C. M. Wielands Sämmtliche Werke: Band 2 Geschichte des Agathon, Teil 2 [Reprint 2020 ed.] 9783111401218, 9783111038285


200 106 30MB

German Pages 256 [228] Year 1794

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

C. M. Wielands Sämmtliche Werke: Band 2 Geschichte des Agathon, Teil 2 [Reprint 2020 ed.]
 9783111401218, 9783111038285

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

C.

M,

WIELANDS

SÄMMTLICHE W E R K E

GESCHICHTE

DES

AGATHOît

Z WE Y TEH T H E 1 L¿ LEIPZIG Ber ozono JOACHIM DÔ5CHIÏ, 17.9 4-

I d e s

n

h

a

l

z w e y t e n

SIEBENTES Agathon

erzählt

die

zu dem Zeitpunkte,

i . Kap.

t T h e i l s .

BUCH.

Geschichte

seiner

da er seinen

Agathons erste Jugend.

Jugend,

Vater

Etwas von

Idealen. s. K a p .

S. g

A g a t h o n w i r d i n der O r f i s c h e n F i l o -

sofie unterwiesen. 3. Kap. nocte

4. Kap.

En

animarn

9 et

mentem

cum qua Dt

loquantur.

D i e L i e b e i n verschiednen Gestalten,

D i e P y t h i a tritt an T h e o g i t o n s Stelle. 5. Kap. G. Kap.

Psyche.

26 30

D i e A b s i c h t e n der P y t h i a e n t w i c k e l n

sich. 7. Kap.

bis

fand.

36 Agathon lernt seine geliebte Unbekannte

näher kennen,

44

IV

I

o- K a p .

n

h

a

l

t

E i n neuer Versuch der Pythia.

w i r d unsichtbar.

Psyche

Agathons letztes A b e n -

teuer zu D e l f i . 9. Kap.

S. 57

A g a t h o n entflieht v o n D e l f i , ivnd findet

seinen Vater. W a s für einen neuen S c h w u n g sein Geist durch die V e r ä n d e r u n g seiner Umstände b e k o m m t .

67

A C H T E S Fortsetzung setzung

der Erziihlung

nach Athen

B U C H Agathons,

von seiner Ver-

bis zu seiner Bekanntschaft

mit

Danae. l.Kap.

Agathon k o m m t nach A t h e n und w i d -

met sich der R e p u b l i k . besondern

Natur

Ton Horaz aura popularis S. Kap.

E i n s Probe der

desjenigen W i n d e s ,

der

genannt w i r d .

Ag&thons Glück und Ansehen in der

R e p u b l i k erreicht seinen höchsten G i p f e l . 5. Kap.

102

A g a t h o n w i r d als ein Staatsverbrecher

angeklagt, t\. Kap.

88

"4

E i n V e r w a n d t e r seines Vaters macht

dem Agatlion sein G e b u r t s - u n d E r b - R e c h t streitig.

Sein Gemüthszustand unter die-

sen W i d e r w ä r t i g k e i t e n ,

*22

PES g. K a p .

ZWEYTEN

T l i E I L 9.

V

W i e Agathon »ich v o r den Athenern

vertheidiget.

E r w i r d verurtheilt und auf

i m m e r aus Griechenland verbannt. fi. K a p .

A g a t h o n endigt seine E r z ä h l u n g .

N E U N T E S Fortsetzung Danae

bis zur heimlichen

14°

BUCH.

der Geschichte Agathons aus

1. Kap.

S . 130

u,id der schärten

Entweichung

des

ersten»

Smyrna.

E i n starker Schritt z u r Entzauberung

Unser« Helden. 2. K a p .

14g

Vorbereitung z u m Folgenden.

Neue

Anschläge des Sofisten Hippias. 3. Kap.

160

Hippias w i r d z u m Verräther an seiner

Freundin Danae. 4. K a p . -

F o l g e n des Vorhergehenden.

169 Agathon

entfernt sich heimlich aus Smyrna.

5. K a p .

E i n e kleine A b s c h w e i f u n g .

6. Kap.

A g a t h o n w i r d v o n einem kleinen Rück-

fall bedroht.

igg

E i n unverhoffter Z u f a l l be-

stimmt seine E n t s c h l i e ß u n g .

20g

7. Kap.

Betrachtungen, Schlüsse und Vorsätze,. 2»7

ß. Kap.

E i n e oder z w e y A b s c h w e i f u n g e n .

230

VI

I n h a l t

des

z w i t t b s

Z E H N T E S Darstellung

des Syrakusischen

BUCH. Hojes,

würdigsten , was sich kurz zuvor, Syrakus 1. K a p .

T h e i l 5.

und des

auftrat an demselben begeben

S. 244

Karakter des D i o n , A n m e r k u n g e n über

denselben. 5. K a p .

253

E i n Beyspiel, dafs die F i l o s o f i e so g u t

zaubern kann als die L i e b e .

263

4. K a p .

Filistos und T i m o k r a t e s .

5. Kap.

Gemüthsverfassung des Dionysius. Un»

t c n e d u n g m i t D i o n und Platon.

SQo

Folgen

derselben. 6. K a p . tes.

298

K u n s t g r i f f e des Giinstlings Timokra* Bacchidion.

D i o n und Platon w e r d e n

entfernt. Kap.

tu

hatte.

Karakter der Syrakuser, des D i o n y s i u s

lind seines Hofes. 2. K a p .

Merk-

ehe Agathon

307

E i n m e r k w ü r d i g e r V o r t r a g des Filistos.

W o z u ein grofser Herr Filosofen und w i t z i g e K ö p f e brauchen kann. D i o n y s i u s stiftet eine Akademie v o n schönen Geistern.

31?

C E S C H I, C II T E DES

G

A

T

H

O

¡Z W E Y T E R THE II"..

W i l L A t i f sümntf. W . II. B.

A

Ä

G

A.

T

H

SIEBENTES Agathon

erzählt die Geschichte

m dem Zeitpunkte,

i.

O

N.

BÜCH. seiner Jugend,

da er seinen Vater

bis

fandi

Kapitel.

Agathon* erste Jugend. Etwas vön I d e a l e n . I c h war schon achtzehtl Jähr alt, eh' ich denjenigen kannte, dem ich mein Daseyn zu danken- habe. Von der ersten Kindheit an in den Hallen des Delfischen Tempels erzogen, war ich gewohnt, d i e P r i e s t e r d e s A p o l l o mit diesen kindlichen Empfindungen anzusehen* welche das erste Alter über alle, die für unsre Erhaltung Sorge tragen > zu ergiefsen pflegt. Ich war noch ein kleiner Knabe, als ich schon mit dem geheiligten Gewände, welches die jungen Diener des Gottes von den Sklaven der Priester unterschied, bekleidet, und zu in Dienste des Tempels gewidmet wurde«

4

A (i 1 I H U N.

Wer Deiii gesehen hat, wird sich' nicht verwundern, dafs ein Knabe von gefühlvoller Art, der beynahe von der Wiege an daselbst erzogen worden , unvermerkt eine Gemiithsbildung bekommen mnfste, die ihn von den gewöhnlichen Menschen unterschied. Aul'ser der besondern Heiligkeit, welche ein uraltes Vorurtheil und die geglaubte Gegenwart des Pylhischen Gottes dein D e l f i s c h e n B o d e n beygelegt h a t , war in den Bezirken des Tempels selbst kein Platz, der nicht von irgend einem ehrwürdigen oder glänzenden Gegenstand erfüllt , oder durch das Andenken irgend eines Wunders Verherrlichet gewesen wäre. Der Anblick so vieler wundervollen Dinge •war das erste, woran meine Augen gewöhnt w u r d e n , und die Erzählung wunderbarer Begebenheiten die erste mündliche Unterweisung, die ich von meinen Vorgesetzten erhielt.' Eine Art von Unterricht dessen ich bedurfte, weil es ein Theil meines Berufs seyn sollte, den Fremden, von welchen der Tempel immer angefüllt w a r , die Gemähide, Schnitzwerke lind Bilder, und den unsäglichen Reichthum von Geschenken, wovon die Hallen und Gewölbe desselben schimmerten) zu erklären. Für ungewohnte Augen ist vielleicht nichts blendenders, als der Anblick eines von so vielen Königen, Städten und reichen Privatperso-

SIEHENTES

I. K a p i t e l .

BUCH.

.5

iien in ganzen Jahrhunderten zusammen gehäuften Schatzes von Gold, Silber, Edelsteinen, P e r len

und

Elfenbein.

Für

mich,

der

dieses

Anblicks gewohnt w a r , hatte die bescheidene Bildsäule eines S o I o n

mehr Reitz,

als alle

schimmernde Denkmahle einer abergläubischen Andacht,

welche ich

achtenden

bald mit eben der v e r -

Gleichgültigkeit

ansah,

womit

ein

Knabe die Puppen und Spielwerke seiner Kindheit anzusehen pflegt.

Noch unfähig von den

Verdiensten und dem wahren Werthe der vergötterten H e l d e n zu machen,

mir einen ächten

Begriff

stand ich oft vor ihren Bildern,

und fühlte, indem ich

sie betrachtete,

mein

Herz mit geheimen Empfindungen ihrer Gröfse und mit einer ich keine andre Gefühl

Bewunderung Ursache

erfüllt,

wovon

mein

innres

als

hättej angeben können,

Einen noch

stärkern Eindruck machte auf mich die grofse Menge von B i l d e r n der verscliiednen heiten,

erhaltenden faltigen

Gott-

unter welchen unsre Vorältern die Kräfte der

Natur,

Vollkommenheiten

des

die

mannig-

menschlichen

Geistes, und die Tugenden des geselligen L e bens vorgestellt

haben,

und wovon ich im

Tempel und in den Hainen von Delfi mich allenthalben umgeben fand. Meine damahlige Erfahrung, schöne Danac, hat mich seitdem oftmahls auf

die

Betrach-

6

A

ti

A V H

O

N,

tung geleitet, w i e g r o f s d e r B e y t r a g s e y , welchen die schönen Künste zu Bildung dea sittlichen Menschen thun können, und wie weislich die Priester " der Griechen gehandelt, da sie d i e M u s e n und G r a z i e n , deren Lieblinge ihnen so grofse Dienste gethan, seihst unter die Zahl der Gotllieiten aufgenommen babeii. Der wahre Vortheil der Religion, in so fern sie eine besondere Angelegenheit des priester liehen Ordens ist, scheint von der Stärke der Eindrücke abzuhängen, die wir in denjenigen Jahren empfangen, worin wir noch unfähig sind Untersuchungen anzustellen. Würden unsere Seelen in Absicht der Götter und ihres Dienstes von Kindheit an leere Tafeln gelassen, und anstatt der unsichern und verworrenen aber desto lebhaf-. tern Begriffe, welche wir dm^h Fabeln und Wundergeschichten, und in etwas zunehmendem Alter durch die Musik und die bildenden V

Künste, von den übernatürlichen Gegenständen bekommen, allein mit den unverfälschten Eindrücken der N a t u r und den Grundsätzen der V e r n u n f t überschrieben: so ist sehr zu vermuthen, dafs der Aberglaube noch gröfsere Mühe haben würde, die V e r n u n f t , als, in dem Falle wdrin die meisten sich befinden, die Vernunft Mühe hat den A b e r g l a u b e n von der einmahl angenommenen Herrschaft zu verdrängen. Der gröfste Vortheil, den dieser

SIEBENTES

BÜCH.

t. K a p i t e l .

7

über jene hat, hängt davon ab, dafs er ihr zuvorkommt. Wie leicht wird es ihm, sich einer noch unmündigen Seele zu bemeistern, wenn alle diese zauberischen Künste, welche die Natur im Nachahmen selbst zu übertreffen scheinen, ihre Kräfte vereinigen die entzückten Sinne zu überraschen! Wie natürlich mufs es demjenigen werden, die Gottheit des Apollo zu glauben, ja endlich sieh zu bereden, dafs er ihre Gegenwart und Einflüsse f ü h l e , der in einem Tempel aufgewachsen ist, dessen erster Anblick das Werk und die Wohnung eines Gottes ankündet; — demjenigen, der gewohnt ist den A p o l l o e i n e s F i d i a s immer vor sich zu sehen, und das m e h r a l s M e n s c h l i c h e , welches die Kenner so sehr bewundern, der Natur des Gegenstandes, nicht dem Geiste des Künstlers zuzuschreiben! So viel ich unsre Seele kenne, däucht mich, dafs sich in einer jeden, die zu einem merklichen Grade von Entwicklung gelangt, nach und nach ein gewisses i d e a l i s c h e s S c h ö n e bilde, welches (auch ohne dafs man sicli's bewufst ist) unsern Geschmack und unsre sittlichen (Jrtheile bestimmt, und das a l l g e m e i n e M o d e l l abgiebt, wonach unsre Einbildungskraft die besondern Bilder dessen, was wir grofs, schön und vortrefflich nennen.

s

A o

A I

II

0

N.

zu entwerfen scheint. pieses idealische Modell bildet sicji (wie mich däucht) aus d^r Beschaffenheit und dem Zusammenhange der Gegenstände, unter welchen wir zu leben anfangen. Daher (wie die Erfahrung zu bestätigen scheint) so yjelerley besondere Denkund Sinnesarten, als man verschiedene Stände und Erziehungsaiten in der menschlichen Gesellschaft antrifft; daher der S p a r t a n i s c h e I l e l d e n m u t l i , die A t t i s c h e U r h a n i t ä t , und der S c h w u l s t d e r A s i a t e n ; daher die Verachtung des Geometers f ü r den Dichter , oder des spekulierenden Kaufmanns gegen die Spekulazionen des Gelehrten, die ihn» unfruchtbar scheinen , weil sie sich in keine D a r i k e n l ) verwandeln, wie die seinigen; daher der grobe Materialismus des plumpen Handwerkers, der rauhe Ungestüm des See-, fahrers, die mechanische Unempfindlicbkeit des Soldaten, und die einfältige Schlauheit des,Landvolks-, daher endlich, schöne Danae, tjie Schwärmerey, welche der weise Hippia» deinem Kallias v o r w i r f t ; diese Schwärmerey, die ich vielleicht in einem minder erhabnen Lichte sehe, seitdem ich ihre wahre Quelle entdeckt zu haben glaube; aber die ich nichts desto weniger f ü r diejenige Geiniithsbeschaffenbeit halte, welche uns, unter gewissen Ein1) Eine goldene Münze d«r damnliligen Zeit.

S I E B E N T E S

3. K a p i t e l ,

BUCIT,

9

ichränkungen, glücklicher als irgend eine andre machen k a n n .

2.

Kapitel,

Agathon w i r d in der O r f i s c h e n Filoaofie unterwiesen. Du

hegreifst

unter

leicht,

schöne

lauter Gegenständen,

Danae,

welche

gewöhnliche

Natur erhaben und

idealisch

sind,

jenes

selbst

fantasierte

dessen ich v o r h i n e r w ä h n t e ,

dafs

über die schon Modell,

in einem so u n -

g e w ö h n l i c h e n Grade abgezogen und überirdisch •werden m u f s t e , dafs hey zunehmendem A l t e r a l l e s , was ich w i r k l i c h sah, w e i t unter d e m jenigen w a r ,

was sich meine Einbildungskraft

z n sehen wünschte. fassung w a r i c h , zu D e l f i , der in

aus Absichten ,

Folge den

In

entwickelten,

Geheimnissen

Filosofie

dieser

Gemüthsver-

als .einer v o n den Priestern

einzuweihen;

w e l c h e sich e r s t - i n es ü b e r n a h m , der der

mich

Orfischen einzigen,

die

von unsern Priestern hochgeachtet w u r d e , w e i l sie die V e r n u n f t

selbst

ziehen,

G l a u b e n , v o n dessen u n b e -

und dem

weglichem

Ansehen

auf

ihre

Partey

das ihrige abhing,

zu

einen

festern Grund als die mündliche Überlieferung »ind die Fabel«

der Dichter zu geben schien.

10

A 8

A T H O N.

Die Entzückung war unbeschreiblich, in die ich hinein gezogen wurde, als ich, an den Händen dieses Stifters unsrer Religion und Gelehrsamkeit, in d a s R e i c h d e r G e i s t e r eingef ü h r t , und mir za einer Zeit, da die erhabensten Gemähide Homers und Pindars ihren Reitz für mich Verloren hatten, mitten in der materiellen Welt eine neue, mit lauter unsterblichen Schönheiten erfüllt und von lauter Göttern bewohnt, eröffnet wurde. Ich stand damahls eben in dem Alter, worin w i r , aus dem langen Traume der Kindheit e r wachend, uns selbst zuerst zu finden glauben, die Welt um uns her mit erstaunten Augen betrachten, und neugierig sind, unsre eigne Natur und den Schauplatz, worauf wir uns ohne unser Zuthun versetzt sehen, kennen zu lernen. Wie willkommen ist uns da eine Filosofie, die den Vortheil,unsrer Wissensbegierde mit dieser Neigung zum Wunderbaren und mit dieser arbeitscheuen Flüchtigkeit, welche der Jugend eigen sind, vereiniget, alle unsre Fragen beantwortet, alle Räthsel erklärt, alle Aufgaben auflöset! eine Filosofie, die desto mehr mit dem warmen und gefühlvollon Herzen der Jugend sympathisiert, weil sie alles Unempfindliche •und Todte aus der Natur verbannt, jeden Atom der Schöpfung mit lebenden und geistigen Wesen bevölkert, jeden Punkt der Zeit mit verborgenen

S I E B E K I E S

BÜCH.

2.

Kapitel.

11

Begebenheiten befruchtet, die für künftige Ewigkeiten heran reifen! Ein System, worin die Schöpfung so unermefslich ist als ihr Urheber; welches uns in der anscheinenden Verwirrung der Natur eine m a j e s t ä t i s c h e S y m m e t r i e , in der Rcgierang der moralischen Welt einen u n v e r ä n d e r l i c h e n P l a n , in der unzählbaren Menge vonv Klassen und Geschlechtern der Wesen einen e i n z i g e n S t a a t , in den verwickelten Bewegungen aller Dinge einen a l l g e m e i n e n R i c h t p u n k t , in unsrer Seele einen k ü n f t i g e n G o t t , in der Zerstörung unsers Körpers d i e W i e d e r e i n s e t z u n g in u n s r e u r s p r ü n g l i c h e V o l l k o m m f c n h e i t , und „in dem nachtvöllen Abgrunde der Zukunft helle A u s s i c h t e n i n g r e n z e n l o s e W o n n e zeigt! — Ein solches System ist zu schön an sich selbst, zu schmeichelhaft für unsern Stolz, unsern innersten Wünschen und wesentlichsten Trieben zu angemessen, als dafs wir es in einem Alter, wo alles Grofse und Rührende so viel Macht über uns hat, nicht beym ersten Anblicke w a h r finden sollten. Vermuthungen und Wünsche werdea •hier zu desto starkem Beweisen, da wir in dem blofsen Anschauen der Natur au viel Majestät, zu viel GeJieimnifsreiches und Göttliches zu sehen glauben, um besorgen zu können dafs wir jernahls zu grofs von ihr denken möchten. Und, soll ich dir'« gestehen, schönc Danae?

A «•

A

r ii o N.

selbst itzt, naelidem glückliche Erfahrungen mich von dieser hoch fliegenden Art zu denken zurück gebracht haben, glaube ich mit einer innerlichen Gewalt, die sich gegen jeden Zweifel empört, zu fühlen, dafs diese Übereinstimmung mit unsern ed*isten Neigungen, die ihr das Wort redet, d« 1 ä c h t e S t e m p e l d e r W a h r h e i t s e y , und dafs selbst in diesen Träumen, welche dem sinnlichen Menschen so ausschweifend scheinen, f ü r unsern Geist mehr Realität, mehr Unterhaltung und Aufmunterung, eine reichere Quelle von ruhiger Freude, und ein festerer Grund der Selbstzufriedenheit liege, als in allem was uns die Sinne Angenehmes und Gutes anzubieten haben, Doch ich erinnere mich, dafs es d i e G e s c h i c h t e m e i n e r S e e l e und nicht die Rechtfertigung meinet Denkensart ist, wozu ich mich anheischig gemacht habe. Es sey also genug, wenn ich sage, dafs die Lehrsätze des O r f e u s und des P y t h a g o r a s — von den G ö t t e r n , von der N a t u r , von unsrer S e e l e , von der T u g e n d , und von dent was das h ö c h s t e G u t d e s M e n s c h e n ist, sich meines Gemüths so gänzlich bemeisterten, dafs alle meine B e g r i f f e nach diesem Urbilde gemodelt, alle meine N e i g u n g e n davon beseelt, und mein ganzes B e t r a f e n , so wie alle meine E n t w ü r f e flu' die

S I E B E N T E S

BüCn.

\

3. K a p i t e l .

lZ

Zukunft) mit dem Pia» eines nach diesen Grundsätzen abgemessenen Lebens übereinstiminig waren.

3. K a p i t e 1. En

»

animam

et tnentem tum qna Dt Hoctd

loquantuti

D e r Priester T h e o g i t o n , der sich zu meinem Mentor aufgeworfen hatte, schien über den außerordentlichen Geschmack, den ich an seinen erhabhen Unterweisungen fand, sehr vergnügt fcu seyn, und ermangelte nicht, meinen Enthusiasmus bis auf einen Grad zu ex-hohen, welcher mich, seiner Meinung nach, a l l e s z u g l a u b e n und a l l e s z u l e i d e n ' fähig machen müfste. Ich war zu jung und zu u n schuldig, um das kleinste Mifstrauen in seine Bemühungen zu setzen, bey welchen die Aufrichtigkeit meines eignen Gerzens die edelsten. Absichten voraussetzte,. Er hatte die Vorsicht gebraucht, es so einzuleiten, dafs ich endlich aus eigner Bewegung auf die f r a g e gerathen mul'sfe: „ O b es nicht möglich sey, schon in diesem Leben mit den höhern Geistern in Gemeinschaft zu kommen '? " Dieser Gedanke beschäftigte mich lange bey mir selbst; ich fand möglich, was ich mit der

i4

A tt a r n o ir.

gröfslen Lebhaftigkeit wünschte. Die Geschichte der ersten Zeiten schien meine Hoffnung zu bestätigen. Die Götter hatten sich den Menschen bald in Träumen, bald in Erscheinungen ehtdeckt; verschiedene wären sogar zu der Ehre gelangt, Günstlinge der Götter zuseyn. Hier kamen mir Ganymedes, Endymion, Adonis, find so viele andre zu Statten, welche Von Gottheiten geliebt Worden waren. Ich legt? dasjenige, was die Dichter davon erzählen, nach den erhabenen Begriffen aus, die ich von den höheren Wesen gefafst hatte. Die Schönheit und Reinigkeit der Seele, die Abgezogenheit von den Gegenständen der Sinne> di« Liebe zu den unsterblichen und ewigen Dingen, schien mir dasjenige zu seyn, was diese Personen den Göttern angenehm und zu ihrem Umgange geschickt gemacht hatte. Endlich entdeckte ich dem T Ii e o g i l o n meine lange geheim gehaltenen Gedanken. E r erklärte sich auf eine Art darüber, die meine Neubegierde rege machte, ohne sie zu befriedigen. Er liefs mich merken, dafs diefs G e h e i m n i s S e seyen, welche er Bedenken trage meiner Jugend anzuvertrauen. Doch setzte er hinzu, die Möglichkeit der Sache sey keinem Zweifel unterworfen, und bezauberte mich ganz mit dem Gemuhide, das er mir von der Glückseligkeit derjenigen machte, welche von den Göt-

SIEBENTES

BUCH.

3.

Kapitel.

I5

tern würdig geachtet würden zu ihrem geheimen Umgange zugelassen zu werden. Die gebeimnifsvolle Miene, die er annahm, so bald icli nach den M i t t e l n hierzu zu gelangen fragte,hewog mich ruhig eu erwarten, bis «r selbst für gut finden würde sich deutlicher zu entdecken. Er that es nicht, aber er machte so viele Gelegenheiten, meine erregte Neugierigkeit zu entflammen, dafs ich mich nicht lange enthalten konnte neue Fragen zu thun. Endlich führte er mich einsmahls tief im Haine des Apollo in eine Grotte, welche ein uralter Glaube für eine Wohnung der Nymfen hielt, deren Bilder in Blinden von Muschelwerk das Innerste der Höhle zierten. Hier liefs er mich auf eine bemooste Bank niedersitzen, und fing nach einer viel versprechenden Vorrede an, mir ( wie er sagte ) das geheime Heiligthum der göttlichen Filosofie des Hermes und Orfeus aulzuschliefsen. Unzählige religiöse Waschungen, und eine Menge von Gebeten, Räuscherungen und andre geheime Anstalten mufsten vorher gehen, einen noch in irdische Glieder gefesselten Geist zum Anschauen der himmlischen Naturen vorzubereiten. Und auch alsdann würde unser sterblicher Theil den Glanz der göttlichen Vollkommenheit nicht ertragen, sondern (wie die Dichter unter der Geschichte der S e m e i e zuerken-

lS

A

U

A

'S

H

O

K.

neu gegeben) gänzlich davon verzehrt und vernichtet werden, wenn sie sich nicht inil einer Art von k ö r p e r l i c h e m S c h l e i e r umhüllen i uiid durch diese Herablassung uns nach und nach l'ähig inachen würden, sie endlich selbst, entkörpert und in ihrer wesentlichen Gestalt, anzuschauen. Ich war einfältig genug alle diese vorgegebenen Geheimnisse für acht zu halten. Ich hörte demj ernsten Theogiton mit einem heiligen Schauer zu, und machte mir seine Unterweisungen so wohl zu Nutze, dafs ich Tag und Nacht an nichts andres dachte, als au die außerordentlichen Dinge, wovon ich in kurzem die Erfahrung bekommen würde. Du kannst dir vorstellen, Danae, ob meine Fantasie in dieser Zeil müßig war. Ich würde nicht fertig werden, wenn ich alles beschreiben wollte, was damahls in ihr vorging, und mit welch einer Zauberey sie mich in meinen Träumen bald in die glücklichen Inseln, weiche P i n d a r so prächtig schildert, bald zum Gastmahle der Götter, bald in die Elysischen Thäler, die Wohnung seliger Schatten, versetzte. So seltsam es klingt, so gewifs ist es doch, dafs d i e K r ä f t e d e r E i n b i l d u n g dasjernige weit übersteigen, was die Natur unsern Sinnen darstellt: sie hat etwas glänzenders als Sonnenglanz, etwas lieblichers. als die siifsesteii

S i e b e n t e s BUCH.

3. K a p i t e l .

17

Düfte des Frühlings zu ihren Diensten, unsre innern Sinnen in Entzückung zu setzen; sie hat neue Gestalten, höhere Farben, vollkonjmnere Schönheiten, schnellere Veranstaltungen, eine neue Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen , andere Zeitmafse — kurz, sie erschafft eine n e u e N a t u r , und versetzt uns in der That in fremde Welten, welche nach ganz andern Gesetzen als die unsrige regiex-t werden. In unsrer eisten Jugend sind wir noch zu unbekannt mit den Triebfedern unsers eignen Wpsens, um deutlich einzusehen, wie sehr diese s c h e i n b a r e M a g i e der Einbildungskraft in der That n a t ü r l i c h ist. Wenigstens war ich damahls leichtgläubig genug, Träume von dieser Art übernatürlichen Einflüssen beyzumessen, und sie für Vorboten der Wunderdinge zu halten, welche ich bald auch wachend zu erfahren hoffte. Als ich nun nach Theogitons Vorschrift acht Tage lang mit geheimen Ceremonien und Weihungen, und in einer unablässigen Anstrengung mein Gemüth von allen äufserlichen Gegenständen abzuziehen, zugebracht hatte, und mich nunmehr für berechtiget hielt etwas mehr zu erwarten, als was mir bisher begegnet war, begab ich mich in später Nacht, da alles schlief, in die Grotte der Nymfen. Nachdem ich eine Menge seltsamer Lieder und AnrufungsWibi*avS6 iämmtl. W. II. B. B

18

A O i I H O N.

formeln hergesagt Latte, lehnte ich mich, mit clem Angesicht gegen den vollen Mond gekehrt, auf die Buhebank zurück, und iiberliefs mich e. Er verschwand, indem er diese Worte sagte, so plötzlich, dafs ich nichts dabey beobachten konnte; und, so voreingenommen als mein Gemüth War, hätte dieser Apollo seine Rolle viel ungeschickter spielen können, ohne dafs

SIEBENTES

BUCH.

3. K a p i t e l .

ai

mir ein Zweifel gegen seine Gottheit aufgestiegen wäre. T h e o g i t o n , dem ich von dieser Erscheinung Nachricht gab, wünschte mir Glück dazu, und sagte inir von den alten Helden unserer N a z i o n , welche einst Lieblinge der Götter gewesen und nun als Halbgötter selbst Altäre und Priester hätten, so viel herrliche Sachen v o r , als er nöthig erachten mochte, meine Bethörung vollkommen zu machen. Am Ende vergafs er nicht, mir Anweisung zu geben, wie ich mich bey einer zweyten Erscheinung gegen den Gott zu verhalten hätte. Insonderheit ermahnte er m i c h , mein Urlheil über alles zurück zu.halten, mich durch nichts befremden zu lassen, und der Vorschrift unsrer Filosofie immer eingedenk zu bleiben, „welche eine gänzliche Unthätigkeit von uns fordert, wenn die Götter auf uns wirken sollen." Man inufste so unerfahren seyn als ich w a r , um keine Schlange unter diesen Blumen zu merken. Nichts als die Entwicklung dieser heiligen Mummerey konnte mir die Augen öffnen. Ich konnte unmöglich aus mir selbst auf den Argwohn geraihen, dafs die Zuneigung einer Gottheit e i g e n n ü t z i g seyn könne. Ich halte vielmehr gehofft, die gröfsesten Vortheile für meine Wissensbeeierde von ihr zu ziehen, und mit mehr als menschlichen Vorzügen

A »

A T H O

S.

begabt zu werden. Die Erklärungen de« Apollo befremdeten mich endlich, und seine Handlungen noch mehr. Zuletzt entdeckte ich, was du schon lange vorher gesehen haben mufst, dafs der vermeinte Gott kein andrer als T h e o g i t o n selber war. Dieser änderte n u n , so bald er sein Spiel entdeckt sah, auf einmahl die Sprache, und suchte mich zu bereden, dafs er diese Komödie nur zu dem Ende gespielt habe, um mich von der Eitelkeit der Theurgie, in die er mich so verliebt gesehen hätte, desto besser überzeugen zu können. Er zog die Folge daraus: dafs alles > was man von den Göttern sagte, Erfindungen schlauer Köpfe wären, womit sie Weiber und leichtgläubige Knaben in ihr Netz zu ziehen suchten; k u r z , er vergafs nichts was dio unsittliche Leidenschaft einem schamlosen Verächter der Götter eingeben k a n n , um die Mülie einer so wohl ausgesonnenen und mit so vielen Maschinen aufgestützten Verführung nicht unsonst gehabt zu haben. Ich verwies ihm seine Bosheit mit einem Zorne, der mich stark genug machte mich von ihm los zu reifsen. Des folgenden Tages hatte er die Unverschämtheit, die priesterlichen Verrichtungen mit eben der heuchlerischen Andacht fortzusetzen, womit er mich und jeden andern bisher hintergangen hatte. Er liefs nicht die geringste Veränderung in seinem Betragen

SIEBNTES

BÜCII.

3. K a p i t e l .

23

gegen mich merken, und schien sicli des Vergangnen eben so wenig zu erinnern, als ob er den ganzen Lethe ausgetrunken hätte. Diese Aufführung vermehrte meine Unruhe sehr, Ich konnte noch nicht begreifen, dafs es Leute geben könne, welche mitten in den Ausschweilungen des Lasters Ruhe und Heiterkeit, die natürlichen Gefährten der Unschuld, beyzubehalten wissen. Allein in weniger Zeit darauf befreyte mich die Unvorsichtigkeit dieses Betrügers von den Besorgnissen, worin ich ¡Seit der Geschichte in der Grotte geschwebt hatte. Theogilon verschwand aus Delfi, ohne dafs man die eigentliche Ursache davon erfuhr: aber ans d e m , was man sicli in die Ohren murmelte, errieth i c h , dafs Apollo endlich überdrüssig geworden seyn möchte, seine Person von einem andern spielen zu lassen. Diese Begebenheiten führten mich natürlicher Weise auf viele neue Betrachtungen; aber meine Neigung zum Wunderbaren und meine Lieblings-Ideen verloren nichts dabey. Sie gewannen vielmehr, indem ich sie nun in mich selbst verschlofs, und die Unsterblichen allein zu Zeugen desjenigen machte, was in meiner Seele vorging. Ich fuhr fort, die Verbesserung derselben nach den Grundsätzen der Orfischen Filoso/ie mgin vornehmstes

24

A

O X

T H

O

K.

Geschälte scyn z u , lassen. Ich fing nun an zu glauben, dals keine andre als eine i d e a l i s e i l e Gemeinschaft zwischen den höhern Wesen und den Menschen möglich sey.l Nichte als die ßeinigkeit und Schönheit unsrer Seele, dacht' i c h , kann uns zu einem Gegenstande des Wohlgefallens jenes unnennbaren, allgemeinen, obersten Geistes machen, von welchem alle übrige, wie die Planeten von der S o n n e , ihr Licht, und die ganze Natur ihre Schönheit und unwandelbare Ordnung erhalten*, und allein in der Ubereinstimmung aller unsrer K r ä f t e , Gedanken und geheimsten Neigungen mit den grofsen Absichten und allgemeinen Gesetzen dieses Beherrschers der sichtbaren und unsichtbaren Welt liegt das wahre Gelieimnifs, zu derjenigen Vereinigung mit demselben zu gelangen, welche die natürliche Bestimmung und das letzte Ziel aller Wünsche eines unsterblichen Wesens seyn soll. Beides, jene g e i s t i g e S c h ö n h e i t d e r S e e l e und diese erhabene R i c h t u n g i h r e r W i r k s a m k e i t nach den Absichten des Gesetzgebers der Wesen, glaubte ich am sichex-sten durch die B e t r a c h t u n g d e r N a t u r zu erhalten, welche ich mir als einen S p i e g e l vorstellte , aus welchem das Wesentliche, Unvergängliche und Göttliche in unsern Geist zurück strahle, und ihn nach und nach eben so durchdringe und erfülle, wie die Sonne einen

SIEBENTES

BUCH.

3. K a p i t e l .

2.5

angestrahlten Wassertropfen. Ich überredete mich, dafs die imvcrrückte B e s c h a u u n g der Weisheit und Güte, welche sowohl aus der besondern Natur eines jeden Theils der Schöpfung, als aus dem Plan und der allgemeinen Ökonomie des Ganzen hervorleuchte, das unfehlbare Mittel sey, selbst weise und gut zu werden. Ich brachte alle diese Grundsätze in Ausübung. Jeder neue G e d a n k e der sich in mir entwickelte, wurde zu einer E m p f i n d u n g meines Herzens; und so lebte ich in einem stillen und lichtvollen Zustande des Gemüthes, dessen ich mich niemahls anders als mit wehmüthigem Vergnügen erinnern werde, etliche glückliche Jahre hin; unwissend, (und glücklich durch diese Unwissenheit) dafs dieser Zustand nicht dauern könne: weil die Leidenschaften des reifenden Alters, und (wenn auch diese nicht wären) die unvermeidliche Verwicklung in den Wechsel der menschlichen Dinge jene Fortdauer von innerlicher Heiterkeit und Ruhe nicht gestatten, welche nur ein Antheil entkörperter Wesen seyn kann.

A ft A

4.

T H O J>".

Kapitel.

D i e Liebe in verschiedenen Gestalten. Die Pytliix tritt an Theogitons Stelle. Inzwischen reicht^

hatte ich das achtzehnte J a h r

und fing nun

an,

mitten

angenehmen E m p f i n d u n g e n ,

unter

von denen

erden

meine

Denkungsart und meine Beschäftigungen u n e r schöpfliche Leeres

Quellen

zu

seyn

schienen,

ein

in mir zu f ü h l e n , welches sich durch

keine I d e e n

ausfüllen lassen wollte.

Ich sali

die mannigfaltigen Scenen

der Natur wie

neuen

Schönheiten

Augen

an;

für

mich

etwas

ich

sonst

nie

JDer

ihre

Herz r ü h r e n d es,

welches

auf diese A r t empfunden hatte.

Gesang - der Vögel

sagen,

mit

hatten

schien

mir

das er mir nie gesagt h a t t e ,

etwas zu ohne dafs

ich wufste was es w a r ;

und die neubelaubten

Wälder

einzuladen,

Scliattcn

schienen

mich

in

ihren

einer wollüstigen Schwermuth

nach-

zuhängen , von w e l c h e r ich oft mitten in den erhabensten Betrachtungen l e n überwältiget wurde.

wider meinen

f i e l ich in eine weichliche Untliätigkeit. dänchte,

Wil-

Nach und nach v e r Mir

ich sey bisher nur in der Einbildung

glücklich gewesen, und mein Herz sehnte sich nach einem Gegenstände,

in welchem ich j e n e

jtlealischen Vollkommenheiten

wirklich

ge-

Ttiefsen m ö c h t e , an denen ich mich bisher nur

SIEBENTES

BUCH.

4.

Kapitel.

27

wie an einem geträumten Gastmahle geweidet hatte. Damahls zuerst stellten sich mir die Reitznngen der F r e u n d s c h a f t in einer vorher nie empfundenen Lebhaftigkeit dar: ein Freund (bildete ich mir ein) ein Freund würde diese geheime Sehnsucht meines Hirzens befriedigen. Meine Fantasie mahlte sich einen P y 1 a d e s aus, und mein verlangendes' Herz bekränzte dieses schöne Bild mit allem was mir das Liebenswürdigste schien, selbst mit jenen äufserlichen Annehmlichkeiten, welche in meinem System den natürlichen Schmuck der Tugend ausmachten. Ich suchte diesen Freund unter der blühenden Jugend, welche mich umgab. Mehr als Ein mahl glaubte mein getäuschtes Herz ihn gefunden zu haben; aber eine kurze Erfahrung überwies mich meinos Irrlhums nur zu bald. Unter einer so großen Anzahl von auserlesenen Jünglingen, welcLe die Liverey des Gottes zu Delfi trugen, war nicht ein einziger, den die Natur so vollkommen init mir zusammen gestimmt hätte, als die Spitzfündigkeit meiner Begriffe es erforderte. Um diese Zeit geschah es, dafs ich das Unglück hatte, der Oberpriesterin eine Neigung einzuflöfsen, welche mit ihrem geheiligten Stande und mit ihrem Alter einen gleich

A » A * H 0 N.

28-

starken Absatz machte. Zeit

hatte

sie

mich

Schon seit

mit einer

geraumer

vorzüglichen

Gutigkeit augesehen, welche ich einer mütterlichen Gesinnung beymafs, und mit aller der Ehrerbietung erwiederte, die ich der Vertrauten des Apollo schuldig war. schöne Danae,

wp

Stelle dir vor,

f ü r ein Modell zu

einer

Bildsäule des Erstaunens ich abgegeben

hätte,

als sich eine so ehrwürdige Person herab liefs, lhir zu

entdecken,

dafs alle

Vertraulichkeit,

die ich zwischen ihr und dem Apollo voraussetzte,. nicht zureiche, sie über die S c h w a c h heiten der

gemeinsten

z u setzen!

Die gute Dame war bereits in dem-

jenigen A l t e r , Herz

eines

einer jungen mich

mit

hinweg

worin es lächerlich w ä r e , Mannes

zu wollen.

Erdentöchter

von

einiger

Nebenbuhlerin

das

Erfahrung

streitig

machen

Allein einem Neulinge, wofür sie gutem

Grund

ansah,

die

ersten

Unterweisungen zu g e b e n , dazu konnte sie sich ohne übertriebene Eitelkeit f ü r reitzend genug halten.

Mahle dir zu den Überbleibseln einer

vorraahls -berühmten Schönheit eine Figur vor, wie

man die blonde C e r e s zu bilden pllegt;

grofse

schwarze

nommenen

Augen,

unter

deren

Ernst eine wollüstige Glut

glimmte, und zu allem diesem eine Sorgfalt Kunst, der

für die

strengen

ihre

Person,

Vortheile

und

ihrer

Sittsam keit

angehervor

ungemeine die

'schlaue

Reitzungen

der

mit

priesterlichen

SIEBENTES

BÜCH.

4.

Kapitel.

K l e i d u n g zu v e r b i n d e n ; so w i r d es dir leiclit s e y n , den G r a d der Gefahr a b z u n e h m e n , w o r i n sich

die

Einfalt

meiner

Jugend

bey

ihren

Nachstellungen befand. Ohne

Zweifel mag es! ihr

Mühe

haben die ersten Schwierigkeiten zu den ,

welche

ein

mthr

gekostet überwin-

E h r f u r c h t als

einflöfsendes F r a u e n z i m m e r

Liebe

in den h a r t n ä c k i -

gen Vorurtheilen eines achtzehnjährigen

Jüng-

lings findet.

Ihr S t a n d erlaubte ihr nicht sich

deutlich

erklären;

zu

und

meine

Blödigkeit

verstand die S p r a c h e n i c h t , deren sie sich z u bedienen

genölhig^t

sonst 'zu dieser meister

als

war.

sein

Herz;

mir

mein

W e i s e sagte

Z w a r braucht m a n

S p r a c h e keinen andern allein Herz

nichts

Eis b e d u r f t e der lange geübten bejahrten

Priesterin,

das V o r h a b e n der

aus lauter

ihre

Absichten

um

Ideen

einem

zusammen

begreiflich

zu

d e n n o c h f a n d sie sich endlich

für

Geduld

nicht

aufzugtben,

Lehr-

unglücklicher sie. einer

tausendmahl Menschen, gesetzt

war,

machen.

Und

genöthigt,

sich

des einzigen Kunstgriffs zu b e d i e n e n , v o n dem m a n in solchen F ä l l e n einige Wirkung e r w a r ten k a n n .

Sie hatte noch Reitzungen, w e l c h e

die u n g e w o h n t e n den k o n n t e n . mich

durch den

Augen Die

eines Neulings b l e n -

Verwirrung,

ersten

Versuch

worein von

sie

dieser

Art s e t z t e , schien ihr v o n guter Vorbedeutung

3o

A

G

A

T

II

(J

K,

zu seyn; und vielleicht Latte sie sich weniger in ihrer Erwartung betrogen, wenn nicht ein Umstand, von dem ihr nichts bekannt war, meinem Herzen eine mehr als gewöhnliche Stärke gegeben hätte. Unsre Tugencl, oder vielmehr gewisse moralische Erscheinungen, welche das Ansehen baben, aus einer so edeln Quelle zu iliefsen, haben sehr oft g e h e i m e T r i e b f e d e r n , die uns, wenn sie gesehen würden, wo nicht alles Verdienst, wenigstens einen grofsen Theil desselben entziehen würden. Wie leicht ist es, der Versuchung einer Leidenschaft zu widerstehen, wenn ihr von einer stärkern die Wage gehalten wird!

5. K a p i t e 1. Psyche. K u r z z u v o r , ehe die schöne Pythia den besagten Versuch machte, war das Fest der Diana eingefallen, welches zu Delfi mit aller der Feierlichkeit begangen wird, die man der Schwester des Apollo schuldig zu seyn vermeint. Alle Jungfrauen über vierzehn Jahre erschienen dabey in sclineeweifsem Gewände, mit aufgelöfsten fliegenden Haaren, den Kopf

SIEBENTES

BUCH.

Kapitel.

5.

3i

und die Arme mit Blumenkränzen umwanden, wild Hymnen

zum Preis

Göttin singend.

der

jungfräulichen.

Auch alte halb erlosch ie Au-

gen heiterten sich beym Anblick einer so zahlreichen

Menge

junger

Schönen

auf,

deren

geringster Reitz die frischeste Blume der J u gend

war.

Urtheile,

schöne'Danae,

ob der-"

jenige, den der bunte Schimmer einer blühenden Aue schon in

eine Art von

Entzücken

setzte, bey einem solchen Auftritt unempfindlich bleiben k o n n t e ? einer

Meine Bücke irrten in

zärtlichen Verwirrung

muthsvollen

Geschöpfen

blieben

auf eine

sie

unter diesen an-

herum.

Aber

einzige geheftet,

bald deren

erster Anblick m e i n e n Heizen keinen Wunsch übrig liefs, etwas andres zu sehen. würde mancher kaum

besonders wahrgenommen

schönsten Wuchs, langes den

Haar,

Vielleicht

sie unter so vielen S c h ö n e n die

dessen

Knien herunter

haben,

regelmäßigsten

ben Züge,

wallende Locken' bis zu flössen,

und die reinste

Jugendfarbe hatte sie mit allen ihren Gespielen

gemein.

Viele

übertrafen

sie

noch

in

einem oder dem andern Stücke der Schönheit j und wenn ein Mahler unter der ganzen Schaap hätte entscheidin sollen, sey,

den s e y n . ' nach

welche die Schönste

so würde sie vielleicht übergangen w o r Allein mein Herz uriheilte

den Regeln

der Kunst.

oder glaubte zu empfinden,

Ich

nicht

empfand,

(welches in Ab-

3a

A &

A

T

ii o y.

sieht 6er Wirkung allemahl Eins ist) dal's nichts liebenswürdiger als dieses junge Mädchen seyn könne. Ich dachte nicht daran, sie mit den übrigen zu v e r g l e i c h e n ; sie Jöschte alles andre aus meinen Augen aus. So (dacht' ich) müfste d i e U n s c h u l d aussehen, wenn sie,, um sichtbar zu werden, die Gestalt einer Grazie entlehnte; so rührend würden ihre Gesichtszüge seyn, so still - heiter würden ihre Augen, so holdselig ihre Wangen lächeln, so würden ihre Blicke, ihr Gang, jede ihrer Bewegungen seyn. Dieser Augenblick brachte in meiner Seele eine Verände.i rung hervor, welche mir, als ich in der Folge fähig wurde über meinen Zustand zu denken, dem Übergang in eine neue vollkommnere Art des Daseyns gleich zu seyn schien. Aber damahls war ich zu sehr von Empfindungen verschlungen , um mir meiner selbst recht bewufst zu seyn. Meine Entzückung ging so weit, ¿afs ich nichts mehr von dem Pomp des Festes bemerkte; und erst, nachdem alles gänzlich aus meinen Augen verschwunden war, wurde ich, wie durch einen plötzlichen Schlag, wieder zu mir selbst gebracht, ltzt hatte ich Mühe mich zu überzeugen, dafs ich nicht aus einem von den Träumen erwacht sey, worin meine Fantasie, in überirdische Räume verzückt, mir zuweilen ähnliche Gestalten vorgestellt hatte. Der Schmerz, eines so süfgen Anblicks beraubt

SIHH.ENT.ES

BUCH.

5. K a p i t e l .

33

zu seyn, konnte das reine Vergnügen nicht schwächen, womit das Innerste meines Wesens erfüllt war. Diesen ganzen Abend und den. größten Theil der Nacht hatten alle Kräfte meiner Seele keine andere Beschäftigung, als sich diefs geliebte Bild bis auf die kleinsten Züge, mit allen seinen namenlosen Reitzen, -i— •welche vielleicht i c h a l l e i n an dem Urbilde bemerkt» hatte, — mit einer Lebhaftigkeit vorzumahlen, die ihm immer neue Schönheiten lehrte. Mein Herz schmückte es mit allen Vorzügen des Geistes, mit jeder sittlichen Schönheit, mit allem, was nach meiner Denkungsait das Vollkommenste und Beste war, aus. Was f ü r ein Gemähide ist dasjenige, wozu die Liebe die Farbe giebt! — Und doch glaubte ich immer zu wenig zu t h u n , strengte alle Kräfte meiner Einbildung a n , noch etwas schöneres als das Schönste zu finden, um die Ideen die ich mir von meiner Unbekannten machte zu vollenden, und gleichsam in das Urbild selbst zu verwandeln. Diese liebenswürdige Person hatte mich zu eben der Zeit, da ich sie erblickte, wahrgenommen und e$ war (wie sie mir in der Folge gestand) etwas mit den Regungen meines Herzens übereinstimmendes in dem ihrigen vorgegangen^ Ich erinnerte 'mich, (denn wie hätte ich ihre kleinste Bewegung vergessen können!) daf» itnsre Blicke sich mehr als Einmahl begegnet WIELAHD6 sämnul. W . II. 3 ,

G

'¿•i -

A

O

A T H

O

£i.

waren, und dafs sie jedesmahl m i t einer Schamrüthe, die ihr ganzes Gesicht mit Ro^en überzog, die Augen niedergeschlagen hatte. Ich war zu unerfahren, und in der That auch zu bescheiden, aus diesem Umstand etwas besondres zu meinem Vorth eile- zu schliefsen. Aber doch erinnerte ich mich desselben mit einem so innigen Vergnügen, als ob es mir geahnet hätte, wie glücklich mich die Folge davon machen würde. Ich hatte die Eitelkeit nicht, die uns zu schmeicheln pflegt, dafs wir liebenswürdig seyn; ich dachte an nichts weniger als auf M i t t e l wieder geliebt zu werden. Aber die Schönheit der Seele, die ich in ihrem Gesichte ausgedrückt gesehen hatte, diese sanfte Heiterkeit, die aus dem natürlichen Ernst ihrer Züge hervor lächelte machten mir H o f f n u n g dazu. Und welch einen Himmel von \Vonne öffnete diese Hoffnung von m i r ! Was f ü r Aussichten! welches Entzücken, wenn, ich mir vorstellte, dafs' mein ganzes Leben in ihrem Anschauen und zu ihrer Seite dahin fliefsen würde! So lebhafte Hoffnungen setzten voraus, dafs ich sie wieder finden würde; nnd dieser Wunsch brachte die Begierde mit sich, zu wissen wer sie sey. Aber wen könnt' ich fragen ? Ich hatte keinen Freund, dem ; ich mich entdecken durfte. Von einem jede;«

SIEBENTES

LUCH.

5. K a p i t e l .

35

andern glaubte i c h , dafs er bcy einer solchen Frage mein ganzes Geheimnifs in nieinen Augen lesen w ü r d e ; und die L i e b e , die ein sehr guter Ralhgeber ist, hatte mich schon einsehen gemacht, wie viel daran gelegen s e y , dafs der Pytliia nicht das geringste zu Ohren k o m m e , w a s ihr den Zustand meines Herzens, v e r r a tlien, oder sie zu einer mifstrauischen B e o b achtung meines Betragens veranlassen könnte. Ich verschlofs also mein Verlangen in mich s e l b s t , und erwartete mit Ungeduld, bis irgend ein meiner Liebe günstiger Genius mir zu dieser gewünschten iintdeckung verhelfen würde. Nach ich

einigen

meiner

Tagen

geliebten

fügte es

sich,

Unbekannten in

der Vorhöfe des T e m p e l s begegnete.

dafs einem

Die Furcht

Von jemand beobachtet zu w e r d e n , hielt mich in eben dem Augenblicke z u r ü c k , sie

zueilen

und

unverhofften

meine

Anblick

Freude

in

da ich über

Geberden

auf

diesen

und v i e l -

leicht in Ausrufungen ausbrechen" lassen wollte, S i e blieb'einige Augenblicke stehen. ein

plötzliches

Vergnügen

Ich glaubte

in ihrem

schönen

Gesicht aufgehen zu s e h e n ; sie erröthete, schlug die Augen

wieder

nieder,

und

eilte

davon.

Ich dürft? es nicht wagen ihr zu f o l g e n ; meine Augen folgten i h r , war;

aber

so lang' es möglich

und ich s ä h e , dafs sie zu einer' Thür'

einging,

welche in die Wohnung der Prieste-

Üb

A

A T HO

rin führte. Ich begab mich in den Hain, um meinen Gedanken über diese angenehme E r scheinung ungestörter nachzuhängen. Der letzte Umstand und ihre Kleidung brachte mich auf die Vermuthung, dafs sie vielleicht eine von den Aufwärterinnen der Pythia sey, deren diese Dame eine gröfse Anzahl hatte, die aber (aufser bey besondern Feierlichkeiten) selten sichtbar wurden.

6.

K a p i t e l .

Die Absichten der Pythia entwickeln sich. D i e s e Entdeckung beschäftigte mich nach der ganzen Wichtigkeit die sie f ü r mich hatte, als ich, in der That zur ungelegensten Zeit von der Welt, zu der zärtlichen Priesterin gerufen wurde. Die Hoffnung, meine geliebte Unbekannte vielleicht bey dieser Gelegenheit wieder zu sehen, machte mir anfänglich diese Einladung sehr willkommen. Aber meine Freude wurde bald von dem Gedanken v e r trieben, wie schwer es alsdann seyn würde, meine Empfindungen für sie den Augen einer Nebenbuhlerin zu entziehen. Die Künste der Verstellung waren mir zu unbekannt, und meine Gemüthsregungen bildeten sich zu schnell nnd zu deutlich in meinem Äufserlichen ab,

SIEBENTES

BUCH.

6. K a p i t e l .

'6j

als dafs ich mich bey allen meinen Bestrebungen vorsichtig zu seyn sicher hallen konnte. Diese Gedanken gaben mir (wie ich glaube) ein ziemlich verwirrtes Ansehen, als ich vor die Pythia kam. Allein da ich niemand als eine kleine Sklavin von neun oder zehen Jahren bey ihr fand, erhohlte ich mich bald wieder. Sie selbst schien mit ihren eigenen Bewegungen zu sehr beschäftigt, um auf die meinige genau Acht zu geben; oder, (welches wenigstens eben so wahrscheinlich ist) sie legte die Veränderung, die sie in meinem Gesichte wahrnehmen mufste, zu Gunsten ihrer Reilzungen aus. Sie mochte sich vermuthlich desto mehr von ihnen versprechen, je mehr sie beflissen gewesen war , sie in dieses reitzende S c h a t t e n I i c h t z u s e t z e n , welches die Einbildungskraft zum Vortheil der Sinnen ins Spiel zu ziehen pflegt. Sie safs oder lag ( denn ihre Stellung war ein Mittelding von beidem) auf einem mit Silber und Perlen reich gestickten Ruhebette. Ihr ganzer Putz hatte diese« zierlich Nachlässige, hinter welches die Kunst sich auf eine schlaue Art versteckt, wenn sie nicht dafür angesehen seyn will dafs sie der Natur zu Hülfe komme. Ihr Gewand, dessen bescheidene Farbe ihrer eigenen eben so sehr als der Anständigkeit ihrer Würde angemessen w a r , wallte zwar in vielen Falteil um sie h e r , aber es war auch dafür gesorgt, dafs hier

A fr A ¥ 11 O >'. und da der schöne Kontur dessen, was damit bedeckt w a r , deutlich genug wurde, um die Augen anzuziehen und die Neugier lüstern zu machen. Ihre sehr schönen Arme -waren in weiten, hoch aufgeschürzten Armein fafst ganz zu sehen, und eine Bewegung, welche sie während unsers Gesprächs unwissender Weise gemacht haben wollte, trieb einen Busen aus seiner Verhijdiung hervor, der ihr Gesicht um zwanzig Jahre jünger machte. Sie bemerkte diese kleine Unregelmäfsigkeit endlich; aber das Mittel, wodurch sie die Sachen wieder in Ordnung zu bringen suchte, war mit der Unbequemlichkeit verbunden, dafs dadurch ein Fufs sichtbar wurde, dessen die schönste S p a r - , tanerin sich hätte rühmen dürfen. Die tiefe Gleichgültigkeit, worin micli alle, diese Reitzungen Uelsen, war ohne Zweifel Ursache, dafs ich Beobachtungen machen konnte, wozu ein gerührter Zuschauer die Freyheit nicht, gehabt hätte. Indefs gab mir doch eine Art von Scham, die ich im Nahmen der guten Pythia auf meinen Wangeil glühen fühlte, ein Ansehen von Verwirrung, womit die Dame (welche in zweifelhaften Fällf-n allemahl zu Gunsten ihrer Eigenliebe' urtbeilte) ziemlich wohl zufrieden schien. Sie mafs es verimitblich einer schüchternen Unentschlossenheit oder einem Streite zwischen Ehr-

SIEBENTES

BUCH.

6.

Kapitel.

3G

furcht und Liebe bey, dafs ich (ungeachtet des Eindrucks den sie auf mich machte) ihrer Tugend keine Gelegenheit g a b , sich durch ihre Gewandtheit in der Vertheidigungskunst 111 Achtung bey inir zu setzen. Ich halte Aufmunterungen nölhig, zu welchen man bey einem geübtem Liebhaber sich nicht herab gelassen hatte. Glücklicher Weise diente ihr die Geschicklichkeit, die man mir in der Kunst die Dichter zu lesen beylegte, zum Vorwand) mir einen Zeitvertreib vorzuschlagen, von welchem sie sich einige Beförderung dieser Absicht versprechen konnte. Sie versicherte mich } dafs H o m e r ihr Lieblings - Autor s e y , und bat mich sie eine Probe meine» gepriesenen Talents hören zu lassen. Sie nahm einen Homer der neben ihr lag, und stellte sich ( nachdem sie eine Weile gesucht hatte, als ob es ihr gleichgültig s e y , welcher Gesang es wäre. Sie gab mir den «rsten den besten in die Hände, und —- es traf sich, dafs es gerade derjenige w a r , worin J u n o , m i t d e m G u r tel der Venus geschmückt, den Vater der Götter in eine so lebhafte Erinnerung der Jugend ihrer Liebe setzt. Von dem dichterischen Feuer welches in diesem Gemähide glühet und von dem süfsen Wohlklang der Homerischen Verse entzückt, beobachtete sie nicht, in was f ü r eine verführerische Unordnung ein Tlieil ihres Putzes durch eine Bewegung 0 reitzende Erscheinung auszudrücken. Die Gelegenheit konnte nicht schöner seyn, sie für eine Göttin, oder wenigstens für eine der Gespielen Dianens Anzusehen, und diesem Irrthum gemöfs zu begrüfsen. Aber ich, von neuen nie gefühlten Empfindungen gedrückt, ich konnte — gar piclits sagen. Zu" ihren Füfsen hätte ich mich werfen mögen*, aber die Schüchternheit, die mit der ersten Liebe so unzertrennlich verbunden ist, hielt mich zurück; ich besorgte, dafs sie sich einen nachtheiligen Begriff von der tiefen Ehrerbietung, die ich für sie empfand, aus einer solchen Freyheit machen möchte. Meine Unbekannte war nicht - so schlich-, tern. Sic erhob sich, mit dieser sittsamen Anmuth, die ihr beym ersten Anhlick in meiWIKLAXD9 sämmtL "W. U. B. I)

5o

A «;

A

i1 ii o v.

neu Augen den Vorzug vor allen ihren Gespielen gegeben hatte, und ging mir etliche Schritte entgegen. Wie finde ich den AgathpQ hier? sagte sie mit einer Stimme, die ich noch zu hören glaube, so lieblich, so rührend schien sie unmittelbar in meine Seele zu tönen. Ich fand in« der Eile keine bessere Antwort, als sie zu versichern, dafs ich nicht so verl e g e n gewesen wäre ihre Einsamkeit zu stör e n , wenn ich vermuthet hätte sie hier zu finden. Das Kompliment war nicht so artig j als es ein junger Athener bey einer solchen Gelegenheit gemacht haben w ü r d e : aber P s y c h e (so nanülfle sich meine Unbekannte) war z« unschuldig um Komplimente zu erwarten. Ich erkenne meine Unvorsichtigkeit, wiewohl zu spät, versetzte sie: was wird Agathon von mir denken, da er mich an diesem abgelegnen Ort in einer solchen Stunde allein findet? Und doch (setzte sie erröthend hinzu) ist es glücklich f ü r mich, wenn ich ja einen Zeugen meiner Unbesonnenheit haben mufste, dafs es Agathon war. Ich versicherte sie, dafs mir nichts natürlicher vorkomme als der Geschmack, den sie an der Einsamkeit, an der Stille'einer so schönen Nacht, und an einer so anmuthigen Gegend zu finden scheine. Ich setzte noch vieles von den Annehmlichkeiten des Mondscheins, von der. majestätischen Pracht des sternvollen Himmels, von der Begeisterung,

S I E B E N T E S

B U C H .

7.

Kapitel.

5i

/

welche , die Seele indiesem feierlichen Schweige« der* ganzen Natur erfahre, von dem Einschlummern der S i n n e , - und dem Erwachen der innern geheimnisvollen Kräfte unsers u n sterblichen Theils, hinzu; — Dinge, die bey den meisten Schönen, zumahl in einem Myrtengebüsche und in der einladenden Dämmerung einer lauen Sommernacht, übel angebracht gewesen wären. Aber- bey. dei; gefühlvollen Psyche rührten sie die empfindlichsten Saiten ihrö£, Herzens. Das Gespräch, Worin wir uns unvermerkt verwickelten, entdeckte eine Übereinstimmung • iil unserin Geschmack und in unsern Neigungen, welche gar bald ein eberi so vertrauliches Verständnifs zwischen unsern Seelen hervorbrachte, alä ob wir uns schon viele Jahre gekannt hätten. M i r w a r , als oh ich alles, was sie sagte, durch u n m i t t e l b a r e A n s c h a u u n g in ihrer Seele lesej und hinwieder schien das, was i c h sagte*, (so abgezogen, idealisch und dichterisch es immer seyn mochte, ein blofser W i e d e r ha.U ihrer eigenen Empfindungen, oder die Entwickelung solcher Ideen zu seyn, welche als E j n b r y o n e n in ihrer Seele lagen, x und nur den erwärmenden Einflufs eines geübtem Geistes nöthig hatten, um sich zu entfalten, und durch ihre naive Schönheit die erhabensten Gedanken der Weisen zu beschämen. Die Zeit wurde uns bey dieser Unterhaltung

52

A e

A

x

H

o s.

so k u r z , dafs wir kaum eine Stunde bey einander gewesen zu seyn glaubten, als uns die -aufgebende Morgenrötlie erinnerte, dafs wir uns trennen müisteli. Ich hatte nun durch diese Unterredung •erfahren, dafs meine Geliebte von ihrer Herkunft eben so wenig wisse als ich von der -meinigen. Sie war von ihrer Amme in der Gegend um Korinth bis ins sechste Jahr erzogen, hernach von' Räubern entführt und an die Priesterin zu Belfi verkauft worden, welche ,sie in allen weiblichen Künsten, u n d , da sie eine besondere Neigung zum Lesen an ihr -bemerkt, 'auch in der Kunst die Dichter recht zu lesen, unterrichten liefs, und sie in det Folge zu ihrer Leserin machte. Wie ungünstig auch diese Umstände meiner Liebe waren, so liefs mich doch das Vergnügen des gegenwärtigen Augenblicks noch nicht an das Künftige denken. Unbekümmert, wohin die Empftn•dungen, von denen ich eingenommen war, an ihren Folgen endlich führen könnten, hing ich ihnen mit aller Gutherzigkeit der jugendlichen Unschuld nach. Meine kleine" Psycbe zu sehen, zu lieben, es ihr zu sagen, aus ihrem schönen Munde zu hören, in ihren seelenvollen Augen zu sehen, dafe ich wieder geliebt w e r d e , — diefs waren itzt alle Glückseligkeiten, an die ich Anspruch -machte-, unfl

S I E B E N T E S

BUCH.

7. K a p i t e l .

53

über welche hinatis ich mir keine andere träumen liefs. Ich hatte ihr etwas von den Eindrücken gesagt, di6 ihr erster Anblick auf mein Herz gemacht habe; und sie hatte diese Eröffnungen mit dem Geständnifs der vorzüglichen Meinung, welche ihr das allgemeine Urtlieil zu Delfi von mir gegeben, erwiedert. Allein eine zärtliche und ehrfurchtsvolle Schüchternheit erlaubte mir nicht, ihr alles zu sagen was ich empfand. Meine Ausdrücke waren lebhaft und feurig j aber sie waren von der gewöhnlichen Sprache der Liebe so unterschieden, dafs ich weniger zu sagen glaubte, indem ich in der That unendliche Mahl mehr sagte, als ein gewöhnlicher Liebhaber, der mehr von seinen Begierden b e u n r u h i g t , als von dem Werthe seiner Geliebten g e r ü h r t ist. Nur da wir uns trennen mufsten, würde mich mein allzu volles Herz verrathen haben, wenn Psychens unerfahrne Jugend einiges Mifstrauen in Empfindungen hätte setzen können, welche sie nach der Unschuld ihrer eigenen beurtheilte. Ich aerflofs in Thränen, und drang auf eine so zärtliche, so bewegliche Art in sie, sich in der folgenden Nacht wieder in dieser Gegend finden zu lassen, dafs es ihr unmöglich war mich ungetröstet wegzuschicken. Wir setzten also, da uns alle andere Gelegenheiten abgeschnitten waren, diese nacht-

5 i-

A U A T H O N. v

,

lichen Zusammenkünfte fort ; und unsre Liebe wuchs und verschönerte sich Zusehens, dafs ' -wir dachten dafs nannten

es

es F r e u n d s c h a f t ,

ohne

sey.

Liebe

und

Wir

genossen

ihrer reinsten Süfsigkeiten, ohne durch einige Besorgnisse, Bedenklichkeiten oder andere natürliche Zeichen *,d«r Leidenschaft zu' werden.

beunruhigt

Psyché hatte sich eine Freundin,

w i e ich m i r einen' Freund, gewünscht ; glaubten

wir

wünschten.

gefunden

zu

haben

nun

was

wir

Unsere Denkungsart und die Güte

unserer Herzen flöfste uns ein Zutrauen

vollkommenes

tind

unbegrenztes'

gegen

ein.

Meine Augen, die schon lange gewohnt

einander

waren, anders zu sehen als man in meinem damahligen Psyche kein

Alter

zu sehen pflegt,, sahen in

reitzendes

Mädchen,

sondern

die-liebenswürdigste aller S e e l e . n , deren geistige

Schönheit -aus

dem

durchsichtigen Flor

eines irdischen' Gewandes hervor schimmerte : und die wissensbegierige

Psyche, welche

nie

so glücklich gewesen w a r , als da ich ihr die erhabenen •Filosofie

Geheimnisse entfaltete,

meiner

glaubte

dichterischen

den

göttlichen

Orfeus oder den Apollo selbst zu hören wenn ich sprach. ;

1

' -

1

Es liegt in dem Wesen

der Liebe

(so

zärtlich und unkörperlich sie immer seyn mag ) so länge zuzunehmen, bis sie das Ziel erreicht

SIEBENTES

BUCH.

7. K a p i t e l .

55

liat, w o die Natur si& erwartet. Die unsrige nahm auch zu, und ging .nach und nach durch mehr als eine : Verwandlung; aber sie blieb sich selbst doch immer ähnlich. Nachdem uns der Nähme der Freundschaft nicht mehr bedeutend genug schien^ dasjenige was •wir für. einander empfanden auszudrücken; wurden wir eins, „dafs die Liebe eines Brud e r s u n d einer Schwester zugleich die. stärkste und die reinste aller Zuneigungen s e y . " : D i e Vorstellung, die wir uns davon machten, entzückte uns,, und nachdem wir oft bedauert Latten, dafs uns die Natur diese Glückseligkeit versagt habe, wunderten wir uns zuletzt wie wir nicht eher eingesehen halten, dafs e s n u r von uns abhange, ihre Kargheit in diesem Stücke zu ersetzen. Wir waren also Bruder und Schwester, und blieben es einigt Zeit, ohne dafs die Vertraulichkeit un£ die unschuldigen Liebkosungen, wozu uns diese Nahmen berechtigten, der Tugend, -yvelcher wir zugleich mit der Liebe eine ewige Treue geschworen hatten, (in unsern Augen wenigstens) den geringsten Abbruch thaten. Oft waren wir enthusiastisch genug, die 'Vermuthung, öder vielmehr die blofse Möglichkeit, einander vielleicht so nahe verwandt zu seyn, als wir es .wünschten,, f ü r die Stimme der Natur zu halten; zumahl da eine wirkliche oder eingebildete Ähnlichkeit unserer Gesichts-

A

A

X H O

K.

ziige diesen Wahn 211 rechtfertigen schien. Da wir uns aber die Betrüglichkcit dieser vermeinten Sprache des Blutes nicht immer verbergen konnten: so fanden wir desto mehf Vergnügen darin, den Vorstellungen von einer natürlichen V e r s c h w i s t e r u n g d e r S e e l e n , und von einer schon in einen! vorher gehenden Zustand« in bessern Welten angefangenen Bekanntschaft, nachzuhängen, und sie in tausend angenehme Träume auszubilden. Aber auch bey diesem Grade liefs uns der fantäsiereiche Schwung, den die Liebe tansern Seelen gegeben batte, nicht still stehen. Wir strengten das äufserste Vermögen unserer Einbildungskraft an, um uns einen Begriff davon zu machen, wie in den überirdischen Welten die reinen Geister einander liebten; Keine andere Art zu lieben schien uns zu gleicher Zeit der Stärke und der Reinigkeit unserer Empfindungen genug ¡zu thun, noch für Wesen sich zu schicken > die im Himmel entsprungen ünd dahin wiederzukehren bestimmt wären. Darf ich dir's gestehen, schöne Danae,? Noch itzt erwehre ich mich bey der Erinnerung an diese glückliche Scliwärmerey meiner ersteh Jugend kaum des Wunsches^ dafs die Bezauberung ewig hätte dauern können ! Denn Bezauberung war es doch; lind es ist nichts gewisser, als dafs sich diese allzu geistigen Empfindungen endlich vermehrt, und die Natur

ÄIEBFVXES

BUCH.

8.

Kapitel.

67

(welche ihre Rechte n4e Verliert) uns zusetzt Unvermerkt auf eine gewöhnlichere Art zu lieben geführt haben würde, wenn uns die P y t h i a Zeit dazu gelassen hätte.

8.

K a p i t e l .

Ein neuer Versuch ¿er Pythia. Psyche wird unsichtbar. Agatlions letztes Abenteuer zu Oelfi. D i e s e liefs einige Wochen Vorbey gehen, ohne (dem Ansehen tlach) sich meiner zu erinnern \ und ich hatte sie in dieser Zeit so gänzlich vergessen, dafs ich nicht wenig bestürzt war, als sie mich wieder ritfeh liefs. Ich fand nuizu bald, dafs die Göttin von Pafos, welche Sich Vielleicht wegen irgend einer eliemahligen Verschuldung an ihr rächen wollte, ihr in dieser Zwischenzeit nicht so viel Ruhe gelasseil habe, als für sie uttd mich zu wünscheli War. Vermuthlich hatte sie, wie die Fädra des Euripides, allen ihren weiblichen und priesterlichert Stolz zusammen gerafft, um eine Leidenschaft zu unterdrücken, deren Übelstand sie sich selbst unmöglich verbergen konnte. Allein vielleicht mochte sie sich selbst durch eben dieselben Trugschlüsse, welche Euripides der Erzieherin dieser unglückseligen Prinzessin in den Mund legt, wieder beruhigt,

58

A G A .

T U O N.

und endlich den herzhaften Entschlufs gefafst haben, ihrem V e r h ä n g n i f s nachzugeben. Denn, nachdem sie alle ihre Mühe verloren sah, mich das, was sie mir zu sagen halte, errathen zu lassen, brach sie endlich ein Stillschweigen, dessen Bedeutung ich. eben so wenig verstehen wollte, und entdeckte mir mit einer Dunkelheit und mit einem Feuer, welche mich erröthen und erzittern machten, dafs sie liebe und wieder geliebt seyn wolle. Die Unglückliche hatte nichts vergessen, was sie vermuthlich für geschickt hielt, mir den Werth des mir angebotenen Glückes mehr'als jemalils einleuchtend zu machen. Ich mufs noch itzt erröthen, wenn ich an die Verwirrung denke, worin ich mit allen meinen erhabenen Begriffen in diesem Augenblick war, die menschliche Natur so erniedrigt, den Nahmen der Liebe; so entweiht zu sehen! In der Tbat, die Pytliia selbst konnte von der Art, wie ich ihre Zumulliungen abwies, nicht empfindlicher beschämt und gequält werden, als ich durch die Notwendigkeit, ihr so übel zu begegnen. Ich bestrebte ipich, die Härte meiner Antworten durch die sanftesten Ausdrücke zu mildern, die' ich in meiner Verlegenheit finden konnte. Aber ich erfuhr, dafs heftige -Leidenschaften sich, so wenig als Sturmwinde, durch Worte beschwören lassen. Die ihrer selbst nicht mehr mächtige Priesterin nahm

"

S I E B E N T E S

BUCH.

8.

Kapitel.

5C)

für beleidigenden Spott auf, was ich aus der woM gemeinten, aber freylich sehr unzeiligen Absicht, , ihrer sinkenden Tugend zu Hülfe zu kofnmen, sagte. Sie gerieth in . W.uLli; sie brach in Verwünschungen und Drohungen, und einen Augenblick darauf in einen Strom von Thränen und in so bewegliche-Apostrofenaus, dafs ich beynahe schwach genüg gewesen wäre mit ihr zu weinen. Ich ergriff endlich das einzige Mittel das mir übrig blieb, mich der albernen Holle, die ich in dieser Scene spielte, zu erledigen: ich etitiloh. In eben dieser Nacht sah ich meine geliebte Psyche wieder an dem gewöhnlichen Orte. Mein Gemüth war von der Geschichte flieses Abends zu sehr beunruhigt , als dafs ich ihr ein Geheimnifs daraus hätte machen können. Wir bedauerten die Priesterin, so viele Mühe es uns auch kostete, die, Wuth und die Qualen einer Liebe, welche der unsrigen so wenig ähnlich war, uns als m ö g l i c h vorzustellen; aber wir bedauerten noch viel mehr uns selbst. Die Raserey, worin ich die Pylliia verlassen hatte, hiefs uns das Ärgste besorgen. Wir zitterten eines .für des andern Sicherheit; und aus Furcht, dafs t,sie unsere Zusammenkünfte entdecken möchte, beschlossen wir sie eine Zeit lang seltner zu machen. Diefs war das erste Mahl, dafs die reinen Vergnügungen unserer schuldlosen Liebe von Sorgen und

6o

A O A T H O N.

Unruhe unterbrochen Wurden, und -wir mit schwerem Herzen von einander Abschied nahmen. Es war, als ob es uns ahnete, dafs wir uns zu Delfi nicht wieder sehen würden; und wir sagten uns wohl tausendniahl Lebewohl, ohne uns einander aus den Armen winden zu können. 'Wir redeten mit einander ab, erst in der dritten Nacht wieder zusammen zu kommen. Inzwischen fügte sichs zufälliger Weise, dafs ich mit: der Priesterin in einer Gesellschaft zusammen traf, wo wir einander gleich unerwartet waren. Es war natürlich, dafs sie in Gegenwart fremder Person nen ihrem Betragen gegen mich den freundschaftlichen Ton der Anverwandtschaft gab, welche zwischen uns vorausgesetzt wurde, und wodurch sie ihren Umgang mit mir gegen die Urtheile der argwöhnischen Welt sicher gestellt hatte; doch bemerkte ich, dafs sie etliche Mahl, wenn sie von niemand beobach^ tet zu sfeyn glaubte, die zärtlichsten Blicke auf mich heftete. Ich war zu gutherzig, Verstellung unter diesen Zeichen der wieder*-, kehrenden Liebe zu vermuthen ; und det Schlüte, den ich daraus zog, beruhigte mich gänzlich über die Besorgnifs, dafs sie meinen Umgang mit Psyche entdeckt haben möchte. Ich ilog also mit ungeduldiger Freude zu unsrer abgeredeten Zusammenkunft: aber wie gvofs war meine Bestürzung, als nach stun-

S I E B E N T E S

8. K a p i t e l .

BITCH.

61

denlangem ungeduldigem.Harren keine Psyche zum Vorschein kommen

wollte!

Ich wartete

40 lange, dafs mich der Tag beynahe

über-

rascht hätte; ich durchsachte den ganzen Hain: aber sie war nirgends zu 'finden.

Eben so

ging es in der folgenden and in der dritten ¡Nacht.

Mein .Schmerz war unaussprechlich.

Damalilä

erfuhr ich zum

ersten

Mahl,

daCs

meine Einbildungskraft, welche bisher nur zu meinem

Vergnügen

geschäftig

gewesen

war,

an eben dem Mafse, -wie sie mich glücklich gemacht hatte, mich elend zu machen fähig sey. ich zweifelte nun nicht mehr, dafs die Pythia unsr« Liebe entdeckt habe;

und

die

Folgen

dieser Entdeckung f ü r die arme Psyche stellten sich mir mit allen Schrecknissen einer sich «elbst qualenden Einbildung

dar.

Ich fa&te

in der Wuth meines Schmerzens tausend heftige .Enisc&liefsungen, .von denen immer eine -die andre verschlang.

Ich wollte die Prieste»-

rin unversehens uberfallen und meine Psyche •von ihr fordern; ich wollte den Priestern ihre ¡verbrecherische Leidenschaft .entdecken; kurz, ¡ich -wollte —

das ausschweifendste was man

in der Verzweiflung wollen kann.

Ich glaube,

dafs ich fähig gewesen .wäre den Tempel anzuzünden , wenn ich hätte hoffen können meine Psyche dadurch zu retten.

Und doch hielt

mich ein Schatten von Hoffnung, dafs sie vielleicht Moli durch aufallige Ursachen

verhin-

A u

A T

n u s.

dert \vorden sey ihr Wort zu halten, hoch zurück, einen unbesonnenen Schritt zu' thun, welcher ein blofa eingebildetes Übel wirklich und unheilbar hätte machen können. Vielleicht (dachte ich) weifs die Priesterin noch nichts von unserem Geheimnifs; und wie unselig war' ich in diesem Falle, wenn ich selbst der Verräther davon wäre! < Dieser Gedanke f-ährte mich zum vierten Mahl in den Ruheplatz der Diana. Nachdem ich wohl zwey Stunden vergebens gewartet /hatte j warf ich mich in einer Betäubung von ¿Schmerz und Verzweiflung zu den Füfseri einer von den Nymfen hin. Ich lag eine Weile ohne meiner selbst mächtig zu seyn. Als ich mich wieder erliohlt halte, sah ich einen frischen Blumenkranz um den Hals und die Arme der Nymfe gewunden. Ich sprang auf, um -genauer zu erkundigen, was diefs .bedeuten möchte, und fand ein Briefchen an den Kranz geheftet, worin mir Psyche meldete: , „dafs ich sie in der folgenden Wacht unfehlbar; an diesem Platz antreffen würde; sie verspare es auf diese Besprechung mir zu sagen;, - durch was für Zufalle sie diese Zeit über verhindert worden mich zu sehen oder mir Nachricht von sich zu geben; ich dürfte aber vollkommen ruhig und gewifs seyn, dafs die Priesterin nichts von unserer Bekanntschaft wisse."

SIEBENTES

BUCH.

8.

Kapitel.

Die 'heftige Begierde-, Womit icli wünschte, dafs dieses Briefchen von Psyche geschriebfeil seyn möchte, liefs mich flicht daran denkeii ein Mifstrauen darein zu setzen, ungeachtet mir ihre Handschrift unbekannt war. Diefs war das eiste Mahl,; da ich erfuhr, was der Übergang von dem äufsersten Grade, des Schmerzens zu der äufsersten "Freude ist. Ich wand den Gluck weissagenden' Blumenkranz um mich herum, nachdem ich die unsichtbaren Spuren der geliebten Finger, die ihn gewunden, von jeder Blume weggeküfst hatte. Den folgenden Abend wurde mir jeder Augenblick bis zur bestimmten Zeit ein Jahrhundert. Icli ging eine halbe Stunde f r ü h e r , den guten Nymfen zu danken, dafs sie unsere Liebe in ihren Schutz genommen hatten. Endlich glaubte ich, Psyche zwischen den Myrtenhecken hervor kommen zu sehen. Die Nacht war nur durch den Schimmer der Sterne beleuchtet; aber ich erkannte die gewöhnliche Kleidung meiner Freundin, und war von dem ersten Rauschen ihrer Annäherung schon zu sehr entzückt, um gewahr zu werden, dafs die Gestalt, die sich mir näherte, mehr von der • üppigen Fülle einer Bacchantin als von der jungfräulichen Geschmeidigkeit einer Gespielin Dianens hatte. Wir flogen einander mit gleichem Verfangen in die Arme.

64

A Ii A T H O N.

Die sprachlose Trunkenheit des ersten Augenblicks verstaltet nicht Bemerkungen zu piachen. Aber es währte nicht lange, bis ich nothwendig fühlen mufste, dafs ich mit einer Heftigkeit, die von der Unschuld einer Psych« nicht vermuthliqh war, an einen kaum verhüllten und ungestüm klopfenden Busen gedrückt wurde. — Diefs konnte nicht Psyche seyn. — Ich wollte mich aus ihren Ar inen los winden; aber sie verdoppelte die Stärke, womit sie mich umschlang, zugleich mit ihren üppigen Liebkosungen; und da ich nun auf ein mahl, mit einem Entsetzen, welches mir plle Sehnen lähmte, meinen Irrthum erkannte; so machte die Gewalt, die ich anwenden wollte, mich von der rasenden Priesterin los zu reifsen, dafs wir mit einander zu Boden sanken. — Ich wünschte aus Hochschätzung des Ge-r schlecht?, welches in meinen Augen der liebenswürdigste Theil der Schöpfung ist, daf» Ich diese Scene aus meinem Gedächtnifs auslöschen könnte. Ich hatte meine gan?e \ev-r nunft nölhig, um nicht alle Achtung, die ich wenigstens ihrem Geschlechte schuldig war, aus den Augen zu setzen. Aber ich zweifle nicht, dafs .eine jede Frauensperson, welche noch einen Funken von sittlichem Gefühl übrig

Siebentes

Büch;

8. K a p i t e l

6rf

h ä t t e , lieber den T o d , als die Vorwürfe Und die Verwünschungen -Womit sie überströmt •wurde, ausstehen wollte. — Sie krümmte sich, in Thrärien berstend, zu meinen FiiIsen. ^ Dieser Anblick war ihir Unerträglich'. Ich •wollte entfliehen; sie verfolgte tfuch, sie hing sich a n , u n d bat mich i h r den- Tod zu geben. Ich verlangte mit Heiligkeit) dafs s i f t m i i ; meine Psyche wieder geben sollte» Diese W e r t e sfchienen sie unsinnig zu machen. Sie erklärte m i r , dafs das Leben dieser Sklavin in i h r e r Gewalt sey, und von dem Entschluß^ den ich -nehmen w ü r d e , abhange. Sie sah da» Entsetzen, das bey dieser Drohung mein gan-< 2cs Wesen erschütterte; wir verstummten beide eine Weile. Endlich nahm sie einen s a n f t e m , ttber nicht weniger entschlossenen Ton ftn,. Um mir ihre Vorige Erklärung zu bekräftigen. Die Eifersucht machte sie so vieles sagen, dafs ich Zeit bekam, mich zu fassen* •und eine Drohung weniger fürchterlich zü finden,, zu deren Ausführung ich sie, wenig-" stens aus Liebe zu sich selbst, unfähig glaubte» Ich antwortete ihr also mit kälterm Blute* dafs sie,, auf ihre Gefahr, über das Leben meiner jungen Freundin gebieten könne. Doch ersuchte icli sie sich zu e r i n n e r n , -dafs sie selbst mich zum Meister über das ihrige, u n d über das was ihr nocli lieber als das Leben »eyn sollte, gemacht habe» Da;» meinige (setzte WlELAND» timintl. IV. II. ]}. K

i

9

A T H

O

N.

ich mit enfsclilofsnem Tone hinzu) hört mit dem Augenblick auf, da'Psyche für mich verloren ist; denn, bey dem allseheiiden Gott^. dessen Gegenwart dieses heilige Land erfüllt! kein« menschliche Gewalt soll mich aufhalten, ihrem geliebten Geist in eine bessere Welt zu folgen, wohin uns das Laster nicht folgen k a n n , unsere geheiligte Liebe zu beunruhigen! Meine Standhaftigkeit schien den Muth der Priesterin niederzuschlagen. Sie sagte mir endlich : Die Einbildung, dafs ich in meiner Gewalt habe sie zu Grunde zu richten, könnte mich sehr betrügen; ich möchte thun was ich •wollte; nur sollte ich versichert seyn, dafs ilir Psyche für jeden Schritt bürgte, den ich machen würde. Mit diesen Worten entfernte sie sich, und liefs mich in einem Zustande, dessen Abscheulichkeit, nach der Empfindung die ich davon hatte abgemessen, über allen Ausdruck ging» Ich wufste nun alles. Nach dieser Niederträchtigkeit w i r keine »Bosheit so ungeheuer, deren ich diese Elende nicht ialiig gehalten hätte. Ich besorgte nichts f ü r mich selbst, aber alles f ü r die arme Psyche, welche ich der Gewalt einer Nebenbuhlerin überlassen mufste, ohne dafs mir alle meine Zärtlichkeit f ü r sie das Vermögen geben konnte, sie zu befreyen.

SIEBENTES

9.

BUCH.

9. . K a p i t e L

67

K a p i t e l .

Agathop entflieht, und findet (öinsn VateT. Wa9 für, einen neuen Schwung sein Geist duicli die Veräi^ derung seiner Umständw bekoitinit. Nachdem ich etliche Tage in der grausamen Ungewifsbeitj was aus mein Ar Geliebten * geworden seyn möchte» zngebriicfat, hatte * erüthr ich endlich van einer Sklavin der Pyllwa j dsfs »ie nicht mehr in De Iii sey. Diefs war' allei Siachneht die ich von ihr. einziehein ¡konnte^ aber es war genug, mir ' d » n , langem Ani'elifc-halt an diesem Orte unerträglich zu'machen; Ich bedachte mich keinen Augenblick was' icir thuri wi>llte, sondern stahl mich in der n ä c h sten Nacht hinweg, ohne um- die Folgen eiiufs so unbesonnenen Schrilles bekümmert zu ieyn j oder, richtiger z-Q sagen, in einem Cemüthsen-» »laude, worin ich aller fiesinntmg unfähig war. Ich irrte eine Zeit lang überall herum) Wo ich eine Spur von meiner Freundin zu entdecken hoffte, thörichfc genüge Wir einenbilden, dal's sie mich ,• wo sie auch Seyn Jnöchte, durch die magische Gewalt der Sym-* patliie; «usrer Seelen nach sich ziehen werde. Aber meine Hoffnung betrog inieli; niemand konnte mir die- geringste Nachricht -fco« > ihr geben. Unempfindlich gegen alles Elend; •welches ich auf dieser unsinnigen Wanderschaft erfahren mufste, fühlte ich keinen an-

68

A Ii' A I H O K.

dem Schmerz, als die Trennung von meinet Geliebten und die Ungewifsheit was ihr Schicksal sey. Ich würde die Versicherung, dafs es ihr wohl gehe, gern mit meinem Leben bezahlt haben. Endlich führte mich der Zufall oder- eine mitleidige Gottheit nach Korinth. Die Sonne war eben untergegangen, als ich, von den Beschwerlichkeiten der Reise • und «iner ungewohnten Diät äufserst abgemattet, vor dem Hof eines der prächtigen Landgüter ankam, welche die Küsten des Korinthischen Meeres verschönern. Ich warf mich unter einer hohen Cypr.esse nieder, und verlor mich in den Vorstellungen der natürlichen, aber in der Hitze der Leidenschaft nicht vorher gesehenen Fol-» gen meiner Flucht von Delfi. In der That war nieine Lage fähig den herzhaftesten Mulh niederzuschlagen. In eine gänzlich fremde Welt ausgeslofsen, ohne Freunde, ohne Geld, unwissend wie ich ein Leben erhalten wollte, dessen Urbeber mir nicht einmahl bekannt war, warf ich traurige -Blicke um mich her. Die ganze Natur schien mich verlassen zu haben. Auf dem weiten Umfang der mütterlichen Erde sah ich nichts, worauf ich einen Anspruch machen konnte, als — ein Grab, wenn mich die Last des Elends endlich aufgerieben haben würde. Und selbst dieses kounte ich nur von

SIEBENTES

BÜCH.

Kapitel.

69

der Frömmigkeit irgend eine s mitleidigen Wanderers hoffen. Diese melankolischen Gedanken wurden durch die Erinnerung meiner vergangnen Glückseligkeit, und durch das fiewufstseyn, dafs ich mein Elend durch keine Bosheit des Herzens oder irgend eine entehrende Übelthat verdient hätte, nur schmerzender gemacht. Ich sah mit thränenvollen Augen um mich h e r , als ob ich ein Wesen in, der Schöpfung suchen wollte, dem mein Zustand zu Herzen ginge. s In diesem Augenblick erfuhr ich den wohlthätigen Einflufs d i e s e r g l ü c k s e l i g e n B e g e i s t e r u n g , „welche die Natur dem empfindlichsten Theile der Sterblichen zu eitlem Gegengewicht gegen die Übel, denen sie durch die Schwäche ihres Herzens ausgesetzt sind, gegeben zu haben scheint." Ich sandte mich an die Unsterblichen, mit denen meine Seele schon so lange in einer Art von* unsichtbarer Gemeinschaft stand. Der Gedanke, dafs sie die Zeugen meines Lebens, meiner Gedanken, meiner geheimsten Neigungen gewesen seyeri, gofs lindernden Trost in mein verwundetes Herz. Ich sah meine geliebte Psyche unter ihre Flügel gesichert. „Nein, rief ich aus, die Unschuld kann nicht unglücklich seyn, nach das Laster seine Absichten ganz erhalten! In diesem majestätischen Ali,

A . O i ,1'. H 0 Ii.

worin Welten und Stäubclicn cher

Unterwürfigkeit

weisen wär'

und

wphlthätigen

es Unsinn

sich mit

glei-

nach den Winken einer Macht

und Gottlosigkeit

K

bewegen,

sich

einer

entnervenden Kleinmulli zu übellassen, Daseyn

ist der B e w e i s ,

s t i m m u n g habe,

Mein

dafs ich eine

Be-

Hab' ich nicht eine Seele

welche denken k a n n , und Gliedmaßen, die ihr als Sklaven

zur Ausrichtung ihrer

engegeben sind?

Gedanken

Bin ich nicht ein G r i e c h e ?

U n d , wenn mich mein Vaterland nicht e r k e n nen

will,

bin ich nicht

ein M e n s c h ?

night d i e g a n z e E r d e mein Vaterland?

Ist Uncl

giebt mir nicht"' die Natur ein unverlierbares Recht

an Erhaltung und an jedes wesentlich«

Stück

der Glückseligkeit,

so bald ich meine

Kräfte anwende, die Pllichten zu e r f ü l l e n , die mich mit der Welt verfeinden?" Diese Gedanken lien,

und

richteten

beschämten meine mein

Herz

Tbrä-

wieder

Ich fing a n , die Mittel zu überlegen,

auf.

die ich

in meiner Gewalt hätte mich in bessere

Um--

stände zu setzen: als ich einen Mann von mittJevm Alter gegen mich herkommen sah, dessen Ansehen

und

Miene

Zutniun einflöfsten. den

mir

Ehrerbietung

und

Ich raffte mich vom Bod-

auf, und beschlofs bey mir selbst,

ihn

anünrf-d«|i, ¡hin mf-ine Umstände zu entdecken, und mir seinen

Rath auszukitten,

Er

kam

SIEBENTES

BUCH."

9. K a p i t e l .

71

mir zuvor. „Du scheinest vom Weg ermüdet z u s e y n , junger Fremdling, (sagte er zu mir, in einem Tone, der ihm sogleich mein Hers gewann) und da ich dich auter dem wirtlilichen Schatten meines Baumes gefunden habe, ao hoffe ich, du werdest nfir das Vergnügen nicht versagen, dich diese Nacht. in meinem Hause zu beherbergen." Er betrachtete mich, indem er diefs sagte, mit einer Aufmerksamkeit, an welcher sein Herz Antheil zu haben schien. Ich gestand ihm mit einer Offenherzigkeit, die von meiner wenigen Kenntnifs der Welt zeugte: dafs ich im Begriff gewesen sey, ihn um dasjenige zu ersuchen, was er mir auf eine so edle Art anbiete. Ich weifs nicht, was ihn zu meinem Vortheil einzunehmen schien. Mein Aufzug wenigstens könnt«} es nicht seyn; denn ich hatte, aus Furcht entdeckt zu werden, meine Delfjsche Kleidung gegen eine schlechtere vertauscht, die auf meiner Wanderschaft ziemlich abgenutzt worden war. Er wiederhohlte mir, wie angenehm es ihm sey, dafs mich der Zufall vielmehr ihm als einem seiner Nachbarn zugeführt habe; und so folgte ich ihm in sein Haus, dessen Weitläufigkeit, Bauart und Pracht einen Besitzer von grofsem Reichthum und vielem Geschmack ankündigte* Oer Sahl, in den wir zuerst traten, war mit Gemählden von den ^berühmtesten Meistern und mit einigen Bild»

72

A.

a A, T H O fi,

gälilen und Brustbildern yon Fidias und Alkajnenes ausgeziert. Jch liebe, wie dir bekannt ist, die Werke der schönen Künste bis zur Schwärrnerey, und mein langer Aufenthalt in, Delfi hatte mir einige Kenntnii's davon gegeben. Ich bewunderte einige Sliitke, setzte an andern diefs oder, jenes aus, nannte die Künstler deren Hand oder Manier ich erkannte, lind nahm Gelegenheit von andern MeisterStücken zu reden, die ich von ihnen gesehen halle, ich bemerkte, dafs mein Wiilh mich mit Verwunderung ansah, als ob er betroffen wäre, einen jungen Menschen, den er in einem so wenig versprechenden Aufzug unter einem Baume liegend gefunden, mit so vielem K e n n t r ü f s v o u ( j e n Künsten sprechen zu hören. Nach einer Weile wurde gemeldet, dafs das Abendessen hereitet sey. Er führte mich in eilten kleinen Sahl, dessen Wände von einem der besten Schüler des Parrhasius niedlich bemahlt waren. Wir afsen ganz allein. P i e Tafel, das Geräthe, die Aufwärter, alles ftimmte mit dem Begriff überein, den ich mir van dem Geschmack und dem Stande des Hausherrn gemacht hatte, Unter dem Essen trat ein junger Sklave von feinem Ansehen und zierlich gekleidet auf, und recitierte ein Stück ans, der Odyssee mit vieler Geschicklichkeit. Mein Wirth sagte m i r , dafs er bey

SIEBENTES

B.trpii.

9. K a p i t e l .

-¡'A

Tischen, diese Art von Gemütlisergetzung den Tänzerinnen und Flö^epspielerinnen vorzöge, womit man sonst bey d/en Tafeln der Grie r ehen sich zu unterhalten

pflege.

Das

Lob,

das ich seinem Leser beylegte, gab zu einem Gespräch -über die beste Art zu recitieren und über die Griechischen Dichter Aniafs, wobey ich meinem Wirthe abermahl Gelegenheit gah zu stützen. Die Verwunderung, womit er mich betrachtete, vermischte sich Zusehens mit einer zärtlichen Bewegung; und da er sab, clafs ich es gewahr wurde, sagte er m i r D i e Verwunderung, womit er mich von Zeit zu Zeit betrachte, würde mich weniger befremden , wenn ich die außerordentliche Ähnlichkeit meiner Gesichtsbildung und Miene mit einer Person, .welche er eliemahls gekannt habe, wiifste. Doch du sollst selbst davon urtheilen, setzte er hinzu, indem er anfing von andern Dingen zu reden, bis der Weiu und die Früchte aufgestellt wurden. ' Bald darauf führte er mich in ein Kabinet, •worin ein Schreibtisch, ein Büchergestelle, einige Polster, und ein Gemähide in Lebensgröfse, auf welches, ich nicht gleich Acht gab, alle Geräthschaft und Zierathen ausmachten. Er hiefs mich niedersetzen, und nachdem er das Bildnifs, welches ihm gegen über hing, «ine Weile mit Rührung angesehen hatte,

A

a

A * H O N.

redete er mich also a n : „Deine Jugend, liebenswürdiger Fremdling, die Art, wie sicli unsere Bekanntschaft angefangen, die Eigenschalten, die ich in dieser kurzen Zeit an dir entdeckt habe, und die Zuneigung, die ich in meinem Herzen f ü r dich f i n d e , rechtfertigen mein Verlangen, von deinem Nahmen und von den Umständen benachrichtiget zu sayn, welche dich in einem solchen Alter von deiner Ileimatli entfernt und in diese fremden Gegenden geführt haben können. Es ist sonst meine Gewohnheit nicht;, mich beym ersten Anblick für jemand einzunehmen. Aber bei deiner Erblikkung hab* ich einem geheimen Zuge nicht widerstehen k ö n n e n ; und du hast in diesen wenigen Slunden meine voreilige Neigung so sehr gerechtfertigct, dafs ich mir selbst Glück w ü n sche , ihr Gehör gegeben zu haben. Befriedige also mein Verlangen und sey versichert, dafs die Hoffnung dir vielleiobt nützlieh seyn zu k ö n n e n , weit mehr Anllieil daran hat als ein unbescheidener Vorwitz. Du sieliest einen Freund in m i r , dem du dich, ungeachtet der kurzen Dauer unserer Bekanntschaft, mit allein Zutrauen eines langwierigen und bewährten Umgangs entdecken darfst/" Ich wnrde durch diese Anrede so sehr gerührt, dafs sich meine Augen mit Thränen füllten. Ich glaube, dafs er darin lesen konnte was ihm mein Ilerz antwortete, ob ich gleich

S*IB>BENTE?

BCCH.

9.

Kapitel.

75

eine Weile keine Worte dazu fand. Endlich entdeckte ich jhm, df.fs ich von Delfi käme; dafs ich daselbst erzogen , worden; dafs man mich A g a t h o n genannt, und dafs ich nie erfahren können, wem ich das Leben zu danken hätte. Alles was ich davon wisse, sey, dafs ich in einem Alter von vier oder fünf Jahren in den Tempel gebracht, mit andern dem Dienste des Apollo gewidmeten Knaben erzogen, und, nachdem ich zu mehrern Jahren. gekommen, von den Priestern mit einer vorzüglichen Achtung angesehen, utid in allem was zur Erziehung eines frey geboruen Griechen erfordert werde, geübt worden sey. S t r a t o n i k u s (so wurde mein Wirth genannt) zeigte während meiner Erzählung eine Unruhe, die er vergebens zu verbergen suchte; sein Gesiebt veränderte sich; er wollte etwas sagen, schien sich aber wieder anders zu bedenken, und fragte mich blofs, warum ich Delfi verlassen hätte. So natürlich die Aufrichtigkeit sonst meinem Herzen w a r , .so t o n n t e ich doch diefsmahl unmöglich über die Bedenklichkeiten hinaus kommen, welche mir über meine Liebe zu Psyche den Muud verschlossen. Einem Freunde von meinen Jahren, für den ich mein Herz eben so eingenommen gefunden hätte, als für Stratonikus, würde ich das Innerste meines Herzens ohne Bedenken aufgeschlossen haben, so bald ich hätte

7

G

Ae

AF

BOX.

Venrrathen k ö n n e n , dafs er meine Empfindungen zu v e r s t e h e Ä fabig sey. Aber hier hielt mich etwas zurück, davon ich mir selbst die Ursache nicht angeben konnte. Ich schob also die ganze Schuld meiner Entweichung von Delfi auf die Pythia, indem ich ihm, so ausführlich als es meine jugendliche Schamhaftigkeit gestatt'en wollte, von den Versuchungen , in welche sie meine Tugend geführt hatte, Nachricht gab. Er schien mit meiner Aufführung zufrieden zu seyn, und nachdem ich meine Erzählung bis auf den Augenblick, wo ich ihn zuerst erblickt, und auf dasjenige •was ich sogleich f ü r ihn empfunden, fortgeführt hatte : stand er mit einer lebhaften* Bewegung a u f , warf seine Arme um meinen Hals, und sagte mit Thränen der Freude und Zärtlichkeit in seinen Augen: — „Mein liebster Agathon, siehe deinen Vater! — Hier (setzte er hinzu, indem er mich sanft umwendete und auf das'Gemähide wies, welchem ich bisher den Rücken zugekehrt hatte) hier, in diesem Bilde, erkenne die Mut« 1er, deren geliebte Züge mich beym ersten Anblick in deiner Gesichtsbildung rührten, und diese Bewegung erregten, die ich nun f ü r die Stimme der Natur erkenne." /

Du kennest mich zu w o h l , liebenswürdige Danae, um dir meine Empfindungen in

SIEBENTES

BUCH.

9 K a p i t e l .

77

diesem Augenblicke nicht lebhafter einzubilden als ich sie beschreiben könnte. blicke sind keiner

Solche Augen-» ,

Beschreibung fähig.

Fürf

solche Freuden hat die Sprache keine .Nahmen, die

Natur

keine

B i l d e r , ' und

selbst keine Farben. —schweigen und den Herzen , zu

die

Fantasie

Das beste ist,,

Zuhörer seinem

überlassen.

Mein

Vater

schien

durch meine E n t z ü c k u n g ,

welche sich

Zeit nur

sprachlose

mungen

durch und

Thränen,

abgebrochene

Töne

zu

eigenen lange Umar-

ausdrücken

konnte., doppelt glücklich z u seyn.

Das V e r -

gnügen , womit er mich f ü r seinen Sohn e r kannte, schien ihn selbst wieder in die g l ü c k lichsten

Augenblicke

seiner Jugend

zu

ver-

setzen, und Erinnerungen wieder aufzuwecken, denen mein Anblick er nicht zweilein

neues Leben

konnte,

dafs

seyn würde die Ursachen zu

gab. ich

wissen,

Da

begierig welche

einen V a t e r , ' d e r mich mit so vielem V e r g n ü gen für seinen Sohn gen k ö n n e n ,

diesen

erkannte,

hatten

bewe^

Sohn so viele Jahre vort

sich verbannt zu halten:

so gab er mir hier-

über alle Erläuterungen die ich nur wünschen konnte,

durch

eine

umständliche

Erzählung

der Geschichte seiner Liebe zu meiner Mutter. Sein^

Bekanntschaft

mit

zufälliger Weise in einem

ihr

Alter

worin er noch gänzlich unter der

hatte

sich

angefangen, väterlichen

A Gewalt

stand.

A

1 H O N.

Sein

Vater

war 3a9 Häüpl

eines von den edelsten Geschlechtern in Athen» 'Meine

war > sehr

Mutter

jung,

sehr

schön,

und eben so tugendhaft als schön,, unter Aufsicht einer alten F r a u , ter nannte,

dahin gekommen.

Eingezogenlieit, N worin ihrer

sie

Handarbeit l e b t e ,

Musarion

vor

Die

strenge

kümmerlich

verwahrte

den

der

die sich ihre Mutvon

die junge

Augen und vor

den

Nachstellungen der müßigen reichen Jünglinge, junge

Mädchen,

die

keinen andern S c h u l « als ihre

Welche

gewohnt

sind,

Unschuld

und

keinen andern Reichthum als ihre Reitzungen liaben,

für ihre natürliche Beute

Dein ungeachtet zufälliger werden,

Weise

ihn

Sein

nicht

Musarion:

meinem

Vater

Athenern

bekannt

seiner

tugendhafter

Zeit

Karakter

gegen die Reitzungen aber

er

machte

die Eigenschaft seines •war tugendhaft, durch

anzusehen/ verhindern zu

der sich durch seine Sitten von den

meisten jungen schiede

konnte sie nicht

der jungen

dafs seine

Liebe

Karakters a n n a h m :

bescheiden,

und

starker und dauerhafter.

sein guter R u f ,

unterschützte

eben

Sein

sie da-

Stand,

sein zurück haltendes B e t r a -

gen gegen den Gegenstand seiner Liebe , gaben zusammen

genommen

einen

Beweggrund

ab,

der die Nachsicht entschuldigen k o n n t e , womit die

Alte

seine

geheimen

Besuche

duldete-.

Nichts kann natürlicher seyn, als eine geliebte

SIEBENTES

BUCH.

9. K a p i t e l .

JRG

Perion dem Mangel nicht ausgesetzt sehen zit können : aber niclits ist auch in den Augen der Welt zweydeutiger, als die Freygebigkeit eines jungen Mannes gegen ein Mädchen^ -welches das Unglück hat durch reine Annehmlichkeiten den Neid und durch seine Armuth die Verachtung d«s grofsen Haufens zu erregen. Man kann jich nicht überreden, dafs in .einem solchen Falle derjenige, welcher gieht, nicht eigennützige Absichten habe, oder diejenige, •welche annimmt, ihre Dankbarkeit nicht auf Unkosten ihrer Unschuld' beweise. Stratonikus gebrauchte zwar die äufserste Vorsichtigkeit, um die Wolilthaten, womit er diese kleine Familie von Zeil zu Zeit unterstützte, vor aller Welt und vor ihnen selbst zu verbergen. Allein sie entdeckten doch zuletzt ihren unbekannten Wohlthäter; und diese neuen Proben seiuei' edelmüthigen Sinnesart vollendeten den Ein^ druck, den er schon lange auf das unerfahrne Herz der zärtlichen Musarion gcmacht hatte, und gewannen es ihm gänzlich. JN'iemahli» •würde die Liebe, von der zärtlichsten Gegenliebe erwiedert, zwey Herzen glücklicher gemacht haben, wenn die Umstände der jungen Schönen einer gesetzmäfsigen Vereinigung nicht Schwierigkeiten in den Weg gelegt hätten, welche ein jeder anderer als ein Liebhabet f ü r unüberwindlich gehalten hätte. Endlich war Slratonikus so glücklich • zu cnldccken-

A

U

A X Ii O -'S.

dai's seine Geliebte wirklich eine ''Athenische Bürgerin sey, die Tochter eines rechtschaffenen Mannes, 'welcher im PelopoiinesiBchen Kriege sein Leben auf eine rühmliche Art verloren hatte. Nunmehr wagte er esj seinem Vater das Geheimuifs seiner Liebe zu entdeckeni Er Wandte alles an seine Einwilligung zu erhalten,: aber der Alte, der die Reitzungen und Tugenden der jungen Mnsarion f ü r keinen genügsamen Ersatz des Reichthums, der ihr fehlte, ansah, blieb unerbittlich. Stratonikus liebte zu inbrünstig, um dem Befehl, nicht weiter an seine Geliebte zu denken» gehorsam zu seyn. Er würde sich selbst f ü r den Unwürdigsten unter den Menschen gehalten haben, wenn er fähig gewesen wäre ihr das geringste von seinen Empfindungen zu entziehen. Die Widerwärtigkeiten und Hindernisse, womit seine Liebe kämpfen mufste, thaten vielmehr die entgegen gesetzte Wirkung: sie koncentrierten da» Feuer ihrer gegenseitigen Zuneigung, und bliesen eine Flamme, welche, so lange sie Von Hoffnung genährt wurde, drey Jahre sanft und rein fortgebrannt hatte, zu der heftigsten Leidenschaft an. Das Herz ermüdet endlich ^dureb den langen Kampf mit seinen süfsesten Regungen; es verliert die Kraft zu widerstehen; und je länger es unter den Qualen einer zugleich verfolgten und unbefriedigte*

SIEBENTES

BUCH.

g.

Kapitel.

YI

Liebe gefceufzet hat, je heftiger sehnet es sich nach einer Glückseligkeit, w o v o n ein einziger Augenblick

genug

ist,

das

Andenken

aller

ausgestandenen Leiden auszulöschen, das f ü h l der gegenwärtigen zu ersticken, Augen, der

benebelt von der siifsen

glücklichen

Noth blind Musarion

Liebe,

noch den

barkeit, von

alle

künftige

Aufser diesem Latte

Beweggrund einer D a n k -

deren drückender Last ihr Herst

•sich zu erleichtern suchte. ren

und die

Trunkenheit

gegen

zu machen.

Ge-

einander

ewige

Kurz:

sie schwo-

T r e u e , - überliefsen

sieli

dem sympathetischen Verlangen ihres Herzens und

bedienten

sich

der

Gewalt,

die

ihnen

die Liebe gab, einander glücklich zu machen. Die Glückseligkeit,

welche eines dem andern

zu

unterhielt

danken

hatte,

die zärlliche

Vereinigung ihrer

statt sie zu schwächen niemahls

das

der

wahren

Ich,

schöne

gewesen.

ist

erste Frucht ihrer Liebe. fiel

meinem

Vater

letzten Willen werk

eben

Dieses dienen.

der

Gen.ufa

Zärtlichkeit Danae,

war

Glücklicher

die

Weise

damahls durch

den Inseln z u ,

der Botmäfsigkeit müfste

an-

aufzulösen;

den

eines Oheims ein kleines V o r -

auf einer von

unter

befestigte

Herzen,

oder gar

denn n o c h Grab

iincl

meiner

Ich wurde

welche

der Athener Mutler

daselbst

zur

stehen. Zuflucht

geboren,

und

genofs drey Jahre lang ihrer eigerren Pllege; W I I I A N E S sainmtl. W . II. B.-

F

A (} bis sie mir

A

durch

i' fl 0 'S.

eine

Schwester

entzogen

w u r d e , deren Leben der liebenswürdigen Musarion

das ihrige kostete.

inzwischen

manchen

Herz seines

das

Vaters zu erweichen;, aber

alle-

Es blieb ihm

also

nichts

als seine Verbindung mit meiner Mut-

ter und die ten.

hatte

gemacht

malii vergebens. übrig,

Stralouikus

Versuch

f o l g e n derselben geheim zu hal-

Ihr frühzeitiger Tod vernichtete die E n t -

würfe von Glückseligkeit,

die er für die Zu-

kunft gemacht halte, ohne die zärtliche Treue, die er ihrem Andenken chen.

Die Sorge für

übrig geblieben

war,

widmete, das,

zu

schwä-

was ihm von ijir

hielt ihn zurück,

siqh

einer Traurigkeit völlig zu überlassen ,v welche, ihn lange Zeit gegen alle Freuden des

Lebens

gleichgültig und zu allen Beschäftigungen desselben verdrossen

machte.

Der

Tempel

Delfi schien ihm der tauglichste Ort zu

zu

seyn,

mich zu gleicher Zeit zu verbergen und einer guten

Erziehung

theijhaftig

hatte Freunde daselbst, empfohlen wurde, trag,

mich in

über

meinen

gänzlichen

Unwissenheit

Ursprung zu lassen.

Sein V o r -

der Tod seines Vaters ihn

Meister über sich selbst und seine Güter

gemacht haben nach

Er

besonders

mit dem gemessensten Auf-

einer

satz w a r , so bald zum

zu machen.

cLnen . ich

würde,

mich abzuhohlen und

Athen zu bringen, wo er seine Verbin-

dung mit meiner Mutter bekannt machen und

SIEBENTES

BUCH.

9, K a p i t e l

83

mich öffentlich für seilten Sohn und Erben e r klären wollte.

Aber dieser , Z11 lall erfolgte erst

•wenige Monate vor

meiner Flucht,

und

seit

demselben hatten ihn dringende Geschäfte genöthigt, meine Abhohlung aufzuschieben. Nachdem mein Vater diese Erzählung geendigt hatte, liefs er einen alten Freygehtssenen zu sich rufen und fragte i h n : ob er den kleinen Agalhon k e n n e , den er vor vierzehn Jahren dem Schutze des Dell'ischeiv Apollo überliefert h a b e ? Der gute Alte, dessen Züge mir selbst nicht unbekannt waren, erkannte mich desto leichter, da er binnen dieser Zeit von seinem Herrn öfters liiäch Delfi abgeschickt worden w a r , sich meines YVohlbefin'

dens

zu

erkundigen.

1

In

wenigen

Augen-

blicken wurde das ganze Haus mit allgemeiner Freude erfüllt.

Die Zufriedenheit meines •

Vaters über m i c h , und das Vergnügen, womit alle seine Hausgenosse« mich als den Sohn ihres Herrn bewillkommten, Freude

vollkommen,

plötzlichen

Übergang

die von

ich

bey einem so

dem

Elend

sich selbst unbekannten, nackten, zu

einem

so blendenden

notliwendig empfinden mufste. er

eines

allen Zu-n

fällen des Schicksals Preis gegebenen lings

einzigen

machte J i e

Flücht-

Glücksstande

Blendend hätte

wenigstens für manchen andern seyn k ö n -

n e n , der dnrch die Art seiner Erziehung w«-

A e A T H O K. niger 'als ich vorbereitet gewesen w ä r e , einen solchen Wechsel mit Bescheidenheit zu ertragen; Inzwischen bin ich mir selbst die Gerechtigkeit schuldig, zu sagen, dafs die Ver-i; Sicherung, ein Bürger von Athen, und durch meine Geburt und die Tugend meiner V o r ältern zu Verdiensten und schönen Thaten berufen zu s e y n , mir ungleich mehr Vergnügen machte, als der Anblick der Reichthümer, welche die Gütigkeit meines Vaters mit mir zu theilen so begierig w a r , und welche in meinen Augen nur dadurch ' einen Werth e r h i e l t e n , weil sie mir das Vermögen zu geben schienen, desto freyer und v6llkommener nach meinen Grundsätzen leben zu k ö n n e n , Ich unterhielt mich n u n mit einer n e t t e n A r t v o n T r ä u m e n , die durch ihre Beziehung auf meine neu entdeckten Verhältn i s s e f ü r mich so wichtig, als durch i h r e Ausführung eben so viele Wohlthaten f ü r das menschliche Geschlecht zu seyn schienen. Solltest du d e n k e n , dafs ich mit nichts.geringerm umging, als mit E n t w ü r f e n , w i e d i e erhabenen L e h r s ä t z e m e i n e r i d e a l i s c h e n S i t t e n l e h r e auf die E i n r i c h tung und' V e r w a l t u n g eines gemeinen Wesens angewandt werden könnt e n ? — Diese Betrachtungen, welche einen guten Theil meiner Nächte wegnahmen, e r -

SIEBENTES

BUCH,

9. K a p i t e l .

85

füllten mich mit dem lebhaftesten Eifer f ü r ein Vaterland, welche^, ich nur aus 'Geschichtschreibern kannte. Ich zeichnete mir selbst auf den Fufsstapfen fler S p i o n e n und A r i s t i d e n einen Weg., aus, bey welchem ich an keine andere Hindernisse dachte, als an, solche, die durch Mutlj und Tugend zu überwinden sind. Dann setzte ich mich in meiner patriotischen Entzückung an das. Ende meiner Laufbahn,, und sah in A t h e n nichtsgeringers als die Hauptstadt der Welt, die Gesetzgeberin der Nationen, die Mutter der Wissenschaften und Künste, die Königin des Meers, den Mittelpunkt der Vereinigung deß ganzen menschlichen Geschlechtes. Kurz, ich machte ungefähr eben so schimärische und eben so ujigeheure Projekte als A l c i b i a d e s ; nur mit dem sehr wesentlichen Unterschied, dafs nicht Eitelkeit und Ehrsucht, sondern ein von Güte und allgemeiner Wohlthätigkeit beseeltes Herz die Quelle der meinigen war. Sie ; hatteji nqch dieses Besondere, d a f s i h r e • - A u s f ü h r u n g , (die moralische Mögliqhkeit dqrpsljien vorausgesetzt) k e i n e r Mutter eine ;'£hräne, und keinem Menschen in der ^Yelt m e h r a l s d i e A u f o p f e r u n g s e i n e r V p j - u r t h e i l e . und s o l c h e r L e i d e nschis zur thätigsten Leidenschaft, so bald es darauf ankam einem unglücklichen Freunde'Dienste zu leisten. Es giebt kein Vergnügen, welches sie nicht in «iuem solchen Falle den Pflichten der Freundschaft aufgeopfert hätte. Eine Veranlassung von dieser Art w a r es, w a s sie auf einige Tage von Sinyrna abgerufen hatte. Agathon mufste zurück bleiben, und die gütherzige Danae', zufrieden mit dem Beweise seiner Liebe den ihr sein Schinerz beym Abschied gab, versüfste sich ihren eigenen durch die Vorstellung, dafs eine kurze Trennung ihm den W e r t h seiner Glückseligkeit weit lebhafter zu fühlen geben w e r d e , als eine ununterbrochene Gegenwart. Ruhig über den Besitz seines Herzens , empfahl sie ihm , sich, während ihrer Abwesenheit, kein Vergnügen, so ihm das reiche und wollüstige Smyrna verschaffen konnte, zu versagen; und empfahl es ihm desto eifriger, je gewisser sie w a r , dafs sie von dergleichen Zerstreuungen nichts zu besorgen habe. Allein Agathon hatte bereits angefangen den Geschmack an diesen Lustbarkeiten zu verlieren. So lebhaft, so mannigfaltig, so berauschend sie seyn mögen, so sind sie doch nicht f ä h i g , einen edlern Geist lange einzunehmen. Als eine B e s c h ä f t i g u n g betrachtet, können

N E U N T E S

B U C H .

5. K a p i t e l .

171

sie es nur f ü r L e u t e s e y n , die sonst zu nichts taugen; und V e r g n ü g 11 n g e n bleiben sie n u r , so lange sie n e u sind. J e l e b h a f t e r sie sind, desto eher folgen S ä t t i g u n g und E 1 111 ii d u n g J alle ihre anscheinende Mannigfaltigkeit kann bey einem fortgesetzten Gebrauch d a s E i n f ö r m i g e nicht verbergen, w o durch sie endlich selbst der verdienstlosester» Klasse der Weltmenschen ekelhaft werden. D i e Abwesenheit derDanae benahm ihnen vollends » o r b den einzigen R e i t z , den sie f ü r ihn hat» ten haben können , das Vergnügen an dem An» theil den sie daran genommen hätte. E r b r a c h t e also Bteynahe die ganze Zeit ihrer Abwesenheit in einer Einsamkeit z u , von welcher ihn das beschäftigte L e b e n zu Athen und die w o l lüstige M u f s e zu S m y m a schon etliche Jahre entwöhnet hatten. Hier ging es ihm Anfangs w i e denen , welche aus einem stark erleuchteten Ort auf einmahl ins Dunkle kommen. Seine Seele fühlte sich l e e r , w e i l sie allzu voll war. E r schrieb diefs der Abwesenheit seiner Freundin zu. E r f ü h l t e , dafs sie ihm mangelte; und dachte nicht daran, dafs er sie weniger vermifst haben w ü r d e , wenn 4>e Nerven seines Geistes durch die Gewohnheit einer wollüstigen L e i d s a m k e i t nicht eingeschläfert worden wären. D i e ersten Tage schlichen für ihn in einer Art von zärtlicher Melankolie v o r b e y , welche

»7 2

"

A G A T II O K.

nicht ohne Anmuth war. D a n a e w a r beynahe der einzige Gegenstand, womit seine in sich selbst zurück gezogene Seele sich beschäftigte, O d e r , wenn seine Erinnerung auch in ältere Zeiten zurück ging , w e n n sie ihm das Bilst ärgerlich gefunden h a t t e , die Geduld gänzlich aus.- E r setzte den Sofiäte'n mit aller Hitze eines in dem Ge«enstande'seiner Anbetung beleidigten Liebhabers w e g e n des zvveydeutigen Tons r.ur R e d e , womit et sich a n m a f s e , von einer Person w i e Danae zu sprechen. Aber sein U n w i l l e sowohl als seine V e r w i r r u n g stieg auf den höchsten Grad, da er s a h , dais eiir satyrinafsiges Gelächter, die g a n z e Antwort des Hippias w a r . E s ist so leicht vorauä zu sehen, w a s f ü r einen Ausgang diese Scene nehmen mufsfs, dafs w i r nach a l l e m , \Vas von den Absichten des Sofisten bereits gesagt worden i s t , den L e s e r seiner eigenen Einbildung überlassen können. Ungeduldige Fragen auf der einen» Ausflüchte und schalkhafte W e n d u n g e n auf der andern S e i t e ; bis sich Hippias auf vieles Zureden endlich das Geheimnifs des w a h r e n Standes der schönen D a n a e , und derjenigen Anekdoten , w e l c h e w i r unsern Lesern schon im dritten Kapitel des vierten Buches verrathen h a b e n , mit einer G e w a l t , w e l c h e r seine vorgebliche Freundschaft für Agathon nicht wider» stehen k ö n n e , nbriöthigen liefs. W i r haben schon b e m e r k t , w i e viel bey E r z ä h l u n g einer Begebenheit auf die A b s i c h t des Erzählers ankomme. D a n a e erzählte ihre Geschichte mit der unschuldigen Absicht i t i WIENANDS tiusmil. W, II. B, M

»78

A O A X K O N.

g e f a l l e n . Sie sah natürlicher W e i s e ihre Aufführung, ihre Schwachheiten, ihre Fehltritte selbst, in einem mildern, und (lasset uns die Wahrheit s a g e n ) in einem w a h r e r n Licht als die W e l t ; welche auf der einen Seite von allen den klgjnen Umständen, die uns rechtzeitigen, oder wenigstens unsre Schuld vermindern, nicht unterrichtet, und auf der andern boshaft genug i s t , u m i h r e s g r ö f s e r n V e r g n ü g e n s w i l l e n das Gemähide unsrerThor» heiten mit tausend Zügen zu ü b e r l a d e n , um welche es zwar w e n i g e r w a h r aber d e s t o k o m i s c h e r wird. Unglücklicher W e i s e für s i e erforderte die Absicht des Hipp i a s , dafs er diese schalkhafte Kunst, eine Begebenheit ins Häfsliche zu mahlen, so weit treiben mufste, als es die Gesetze der W a h r scheinlichkeit nur immer erlauben konnten. Unser Held glich während dieser Entdekkungen mehr einer Bildsäule oder einem Todten, als sich selbst. Kalte Schauer und fliegende Gluth fuhren wechselsweise durch seine Adern. Seine von den widerwärtigsten Leidenschaften auf einmahl bestürmte Brust athmete so langsam, dafs er in Ohnmacht gefallen w ä r e , wenn nicht Eine davon plötzlich die Oberhand behalten, und durch den heftigsten Ausbruch dem geprefsten Herzen Luft gemacht hätte. Das L i c h t , worin ihm Hippias seine

BUCH.

3.

Kapitel.

»79

Göttin «eigte, machte mit demjenigen, worin er sie zu sehen gewohnt w a r , einen so belei* digenden Kontiast, der Gedanke, sich so seht betrogen zu haben, war so unerträglich, dafrf es ihm unmöglich fallen juufste, dem Sofi«ten v Glauben beyzumessen. Der ganze Sturm, •'¡er «eine Seele schwellte, brach also über den V e r r ä t h e r aus. Er nannte ibn einen falschen Freund, einen Veileumder, einen Nichtswürdigen — rief alle rächende Gottheiten gegen ihn auf — schwor, wofern er die Be? schuldigungen, womit er die Tugend der schönen Danae au beschmitzen sich erfrechte, nicht bis zur unbetiüglichsten Evidenz erweisen Werde, ihn als ein das Sonnenlicht befleckende» Ungeheuer zu vertilgen, und seinen ver* fluchteh Rumpf unbegraben den Vögeln des Himmeln Preis zu geben. Hippias sah diesem Sturme mit der Geläs» senheit eines Menschen z u , der die Gewalt der Leidenschaften kennt; so ruhig, wie einer» der vom sichern Ufer dem wilden Aufruhr defc Wellen zusieht, denen er glücklich entgangen ist. Ein mitleidiger Blick, dem ein schalkhaf» tes Lächeln seinen zweydeutigen Werth vollends benahm, war alles was er dem Zovne des aufgebrachten Liebhabers entgegen setzte. Agathon stutzte darüber. Ein schrecklicher Zweifel warf ihn auf einmahl auf die entgegen

l8°

;

A

G A T H O K.

gesetzte Seite. Rede,' Grausamer, rief er aus, rede! Beweise deine hassenswürdigen Anklagen so-klar als Sonnenschein; oder bekeuue, dafs du ein verrätheristhsr Eleader bist, und vergeh vor Scham ! Bist du bey Sinnen, Kallias? antwortete der S,ofist mit dieser verruchten Gelassenheit, welche in solchen Umständen der triunifierenden Bosheit eigen ist — Komm erst zu dir selbst; so bald du fähig seyn w i r s t , Vernunft anzuhören, will ich reden. Agathon schwieg; denn was kann derjenige s a g e n , der nicht weifs was er denken soll ?

Wahrhaftig, fuhr Hippias fort, ich begreif© nicht, was für eine Ursache du zu haben glaubst, den r a s e n d e n A j a x mit mir zu spielen. W e r redet von Beschuldigungen ? W e r klagt die schöne Danae an ? Ist sie vielleicht weniger liebenswürdig,.weil du weder der erste bist der sie gesehen , noch der erste der sie empfindlich gefunden h a t ? W a s für Launen sind das? Glaube mir, jeder andre als du hätte nichts weiter nöthig gehabt als s j. e z u s e h e n,* , tim meine Nachrichten glaubwürdig zu finden. Ihr blofser Anblick ist ein Beweis. Aber d a forderst einen s t a r k e m ? D u sollst ihn haben, Kallias. W a s sagtest du, wenn ich selbst einer von denen gewesen wäie, welche sich rühmen

N E U S T «

3

B U C H .

3. K a p i t e l .

xßi

fcönnen,> die schöne Danae empfindlich gese» hen zu haben 'i D u ? rief Agathon mit'einem ungläubigen Erstaunen; welches eben nicht schmeichelhaft für die Eitelkeit des Sofisten war. J a , Kallias, ich; ich, wie du mich hier siebest, zehn oder zwölf Jahre abgerechnet, um welche ich damahls geschickter seyn mochte, den Beyfall einer schönen Dame zu erhalten. D u glaubst vielleicht ich scherze 5 nbfr ich bia überzeugt, dafs deine Göttin selbst zu edel denKt, um dir, wenn du sie mit guter Art fragen wirst, eine Wahrheit verhalten zu wollen, von welcher ganz Smyrna zeugen könnte. Hier fuhr der barbarische Mensch fort, ohne das geringste Mitleiden mitdem Zustande, worein 'er den armen Agathon durch seine Prahlereyen setzte, die genossenen Glückseligkeiten von Stück zu St ück, in einem Tone von Wahrheit und mit einer Munterkeit zu beschreiben, welche seinen Zuhörer beynahe zur Verzwejfi Jung brachte. E s ist vorbey! fiel er endlich dem Sofisten mit einer so heftigen Bewegung in die R e d e , dafs er in diesem Augenblicke mehr als ein Mensch au seyn schien 9

fc-arf, und sich diese Glückseligkeiten lebhafter v o r s t e l l t e , denen er nun f r e y w i l l i g e n t ^ e n w o l l t e , um sich von n e u e m , a l s ein im Oceari de« W e l t herum treibender Verbannter, den Zuf ä l l e n einer Ungewissen Z u k u n f t a u s z u s e t z e n . >

D i e s e r letzte Gedanke machte ihn s t ü t z e n ? e h e r er w u r d e bald von andern V o r s t e l l u n g e n •verdrängt, die ein Herz w i e das seiriige w e i t Stärlier rühren mufsten, als alles w a s ihr. a l l e i n und unmittelbar a n g i n g . E,r s e t z t e S i c h a n d i e S t e l l e d e r D a r i a e , E r mahlte sich i h r e n Schmerz vor, w e i i n sie b e y ihrer W i e d e r k u n f t seine F l u c h t erfahren würden S i e halte! i h n so zärtlich g e l i e b t ! Alles B ö s e , w a s ¡hm H i p p i a s von ihr g e s a g t , alles w a s er selbst h i n z u gedacht h a t t e , konnte in diesem Augenblicke' d i e Stimme des G e f ü h l s nicht .übertäuben; w e l c h e s ihn ü b e r z e u g t e , dafs er W a h r h a f t i g geliebt W ö r d e » w a r . W e h n die Gröfse ünsrer L i e b e das natüi liehe M a f s unsrer Schmerzen über den V e r l u s t des Geliebten ist,- w i £ u n g l ü c k l i c h mufste Danae w e r d e n ! Da» M i i l e i d e n , w e l c h e s diese Vorstellung in ifim, e r r e g t e , machte sie w i e d e r zu einem interes- 1 santerl Gegenstand f ü r sein I i e r z . Ihr Bild stellte sich ihm w i e d e r mit allen den Reitzun* gen d a r , deren Z a u b e r g e w a l t er so oft .erfahren hatte. W a s für E r i n n e r u n g e n ! Er k a p n t e sich nicht e r w e h r e n , ihnen etliche A u g e n b l i c k e WIENANDS säniuitl. W ; II. B;

'

Q

219

A

C A

T II O

K,

n a c h z u h a n g e n ; und mit jedem fühlte er w e n i ger Kraft, sich w i e d e r davon los zu reifsen. Seine schon halb überwundene Seele widerstand noch, aber immer schwächer. Amor, um desto g e w i s s e r zu siegen, verbarg sich unter die rührende Gestalt des M i t l e i d e n s , der Grofsmuth, der Dankbarkeit. — W i e ? er sollte eine so inbrünstige Liebe mit so schnödem Undank erwiedern ? einer Geliebten, in dem Augenblick, da sie in die getreuen Arme eines Freundes zurück z u eilen g l a u b t , einen Dolch in diesen Busen stofsen, w e l c h e r s i c h , von Zärtlichkeit ü b e r w a l l e n d , ' an den seinigen drücken w i l l ' ? sie verlassen, sich heimlich von ihr w e g s t e h l e n ? W ü r d e sie den Tod von seiner I l a n d , in Vergleichung mit einer solchen Grausamkeit, nicht als eine W o h l t h a t angenommen h a b e n ? So w ü r d e i h m zu M u t h e gewesen seyn, w e n n er sich an ihrem Platz setzte; und diefs thut die Leidenschaft allezeit — w e n n sie ihren Vortheil dabey findet. A l l e n diesen zärtlichen Bildern stellte sein gefafster Entschlufs z w a r die G r ü n d e , welche w i r kennen , entgegen : aber diese Gründe hatten von dem Augenblicke a n , da sich sein Herz wieder auf die Seite der schönen Feindin seiner Tugend n e i g t e , die Hälfte von ihrer Stärke verloren. Die Gefahr w a r dringend: jede M i n u t e entscheidend. D e n n die W i e d e r -

N E U N T E S

knnft

BUCH.

tief Danae w a r

nidht Zu z w e i f e l n ,

6.

K a p i t e l .

ungewifs;

dafs s i e ,

den

hätte,

alle

die

und

wofern

sta rechter Zeil angelangt w ä r e ,

¿ i i

es

sie'

Mittel

widrigen

ist nocli

gefun-

Eindruck*

der

V e r r ä l l i a r e y des Solisten aus einem H e r n « ausz u l ö s c h e n , w e l c h e s so v i e l V o r t h e i l dabey hatte' sie unschuldig zu l i n d e n . Ein g l ü c k l i c h e r

Z u f a l l —» D o c h ,

w o l l e n w i r dem Z u f a l l Beweisen Macht

sollte, ist,

dafs

welche

warutii-

zuschreiben, eine

sieli

was.ün»

unsichtbar©

immer

bereit zeigt,

der sinkenden T u g e n d die Hand zu r e i c h e n ? E i n e wohlt-hälige S c h i c k u n g a l s o , fügte e s , d a f s Agathon

in

diesem

zweifelhaften

Augenblick^

u n t e r dem Gedränge der Fremden

r

w e l c h e die

Handelschaft v o n a l l e » Weltgegenden

hijr n a c h

S m y r n a f ü h l t e , einen Mann e r b l i c k t e , z u Athen v e r t r a u l i c h trächtliche

gekannt

Dienstleistungen

G e l e g e n h e i t gehabt

hatte.

und

be-

sieh z u verbinde»! Es

war

mann v o n S y r a k u s , der mit den k e i t e n seiner Profession

den er

durch

einen

ein

Kauf-

Geschicklich--

rechtschaffenen,

K ^ r a k t e v , und (was b e y den G r i e c h e n selten w a r als bey uns) mit beiden die

weniger; Liebe«

d e r M u s e n v e r b a n d ; eine Eigenschaft,' w e l c h e ihn dem

Agathon

desto

angenehmer,

so 'wie

sie i h n desto fähiger gemacht h a l l e , den AVerth Agathons bezeigte

zu

schätzen.

Der

die lebhafteste F r e u d e

Syrakusaner über

eine SO

212

A

G A

T

II

O

N.

unverhoffte Z u s a m m e n k u n f t , und bot uiiserm Helden seine Dienste mit derjpnigen Art an, welche b e w e i s t , dafs man begierig ist sie angenommen zu sehen; denn Agathons Verbannung von Athen war eine zu bekannte Sache, als dafs sie in irgend einem Theile von Griechenland hätte unbekannt seyn können. N a c h einigen Fragen und Gegenfragen, w i e sie udter Freunden gewöhnlich s i n d , die sich nach einer geraumen Trennung unvermuthet zusammen finden, berichtete ihm der Kaufmann als eine Neuigkeit, welche die Aufmerksamkeit aller Europäischen Griechen beschäftigte, die außerordentliche Gunst, worin P I a t o bey dem jüngern D i o n y s i u s z u S y r a k u s stehe; die filosofisch^ Bekehrung dieses Prinzen; und die grofsen Erwartungen, mit welchen Sicilien den glückseligen Zeiten entgegen, s e h e , die eine so wundervolle Veränderung verspreche. E r endigte damit, dafs e r d e n Agathon einlud, wofern ihn nichts wichtigers in Smyrna zurück hielte, ihn nach Syrakus zu begleiten , welches im Begriff s e y , ein Sammelplatz der Weisesten und Tugendhaftesten zu w e r d e n ; und dabey «leldete er ihm, dafs sein Schiff bereit sey noch diesen Abend abzusegeln. E i n F u n k e , der in eine Pul vermine fällt, richtet keine plötzlichere Entzündung an, als die Revoluzion w a r , die bey dieser Nachricht in

N E U S T E S

B U C H .

6.

Kapitel.

2 1 5

unserm. H e l d e n vorging. Seine ganze Seele l o d e r t e , w e n n w i r so sagen k ö n n e n , in einen einzigen Gedanken auf. Aber w a s f ü r ein G e danke w a r d a s ! — P l a t o , ein F r e u n d des D i o n y s i u s ! — D i o n y s i u s , ber-üchtiget durch die a u s s c h w e i f e n d s t e L e b e n s a r t , in w e l c h e sich eine durch u n u m s c h r ä n k t e G e w a l t übermütliig gemachte J u g e n d dahin stürzen k a n n , D i o n y sius der T y r a n n , ein L i e b h a b e r der Filosofie, ein L e h r l i n g der T u g e n d ! — U n d Agathon sollte die B l ü t h e seines L e b e n s in müi>iger W o l l u s t verderben l a s s e n ? Sollte nicht eilen, dem göttlichen W e i s e n , dessen erhabene L e h ren er zu A t h e n so rühmlich a u s z u ü b e n a n g e f a n g e n h a t t e , das glorreiche W e r k vollenden zu h e l f e n , einen zügellosen T y r a n n e n in einen g u t e n F ü r s t e n z u v e r w a n d e l n , u n d die Glückseligkeit einer ganzen l^azion zu befestig e p ? — W a s f ü r A r b e i t e n ! was f ü r Aussichten f ü r eine Seele w i e die seinige! Sein ganzes H e r z w a l l t e ihnen entgegen. E r f ü h l t e wieder, dafs er A g a t h o n w a r ; f ü h r t e diese m o r a l i s c h e L e b e n s k r a f t w i e d e r , die u n s M u t h u n d Begierden g i e b t , u n s zu einer edeln Bestimm u n g geboren zu glguben, und diese A c h t u n g f ü r s i c h s e l b s t , w e l c h e eine von den stärksten S c h w i n g f e d e r n der T u g e n d ist. N u n b e d u r f t e es keines K ä m p f e s , keiner gewaltsamen A n s t r e n g u n g mehr, sich von D a n a e lo&zureifsen, um m i t allein F e u e r eines L i e b h a b e r s , der

i l 4

A

O A

T

H O

ji.

nach einer langen Trennung zu seiner Gelieb« ten zurück e i l t , sich w i e d e r in die Anne der Ttigend zu werfen. Sein Freund yon S y r a k u ? harte keine Überredungen vonnöthen ; Agathon nahm sein Anerbieten mit der lebhaftesten Freude an. Da er von allen Geschenken, w o mit ihn die freygebige Danae überhäuft hatte, nichts behalten w o l l t e , als w a s zu den nöthigsten Bedürfnissen seiner R e i s e unentbehrlich w a r , so brauchte er w e n i g Z e i t , um reisefertig ¡su seyn. D i e günstigsten W i n d e schwellten die Segel, welche ihn aus dem verderblichen S m y r n a entfernten; und so herrlich w a r der Triumf, den die Tugend in dieser glücklichen Stunde Über,ihre Gegnerin erhielt, dafs er dieanmuths» vollen Asiatischen Ufer aus seinen Augen verschwinden s a h , ohne den Abschied, den er auf e w i g von ihnen n a l u n , nur mit einer Tliräne » u zieren, „ S o ? — Und w a s w u r d e nun ( h ö r e n w i r irgend eine junge Schöne f r a g e n , der ihr Herz s a g t , dafs sie es der Tugend nicht verzeihen w ü r d e , wenn sie ihr ihren Liebhaber so unbarmherzig entführen w o l l t e ) — w a s w u r d e nun aus der armen D a n a e ? " — A c h ! von dieser w a r itzt die Rede nicht m e h r ? — „ U n d der t u g e n d h a f t « - Agathon bekümmerte sich so w e n i g darum , ob seine Untreue ein Herz, w e l ches ihn glücklich gemacht h a t t e , iu Stücken

NEUNTES

BUCH.

6. K a p i t e l .

215

brechen werde oder n i c h t ? " — Aber, meine schöne Freundin, was hätte er thun sollen) nachdem er nun einmahl entschlossen w a r ? Um nach Syrakus zu gehen, mufste er Smyrna verlassen; und nach Syrakus m u f s t e er doch gehen, wenn Sie alle Umstände unparteyisch in Betrachtung ziehen. Oder wollten Sie lieber, dafs ein Agathon sein ganzes Leben am ' Busen der zärtlichen Danae hätte hinweg buhlen sollen ? Und sie nach Syrakus mitzunehmen , war aus mehr als feiner. Ursache nicht zu rathen, gesetzt auch, dafs sie um seinetwillen Smyrna hätte verlassen wollen. Oder meinen sie vielleicht, er hätte warten und erst die Einwilligung seiner Freundin zu erhalten suchen sollen ? Diefs wäre alles gewesen w a i er hätte thun können, wenn er die Absicht gehabt hätte, d a z u b l e i b e n . Alles wohl überlegt, konnte er also, d ä u c h t u n s , weder mehr noch weniger thun als er that. Er hinterliefs ein Briefchen, worin er ihr sein Vorhaben mit einer Aufrichtigkeit entdeckte, wel* che zugleich die Rechtfertigung desselben aus« macht. Er spottete ihrer nicht durch Liebesversicberungen, welche den Widerspruch mit seinem Betragen beleidigend gemacht hätte; hingegen erinnerte er sich dessen, w a s sie um ihn verdient hatte, zu wohl, um sie durch Vorwürfe zu kränken. Gleichwohl entwischte ihm lieym Schlufs ein Ausdruck, den er vermutblich

A G A T II O K. grofsnriithig genug gewesen w ä r e , wiedef auszulöschen , wenn er Zeit gehabt Lätte sich zu •bedenken. Denn ,er endigte sein Briefchen dam i t ,