mit verwaltungsverfahrensrechtlichen Positionen und damit auch Akteneinsichtsrechten mahnt, diskutiert überwiegend die Grundrechtsqualität bereits bestehender, geschützter Rechtspositionen, ohne selbst neue zu fordern, und modifiziert die beschränkte Aktenöffentlichkeit folglich nicht. Lediglich § 29 BNatSchG schafft ein neues Akteneinsichtsrecht auf Bundesebene, das indes allenfalls mittelbar über die vom Gesetz geforderte AUge322 Besonders ausdrücklich hinsichtlich des BlniFG: LT-Drs. B/1623, S.4f. Vgl. aber auch LT-Drs.l4/2374, S. 2 für S.-H. und LT-Drs. 2/4417, S. 7 für Brandenburg. 323 V gl. zu den demokratiefördernden Aspekten von allgemeinen Akteneinsichtsrechten und ihrem genauen Wirkungsmechanismus im Hinblick auf kommunikationsfreiheitsrechtliche und "demokratische" Zielsetzungen ausführliehst unten, Teil 3, B.l. Dort wird sich zeigen, daß ein pauschaler Verweis auf "demokratische" und ,,rechtsstaatliche" Zwecke die Einführung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts nicht zu legitimieren vermag, und es wird dort aufgezeigt, was mit den von den Landesgesetzgebern angedeuteten Zielsetzungen gemeint sein kann.
B. Sinn der Informationsansprüche
195
meinzugänglichkeit der anerkannten Naturschutzverbände zugunsten der Allgemeinheit besteht und dessen Anwendungsbereich eng auf spezielle naturschutzrechtliche Konstellationen begrenzt ist. Ferner führt die Verfassung MecklenburgVorpommems kurz vor lokrafttreten des UIG ein §4 Abs.1 S.l UIG vergleichbares Umweltinformationszugangsrecht ein. Abgesehen davon läßt sich bis zum Inkrafttreten des UIG keine weitergehende Lockerung des aktenbezogenen Amtsgeheimnisses mehr nachweisen; die allgemeinen Informationsfreiheitsgesetze Brandenburgs, Berlins und Schleswig-Holsteins, nach denen auch ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht, entstehen später. Die aus demokratisch-partizipatorischen Gründen um mehr Öffentlichkeit bemühte Initiative der sozial-liberalen Koalition führt zwar eine Reihe neuer einfachgesetzlicher Informationszugangsrechte im Bereich des Planungsrechts ein. Gleichwohl enthalten diese keine Ansprüche auf Einsicht in die allgemeinen Verfahrensakten und berühren damit nicht die grundsätzliche Geheimhaltung der Inhalte behördlicher Akten. Dies ist überraschend, weil es gerade bei der Ausgestaltung eines demokratisch motivierten Informationszugangsrechts naheliegt, einen Akteneinsichtsanspruch gegenüber einem bloßen Auskunfts- oder Zugangsrecht zu ausgewählten Daten zu bevorzugen. Der gerade in demokratischer Hinsicht bedeutsame qualitative Unterschied der Ansprüche besteht nämlich darin, daß der Bürger bei der Akteneinsicht originäre oder zumindest keine anläßlich der Geltendmachung des Anspruchs nochmals gefilterten Informationen erhält, während beiden anderen Informationszugangsrechten eine (nicht notwendigerweise von einer unzulässigen Motivation getragene) Selektion der Informationen durch die Behörde oder den privaten Vorhabenträger vorausgeht. Auch die zahlreichen betrachteten landesrechtliehen Informationszugangsrechte, die wie die der Landesverfassungen der fünf neuen Länder mit Ausnahme des Art. 6 Abs. 3 M.-V. Verf zum Teil ebenfalls auf demokratischen Motivationen beruhen, sind nicht auf Akteneinsicht gerichtet und lassen damit die Entscheidung über die konkrete Auswahl der Informationen auf Seite der Behörden. Damit liegt auf der Hand, daß sich das UIG nicht in diese bedächtige aber bis dahin doch kontinuierliche Entwicklung der Informationszugangsrechte in Deutschland einfügt, indem es für den Bereich des Umweltrechts die Beschränkung der Aktenöffentlichkeit zumindest tatbestandlieh vollständig aufhebt, ohne dabei überwiegend rechtsstaatliche oder partiell auch demokratisch-partizipatorische Zwecksetzungen zu verfolgen. Indem das UIG in seinem § 1 vielmehr die auch dort nicht niedergeschriebene Zielsetzung des Art. 1 der Umweltinformationsrichtlinie übernimmt und auch die Gesetzesmaterialien nur das Streben nach Erfüllung der Umsetzungsverpflichtung zum Ausdruck bringen, läßt sich nämlich gerade kein rechtsstaatlicher oder demokratischer normativer Sinn des UIG begründen. Das UIG dient, wie oben gezeigt wurde 32\ vielmehr ausschließlich dem Umweltschutz, nicht auch den mit der Richtlinie zusätzlich verfolgten wettbewerbsrechtlichen Zielen. Das 324
13*
Vgl. dazu oben, A. I. I.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
UIG scheint sich damit allein in die Entwicklung der nahezu zeitgleich entstehenden sehr speziellen umweltschutzrechtlichen Vorschriften der§§ 116f. S.-H. WG, § 18 Abs.2 BodSchG B.-W., §67 BbgNatSchG, §§ 119f. M.-V. WG undArt.94 BayWG einzufügen. Schon im Hinblick auf den für diese Arbeit gewählten Titel ist indes erkennbar, daß es sich insoweit insgesamt um keine nationale Erscheinung handelt. Das UIG sowie die soeben genannten Vorschriften stellen vielmehr- auch ausweislich der insoweit oben betrachteten Gesetzesmaterialien325 - gemeinsam das Ergebnis der auf der Umweltinformationsrichtlinie beruhenden europarechtlichen Entwicklung dar. Ein nicht auf die Richtlinie zurückführbares Informationszugangsrecht, das wie §4 Abs.1 S.1 UIG ausschließlich dem Umweltschutz dient, findet sich im deutschen Recht zuvor hingegen ausschließlich in § 29 BNatSchG. Obwohl diese Vorschrift wie auch § 4 Abs. 1 S. 1 UIG interessanterweise nicht nur dem Umweltschutz dient, sondern sich ebenfalls dem noch spezielleren Ziel der Beseitigung umweltschutzrechtlicher Vollzugsdefizite durch die Einführung eines dem herkömmlichen Recht bis dahin fremdartigen Instruments verschreibt, kann hinsichtlich dieser vereinzelten und zum Zeitpunkt des Erlasses des UIG fast 20 Jahre alten Vorschrift von einem Einfügen des UIG in eine nationale Entwicklung keine Rede sein. Konsequenz der nicht-rechtsstaatliehen Zielsetzung des UIG ist letztlich auch der strukturelle Unterschied zu anderen Informationszugangsrechten und insbesondere zu§ 29 VwVfG. Letzterer dient ausschließlich der Durchsetzung sonstiger subjektiver Rechte. Ist ein solches Recht nicht verletzt, so kann der Bürger die Erlangung der von ihm begehrten Informationen auf Grundlage des § 29 VwVfG im Sinne der Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht und im Hinblick auf§§ 44a VwGO, 46 VwVfG oftmals auch dann nicht gerichtlich durchsetzen, wenn ihm die Informationen rechtswidrigerweise vorenthalten worden sind. Demgegenüber dient das Umweltinformationszugangsrecht allein dem Umweltschutz und keinesfalls auch der Verfolgung sonstiger subjektiver Rechte. Da es vielmehr selbst eine eigenständige Rechtsposition beinhaltet, die hinsichtlich der Umsetzungspflicht insoweit bestehender europarechtlicher Vorgaben 326 auch als subjektiv-rechtlich zu qualifizieren ist, läßt es sich als selbständiges subjektiv-öffentliches Recht isoliert gerichtlich durchsetzen. Umgekehrt führt ein ausschließlich nach dem UIG beantragter und rechtswidrigerweise verweigerter Umweltinformationszugang in keinem denkbaren Fall zur Rechtswidrigkeit einer sonstigen nicht die Herausgabe eben dieser Informationen betreffenden staatlichen Entscheidung. Wird beispielsweise ein Vorhaben trotz einer (zufallig) während des Verfahrens verübten Verletzung ausschließlich von Informationszugangsrechten des UIG genehmigt, so ist diese Genehmigung gleichwohl rechtmäßig. Auch wer nach erfolgreicher Inanspruchnahme seines Rechts aus § 4 UIG eine objektiv vorliegende Verletzung sonstiger umweltrechtlicher Vorschriften entdeckt, ist bei Fehlen eines eigenen subjektiven Rechts hinsichtlich dieses Verstoßes gegen die Rechtsordnung regelmäßig daran gehindert, diese 325 326
V gl. dazu oben, V. 1. V gl. dazu auch oben, Teil 1, A. IV. 1. und V.
B. Sinn der Informationsansprüche
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Kenntnisse dazu zu benutzen, mit Hilfe der Gerichte umweltrechtmäßige Zustände durchzusetzen. Der das UIG im Umweltschutzinteresse nutzende Bürger wird folglich oft einsehen müssen, daß seine neuen Kenntnisse schnell zu einem "stumpfen Schwert" geraten, wenn ihm die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung rechtmäßiger Zustände fehlt 327• Das UIG beschwört folglich nicht die Gefahr der Einführung eines allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruchs als Konsequenz einer Auflösung der Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht herauf. Aufgrund dieser in der Struktur des Umweltinformationszugangsrechts angelegten Rechtsfolgen erschließt sich eine weitere Rückkopplung seiner Funktionen an einen oben bereits angesprochenen umweltrechtsspezifischen Gesichtspunkt: Indem der Bürger durch das Umweltinformationszugangsrecht nur mit einem stumpfen Schwert bewaffnet wird, bekommt seine intendierte Instrumentalisierung in der Tat nun doch einen gewissen abwertenden Unterton- deutlich geprägt vom richtungsweisenden Vorsorgeprinzip des Umweltrechts kommt es dem Umweltinformationszugangsrecht nämlich nur am Rande darauf an, dem Bürger die befriedigende Möglichkeit zu geben, rechtswidrige Belastungen der Umwelt mit Hilfe der Gerichte rückgängig machen zu können; es geht vielmehr vor allem darum, mittelbar durch den Mechanismus möglicher Kontrolle der Verwaltung durch den Bürger Umweltbelastungen durch eine gesteigerte Motivation der Umweltverwaltungen zu umweltrechtmäßigem Verhalten von vomherein auszuschließen 328• Dieser Zusammenhang verdeutlicht nochmals, daß dem Umweltinformationszugangsrecht nicht nur keine demokratischen Zielsetzungen zugrunde liegen, sondern auch, daß es nicht- wie teilweise behauptet329 - zu einer Verschiebung der Aufgabe der demokratischen Kontrolle der Exekutive in der repräsentativ-parlamentarischen Demokratie führt. Soweit der Bürger aufgrund seiner Rechtskenntnis dazu in der Lage ist, die erlangten Umweltinformationen tatsächlich dazu zu nutzen, das Verhalten der Behörde auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, und das Ergebnis der Behörde oder der Allgemeinheit zu offenbaren, kommt es in der Tat zu einer Kontrolle der Verwaltung. Überlagert wird diese tatsächliche Möglichkeit aber von dem Zweck des Umweltinformationszugangsrechts, solche Überprüfungen nach Möglichkeit durch von vomherein umweltrechtmäßiges Verhalten der Behörden entbehrlich zu machen. Die bloße Möglichkeit einer Kontrolle der Verwaltung ist damit das wichtigste Element des mittelbar wirkenden und dem Vorsorgeprinzip zuzuordnenden Instruments des Umweltinformationszugangsrechts. Die nachfolgende tatsächliche Kontrolle vermag Umweltschäden hingegen oftmals nicht mehr vorzubeugen, und stellt zum Teil nur einen- durchaus vom Gesetzgeber intendierten- Reflex des Phänomens dar, daß es die Verbreitung von Informationen dem sich InforEbenso: Reinhardt, Die Verwaltung 1997, 161, 173. Vgl. zu diesem Instrumentalisierungsmechanismus und dem ihm auch ausweislich der europäischen Gesetzesmaterialien zugrunde liegenden Vorsorgeprinzip ausführliehst bereits oben, Teil!, A. V. Weiterführend in empirischer Hinsicht auch unten, C. 329 So: Erichsen, NVwZ 1992,409,419. 327
328
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
mierenden überläßt, in welcher Weise er von einer Information Gebrauch macht oder nicht 330• Keinesfalls besteht eine wie auch immer geartete Verpflichtung der Bürger, die Verwaltung zu kontrollieren. Das Umweltinformationszugangsrecht des § 4 Abs. 1 S. 1 UIG läßt sich systematisch nicht in die Struktur bestehender Informationszugangsrechte einfügen, es bricht mit dem das deutsche Verwaltungsrecht überwiegend prägenden Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit zugunsten einer grundsätzlichen Öffentlichkeit der Umweltakten. Es läßt sich indes in die Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht eingliedern, wenn sich seine Rechtsfolgen insbesondere im Falle seiner Verletzung auch von denen anderer Informationszugangsrechte deutlich unterscheiden. Von seinen Funktionen her betrachtet ähnelt das Umweltinformationszugangsrecht dem§ 29 BNatSchG, indem durch ein spezielles, bis dahin der Rechtsordnung fremdes Instrument der Umweltbelastungen vorbeugende Vollzug sonstiger umweltrechtlicher Vorschriften verbessert werden soll. Es dient dem Umweltschutz, nicht hingegen demokratischen oder rechtsstaatliehen Zielsetzungen. Soweit es tatsächlich zu einer Kontrolle staatlicher Entscheidungen durch die Bürger führt, stellt dies überwiegend einen bloßen Reflex seines Wirkungsmechanismusses dar. Dieser ändert an der Verantwortung der Exekutive gegenüber den unmittelbar demokratisch legitimierten Parlamenten nichts.
C. Konkrete Erfahrungen mit dem Umweltinformationszugangsrecht und mit Modellen weitergehender Aktenöffentlichkeiten in anderen Staaten und internationalen Organisationen I. Methodische Problemstellungen Die Möglichkeit, rechtstatsächlich festzustellen, ob die Inhaber von Umweltoder sonstigen Informationszugangsrechten von ihren Rechten Gebrauch machen, unterliegt keinen besonderen methodischen Schwierigkeiten. Derartige Feststellungen sowie Aussagen über die Person, die Herkunft und die Erfolgsaussichten desjenigen, der einen Antrag auf Informationszugang stellt, können nach Erhebung quantifizierenden statistischen Materials ohne weiteres getroffen werden und liegen teilweise vor - nicht in Deutschland, aber bei den Institutionen der EU und beispielsweise auch in den USA und Kanada. Der Nachweis, ob die verschiedenen Informationszugangsrechte die mit ihnen vom jeweiligen Gesetzgeber beabsichtigten Regelungsziele auch tatsächlich erreichen können, ist indes überaus schwer zu erbringen, soweit es dem jeweiligen Gesetzgeber um mehr geht, als den Berechtigten einen neuen Anspruch einzuräumen, von dem ihm gleichgültig ist, ob sie ihn nutzen oder nicht. 330
Vgl. insoweit ebenso: Eifert, DÖV 1994, 544, 546 mwN.
C. Konkrete Erfahrungen
199
Beim Umweltinformationszugangsrecht des § 4 Abs. 1 S. 1 UIG, das versucht, den Bürger für die Verbesserung des Umweltschutzes zu instrumentalisieren, indem es durch die Einräumung eines subjektiven Informationsanspruchs eine größere Öffentlichkeit des Verwaltungshandeins schaffen will, um so mittelbar einen strengeren Vollzug und eine bessere Einhaltung des geltenden sonstigen Umweltrechts durchzusetzen, unterliegt der Nachweis der Erreichbarkelt dieser Ziele einer Vielzahl von Schwierigkeiten. Zunächst ist schon die Bestimmung des konkreten Mißstands eines umweltrechtlichen Vollzugsdefizits mit erheblichem Aufwand verbunden, da keine allgemeine behördeninterne oder sonstige staatliche "Vollzugsrechnungslegung" durchgeführt wird, die eine Bewertung des allgemeinen Gesetzesvollzugs ermöglichen würde 331 • Vor allem soll sich die angestrebte "mittelbare Vollzugskontrolle" aber in zwei verschiedenen Wirkungsweisen vollziehen, die ihrerseits jeweils weitere methodische Probleme nach sich ziehen: Soweit präventiv der Vollzug des Umweltrechts verbessert werden soll, weil sich die vollzugsverpflichteten Behörden möglicherweise später gestellten Umweltinformationsanträgen ausgesetzt sehen und sich deshalb sogleich zu einem intensiveren Vollzugsbemühen motivieren können, liegt der mögliche Wirkungszusammenhang in einem ähnlich vagen Bereich wie die Beurteilung der Effektivität der Medien als sogenannte faktische "Vierte Gewalt" hinsichtlich der von ihnen ausgeübten präventiven Kontrolle der staatlichen Institutionen. Einer ähnlichen Wirkung unterliegt auch die aufgrund von § 4 Abs. 1 S. 1 UIG erwartete bessere Einhaltung sonstiger umweltrechtlicher Vorschriften durch potentielle Umweltverschmutzer. Soweit der Vollzug des Umweltrechts hingegen durch nachträgliche Kontrolle bereits getroffener behördlicher Entscheidungen verbessert werden soll, stellen sich die möglichen Folgen als noch mittelbarer dar: Mangels eines dem Bürger zur Seite stehenden wirksamen rechtlichen Durchsetzungsinstruments332 hinsichtlich der mittels des Zugangsrechts gegebenenfalls aufgedeckten rechtswidrigen Handlungen der Behörden kann sich lediglich ein Prozeß informeller Verhandlungen zwischen Bürger und Verwaltung zur Korrektur der festgestellten Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der gesetzlich vorgegebenen Soll-Beschaffenheit anschließen, dessen Ablauf sich nur schwer verfolgen oder gar bewerten läßt. Darüber hinaus besteht hinsichtlich aller Wrrkungsalternativen eine ganz erhebliche methodische Unsicherheit darin, daß- nicht nur theoretisch, sondern auch aufgrund sich verdichtender konkreter Anhaltspunkte- auch ein seinerseits schwer quantifizierbares Defizit des Vollzugs des Umweltinformationszugangsrechts selbst wahrscheinlich ist333 • Ein solches Defizit verfälscht alle anderen Ergebnisse, weil eigentlich zu quantifizieren wäre, inwieweit Vollzugsdefizite des Umweltinformationszugangsrechts in Zusammenhang mit Vollzugsdefiziten des sonstigen Umweltrechts stehen, inwieweit Behörden "präventiv" also weitere Vollzugsdefizite entstehen lassen, um bestehende Defizite zu verLübbe-Wolff, in: dies., S. 79f. mwN. Vgl. dazu schon oben, B. VII. und vor allem sogleich unten, 11.2. 333 Bezüglich dieses Defizits und seiner Konsequenzen hinsichtlich der Vollzugsdefizite, die eigentlich bekämpft werden sollen, vgl. auch: Kimber/Ekardt, NuR 1999,262,262 mwN. 331 332
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
decken. Insgesamt lassen sich aufgrund der nachfolgend angeführten Statistiken also allenfalls höchst begrenzte Aussagen treffen 334.
II. Konkrete Erfahrungen in Deutschland mit § 4 Abs. 1 S. 1 UIG Wie oben ausgeführt worden ist, stellen die Verbesserung des Umweltbewußtseins der Bürger (Sensibilisierung) und demokratische oder rechtsstaatliche Aspekte weder Ziele des europäischen noch des deutschen Umweltinformationszugangsrechts dar335 • § 4 Abs.l S.l UIG dient auch nicht der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen336. Empirisch zu überprüfen bleibt die Erfolgswahrscheinlichkeit der vom UIG und der Richtlinie intendierten mittelbaren Vollzugskontrolle des Umweltrechts und seine Einhaltung auch durch potentielle Umweltverschmutzer. 1. Präventivkontrolle Hinsichtlich der erwähnten Präventivkontrolle der Behörden, die auf der Annahme beruht, daß sich die vollzugsverpflichteten Mitarbeiter zu einem intensiveren Vollzugsbemühen motivieren können, weil sie sich möglicherweise später gestellten Umweltinformationsanträgen ausgesetzt sehen, sind bisher keinerlei empirische Studien ersichtlich. Die juristische Untersuchung kann sich insoweit nur auf auf vernünftigen Überlegungen beruhende Wahrscheinlichkeiten stützen oder ähnliche Studien heranziehen. Bei der Überprüfung der in Betracht kommenden vernünftigen Vermutungen liegt es dabei relativ nahe, den Gedanken zu bejahen, daß sich eine Behörde durch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Kontrolle ihres Verhaltens über die ohnehin bestehende Gesetzesbindung hinaus besonders für den Vollzug des Umweltrechts einsetzt. Allerdings liegt umgekehrt auf der Hand, daß die Motivation einer Behörde nicht durch die Erhöhung von Druck, Überwachung und Mißtrauen grenzenlos steigerungsfähig ist. In gleichem Maße kann daraus umgekehrt Potential für kontraproduktive Reaktionen entstehen, zumal die durch die Organisation der Behörden bedingten Vollzugsdefizite keinesfalls allein auf unzureichender Motivation der Mitarbeiter beruhen, sondern mindestens in gleichem Maße auf fachlicher Überforderung und mangelnder personeller Ausstattung in Verbindung mit "erheblichem Vollzugsgegendruck" durch Anlagenbetreiber, Vorgesetzte und Politiker337• Geht man ferner davon aus, daß der strengere Vollzug des Umweltrechts mit intensiverem zeitlichen Aufwand verbunden ist, so erscheint aufgrund allgemeiner Erwä334 Ähnlich insgesamt kritisch auch: Turiaux, § 8 Rn 13. Allgemein optimistischer hingegen Bender!Sparwasser!Engel, Kapitel2, Rn 16. 335 V gl. dazu oben hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts, Teil 1, A. IV. und hinsichtlich § 4 UIG, oben, A.I.l. 336 V gl. dazu oben, A. I. 1. 337 Lübbe-Woljf. in: dies., S. 81 f. mwN.
C. Konkrete Erfahrungen
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gungennicht gesichert, daß die kontraproduktiven Reaktionen nicht überwiegen. Insoweit kann indes mittlerweile- unter dem Vorbehalt der methodisch bedingten eingeschränkten Aussagekraft der Ergebnisse- empirisch belegt werden, daß die deutschen Umweltbehörden das Verhältnis des Bürgers zur Behörde aufgrund der Umweltinfonnationsrichtlinie eher als verbessert einschätzen338, während sie ihre Arbeit durch die Geltendmachung von Umweltinformationsansprüchen durch die Bürger als kaum beeinträchtigt ansehen 339• Damit sprechen vernünftige Überlegungen dafür, daß es das UIG vermag, die Umweltbehörden zu einem sorgsameren Vollzug sonstiger Umweltgesetze zu motivieren 340• Eine ähnliche Einschätzung läßt auch ein Vergleich zu den Auswirkungen der Berichterstattung der Presse zu. Auch der Presse steht ähnlich wie den Inhabern des Umweltinfonnationszugangsrechts im Falle der Entdeckung rechtswidrigen staatlichen Handeins generell keine subjektiv-rechtliche Durchsetzungsmöglichkeit rechtmäßiger Zustände zur Seite. Gleichwohl wird seit jeher aufgrund der Omnipräsenz der Presse gemeinhin davon ausgegangen, daß sie präventiv dazu beiträgt, die staatlichen Institutionen aufgrund der potentiell möglichen Kontrolle intensiver an ihre nonnativen Verpflichtungen zu binden, obwohl auch die diese These stützende Literatur verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen341 - soweit ersichtlich- bisher auf den nur schwer zu führenden empirischen Nachweis verzichtet. Da das Parlament anders als die Presse aufgrund seiner Verflechtung durch das Parteiensystem regelmäßig weder bereit noch in der Lage dazu sei, die anderen Staatsgewalten hinreichend zu kontrollieren, stelle die Presse damit heute nicht (verfassungs-)rechtlich aber faktisch eine Art "Vierte Gewalt" dar 342 • Zweifelsohne ist dabei das den staatlichen Institutionen psychologisch vorschwebende Drohpotential durch die mögliche Entdeckung durch die Presse als deutlich größer anzusehen als der durch das UIG vermittelte potentielle Druck durch die Bürger. Allerdings dürfte es, wie auch die Umweltverwaltung weiß, dem Bürger - insbesondere hinsichtlich des in Deutschland weit verbreiteten Umweltbewußtseins-regelmäßig möglich sein, für von ihm aufgedeckte Vollzugsdefizite des Umweltrechts mittels der Presse schnell 338 Nach einer von Albin im Dezember 1994 initiierten, mittels einmalig auszufüllendem Fragebogen durchgeführten schriftlichen Umfrage bei überwiegend deutschen (und vor allem bayerischen) Umweltbehörden mit einer Rücklaufquote von 44 % gaben die meisten der antwortenden Behörden (34%) bei einer Auswahl von fünf möglichen Antworten an, daß sie am ehesten die Einschätzung teilten, daß die Umweltinformationsrichtlinie das Verhältnis des Bürgers zur Verwaltung verbessern würde- vgl. Albin, S. 155 mit Darstellung der anderen Antwortaltemativen; konkret zu den Versuchsbedingungen: S. 38 ff. 339 Im Rahmen der in der vorgenannten Fußnote erläuterten Umfrage sahen sich nur 5 % der Behörden einer über einen Mittelwert hinausgehenden starken Arbeitsbelastung durch Umweltinformationsansprüche ausgesetzt- vgl. Albin, S. 153. 340 So im Ergebnis ebenfalls: Hatje, EuR 1998,734,741. 341 Vgl. beispielsweise Schulz, S. 24f. mwN und S. 31 f. Vgl. über die Presse hinausgehend allgemein der herkömmlichen kritischen Öffentlichkeit präventive Kontroll- und Legitimationsfunktionen zuschreibend auch: Habermas, S.42f., 213. 342 Vgl. insbesondere: Löffler/Ricker, S. 22f. mwN.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
ein größeres Forum zu erzeugen. Damit ist unter Beachtung der methodologisch gebotenen Vorsicht davon auszugehen, daß das Umweltinformationszugangsrecht sein Ziel, die Behörden zu einem strengeren Vollzug der sonstigen Umweltgesetze zu motivieren, mit hinreichend großer Wahrscheinlichkeit erreicht. Insoweit leistet das Umweltinformationszugangsrecht als Instrument der Vorsorge einen wichtigen Beitrag zum präventiven Umweltschutz. Bestätigen vernünftige Überlegungen das Eintreten der vom Gesetzgeber intendierten Präventivwirkung hinsichtlich des durch die größere Motivierung der Behörden teilweise vermeidbaren Vollzugsdefizits, so erscheint es erst recht als wahrscheinlich, daß auch potentielle Umweltverschmutzer zumindest partiell aufgrund der möglichen Entdeckung der Versehrnutzung von ansonsten in Betracht gezogenen Verschmutzungen absehen, weil diese wegen des Umweltinformationszugangsrechts nach ihrem Eingang in behördliche Akten prinzipiell der Öffentlichkeit allgemeinen zugänglich werden können. Umweltverschmutzer können im allgemeinen nur sehr begrenzt darauf vertrauen, daß ihr Verhalten aufgrund datenschutzrechtlicher Schutztatbestände wie § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. I UIG nicht öffentlich zugänglich wird. Wie die oben in Teil 1 bereits durchgeführte Abwägung von umweltschutzrechtlichen mit datenschutzrechtlichen Positionen im Fall von Umweltordnungswidrigkeiten verdeutlicht 343 , stellen nämlich der Name eines Verschmutzers und der Ort der Umweltverschmutzung insbesondere im Hinblick auf eine effektive Heranziehung des Störers zu seiner Verantwortung wichtige Umweltinformationen mit starkem Sozialbezug dar. Emissionen und auch die Verschmutzungshandlungen selbst stellen nach ganz überwiegender Auffassung hingegen schon keine prinzipiell schutzwürdigen personenbezogenen Daten dar344• Nur in seltenen, oben in Teil 1 erläuterten Konstellationen besteht deshalb ein datenrechtlicher Schutz vor der Offenbarung von Umweltverschmutzungshandlungen. Praktisch nur ausnahmsweise unterfallen sie auch in Form von Emissionen, die präzise Rückschlüsse auf Produktionsweisen oder Rezepturen erlauben, dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 S. 2 UIG zum Schutz der Geschäftsgeheirnnisse 345 • Des weiteren bietet auch der unlängst in § 7 Abs. I Nr. 2 UIG eingeführte Ausschlußgrund des ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfahrens aufgrund der Öffentlichkeit des Verfahrens in Ordnungswidrigkeiten gemäß §7I OWiG i.V.m. § I69 GVG nureinen geringen Schutz vor ungewollter Öffentlichkeit. Die damit durch § 4 Abs. 1 S. 1 UIG bedingte erhöhte Wahrscheinlichkeit der allgemeinen Offenbarung entdeckter Umweltverschmutzungen, inklusive der Namen der Verantwortlichen, dürfte auch in der Vorstellung potentieller Verschmutzer bestehen, auf die es im Rahmen von psychologischen Präventivwirkungen maßgeblich ankommt. Insbesondere größere Unternehmen sind sich einer ständigen faktischen Überwachung durch die Allgemeinheit bewußt Vgl. oben, Teil I, B. II.2.a)dd)(3). Vgl. statt aller: Turiaux, § 8 Rn 10 mwN. 345 Hinsichtlich dieses praktischen Aspekts ebenso: Turiaux, § 8 Rn 99 mwN. Die rechtliche Würdigung wirdindes unten in Teil3, A.l.2.a)aa) vorgenommen. 343
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C. Konkrete Erfahrungen
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und tendieren deshalb traditionell auch insgesamt zu einer eher begrenzten Informationspolitik346. Sicherlich dürfte das UIG keine psychologische Präventivwirkung im Hinblick auf kleine alltägliche Verschmutzungen durch die Allgemeinheit entfalten. Insoweit mangelt es beispielsweise dem Wegwerfen der Bananenschale o. ä. regelmäßig an hinreichender politischer Bedeutung, die die Inhaber des Umweltinformationszugangsrechts zu einer umfassenderen Verbreitung der Information animieren würde. Selbst wenn solches Verhalten im Einzelfall als Ordnungswidrigkeit und Umweltinformation bei den Behörden gespeichert wäre, ist das mangelnde Interesse Dritter auch dem Klein-Sünder bewußt. Demgegenüber ist bei überregional operierenden Unternehmen, Großanlagen und lokal bedeutsamen Betrieben die Bedeutung des sogenannten Umweltimages nicht zu unterschätzen. So beruht beispielsweise der teilweise Erfolg des gesamten Konzepts des Öko-Audits auf dem großen Bedürfnis vieler Unternehmen, sich als für den Umweltschutz engagiert darzustellen 347 . Auch zeigen die in großem Maße für ihr Öko-Image von den Unternehmen eingesetzten Werbemittel, daß sie dieses als besonders wichtig ansehen, wenn sie nicht sogar mit diesem selbst werben 348 . Hinsichtlich dieser gewachsenen Bedeutung des Images von Großkonzernen aber auch von regional bedeutenden Betrieben, die für ihre Produktion auf die Akzeptanz der benachbarten Bevölkerung, der Behörden und auch potentieller Arbeitnehmer angewiesen sind, erscheint damit die Annahme vernünftig, daß die wahrscheinlicher gewordene Möglichkeit einer umfassenden Verbreitung der Informationen über Verschmutzungen der Umwelt im Falle ihrer Entdekkung potentielle Umweltverschmutzer in größerem Maße als zuvor von in Betracht gezogenen Verschmutzungen abhält. Dies gilt um so mehr, da die gleichzeitig mit dem UIG durch die größere Motivation der Behörden teilweise erreichten präventiven Vollzugsverbesserungen für den privaten Umweltverschrnutzer gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung einer Versehrnutzung und der polizeilichen Inanspruchnahme des Störers erhöht. Strafrechtlich formuliert vergrößert sich also nicht nur das Entdeckungsrisiko des Sünders, sondern es droht auch eine als besonders empfindlich wahrgenommene spezifische Sanktion. Es liegt demnach eine Konstellation vor, in der die Kriminologie die Motivation zur Befolgung der Gesetze als besonders hoch einschätzt349. Damit ist davon auszugehen, daß das UmweltVgl. dazu: Winter, in: ders., S.l8ff. Vgl. allgemein zum Öko-Audit und zum Öko-Image: Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn 340ff., 353. Zum absolut gesehen eher begrenzten, im europäischen Vergleich aber großen und unlängst durch umfassendere Beteiligung der Unternehmen am Öko-Audit zunehmenden Erfolg des Öko-Audits trotz der von den Unternehmen für das Audit aufzubringenden Kosten von durchschnittlich mehr als IOO.OOODM (BT-Drs.l3/11127 S. 7) vgl.: Martini, S.277f. und 295. Ferner auch BT-Drs.l3/11127 S. 7, beide Quellen mit weiteren empirischen Nachweisen. 348 Diese Auffassung bestätigt auch die ehemalige Bundesregierung in einer Antwort im Rahmen einer Großen Anfrage einiger MdB und der Fraktion der SPD (BT-Drs. 12/1273, S. 8). 349 Vgl. zu den kriminologischen Effekten der Androhung spezifischer Sanktionen: Eisenberg, § 43 Rn 13 mwN und zu den Auswirkungen einer erhöhten Entdeckungswahrscheinlichkeit: Bock/Böhm, in: Göppinger, S.163 mwN. 346 347
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
informationszugangsrecht auch sein Ziel, potentielle Umweltverschmutzer von in Betracht gezogenen Umweltverschmutzungen abzuhalten, erreicht und so ebenfalls dem präventiven Schutz der Umwelt nutzt350• 2. Nachträgliche Kontrolle Deckt der Bürger Vollzugsdefizite dadurch auf, daß er der Behörde schlechterdings ihm unrechtmäßig erscheinende Umweltzustände meldet, die die Behörde nach einer Überprüfung gegebenenfalls korrigiert, so ist allein in dieser Kooperation zwischen Bürger und Behörde noch kein Erfolg des Umweltinformationszugangsrechts zu erblicken. Eine solche Beseitigung von Vollzugsdefiziten steht in keinem Zusammenhang mit der Existenz des Zugangsrechts. Soweit die Gesetzgeber des Umweltinformationszugangsrechts also eine Verbesserung des Vollzugs des Umweltrechts durch nachträgliche Kontrolle bereits getroffener behördlicher Entscheidungen intendieren, ist Voraussetzung für den Erfolg dieser Zielsetzung, daß zunächst überhaupt von dem Zugangsrecht Gebrauch gemacht wird. Trotz des immensenjuristischen Interessesam Umweltinformationszugangsrecht bestehen indes bisher nicht einmal gesicherte empirische Erkenntnisse darüber, ob die Bürger ihr neues Recht überhaupt praktisch in Anspruch nehmen. Der- soweit ersichtlich- einzige Versuch, die nach normalem Dafürhalten wahrscheinliche Nutzung des Umweltinformationsanspruchs durch die Bürger rechtstatsächlich zu bestätigen, hat keine eindeutigen Ergebnisse hervorbringen können: Nach einer im Rahmen einer juristischen Promotion per Fragebogen postalisch durchgeführten Befragung von 194 Umweltschutzbehörden gaben knapp 80% der Mitarbeiter der 85 antwortenden Behörden zunächst an, daß sich die durchschnittliche Anzahl der geltend gemachten Umweltinformationsansprüche mit Beginn der unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 31.12.92 ihrer Einschätzung nach nicht erhöht hätte 351 • Der von der Autorinder Untersuchungaufgrund einer zweiten Frage, bei der die Mitarbeiter die absolute Anzahl der vor und nach dem Inkrafttreten des UIG gestellten Anträge angeben sollten, ausgemachte plötzliche Anstieg von Informationsansprüchen während der zweiten Hälfte des Jahres 1994 nach Inkrafttreten des UIG beruht hingegen auf einer sehr problematischen experimentellen Basis 352 : Da in der Umfrage die Phase nach Inkrafttreten des UIG nur ein Drittel des Vergleichszeitraums ausmacht, beruht der festgestellte Anstieg von Anträgen auf einer Hochrechnung von Ergebnissen aus der kürzeren Phase nach Inkrafttreten des UIG, von der ohnehin wahrscheinlich ist, daß sie die Mitarbeiter, weil kürzer zurückliegend, besser erinnern, beziehungsweise in der sie Anträge auch eher als förmliche Umweltinformationsanträge auffassen. Im Ergebnis ebenso: Röger, § 1 Rn4. Vgl. insoweit die Ergebnisse von Albin, S. 140f. Zu den von ihr allgemein zugrundegelegten Versuchsbedingungen näher: Albin, S. 38 ff. 352 Vgl. ebenda, S.141 f. 350
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Nicht völlig zu überraschen vermag es deshalb, daß die Bundesregierung, ohne selbst neuere Nachforschungen anzustellen, noch 1997 in ihrem gemäß Art. 8 der Umweltinformationsrichtlinie der Kommission zu übermittelnden Bericht über die Erfahrungen mit der Richtlinie davon ausgeht, daß die Länder allgemein keinen Anstieg der Anzahl geltend gemachter Ansprüche ausmachen könnten 353 • Demgegenüber erklärt die Kommission in ihrem (unter anderem auf dem der Bundesregierung beruhenden) Bericht über die Erfahrungen der Mitgliedstaaten mit der Richtlinie ihrerseits ungerührt, daß sich aus den Berichten der Mitgliedstaaten ergebe, daß Personen und Organisationen in der gesamten Europäischen Union seit dem Inkrafttreten der Richtlinie die daraus hervorgegangenen Rechtsvorschriften ( ... )genutzt hätten3s4. Trotz dieser widersprüchlichen Aussagen erscheint es indes nicht vermessen, aufgrund von Feststellungen allgemeinerer Art davon auszugehen, daß die Bürger ihr Umweltinformationszugangsrecht generell in einem gewissen Maße nutzen. Schon aufgrund der zahlreichen oben betrachteten vielfältigen Rechtsstreitigkeiten in höheren Instanzen läßt sich nämlich annehmen, daß die Bürger ihr Recht nicht nur überhaupt in Anspruch nehmen, sondern sogar mit einer erwähnenswerten Konsequenz auch versuchen durchzusetzen 355 • Des weiteren hat das Umweltinformationszugangsrecht neben der soeben erläuterten zu weiteren empirischen Untersuchungen über den tatsächlichen Umgang der Behörden mit diesem Recht animiert, die hinsichtlich ihrer teils umfassenden Ausrichtung mit bei mehreren hundert Behörden gestellten Umweltinformationsanträgen schon für sich genommen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Zunahme der absolut gestellten Anträge auf Zugang zu Umweltinformationen erwarten lassen 356. Ist damit einerseits von einer prinzipiellen Nutzung des Umweltinformationszugangsrechts durch die Bürger auszugehen, während andererseits oben bereits ein bedeutsames Vollzugsdefizit des sonstigen geltenden Umweltrechts aufgezeigt und ansatzweise erklärt werden konnte 357 , so ist damit auch anzunehmen, daß die Bürger bei der Ausübung ihres Rechts regelmäßig auf Vollzugsdefizite stoßen und diese aufzuzeigen vermögen. Eine andere Prognose wäre nur gerechtfertigt, wenn der Vollzug des UIG seinerseits Defiziten unterliegt, die in einem sachlichen ZusamS. 2 dieses- soweit ersichtlich- unveröffentlichten Berichts des BMU vom 11.7.1997. Bericht der Kommission vom 29.6.2000 an den Rat und das Europäische Parlament über die Erfahrungen aus der Anwendung der Umweltinformationsrichtlinie (KOM (2000) 400 endgültig), S. 10. 355 V gl. dazu die zahlreichen oben insbesondere in den Fußnoten genannten Beispiele, A. I.; vgl. ferner die überblicksartige Darstellung von Rossi, UPR 2000, 175 ff. zur jüngsten Rechtsprechung zum UIG. 356 Im Auftrag des Öko-Instituts Darmstadt bekamen die Umweltbehörden aller 445 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland im Frühjahr 1995 von Privatpersonen jeweils eine auf das UIG gestütze Anfrage zu Altlasten und eine zum Trinkwasser gestellt; vgl. darüber den Bericht bei Becker, Öko-Test 8/95, 31 ff. 357 Vgl. dazu schon oben, B.IV. mwN. 353
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menhang mit insofern verdeckten Defiziten des Vollzugs des sonstigen Umweltrechts stehen und damit übetproportional zur Ablehnung von Umweltinformationsanträgen in den Fällen führen, in denen der Bürger ansonsten ein Defizit des Vollzugs des sonstigen Rechts aufdecken könnte. Der Verdacht eines besonders großen Defizits des Vollzugs des UIG kann sich besonders auf die vom Öko-Institut in Darmstadt angeregte empirische Betrachtung des Umweltinformationszugangsrechts aus dem Jahre 1995 stützen. Dabei blieben von 890 Anfragen bei insgesamt 445 Landkreisen und kreisfreien Städten, bei denen jeweils zwei Umweltinformationsanträge gestellt wurden, 337 Anfragen, also knapp 40%, völlig unbeantwortet, während nur in 67 Fällen, also weniger als 10%, vollständige und kostenlose Informationen übermittelt wurden 358• Diese bereits für sich sprechenden Quoten verhärten sich hinsichtlich der nachweislich oftmals für die Informationsgewährung verlangten zu hohen Gebühren zu einem in bezug auf das UIG vorliegenden besonders großen Vollzugsdefizit In anschaulichen Extremfällen haben Landratsämter einem Antragsteller die Durchführung einer ohnehin fälligen Bestandsaufnahme der vorhandenen Altlasten für voraussichtliche Gebühren bis zu einer Höhe von 285.000 DM angeboten, beziehungsweise versucht, ein bereits in Auftrag gegebenes Gutachten über die Altlastensituation in dem betreffenden Kreisgebiet einem Antragsteller für 30.000 bis 35.000 DM "anzubieten" 359• Aussagekräftige jüngere Befunde liegen- soweit ersichtlich- nicht vor. Anzunehmen dürfte sein, daß mittlerweile mit zunehmendem Bekanntwerden des UIG innerhalb der Behörden insbesondere nach der Verurteilung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof wegen mangelnder Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie eine teilweise Beseitigung dieses gewaltigen Defizits stattgefunden hat. Unabhängig von spektakulären Zahlen ist indes völlig unklar, ob diese hohen Defizite beim Vollzug des UIG in einem inneren Zusammenhang mit insoweit verdeckten Defiziten des sonstigen Umweltrechts stehen- empirisch durchaus durchführbare Untersuchungsansätze sind diesbezüglich nicht ersichtlich. Ein lediglich sehr hohes Defizit beim Vollzug des UIG schließt für sich genommen- ohne einen zusätzlichen inneren Zusammenhang wie etwa eine denkbare "systematische Verdeckungsabsicht" der Behörden, die hier nicht unterstellt werden soll, - nicht die Entdeckung sonstiger Defizite durch die Bürger aus, zumal sie die Möglichkeit besitzen, gegen die Verweigerung des Informationszugangs gerichtlich vorzugehen und damit die beträchtlichen Vollzugsdefizite des UIG in "behördlicher erster Instanz" überwiegend selbst zu beseitigen. Trotz noch bestehender großer Defizite des Vollzugs des UIG ist damit davon auszugehen, daß die Bürger in einem gewissen Maße bei der Ausübung ihres Rechts auf Vollzugsdefizite des sonstigen Umweltrechts stoßen und diese aufzuzeigen vermögen. 358 Vgl. Becker, Öko-Test 8/95, 31 ff., 33. Zu den Bedingungen dieser Studie ausführlicher die vorletzte Fußnote. Einschränkend anzumerken ist indes, daß freilich weder die Richtlinie noch das UIG die angesprochene völlige Kostenfreiheit erfolgreicher Umweltinformationsanträge zwingend fordern. 359 Vgl. insoweitBecker, Öko-Test 8/95,31,33.
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Da den Bürgern als Konsequenz der mit Hilfe des Umweltinformationszugangsrechts aufgedeckten Vollzugsmängel kein subjektives Recht auf Beseitigung der festgestellten Vollzugsdefizite zur Seite steht360, ist zu klären, wie sich die Gesetzgeber des Umweltinformationszugangsrechts die Erreichung dieser von ihnen beabsichtigten Defizitbeseitigung vorstellen. Soweit der Bürger auch ohne subjektives Recht versuchen möchte, mit rechtlichen Mitteln gegen das Defizit vorzugehen, liegt ein Einschalten der Kommunalaufsicht nahe. Allerdings haben diverse rechtstatsächliche Untersuchungen bezüglich kommunalaufsichtlicher Mittel ergeben, daß nachträgliche Korrekturen rechtswidriger Handlungen der Gemeinden durch förmliche Mittel wie Beanstandungen und Anordnungen den seltenen Ausnahmefall darstellen 361 • Als Konsequenz dieser dem Vollzugsdefizite aufdeckenden Bürger mangelnden rechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten rechtmäßiger Umweltrechtszustände bleibt dem umweltengagierten Bürger damit nur die Option, außerrechtlichen Druck mittels der Presse oder der parlamentarischen Kontrollorgane auszuüben oder die Defizite zum Anlaß zur Aufnahme einer informellen Auseinandersetzung mit den Umweltbehörden zu nehmen. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten der genannten Möglichkeiten der Ausübung politischen Drucks auf die Verwaltung ist zu differenzieren: Wahrend die allgemeine Auffassung die Bemühung einer effektiven parlamentarischen Hilfe lediglich in besonders eklatanten Fälle als aussichtsreich ansieht, geht sie durchaus von einer guten Erfolgschance bei der Einschaltung der Presse aus 362 • Anders als bei diesen Druckmitteln läßt sich demgegenüber der Ausgang eines sich an aufgedeckte rechtswidrige Handlungen der Behörden möglicherweise anschließenden informellen Verhandlungsprozesses zwischen Bürger und Verwaltung nur schwer prognostizieren. Insoweit liefert die soeben bereits herangezogene rechtstatsächliche Untersuchung im Rahmen einer juristischen Promotion zwar das bemerkenswerte Ergebnis, daß etwa zwei Drittel der befragten Behörden die Hinweise aus der Öffentlichkeit im Hinblick auf die behördliche Tatigkeit für hilfreich oder sehr hilfreich halten, während keine Behörde diese Hinweise, von denen sich (aus Sicht der Behörden) im Nachhinein nur lediglich ein Drittel als unbegründet erwiesen hat, als störend ansiehtl63 • Gleichwohl mangelt es insoweit jedoch an einem zwingenden Nachweis, daß die aufgrund dieser Erhebung sehr wohl als gut funktionierend bezeichenVgl. dazu schon oben, B. VII. Vgl. insoweit: Glass, S. 141 und insbesondere: Schmidt, Eva S.195, 204, 213, 221 mit ausführlichen empirischen Nachweisen bezüglich der einzelnen in Hessen bestehenden förmlichen AufsichtsmitteL 362 Vgl. speziell zu den Medien insbesondere: Löffler/Ricker, S. 23 mwN; allgemeiner zur herkömmlichen Kontrollfunktion der kritischen Öffentlichkeit: Habermas, S.42f., 213; kritisch zur parlamentarischen Kontrolle hingegen sowohl Löffler/Ricker, S. 23, als auch Habermas, S. 213, als auch Gurlit, S. 21 ff. 363 Vgl. insoweit: Albin, S. 157 ff. Zu den allgemein von ihr zugrundegelegten Versuchsbedingungen vgl. näher: Albin, S. 38 ff. 360 361
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bare Kooperation zwischen Bürger und Verwaltung in einem Kausalverhältnis zum Umweltinformationszugangsrecht steht: Seit jeher kommen unabhängig vom Inkrafttreten des UIG vielfaltige und gewichtige Hinweise zum Ist-Zustand der Umwelt aus der Bevölkerung, bei denen regelmäßig auch die Abweichung von der SollBeschaffenheit unabhängig vom Zugangsrecht dem Bürger stets offenkundig gewesen ist. - Als Beispiel kann wiederum die häufig anzutreffende wilde Entsorgung von Haus- und Sondermüll in der Natur angeführt werden, bei deren Anblickjedermann die Umweltrechtswidrigkeit und damit gleichzeitig das Vollzugsdefizit offensichtlich ist. Ein Indiz für eine Verbesserung des Kooperationsverhältnisses zwischen Bürger und Verwaltung als kausale Konsequenz des Umweltinformationszugangsrechts läßt sich der genannten Untersuchung allenfalls im Zusammenhang mit einer weiteren Antwort der Behörden entnehmen, nach der ein Drittel der Behörden das Verhältnis des Bürgers zur Verwaltung aufgrund der Richtlinie als verbessert ansieht364. Relativiert wird diese Aussage, worauf die Autorin selbst hinweist, indes durch den Umstand, daß 30% der Behörden anläßlich der gleichen Frage annehmen, daß das Informationszugangsrecht des Bürgers insgesamt nicht wesentlich verbessert wurde 365 . Gegen eine Verbesserung der Kooperation spricht auch eine Interpretation der Ergebnisse der Autoren anderer Untersuchungen, nach denen gerade die Berufung auf das Zugangsrecht eher zu konfliktträchtigen Verhandlungen geführt haben soll als zu einer Kooperation in einem positiven Sinn366. Die letztgenannte Skepsis wird unterstützt von dem niederschmetternden Ergebnis der empirischen Betrachtung des Darmstädter Öko-Instituts aus dem Jahre 1995 von knapp 40% völlig unbeantworteten und von weniger als 10% vollständig und kostenlos erteilten Antworten auf das UIG gestützter Informationsgesuche367. Ein solches Ergebnis widerspricht vollständig den eigenen regelmäßigen Erfahrungen des Verfassers mit einer äußerst großen fernmündlichen, also nicht-förmlichen Kooperationsbereitschaft der Behörden auch in umweltrechtlichen Fragen. Bemerkenswert erscheinen demgegenüber die Erfahrungen des Verfassers mit den Institutionen der Europäischen Union, dessen dort (im Hinblick auf anderenfalls möglicherweise provozierten Widerstand) möglichst formlosperEmail gestellten zahlreichen Informationsbegehren regelmäßig und selbstverständlich als Anträge im Sinne bestehender rechtlicher Informationszugangsregelungen des Gemeinschaftsrechts368 aufgefaßt und dennoch zügig, zufriedenstellend und (auch im Fall nicht elektronisch Albin, S. 155; zu ihren Versuchsbedingungen vgl. die vorangehende Fußnote. Ebenda. Unklar bleibt bei dieser Frage allerdings, ob insoweit von den Behörden eine Bewertung allgemein der Informationszugangsrechte erwartet worden ist oder nur der Umweltinformationszugangsrechte. 366 Nach Aussage der Autoren Kimber/Ekardt, NuR 1999, 262, 265ff., 267 reagierten die Behörden in ihren Versuchsreihen, deren genaue Bedigungen dem Verfasser dieser Arbeit leider nicht zugänglich gemacht werden konnten, prinzipiell eher weniger motiviert, Informationsgesuche, die sich ausdrücklich auf das UIG beriefen, zu beantworten als auf gleichlautende (scheinbar) informelle mündliche Anfragen. 367 Vgl. dazu schon soeben, Becker, Öko-Test 8/95,31, 33. 368 Vgl. insoweit die sich unmittelbar anschließenden Ausführungen des Haupttextes. 364 365
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übersendeter Dokumente) gebührenfrei beantwortet worden sind. An einer in dieser Vorgehensweise der Gemeinschaft zu erblickenden Informationskultur auch bei förmlichen Informationsgesuchen scheint es gerade in Deutschland bislang zu mangeln. Auch nach einer Studie über das aufgrund der Umweltinformationsrichtlinie in Österreich eingeführte Österreichische UIG scheint sich eine bessere Kooperation zur Beseitigung von Vollzugsdefiziten zwischen den Bürgern Österreichs und ihrer Verwaltung zu entwickeln, wenn dort 12% der befragten Behörden angeben, bereits "mehrmals" und 46% "manchmal" aus Anlaß von Umweltinformationsanfragen Anlagen überprüft oder Umweltdaten erhoben zu haben 369• Möglicherweise vermögen die Urteile des Europäischen Gerichtshofs und nicht zuletzt auch des Bundesverwaltungsgerichts eine bislang empirisch nicht belegte dahingehende Wende herbeizuführen, die auch das Vollzugsdefizit des deutschen UIG verringert. Nach den vorliegenden empirischen Daten ist aufgrund des hohen Vollzugsdefizits des UIG damit insgesamt davon auszugehen, daß die Bürger durch die Stellung von Umweltinformationsanträgen nur in geringem Maße Vollzugsdefizite des sonstigen Umweltrechts aufzudecken vermögen, obwohl ihnen hinsichtlich der Verweigerung des Informationszugangs ohne weiteres die Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung eröffnet ist. Da den Bürgern aber im Falle mittels des Zugangsrechts aufgedeckter Defizite keine subjektiv-rechtlichen Instrumentarien zur Durchsetzung rechtmäßiger Zustände zur Seite stehen, vermag das mit dem Umweltinformationszugangsrecht intendierte Konzept der nachträglichen Kontrolle nur durch anderweitig vom Bürger ausgeübten Druck den Umweltschutz zu verbessern, insbesondere mit Hilfe der Presse. Eine Verbesserung der Kooperation von Bürger und Verwaltung aufgrund des Umweltinformationszugangsrechts ist bisher nicht nachgewiesen und dürfte in Deutschland bislang eher selten sein, obwohl sich diese Kooperation in Fällen vom Bürger unabhängig vom UIG aufgedeckter Vollzugsdefizite besonders bewährt hat. Der mittels des Umweltinformationszugangsrechts angestrebte Erfolg der verbesserten Vollzugskontrolle des Umweltrechts im Wege nachträglicher Kontrolle der Behörden durch den Bürger läßt sich damit bisher nur auf den von den Bürgern erzeugten politischen Druck stützen. Er wird nur in geringem Maße erreicht. 3. Ergebnis der konkreten Erfahrungen mit §4 Abs.l S.l UIG Gesicherte empirische Ergebnisse, ob § 4 Abs. 1 S. 1 UIG sein Ziel einer intendierten mittelbaren Vollzugskontrolle des Umweltrechts und seine Einhaltung auch durch potentielle Umweltverschmutzer erreicht, bestehen wegen zahlreicher methodischer Schwierigkeiten nicht. Aufgrund allgemeinerer vernünftiger Erwägungen, 369 V gl. insoweit die Ergebnisse der Studie von: Wie her, S. 43; zu einer ausführlichen Darstellung der Österreichischen Rechtslage und der dort gesammelten empirischen Erfahrungen einschließlich ihrer Aussagekraft vgl. sogleich, unten, III.l. b) Stichwort: "Österreich".
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die ihrerseits in ähnlichen Konstellationen empirischer Beweisnot im Bereich des Straf- und Presserechts herangezogen werden und dort weitgehend anerkannt sind, läßt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aber vermuten, daß das Zugangsrecht das Konzept der Vermeidung von Vollzugsdefiziten durch eine Präventivkontrolle zu verwirklichen vermag: Es ist davon auszugehen, daß das Umweltinformationszugangsrecht die Behörden zu einem intensiveren Vollzug sonstiger umweltrechtlicher Vorschriften motiviert und potentielle Umweltverschmutzer von in Betracht gezogenen Rechtsverstößen abhält. Das andere mit dem Umweltinformationszugangsrecht verfolgte Konzept nachträglicher mittelbarer Vollzugskontrolle dürfte bislang hingegen in eher wenigen Fällen Erfolg haben. Die folglich denkbare Gefahr einer negativen Rückkopplung des hohen Vollzugsdefizits des UIG auf die erfolgreichere Präventivkontrolle ist als gering einzuschätzen, da letztere ihre Wrrkung weitgehend unabhängig von der Anzahl tatsächlich geltend gemachter Umweltinformationsbegehren entfaltet370• Sicherlich brächte ein langfristiges Fortbestehen der vom Darmstädter Öko-Institut anfänglich aufgedeckten Vollzugsdefizite des UIG hinsichtlich der abnehmenden Entdeckungswahrscheinlichkeit von Vollzugsdefizitenund Umweltsünden langfristig auch den Erfolg der Präventivkontrolle und der Abschreckung potentieller Umweltverschmutzer in Gefahr. Gleichwohl ist zu beachten, daß es sich insoweit nur um ein Umweltsündern und unmotivierten Behörden keine Sicherheit garantierendes Defizit in "behördlicher erster Instanz" handelt, das der Bürger durch die gerichtliche Durchsetzung seines Anspruchs aus § 4 Abs. 1 S. 1 UIG regelmäßig beseitigen könnte. Die in Deutschland gemachten Erfahrungen bestätigen damit in einem gewissen Maße die apodiktische Behauptung des 4. Erwägungsgrunds der Umweltinformationsrichtlinie: Der Zugang zu umweltbezogenen Informationen im Besitz der Behörden wird den Umweltschutz verbessern. Dabei beruht der Erfolg des deutschen Umweltinformationszugangsrechts überwiegend auf einer dem Vorsorgeprinzip zuzuordnenden Wirkungsweise. Weitere empirische Studien, wie sie beispielsweise in Österreich vorliegen, hinsichtlich des Fortbestands des Vollzugsdefizits des UIG und der möglicherweise auch aufgrund des UIG zunehmenden Kooperation zwischen Bürger und Verwaltung wären äußerst wünschenswert.
111. Spezielle konkrete Erfahrungen mit Aktenöffentlichkeiten in ausgewählten Staaten und internationalen Organisationen Wie bereits angesprochen worden ist, stellt die in Deutschland erst durch die Umweltinformationsrichtlinie angestoßene Öffnung des grundsätzlich beschränkten Aktenzugangsrechts im Bereich des Umweltrechts in anderen westlich orientierten Demokratien seit beträchtlicher Zeit nichts Ungewöhnliches dar. Das zuerst in 370
So auch Hatje, EuR 1998, 735, 741.
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Schweden bereits im Jahre 1766 eingeführte Modell allgemeiner Aktenöffentlichkeit erlebt insbesondere seit Inkrafttreten des Freedom of Information Act (FOIA) in den USA im Juli 1967 eine nach Europa zurückgekehrte Renaissance: Die Lokkerung der Beschränkung der Aktenzugänglichkeil zunächst in Skandinavien, den Niederlanden und Südwesteuropa, nach der Empfehlung des Europarals aus dem Jahre 1979 371 aber auch in vielen weiteren Staaten wie Griechenland, Italien, Irland, Belgien und zuletzt England lassen Deutschland in Westeuropa nahezu 372 allein zurück als Verfechter der beschränkten Aktenöffentlichkeit Auch eine Reihe osteuropäischer Staaten wie Polen, Tschechien, Ungarn sowie Rußland und die wegen vermeintlich mangelnder Transparenz oftmals kritisierte Europäische Union haben ihre Informationspolitik mittlerweile in beachtlichem Maße geöffnet 373• Hinsichtlich der sich dieser Entwicklung umfassend widmenden, insbesondere deutschsprachigen juristischen Literatur374 soll hier keine Reproduktion der insoweit bereits geleisteten rechtsvergleichenden Ansätze geliefert werden. Das oben in den Abschnitten A. und B. ausgewertete nationale normative Vergleichsmaterial hat bereits die wichtigsten Grundlagen für eine Klassifizierung des Umweltinformationszugangsrechts aufzuzeigen vermocht; ergänzend liefern die jüngsten Tendenzen der Einführung von allgemeinen Informationsfreiheitsgesetzen in den Ländern Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein, die in Teil3 betrachtet werden, weiteres Material für die Interpretation und das Verständnis weitergehender oder sogar allgemeiner Akteneinsichtsrechte. Dieses reichhaltige nationale Material macht eine umfassende vergleichende Betrachtung der Entwicklung internationaler Rechtsstrukturen weitgehend entbehrlich: Aufgrund einer Vielzahl partieller Deckungsgleichheitendes Anwendungsbereichs der nationalen und internationalen Vorschriften entstünden vielfach bloße Wiederholungen. Die Darstellung der in anderen Staaten und internationalen Organisationen verwirklichten Modelle sei deshalb im folVgl. speziell zu dieser Empfehlung bereits oben, Teil 1, A. II. 2. b ). Von den Mitgliedstaaten der EU gewährleisten neben Deutschland heute lediglich Luxemburg und Österreich kein allgemeines Akteneinsichtsrecht- vgl. insbesondere den Überblick über die nationalen Rechtslagen der Mitgliedstaaten in: Korn. doc. (2000) 400 endg., S. 24 ff.; ergänzend: Nalte, DÖV 1999, 363, 364 f., der zutreffend darauf hinweist, daß in Österreich zumindest ein Jedermann-Recht auf Auskunft gegenüber den Behörden besteht. 373 Zu den Entwicklungen in Ost- aber auch Westeuropa vgl. überblicksartig Nolte, DÖV 1999, 363, 364f. mwN; zur Entwicklung innerhalb der Institutionen der EU sogleich unten, III. 1. b) Stichwort: "EU". 374 Vgl. bezüglich einer Vielzahl europäischer und nordamerikanischer Staaten ausführliehst: verschiedene Bearbeiter, in: Winter, S. l ff. und Schwan, S. 121 ff.; hinsichtlich einer ähnlichen Auswahl von Staaten nebst Japan und Australien auch: Schlachter, S. 51 ff.; aktueller und weitere europäische Staaten überblicksartig ergänzend: Nolte, DÖV 1999,363, 364f. mit zahlreichen weiteren einschlägigen Nachweisen. Speziell zur informationsrechtlichen Lage in den USA auch: Gurlit, S. 27ff., 50ff., l48ff., l78ff., 206ff., Rehbinder, S. l ff. und Schröder, Die Verwaltung 1971, 301 ff. Zur umweltinformationsrechtlichen Lage in Großbritannien im Vergleich zu Deutschland siehe: Kimber!Ekardt, NuR 1999,262 sowie Pisani, und Warm, passim. Zur Lage in Österreich: Hofmann, S. l ff. und Wicher, S. l ff. Für die Schweiz: Warm, passim. Ergänzend zu Kanada: Kugelmann, S. 84ff. 371
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
genden darauf beschränkt, ausgewähltes international zusammengetragenes empirisches Material verstehen zu können. Auffällige praktische Erscheinungen sollen punktuell angesprochen, im Hinblick auf die ihnen jeweils zugrundeliegenden Informationsordnungen erläutert, mit den empirischen Erfahrungen anderer internationaler Rechtsordnungen verglichen und anschließend bewertet werden. Auf diese Weise werden internationale Erfahrungen einerseits nutzbar für die Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der mit Informationszugangsrechten im allgemeinen verfolgbaren Zwecke, andererseits erlauben sie Rückschlüsse auf die Erreichbarkeit der mit§ 4 Abs. 1 S. 1 UIG angestrebten Ziele. Vorab sei angemerkt, daß auch nahezu alle nachfolgenden empirischen Betrachtungen den soeben erläuterten methodischen Problemstellungen unterliegen und in ihrer Aussagekraft teilweise das Niveau von auf vernünftigen Annahmen beruhenden Vermutungen nicht wesentlich überschreiten 375 •
1. Kommerzielle Nutzung der Informationszugangsrechte Wird mit der Einführung von allgemeinen Informationszugangsrechten regelmäßig eine Stärkung der demokratischen und rechtsstaatliehen Positionen der Bürger bezweckt 376, während die betrachteten Umweltinformationszugangsrechte überwiegend Ziele des Umweltschutzes verfolgen, so stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis eine überwiegend kommerzielle Nutzung von Informationszugangsrechten zu diesen gesetzgebensehen Intentionen steht. Besonders dringlich stellt sich diese einen möglichen Mißbrauch des Zugangsrechts andeutende Frage in den USA, in denen bei bestimmten Behörden bis zu mehr als 80 % der Informationszugangsanträge von Wirtschaftsunternehmen eingereicht werden. Teilweise geschieht dies in Gestalt der sogenannten FOI Services Companies, deren Motivation in der systematischen Sammlung der von den Behörden preisgegebenen Informationen zum Zweck späterer Weitergabe an (überwiegend private) Dritte gegen Entgelt liegt.
a) Die Nutzung des FOIA und die FOI Services Companies Nach dem im Juli 1967 in Kraft getretenen Freedom of Information Act (FOIA) ist jede Behörde der US-amerikanischen Bundesverwaltung verpflichtet, allgemeine Informationen über ihre Arbeit im Federal Register, das dem Bundesanzeiger ver375 Ähnlich kritisch auch: Winter, in: ders., S. 14, der ebenfalls einen Großteil der nachfolgend angesprochenen Phänomene betrachtet und mit Hilfe eines international zusammengesetzten Forschungsteams eine bedeutende Sammlung im Einzelfall mehr oder weniger aussagekräftigen empirischen Materials zusammengetragen hat. 376 V gl. z. B. die oben in Teil 1, A. II. 2. b) ausführlich betrachteten Entschließungen des Europäischen Parlaments zur Öffentlichkeit der Gemeinschaftsverfahren vom 24.5.1984 (ABI. Nr.C 172/176) und gleichlautend vom 22.1.1988 (ABI. Nr. C 49/175f.). Vgl. hinsichtlicher anderer Informationsordnungen überblicksartig auch sogleich unten, b).
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gleichbar ist, zu veröffentlichen 317• Zu diesen zu registrierenden Informationen zählen insbesondere die den deutschen Rechtsverordnungen vergleichbaren "substantive rules" amerikanischer Behörden sowie allgemein praktizierte Auslegungsgrundsätze, Dienstanweisungen und Organisationspläne der Behörden. Im Interesse einer durchschaubaren Einzelfall-Entscheidungspraxis müssen die Behörden darüber hinaus ihre endgültigen Stellungnahmen und Entscheidungen sowie internen Anweisungen, die Auswirkungen auf die Öffentlichkeit haben können, öffentlich zugänglich machen. Insoweit wird eine Informationsmöglichkeit der Bürger durch die Bereitstellung öffentlicher Leseräume realisiert. Beide aktiven Informationspflichten der Behörden haben durch eine im FOIA angelegte und von der Rechtsprechung konkretisierte Sanktion besondere Bedeutung erlangt, nach der eine Behörde eine Entscheidung zu Lasten der Bürger nicht auf ein nicht vorschriftsgemäß veröffentlichtes Dokument stützen darf378 • Aus diesem Grund entfaltet der FOIA erhebliche Bedeutung für einen effektiveren Verwaltungsrechtsschutz, während der Bürger die vorgenannten Veröffentlichungspflichten des FOIA gerichtlich nicht durchzusetzen vermag 379• Das Jedermann-Zugangsrecht zu allen bei den Behörden vorhandenen Akten findet sich im dritten Abschnitt des FOIA. Es wird ohne den Nachweis eines Interesses zugunsten von jedermann gewährleistet, erforderlich ist lediglich ein hinreichend spezifizierter Antrag. Zugangsberechtigt sind sowohl Nichtamerikaner als auch alle Arten von Personenvereinigungen, abgesehen von anderen Behörden 380• Gebühren dürfen die Behörden maximal in Höhe der ihnen tatsächlich entstandenen Kosten erheben 381 • Freilich wird der voraussetzungslose Informationsanspruch durch insgesamt 9 Ausnahmetatbestände beschränkt, die auch für die im letzten Absatz dargestellten aktiven Informationspflichten der amerikanischen Bundesbehörden gelten. Diese Ausnahmen dienen- im Ergebnis letztlich den§§ 7, 8 UIG ähnlich- einerseits dem Schutz des Staates und der Verwaltung, andererseits den Interessen privater Dritter: Zugunsten staatlicher Interessen schützt der FOIA die Staatsgeheimnisse, die interne Behördenkommunikation im Vorfeld einer Entscheidung und Regelungen reinen Innenrechts; zugunsten Privater stehen im Vordergrund der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nebst sonstigen vertraulichen kommerziell 377 Der FOIA erging als Title 5 U. S. C. § 552. Er findet sich in englischer Sprache auf aktuellem Stand (zuletzt: Amended by Public Law No. I 04-231, 110 Stat. 3048 =Electronic Freedom of Information Act Amendments of 1996) unter: "http://www.epic.org/open_gov/foia/ us_foia_act.html". Er ist auf dem Stand nach der Novellierung 1986 in englischer Sprache abgedruckt bei: Gurlit, in: Winter, S. 545 ff.; eine Übersetzung seiner ursprünglichen Fassung liefert: Rehbinder, S. 63 ff. - Neben dem FOIA, der nur die ca. 100 amerikanischen Bundesbehörden verpflichtet, haben durchweg auch die Bundesstaaten entsprechende Gesetze erlassen, die die Landes- und Kommunalbehörden verpflichten- vgl. Gurlit, S. 55. 378 Vgl. dazu Gurlit, S. 56f. mwN. 379 Vgl. insoweit: Rehbinder, S. 47 mwN und ihm folgend: Kugelmann, S. 85. 380 Vgl. insoweit: Rehbinder, S. 18. 38 1 V gl. weiter differenzierend: Gurlit, S. 57 und Kugelmann, S. 161.
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verwertbaren Informationen sowie von Personalakten, ärztlichen Akten und sonstigen Akten, deren Veröffentlichung die Privatsphäre verletzen würde 382• Neben diesen echten Ausnahmen wurde durch eine Novellierung des FOIA im Jahre 1986 den Behörden ermöglicht, bei geheimen Ermittlungsakten, geheimdienstliehen Akten und hinsichtlich der Akten, die der Durchsetzung von Rechten der Behörden dienen, die Existenz dieser Akten vorübergehend leugnen zu dürfen 383. Die erstgenannten echten Ausnahmetatbestände sind im Ansatz in einem starren Entweder-Oder-Verhältnis zum grundsätzlichen Zugangsrecht konzipiert, das keine Gewichtung des im Einzelfall hinter einem Zugangsantrag stehenden Interesses ermöglicht384. Mittlerweile ist indes höchstrichterlich entschieden und weitgehend anerkannt, daß die Ausnahmen die Behörden zur Geheimhaltung berechtigen, sie dazu aber nicht verpflichten, sondern ihnen eine Ermessensentscheidung belassen385. Freilich ist mit dieser Entscheidung überwiegend nur eine Verschiebung des Mangels der Möglichkeit der Berücksichtigung von Äbwägungsbedürfnissen zu Lasten der hinter den Ausnahmetatbeständen stehenden Interessen verbunden 386. Soweit ersichtlich- scheint sich lediglich für den Bereich des Schutzes der Privatsphäre die Erkenntnis der Unumgänglichkeit einer Interessenahwägung im Einzelfall in Literatur und Rechtsprechung durchzusetzen387 . Soweit sich die Behörde und auch die Widerspruchsinstanz nicht innerhalb der im FOIA vorgesehenen insgesamt 30 Tage 388 zur Stattgabe des Antrags entschließt oder innerhalb dieser Frist dem Antragsteller mitteilt, wegen ungewöhnlicher Umstände für die Bearbeitung seines Antrags zusätzliche Zeit zu benötigen, kann der Antragsteller die dann fingierte endgültige Zugangsverweigerung in einem eigenständigen gerichtlichen Verfahren überprüfen lassen, das von anderen Prozessen und Verwaltungsverfahren unabhängig ist. Das angerufene Gericht ist dabei dazu berechtigt, eigene Tatsachenfeststellungen bezüglich etwaiger Geheimhaltungsgründe zu treffen und insbesondere die streitbefangenen Dokumente unter Ausschluß der Öffentlichkeit- "in camera"- einzusehen 389. Konterkariert wird dieses strenge rechtlich angeordnete Verfahren indes durch die Praxis, in der die Behörden die gesetzlichen Fristen praktisch nie einhalten (können) 390 - im Jahre 1983 betrug Vgl. im einzelnen näher: Kugelmann, S.162ff. mwN. Dazu näher: Kugelmann, S.163f. mwN; Gurlit, S.58. 384 Insoweit kritisch vor allem: Rehbinder, S. 30f. mwN. 385 US Supreme Court, Chrysler Corp. vs. Brown, 441 U.S. (1979) 281 (292). 386 Vgl. diese Konsequenz ansprechend: Kugelmann, S. l64. 387 Vgl. statt aller insoweit: Kugelmann, S. 163 mwN. 388 Diese 30 Tage implizieren freilich, daß der Antragsteller sofort Widerspruch einlegt und keine Beteiligung Dritter im sogenannten "Notice-Verfahren" durchzuführen ist- vgl. zu letzterem: Gurlit, in: Winter, S. 538; hinsichtlich der sich von der gesetzlichen Regelung entfernenden Praxis (vgl. den nachfolgenden Haupttext) ist auf das komplizierte Verfahren im einzelnen nicht einzugehen. 389 Vgl. Gurlit, S. 58. 390 Vgl. insoweit: Gurlit, in: Winter, S. 536 f. mwN und Überlegungen zu den Ursachen. 382 383
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beispielsweise die durchschnittliche(!) Bearbeitungszeit für beim FBI gestellte Anträge 191 Tage 391 • Für das hier zu betrachtende empirisch markante Phänomen der FOI Services Companies ist nicht zuletzt die Novellierung des FOIA im Jahre 1974 von Bedeutung, die die Verpflichtung der Behörden begründet hat, regelmäßig dem Kongreß über die Anzahl der Anträge und der Ablehnungen nebst den Gründen und dem Namen und der Position des für die Ablehnung verantwortlichen Bediensteten sowie die Höhe der eingenommenen Gebühren mitzuteilen. Diese Statistikpflichtigkeit von Teilen des FOIA hat die Erhebung der eingangs angesprochenen und möglicherweise auf einen Mißbrauch des FOIA hindeutenden empirischen Daten ermöglicht: Diese zeigen, daß entgegen dem alle Bürger in gleicher Weise berechtigenden Wortlaut des FOIA hinter ,jedermann" regelmäßig bestimmte Interessengruppen stehen, die vorrangig von dem voraussetzungslosen Informationsanspruch Gebrauch machen. Im Jahre 1987 wurden beispielsweise über 80% der bei der Federal Drug Administration (FDA) eingegangen gut 40.000 Informationsanträge aus dem Kreis der sogenannten "regulated industries" gestellt: Im einzelnen handelte es sich dabei in 41% der Fälle um unmittelbare Anfragen von Unternehmen, bei 11% um Anfragen von durch Unternehmen beauftragte Anwälte und bei den übrigen 34% um Anträge der FOI Services Companies392• Ähnlich ist auch die Zusammensetzung der bei der Environmental Protection Agency (EPA) gestellten Informationszugangsanträge393. Andere US-amerikanische Bundesbehörden haben hingegen eine mit der der FDA nicht vergleichbare Struktur von Interessenten registriert: Die Consumer Product Safety Commission (CPSC) verbuchte Ende der 80er Jahre beispielsweise in etwa 60% der Fälle Anfragen von Konsumentenanwälten zur Vorbereitung auf Produkthaftungsprozesse394• Nach einer Antwort der ehemaligen Bundesregierung auf eine insbesondere von der SPD-Fraktion angeregte Großen Anfrage aus dem Jahre 1991 werde das Akteneinsichtsrecht des FOIA hingegen insgesamt zu 80% von Industrieunternehmen bemüht, wie sich zumindest aus dem Referenzjahr 1976 ergebe 395 • Unabhängig von gerraueren Zahlen läßt sichjedenfalls die Existenz eines neuen Wirtschaftszweigs von Informationsdienstleistungen in Gestalt der FOI Services Companies nachweisen, der aufgrunddes FOIA entstanden ist396•
Nach: Kugelmannn, S. 162 mwN. Nach Gurlit, in: Winter, S. 521, die sich auf den Anhang des dem Verfasser nicht vorliegenden Annual Report der FDA des Jahres 1987 beruft. 393 Gurlit, in: Winter, S. 521, die sich insoweit auf ein von ihr geführtes Interview mit der EPA beruft. 394 Nach Gurlit, in: Winter, S. 521, insoweit ohne Quellennachweis. 395 So die BReg in: BT-Drs. 12/1273 S. 3 ohne Nachweis einer Quellenangabe. 396 V gl. dazu Gurlit, in: Winter, S. 521 f. mit ausführlicher Darstellung der von den FOI Services Companies angebotenen Informationsdienstleistungen. 391
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b) Zugangsrechtsbedingte Services Companies in anderen Staaten Eröffnet der FOIA aufgrundder prinzipiellen Unbeschränktheil des Infonnationszugangsrechts die Unternehmerische Möglichkeit der Gründung erfolgreicher Wirtschaftsunternehmen, so stellt sich die naheliegende Frage, ob sich auch in anderen Staaten, die ein ähnliches voraussetzungsloses Zugangsrecht garantieren, ein der Gründung der FOI Services Companies vergleichbares Phänomen beobachten läßt. In Schweden steht jedennann heute ein voraussetzungsloses auf bloßen Antrag hin zu gewährleistendes Zugangsrecht zu offiziellen Akten nach § 1 des 2. Kapitels des Pressefreiheitsgesetzes von 1949 in der Fassung vom 1.1.1978 zu 397 • Gemäߧ 3 S. 2 dieses Gesetzes sind Akten "offiziell", wenn sie bei der Behörde verwahrt werden und von der Behörde angefertigt wurden beziehungsweise bei ihr eingegangen sind 398 • Neben diesem allgemeinen Grundsatz ist vor allem der einschränkende§ 2 des 2. Kapitels des Pressefreiheitsgesetzes von Bedeutung: Hier sind im 1. Absatz 7 spezielle Ausnahmetatbestände zum Schutz öffentlicher und privater Interessen genannt, die durch eine Ennächtigung zur Einführung weiterer Ausnahmen in Absatz 2 in Verbindung mit dem Datenschutzgesetz und insbesondere dem 1980 eingeführten Geheimhaltungsgesetz ergänzt werden 399• Im mehr als 100 Nonnen umfassenden Geheimhaltungsgesetz spiegelt sich die jahrhundertelange schwedische Praxis des Zugangsrechts wider: Minutiös erläutert es in einem sehr stark differenzierenden Katalog die meisten der 7 Ausnahmen und eine Vielzahl gesetzlicher Vermutungen und Beweislastregeln. Des weiteren bestimmt es Maßstäbe für von der Behörde vorzunehmende Gewichtungen von Geheimhaltungsinteressen bei der Entscheidung über einen Zugangsantrag und präjudiziert damit weitgehend das zu findende richtige Abwägungsergebnis. Einerseits bestimmt das Geheimhaltungsgesetz, daß die Behörde bei bestimmten Geheimhaltungsinteressen grundsätzlich den Interessen an der Offenbarung der Akten den Vorrang einzuräumen hat, während sich die Behörde gleichwohl im Einzelfall gegen die Auskunftsecteilung entscheiden darf. Umgekehrt räumt der Gesetzgeber der Behörde hinsichtlich anderer Geheimhaltungsinteressen, bei denen prinzipiell die Geheimhaltung Vorrang genießt, im Einzelfall die Überprüfungskompetenz ein, ob nicht doch Auskunft erteilt werden soll 400 • Des weiteren eröffnet das Geheimhaltungsgesetz in Spezialfallen wie§ 9 397 Tryckfrihetsförordning (TF) aus dem Jahr 1766, die zwischenzeitlich mehrfach außer Kraft gesetzt und geändert wurde (Vgl. zu diesen geschichtlichen Entwicklungen ausführliehst: Schwan, S. 121 ff. mwN.); zuletzt neu abgedruckt im amtlichen schwedischen Gesetzblatt: SFS 1988:1447. Vollständig in deutscher Sprache abgedruckt bei: Askelöf!Heurgren, in: Winter, S. 500ff. 398 Zu Einzelheiten des Behördenbegriffs, der "Anfertigung" und des "Eingangs" im Sinne von§§ 6ff. vgl. Askelöf!Heurgren, in: Winter, S.482f. 399 Vgl. das sogenannte Sekretesslag vom 20.3.1980, das am l. 1.1981 in Kraft trat (SFS 1980:100). Auszugsweise in englischer Sprache abgedruckt bei: Askelöf!Heurgren, in: Winter, S.505ff. 400 Vgl. zum Geheimhaltungsgesetz und seinen Strukturen insgesamt: Askelöf!Heurgren, in: Winter, S. 488 f. und Schwan, S. 123 ff.
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des Kapitels 14 den Behörden die bemerkenswerte, ansonsten im Rahmen der in dieser Arbeit untersuchten Zugangsrechte bisher nicht ersichtliche Möglichkeit, Informationen unter Auflage einer Verwendungsbeschränkung zu offenbaren401 • Im Falle der Verweigerung des Aktenzugangs steht der Rechtsweg offen. Daneben ist den erfolglosen Antragstellern in Schweden auch eine Beschwerde beim Ombudsman möglich, der die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Information überprüfen darf. Dieser besitzt zwar nicht die Kompetenz, den ablehnenden Beschluß der Behörde zu ersetzen, doch veröffentlicht der Ombudsman zulässigerweise die begehrten Schriftstücke in vollem Wortlaut regelmäßig im Falle der rechtswidrigen Ablehnung eines Informationszugangs in seinem späteren Amtsbericht402 • Obwohl damit, abgesehen von dem in Schweden gegenüber dem der USA stark verfeinerten System der Ausnahmetatbestände nach dem Geheimhaltungsgesetz, in beiden Staaten ein ähnliches allgemeines Jedermann-Informationszugangsrecht gewährleistet wird, läßt sich ein den FOI Services Companies vergleichbares Phänomen in Schweden nicht erkennen. Da keine Verpflichtung besteht, statistische Daten über das Pressefreiheitsgesetz zu erheben, und die Behörden darüber hinaus gemäß § 14 Abs. 2 des 2. Kapitels TF auch keine Informationen über den Namen oder die mit einem Antrag verfolgten Ziele des Antragstellers ermitteln dürfen, sind Hinweise auf eine kommerzielle Nutzung des Zugangsrechts in Schweden kaum vorhanden. Aufgrund einiger durchgeführter Befragungen von Behörden, Unternehmen und Verbänden ließen sich gleichwohl aussagekräftige diesbezügliche Informationen gewinnen: So wurden beispielsweise bei einer mittleren (Umwelt-)Aufsichtsbehörde täglich Anfragen von Medienvertretern gestellt, von Privatpersonen hingegen nur einige Mal im Monat, während Vertreter von Unternehmen lediglich 5-6 Mal pro Jahr Akteneinsicht begehrten 403 • Ähnlich äußerten die befragten Chemieunternehmen, von ihrem Recht nur 5-6 Mal, beziehungsweise mehrmals pro Jahr Gebrauch gemacht zu haben. Die interviewten Unternehmen gaben an, den Umweg über die Behörden regelmäßig nicht gehen zu müssen, da in Schweden hinsichtlich des generell offenen Erfahrungsaustauschs zwischen den Unternehmen selbst begehrte Informationen über Konkurrenten meistens direkt von den anderen Unternehmen erhältlich seien 404 • Auch die befragten Umweltverbände stehen nach eigener Angabe in einem so engen informatorischen Kontakt zu den Behörden, daß formelle Informationsanträge oftmals überflüssig seien. Ein befragter Verband erhalte beispielsweise von einer für die Genehmigung größerer Vorhaben zuständigen Behörde regelmäßig die vollständigen Planungsunterlagen einschließlich sämtlicher 401 Vgl. dazu: Askelöf/Heurgren, in: Winter, S.487. Zur Möglichkeit der Auferlegung von Verwendungsbeschränkungen im Rahmen des Rechts auf Zugang zu den Dokumenten der Organe und Institutionen der EU vgl. sogleich unten, Stichwort: "EU". 402 Vgl. insoweit zum Ombudsman: Askelöf/Heurgren, in: Winter, S. 499f. und Schwan, S.I26f. 403 Nach Angaben, die auf der Basis der von ihnen ausgewerteten Interviews beruhen, von Askelöf!Heurgren, in: Winter, S.484. 404 Vgl. ebenda.
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Stellungnahmen anderer Organisationen, Behörden und Unternehmen unaufgefordert zugesandt; als "Gegenleistung" hat er sich dafür lediglich zur Abgabe einer jeweiligen spezifischen Stellungnahme verpflichtet405 • Aufgrund der in Schweden offenkundig großzügigen Kultur der Offenbarung von Informationen, die überraschenderweise auch zwischen konkurrierenden Unternehmen gepflegt zu werden scheint, mangelt es damit trotz einer mit der des Regimes des FOIA vergleichbaren Rechtslage an einer Geschäftsgrundlage für die Entstehung einer kommerziellen Nutzung des allgemeinen Informationszugangsrechts des Pressefreiheitsgesetzes. Da gemäß § 12 des 2. Kapitels des Pressefreiheitsgesetzes dem Antragsteller die begehrten Informationen sofort oder sobald wie möglich und gebührenfrei zur Verfügung zu stellen sind und anders als in den USA in Schweden in der Praxis keine Abweichung von dieser gesetzlichen (Nicht-)Frist zu verzeichnen ist, mangelt es in Schweden schlicht an einem kommerzialisierbaren Gegenstand. Ein zeitaufwendiges Drittbeteiligungsverfahren entsteht regelmäßig nicht, da die Unternehmen einerseits großzügig Informationen offenbaren, andererseits die von ihnen geltend gemachte Notwendigkeit eines Geheimnisschutzes von den informationsbegehrenden Antragstellern regelmäßig akzeptiert wird406 • Besonders interessant erscheint auch die Frage einer kommerziellen Nutzung informationsrechtlicher Regelungen in Kanada, dessen Access to Information Act (AIA) 407 US-amerikanische mit skandinavischen Erfahrungen verbindet408 • Nach Section 1, 4. (l) AIA besitztjede natürliche Person, die Kanadier ist oder sich ständig in Kanada aufhält, ein Zugangsrecht zu allen Unterlagen im Einflußbereich der (im Anhang aufgezählten) Regierungsbehörden. Dieses wird wie in den USA und in Schweden "voraussetzungslos" aufbloßen Antrag hin gewährt. Das Zugangsverfahren ist dabei dem des FOIA angenähert: Innerhalb von 30 Tagen muß die Regierungsbehörde über den Antrag entscheiden, gegebenenfalls darf sie im Falle komplexer Informationsbegehren oder der zwischenzeitliehen Beteiligung betroffener Dritter eine verlängernde Frist setzen - im Falle des Ablaufs einer der Fristen fingiert der AIA die Ablehnung des Antrags 409 • Demgegenüber orientieren sich die kanadischen Ausnahmetatbestände eher am schwedischen Modell: In einem sehr stark ausdifferenzierten System unterscheidet der AIA einerseits Dokumenttypen, die entweder nie oder nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung zugänglich gemacht werden dürfen, andererseits bestimmte Schadensfolgen für möglicherweise Vgl. ebenda, S.484f. Vgl. insoweit ebenfalls: Askelöf/Heurgren, in: Winter, S.484, 495. 407 Der AIA wurde als Bill C-43 vom House of Commons of Canada am 28.6.1982 angenommen und trat am 1.7.1983 in Kraft (R.S.C. (Revised Statutes ofCanada) 1985, C.A-1). Der AIA findet sich in nahezu noch heute geltender Fassung auszugsweise in englischer Sprache abgedruckt bei: Burkert, in: Winter, S. 342 ff.; der aktuelle englischsprachige Volltext unter: "http://laws.justice.gc.ca/en/A-1/8.html". 408 Kugelmann, S. 86 mwN. 409 Vgl. zum Verfahren im einzelnen näher: Burkert, in: Winter, S. 289f. mwN. 405
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beeinträchtigte generell schützenswerte Interessen, bei deren wahrscheinlichem Eintritt die Akten nicht oder nur nach einer abwägenden Ermessensentscheidung offenbart werden dürfen 410. Soweit der kanadische Gesetzgeber hinsichtlich der ohne Einwilligung der Betroffenen niemals zugänglichen Dokumenttypen nicht eine normativ objektivierte Abwägungsentscheidung bereits selbst generell vorgibt411 , kommt in den Ausnahmetatbeständen allgemein sein Bestreben zum Ausdruck, auch in den Fällen, in denen er den Behörden einen Ermessensspielraum zubilligt, diesen Spielraum im Interesse der allgemeinen Ziele des AIA möglichst zu präzisieren412. Nach Einschaltung des Information Commissioners, der eine ähnlich mediatisierende Funktion wie der schwedische Ombudsman ausübt413 , besitzen die Informationsbegehrenden die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit einer Zugangsverweigerung gerichtlich überprüfen zu lassen. Den Inhabern der möglicherweise durch die Offenbarung der Akten verletzten Dritten steht der Rechtsweg hingegen auch ohne vorheriges Anrufen des Commissioners offen. Liegt damit in Gestalt der in Kanada wie in den USA eher lange dauernden Verfahren414 die wichtigste wirtschaftliche Voraussetzung für die Kommerzialisierbarkeit von Informationszugangsrechten vor, so läßt der AIA die Entstehung eines den FOI Services Companies vergleichbares Phänomen erwarten. Gleichwohl liefern die empirischen Erfahrungen mit dem AIA kein mit US-amerikanischem Profitstreben vergleichbares Bild: Eine Bewertung kanadischer Erfahrungen läßt sich indes freilich nicht darauf stützen, daß als Antragsteller unmittelbar regelmäßig Privatpersonen erscheinen, weil nach dem AIA nur natürliche und nicht auch juristische Personen Inhaber des Zugangsrechts sind. Deshalb sind derartige Folgerungen vor allem auf Interviews zu stützen, die mit den Unternehmen, den Behörden und insbesondere den verschiedenen Antragstellern geführt wurden.- Nach einer ersten Betrachtung zeichneten derartige Befragungen in Kanada eher ein der Informationskultur Schwedens vergleichbares Bild: Die befragten Unternehmen schienen danach überwiegend davon auszugehen, ohnehin keine aktuellen Informationen über Konkurrenten bei den Behörden erlangen zu können - umgekehrt folgte daraus die Sorge, andere Antragsteller könnten ein unrichtiges Bild vom eigenen Unternehmen erlangen. Deshalb sei das Zugangsrecht oftmals dazu benutzt worden, um die "ei410 Vgl. im einzelnen zu diesen ,,Exemptions" nach Section 1, 13.ff. AIA detailliert statt aller: Burkert, in: Winter, S. 291 ff. mwN. 411 So im Hinblick auf die zwingend ausgenommenden Dokumenttypen auch: Burkert, in: Winter, S.293 mwN. 4 12 Vgl. insoweit: Burkert, in: Winter, S. 302. 4 13 Vgl. dazu Burkert, in: Winter, S. 307 ff. mwN. 414 Durch die Möglichkeit der Verlängerung der 30-Tage-Frist kann das AIA-Verfahren insgesamt im Falle der Beteiligung Dritter regelmäßig bis zu I 00 Tage dauern (Burkert, in: Winter, S. 304); ferner kann die generelle Überlastung des Commissioners zu weiteren Verzögerungen führen (ebenda, S. 308). Praktische Erfahrungen haben beispielsweise in einem Jahreszeitraum 1992/93 in über 40% der Fälle eine Dauer von mehr als 30 Tagen registrieren können - vgl. den 10-Jahres-Bericht des Information Commissioners aus dem Jahre 1994 (S.l2) ="http://infoweb.magi.com/-accessca/ten_y.html" .
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genen" bei der Behörde gespeicherten Informationen zu überprüfen, beziehungsweise festzustellen, welche Informationen überhaupt durch Einsatz des AIA erlangt werden könnten 415 • Ferner bestehe ohnehin ein gutes Informationsklima im Verhältnis zu den Behörden und anderen Unternehmen, da man sich über die Zuschnitte der in Kanada regelmäßig oligarchisch aufgeteilten Märkte weitgehend einig sei und deshalb ohnehin wenig Raum für Piraterie-Manöver verbleibe 416 • Damit sei eine systematische kommerzielle Nutzung des AIA wenig verbreitet. Selbst ein AIA-Informationsdienstleistungsunternehmen habe berichtet, daß es einen guten Teil des Umsatzes erziele, indem es Zugangsanträge im zuvor erteilten Auftrag Dritter stelle und nicht durch die entgeltliche Weitergabe von bereits vorher bei den Behörden gesammelte Informationen417 • Gleichwohlläßt sich dieses eher an die Informationskultur Schwedens annähernde Bild nach neueren Erfahrungen nur begrenzt aufrecht erhalten: In einer rückblickenden Betrachtung hinsichtlich des 10-jährigen Bestehens des AIA kommt der Information Commissioner nämlich zu dem Ergebnis, daß die Unternehmen letztlich sehr wohl mit alljährlich über 40% aller gestellten Anträge den größten Anteil der Nutzer des AIA ausmachten418 • Den meisten von ihnen gehe es dabei darum, Informationen darüber zu erlangen, welche Pläne die Regierung verfolge und worauf sie eventuell angewiesen sein werde. Zu einer Weitergabe der erlangten Informationen durch die Unternehmen komme es hingegen nur selten419 • Diesem Spitzenanteil folgten die Privatbürger mit 39% der gestellten Anträge im Zeitraum 1992/93, während Journalisten weitere 10% der Informationsbegehrenden ausmachten420 • Insgesamt läßt sich damit nach einer eher geruhsamen Anfangsphase nunmehr durchaus eine gewisse, relativ konstant bleibende Kommerzialisierung des AIA ausmachen, die indes bei weitem nicht das Ausmaß US-amerikanischer Geschäftigkeit erreicht. Der Rechtslage in Kanada entspricht in großen Teilen die noch bis zum 3. Dezember 2001 geltende Informationsordnung der EU421 , auf deren Grundlage zahlreiche interessante Erfahrungen gesammelt werden konnten. Als Reaktion auf den heftig Insoweit nach den Umfrageergebnissen von: Burkert, in: Winter, S. 323 f. mwN. Vgl. ebenda, S.324ff. mwN. 417 Vgl. ebenda, S.329 mwN. 418 Vgl. S. 8 des englischsprachigen 10-Jahres-Berichts des Information Commissioners aus dem Jahre 1994 == "http://infoweb.magi.comf·accessca/ten_y.html". 419 Ebenda. 420 Vgl. ebenda, S. 9. 421 Seit dem 3. Dezember 2001 gilt gemäß ihrem Art. 19 S. 2 die in vielerlei Hinsicht überraschende und sogleich noch zu erläuternde Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 (ABI. EG Nr. L 145/43) über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission in Verbindung mit den dann unmittelbar geltenden Grundsätzen des seit der Amsterdamer Fassung geltenden Art. 255 Abs. 1 EGV. Diese Verordnung ist gemäß ihrem Art. 19 S. 1 zwar bereits am 3. Juni 2001 in Kraft getreten, sie soll nach S. 2 ausdrücklich aber erst ab dem 3.12.2001 gelten und damit erst ab diesem Zeitpunkt sonstiges geltendes Recht verdrängen und die bis dahin unter dem Vorbehalt derartiger ausführender Bestimmungen stehende Geltung des neuen Art. 255 Abs. 1 EGV aktivieren. 415
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und wiederholt geäußerten Vorwurf mangelnder Transparenz der Entscheidungsfindung innerhalb der Institutionen der EU vor lokrafttreten des Vertrags von Maastricht enthält die Schlußakte dieses Vertrags eine Forderung nach mehr Transparenz der gemeinschaftlichen Beschlußverfahren422 • Die Umweltinformationsrichtlinie findet auf Behörden der Gemeinschaft keine Anwendung. Im Anschluß an die genannte Schlußakte einigen sich Rat und Kommission, gestützt auf ihre Kompetenz zur Selbstorganisation, deshalb im Jahre 1993 auf einen gemeinsamen Verhaltenskodex423 und erlassen später weitere Beschlüsse, die das Nähere über den im Kodex beschlossenen Zugang der Öffentlichkeit zu ihren Dokumenten regeln 424. Hinsichtlich dieser Beschlüsse ist zunächst streitig gewesen, ob sie jedermann unmittelbar ein subjektiv-öffentliches Recht einräumen oder ob sie insoweit lediglich eine Verpflichtung der Gemeinschaftsorgane ohne einen damit korrespondierenden Individualanspruch begründen425 . Spätestens seit der ausdrücklichen Verankerung eines Zugangsrechts in der Amsterdamer Fassung des EGV ist diese Frage freilich zugunsten eines voraussetzungslosen subjektiv -öffentlichen Jedermann-Anspruchs beantwortet. Während zwischenzeitlich weitere Gemeinschaftsinstitutionen freiwillig dem Vorbild von Rat und Kommission gefolgt sind und eigene Transparenzbeschlüsse gefaßt haben426, gilt der neue Art. 255 Abs. 1 EGV obligatorisch und explizit auch für Dokumente des Europäischen Parlaments. Ähnlich wie in Kanada ist gemäß Art. 7 Abs. 1 S. 1 und Art. 2 Nr. 2 der Beschlüsse von Rat und Kommission427 dem Informationsbegehrenden innerhalb eines Monats mitzuteilen, ob seinem Antrag entsprochen werden soll. Nicht fristgemäß beantwortete Anträge gelten gemäß Art. 7 Abs. 2 und Art. 2 Nr. 4 S. 1 der Beschlüsse als abgelehnt. Gegen einen ablehnenden Bescheid steht dem Antragsteller die Möglichkeit der Wiederholung seines Antrags (Zweitantrag) offen. Dessen Behandlung unterliegt im wesentlichen vergleichbaren Regeln mit dem Unterschied, daß dem In422 Erklärung zum Recht auf Zugang zu Informationen= Erklärung Nr. 4 der Schlußakte des Vertrags über die Europäische Union vom 7.2.1992, veröffentlicht beispielsweise im Bulletin der Bundesregierung vom 12.2.1992, S.180. 423 Verhaltenskodex (des Rates und der Kommission) vom 6.12.93 (veröffentlicht in: ABI. Nr. L 340 vom-31.12.93, S.41) für den Zugang der Öffentlicheil zu Rats- und Kommissionsdokumenten. 424 Beschluß des Rates vom 20.12.93 (ABI. L340 vom 31.12.93, S. 43) geändert durch Beschluß vom 6.12.96 (ABI.L 1996 325/19). Beziehungsweise: Beschluß der Kommission vom 8.2.94 (ABI. L46 vom 18.2.94, S. 58) geändert durch Beschluß vom 19.9.96 (ABI. L 1996, 247/45).- Während der Beschluß des Rates den Kodex nahezu wörtlich wiederholt; beschränkt sich die Kommission darauf, den Kodex generell für anwendbar zu erklären und einige zusätzliche Regelungen zu treffen. 425 Vgl. dazu Fluck!Theuer, DIII2, Rn 113ff. 426 Vgl. dazu: Fluck!Theuer, Dill 1, Rn5ff. mwN. 427 Hinsichtlich der Quellen dieser Beschlüsse vgl. drei Fußnoten zuvor. Aus der dort erläuterten unterschiedlichen Umsetzung des Kodexes durch Rat und Kommission ergibt sich die nachfolgend im Haupttext verwendete Zitierung jeweils zunächst des Rats- und sodann des Kommissionsbeschlusses. Soweit sich letzterer auf den Kodex bezieht, wird der Kommissionsbeschluß in Verbindung mit der jeweiligen Vorschrift des Kodexes zitiert.
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formationsbegehrenden im Falle erneuter Ablehnung der Weg zum Europäischen Bürgerbeauftragten gemäß Art. 195 (ex-Art. 138e) EGV und zum Gericht 1. Instanz beziehungsweise dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 230 (exArt.173) EGV offensteht 428 • Art. 4 Abs. 1 und Art. 1 der Beschlüsse in Verbindung mit dem Verhaltenskodex429 nennt 3 Gruppen von Ausnahmetatbeständen zum Schutz öffentlicher Interessen, des einzelnen und seiner Privatsphäre sowie von Geschäfts- und Industriegeheimnissen. Von diesen Gruppen ist lediglich die des öffentlichen Interesses weiter untergliedert, und sie erscheinen deshalb insgesamt wenig strukturiert430 • Darüber hinaus ist nach den Beschlüssen in Verbindung mit dem Kodex im einzelnen unklar, inwieweit im Bereich dieser Ausnahmen eine Abwägungsentscheidung zu fällen ist431 : Nach dem Wortlaut des Kodexes ist insoweit nur bestimmt, daß "die Organe den Zugang zu Dokumenten verweigern, wenn sich durch deren Verbreitung eine Beeinträchtigung der in den Tatbeständen genannten Schutzgüter ergeben könnte". Dies hat im Bereich der (damit überwiegend zwingenden) Ausnahmen im Ergebnis zu einem statischen System geführt, das mit dem neuen Art. 255 Abs. 1 EGV kaum mehr vereinbar sein dürfte432 und der anfänglichen Situation unter dem US-amerikanischen FOIA ähnelt. Aufgrund der schon im Verhaltenskodex selbstauferlegten Pflicht des Rates und der Kommission, den Kodex im Hinblick auf die mit ihm gemachten Erfahrungen zu überprüfen, bestehen bereits aus der Anfangszeit des europäischen Informationszugangsrechts quantitativ umfassende Statistiken über die Fragen, wer Zugang begehrt, woher die Anträge stammen, welche Dokumente sie betreffen und gegebenenfalls, warum sie abgelehnt worden sind. Im Hinblick auf die hier untersuchte Frage einer kommerziellen Nutzung von Informationszugangsrechten läßt sich beispielsweise den beiden ersten Berichten des Generalsekretärs des Rates über die Durchführung seiner Beschlüsse über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten entnehmen, daß in den Jahren 1994-97 regelmäßig die Hälfte der Anträge aus dem Hochschul- gemeinsam mit demjournalistischen Bereich stammt433 • Dem428 Vgl. dazu unter dem Regime des Verhaltenskodexes ausführlichst: Röger, DVBI. 1994, 1182, 1186ff. mwN. 429 Im Hinblick auf die im Text benutzte Zitierweise sei ihre Notwendigkeit hier nochmals damit begründet, daß der Rat den Kodex durch seinen Beschluß nahezu wörtlich wiederholend konkretisiert, während sich die Kommission darauf beschränkt, den Kodex generell für anwendbar zu erklären und einige zusätzliche Regelungen zu treffen. Vgl. insoweit auch die Erläuterungen der vorangehenden Fußnoten. 430 V gl. kritisch auch: Wegener, in: Callies/Ruffert, Art. 255, Rn 12 und Röger, DVBI. 1994, 1182, 1185f. 431 Kritisch insoweit und auch zur dort nachgewiesenen Rechtsprechung des EuG, das sich um eine Präzisierung der Ausnahmen bemüht hat: Wegener, in: Callies/Ruffert, Art. 255, Rn 12f. 432 So auch: Wegener, in: Callies/Ruffert, Art. 255, Rn 13. 433 Wobei die joumalististischen Informationsbegehren gerade in denJahrenbesonders hoch (bis über 20%) waren, in denen weniger Anträge aus dem Hochschulbereich gestellt wurden
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gegenüber werden diesem Bericht zufolge nur 2-3 % der Anträge von der Industrie gestellt434. Gleichwohl erlaubt diese Statistik des Rates im Hinblick auf die hier gesuchte Antwort keine Aussage, da sich mangels ergänzender Informationen über die den Anträgen zugrunde liegenden Motivationen nichts feststellen läßt und sich damit auch eine Bewertung der durchschnittlich von I 0% der von "Lobbyisten" und etwa 20% der von "Anwälten" gestellten Anträge 435 im Hinblick auf eine denkbare kommerzielle Verwendung verbietet. Außerdem bleibt die wichtige Rolle der von Privatbürgern gestellten Anträge unklar, die wohl den sogenannten durchschnittlich 8-I8% der Anträge stellenden "Sonstigen" zugeordnet sind. Als etwas aussagekräftiger erweisen sich demgegenüber die Statistiken der Kommission: Danach stammt die größte Gruppe der Antragsteller in den Jahren I994-99 mit durchschnittlich ca. 25% aus dem akademischen Sektor, während regelmäßig über I5 % der Dokumente von Behörden und I 0% von Privatbürgern begehrt werden436. Deutliche Abweichungen von den Angaben des Rates bestehen nach der Statistik über die bei der Kommission gestellten Anträge aus der Industrie, die bei der Kommission durchschnittlich beachtliche knapp 15% ausmachen, und von Journalisten, die hiernur 2% der Anträge stellen. Ein ähnliches Niveau vonjeweils gut 15 % der Anträge erreichen auch bei der Kommission die Lobbyisten und Rechtsanwälte, hinsichtlich derer sich mangels näherer Angaben über mögliche Motivationen ebenfalls eine nähere Bewertung verbietet437• Insgesamt ist damit sowohl nach der Statistik des Rates als auch der der Kommission nicht ausgeschlossen, daß ähnlich wie in Kanada letztlich über 40% der Anträge zu kommerziellen Zwecken gestellt werden, wenn man als Extremfall annimmt, daß solche Motivationen hinter den Anträgen der Industrie, der Lobbyisten und teilweise der Rechtsanwälte stehen könnten438. Trotz einer nach diesen Statistiken praktisch nicht ausgeschlossenen Kommerzialisierung auch des gemeinschaftlichen Informationszugangsrechts sind in der Gemeinschaft weitergehende Entwicklungen wie in den USA bislang ausgeschlossen gewesen. - Der Grund dafür liegt in einer Bestimmung, nach der die Gemeinschaftsorgane unabhängig von den Ausnahmetatbeständen vorsehen können, daß und umgekehrt - vgl. dazu die statistischen Angaben des Generalsekretärs des Rates unter: "http://register.consilium.eu.int/utfregister/misenDE.htm", S. 13. 434 Ebenda. 435 Vgl. ebenda, S.13 auch zu den eher auf schwankender Basis errechneten 20 % der von Anwälten gestellten Anträge. Aus einem Vergleich zu ebenda, S. 2 ergibt sich auch, daß die ebenda, S. 13, als "Interessengruppen" bezeichneten Antragsteller die zuvor aufS. 2 genannten Lobbyisten sind. 436 Vgl. insoweit für die Referenzjahre 1994- 96 die Statistiken der Kommission unter: ,,http: 1/europa.eu.int.comm/secretariat_general/sgc/acc_doc/de/_docs/stat_94_95_96.de.pdf", S.1 und für 1997-99: "http://europa.eu.int.comm/secretariat_general/sgc/acc_doc/de/_docs/ stat_99.pdf", S.2. 437 Alle statistischen Angaben nach den ebenda, genannten Intemetquellen. 438 Hierfür hat Verfasser mangels ersichtlicher Untersuchungen keinerlei Anhaltspunkte, es soll nur ein nicht ausgeschlossener, im Hinblick auf eine eventuell unerwünschte Kommerzialisierung ungünstigster Fall konstruiert werden.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
der Antragsteller ihm geoffenbarte Dokumente nicht ohne Genehmigung zu kommerziellen Zwecken vervielfältigen oder verbreiten darf439 • Obwohl dem zweiten Bericht des Generalsekretärs des Rates über die Erfahrungen mit dem Zugang zu Ratsdokumenten zufolge der Einsatz dieser Verwendungsbeschränkung bisher keine praktische Rolle gespielt hat440, könnte damit zukünftig die Verhinderung einer nicht gewollten übermäßigen kommerziellen Nutzung des allgemeinen Informationszugangsrechts durchgesetzt werden. Eine solche Verwendungsbeschränkung ist sogar in einer deutlich strengeren Fassung auch in Art. 8 des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission verankert gewesen441. Danach wäre es auf eine speziell vom jeweiligen Gemeinschaftsorgan verhängte Verfügungsbeschränkung über die Dokumente nicht mehr angekommen. Bestimmt war insoweit vielmehr, daß Antragsteller, die ein Dokument erhalten haben, dieses ohne vorherige Genehmigung des Rechtsinhabers weder zu kommerziellen Zwecken vervielfältigen noch auf andere Art und Weise wirtschaftlich nutzen dürfen. Die daraufhin am 30.5.2001 verabschiedete Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten 442 enthält eine derartige flexible Verwendungsbeschränkung indes nicht mehr. Über die hinsichtlich der zugrunde liegenden Entstehungsgeschichte dafür sicherlich bestehenden Gründe läßt sich mangels ersichtlicher Angaben leider nur spekulieren- wahrscheinlich ist, daß das Phänomen der Kommerzialisierung praktisch doch eher als Randerscheinung angesehen oder nur in sehr begrenztem Maße als Problem verstanden wird, weil selbst die Begleiterscheinung eines beachtlichen Maßes an Kommerzialisierung den Hauptzweck größtmöglicher Transparenz prinzipiell fördert 443 . 439 Der Rat sieht dies in Art. 3 Abs. 3 in seinem Beschluß über den Verhaltenskodex vom 20.12.93 (ABI.L340 vom 31.12.93, S. 43) ausdrücklich vor, für die Kommission ergibt sich hingegen nach Fluck/Theuer, D III 2, Rn 91 die Möglichkeit der Anordnung einer Verwendungsbeschränkung im Einzelfall unmittelbar aus dem ursprünglichen Kodex als "Nebenbestimmung" der Zugangsgewährung. Vgl. zum Ganzen auch Wegener, in: Callies/Ruffert, Art. 255, Rn 15. 440 Vgl. insoweit: "http://register.consilium.eu.int/utfregister/misenDE.htm", S.ll. 441 Vgl. insoweit den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission in der korrigierten Fassung vom 21 .2.2000 (KOM (2000) 30 endgültig/2). 442 Nochmals: Diese neue Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 (ABI. EG Nr. L 145/43) über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission ist gemäß ihrem Art. 19 S. 1 zwar bereits am 3. Juni 2001 in Kraft getreten, sie soll gemäß ihrem Art.l9 S. 2 S. 2 ausdrücklich aber erst ab dem 3.12.2001 gelten und damit erst ab diesem Zeitpunkt sonstiges geltendes Recht verdrängen und die bis dahin unter dem Vorbehalt derartiger ausführender Bestimmungen stehende Geltung des neuen Art. 255 Abs. 1 EGV aktivieren. 443 V gl. insoweit auch die sich sogleich anschließende Bewertung mit ähnlichen Begründungen von Fachleuten bezüglich anderer Informationsordnungen unter c).
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Innerhalb der Gemeinschaft besteht interessantes Datenmaterial auch aus Österreich, das noch vor seinem Beitritt zur Europäischen Union ein voraussetzungsloses Informationszugangsrecht für den Bereich des Umweltrechts eingeführt hat444 , dessen Grundlage zu Unterscheidungszwecken im folgenden als öUIG bezeichnet werden soll. Grund für den frühen Zeitpunkt dieser Maßnahme war gleichwohl die mit dem unmittelbar bevorstehenden Inkrafttreten des EWR-Abkommens am 1.1.94 verbundene Verpflichtung Österreichs zur Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie als Bestandteil des acquis communautaire445 . Vor lnkrafttreten dieses öUIG ähnelt die informatorische Rechtslage in Österreich derjenigen Deutschlands vor der Einführung des UIG: Im Umweltbereich bestehen Zugangsrechte zuvor nur in Spezialvorschriften wie beispielsweise im Hinblick auf die Wasserbücher. Daneben sind nach§ 17 AVG 446 im allgemeinen Verwaltungsverfahren nur die Parteien desselben akteneinsichtsberechtigt, während die Auskunftspflichtgesetze des Bundes und der Länder lediglich einen Anspruch auf Auskunft, nicht aber auf Akteneinsicht gewährleisten und nicht uneingeschränkt neben den allgemeinen Verwaltungsverfahrensregeln Anwendung finden; zusätzlich mangelt es hinsichtlich der Auskunftsansprücheauch an einer Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes 447. Demnach ähnelt auch der Inhalt des öUIG stark dem des UIG, da beide auf ähnlicher Basis versuchen, die Vorgaben der Umweltinformationsrichtlinie umzusetzen. Anders als in Deutschland besteht in Österreich indes empirisches Material über das öUIG: In einer vom Österreichischen Umweltministerium in Auftrag gegebenen Studie kommen als statistische Mittel Fallstudien, Tiefeninterviews von Umweltschutzorganisationen und -behörden sowie die Befragung der Bevölkerung und von Umweltjournalisten und-behördenzum Einsatz448 . Nach dem insoweit auf der Befragung von 93 Umweltbehörden beruhenden Bericht des Österreichischen Bundesministeriums für Umwelt nehmen insbesondere die Privatpersonen mit über 60% aller gestellten Umweltinformationsanträge eine in den bisher untersuchten Informationsordnungen nicht annähernd erreichte Spitzenposition der Antragsteller ein. Nur jeweils ungefähr 10% der Anträge stammen hier von Unternehmen und Rechtsanwälten449. Unklar ist, ob diese kurz nach Inkrafttreten des öUIG erzielten Ergebnisse von denen anderer Informationsordnungen deutliehst abweichen, weil das Zugangsrecht Österreichs auf den Umweltbereich beschränkt ist oder weil sie auf einer 444 Bundesgesetz über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, BGBI. 1993/495. Gemäß seinem§ 18 Abs. 1 öUIG in Kraft getreten überwiegend am 1.7.93. 445 Vgl. dazu: Hofmann, S. 2. 446 AVG =Allgemeines (österreichisches) Verwaltungsverfahrensgesetz. 447 Vgl. zum Ganzen vor allem: Hofmann, S. 206ff. mwN; zu den Auskunftspflichtgesetzen und der ihnen vorausgehenden Änderung der Österreichischen Verfassung außerdem: Kugelmann, S.179 mwN und GA Tesauro, in: EuGH E 19961-2179, Rz.15, Fn 16. 448 Vgl. insoweit den Bericht des (österreichischen) Bundesministeriums für Umwelt über die Erfahrungen mit der Vollziehung des Umweltinformationsgesetzes (UIG), S. 1 ff. und S. 8 ff. des Anhangs des Berichts. 449 Vgl. insoweit den Anhang dieses Berichts, S. 17.
15 Strohmeyer
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Umfrageaktion beruhen, die sich nur auf einen besonders kurzen Zeitraum von zwei Monaten erstreckt. Jedenfalls ist sich der Bericht seiner methodischen Unsicherheit und damit ebenfalls begrenzten Aussagekraft durchaus bewußt. Dies erschließt sich aus dem zusätzlich erzielten Umfrageergebnis, daß 16% der Befragten angaben, daß bei den Antragstellern ein (auch nach dem öUIG nicht nachzuweisendes- der Verfasser) Umweltinteresse manchmal oder häufig vorgetäuscht wäre450• Gleichwohl werden die diesbezüglichen Ergebnisse durch eine auf ähnlicher Basis etwas später durchgeführten Studie annähernd bestätigt451 • Im Ergebnis sei hier deshalb der Schluß zulässig, daß in Österreich bislang keine Anhaltspunkte für eine kommerzielle Nutzung des öUIG ersichtlich sind, obwohl der nach § 5 Abs. 6 S. 1 öUIG gesetzlich zulässige Zeitrahmen von 8 Wochen zur Beantwortung der Antragsbegehren in der Praxis häufig ausgeschöpft wird452 • c) Bewertung der kommerziellen Nutzung von Informationszugangsrechten
Als Ergebnis der weitgestreuten rechtsvergleichenden Betrachtungsansätze verschiedener internationaler Informationsordnungen läßt sich feststellen, daß die sehr starke Kommerzialisierung des US-amerikanischen FOIA unter ähnlichen Informationszugangsregelungen keine Nachahmung findet. Tendenzen zu einer Kommerzialisierung von Informationszugangsrechten entwickeln sich dort, wo ähnlich wie in den USA zwischen Antragstellung und möglicher Zugangsgewährung eine größere Zeitspanne vergehen kann. Die schnelle Abrufbarkeil der vorab geleisteten Bündelung ursprünglich behördlicher Informationen in privater Hand stellt nämlich den wichtigsten kommerzialisierbaren Gegenstand dar. Deshalb bestehen solche Ansätze auch bei dem Zugangsrecht Kanadas sowie möglicherweise auch bei dem der Gemeinschaft, bei denen im Falle der begründeten Verlängerung der behördlichen Entscheidungsfrist bis zu einer endgültigen, den Rechtsweg eröffnenden Entscheidung über die Zugangsgewährung mehrere Monate vergehen können. In Schweden ist hingegen das Phänomen der Kommerzialisierung weitestgehend unbekannt, da Anträge hier grundsätzlich sofort oder sobald wie möglich zu bescheiden sind. Mittels einer im Gemeinschaftsrecht noch vorgesehenen oder ihr vergleichbaren Möglichkeit der Auferlegung von Verwendungsbeschränkungen könnte indes zumindest zukünftig eine Verhinderung einer nicht gewollten kommerziellen Nutzung des gemeinschaftlichen Informationszugangsrechts durchgesetzt werden. Die Erhebung erhöhter Gebühren für profitorientierte Anträge, die beispielsweise vom Europäischen Parlament in Zusammenhang mit der Umweltinformationsrichtlinie zur Verhinderung übermäßiger kommerziell motivierter Begehren vorgeschlagen wurde 453 , vermag der wirtschaftlichen Ausbeutung von Informationszugangs450 45 1 45 2
Vgl. ebenda, Anhang, S. 9, 17. Vgl. insoweit: Wicher, S.34ff., 40. Hinsichtlich beider Aussagen ebenso: Wicher, S. 41 f.
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rechten hingegen keinen Einhalt zu gebieten: Eine derartige Einführung der Staffelung von Gebühren in Abhängigkeit vom Verwendungszweck durch die Änderung des FOIA im Jahre 1986454 vermochte am Phänomen der FOI Services Companies prinzipiell nichts zu ändern. Insofern liegt es auf der Hand, daß der Kommerzialisierung lediglich ein weiterer auf die Kunden abwälzbarer Kostenpunkt entgegensteht, nicht aber eine wirkliche rechtliche Barriere. Geht man davon aus, daß sich letztlich alle behandelten allgemeinen Informationszugangsrechte in irgendeiner Weise der Stärkung des Demokratieprinzips verpflichtet haben 455 , so scheint auf den ersten Blick jedenfalls eine negative Bewertung der Erfahrungen mit dem FOIA geboten. Es ist jedoch zu betonen, daß nicht schlechthin deshalb, weil Unternehmen, Rechtsanwälte zugunsten der Industrie oder Lobbyisten Informationszugangsanträge bei den Behörden stellen, sogleich eine demokratische Zweckverfehlung in Gestalt der Kommerzialisierung angenommen werden muß. So hat bereits die Literatur verschiedentlich ausgeführt, daß beispielsweise auch Unternehmen ein sehr stark legitimiertes Interesse daran haben können, Informationen über Konkurrenten oder andere Unternehmen zu erlangen: Zu nennen ist insbesondere die Konstellation, daß ein Unternehmen lediglich überprüfen möchte, ob auch der Konkurrent das geltende Recht einhält456 , andererseits die Möglichkeit, mittels des Zugangsrechts Informationen zum Aufbau von Geschäftsverbindungen mit anderen Unternehmen zu erlangen457 • 453 Vgl. insoweit den 5. Änderungsvorschlag des EP zum Vorschlag der Kommission für eine Umweltinformationsrichtlinie (KOM (88), 484 endg.) vom 13.4.1989 (ABI. C 120 vom 16.5.1989, s.231, 233). 454 Vgl. dazu: Gurlit, in: Winter, S.523f. mwN. 455 Dies kann hier lediglich hypothetisch angenommen werden, im einzelnen wäre jeweils- ähnlich und mit gegebenenfalls vergleichbarem Umfang wie in Teil 1 dieser Arbeit bezüglich der Umweltinformationsrichtlinie- eine genauere Betrachtung erforderlich. Deshalb seien diesbezügliche Nachweise hier nur angedeutet: Hinsichtlich der USA vgl. insoweit besonders deutlich die 1. Zwecksetzung der ,,Electronic FOIA Amendments of 1996" vom 3.1.1996 zur Änderung des FOIA, nach der "purposes of this Act are to ( 1) foster democracy by ensuring public access to agency records and information ..." (2-4); abrufbar unter: "http://www.epic.org/open__gov/efoia.html". Für Kanada vgl. beispielsweise die Äußerung des Information Commissioners in seinem 10-Jahres-Bericht über den AIA unter "http://infoweb. magi.com/-accessca/ten__y.html" S. 2, nach der "This (Canadian- der Verfasser) brand of popular democracy indentifies administrative secrecy as a denial of responsibility by those in positions of powers." Mit Blick auf die Entwicklung in der EU vgl. den 1. Erwägungsgrund des Beschlusses des Rates zur Verbesserung der Information über die Gesetzgebungstätigkeit des Rates und das öffentliche Register der Ratsdokumente unter: "http://register.consilium.eu.int/ utfregister/misenDE.htm", S.15, nach dem "Offenheit für demokratische Verhältnisse in der EU und für ihre politische Verantwortlichkeit von entscheidener Bedeutung ist und die Unterrichtung der Öffentlichkeit eines der Instrumente zur Förderung dieser Offenheit." 456 Vgl. dazu Reinhardt, Die Verwaltung 1997, 161, 179 bezüglich des UIG, der ferner zutreffend andeutet, daß diese Motivation vor dem speziellen Sinn des Umweltinformationszugangsrechts - Verhinderung und Beseitigung von Vollzugsdefiziten - besonders positiv zu bewerten wäre. 457 Vgl. insoweit: Winter, in: ders., S. 17.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
Freilich äußern Vertreter US-amerikanischer Bundesbehörden ihre Verärgerung darüber, daß die FOIA-Büros ihrer Behörden hinsichtlich der FOI Services Companies regelmäßig für die Industrie arbeiteten, zumal dieser Umstand teilweise zu Frustrationen der Mitarbeiter führe, die den Zielen des FOIA abträglich seien458 • Gleichwohl hat der US-amerikanische Gesetzgeber auf diese von ihm durchaus erkannte Situation nur mit einer gestaffelten Gebührenordnung reagiert, obwohl ihm zu diesem Zeitpunkt bereits das schwedische Modell bekannt gewesen ist, das das Problem einerseits durch kürzere Entscheidungszeiten lösen konnte, andererseits im Ansatz für ausgewählte Informationen schon die Möglichkeit der Auferlegung von Verwendungsbeschränkungen kannte. Ebenso sieht auch der kanadische Information Commissioner die kommerzielle Nutzung keineswegs überwiegend negativ: Mehr Wettbewerb bei öffentlichen Ausschreibungen könne zu besseren Preisen führen und damit den Konsumenten Vorteile bringen459• Insgesamt versagt sich demzufolge eine undifferenziert negative Bewertung des Phänomens kommerzieller Nutzung von Informationszugangsrechten. - Dort, wo das Phänomen erkannt wird, wird es nur begrenzt als Problem verstanden und/oder es wird ihm trotz insoweit zur Verfügung stehender Maßnahmen ohne gravierende Nebenwirkungen nicht abgeholfen. Die kommerzielle Nutzung stellt damit keinen unvermeidbaren Mißbrauch von Zugangsrechten dar, der Gesetzgeber vermag sie vielmehr in der von ihm gewünschten Weise zu steuern. 2. Das Argument der Überlastung und der Kosten Immer wieder ist gegen die Einführung bereichsspezifischer oder allgemeiner voraussetzungsloser Informationszugangsrechte angeführt worden, daß sie zu einem beachtlichen Arbeitsmehraufwand der Verwaltungen führe und damit hinsichtlich ihrer bereits bestehenden umfangreichen Aufgaben zu ihrer Überlastung460• Teilweise ist darüber hinausgehend die Gefahr einer drohenden Funktionsunfahigkeit der Verwaltungen prophezeit worden, deren Eintritt sich freilich im Hinblick auf die zahlreichen seit Jahren bestehenden internationalen voraussetzungslosen Informationszugangsordnungen keinesfalls als wahrscheinlich erwiesen hat. Außerdem sind regelmäßig beträchtliche Kosten derartiger Zugangsrechte beschworen worden461 • Umgekehrt wird in Einzelfällen mit Blick auf andere positive Konsequenzen, insbesondere der Einsichtsrechte in Umweltakten, insgesamt nur von geringen mit ihrer Einführung verbundenen Kosten ausgegangen462 • 458 Vgl. insoweit die Nachweise über von ihr geführte Interviews bei: Gurlit, in: Winter, S.522. 459 Vgl. den 10-Jahres-Bericht des Information Commissioners über den AIA unter ,.http://infoweb.magi.comj-accessca/ten_y.html" S. 9. 460 Vgl. beispielsweise:Lemp, in: UTR 22, S.19ff., 22; ähnlich auchdieehemalige BReg in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage einiger MdB und der Fraktion der SPD (BTDrs. l2/1273, S.4f.). 461 Sünner, in: UTR 22, S. 57 f.; Czychowski, in: UTR 22, S. 64.
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Für eine empirische Überprüfung dieser Thesen ist zunächst die unterschiedliche Praxis zu beachten, daß einige wenige Informationsordnungen spezielle Informationszugangsrechts-Büros eingerichtet haben, während die meisten anderen die neuen Zugangsanträge von den die Akten ohnehin führenden Fachbehörden und Mitarbeitern bearbeiten lassen463 . Dies zieht die Konsequenz nach sich, daß sich bei der letztgenannten Praxis ein zusätzlicher Arbeits- und Verwaltungsaufwand nur schwer quantifizieren läßt. Besonders aufschlußreich sind deshalb vor allem die Erfahrungen spezieller FOIA-Büros US-amerikanischer Bundesbehörden, die auf dem erstgenannten Prinzip beruhen. In den USA bearbeiten beispielsweise die 16 für Informationsbegehren nach dem FOIA zuständigen Mitarbeiter der Consumer Product Safety Commission (CPSC) jährlich ca. 13.000 Anträge. Nach Schätzung des Leiters der CPSC-Informationsabteilung errechnen sich daraus durchschnittliche Kosten von 200-250$ pro Antrag 464 • Ähnlich beliefen sich die Kosten für den Vollzug des FOIA nach der offiziellen Statistik im Jahr 1993 insgesamt auf knapp 110 Mio $, aus denen sich ein Schnitt von knapp 190$ pro Informationsbegehren errechnet465. In Kanada lag der Kostendurchschnitt pro Informationsantrag mit über 1000$ hingegen weitaus höher466 • In Schweden ist demgegenüber praktisch nur ein sehr geringer Verwaltungsmehraufwand aufgrund des allgemeinen Zugangsrechts spürbar, Informationsbegehren werden regelmäßig im Rahmen des allgemeinen Geschäftsgangs erledigt467 . Zusätzliche Kosten entstehen deshalb nach Jahren der Erfahrung kaum. Eine konkrete Veranschlagung der Kosten, die über die Ermittlung des Zeitaufwands pro Informationsantrag und die Bestimmung der Personalausgaben pro gearbeiteter Zeiteinheit gleichwohl möglich wäre, ist für Schweden nicht ersichtlich. Erschreckenderweise scheinen sich die Gemeinschaftsorgane mit Ausnah462 So z. B. die BReg in ihrem dem UIG zugrunde liegenden Gesetzentwurf (BR-Drs. 797/93, S. 2) und einige MdB und die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Alternativentwurf (BTDrs. 12/1596, S. 2). Ähnlich einige MdB und die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen sogar in ihrem Gesetzentwurf für ein allgemeines Informationsfreiheitsgesetz (BT-Drs. 13/8432, S. 2.). 463 Zur ersten Gruppe zählen insbesondere die USA, während in Schweden und Kanada keine spezielle Zuweisung für die Bearbeitung von Informationszugangsbegehren ersichtlich ist. In der Gemeinschaft gelten hinsichtlich des Zugangs zu Dokumenten des Rates und der Kommission hingegen komplizierte und voneinander zu unterscheidende Regelungen (vgl. dazu ausführlichst: Röger, DVBI. 1994, 1182, 1186f. mwN). In Deutschland haben die Länder- soweit ersichtlich- bislang nicht von der Möglichkeit des § 9 Abs. 2 S. 1 UIG Gebrauch gemacht. Weder auf Bundes- noch auf Landesebene sind damit spezielle UIG-Büros eingerichtet worden. Die bestehenden zentralen Informationsstellen des Bundes und der Länder beruhen nicht auf dem UIG (vgl. zum UIG auch Fluck/Theuer, § 9 Rn 32 und Turiaux, § 9 Rn 9f. mwN auch der zentralen Informationsstellen). 464 Statistische Angaben nach: Winter, in: ders. S. 15 f. mwN. 465 Angaben nach: Kugelmann, S. 165 mwN. 466 Angaben nach: Burkert, in: Winter, S. 313 f., dessen Ergebnis auf allen insgesamt in Kanada gestellten Anträgen beruht, der im übrigen aber leider keine Informationen über die seinen Rechnungen zugrunde liegenden Umstände anbietet. 467 Vgl. insoweit: Askelöf/Heurgren, in: Winter, S.484f., 486f.; ähnlich auch die Einschätzung der ehemaligen BReg in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage einiger MdB und der Fraktion der SPD (BT-Drs. 12/1273, S. 4.).
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me des Europäischen Parlaments den an dieser Stelle untersuchten Fragen generell nicht zu stellen 468 • Auch in Deutschland ist insoweit bei der Einführung allgemeiner Akteneinsichtsrechte in den Ländern Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein ein ernsthafter Versuch, aussagekräftige empirische Erkenntnisse zu erlangen, nicht unternommen worden469 • Erscheinen diese sicherlich auf methodisch wenig aussagekräftige Weise erlangten Werte auf einen ersten Blick überaus widersprüchlich, so läßt sich ihnen unter Berücksichtigung der zeitlichen Dimension wohl doch eine gehaltvolle Aussage entnehmen: Auf der Hand liegt, daß in Schweden zusätzliche Belastungen nach jahrhundertelanger Praxis entweder nicht mehr wahrgenommen werden oder sich hinsichtlich der zunehmenden Erfahrung der Verwaltung und der mittlerweile ohne weiteres zur Verfügung stehenden aufbereiteten Informationen minimiert haben. Demgegenüber steht der kanadische Höchstwert im engstem zeitlichen Zusammenhang mit einem eingeführten allgemeinen voraussetzungslosen Informationszugangsrecht - Es handelt sich bei den angegebenen 1000 $ pro Antrag um den durchschnittlichen Referenzwert der ersten fünf Jahre nach Irrkrafttreten des Zugangsrechts. Zum Vergleich wurde der höhere der aus den USA stammenden Werte von 200-250$ pro Antrag ca. 20 Jahre nach Irrkrafttreten des FOIA ermittelt, der geringere Wert von knapp 190$ ist hingegen einer fünf Jahre jüngeren Statistik entnommen. Ohne damit auf Basis des geringen und unsicheren empirischen Materials vermessenerweise einen wie auch immer gearteten quantifizierten Proportionalzusammenhang zwischen der zunehmenden Anwendungsdauer eines (neuen) allgemeinen voraussetzungslosen Informationszugangsrechts und pro Antrag abnehmenden Kosten herleiten zu wollen, erscheint damit ein grundsätzlicher derartiger Zusammenhang durchaus als wahrscheinlich. Im Ergebnis läßt sich damit zunächst festhalten, daß die Neueinführung allgemeiner Informationszugangsrechte sehr wohl mit einem Arbeits- und Kostenmehraufwand verbunden ist, die Folge der Funktionsunfähigkeit der Verwaltung hingegen 468 Soweit ersichtlich, sprechen die Gemeinschaftsorgane mögliche Kostenfolgen weder im Laufe der Entstehung der Umweltinformationsrichtlinie noch des Verhaltenskodexes nebst nachfolgenden Beschlüssen an, während sich insoweit auch die Berichte über die mit diesen Rechtsinstituten gemachten Erfahrungen aussschweigen. - Anders demgegenüber die um ein allgemein größeres Ausmaß an Aktenöffentlichkeit bemühten Berichte der Ausschüsse des EP (EP doc. A2- 30/87 vom 13.4.87 (PE lll.Ol2.endg.) S. 14 und EP doc. A2-208/87 vom 10.11.87 (PE 107.541/endg.) S. 12), die sogleich nochmals Gegenstand näherer Betrachtung sind. 469 Die in Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein eingeführten allgemeinen Akteneinsichtsrechte und die ihnen zugrundeliegenden Gesetzesmaterialien enthalten keine substantiellen dahingehenden Erwägungen.- Auch der jüngste Entwurf der BReg für ein (allgemeines) Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes beinhaltet keine eigene Kostenprognose, geschweige eine quantifizierte bezüglich der Kosten eines einzelnen Antrags. Vielmehr nimmt die BReg insoweit nur Bezug auf- soweit ersichtlich - unveröffentlichte Prognosen des Berliner Innensenators bezüglich der Kosten, die dieser aufgrund der Einführung des Berliner IFG erwartete, die sich letztlich aber nicht bestätigt haben.
C. Konkrete Erfahrungen
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unwahrscheinlich ist. Entgegen theoretisch durchaus begründbarer Hoffnungen, die zusätzlichen Kosten durch ein erhöhtes Gebührenaufkommen kompensieren zu können470, hat sich diese Erwartung praktisch nicht bestätigt471 : Unterstellt man hypothetisch einmal den Durchschnittswert von anfanglieh 1000$ Kosten pro Antrag, die durch Gebühren gedeckt werden sollen, so liegt die kontraproduktive Abschrekkung der potentiellen Nutzer auf der Hand. Die Gesetzgeber können sich bei der Einführung von Jedermann-Informationszugangsrechten folglich nicht am Grundsatz kostendeckender Gebühren orientieren. Die anfanglieh mit dem lokrafttreten eines neuen Zugangsrechts durchaus verbundenen beträchtlichen Kosten scheinen indes mit zunehmenden Erfahrungen der Verwaltungen abzunehmen. Eine Bewertung dieser regelmäßigen Kostenentwicklung bei der Einführung allgemeiner Informationszugangsrechte muß sich an den jeweils mit ihnen verfolgten Zielen orientieren: So sind beispielsweise die Kosten des FOIA im Verhältnis zum mit ihm verbundenen demokratischen Gewinn als akzeptabel bezeichnet worden472, letztlich sind diese Größen aber nicht in mathematischer Weise miteinander verrechenbar. Sie können deshalb im Wege praktischer Konkordanz unter Berücksichtigung der jeweils anderen einzubeziehenden Belange nur im Rahmen einer umfassenden Güterahwägung miteinander in "möglichst schonenden Ausgleich" gebracht werden. Da diese Abwägung den Ausführungen in Teil 3 vorbehalten sein soll, sei hier lediglich hingewiesen auf einen dem Verfasser als beachtlich scheinenden Vergleich zu den Kosten, die zu ähnlichen Zwecken aufgewendet werden: Nach einem Bericht eines Ausschusses des Europäischen Parlaments steht den von den USA im Jahre 1981 für den FOIA ausgegebenen Mitteln in Höhe von 61 Mio $ein Betrag von Ausgaben in Höhe von 2,26 Mrd $ für direkte Veröffentlichungen im vergleichbaren Jahr 1983 gegenüber473 • Danach sind die Kosten für einen allgemeinen Informationsanspruch in der Tat als relativ gering einzustufen. Dient ein neues bereichsspezifisches Informationszugangsrecht wie beispielsweise das des § 4 Abs. 1 S. 1 UIG einem speziellen Zweck wie dem Umweltschutz, so stellt sich dasselbe Problem der letztliehen Unvergleichbarkeit der Größen Umweltschutz und Ausgabenerhöhung. Auch seine Bewertung bleibe deshalb einer in Teil 3 470
S. 2).
So z. B. die BReg in ihrem dem UIG zugrunde liegenden Gesetzentwurf (BR-Drs. 797/93,
471 Vgl. insoweit die Erfahrungen aus den USA und Kanada, in denen praktisch nur knapp zehn (vgl. die Angaben bei Kugelmann, S. 165) beziehungsweise 1% (vgl. die Angaben bei Burkert, in: Winter, S. 313 f.) der Kosten durch Gebühren refinanziert werden konnten. Eine Kostendeckung ist nach der Verurteilung Deutschlands durch den EuGH im Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelnder Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie gemeinschaftsweit auch im Hinblick auf Umweltinformationszugangsrechte ausgeschlossen - der EuGH hat sie unter Verweis auf die praktische Effektivität des Gemeinschaftsrechts explizit als europarechtswidrig bezeichnet (EuGH E2000-I, 5087, 5119f. Rz.47f.). 472 Kugelmann, S. 165. 473 Vgl. insoweit den Bericht des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit, und Verbraucherschutz vom 13.4.87 (EP doc. A2-30/87 (PE 111.012.endg.)), S.14 mwN.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
vorzunehmenden umfassenden Güterahwägung vorbehalten. Sie wird aber das oben gefundene Ergebnis zu berücksichtigen haben, daß das Umweltinformationszugangsrecht aufgrund seiner Präventivwirkungen in der Tat dazu geeignet ist, in gewissem Maße Umweltverschmutzungen vorzubeugen, und daß sich damit die unter Berücksichtigung anderweitiger Einsparungen berechneten langfristigen Kosten pro Antrag insgesamt als geringer als bei allgemeinen Zugangsrechten erweisen könnten. Unabhängig von diesem Effekt hat eine der bereits erwähnten Österreichischen Studien für die Einführung des Zugangsrechts zu Umweltinformationen nach dem öUIG ganz besonders geringe Kosten von lediglich 540 ATS pro Antrag errechnet474. Dieser Wert gründet sich auf den Umstand, daß die Bürger in den beiden ersten Jahren zusätzlich aufgrunddes öUIG insgesamt weniger als geschätzte 300 Anträge gestellt haben. Demzufolge sind keine neuen Planstellen eingerichtet worden und damit insoweit keine zusätzlichen Fixkosten entstanden. Der in der Studie errechnete Wert beruht demnach und auch ausdrücklich allein auf den Personalkosten. Sonstige Aufwendungen aus der Einführungsphase des öUIG beispielsweise für den Aufbau eines Umweltdatenkatalogs sind nicht berücksichtigt worden. Eine Aussage im Hinblick auf eine hier angenommene Abnahme der Kosten eines neu eingeführten Informationszugangsrechts mit seiner zunehmend andauernden Praktizierung erlauben die in Österreich ermittelten Ergebnisse jedoch kaum. Außerordentlich überraschend erscheint nämlich im Vergleich zu den empirischen Erfahrungen aus Kanada und den USA die Tatsache, daß die Österreichischen Behörden der Studie zufolge Zugangsanträge durchschnittlich in gut 20 Minuten zu bearbeiten vermögen475, während die spezialisierten und eingearbeiteten FOIA-Mitarbeiter der CPSC nur weniger als drei Anträge pro Tag erledigen476 • Gegen die Richtigkeit der Ergebnisse der genannten Studie spricht jedenfalls, daß die ebenso in Österreich vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegebene Studie auf ähnlicher zugrundegelegter empirischer Methodik zum Ergebnis einer durchschnittlichen Beantwortungszeit von immerhin einer vollen Stunde kommt 477 • Leider muß hier mangels weiteren empirischen Vergleichsmaterials letztlich offenbleiben, ob die unterschiedlichen für Österreich gefundenen Ergebnisse auf den zugrundegelegten empirischen Methoden beruhen, die in beiden Fällen nicht auf gesicherter Basis stehen und deshalb keine sicheren Aussagen erlauben, zumal sie auch von anderen internationalen Erfahrungen deutlich abweichen. Die Erhebung empirischer Daten insbeVgl. dazu die Kalkulation von: Wicher, S.48f. Vgl. insoweit und zu den vorgenannten Angaben: Wicher, S.48f. 476 Nach Winter, in: ders., S.l6 stehen für die Bearbeitung der jährlich bei der CPSC eingehenden ca.13.000 Zugangsbegehren 16 Stellen zur Verfügung. Selbst Feier- und Urlaubstage einbezogen können die Mitarbeiter eines speziell eingerichteten FOIA-Büros die für Österreich in der Studie ermittelten Wertetrotz ihrer Erfahrung und Spezialisierung bei weitem nicht erreichen. 477 Vgl. insoweit den Bericht des (österreichischen) Bundesministeriums für Umwelt über die Erfahrungen mit der Vollziehung des Umweltinformationsgesetzes (UIG), S. 18 des Anhangs des Berichts. 474 475
C. Konkrete Erfahrungen
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sondere durch die Europäische Union, deren Organe immer wieder Prozesse zur Einführung von Informationszugangsrechten angestoßen haben, ist deshalb nicht nur wünschenswert, sondern zur präzisen Beantwortung der an dieser Stelle aufgeworfenen Fragen unbedingt geboten. 3. Der Einwand sich kaum verändernder Ergebnisse Ein vereinzelt gegen Informationszugangsrechte vorgebrachter Einwand beruht auf dem Verhältnis einer in Betracht gezogenen Einführung eines neuen Zugangsrechts zu den bereits bestehenden Vorschriften. So führt beispielsweise die ehemalige Bundesregierung den Einwand sich kaum verändernder Ergebnisse gegen die von der Opposition angeregte Verabschiedung eines dem FOIA ähnelnden allgemeinen voraussetzungslosen Informationszugangsrechts an: Der Ansatz des deutschen Rechts, anstelle eines allgemeinen Informationszugangsrechts ein Geflecht von spezifischen Zugangs- und Informationsrechten für die Allgemeinheit oder einzelne Personen vorzusehen, werde den berechtigten Informationsinteressen des einzelnen gerecht und stehe angesichts der vielfältigen Ausnahmetatbestände, die die Regelungen des Zugangsrechts in anderen Länder wie etwa den USA vorsehen, in ihrer Effektivität diesen Regelungen nicht nach478 • Dieser Einwand kann sich partiell auf das oben gefundene Ergebnis stützen, daß durchaus Konstellationen denkbar sind, in denen einem Antrag auf Einsicht in Umweltakten allein nach dem das Prinzip der beschränkten Aktenöffentlichkeit im deutschen Recht verwirklichenden § 29 VwVfG stattzugeben ist, nicht aber aufgrunddes parallel anwendbaren §4 UIG. In diesen seltenen Fällen geht der am Prinzip der Geheimhaltung orientierte Informationsanspruch weiter als der, der sich um prinzipielle Öffentlichkeit bemüht479• Gleichwohl darf diese seltene Konstellation nicht zu dem Schluß verleiten, daß hinsichtlich der verschiedenen Ausnahmetatbestände, die in allen einen allgemeinen voraussetzungslosen Informationszugangsanspruch garantierenden Informationsordnungen bestehen, insgesamt nicht mehr Publizität gewährleistet wird. In der ganz überwiegenden Anzahl denkbarer Informationsanträge, in denen Bürger, die nicht am Verwaltungsverfahren beteiligt sind und zusätzlich nicht ausschließlich rechtliche Interessen verfolgen, bleibt es nach dem Prinzip der beschränkten Aktenöffentlichkeit im Ergebnis nämlich immer bei der Geheimhaltung und das nicht nur, soweit eine der Ausnahmen betroffen ist. Die hohe Hürde der tatbestandliehen Voraussetzungen des § 29 VwVfG darf nicht in Vergessenheit geraten, nur weil die Rechtsfolgenseiten der verglichenen Normen (im Falle des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen) für sich betrachtet oft zu ähnlichen Ergebnissen führen. 478 So in einer konkreten Antwort im Rahmen einer Großen Anfrage einiger MdB und der Fraktion der SPD (BT-Drs. 12/1273, S. 3). Scheinbar ähnlich kritisch auch: Winter, in: ders., S. 14, der eine ähnlich pessimistische Aussage indes nur für den Fall trifft, daß zusätzlich ungünstige außerrechtliche Umstände hinzukommen. 479 Vgl. dazu ausführliehst oben, S. 88 ff.
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
Lediglich geringe Publizitätsgewinne werden durch die Einführung allgemeiner oder bereichsspezifischer Zugangsrechte nur erzielt, wenn andere ungünstige Umstände hinzutreten, die langfristig zu erheblichen Vollzugsdefiziten der neuen Zugangsrechte führen. Zu denken ist insbesondere an die Konstellation, daß eine Informationsrechtsordnung bisher keine am Prinzip der Öffentlichkeit orientierte Kultur kennt und es gleichzeitig an der Bereitschaft der Behörden mangelt, sich umzustellen. -Ein Beispiel hierfür liefern die praktischen Erfahrungen, die in Italien mit dem Vollzug eines noch vor der Umweltinformationsrichtlinie erlassenen Umweltinformationszugangsrechts gesammelt werden konnten. Nachdem die noch an einem streng beachteten Amtsgeheimnis orientierte italienische Rechtsordnung zuvor nicht einmal ein § 29 VwVfG vergleichbares Akteneinsichts- oder Informationsrecht gewährleistete 480, räumt Art. 14 Abs. 3 des neuen Gesetzes nunmehr jedem Bürger ein Recht auf Zugang zu allen über den Zustand der Umwelt bei den Behörden der öffentlichen Verwaltung verfügbaren Informationen inklusive der Akten ("atti") ein481 • Der mit dieser Gesetzesänderung verbundene rechtlich qualitative Sprung hat gleichwohl nur zu geringsten praktischen Veränderungen geführt. In einer häufig zitierten Teststudie befragte ein italienischer Umweltverband insgesamt knapp 250 Provinzen, Städte und kommunale Gesundheitsämter schriftlich nach der Industrieabfallbeseitigung und den Meßergebnissen über Immissionsbelastungen in der Nähe von Industrieanlagen. Dabei antworteten nur 25 % der befragten Stellen innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von 90 Tagen, wovon nach Auskunft des Verbands wiederum nur 8 Behörden eine sachlich ausreichende Auskunft erteilten. Die meisten anderen beriefen sich auf das eigentlich im Hinblick auf Umweltdaten gerade abgeschaffte Amtsgeheimnis oder boten Einsichtnahme vor Ort an, obwohl das Gesetz zur Anforderung von Kopien berechtigt482 • Anstelle einer substantiell veränderten Rechtswirklichkeit mußte folglich vor allem eine auffällige Diskrepanz zwischen Norm und Wirklichkeit festgestellt werden483 , die die zumindest anfänglich auch hinsichtlich des UIG nachgewiesenen Vollzugsdefizite nochmals deutlich übertrifft. 480 Zur geschichtlichen Entwicklung der Akteneinsicht in Italien und der Situation vor Verabschiedung des Gesetzes Nr. 349/1986 vgl. ausführliehst Ladeur, in: Winter, S. 250 ff. mwN. Grundsätze des Verwaltungsverlahrensrechts wurden erst später, unter anderem als Reaktion auf schlechte Erlahrungen mit diesem Gesetz kodifiziert- vgl. insoweit: Legge del 07/08/1990 n. 241, Nuove norme in materia di procedimento amministrativo e di diritto di acceso ai documenti amministrativi, in Gazzetta Ufficiale Serie Generalen. 192 del 18/08/90, pag. 7. Dessen Art. 22 enthält eine § 29 VwVfG vergleichbare Regelung. 481 Vgl. Art.14 des Gesetzes vom 8.7.1986, Nr. 349 (Legge del 08/07/1986 n.349, Istituzione del Ministero dell'ambiente enorme in materia di danno ambientale, in Supplemento ordinario alla Gazzetta Ufficiale Seriegenerale n. 162 del 15/07/86, pag. 5); näher dazu: Ladeur, in: Winter, S.268ff. mwN. 482 Vgl. im einzelnen zu dieser "aprite sesamo"-Studie der "amici della terra": Ladeur, in: Winter, S. 272ff. mwN.- Ähnlich auch die Ergebnisse einer weiteren Kurzumfrage von Ladeur, in: Winter, S. 274f. 483 So insbesondere: Ladeur, in: Winter, S. 275. auch mit dem Versuch von Erklärungsansätzen.
C. Konkrete Erfahrungen
235
Soweit allgemeine oder bereichsspezifische voraussetzungslose Informationszugangsrechte kein exorbitantes praktisches Vollzugsdefizit wie in Italien nach sich ziehen, vermögen sie gegenüber Zugangsrechten, deren Tatbestand wie der des § 29 VwVfG persönlichen und sachlichen Voraussetzungen unterliegt, durchaus das Maß an effektiv gewährleisteter Publizität zu vergrößern. Dies gilt erst recht, wenn der mit einem voraussetzungslosen Informationszugangsrecht angestrebte Erfolg durch einen mittelbaren psychischen Wirkungszusammenhang wie beim vom Gemeinschaftsrecht angeordneten und durch das UIG umgesetzten Umweltinformationszugangsrecht erreicht werden soll. Gewisse Vollzugsdefizite dieses Zugangsrechts verfalschen die Rechtswirklichkeit im Hinblick auf den mit ihm angestrebten Zweck nur geringfügig, da sein Erfolg präventiv und damit prinzipiell unabhängig von einem später tatsächlich gewährleisteten Informationszugang eintritt484 •
4. Das Problem des möglicherweise abnehmenden Informationsflusses Immer wieder ist gegen Informationszugangsrechte auch vorgebracht worden, daß sie sich in gewissem Maße auch kontraproduktiv auswirken würden, weil die Behörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf Informanten verschiedenster Herkunft angewiesen seien, potentielle Informanten sich aber zurückhalten könnten, wenn die von ihnen den Behörden mitgeteilten Informationen Dritten offenbart werden dürften 485 • Insbesondere Unternehmen fürchteten prinzipiell einen mittelbaren "Abfluß von Know-how" an Konkurrenten486 , während Verbände, private Literatur und die Presse mangels entgegenstehender Indizien einer Verbreitung der von ihnen freiwillig übermittelten Daten eher positiv gegenüberstehen zu scheinen487 • Hinsichtlich dieser unterschiedlichen Einstellung bezüglich einer eventuellen Informationsweitergabe muß betont werden, daß die Umfrageergebnisse aus Österreich den Schluß nahelegen, daß die Bedeutung der von den Unternehmen mitgeteilten Informationen häufig überschätzt werden dürfte, insbesondere im Hinblick auf Umweltinformationen. Nach dem insoweit auf der Befragung von 93 Umweltbehörden beruhenden Bericht des Österreichischen Umweltministeriums stammen aus dieser Quelle nämlich nur 20 % der erlangten Umweltinformationen. Demgegenüber erwies sich der Informationsfluß sowohl aus der Literatur als auch den Medien als (etwas) umfangreicher, wobei insbesondere den der Literatur entnommenen Umweltinformationen von den Behörden eine hohe Qualität bescheinigt wird. Auch die über 15% der Informationen liefernden Umweltinstitute gelten als Vgl. dazu schon oben, II. 3. So z. B. Turiaux, § 7 Rn 52 mwN in bezug auf den Zweck des § 7 Abs. 4 UIG. 486 Vgl. insoweit für die deutsche Industrie sprechend: Fluck, in: UTR 22, S. 25 ff., 66f. 487 Insoweit stellt auch der unmittelbar nachfolgend erläuterte Bericht des (österreichischen) Bundesministeriums für Umwelt einen relativ gut funktionierenden Informationsfluß von der Quelle zur Behörde fest, vgl. dort, Anhang, S. 12. 484 485
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
besonders attraktive, weil verläßliche, aktuelle und umfassende Informationsquelle488. Des weiteren ist anzumerken, daß eine restriktive Informationspolitik der Unternehmen gerade im Umweltbereich ohnehin nur in engen Grenzen denkbar ist, da die Unternehmen in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle gesetzlich verpflichtet sind, den Behörden im Rahmen von Genehmigungsverfahren oder Überwachungsmaßnahmen Informationen zukommen zu lassen489. Die über diese Verpflichtungen hinausgehenden Informationen unterliegen des weiteren beispielsweise nach deutschem Umweltinformationsrecht dem zusätzlichen materiellen Schutz des zwingenden Ablehnungsgrundes des § 7 Abs. 4 S. 1 UIG, nach dem von privaten Dritten ohne rechtliche Verpflichtung übermittelte Daten ohne Einwilligung des Dritten nicht (allgemein) zugänglich gemacht werden dürfen. Ferner sind die betroffenen privaten Geheimnisträger vor der Entscheidung der Behörde auch über eine eventuelle Offenbarung gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 UIG anzuhören und damit prozessual abgesichert. Zu beachten ist, daß die beiden genannten Normen zusätzliche Garantien neben den allgemeinen Tatbeständen zum materiellen Schutz personenbezogener und geschäftsbezogener Geheimnisse nach § 8 Abs. 1 S. 1 und 2 UIG gewährleisten. Eine rechtlich bedingte Gefahr der rechtswidrigen Offenbarung geschützter Geheimnisse besteht nach dem UIG also nicht. Praktische Fälle rechtswidrigerweise offenbarter Geheimnisse sind unter dem Regime des UIG nicht ersichtlich. Eine eventuelle restriktive Informationspolitik der Unternehmen kann also einen Grund allenfalls in der psychischen Besorgnis finden, die Behörden könnten gegen§§ 7, 8 UIG oder vergleichbare Schutztatbestände anderer Informationsordnungen verstoßen. Auch die Erfahrungen internationaler Informationsordnungen ohne eine § 8 Abs. 2 S. 1 UIG vergleichbare prozessuale Absicherung, die im US-amerikanischen Recht unter dem Begriff Notice-Verfahren gehandelt wird, zeigen, daß die rechtswidrige Offenbarung von Unternehmensgeheimnissen kaum praktische Fälle kennt: Nach einer im Rahmen dieser Arbeit bereits mehrfach zitierten Studie sei in 10 informationsrechtlich betrachteten Staaten von einer Ausnahme abgesehen kein Anwendungsfall bekannt, in dem Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse in geschäftsschädigender Weise verbreitet worden wären 490. Dabei kennen beispielsweise Schweden und Italien kein Notice-Verfahren, der Geheimnisschutz verwirklicht sich hier ausschließlich materiell-rechtlich.- Häufig nehmen die Unternehmen hier vor der Übermittlung der Informationen an staatliche Stellen eine Kennzeichnung 488 Alle Daten nach dem Bericht des (österreichischen) Bundesministeriums für Umwelt über die Erfahrungen mit der Vollziehung des Umweltinformationsgesetzes (UIG), Anhang, S.l2f. 489 Vgl. zu diesen Verpflichtungen: Fluck, in: UTR 22, S. 32 und die oben in Teil I, B. II. 2. a) aa) in Gruppen untergliederten Arten von Umweltinformationen. 490 Vgl. insoweit die zusammenfassende Darstellung von: Winter, in ders., S. 20f. mwN der innerhalb dieses Werks abgedruckten Berichte. Zur Ausnahme: Gurlit, in: Winter, S. 530. Zum gleichen Ergebnis bezüglich des öUIG kommt auch: Wicher, S. 42.
C. Konkrete Erfahrungen
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ihrer Geheimnisse vor, der die Behörden bei ihrer Entscheidung über einen Informationsantrag regelmäßig folgen. Ein ausreichender Schutz personen- und geschäftsbezogener Geheimnisse kann regelmäßig also auch durch rein materielle Tatbestände gewährleistet werden. Beispiele derartiger Vorschriften, die in ähnlicher Weise in allen Informationsrechtsordnungen verwirklicht sind, stellen § 8 Abs. 1 S. 1 und 2 UIG dar. Trotz der damit im Ergebnis allenfalls seltenen Offenbarung von Geheimnissen scheint die Einführung von Informationszugangsrechten gleichwohl ein im psychologischen Bereich liegendes gewisses Mißtrauen der Unternehmen gegenüber der Geheimhaltungspraxis der Behörden zu begründen. In verschiedenen Staaten verlangen die Unternehmen bei freiwillig übermittelten Informationen nämlich regelmäßig ausdrückliche Geheimhaltungszusagen der Behörden491 • Ferner geben die Unternehmen teilweise selbst an, sich nach lokrafttreten des jeweiligen Informationszugangsrechts informationspolitisch zurückhaltender zu verhalten492 • Der Vorteil des oben anband des UIG dargestellten psychologischen Wirkungszusammenhangs von Informationszugangsrechten493 kann damit umgekehrt im Hinblick auf die Mitteilungsbereitschaft wichtiger Informanten ähnlich mittelbar zu negativen Folgen führen, obwohl eine reale Gefahr insoweit minimal erscheint. Obwohl die Österreichischen Forschungsergebnisse die Bedeutung der von Unternehmen beigesteuerten Informationen relativiert haben und in großem Maße ohnehin Informationspflichten zu ihren Lasten bestehen, läßt sich damit ein - freilich wiederum nicht quantifizierbarer - kontraproduktiver Informationsabfluß aufgrund der Einführung von Informationszugangsrechten zumindest in ihrem Anfangsstadium nicht völlig ausschließen. Lediglich in Schweden scheint dieser Effekt keine Rolle mehr zu spielen494 • Auch insoweit dürfte deshalb eine längere Praxis des Zugangsrechts diesen Nebeneffekt minimieren, wenn Geheimnisse einem so umfassend ausgeprägten materiellen und prozessualen Schutz unterliegen wie nach dem UIG495 und die Behörden durch die sorgfältige Einhaltung insbesondere des Notice-Verfahrens einen vertrauensstiftenden Umgang mit den Unternehmensgeheimnissen praktizieren.
491 Vgl. insoweit die zusammenfassende Darstellung von: Winter, in ders., S. 18ff. mwN der innerhalb dieses Werks abgedruckten Berichte. 492 Vgl. so z. B. bezüglich Kanadas: Burkert, in: Winter, S. 325 f. mwN und insoweit für die deutsche Industrie sprechend: Fluck, in: UTR 22, S. 25 ff., 66f. 493 V gl. dazu oben, C. I. und li. 494 Vgl. insoweit erneut die generell optimistische Darstellung der schwedischen Informationskultur auch zwischen konkurrierenden Unternehmen bei: Askelöf/Heurgren, in: Winter, s. 484f., 486ff. 495 In dieser Richtung insbesondere hinsichtlich des notice-Verfahrens auch die ehemalige Bundesregierung im Rahmen einer Großen Anfrage einiger MdB und der Fraktion der SPD (BT-Drs. 12/1273, S. 13).
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2. Teil: Die systematische Stellung des Zugangsrechts
5. Zusammenfassung der internationalen Erfahrungen und mögliche Rückschlüsse auf Umweltinformationszugangsrechte Abgesehen von der unzutreffenden Behauptung, daß die Einführung voraussetzungsloser Informationszugangsrechte hinsichtlich ihrer regelmäßig zahlreichen Ausnahmetatbestände das Maß an effektiv gewährleisteter Publizität gegenüber einer Beibehaltung einer am Prinzip des Amtsgeheimnisses orientierten Verwaltungspraxis nicht vergrößern würde, erscheinen die diskutierten Einwände auf den ersten Blick allesamt nicht fernliegend: Die Einführung derartiger Zugangsrechte führt regelmäßig auch zu ihrer kommerziellen Nutzung, sie ist mit Kosten verbunden und schließt eine zukünftige Zurückhaltung der Informanten der Behörden nicht mit Sicherheit aus. Die nähere Betrachtung dieser kritischen Folgen hat jedoch gezeigt, daß ihre Intensität langsam abnimmt oder aber die Gesetzgeber ihnen bereits bekannte und andernorts praktizierte abhelfende Instrumente entgegensetzen könnten. Der Einsatz dieser Instrumente nimmt freilich einen Teil der mittels des jeweiligen Zugangsrechts gewonnenen Publizität wieder zurück. -Die Probleme des erhöhten Kostenaufkommens und der denkbaren Zurückhaltung der Informanten minimieren sich regelmäßig mit andauernder Praktizierung der Zugangsrechte- die zunehmende allgemeine Erfahrung der Verwaltungen führt zur schnelleren Bearbeitung der Anträge und die sorgfältige Anwendung der Ausnahmetatbestände zu einem sicheren und vertrauensstiftenden Umgang mit schützenswerten Geheimnissen. Das Vertrauen der Informanten kann der Gesetzgeber auch durch die zusätzliche Einführung § 7 Abs. 4 S. 1 und§ 8 Abs. 2 S. 1 UIG vergleichbarer materieller oder prozessualer Schutztatbestände stärken. Diese Möglichkeit stellt freilich eine bloße Ergänzung der allgemeinen Tatbestände wie § 8 Abs. I S. I und 2 UIG zum materiellen Schutz personenbezogener und geschäftsbezogener Geheimnisse dar. Das Phänomen der kommerziellen Nutzung von Informationszugangsrechten nimmt demgegenüber mit ihrer längeren Praktizierung eher zu, soweit nicht durch schnelle behördliche Entscheidungen über die Zugangsanträge der von den Services Companies kommerzialisierte Gegenstand in Gestalt des von ihnen bei der Informationsübermittlung erzielten Zeitgewinns entzogen wird. Soweit die Gesetzgeber dieses Phänomen überhaupt als unerwünscht ansehen, können sie es durch die vor allem im Recht der Europäischen Union fortentwickelte Möglichkeit der Auferlegung von Verwendungsbeschränkungen als Nebenbestimmung der Gewährung des Informationszugangs unterbinden. Unverständlich ist deshalb, warum der Rat und das Europäische Parlament in ihrer unlängst in Kraft getretenen und seit dem 3. Dezember 2001 geltenden496 neuen Verordnung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission nicht dem 496 Vgl. zu diesem scheinbaren, aber in Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 (ABl. EG Nr. L 145/43) über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission ausdrücklich angeordneten Widerspruch bereits ausführlich, soeben, 1. b) Stichwort: "EU".
C. Konkrete Erfahrungen
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Vorschlag der Kommission gefolgt sind, diese Möglichkeit beizubehalten und zu präzisieren497 • Gründe sind hierfür nicht ersichtlich. Insgesamt sind damit trotz zahlreicher verschiedener internationaler Informationsordnungen keine Erfahrungen mit voraussetzungslosen Zugangsrechten gesammelt worden, die prinzipiell gegen ihre Einführung sprächen. Eine endgültige Bewertung aller denkbaren Aspekte erfordert die Erhebung einer Vielzahl weiterer empirischer Daten. Die Europäische Union, deren Organe immer wieder Prozesse zur Einführung von Informationszugangsrechten angestoßen haben, sollte den an dieser Stelle aufgeworfenen Fragen dringendst nachgehen.
• 97 Vgl. insoweit zu Art. 8 des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission in der korrigierten Fassung vom 21.2.2000 (KOM (2000) 30 endgültig/2) ebenfalls bereits ausführlich, ebenda.
Tei/3
Bewertung des Umweltinformationszugangsrechts und seine mögliche Funktion als Vorbild von Modellen weitergehender Aktenöffentlichkeit in Deutschland Bislang sind überwiegend einzelne Aspekte der Einführung eines Umweltinformationszugangsrechts und ihre Konsequenzen erläutert und teilweise bewertet worden. In Erinnerung sind vor allem zu rufen die Bestimmung des Anwendungsbereichs dieses Zugangsrechts und sein Verhältnis zu anderen Informationszugangsrechten, seine speziellen Zwecksetzungen und Rechtsfolgen, und die mit ihm gesammelten empirischen Erfahrungen. Nunmehr soll dieses Recht hingegen einer alle seine typischen Ausprägungen beachtenden Gesamtbewertung unterzogen werden. Zu diesem Zweck sei das Umweltinformationszugangsrecht zunächst auf seine Verfassungsmäßigkeit und sodann auf seine politische Zweckmäßigkeit hin untersucht (A.). Erweist sich der Umweltinformationsanspruch in dieser Diskussion als politisch legitim, so liegt es nahe, die Berechtigung des Grundsatzes der beschränkten Aktenöffentlichkeit auch in anderen Bereichen als dem des Umweltrechts kritisch zu überprüfen (B.). Diese Fragestellung lenkt den Blick auf die Vorteile der Einführung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts einerseits (B. I.) und andererseits auf ihre Nachteile sowie spezielle Verwaltungsrechtsbereiche wie das Archivrecht, das Sozialrecht usw., bei denen im Spannungsfeld von Rechtsschu~z, Demokratie, Effizienz der Verwaltung und staatlichen Schutzpflichten gegenüber Dritten möglicherweise ebenfalls Gründe bestehen, zu einer bereichsspezifischen Ausformung des Maßes an garantierter Aktenöffentlichkeit zu gelangen (B. II.). Im Anschluß sind die für und gegen die Lockerung des Grundsatzes der beschränkten Aktenöffentlichkeit sprechenden Argumente gegeneinander abzuwägen, bevor Verfasser als zusammenfassendes Ergebnis seiner Untersuchungen ein möglichst flexibles, einfaches und ausgewogenes Modell für alle denkbaren Akteneinsichtsansprüche des Bürgers gegen die Verwaltung vorlegen will (B.III. und IV.). Nachfolgend erlaubt dieses Modell eine dann ohne größere Schwierigkeiten mögliche Bewertung der jüngsten Aktivitäten der Landesgesetzgeber Brandenburgs, Berlins und Schleswig-Holsteins, die vor kurzem weitgehende allgemeine Akteneinsichtsrechte eingeführt haben (C.), sowie eine kurze Schlußbetrachtung (D.).
A. Verfassungs- und Zweckmäßigkeit
241
A. Die Verfassungsmäßigkeit
und die politische Zweckmäßigkeit des
Umweltinformationszugangsrechts
Während der Begriff der Verfassungsmäßigkeit keiner definitorischen Unsicherheit unterliegt, sei der davon abweichende Begriff der politischen Zweckmäßigkeit kurz erläutert: Die Unterscheidung beider Termini geht von der Vorstellung aus, daß der einfache Gesetzgeber im verfaßten neuzeitlichen Rechtsstaat westlicher Prägung positiv-rechtlich an die Vorgaben der Verfassung gebunden ist (vgl. Art. I Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG). Zumeist eröffnet die Verfassung dem einfachen Gesetzgeber zur Lösung einer Problem- oder Fragestellung aber einen beachtlichen Handlungsspielraum, an dessen Grenzen er freilich auf die von ihm einzuhaltenden zwingenden Vorgaben stößt. Innerhalb dieser Grenzen stehen dem Gesetzgeber damit zumeist mehrere Regelungsmodelle zur Auswahl, die alle verfassungsmäßig sind 1• Demgegenüber erweist sich innerhalb dieses Kreises verfassungsmäßiger Lösungen nur eines der denkbaren Regelungsmodelle als am politisch zweckmäßigsten. Des weiteren unterscheiden sich beide Bewertungsmaßstäbe im Hinblick auf ihren zeitlichen Ansatzpunkt: Während die Verfassungsmäßigkeit einer Norm grundsätzlich aus einer ex-ante-Sicht des historischen Gesetzgebers zu beurteilen ist, kann und muß die Frage nach der zweckmäßigsten Lösung die Erfahrungen mit bereits praktizierten Regelungen insoweit ex post umfassend berücksichtigen. Freilich ist damit auf die Relativität der hier als bestmöglich bezeichneten politischen Lösung für die Ausgestaltung von Informationszugangsrechten im Hinblick auf die zeitliche und empirische Dimension bereits hingewiesen.
I. Die Verfassungsmäßigkeit
des Umweltinformationszugangsrechts Typisch sowohl für Informationszugangsrechte als auch für das Umweltrecht bewegt sich das Umweltinformationszugangsrecht im Spannungsfeld eines mehrseitigen Rechtsverhältnisses, dessen Akteure der Inforrnationssuchende, die Behörde und eventuell der Geheimnisschutz begehrende Dritte sind. Diese verfolgen regelmäßig gegenläufige Interessen, die in unterschiedlichem Maße verfassungsrechtlichen Schutz genießen und deshalb vom einfachen Gesetzgeber im Falle einer Ausgestaltung dieses Bereichs verschieden zu gewichten sind. Vor einer vom Gesetzgeber unter Einbeziehung des von ihm selbst angestrebten Normzwecks vorzunehmenden und hier nachzuvollziehenden Abwägung der in diesem Spannungsfeld berührten Belange ist demnach zu klären, welche dieser Belange aufgrund ihres Verfassungsrangs überhaupt abgewogen werden dürfen und müssen.
1
Zum Ganzen auch: BVerfGE 90, 145, 173; 80, 244, 255 mwN.
16 Strohmeyer
242
3. Teil: Bewertung der Informationszugangsrechte
1. Die abwägungsrelevanten Belange Die Gegner eines Umweltinformationszugangsrechts haben im Vorfeld seiner Einführung vor allem vorgebracht, daß es zu einem Arbeits- und Kostenmehraufwand der Verwaltung bis hin zu ihrer Funktionsunfähigkeit führe 2 • In diesem Sinn wäre nicht mit Sicherheit ausgeschlossen, daß es das Wohl des Bundes und der Länder erheblich geHihrden könnte. Des weiteren ist- in der Terminologie der Verfassungsbeschwerde zur Überprüfung denkbarer Grundrechtsverletzungen gesprochen - auch die Möglichkeit eines Verstoßes gegen das möglicherweise verfassungsmäßig geschützte Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten sowie der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht offensichtlich ausgeschlossen, wie vereinzelt auch gerügt worden ist 3 • Teilweise konnten indes bereits die bisherigen Ausführungen die genannten Bedenken entkräften: Die Gefahr einer drohenden Funktionsunfähigkeit der Verwaltung aufgrund der Einführung eines Umweltinformationszugangsrechts, die als Element des Schutzes des Staates möglicherweise abwägungsrelevant wäre, ist bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der Verabschiedung des UIG am 8.7.1994 im Hinblick auf lange bestehende erfolgreiche internationale Informationsrechtsordnungen mit verwirklichter allgemeiner Aktenöffentlichkeit äußerst fernliegend gewesen4 • Ein Arbeits- und Kostenmehraufwand zu Lasten der Verwaltung ist hingegen insbesondere in der Anfangszeit eines eingeführten Zugangsrechts äußerst wahrscheinlich, wenn bezüglich des UIG bislang auch ex post noch nicht nachgewiesen 5• Hinsichtlich der unbestritten bereits hohen Belastung der Umweltverwaltungen könnte dem Aspekt des Mehraufwands damit möglicherweise unter dem Schlagwort des in § 10 S. 2 VwVfG verankerten Grundsatzes der Effizienz und der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung verfassungsrechtliche Relevanz zukommen. Gleichwohl vermag § 10 S. 2 VwVfG als einfach-gesetzliche Vorschrift keine verfassungsrechtlichen Verbindlichkeiten zu begründen. Die Norm statuiert Vorgaben vielmehr ausschließlich für die Verwaltung 6 • Anlaß zu Mißverständnissen ge2 So beispielsweise: Lemp, S. 19ff., 23, ihm folgend Kloepfer, S. 54, Amon, S. 57, Sünner, S. 58 und Czychowski, S. 64, alle in: UTR 22. 3 V gl. insoweit insbesondere die Warnungen von Reinhardt, Die Verwaltung 1997, 161, 181, der insoweit die Gefahr "gläsemder Bürger beziehungsweise Unternehmen" andeutet; hinsichtlich der Geschäftsgeheimnisse ähnlich auch die Befürchtungen von: Fluck, in: UTR 22, S. 66 f. 4 V gl. dazu und zur Abwägungsrelevanz dieser Frage im Hinblick auf die Gemeinschaftsgrundrechte schon ausführlich oben, Teil1, B. II. Auch ex post ist kein Indiz für eine derartige Gefahr ersichtlich. 5 V gl. dazu bereits die Ausführungen oben in Teil 2, C. 111. 2. Auch der jüngste, soweit ersichtlich bislang nur im Internet veröffentlichte grobe Arbeitsentwurf der Bundesregierung für ein Informationsfreiheitsgesetz des Bundes gibt insoweit keinerlei Hinweise, vgl. unter ,,http: //www.bmi.bund.de/Anlage3096/Entwurf_eines_Informationsfreiheitsgesetzes_IFG_mit_Be gruendung.pdf". 6 Zur Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten durch die Behörde im Einzelfall vgl. statt aller: Stelkens/Schmitz, in: S/B/S, §9 Rn76 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
A. Verfassungs- und Zweckmäßigkeit
243
genüber dieser naheliegenden Folgerung gibt indes eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die sich aus ihrer Sicht auf bundesverfassungsrechtliche Rechtsprechung stützt und die vereinzelt Eingang in die gängige Kommentarliteratur gefunden hat7• Danach stelle das Prinzip der Verwaltungseffizienz, das in den Regelungen der Art. 20 Abs. 2 und 83 ff. GG seinen Niederschlag gefunden habe, ein Verfassungsprinzip dar, das der Gesetzgeber anderen Verfassungsprinzipien entgegenstellen könne 8• In der Tat betonen alle an dieser Stelle vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, daß der Gesetzgeber den praktischen Erfordernissen der Verwaltung Rechnung tragen könne. Von einem sich aus Art. 20 Abs. 2 und 83 ff. GG ableitenden Prinzip, das möglicherweise berücksichtigt werden müßte, ist hier hingegen nicht die Rede 9• Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Verwaltungseffizienz damit nur als rechtfertigendes Prinzip im Sinne eines sachlichen Differenzierungsgrunds im Rahmen gewisser im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG hinzunehmender Ungleichbehandlungen an. In keinem Anwendungsfall versteht es die Verwaltungseffizienz hingegen allgemein als ein aus Art. 20 Abs. 2 und 83 ff. GG abzuleitendes Verfassungsprinzip, das den Gesetzgeber beschränken könnte. Vorschriften des Grundgesetzes, die dem Prinzip der Verwaltungseffizienz Schutz mit verfassungsrechtlichem Rang vermitteln könnten, sind damit im Ergebnis nicht ersichtlich. Der durch die Einführung des UIG bedingte verwaltungstechnische Mehraufwand darf im Rahmen der nachfolgend vorzunehmenden verfassungsrechtlichen Abwägung also nicht berücksichtigt werden, solange er - wie hier empirisch nachgewiesen - auf einem Niveau unterhalb der Schwelle der Gefährdung der Funktionsflihigkeit der Verwaltung verbleibt. Berücksichtigung muß dieser Mehraufwand freilich bei der daran anschließend untersuchten Frage des zweckmäßigsten Informationszugangsrechtsmodells finden. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts sind also allein eine mögliche Verletzung grundrechtlich geschützter Geschäftsgeheimnisse und personenbezogener Daten ins Feld zu führen sowie andere denkbare beachtliche Staatswohlgeflihrdungen als die unwahrscheinliche Funktionsunflihigkeit der Verwaltung aufgrund ihrer Mehrbelastung. Zugunsten dieses Zugangsrechts sprechen demgegenüber ausschließlich Aspekte des Umweltschutzes, die zum Zeitpunkt des lnkrafttretens des UIG vor der den Art. 20a GG einführenden Verfassungsreform vom 27.10.1994 bloße legitime Gemeinwohlzwecke darstellen. Demokratische, rechtsstaatliche und wettbewerbsrechtliche Aspekte dürfen hingegen keine Berücksichtigung finden, da sie nicht Ziel der Einführung des Umwelt7 BVerwGE 67, 207, 209 unter Berufung insbesondere aufBVerfGE 44, 283, 288 f. Eine Zitierung des BVerwG unter Bezugnahme auf das insoweit aus Art. 20 Abs. 2, 83 ff. GG herzuleitende Verfassungsprinzip der Verwaltungseffizienz findet sich bei: Stelkens/Schmitz, in: S!B/S, § 9 Rn 76. 8 BVerwGE 67, 207, 209 unter Berufung auf BVerfGE 44, 283, 288 f. und weitere Entscheidungen. 9 Vgl. BVerfGE 44,283, 288f.; 27, 220,230, beide rnwN der eigenen Rechtsprechung.
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3. Teil: Bewertung der Informationszugangsrechte
informationszugangsrechts sind, wie Verfasser mehrfach betont und ausgeführt hat 10• 2. Gefährdungen des Schutzes personenbezogener Daten, der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und des Staatswohls Gegen die Verfassungsmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts könnte sprechen, daß es möglicherweise eine Grundrechtsverletzung, also einen verfassungswidrigen Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts, nach sich zieht beziehungsweise eine unzulässige Beeinträchtigung des Staatswohls.
a) Etwaige Grundrechtsverletzungen aa) Eingriffe in Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG Unstreitig genießen sowohl personenbezogene Daten als auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse den Grundrechtsschutz des Grundgesetzes: Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind einerseits Bestandteil der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs.1 GG, andererseits unterliegen sie dem Schutz der durch Art.l2 Abs. 1 GG garantierten Wettbewerbsfreiheit 11 • - Im Hinblick auf die als Teil der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Wettbewerbsfreiheit ist augenscheinlich, daß sie durch eine Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an Mitbewerber, deren Umweltinformationszugangsanträgen die Umweltverwaltung entspricht, betroffen wird. Anders als die die zukünftigen Erwerbsaussichten der Grundrechtsträger sichemde Berufsfreiheit schützt die Eigentumsgarantie den Bestand des bereits Erworbenen und damit unter anderem die lnnehabung und Nutzung bereits vorhandener Vermögenswerte. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse haben für den Berechtigten eine ähnliche Bedeutung wie Patente, Warenzeichen oder andere gewerbliche Schutzrechte 12, die dem Eigentumsschutz unterstellt sind. Sie werden deshalb ebenfalls als bereits vorhandene vermögenswerte Position der Geschäftsinhaber angesehen. Können die Berechtigten unter Nutzung ihrer Geheimnisse nämlich preiswerter oder schneller produzieren, so nutzen sie bereits vorhandene Vermögensgüter aus. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse unterfallen insoweit also auch der EigentumsV gl. insbesondere oben, Teil 2, A. I. 1. und Teil 1, A. V. Vgl. insoweit: Erichsen!Scherzberg, S. 74f. mwN, die zutreffend darauf hinweisen, daß die Wettbewerbsfreiheit nach der Gegenauffassung in Art. 2 Abs. 1 GG verankert ist - vgl. z. B. BVerwGE 65, 167, 174. Zum Streitgegenstand, der hier nicht entschieden werden muß, weil Verfasser mit Art. 12 Abs. 1 GG das gegenüber dem Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. I GG "stärkere" Grundrecht zugrunde legt und dieses sich im Ergebnis nicht als durch das Umweltinformationszugangsrecht verletzt erweist, vgl. auch: Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn 54 mwN, insbesondere auch des Bundesverfassungsgerichts. 12 Zur Abgrenzung dieser Rechtsbegriffe vgl. schon oben, Teil 1, B.II. 2. b). 10 11
A. Verfassungs- und Zweckmäßigkeit
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garantie 13• Im Einzelfall der eventuellen Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch die Umweltverwaltung kann dabei je nach der Eigenart des Geheimnisses und des Unternehmens eher die Bedeutung des Eigentums des Art.14 Abs. 1 GG als Ausnutzung des bereits Erworbenen im Vordergrund stehen oder eine bestimmte zukunftsgerichtete Möglichkeit, Unternehmerische Gewinne zu erzielen, und damit Art.12 Abs.1 GG. Schon weil das bereits Erworbene die Grundlage des zukünftigen Erwerbs darstellt, kommt es regelmäßig zu Überschneidungen beider Grundrechte, die folglich in keinem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen14. Die möglicherweise im Rahmen der Gewährung eines Umweltinformationszugangs offenbarten personenbezogenen Daten unterfallen demgegenüber dem Schutzbereich des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung, das das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil bekanntlich aus dem durch Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet hat. Dieses garantiert die Berechtigung des einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen 15. Die Einführung eines Umweltinformationszugangsrechts betrifft also den Schutzbereich der vorgenannten Grundrechte. Fraglich könnte indes sein, ob überhaupt ein staatlicher Eingriff im Sinn einer tatbestandliehen Verkürzung dieser Schutzbereiche vorliegt. Wie die vom Verfasser bislang nicht berücksichtigten Formulierungen der§§ 7, 8 UIG, nach denen in den Fällen des Eingreifens dieser zwingenden "Ausnahmetatbestände" der Anspruch des UIG schon "nicht bestehe", zum Ausdruck bringen könnten, könnte eine Verkürzung grundrechtliehen Schutzes ausgeschlossen sein, weil § 8 UIG möglicherweise gerade einen wirksamen Geheimnisschutz privater Interessen garantiert und der Umweltinformationsanspruch insoweit eben ,,nicht besteht". Diese Sicht der Dinge wäre jedoch nur dann zutreffend, wenn alle Akten, die in einer abstrakten Betrachtung in irgendeiner Weise personen- oder geschäftsbezogene Daten enthalten könnten, prinzipiell vom Zugangsrecht ausgeschlossen wären. Sobald der Gesetzgeber des § 8 UIG hingegen eine Überprüfung der einzelnen Akten durch die über die Offenbarung entscheidenden Behörden im Hinblick darauf zuläßt, ob im Einzelfall schutzwürdige Daten unbefugt offenbart würden, und damit im Rahmen dieser unbestimmten Rechtsbegriffe eine grundrechtliche Wertung 16, so stehen die insoweit bislang unbeschränkten Freiheiten des Grundgesetzes nunmehr unter dem Vorbehalt einer Abwägung mit einem vom einfachen Gesetzgeber bestimmten Zweck. 13 Vgl. zum Ganzen insoweit: Erichsen/Scherzberg, S. 72 mwN. Die Frage, ob diese Geheimnisse den Schutz des Art.l2 Abs. 1 GG als selbständige vermögenswerte Güter oder als Bestandteil eines Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb genießen, ist rein dogmatischer Art und kann offenbleiben. - Vgl. auch insoweit: Ebenda, S. 72. 14 Vgl. insoweit wiederum speziell zum UIG: Erichsen/Scherzberg, S. 75 mwN. 15 BVerfGE 65, 1, 43; zum Begriff der personenbezogenenen Daten siehe schon oben Teil 1, B. II. 2. a) aa) (5). 16 Vgl. dazu schon oben Teil 2, A.l. 2.
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3. Teil: Bewertung der Informationszugangsrechte
Des weiteren würde die Verneinung eines Grundrechtseingriffs hier zu dem widersinnigen Ergebnis führen, daß dieser nur deshalb nicht vorliegt, weil im Rahmen der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 8 UIG eine Abwägung der Schutzwürdigkeit von privaten Geheimhaltungsinteressen mit dem vom Gesetzgeber angestrebten Zweck zugunsten eben derjenigen Grundrechte ausfallt, in die angeblich nicht eingegriffen wird. Ausnahmen eines grundsätzlich die Schutzbereiche von Grundrechten betreffenden Tatbestands, die eine Abwägung mit eben diesem Grundrecht ermöglichen, bedeuten folglich keinen Wegfall des Eingriffs, sondern spielen erst auf der Rechtfertigungsebene zur Beurteilung der Angemessenheil der Gesamtregelung eine Rolle. Trotz ihrer Formulierung sind §§ 7, 8 UIG zum Zweck ihrer einfacheren verwaltungsrechtlichen Handhabbarkeit, auf die es bislang ankam, demnach zu Recht allgemein als Ausnahmen bezeichnet worden 17 • Als Ausnahmen finden sie sich auch in der zugrundeliegenden Umweltinformationsrichtlinie formuliert, im Hinblick auf die gefundenen Ergebnissen ändert die Unterscheidung jedenfalls nichts. Die Einführung eines Umweltinformationszugangsrechts greift also in die Schutzbereiche der Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG ein 18• bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Eingriffe Staatliche Eingriffe in die Schutzbereiche der Freiheitsgrundrechte sind gerechtfertigt, wenn sie auf ihrerseits formell und materiell verfassungsmäßigen, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügenden parlamentarischen Gesetzen beruhen und in Einklang mit der vom Grundgesetz vorgeschriebenen Schrankenregelung der jeweils betroffenen Grundrechte stehen. Das Ausmaß der Beschränkbarkeit der vorgenannten Grundrechte läßt sich nur im Ansatz dem Wortlaut des Grundgesetzes entnehmen. Es ergibt sich überwiegend aus der interpretierenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach kann der Gesetzgeber im Sinne der Konkretisierungen des Persönlichkeitsrechts im Volkszählungsurteil Beschränkungen des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse vornehmen, die ihrerseits dem Vorbehalt eines hinreichend klaren Gesetzes und dem Übermaßverbot mit seinen Teilgrundsätzen der Geeignetheit, Erforderlichkeil und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn unterliegen 19• Das Eigentum ist außer durch hier nicht in Betracht kommende Enteignungen vor allem durch verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs.1 S. 2 GG begrenzbar. Beschränkungen insbesondere der Be17 Die Literatur zum UIG schenkt dem Umstand dieser außergewöhnlichen Formulierungen- soweit ersichtlich- ebenfalls keinerlei Beachtung. Sie wiederholt entweder den exakten Wortlaut oder spricht- ebenfalls ohne Begründung- von Ausnahme(tatbestände)n. 18 Vgl. im Ergebnis ebenso die Begründung der BReg eines mit der späteren Fassung nahezu wortgleichen Entwurfs eines UIG in: BR-Drs. 797/93, S. 36f. 19 BVerfGE 65, I, 43f. "Volkszählung".
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rufsausübungunterstehen hingegen schon nach dem Wortlaut des Art. 12 Abs. l S. 2 GG einem allgemeinen Regelungsvorbehalt, der heute indes allgemein als einfacher Gesetzesvorbehalt verstanden wird 20• Des weiteren müssen sie den Anforderungen der Stufenlehre genügen, nach der bestimmte Eingriffe in die Berufsfreiheit an spezielle Voraussetzungen gebunden sind, soweit man die Stufenlehre nicht als schlichte Ausprägung des im Anschluß ohnehin zu prüfenden allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit versteht. Indem das Umweltinformationszugangsrecht Bestandteil eines formellen Gesetzes ist, nämlich des UIG, genügt es den schrankenrechtlichen Anforderungen des Vorbehalts des parlamentarischen Gesetzes. Es stellt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG und einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG auf der Stufe der Berufsausübung dar21 • Eingriffe auf dieser Stufe sind prinzipiell zulässig, wenn sie sich auf sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls stützen lassen22• Eine solche legitime Allgemeinwohlerwägung stellt der Umweltschutz, dem das Umweltinformationszugangsrecht dient, unzweifelhaft auch schon im Sommer 1994 vor der Einführung des Art. 20 a GG in das Grundgesetz dar. Das Zugangsrecht erfüllt mithin die im Zusammenhang mit den hier betroffenen Grundrechten überwiegend formalen schrankenrechtlichen Bedingungen gerechtfertigter Grundrechtseingriffe. Außerdem müßte das Umweltinformationszugangsrecht im Hinblick auf alle betroffenen Grundrechte dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Das mit ihm verfolgte Umweltschutzinteresse stellt hinsichtlich aller Grundrechtseingriffe einen legitimen Zweck dar. Auch die Geeignetheit des Zugangsrechts unterliegt nach den umfassenden Ausführungen oben in Teil 2 keinen Bedenken mehr23 • Als weniger eindeutig erweist sich hingegen das Ergebnis der Prüfung der Erforderlichkeit des Umweltinformationszugangsrechts: Oben ist im Hinblick auf die eventuell mildere Eingriffsmöglichkeit der Schwärzung von personenbezogenen Daten bei der Gewährung des Informationszugangs bereits ausführlich dargelegt worden, daß diese im Interesse einer möglichst effektiven umweltrechtlichen Gefahrenabwehr als weniger geeignet anzusehen ist24 • Auch bezüglich der Eingriffe in Art.12 Abs. 1 und 14 Abs.1 GG sind mildere Mittel nicht ersichtlich. Dies liegt für die eher den technischen Bereich betreffenden Betriebsgeheimnisse wie etwa Produktionsmethoden und Daten über verwendete Stoffe hinsichtlich der chemischphysikalischen Wirkungszusammenhänge mit eventuellen Umweltverschmutzungen auf der Hand. Bezüglich der eher dem kaufmännischen Bereich zuzuordnenden Geschäftsgeheimnisse wie etwa Ausschreibungsunterlagen oder Bilanzen ist insoVgl. beispielsweise: Pieroth!Schlink, Rn 844. Vgl. insoweit explizit: Erichsen!Scherzberg, S. 78 zu Art.l4 GG und S. 80 zu Art.l4 GG. 22 BVerfGE 7, 377, 405 .,Apotheken". 23 Vgl. statt aller die obigen Ausführungen in Teil 2, C. 24 Dazu ausführlich oben, Teil l, B. II. 2. a) dd). 20
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3. Teil: Bewertung der Informationszugangsrechte
weit indes erneut auf die Bedeutung der umweltrechtlichen Verantwortlichkeit im Zusammenhang etwa mit dem Erfolg einer vom Störer durchzuführenden Sanierungsmaßnahme hinzuweisen 25 • Darüber hinaus stünde dem Gesetzgeber anderenfalls auch eine nicht unbeachtliche Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Frage der Erforderlichkeil zu 26 • Fraglich bleibt demnach allein, ob sich das Umweltinformationszugangsrecht im Hinblick auf die verschiedenen Grundrechtseingriffe auch als angemessen erweist. Zu prüfen ist, ob die Eingriffe in Art. 12 Abs.l, Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG im Hinblick auf das Maß an durch das Zugangsrecht erreichtem Umweltschutz als gerechtfertigt erscheinen. Allerdings stellt sich an dieser Stelle das ebenfalls bereits angedeutete Problem, daß der Gesetzgeber des UIG die eigentliche Güterahwägung insoweit nicht selbst vornimmt. Da sich unschwer Einzelfälle nachweisen lassen, in denen sich im Ergebnis der Grundrechtsschutz gegenüber dem Zugangsrecht durchsetzen können muß 27 , steht er- unabhängig von der Frage der europarechtlichen Zulässigkeil der nachfolgend genannten Möglichkeiten - vor dem Problem, entweder auf einen großen Teil des Anwendungsbereichs des Zugangsrechts verzichten oder aber die eigentliche Abwägung auf die Verwaltung übertragen zu müssen. Die dritte denkbare Vorgehensweise, alle vorstellbaren Einzelfälle selbst vorab zu erfassen und zu regeln, überschreitet hingegen die faktischen Grenzen abstrakt-genereller Regelungsmöglichkeiten 28 • Entscheidet sich deshalb der Gesetzgeber wie der des § 8 UIG mittels der unbestimmten Rechtsbegriffe "unbefugt", "entgegenstehen" und "schutzwürdig" für eine Delegation der Einzelfallabwägung auf die Verwaltung 29 , so darf die erlassene Norm- entgegen einer in der Literatur praktizierten Vorgehensweise 30 - nicht mehr darauf überprüft werden, ob sie die in verschiedenen konkreten Einzelfällen möglicherweise betroffenen grundrechtliehen Schutzgüter schon ihrerseits in richtigem Maße gewichtet hat. Dies ist im Falle der Delegation der Abwägung keine Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm, sondern der des Einzelakts; ein eventueller Fehler der 25 Vgl. dazu ebenfalls bereits oben, Teil 1, B. II. 2. b). Zur teilweise kritisierten und nicht immer möglichen Abgrenzung zwischen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen vgl. Turiaux, § 8 Rn46 mwN und Beispielen. 26 Vgl. etwa: Pieroth/Schlink, Rn 282 ff. 27 Vgl. dazu hinsichtlich des (gemeinschaftsgrundrechtlichen) Datenschutzes ausführliehst bereits oben in Teil 1, B.II. 2. a)dd)(4)(e). mwN. Einzelfalle hinsichtlich der Art.l2 Abs.l und des Art. l4 Abs. I GO finden sich hingegen bei Erichsen/Scherzberg, S. 80,78 unter dem klassischen Stichwort der "Existenzbedrohung" . 28 Vgl. insoweit insbesondere Erichsen/Scherzberg, S. 95; im Hinblick auf ähnliche Informationszugangsvorschriften ebenso: Schoenemann, DVBI. 1988, 520, 521 , 527. 29 Vgl. insoweit schon mehrfach oben, Teil2, A.l. 2. mwN. 30 Vgl. Erichsen/Scherzberg, S. 78 f. - Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier deshalb ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Verfasser auch nicht selbst anders in Teil 1, B.II.2.a)dd)(4)(e) eine derartige unzulässige Konformauslegung aufgrundvon rechtswidrigen Ergebnissen verschiedener Einzelfallabwägungen vorgenommen hat: Auch dort ist der Frage der abstrakt-generellen Auslegung einer Norm nachgegangen worden.
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Verwaltung bei der Einzelfallabwägung führt nicht etwa zur Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung der Norm, sondern lediglich zur Rechtswidrigund Aufhebbarkeit des Einzelakts. Solange der Verwaltung die Verwirklichung effektiven Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall möglich ist, richtet sich der Vorwurf fehlerhafter Güterahwägung grundsätzlich nicht gegen die abstrakt-generelle Regelung, sondern gegen den Rechtsanwender. Der gegen den Gesetzgeber gerichtete Vorwurf der Grundrechtswidrigkeit der Norm kann sich bei dieser Vorgehensweise nur noch auf zweierlei stützen: Einerseits kann dem Gesetzgeber hinsichtlich der Delegation vorgeworfen werden, daß er als die am unmittelbarsten demokratisch legitimierte Instanz nicht alle wesentlichen Entscheidungen (für die Verwirklichung der Grundrechte) selbst getroffen hat. Dabei trifft dieser Vorwurf in der Sache mit demjenigen zusammen, der Gesetzgeber habe durch unklare, widersprüchliche oder zu wenig konkrete Abwägungsvorgaben für die Verwaltung eine praktisch bestehende Grundrechtsgefährdung veranlaßt, die in der Einzelfallanwendung nicht nur in seltenen Ausnahmefallen zu Verletzungen der Grundrechtsberechtigten führt 31 • Andererseits muß der Gesetzgeber der Verwaltung bei einer Delegation der Abwägung freilich für jeden denkbaren Einzelfall einen rechtlichen Rahmen eröffnen, Grundrechte hinreichend berücksichtigen zu können. Hätte sich der Gesetzgeber des UIG beispielsweise in Verkennung gemeinschaftlichen Sekundärrechts und deutschen Verfassungsrechts dazu entschlossen, in § 8 UIG eine Vorschrift aufzunehmen, die der Verwaltung hinsichtlich datenschutzrechtlicher Fragen im Rahmen einer Kann-Vorschrift nur erlaubt, Umweltinformationszugangsanträge abzulehnen, soweit schutzwürdige personenbezogene Daten der Amtswalter offenbart zu werden drohen, so verstießen §§ 4, 8 UIG hinsichtlich aller - nicht nur sich in der Abwägung gegenüber dem Zugangsrecht durchsetzender- personenbezogenen Daten jedes anderen betroffenen Grundrechtsträgers gegen das Recht auf informationeile Selbstbestimmung und wären damit nichtig, soweit keine verfassungskonforme Auslegung dieses fiktiven § 8 UIG möglich wäre. Zu prüfen bleibt hier folglich lediglich, ob der Verwaltung in jedem Einzelfall eine den Grundrechten gerecht werdende Abwägungsmöglichkeit eröffnet ist und ob durch unklare gesetzgebensehe Abwägungsvorgaben die Verwirklichung effektiven Grundrechtsschutzes nicht doch abstrakt in allen praktischen Anwendungsfallen gefährdet ist. Hinsichtlich des erstgenannten Prüfungsmaßstabs ist indes bereits mehrfach auf die flexiblen Regelungen des § 8 UIG hingewiesen worden: Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 UIG besteht der Umweltinformationsanspruch nicht, soweit 1. durch das Bekanntwerden der Informationen personenbezogene Daten offenbart und dadurch schutzwürdige Interessen der Betroffenen beeinträchtigt würden, oder 2. der Schutz geistigen Eigentums, insbesondere Urheberrechte, der AuskunftseTteilung oder der 31 Fragen der eventuellen Verfassungswidrigkeit des UIG wegen etwaiger Verstöße gegen Grundrechte, den Wesentlichkeitsvorbehalt oder den Bestimmtheitsgrundsatz können hier deshalb gemeinsam betrachtet werden, obwohl alle drei Prüfungsmaßstäbe freilich grundsätzlich verschiedene Ausgangspunkte besitzen und sich ihre Schutzrichtungen nur teilweise überschneiden.
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3. Teil: Bewertung der Informationszugangsrechte
Zurverfügungstellung von Informationsträgem entgegenstehen. Des weiteren dürfen nach Satz 2 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht unbefugt zugänglich gemacht werden. Über die unbestimmten Rechtsbegriffe "Schutzwürdigkeit", "entgegenstehen" und "unbefugt" ist der Verwaltung damit in allen denkbaren Fällen möglicher Grundrechtsschutzverkürzungen eine Abwägungsmöglichkeit eröffnet32• Im Hinblick auf die für die Verwirklichung effektiven Grundrechtsschutz wesentliche Normenklarheit der §§ 4, 8 UIG ist bereits ebenfalls darauf hingewiesen worden, daß das UIG insbesondere durch die Verankerung des sogenannten Notice-Verfahrens in § 8 Abs. 2 S. 1 UIG ein bedeutsames prozessuales Schutzinstrument zur Vermeidung verfassungswidriger behördlicher Einzelfallabwägungen geschaffen hat. Sind die Grundrechtsbetroffenen nach dieser Vorschrift vor der Entscheidung über die eventuelle Offenbarung der sie betreffenden Informationen zu hören, so wird die Behörde regelmäßig die Grundrechtsrelevanz ihres Handeins erkennen und berücksichtigen. Droht die Behörde aus Sicht der Grundrechtsbetroffenen in verfassungswidriger Weise die sie betreffenden Informationen zu offenbaren, so können sie nach der Entscheidung über das "Ob" der Informationszugangsgewährung, aber vor der tatsächlichen Übermittlung der Informationen an den Antragsteller Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Umweltinformationsbescheid erheben. Im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeil des Bescheids besteht die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes 33• Um den Grundrechtsbetroffenen diese Möglichkeit nicht zu nehmen, darf die Umweltverwaltung die Entscheidung über das "Ob" der Zugangsgewährung und die tatsächliche Übermittlung der Informationen freilich nicht zeitlich zusammenfallen lassen. Nach der Bekanntgabe der Entscheidung über das "Ob" gegenüber den Grundrechtsberechtigten gemäß § 41 VwVfG ist ihnen vor der Informationsübermittlung an die Antragsteller eine zeitlich ausreichend vorverlagerte Mitteilung über die beabsichtigte tatsächliche Offenbarung zu machen. Diese Mitteilungspflicht muß sich nicht an der Monatsfrist der §§ 70, 74 VwGO orientieren, da sie sich aus dem Gebot effektiven prozeduralen Grundrechtsschutzes ergibt 34• Diesem dürfte regelmäßig auch eine kürzere, etwa 2-Wochen-Frist gerecht werden, da die Betroffenen vor der Entscheidung bereits angehört worden sind. Von großer Bedeutung ist, daß die Vorgaben des Art. 3 Abs. 4 der Umweltinformationsrichtlinie die Umweltverwaltung keinesfalls dazu verpflichten, die begehrten Umweltinformationen innerhalb von zwei Monaten tatsächlich zugänglich zu machen. Bedauerlich im Hinblick auf die Dreipersonenverhältnisse ist deshalb, daß die Neufassung des § 5 Abs. 2 S. 1 UIG im Falle begründeter Anträge nunmehr eine tatsächliche Pflicht der Behörden zur Offenbarung der Informationen innerhalb von zwei Monaten vorsieht. Die genannte, grundrechtlich zwingend zu beachtende Mitteilungspflicht gebietet den Behörden folglich, in Einzelfallen von der neuen Regelung des UIG abzuweichen. Vgl. zu den in Anführungsstriche gesetzten Begriffen schon oben, Teil 2, A. I. 2. Vgl. insoweit: Turiaux, § 5 Rn49f.; Wegener, in: S/S/W, §4 Rn45ff.; Röger, § 8 Rn48ff. 34 V gl. insoweit Röger, § 8 Rn 48 mw N.
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Darüber hinaus finden sich in § 8 UIG einzelne weitere Direktiven, die die Behörde bei der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen hat. So bestimmt § 8 Abs. 1 S. 3 UIG, daß der Anspruch auf Umweltinformationen insbesondere dann nicht besteht, wenn die begehrten Informationen dem Steuer- oder dem Statistikgeheimnis unterliegen. Außerdem hat die Behörde gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 UIG in der Regel von der Betroffenheit eines Dritten auszugehen, soweit dieser übermittelte Informationen als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gekennzeichnet hat. Insgesamt läßt sich damit annehmen, daß der formelle Gesetzgeber bei der Delegation der Abwägungsentscheidung der Umweltverwaltung hinreichend klare Maßstäbe für die Bewertung grundrechtlicher Fragen bei den zu treffenden Einzelfallentscheidungen an die Hand gegeben hat. Da eine regelmäßige tatsächliche Gefahrdung von Grundrechten ausgeschlossen ist, hat er folglich alle wesentlichen Entscheidungen im Hinblick auf die Verwirklichung effektiven Grundrechtsschutz selbst getroffen. Die Einführung des Umweltinformationszugangsrechts im Sommer 1994 hat also nicht zu Grundrechtsverletzungen geführt. Die Verfassungsmäßigkeit des UIG wird- soweit ersichtlich35 - im Ergebnis auch nicht bestritten. b) Unzulässige Staatswohlbeeinträchtigungen Als denkbare unzulässige Staatswohlbeeinträchtigung ist gegen das UIG nur die vermeintlich drohende Funktionsunfähigkeit der Verwaltung vorgebracht worden. Diese Gefahr ist indes schon oben als unwahrscheinlich erkannt worden. Die Frage einer Beeinträchtigung der unterhalb der Schwelle der Funktionsunfähigkeit liegenden Effizienz der Verwaltung ist hingegen nicht verfassungsrechtlicher Art und damit nicht verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab parlamentarischer Gesetze 36• Bedenken, daß das Umweltinformationszugangsrecht gegen sonstige verfassungsrechtlich geschützte Interessen des Staatswohls wie die internationalen Beziehungen, die Landesverteidigung, die Funktionsfähigkeit der Justiz oder ähnliche verstoßen könnte, sind zu keinem Zeitpunkt erhoben worden. Mit Blick auf die Ausnahmetalbestände der§ 7 Abs.1 Nr. 1 und Nr. 2 UIG zum Schutz des Staates und seiner Institutionen sind derartige Gefahren im Ergebnis aber auch nicht ersichtlich. Insbesondere der Auffangtatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1, 4. Variante UIG zur Vermeidung erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit erlangt insoweit Bedeutung, da er die Funktionsfähigkeit aller wichtigen staatlichen Einrichtungen mitumfaßt37.
35 Anders möglicherweise, weil unklar: Reinhardt, Die Verwaltung 1997, 161, 179ff., soweit er sich- wie er selbst betont- dogmatisch unhaltbar streng an die Buchstaben des Wortlauts des § 8 UIG klammert und damit zur Behauptung kommt, daß das UIG der Verwaltung keine grundrechtsbezogene Abwägungsmöglichkeit über den Informationszugang eröffne. 36 Vgl. insoweit bereits ausführliehst soeben, I. 1. 37 Insoweit: Röger, §7 Rn 17, 19; Turiaux, §7 Rn7 mwN.
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3. Teil: Bewertung der Informationszugangsrechte
c) Ergebnis zur Verfassungsmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts
Die Einführung des Umweltinformationszugangsrechts hat also auch keine unzulässigen Beeinträchtigungen des Staatswohls hervorgerufen. Das UIG ist also verfassungsmäßig.
II. Die Zweckmäßigkeit des U mweltinformationszugangsrechts Während die soeben geprüfte Verfassungsmäßigkeit der Einführung des Umweltinformationszugangsrechts weitestgehend unbestritten ist, ist die politische Zweckmäßigkeit des Zugangsrechts vor allem vor der Verabschiedung des UIG heftig in Frage gestellt worden. Der Grund für diesen scheinbaren Widerspruch liegt darin, daß bei der Suche nach der besten politischen Lösung hinsichtlich der denkbaren Regelungsmodelle auch die für und wider sprechenden Argumente berücksichtigt werden müssen, die keinen verfassungsrechtlichen Schutz genießen, und daß die Kritiker des UIG gerade derartige Argumente vorzubringen vermochten. Diese kritischen Argumente sind hier in ein Verhältnis zu dem durch das Umweltinformationszugangsrecht zusätzlich erreichten Maß an Umweltschutz zu setzen, soweit sie sich nicht aufgrundder in Teil 2 betrachteten zwischenzeitlich gesammelten Erfahrungen als unzutreffend erwiesen haben. Insoweit kommt hier die im Hinblick auf die politische Zweckmäßigkeit gebotene Ex-post-Betrachtung zum Tragen. Diese schließt auch keinesfalls aus, daß in der Zukunft gemachte Erfahrungen mit Informationszugangsrechten die hier im Ergebnis als zweckmäßig bezeichnete Lösung erneut in Frage stellen werden. Des weiteren ist die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Einführung des Umweltinformationszugangsrechts freilich unabhängig von der europarechtlichen Verpflichtung zur Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie vorzunehmen. Ein Schluß von dieser Verpflichtung auf die politische Zweckmäßigkeit würde das Ergebnis vorwegnehmen, ohne daß sonstige Argumente Berücksichtigung finden könnten. Ein eventuelles Ergebnis der Unzweckmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts ließe sich vielmehr gerade dem Gemeinschaftsgesetzgeber vorwerfen. 1. Berücksichtigungsbedürftige Belange
Für die Zweckmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts sprechen die Belange des Umweltschutzes, die heute der Verwirklichung der Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG dienen. Dagegen lassen sich die Argumente der denkbaren Effizienzminderung der Umweltverwaltung und der Kosten eines Umweltinformationszugangsrechts sowie das jeweilige Ausmaß dieser Begleiterscheinungen anführen. Die Frage nach der beeinträchtigten Effizienz stellt sich vor allem im Hin-
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blick auf das Problem des durch das Zugangsrecht bedingten Abflusses von Wissen durch zunehmende Zmückhaltung wichtiger Informanten der Behörden, auf die die Umweltverwaltung zur erfolgreichen Erledigung ihrer Aufgaben unstreitig angewiesen ist 38 • Die Möglichkeit der eventuellen Zunahme von Defiziten beim Vollzug des Umweltrechts durch die Inanspruchnahme von Mitarbeitern der ohnehin chronisch unterbesetzten Umweltverwaltung für den Vollzug des UIG anstelle anderer Umweltgesetze ist hingegen nicht als strukturelles Problem der Effizienz zu sehen. Sie ist vielmehr als reiner Aspekt der für den Vollzug des UIG zusätzlich benötigten Kosten zu werten. Eine andere Sichtweise würde die Zweckmäßigkeit der Einführung jedweder Norm unter den Vorbehalt des nötigen Vollzugsaufwands für andere Regelungen stellen, die völlig anderen Zielen dienen können und nur mehr oder weniger zufällig von denselben Sachbearbeitern vollzogen werden sollen. Gegen die Zweckmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts läßt sich hingegen nicht das Argument einer eventuellen, "mißbräuchlichen" kommerziellen Nutzung dieses Zugangsrechts anführen. Insoweit ist nicht ersichtlich, wie das insbesondere präventiv dem Umweltschutz, nicht aber demokratischen oder rechtsstaatlichen Aspekten dienende Umweltinformationszugangsrecht mißbraucht würde. Vielmehr würden auch kommerziell motivierte Zugangsbegehren dem Ziel dieses Zugangsrechts zugute kommen 39• Eine eventuelle Kommerzialisierung ist im Hinblick auf den Umweltschutz also gerade nicht unzweckmäßig. Auch grundrechtliehe Belange lassen sich im Ergebnis der Zweckmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts nicht entgegenhalten, da der Gesetzgeber des UIG ihre praktische Gefährdung durch die gleichzeitige Verabschiedung umfassender Ausnahmetatbestände verhindert, wie soeben gezeigt werden konnte.
2. Die erreichten Umweltschutzziele im Verhältnis zu ihren Kosten Die Bewertung der politischen Zweckmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts ist stark von den oben in Teil 2 Abschnitt C. erläuterten Problemen geprägt, daß einerseits sowohl die Erfolge als auch die negativen Begleiterscheinungen von Informationszugangsrechten empirisch nur schwer ermittelbar sind und daß andererseits auch der Versuch, zumindest die feststellbaren Ergebnisse zu ermitteln, in Deutschland bislang nur ansatzweise unternommen wurde. Letztlich müssen nunmehr also die in anderen Informationsordnungen gesammelten Erfahrungen - soweit dies gerechtfertigt erscheint - auf das Umweltinformationszugangsrecht des UIG übertragen werden. Die dabei als positiv und negativ einzuschätzenden Erfahrungen sind in ihrem Ausmaß zu erfassen und miteinander abzuwägen. 38 39
Vgl. dazu schon oben, Teil2, C. III. 4. Vgl. dazu ebenfalls schon oben, Teil 2, C. III. 1. c ).
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3. Teil: Bewertung der Informationszugangsrechte
Gegen die Zweckmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts des UIG könnte zunächst also eine Beeinträchtigung der Effizienz der Umweltverwaltung durch eine zunehmende Zurückhaltung der Informanten sprechen. Wie die Ausführungen oben in Teil 2 gezeigt haben, ließ sich ein derartiges Phänomen in Deutschland bislang aber nicht empirisch nachweisen. Auch aus den relativ umfassenden Studien aus Österreich, dessen Rechtslage sowohl vor als auch nach der europarechtlich bedingten Verabschiedung eines Österreichischen UIG am ehesten derjenigen Deutschlands ähnelt, läßt sich ein derartiger Informationsabfluß nicht ablesen. Diese Untersuchungen haben vielmehr aufgedeckt, daß die meisten der Informanten gegen die Weitergabe der von ihnen den Behörden mitgeteilten Informationen keine Bedenken erheben. Einwände äußern insoweit lediglich die Unternehmen, deren Informationen indes nur 20% der von der Österreichischen Umweltverwaltung von außerhalb erlangten Daten ausmachen40• Gegen einen denkbaren substantiellen Informationsabfluß durch eine zunehmend zurückhaltende Informationspolitik der Unternehmen spricht des weiteren, daß die Unternehmen insbesondere in Deutschland in der überwiegenden Anzahl der Fälle gesetzlich gegenüber der Umweltverwaltung zur Auskunft verpflichtet sind41 • Umgekehrt und auch als Folge der letztgenannten Verpflichtungen enthält indes gerade das deutsche UIG zahlreiche Tatbestände wie § 8 Abs. 1 S. 1 und 2, § 8 Abs. 2 S. 1 und § 7 Abs. 4 S. 1 UIG zum Schutz von Informanten teilweise speziell aus dem Lager der Unternehmen. Trotz der damit, von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet, allenfalls seltenen (weil regelmäßig rechtswidrigen) Offenbarung von Unternehmensgeheimnissen scheint die Einführung von Informationszugangsrechten gleichwohl Mißtrauen der Unternehmen gegenüber der Geheimhaltungspraxis der Behörden zu schüren: Obwohl auch in Kanada, den USA und anderen Staaten mit weitergehenden Informationszugangsrechten praktisch nahezu keine Flille der Offenbarung von Unternehmensgeheirnnissen bekannt sind42 , verlangen insbesondere die nordamerikanischen Unternehmen zum Teil spezielle Geheimhaltungszusagen der Behörden und verhalten sich nach eigener Aussage seit lokrafttreten des jeweiligen Informationszugangsrechts informationspolitisch restriktiver43 • Obwohl sich die zitierten nordamerikanischen Beispiele für eine zurückhaltendere Informationspolitik der Unternehmen auf allgemeine Informationszugangsrechte gründen, beziehen sie sich der Sache nach überwiegend gerade auf Fakten, die sich überwiegend dem Begriff der Umweltinformation des § 3 Abs. 2 UIG subsumieren Jassen44• -Da auch die deutZum Ganzen insoweit schon ausführlich Teil 2, C. III. 4. mwN. Vgl. dazu ebenfalls bereits ebenda. 42 Vgl. dazu ebenda. 43 Dazu nochmals: Winter, in: ders., S.l9f. mwN und ausführlich oben, Teil2, C.III.4. 44 Ausdrücklich nennt Winter, in: ders., S. 19 f. (unter Bezugnahme auf Verfasser leider nicht zugängliche Originärquellen) die Zurückhaltung von Kernkraftwerksbetreibern und Chemieunternehmen hinsichtlich eventuell gefährlicher Produktionsverfahren. Derartige Produktionsverfahrens- und Produktangaben unterfallen nach einhelliger Auffassung dem Begriff der Umweltinformation des § 3 Abs. 2 Nr. 2 UIG, soweit sie sich potentiell umweltbeeinträchtigend 40
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sehe Industrie vor Verabschiedung des UIG ausdrücklich eine restriktivere Umweltinformationspolitik angekündigt hat45 , ist damit von einer Begrenzung der Weitergabe derartiger Informationen an die Umweltverwaltung auf das gesetzlich erzwingbare Minimum auszugehen und so im Ergebnis von einem gewissen Abfluß von Umweltinformationen. Aufgrund der zahlreichen Auskunftsverpflichtungen der Unternehmen dürfte der Unterschied indes überaus gering sein und sich wohl auch deshalb in der diesbezüglich ansatzweise vorliegenden empirischen Betrachtungen wie der Österreichischen nicht wiederfinden. Die Effizienz der Umweltverwaltung wird hierdurch nur in einem äußerst geringen Maß beeinträchtigt. Gewichtiger erscheint in einer Zeit allseits leerer Kassen demgegenüber das Argument vermehrter Kosten, die durch das Umweltinformationszugangsrecht entstünden. Anders als in anderen Staaten, in denen teilweise die Kosten für ihre jeweiligen Zugangsrechte errechnet worden sind, bestehen in Deutschland insoweit keine empirischen Erkenntnisse 46 • Unabhängig von den stark voneinander abweichenden international errechneten Kosten pro beantwortetem Einzelantrag nimmt die Beantwortung von (Umwelt-)Informationszugangsanträgen zumindest Arbeitszeit der Mitarbeiter der (Umwelt-)Behörden in Anspruch. Diese aufgewendete Arbeitszeit läßt sich über die Personalkosten in die zugangsrechtsbedingten Mindestkosten umrechnen, die einem Staat durch die Einführung eines Zugangsrechts zunächst47 entstehen. Diese Kosten, die freilich um einen gewissen sachlichen Aufwand und die generell mit eventuell erforderlichen Neueinstellungen verbundenen Kosten zu ergänzen sind, nehmen indes einerseits mit zunehmender persönlicher Erfahrung der Mitarbeiter der Verwaltungen mit den zu bearbeitenden Informationszugangsanträgen und andererseits aufgrund anwachsender vorab aufbereiteter Datenbestände hinsichtlich häufig gestellter Anfragen ab48• Wenn sich aufgrundder international stark voneinander abweichenden Angaben über die pro Antrag zu erwartenden Kosten auch keine gesicherte Aussage treffen läßt, so zeigen die internationalen Erfahrungen auswirken können (Röger, §3 Rn34; Fluck/Theuer, § 3 Rn206ff., 208f; Turiaux, §§2, 3 Rn 51). Hinsichtlich der anderen von Winter, ebenda, so bezeichneten "Produktdaten" läßt sich hier mangels Zugang zu den Primärquellen indes ihre "potentielle umweltbeeinträchtigende Auswirkung" nicht positiv feststellen, obwohl diese hinsichtlich der Weite des Begriffs der Umweltinformation des § 3 Abs. 2 Nr. 2 UIG anzunehmen sein dürfte. 45 Vgl. insoweit ausdrücklich für die deutsche Industrie sprechend: Fluck, in UTR 22, s.25 ff., 66 f. 46 Auch der bislang lediglich im Internet veröffentlichte jüngste Arbeitsentwurf der BReg für ein (allgemeines) Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes beinhaltet keine eigene, geschweige denn eine quantifizierende Kostenprognose bezüglich der Kosten eines einzelnen Antrags. Vgl. insoweit: "http://www.bmi.bund.de/Anlage3096/Entwurf_eines_lnformations freiheitsgesetzes_IFG_mit_Begruendung.pdf". Vielmehr nimmt die BReg insoweit nur Bezug auf Prognosen des Berliner Innensenators bezüglich der Kosten, die dieser bedingt durch die Einführung des Berliner IFG erwartete, die sich letztlich aber nicht bestätigt haben. 47 Die Frage, inwieweit diese "anfänglichen" Kosten mit langfristig erzielten Einsparungen für eventuelle Sanierungskosten insbesondere im Umweltbereich verrechnet werden müssen, sei sogleich im Haupttext erörtert. 48 Siehe auch insoweit oben, Teil 2, C. III. 2.
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3. Teil: Bewertung der Informationszugangsrechte
demgegenüber einheitlich, daß sich diese Kosten jedenfalls kurz nach Einführung eines gegenüber der bisherigen Rechtslage weitergehenden Informationszugangsrechts nicht überdie Erhebung von Gebühren auf die Antragsteller abwälzen lassen49 • Gegenüber diesem Kostenargument in Verbindung mit einer gewissen, wenn auch sehr geringen Einschränkung der Verwaltungseffizienz ist der umweltschützende Nutzen des Umweltinformationszugangsrechts zu veranschlagen. Wie ebenfalls oben in Teil 2 Abschnitt C. gezeigt worden ist, läßt sich die apodiktische Behauptung des 4. Erwägungsgrunds der Umweltinformationsrichtlinie nach dem auswertbaren empirischen Material im Ergebnis durchaus als zutreffend bezeichnen: Der Zugang zu umweltbezogenen Informationen im Besitz der Behörden verbessert den Umweltschutz.- Vor allem für den Erfolg des Konzepts der Präventivkontrolle zum Zweck größerer Motivation der das Umweltrecht vollziehenden Behörden und zum Zweck einer wahrscheinlicheren Einhaltung des geltenden Rechts durch potentielle Umweltverschmutzer sprechen wichtige und wahrscheinliche Vermutungen 5°. Die größere Motivation der Umweltverwaltung steigert ihre Effizienz, die regelmäßigere Einhaltung des Umweltrechts erspart der öffentlichen Hand Kosten für wegfallende Umweltsanierungen, die in speziellen Konstellationen wie etwa dem Ausfall eines liquiden Störers ansonsten von ihr zu tragen wären. Soweit das Umweltinformationszugangsrecht durch seine motivationssteigernde Präventivwirkung die Effizienz der Umweltverwaltung zu erhöhen vermag und Umweltschäden verhindert und damit zur Vermeidung von Kosten für die öffentliche Hand führt, lassen sich die für und wider ein Umweltinformationszugangsrecht sprechenden Belange damit durchaus direkt miteinander vergleichen. Insoweit handelt es sich jeweils um Größen derselben Natur. Hinsichtlich der Effizienz der Umweltverwaltung mangelt es indes weitestgehend an quantifizierenden empirischen Untersuchungen, ob die Steigerung der Effizienz durch die zugangsrechtsbedingte erhöhte Vollzugsmotivation der Behörden ihre Beeinträchtigung durch die restriktivere Informationspolitik der Unternehmen überwiegt. Letztlich werden sich die derartigen Effekte auch nicht mit letzter Genauigkeit messen lassen 5 1• Da für Veränderungen der Effizienz in beide Richtungen gewisse vernünftige Vermutungen bestehen 52, geht Verfasser davon aus, daß sich beide Effekte in etwa die Waage halten. Sie müssen, da sie sich gegenseitig weitestgehend kompensieren, in der weiteren Abwägung folglich nicht mehr berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der positiven und negativen Kostenfolgen des Umweltinformationszugangsrechts gilt etwas Ähnliches: Die Kosten, die der öffentlichen Hand aufgrund vermiedener Umweltverschmutzungen, für die sie letztlich Vgl. auch insoweit ausführlich bereits ebenda. Dazu schon ausführliehst oben, Teil 2, C. 51 Dazu schon ausführliehst ebenda. 52 Vgl. dazu hinsichtlich der Motivationssteigerung erneut oben, Teil2, C. 11. 1. und hinsichtlich der restriktiveren Informationspolitik der Unternehmen nochmals oben Teil 2. c. 111.4. 49 50
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einstehen müßte, erspart bleiben, stellen eine mit den Kosten für den Vollzug des Umweltinfonnationszugangsrechts voll verrechenbare Größe dar. Auch insoweit bestehen indes Probleme der empirischen Erkenntnis sowohl hinsichtlich der aufgewendeten als auch der eingesparten Kosten: Zwar erscheinen die Kosten für den Vollzug des Umweltinfonnationszugangsrechts prinzipiell bestimmbar, eine genauere Aussage versagt sich aber hinsichtlich der in der zeitlichen Dimension abnehmenden Grenzkosten für den Vollzug von Infonnationszugangsrechten. Andererseits sind auch die eingesparten Kosten nur schwer ermittelbar. Bestimmbar ist zwar beispielsweise die Höhe der Kosten in den Fällen der Sanierung von Altlasten inklusive der Ausgaben für Vorfeld- und Nachsorgemaßnahmen, zu der staatliche Institutionen entweder selbst als umweltpolizeiliche Störer verpflichtet sein können, oder deren Kosten letztlich die öffentliche Hand trägt, weil ein anderer Störer zahlungsunfähig oder nicht ermittelbar ist. Gleichwohl sind damit noch keine tatsächlich verrechenbaren eingesparten Kosten ermittelt: Durch das Umweltinformationszugangsrecht bedingte Einsparungen liegen vielmehr nur vor, soweit ein Kausalzusammenhang zwischen seiner Einführung, vermiedenen Umweltverschmutzungen und dem Wegfall von Kosten einer hypothetisch durchgeführten Umweltsanierung im weitesten Sinn besteht, deren Höhe wie bei den Altlastenfällen bestimmbar ist und für die sich darüber hinaus kein anderer Störer verantwortlich zeichnen läßt. Überaus schwierig erwies sich oben in Teil 2 bereits, eine Ursächlichkeil zwischen dem Zugangsrecht und der Vermeidung von Umweltverschmutzungen durch potentielle Umweltsünder mit vernünftiger Wahrscheinlichkeit vermuten zu können.- Zur Begründung des ersten Schritts der hier betrachteten Kausalkette war insoweit schon erforderlich ein Rekurs auf empirische Überlegungen der Kriminologie und der Wirkungen der Presse53• Methodisch unhaltbar wäre es deshalb, nunmehr zu versuchen, aus allgemeinen vernünftigen Erwägungen einen darüber hinausgehenden Schluß auf die konkrete Höhe eingesparter Kosten zu ziehen. Dieser müßte allein aufgrund sinnvoller Annahmen nämlich zusätzlich hypothetisch klären, ob bei den vermiedenen Umweltverschmutzungen überhaupt eine Sanierung durchgeführt würde, ob deren Kosten bestimmbar wären und vor allem inwieweit es gerade in diesen Fällen zu einem Ausfall der Kompensation durch andere Störer käme. Insoweit mangelt es schlicht vollständig an empirischen Studien. Auch die Verfechter einer weitgehenden Kostenneutralität insbesondere von Informationszugangsrechten im Bereich des Umweltrechts54 legen insoweit keinerlei empirische Nachweise vor oder geben gar eine tatsächliche Höhe eingesparter Kosten an. Auch sie räumen letztlich die Entstehung gewisser Kosten durch die Einführung eines Umweltinformationszugangsrechts ein55 • Verfasser nimmt deshalb an, daß eine Kostenneutralität allenfalls langDazu schon ausführliehst oben, Teil 2, S. 149ff. So z. B. die BReg in ihrem dem UIG zugrunde liegenden Gesetzentwurf (BR-Drs. 797/93, S. 2 f.) und einige MdB und die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Alternativentwurf (BT-Drs. 12/1596, S. 2). Ähnlich einige MdB und die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen sogar in ihrem Gesetzentwurf für ein allgemeines Informationsfreiheitsgesetz (BT-Drs. 13/8432, S. 2.). 55 Ebenda. 53
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3. Teil: Bewertung der Informationszugangsrechte
fristig aufgrund der abnehmenden Grenzkosten für zu bearbeitende Informationszugangsanträge erreicht wird. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, zu dem sich die Frage der politischen Zweckmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts stellt, ist hingegen durchaus davon auszugehen, daß der Vollzug des Umweltinformationszugangsrechts laufende und nicht nur völlig unerhebliche Kosten verursacht. Mangels hinreichender empirischer Untersuchungsergebnisse, die teilweise einen direkten Vergleich von Vor- und Nachteilen des Umweltinformationszugangsrechts ermöglichen würden, ist damit nunmehr doch eine wertende Gewichtung der prinzipiell unvergleichbaren Größen der zugangsrechtsbedingten Verbesserung des Umweltschutzes mit den zusätzlich entstandenen nicht quantifizierten Kosten vorzunehmen. Ist über die entstandenen Kosten bereits das Wesentliche gesagt, so läßt sich das eben herangezogene Beispiel der Altlastensanierung auch gut zur Verdeutlichung der Struktur des gebotenen Umweltschutzes verwenden: Kann die Höhe der tatsächlich aufgewendeten Kosten für eine Sanierung auch inklusive der Vorfeld- und Nachsorgemaßnahmen relativ genau bestimmt werden, so ist gleichwohl festzuhalten, daß auch eine erfolgreiche Sanierung nicht gleichbedeutend ist mit der vollständigen Wiederherstellung des vor einer Versehrnutzung der Umwelt beobachteten Naturzustands. Die klassischen Altlastenfälle lassen regelmäßig zwar eine Bestimmung der tatsächlich angefallenen Gesamtsanierungskosten zu, unklar bleibt insoweit aber meistens, inwieweit sich diese Last durch Wind- und Wassererosionen bereits zwischenzeitlich auf die anderen Umweltmedien negativ ausgewirkt hat. Darüber hinaus ist die Versehrnutzung der Umwelt auch dann keinesfalls ungeschehen, wenn etwa ausgehobener kontaminierter Boden nunmehr auf einer Sondermülldeponie abgelagert ist. Schon der Begriff des Sondermülls weist vielmehr unmißverständlich darauf hin, daß eine Beeinträchtigung des Zustands der Umwelt fortdauert, selbst wenn gravierendere Folgeschäden wie eine Verseuchung des Grundwassers durch die vorgenommene Sanierung verhindert werden konnten. Dieses Beispiel56 für die nur vermeintlich vollständige Wiederherstellung eines früheren Naturzustands lenkt den Blick auf das für den Bereich des Umweltrechts überragend wichtige Vorsorgeprinzip. Diese Prinzip besagt, daß Umweltgefahren und -schäden so weit als möglich vermieden werden und gar nicht erst zum Entstehen kommen sollen57• Es umfaßt dabei einerseits den Bereich der herkömmlichen Gefahrenabwehr und andererseits das sogenannte Vorsorgeniveau unterhalb der Schwelle der Gefahr58 und mit letztgenanntem eine Sicherheitsreserve in Gestalt ei56 V gl. weitere Beispiele nur teilweise "beseitigter" Umweltprobleme wie dasjenige lanschaftsverunstaltender Lärmschutzwälle unter dem Stichwort "Umweltschutz kontra Umweltschutz" bei: Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rn4. 57 Vgl. zu dieser den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellenden Definition des Inhalts des Vorsorgeprinzips: Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn 7 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 58 So die wohl überwiegende Auffassung: Vgl. beispielsweise: Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn I ff.; Hoppe/Beckmann!Kauch, § 1 Rn 78; Salzwedel, in: Nicklisch, S. 13; Fleury, S. I und
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nes Sicherheitsabstands zwischen im Umweltbereich einzuhaltender vorsorgender Sicherheit und der klassischen Gefahr59• Eine teilweise in der Literatur vorgenommene Trennung des allgemeinen Vorsorgeprinzips in das gefahrenabwehrrechtliche Schutzprinzip einerseits und die Sicherheitsreserve als Vorsorge im engeren Sinne andererseits 60 wird hier nicht nachvollzogen, da sie im Hinblick auf das Umweltinformationszugangsrecht keine genaueren Erkenntnisse liefern würde: Da dieses Zugangsrecht ein abstraktes Instrument zur Beseitigung von Vollzugsdefiziten im Umweltrecht darstellt 61 , wäre seine Zuordnung zu spezielleren Ausprägungen des allgemeinen Vorsorgeprinzips nur möglich, wenn es entweder auf die Beseitigung von Vollzugsdefiziten von im engeren Sinn vorsorgeorientierten oder aber nur gefahrenabwehrrechtlichen Normen gerichtet wäre. Mit dem nachfolgend zugrundegelegten Begriff "Vorsorgeprinzip" sei damit ein sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Sicherheitsreserve umfassendes Vorsorgeprinzip im weiteren Sinne verstanden. Dem Vorsorgeprinzip liegt der Sache nach die Vorstellung zugrunde, daß insbesondere bereits eingetretene Schäden im Umweltrecht im Nachhinein regelmäßig nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand korrigiert werden können beziehungsweise vollständig irreversibel sind62 • Diese lrreversibilität zeigt sich besonders deutlich am tragischen Beispiel des Aussterbens einer Art. Die Altlastenfalle zeigen indes, daß es im Umweltbereich sehr leicht zu einer faktischen (zumindest Teil-)lrreversibilität kommen kann.- Hat eine Altlast etwa aufgrundihrer zu späten Entdekkung bereits zu einer begrenzten Grundwasserverseuchung geführt, so können die extrem hohen Sanierungskosten die Behörden von einer technisch noch möglichen vollständigen Wiederherstellung des vormaligen Naturzustands Abstand nehmen lassen. Die Folge ist eine kostenbedingte faktische Irreversibilität63 • Auch die endgültige Lagerung von kontaminiertem Boden auf Sondermülldeponien ohne eine weitergehende Bodenreinigungsabsicht der verantwortlichen Akteure stellt insoweit einen faktisch endgültig hingenommenen, verschlechterten Umweltzustand S. 9f. mit spezieller Betrachtung des BimSchG und mwN. Zur (beispielsweise von Bender! SparwasserlEnge I, Kapitel I, Rn 79 ff. vertretenen) Gegenauffassung, die das Vorsorgeprinzip enger versteht und diesem allein den Bereich der Sicherheitsreserve zuordnet und dafür neben "ihrem" Vorsorgeprinzip ein allgemeines Schutz- oder Gefahrenabwehrprinzip des Umweltrechts anerkennt, das die gefahrenabwehrrechtliche Komponente des Umweltschutzrechts umfaßt, vgl. den sich unmittelbar anschließenden Haupttext 59 Vgl. ähnlich: Kloepfer, Umweltrecht, §4 Rn 10 undBender/Sparwasser/Engel, Kapitell, Rn82. 60 Vgl. dazu die Nachweise der vorletzten Fußnote. 61 Vgl. dazu schon mehrfach oben, Teil2, C. 62 V gl. beispielsweise: Fleury, S. 6. 63 Streiten ließe sich insoweit indes über den Begriff der "lrreversibilität", weil die theoretische Möglichkeit einer zukünftigen weitergehenden Sanierung noch immer nicht völlig ausgeschlossen ist. Da aber mit weiterem Zeitablauf die Chancen einer erfolgreichen vollständigen Wiederherstellung des alten Naturzustands stetig sinken, während die dafür erforderlichen Kosten zunehmen, ist praxisnah davon auszugehen, daß in deratigen Fallkonstellationen endgültig keine Sanierung mehr vorgenommen werden wird. 17*
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3. Teil: Bewertung der Informationszugangsrechte
dar. - Die permanente Zunahme von Altlasten in der ehemaligen DDR findet ihren Grund gerade in dieser Nichtvornahme von Sanierungen erkannter Verseuchungen. Im Hinblick auf diese Gefahr faktischer lrreversibilität hat bereits der für eine intensivere Vorsorgepolitik plädierende Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuß im Jahre 1982 unterstrichen, daß die nachträgliche Beseitigung einer einmal eingetretenen Umweltschädigung stets teurer sei als die vorbeugende Verhinderung von Umweltschäden 64 • Neben diesem dem Vorsorgeprinzip tatsächlich zugrundeliegenden Aspekt drohender faktischer oder absoluter lrreversibilität, der nicht allein im Umweltrecht eine Rolle spielt65 , kommt ein rechtlicher Grund für eine nach Möglichkeit vorsorgend zu betreibende Umweltschutzpolitik ergänzend hinzu: Bei zu langer Abwartehaltung können zwischenzeitlich von privaten Dritten erworbene grundrechtlich geschützte Bestands- und Investitionsschutzpositionen erst später erforderlich werdenden gefahrenabwehrrechtlichen Umweltschutzmaßnahmen entgegenstehen. Klassische diesbezügliche Fälle stammen aus dem Anlagengenehmigungsrecht Aus diesem Grund hat sich im Interesse einer möglichst frühzeitigen und nicht nur umweltschützenden Konfliktbewältigung letztlich auch das allgerneine Konzept der Planung entwickelt66 • Als Konsequenz dieser Gründe hat sich das Vorsorgeprinzip als die überragend wichtige politische Handlungsmaxime im Bereich des Umweltrechts durchgesetzt67. Die hiervon zu trennende Frage, inwieweit dieses Prinzip Eingang in die positiv-rechtliche Ordnung gefunden hat und damit rechtliche Vorgaben für die Verwaltung und möglicherweise auch den Gesetzgeber begründen zu vermag, kann hier bei der Frage der zu klärenden politischen Zweckmäßigkeit des Umweltinforrnationszugangsrechts offen bleiben. Bestehen im Umweltbereich also besondere tatsächliche und rechtliche Gründe für eine allgemeine Vorsorge, so wird der Kern der Misere des tatsächlich realisierten Umweltschutzes in Deutschland und in anderen Staaten deutlich, wenn diesem Prinzip in der Praxis auffällig große Vollzugsdefizite umweltrechtlicher Normen geStellungnahme des WSA zum 3. AP der EG, ABI. EG Nr. C 205 vom 9.8.1982, S. 28 f. Auch das Strafrecht zielt durch die Androhung empfindlicher Sanktionen intensiv darauf, Verletzungen bestimmter Rechtsgüter mit all seiner Macht zu verhindern, da auch insoweit eingetretene Schäden an den einzelnen Rechtsgütern und der Bewährung der Rechtsordnung nur selten vollständig reversibel sind. 66 So beispielsweise die ehemalige BReg in einer Antwort vom 9.10.91 im Rahmen einer Großen Anfrage einiger MdB und der Fraktion der SPD - BT-Drs.l2!1273, S. 8. 67 V gl. z. B. Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn 8. Die Bedeutung des Verursacher- und des Kooperationsprinzips liegt demgegenüber strukturell auf einer anderen Ebene, da ihre Anwendung im Einzelfall voraussetzt, daß das Primärziel "Vorsorge" beispielsweise bei Eintritt einer Umweltverschmutzung verfehlt worden ist. Erst nach Verfehlung des Primärziels stellt sich damit die Frage der gerechten Verteilung der Verantwortung- zum Ganzen insoweit ebenfalls: Kloepfer, Umweltrecht, §4 Rn4, 8. 64
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genüberstehen 68 • Paradoxerweise unterliegt in einem konfliktbeladenen Bereich, in dem die höchste Vorsorge geboten ist, die Einhaltung und Durchsetzung der diesem Zweck dienenden Gesetze, die trotzjüngeren Ansätzen zu einer konsensorientierten, kooperativen Umweltschutzpolitik nach wie vor den wichtigsten Bestandteil der Umweltpolitik ausmachen 69, den größten denkbaren Einschränkungen. Diese bedauerliche Rechtswirklichkeit ist die Basis für die Entwicklung spezieller umweltrechtlicher Instrumente zur Beseitigung dieser Mängel, zu denen auch das Umweltinformationszugangsrecht gehört. Nachdem sich die herkömmlichen Vollzugsinstrumente im Bereich des Umweltrechts als unzureichend erwiesen haben, stellt die Einführung des Umweltinformationszugangsrechts einen Teil des Versuchs dar, die Durchsetzung des Umweltrechts durch die relativ großzügige Verleihung subjektiv-öffentlicher Rechtspositionen in diesem Bereich zu verbessern 70• Diese in Teil 1 als Instrumentalisierung des Bürgers bezeichnete Strategie 71 hat sich im Hinblick auf die in Teil 2 gefundenen vernünftig-empirischen Ergebnisse 72 als erfolgreich erwiesen. Das Umweltinformationszugangsrecht stellt damit ein erfolgreiches Instrument zur Durchsetzung des geltenden sonstigen Rechts in einem Bereich dar, in dem herkömmliche Vollzugsmethoden versagt haben, obwohl dieser Bereich dadurch charakterisiert wird, daß er in überragendem Maße von dem vorsorgenden Prinzip geprägt ist, abstraktes Beeinträchtigungspotential nach Möglichkeit schon unterhalb der Schwelle der Gefahr zu bekämpfen. Das Gewicht des mit dem Umweltinformationszugangsrecht erreichten Umweltschutzes ist mit Blick auf die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG einerseits und die dieser teilweise Hohn sprechenden Umweltrechtswirklichkeit andererseits damit als besonders hoch einzustufen. Das hiermit abzuwägende Argument der mit der Durchführung des Zugangsrechts zusätzlich entstehenden, bislang nicht quantifizierten, jedenfalls aber nicht völlig unerheblichen Kosten erscheint demgegenüber von deutlich geringerer Bedeutung, zumal sich andere, ebenfalls nicht kostenneutrale Vollzugsalternativen als unzureichend erwiesen haben. Die Ausgaben der öffentlichen Hand für das Zugangsrecht sind damit im Hinblick auf die erreichten Verbesserungen des Umweltschutzes als politisch zweckmäßig anzusehen. Zu diesen Defiziten schon mehrfach oben, Teil 1, A.II. 2. c ). Vgl. beispielsweise: Schmidt!Müller, S. 7 mwN. 70 Andere Beispiele dieses Versuchs stellen § 29 BNatSchG und die landesrechtlich eingeführten Verbandsklagen im Naturschutzrecht dar. Ob diese freilich eine erfolgreichere und kostengünstigere Beseitigung von Vollzugsdefiziten nach sich ziehen und damit möglicherweise die Zweckmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts im Hinblick auf diese sinnvolle Alternative in Frage stellen, muß nicht untersucht werden, da diese Alternative allenfalls für einen kleinen Ausschnitt des Anwendungsbereichs des Zugangsrechts - nämlich das Naturschutzrecht- in Betracht käme. Eine allgemeine altruistische Umweltklage durch Umweltanwälte wird kaum mehr diskutiert, jedenfalls liegt insoweit kein empirisches Vergleichsmaterial vor. 7t Vgl. insoweit oben, Teil 1, A. I. 72 Vgl. insoweit oben, Teil 2, C. III. 68
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Im Bereich des Umweltschutzes erscheinen hinsichtlich der dargestellten besonderen Umstände alle anderen Ergebnisse als politisch verfehlt. Bezeichnend ist, daß auch andere Staaten wie Italien und die ehemalige DDR73 , die wie auch die Bundesrepublik grundsätzlich die traditionelle beschränkte Aktenöffentlichkeit für zweckmäßig halten oder gehalten haben, auch ohne Umsetzungsvorgaben der Europäischen Union 74 zunächst gerade im Bereich von Umweltinformationen den Grundsatz der Geheimhaltung in grundsätzliche Öffentlichkeit umgekehrt haben.
B. Zweckmäßigkeit einer denkbaren Lockerung des Grundsatzes der beschränkten Aktenöffentlichkeit Hat sich das Umweltinformationszugangsrecht in der vorangegangenen Diskussion nicht nur als verfassungsmäßig, sondern auch als politisch zweckmäßig erwiesen, so drängt sich auf, auch die Zweckmäßigkeit des in § 29 VwVfG zum Ausdruck kommenden Grundsatzes der beschränkten Aktenöffentlichkeit zu überprüfen. Das Umweltinformationszugangsrecht stellt zwar nicht das Ergebnis einer kontinuierlichen allgemeinen Tendenz zur Auflockerung dieses Grundsatzes dar, wie in Teil 2 gezeigt werden konnte 75 • Gleichwohl können die mit ihm verbundenen und vor allem assoziierten Zielsetzungen möglicherweise den Blick auf Kritik an diesem Grundsatz lenken und damit eine Entwicklung zu einem größeren Maß an insgesamt gewährleisteter Publizität fördern. Im Rahmen der Überprüfung der Zweckmäßigkeit der beschränkten Aktenöffentlichkeit ist indes die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Modellen weitergehender Aktenöffentlichkeit vor dem Grundgesetz anzusprechen. Insoweit findet ähnlich wie bei der Überprüfung der weitestgehend unbestrittenen Verfassungsmäßigkeit des Umweltinformationszugangsrechts die Aussage allgemein Zustimmung, daß das Grundgesetz nicht prinzipiell die Einführung anderer Modelle mit weitergehender Aktenöffentlichkeit verbietet, solange dabei spezielle Gewährleistungen wie der Schutz des Wohls des Staates und insbesondere die Grundrechte Dritter in Gestalt von Privat- und Ge73 Vgl. insoweit zu Art. 14 der Legge del 08/07/1986 n. 349, lstituzione del Ministero dell'ambiente enorme in materia di danno ambientale, in Supplemento ordinario alla Gazzetta Ufficiale Seriegenerale n.l62 dell5/07/86, pag 5 und zur Verordnung der DDR über Umweltdaten, DDR-GBI.I1989, S. 241 schon oben Teil2, A. VI. 74 Das in der letzten Fußnote genannte italienische Gesetz ist bereits vor und unabhängig von der Umweltinformationsrichtlinie in Kraft getreten. Demgegenüber kann Österreich, das ein subjektiv-öffentliches Aktenzugangsrecht (wie Deutschland und Italien) grundsätzlich ebenfalls nur im Bereich des Umweltrechts verwirklicht hat, hier nicht als Beispiel angeführt werden. Auch ohne direkte Umsetzungsverpflichtung war der Österreichische Gesetzgeber im Jahre der Verabschiedung des öUIG (1993) in Ansehung des Österreichischen Beitritts zur Union insoweit von der Anpassung seines Rechtssystems an den acquis communautaire motiviert - vgl. dazu oben, Teil2, S.l68. 1s Vgl. dazu oben, Teil2, B. VII.
B. Lockerung des Grundsatzes der beschränkten Aktenöffentlichkeit
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schäftsgeheimnissen hinreichend beachtet werden76 • Eine in diesem Sinn hinreichende Beachtung kann der Gesetzgeber grundsätzlich gewährleisten durch die Auferlegung einer Pflicht der Verwaltung zur Abwägung, die ihr in allen denkbaren Einzelfällen die Möglichkeit einer verfassungsmäßigen Entscheidung eröffnet77 • Darüber hinaus hat er als die am unmittelbarsten demokratisch legitimierte Instanz alle wesentlichen Entscheidungen (für die Verwirklichung der Grundrechte) selbst zu treffen und damit der Sache nach dafür Sorge zu tragen, daß er nicht durch unklare, widersprüchliche oder zu wenig konkrete Abwägungsvorgaben für die Verwaltung eine praktisch bestehende Grundrechtsgefährdung herbeiführt, die in der Einzelfallanwendung häufiger als nur in seltenen Ausnahmef