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German Pages [160] Year 2019
Das Buch Zhuangzi – Die Inneren Kapitel
此周胡不俄自栩昔 之與蝶知然喩栩者 謂胡之周覺適然莊 物蝶夢之則志胡周 化則爲夢蘧與蝶夢 必周爲蘧不也爲 胡 有與胡然知 蝶 分 蝶周周 矣 與也也
VERLAG KARL ALBER
https://doi.org/10.5771/9783495817308
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B
Das Buch Zhuangzi – Die Inneren Kapitel
VERLAG KARL ALBER
A
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Das Buch Zhuangzi – Die Inneren Kapitel Übersetzt und kommentiert von Oliver Aumann
Verlag Karl Alber Freiburg / München
https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
The Book Zhuangzi – The Inner Chapters The Zhuangzi is one of the principal works of Chinese philosophy and, apart from being a major source of Daoism, the book has also had a strong impact on other traditions of East Asian spirituality and religion, particularly on Chan-Buddhism (jap. Zen). The text dates back to the 4th to 3rd century BCE and has been extensively studied and commented upon by countless scholars throughout the centuries. This new German translation contains the first seven chapters of the Zhuangzi. Known also known as the »Inner Chapters«, these have traditionally been regarded as the main section of the book, and considered as a coherent entity with regard to form and content. The style of the Chinese original text is presented as faithfully as possible. Numerous historic commentaries have been consulted and integrated with current research findings from China and Japan. Thus alternative readings of many passages can be presented to the German reader that would otherwise not be accessible without turning to the original commentaries.
The Translator: Oliver Aumann studied Japanology, Religious studies and Philosophy in Heidelberg, Fukuoka and Munich and is deeply engaged in the study and practice of East Asian spirituality and religion since the 1980s. Among his publications in the field are a dissertation about Buddhist philosophy and many scholarly articles and contributions to respective dictionaries. Since 2003 he has been working as Foreign Lecturer at the Osaka University Graduate School for Language and Culture.
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Das Buch Zhuangzi – Die Inneren Kapitel Das Buch Zhuangzi ist ein grundlegender Text der chinesischen Philosophie, es gehört nicht nur zu den wichtigsten Quellen des Daoismus, sondern hat darüber hinaus auf andere Formen ostasiatischer Spiritualität und Religion, insbesondere den ChanBuddhismus (jap. Zen), einen großen Einfluss ausgeübt. Der Text stammt aus dem 4./3. Jahrhundert v. u. Z., und viele bedeutende Gelehrte haben ihn im Lauf der Jahrhunderte immer wieder ausführlich kommentiert. Die Neuübersetzung aus dem chinesischen Original umfasst die sieben so genannten »Inneren Kapitel«, die traditionell als inhaltliche Einheit und als der Hauptteil des Buches gelten. Der Stil des Originals wird so getreu wie möglich wiedergegeben, und es werden zahlreiche historische Kommentare sowie aktuelle Forschungsergebnisse aus China und Japan berücksichtigt. So können dem deutschsprachigen Leser für viele Stellen erstmals alternative Möglichkeiten der Interpretation aufgezeigt werden, die ansonsten nur aus der originalsprachlichen Kommentarliteratur zu erschließen sind.
Der Übersetzer: Oliver Aumann studierte Japanologie, Religionswissenschaft und Philosophie in Heidelberg, Fukuoka und München und beschäftigt sich seit den 80er-Jahren intensiv mit ostasiatischer Spiritualität und Religion in Theorie und Praxis. Zu seinen einschlägigen Veröffentlichungen zählen neben der Dissertation über buddhistische Philosophie zahlreiche Fachartikel und Lexikonbeiträge zu religionswissenschaftlichen Themen. Er arbeitet seit 2003 als Lektor am Institut für Sprache und Kultur der Universität Osaka.
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Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2018 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad Wünnenberg Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-48981-9 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81730-8
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Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 1 – Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Frei und ungehindert umherschweifen« . . . . . . . . .
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Kapitel 2 – Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Reflexionen über die Gleichheit der Dinge« . . . . . . . Kapitel 3 – Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Das Wesentliche bei der Kultivierung des Lebens« . . . Kapitel 4 – Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Die Welt der Menschen« . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 5 – Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Zeichen vollendeter Tugend« . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 6 – Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Der große ehrwürdige Meister« . . . . . . . . . . . . .
27 34 36 50 52 56 58 71 73 82 84
Kapitel 7 – Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 »Des Himmelsfürsten Ratschläge für Könige« . . . . . . 100
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Inhalt
Anhang Stellenkommentar
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
Textvorlage und wichtige Kommentare . . . . . . . . . . 153 Literaturnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
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Vorwort
Die vorliegende Übersetzung der »Inneren Kapitel« des Buches Zhuangzi geht auf eine lange Auseinandersetzung mit den Gedanken dieses Textes zurück, der mich seit vielen Jahren begleitet. Es ist auch insofern ein persönliches Buch, als ich es alleine und nicht in einem Team von Übersetzern ins Deutsche übertragen habe. Dessen ungeachtet bin ich einer Reihe von Freunden und Kollegen zu Dank verpflichtet, ohne die es so nicht hätte entstehen können: In der Anfangsphase der Übersetzung hat mir Christian Wittern, insbesondere durch die Bereitstellung zahlreicher Materialien, eine große Hilfestellung gegeben. Für die kritische Lektüre der Übersetzungen und Erläuterungen danke ich meinem Freund Peter Schütte. Die Realisierung des Projekts verdankt sich ganz wesentlich dem besonderen Engagement Lukas Traberts vom Verlag Karl Alber und seinen Mitarbeitern. Mein besonderer Dank gilt Gudula Linck für das Fachlektorat des Manuskripts. Ihre Mitwirkung war ein großer Glücksfall, und ihr tiefes Verständnis der Texte hat mir so manche Textstelle neu erschlossen. Für etwaige Fehler bin ich trotz der vielfältigen Unterstützung ganz alleine verantwortlich. Osaka, im Frühjahr 2018
Oliver Aumann
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Einleitung
Zum historischen Kontext Die im Buch Zhuangzi 莊子 gesammelten Texte entstanden in der Zeit der klassischen chinesischen Philosophie, in der neben zahlreichen anderen Traditionen auch die Philosophie des Konfuzius ihren Anfang nahm. Leider ist uns von der geistigen Vielfalt dieser Zeit nur ein Bruchteil in Textzeugnissen überliefert. Politisch und gesellschaftlich war diese Periode der chinesischen Geschichte eine Umbruchszeit, denn die Dynastie der Zhou 周, die das chinesische Kaiserreich seit der Mitte des 11. Jahrhundert v. u. Z. geeint und geordnet hatte, begann etwa seit dem 6. Jahrhundert v. u. Z. in zahlreiche Kleinstaaten zu zerfallen, die miteinander in Konkurrenz standen und in kriegerischen Auseinandersetzungen um die regionale Vormachtstellung kämpften. Nichts könnte diese historische Situation besser charakterisieren als der Begriff »Zeit der streitenden Reiche« Zhanguo shidai 戰國時代, mit dem insbesondere die Zeit zwischen 481 und 221 v. u. Z. bezeichnet wird. Vor dem Hintergrund der damit einhergehenden politischen und sozialen Umwälzungen wurden Fragen zur Neuausrichtung des Staatswesens und nach den Bedingungen einer guten Regentschaft zum Wohle des Volkes neu gestellt. Die verschiedenen Strömungen der klassischen chinesischen Philosophie suchten sowohl nach theoretischen Konzepten als auch nach praktischen Antworten. Es ist dieser besonderen historischen Situation geschuldet, dass es Staatstheorien und Gesellschaftsentwürfe sind, die in der klassischen chinesischen Philosophie die zentrale Rolle einnehmen und häufiger diskutiert werden als allgemeine Fragen nach den Be-
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Einleitung
dingungen der menschlichen Existenz oder ontologische und metaphysische Spekulationen. Durch den Zusammenbruch der geordneten Verhältnisse der Zhou-Dynastie hatten Gelehrte und andere Angehörige der staatlichen Elite bzw. der Oberschicht, die bis dahin an den Zentren der politischen Macht ihr Auskommen gefunden hatten, ihre Lebensgrundlage verloren. Diese Schicht war des Lesens und Schreibens mächtig, und ihre Vertreter versuchten nun, sich als umherziehende Gelehrte und Hof- oder Hauslehrer zu verdingen. Mit ihren Lehrtexten, die oft eine Rivalität untereinander erkennen lassen, nahmen die philosophischen Traditionen dieser Zeit ihren Anfang. Wolfgang Bauer legt die Vermutung nahe, dass insbesondere die Tradition des Konfuzianismus durch Nachfolger von Hofhistorikern entwickelt wurde, denn schon in dieser Zeit war die Geschichtsschreibung in China fest etabliert und weit entwickelt (Bauer 2009, S. 39 ff.). Unter den historischen Aufzeichnungen war die Chronik des Staates Lu 魯 besonders einflussreich, die auch als »Frühlings- und Herbst[annalen]« Chunqiu 春秋 bekannt ist. Sie deckt den Zeitraum von 722 bis 481 v. u. Z. ab, also die Periode vor den Wirren der Kriegszeit. Die in dieser Chronik detailreich verzeichneten Ereignisse, die Staaten, ihre Herrscher und andere herausragende Persönlichkeiten dienten den konkurrierenden philosophischen Schulen als Fundus, anhand dessen sie ihre Theorien entwickelten und ihre Exempel statuierten. Das Buch Zhuangzi macht hiervon keine Ausnahme. Die später als »daoistisch« klassifizierten Texte unterscheiden sich von den Lehren des Konfuzius, denen seiner Nachfolger Menzius und Xunzi, von den Mohisten, den Legalisten oder den Sophisten, um nur einige der zeitgenössischen philosophischen Schulen zu nennen, durch eine fundamental kritische Haltung gegenüber staatlicher Herrschaft, wenn nicht gar gegenüber gesellschaftlicher Ordnung überhaupt. Im Gegensatz zur Mehrzahl der Philosophen ihrer Zeit suchten die frühen Daoisten nicht in der politischen Organisationsform des Staates 12 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Zum historischen Kontext
nach Lösungen, sondern betrachteten diese selbst als Teil des Problems. Es wurde auch die Vermutung geäußert, dass die Texte dieser Tradition Erinnerungen einer der schriftsprachlichen Elite von Hofhistorikern entgegengesetzten sozialen Gruppe seien, die man als wu 巫 »Schamanen« oder »Tänzer« bezeichnet (vgl. Bauer ebd.). Diese Klasse sei illiterat und im Gegensatz zu den Konfuzianern von Frauen dominiert gewesen. Solche Vermutungen lassen sich durch archäologische Funde nicht zweifelsfrei belegen, aber es finden sich in den Texten des Buches Zhuangzi eindeutige Hinweise auf schamanistische Vorstellungen, wie etwa auf das Konzept der Seelenreise, auf magische Praktiken, Traumoffenbarungen und die Kommunikation mit nichtmenschlichen Wesenheiten. Allerdings begegnet das Buch Zhuangzi auch diesen ausgewiesenen Spezialisten für Regentanz, Heilungszeremonien und die Kommunikation mit der Geisterwelt skeptisch (vgl. Kapitel 7:5), und ihr »technisches Wissen« wird der »kosmischen Einsicht« des daoistischen Weisen untergeordnet (Kohn 2014, S. 51). Indem die Vermittlung zwischen Mensch und Natur, dem Einzelnen und dem großen Ganzen (im Sprachgebrauch des Textes ist oft vom »Himmel« tian 天 die Rede) den etablierten Eliten entzogen wird, bricht das Buch Zhuangzi mit den Konventionen nicht nur seiner eigenen Zeit. In den Worten des unkonventionellen amerikanischen Mystikers Thomas Merton (1915–1968) ist das Zhuangzi durch eine besondere Geisteshaltung charakterisiert, die sich überall auf der Welt findet: »Ein Sinn für Schlichtheit, Bescheidenheit, Zurückhaltung und Stille sowie eine ganz grundsätzliche Verweigerung, die Streitlust, den Ehrgeiz, die Gier und die Selbstherrlichkeit ernst zu nehmen, die man an den Tag legen muss, um in der Gesellschaft voranzukommen« (Merton 1997, S. 11).
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Einleitung
Das Werk und seine Entstehung Das Buch Zhuangzi (auch Chuang Tzu oder Dschuang Dsi) ist ein Quellentext des Daoismus und ein chinesischer Klassiker. Der Titel des Werks (»Meister Zhuang«) bezieht sich auf seinen nominellen Autor Zhuang Zhou 莊周 (ca. 350–280 v. u. Z.), über den wir – außer einigen Anekdoten im Buch selbst – nur das wissen, was der han-zeitliche Historiker Sima Qian 司馬遷 (ca. 145–89 v. u. Z.) notiert hat. Demnach sei Zhuang Zhou ein Beamter aus einem Ort namens Meng 蒙 im Staate Song 宋 gewesen, der als Aufseher in einem Lackbaumgarten (qiyuan 漆園) gearbeitet habe. Wir wissen nicht, ob es sich dabei tatsächlich um eine Plantage mit Lackbäumen oder schlicht um einen Ortsnamen handelt, und die Angabe lässt sich nicht anhand anderer Quellen verifizieren. Doch die Genauigkeit der Naturbeobachtungen im Zhuangzi ist einzigartig und mit keinem anderen Text der Zeit vergleichbar, was die Vermutung nahelegt, dass zentrale Teile des Werks von jemandem verfasst wurden, der mit den Pflanzen und Tieren seiner Umgebung bestens vertraut war (Nomura 2016, S. 30). Da es sich beim Buch Zhuangzi um eine Sammlung von sehr unterschiedlichen Texten handelt, geht die überwiegende Mehrheit der Forscher heute davon aus, dass die Kapitel des Buches von verschiedenen Verfassern stammen. Dabei ist auch zu bedenken, dass zu Zhuang Zhous Lebzeiten Papier als Schreibmaterial noch nicht in Gebrauch war. Texte wurden auf schmalen Bambusstreifen notiert, die jeweils nur je eine Zeile umfassten, und diese wurden zu Rollen zusammengebunden. Bei der späteren Redaktion der Texte konnten so einzelne Textbestandteile leicht durcheinander geraten. Bei einigen Stellen des Zhuangzi hat man den Eindruck, dass genau das passiert sein könnte, und der ursprüngliche Kontext bestimmter Sentenzen ist nicht mehr eindeutig rekonstruierbar. Der Text ist in 33 Kapiteln überliefert, die der Neo-Daoist Guo Xiang 郭象 (ca. 252–312) zusammengestellt und kommentiert hat. Zu dieser Zeit waren die 14 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Das Werk und seine Entstehung
Texte bereits mehrere hundert Jahre alt und nicht mehr ohne Weiteres verständlich, Guo Xiangs Kommentar umfasst viele Erklärungen zu solchen schon damals veralteten Wörtern und Begriffen. Vor seiner Redaktion existierte in der kaiserlichen Bibliothek der Han-Dynastie eine 52 Kapitel umfassende Ausgabe, außerdem gab es eine Version in 27 Kapiteln, beide sind nicht erhalten. Allerdings sind zahlreiche Kommentare, die sich auf diese früheren Texte beziehen, in der Kommentarsammlung von Lu Deming 陸德明 (ca. 550–630) überliefert. Das Buch Zhuangzi ist in drei Abschnitte unterteilt, die so genannten »Inneren Kapitel« 1–7 (neipian 内篇), die »Äußeren Kapitel« 8–22 (waipian 外篇) und die »Vermischten Kapitel« 23–33 (zapian 雜篇). Nur die ersten sieben Kapitel sind mit regelrechten Überschriften mit jeweils drei Schriftzeichen versehen, die auf das Thema des Kapitels hindeuten, allen anderen Kapiteln sind lediglich die ersten beiden Schriftzeichen des Textes vorangestellt. Da die »Inneren Kapitel« auch inhaltlich eine gewisse Einheit bilden, wurden sie häufig als die Kernpassagen des ganzen Buches angesehen und nicht selten isoliert übersetzt und herausgegeben, so auch im vorliegenden Band. Die früher weit verbreitete Auffassung, dass die »Inneren Kapitel« von Zhuang Zhou selbst stammten, während die beiden anderen Abschnitte der Sammlung von seinen Schülern bzw. von Nachahmern geschrieben wurden, ist zwar mit großer Wahrscheinlichkeit falsch, und man geht heute im Allgemeinen davon aus, dass Texte des Buches Zhuangzi über einen Zeitraum von etwa 200 Jahren entstanden sind. Dieser Prozess war ungefähr zur Zeit des han-zeitlichen Kaisers Wudi 武帝 (reg. 156–87 v. u. Z.) abgeschlossen, und an der Abfassung der Sammlung waren mehrere Autoren beteiligt (Ikeda 2014, S. 32 f). Trotzdem muss man wohl Wang Bo zustimmen, dass die vielschichtige Philosophie des Zhuangzi in den »Inneren Kapiteln« ihren stärksten Ausdruck findet (Wang 2014, S. 14).
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Zhuangzi und Laozi
Zhuangzi und Laozi Neben dem Buch Zhuangzi ist noch ein weiterer zentraler Text des frühen Daoismus überliefert, das Daodejing 道德經 (auch Tao te king), als dessen Autor die legendäre Gestalt Laozi 老子 (Lao Tse) genannt wird. In der Kurzbiographie des Sima Qian wird Zhuang Zhou als ein Nachfolger und Verkünder der Lehre Laozis eingeführt, doch wenn man die lange Entstehungsphase des umfangreichen Buches Zhuangzi in Betracht zieht, erweist sich das zeitliche Verhältnis der beiden Texte keineswegs als so eindeutig. Vermutlich sind die ältesten Teile des Buches Zhuangzi älter als die Endredaktion des Daodejing (Bauer 2009, S. 89). Das Daodejing ist ein kurzer Text, bestehend aus nur etwas mehr als 5000 Schriftzeichen in 81 Sinnsprüchen, deren Aussagen oft unklar bleiben. Die Texte handeln vom richtigen Leben in Einklang mit dem Dao, dem aller Existenz zugrunde liegenden dynamischen Prozess. Sie thematisieren einen abstrakten daoistischen Weisen und auch die richtige Herrschaft über den Staat. Die nostalgische Sehnsucht nach einem verlorenen Goldenen Zeitalter des Altertums durchzieht weite Teile des Werks, und hier zeigen sich Überschneidungen mit konfuzianischen Vorstellungen. Im Unterschied dazu werden die daoistischen Weisen im Buch Zhuangzi namentlich genannt und treten als markante Persönlichkeiten und im Dialog mit anderen Mitstreitern bei der Suche nach Wahrheit und der richtigen Haltung zum Leben und Sterben in Erscheinung. Die Begegnungen sind oft zugleich tiefgründig, humorvoll und gelegentlich grotesk witzig. Dabei ist das Zhuangzi aber, besonders im Kontext der chinesischen Klassiker, überraschend unpolitisch, es ist kein Ratgeber für Fürsten und Könige, sondern richtet sich an jedermann. Die Kürze des Daodejing und die Vagheit vieler seiner Sinnsprüche, die je nach der Intention des Übersetzers ganz unterschiedliche Auslegungen zulässt, mögen Gründe dafür sein, dass 16 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Wichtige Begriffe und Themen der Philosophie im Zhuangzi
von diesem Text hunderte von Übertragungen in westliche Sprachen vorliegen und dass er so viel bekannter ist als das Buch Zhuangzi. Diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken ist eine Absicht der vorliegenden Ausgabe. Außer dem Daodejing sind hier noch zwei weitere daoistische Texte zu erwähnen, mit denen das Buch Zhuangzi inhaltliche Überschneidungen aufweist. Das ist zum einen das Buch Liezi 列子 (»Meister Lie«), dessen Urtext etwa aus der gleichen Zeit wie das Zhuangzi stammt, das aber bereits in der Han-Zeit verlorengegangen war. Die uns heute überlieferten Version dieses Textes ist eine Rekonstruktion aus dem 2. Jahrhundert, wobei auch viele Textstellen zu »Meister Lie« Verwendung fanden, die innerhalb des Buches Zhuangzi überliefert wurden. Der zweite erwähnenswerte Text ist das Buch Huainanzi 淮南子 (»Der Meister aus Huainan«), eine Sammlung, die am Hofe des Liu An 劉安 (179–122 v. u. Z.), des Königs von Huainan, entstanden ist. Der Text ist uneinheitlich, aber insofern interessant, als er eine Mittelstellung zwischen den frühen »philosophischen« Texten, dem Zhuangzi und dem Daodejing, und den späteren »religiösen« Texten des Daoismus einnimmt. Außerdem haben die dort formulierten kosmologischen Vorstellungen weite Verbreitung gefunden.
Wichtige Begriffe und Themen der Philosophie im Zhuangzi Im Buch Zhuangzi werden viele Themen angesprochen, und das auf ganz unterschiedliche Weise. Auch die Schlussfolgerungen, die aus den Geschichten, Dialogen und Parabeln gezogen werden, sind nicht einheitlich. Die Beziehung zwischen Natur und Mensch und wie man sich zum großen Ganzen verhalten kann oder sollte, ist eine der durchgängigen Fragestellungen. Den Begriff dao 道 (wörtl. »Weg«) habe ich nicht übersetzt, sondern verwende das Wort großgeschrieben wie ein deutsches Substan17 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Zhuangzi und Laozi
tiv. Mit Dao ist oft der kosmische Prozess bezeichnet, der allem Sein zugrunde liegt, wobei es aber unterschiedliche Akzentsetzungen in den Textstellen des Buches Zhuangzi gibt. Mal erscheint das Dao wie ein abstraktes kosmisches Prinzip, ein anderes Mal wird es monistisch mit der Natur gleichgesetzt. Ähnlich vielschichtig ist das Wort de 德, das ich zwar grundsätzlich mit »Tugend« übersetze, das aber je nach Kontext auch »Fähigkeit (en)«, »Macht«, »Wirkkraft« und »Innerlichkeit« etc. bedeuten kann. Es scheint oft auf den menschlichen Anteil am Dao hinzuweisen. Die Kommentare zu den Textstellen geben Hinweise zur jeweiligen Bedeutungsnuance. Das gilt auch für das Wort xin 心, das ich grundsätzlich mit »Geist« übersetze, das aber je nach dem Kontext auch in die Nähe von Begriffen wie »Herz«, »Bewusstsein«, »Ich« oder »Seele« rücken kann. Die im Buch Zhuangzi propagierte Haltung des Menschen in der Welt lässt sich vielleicht mit Begriffen wie intuitive Behutsamkeit und Gelassenheit beschreiben. »Behutsamkeit« kommt dem nahe, was der chinesische Terminus wuwei 無爲 »NichtHandeln« meint, also die Vermeidung von Aktionismus und der Verzicht, Dinge und Angelegenheiten um jeden Preis in eine bestimmte Richtung lenken zu wollen. Der Grund, der sich im Buch Zhuangzi für diese Zurückhaltung findet, ist die skeptizistische Feststellung, dass wir die beste Richtung, das Ziel, auf das wir unser Handeln idealerweise ausrichten sollten, nicht erkennen können, ja dass wir im Grunde nicht einmal wissen, was eigentlich Schein und was Wirklichkeit ist. Die vielleicht bekannteste Geschichte des Textes, die Erzählung von Zhuang Zhou, der geträumt habe, ein Schmetterling zu sein, und nach dem Erwachen nicht wisse, ob er jetzt als Mensch vielleicht nicht mehr sei als nur der Traum eines Schmetterlings (Kapitel 2:13), illustriert diesen Ansatz. Der Skeptizismus erstreckt sich auch auf die Bedeutung von Sprache und Schrift sowie auf die logischen Erkenntnismöglichkeiten und moralischen Handlungsregeln, auf denen Staat und Gesellschaft herkömmlich gegründet sind. Hier setzt auch die 18 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Wichtige Begriffe und Themen der Philosophie im Zhuangzi
Kritik an anderen Strömungen der klassischen chinesischen Philosophie an, nicht nur am Konfuzianismus, der in mancherlei Hinsicht eine Art Gegenpol zu den frühen daoistischen Vorstellungen darstellt. Konfuzius erscheint (häufig unter seinem Beinamen Zhong Ni 仲尼) aber im Buch Zhuangzi keineswegs nur als das Ziel von Kritik und Spott oder als Parodie, sondern auch als ernst zu nehmender Mitstreiter auf der Suche nach der richtigen Lebenshaltung. Der Gegensatz zwischen den daoistischen Texten Zhuangzi und Daodejing einerseits und den Lehren des Konfuzius andererseits wurde vielfach überzeichnet. Die Kritik im Buch Zhuangzi ist breiter gefächert und trifft praktisch alle zeitgenössischen Schulen des chinesischen Denkens (Schleichert/Roetz 2009, S. 141). Das Lob des Nicht-Wissens, die Würdigung von Hässlichkeit und Untauglichkeit, die positive Bewertung schwerster körperlicher Beeinträchtigungen, gar von Krankheit und Tod, tragen überdies dazu bei, herkömmliche Wertvorstellungen ad absurdum zu führen. Der Humor und die bisweilen genial grotesken Bilder, mit dem diese daoistische »Umwertung der Werte« (Nietzsche) vorgenommen wird, ist entwaffnend und vermittelt dem Leser stellenweise tatsächlich das Gefühl, in den Texten einem großartigen Freigeist zu begegnen, im Sprachgebrauch der Daoisten einem »Weisen« shengren 聖人. Die Frage, wodurch sich der daoistische Weise auszeichnet, ist denn auch ein weiteres Thema, das in vielen Passagen behandelt wird. Einmal erinnert er an einen der Welt entrückten Mystiker, der sich in Selbstvergessenheit und regungsloser Meditation mit dem Dao vereint, ein anderes Mal ist er ein geschickter Handwerksmeister oder ein Koch, der mit geradezu übermenschlicher Virtuosität ein Rind zerlegt (Kapitel 3:2). Hinweise auf die Formen der Meditation im engeren Sinne, die zur Entstehungszeit des Buches in den unterschiedlichen daoistischen Zirkeln der jeweiligen Autoren gepflegt wurden, sind hingegen rar und beschränken sich auf Andeutungen. Letzten Endes ermutigt der Text durch die Widersprüche und 19 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Zhuangzi und Laozi
den Chor der Stimmen, die aus ihm sprechen, den Leser zum »freien, ungehinderten Umherstreifen« xiaoyaoyou 逍遙遊, mit dem das erste Kapitel gleich einem Motto für das ganze Werk überschrieben ist. »Sichere« Schlussfolgerungen aus dem Buch Zhuangzi sind niemals endgültig und auch nicht im Geiste der Verfasser. Das Dao ist Prozess und Entwicklung, das beständige Auf-dem-Weg-sein gehört zum Wesenskern des daoistischen Denkens dieser Zeit. Und so gleicht die Lektüre des Zhuangzi einem Spaziergang durch vielgestaltige Landschaften, und beim erneuten Aufschlagen des Buches werden die Täler und Hügel im Licht des neuen Tages wieder wohltuend frisch und die Stimmen aufs Neue un-erhört erscheinen.
Wie man im Buch Zhuangzi lesen kann Das Werk bildet keine Einheit und es ist, trotz der Bemühungen Guo Xiangs, dem wir die Endredaktion verdanken, auch nicht wirklich systematisch aufgebaut. Die nachfolgenden Kapitel setzen die Lektüre der vorangehenden nicht voraus, und die Kapitel selbst sind oft nicht mehr als eine lose Zusammenstellung von Texten, die eine gewisse inhaltliche Verwandtschaft aufzeigen. Das Buch von Anfang bis Ende durchzulesen, ist deshalb nicht die einzig mögliche Form der Lektüre und vielleicht auch nicht die empfehlenswerteste. Die vorliegende Ausgabe ist bewusst in kleinere in sich abgeschlossene Abschnitte gegliedert, die jeweils eine Passage, einen Dialog oder eine Geschichte umfassen. Auch die Stellenkommentare sind so gehalten, dass jeder Abschnitt für sich allein verständlich ist. Man kann das Werk an jeder beliebigen Stelle aufschlagen und sich auf einen der Texte einlassen. Für uns heutige, auf schnelles Lesen und rasches Erfassen wesentlicher Inhalte konditionierte Leser ist das langsame Lesen eines kurzen Abschnitts womöglich eine Herausforderung. Wenn es zuweilen dennoch gelingt, werden im Laufe der Lektüre Erinnerungen an 20 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Zur Übersetzung ins Deutsche
zuvor gelesene Passagen aufscheinen, und nach und nach kann so ein ganz persönliches Bild vom Zhuangzi Gestalt annehmen.
Zur Übersetzung ins Deutsche Die »klassische« deutsche Übersetzung des Buches Zhuangzi aus dem Chinesischen stammt von Richard Wilhelm aus dem Jahr 1912 und ist unter dem Titel Dschuang Dsi – Das wahre Buch vom südlichen Blütenland erschienen. Sie umfasst mit 28 Kapiteln einen Großteil des Textes und hat einen unschätzbaren Beitrag zur Verbreitung und Bekanntheit des Werks geleistet. Bereits zwei Jahre zuvor, im Jahr 1910, hatte Martin Buber gemeinsam mit chinesischen Freunden als Erster einige Auszüge des Zhuangzi ins Deutsche übersetzt: TSCHUANG-TSE Reden und Gleichnisse. Erst 1998 erschien dann erstmals eine vollständige deutsche Ausgabe der 33 Kapitel, die Stephan Schuhmacher aus dem Englischen übersetzt hat: Zhuangzi – Das Buch der Spontaneität. Kurz vor Abschluss der vorliegenden Ausgabe der »Inneren Kapitel« legte Viktor Kalinke mit seinem Buch 莊子 Zhuangzi – Der Gesamttext (2017) eine weitere deutsche Gesamtausgabe vor, die sich durch einen umfangreichen Vergleich zuvor erschienener deutscher und englischer Übersetzungen auszeichnet. Daneben gibt es noch einige Übersetzungen ausgewählter Textstellen, unter denen das »Zhuangzi Lesebuch« ZHUANGZI Mit den passenden Schuhen vergißt man die Füße von Henrik Jäger (2018) und Wolfgang Kubins Zhuang Zi – Vom Nichtwissen (2013) besondere Erwähnung verdienen. Bei der Erstellung der vorliegenden Übersetzung wurden zahlreiche chinesische und japanische Kommentare im Original zu Rate gezogen. Die Bedeutung vieler Textstellen ist umstritten, zu schwierigen Sätzen haben sich unzählige Kommentare angesammelt, und der Übersetzer muss sich je nach seinem 21 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Zhuangzi und Laozi
eigenen Verständnis des Textes für eine der möglichen Auslegungen entscheiden. Dabei ist nicht nur die Bedeutung einzelner Textstellen, sondern insbesondere auch der Sinngehalt einzelner Schriftzeichen Gegenstand eines seit vielen Jahrhunderten andauernden Diskurses. So kommt es, dass verschiedene Übersetzer einzelne Passagen ganz unterschiedlich wiedergeben, je nachdem, welchem Kommentar sie folgen; jede dieser Entscheidungen ist statthaft, und jede ist anfechtbar. Dabei wäre es wünschenswert, wenn jeweils explizit gemacht würde, an welchem Kommentar sich die Übersetzung einer schwierigen Textstelle orientiert. Es steht zu hoffen, dass der Lesegenuss und Erkenntnisgewinn für den vergleichenden Leser mit jeder neuen Übersetzung wächst. Ausdrücklich sei auch auf die im Literaturverzeichnis aufgeführten englischen Übersetzungen hingewiesen, die wiederum neue Perspektiven aufzeigen. Ich habe in meiner Übersetzung versucht, dem chinesischen Originaltext sehr nahe zu kommen und auch bestimmte Stilmerkmale (z. B. mehrfache wörtliche Wiederholungen) oder auch sprachliche Bilder möglichst genau zu übersetzen. Sollten Teile der Übersetzung dadurch zunächst fremdartig erscheinen, ist das meiner Auffassung nach sogar ein Vorteil, denn es erinnert daran, dass dieser schwierige Text aus einer fernen Zeit und einem fremden Kulturkreis stammt, und es wird dem Leser keine scheinbare Nähe zum chinesischen Altertum vorgespiegelt. Wenn die Gedanken des Zhuangzi, seine Tiefgründigkeit, der feine Humor und die Irritationen trotzdem deutlich werden, erweist sich die Zeitlosigkeit des Originals umso mehr. Die Erläuterungen beschränken sich in der Regel auf Sacherklärungen und Hinweise zu alternativen Auslegungen der Texte, Querverweise helfen dabei, thematisch verwandte Textstellen in anderen Kapiteln aufzufinden. Erläutert werden insbesondere Stellen, deren Auslegung sich in den chinesischen und japanischen Kommentaren signifikant unterscheidet, wenn sich daraus inhaltlich relevante Abweichungen ergeben. Auf Hinweise zu anderen deutschen und englischen Übersetzungen 22 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Zur Übersetzung ins Deutsche
wurde bewusst verzichtet. Einerseits kann der interessierte Leser einen solchen Vergleich leicht selbst anstellen, andererseits besteht dabei immer die Gefahr, die Leistung anderer Übersetzer und Zhuangzi-Liebhaber kleinlich zu kritisieren, und das ist nicht die Intention der vorliegenden Ausgabe. Die im Stellenkommentar genannten Kommentatoren und ihre Werke sind im Anhang aufgeführt. Chinesische Wörter sind in der heute international verwendeten Pinyin-Umschrift wiedergegeben.
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Kapitel 1 – Übersicht
Das erste Kapitel ist mit »Frei und ungehindert umherstreifen« Xiaoyaoyou 逍遙遊 überschrieben, der Titel bezeichnet die Lebenshaltung eines freien Menschen bzw. eines »Weisen« shengren 聖人, wie er im Text genannt wird. Das Schriftzeichen you 遊, das hier mit »umherstreifen« übersetzt ist, ist ein zentraler Begriff in der Philosophie des Zhuangzi und kann unterschiedlich konnotiert sein. Außer der Freiheit zum selbstbestimmten Handeln kann mit you beispielsweise auch die Freiheit von Einschränkungen gemeint sein. Im Kontext des Zhuangzi bezieht sich das oft auf soziale oder politische Gegebenheiten. Die daoistische Bewegung nahm, nach allem was man aus den frühen Texten erschließen kann, in Gemeinschaften ihren Anfang, die zurückgezogen und in Distanz zur Gesellschaft lebten. Deshalb gehören Erzählungen, in denen sich daoistische Weise der Übernahme politischer Verantwortung konsequent verweigern, zum festen Repertoire der Tradition. Außerdem wird you in einem geradezu mystischen Sinn gebraucht und verweist auf die Vereinigung mit dem Dao als dem grundlegenden kosmischen Prinzip, wodurch herkömmliche Wertvorstellungen und sozial normierte Lebensziele grundsätzlich infrage gestellt werden. Das Kapitel beginnt mit dem mythologischen Bericht vom riesigen Fisch namens »Fischlein«, der sich spontan in einen gewaltigen Phönix verwandelt, die Bemühungen der »kleinen Tiere« und der Menschen relativiert und sie der Lächerlichkeit preisgibt. Grenzüberschreitung, Transformation und Metamorphose sind durchgängige Themen des Werks und in diesem Mythos monumental versinnbildlicht. Die Frage, wie man sich als Mensch zu den Verwandlungen verhält, die das eigene Leben unvermeidlich mit sich bringt, ist für ein gelingendes Leben von entscheidender Bedeutung, und vielleicht lässt sich der Mythos vor diesem Hintergrund inter-
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Kapitel 1 – Übersicht
pretieren. Während die kleinen Tiere ihre eigene Beschränktheit fraglos als naturgegeben akzeptieren, erhebt sich der Phönix machtvoll und bedeckt dabei den ganzen Himmel. Der zweite Abschnitt stellt exemplarisch einen Weisen vor, der sich der Übernahme von Regierungsverantwortung verweigert, und auch der dritte Abschnitt führt ein häufiges Motiv der daoistischen Tradition ein, nämlich den Einsiedler, der fernab von der Menschenwelt tief in den Bergen lebt. Auch die nachfolgenden Texte kreisen um das Thema Freiheit. Zunächst wird im vierten Abschnitt die geschickte und kreative Verwirklichung der eigenen Potenziale angemahnt und abschließend im fünften Abschnitt das große Thema »Nutzen der Nutzlosigkeit« eingeführt, das seinerseits ein wichtiges Motiv des ganzen Zhuangzi ist und vor allem im vierten Kapitel wieder aufgegriffen werden wird.
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Kapitel 1 Frei und ungehindert umherstreifen
1 Im dunklen Nordmeer gibt es einen Fisch, sein Name ist Fischlein. Niemand weiß, wie viele Meilen Fischlein groß ist. Er verwandelt sich in einen Vogel, sein Name ist Phönix. Niemand weiß, wie viele Meilen des Phönix’ Körper misst. Wenn er sich schüttelt und auffliegt, dann bedecken seine Schwingen den Wolken gleich den ganzen Himmel. Dieser Vogel begibt sich, wenn das Meer unruhig ist, zum dunklen Südmeer. Das dunkle Südmeer ist der Himmelsweiher. Qi Xie kennt sich mit Merkwürdigkeiten aus und erklärt: Wenn der Phönix sich zum dunklen Südmeer begibt, peitscht er das Wasser dreitausend Meilen auf, dann erhebt er sich in einem Wirbelsturm neunzigtausend Meilen in die Höhe und segelt sechs Monate lang. Wilden Pferden gleich wird flimmernde Luft mit Staubteilchen zwischen den Lebewesen mit ihrem Atem umhergeblasen. Ist das tiefe Blau des Himmels seine wirkliche Farbe, oder wirkt nur die unendliche Weite so? Wenn der Phönix in die Tiefe schaut, muss es ihm ebenso blau erscheinen. Ist das Wasser nicht tief, kann es kein großes Boot tragen. Gießt man das Wasser einer Schale auf unebenen Grund, so kann vielleicht ein Senfkorn darauf schwimmen, will man aber die Schale darauf schwimmen lassen, berührt sie sofort den Boden. Denn das Wasser ist seicht und das Boot zu groß. Ist nicht ausreichend Wind angesammelt, fehlt die Kraft, um die großen Schwingen zu tragen. Deshalb hat der Phönix neunzigtausend Meilen Wind unter sich, denn erst dann kann er sich in den Himmel erheben, und erst dann kann er nach Süden ziehen. Die Zikade und das Täubchen lachen darüber und sagen: 27 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 1
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»Wenn wir uns erheben und losfliegen, dann landen wir auf den Zweigen von Ulme oder Spindelstrauch und manchmal erreichen wir sie nicht einmal und fallen zu Boden. Warum muss man neunzigtausend Meilen aufsteigen und nach Süden ziehen?« Wer einen Ausflug in die Umgebung der Stadt macht, nimmt drei Mahlzeiten mit und kommt satt nach Hause; wer hundert Meilen weit geht, poliert am Vorabend Reis; aber wer zu einer Reise von tausend Meilen aufbricht, der sammelt drei Monate lang Proviant. Wie sollten die beiden kleinen Tiere [den Phönix] begreifen? Kleines Wissen reicht nicht an großes Wissen heran, und ein kurzes Leben nicht an ein langes Leben. Wie also sollten sie verstehen? Der Morgenpilz weiß nichts vom Sonnenuntergang oder der Morgendämmerung, die Sommerzikade kennt weder Frühling noch Herbst. Das sind kurze Lebensspannen. Südlich von Chu gibt es den Baum Mingling, fünfhundert Jahre sind ihm wie ein Frühling und fünfhundert Jahre dauert sein Herbst. Im Altertum gab es den Baum Daichun, ihm waren achttausend Jahre wie ein einziger Frühling und achttausend Jahre wie ein einziger Herbst. Das sind lange Lebensspannen. Wie armselig wirkt dagegen Pengzu, von dessen Langlebigkeit man heute einzig hört und den sich die Leute zum Vorbild nehmen. Schon unter den Fragen, die Tang an Ji richtete, [gibt es diese Geschichte]: Jenseits des Ödlands im Norden gibt es ein dunkles Meer, das ist der Himmelsweiher. Dort gibt es einen Fisch, sein Körper ist mehrere tausend Meilen breit, und niemand weiß, wie lang er ist. Sein Name ist Fischlein. Es gibt auch einen Vogel, sein Name ist Phönix. Sein Rücken ist so hoch wie der Berg Tai Shan und seine Schwingen bedecken den Wolken gleich den ganzen Himmel. Er erhebt sich in einem Wirbelsturm neunzigtausend Meilen hoch bis über die Wolken und trägt den blauen Himmel auf dem Rücken, dann wendet er sich nach Süden, um bis zum dunklen Südmeer zu fliegen. Der kleine Vogel lacht darüber und sagt: »Wohin will der nur fliegen? Ich hüpfe mit ganzer Kraft in die Höhe, und nach einigen Metern falle ich 28 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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herab. So fliege ich im Gestrüpp umher. Weiter kann man es im Fliegen nicht bringen. Wohin will der nur fliegen?« Das ist der Unterschied zwischen klein und groß. Einer, dessen Kenntnisse nur für ein Amt hinreichen, dessen Taten nur eine Gemeinde betreffen, dessen Pflichtgefühl nur für einen Herrscher taugt und dessen Fähigkeiten sich nur in einer Provinz zeigen, der wird, wenn er in sich geht, erkennen, dass er so [wie jener kleine Vogel] ist. So einen hätte Song Rongzi milde belächelt. Wenn die Mitwelt ihn lobte, war ihm das kein Ansporn, und wenn die Mitwelt ihn tadelte, schüchterte ihn das nicht ein, er hatte [für sich] die Bereiche von Innen und Außen abgesteckt und unterschied [eigenständig], wo zu loben und was zu tadeln war. Aber nur das. Zwar brannte er nicht mehr ruhelos für die Dinge der Welt, das mochte man wohl von ihm sagen, aber trotzdem war er noch nicht standhaft. Liezi reiste auf dem Wind, und seine Leichtigkeit war beachtlich. Erst nach 15 Tagen kehrte er zurück. Obwohl er nicht mehr ruhelos nach Glück strebte und sich des mühevollen Zu-Fuß-Gehens entledigt hatte, gab es doch noch etwas, auf das er sich verlassen musste. Könnte aber einer auf den normalen Bedingungen reiten, mit dem Wandel der sechs alltäglichen Wetterphänomene vorankommen und so die Unendlichkeit durchstreifen, worauf wäre der noch angewiesen? Darum heißt es: »Der Vollendete hat kein Ich, der geistige Mensch erbringt keine Leistung, und der Weise hat keinen Namen.«
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2 Als Yao die Regierungsgeschäfte dem Xu You überlassen wollte, sprach er: »Wenn Sonne und Mond aufgegangen sind, und man löscht nicht die Fackel – ist dann im Licht ihr Brennen nicht vergeblich? Wenn der Regen der Jahreszeit fällt, und man bewässert trotzdem – ist dann inmitten der Nässe die Mühe nicht verschwendet? Wäret Ihr, Meister, auf dem Thron, so wäre das 29 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 1
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Reich geordnet. Aber stattdessen herrsche ich, und ich kenne meine Unzulänglichkeit. Deshalb bitte ich Euch, das Reich zu führen.« Xu You sagte: »Ihr habt das Reich geordnet und somit ist das Reich bereits geordnet. Angenommen, ich träte an Eure Stelle, täte ich es vielleicht um des Ruhmes wegen? Aber der Ruhm ist nur ein flüchtiger Gast der Wirklichkeit. Handelte ich also um eines flüchtigen Gastes willen? Der Zaunkönig im tiefen Wald braucht für sein Nest nicht mehr als einen einzigen Zweig, und der Maulwurf trinkt am Fluss nicht mehr, als bis sein Bauch voll ist. Kehrt zurück, mein Herrscher, und gönnt Euch eine Atempause. Ich habe keine Verwendung für [die Herrschaft über] das Reich. Selbst wenn der Koch die Küche nicht in Ordnung hielte, würden trotzdem Medium und Opferpriester nicht die Weinschalen und Teller [vom Altar] wegnehmen, um an seine Stelle zu treten.«
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Jian Wu fragte Lian Shu: »Ich hörte die Worte des Jie Yu, sie waren groß, ohne zu treffen, und weitschweifig ohne Bezug [zur Wirklichkeit]. Ich war verblüfft. [Seine Rede] war grenzenlos wie die Milchstraße; weit in der Ferne und ohne Nähe zu den Angelegenheiten der Menschen.« Lian Shu sagte: »Was war denn der Inhalt seiner Worte?« »Auf dem Berg Guye Shan lebt ein Heiliger. Seine Haut ist weiß wie Firnschnee, und er ist geschmeidig wie ein junges Mädchen. Er isst nicht von den fünf Körnern, sondern nimmt nur den Wind auf und trinkt den Tau. Er reitet auf Wolken und Dunst, zügelt fliegende Drachen und ist so jenseits der vier Meere unterwegs. Er konzentriert seinen Geist und sorgt so dafür, dass in der Welt kein Unglück geschieht und dass die jährliche Ernte reift. Für mich ist das verrückt und nicht zu glauben.« Lian Shu sagte: »Fürwahr, einem Blinden kann man nicht das Aussehen eines Ornaments vermitteln und einem Tauben nicht den Klang von Glocke und Trom30 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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mel. Aber gibt es etwa nur körperlich Taube und Blinde? Nein, es gibt sie auch hinsichtlich der Erkenntnis, und so ist es jetzt mit dir. Dieser heilige Mensch und seine Fähigkeiten – wahrlich, er harmonisiert alle Dinge und vereinigt sie. Die Welt verlangt nach Ordnung, aber warum sollte er sich mit der Leitung des Reiches quälen? Diesem Menschen [können] die Dinge der Welt nichts anhaben; selbst eine große Flut, die bis zum Himmel reichte, würde ihn nicht ertränken, und eine große Dürre, die Metall und Steine zum Schmelzen brächte und die Berge versengte, würde ihn nicht verbrennen. Aus dem Staub und den Schmutzteilchen, die an ihm haften, ließen sich wahrhaftig noch [Weise vom Format eines] Yao oder Shun formen. Wer würde sich da noch mit den Dingen der Welt beschäftigen? Ein Mann aus dem Lande Song ging mit Ritualkronen als Handelsware nach Yue. Die Menschen in Yue aber hatten ihre Haare geschoren, ihre Körper tätowiert und keine Verwendung dafür. Yao herrschte über alles Volk im Reich und brachte die Politik innerhalb der Meere ins Gleichgewicht; dann ging er zum fernen Berg Guye Shan und begegnete vier Weisen. [Wieder zurück in seiner Heimat] nördlich des Flusses Fenshui, versank er in Traurigkeit und wusste nichts mehr von seinem Reich.«
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4 Huizi sagte zu Zhuangzi: »Der König von Wei hatte mir Samen von großen Flaschenkürbissen geschenkt. Ich pflanzte sie ein, sie reiften und trugen Früchte, die fünf Eimer fassten. Wenn man sie mit Getränken auffüllte, waren sie so schwer, dass man sie alleine nicht anheben konnte. Wenn man sie spaltete und zu Schöpfkellen machen wollte, waren diese so unförmig, dass sich nichts hineinfüllen ließ. Groß waren sie in der Tat, ich konnte sie aber zu nichts gebrauchen und zerschlug sie.« Zhuangzi sagte: »Ihr wart immer schon zu ungeschickt, um 31 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 1
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mit Großem umzugehen. In Song lebte [einst] ein kundiger Mann, der eine Salbe gegen rissige Hände herstellte. Für Generationen lebte seine Familie vom Seidenbleichen. Ein Durchreisender hörte davon und drängte darauf, das Rezept für 100 jin zu kaufen. Daraufhin versammelte der Mann seine Familie und sprach: »Seit Generationen bleichen wir Seide, aber wir hatten nie mehr als ein paar jin. Heute können wir aber an einem Morgen mit dem Verkauf der Technik hundert jin gewinnen, wir wollen dem Drängen nachgeben.« Der Durchreisende erwarb [das Rezept] und erläuterte es dem König von Wu. Es kam zum Krieg mit dem Land Yue und der König machte den Mann zum Befehlshaber. Im Winter, bei einer Seeschlacht gegen die Leute von Yue, besiegte man diese vernichtend [weil sie unter rissigen Händen litten]. Der König teilte das Land und verlieh dem Mann ein Lehen. Die Wirksamkeit [der Salbe] war ein und dieselbe, aber einer wurde damit Lehnsherr und ein anderer konnte damit nicht einmal dem Seidenbleichen entkommen. Und das nur, weil sie unterschiedlichen Gebrauch davon machten. Ihr hattet jetzt Flaschenkürbisse, die fünf Eimer fassten, warum habt Ihr sie nicht ausgehöhlt, große Tonnen daraus gemacht, um damit auf den Flüssen und Seen umherzufahren? Stattdessen betrübt Ihr Euch, weil sie zu flach sind und man nichts hineinfüllen kann. Das heißt, dass Euer Geist mit Rankengewirr verstopft ist.«
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Huizi sagte zu Zhuangzi: »Ich habe einen großen Baum, die Leute nennen ihn chu. Sein Stamm ist so knorrig, dass die [mit Tusche eingefärbte] Schlagschnur ihn nicht trifft, und seine Zweige so krumm, dass man weder Zirkel noch Winkelmaß ansetzen kann. Stünde er am Wegesrand, würde kein Zimmermann ihn beachten. Und genauso sind Eure Worte, groß, aber
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Frei und ungehindert umherstreifen
nutzlos, und so kehrt sich die Menge geschlossen [von Euch] ab.« Zhuangzi sagte: »Habt Ihr noch nie Wildkatze oder Wiesel gesehen? Mit geducktem Körper liegen sie auf dem Bauch und lauern auf vorüberkommende [Beute]. Nach Osten und Westen springen sie und scheuen sich weder vor Höhe noch Tiefe. Dann landen sie in der Falle und sterben im Netz. Das Yak hingegen ist groß wie die Wolken, die am Himmel hängen. Es ist wirklich groß, aber es kann keine Mäuse fangen. Ihr habt nun einen großen Baum und klagt, er sei nutzlos. Warum pflanzt Ihr ihn nicht an einem Ort, wo es nichts gibt, im weiten Ödland, wandert in seiner Nähe umher, ohne etwas zu tun – frei und ungehindert – und legt euch zum Schlafen darunter? Er wird nicht von Axt oder Beil gefällt werden und nichts kann ihm schaden. Wo nichts zu gebrauchen ist, was gibt es da zu befürchten?«
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Kapitel 2 – Übersicht
Das zweite Kapitel trägt den Titel »Reflexionen über die Gleichheit der Dinge« Qiwulun 斉物論. Es handelt sich um einen inhaltlich sehr anspruchsvollen Text, der – bei aller Disparatheit des Werks – vielleicht als repräsentativ für die ganze Philosophie des Zhuangzi gelten kann. Die Texte fragen nach der Lebenshaltung des daoistischen Weisen und wie sie verwirklicht werden kann. Die Übersetzung des Titels folgt Ma Xulun und Wang Shumin, beide haben die zuvor lange Zeit als eine alternative Interpretation des Titels akzeptierte Lesung »Die Gleichheit der Reflexionen über die Dinge« als unzutreffend beurteilt, und ihnen folgen die aktuellen Kommentare. Im ersten Abschnitt wird das Thema Meditation angesprochen, und obwohl sich im Buch Zhuangzi nur vereinzelt Hinweise darauf finden, wie man sich die Versenkungsübungen der frühen Daoisten konkret vorzustellen hat, muss man wohl davon ausgehen, dass sie auf dem Pfad ihrer Selbstkultivierung eine wesentliche Rolle spielten. In diesem Kontext wird auch die Frage nach dem ersten Urheber (prima causa) aufgeworfen, jedoch ohne dass sie beantwortet würde. Der folgende Abschnitt versucht, die psychologische Verfasstheit des Menschen und das Wesen von persönlicher Identität und Bewusstsein zu enträtseln. Ist es das Ich, aus dem Freude, Zorn, Kummer usw. hervorgehen, oder sind Ich und Bewusstsein umgekehrt abgeleitete Funktionen der Wahrnehmung? Analoge Fragen werden auch heute in der Bewusstseinsforschung heiß diskutiert. Mit einer skeptischen Sprachanalyse und der Frage nach den Bedingungen für sinnvolle Aussagen und begründete Meinungen beschäftigt sich der dritte Abschnitt. Vom quasi-monistischen Standpunkt der »Gleichheit der Dinge« aus beurteilt sind Bejahung und Verneinung letztlich nicht mehr als zwei Seiten einer Medaille, und alle dualistischen Fragenstellungen müssen unentschieden bleiben.
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Kapitel 2 – Übersicht
Die Abschnitte vier bis sechs unterziehen einige der zeitgenössischen Traditionen der klassischen chinesischen Philosophie und ihre Schlussfolgerungen einer radikalen Prüfung. Die Kritik an der Gültigkeit dieser Lehren beginnt mit der Widerlegung scheinbar offenkundiger logischer und ästhetischer Urteile. Wie sollen sinnvolle Aussagen über die letzten Dinge möglich sein, wenn sich sogar scheinbar Offenkundiges so leicht widerlegen lässt? Dieses Thema wird in Abschnitt neun weiter ausgeführt, nachdem im achten Abschnitt ein Text über das Dao eingeschoben ist, der stellenweise an Formulierungen des Daodejing erinnert. Der kurze zehnte Abschnitt enthält volkstümliche Vorstellungen vom daoistischen Weisen als einem Menschen, der außerhalb der Gefahren der physischen Welt lebt. Der dem zweiten Kapitel zugrunde liegende Skeptizismus gipfelt im elften Abschnitt in der Frage, ob Schein und Wirklichkeit, Leben und Tod überhaupt mit Sicherheit unterschieden werden können. Auf dieser Grundlage, oder vielmehr nach der Auflösung aller verlässlichen Grundlagen, beginnt die Auseinandersetzung mit den ethischen Lebensregeln des Konfuzianismus und den fraglichen Gewissheiten, auf denen sie gegründet sind. Auch diese Diskussion wird in den folgenden Kapiteln weitergeführt. Das zweite Kapitel endet mit zwei kurzen Geschichten, nämlich mit dem kuriosen Gespräch zwischen Halbschatten und Schatten über die Bedingungen der Freiheit und dem berühmten Schmetterlingstraum des Zhuang Zhou, der die Frage nach Schein und Wirklichkeit noch einmal anschaulich macht.
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Kapitel 2 Reflexionen über die Gleichheit der Dinge
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Ziqi von der Südmauer saß auf die Armstütze gelehnt, blickte zum Himmel und atmete tief. Er wirkte selbstvergessen, so als wäre ihm sein Körper entfallen. Yancheng Ziyou stellte sich vor ihn hin und sagte: »Was ist passiert? Kann man den Körper wirklich wie einen verdorrten Baum und den Geist wirklich wie tote Asche werden lassen? Der jetzt an der Armlehne sitzt, ist nicht der, der zuvor an der Armlehne saß.« Ziqi sagte: »Yan, es ist gut, dass du danach fragst. Gerade habe ich mein Ich vergessen, verstehst du das? Du hast zwar die Flöten der Menschen gehört, aber noch nicht die Flöten der Erde. Und hast du auch die Flöten der Erde gehört, so hast du doch noch nie die Flöten des Himmels vernommen.« Ziyou sagte: »Ich muss Euch nach diesem Zustand fragen.« Ziqi sagte: »Das Stöhnen des Erdballs, das nennen wir Wind. Er weht nicht ständig, aber wenn er weht, dann wütet es schallend in allen Löchern. Hast du dieses Heulen noch nie gehört? Die gewundenen Bergkämme und die Höhlungen der Bäume, hundert Armlängen hoch, sind geformt wie Nasen, wie Münder, wie Ohren, wie Weinflaschen, wie Weinschalen, wie Mörser, wie tiefe Weiher oder wie schmale Buchten. Sie jaulen, sie johlen, sie keifen, sie schnauben, sie brüllen, sie schluchzen, sie dröhnen und jammern. Zuerst zischt es, anschließend grollt es. Bei sanftem Lufthauch ein leichter Klang, im Wirbelwind eine große Symphonie. Und wenn der Sturm sich legt, sind alle Löcher wieder leer. Hast du noch nie das Rauschen und Schwanken [der Bäume im Wind] gesehen?« Ziyou sagte: »Die Flöten der Erde sind also alle möglichen 36 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Reflexionen über die Gleichheit der Dinge
Löcher und die Flöten der Menschen sind verschiedene Bambusrohre. Dann muss ich [Euch] nach den Flöten des Himmels fragen.« Ziqi sagte: »Ihr Spiel ist mannigfaltig und nicht einheitlich, außerdem [erklingen] sie von sich aus. Alle stimmen [ihre Töne] von selbst an. Wer wäre [als] der Urheber [nennbar]?«
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2 Großes Wissen ist gelassen und gütig, kleines Wissen nörgelt und drängt sich auf. Große Worte sind anmutig und schlicht, kleine Worte langweilen und bereiten Verdruss. Im Schlaf verstrickt sich die Traumseele und im Wachen ist der Körper [mit den Sinnesorganen] offen [für Welt]. Gemeinsam verursachen sie Schwierigkeiten, und der Geist ist täglich in Aufruhr. Manchmal ist man haltlos, manchmal tief verstrickt, ein anderes Mal beschränkt. Kleine Ängste lassen zaudern und zittern, große Angst macht blass und lähmt. So wie der Pfeil von der Bogensehne schnellt, urteilt man über richtig und falsch. Als ob es gelte, ein heiliges Versprechen einzuhalten, so verteidigt man seinen Gewinn. Dem Absterben im Herbst und Winter gleicht der tägliche Verfall [solcher Menschen]. Wer darin einmal versunken ist, für den gibt es keine Rettung mehr. Wie verschnürt und mit Seilen gefesselt wird er alt und welk. Ein Geist, der schon dem Tod geweiht ist, kann nicht mehr zurück ins Leben gebracht werden. Freude und Zorn, Kummer und Glück, Grübeln und Bedauern, Wankelmut und Sturheit, Liebreiz und Wildheit, Offenheit und Verstellung entstehen wie Musik [einer Flöte] aus der Leere [des Bambus] oder wie Pilze, die in der feuchten Hitze [aus dem Nichts] wachsen. Tag und Nacht wechseln [die Stimmungen und Situationen] einander ab, und wir verstehen nicht, woher sie entspringen. Doch halten wir inne, halten wir inne! Tagein, tagaus werden sie uns zuteil – sind sie es etwa, wovon unser Leben abhängt? Ohne jene [Gemütsbewegungen] gäbe es kein Ich, und 37 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 2 •
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ohne ein Ich gäbe es für sie keinen Ansatzpunkt. Das ist zwar nahe [am tatsächlichen Sachverhalt], aber wir verstehen nicht, wodurch sie ausgelöst werden. Es ist gerade so, als ob es einen wirklichen Anführer gäbe, aber wir können keine seiner Kennzeichen ausfindig machen. Sein Wirken ist sicher, aber seine Gestalt unsichtbar. Er hat eine Realität, aber keine Gestalt. Es sind im Körper hundert Gelenke, neun Öffnungen und sechs Organe angeordnet, welchen davon soll ich mich besonders vertraut fühlen? Erfreust du dich an allen? Hast du vielleicht besondere Vorlieben? Betrachtest du sie alle gleichermaßen als Diener? Doch wären sie alle Diener, wie könnten sie sich gegenseitig kontrollieren? Machen sie sich einander abwechselnd zu Herrschern und Dienern? Oder gibt es unter ihnen etwa einen wahren Herrscher? Ob man aber die tatsächlichen Zusammenhänge versteht oder nicht, es bringt hinsichtlich der Wirklichkeit keine Vor- oder Nachteile. Haben wir einmal diesen natürlich entstandenen Körper erhalten, können wir ihn nicht abändern und müssen warten, bis er vergeht. Manchmal reiben wir uns an den Dingen, und manchmal lassen wir uns von ihnen verbiegen, so erschöpft sich der Gang unseres Lebens wie der unaufhaltsame Galopp eines Pferdes – ist das nicht jämmerlich? Unser ganzes Lebens plagen wir uns ab, ohne einen Erfolg zu sehen, und wir kennen keinen Zufluchtsort, wenn wir vom Schaffen ermattet sind – ist das nicht beklagenswert? Die Leute sagen zwar, man sei nicht tot, aber was für einen Wert hat es, so zu leben? Der Körper verkümmert und mit ihm der Geist. Muss man das nicht als tragisch bezeichnen? Ist das Leben der Menschen grundsätzlich in solcher Düsternis? Oder ist nur mein eigenes Leben düster, und es gibt Menschen, die nicht düster leben? Richtete man sich an seinem natürlich entstandenen Geist aus und nähme ihn zum Meister, wer hätte dann keinen Meister? Warum sollte man erst den Wandel begreifen müssen, um mit dem eigenen Geist urteilen zu können und ihn [zum Meister] zu haben? Jeder Tor hat doch [seinen eigenen]. Ein Urteil 38 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Reflexionen über die Gleichheit der Dinge
zwischen richtig und falsch fällen zu wollen, bevor es im Geist ausgereift ist, das wäre, wie heute nach Yue zu fahren, obwohl man gestern schon dort angekommen ist. Das wäre so, als ob man von dem, was es nicht gibt, sagte, dass es vorhanden sei. Wenn man von dem, was es nicht gibt, sagte, es sei vorhanden, dann könnte das nicht einmal der göttliche Weise Yu verstehen. Wie sollte ausgerechnet ich [das verstehen]?
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3 Sprechen ist kein bloßes Ausstoßen von Tönen. Beim Sprechen gibt es Wörter. Worauf sich die Wörter beziehen, hängt aber vom Einzelnen ab und liegt nicht eindeutig fest. Gibt es überhaupt [sinnvolles] Sprechen, oder ist es vielmehr so, dass gar nichts ausgesagt wird? Wir meinen zwar, unser Sprechen sei verschieden vom Piepen der Küken, aber gibt es wirklich einen Unterschied? Oder gibt es vielleicht gar keinen Unterschied? Auf welcher Grundlage könnte das Dao wahr oder trügerisch sein? Auf welcher Grundlage könnte die Sprache echt oder falsch sein? Wohin man auch geht, wo fände man nicht das [wahre] Dao? Und wo sollte es keine [echte] Sprache geben? Ein relatives Dao rührt von kleinlichen Unterfangen und eine verfälschte Sprache von blühender Eitelkeit her. Deshalb gibt es Kontroversen wie die zwischen Konfuzianern und Mohisten. Wo die einen ablehnen, stimmen die anderen zu, und wo die einen zustimmen, lehnen die anderen ab. Will man [kleinliche] Ablehnung in Zustimmung [korrigieren] und [kleinliche] Zustimmung in Ablehnung [korrigieren], kommt nichts dem Gebrauch der Klarheit gleich. Es gibt nichts, was nicht auch »jenes« wäre, und es gibt nichts, was nicht auch »dieses« wäre. Etwas vom eigenen Standpunkt als »jenes« zu betrachten, heißt, es nicht zu erkennen. Etwas vom eigenen Standpunkt zu verstehen, heißt es als »das hier« zu verstehen. Deshalb heißt es: »Jenes entsteht aus diesem 39 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 2
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und dieses hängt wiederum von jenem ab.« Das ist die Lehre vom gleichzeitigen Entstehen von jenem und diesem. Ihr gleichzeitiges Entstehen ist zugleich ihr Vergehen und ihr gleichzeitiges Vergehen ist zugleich ihr Entstehen. Stimmt man [einer Meinung] zu, lehnt man zugleich [eine andere] ab. Lehnt man [eine Meinung] ab, stimmt man zugleich [einer anderen] zu. Richtig hängt von falsch, falsch hängt von richtig ab. Der Weise verlässt sich nicht darauf, sondern betrachtet alles im Schein des [natürlichen] Himmels und vertraut ganz dem So-Sein. »Dieses« ist für ihn zugleich »jenes« und »jenes« zugleich »dieses«. »Jenes« ist ein [relatives] Urteil über richtig und falsch, und »dieses« ist ein [relatives] Urteil über richtig und falsch. Gibt es [für ihn überhaupt] sowohl »jenes« als auch »dieses«? Oder gibt es für ihn weder »jenes« noch »dieses«? »Jenes« und »dieses« nicht mehr als Gegensätze zu betrachten, das nenne ich die Achse des Dao. Wenn die Achse die Mitte ihres Ringes findet, kann sie ohne Einschränkung reagieren. »Ja« ist dann ebenso ein uneingeschränktes »Ja« wie »Nein« ein uneingeschränktes »Nein« ist. Deshalb heißt es: »Nichts kommt dem Gebrauch der Klarheit gleich.«
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Mit einem Finger zu zeigen, dass ein Finger kein Finger ist, ist nicht so gut wie mit etwas, das kein Finger ist, zu zeigen, dass etwas kein Finger ist. Mit einem Pferd zu zeigen, dass ein Pferd kein Pferd ist, ist nicht so gut wie mit etwas, das kein Pferd ist, zu zeigen, dass etwas kein Pferd ist. Himmel und Erde sind so wie ein Finger. Alle Dinge sind so wie ein Pferd. Etwas ist gut, weil es jemand für gut befindet. Etwas anderes ist schlecht, weil es jemand für schlecht befindet. Ein Weg wird erst dadurch [zum Weg], dass jemand ihn geht. Die Dinge werden erst dadurch [zu Dingen], indem man sie benennt. Was macht das So-Sein aus? Das So-Sein macht das So-Sein aus. Was macht das Nicht-So40 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Reflexionen über die Gleichheit der Dinge
Sein aus? Das Nicht-So-Sein macht das Nicht-So-Sein aus. Die Dinge haben ihr ursprüngliches So-Sein, und die Dinge haben ihre ursprüngliche Güte. Kein Ding ist ohne So-Sein, und kein Ding ist an sich schlecht. Deshalb gilt: Was wir als dürre Stängel oder mächtige Pfeiler, als einen entstellten Leprakranken oder [die legendäre Schönheit] Xi Shi ansehen, als absonderlich oder rätselhaft – das Dao verbindet alles und erzeugt Einheit. Wo es Zerfall gibt, gibt es Wachstum, und wo es Wachstum gibt, gibt es Zerfall. Die Dinge haben [aber] ursprünglich weder Wachstum noch Zerfall, sondern sind in Einheit aufeinander bezogen. Nur wer [das Dao] erlangt hat, kennt das Bezogensein [aller Dinge] in Einheit. Deshalb beurteilt er sie nicht, sondern überlässt sie ihrem alltäglichen Wirken. Ihr alltägliches Wirken ist [die ihnen gemäße] Funktion, ihre Funktion ist ihr Bezogensein, ihr Bezogensein ist ihr Vorzug. Den angemessenen Vorzug [aller Dinge] auszuschöpfen und sich ganz darauf zu verlassen, ohne sich dessen bewusst zu sein, das nenne ich das Dao. Seinen Geist zu ermatten, um Einheit zu schaffen, ohne zu verstehen, dass es gleichgültig ist, das nenne ich: »Morgens drei«. Warum sage ich: »Morgens drei«? Es heißt, ein Affendompteur habe Kastanien aufgeteilt und zu seinen Affen gesagt: »Morgens [gebe ich euch] drei und abends vier«, da seien alle Affen wütend geworden. Als er ihnen aber gesagt habe: »Morgens [gebe ich euch] vier und abends drei«, seien die Affen froh gewesen. Ohne bei den Worten noch beim Inhalt Abstriche zu machen, verursachte er Wut oder Freude. Er vertraute ganz auf das So-Sein. So schafft der Weise Harmonie und bringt richtig und falsch in der Gleichheit des Himmels zur Ruhe. Das nenne ich auf beiden Wegen gehen. Die Menschen in alter Zeit waren zum Ort dieser Erkenntnis gelangt. Wohin waren sie gelangt? Für einige existierten ursprünglich überhaupt keine Dinge. Sie waren bis zum Äußersten gegangen, wo nichts mehr hinzugetan werden kann. Für die nächsten existierten zwar die Dinge, aber keine Begrenzungen. Für die nächsten existierten zwar Begrenzungen, aber ursprüng41 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 2
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lich kein richtig und falsch. Wenn richtig und falsch aufscheinen, dort wird das Dao geschmälert. Wo das Dao geschmälert wird, dort entwickeln sich Vorlieben. Doch gibt es wirklich Entwicklung und Schmälerung? Oder gibt es eigentlich weder Entwicklung noch Schmälerung? Wenn es Entwicklung und Schmälerung gibt, ist das wie Zhao Shi, wenn er die Zither spielt. Wenn es weder Entwicklung noch Schmälerung gibt, ist das wie Zhao Shi, wenn er nicht die Zither spielt. Zhao Wens Spielen der Zither, Meister Kuangs Einführung der Griffstege [der Zither] und Huizis Lehnen am Tisch [beim Philosophieren] – war die Erkenntnis der drei Meister vollendet? Alle waren sie herausragende Gestalten, deshalb wurden [ihre Namen] bis heute überliefert. Nur an diesem [einen Gegenstand] hatten sie Gefallen, dadurch unterschieden sie sich von anderen. Weil sie daran Gefallen hatten, wollten sie es erhellen. Was andere nicht erhellen konnten, das wollten sie erhellen, deshalb endigten sie in der Finsternis von [leeren Diskursen wie über die] Härte und Weiße [eines Steins]. Und Zhao Wens Sohn beendete sein Leben mit den Saiten der Zither, ohne je zur Meisterschaft zu gelangen. Kann man da sagen, die Meisterschaft sei [vom Vater wirklich] erlangt worden? Dann habe auch ich die Meisterschaft erlangt. Wenn man das aber nicht als Meisterschaft bezeichnen kann, dann gibt es weder für mich noch für irgendetwas anderes Meisterschaft. Darum schätzt der Weise den funkelnden Schein gering, der in Verwirrung und Zweifel führt, macht keinen Gebrauch davon und überlässt sich dem Gewöhnlichen. Das nenne ich den Gebrauch der Klarheit.
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Jetzt mache ich hier eine Aussage. Ich weiß nicht, ob sie diesem [was ich meine] nahekommt, oder ob sie diesem [was ich meine] nicht nahekommt. Sie mag ihm nahekommen, oder sie mag ihm nicht nahekommen; aber bereits dadurch, dass ich versuche, bei42 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Reflexionen über die Gleichheit der Dinge
de einander anzunähern, ist die Aussage von jenem [was eigentlich nicht gemeint ist] nicht mehr zu unterscheiden. Trotzdem mache ich vorläufig eine Aussage: Es gibt einen Anfang und es gibt ein »vor dem Beginn des Anfangs«. Und es gibt [ein weiteres Davor,] als »vor dem Beginn des Anfangs« noch nicht war. Es gibt das Sein und es gibt das Nichts. Und es gibt ein »vor dem Beginn des Nichts«. Und es gibt [ein weiteres Davor,] als »vor dem Beginn des Nichts« noch nicht war. Plötzlich sind da Sein und Nichts, aber ich weiß nicht, was eigentlich das Sein und was eigentlich das Nichts ist. Jetzt habe ich etwas ausgesagt, aber ich weiß nicht, ob das, was gesagt ist, tatsächlich eine Aussage ist oder ob es keine Aussage ist. Unter dem Himmel ist nichts größer als die Spitze eines Flaumhärchens im Herbst, und der Berg Tai Shan ist klein. Niemand ist älter als ein totes Kind, und Pengzu starb jung. Himmel und Erde entstanden zusammen mit mir, und alle Dinge und ich sind eins. Wenn wir bereits eins sind, wie sollte eine Aussage möglich sein? Wenn ich aber bereits gesagt habe, dass wir eins sind, wie sollte es dann möglich sein, keine Aussage zu machen? Das Eine und die Aussage sind zwei. Zwei und das [ursprüngliche] Eine ergeben drei. Von hier aus weiterzugehen, vermochte nicht einmal ein geschickter Rechner, umso weniger ein einfacher Mensch. Denn wenn man den Schritt vom Nichts zum Sein macht, gelangt man zu dreien; zu wie viel mehr aber, wenn man vom Sein zum Sein voranschreitet. Ohne weiterzugehen, überlasse ich mich diesem [das einfach nur ist].
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6 Weil das Dao im Grunde grenzenlos und Worte im Grunde unbeständig sind, deshalb haben wir Begrenzungen. Ich sage etwas zu diesen Begrenzungen: Es gibt links, und es gibt rechts, es gibt Erläuterungen, und es gibt Meinungen, es gibt Einteilungen, und es gibt Argumente, es gibt Rivalität, und es gibt Streit. Das 43 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 2 • •
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sind die so genannten »acht Tugenden«. Der Weise mag anerkennen, dass etwas außerhalb der sechs Richtungen existiert, aber er erörtert es nicht. Was innerhalb der sechs Richtungen liegt, mag der Weise erörtern, aber er hat keine Meinung dazu. Zu den Aufzeichnungen über die einstigen Fürsten in den Chroniken von Frühling und Herbst mag der Weise eine Meinung haben, aber er diskutiert nicht darüber. Denn beim Einteilen bleibt stets etwas nicht eingeteilt, und beim Diskutieren bleibt stets etwas nicht diskutiert. Was ist damit gemeint? Der Weise bewahrt in seiner Brust, worüber die Menschen argumentieren und was sie einander zeigen. Deshalb sage ich: »Beim Diskutieren wird mancherlei übersehen.«
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Das große Dao kann nicht benannt werden, große Argumente werden nicht ausgesprochen, große Menschlichkeit ist nicht mildtätig, große Redlichkeit ist nicht zurückhaltend, und große Tapferkeit ist nicht streitsüchtig. Wenn das Dao aufscheint, ist es nicht das wahre Dao; werden Argumente ausgesprochen, finden sie kein Gehör; ist die Menschlichkeit gewöhnlich, ist sie nicht umfassend; ist die Redlichkeit makellos, ist sie nicht vertrauenswürdig, und wenn die Tapferkeit streitsüchtig ist, führt sie nicht zum Erfolg. Diese fünf sind ursprünglich rund, aber sie werden eckig gemacht. Deshalb hat die Erkenntnis dann ihr Äußerstes erlangt, wenn sie dort verweilt, wo nichts mehr gewusst werden kann; denn wer vermochte unausgesprochene Argumente oder das Dao, das nicht das Dao ist, zu erkennen? Wer das zu erkennen vermochte, den würde ich als himmelsgleichen Speicher bezeichnen. Wie viel man auch hineingösse, er füllte sich nicht – wie viel man auch herausnähme, er erschöpfte sich nie, und man wüsste nicht den Grund. Das nenne ich das verborgene Licht.
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Reflexionen über die Gleichheit der Dinge
8 In alter Zeit wandte sich Yao an Shun: »Ich will die Staaten Zong, Kuai und Xu’ao erobern, denn obwohl ich den Thron innehabe, bin ich nicht heiter und gelassen. Warum ist das so?« Shun sagte: »Die drei Fürsten dieser Staaten leben doch wie zwischen wildem Gestrüpp, wie könnten sie dir die heitere Gelassenheit rauben? Früher gingen einmal zehn Sonnen zugleich auf und warfen ihr Licht ausnahmslos auf alle Dinge. Übertrifft deine Tugend nicht sogar noch diese Sonnen?«
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9 Nie Que fragte Wang Ni: »Wisst Ihr, was für alle Dinge gleichermaßen gültig ist?« Wang Ni sagte: »Wie sollte ich das wissen?« Nie Que: »Wisst Ihr, was Ihr nicht wisst?« Wang Ni sagte: »Wie sollte ich das wissen?« Nie Que: »Bedeutet das, dass Ihr kein Wissen über die Dinge habt?« Wang Ni sagte: »Wie sollte ich das wissen? Doch ich werde versuchen, etwas zu sagen. Wie sollte ich wissen, ob das, was ich Wissen nenne, nicht eigentlich Unwissen ist? Und wie sollte ich wissen, ob das, was ich Unwissen nenne, nicht eigentlich Wissen ist? Nun stelle ich Euch ein paar Fragen: Menschen, die im Feuchten schlafen, bekommen Rückenleiden, werden halbseitig gelähmt und sterben, aber was ist mit den Schmerlen? Auf den Bäumen zittern und schaudern wir vor Angst, aber was ist mit den Affen? Wer von den dreien kennt nun den richtigen Ort zum Leben? Menschen essen das Fleisch ihrer mit Gras oder Getreide gefütterten Tiere, der Hirsch frisst Gräser, dem Hundertfüßer mundet die Schlange, während Milan und Krähe Mäuse zu schätzen wissen. Wer von den vieren kennt nun den richtigen Wohlgeschmack? Der Affe nimmt sich die Äffin zum Weibchen, der Hirsch paart sich mit der Hirschkuh, und die Schmerle vergnügt sich mit Fischen. Mao Qiang und die Dame Li gelten unter den Menschen als 45 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 2
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schön, aber wenn Fische sie sehen, tauchen sie in die Tiefe, wenn Vögel sie sehen, fliegen sie in die Höhe, und wenn Hirsche sie sehen, rennen sie zweifellos davon. Wer von den vieren kennt nun die richtige Schönheit unter dem Himmel? So wie ich es sehe, sind die Richtlinien von Menschlichkeit und Gerechtigkeit sowie die Pfade von richtig und falsch durcheinandergeraten und unentwirrbar. Wie sollte ich den Unterschied kennen?«
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Nie Que sagte: »Ihr kennt weder Gewinn noch Verlust. Bedeutet das, dass [auch] der Vollendete selbstverständlich keinen Gewinn und keinen Verlust kennt?« Wang Ni sagte: »Der Vollendete ist gottgleich. Stünden die großen Sumpfländer in Flammen, könnte ihn das nicht verbrennen; würden die Wasser des Gelben Flusses und des Han-Flusses gefrieren, könnte ihn das nicht erfrieren lassen; wenn jähe Blitze die Berge zerschmetterten und Wirbelwinde das Meer aufpeitschten, könnte ihn das nicht erschrecken. So ein Mensch reitet auf Wolken und Dunst, setzt sich auf Sonne und Mond und ist außerhalb der vier Meere unterwegs. Tod und Leben erschüttern ihn nicht, umso weniger der Unterschied zwischen Gewinn oder Verlust.«
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Ju Quezi fragte Zhang Wuzi: »Ich habe Folgendes von Meister [Konfuzius] gehört: ›Ein [daoistischer] Weiser müht sich nicht mit alltäglichen Geschäften, er verfolgt weder Gewinn, noch vermeidet er Verlust. Er erfreut sich nicht am Streben [nach dem Dao] und bindet sich nicht [bewusst daran]. Wenn er nichts sagt, spricht er, und wenn er spricht, sagt er nichts. So weilt er außerhalb der irdischen Welt.‹ Der Meister hält das für leichtfertiges Gerede, aber ich halte es für die Praxis des unübertreff46 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Reflexionen über die Gleichheit der Dinge
lichen Dao. Was haltet Ihr davon?« Zhang Wuzi sagte: »Selbst der Gelbe Kaiser wäre ratlos, wenn er das hörte. Wie sollte Qiu das verstehen können? Außerdem bist du viel zu schnell in deiner Bewertung. Du siehst das Ei und wünschst, dass es dir nachts [wie ein Hahn] die Zeit meldet, du siehst den Bolzen [für die Armbrust] und wünschst dir schon die [geschossene und] gebratene Eule. Ich werde dir ein paar gewagte Worte sagen, und wie wäre es, wenn du sie gewagt hören würdest? [Ein Weiser] ist Sonne und Mond ebenbürtig und trägt das Weltall unter dem Arm. Er schafft vollkommene Harmonie [unter den Dingen] und belässt alles im Chaos. Sklaven sind ihm edel. Die Masse der Menschen müht sich ab, aber der Weise ist einfältig und langsam. Abertausende von Jahren hat er teil am Wandel und bleibt doch im Einklang mit der vollkommenen Reinheit. Alle Dinge sind für ihn, so wie sie sind, und so umfasst er sie. Wie kann ich wissen, ob meine Freude über das Leben nicht eine Täuschung ist? Wie kann ich wissen, dass ich, der ich den Tod hasse, nicht bin wie einer, der in jungen Jahren die Heimat verlor und den Rückweg nicht mehr kennt? Die Dame Li war ursprünglich die Tochter eines Grenzbeamten in Ai. Als sie vom Staate Jin verschleppt wurde, weinte sie zunächst, bis ihr Kragen nass war. Doch als sie zum Palast kam, mit dem König das Bett teilte und die köstlichen Speisen genoss, bereute sie ihre Tränen. Wie kann ich wissen, ob nicht auch die Toten ihre frühere Anhänglichkeit gegenüber dem Leben bereuen? Die im Traum Wein trinken, weinen am Morgen. Die im Traum weinen, gehen am Morgen zur Jagd. Beim Träumen weiß man nicht, dass es ein Traum ist. Wer im Traum noch seinen Traum deutet, weiß erst nach dem Erwachen, dass er geträumt hat. Ebenso gibt es ein großes Erwachen, wonach man [das bisherige Leben als] einen großen Traum erkennt. Aber die Törichten halten sich für erwacht und behaupten zu wissen, wer Herrscher und wer Viehhirte ist. Wie starrsinnig! Qiu und du – ihr seid alle Träumer. Und wenn ich dich einen Träumer nenne, so ist auch das ein Traum. Meine Worte werden [von der Menge] 47 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 2
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als überaus merkwürdig bezeichnet. Würde man nach zehntausend Generationen einmal einem großen Weisen begegnen, der ihre Bedeutung verstünde, wäre das [noch vergleichsweise häufig, etwa] so wie ihm morgens und abends zu begegnen. Gesetzt den Fall, ich und du hätten einen Disput, in dem du mich besiegt und ich dich nicht besiegt hätte, hättest du dann tatsächlich recht und ich tatsächlich unrecht? Wenn ich dich besiegt und du mich nicht besiegt hättest, hätte ich dann tatsächlich recht und du tatsächlich unrecht? Hat der eine recht und der andere unrecht? Haben beide recht und beide unrecht? Ich und du – wir beide können das nicht wissen und eine andere Person wäre umso mehr dieser Undurchschaubarkeit ausgeliefert. Wen sollte ich urteilen lassen? Ließe man jemanden urteilen, der deiner Meinung wäre, hätte er schon deine Meinung. Könnte er dann urteilen? Ließe man jemanden urteilen, der meiner Meinung wäre, hätte er bereits meine Meinung. Könnte er dann urteilen? Ließe man jemanden urteilen, der weder meiner noch deiner Meinung wäre, hätte er schon eine andere Meinung als ich und du. Könnte er dann urteilen? Ließe man jemanden urteilen, der meiner und deiner Meinung wäre, hätte er schon die gleiche Meinung wie ich und du. Könnte er dann urteilen? Wenn dem so ist, dann können weder ich noch du noch ein Dritter entscheiden. Sollen wir vielleicht auf [noch] jemand anderen warten? Wenn veränderliche Aussagen voneinander abhängen, dann ist das gerade so, als ob sie nicht voneinander abhingen [und somit völlig unbegründet wären]. Man bringe sie durch das himmlische Gleichgewicht in Harmonie und überlasse sie ihren endlosen Umformungen – so vollende man seine Lebensjahre. Was ist gemeint, wenn ich sage, man bringe sie durch das himmlische Gleichgewicht in Harmonie? Ich meine: Richtig ist unrichtig und natürlich ist unnatürlich. Denn wenn richtig tatsächlich richtig wäre, dann wären richtig und unrichtig eindeutig zu unterscheiden und wir hätten keinen Disput. Und wenn natürlich tatsächlich natürlich wäre, dann wären natürlich 48 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Reflexionen über die Gleichheit der Dinge
und unnatürlich [eindeutig] zu unterscheiden und wir hätten keinen Disput. Vergiss die Jahre, vergiss die Gerechtigkeit, wirke im Grenzenlosen, so wirst du im Grenzenlosen verweilen.«
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12 Der Halbschatten fragte den Schatten: »Vorhin bist du gegangen, jetzt hältst du inne, vorhin hast du gesessen, jetzt stehst du, warum bist du so unentschlossen?« Der Schatten sagte: »Gibt es etwas, wovon es abhängt, dass ich so bin? Hat das, wovon es abhängt, wiederum etwas, wovon es abhängt, dass es so ist? Bin ich [in meinen Bewegungen] abhängig wie die Schlange von ihren Bauchschuppen oder die Abendzikade von ihrem Panzer? Wie könnte ich wissen, ob es so ist, und wie könnte ich wissen, ob es nicht so ist?«
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13 Einst träumte Zhuang Zhou, er sei ein Schmetterling, ein Schmetterling, der umherflatterte, mit sich selbst zufrieden, alle Wünsche erfüllt. Er wusste nichts von Zhou. Als er plötzlich erwachte, war er Zhou, der erschrocken umherblickte. Er wusste nicht, ob Zhou zuvor geträumt hatte, ein Schmetterling gewesen zu sein, oder ob der Schmetterling jetzt träumte, Zhou zu sein. Zwischen Zhou und dem Schmetterling musste es doch einen Unterschied geben. Das nenne ich den Wandel der Dinge.
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Kapitel 3 – Übersicht
»Das Wesentliche bei der Kultivierung des Lebens« Yangshengzhu 養 生主 ist der Titel, den das dritte Kapitel trägt, nach einer anderen Lesart könnte man den Titel auch »Das Wesentliche des Lebens kultivieren« übersetzen. Wie man, besonders in Zeiten äußerlich schwieriger Lebensbedingungen, in denen die Texte entstanden sind, sein Leben erhalten, kultivieren bzw. gestalten kann, ist ein großes Thema, das wichtige und grundsätzliche Fragen aufwirft. Leider ist dieses Kapitel nur als eine Sammlung von Fragmenten erhalten, deren inhaltliche Bezüge kaum mehr erkennbar sind. Es ist aber zumindest ersichtlich, dass hier auch die Grundlagen für viel spätere Entwicklungen im Daoismus gelegt werden, die unter dem gleichen Begriff »Lebenskultivierung« magische oder gesundheitsfördernde Praktiken verstanden, die volkstümlichen Vorstellungen zufolge den Menschen tatsächlich in einen körperlich »Unsterblichen« xianren 仙 人 umwandeln sollen. Nach einer kurzen Vorbemerkung über die Endlichkeit des menschlichen Lebens findet sich im zweiten und längsten Abschnitt die wohl eindrucksvollste Geschichte des Kapitels, von einem Koch namens Ding. Dieser gewinnt durch seine geradezu übermenschliche Geschicklichkeit beim Zerlegen eines Rindes die Bewunderung und die Gunst des Herrschers. Dass ausgerechnet ein so blutiges Handwerk als Musterbeispiel der Lebenskunst gewählt ist, mag den zartbesaiteten Leser befremden. Das Geheimnis seiner Geschicklichkeit liegt darin begründet, dass der Koch sein scharfes Messer nicht bewusst irgendwohin zu lenken versucht, sondern dem natürlichen Lauf der Dinge folgt, im konkreten Fall den Fasern des Fleisches. Es klingt auch hier das Thema »Nicht-Handeln« wuwei an, das ein Grundprinzip des Daoismus im Buch Zhuangzi ist, dem wir immer wieder begegnen. Auf die Lebensgestaltung übertragen, ließe sich
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Kapitel 3 – Übersicht
daraus vielleicht ableiten, dass ein Leben gelingen kann, wenn der Einzelne seine Möglichkeiten realistisch einschätzt und sich dynamisch und intuitiv auf die Chancen einstellt, die das Leben ihm bietet. Das schließt eine rigide Lebensplanung aus. Die Abschnitte drei und vier umfassen nur kurze Sentenzen, deren Kontextbezug fraglich ist. Der fünfte Abschnitt berichtet einprägsam von der Trauerfeier für den legendären Daoisten Laozi, der hier mit dem Namen Lao Dan 老聃 bezeichnet wird. Ein Freund des Verstorbenen und selbst ein Weiser zeigt am Grab nur wenig Gefühlsregung und wird von einem Schüler des verstorbenen Meisters dafür kritisiert. Die Geschichte mag kritisch auf die Überbetonung der rituellen Toten- und Ahnenverehrung abzielen, aber die Kommentare sind in diesem Punkt uneins. Die Frage nach dem Umgang mit Krankheit, Tod und dem Gedenken an die Verstorbenen wird im sechsten Kapitel noch einmal ausführlicher thematisiert. In diesen Kontext gehört auch die Metapher vom Feuer und Feuerholz, die den sechsten und letzten Abschnitt bildet. In welchem Verhältnis steht die körperliche Existenz (»Feuerholz«) zum Geist oder Bewusstsein (»Feuer«) und kann dieses ohne materielle Grundlage fortbestehen?
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Kapitel 3 Das Wesentliche bei der Kultivierung des Lebens 1
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Mein Leben hat eine Grenze, aber das Wissen hat keine Grenze. Mit etwas, das eine Grenze hat, nach etwas zu streben, das keine Grenze hat, ist heikel. Wer dennoch nach Wissen strebt, ist vollends in Gefahr. Tut man Gutes, dann ohne in die Nähe von Ruhm zu gelangen, tut man Böses, dann ohne in die Nähe einer Bestrafung zu gelangen. Man gehe beim Handeln stets von der Mitte aus, so kann man seinen Leib erhalten und so kann man seine Natur vollenden. So kann man seinen Geist kultivieren und so kann man seine Lebensjahre vollenden.
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Der Koch Ding zerlegte für den Fürsten Wen Hui ein Rind. Wohin die Hand griff, wohin die Schulter stieß, wohin der Fuß trat, wo das Knie niederging, da erklang ein Reißen [als sich das Fleisch vom Knochen löste], und das Messer bewegte sich hörbar voran, ohne je den Ton zu verfehlen. Es war wie der Tanz vom Maulbeerhain oder der Rhythmus von Jing shou. Fürst Wen Hui sagte: »Oh, das ist ausgezeichnet! Kann man es in der Kunstfertigkeit so weit bringen?« Der Koch Ding legte das Messer beiseite und sagte: »Euer Diener liebt das Dao, das über Kunstfertigkeit hinausgeht. Als Euer Diener zum ersten Mal ein Rind zerlegte, sah er nichts außer dem Rind. Nach drei Jahren sah ich das Rind nicht mehr als ganzes. Jetzt begegnet Euer Diener ihm mit dem Geist und sieht es nicht mehr mit den Augen. Das sinnliche Erfassen hat aufgehört, und der Geist 52 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Das Wesentliche bei der Kultivierung des Lebens
handelt. Ich verlasse mich auf die natürliche Maserung des Fleisches, öffne die großen Spalten und folge den großen Höhlen, dabei verlasse ich mich auf die ursprüngliche Beschaffenheit des Körpers. Ich probiere es nie bei den Haupt- oder Nebenfasern oder wo das Fleisch am Knochen festhängt zu schneiden, geschweige denn bei den großen Knochen. Ein guter Koch wechselt jedes Jahr das Messer, weil er [das Fleisch] damit schneidet. Ein durchschnittlicher Koch wechselt das Messer jeden Monat, weil er damit hackt. Jetzt ist das Messer Eures Dieners 19 Jahre alt, und ich habe damit einige tausend Rinder zerlegt. Aber die Klinge ist noch so neu, als käme sie gerade vom Schleifstein. An den Gelenken gibt es Zwischenräume, und die Klinge hat so gut wie keine Ausdehnung. Dringt man mit etwas, das keine Ausdehnung hat, in eine Öffnung ein, dann gibt es viel Platz und beim Bewegen der Klinge hat man immer genügend Spielraum. Und so ist die Klinge auch nach 19 Jahren so neu, als käme sie gerade vom Schleifstein. Aber immer wenn ich an eine verwachsene Stelle komme und sehe, wie schwierig es ist, dort etwas zu machen, schaudere ich und mein Blick hält inne. Der Fortgang wird langsam, und das Messer bewegt sich kaum noch. Mit einem dumpfen Schlag fällt dann das abgelöste Fleisch wie Erdklumpen zu Boden. Mit dem Messer in der Hand erhebe ich mich und schaue rings umher. Gelassen und mit zufriedenem Herzen wische ich das Messer ab und stecke es weg.« Fürst Wen Hui sagte: »Ausgezeichnet! Durch die Worte des Kochs habe ich die Kultivierung des Lebens erfasst.«
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3 Gongwen Xuan sah den Befehlshaber zur Rechten und sagte erschrocken: »Was bist du für ein Mensch? Warum hast du nur einen Fuß? War es der Himmel oder war das ein Mensch?« Jener sagte: »Das war der Himmel und kein Mensch. Der Himmel hat mich auf die Welt kommen und einseitig werden lassen. Die 53 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 3 •
Gestalt der Menschen ist vom Himmel gegeben. Deshalb weiß ich, dass es der Himmel und kein Mensch war.«
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Im Sumpfland geht der Fasan zehn Schritte, bis er einmal pickt, und 100 Schritte, bis er einmal trinkt. Trotzdem will er nicht im Käfig leben und gefüttert werden. Auch wenn sich dort seine Lebenskraft steigerte, gefiele es ihm nicht.
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Lao Dan war gestorben. Qin Shi trauerte um ihn, indem er dreimal laut schluchzte, dann ging er fort. Ein Schüler des Lao Dan sagte: »Wart Ihr nicht ein Freund des Meisters?« Dieser sagte: »Doch, ja.« – »Wenn dem so ist, ist es dann gut, so zu trauern?« Qin Shi sagte: »Ja. Zuvor war er für mich dieser Mensch [mein Freund Lao Dan], aber jetzt ist er das nicht mehr. Als ich vorhin hereinkam, um zu trauern, gab es Alte, die weinten, als weinten sie um ihre Kinder, und Junge, die weinten, als weinten sie um ihre Mütter. Um seinetwillen sind sie versammelt, aber sie sprechen, was er bestimmt nicht erhofft hätte, und sie weinen, wie er es nicht erhofft hätte. Das heißt, vor der Natur zu fliehen, der Wirklichkeit den Rücken zuzukehren und zu vergessen, was man empfangen hat. Die Menschen des Altertums bezeichneten das als ›Frevel der Naturflucht‹. Der Meister kam gerade, als es Zeit war, und er ging gemäß dem Lauf der Dinge. Wenn man sich der Zeit anvertraut und im Lauf der Dinge verweilt, können einem weder Trauer noch Freude dazwischengeraten. Die Menschen des Altertums nannten das ›Befreiung aus den Fesseln des Schicksalsgottes‹.«
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Das Wesentliche bei der Kultivierung des Lebens
6 Beim Feuerholzmachen kann man zwar zeigen, wo es ausbrennen wird, aber wie das Feuer sich tatsächlich fortpflanzt und wo es verglimmt, das weiß man nicht.
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Kapitel 4 – Übersicht
Der Titel des vierten Kapitels lautet »Die Welt der Menschen« Renjianshi 人間世, und es untersucht ethische Fragen im engeren Sinn. Die ersten drei Abschnitte untersuchen das Thema, wie ein Gewaltherrscher zum Wohle des Volkes beeinflusst werden könne. Entgegen der allgemeinen Tendenz im Buch Zhuangzi handelt es sich also um eine durchaus praktische Frage nach dem moralisch guten politischen Handeln. Der erste Abschnitt enthält eine Unterweisung an Yan Hui 顏囘, den Lieblingsschüler des Konfuzius, der sich wohlmeinend um die Bevölkerung eines tyrannisch regierten Nachbarlandes sorgt. Ihm wird zuallererst die Kultivierung der eigenen Innerlichkeit durch das »Fasten des Geistes« zhai xin 齋心 angeraten. Damit wird eine Form der Meditation bezeichnet, die im Verlauf des Dialogs genauer erläutert wird. Der zweite Abschnitt beschreibt die Ängste und Qualen, die ein anderer Mann erleiden muss, der als Gesandter zu einem Tyrannen geschickt werden soll. Aufrichtigkeit und schlichtes Handeln werden ihm ebenso angeraten wie Vorsicht und der Verzicht auf Aktionismus. Auch im dritten Abschnitt werden demjenigen, der einen Kronprinzen mit gewalttätigen Anlagen erziehen soll, Zurückhaltung und allergrößte Vorsicht anempfohlen. Diese ersten drei Abschnitte nennen übrigens die Namen konkreter historischer Tyrannen und sind sozusagen ein direktes Echo auf die politische Situation in dieser turbulenten Zeit in der chinesischen Geschichte, freilich ohne dass die diskutieren Fragestellungen im Laufe der Jahrtausende auch nur im Geringsten an Aktualität verloren hätten. Die folgenden Abschnitte vier und fünf führen das wichtige Thema des »Nutzens der Nutzlosigkeit« wu yong zhi yong 無用之用 ein. Ein knorriger alter Baum verdankt sein langes Leben dem Umstand, dass er für die Menschen keinerlei praktischen Nutzen hat, denn er
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Kapitel 4 – Übersicht
lässt sich zu nichts verarbeiten und wird deshalb nicht gefällt. Er erteilt einem Zimmermannsmeister, der sich abfällig über dieses »nutzlose Holz« äußert, im Traum eine Lektion. Der Weise, so die Moral der Fabel, muss für die Menschen ebenso ohne Nutzen sein, um seine Autonomie und seinen Frieden zu bewahren. Auch der sechste Abschnitt ist eine Variation dieses Themas. Der siebte Abschnitt berichtet von einem »verwachsenen Menschen«, einer Person mit einer starken körperlichen Behinderung, die, ähnlich wie der knorrige Baum, nicht befürchten muss, von den Menschen ausgenutzt zu werden, und die vom Kriegsdienst verschont bleibt. Das Kapitel schließt im achten Abschnitt mit einem Spottgedicht auf Konfuzius, das direkt an ein Zitat aus den »Gesprächen des Konfuzius« Lunyu 論語 anknüpft. So liefert es einen wertvollen Hinweis auf die historische Beziehung zwischen den beiden Texten.
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Kapitel 4 Die Welt der Menschen
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Yan Hui sah Zhong Ni und bat ihn darum, fortgehen zu dürfen. Zhong Ni sagte: »Wohin gehst du?« Yan Hui sagte: »Ich möchte nach Wei gehen.« Zhong Ni sagte: »Was willst du dort machen?« Yan Hui sagte: »Wie ich gehört habe, ist der Herrscher von Wei jung an Jahren und sein Handeln eigenwillig. Er beherrscht das Land leichtfertig und sieht seine Fehler nicht ein. Leichtfertig bringt er dem Volk den Tod, und die Toten sind unzählbar wie niedergemähtes Gras. Das Volk kann es nicht mehr ertragen. Früher habe ich Euch sagen hören, man solle ein geordnetes Land verlassen und in einem chaotischen Land wirken; am Tor des Arztes gebe es viele Kranke. Mein Wunsch ist, das zu tun, was ich gehört habe, und dieser Regel zu folgen. Bestimmt kann die Krankheit dieses Landes geheilt werden.« Zhong Ni sagte: »Ah, wenn du gehst, wirst du sicherlich nur selbst hingerichtet werden. [Unser] Dao darf nicht [mit anderen Methoden] vermischt werden. Wird es vermischt, gibt es Vielfältigkeit. Wenn es Vielfältigkeit gibt, gibt es Verwirrung. Wenn es Verwirrung gibt, gibt es Sorge. Wenn es Sorge gibt, gibt es keine Rettung mehr. Die Vollendeten des Altertums hatten es zunächst für sich selbst, erst danach gaben sie es den Menschen. Wenn man es für sich selbst noch nicht erkannt hat, wie hätte man da Zeit, sich um die Taten eines Gewaltherrschers zu kümmern? Weißt du überhaupt, was Tugend hinwegspült und Schlauheit hervorbringt? Tugend wird hinweggespült durch Ruhm, und Schlauheit wird hervorgebracht durch Streit. Mit Ruhm verletzt man einander, Schlauheit ist ein Mittel zum
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Streiten. Beides sind unheilvolle Werkzeuge und nicht das, womit man das Handeln zum Erfolg führt. Auch wenn die eigene Tugend tief und die Zuversicht gefestigt ist, hat man noch nicht die Gefühle der Menschen gewonnen. Auch wenn man selbst nicht um Ruhm streitet, hat man noch nicht die Herzen der Menschen gewonnen. Führte man trotzdem die Rede von den Richtlinien der Menschlichkeit und Gerechtigkeit ausgerechnet vor einem Gewaltherrscher, hieße das, durch jemandes Boshaftigkeit die eigenen Vorzüge anpreisen. Das nennt man: den Menschen schaden. Wer den Menschen schadet, auf den fällt dieser Schaden sicher zurück. Dir würde bestimmt Schaden durch die Menschen angetan. Und falls [der Herrscher von Wei] sich an Weisen erfreute und Törichte verabscheute, warum sollte er sich dann deiner [anstelle der Weisen seines Landes] bedienen, um eine Veränderung der Zustände anzustreben? Hör du nur auf zu predigen! Ein König oder Fürst nutzt zweifellos die Menschen kurzerhand aus und kämpft darum, sie zu gewinnen. Schwindeln wird es deinen Augen, erblassen wird dein Gesicht, rechtfertigen wird dein Mund, unterwürfig wird deine Haltung und folgsam wird dein Herz. Das hieße, sich mit Feuer gegen Feuer oder mit Wasser gegen Wasser zu schützen. Das nennt man: Übermaß noch vermehren. Wenn du dich anfangs fügst, gibt es kein Ende. Deinen tiefsinnigen Worten wird gewiss nicht vertraut, und du wirst sicher vor dem Gewaltherrscher sterben. Außerdem: Im Altertum ließ Jie den Guan Longfeng hinrichten, und Zhou ließ den Prinzen Bi Gan hinrichten. Beide hatten sich kultiviert, sie waren milde zum Volk ihrer Herren und gerieten so als Untertanen in Widerstreit mit der Obrigkeit. Deshalb entledigten sich die Herrscher ihrer – gerade wegen ihrer Kultiviertheit. Das geschah aufgrund der Liebe zu Ruhm. Im Altertum überfiel Yao die Staaten Congzhi und Xu’ao. Yu überfiel den Staat Youhu. Die Länder wurden verwüstet und die Fürsten ermordet. Sie bedienten sich unablässig ihrer Armeen, und ihr Streben nach Besitz war endlos. Diese beiden strebten 59 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 4
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nach Ruhm und Besitz. Hast du darüber nichts gehört? Gegen Ruhm und Besitz waren nicht einmal die Weisen imstande anzukommen. Umso weniger du. Aber du hast bestimmt einen Leitgedanken. Erzähle mir doch bitte davon.« Yan Hui sagte: »Aufrichtig und leer sein – tatkräftig und konzentriert. Wird es so gehen?« Zhong Ni sagte: »Ah, wie sollte das gehen? Im Äußeren vollendet, aber völlig unbeherrscht und unbeständig. Nicht verschieden von den gewöhnlichen Menschen. Die Gefühle der Menschen unterdrücken und so nach Ruhe für das eigene Herz streben. Das nennt man: ›Die kleinen, alltäglichen Tugenden gedeihen nicht.‹ Umso weniger die große Tugend! Er ist bestimmt stur und unbelehrbar. Äußerlich mag er dir zustimmen, innerlich denkt er nicht daran. Wie sollte es da gehen?« Yan Hui: »Wenn dem so ist, werde ich innerlich aufrecht und äußerlich flexibel sein. Ich werde meine eigenen Ansichten bewahren und mich am Altertum orientieren. Wer innerlich aufrecht ist, ist ein Gefährte des Himmels. Und wer ein Gefährte des Himmels ist, der erkennt, dass sowohl der Sohn des Himmels als auch er selbst Söhne des Himmels sind. Warum sollte ich mich dann noch darum bemühen, ob meine Worte von ihm gutgeheißen würden oder ob sie von ihm nicht gutgeheißen würden? So jemanden nennen die Menschen ein Kind. Ich nenne ihn einen Gefährten des Himmels. Wer äußerlich beweglich ist, ist ein Gefährte der Menschen. Die Hände in die Höhe heben, niederknien, sich verbeugen und wieder erheben, das ist die Etikette der Untertanen. Das machen alle Menschen. Sollte ich mich verweigern? Wer handelt, wie die anderen Menschen handeln, der verletzt sie nicht. Den nenne ich einen Gefährten der Menschen. Wer seine eigenen Ansichten bewahrt und sich am Altertum orientiert, den nenne ich einen Gefährten des Altertums. Die Worte haben zwar Belehrung und Tadel zum Inhalt, aber sie gehören dem Altertum an und es sind nicht meine eigenen. So ist man zwar aufrecht, aber man kommt nicht zu
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Schaden. Das nenne ich einen Gefährten des Altertums. Wird es so gehen?« Zhong Ni sagte: »Ah, wie sollte das gehen? Du hast ungemein viele Strategien, aber sie sind unbrauchbar. Zwar bleibst du standhaft und wirst nicht bestraft, aber so wirst du einfach nur ins Stocken geraten. Wie könntest du damit Veränderungen herbeiführen? Als Lehrmeister hast du ja nach wie vor [nichts weiter als] deinen eigenen Geist.« Yan Hui sagte: »Ich weiß nicht mehr weiter. Darf ich nach einer Vorgehensweise fragen?« Zhong Ni sagte: »Faste! Ich will es dir erkären: Etwas im Geist zu haben und das dann auszuführen, ist das leicht? Wer das für leicht hält, wird vom strahlenden Himmel nicht begünstigt.« Yan Hui sagte: »Meine Familie ist arm. Ich habe schon seit Monaten keinen Wein mehr getrunken und keine aromatischen Speisen mehr gegessen. Müsste das nicht als Fasten gelten?« Zhong Ni sagte: »Das ist rituelles Fasten und nicht das Fasten des Geistes.« Yan Hui sagte: »Darf ich nach dem Fasten des Geistes fragen?« Zhong Ni sagte: »Sammle deine Aufmerksamkeit. Höre nicht mit den Ohren, sondern höre mit dem Geist. Höre auch nicht mit dem Geist, sondern höre mit dem qi. Das gewöhnliche Hören stockt im Ohr. Der Geist stockt bei Begriffen. Das qi ist leer und empfängt die Dinge. Nur in der Leere sammelt sich das Dao. Das ist das Fasten des Geistes.« Yan Hui sagte: »Als ich dieses [die Unterweisung vom Fasten des Geistes] noch nicht empfangen hatte, existierte [so glaubte ich] Yan Hui tatsächlich. Jetzt habe ich es empfangen und verstehe, Yan Hui hat nie existiert. Kann man das Leere nennen?« Der Meister sagte: »Durchaus. Ich will es dir erklären: Wenn du dich in diesen Vogelkäfig [das Land Wei] begibst, lasse dich nicht von Ruhm beeinflussen. Findest du einen Zugang, dann singe. Findest du keinen Zugang, dann endige. Sei ohne Tor oder Schutzwall [von wo aus man deine Absichten einsehen könnte], und wenn du dich einstweilen im Unvermeidlichen aufhältst, bist du [dem Erfolg] schon nahe. Seine Spuren auszulöschen ist leicht, aber nicht auf der Erde zu gehen ist schwierig. Dient man 61 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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den Menschen, ist es leicht, dabei zu täuschen. Dient man dem Himmel, ist es schwierig, dabei zu täuschen. Du hast davon gehört, mit Flügeln zu fliegen, aber du hast noch nicht davon gehört, ohne Flügel zu fliegen. Du hast von der Weisheit des Wissens gehört, aber du hast noch nicht von der Weisheit des Nichtwissens gehört. Richte deinen Blick dorthin, wo es nichts gibt, und im leeren Raum [des Geistes] wird ein Leuchten entstehen. Das Glück liegt im Innehalten. Ist es aber kein wirkliches Innehalten, nenne ich das körperlich stillsitzen und innerlich umherjagen. Achte darauf, wie Augen und Ohren nach innen durchlässig sind [für Sinneswahrnehmungen], aber lasse dabei das Wissen deines Geistes außen vor. Dann werden selbst Götter und Geister herbeikommen, um bei dir zu verweilen, und die Menschen erst recht. So beeinflusst man alle Dinge. Yu und Shun hatten das als Leitlinie, Fu Xi und Ji Qu handelten immerzu danach. Umso mehr sollten gewöhnliche Sterbliche [so handeln].«
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Zigao, Herzog von She, sollte als Gesandter nach Qi geschickt werden und fragte Zhong Ni: »Der König schickt mich, das wiegt sehr schwer. Den Gesandten nach Qi wird man vermutlich sehr höflich empfangen, aber es wird [der Auftrag] nicht schnell vorangehen. Schon ein niedrigstehender Mann lässt sich nicht drängen, umso weniger einer der Fürsten. Ich befürchte das sehr. Ihr habt früher einmal zu mir gesagt, dass man bei allen Angelegenheiten, ob groß oder klein, selten zufrieden und erfolgreich sein könne, wenn man nicht dem Dao [gemäß handele]. Wenn man in einer Angelegenheit nicht erfolgreich sei, dann habe man bestimmt Sorgen im Umgang mit den Menschen. Wenn man in einer Angelegenheit erfolgreich sei, dann habe man bestimmt Sorgen mit [den Grundkräften] Yin und Yang. Bei Erfolg sowie bei Misserfolg im Nachhinein ohne Leiden zu sein, 62 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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das vermöge nur, wer über Tugend verfüge. Das Essen, das ich zu mir nehme, ist einfach und nicht besonders raffiniert, und beim Kochen verlangt niemand nach Abkühlung. Nun habe ich aber am Morgen den Befehl [des Königs] erhalten, und am Abend trinke ich Eiswasser. So heiß ist mir innerlich. Ich bin noch nicht einmal bei der Durchführung der Angelegenheit, aber schon habe ich Sorgen mit Yin und Yang. Wenn die Angelegenheit nicht erfolgreich ist, habe ich bestimmt Sorgen im Umgang mit den Menschen. So wäre beides der Fall. Als Untertan bin ich meiner Pflicht nicht gewachsen. Hättet Ihr dazu einen Hinweis für mich?« Zhong Ni sagte: »Unter dem Himmel gibt es zwei große Gebote: das eine ist Schicksal, das andere ist Pflicht. Die Liebe des Kindes zu den Eltern ist Schicksal, und man kann sie nicht aus dem Herzen herauslösen. Der Dienst des Untertanen für den Fürsten ist Pflicht. Wohin man auch geht, der Fürst bleibt immer der Fürst, und zwischen Himmel und Erde gibt es keinen Ort, wohin man entkommen könnte. Das nenne ich die großen Gebote. Daher gilt: Wenn man den Eltern dient, frage man nicht nach den Umständen, sondern sorge für ihre Zufriedenheit. Das ist vollendete kindliche Pietät. Wenn man dem Fürsten dient, frage man nicht nach dem Sachverhalt, sondern sorge für dessen Zufriedenheit. Das ist höchste Loyalität. Wenn man selbst dem eigenen Herzen dient, lasse man es nicht durch Trauer oder Freude über das, was man vor sich hat, ins Wanken geraten; man erkenne, wo man nichts mehr vermag, und damit zufrieden folge man dem Schicksal. Das ist vollkommene Tugend. Ob man Kind oder Untertan eines Menschen ist, es gibt grundsätzlich Unvermeidliches. Man erfülle seine Aufgabe und vergesse dabei sich selbst. Wie könnte man da zur Muße gelangen, um sich über das Leben zu freuen und den Tod zu hassen? So kannst auch du [als Untertan nach Qi] hingehen.« Zhong Ni: »Lass mich noch etwas mitteilen, was ich gehört habe. Im Allgemeinen gilt bei Beziehungen, dass man in der Nähe immer durch Vertrauen einander verbunden ist, über Ent63 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 4
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fernung immer durch treue Worte. Worte haben immer einen Vermittler. Und das Übermitteln von Worten, die beide erfreuen oder beide verärgern sollen, gehört zum Schwierigsten unter dem Himmel. Denn: Wenn sie beide erfreuen sollen, sind die Worte immer voll übertriebenen Lobes, wenn sie beide verärgern sollen, sind die Worte immer voll übertriebener Bosheit. Im Allgemeinen ist Übertreiben eine Art von Täuschung. Wenn man täuscht, dann verwässert das Vertrauen, und wenn es verwässert, bringt das dem Vermittler der Worte Unheil. Deshalb besagt ein Leitsatz: ›Übermittle die gewöhnliche Situation, übermittle keine übertriebenen Worte, dann bist du so gut wie sicher.‹ Außerdem: Wer mit Geschicklichkeit seine Kräfte misst, ist anfangs lauter, endet aber in der Regel hinterlistig. Und wenn es zum Äußersten kommt, gibt es viele absonderliche Techniken. Wer gemäß der Etikette Wein trinkt, beginnt zurückhaltend, endet aber in der Regel unzivilisiert. Und wenn es zum Äußersten kommt, gibt es viel absonderlichen Frohsinn. Bei den meisten Angelegenheiten ist es ebenso. Sie beginnen elegant, und in der Regel enden sie vulgär. Verläuft der Anfang auch im rechten Maß, das Ende ist doch immer monströs. Worte sind wie Wind oder Wellen. Beim Handeln gibt es Gewinn und Verlust. Wind und Wellen geraten schnell in Bewegung, Gewinn und Verlust drohen schnell. Deshalb wird Zorn durch nichts anderes so sehr erregt wie durch schmeichlerische Worte und einseitiges Gerede. Tiere beim Sterben geben wahllos Laute von sich, ihr Atem geht heftig, und daraus erwächst zugleich Panik. Wird die Strenge zu schlimm, hat man zwangsläufig eine ungünstige Geistesverfassung, reagiert entsprechend, aber man weiß nichts davon. Wenn man es noch nicht einmal weiß, wie sollte man wissen, womit man dem ein Ende macht? Deshalb besagt ein Leitsatz: ›Verändere nicht die Befehle deines Herrn und erzwinge nicht den Erfolg.‹ Das Maß zu überschreiten, bedeutet Exzess. Befehle zu verändern und Erfolg zu erzwingen, bringt die Sache in Gefahr. Schöner Erfolg liegt in der Dauer, Misserfolg lässt sich nicht mehr korrigieren. Darfst du 64 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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[in Anbetracht dessen] unvorsichtig sein? Deshalb lasse dich auf die Dinge ein und lasse den Geist [in der jeweiligen Situation] verweilen. Füge dich ins Unvermeidliche und kultiviere deine Mitte. Das ist das Beste. Warum veränderst du die Nachrichten [deines Königs an den Herrscher von Qi]? Nichts ist so gut, wie Befehle einfach so zu übermitteln. Ist das etwa schwer?«
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3 Yan He sollte Betreuer des Kronprinzen von Wei, Sohn des Herzogs Ling, werden und fragte bei Qu Boyu: »Da ist ein Mensch, dem es von Natur aus an Tugend mangelt. Handelte ich mit ihm zusammen gesetzlos, dann brächte ich das Reich in Gefahr, hielte ich ihn zur Gesetzestreue an, dann brächte ich mich selbst in Gefahr. Sein Wissen reicht gerade aus, um die Fehler der Menschen zu erkennen, aber er erkennt nicht seine eigenen Fehler. Wie kann ich mit so einem Menschen umgehen?« Qu Boyu sagte: »Das ist eine ausgezeichnete Frage! Sei wachsam, sei besonnen und verbessere dich selbst. Nach außen hin ist es das Beste ihm zu folgen, im Geist ist es das Beste [mit ihm] zu harmonieren. Allerdings gibt es bei beidem Schwierigkeiten: Du folgst ihm [dem Anschein nach], ohne dich [innerlich] auf ihn einlassen zu wollen, und du harmonierst [im Geist] mit ihm, ohne es [in deinem Verhalten] äußern zu wollen. Folgtest du ihm dem Anschein nach und ließest dich [auch innerlich] auf ihn ein, dann würdest du schon bald stürzen, untergehen, zusammenbrechen und straucheln. Harmoniertest du im Geist mit ihm und äußerte es sich [auch in deinem Verhalten], dann würdest du schon bald Gerede, Rufmord, Verdächtigung und Unheil [auf dich ziehen]. Handelt er wie ein kleines Kind, dann sei auch du mit ihm ein kleines Kind. Handelt er planlos, dann sei auch du mit ihm planlos. Handelt er zügellos, dann sei auch du mit ihm zügellos. So führst du ihn in die Makellosigkeit. Weißt du nicht von der Gottesanbeterin? Erregt hebt sie ihre 65 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Arme in der Wagenspur und so begegnet sie dem [herannahenden] Wagen. Sie weiß nicht, dass sie ihn nicht bezwingen kann. Für so großartig hält sie ihre Fähigkeiten. Sei davor auf der Hut und halte dich zurück. Die eigenen Fähigkeiten hervorzuheben und [das Gegenüber] damit herauszufordern ist gefährlich. Weißt du nicht vom Tigerbändiger? Er gibt nie etwas Lebendiges zu fressen, wegen der Erregung [in die der Tiger geriete], wenn er es töten würde. Er gibt nie etwas Ganzes, wegen der Erregung [in die der Tiger geriete], wenn er es zerreißen würde. Er ermisst des Tigers Fresslust oder Sättigung, und er beherrscht dessen Erregung. Tiger und Menschen sind von verschiedener Art, aber sie umschmeicheln den, der sie großzieht und [ihrer Natur] folgt. Folglich töten sie den, der [ihrer Natur] entgegen handelt. Der Pferdeliebhaber sammelt in einem Flechtkorb den Dung und in einem Muschelgefäß den Urin [seines Pferdes], doch wenn zufällig Fliegen oder Bremsen herumschwirren und er zur Unzeit [nach ihnen] schlägt, dann beißt das Pferd [erschreckt] sein Zaumzeug durch, zertrümmert [ihm] den Schädel und zerschmettert [ihm] die Brust. Obwohl die guten Absichten [des Pferdeliebhabers] sich auf alles erstrecken, kann er die Liebe [des Pferdes] verlieren. Kannst du da unvorsichtig sein?«
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Zimmermann Shi ging nach Qi. Er kam nach Quyuan und erblickte den Baum des Eichenschreins. Der war so groß, dass er mehrere tausend Rinder beschirmte und [sein Stamm] maß 100 Armlängen. Er war so hoch wie ein Berg, und erst in [einer Höhe von] 10 Klaftern gab es Äste. Solche, aus denen man [ganze] Boote hätte machen können, zählte man tatsächlich dutzende. Die Betrachter [drängten sich] wie auf einem Marktplatz. Der Meister Zimmermann blickte sich nicht um, sondern ging vorüber ohne stehenzubleiben. Sein Lehrling sah sich satt daran, rannte, holte Zimmermann Shi ein und sagte: »Seit ich Axt und 66 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Beil zur Hand genommen habe und Euch damit nachfolge, ist mir noch niemals Holz begegnet, das so großartig war wie dieses. Ihr, Meister, schaut nicht einmal hin und geht daran vorüber ohne stehenzubleiben. Warum?« Zimmermann Shi sagte: »Schluss damit. Sag so was nicht. Das ist ein hinfälliger Baum. Macht man daraus Boote, dann werden sie sinken. Macht man daraus Särge, dann werden sie bald vermodern. Macht man daraus Gefäße, dann werden sie bald zerbrechen. Macht man daraus Türen, dann werden sie harzen. Macht man daraus Pfeiler, dann werden sie wurmstichig. Dieser Baum ist kein Baumaterial. Er ist zu nichts zu gebrauchen. Deshalb konnte er so alt werden.« Zimmermann Shi kehrte [in seine Heimat] zurück. Der Baum vom Eichenschrein erschien ihm im Traum und sagte: »Womit vergleichst du mich eigentlich? Vergleichst du mich etwa mit Nutzhölzern? Weißdorn, Birne, Mandarine, Zitrone und anderen Arten von früchtetragenden Bäumen und Sträuchern werden, sobald die Früchte reif sind, abgepflückt und misshandelt. Große Äste werden abgebrochen, kleine Zweige werden abgerissen. Weil sie diesen Nutzen haben, erleiden sie dieses Leben. Deshalb vollenden sie nicht ihre natürlichen Lebensjahre, sondern sterben mittwegs. Sie zerstören sich selbst durch ihre Weltlichkeit. Mit allen Dingen ist es ebenso. Und ich habe lange danach gestrebt, dass es nichts [mehr an mir] gibt, was man nutzen könnte. Schon nahe dem Tode habe ich das jetzt verwirklicht, und es ist für mich von großem Nutzen. Wenn ich Nutzen gehabt hätte, hätte ich dann diese Größe erreicht? Außerdem: Du und ich, wir sind doch beide Dinge [in der Welt]. Wie könnte man da sein Gegenüber abschätzig wie eine Sache behandeln? Und ein dem Tode naher, hinfälliger Mensch wie du, wie könnte der wissen, dass ich ein hinfälliger Baum bin?« Zimmermann Shi erwachte und berichtete seinen Traum. Sein Lehrling sagte: »Wenn es sein Anliegen ist, Nutzlosigkeit zu erreichen, warum dient er dann als Schrein?« Zimmermann Shi sagte: »Schweig! Sag nichts mehr! Er duldet es nur und findet, 67 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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dass die, die ihn verächtlich machen, sich nicht einmal selbst kennen. Selbst wenn dieser Baum nicht als Schrein diente, würde er dann etwa gefällt? Was er sich bewahrt, das unterscheidet ihn von der Menge, und ihn mit herkömmlichen Maßstäben zu bewerten, geht auch weit daneben.«
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Nanbo Ziqi durchreiste die Hügel von Shang und sah einen großen Baum. Tausend Pferdegespanne hätten in seinem Schatten Schutz gefunden. Ziqi sagte: »Was ist das für ein Baum? Für den gibt es sicher einen besonderen Verwendungszweck.« Er schaute hinauf und sah, dass die Zweige krumm gebogen waren und dass man daraus keine Firstbalken oder Dachsparren machen konnte. Er senkte den Blick und sah, dass der Stamm gespalten war und dass man daraus keine Särge machen konnte. Leckte man an seinen Blättern, brannte einem der Mund und wurde wund. Sein Geruch versetzte einen Menschen in einen rasenden Rausch, der drei Tage lang nicht abklang. Ziqi sagte: »Das ist wirklich ein nutzloser Baum. Dadurch erlangte er so eine Größe. Ah, auch der Heilige ist von dieser Nutzlosigkeit.«
6 In Song gibt es [eine Gegend namens] Jingshi, günstig für Trompetenbäume, Scheinzypressen und Maulbeerbäume. Diejenigen von mehr als einer oder zwei Handbreit werden abgeschnitten von Leuten, die Pflöcke zum Anbinden ihrer Affen suchen. Mit drei oder vier Armspannen werden sie abgeschnitten von Leuten, die große Firstbalken suchen. Mit sieben oder acht Armspannen werden sie abgeschnitten von Leuten, die Seitenbretter für die Särge von Adligen oder reichen Kaufleuten suchen. Deshalb vollenden sie nicht ihre natürlichen Lebensjahre, sondern 68 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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sterben mittwegs durch Axt und Beil. Das ist das Unheil ihrer Nützlichkeit. Außerdem: Beim Opferfest durften Rinder mit weißer Stirn und Schweine mit nach oben gebogener Nase und Menschen mit Hämorrhoiden nicht [als Opfergaben] in den Fluss geworfen werden. Von allen diesen wissen die Opferpriester, dass sie Unheil bringen. Gerade deshalb hält sie der Heilige für großes Glück verheißend.
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7 Shu der Verwachsene – das Kinn verbarg sich im Nabel, die Schultern waren höher als der Scheitel, der Haarknoten zeigte zum Himmel, die fünf Organe lagen darüber und die beiden Oberschenkel formten den Oberkörper. Aber mit Nähen und Waschen hatte er seinen ausreichenden Broterwerb, und wenn er [zusätzlich noch] das Sieb schüttelte und Reis aussortierte, reichte es aus, um damit zehn Personen zu ernähren. Wenn die Obrigkeit Krieger rekrutierte, dann ließ der [zum Kriegsdienst untaugliche] Verwachsene zwischen ihnen die Arme baumeln. Wenn die Obrigkeit ein großes Bauvorhaben unternahm, dann erhielt der Verwachsene, der stets kränklich war, kein Arbeitspensum zugeteilt. Wenn die Obrigkeit unter den Kranken Getreide verteilte, dann erhielt er drei Scheffel und zehn Bündel Feuerholz. Mit seinem verwachsenen Körper hat er sich doch hinreichend ernährt und seine natürlichen Jahre vollendet; umso mehr [vermochte das] einer mit verwachsener Tugend.
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8 Konfuzius ging nach Chu. Jie Yu, der Narr von Chu, trieb sich am Tor [von Konfuzius’ Herberge] herum und sagte:
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Kapitel 4 •
»Phönix, oh Phönix, Deine Tugend, sie ist schwach. Hoffe nicht auf Morgen und Laufe dem Gestern nicht nach. Ist unter dem Himmel das Dao, Vollendet sich der Weise. Fehlt unter dem Himmel das Dao, Lebt er still und leise. Heute entkommt er nur knapp, Dem Richtschwert und dem Grab. Das Glück ist federleicht, Doch niemand weiß es zu tragen. Sorgen sind erdenschwer, Doch niemand weiß sie zu lassen. Hör auf, hör auf, Nur der Menschen Tugend zu seh’n. Gefährlich, gefährlich, Nach Plan durch die Welt zu rennen. Gehe ich wie im Wahn, Hemmt nichts meine Bahn. Ist mein Weg verquert, Bleibt mein Fuß unversehrt.« Berge und Bäume beschädigen sich selbst [durch ihren Nutzen]. Das Öl der Lampe verbrennt sich selbst. Der Zimtbaum ist essbar, deshalb wird er geschnitten. Der Lackbaum ist nützlich, deshalb wird er gespalten. Alle Menschen wissen um den Nutzen der Nützlichkeit, aber sie wissen nicht um den Nutzen der Nutzlosigkeit.
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Kapitel 5 – Übersicht
Mit »Zeichen vollendeter Tugend« Dechongfu 德充符 ist das fünfte Kapitel überschrieben. Der wichtige Begriff de, den ich durchgehend als »Tugend« übersetzt habe, bezeichnet hier in einem allgemeinen Sinn die Lebenshaltung eines Menschen des Dao, deren Wirkkraft auch auf seine Umgebung ausstrahlt. In den Texten wird der edle Charakter des Weisen, eine Art »schöne Seele«, oft mit geradezu bizarr übersteigerter körperlicher Hässlichkeit kontrastiert. Die innere Tugend erweist sich in einer freien und von der natürlichen Intuition geleiteten Lebensführung. »Tugend« meint hier also keineswegs die Befolgung äußerlicher Regeln oder ein der Etikette gemäßes korrektes Verhalten, wie das in anderen Kontexten (und nicht nur bei den Konfuzianern) der Fall sein kann. Solche nur äußerliche Tugend ist im frühen Daoismus negativ besetzt, und in diesem Sinn heißt es etwa in Daodejing 38: »Nachdem das Dao verloren ist, gibt es Tugenden.« Die ersten drei Abschnitte handeln von Menschen, denen als Strafe für ein früheres Vergehen ein Fuß bzw. ein Bein amputiert worden war, eine im chinesischen Altertum durchaus übliche Strafe, die den Delinquenten zeitlebens als Verbrecher kennzeichnete. Dennoch sind es gerade diese »Gezeichneten«, die jetzt gemäß dem Dao leben und ihren unbescholtenen, aber mit Vorurteilen belasteten Mitmenschen schonungslos den Spiegel vorhalten. Die nächsten beiden Abschnitte handeln von als überaus hässlich beschriebenen Menschen, die ein ihnen gemäßes und damit ein freies und vorbildhaftes Leben führen. Diese äußerlich Unvollkommenen ziehen durch die geheimnisvolle Macht ihrer inneren Tugend alle, die ihnen begegnen, in ihren Bann, obwohl sie nichts Besonderes vollbringen, oder besser gesagt, vielleicht gerade weil sie nicht intentional handeln (wuwei). Wer ihnen begegnet ist, dem erscheinen die
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Kapitel 5 – Übersicht
so genannten »gesunden Menschen« als die eigentlich »Verwachsenen«. Die Tugend, von der das fünfte Kapitel handelt, ist kein menschliches Verdienst und sie kann nicht erlernt oder kultiviert werden, vielmehr gehört sie zu den natürlichen Veranlagungen des Menschen, sie ist »vom Himmel empfangen«. Und wer dieser »Fürsorge des Himmels« teilhaft geworden ist, dem fehlt es weder an materiellen noch an immateriellen Gütern. Der sechste und letzte Abschnitt fragt nach den Gefühlen des Weisen, nach seinem Menschsein und wie er sich zu seinen Vorlieben und Abneigungen verhält.
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Kapitel 5 Zeichen vollendeter Tugend
1 Im Staat Lu gab es einen Fußamputierten namens Wang Tai. Ihm folgten als Schüler ebenso viele wie dem Zhong Ni. Chang Ji befragte Zhong Ni: »Wang Tai ist ein Verstümmelter, aber hinsichtlich derjenigen, die ihm folgen, teilt er sich mit Euch, Meister, [die Leute von] Lu zu gleichen Teilen. Weder steht er auf, um sie zu belehren, noch setzt er sich hin, um mit ihnen zu debattieren. Aber leer gehen sie zu ihm hin und erfüllt kehren sie zurück. Gibt es wirklich so etwas wie eine wortlose Belehrung und eine formlose Vollendung des Geistes? Was für ein Mensch ist er?« Zhong Ni sagte: »Er ist ein Weiser. Ich bin lediglich im Verzug und nur deshalb noch nicht zu ihm gegangen. Ich halte ihn tatsächlich für meinen Lehrmeister, umso mehr für die, die mir nicht gleichkommen. Und zwar nicht nur für das Land Lu! Ich glaube tatsächlich, dass alle unter dem Himmel ihm nachfolgen sollten.« Chang Ji sagte: »Er ist ein Verstümmelter und trotzdem übertrifft er Euch, Meister, umso weiter ist er dann von den gewöhnlichen Menschen entfernt! Wie gebraucht jemand wie er seinen Geist?« Zhong Ni sagte: »Tod und Leben sind groß, doch können sie ihn nicht erschüttern. Und selbst wenn Himmel und Erde umstürzen und vergehen, wird jener keineswegs mit ihnen untergehen. Er erkennt klar das, was kein falscher Schein ist, und wird nicht von den Dingen hin und her bewegt. Er überlässt die Dinge dem Wandel und bewahrt sich seinen Ursprung.« Chang Ji sagte: »Was meint Ihr damit?« Zhong Ni sagte: »Betrachtet man es vom [Standpunkt] der Verschiedenheit aus, dann sind Leber und Galle [so weit voneinander entfernt] wie 73 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 5 •
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Chu und Yue. Betrachtet man es [wie Wang Tai] vom [Standpunkt] der Gleichheit aus, sind die zehntausend Dinge alle eins. Einer wie er weiß nicht mehr, was Auge und Ohr anspricht, sondern lässt den Geist im Einklang mit der Tugend verweilen. An den Dingen sieht er, wo sie eins sind, aber er sieht nicht, wo etwas verlorengeht. Sieht er, dass er seinen Fuß verliert, dann ist das für ihn, wie wenn [ein Klumpen] Erde abfällt.« Chang Ji sagte: »Nur für sich selbst erlangt er durch seine Einsicht seinen Geist, und durch seinen Geist erlangt er seine unerschütterliche Geisteshaltung; aber warum versammeln sich die Menschen um ihn?« Zhong Ni sagte: »Die Menschen betrachten ihr Spiegelbild nicht in fließendem Wasser, sondern sie betrachten ihr Spiegelbild in stehendem Wasser. Nur durch Innehalten kann man die Menge zum Innehalten anhalten. Das Leben aus der Erde empfangen nur die Kiefer und der Lebensbaum richtig. Sie sind im Winter grün und im Sommer grün. Das Leben aus dem Himmel empfing nur Shun richtig. Glücklicherweise vermochte er sein Leben auszurichten und somit das Leben der Menge auszurichten. Ein Anzeichen dafür, dass jener [Wang Tai] sich den Ursprung bewahrt, ist die Tatsache seiner Furchtlosigkeit. Ein tapferer Krieger stürzt sich in neun Armeen hinein. Sogar einer, der eigentlich nur nach Ruhm strebt, vermag sich selbst herauszufordern und auf diese Weise zu handeln. Umso mehr einer, der Himmel und Erde regiert und der alle Dinge beherrscht, für den die sechs Körperteile nur ein vorläufiger Aufenthaltsort sind und Auge und Ohr nur flüchtige Erscheinungen empfangen. Eins ist ihm [alles], was sein Erkennen erkennt, und sein Geist ist vom Tod nicht betroffen. Er wählt den Tag, an dem er [nach Art der daoistischen Heiligen] in die Ferne entschwebt. Deshalb folgen ihm die Menschen nach, aber warum sollte er sich mit weltlichen Dingen und Angelegenheiten abgeben?«
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Zeichen vollendeter Tugend
2 Shentu Jia war ein Fußamputierter, aber gemeinsam mit Zichan aus Zheng hatte er Bohun Wuren zum Lehrmeister. Zichan wandte sich an Shentu Jia und sagte: »Gehe ich zuerst hinaus, dann bleibst du hier. Gehst du zuerst hinaus, dann bleibe ich hier.« Am nächsten Tag trafen sie sich wieder in der Lehrhalle und saßen am selben Platz. Zichan wandte sich an Shentu Jia und sagte [wieder]: »Gehe ich zuerst hinaus, dann bleibst du hier. Gehst du zuerst hinaus, dann bleibe ich hier. Ich werde jetzt hinausgehen, bleibst du hier oder nicht? Du siehst einen Staatsmann [wie mich] und gehst nicht einmal aus dem Weg, hältst du dich etwa einem Staatsmann ebenbürtig?« Shentu Jia sagte: »In der Schülerschaft unseres Lehrers, gibt es da eigentlich so etwas wie Staatsmänner oder dergleichen? Du genießt es, ein Staatsmann zu sein, und stellst andere Menschen hintan. Ich habe sagen hören: Ist der Spiegel klar, legt sich kein Schmutz darauf. Legt sich Schmutz darauf, dann war der Spiegel nicht klar. Ist man lange mit einem klugen Mann zusammen, dann hat man keine Fehler mehr. Jetzt hältst du unseren Lehrer für einen großen Mann. Trotzdem äußerst du solche Worte – ist das nicht ein Fehler?« Zichan sagte: »Obwohl du [in] so [einen Zustand geraten] bist, misst du dich mit Yao in der Großartigkeit. Wenn du deine Tugend abwägst, gibt es da nicht genug, um in dich zu blicken?« Shentu Jia sagte: »Es gibt viele, die selbst ihre Fehler beschönigen und den Verlust [eines Fußes als Strafe] für ungerecht halten, [aber] es gibt wenige, die ihre Fehler nicht beschönigen und die Anwesenheit [ihrer Füße] für ungerecht halten. Man erkenne, wo man nichts mehr vermag, und damit zufrieden folge man dem Schicksal. Nur wer über Tugend verfügt, ist dazu in der Lage. Hält man sich in Schussweite [des Bogenschützens] Yi auf, dann ist das Zentrum der Platz, wo man getroffen wird, und wird man nicht getroffen, ist es Schicksal. Menschen, deren Füße vollzählig sind und die mich, dessen Füße nicht vollzählig 75 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 5
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sind, verlachen, gibt es eine Menge. Mich verletzt und erzürnt es, doch wenn ich zum Meister gehe, verliert sich das und ich kehre [zu meiner normalen Verfassung] zurück. Ich weiß nicht, ob der Meister mich durch seine Güte reinigt, oder ob ich mich [bei ihm] von selbst beruhige. Ich bin beim Meister seit 19 Jahren, aber er hat noch nie davon Kenntnis genommen, dass ich verstümmelt bin. Jetzt, da du und ich [im Geiste, also] im Inneren der körperlichen Hülle miteinander umgehen, beurteilst du mich nach den Äußerlichkeiten der körperlichen Hülle. Ist das nicht ein Fehler?« Zichan änderte seinen Gesichtsausdruck und sagte respektvoll: »Sprich nicht mehr [davon].«
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In Lu gab es einen Fußamputierten namens Shushan Wuzhi, einmal sah er Zhong Ni. Zhong Ni sagte: »Ihr wart zuvor unvorsichtig und habt Euch schon so ein Unglück zugezogen. Jetzt kommt Ihr zwar zu mir, aber was wollt Ihr noch erreichen?« Wuzhi sagte: »Ich kannte meine Pflichten nicht und habe mich durch und durch leichtsinnig verhalten. Deshalb verlor ich meinen Fuß. Jetzt bin ich [zu Euch] gekommen, denn es gibt da noch etwas Wichtigeres als den Fuß, und ich möchte jenem gegenüber meine Pflicht vollenden. Für den Himmel gibt es nichts, was er nicht beschirmt, und für die Erde gibt es nichts, was sie nicht trägt. Ich dachte, Ihr, Meister, wärt wie Himmel und Erde, wie hätte ich wissen können, dass Ihr so [gewöhnlich] seid?« Konfuzius sagte: »Ich war engstirnig. Kommt doch herein! Ich bitte Euch, hört an, was ich gelernt habe.« Wuzhi [aber] ging fort. Konfuzius sagte: »Meine Schüler lernt daraus! Dieser Wuzhi ist ein Verstümmelter, aber er fühlt sich verpflichtet, zu lernen und das Böse seiner früheren Taten wiedergutzumachen. Umso mehr gilt das für Menschen mit unversehrter Tugend.« Wuzhi berichtete Lao Dan: »Zhong Ni zählt noch [lange] nicht zu den Vollendeten, oder? Warum kommt er immer wie76 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Zeichen vollendeter Tugend
der zu Euch, um zu lernen? Er strebt doch nur nach dem falschen Schein von Berühmtheit, weiß er denn nicht, dass der Vollendete darin Fuß- und Handfesseln sieht [die ihn unfrei machen]?« Lao Dan sagte: »Warum hat jemand [wie du], für den Leben und Sterben ein einziger Strang sind und für den gut und nicht gut einander durchdringen, ihm nicht augenblicklich die Fuß- und Handfesseln gelöst? Wäre das nicht möglich gewesen?« Wuzhi sagte: »Sie sind eine Strafe des Himmels, wie sollte man sie lösen können?«
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4 Ai, der Herzog von Lu, fragte Zhong Ni und sagte: »Im Staat Wei gibt es einen hässlichen Menschen, den man Aitai Ta nennt. Männer, die mit ihm Umgang haben, beten ihn an und können sich nicht von ihm losreißen. Frauen, die ihn gesehen haben, bitten ihre Väter und Mütter darum, lieber als die Ehefrau eines anderen seine Nebenfrau zu werden; davon gibt es bereits dutzende und es nimmt kein Ende. Noch nie hat man gehört, dass er den Ton angegeben hätte, immer bringt er sich lediglich mit den Menschen in Einklang. Er hat weder den Rang eines Fürsten, um die Menschen damit vor dem Tode zu retten, noch verfügt er über Reichtum, um den Menschen damit den Magen zu füllen. Außerdem lässt seine Hässlichkeit [zunächst einmal] alle unter dem Himmel zurückschrecken. Er bringt sich [mit den Menschen] in Einklang, gibt nicht den Ton an, und sein Wissen geht nicht über die vier Regionen [seines eigenen Landes] hinaus. Wenn sich trotzdem Männer wie Frauen vor ihm versammeln, muss es doch etwas geben, was ihn von den [anderen] Menschen unterscheidet. Ich bestellte ihn zu mir und sah ihn mir an. Tatsächlich war er von einer Hässlichkeit, vor der alle unter dem Himmel zurückschrecken. Ich war mit ihm zusammen, und es war noch kein Monat vergangen, da fühle ich mich zu ihm hingezogen. Es 77 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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war noch kein Jahr vergangen, da vertraute ich ihm. Das Reich war [zu dieser Zeit] ohne Anführer und ich wollte ihm [die Verantwortung für] das Reich übertragen. Er war verschlossen und später reagierte er ausweichend, so als würde er [lieber] ablehnen. Ich schämte mich dafür, dass ich ihm so unvermittelt das Reich hatte übertragen [wollen]. Kurz darauf verließ er mich und ging fort. Ich wurde schwermütig, so als ob ich etwas [Kostbares] verloren hätte. Gerade so als hätte ich [nun] niemanden mehr, mit dem ich mich am Reich erfreuen könnte. Was ist er für ein Mensch?« Zhong Ni sagte: »Ich war früher einmal als Gesandter in Chu und sah zufällig wie Ferkel an ihrer toten Mutter saugten. Nach einer Weile ließen alle wie erschrocken von ihr ab und gingen weg. Die Mutter blickte sie nicht mehr an, und sie war nicht mehr von ihrer Art. Die Liebe zur Mutter war nicht die Liebe zu ihrem Körper, sondern die Liebe zu dem, was diesen Körper bewegte. Wer gekämpft hat und gefallen ist, bei dessen Trauerfeier verwendet man keinen Sargschmuck aus Federn. Wem der Fuß amputiert wurde, der hat keine Veranlassung seinem Schuh nachzutrauern. Allen fehlt das jeweils Wesentliche. Frauen, die Konkubinen des Himmelssohnes werden sollen, stutzt man nicht die Nägel und man sticht ihnen keine Ohrlöcher. Wer gerade eine Frau genommen hat, den hält man nicht außerhalb [der Familie] fest und kann ihn auch nicht am Hof verwenden. Wenn man schon dergleichen unternimmt, um der Unversehrtheit des Körpers Genüge zu tun, umso mehr [schätzt man] dann einen Menschen mit unversehrter Tugend. Und jetzt zu Aitai Ta: Er spricht nicht[s Besonderes], aber man vertraut ihm; er hat keine Verdienste, aber er wird geliebt. Wenn ihm jemand [die Verantwortung über] das Reich überträgt, dann sorgt er sich nur darum, ob jener ablehnt. Das ist sicher so, weil [Aitai Tas] gute Anlagen unversehrt sind und seine Tugend nicht körperlich ist.« Herzog Ai sagte: »Was meint Ihr mit ›unversehrten guten Anlagen‹ ?« Zhong Ni sagte: »Tod und Leben, Sein und Nicht78 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Zeichen vollendeter Tugend
sein, Scheitern und Gelingen, Armut und Reichtum, Weisheit und Einfalt, Verleumdung und Anerkennung, Hunger und Durst, Kälte und Hitze – das ist der Wandel der Dinge und der Gang des Schicksals. Tag und Nacht wechseln [die Stimmungen und Situationen] einander ab, aber wir können das Gesetz nicht erkennen, worin sie ihren Ursprung haben. Deshalb reichen sie nicht hin, den inneren Einklang zu zerstören, und man darf sie nicht in das Haus des eigenen Geistes hineinlassen. Man bringe sich mit den Erscheinungen in Einklang, überlasse sich dem Fluss [der Dinge] und, ohne den inneren Frieden zu verlieren und ohne Unterbrechung bei Tag und Nacht, betrachte man die Dinge wie den sanften Frühling. So [mit dem Wandel der Dinge] umzugehen und den Fluss der Zeit im eigenen Geist hervorzubringen, das nenne ich »unversehrte gute Anlagen«. Herzog Ai sagte: »Was meint Ihr mit ›seine Tugend ist nicht körperlich‹ ?« Zhong Ni sagte: »Horizontal ist [der Zustand], wenn Wasser ganz zum Stillstand gekommen ist. Man kann es als Richtmaß verwenden, denn im Inneren bewahrt es sich [den Ruhezustand] und außen ist es unbeweglich. Tugend ist [der Zustand], Einklang zu verwirklichen und ihn sich [im Innern] zu bewahren. Von Tugend, die nicht körperlich ist, können sich die Dinge nicht lösen.« An einem anderen Tag erzählte Herzog Ai dies dem Minzi: »Anfangs, als ich nach Süden gewandt Herrscher über alles unter dem Himmel war, die Gesetze des Volkes in meiner Hand lagen und ich mich darum sorgte, es vor dem Tod [zu bewahren], dachte ich, ich würde alles vollkommen durchschauen. Jetzt habe ich die Worte über den Vollendeten gehört und ich befürchte, dass ich keine Begabung zum Herrschen habe, mich leichtsinnig gegenüber mir selbst verhalten habe und mein Reich verlieren werde. Ich und Kong Qiu, wir sind nicht Herrscher und Untertan, sondern nur Freunde in der Tugend.«
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Kapitel 5
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Yinqi Zhili Wushen, der krummbeinig verwachsen war und keine Lippen hatte, erläuterte Herzog Ling aus dem Staate Wei das Dao, und Herzog Ling war davon begeistert. Als er dann körperlich unversehrte Menschen sah, erschienen ihm ihre Hälse unnatürlich lang. Wengang Daying, der einen Kropf so groß wie ein Wasserkrug hatte, erläuterte Herzog Huan aus Qi das Dao, und dieser war davon begeistert. Als er dann körperlich unversehrte Menschen sah, erschienen ihm ihre Hälse unnatürlich lang. Denn wo die Tugend immens ist, vergisst man die körperliche Erscheinung. Wenn aber die Menschen nicht vergessen, was zu vergessen ist, und vergessen, was nicht zu vergessen ist, das kann man wahrhaft als Vergessen bezeichnen. Deshalb hat der Weise sein freies und ungehindertes Umherstreifen. Er betrachtet Wissen als die Quelle allen Übels, Konventionen als Kitt [der Gesellschaft], [herkömmliche] Tugend als [Mittel zur] Kontaktaufnahme und Geschicklichkeit als Handelsgut. Der Weise beabsichtigt nichts, wozu brauchte er Wissen? Er spaltet nicht, wozu brauchte er Kitt? Ihm fehlt nichts, wozu brauchte er [herkömmliche] Tugend? Er verkauft [sich] nicht, wozu brauchte er Handelsgüter? Diese vier sind die Fürsorge des Himmels. Die Fürsorge des Himmels bedeutet die Nahrung des Himmels. Hat man bereits die Nahrung des Himmels empfangen, wozu brauchte man noch die [Fürsorge oder Nahrung der] Menschen? Er hat den Körper eines Menschen, aber nicht die Gefühle der Menschen. Er hat den Körper eines Menschen, deshalb lebt er unter den Menschen. Er hat nicht die Gefühle der Menschen, deshalb behelligen ihn richtig und falsch nicht. Er ist [körperlich] zierlich und klein, weil er sich unter die Menschen einreiht, [aber innerlich] unermesslich groß vollendet er alleine seinen Himmel.
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Zeichen vollendeter Tugend
6 Huizi sagte [zu] Zhuangzi: »Ist [jener] Mensch tatsächlich ohne Gefühle?« Zhuangzi sagte: »So ist es.« Huizi sagte: »Er ist ein Mensch, aber er hat keine Gefühle, wie kann man ihn als Menschen bezeichnen?« Zhuangzi sagte: »Das Dao gab ihm ein Gesicht, der Himmel gab ihm einen Leib. Wie könnte man ihn nicht als Menschen bezeichnen?« Huizi sagte: »Wenn man ihn schon als einen Menschen bezeichnet, wie könnte er keine Gefühle haben?« Zhuangzi sagte: »Das ist nicht, was ich Gefühle nenne. Wenn ich sage, jemand habe keine Gefühle, dann meine ich, dass der Mensch unter dem Eindruck von Vorliebe oder Abneigung nicht an sich selbst zu Schaden kommt. Stets überlässt er [sich] der Natur und [versucht] nicht, sein Leben [nach eigenem Maßstab] aufzubessern.« Huizi: »Wenn er nicht versucht, sein Leben aufzubessern, wie kann er sein Leben erhalten?« Zhuangzi: »Das Dao gab ihm ein Gesicht, der Himmel gab ihm einen Leib. Er lässt sich nicht durch Vorliebe oder Abneigung zu Schaden kommen. Du aber wendest deinen Geist nach außen, verausgabst dich, lehnst dich an einen Baum an, seufzt oder sitzt am Tisch und döst. Der Himmel hat dir einen Leib geschenkt und du benutzt ihn dazu, um spitzfindig über ›hart‹ und ›weiß‹ zu schwätzen!«
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Kapitel 6 – Übersicht
Der Titel des sechsten Kapitels »Der große ehrwürdige Meister« Dazongshi 大宗師 personalisiert das Dao als den ultimativen »Meister«. Das Dao ist hier die Grundlage allen Seins, das Leben, das den ganzen Kosmos durchströmt; sich damit zu vereinen, kennzeichnet die Lebensweise des Weisen. Im Verlauf des Kapitels wird diese Lebenshaltung unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Die Dinge der Welt – und auch der Mensch zählt zu den Dingen der Welt – sind in ständiger Transformation begriffen, dem »Wandel der Dinge« 物化 wuhua unterworfen. Wie man sich zu dieser Grundbedingung der Existenz verhält, entscheidet darüber, ob man das eigene Leben als gelingend oder als sinnlos und nichtig erfährt. Der erste Abschnitt des Kapitels hat den »wahren Menschen« zhenren 眞人 zum Thema und schildert ihn eindrucksvoll. Ein einfaches Leben, Meditation und ein gesunder Schlaf ohne Albträume werden als Merkmale seines Lebens genannt. Außerdem ist er sowohl in der Lage, als »Gefährte der Menschen« in der Gesellschaft zu leben, als auch jenseits sozialer Normen als ein »Gefährte des Himmels« bzw. des Dao. Der zweite Abschnitt stellt dieses Dao über alle konventionellen menschlichen Beziehungen, es steht über der Liebe zu den Eltern und der Loyalität gegenüber dem Herrscher. Die Abschnitte drei und vier umfassen auch mythologische Berichte über den Ursprung des Dao, die ähnlich wie viele Texte des Daodejing der Fantasie (und auch den Übersetzern) viel Spielraum lassen. Außerdem wird eine Art Stufenweg bei der Verwirklichung des Dao aufgezeigt, der auf ein immer weiter fortschreitendes Vergessen hinausläuft. Die Abschnitte fünf und sechs behandeln am Beispiel erkrankter und im Sterben liegender Freunde die Themen Krankheit, Tod und auch Reinkarnationsvorstellungen. Freundschaft, also eine Bezie-
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Kapitel 6 – Übersicht
hung zwischen einzelnen Menschen, die nicht durch vertikale Beziehungen in einer Hierarchie gekennzeichnet ist, ist ein Konzept, das dem konfuzianischen Blick auf die Menschen weitgehend fremd ist. Auch vor diesem Hintergrund haben die Texte Beachtung verdient. Krankheit und Tod sind zweifellos die direkteste Art, wie der Einzelne den »Wandel der Dinge« erfährt. In den angeführten Beispielen scheint ein großes Vertrauen in den kosmischen Prozess auf, dem wir uns, die wir ihn nicht überblicken können, so anvertrauen müssen, wie ein Kind sich seinen Eltern anvertraut. Die Hinterbliebenen eines Verstorbenen sind prinzipiell in der gleichen Situation der Unwissenheit. Wenn sie auch die Trauerriten befolgen, um den Erwartungen ihrer sozialen Umgebung Genüge zu tun, können sie doch im Grunde nicht wissen, ob der Verstorbene in Wirklichkeit nicht vielleicht sogar zu beneiden ist. Hier knüpfen die Texte inhaltlich an die Frage nach Schein und Wirklichkeit im zweiten Kapitel an. Der siebte Abschnitt nennt folglich auch ein irritierendes Beispiel für »vorbildliche Trauer«, die gerade darin besteht, den formalen Erwartungen der Umwelt hinsichtlich bestimmter Rituale zu entsprechen, ohne dass der Hinterbliebene emotional daran beteiligt wäre. Die beiden nachfolgenden Abschnitte acht und neun handeln von der Notwendigkeit, die starren Einschränkungen enger moralischer und dabei nicht selten scheinheiliger Normen zu überwinden. Erneut werden die konfuzianischen Tugenden der Menschlichkeit und Gerechtigkeit als Beispiele angeführt, aber die Kritik lässt sich leicht auf Ideale und Begriffe übertragen, die heute beliebte Gegenstände von Lippenbekenntnissen sind. Das Kapitel endet mit einem weiteren Bericht von zwei Freunden und der ewigen Frage, worin das Leiden in der Welt und insbesondere das ganz persönliche Leiden jedes Einzelnen seinen Ursprung hat.
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Kapitel 6 Der große ehrwürdige Meister
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Das Wirken des Himmels zu erkennen und das Wirken der Menschen zu erkennen, ist der Gipfel [der Erkenntnis]. Wer das Wirken des Himmels erkannt hat, lebt gemäß der Natur. Wer das Wirken der Menschen erkannt hat, kann mit dem, was er erkannt hat, das verstehen lernen, was er noch nicht erkannt hat. Er vollendet seine natürlichen Lebensjahre und stirbt nicht mitten auf dem Lebensweg – das ist das Höchstmaß der Erkenntnis. Aber dabei gibt es ein Problem: Das Erkennen hat zuerst einen Bezugspunkt und erst danach vermag es zu urteilen; worauf es sich bezieht, ist aber nicht eindeutig festgelegt. Wie könnte ich also wissen, ob das, was ich »Himmel« genannt habe, nicht eigentlich der Mensch ist und das, was ich »Mensch« genannt habe, nicht eigentlich der Himmel ist? Außerdem: [Zuerst] gibt es einen wahren Menschen, erst dann [kann es] wahre Erkenntnis geben. Was bedeutet »wahrer Mensch«? Der wahre Mensch in alter Zeit sträubte sich nicht gegen Entbehrungen, er war nicht stolz auf Erfolg und er plante die Dinge nicht voraus. Ein solcher Mensch scheiterte ohne Reue und war erfolgreich ohne Selbstgefälligkeit. Ein solcher Mensch stieg hoch hinauf, ohne zu zittern, und ging ins Wasser, ohne nass zu werden, und er ging ins Feuer, ohne zu verbrennen. Weil seine Erkenntnis bis zum Gipfel des Dao emporsteigen konnte, war es so. Der wahre Mensch in alter Zeit schlief ohne zu träumen und erwachte ohne Sorgen. Er aß, ohne nach Wohlgeschmack zu verlangen, und er atmete sehr tief, der wahre Mensch atmete mit den Fersen. Die Masse der Menschen atmet mit der Kehle, so wie einer, der klein beigeben muss und die 84 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Der große ehrwürdige Meister
Worte würgend ausspuckt. Wo die Gier tief sitzt, ist das Wirken des Himmels seicht. Der wahre Mensch in alter Zeit kannte nicht die Freude über das Leben und er kannte nicht die Abscheu vor dem Tod. Er trat [ins Leben] hinaus, ohne sich darüber zu freuen, und er zog sich daraus zurück, ohne zu widerstehen. Gelassen ging er und gelassen kam er, nichts weiter. Er vergaß nicht seinen Ursprung und bemühte sich nicht [zu ergründen], wo er enden werde. Er empfing [sein Leben] und erfreute sich daran. Er verlor es und gab es zurück. Das nenne ich »sich nicht durch den Geist vom Dao abwenden« und »nicht als Mensch dem Himmel auf die Sprünge helfen wollen«. Das nenne ich einen wahren Menschen. Der Geist eines solchen Menschen vergaß [die Welt], seine Erscheinung war ruhevoll und seine Stirn breit. Er war erfrischend wie der Herbst und mild wie der Frühling, Freude und Ärger gingen an ihm vorüber wie die vier Jahreszeiten. Auf die Dinge der Welt reagierte er angemessen, ohne sich je zu verausgaben. So kam es, wenn der Weise zu den Waffen griff, dass er zwar ein Reich vernichtete, aber nicht die Herzen der Menschen [dieses Reiches] verlor. Seine Nachsicht mochte sich über tausende von Generationen erstrecken, aber es war kein Handeln aus gewollter Menschenliebe. Deshalb: Wer sich daran erfreut, dass er die Angelegenheiten der Welt durchschaut, ist kein Weiser. Einseitige Zuneigung zu hegen, ist keine Menschlichkeit. Den rechten Zeitpunkt des Himmels abzupassen, ist keine Weisheit. Wer nicht mit Gewinn und Verlust gleichermaßen zurechtkommt, ist kein Edler. Wer dem Ruhm nachläuft und dabei sich selbst verleugnet, ist kein Ehrenmann. Wer sich so selbst zugrunde richtet und unwahrhaftig ist, ist keiner, der fähig wäre, andere Menschen zu führen. [Die so genannten vorbildlichen Menschen] wie Hu Buxie, Wu Guang, Bo Yi, Shu Qi, Ji Zi, Xu Yu, Ji Tuo und Shentu Di übernahmen die Pflichten anderer Leute als Pflicht und die Freude anderer Leute als Freude, aber sie selbst konnten sich nicht an dieser Freude erfreuen. 85 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Der wahre Mensch in alter Zeit: Seine Erscheinung war erhaben und unerschütterlich. Es schien, als ob er Mangel leide, aber er nahm nichts [von anderen] entgegen. Er lebte gelassen und allein, aber ohne verhärtet zu sein. Weit ausgedehnt war seine Offenheit und ohne Hochmut. Er erschien heiter und froh und konnte nicht umhin, stets tätig zu sein. Manchmal stiegen ihm die Gefühle ins Gesicht, aber er ruhte dennoch in seiner Tugend. In seiner Offenheit schien er wie die gewöhnliche Welt zu sein, aber er war so eigenständig, dass ihn nichts einschränken konnte. Ganz in sich zurückgezogen schien er sich an der Abgeschiedenheit zu erfreuen, dabei war er nur entrückt und vergaß zu sprechen. Das Gesetz [des Dao] betrachtete er als seinen Körper, Etikette als Flügel, Wissen als [Wissen um] den rechten Zeitpunkt und Tugend als Umtriebigkeit. Indem er das Gesetz [des Dao] als [seinen] Körper betrachtete, waren seine Urteile klar und eindeutig. Indem er Etikette als Flügel betrachtete, konnte er [rasch überall] in der Welt wirksam werden. Indem er Wissen als [Wissen um] den rechten Zeitpunkt betrachtete, konnte er nicht umhin, die Dinge [zur rechten Zeit] zu tun. Indem er Tugend als Umtriebigkeit betrachtete, konnte er [mit Überzeugungskraft] sprechen, wie einer, der mit eigenen Beinen auf den Hügel gekommen war. Und die Menschen dachten, der wahre Mensch sei durch Anstrengung dorthin gelangt. Deshalb waren seine Vorlieben eins [mit dem Dao] und seine Abneigung war eins [mit dem Dao]. Sein Eins-Sein war eins [mit dem Dao] und sein Nicht-Eins-Sein war eins [mit dem Dao]. Wenn er eins war, handelte er als Gefährte des Himmels. Wenn er nicht eins war, handelte er als Gefährte der Menschen. Wenn Himmel und Menschen [in Harmonie sind und] nicht gegeneinander ankämpfen, das nenne ich [das Wirken eines] wahren Menschen.
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Der große ehrwürdige Meister
2 Tod und Leben sind unvermeidliches Schicksal. Der beständige Wechsel von Nacht und Morgendämmerung ist naturgegeben. Es gibt manches, worauf der Mensch keinen Einfluss nehmen kann, das ist die Realität aller Dinge. Der Mensch betrachtet schon den Himmel als Vater und liebt ihn, umso mehr das [Dao], das noch darüber hinausgeht. Der Mensch betrachtet schon seinen Herrscher als überlegen und opfert ihm sein Leben, umso mehr der Wahrheit. Wenn die Quelle versiegt und die Fische zusammen auf dem Trockenen liegen, bespucken sie sich gegenseitig mit Feuchtigkeit und benetzen sich gegenseitig mit Schaum, aber besser wäre es, wenn sie einander in Flüssen und Seen vergessen könnten. Man preist Yao und missbilligt Jie, aber besser wäre es, beide zu vergessen und sich mit dem Dao zu vereinen. Der Erdball hat mir einen Körper verliehen und plagt mich mit dem Leben. Das Alter schafft mir Erleichterung. Der Tod gewährt mir eine Atempause. Wenn mir also mein Leben willkommen ist, muss mir auch mein Tod willkommen sein. Wenn ein Boot in einer Schlucht und die Reuse im Sumpf verwahrt wird, so hält man sie für sicher. Ob aber vielleicht in der Hälfte der Nacht ein starker Mann sie schultert und davonträgt, das weiß der törichte Mensch nicht. Kleines in Großem zu verwahren, ist angemessen, trotzdem geht [manches] irgendwohin verloren. Wenn alles unter dem Himmel unter dem Himmel selbst verwahrt wird, kann nichts mehr irgendwohin verlorengehen. Das ist das unveränderliche wahre Sein aller Dinge. Nur weil er zufällig eine menschliche Gestalt hat, freut sich [der Mensch]. Aber was jetzt menschliche Gestalt hat, wandelt sich zehntausendfach und erreicht niemals einen Endpunkt. [Würde man sich daran erfreuen,] ließe sich die Freude noch ermessen? Deshalb begibt sich der Weise genau dorthin, wo die Dinge nicht mehr verlorengehen können und wo alles Bestand hat. Willkommen ist ihm ein früher Tod, willkommen das Alter, willkommen der Anfang und willkommen das Ende. Für die 87 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 6
Menschen ist er ein Vorbild; umso mehr [sollte] das [Dao], mit dem alle Dinge verbunden sind und von dem aller Wandel abhängt [den Menschen ein Vorbild sein].
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Das Dao existiert wirklich, das ist gewiss. Aber es handelt nicht, und es ist gestaltlos. Man kann es vermitteln, aber man kann es nicht empfangen. Man kann es erlangen, aber man kann es nicht sehen. Es ist sich selbst Ursprung und Wurzel, noch bevor es Himmel und Erde gab, existierte es beständig seit alters her. Es beseelte die Naturgeister und den Himmelsgott und es gebar Himmel und Erde. Es existierte vor dem Großen Anfang, aber es ist nicht »erhaben«, es existiert unterhalb der sechs Richtungen, aber es ist nicht »tief«. Vor Himmel und Erde wurde es geboren, aber es existiert doch nicht »seit langer Zeit«, es ist älter als die uralte Zeit und es ist doch nicht »alt«. Xiwei erlangte es und erschuf damit Himmel und Erde. Fu Xi erlangte es machte sich damit das qi, die Mutter [aller Dinge], zu eigen. Der große Wagen erlangte es und ist seit alters her nie von seiner Bahn abgekommen. Sonne und Mond erlangten es und haben seit alters her nicht aufgehört [zu scheinen]. Kanpi erlangte es und drang in den Berg Kunlun ein. Pingyi erlangte es und wandelt im Großen Fluss. Jian Wu erlangte es und verweilt im Großen Berg. Der Gelbe Kaiser erlangte es und stieg in den wolkenverhangenen Himmel auf. Zhuan Xu erlangte es und weilt im schwarzen Palast. Yuqiang erlangte es und nahm seinen Platz [als Gottheit] im äußersten Norden ein. Die Königinmutter des Westens erlangte es und nahm ihren Platz auf dem Berg Shaoguang ein – niemand kennt ihren Ursprung, niemand kennt ihr Lebensende. Pengzu erlangte es und lebte von der Zeit des Shun bis zur Zeit der fünf Hegemonen. Fu Yue erlangte es, wurde Premierminister des Königs Wuding und beherrschte alles unter dem Himmel; [schließlich] bestieg er das Sternbild 88 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Der große ehrwürdige Meister
Dongwei, ritt auf den Sternen Ji und Wei und reihte sich unter die Sterne ein.
4 Nanbo Zikui fragte Nü Yu: »Ihr [lebt schon] lange Jahre, aber Eure Gesichtsfarbe ist wie die eines Kindes. Wie kommt das?« Nü Yu sagte: »Ich habe das Dao vernommen.« Nanbo Zikui sagte: »Kann man das Dao lernen?« Nü Yu sagte: »Ah! Wie sollte das gehen? Du bist kein solcher Mensch [der das Format dazu hätte]. Jener Buliang Yi hat die Veranlagung eines Weisen, aber er hat nicht das Dao eines Weisen. Ich habe das Dao eines Weisen, aber ich habe nicht die Veranlagung eines Weisen. Ich gedachte deshalb, ihn darin zu unterrichten, und hoffte, ihn schließlich zu einem Weisen zu machen. Selbst wenn es missglückte, sollte es immer noch einfacher sein, jemandem das Dao eines Weisen zu vermitteln, der die Veranlagung eines Weisen hat. Unter meiner Obhut vermittelte ich ihm [das Dao]. Nach drei Tagen konnte er die Welt vergessen. Nachdem er die Welt vergessen hatte, hielt ich ihn weiter unter meiner Obhut, und nach [weiteren] sieben Tage konnte er die Dinge vergessen. Nachdem er die Dinge vergessen hatte, hielt ich ihn weiter unter meiner Obhut und nach [weiteren] neun Tagen konnte er vergessen, dass er lebte. Nachdem er vergessen hatte, dass er lebte, konnte er zur Klarheit der Morgenstunde [gelangen]. Nachdem er zur Klarheit der Morgenstunde [gelangt war], konnte er das Eine erblicken. Nachdem er das Eine erblickt hatte, konnte er [erkennen], dass weder Vergangenheit noch Gegenwart wirklich existieren. Nachdem er erkannt hatte, dass weder alt noch neu wirklich existieren, konnte er dorthin eindringen, wo es weder Tod noch Leben gibt. Tötet man Leben, stirbt es [dadurch] nicht. Bringt man Leben zur Welt, wird es nicht [dadurch] lebendig. So wirkt dieses Ding [das Dao]: Es gibt nichts, was nicht von ihm ausgelöst würde, und nichts, was nicht von ihm willkommen 89 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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geheißen würde. Es gibt nichts, was nicht durch es zerstört würde, und nichts, was nicht durch es vollendet würde. Das heißt Ruhe in der Berührung. Wer durch Berührung [mit den Dingen der Welt] [innere] Ruhe erlangt, der berührt und vollendet sich dadurch.« Nanbo Zikui fragte: »Wo hast du das gehört?« Nü Yu: »Ich hörte es vom Sohn dessen, der es mit Tusche [aufgeschrieben hat (d. h. aus Texten)]. Der Sohn dessen, der es mit Tusche [aufgeschrieben hat], hörte es vom Enkel desjenigen, der es weitererzählt hat. Der Enkel desjenigen, der es weitererzählt hat, hörte es von dem, der es [mit eigenen Augen] gesehen hat. Der es gesehen hat, hörte es von dem, der es [mit eigenen Ohren] gehört hat. Der es gehört hat, hörte es von dem, der es durch Anstrengung verwirklicht hat. Der es durch Anstrengung verwirklicht hat, hörte es vom Angerührt-Sein [von den Dingen]. Das Angerührt-Sein hörte es vom dunklen Ursprung [des Seins]. Der dunkle Ursprung hörte es vom Eingehen in die Leere. Und das Eingehen in die Leere hörte es vom Anbeginn.
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Zi Si, Zi Yu, Zi Li und Zi Lai sprachen zu viert miteinander: »Wer kann das Nichts als seinen Kopf, das Leben als seinen Rücken und den Tod als seinen Steiß ansehen? Wer versteht, dass Tod, Leben, Sein und Vergehen ein einziger Körper sind? Mit dem will ich Freund sein.« Die vier sahen sich an und lachten, in ihrem Geist gab es keine Unstimmigkeit und so wurden sie Freunde. Bald darauf wurde Zi Yu krank. Zi Si ging zu ihm hin. Zi Yu sagte: »Wie wundersam ist der Schöpfer der Dinge, mich so krumm zu verbiegen!« Sein Rücken hatte sich zu einem hohen Bogen gewölbt, die fünf Organe befanden sich oben, das Kinn verbarg sich im Nabel, die Schultern ragten hoch über den Kopf hinaus und sein Haarknoten zeigte zum Himmel. Die Energien von Yin und Yang waren aus dem Gleichgewicht gera90 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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ten, aber sein Geist war so ruhig, als ob nichts geschehen wäre. Er taumelte zum Brunnen, betrachtete sein Spiegelbild darin und sagte: »Oh, der Schöpfer der Dinge, wie er mich so immer weiter verkrümmt!« Zi Si sagte: »Ärgerst du dich darüber?« Zi Yu antwortete: »Nein. Warum sollte ich mich darüber ärgern? Wenn im Laufe der Zeit mein linker Arm in einen Hahn verwandelt wird, dann werde ich die Morgenstunde verkünden. Wenn im Laufe der Zeit mein rechter Arm in einen Bolzen [für die Armbrust] verwandelt wird, dann werde ich damit Vögel [jagen und sie mir] braten. Wenn im Laufe der Zeit mein Steiß in einen Wagen verwandelt wird und mein Geist in ein Pferd, dann werde ich damit fahren und brauche sonst kein Gefährt mehr. Wir erlangen dieses [Leben] durch die Zeit und verlieren es gemäß dem Lauf der Dinge. Wenn man sich der Zeit anvertraut und im Lauf der Dinge verweilt, können einem weder Trauer noch Freude dazwischengeraten. Das ist es, was man von alters her Befreiung aus der Verstrickung nennt. Wer sich selbst nicht befreien kann, der ist an die Dinge [der Welt] gefesselt. Aber die Dinge [der Welt] konnten noch niemals den Himmel überwinden. Warum sollte ich das verabscheuen?« Bald darauf wurde Zi Lai krank. Er atmete schwer und lag im Sterben. Seine Frau und Kinder standen um ihn herum und beweinten ihn. Zi Li kam ihn besuchen und sagte: »Husch, hinfort mit euch! Stört nicht die Verwandlung.« An die Tür gelehnt sagte er [halblaut] zu Zi Lai: »Wie großartig ist doch die schöpferische Verwandlung! Was hat sie wohl mit dir vor? Wohin wirst du wohl geführt werden? Wirst du vielleicht zu einer Mäuseleber oder zu einem Insektenbein gemacht?« Zi Lai sagte: »Vater und Mutter folgen wir als Kinder – nach Osten, Westen, Süden oder Norden – einfach so, wie man uns sagt. Yin und Yang folgen wir als Menschen, sie sind größer als Vater und Mutter. Wenn sie mich jetzt dem Tod nahe bringen und ich nicht auf sie hörte, wäre ich widerspenstig. Was für eine Schuld haben sie? Der Erdball hat mir einen Körper verliehen 91 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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und plagt mich mit dem Leben. Das Alter schafft mir Erleichterung. Der Tod gewährt mir eine Atempause. Wenn mir also mein Leben willkommen ist, muss mir auch mein Tod willkommen sein. Jetzt schmilzt der Große Schmied das Metall für den Guss. Würde das Metall herumtanzen und sagen: ›Mache mich unbedingt zu einem berühmten Schwert wie das von Mo Ye‹, hielte der Große Schmied dieses Metall sicher für unheilbringend. Nun wurde ich einmal in Menschenform gegossen. Würde ich sagen: ›Ich will unbedingt wieder ein Mensch werden, ich will unbedingt wieder ein Mensch werden!‹, hielte der Schöpfer mich sicher für einen unheilbringenden Menschen. Himmel und Erde sind wie ein großer Schmelzofen, und die schöpferische Verwandlung ist der Große Schmied. Wie könnte es da, wohin ich auch immer gehen möge, nicht gut sein? Ich werde friedlich einschlafen und plötzlich [wieder] erwachen.«
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Zi Sanghu, Meng Zifan und Zi Qinzhang unterhielten sich freundschaftlich zu dritt: »Wer kann mit anderen zusammen sein, ohne [mit einer Absicht mit ihnen] zusammen zu sein? Und einander helfen, ohne [mit einer Absicht] einander zu helfen? Wer kann zum Himmel aufsteigen, im Nebel wandeln und frei umherstreifen im Anfangslosen [im Dao], das beschränkte Leben vergessen und ohne Ende sein?« Die drei Männer blickten sich an und lachten. In ihrem Geist gab es keine Unstimmigkeit, und so wurden sie Freunde. Nach einer Weile verstarb ganz unvermittelt Zi Sanghu. Noch bevor die Trauerfeier zu Ende war, hörte Konfuzius davon und schickte seinen Schüler Zi Gong, damit er dabei behilflich sei. [Als er ankam] komponierten Meng Zifan und Zi Qinzhang gemeinsam Lieder, schlugen die Zither dazu und sangen:
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Der große ehrwürdige Meister
»Oh, weh Sanghu! Oh, weh Sanghu! Du kehrst schon zu der Wahrheit heim, Wir müssen weiter Menschen sein.«
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Zi Gong eilte hinein und sagte: »Gestattet mir die Frage, aber im Angesicht des Todes, entspricht es da etwa den guten Sitten zu singen?« Die beiden sahen sich an, lachten und sagten: »Was weiß er schon vom Sinn der guten Sitten!« Zi Gong kehrte zurück und berichtete Konfuzius: »Was sind das bloß für Leute? Sie haben keine Selbstdisziplin und haben alle Etikette vergessen. Im Angesicht des Todes singen sie, ohne rot zu werden. Mir fehlen dafür die Worte. Was sind das bloß für Leute?« Konfuzius sagte: »Sie wandeln außerhalb der gewöhnlichen Welt. Aber ich wandle innerhalb der gewöhnlichen Welt. Außen und innen passen nicht zusammen. Dich dorthin zu schicken, um Beileid zu bezeugen, war eine Nachlässigkeit meinerseits. Sie sind Gefährten des Schöpfers aller Dinge und leben aus der einen Lebenskraft von Himmel und Erde. Für sie ist das menschliche Leben so, als hätten sie sich eine Warze zugezogen oder als sei ihnen ein Geschwür gewachsen, und Sterben bedeutet für sie Befreiung von der Warze und das Zerplatzen des Geschwürs. Wie könnten solche Menschen wissen, ob der Tod oder das Leben dasjenige ist, das vorangeht oder nachfolgt? Sie nehmen das Fremde in sich auf und bilden daraus einen menschlichen Körper, dann vergessen sie Leber und Galle und vergessen Ohren und Augen. Sie gehen dahin und kommen wieder zurück, beenden und beginnen [das Leben aufs Neue] und kennen keine Beschränkung. Absichtslos wandeln sie außerhalb der Welt des Staubes und überlassen sich frei und ungehindert dem Nicht-Handeln. Wie könnten sie der verworrenen Etikette der profanen Welt gemäß handeln oder sich um Anerkennung durch die Ohren und Augen der Menge bemühen?« Zi Gong sagte: »Und Ihr, Meister, an welche Welt haltet Ihr Euch?« Konfuzius sagte: »Ich bin vom Himmel gestraft. Dennoch will ich mich mit dir an diese [profane] Welt halten.« 93 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 6
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Zi Gong sagte: »Gestattet mir, nach jener Welt zu fragen.« Konfuzius sagte: »Fische gedeihen im Wasser, Menschen gedeihen im Dao. Die im Wasser gedeihen, werden sich ausreichend entwickeln, wenn man ihnen einen Teich aushebt. Die im Dao gedeihen, werden ein erfülltes Leben haben, wenn sie von menschlichen Angelegenheiten unbehelligt bleiben. Deshalb heißt es: ›Die Fische sollen einander in den Flüssen und Seen vergessen, und die Menschen sollen einander in der Praxis des Dao vergessen.‹« Zi Gong sagte: »Gestattet mir nach dem außergewöhnlichen Menschen zu fragen.« Konfuzius sagte: »Der außergewöhnliche Mensch ist nur unter den Menschen außergewöhnlich. Dem Himmel ist er gleichgesinnt. Deshalb heißt es: ›Wer für den Himmel ein kleiner Mensch ist, ist für die Menschen ein Edler. Wer für den Himmel ein Edler ist, ist für die Menschen ein kleiner Mensch.‹«
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Yan Hui fragte Zhong Ni: »Mengsun Cai hat beim Tod seiner Mutter zwar [der Etikette entsprechend] geheult und geweint, aber ohne Tränen zu vergießen. Er war in seinem Herzen nicht bekümmert. Obwohl er Trauerkleidung trug, war er nicht traurig. Bei ihm haben diese drei [Kennzeichen echter Trauer] gefehlt und trotzdem gilt er im ganzen Staate Lu als ein Beispiel für vorbildliche Trauer. Eigentlich hat er, ohne es wirklich zu verdienen, diesen Ruf erlangt. Für mich ist das nichts als befremdlich.« Zhong Ni sagte: »Mengsun hat vollkommen gehandelt. Sein Wissen ging [über die Etikette] hinaus. Es ist zwar kaum möglich, solche Förmlichkeiten zu vereinfachen, aber er hat sie wenigstens zu einem gewissen Grade vereinfacht. Mengsun wusste nicht, warum die Menschen geboren werden. Er wusste nicht, warum sie sterben. Er wusste nicht, ob man sich an das Vorherige [das Leben] halten solle. Er wusste nicht, ob man sich an das Nachfolgende [den Tod] halten solle. Er ver94 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Der große ehrwürdige Meister
traute sich der Verwandlung an und wurde [als Mensch] zu einem Ding in der Welt. Dabei wartete er ab, ohne etwas über die Verwandlung zu wissen. Wie könnte überhaupt das, das sich schon verwandelt hat, noch etwas von demjenigen wissen, das sich noch nicht verwandelt hat? Und wie könnte überhaupt das, das sich noch nicht verwandelt hat, schon etwas von demjenigen wissen, in das es sich verwandeln wird? Nur Leute wie ich und du, wir haben noch nicht einmal begonnen, aus diesem Traum zu erwachen. Für Mengsun veränderte sich der Körper, aber der Geist nahm keinen Schaden. Die provisorische Wohnstatt wurde ausgetauscht, aber es starb nicht der darin wohnende Geist. Mengsun war erwacht und wenn die Menschen heulten, heulte auch er. Darin lag der Grund für sein [vorbildliches] Handeln. Indessen bezeichnen wir alle ausnahmslos dasjenige hier als unser Ich. Aber wie könnte eigentlich das Ich von demjenigen wissen, das es als Ich bezeichnet? Einstweilen träumtest du, du warst ein Vogel und flogst in den Himmel, oder du träumtest, du warst ein Fisch und tauchtest in die Tiefe. Und du weißt nicht, ob derjenige, der es jetzt erzählt, aufgewacht ist oder ob er [noch immer] träumt. Man braucht die vergänglichen Freuden [des Lebens] nicht zu verlachen und Glück und Lachen [der Welt] braucht man nicht zu vermeiden. Man ruhe im Wandel und überlasse sich der Veränderung. So dringt man in die Stille ein und vereinigt sich mit dem Himmel.
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8 Yi Erzi traf Xu You. Xu You sagte: »Was hatte Yao dir zu geben?« Yi Erzi sagte: »Er sagte mir: ›Du selbst musst unbedingt Menschlichkeit und Gerechtigkeit praktizieren und Gut und Böse klar benennen.‹« Xu You sagte: »Wozu bist du dann noch zu mir kommen? Yao hat dir schon Menschlichkeit und Gerechtigkeit ins Gesicht eintätowiert und dir mit Gut und Böse die Nase abgeschnitten. Wie könntest du noch auf dem Pfad von 95 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 6
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Sorglosigkeit, Freiheit und Umgestaltung wandeln?« Yi Erzi sagte: »Dann will ich doch zumindest in dessen Nähe wandeln.« Xu You sagte: »Unmöglich! Ein Blinder nimmt keinen Anteil am Liebreiz des anmutigen Gesichts einer Schönen, und ein Blinder nimmt keinen Anteil am Anblick der Farben und Muster eines prächtigen Gewandes.« Yi Erzi sagte: »Aber als sie vom Dao hörten, vergaß die legendäre Schönheit Wu Zhuang ihre Schönheit, vergaß der Krieger Ju Liang seine Kraft, vergaß der Gelbe Kaiser seine Weisheit; sie alle verweilten vorbehaltlos in der Feuerstelle [des Dao], um dort umgeschmiedet zu werden. Wie könnt Ihr wissen, dass der Schöpfer meine Tätowierung nicht auslöscht und meine Nase ergänzt, um mich mit einem vollständigen Körper Euch als meinem Lehrer nachfolgen zu lassen?« Xu You sagte: »Hm, das kann man tatsächlich nicht wissen. Ich werde dir also einen groben Überblick geben: Oh, mein Lehrer das Dao! Oh, mein Lehrer das Dao! Es erschafft alle zehntausend Dinge, aber nicht aufgrund von Gerechtigkeit. Sein Segen erstreckt sich über zehntausend Generationen, aber nicht aufgrund von Menschlichkeit. Schon lange, seit uralter Zeit existiert es, und ist doch nicht alt. Es umfasst Himmel und Erde, erschafft alle Formen und ist doch nicht geschickt. Dort und nirgendwo sonst wandle ich.«
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Yan Hui sagte: »Ich habe Fortschritte gemacht.« Zhong Ni sagte: »Was meinst du?« Yan Hui sagte: »Ich habe Menschlichkeit und Gerechtigkeit vergessen.« Zhong Ni sagte: »Gut. Aber das ist noch nicht genug.« An einem anderen Tag kam Yan Hui wieder, um Zhong Ni zu sehen, und sagte: »Ich habe Fortschritte gemacht.« Zhong Ni sagte: »Was meinst du?« Yan Hui sagte: »Ich habe Riten und Musik vergessen.« Zhong Ni sagte: »Gut. Aber das ist noch nicht genug.« An einem anderen Tag kam Yan Hui wieder, um Zhong Ni zu sehen, und sagte: »Ich habe Fortschritte 96 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Der große ehrwürdige Meister
gemacht.« Zhong Ni sagte: »Was meinst du?« Yan Hui sagte: »Ich sitze und vergesse.« Zhong Ni merkte auf und sagte: »Was bedeutet sitzen und vergessen?« Yan Hui sagte: »Die Glieder und den Körper fallenlassen, Hören und Sehen entsagen, sich vom Körper lösen, das Bewusstsein aufgeben und sich vereinen mit dem, was alles durchdringt. Das nenne ich sitzen und vergessen.« Zhong Ni sagte: »Wenn du dich damit vereinigst, hast du keine Vorlieben mehr; wenn du dich verwandelst, hast du keine Beständigkeit mehr. Du bist tatsächlich außergewöhnlich. Ich bitte dich, lass mich dir von nun an [als meinem Lehrer] folgen.«
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10 Zi Yu und Zi Sang waren Freunde. Als es zehn Tage lang durchgehend geregnet hatte, sagte Zi Yu: »Zi Sang ist bestimmt ganz ausgehungert.« Er wickelte Reis ein und ging hin, um ihm zu essen zu geben. Als er zu Zi Sangs Tor kam, da erklang es wie Gesang und wie Wehklage, Zi Sang schlug die Zither und rief: »Vater? Mutter? Himmel? Menschen?« Seine Stimme war kraftlos, und er stieß die Verse hastig aus. Zi Yu trat hinein und sagte: »Warum singst du so [seltsam]?« Zi Sang sagte: »Ich frage mich, wer mich in diese Notlage gebracht hat, und finde ihn nicht. Wieso sollten Vater und Mutter wollen, dass ich so arm bin? Der Himmel erstreckt sich unvoreingenommen über alle, die Erde trägt unvoreingenommen jeden. Wieso sollten Himmel und Erde gerade mich so arm machen? Ich suche nach dem, der das verursacht hat, aber ich finde ihn nicht. Wer mich in diese Notlage gebracht hat, das ist das Schicksal.«
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Kapitel 7 – Übersicht
Das letzte der »Inneren Kapitel« trägt den Titel »Des Himmelsfürsten Ratschläge für Könige« Yingdiwang 應帝王und wurde oft als »Empfehlungen für Kaiser und Könige« übersetzt. Die Wiedergabe des Titels orientiert sich an Brook Ziporyn und seiner Beobachtung, dass bei den Überschriften der Kapitel 1–7 jeweils die ersten beiden Schriftzeichen eine semantische Einheit bilden, dabei bezieht er sich u. a. auf Wu Yi. Di 帝 ist demnach als Kurzform für Shangdi 上帝 mit »Himmelsfürst« übersetzt, womit auch das Wortspiel mit dem geläufigen Kompositum diwang »Kaiser und Könige« angedeutet werden soll. Als »Himmelsfürst« wird hier das oberste kosmische Prinzip bezeichnet, es handelt sich somit um einen anderen Namen für das Dao. Es wird also die Frage aufgeworfen, wie politische Herrschaft auf der Grundlage der bisher auf ganz unterschiedliche Weise vorgestellten Lebenshaltung verwirklicht werden kann. Man würde aber die Intention der Texte und den Charakter des Buches verfehlen, wenn man konkrete Handlungsanweisungen für die Politik erwartete. Die Botschaften sind auch hier nur zwischen den Zeilen zu finden. Die ersten beiden Abschnitte stellen Weise vor, die dadurch charakterisiert sind, dass sie weder Kritik an anderen Menschen üben noch die Prinzipien von Menschlichkeit und Gerechtigkeit anerkennen, auf denen konfuzianischen Vorstellungen zufolge staatliche Herrschaft begründet sein sollte. Dabei geht es aber wohl kaum um die Ablehnung eines wahrhaft humanen und aufrichtigen Handelns. Vielmehr wird aufgezeigt, dass diese Ideale zu bloßen Äußerlichkeiten verkommen können, und – im ungünstigen Fall – sogar zur Ursache von Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit werden. Der erste Schritt zur guten Herrschaft führt also nach innen, beispielsweise
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Kapitel 7 – Übersicht
zur aufrechten Prüfung der eigenen Motivation. Der dritte Abschnitt ist ein mythologischer Einschub, der ein weiteres Beispiel von Herrschaftsverweigerung anführt, und der vierte Abschnitt legt dar, wie unaufdringlich die Regentschaft des idealen Herrschers ist. Er hält sich so sehr im Verborgenen, dass dem Volk gar nicht bewusst wird, wie weise es regiert wird. Dieses Motiv findet sich auch im Daodejing an mehreren Stellen. So wirkt also auch der weise Herrscher durch Nicht-Handeln im besten Sinne. Der fünfte und zugleich der längste Abschnitt des Kapitels berichtet von Liezi 列子und seinem Lehrer Huzi 壺子. Liezi geht aufgrund seines Stolzes einem dubiosen Schamanen auf dem Leim, der behauptet, das Schicksal der Menschen vorhersagen zu können. In der Folge kommt es zu mehreren Begegnungen dieses Schamanen mit Huzi, welcher ihm die Unbeständigkeit des Schicksals und die Unmöglichkeit von Prophezeiungen eindrucksvoll demonstriert. Liezi erkennt am Ende der Geschichte die Unzulänglichkeit seines Wissens und Verstehens und wählt den Weg in die Bescheidenheit, indem er sich auf ein einfaches Leben als Schweinebauer und Hausmann beschränkt. Nach einem Gedicht im sechsten Abschnitt, das noch einmal das Prinzip des Nicht-Handelns in Erinnerung ruft, enden die »Inneren Kapitel«, ähnlich wie sie begonnen haben, mit einem Mythos, der heute in ganz Ostasien weithin berühmt ist. Hundun, der die ursprüngliche Einheit und Gestaltlosigkeit des Kosmos repräsentiert, wird durch den Herrscher des Süd-Meeres und den Herrscher des Nord-Meeres mit den besten Absichten, aber auf brutale Weise um seine Existenz gebracht. Die beiden Meere werden auch im Mythos vom Phönix zu Beginn des ersten Kapitels genannt. Norden und Süden zerstören durch Aktionismus die Einheit und den Frieden von Hunduns Existenz. Die »Inneren Kapitel«, die mit einer monumentalen mythologischen Schilderung von Transformation und Metamorphose beginnen, enden mit dieser eindringlichen Warnung davor, den »Wandel der Dinge« bewusst und zielgerichtet herbeiführen zu wollen.
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Kapitel 7 Des Himmelsfürsten Ratschläge für Könige
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Nie Que fragte Wang Ni. Er fragte viermal und erhielt viermal »Ich weiß es nicht« zur Antwort. Daraufhin tanzte Nie Que und freute sich sehr. Er ging zu Puyizi und berichtete ihm. Puyizi sagte: »Weißt du das etwa erst jetzt? Youyu reichte nicht an Tai heran. Youyu lag die Menschlichkeit am Herzen, und er forderte sie von den Menschen. Und so gewann er die Menschen für sich. Aber er ließ das Kritisieren der Menschen nie hinter sich. Tai war in seinem Schlaf friedvoll und behaglich, und wenn er erwachte, war er wie geistesabwesend. Einmal hielt er sich für ein Pferd. Einmal hielt er sich für ein Rind. Seine Erkenntnis des Dao war wirklich aufrichtig. Seine Tugend [im Umgang mit der Welt] war außergewöhnlich wahrhaftig. Aber er begann nie damit, die Menschen zu kritisieren.
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Jian Wu besuchte den Verrückten Jie Yu. Der Verrückte Jie Yu sagte: »Was hat dir dieser Tage Zhong Shi gesagt?« Jian Wu sagte: »Er teilte mir mit: ›Wenn der Herrscher über die Menschen selbst die Regeln befolgt und in seiner Gerechtigkeit ein Vorbild ist, wer würde es dann wagen, nicht auf ihn zu hören, und wer würde sich nicht verbessern?‹« Jie Yu sagte: »Das ist Schein-Tugend. Damit das Reich beherrschen zu wollen, ist so unmöglich wie zu Fuß das Meer zu überqueren, mit dem Meißel einen Kanal [für Schiffe] auszuheben oder einer Mücke einen Berg auf die Schultern zu laden. Ist die Herrschaft des Weisen 100 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Des Himmelsfürsten Ratschläge für Könige
etwa Herrschaft über Äußerlichkeiten? Er berichtigt seine innere Haltung und erst danach handelt er. Gewissenhaft dazu fähig zu sein, [das zeichnet den Weisen aus] und nichts weiter. Der Vogel fliegt hoch, um dem Schaden durch den Pfeil und das Netz zu entgehen, die Maus gräbt ihr Loch tief unter dem Schreinhügel, um der Sorge vor dem Ausräuchern zu entgehen. Bist du etwa unwissender als diese beiden Kreaturen?«
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3 Tian Gen wanderte auf der Sonnenseite des Berges Yin und gelangte ans Ufer des Flusses Liao. Dort begegnete er zufällig einem namenlosen Menschen. Tian Gen fragte ihn: »Ich möchte dich fragen, wie man das Reich führen sollte.« Der namenlose Mensch sagte: »Geh weg, du abscheulicher Mensch! Was für eine unerfreuliche Frage! Ich bin gerade dabei ein Gefährte des Schöpfers zu werden. Wenn ich der Welt überdrüssig werde, dann will ich den Vogel reiten, der frei im Grenzenlosen fliegt, und werde den Bereich der sechs Richtungen verlassen. Dann begebe ich mich zu dem Ort, wo nichts mehr existiert, und verweile im weiten Ödland. Warum willst du mit deiner müßigen Frage nach der Ordnung im Reich meinen Geist ins Wanken bringen?« Tian Gen fragte noch einmal. Der namenlose Mensch sagte: »Lasse deinen Geist im Farblosen verweilen und vereinige deine Lebenskraft mit der Stille. Folge den Dingen, wie sie sich von selbst entwickeln, und bringe dich und deine persönlichen Ansichten nicht ein. Dann wird das Reich geordnet sein.«
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4 Yangzi Ju sah Lao Dan und sagte: »Angenommen es gäbe hier einen Menschen, flink und stark, gelehrt und geistreich, der unablässig das Dao studiert. Käme so jemand den erleuchteten 101 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 7
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Herrschern [der Vergangenheit] gleich?« Lao Dan sagte: »Vom Standpunkt des Weisen aus ist das einer, der sich als niedere Dienstkraft oder als einfacher Handwerker körperlich abmüht und geistig quält. Ebenso lockt das schöne Fell von Tiger und Leopard den Jäger heran, und die Geschicklichkeit des Affen und die Fähigkeit des Hundes, Wildkatzen zu fangen, verursacht ihre Gefangenschaft. Kommen sie etwa einem erleuchteten Herrscher gleich?« Yangzi Ju machte ein ernstes Gesicht und sagte: »Dann erlaubt mir, nach der Regierung des erleuchteten Herrschers zu fragen.« Lao Dan sagte: »Wenn durch die Regierung des erleuchteten Herrschers das Reich beschützt wird, dann scheint es nicht von ihm auszugehen. Die zehntausend Dinge verbessern sich, aber das Volk hängt nicht von ihm ab. Er ist da, aber man wüsste seinen Namen nicht zu nennen. Er lässt die Dinge aus sich selbst [heraus] glücklich gedeihen. Sein Fundament ist das Unermessliche und er verweilt im NichtSein.«
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In Zheng gab es einen Schamanen namens Ji Xian. Er wusste, ob ein Mensch sterben oder leben, überdauern oder vergehen würde, ob ihn Unheil oder Glück erwartete, ob er ein langes Leben haben würde oder nicht. Er [kannte] genau das Jahr, den Monat, den Monatsabschnitt und den [Todes-]Tag, so als wäre er selbst eine Gottheit. Wenn die Leute von Zheng ihn erblickten, rannte ein jeder eiligst davon. Liezi sah ihn, und sein Geist war wie benommen. Als Liezi zu [seinem Lehrer] Huzi zurückkam, sagte er zu ihm: »Anfangs hielt ich Euer Dao für vollkommen, aber jetzt weiß ich, dass es eine darüber hinausgehende Vollkommenheit gibt.« Huzi sagte: »Ich habe dir zwar die Hülle des Dao vollständig übermittelt, aber seinen Kern noch nicht vollständig. Und du denkst tatsächlich, du hättest das Dao schon erlangt? Wenn du viele Hennen hast, aber keinen Hahn, wie sollte es da 102 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Des Himmelsfürsten Ratschläge für Könige
Eier geben [aus denen Küken schlüpfen]? Aber du hältst das wohl für das Dao, ereiferst dich in der Welt und erwartest, dass man dir vertraut? Infolgedessen lässt du die Menschen deine Gesichtszüge lesen. Bring ihn doch einmal mit und lasse ihn mein Schicksal prophezeihen. Am nächsten Tag brachte Liezi den Schamanen, um Huzi zu sehen. Als sie hinausgingen, sagte jener zu Liezi: »Oh, dein Meister wird sterben. Er hat keine Lebenszeit mehr. Ihm verbleiben weniger als zehn Tage. Ich habe ein verdächtiges Vorzeichen gesehen, ich sah feuchte Asche.« Liezi ging wieder hinein, während ihm die Tränen flossen und seinen Kragen benetzten, berichtete er Huzi [was der Schamane prophezeit hatte]. Huzi sagte: »Vorhin habe ich ihm die Beschaffenheit der Erde gezeigt: Stille, ohne Regung und ohne Anhalten. Das hat er bestimmt als Rückgang der Aktivität meiner Lebenskraft gesehen. Bring ihn doch noch einmal mit.« Am nächsten Tag kam Liezi wieder mit ihm, um Huzi zu sehen. Als sie hinausgingen, sagte der Schamane zu Liezi: »Was für ein Glück! Dein Meister ist durch die Begegnung mit mir geheilt worden! Er ist gesund und hat wieder Leben! Ich sah Knospen sprießen.« Liezi ging wieder hinein und berichtete Huzi. Huzi sagte: »Vorhin habe ich ihm die Fruchtbarkeit des Himmels gezeigt: weder zu benennen noch zu erfassen. Ihre Aktivität geht von den Fersen aus. Das hat er wahrscheinlich als guten Zustand meiner Lebenskraft gesehen. Bring ihn doch noch einmal mit.« Am nächsten Tag kam Liezi wieder mit ihm, um Huzi zu sehen. Als sie hinausgingen, sagte der Schamane zu Liezi: »Dein Meister ist nie derselbe. Ich kann seine Gesichtszüge nicht erfassen. Falls er sich stabilisiert, will ich ihm wieder etwas vorhersagen.« Liezi ging wieder hinein und berichtete Huzi. Huzi sagte: »Ich habe ihm vorhin die große Leere und die Ichlosigkeit gezeigt. Das hat er wahrscheinlich als Unstetigkeit meiner Lebenskraft gesehen. Denn die unergründliche Tiefe ist manchmal wie ein Strudel, den ein Wal beim Herumschwimmen ver103 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
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Kapitel 7
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ursacht. Die unergründliche Tiefe ist manchmal wie stehendes Wasser. Die unergründliche Tiefe ist manchmal wie fließendes Wasser. Die unergründliche Tiefe hat neun Erscheinungsformen, ich habe ihm drei gezeigt. Bring ihn doch noch einmal mit.« Am nächsten Tag kam Liezi wieder mit ihm, um Huzi zu sehen. Noch ehe er sich richtig vor Huzi hingestellt hatte, rannte der Schamane davon. Huzi sagte: »Hole ihn ein!« Aber Liezi konnte ihn nicht einholen. Er kehrte um und berichtete Huzi: »Er war schon verschwunden. Er war schon fort. Ich konnte ihn schon nicht mehr einholen.« Huzi sagte: »Vorhin habe ich ihm meinen Ursprung gezeigt, aus dem ich anfangslos hervorgehe. Ich habe mich leer gemacht und [an die Situation] angepasst, da konnte er nicht mehr erkennen, wer oder was ich war. Dadurch erschien es ihm, als ob was er sah sich krümmte und in sich zusammenbrach. Dadurch erschien es ihm, als ob er hinweggespült würde. Deshalb ist er davongerannt.« Danach erschien es Liezi selbst, als hätte er noch nicht einmal damit angefangen, das Dao zu erlernen, und er ging nach Hause. Drei Jahre lang ging er nicht mehr hinaus. Er kochte für seine Frau und fütterte die Schweine so fürsorglich, als würde er Menschen zu essen geben. Unter den Angelegenheiten, um die er sich kümmerte, hatte er keinerlei Vorlieben. Er verzichtete auf Luxus und lebte wieder schlicht. In einsamer Erhabenheit lebte er unabhängig und materiell selbstständig. Den Verwirrungen der Welt gegenüber bewahrte er diese Haltung geradlinig bis zu seinem Lebensende.
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Sei nicht Inhaber eines großen Namens, Schaffe dir keinen Vorrat an Strategien, Übernehme keine gewichtiges Amt, Sei nicht Herr über das Wissen. 104 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Des Himmelsfürsten Ratschläge für Könige
Vereinige dich ganz mit dem Grenzenlosen und wandle im Eigenschaftslosen. Vervollkommne das, was du vom Himmel empfangen hast, und suche sonst keinen Gewinn. Werde einfach nur leer. Der Vollendete gebraucht seinen Geist gleich einem Spiegel. Er hängt [Vergangenem] nicht nach und erwartet nicht [Kommendes]. Er passt sich an und speichert nichts auf. Deshalb meistert er die Dinge und nimmt keinen Schaden.
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7 Der Herrscher des Südmeeres war Shu. Der Herrscher des Nordmeeres war Hu. Der Herrscher der Mitte war Hundun. Shu und Hu begegneten Hundun einmal in seinem Gebiet. Hundun kümmerte sich außerordentlich gut um sie. Shu und Hu beschlossen, Hundun seine Tugend zu vergelten. Sie sagten: »Die Menschen haben alle sieben Löcher [im Kopf], mit denen sie sehen, hören, essen und atmen. Nur er [Hundun] hat keine. Wir wollen ihm welche bohren.« Jeden Tag bohrten sie ihm ein Loch. Am siebten Tag war Hundun tot.
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Anhang
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Stellenkommentar
Kapitel 1 (S. 27–33) 1 S. 27, Z. 4 Fischlein] Kun 鯤; der Name des riesigen Fisches bezeichnet wörtlich eine eben aus dem Ei geschlüpfte winzige Fischlarve. Schon in den ersten Sätzen des Buchs werden herkömmliche Namen und Bezeichnungen ironisch infrage gestellt. S. 27, Z. 5 Meilen] Gemeint ist die chinesische Meile li 里, deren Umrechnung nicht eindeutig ist; in der Zhou-Dynastie (zu Lebzeiten des Zhuangzi) galten 300 Schritte als eine Meile. S. 27, Z. 6 Phönix] Der chinesische Phönix fenghuan 鳳凰 ist hier mit dem Schriftzeichen peng 鵬 bezeichnet. Diese Textstelle ist die älteste literarische Quelle für den Mythos von der Verwandlung des im Meer lebenden riesigen Urfisches in den gewaltigen Phönix. Die »Verwandlung der Dinge« wuhua 物化 ist eines der wichtigsten Themen im Buch Zhuangzi überhaupt. S. 27, Z. 12 Qi Xie] 齊諧; ein Personenname (nach Sima Biao und Cui Zhuan) oder ein Buchtitel (nach Kaiser Jianwen). S. 27, Z. 16 Wilden Pferden gleich] ye ma 野馬; übersetzt nach Cui Zhuan, der die Pferde als Metapher für die schnelle Bewegung deutet. S. 28, Z. 7 poliert am Vorabend Reis] su 宿; »am Vorabend« übersetzt nach Wang Xianqian, der es als Ersetzung für xi 夕 liest; chong liang 舂糧 »Reis polieren« chong bedeutet, Getreide in einer Reibschale zu schleifen, nach Akazuka Kiyoshi hier als ein Beispiel für Reisevorbereitungen angeführt. S. 28, Z. 12 Morgenpilz] Zhaojun 朝菌; ein Pilz, der am Morgen aus der feuchten Erde wächst und im Lauf des Tages an der Sonne vertrocknet. Dieser Pilz kommt auch im Buch Liezi vor. Die Über-
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Stellenkommentar
setzung folgt Sima Biao u. a.; nach anderen Interpretationen soll hier ein kurzlebiges Insekt gemeint sein. S. 28, Z. 15 Chu] 楚; ein Staat zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen. S. 28, Z. 15 Mingling … Daichun] Mingling 冥霊 und Daichun 大椿 sind die Namen legendärer Bäume. S. 28, Z. 19 Das sind lange Lebensspannen.] Dieser Satz findet sich nur in Ausgaben, die auf Chen Bixus Kommentar zurückgehen, und Wang Shumin vermutet, dass es sich um eine Ergänzung handelt, die Parallelität zu dem entsprechenden Satz einige Zeilen zuvor herstellen sollte. S. 28, Z. 20 Pengzu] 彭祖; legendäre Gestalt, die 700 oder 800 Jahre alt geworden sein soll. S. 28, Z. 23 Fragen des Tang an Ji] Tang 湯 war der erste König des Landes Yan 殷 und Ji 棘war einer seiner Ratgeber. Die Fragen finden sich auch im Buch Liezi. S. 28, Z. 28 Tai Shan] 泰山; einer der fünf heiligen Berge Chinas, von alters her Inbegriff eines hohen Berges. S. 29, Z. 8 Song Rongzi] 宋栄子 soll etwas früher als Konfuzius und Menzius gelebt haben. S. 29, Z. 15 Liezi] 列子 (auch Lie Yukou 列圄寇/列禦寇); Prototyp des daoistischen Heiligen mit übernatürlichen Kräften, er soll in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen gelebt haben. Liezi ist auch der Titel eines Textes, der über ihn berichtet, vgl. 7:5. S. 29, Z. 16 Erst nach 15 Tagen] Nach dem chinesischen Mondkalender wird das Jahr in 24 Abschnitte von je 15 Tagen eingeteilt, die jeweils mit einem Wetterumschwung einhergehen sollen. Hier wird auf diese jahreszeitlichen Veränderungen angespielt, von denen Liezi beim Reisen auf dem Wind abhängig ist. S. 29, Z. 21 Wandel der sechs alltäglichen Wetterphänomene] Nach Sima Biao sind damit die folgenden sechs Zustände zwischen Himmel und Erde gemeint: Schatten bzw. Dunkelheit (yin 陰), Licht bzw. Helligkeit (yang 陽), Wind, Regen, Tag und Nacht. S. 29, Z. 23 »Der Vollendete … keinen Namen.] Song Rongzi ist ein Beispiel für einen »vollendeten Menschen« (zhiren 至人). Liezi ist ein Beispiel für einen »heiligen« oder »geistigen Menschen«
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Kapitel 1
(shenren 神人), der ein noch größeres Maß von Freiheit erlangt hat und sich keinerlei »Leistungszwang« mehr unterwirft. Aus ihm muss nichts mehr werden, er bemüht sich nicht mehr, irgendwohin zu gelangen. Aber der wirklich autonome Mensch, der völlig frei und unabhängig lebt (vgl. die Überschrift des Kapitels), das ist der »Weise« (shengren 聖人), der das Dao erlangt hat. Hier wird kein namentliches Beispiel angeführt. Der Weise hat auch insofern keinen Namen, als er sich allen Definitionen und Bestimmungen entzieht.
2 Yao] 堯; legendärer Kaiser, im Konfuzianismus wird er als idealer weiser Herrscher verehrt. S. 29, Z. 27 Xu You] 許由; Einsiedler auf dem Berg Ji Shan 箕山. In der bekannten Geschichte, auf die hier Bezug genommen wird, wäscht sich Xu You, nachdem er das Angebot des Kaisers abgelehnt hat, die Ohren. S. 30, Z. 5 Aber der Ruhm ist nur ein flüchtiger Gast der Wirklichkeit.] Ruhm und Herrschertitel sind nur vorübergehende Auswirkungen oder Nebenwirkungen des Handelns in der Welt. Der Ruhm bleibt, genau wie ein Gast, nur für eine begrenzte Zeit. S. 30, Z. 13 Medium] Lu Deming erläutert, dass bei bestimmten Zeremonien des Ahnenkults ein junger Blutsverwandter des Verstorbenen als Medium diente, in den der Geist des Verstorbenen einkehren sollte. S. 29, Z. 27
3 S. 30, Z. 17 Jian Wu fragte Lian Shu:] Jian Wu 肩吾 und Lian Shu
連叔; zwei Weise, die das Dao erlangt haben. Jian Wu wird in 6:3 in einer Reihe mit dem Gelben Kaiser und Zhuan Xu 顓頊 genannt und kommt auch in 7:2 und in Kapitel 21 vor. S. 30, Z. 17 Worte des Jie Yu] Jie Yu 接輿; ein Weiser im Staat Chu 楚, der als Zeitgenosse des Konfuzius gilt und sich wie ein
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Stellenkommentar
Narr aufgeführt haben soll; vgl. 7:2. Sein Name findet sich bei Konfuzius und in vielen anderen Klassikern. S. 30, Z. 22 Berg Guye Shan] 姑射山. S. 30, Z. 24 Er isst nicht von den fünf Körnern] In der Regel sind mit den fünf Körnern Hirse, Kolbenhirse, Sesam, Getreide und Bohnen gemeint. S. 30, Z. 27 jenseits der vier Meere] Die Meere in den vier Himmelsrichtungen, die bekannte Welt, vgl. 2:10. S. 30, Z. 30 »Fürwahr, einem Blinden … Glocke und Trommel«.] Eine ähnliche Stelle findet sich in 6:8. S. 31, Z. 7 … selbst eine große Flut … ihn nicht verbrennen.] Ähnlich in 2:10 und 6:1. S. 31, Z. 12 Yao oder Shun] Yao 堯 und Shun 舜 zählen zu den legendären Kaisern des Altertums. S. 31, Z. 12 Wer würde sich … beschäftigen?] Eine fast identische Stelle findet sich in 5:1. S. 31, Z. 14 aus dem Lande Song] Song 宋 war ein Staat, der vom 11. Jahrhundert v. u. Z. bis 286 v. u. Z. existierte. Zhuangzi selbst stammte aus Song. S. 31, Z. 14 Ritualkronen] Rituelle Kopfbedeckung während der Yin-Dynastie. Da die Bewohner des Landes Song die Nachkommen der Yin-Dynastie waren, galten die dort nach alter Tradition gefertigten Ritualkronen als selten und wertvoll. S. 31, Z. 15 Yue] 越; Staat zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen. S. 31, Z. 18 innerhalb der Meere] Die bekannte Welt. S. 31, Z. 19 begegnete vier Weisen.] Sima Biao nennt folgende vier Namen: Wang Ni 王倪, Nie Qian 齧欠, Bei Yi 被衣 und Xu You 許由. S. 31, Z. 20 Fenshui] 汾水. S. 31, Z. 14 Ein Mann aus dem Lande Song … wusste nichts mehr von seinem Reich.«] Vielleicht handelt es sich bei diesem Absatz nicht um die Fortsetzung des Gesprächs zwischen Jian Wu und Lian Shu. Der Text könnte hier durcheinandergeraten sein.
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Kapitel 1
4 S. 31, Z. 24 Huizi] 惠子; gemeint ist Hui Shi 惠施, der zur Schule
der Sophisten gezählt wird und Kanzler des Landes Wei 魏 wurde. Gespräche zwischen ihm und Zhuangzi finden sich auch in anderen Kapiteln (vgl. 2:4; 5:6), besonders ausführlich in Kapitel 33. S. 31, Z. 26 fünf Eimer] shi 石; Volumenmaß, ein shi soll etwa 19 Litern entsprochen haben, aber die Umrechnung ist nicht sicher. S. 32, Z. 3 Seidenbleichen] Bei dieser Arbeit mit der nassen Rohseide benutzen sie die Salbe, um ihre Hände zu schützen. S. 32, Z. 4 100 jin] 金; Währungseinheit, deren Umrechnung nicht klar ist. S. 32, Z. 11 Krieg mit dem Land Yue] Wu 呉 und Yue 越; sprichwörtlich verfeindete Küstenstaaten am Unterlauf des Flusses Yangzi zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen.
5 chu] 樗; dieser Laubbaum aus der Familie der Bittereschengewächse ist auch als shenshu 神樹 »Götterbaum« und xiuchun 臭椿 »Stink-Kamelie« bekannt. S. 33, Z. 11 im weiten Ödland] Der gleiche Ausdruck findet sich auch in 7:3. S. 33, Z. 12 ohne etwas zu tun] Hier kommt zum ersten Mal der Begriff wuwei 無爲 »Nicht-Handeln« vor, der oft als ein zentrales Charakteristikum der Lebenshaltung des Zhuangzi angeführt wird. S. 33, Z. 14 Wo nichts zu gebrauchen ist] Ein weiteres häufiges Motiv im Zhuangzi ist der Nutzen der Nutzlosigkeit, vgl. 4:4–7. S. 32, Z. 27
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Stellenkommentar
Kapitel 2 (S. 36–49) 1 S. 36, Z. 4 Ziqi von der Südmauer] Denker aus dem Staat Chu 楚, der auch in anderen Kapiteln des Zhuangzi vorkommt, möglicherweise keine historische Person, sondern fiktiv. Ziqi 子綦 ist ein Personenname. Er soll nahe der südlichen Stadtmauer gelebt haben. S. 36, Z. 6 Ziyou] Yancheng Ziyou 顏成子游; Schüler des Ziqi. Yancheng ist sein Familienname und Ziyou ein Beiname. Sein Vorname lautet Yan 偃. S. 36, Z. 9 tote Asche] Vgl. »feuchte Asche« in 7:5. S. 36, Z. 17 Erdballs] dakuai 大塊; wörtl.: »der große Klumpen«; ebenfalls in 6:2. S. 36, Z. 20 die gewundenen Bergkämme] shan ling 山陵; in einigen Textausgaben shan lin 山林 »Berge und Wälder«; die Übersetzung folgt Xi Tong. S. 37, Z. 5 Wer wäre [als] der Urheber [nennbar]?] Die Dynamik dieser Stelle ergibt sich aus dem Widerspruch zwischen der Aussage, dass die »Flöten des Himmels« von selbst erklingen, und der Frage nach dem Urheber. Versteht man die Frage als rhetorische Frage, dann folgt, dass es keinen solchen Urheber gibt. Andererseits kann man diese Stelle als Verweis auf das Dao interpretieren, das als verursachendes Prinzip wie eine Art »Lebenswind« die Phänomene der Welt hervorbringt und belebt.
2 Traumseele] hun 魂; von den verschiedenen chinesischen Wörtern, die auf Deutsch mit »Seele« wiedergegeben werden können, wird damit derjenige Teil des menschlichen Bewusstseins bezeichnet, der sich zeitweise vom Körper lösen kann, z. B. im Traum (vgl. Unger 2000, S. 34).
S. 37, Z. 10
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Kapitel 2
S. 37, Z. 27 Pilze, die in der feuchten Hitze [aus dem Nichts] wachsen] Diese Textstelle, die nur mithilfe von Ergänzungen verständlich wird, ist auch im Original problematisch. Die ursprüngliche Textgestalt ist hier möglicherweise verlorengegangen. S. 37, Z. 28 Tag und Nacht wechseln [die Stimmungen und Situationen] einander ab] Übersetzt nach Ikeda Tomohisa. Li Xiyi und andere haben qian 前 (»vor«) hier im Sinne von »Tag und Nacht wechseln vor unseren Augen einander ab« interpretiert. Der identische Satz findet sich in 5:4. S. 38, Z. 1 ohne ein Ich gäbe es für sie keinen Ansatzpunkt] Die Gemütsregungen gleichen dem Wind, ohne den die verschiedenen Hohlräume nicht erklingen können, aber ohne diese Hohlräume kann der Wind keinen Klang erzeugen. S. 38, Z. 6 Er hat eine Realität, aber keine Gestalt.] Eine ähnliche Textstelle findet sich in 6:3, wo es vom Dao heißt, dass es wirklich existiert, aber nicht handelt und gestaltlos ist. S. 38, Z. 7 neun Öffnungen und sechs Organe] Gemeint sind je zwei Körperöffnungen für Augen, Ohren und Nase, dazu der Mund und zwei für Ausscheidungen sowie die inneren Organe der chinesischen Medizin; nach Wang Shumin heißt es hier in manchen Textausgaben »fünf Organe«. S. 38, Z. 14 Ob man die tatsächlichen Zusammenhänge versteht oder nicht, … keine Vor- oder Nachteile.] Der Körper funktioniert unabhängig davon, ob wir seine Funktionen verstehen oder nicht. S. 38, Z. 31 natürlich entstandenen Geist] chengxin 成心; einige Interpreten verstehen das Wort negativ, »das, was im Geist entstanden ist« im Sinne von »einseitigen Meinungen« oder »Vorurteilen«. Pendant zu »natürlich entstandener Körper« chengxing 成形 im vorherigen Absatz. S. 38, Z. 33 Warum sollte man erst den Wandel begreifen müssen, um … urteilen zu können] Einer, der »den Wandel begreift«, ist ein Weiser, wie beispielsweise der nachfolgend genannte göttliche Yu. S. 39, Z. 2 nach Yue zu fahren, obwohl man … angekommen ist.] Rätselwort des Hui Shi 恵施, das sich auch in Kapitel 33 findet, wo eine Reihe von Zitaten dieses Philosophen angeführt werden.
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Stellenkommentar
der göttliche Weise Yu] Shen Yu 神禹; legendärer Kaiser, der als Begründer der Xia-Dynastie 夏朝 gilt. S. 39, Z. 7 Wie sollte ausgerechnet ich [das verstehen]?] Da hier wieder das Pronomen »ich« vorkommt, erwägt Kanaya Osamu, ob man den ganzen Abschnitt vielleicht auch als Äußerungen Ziqis und die Fortsetzung des Gesprächs mit Ziyou auffassen könnte. S. 39, Z. 6
3 S. 39, Z. 10
Worauf sich die Wörter beziehen … liegt nicht eindeutig fest.] Eine ähnliche Stelle findet sich in 6:1, wo ebenfalls die Relativität alles Wissens und aller Aussagen über die Wirklichkeit thematisiert wird. S. 39, Z. 16 Auf welcher Grundlage] Die Übersetzung des Zeichens yin 隱 »auf welcher Grundlage« folgt hier und in den nachfolgenden Sätzen Zhang Binglin. S. 39, Z. 22 Konfuzianern und Mohisten] Die Anhänger des Kongzi (孔子; latinisiert Konfuzius) und des Mozi (墨子, die auf ihn zurückgehende philosophische Schule wird auf Deutsch als Mohismus bezeichnet) werden hier als Beispiele für unterschiedliche philosophische Traditionen angeführt. S. 39, Z. 26 Gebrauch der Klarheit] yi ming 以明; verweist hier und im Folgenden auf einen Standpunkt jenseits relativer Bewertungen, auf die »Gleichheit der Dinge«, von der dieses Kapitel handelt. S. 39, Z. 29 Etwas vom eigenen Standpunkt … »das hier« zu verstehen] Vom eigenen Standpunkt aus kann man »jenes« nicht erkennen, deshalb beurteilt man das, was einem fernliegt, negativ. Was man vom eigenen Standpunkt aus erkennen kann, ist immer ein naheliegendes Dieses, und das beurteilt man positiv. S. 39, Z. 32 »Jenes entsteht … hängt wiederum von jenem ab«] Hier und in den folgenden Sätzen wird erneut auf ein Zitat des Hui Shi aus Kapitel 33 angespielt. S. 40, Z. 9 So-Sein] yin shi 因是; »Abhängen vom So[sein]«. Mit So-Sein ist die ursprüngliche positive Beschaffenheit aller Dinge
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Kapitel 2
als Grundlage des Denkens und Handelns gemeint (vgl. Abschnitt 4). S. 40, Z. 16 Achse] shu 樞; »Achse« oder »Zapfen« einer Tür, der in einem Lager (hier: »Ring«) ruht und um den herum sich die Tür frei beweglich drehen kann.
4 S. 40, Z. 24
Mit einem Pferd … dass etwas kein Pferd ist«.] Diese Stelle wird oft als Kritik an dem Sophisten Gongsun Long 公孫龍 (ca. 320–250 v. u. Z.) interpretiert, der mit dem Satz »ein weißes Pferd ist kein Pferd« eine berühmt gewordene Diskussion über die Beziehung von Begriffen und Wirklichkeit einleitet. An einer anderen Stelle verwendet er einen Finger als Beispiel. Vgl. auch den letzten Satz in 5:6. S. 41, Z. 6 [die legendäre Schönheit] Xi Shi ] Xi Shi 西施; eine von vier legendären Schönheiten des chinesischen Altertums. Sie soll zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen gelebt haben. S. 41, Z. 20 Es heißt, ein Affendompteur] Die Parabel vom Affendompteur findet sich auch im Buch Liezi. S. 41, Z. 34 existierten zwar Dinge, aber keine Begrenzungen] Damit könnte gemeint sein, dass die Dinge zwar als real angenommen wurden, aber nicht als vom Beobachter getrennte Objekte der Wahrnehmung. S. 42, Z. 6 Zhao Shi] 昭氏; identisch mit dem nachfolgend genannten Zhao Wen 昭文. S. 42, Z. 6 wenn er die Zither spielt.] qin 琴; die chinesische Griffbrettzither. Beim Spielen der Zither entstehen notwendigerweise Urteile, z. B. zwischen richtiger und falscher Spielweise. S. 42, Z. 9 Meister Kuang] 師曠; Musik-Meister unter dem Fürsten Ping 平公 im Staate Jin 晉 zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen, der sich besonders um die Vereinheitlichung der Tonhöhen verdient gemacht haben soll. S. 42, Z. 9 Griffstege] Die Übersetzung folgt Ma Xulun, der sich auf das Huainanzi 淮南子 (Kapitel Fanlunxun 氾論訓) bezieht,
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Stellenkommentar
wo es heißt: »Meister Kuang hat die Griffstege der Zither eingeführt …« S. 42, Z. 17 Härte und Weiße] jian bai 堅白, auch jian bai lun 堅 白論 »Diskussion über Härte und Weiße«; erneut eine Anspielung auf den Sophisten Gongsun Long 公孫龍, bei dem sich auch eine spitzfindige Diskussion über einen harten weißen Stein findet. Die weiße Farbe könne nur mithilfe der Augen erkannt werden, während die Härte des Steins mit der Hand erkannt werden müsse. Deshalb seien der weiße Stein und der harte Stein nicht identisch.
5 S. 42, Z. 29
ob sie diesem [was ich meine,] nahekommt] Im Text steht hier das Pronomen shi 是 und im nächsten Satz das Pronomen bi 彼, in der Übersetzung sind sie mit »diesem« und »jenem« wiedergegeben. S. 43, Z. 13 die Spitze eines Flaumhärchens im Herbst] Gemeint ist das feine Winterfell, das den Tieren im Herbst wächst; Sinnbild für etwas Winziges. S. 43, Z. 15 Pengzu] 彭祖; legendäre Gestalt, die 700 oder 800 Jahre alt geworden sein soll (vgl. 1:1). S. 43, Z. 25 Ohne weiterzugehen, überlasse ich mich diesem [das einfach nur ist].] Dem So-Sein vor jeder relativen Bewertung; im Text steht auch hier wieder das Pronomen shi 是.
6 S. 43, Z. 30
es gibt Erläuterungen und es gibt Meinungen] Im Text finden sich die Schriftzeichen lun 倫 und yi 義 »Klassifikationen und Auslegungen«. Die Übersetzung folgt Cui Zhuan, der die beiden Zeichen mit den gleichlautenden Zeichen lun 論 und yi 議 erklärt, was deshalb plausibel ist, weil in den folgenden Sätzen genau diese Zeichen verwendet werden.
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Kapitel 2
S. 44, Z. 1 Tugenden] de 德; »Tugenden« hat hier einen ironischen
Unterton, vgl. Daodejing 38: »Nachdem das Dao verloren ist, gibt es Tugenden.« S. 44, Z. 2 sechs Richtungen] liu he 六合; die vier Himmelsrichtungen und Himmel und Erde bzw. oben und unten. S. 44, Z. 5 Chroniken von Frühling und Herbst] Kanaya Osamu merkt an, dass hier nicht unbedingt die als »Frühlings- und Herbstannalen« Chunqiu 春秋 bekannte Reichsgeschichte des Staates Lu 魯 gemeint sein müsse. Ikeda Tomohisa stellt hingegen fest, die Erwähnung dieser Reichsgeschichte belege, dass dieser Abschnitt frühestens gegen Ende der Zeit der Streitenden Reiche verfasst worden sein könne.
7 S. 44, Z. 14 Das große Dao kann nicht benannt werden] Die Stelle erinnert an den Beginn des Daodejing, wo es heißt: »Das Dao, über das man sprechen kann, ist nicht das unveränderliche Dao.« S. 44, Z. 20 umfassend] Die Übersetzung folgt Guo Xiang und Chen Bixu, die hier das Zeichen zhou 周 schreiben; in anderen Ausgaben steht hier cheng 成. S. 44, Z. 22 rund, aber sie werden eckig gemacht] »Rund« bedeutet hier so viel wie »dynamisch und universell«, und »eckig« meint »unflexibel und dogmatisch«. S. 44, Z. 30 das verborgene Licht] bao guang 葆光; Licht, das nicht nach außen dringt. Nach Cui Zhuan: »Licht, das sowohl vorhanden als auch nicht vorhanden zu sein scheint.«
8 S. 45, Z. 2 wandte sich Yao an Shun] Yao 堯 und Shun 舜 gehören zu den legendären Kaisern des Altertums. S. 45, Z. 3 Zong, Kuai und Xu’ao] Zong 宗, Kuai 膾 und Xu’ao 胥 敖. Die Identität und die geografische Lage dieser Staaten ist umstritten (vgl. 4:1); aber Akazuka Kiyoshi erinnert an die Legende,
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Stellenkommentar
dass »Yao drei Staaten des Volkes Miao 苗 erobert« habe, und identifiziert Zong, Kuai und Xu’ao mit diesen drei Staaten. S. 45, Z. 7 zehn Sonnen zugleich] Der mythologische Bericht von den zehn Sonnen findet sich u. a. auch im Buch Huainanzi. S. 45, Z. 8 Übertrifft deine Tugend nicht sogar noch die Sonne?] Die Tugend des idealen Herrschers strahlt bis in die unzivilisierten Winkel des Reiches aus, ohne dass er Gedanken an militärische Eroberungen verschwenden müsste.
9 S. 45, Z. 11 Nie Que fragte Wang Ni] Nie Que 齧欠 und Wang Ni
王倪 finden sich auch in 7:1 und Kapitel 12, dort werden beide in einer Reihe von »Lehrmeistern« des legendären Kaisers Yao aufgeführt. S. 45, Z. 22 Schmerlen] Schmerlen sind kleine Süßwasserfische, die sich oft im Schlamm verstecken. S. 45, Z. 26 dem Hundertfüßer mundet die Schlange] Hundertfüßer gehören zu den Gliedertieren. Manche Arten werden über 20 Zentimeter groß und sind giftige Allesfresser. S. 45, Z. 31 Mao Qiang und die Dame Li] Mao Qiang 毛嬙 und Li Ji 麗姫, hier als »die Dame Li« übersetzt, sind legendäre Schönheiten des Altertums, wobei Mao Qiang in der Regel zusammen mit Xi Shi 西施 aufgeführt wird. Ma Xulun vermutet, Li Ji und Xi Shi seien identisch und die hier verwendete Bezeichnung sei eine Angleichung an den übernächsten Abschnitt, in dem Li Ji noch einmal vorkommt. Li ist der Name ihres Clans. S. 46, Z. 5 Menschlichkeit und Gerechtigkeit] ren 仁 und yi 義; zwei der konfuzianischen Tugenden.
10 S. 46, Z. 9
Bedeutet das, dass … keinen Gewinn und keinen Verlust kennt?] Vgl. 6:1; »Wer nicht mit Gewinn und Verlust gleichermaßen zurechtkommt, ist kein Edler.«
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Kapitel 2
S. 46, Z. 16 könnte ihn das nicht erschrecken] Ähnliche Motive finden sich in 1:3 und 6:1.
11 S. 46, Z. 22 Ju Quezi fragte Zhang Wuzi] Ju Quezi 瞿鵲子 und Zhang Wuzi 長梧子 sind fiktive Personen, von denen der erste einen Schüler des Konfuzius und der zweite einen Menschen des Dao repräsentiert. S. 46, Z. 25 Er erfreut sich nicht am Streben [nach dem Dao] und bindet sich nicht [bewusst daran].] Unterschiedliche Auslegungen sind möglich, die Übersetzung folgt Ikeda Tomohisa. S. 47, Z. 2 der Gelbe Kaiser] Huangdi 黄帝; einer der legendären fünf Urkaiser. S. 47, Z. 2 Wie sollte Qiu das verstehen können?] Qiu 丘; nach Yu Yue ist hier der Vorname des Konfuzius gemeint, dann: »Wie sollte Konfuzius das verstehen können?« Traditionell (nach Cui Zhuan) wurde Qiu hier allerdings als Vorname des Zhang Wuzi interpretiert, dann: »Wie sollte ich das verstehen können?« S. 47, Z. 10 Harmonie … Chaos. Sklaven sind ihm edel] Zwischen Ordnung und Chaos oder vornehm und gemein macht er keinen Unterschied. S. 47, Z. 19 die Dame Li … in Ai.] Die Geschichte der schönen Dame Li 麗姫 (vgl. 2:9) stammt aus dem Geschichtswerk Chunqiu Zuozhuan 春秋左傳. Ai 艾 ist ein Ortsname. S. 47, Z. 21 Jin] 晉; Name eines Staates zur Zeit der Frühlingsund Herbstannalen. S. 48, Z. 12 Undurchschaubarkeit] tan an 黮闇; wörtl. »Finsternis«, die Übersetzung folgt Li Yi. S. 48, Z. 25 Wenn veränderliche … seine Lebensjahre.] Dieser Teil des Textes stand ursprünglich vor dem Satz »vergiss die Jahre« gegen Ende des Abschnitts, die Übersetzung folgt einer Umstellung des Textes durch Wang Xianqian. S. 48, Z. 28 himmlische Gleichgewicht] tian ni 天倪; sehr ähnlich wie »Gleichheit des Himmels« in Abschnitt 4.
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Stellenkommentar
S. 49, Z. 2 Vergiss die Jahre, vergiss die Gerechtigkeit.] Guo Xiang
erläutert: Vergiss Leben und Tod sowie richtig und falsch.
12 S. 49, Z. 5 Halbschatten] Gemeint ist der verschwommene Rand des Schattens, der weder ganz Schatten noch ganz Licht ist und der den Bewegungen des Schattens folgt.
13 S. 49, Z. 15 Zhuang Zhou] Zhuang Zhou 莊周; der nominelle Au-
tor des Buches Zhuangzi, Zhou ist sein Vorname. umherflatterte] xuxu ran 栩栩然; die Übersetzung folgt Akazuka Kiyoshi. Einige der traditionellen Kommentare (nach Lu Deming) erklären das Wort als »glücklich«. S. 49, Z. 18 erschrocken umherblickte] juju ran 遽遽然; »erschrocken« nach Akazuka Kiyoshi. Hier ist stilistisch besonders interessant, dass das Umherflattern des Schmetterlings und das erschrockene Umherblicken des erwachten Zhuang Zhou mit ganz ähnlichen Worten beschrieben werden, nämlich xuxu ran für »umherflattern« und juju ran für »erschrocken«. Die Beschreibung der beiden Zustände ist offenkundig parallel und mit analogen Ideophonen konstruiert, was den Eindruck einer Kontinuität zwischen den Körperbewegungen und -empfindungen des umherfliegenden Schmetterlings im Traum und des sich erschrocken umblickenden Zhou beim plötzlichen Erwachen vermittelt. Einige der traditionellen Kommentare (nach Lu Deming) interpretieren juju ran hier als »eindeutig«. Die Übersetzung würde dann lauten: »Er war eindeutig Zhou.« S. 49, Z. 16
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Kapitel 3
Kapitel 3 (Seite 52–55) 1 S. 52, Z. 11 Mitte] du 督; hier traditionell als »Mitte« verstanden (Sima Biao u. a.); in der chinesischen Medizin wird so auch der zentrale Meridian, also die »Mitte des Körpers«, bezeichnet. S. 52, Z. 12 so kann man seinen Geist kultivieren] »Geist kultivieren« ist yang qin 養親; übersetzt nach Huang Jihong, traditionelle Ausgaben schreiben: »seine Eltern versorgen«.
2 der Koch Ding] Pao Ding 庖丁; Pao bedeutet »Koch« (vgl. 1:2). Ding ist ein Personenname. S. 52, Z. 15 Fürst Wen Hui] Wen Hui 文恵; regierte 370–319 v. u. Z. als Fürst von Wei 魏, vermutlich identisch mit dem »König von Wei« in 1:4. S. 52, Z. 19 Tanz vom Maulbeerhain] Shuanglin zhi wu 桑林之 舞; dabei soll es sich um einen Regentanz handeln, den einst König Tang 湯王 (späte Shang-Dynastie, Yin-Zeit) aufgeführt haben soll. S. 52, Z. 20 Jingshou] 經首; Musikstück, das dem legendären Kaiser Yao 堯 zugeschrieben wird. S. 53, Z. 1 natürliche Maserung] tianli 天理; tian bedeutet »Himmel« oder »Natur«, li bedeutet »Linie« oder »Maserung«, z. B. in der Jade, davon abgeleitet »Richtlinie«, »Ordnungsprinzip«; hier ist nach Cheng Xuanying die natürliche Maserung des Fleisches gemeint. S. 53, Z. 4 Haupt- und Nebenfasern] Die Übersetzung folgt einer von Yu Yue vorgeschlagenen Modifikation des Textes. S. 52, Z. 15
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Stellenkommentar
3 S. 53, Z. 28 Gongwen Xuan] 公文軒; Sima Biao vermutet, dass es
sich hierbei um einen Mann aus dem Staat Song 宋 (später Jin 晉) handelt. S. 53, Z. 28 Befehlshaber zur Rechten] Youshi 右師; ein solches Amt soll laut Kaiser Jianwen zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen im Staat Song 宋 existiert haben, aber Sima Biao merkt an, der Name verweise lediglich darauf, dass der Betreffende aus Song stamme. S. 54, Z. 1 vom Himmel gegeben] Die Übersetzung folgt Sima Biao. Die Pointe der Geschichte liegt darin, dass Youshi seine Bestrafung, obwohl sie von Menschen vollzogen wurde, als Folge seiner natürlichen Veranlagung versteht.
4 S. 54, Z. 4
Im Sumpfland … gefiele es ihm nicht.] Dieser Abschnitt kann auch als Fortsetzung der voranstehenden Rede des Youshi verstanden werden.
5 S. 54, Z. 9 Lao Dan] 老聃; Laozi 老子, dessen Familienname Li 李 und Vorname Dan 聃 gelautet haben soll. S. 54, Z. 9 Qin Shi] 秦失; Identität unklar. S. 54, Z. 14 jetzt ist er das nicht mehr] Die Stelle ist unklar, die Übersetzung folgt der wörtlichen Auslegung durch Kanaya Osamu: Der Tote ist nicht mehr der Freund, der er im Leben war. S. 54, Z. 22 Frevel der Naturflucht] Niemand vermag seinem natürlichen Schicksal zu entgehen, und allein schon der Versuch gilt als ein Sakrileg gegen das Dao (nach Akazuka Kiyoshi). S. 54, Z. 26 Befreiung aus den Fesseln des Schicksalsgottes] Di 帝; einer der Namen für den »Himmelsgott« Tiandi 天帝, der das
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Kapitel 4
Schicksal der Menschen bestimmen soll. In 6:5 ist ebenfalls vom Tod als »Befreiung aus der Verstrickung« die Rede.
6 S. 55, Z. 2
Beim Feuerholzmachen … weiß man nicht.] Umstrittene Textstelle, deren Beziehung zum vorangehenden Text unklar ist. Lin Yunming u. a. haben das unerschöpfliche Feuer als Metapher für das Leben und das begrenzte Feuerholz als Metapher für die Lebensspanne des Einzelnen interpretiert.
Kapitel 4 (Seite 58–70) 1 Yan Hui sah Zhong Ni] Yan Hui 顏囘; berühmt als Lieblingsschüler des Konfuzius. Zhong Ni 仲尼; Beiname des Konfuzius, der im Buch Zhuangzi unter verschiedenen Namen und in verschiedenen Rollen auftaucht. S. 58, Z. 7 Herrscher von Wei] Hier ist vermutlich Kuaikui 蒯聵 gemeint, der in 4:3 als »Kronprinz von Wei« vorkommt. Wei 衞; Staat zur Zeit der Zhou-Dynastie. S. 59, Z. 18 Schwindeln wird es deinen Augen, … folgsam wird dein Herz.] Diese fünf Aussagen enthalten einen Reim. Kanaya Osamu und Fukunaga Mitsuji vermuten, dass es sich hier um ein Zitat handeln könnte. S. 59, Z. 26 Im Altertum ließ Jie … Bi Gan hinrichten] Jie 傑, der letzte König der Xia-Dynastie, und Zhou 紂, der letzte König der Shang-Dynastie, werden hier als Beispiele für Gewaltherrscher angeführt. Guan Longfeng 関龍逢 war ein loyaler Beamter des Jie und Bi Gan 比干 ein loyaler Beamter des Zhou sowie dessen Onkel; beide wurden hingerichtet, nachdem sie ihre jeweiligen Herrscher beraten hatten. S. 58, Z. 4
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Stellenkommentar
S. 59, Z. 31
Liebe zum Ruhm] Es ist unklar, wessen Liebe zum Ruhm hier angesprochen ist und ob hier die Herrscher oder die Berater kritisiert werden. S. 59, Z. 31 Im Altertum … Congzhi und Xu’ao.] vgl. 2:8, wo der Angriff des legendären Kaisers Yao 堯 auf Xu’ao 胥敖 bereits erwähnt wird. Congzhi 叢枝 (manche Kommentare unterscheiden zwischen zwei Staaten Cong und Zhi) ist vermutlich identisch mit Zong 宗 aus 2:8. S. 59, Z. 32 Yu überfiel den Staat Youhu] Yu 禹 ist ein weiterer legendäre Kaiser des Altertums, vgl. 2:2, dort ist er als Shen Yu bezeichnet; Youhu 有扈. S. 60, Z. 5 leer] xu 虛; wörtlich »leer«. Das Wort hat hier und im Folgenden die positive Bedeutung von »offen« und »unvoreingenommen«. S. 60, Z. 6 Ah, wie sollte das … die große Tugend.] Seit Guo Xiang wurden diese Sätze auf den Herrscher von Wei bezogen, aber Ma Xulun vermutet, dass es sich um eine Kritik an Yan Hui handelt. Der Rest des Abschnitts kritisiert aber zweifellos den Herrscher. S. 60, Z. 18 Gefährte des Himmels] vgl. 6:1, dort im Gegensatz zu »Gefährte der Menschen«. S. 60, Z. 19 Sohn des Himmels] tianzi 天子; üblicherweise eine Bezeichnung für den chinesischen Kaiser, hier ist der Herrscher von Wei gemeint. S. 61, Z. 8 deinen eigenen Geist] ähnlich in 2:2; wo vom »natürlich entstandenen Geist« die Rede ist. S. 61, Z. 10 Etwas im Geist zu haben] Die Übersetzung folgt Cheng Bixu, der das Schriftzeichen xin 心 (»Geist«) ergänzt hat, das sich auch in Guo Xiangs Kommentar findet. S. 61, Z. 14 aromatischen Speisen] Hier sind entweder intensiv schmeckende und stimulierende Gemüse gemeint oder Fleisch und Fisch. In jedem Fall handelt es sich um Nahrungsmittel, derer man sich vor bestimmten Zeremonien zur rituellen Reinigung für eine gewisse Zeit enthalten musste. S. 61, Z. 20 qi] 氣; »(Lebens-)Atem« oder »(Lebens-)Energie« im Sinne einer allem zugrunde liegenden Lebenskraft. S. 61, Z. 20 Das gewöhnliche Hören … sammelt sich das Dao.] Die Sinnesorgane nehmen die Phänomene oberflächlich wahr,
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Kapitel 4
der Geist ordnet sie begrifflich und leitet daraus Strategien ab. Durch das Sammeln der Aufmerksamkeit und das Leerwerden (»Fasten des Geistes« zhai xin 齋心) soll die Wirklichkeit auf einer grundlegenderen Ebene erkannt werden. Daraus ergeben sich auch neue Optionen für das Handeln. S. 61, Z. 32 Schutzwall [von wo aus man deine Absichten einsehen könnte]] Die Übersetzung des Zeichens du 毒 in diesem Sinn und die Erläuterung in eckigen Klammern folgt der Interpretation von Wang Xianqian. S. 62, Z. 7 im leeren Raum] xu shi 虛室; wörtlich »leeres Zimmer«. Guo Xiang interpretiert das als Metapher für den Geist. S. 62, Z. 8 Innehalten] vgl. 5:1; »Nur durch Innehalten …«. S. 62, Z. 14 Yu und Shun … Ji Qu] Yu 禹, Shun 舜, Fu Xi 伏戲 (vgl. 6:3) und Ji Qu 几蘧 sind legendäre Kaiser des Altertums.
2 S. 62, Z. 19 Zigao … fragte Zhong Ni] Zigao 子高 ist der Beiname von Shen Zhuliang 沈諸梁, er gehörte zu einem Zweig des Königshauses im Staat Chu 楚, der über das Gebiet von She 葉 herrschte. Bei Zhong Ni handelt es sich um Konfuzius, der im dritten Absatz dieses Abschnitts im Chinesischen mit seinem Vornamen Qiu 丘 genannt wird; um Missverständnisse zu vermeiden, ist er in der Übersetzung jedoch auch dort mit Zhong Ni wiedergegeben. S. 62, Z. 21 Qi] 齋; Staat zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen. S. 62, Z. 25 bei allen Angelegenheiten … dem Dao [gemäß handle]] Die Übersetzung folgt Wang Xianqian. Guo Xiang hat das Zeichen dao 道 hier als das Verb »sprechen« interpretiert, dann ergibt sich folgende Übersetzung: »…, dass es bei allen Angelegenheiten, ob groß oder klein, selten sei, dass man Zufriedenheit und Erfolg nicht äußere.« S. 62, Z. 29 Sorgen im Umgang … Yin und Yang.] »Sorgen im Umgang mit den Menschen« bezieht sich auf die sozialen Nachteile, die man im Falle des Scheiterns hat. »Sorgen mit den Grund-
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Stellenkommentar
kräften Yin und Yang« meint körperliche Probleme, die man sich im Falle des Erfolgs zuziehen kann, z. B. Krankheiten durch Überanstrengung etc. Vgl. 6:5, wo die Erkrankung des Ziyu als Ungleichgewicht der »Energien von Yin und Yang« beschrieben wird. S. 63, Z. 26 man erkenne … folge man dem Schicksal.] Der gleiche Satz kommt in 5:2 vor. S. 64, Z. 18 elegant] Die Übersetzung folgt einer Modifikation des Textes durch Yu Yue, der liang 諒 (»ehrlich«) mit du 都 (»elegant«) ersetzt. S. 64, Z. 21 Gewinn und Verlust] Die Übersetzung von shi 実 als »Gewinn« und sang 喪 als »Verlust« hier und im folgenden Satz folgt Wang Xianqian. Nach älteren Kommentaren ergibt sich folgende Übersetzung: »Beim Handeln geht der Gehalt [das eigentlich Beabsichtigte] verloren. Wind und Wellen geraten schnell in Bewegung und [ebenso] schnell droht der Verlust des Gehalts.« S. 65, Z. 4 Mitte] zhong 中; übersetzt nach Lin Xiyi. Vgl. 3:1: »man gehe beim Handeln stets von der Mitte aus«. S. 65, Z. 6 Ist das etwa schwer?] Die Übersetzung folgt Tao Hongqing, der hier die Schlusspartikel zhe 者 als gleichwertig zu zhe hu 者乎 und den Satz somit als rhetorische Frage auffasst. Die alternative Übersetzung wäre: »Das ist gerade das Schwierige.«
3 Yan He] 顔闔; Weiser im Staate Lu 魯, von dem es heißt, er habe nie ein öffentliches Amt bekleidet und es stattdessen vorgezogen, in der Kleinstadt zu leben. Er kommt auch in Kapitel 19 und 28 vor. S. 65, Z. 8 Herzogs Ling] Ling Gong 靈公 (reg. 534–493 v. u. Z.). Sein Sohn Kuaikui 蒯聵 übernahm gewaltsam die Macht in Wei 衞und wurde letztlich von seinem Vater abgesetzt, vgl. 4:1. S. 65, Z. 9 Qu Boyu] 蘧伯玉; ein weiser Beamter im Staate Wei, der auch in den »Gesprächen des Konfuzius« Lunyu vorkommt. S. 65, Z. 8
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Kapitel 4
S. 65, Z. 32 Gottesanbeterin] Die berühmte Geschichte von der Gottesanbeterin findet sich auch in Kapitel 12; außerdem im Buch Huainanzi und im »Buch der Lieder« Shijing 詩經. S. 66, Z. 15 Muschelgefäß] Kostbare, vielleicht mit Muscheln dekorierte, Gefäße. Ikeda Tomohisa vermutet, dass es sich um Ritualgegenstände handeln könnte. S. 66, Z. 19 zerschmettert [ihm] die Brust] Nach Cheng Xuanying, der den Satz so versteht, dass der Mensch zu Schaden kommt. Andere Kommentare, z. B. Ikeda Tomohisa, haben die Stelle so interpretiert, dass das Pferd sich selbst verletzt.
4 Zimmermann Shi] Jiang Shi 匠石; eine der wichtigsten Personen im Buch Zhuangzi, die häufig vorkommt. S. 66, Z. 23 Quyuan] 曲轅; wörtlich »krumme Deichsel«. Ortsname, der auf eine eigentümliche Geographie oder einen gewundenen Weg zurückgehen soll. S. 66, Z. 24 Eichenschreins] lishe 櫟社; vermutlich ein Heiligtum zur Verehrung einer lokalen Schutzgottheit, das nach der dortigen Eiche benannt war. S. 66, Z. 25 mehrere tausend Rinder beschirmte] Textüberlieferung unsicher, die Übersetzung folgt Ma Xulun u. a. Anderen Ausgaben zufolge lautet der Satz: »Der war so groß, dass sich ein Rind dahinter verstecken konnte.« S. 66, Z. 27 10 Klaftern] »Klafter« ist eine Übersetzung für ren 仞, ein Längenmaß, das sieben oder acht chinesischen Fuß (che 尺; etwa 22,5 cm) entsprochen haben soll. 10 ren entsprechen also etwa einer Höhe von 16 Metern. S. 66, Z. 28 dutzende] wörtlich »mehrere zehn«; shi shu 十數 bedeutet hier nicht »mehr als zehn«, sondern »man zählte sie in Zehnern«. S. 66, Z. 30 Meister Zimmermann] Jiang Bo 匠伯; die Übersetzung folgt Chen Bixu, der bo 伯 hier als »Meister« bzw. »Zimmermann höchsten Ranges« interpretiert. Andere Kommentare S. 66, Z. 23
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Stellenkommentar
(z. B. Sima Biao) vermuten, es handele sich lediglich um eine Namensvariante. S. 67, Z. 5 hinfälliger Baum] san mu 散木; ein Baum, der sich nicht gebrauchen lässt. Weiter unten im Text findet sich auch die Formulierung san ren 散人, »hinfälliger Mensch«. S. 67, Z. 16 Nutzhölzern] wen mu 文木; wörtlich »schöne Bäume«, die vielseitig verwendet werden können. S. 67, Z. 35 Er duldet es … selbst kennen.] Zahlreiche unterschiedliche Interpretationen. Guo Xiang kommentiert, der Baum beklage sich, weil der Schrein ihn sich gegen dessen Willen zunutze gemacht habe.
5 Nanbo Ziqi] 南伯子綦; möglicherweise identisch mit »Ziqi von der Südmauer«, vgl. 2:1. S. 68, Z. 7 Hügel von Shang] Shangqui 商丘; vermutlich ein Ortsname im Staat Song. S. 68, Z. 8 großen Baum] Die Übersetzung folgt einer von Ma Xulun vorgenommenen Kürzung des Textes. Er geht davon aus, dass die beiden Zeichen you yi 有異 (»[Der Baum] hat Besonderheiten.«), die hier in manchen Textausgaben stehen, aufgrund einer Verwechslung mit dem folgenden Satz an diese Stelle geraten sind. S. 68, Z. 8 Tausend Pferdegespanne] Im alten China hatte ein Gespann in der Regel vier Pferde. S. 68, Z. 7
6 S. 69, Z. 2 Opferfest] Gemeint ist das Opferfest im Frühling für die Gottheit des Gelben Flusses, bei dem im Altertum auch Menschenopfer dargebracht wurden. S. 69, Z. 5 geworfen] Nach Ma Xulun.
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Kapitel 4
7 S. 69, Z. 9 Shu der Verwachsene] Zhili Shu 支離疏; zhili bedeutet
so viel wie »durcheinander« und wird hier als Familienname der fiktiven Person gebraucht, Shu ist der Vorname; vgl.Yinqi Zhili Wushen in 5:5. S. 69, Z. 9 das Kinn … den Oberkörper.] Die Beschreibung imaginiert einen extrem buckligen Menschen. S. 69, Z. 17 die Arme baumeln] Es ist nicht eindeutig zu entscheiden, welche Armbewegungen hier gemeint sind. S. 69, Z. 21 Scheffel] zhong 鍾; Volumeneinheit, die ungefähr 50 Litern entsprochen haben soll. S. 69, Z. 24 Tugend] de 德; hier in einem allgemeinen Sinne von »Charakter« oder »Temperament« im Gegensatz zur körperlichen Erscheinung. Jemand der nicht körperlich, sondern geistig allem Anschein nach »nutzlos« ist.
8 Jie Yu] Jie Yu 接輿; ein Weiser im Staat Chu 楚, der sich wie ein Narr gebärdet haben soll, vgl. 1:3. S. 70, Z. 1 Phönix, oh Phönix h…i Bleibt mein Fuß unversehrt.] Der chinesische Phönix soll erscheinen, wenn die Welt geordnet ist. Hier wird Konfuzius als Phönix mit der Formulierung »Deine Tugend, sie ist schwach« verspottet. Denn die ersten vier Zeilen sind eine Parodie auf eine Passage in den »Gesprächen des Konfuzius« (Lunyu, Kapitel 18). Dort heißt es: »Phönix, oh Phönix, die Tugend, sie ist schwach …«. Damit ist die Tugend in der Welt gemeint, mit der Hoffnung und dem Anspruch, dass Konfuzius die Tugend in der Welt wiederherstellen möge. Der chinesische Text weist in einigen Zeilen einen Reim auf, die in der Übersetzung durch Endreim markiert sind, wobei das Reimschema in den Zeilen 5–9 von dem des Chinesischen abweicht. Die Übersetzung der letzten Strophe folgt Guo Xiang, Sima Biao u. a. Nach einer anderen Interpretation (Ma Xulun u. a.): »Dornen, Dornen, hemmt nicht meinen Gang. Stacheln, Stacheln, verletzt nicht meinen Fuß.« S. 69, Z. 26
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Stellenkommentar
Kapitel 5 (S. 73–81) 1 Lu] 魯; Staat während der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen in der heutigen Provinz Shandong, die Heimat des Konfuzius. S. 73, Z. 4 Wang Tai] 王駘; ihm war als eine im chinesischen Altertum durchaus übliche Körperstrafe ein Fuß, vielleicht auch ein Bein, amputiert worden. Bei den Personen in diesem Abschnitt handelt es sich, mit Ausnahme von Konfuzius, nicht um historisch nachweisbare Persönlichkeiten. S. 73, Z. 5 Zhong Ni] 仲尼; Beiname des Konfuzius. S. 73, Z. 5 Chang Ji] 常季; fiktiver Schüler des Konfuzius. S. 73, Z. 13 Ich] Hier und in den anschließenden Sätzen steht im Original nicht das Personalpronomen »ich«, sondern Qiu 丘, der Personenname der Konfuzius. S. 73, Z. 25 falscher Schein] jia 仮; die Übersetzung folgt Wang Shumin u. a., der jia hier als Gegenbegriff zu Dao interpretiert. S. 73, Z. 26 überlässt] ming 命; nach Xitong, der das Zeichen hier im Sinne von »sagen«, »befehlen«, »jemandem etwas überantworten« interpretiert. S. 74, Z. 1 Chu und Yue] Chu 楚war ein Staat am Mittellauf des Flusses Chang Jiang (Yangzi) und Yue 越 ein Staat an dessen Mündung, hier Beispiele für weit voneinander entfernt liegende Orte. S. 74, Z. 4 im Einklang mit der Tugend] de zhi he 德之和; Tugend hier in der allgemeinen Bedeutung von »Innerlichkeit«. »Den Geist im Einklang mit der Tugend verweilen« lassen, könnte bedeuten, dass die Aufmerksamkeit nicht auf äußere Sinneseindrücke (»was Auge und Ohr anspricht«), sondern nach innen gerichtet ist. S. 74, Z. 9 unerschütterliche Geisteshaltung] changxin 常心; durch die Einsicht in die unterschiedlichen Standpunkte, von denen aus man die Dinge betrachten kann, erlangt der Weise eine unerschütterliche Geisteshaltung. S. 73, Z. 4
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Kapitel 5
Innehalten] zhi 止; Vgl. 4:1: »Das Glück liegt im Innehalten.« S. 74, Z. 16 Das Leben aus dem Himmel empfing nur Shun richtig.] Shun 舜 ist ein legendärer Kaiser des Altertums. Die Textüberlieferung ist an dieser Stelle umstritten, die Übersetzung folgt Yu Yue. S. 74, Z. 20 Ursprung] shi 始; gemeint ist das Dao; vgl. 6:1. S. 74, Z. 25 sechs Körperteile] Die vier Gliedmaßen zuzüglich Rumpf und Kopf. S. 74, Z. 26 Auge und Ohr … Erscheinungen] Er hängt nicht von der äußeren Welt ab, die ihm die Sinnesorgane vermitteln. S. 74, Z. 30 warum sollte er … abgeben] Vgl. 1:3. S. 74, Z. 14
2 Zichan aus Zheng] 子産; Weiser und Premierminister des Staates Zheng 鄭, der eine Generation vor Konfuzius lebte und von diesem als Vorbild geschätzt wurde. Die anderen Personen des Abschnitts sind frei erfunden, der berühmte Zichan dient hier vornehmlich als Zielscheibe des Spotts. S. 75, Z. 3 Bohun Wuren] 伯昏 無人; fiktiver daoistischer Weiser, der in Kapitel 9 und 32 als Lehrmeister des Lie Yukou (identisch mit Liezi; vgl. 1:1 und 7:5) vorkommt. S. 75, Z. 4 Gehe ich zuerst hinaus, dann bleibst du hier.] Zichan wollte als angesehener Staatsmann nicht zusammen mit dem offensichtlich für ein Vergehen bestraften Shentu Jia 申徒嘉 zusammen gesehen werden. S. 75, Z. 28 Man erkenne … dem Schicksal.] Der gleiche Satz findet sich in 4:2. S. 75, Z. 31 Yi] 羿; legendärer Bogenschütze des Altertums. S. 76, Z. 4 ob ich mich … beruhige] Der Teil des Satzes findet sich zwar bei Guo Xiang, fehlt aber in einigen späteren Textausgaben. S. 76, Z. 7 Jetzt, da du … körperlichen Hülle] Umstrittene Textstelle, die Übersetzung folgt Guo Xiang. Ma Xulun u. a. haben eine Umstellung des Satzes vorgeschlagen, dann lautete die Übersetzung: »Jetzt, da du und ich doch [im Geiste, also] außerhalb der S. 75, Z. 2
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Stellenkommentar
körperlichen Hülle miteinander umgehen, beurteilst du mich nach den inneren [Eigenschaften] der körperlichen Hülle.«
3 S. 76, Z. 13
Shusan Wuzhi] 叔山無趾; Wuzhi bedeutet »ohne
Zehen«. S. 76, Z. 14 einmal] zhong 踵; Guo Xiang interpretiert dieses Zei-
chen als »häufig«, was problematisch ist, da sich beide hier offensichtlich zum ersten Mal treffen. Cui Zhuan kommentiert, das Zeichen bedeute »Ferse«, deshalb findet man Übersetzungen wie »auf den Fersen gehen« etc. Die Übersetzung folgt Ikeda Tomohisa. S. 76, Z. 14 Zhong Ni] 仲尼; Beiname des Konfuzius. S. 76, Z. 15 habt Euch schon so ein Unglück zugezogen] Gemeint ist natürlich die offenkundige Fuß-Amputation als Bestrafung für ein Vergehen. S. 76, Z. 24 Konfuzius] Hier Kongzi 孔子. S. 76, Z. 31 Lao Dan] 老聃; Beiname des Laozi; vgl. 3:5. S. 76, Z. 32 Warum kommt … zu lernen?] Umstrittene Stelle, die Übersetzung folgt Guo Xiang, Cheng Xuanying u. a., die das Zeichen zi 子 (»Euch«) hier auf Lao Dan beziehen. S. 77, Z. 4 Warum hat jemand … Handfesseln gelöst?] Übersetzt nach Cheng Xuanying. S. 77, Z. 8 Strafe des Himmels] Vgl. 6:6, wo Konfuzius sich selbst als »vom Himmel gestraft« bezeichnet.
4 S. 77, Z. 12 Aitai Ta] 哀駘它; fiktiver Personenname; wörtlich etwa »der beklagenswerte Trottel Ta«. S. 77, Z. 16 dutzende] wörtlich »mehrere zehn«; vgl. 4:4. S. 77, Z. 31 noch kein Monat] Die genaue Bedeutung dieser und der folgenden Zeitangabe »noch kein Jahr« ist umstritten, übersetzt nach Guo Xiang.
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Kapitel 5
S. 78, Z. 18 keinen Sargschmuck aus Federn] Bedeutung unklar. Übersetzt nach Kanaya Osamu: Weil es bei einem im Krieg Gefallenen vielleicht keinen unversehrten oder gar keinen Leichnam gibt, den man gemäß der Bestattungsriten in einem Sarg beisetzen könnte, braucht man keinen Sargschmuck. S. 78, Z. 22 Nägel … keine Ohrlöcher] Nach Guo Xiang und Cheng Xuanying. S. 78, Z. 22 Wer gerade … nicht am Hof verwenden.] Lin Xiyi hat darauf hingewiesen, dass sich im »Buch der Riten« (Liji 禮記) eine Regel findet, wonach Beamte im Trauerfall für drei Jahre und nach der Heirat für ein Jahr freigestellt waren. Womöglich wird hier darauf Bezug genommen. Übersetzt nach Ikeda Tomohisa. S. 78, Z. 27 Menschen mit unversehrter Tugend] vgl. 5:3. S. 79, Z. 4 Tag und Nacht wechseln [die Stimmungen und Situationen]einander ab] Übersetzt nach Ikeda Tomohisa; vgl. 2:2, wo sich der gleiche Satz findet. S. 79, Z. 10 Fluss [der Dinge]] tong 通; die Übersetzung folgt Lin Xiyi. S. 79, Z. 12 So [mit dem Wandel der Dinge] … hervorzubringen] übersetzt nach Lin Yunming und Ikeda Tomohisa. S. 79, Z. 17 wenn Wasser ganz zum Stillstand gekommen ist] vgl. 5:1: »Die Menschen betrachten ihr Spiegelbild nicht in fließendem Wasser, sondern sie betrachten ihr Spiegelbild in stehendem Wasser.« S. 79, Z. 23 Minzi] 閔子; Schüler des Konfuzius. S. 79, Z. 24 nach Süden gewandt] Der Thron des Herrschers war im alten China nach Süden ausgerichtet. S. 79, Z. 31 Kong Qiu] 孔丘; Konfuzius.
5 Yinqi Zhili Wushen] 闉跂支離無脤; der Name beschreibt einen mehrfach behinderten Menschen. Zhili (»verwachsen«) kommt als Namensbestandteil auch in 4:7 vor, wo eine ähnliche Person beschrieben wird. Vermutlich muss man sich den Betreffenden mit einer Fehlstellung der Beine, einer stark ver-
S. 80, Z. 2
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krümmten Wirbelsäule und einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte vorstellen. S. 80, Z. 6 Wengang Daying, der einen Kropf so groß wie ein Wasserkrug hatte] 甕㼜大癭; die Erklärung des Namens folgt Lin Yunming. S. 80, Z. 14 Umherstreifen] you 遊; vgl. Überschrift von Kapitel 1. Wenn man den Satz als direkte Fortsetzung des vorherigen Abschnitts versteht, ist die Interpretation allerdings schwierig. Ma Xulun u. a. vermuten der Text sei hier korrumpiert. Ikeda Tomohisa ist der Ansicht, das Zeichen you habe hier eine ähnliche Bedeutung wie »vergessen«. Diese Auslegung erinnert an den meditativen Zustand des Selbst-Vergessens und der Vereinigung mit dem Dao, der ebenfalls mit you bezeichnet wird. S. 80, Z. 16 [herkömmliche] Tugend] Cheng Xuanying hat darauf hingewiesen, dass de 德 »Tugend« hier nicht in der gleichen, positiven Bedeutung verwendet ist wie im vorangehenden Abschnitt. S. 80, Z. 21 Diese vier] Das Nicht-Beabsichtigen, Nicht-Spalten, Nicht-Fehlen und Nicht-Verkaufen. S. 80, Z. 21 Fürsorge des Himmels] tian yu 天鬻; übersetzt nach Lu Deming. S. 80, Z. 25 Er hat den Körper eines Menschen … vollendet er alleine seinen Himmel. ] Einerseits lebt der Weise als Mensch unter Menschen, aber zugleich ist er innerlich frei von den Zwängen, die mit dem gewöhnlichen Leben in der Gesellschaft einhergehen. Weil er nicht auf richtig und falsch besteht, wirkt er vielleicht klein, aber sein Einklang mit dem Dao ist grenzenlos.
6 S. 81, Z. 2 Huizi] 惠子 auch Hui Shi 惠施; vgl. 1:4. S. 81, Z. 2 [jener] Mensch] bezieht sich auf den Weisen aus dem
vorherigen Abschnitt, von dem es heißt: »Er hat den Körper eines Menschen, aber nicht die Gefühle der Menschen.« Cheng Xuanying hat darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine Erläuterung des Vorangehenden handelt.
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Kapitel 6
S. 81, Z. 5
Das Dao … einen Leib.] Nach Cheng Xuanying sind Gesicht und Leib sowie Dao und Himmel hier fast gleichbedeutend. S. 81, Z. 13 Natur] Ikeda Tomohisa merkt an, dass »Natur« ziran 自然 hier in einem ganz allgemeinen Sinne zu verstehen ist, worin auch die innere Natur des Menschen eingeschlossen ist. S. 81, Z. 21 über ›hart‹ und ›weiß‹ zu schwätzen] Beispiel für eine spitzfindige und sinnlose Diskussion. Vgl. 2:4 wo bereits auf den Sophisten Gongsun Long und seinen berühmten Satz »ein weißes Pferd ist kein Pferd« Bezug genommen wurde.
Kapitel 6 (Seite 84–97) 1 S. 84, Z. 4
Wirken des Himmels] Himmel im Sinne von Natur; das natürliche Entstehen und Vergehen aller Dinge in der Welt. S. 84, Z. 4 Wirken der Menschen] Die vielfältigen menschlichen Aktivitäten, die sich aus dem Leben in der Welt ergeben. S. 84, Z. 6 Natur] tian 天; übersetzt nach Guo Xiang, tian bedeutet wörtlich »Himmel«. S. 84, Z. 7 Wer das Wirken … nicht erkannt hat.] Übersetzt nach Fukunaga Mitsuji. S. 84, Z. 11 Das Erkennen … nicht eindeutig festgelegt.] Je nach dem Bezugspunkt können gleichlautende Aussagen unterschiedliche Bedeutungen haben. Vgl. auch 2:3: »Worauf sich die Wörter beziehen, hängt aber vom Einzelnen ab und ist nicht eindeutig festgelegt.« S. 84, Z. 22 Ein solcher … ohne zu verbrennen.] Ähnliche Motive finden sich in 1:3 und 2:10. S. 84, Z. 26 ohne zu träumen] »Träumen« hat hier eine negative Bedeutung. Cheng Xuanying erläutert, Träume stehen hier für emotionale Wahnideen; Ikeda Tomohisa übersetzt »ohne Albträume«.
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Stellenkommentar
S. 84, Z. 29
atmete mit den Fersen] Vermutlich ein Hinweis auf bestimmte Formen bewussten Atmens in der Meditation. Wang Muye kommentiert: »Der Atem erhebt sich aus den Fersen, durchdringt den [ganzen] Körper und geht tief.« Vgl. 7:5. S. 85, Z. 1 Wirken des Himmels] tian ji 天機; wörtlich »Getriebe des Himmels«, das Wirken der Natur im Menschen und das Leben gemäß der Natur, s. o. S. 85, Z. 7 Er vergaß nicht] Qian Mu und Wang Shumin vermuten, das Zeichen wang 忘 (»vergessen«) sei hier ein Fehler für zhi 志 (»streben«), dann lautete die Übersetzung: »Er strebte nicht nach seinem Ursprung …« S. 85, Z. 7 Ursprung] shi 始; Ursprung des Lebens ist das Dao; vgl. 5:1. S. 85, Z. 9 Er verlor es] Nach Ma Xulun, der wang 忘 (»vergessen«, »verlieren«) hier als eine Ersetzung für das gleichlautende Zeichen 亡 (»sterben«) interpretiert. S. 85, Z. 10 sich nicht durch den Geist vom Dao abwenden] Nach Yu Yue und Akazuka Kiyoshi; gemeint ist, dass das herkömmliche, diskursive Denken in Kategorien wie Subjekt und Objekt die Einheit mit dem Dao zerstört. S. 85, Z. 13 vergaß] Nach Wang Shumin, der zhi 志 durch wang 忘 ersetzt hat. Andere Kommentare folgen hier Guo Xiang der zhi als »Streben nach Zur-Ruhe-Kommen, wo man ist« erklärt. Beide Auslegungstraditionen, »vergessen« oder »streben nach Ruhe«, verweisen letztlich auf Meditation. S. 85, Z. 14 seine Stirn breit] Nach Akazuka Kiyoshi die Physiognomie eines Herrschers. Hier gibt es eine interessante Analogie zum scherzhaften deutschen Ausdruck »weitstirnig« im Sinne von »nicht engstirnig«. S. 85, Z. 22 kein Handeln aus gewollter Menschenliebe] Akazuka Kiyoshi erinnert an das Prinzip des Nicht-Handelns wuwei. Lin Xiyi merkt an, dass sowohl der Waffengang des Weisen wie auch seine Milde gegenüber den Menschen Handlungen des NichtGeistes wuxin 無心 seien. S. 85, Z. 24 [Einseitige] Zuneigung] qin 親; die Stelle ähnelt Daodejing 79: »Der Weg des Himmels ist ohne [einseitige] Zuneigung«.
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Kapitel 6
S. 85, Z. 26
Wer nicht mit Gewinn … ist kein Edler.] Ähnlich in
2:10. S. 85, Z. 32 Hu Buxie … und Shentu Di] Hu Buxie 狐不偕, Wu Guang 務光, Bo Yi 伯夷, Shu Qi 叔齊, Ji Zi 箕子, Xu Yu 胥餘, Ji Tuo 紀他 und Shentu Di 申徒狄 sind legendäre Personen, die aufgrund ihrer Redlichkeit und Loyalität einen frühen Tod starben. S. 86, Z. 13 Das Gesetz … dorthin gelangt.] Die Übersetzung dieses Absatzes bis hier folgt Akazuka Kiyoshi. Allerdings haben zahlreiche Kommentare, vor allem soweit sie sich an Guo Xiang orientieren, die Textstelle als im Widerspruch zur allgemeinen Tendenz der Inneren Kapitel stehend beurteilt. Fukunaga Mitsuji vermutet deshalb, es handele sich um eine Einfügung aus späterer Zeit. Zur Illustration hier eine alternative Übersetzung im Geiste Guo Xiangs: »Strafen betrachtete er als den Kern [staatlicher Herrschaft], die Riten als Stütze, Wissen als [Wissen um] den rechten Zeitpunkt und Tugend als Gehorsam [gegenüber dem Notwendigen]. Indem er Strafen als den Kern [staatlicher Herrschaft] betrachtete [und nicht als Vergeltung], tötete er [Verurteilte] mit Milde. Indem er die Riten als Stütze betrachtete, waren sie ihm Grundlage des Handelns in der Welt. Indem er Wissen als [Wissen um] den rechten Zeitpunkt betrachtete, konnte er nicht umhin, die Dinge [zur rechten Zeit] zu tun. Indem er Tugend als Gehorsam [gegenüber dem Notwendigen] betrachtete, konnte er [mit Überzeugungskraft] sprechen, wie einer, der mit eigenen Beinen auf den Hügel gekommen war. Und die Menschen dachten, der wahre Mensch sei durch Anstrengung dorthin gelangt.« S. 86, Z. 22 mit eigenen Beinen] Gegenbegriff zu den »Flügeln« der Etikette, mit denen der wahre Mensch sich mühelos durch die Welt bewegt.
2 S. 87, Z. 3 naturgegeben] tian 天. S. 87, Z. 5 Der Mensch betrachtet … darüber hinausgeht.] Die
Übersetzung folgt mit Ikeda Tomohisa der traditionellen Aus-
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Stellenkommentar
legung. Tao Hongqing hat vorgeschlagen, hier die Zeichen tian 天 (»Himmel«) und fu 父 (»Vater«) auszutauschen, dann: »Der Menschen schaut schon zum eigenen Vater wie zum Himmel auf und liebt ihn, umso mehr zum [Dao], das noch darüber hinausgeht.« S. 87, Z. 9 Wenn die Quelle versiegt … vergessen könnten.] Die sich gegenseitig benetzenden Fische sind eine Metapher der Konfuzianer für Menschlichkeit. Die Aussage hier scheint zu sein, dass wer in und aus der Quelle (dem Dao) lebt, keinen Bedarf für solche Formen von kleinlicher Menschenliebe habe. Auf das Bild wird weiter unten (6:6) noch einmal Bezug genommen. Der gleiche Textabschnitt findet sich auch in Kapitel 14. S. 87, Z. 13 Yao … Jie] Yao 堯 ist der Inbegriff eines weisen Herrschers und Jie 桀 (letzter Kaiser der Xia-Dynastie, die mit ihm zugrunde ging) der Inbegriff eines Tyrannen. S. 87, Z. 15 Der Erdball hat … willkommen sein.] Zu »Erdball« vgl. 2:1. Der gleiche Textabschnitt wird in 6:5 wiederholt. S. 87, Z. 19 Wenn ein Boot … sicher.] Übersetzt nach Yu Yue, der das Zeichen shan 山 »Berg« durch das gleichlautende 汕 »Reuse« ersetzt hat. Ihm folgen viele moderne Kommentare. Sima Biao versteht den Satz als zwei Paradoxien: »Er verbirgt ein Boot in einer Bergschlucht und einen Berg im Sumpfland.« S. 87, Z. 24 Wenn alles unter dem Himmel … verlorengehen.] Wenn nicht mehr nur Einzelaspekte des Lebens wertgeschätzt werden, sondern das ganze Sein in seinen unterschiedlichen Facetten, inklusive Geborenwerden und Sterben, gibt es keinen Verlust mehr und nichts ist zu beklagen. S. 87, Z. 28 was jetzt menschliche Gestalt hat, wandelt sich] Hier klingen, wie auch an anderen Stellen, vorbuddhistische Vorstellungen von Seelenwanderung und Wiedergeburt an.
3 S. 88, Z. 5 Aber es handelt nicht, und es ist gestaltlos.] Eine ähnliche Textstelle findet sich in 2:2. S. 88, Z. 9 beständig seit alters her] vgl. Daodejing 25. S. 88, Z. 10 es gebar Himmel und Erde] vgl. Daodejing 4.
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Kapitel 6
S. 88, Z. 11 Es existierte vor … es ist nicht »tief«.] »Große[r] An-
fang« ist taiji 太極; die »sechs Richtungen« liuji 六極 sind die vier Himmelrichtungen zuzüglich oben und unten. Yu Yue schlägt vor, das Zeichen xian 先 (»vor«) hier durch shang 上 (»oberhalb«) zu ersetzen, und Akazuka Kiyoshi verweist auf einen Mythos des chinesischen Altertums, in dem taiji der Pfeiler sei, der den Himmel stützt, und liuji die sechs Pfeiler, auf denen die Erde ruht. Berücksichtigt man beide, ergibt sich: »Es existiert oberhalb des Himmelspfeilers, aber es ist nicht »hoch«, es existiert unterhalb der sechs Erdpfeiler, aber es ist nicht »tief«. S. 88, Z. 13 Vor Himmel und Erde wurde es geboren.] Der gleiche Satz findet sich in 6:8. S. 88, Z. 16 Xiwei] 狶韋; eine Gottheit der Altertums. In den Äußeren Kapiteln des Zhuangzi taucht Xiwei als ein Mensch des Altertums auf und in Kapitel 22 als der Vorgänger des Huangdi. S. 88, Z. 16 Fu Xi] 伏戲; legendärer Kaiser des Altertums; vgl. 4:1. S. 88, Z. 17 machte sich damit … zu eigen. ] Die Übersetzung folgt Sima Biao. S. 88, Z. 20 Kanpi erlangte … in den Berg Kunlun ein.] Kanpi 堪 坏 ist die Gottheit des Berges Kunlun 崐崘. S. 88, Z. 21 Pingyi] 馮夷; Gottheit des Gelben Flusses. S. 88, Z. 22 Jian Wu] Jian Wu 肩吾, der in 1:3 als Weiser in Erscheinung tritt (vgl. auch 7:2), ist hier die Gottheit des Berges Tai Shan 泰山. S. 88, Z. 24 Zhuan Xu] 顓頊; legendärer Kaiser des Altertums. S. 88, Z. 25 schwarzen Palast] In der Lehre der fünf Elemente ist Schwarz (xuan 玄) mit dem Norden verbunden, weshalb es in manchen Kommentare »Palast des Nordens« heißt. S. 88, Z. 25 Yuqiang] 寓強; Gottheit des Nordmeers. S. 88, Z. 26 Die Königinmutter des Westens] Xiwangmu 西王母; eine Unsterbliche, im späteren Daoismus eine wichtige Gottheit. S. 88, Z. 27 Berg Shaoguang] 少廣; übersetzt nach Cui Zhuan; laut Sima Biao ist Shaoguang der Name einer Höhle. S. 88, Z. 29 Pengzu] 彭祖; legendäre Gestalt, die für ihr langes Leben bekannt ist; vgl. 1:1 und 2:5. Ikeda Tomohisa weist darauf hin, dass er in den voranstehenden Kapiteln eher kritisch gesehen
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Stellenkommentar
wird, aber hier und in den nachstehenden Kapiteln positiv dargestellt ist. S. 88, Z. 30 Shun] 舜; einer der mythischen Urkaiser. S. 88, Z. 30 Zeit der fünf Hegemonen] Fünf Herrscher in der Periode der Frühlings- und Herbstannalen. S. 88, Z. 30 Fu Yue] 傅説; Weiser aus der Yin-Dynastie, dessen Geist nach seinem Tod als Stern zum Himmel aufstieg. S. 88, Z. 31 Wuding] 武丁; König in der mittleren Yin-Dynastie. S. 88, Z. 32 Sternbild Dongwei] 東維; Laut Sima Biao handelt es sich dabei um eine Konstellation zwischen dem Sternbild Ji 箕 »Worfel« und dem Großen Wagen.
4 S. 89, Z. 4 Nanbo Zikui] 南伯子葵; laut Li Yi wurden die Zeichen
kui 葵 und qi 綦 gleich ausgesprochen, er ist deshalb vielleicht identisch mit »Ziqi 子綦 von der Südmauer« in 2:1 und Nanbo Ziqi in 4:5. S. 89, Z. 4 Nü Yu] 女偊; wörtlich »die Bucklige«; fiktive weibliche Gestalt. Einige Kommentare geben die Lesung des Namens als Nü Ju an. S. 89, Z. 9 Buliang Yi] 卜梁倚; fiktiv. S. 89, Z. 23 Klarheit der Morgenstunde] chao che 朝徹; übersetzt nach Akazuka Kiyoshi. Die Metapher deutet an, dass etwas zum ersten Mal deutlich sichtbar wird. S. 89, Z. 24 das Eine erblicken] jian du 見獨; das Eine ist das Dao oder die Einheit scheinbarer Gegensätze. S. 89, Z. 30 Bringt man Leben zur Welt … lebendig.] Die Formulierung weist auf eine Kontinuität zwischen Leben und Tod hin, die im folgenden Satz als das Dao identifiziert wird. Sowohl Leben als auch Tod werden letztlich vom Dao verursacht. S. 90, Z. 3 Wer durch Berührung … Ruhe erlangt] »Ruhe durch Berührung« ist ying ning 攖寧; zahlreiche Auslegungen. Gemeint ist vielleicht innerer Friede inmitten von Chaos und Bedrohung. Anstelle einer Abkehr von der Welt werden hier das Berühren der Welt und ein Sich-Berühren-Lassen von der Welt empfohlen.
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Kapitel 6
S. 90, Z. 6
Wo hast du das gehört?] Der hiermit beginnende rätselhafte Abschnitt scheint eine Überlieferung des Dao zu beschreiben, die bis in eine fernste Vergangenheit zurückreicht. Burton Watson interpretiert die Stelle als Parodie auf die Traditionslinien philosophischer Schulen. S. 90, Z. 8 Der Sohn dessen, der es mit Tusche] fu mo 副墨; Hinzufügen von Tusche, Niederschrift einer mündlich überlieferten Tradition. »Sohn« ist eine Personifikation von Text. S. 90, Z. 9 weitererzählt] luo song 洛誦; mündliche Überlieferung. Nach Wang Xianqian, der 絡 (»eine Verbindung herstellen«) für das gleichlautende luo 洛 (»zu Ende gehen«) liest. S. 90, Z. 11 [mit eigenen Augen] gesehen] zhan ming 瞻明; klar sehen. S. 90, Z. 12 [mit eigenen Ohren] gehört] nie xu 聶許; hören und verstehen. S. 90, Z. 13 durch Anstrengung verwirklicht] xu yi 需役; nach etwas streben und es verwirklichen. S. 90, Z. 15 Angerührt-Sein] yu ou 於謳; im Innern aufkommende Gefühle. Nach Akazuka Kiyoshi, der 欧 bzw. 嘔 (»ausspucken«) für das gleichlautende ou 謳 (»singen«) liest. S. 90, Z. 16 dunklen Ursprung] xuan ming 玄冥; die Tiefe, in der alle Seienden eins sind. S. 90, Z. 17 Eingehen in die Leere] san liao 參寥; nach Ma Xulun, der 廫 (»Leerheit eines Zimmers«) für das gleichlautende liao 寥 (»vergeblich«, »traurig«) liest. S. 90, Z. 18 Anbeginn] yi shi 疑始; allererster Anfang, Ursprung. Nach Akazuka Kiyoshi, der yi 疑 (»zweifeln«) hier als ning 凝 (»sich in einen Punkt sammeln«) interpretiert.
5 Zi Si, Zi Yu, Zi Li und Zi Lai] Zi Si 子祀, Zi Yu 子輿 (vgl. 6:10), Zi Li 子犂 und Zi Lai 子来 sind fiktional. S. 90, Z. 27 Schöpfer der Dinge] zaowuzhe 造物者; das Buch Zhuangzi ist die erste Quelle für dieses Wort. Eine allegorische Personifikation des Ursprungs aller Dinge im Sinne eines SchöpferS. 90, Z. 20
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Stellenkommentar
gottes ist dem Text jedoch fremd, es handelt sich hier wie im Folgenden um eine rhetorische Stilfigur. S. 90, Z. 28 Sein Rücken hatte sich … zum Himmel.] Eine ähnliche Beschreibung findet sich in 4:7. S. 91, Z. 1 sein Geist war ruhig] Nach Lu Deming, der jian 間 (»Zwischenraum«) durch bi 閉 (»abgeschlossen«) ersetzt. S. 91, Z. 17 Befreiung aus der Verstrickung] xianjie (Aussprache hier nach Lu Deming: xianxie) 縣解; eine ähnliche Stelle findet sich in 3:5. S. 91, Z. 26 schöpferische Verwandlung] zaohua 造化; hier abstrakt und nicht als Schöpfer personifiziert. S. 91, Z. 29 Insektenbein] chongbi 蟲臂; bei Lu Deming und Cui Zhuan lautet die Stelle: »Innereien eines Insekts«. S. 91, Z. 35 Der Erdball … willkommen sein.] »Erdball« ist dakuai 大塊; wörtlich »der große Klumpen«; vgl. 2:1. Die Textstelle ist eine Wiederholung aus 6:2. S. 92, Z. 6 Mo Ye] 鏌鋣; Name eines berühmten Schwertschmieds aus dem Land Wu 呉 zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen. S. 92, Z. 10 Schöpfer] zaohuazhe 造化者; die schöpferische Verwandlung ist hier rhetorisch personifiziert. S. 92, Z. 15 plötzlich [wieder] erwachen] qu ran jiao 蘧然覺; die identische Formulierung wird im Schmetterlingstraum (2:13) beim Erwachen des Zhuang Zhou verwendet.
6 S. 92, Z. 17
Zi Sanghu, Meng Zifan und Zi Qinzhang] Zi Sanghu 子桑戸, Meng Zifan 孟子反 und Zi Qinzhang 子琴張; um wen es sich im Einzelnen handelt, ist unklar. Zi Sanghu ist vermutlich mit Zi Sang (6:10) identisch. Die Namen Meng Zifan und Zi Qinzhang finden sich auch in anderen Texten. S. 92, Z. 26 Zi Gong] 子貢; einer der zehn berühmtesten Schüler des Konfuzius. S. 92, Z. 28 komponierten … Lieder] bian qu 編曲; nach Ikeda Tomohisa und Xuan Ying, viele traditionelle Kommentare sind hier Li Yi gefolgt, der »Seidenraupengestelle flechten« erläutert.
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Kapitel 6
S. 93, Z. 1
Oh, weh Sanghu! … Menschen sein.] Im Original reimt sich Sanghu auf Sanghu und Mensch (ren 人) auf Wahrheit (zhen 真). S. 93, Z. 10 Etikette] li 禮; zentraler Begriff der Konfuzianer, oft mit »Riten« oder »Ritual« übersetzt. S. 93, Z. 13 Aber ich wandle] Im Text steht hier Qiu 丘, der Familienname des Konfuzius. S. 93, Z. 16 Gefährten des Schöpfers] Sima Biao erklärt: »Gefährten des Dao«. Der Ausdruck kommt auch in 7:3 vor. S. 93, Z. 16 leben [aus] der einen Lebenskraft] »leben« ist hier you 遊; die »eine Lebenskraft ist yiqi 一氣, dieser Begriff kommt als Bezeichnung für den Ursprung von Himmel und Erde auch in Kapitel 22 vor. S. 93, Z. 24 vergessen Augen und Ohren] Akazuka Kiyoshi erläutert: Sie betrachten weder die Funktionen ihres Körpers noch die Sinneswahrnehmungen als ihren Besitz, an dem sie festhielten. S. 93, Z. 33 Ich bin vom Himmel gestraft.] Auch hier steht der Familienname Qiu 丘. Eine ähnliche Formulierung findet sich in 5:3. S. 93, Z. 33 Dennoch will ich … halten] Übersetzt nach Lu Huiqing. Demnach preist Konfuzius zwar die Sphäre, in der die Daoisten leben, betrachtet sie aber für sich und Zi Gong als unerreichbar. Deshalb nennt er sich »vom Himmel gestraft«. Die meisten Übersetzungen folgen Guo Xiang, dann lautet die Stelle: »Doch will ich mit dir nach jener Welt streben.« Das scheint allerdings der vorangehenden Aussage zu widersprechen, dass die beiden Welten unvereinbar seien. S. 94, Z. 7 Die Fische … vergessen.] vgl. 6:2. S. 94, Z. 14 Wer für den Himmel ein Edler ist, ist für die Menschen ein kleiner Mensch.] nach eine Umstellung des Textes durch Wang Xianqian. Manche Ausgaben übersetzen hier: »Wer für die Menschen ein Edler ist, ist für den Himmel ein kleiner Mensch.«
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Stellenkommentar
7 S. 94, Z. 17 Zhong Ni] 仲尼; Beiname des Konfuzius, Yan Hui 顏 囘 ist einer seiner berühmt gewordenen Schüler. S. 94, Z. 17 Mengsun Cai] 孟孫才; es ist unklar, ob es sich um eine historische Person handelt. In den »Gesprächen des Konfuzius« (Lunyu 論語, Kapitel 2 und 19) kommt eine Person mit gleichem Familiennamen vor. S. 94, Z. 28 zu einem gewissen Grade vereinfacht ] Um in der Gesellschaft leben zu können, müssen bestimmte Regeln der Etikette eingehalten werden, aber Mengsun Cai hat sie insofern vereinfacht, als er daran innerlich nicht beteiligt war. S. 95, Z. 3 Wie könnte überhaupt das … sich verwandeln wird] Übersetzt im Sinne von Guo Xiang; wer jetzt als Mensch in der Welt lebt, weiß nichts mehr von der Zeit vor seiner Geburt und noch nichts von der Zeit nach seinem Tod. S. 95, Z. 8 aus diesem Traum zu erwachen] Ähnliche Formulierungen finden sich in 2:11. S. 95, Z. 9 Für Mengsun] Nach Cheng Xuanying, der das Pronomen bi 彼 hier auf Mengsun bezieht und dem die meisten späteren Kommentare folgen. S. 95, Z. 10 Die provisorische Wohnstatt … darin wohnende Geist] An dieser Stelle gibt es in den Kommentaren viele widersprüchliche Auslegungen. S. 95, Z. 18 Und du weißt nicht … [noch immer] träumt.] Vgl. Zhuang Zhous Schmetterlingstraum in 2:13. S. 95, Z. 20 Man braucht … nicht zu vermeiden.] Die Übersetzung ist ein Versuch (in Anlehnung an Akazuka Kiyoshi), auch hier gibt es zahlreiche, sehr unterschiedliche Auslegungen.
8 S. 95, Z. 26 Yi Erzi] 意而子 fiktive Gestalt; Xu You 許由 ist als der daoistische Weise bekannt, der es ablehnte, vom legendären Kaiser Yao die Regierungsgeschäfte zu übernehmen (vgl. 1:2).
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Kapitel 6
Was hatte Yao dir zu geben?] Yao 堯 lehrte die Menschen Menschlichkeit (ren 仁) und Gerechtigkeit (yi 義) und wird dafür hier und an anderen Stellen des Zhuangzi kritisiert. S. 95, Z. 31 eintätowiert … abgeschnitten] Yao soll ein System von fünf Körperstrafen eingeführt haben, von denen eine im Tätowieren des Gesichtes oder der Stirn und eine andere im Abschneiden der Nase bestand (außerdem: Fußamputation, Kastration und Todesstrafe). S. 96, Z. 3 Ein Blinder nimmt keinen Anteil … der Farben und Muster] Vgl. 1:3, wo ähnliche Motive vorkommen. S. 96, Z. 6 als sie vom Dao hörten] Diese Worte hat Cheng Xuanying eingefügt. S. 96, Z. 7 Wu Zhuang] 无莊; eine legendäre Schönheit des Altertums. Ma Xulun vermutet, sie sei mit Mao Qiang 毛嬙 aus 2:9 identisch. S. 96, Z. 8 Ju Liang] 拠梁; Ma Xulun vermutet, es sei hier Qi Liang 杞梁 gemeint, ein Held der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen aus dem Staate Qi 齊. S. 96, Z. 8 der Gelbe Kaiser] Huangdi 黄帝; einer der legendären fünf Urkaiser. S. 95, Z. 26
9 S. 96, Z. 24 Yan Hui] 顏囘 tritt als Schüler des Konfuzius (Zhong Ni) im Zhuangzi mehrfach in Erscheinung, aber nur an wenigen Stellen so wie hier als praktizierender Daoist (Ikeda Tomohisa). S. 97, Z. 2 Ich sitze und vergesse.] zuo wang 坐忘; nach Sima Biao (dem die meisten Kommentare folgen): »sitzen und sich selbst und den eigenen Körper vergessen«. S. 97, Z. 6 was alles durchdringt] datong 大通; Cheng Xuanying setzt diesen Begriff mit dadao 大道, dem »großen Dao« gleich. S. 97, Z. 9 außergewöhnlich] xian 賢; Fukunaga Mitsuji weist darauf hin, dass es sich hier vermutlich um eine Anspielung auf eine Stelle in den »Gesprächen des Konfuzius« (Lunyu, Kapitel 6) handelt, wo Yan Hui mit diesem Wort gelobt wird.
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Stellenkommentar
10 S. 97, Z. 13 Zi Yu und Zi Sang] Zi Yu (vgl. 6:5) und Zi Sang (vermutlich identisch mit Zi Sanghu; vgl. 6:6) sind bereits vorgekommen. S. 97, Z. 27 Schicksal] ming 命; das Leben oder das Schicksal. Mit anderen Worten: Das Dao, aus dem alles seinen Anfang nimmt, ist auch der Ursprung des Leidens.
Kapitel 7 (Seite 100–105) 1 S. 100, Z. 4
Nie Que fragte Wang Ni] Ein weiterer Dialog zwischen Nie Que und Wang Ni findet sich in 2:9. S. 100, Z. 6 Puyizi] 蒲衣子; »Meister Puyi«, fiktive Person, die in Kapitel 12 als Lehrer des Wang Di vorkommt. S. 100, Z. 7 Youyu] 有虞 ist der legendäre Ur-Kaiser Shun 舜, der den Konfuzianern als idealer Herrscher gilt. S. 100, Z. 7 Tai] 泰; laut Sima Biao ein nicht näher bezeichneter Herrscher des Altertums. Vermutlich liegt die Pointe in der Relativierung des als unübertrefflich geltenden Shun. S. 100, Z. 10 ließ das Kritisieren der Menschen nie hinter sich] Übersetzt nach Guo Xiang und Cheng Xuanying.
2 S. 100, Z. 18 Jian Wu besuchte den Verrückten Jie Yu.] vgl. 1:3 und
6:3. Zhong Shi] 中始; fiktive Person. Übersetzt nach Yu Yue, ältere Kommentare haben das dem Namen vorangehende Schriftzeichen ri 日 (»dieser Tage«) als Teil des Personennamens verstanden, der dann Ri Zhongshi lautet.
S. 100, Z. 19
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Kapitel 7
S. 100, Z. 20 Wenn der Herrscher … ein Vorbild ist] In den Kommentaren finden sich viele verschiedene Versionen zum Wortlaut dieser Aussage. Sie beschreibt das konfuzianische Ideal des Herrschers, der durch sein persönliches Vorbild die Menschen lenkt. Die Übersetzung folgt Wang Niansun. S. 101, Z. 1 berichtigt] Die Bedeutung von zheng 正 ist umstritten. Die Übersetzung folgt Liu Wu u. a. Ein ähnlicher Gedanke findet sich in 5:1, wo Shun durch das Ausrichten seines Lebens das Leben der Menge ausrichtet. S. 101, Z. 3 Der Vogel … als diese beiden Kreaturen?] Die Beziehung zwischen der Haltung des Weisen und den Tierbeispielen ist unklar. Ikeda Tomohisa übersetzt: »Lerne von diesen beiden Tieren!« Und er ergänzt: »Genauso wie sie werden auch die Menschen über kurz oder lang der Bedrohung durch Zhong Shis Herrschaft entfliehen.«
3 S. 101, Z. 9 Tian Gen] 天根; wörtlich »Ursprung des Himmels«, nach Chen Bixu eine Personifikation des Ursprungs aller Dinge yuanqi 元氣. S. 101, Z. 9 Sonnenseite des Berges Yin … Ufer des Flusses Liao] Akazuka Kiyoshi interpretiert die Ortsnamen »Sonnenseite des Berges Yin« Yinyang 殷陽 und »Fluss Liao« Liaoshui 蓼水 als Personifikationen von Yin und Yang. S. 101, Z. 11 namenlosen Menschen] vgl. 1:1: »Der Weise hat keinen Namen« und Daodejing Kapitel 1: »Das Namenlose ist der Ursprung von Himmel und Erde«. S. 101, Z. 14 Gefährte des Schöpfers] Der gleiche Ausdruck findet sich auch in 6:6. S. 101, Z. 16 frei im Grenzenlosen fliegt] Hier gibt es sehr viele unterschiedliche Auslegungen, die Übersetzung orientiert sich an Akazuka Kiyoshi. S. 101, Z. 17 sechs Richtungen] vgl. Anmerkung in 6:3. S. 101, Z. 19 im weiten Ödland] Eine ähnliche Stelle findet sich in 1:5.
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Stellenkommentar
S. 101, Z. 19 müßigen] Die Aussprache und Bedeutung des Zeichens 帠 ist unklar, übersetzt nach Wang Shumin. S. 101, Z. 22 im Farblosen] dan 淡, (»fade«, »blass«, »fahl«) nach Cheng Xuanying im Sinne von Bedürfnislosigkeit, ohne Anhänglichkeit an Sinnliches. S. 101, Z. 23 Stille] mo 漠; wörtlich »Wüste«, »Weite«, nach Cheng Xuanying in der Bedeutung von Einsamkeit und Stille.
4 Yangzi Ju] 陽子居 kommt auch in den Kapiteln 20 und 27 im Gespräch mit Lao Dan (Laozi) vor. S. 102, Z. 6 Wildkatzen] übersetzt nach Li Yi; andere Kommentare schlagen »Yaks« oder »Mäuse« bzw. »Ratten« vor. S. 102, Z. 10 Wenn durch die Regierung … nicht zu nennen.] Die Beschreibung des erleuchteten Herrschers erinnert an Textstellen im Daodejing, z. B. in den Kapiteln 2, 9, 34 oder 77. S. 101, Z. 27
5 S. 102, Z. 19 Zheng] Zheng 鄭; Staat während der Zhou-Dynastie. S. 102, Z. 19 Ji Xian] 李咸; es ist nicht sicher, ob es sich bei dieser
Person um einen Schamanen oder eine Schamanin handelt. Nach Li Yi soll das hier verwendete Zeichen wu 巫 nur für Frauen verwendet werden. Yu Yue, dem die meisten Interpreten folgen, hat allerdings gezeigt, dass wu auch für Männer gebraucht wird. Die gleiche Geschichte findet sich in Kapitel 2 des Buches Liezi. S. 102, Z. 24 rannte ein jeder eiligst davon] Nach Guo Xiang rannten die Menschen davon, weil sie befürchteten, dass ihnen ihr Todeszeitpunkt mitgeteilt würde. S. 102, Z. 25 Liezi] vgl. 1:1. S. 102, Z. 26 Huzi] 壺子; Lehrer des Liezi. S. 102, Z. 31 Und du denkst … erlangt?] Übersetzt nach Lin Xiyi. S. 103, Z. 10 feuchte Asche] Ähnlich in 2:1; »Kann man den […] Geist wirklich wie tote Asche werden lassen?«
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Kapitel 7
S. 103, Z. 13 Vorhin habe ich ihm die Beschaffenheit der Erde gezeigt] xiang 郷 »vorhin« ist (hier und an den drei folgenden parallelen Stellen) nach Ma Xulun eine Kurzform des gleichlautenden 曏; dewen 地文 »Beschaffenheit der Erde« nach Cui Zhuan. S. 103, Z. 15 Aktivität meiner Lebenskraft] de ji 德機. S. 103, Z. 21 Knospen sprießen] Die Stelle ist schwer verständlich, übersetzt nach Ma Xulun. S. 103, Z. 22 Fruchtbarkeit des Himmels] Nach Chen Bixu und Akazuka Kiyoshi. Guo Xiang erläutert hier »Himmel und Erde«, ihm sind zahlreiche Kommentare gefolgt. Der Satz bildet aber, wie Ikeda Tomohisa argumentiert, einen Kontrast zum vorangehenden. S. 103, Z. 24 von den Fersen aus] vgl. 6:1: »[d]er wahre Mensch atmete mit den Fersen«. S. 103, Z. 32 große Leere und Ichlosigkeit] taichong mosheng 太 沖莫勝; nach Yu Yue und anderen, die 勝 durch das ähnlich ausgesprochene 朕 »ich« ersetzen. S. 103, Z. 33 Unstetigkeit meiner Lebenskraft] Übersetzt nach Xiang Xiu; »Lebenskraft« ist qiji 氣機. S. 103, Z. 34 unergründliche Tiefe] yuan 淵; auch »Untiefe«. S. 103, Z. 35 ein Wal beim Herumschwimmen] Übersetzt nach Kaiser Jianwen. S. 104, Z. 4 ich habe ihm drei gezeigt] Im Buch Liezi findet sich eine Auflistung von sechs weiteren Erscheinungsformen. Die drei, die Huzi dem Schamamen gezeigt hat, beziehen sich auf die bisherigen drei Begegnungen. S. 104, Z. 12 anfangslos] »Anfangslos« meint hier konstant, d. h., Huzi ist von seinem Ursprung niemals getrennt. S. 104, Z. 13 [an die Situation] angepasst] Übersetzt nach Guo Xiang. S. 104, Z. 14 Dadurch erschien es ihm … hinweggespült wurde.] Die Interpretation der beiden Sätze ist höchst umstritten, übersetzt nach Akazuka Kiyoshi. S. 104, Z. 24 In einsamer Erhabenheit] kuairan 塊然; nach Akazuka Kiyoshi.
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Stellenkommentar
6 S. 104, Z. 29 Sei nicht … Wissen] Jede der vier Ermahnungen beginnt mit den Schriftzeichen wuwei 无爲 »Nicht-Handeln«; die gleiche Textstelle findet sich im Buch Huinanzi. S. 104, Z. 29 Namens] Übersetzt nach Cheng Xuanying; vgl. auch 3:1. S. 104, Z. 30 Strategien] vgl. 5:5: »Der Weise beabsichtigt nichts, wozu brauchte er Wissen?« S. 105, Z. 2 was du vom Himmel empfangen hast] Akazuka Kiyoshi interpretiert das im engeren Sinne als eine Aufforderung zur Kultivierung des Leibes. S. 105, Z. 4 gleich einem Spiegel] Guo Xiang erläutert: »Er reflektiert die Dinge, aber ohne sie zu bewerten.«
7 S. 105, Z. 9 Südmeeres war Shu … Nordmeeres war Hu] Südmeer und Nordmeer stehen für Yang und Yin. Shu 儵 »flink« und Hu 忽 »plötzlich« (übersetzt nach Kaiser Jianwen) sind Metaphern für die Aktivität das menschlichen Geistes, Dinge und Situationen augenblicklich zu beurteilen; vgl. 1:1. S. 105, Z. 10 Hundun] 混沌; wörtlich »Chaos«, Personifikation der ursprünglichen Einheit, aus der durch Aufspaltung der Kosmos hervorgeht.
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Textvorlage und wichtige Kommentare
Als Vorlage der Übersetzung diente die Ausgabe Xu guyi congshu (Songkan nanhua zhenjing 續古逸叢書『宋刊南華眞 經』), die als die am besten erhaltene gilt. Dieser Text steht, wie viele der klassischen Kommentare, im Chinese Text Project online zur Verfügung (http://ctext.org). Ein so prominentes Werk der chinesischen Geistesgeschichte wie das Buch Zhuangzi ist im Laufe der über zweitausend Jahre seit seiner Entstehung naturgemäß Gegenstand einer kaum noch zu überblickenden Anzahl von Kommentaren geworden. Deshalb sind schon früh Ausgaben des Werks entstanden, in denen wichtige Textkommentare der Vergangenheit gesammelt und zusammengefasst wurden. Diese Praxis setzt sich bis auf den heutigen Tag fort. Im Folgenden werden die Kommentatoren und Kommentarsammlungen vorgestellt, auf die im Stellenkommentar dieser Ausgabe Bezug genommen wird. Der bereits in der Einleitung erwähnte Guo Xiang 郭象 (252– 312) ist der wichtigste aller Zhuangzi-Kommentatoren und die von ihm zusammengestellte Standardausgabe des Zhuangzi in 33 Kapiteln »Die Wahre Schrift von der Südlichen Blüte« Nanhua zhenjing zhu 南華真經注 ist die Grundlage aller späteren Kommentare. Lu Deming 陸德明 (ca. 550–630) ist der Verfasser des Jingdian shiwen 經典釋文, einer Sammlung chinesischer Klassiker mit Erläuterungen, in dessen Kapitel »Lautungen und Bedeutungen des Zhuangzi« Zhuangzi yinyi 莊子音義 er frühere Kommentare zusammenfasst. Die wichtigsten dort zitierten älteren Kommentatoren sind (neben Guo Xiang 郭象) Sima Biao 司馬彪 (ca. 246–306) mit über 750 Erwähnungen in allen 33 Kapiteln und Meng Shi 孟氏, deren Erläuterungen sich auf die ver153 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Textvorlage und wichtige Kommentare
lorengegangenen Ausgabe in 52 Kapiteln beziehen, sowie Cui Zhuan 崔譔 (aktiv um 290) und Xiang Xiu 向秀 (ca. 227–272), die sich auf eine ebenfalls nicht erhaltene Ausgabe in 27 Kapiteln beziehen. Außerdem Li Yi 李頣, Li Gui 李軌, Xu Miao 徐邈 (um 397), Wang Muye 王穆夜 und Kaiser Jianwen 簡文帝 (503–551). Cheng Xuanying 成玄英 (ca. 630–660) war ein tang-zeitlicher Daoist, der auch von buddhistischen Ideen der TiantaiSchule beeinflusst war. Sein Text »Fließkommentar zum wahren Text der südlichen Blüte« Nanhua zhenjing zhushu 南華真經注 疏 avancierte zu einer Art offiziellen Kommentar zu Guo Xiangs Textausgabe. Chen Bixu 陳碧虚 (auch Chen Jinyuan 陳景元, 1024–1094), der Verfasser von »Lautungen und Bedeutungen in den Texten von der Südlichen Blüte« Nanhua zhangju yinyi 南華章句音 義, und Lu Huiqing 呂惠卿 (auch Lu Jifu 呂吉甫, 1032–1111), der Verfasser von »Erklärungen zum wahren Text der Südlichen Blüte« Nanhua zhenjing xie 南華真經解, waren Gelehrte, die den Text in der Song-Zeit kommentiert haben. Wang Niansun 王念孫 (1744–1832) fragte bei der Interpretation der chinesischen Klassiker nach den historischen Lesungen der Schriftzeichen anstatt nur nach ihrer Schreibweise und kam so auch zu neuen Interpretationen des Zhuangzi. Dieses Prinzip wird heute häufig angewandt und ähnlich lautende Zeichen nicht selten als austauschbar bewertet. In der neueren Zeit hat Guo Qingfan 郭慶藩 (1844–1896) eine wichtige Sammlung mit dem Titel »Sammlung von Zhuangzi-Kommentaren« Zhuangzi jishi 莊子集釋 herausgegeben, die alle bei Lu Deming gesammelten Kommentare und den des Cheng Xuanying umfasst. Yu Yue 兪樾 (1821–1906) war ein einflussreicher Literat und klassischer Philologe und seine »Ausgewogene Diskussion des Zhuangzi« Zhuangzi pingyi 莊子平議 findet viel Beachtung. Sein Zeitgenosse Wang Xianqian 王先謙 (1842–1917) legte die »Zhuangzi-Kommentarsammlung (Innere Kapitel)« Zhuangzi 154 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Textvorlage und wichtige Kommentare
jixie (neipian buzheng) 荘子集解(内篇補正) vor, die 1958 von Liu Wu 劉武 neu herausgegeben und annotiert wurde. Auch das Werk des Literaturwissenschaftlers und Philosophen Ma Xulun 馬敘倫 (1884–1970) »Klärung des Bedeutungen des Zhuangzi« Zhuangzi yizheng 莊子義證 (1930, Neuauflage 1996) wird heute viel berücksichtigt. Der Historiker Qian Mu 錢穆 (auch Qian Sibin 錢四賓, 1895–1990) hat in seiner 1951 erschienenen »Sammlung von Schriften zum Zhuangzi« Zhuangzi zuanjian 荘子纂箋 zahlreiche frühere Kommentare gesammelt und bewertet. Unter den japanischen Zhuangzi-Kommentaren sind die Ausgaben von Ichikawa Yasuji 市川安司 und Endō Tetsuo 遠藤 哲夫 in der Reihe »Neue Auslegung chinesischer Texte« Bd. 7 und 8 (Shinshaku-kanbun-taikei 新釈漢文体系) von 1967 und diejenige von Akazuka Kiyoshi 赤塚忠 aus den Jahren 1974 und 1977, »Vollständige Auslegung chinesischer Texte« Bd. 16 und 17 (Zenshaku-kanbun-taikei 全釈漢文体), als besonders wichtig zu nennen. Außerdem ist die gut lesbare Ausgabe von Fukunaga Mitsuji 福永光司 und Kōzen Hiroshi 興膳宏 »Zhuangzi – Innere Kapitel« (Sōshi-naihen 荘子 内篇) von 2013 sehr einflussreich (einschließlich der beiden Folgebände zu den »Äußeren Kapiteln« und den »Vermischten Kapiteln«). Besondere Erwähnung verdient die umfangreiche und ausführlich kommentierte Ausgabe in zwei Bänden von Ikeda Tomohisa 池田知久 »Zhuangzi« (Sōji 荘子) von 2014, die mir eine große Hilfestellung bei der Navigation durch die Kommentarliteratur war. Ebenso die vierbändige Ausgabe von Kanaya Osamu 金谷治 »Zhuangzi« (Sōji 荘子) von 2012 (zuerst 1971). Die Einteilung der Abschnitte innerhalb der Kapitel der Übersetzung folgt der zuletzt genannten Ausgabe.
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Literaturnachweise
Die mit ※ gekennzeichneten historischen Zhuangzi-Kommentare sowie die englische Übersetzung von James Legge (1891) sind im Chinese Text Project online zugänglich (http://ctext. org). Akazuka, Kiyoshi 赤塚忠 1974/1986. Sōshi Zenshaku-kanbuntaikei 荘子 全釈漢文大系 16/17. Shūei-sha. Bauer, Wolfgang 2009. Geschichte der chinesischen Philosophie. München: C. H. Beck (12001). Billeter, Jean François 2015. Das Wirken in den Dingen. Berlin: Matthes & Seitz. Buber, Martin 2007. Tschuang-Tse – Reden und Gleichnisse. Zürich: Manesse (11910). Chai, David 2008. Early Zhuangzi Commentaries. Saarbrücken: VDM. Chen Jinyuan陳景元 1972. Nanhua zhangju yinyi 南華章句音 義. In: Wuqiubeizhai zhuangzi jicheng chubian 無求備齋莊 子集成初編. Yan Lingfeng 嚴靈峰 (Hg.), Bd. 5. Taibei: Yiwen Yinshuguan. Cheng Xuanying 成玄英 1998. Nanhua zhenjing zhushu 南華 真經注疏. Beijing: Zhonghua shuju. ※ Fukunaga, Mitsuji 福永光司 u. Kōzen, Hiroshi 興膳宏 2013. Sōji 荘子 (3 Bd.). Chikuma-gakujutsu-bunko. Graham, Angus C. 2001. Chuang-Tzû The Inner Chapters. Indianapolis: Hackett (11981). Guo Qingfan 郭慶藩 1990. Zhuangzi jishi 莊子集釋. Beijing: Zhonghua shuju. ※ Guo Xiang 郭象 1972. Nanhua zhenjing zhu 南華真經注. In: Wuqiubeizhai zhuangzi jicheng chubian 無求備齋莊子集成 156 https://doi.org/10.5771/9783495817308 .
Literaturnachweise
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