Businesskontakte zwischen Deutschen und Tschechen: Kulturunterschiede in der Wirtschaftszusammenarbeit [1 ed.] 9783896448637, 9783896731227

Die Autorin zeigt in ihrem Buch die verschiedenen Arbeitsstile von Deutschen und Tschechen auf und analysiert die diesen

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German Pages 360 Year 2001

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Businesskontakte zwischen Deutschen und Tschechen: Kulturunterschiede in der Wirtschaftszusammenarbeit [1 ed.]
 9783896448637, 9783896731227

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Sylvia Schroll-Machl

Businesskontakte zwischen Deutschen und Tschechen Kulturunterschiede in der Wirtschaftszusammenarbeit

Verlag Wissenschaft & Praxis

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schroll-Machi, Sylvia: Businesskontakte zwischen Deutschen und Tschechen : Kulturunterschiede in der Wirtschaftszusammenarbeit / Sylvia Schroll-Machl - Sternenfels : Verl. Wiss, und Praxis, 2001 Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-89673-122-X

D355

ISBN 3-89673-122-X © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2001 Nußbaumweg 6, D-75447 Sternenfels Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094

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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany

Vorwort Das Aufwachsen im Bayerischen Wald am ehemals ’’eisernen Vorhang” bedeutete für mich das intensive Erleben einer Grenze: ’’einer Grenze, die nicht nur regionale und landschaftliche Gliederung bedeutete, die nicht nur Staatsgrenze ist, sondern auch zur sprachlich-ethnischen, zur ideologisch-nationalen Grenze wurde, zur Grenze im Kopf; die nicht nur räumlich gliedert, sondern auch Epochen erlebter Geschichte abgrenzt.” (Eisch, 1996, S. 11). Die Grenze strukturierte Begegnungsund Erfahrungsmöglichkeiten, ordnete das Selbstverständnis in einander gegenü­ berstehenden ’’Blöcken”. Und gleichzeitig existierte eine Faszination für die gro­ ßen kulturellen Leistungen "drüben” - in meinem Fall vor allem Begeisterung für Musik diverser Epochen und Länder -, sowie für etliche architektonisch herrliche Orte und wunderschöne, vielfach unberührtere Landschaften. Eindrücke vom all­ täglichen und konkreten Leben der Menschen im ’’Osten” gewährten mir nur mei­ ne regelmäßigen jährlichen Besuche bei den Verwandten in der DDR. Und dann kam das Jahr 1989: die Wende. Die Grenze war plötzlich durchlässig, das jeweili­ ge Drüben für beide Seiten problemlos erreichbar. - Die Anfrage der Wirtschafts­ universität Wien, ob ich ein Forschungsprojekt zum Kulturvergleich postkommu­ nistischer Länder mit dem deutschsprachigen Raum übernehmen würde, konnte ich daher nur hocherfreut annehmen: Ich war zu neugierig auf unsere ’’neuen” Nachbarn, zu interessiert, wie es ihnen geht; ich fand es zu spannend, wie sich der Transformationsprozess entwickeln würde. Und so begann mein Forschungsvor­ haben zu Mittel-Ost-Europa, das sich schließlich zunehmend auf Tschechien kon­ zentrierte und in die hier vorliegende Arbeit mündete. Berufsbegleitend eine Dissertation zu schreiben, heißt, sich einem gehörigen Maß an zusätzlichem Arbeitspensum zu unterwerfen und mit eiserner Disziplin das gesteckte Ziel über Jahre hinweg zu verfolgen: an Wochenenden und Feiertagen, im Urlaub, auf Dienst- und Ferienreisen mit dem Laptop im Gepäck, in unver­ hofften zeitlichen Lücken (wenn Trainings kurzfristig abgesagt werden) und in allen erdenklichen Situationen ruhiger Stunden wie z.B. auf Zugreisen oder abends im Hotel. Umso mehr bin ich mir der Leistungen und der Beiträge all derer bewusst, die mich auf vielfältige Art unterstützt haben. Denn, dass diese Ergeb­ nisse so, wie sie hier vorliegen, entstehen konnten, verdanke ich vielen:

... allen voran meinem tschechischen Forschungs- und Trainingspartner Prof. Ing. Ivan Novy, CSc., der mich in jeder Phase dieser Arbeit unterstützte und begleitete und bei der Datenauswertung durch die vielen und langen Diskussionen des Kate­ goriensystems schließlich immer mehr das ’’tschechische Ich” der Arbeit wurde. Er trug damit nicht nur maßgeblich zum Inhalt dieses Buches bei, sondern ist auch

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Sympathieträger fur die tschechischen Kulturstandards - durch seine Person ge­ nauso wie durch seine Fähigkeit, diese Kulturstandards gelassen, humorvoll, wohlwollend und kritisch zugleich reflektieren zu können.

... Univ.Prof. Dr. Gerhard Fink von der Wirtschaftsuniversität Wien, der den eigentlichen Anstoß zu diesem Forschungsvorhaben gab und unter dessen Leitung die vorliegende Arbeit in der Anfangsphase durch das Millenniumsprojekt ’’Kultur und Management” des Österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr unterstützt wurde.

... Prof. Dr. Alexander Thomas für die Betreuung der Arbeit, die ich mir mensch­ lich und fachlich nicht besser hätte vorstellen können. Ganz besonders angenehm und kooperativ empfand ich angesichts meiner beruflichen Rahmenbedingungen seine stets hohe Flexibilität, mit der in allen Stadien die Besprechungen der Inhalte und die Vereinbarungen der nächsten Schritte erfolgen konnte. ... sämtlichen Interviewpartnem, die sich Zeit genommen hatten, mir über ihre Er­ fahrungen zu berichten. ... allen Informanden, die mir die deutsche bzw. tschechische Perspektive für die gesammelten Erfahrungen erläuterten. ... allen Teilnehmern meiner / unserer (deutsch-tschechischen) Seminare und Trai­ nings, die mir durch ihre Offenheit einen Einblick in ihre Schwierigkeiten und ihre Wege, diese zu meistem, gewährt haben. ... Kollegen, Bekannten, Freunden und Familienangehörigen, die das Werden der Arbeit miterlebt und mich durch anregende Diskussionsbeiträge, fruchtbare Hin­ weise, ermutigenden Zuspruch sowie Zurückhaltung eigener Ansprüche an mich unterstützt haben. Besonders erwähnen möchte ich Markus Molz, der mir ent­ scheidende Denkanstösse gab.

Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle noch einmal herzlichst danken!

Sylvia Schroll-Machl

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Inhaltsverzeichnis Vorwort

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Inhaltsverzeichnis

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1. Einführung

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2. Theoretische Grundlagen

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2.1. Darstellung des „klassischen Ansatzes“ der Kulturstandardforschung - Grundbegriffe 2.1.1. Der Kulturbegriff 2.1.2. Kulturstandards 2.1.3. Attribution 2.1.4. Handlungstheorie 2.1.5. Kulturelle Überschneidungssituation

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2.2. Ein Ansatz zur Dynamisierung und Differenzierung des Kulturstandardkonzepts: Bipolare Kulturstandards 2.2.1. Grenzen und Kritik des „klassischen“ KulturStandardkonzepts 2.2.2. Die Logik der (prä-)adaptiven Gegensätze nach Demorgon 2.2.3. Grenzen des Demorgon-Konzepts 2.2.4. Ein neuer Weg: Bipolare Kulturstandardpaare

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2.3. Forschungsleitende Hypothesen

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2.4. Forschen im bikulturellen Team

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2.5. Der Anwendungsbezug: Interkulturelles Lernen 2.5.1. Interkulturelles Lernen nach Thomas 2.5.2. Interkulturelles Lernen nach Demorgon 2.5.3. Der Beitrag des vorliegenden Ansatzes der Kulturstandardpaare für Interkulturelles Lernen

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3. Methodisches Vorgehen: Die empirische (Re-)Konstruktion zentraler tschechischer und (westdeutscher Kulturstandards

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3.1. Erhebung kritischer Interaktionssituationen 3.1.1. Die Technik der „Kritischen Ereignisse“ (critical incident technique) 3.1.2. Die Erhebungsverfahren 3.1.2.1. Das narrative Interview 3.1.2.2. Selbstbeobachtung 3.1.2.3. Beobachtung 3.1.3. Beschreibung der Stichprobe 3.1.4. Durchführung und Ergebnisse der Interviews

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3.2. Aufbereitung kritischer Interaktionssituationen

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3.3. Erhebung kulturadäquater Attributionen (eigenkulturelle Beurteilungen) 3.3.1. Das Erhebungsverfahren: Triangulation 3.3.1.1. Schriftliche Befragung 3.3.1.2. Gruppendiskussion 3.3.1.3. Expertenbefragung 3.3.1.4. Selbstbeobachtung 3.3.2. Auswahl der Informanden

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3.4. Identifizierung zentraler tschechischer und (west)deutscher Kulturstandards 3.4.1. Das Analyseverfahren 3.4.2. Durchführung der Inhaltsanalyse 3.4.3. Diskussion des Kategoriensystems mit dem tschechisehen Partner

4. Ergebnisse der Untersuchung: Tschechische und (west)deutsehe Kulturstandards im Vergleich 4.1. Kulturstandardpaar: Personbezug versus Sachbezug 4.1.1. Die synchrone Perspektive 4.1.1.1. Der tschechische Kulturstandard „Personbezug“ 4.1.1.2. Der (west)deutsche Kulturstandard „Sachbezug“

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4.1.1.3. Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstandardpaares „Personbezug-Sachbezug“ 4.1.2. Die dynamische Perspektive 4.1.2.1. Vernetzung der Kulturstandards 4.1.2.2. Kultureller Wandel im Transformationsprozess 4.1.3. Die strategische Perspektive 4.1.3.1. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Personbezug“ 4.1.3.2. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Sachbezug“ 4.2. Kulturstandardpaar: Abwertung von Strukturen versus AufWertung von Strukturen 4.2.1. Die synchrone Perspektive 4.2.1.1. Der tschechische Kulturstandard „Abwertung von Strukturen“ 4.2.1.2. Der (west)deutsche Kulturstandard „Aufwertung von Strukturen“ 4.2.1.3. Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstandardpaares „Abwertung von Struk­ turen - Aufwertung von Strukturen“ 4.2.2. Die dynamische Perspektive 4.2.2.1. Vernetzung der Kulturstandards 4.2.2.2. Kultureller Wandel im Transformationsprozess 4.2.3. Die strategische Perspektive 4.2.3.1. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „AbWertung von Strukturen“ 4.2.3.2. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „AufWertung von Strukturen“ 4.3. Kulturstandardpaar: Simultanität versus Konsekutivität 4.3.1. Die synchrone Perspektive 4.3.1.1. Der tschechische Kulturstandard „Simultanität“ 4.3.1.2. Der (west)deutsche Kulturstandard „Konsekutivität“ 4.2.1.3. Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstandardpaares „Simultanität - Konseku­ tivität“ 4.3.2. Die dynamische Perspektive 4.3.2.1. Vernetzung der Kulturstandards 4.3.2.2. Kultureller Wandel im Transformationsprozess

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4.3.3. Die strategische Perspektive 4.3.3.1. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Simultanität“ 4.3.3.2. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Konsekutivität“ 4.4. Kulturstandardpaar: Personorientierte Kontrolle versus regelorientierte Kontrolle 4.4.1. Die synchrone Perspektive 4.4.1.1. Der tschechische Kulturstandard „Personorientierte Kontrolle“ 4.4.1.2. Der (west)deutsche Kulturstandard „Regelorientierte Kontrolle“ 4.4.1.3. Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstandardpaares „Personorientierte Kon­ trolle - regelorientierte Kontrolle“ 4.4.2. Die dynamische Perspektive 4.4.2.1 .Vernetzung der Kulturstandards 4.4.2.2 . Kultureller Wandel im Transformationsprozess 4.4.3. Die strategische Perspektive 4.4.3.1. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Personorientierte Kontrolle“ 4.4.3.2. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Regelorientierte Kontrolle“

4.5. Kulturstandardpaar: Diffusion von Persönlichkeits- und Lebensbereichen versus Trennung von Persönlichkeits- und Lebens­ bereichen 4.5.1. Synchrone Perspektive 4.5.1.1. Der tschechische Kulturstandard „Diffusion von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“ 4.5.1.2. Der (west)deutsche Kulturstandard „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“ 4.5.1.3. Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstandardpaares „Diffusion von Persönlich­ keits-und Lebensbereichen - Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“ 4.5.2. Die dynamische Perspektive 4.5.2.1. Vernetzung der Kulturstandards 4.5.2.2. Kultureller Wandel im Transformationsprozess 4.5.3. Die strategische Perspektive

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4.5.3.1. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Diffusion von Persönlichkeits- und Lebens­ bereichen“ 4.5.3.2. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Trennung von Persönlichkeits- und Lebens­ bereichen“ 4.6. Kulturstandardpaar: „Starker Kontext “ versus „ schwacher Kontext“ 4.6.1. Die Synchrone Perspektive 4.6.1.1. Der tschechische Kulturstandard „Starker Kontext“ 4.6.1.2. Der (west) deutsche Kulturstandard „Schwacher Kontext“: 4.6.1.3. Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstandardpaares „Starker Kontext - schwa­ cher Kontext“ 4.6.2. Die dynamische Perspektive 4.6.2.1. Vernetzung der Kulturstandards 4.6.2.2. Kultureller Wandel im Transformationsprozess 4.6.3. Die strategische Perspektive 4.6.3.1. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Starker Kontext“ 4.6.3.2. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Schwaeher Kontext“ 4.7. Kulturstandardpaar: Konfliktvermeidung versus Konfliktkonfrontation 4.7.1. Die synchrone Perspektive 4.7.1.1. Der tschechische Kulturstandard „Konfliktvermeidung“ 4.7.1.2. Der (west)deutsche Kulturstandard „Konfliktkonfrontation“ 4.7.1.3. Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstandardpaares „Konfliktvermeidung Konfliktkonfrontation“ 4.7.2. Die dynamische Perspektive 4.7.2.1. Vernetzung der Kulturstandards 4.7.2.2. Kultureller Wandel im Transformationsprozess 4.7.3. Die strategische Perspektive

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4.7.3.1. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Konfliktvermeidung“ 4.7.3.2. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Konfliktkonfrontation“ 4.8. Kulturstandardpaar: Schwankende Selbstsicherheit versus stabile Selbstsicherheit 4.8.1. Die synchrone Perspektive 4.8.1.1. Der tschechische Kulturstandard „Schwankende Selbstsicherheit“ 4.8.1.2. . Der (west)deutsche Kulturstandard „Stabile Selbstsicherheit“ 4.8.1.3. Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstandardpaares „Schwankende Selbst­ sicherheit - stabile Selbstsicherheit” 4.8.2. Die dynamische Perspektive 4.8.2.1. Vernetzung der Kulturstandards: 4.8.2.2. Kultureller Wandel im Transformationsprozess 4.8.3. Die strategische Perspektive 4.8.3.1. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Schwankende Selbstsicherheit“ 4.8.3.2. Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Stabile Selbstsicherheit“

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5. Diskussion und Interpretation

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5.1. Diskussion und Interpretation der Ergebnisse

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5.1.1. Historische Analyse und Interpretation der Befunde: Die diachrone Perspektive 5.1.1.1. Die tschechischen Kulturstandards 5.1.1.1.1. Personbezug 5.1.1.1.2. Abwertung von Strukturen 5.1.1.1.3. Personorientierte Kontrolle 5.1.1.1.4. Diffusion von Persönlichkeits- und Lebensbereichen sowie Simultanität 5.1.1.1.5. Starker Kontext 5.1.1.1.6. Konfliktvermeidung 5.1.1.1.7. Schwankende Selbstsicherheit

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5.1.1.2. Die deutschen Kulturstandards 5.1.1.2.1. Sachbezug 5.1.1.2.2. Aufwertung von Strukturen 5.1.1.2.3. Konsekutivität 5.1.1.2.4. Regelorientierte Kontrolle 5.1.1.2.5. Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen 5.1.1.2.6. Schwacher Kontext 5.1.1.2.7. Konfliktkonfrontation 5.1.1.2.8. Stabile Selbstsicherheit

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5.1.2. Vergleich der Ergebnisse mit anderen empirischen Wertestudien 244 5.1.2.1. Studien zu Tschechien 5.1.2.2. Studien zu (West)Deutschland 244 248 5.1.3. Vergleich der Ergebnisse mit Darstellungen wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Autoren 258 5.1.3.1. Zur tschechischen Kultur 5.1.3.2. Zur (west)deutschen Kultur 258 265 5.2. Diskussion der Methode 5.2.1. Die narrativen Interviews 287 5.2.2. Die Erhebung eigenkultureller Attributionen 287 5.2.2.1. Schriftliche Befragung 292 5.2.2.2. Gruppendiskussion 292 5.2.2.3. Expertenbefragung 293 5.2.2.4. Selbstbeobachtung 294 5.2.2.5. Abschließende Bewertung der Methoden295 triangulation 298 5.2.3. Qualitative Inhaltsanalyse 5.2.4. Hinweise auf die Qualität der Ergebnisse 299 302 5.3. Diskussion des Forschungsansatzes: Einlösung des theo­ retischen Anspruchs der Fortentwicklung des Kulturstandard305 konzepts? 5.3.1. Zur synchronen Perspektive 5.3.2. Zur dynamischen Perspektive 305 5.3.3. Zur strategischen Perspektive 308 5.3.4. Zur diachronen Perspektive 310 5.3.5. Zur dimensionalen Perspektive 310 5.3.6. Rückbezug auf die forschungsleitenden Hypothesen 311

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5.4. Forschen im bikulturellen Team

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5.5. Anwendungsbezug der Ergebnisse: Interkulturelle Trainings 5.5.1. Ziele und Wirkungen von Culture Assimilator Trainings 5.5.2. Kontrastiemen mit Kulturstandardpaaren 5.5.2.1. Erhalt von Feedback über den Ist-Zustand der Interaktion 5.5.2.2. Kontrastiemen erleichtert den Transfer 5.5.2.3. Bipolarität fordert Orientierung und reduziert Diskriminierung 5.5.3. Anwendung des Kulturstandardpaaransatzes in Interkulturellen Trainings bei VW-Skoda

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Literaturverzeichnis

Abbildungen

Abb. 1:

Ansatz der „Kulturstandardpaare“

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Abb.2:

Kritische Ereignisse in der Übersicht

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Abb.3:

Übersicht über die Interviewpartner

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Abb.4

Übersicht Methodenvielfalt

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Abb.5:

Ablaufplan des Kategorisierungsprozesses

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1. Einführung Problemstellung

In einer Welt, die sich immer schneller internationalisiert und globalisiert, steigt die Anzahl der Personen, die beruflich und privat mit Menschen aus anderen Kulturen zusammenarbeiten und zusammenleben. Um die dabei auftretenden An­ forderungen bewältigen zu können, bedarf es einer nationale und kulturelle Gren­ zen überschreitenden Verständigung. Dabei kommt es darauf an, dass die Partner - welcher Sprache sie sich auch immer bedienen - füreinander interkulturelles Verständnis aufbringen, d.h. ihre wechselseitigen Wünsche, Erwartungen, Ziele und Wertvorstellungen so aufnehmen und interpretieren, wie der Partner selbst es sieht und verstanden haben will. Zur Einlösung dieses Anspruchs bedarf es der Mühe, den „schwierigen oder strittigen Realitäten beharrlich auf den Grund“ zu gehen (Demorgon, 1999a, S. 64). Dies gilt auch und vielleicht sogar besonders für einander benachbarte Kulturen, weil sie schlicht und einfach viel miteinander zu tun haben. Da diverse interkulturelle und kulturvergleichende Studien zu Deutschland und seinen westlichen Nachbarn bereits existieren, wollte sich die Arbeit einem östlichen Nachbarn widmen: den Tschechen. Schließlich sind seit 1989 die Wirtschaftskontakte äußerst rege - Deutschland ist einer der Großin­ vestoren in der Tschechischen Republik - und Tschechien ist EU-Anwärter. Ziele der Arbeit

In der hier vorliegenden Untersuchung wurden folgende Ziele verfolgt: 1. Es sollte Datenmaterial erhoben werden, aus dem deutsche und tschechische Kulturstandards generiert werden können, die im Handlungsfeld „Wirtschafts­ kooperation“ handlungswirksam sind.

2. Dieses Datenmaterial sollte dabei nicht nur aus Sicht deutscher Manager und Mitarbeiter über das tschechische kulturspezifische Orientierungssystem Aus­ kunft geben, sondern es erlauben, auch die fremdkulturelle Sichtweise mit in Betracht zu ziehen, nämlich die Sicht tschechischer Manager und Mitarbeiter in bezug auf das deutsche Orientierungssystem. Kulturstandardpaare sollten das Ergebnis sein, die einander auf der deutschen und auf der tschechischen Seite entsprechen.

3. Methodisch sollte dazu sowohl eine enge Kooperation mit einem tschechischen Partner in einem bikulturellen Forschungsteam angestrebt werden wie auch die Entwicklung einer Methode, die diesen doppelten Blick ermöglicht. 15

4. Da eine Analyse kultureller Orientierungen ohne historische Perspektive defi­ zitär bliebe, sollte versucht werden, aus der äußerst komplexen deutschen und tschechischen Kulturgeschichte diejenigen zentralen Bestimmungsstücke he­ rauszuheben, die als plausible geschichtliche Basis für aktuelle kulturelle Ori­ entierungen gelten können. 5. Der Anwendungsbezug der Ergebnisse sollte in interkulturellen Trainings für die deutsch-tschechische Wirtschaftskooperation liegen.

Resultate In der vorliegenden Arbeit gelang es, diesen interkulturellen Anspruch einzulö­ sen, d.h. die interkulturelle Problematik nicht allein aus deutscher Sicht mit Blick auf die Tschechen zu analysieren oder nur aus tschechischer Sicht mit Blick auf das Verhalten der Deutschen, sondern beide Seiten gleichzeitig ins Blickfeld zu nehmen. Damit wird es jeder Seite ermöglicht, nicht nur die Sicht der anderen kennen zu lernen, sondern die eigenen Denk- und Verhaltensgewohnheiten wer­ den ihr auch aus der Sicht des anderen gespiegelt und vorgeführt. Erreicht werden konnte das (a) theoretisch durch den Rückgriff auf zwei TheorieKonzepte - den Kulturstandardansatz nach Thomas und die Multiperspektivische Theorie nach Demorgon- und (b) methodisch mit einem Mehrfach-MethodenAnsatz (Triangulation), der konsequenterweise in der Datenerhebung und der Datenauswertung auch die Zusammenarbeit mit dem tschechischen Partner selbst als interkulturelle Begegnungs- und Kooperationssituation thematisiert und als interkulturelles Handeln reflektiert. Die Kulturstandards konnten zudem multiperspektivisch differenziert werden (synchron, dynamisch, strategisch, diachron).

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2.

Theoretische Grundlagen

2.1.

Darstellung des „klassischen“ Ansatzes der Kulturstandardforschung Grundbegriffe

Zur Erreichung und zum Erhalt einer möglichst optimalen Handlungsfähigkeit streben Menschen danach, über sich selbst und ihre Umwelt ausreichend orientiert zu sein. Dies gelingt ihnen dann, wenn sie über verlässliche Informationen und Erfahrungen verfugen, und wenn sich ihre Umwelt und insbesondere ihre Interak­ tionspartner erwartungsgemäß verhalten. Erschwert wird die Orientierung immer dann, wenn Menschen sich in einer ihnen unbekannten, fremden Umwelt zurechtfinden müssen, und wenn das Verhalten ihrer Interaktionspartner nach anderen, fremden und unvertrauten Werten, Normen und Maßstäben reguliert wird.

In der Sonder- und Grenzsituation interkultureller Überschneidungen (Breiten­ bach, 1974) kommt es gehäuft zu kritischen, zum Teil konflikthaft verlaufenden und als belastend erlebten Interaktionssituationen. Das eigene kulturelle Orientierungssytem, durch den Prozess der individuellen Sozialisation erworben, versagt. Das Verhalten der fremdkulturell geprägten Interaktionspartner kann nicht mehr zuverlässig antizipiert werden. Es kommt zu Fehlreaktionen und -aktionen, Miss­ verständnissen, mehrdeutigen Situationsgestaltungen, Verunsicherungen und im Extremfall zur Handlungsunfähigkeit. Auf der Ebene der interpersonalen Beziehungen ist somit die Handlungsfähigkeit besonders gefährdet, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturen, wie z.B. der tschechischen oder der deutschen, einander begegnen. Beide Partner werden ver­ suchen, ihr eigenes Verhalten und das des Gegenübers aufgrund des ihnen ver­ trauten eigenkulturellen Orientierungssystems zu regulieren, zu kontrollieren und so zu bewerten, dass es für sie sinnvoll erscheint. Einfließen werden in dieses Be­ mühen um gegenseitiges Verstehen die Einstellungen, Stereotype und evtl. Vor­ urteile über die fremde Kultur. Interkulturelle Begegnungssituationen, zu deren Bewältigung beide Partner so un­ genügend ausgerüstet sind, fuhren zwangsläufig zu Fehlreaktionen und Missver­ ständnissen. Fehlt den Interaktionspartnem das Verständnis und die Sensibilität für die kulturbedingten Unterschiede in den beiderseitigen Orientierungssystemen, 17

dann werden diese Fehlhandlungen und Missverständnisse oft gar nicht erkannt, da jeder der Partner davon ausgeht, dass sein eigenes Orientierungssystem dem des anderen überlegen ist. In diesem Fall verhindert der von Tajfel (1982) und Turner (1978) im Zusammenhang mit ihrer Theorie der Intergruppenbeziehungen gut untersuchte Effekt der Eigengruppenfavorisierung die Entwicklung eines er­ fahrungsgeleiteten interkulturellen Verstehens, das zur situations- und person­ adäquaten Interaktionsgestaltung erforderlich wäre. Sind jedoch Hilfen und Unter­ stützung für ein differenziertes, fremdkulturelles Verstehen gegeben und ist eine individuelle Kompetenz zur handlungswirksamen Nutzung solcher Hilfen vorhan­ den, dann kann die Eigengruppenfavorisierungs- und Fremdgruppendiskriminie­ rungstendenz aufgebrochen werden. Es entwickelt sich eine erhöhte Motivation zur Interaktion mit den fremdkulturellen Partnern und zur Gestaltung solcher Be­ gegnungssituationen, so dass interkulturelles Verstehen möglich wird.

2.1.1.

Der Kulturbegriff

Der Kulturbegriff ist ein schillernder (Kroeber & Kluckhohn, 1952). Folgendes ist sein konsensfähiger Bedeutungskem, wie er sich aus den vielen Ansätzen kultu­ reller Forschung extrahieren lässt: „Kultur ist ein Phänomen mit einer gewissen, aber beschränkten, zeitlichen und transsubjektiven Erstreckung. Kultur ist menschengeschaffen und wird gelernt bzw. tradiert; sie wird in einem bestimmten Ausmaß (das selbst bereits wieder kontrovers diskutiert wird) von den Mitgliedern einer Gruppe geteilt und definiert deren Zugehörigkeit (und Abgrenzung). Kultur dient der Überlebenssicherung und Umweltbewältigung und ermöglicht durch gemeinsame Regeln und Bedeutungen Kommunikation und gemeinsame Praxis.“ (Molz, 1994) Im folgenden Forschungsansatz wird im Anschluss an die von Kroeber & Kluck­ hohn (1952) vorgenommene Analyse verschiedener Kulturdefmitionen sowie auf­ grund der theoretischen Arbeiten von Boesch (1980) von folgender Kulturdefini­ tion ausgegangen:

• Kultur vermittelt Bedeutungen. Durch die Kultur bekommen die Gegenstände und Ereignisse der Umwelt für das Individuum, für Gruppen, Organisationen, Nationen usw. eine Ordnung, einen Sinn, eine Funktion, einen Bedeutungsge­ halt und werden erst so greifbar. • Kultur bietet dem Menschen im materiellen und immateriellen, geistigen Be­ reich Handlungsmöglichkeiten, setzt aber auch Handlungsgrenzen. • Im Verlauf der Menschheitsentwicklung sind verschiedenartige Systeme von Sinn, Bedeutungen, Funktionen, Begriffen und damit Orientierungen herausge­ 18

bildet worden. Kulturen sind das Resultat dieser schöpferischen Leistungen der Menschheit. • Zu jeder Zeit haben verschiedene Kulturen existiert, und in geschichtlichen Zeitabläufen unterliegen Kulturen Wandlungen, bedingt durch äußere und in­ nere Einflüsse. • Die Kultur dient der Orientierung in der Überfülle an Gegenständen und im Fluss der Ereignisse. Die Kulturdefinition von Thomas (1996) vereint die genannten Elemente folgen­ dermaßen:

Kultur kann somit als „ein universelles, für eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem“ bezeichnet werden. „Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen gebildet, in der jeweiligen Gesellschaft usw. tradiert. Es beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller ihrer Mitglieder und definiert somit deren Zugehörigkeit zur Ge­ sellschaft. Kultur als Orientierungssystem strukturiert ein für die sich der Gesell­ schaft zugehörig fühlenden Individuen spezifisches Handlungsfeld und schafft da­ mit die Voraussetzung zur Entwicklung eigenständiger Formen der Umweltbe­ wältigung. “ (Thomas, 1996, S.112)

2.1.2.

Kulturstandards

Wenn in der obigen Definition von Kultur als ’’System“, nämlich als spezifischem Orientierungssystem, gesprochen wird, dann evoziert das gewollt, dass es Orien­ tierungsmerkmale oder einzelne kulturelle Elemente gibt, die in einer system­ strukturierenden Art und Weise aufeinander bezogen sind. Diese Elemente können als Clusters (Boesch, 1991), als Standards beschrieben werden: „Culture ... con­ sists of standards for deciding what is,... for deciding what can be,... for deciding what one feels about it,... for deciding what to do about it, and... for deciding how to go about doing it.“ (Goodenough, 1961, S. 522, zitiert nach Keesing, 1974, S. 77). Standards sind demgemäss die komplexitätsreduzierenden, handlungslei­ tenden Elemente von Kultur.

Diese Standards werden als „Kulturstandards“ bezeichnet und folgendermaßen definiert: „ Kulturstandards können aufgefasst werden als die von den in einer Kultur leben­ den Menschen untereinander geteilten und für verbindlich angesehenen Normen und Maßstäbe zur Ausführung und Beurteilung von Verhaltensweisen. Kulturstan19

dards wirken als Maßstäbe, Gradmesser, Bezugssysteme und Orientierungsmerk­ male. Kulturstandards sind die zentralen Kennzeichen einer Kultur, die als Orien­ tierungssystem des Wahrnehmens, Denkens und Handelns dienen. Kulturstan­ dards bieten den Mitgliedern einer Kultur Orientierung für das eigene Verhalten und ermöglichen zu entscheiden, welches Verhalten als normal, typisch, noch ak­ zeptabel anzusehen bzw. welches Verhalten abzulehnen ist. Kulturstandards wir­ ken wie implizite Theorien und sind über den Prozess der Sozialisation inter­ nalisiert. Kulturstandards bestehen aus einer zentralen Norm und einem Tole­ ranzbereich. Die Norm gibt den Idealwert an, der Toleranzbereich umfasst die noch akzeptierbaren Abweichungen vom Normwert. “ (Thomas, 1999, S. 114f)

„Kulturstandards und ihre handlungsleitende Funktion werden nach erfolgreicher Sozialisation vom Individuum innerhalb der eigenen Kultur nicht mehr bewusst erfahren“ (Thomas, 1993), da sie stark internalisiert sind (Boesch, 1991). Sie wir­ ken unreflektiert als implizite Theorien über Ist- und Soll-Zustände der Welt. Bei den Kulturstandards handelt es sich außerdem um über Generationen hinweg herausgebildete, spezifische Bewertungs- und Verhaltensstandards, also um Maß­ stäbe und Bezugssysteme. Sie wirken als stabilisierender Anker in Fluktuationsund Wandlungsprozessen, weil sich der Toleranzbereich als gesellschaftliche „Übereinkunft“ nicht plötzlich stark verschieben oder erweitern lässt (Ogbom, 1957).

Im Vergleich der Kulturen können einerseits unterschiedliche Kulturstandards verhaltenswirksam werden, andererseits können beim Vorliegen identischer Kul­ turstandards die Standardausprägungen, z.B. bzgl. der Toleranzbreite, der Bedeut­ samkeit der Standards für die Orientierung in der Kultur und die Art ihrer Anwen­ dung differieren. Doch so statisch, wie man bislang vermuten könnte, funktioniert das Wechselspiel zwischen Personen und Kulturstandards nicht. Folgende Charakteristika beschrei­ ben seine Dynamik:

• Es gibt kein Individuum, das in seinem Handeln, Denken oder Fühlen jederzeit exakt den Kulturstandards seiner Kultur entspricht (Boesch, 1980; Eckensber­ ger, 1992; Krewer, 1991; Reisch, 1991). Die kulturelle Identität ist zwar Be­ standteil des Selbstkonzepts und prägt daher die Identität eines Individuums entscheidend mit, doch wird sie wesentlich ergänzt um die persönliche Identi­ tät. Sozialisation ist immer Enkulturation und Individuation zugleich (Reisch, 1991). Und genau aus diesem Spannungsfeld zwischen Individuum und Gruppe/Gesellschaft erwächst die Dynamik, die notwendig ist für Anpassungs- und Wandlungsprozesse einer Kultur (Dahrendorf, 1971; Keesing, 1974): Personen, die von den Kulturstandards abweichen, setzen evtl, neue Standards, wenn da­ 20

mit aktuellen Problemlagen adäquater begegnet werden kann. Doch auch sie verfugen über das geteilte kulturelle Orientierungssystem, wissen, was „eigent­ lich“ von ihnen erwartet würde und richten ihre Erwartungen bezüglich des Handelns anderer an diesem Normalfall aus.

• Der Grad tolerierter Abweichung von den Kulturstandards ist selbst wieder kulturell geprägt (Reisch, 1991; Thomas, 1993). • Der Verpflichtungscharakter einzelner Kulturstandards ist unterschiedlich. Es existieren Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen, denen bei Nichtentsprechung korrespondierend abgestufte Sanktionen folgen (Boesch, 1983; Nicklas, 1991). Es gibt zentrale, weniger zentrale und periphere Kulturstandards. • Häufig müssen auch subkulturelle Standards in Betracht gezogen, die ganz un­ terschiedlich wirken können - präzisierend die einen, das System verändernd die anderen. Sie sind aber in jedem Fall auf die nationalkulturellen Standards als „Normalfall“ bezogen. Die Reichweite der nationalkulturellen Standards ist somit relativ. • Kulturstandards unterliegen einer beschränkten Dauerhaftigkeit. Sie folgen den Veränderungen und Entwicklungen der Gesellschaft - freilich mit einem gewis­ sen Time-lag. Das geschieht, wie oben geschildert, dann, wenn viele oder sehr einflussreiche Individuen mit ihrem abweichenden Verhalten, Nachahmer fin­ den, weil ihre Verhaltenspräferenz der Jetzt-Situation angemessener und besser adaptiert erscheint.

2.1.3.

Attribution

Menschen nehmen Personen und Ereignisse in ihrer Umwelt nicht nur einfach wahr, sondern mit der Wahrnehmung ist zugleich eine Bedeutungszuschreibung und eine Bewertung verbunden. „Personen, Objekte, Ereignisse, auf die der Han­ delnde aufmerksam wird, werden nicht einfach nur als gegeben registriert, sondern sofort, gleichsam automatisch, bewertet, mit Sinn versehen und in das bestehende Bezugs- und Wertsystem eingeordnet.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 26) . Diese Bewertungen erfolgen auf kognitiver und emotionaler Ebene. Ein bisher unbe­ kannter Besprechungsteilnehmer beispielsweise erscheint während der Sitzung aufgrund der Beobachtungen, die man an und mit ihm macht, nicht einfach nur als Person, sondern wird (auf emotionaler Ebene) sofort als sympathisch oder unsym­ pathisch oder als eine ’’zur eigenen Gruppe gehörende” oder ’’nicht dazugehö­ rende’’ Person wahrgenommen, erlebt und behandelt. Dieser Kollege kann dabei

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(auf kognitiver Ebene) auch als qualifizierter Fachmann erkannt und behandelt werden. Jedes beobachtete Verhalten erhält für den Beobachter erst dadurch seinen Sinn, dass ihm Ursache, Ziel und andere Merkmale zugeschrieben werden. Man spricht hier z.B. von Kausalattributionen (Ursachen) oder Finalattributionen (Ziel). Dabei sind Wahrnehmung und Attribution, Beobachtung und Bedeutungszuschreibung im Erleben so eng miteinander verflochten, dass sie als Einheit erscheinen. Erst das Zusammenspiel von Wahrnehmung (Perzeption), Informationsverarbeitung (Kognition), z.B. in Form der Aktivierung kognitiver Schemata, Skripts, Prototy­ pen, und Attribution (kausal, final) ermöglicht eine sinnvolle Umwelterfahrung und Umweltorientierung (Markus & Zajonc 1985; Ross & Fletcher 1985).

Ein häufiger Attributionsfehler in kulturellen Überschneidungssituationen besteht darin, die Ursache für das Verhalten beim fremdkulturellen Partner in seinen per­ sönlichen Eigenarten zu sehen, aber nicht in überindividuellen, situationalen, kul­ turellen Einflussfaktoren. Das heißt, der fundamentale Attributionsfehler tritt auf (Jones & Nisbett, 1971) und er besteht in interkulturellen Begegnungen darin, dispositiv statt kulturell zu attribuieren. Denn die Art der Wahrnehmung von Per­ sonen, Gegenständen und Ereignissen, die zur Informationsverarbeitung verfügba­ ren Schemata und die Attributionskonzepte sind kulturtypisch geprägt. Damit wird - ohne Wissen über die fremde Kultur - ausschließlich aufgrund des eigenen kultu­ rellen Orientierungssystems geurteilt und diesem System inadäquat erscheinendes Verhalten verurteilt. Das ist auch der Moment, in dem sich nationale Stereotypen aufgrund von Interaktionserfahrungen verfestigen können. „Die Deutschen / die Tschechen sind eben ....!“ Häufig kommt es zur Zuschreibung von mangelndem guten Willen, schwacher Motivation oder gar Heimtücke. Handfeste Konflikte können entstehen. Sie werden zusätzlich verfestigt, wenn die Blockade nicht als konkrete Handlungsbarriere gesehen, sondern als Symbol für eine ganze Weitsicht genommen wird (Shweder, 1984; Weaver, 1986). Wie eine Person also wahrgenommen wird, wie ihr Verhalten bewertet wird und welche Bedeutung ihr zuerkannt wird, ist somit abhängig von zentralen Kultur­ standards als Maßstäbe zur Bewertungs- und Bedeutungszuschreibung. Sind die fremdkulturellen Kulturstandards jedoch bekannt und kann das fremdkulturelle Verhalten angemessen, „isomorph“ erklärt werden, dann kann auch leichter kul­ turadäquat, angemessen und erfolgreich gehandelt werden.

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2.1.4.

Handlungstheorie

Neben der Auffassung von Kultur als einem spezifischen Orientierungssystem und dem Konzept der Kulturstandards als zentrale Orientierungsmerkmale in diesem System ist für den hier praktizierten Forschungsansatz die Analyse interpersonalen Verhaltens als Handlung von zentraler Bedeutung. Die Begegnung zwischen Men­ schen aus verschiedenen Kulturen vollzieht sich durch und im Verlauf von Hand­ lungen. Handlungen werden in diesem Zusammenhang definiert als spezifische Formen des Verhaltens, die dadurch charakterisiert sind, dass sie vorsätzlich, ziel­ gerichtet, erwartungsgesteuert, motiviert und reguliert sind (Thomas 1976; Heck­ hausen 1987; Kuhl 1983). „Strukturiertheit und Orientiertheit des Handlungsfeldes sind notwendige Voraussetzungen zum Handeln, d.h. zum Vollzug einer Hand­ lung ist stets ein Stadium der kognitiv-emotionalen Bewertung oder Abwägung vorgeordnet“ (Lantermann, 1982, S. 136). Konkrete Situationen stellen dabei nach Lantermann (1982) subjektive Definitionen von Handlungsfeldem dar.

Aus der Fülle der bestehenden Handlungstheorien, lassen sich folgende „essen­ tials“ extrahieren, die ihnen allen gemeinsam sind (Eckensberger & Meacham, 1984):

• Handeln ist der Ausschnitt aus dem gesamten menschlichen Verhaltensreper­ toire, der bewusstseinsfähig, sinnvoll, intendiert, erwartungsgesteuert, normund zielorientiert ist. • Das Menschenbild der Handlungstheorien ist gekennzeichnet von der Annahme, dass der Mensch potentiell (selbst)reflexiv, gestaltend und verantwortlich ist, sich Ziele setzt und adäquate Mittel wählt, um diese Ziele zu erreichen. • Die Ziele und die Mittel sind hierarchisch strukturiert und in individuelle und kulturelle Bedeutungssysteme und Möglichkeitsräume (Foppa, 1988) eingebet­ tet. • Handlungsverläufe werden (mindestens) in eine Anfangs-, Verlaufs- und End­ phase untergliedert. • Strukturelle, affektive und energetische Prozesse begleiten diese Phasen. • Es gibt unterschiedliche Barrieren, die eine Reorganisation des Handlungsver­ laufs veranlassen. • Handeln bezieht sich sachlich-instrumental auf die Umwelt, kommunikativ auf die Mitwelt und subjektiv-funktional auf die Innenwelt. Ein- und dieselbe Handlung kann also faktische und symbolische Wirkung haben und gleichzeitig zu Veränderungen von Sachverhalten (sachlich-instrumental), geteilten Bedeu­ tungen (kommunikativ) und Selbstzuschreibungen (subjektiv-funktional) füh­ ren.

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Das Zentrum des Handelns ist ein Selbst, ein„agency“ (Gergen, 1984; Shweder, 1980). Handlungen sind daher immer nur aus der Sinngebung und dem Selbstver­ ständnis des „agency“ selbst zu konstruieren. Handeln ist ein Interpretationskon­ strukt (Lenk, 1978). Das Konstrukt „Handeln“ ist somit „geeignet, in einem Rah­ menmodell vieles zusammenzufassen: Theorie und Praxis, Kognition, Affekt und Verhalten, die individuelle und die gesellschaftliche Dimension, Aktualgenese, Ontogenese und Kulturgeschichte..., mehrere Disziplinen ... und unterschiedliche, ansonsten isoliert betrachtete, psychologische Konzepte..., Subjekt und Objekt, Innensicht und Außensicht, Verstehen und Erklären...“ (Molz, 1994, S. 26). Au­ ßerdem kann man darunter das Forschungshandeln selbst subsumieren. Die mögliche Selbstanwendung zwingt freilich dazu, die Handlungstheorien selbst unter dem Aspekt der kulturell und historisch bedingten und beschränkten Gültig­ keit zu prüfen. Die Vorstellung von Intentionalität ist sicher ein Kulturprodukt (Oerter, 1982), die Rationalität auffällig nach dem Ideal des wissenschaftlichen Selbstverständnisses modelliert (Herzog, 1984). Beide Kritiken verdeutlichen die Herkunft dieses Konstrukts aus dem euro-amerikanischen Kulturkreis. Das dürfte für die vorliegende Studie aber kein Hindernis sein, weil diese Faktoren für die beiden betrachteten Kulturen gleichermaßen prägend sind.

2.1.5.

Kulturelle Überschneidungssituation

Ist eine Person gleichzeitig unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt, spricht Lewin (1963) davon, dass sie sich in einer „Überschneidungssituation“ befindet. Sie befindet sich sozusagen in mehr als einer Situation. Das ist mit affektiven Spannungen verbunden.

Nach Breitenbach (1974) sind „alle interkulturellen Kontaktsituationen als Über­ schneidungssituation anzusehen, da sich in jeder Situation - wenn auch in unter­ schiedlicher Stärke und zumeist nur symbolisch - sowohl Situationen der Heimat­ gesellschaft als auch der Gastgesellschaft repräsentieren.“ (Breitenbach, 1974, S. 201) In interkulturellen Interaktionssituationen ist das Handlungsfeld nicht mehr stabil, sondern eine Person befindet sich „zur gleichen Zeit in mehr als einer Situation“ (Lewin, 1963, S. 301), d.h. mehrere subjektive Situationsdefinitionen sind gleich­ zeitig wirksam. Breitenbach (1974) meint, in einer interkulturellen Kontaktsitua­ tion sind drei Strukturierungen der Situation zu berücksichtigen: 1. die kulturellen Orientierungen des Heimatlandes 24

2. die (vermuteten) kulturellen Orientierungen des Gastlandes bzw. des Lands des Partners

3. die tatsächliche Sicht typischer Gastlandbewohner bzw. der Landsleute des Partners.

Zu ergänzen wäre diese Liste nun noch (4) um die auf Seiten des Partners vermu­ tete Orientierung des Gastes (wie sie typisch ist für dessen Heimatland). Das Problem ist, dass die handelnde Person in der Regel die Alternative 3 nicht kennt. Die Person ist vielmehr im Zielkonflikt zwischen (1) und (2) gefangen. - Ihr fremdkultureller Interaktionspartner ist demnach zwischen (3) und (4) der von ihm dem Gast unterstellten Sicht gefangen. Kulturelle Überschneidungssituationen sind somit Handlungsfelder, in denen un­ terschiedliche Orientierungssysteme wirksam sind, die die Handlungen der betei­ ligten Personen determinieren. In derselben Situation werden somit die Hand­ lungsfelder von den Akteuren verschieden definiert, unterschiedliche Hand­ lungsmöglichkeiten wahrgenommen und benutzt und Handlungsgrenzen beachtet. Die Menschen aus den beteiligten verschiedenen Kulturen sind aber darauf ange­ wiesen, durch Interaktion miteinander ihre Handlungsziele zu erreichen. Wenn nun keine Kenntnisse über die fremde Kultur vorliegen und jeder nach seinen Wahmehmungs-, Denk- und Verhaltensmustem handelt und urteilt, entstehen Kommunikations-, Interaktions- und Kooperationsprobleme.

Die Überschneidung wird erst dann wahrgenommen, wenn mindestens einer der Interaktionspartner sich der Tatsache bewusst wird, dass die Situationsdefinition des jeweils fremdkulturellen Interaktionspartners von der eigenen abweicht. Es muss also Fremdheit erfahren werden und eine minimale Vorstellung über die al­ ternative Situationsinterpretation existieren - noch unabhängig davon, wie zutref­ fend diese Vermutungen sind. Das ist vorwiegend dann der Fall, wenn (1) und (3) in der Handlungsrealisierung inkompatibel sind und wechselseitige Anpassungs­ leistungen erzwingen. Dies ist eine Quelle der Belastung, die sich als „Kultur­ schock“ äußert (Berry & Annis, 1974; Grove & Torbiöm, 1986; Breitenbach, 1983; Weaver, 1986). Das Gemeinte sei beispielhaft zunächst für die präaktionale, dann für die aktionale Phase verdeutlicht: „ Gesetzt den fiktiven Fall, zwei Personen unterschiedlicher kultureller Herkunft würden eine Situation identisch wahrnehmen und das gleiche Ziel als erstrebens­ wert ansehen, so folgt daraus noch lange nicht, dass beide auch beginnen, prak­ 25

tisch zu handeln. Der eine bewertet die Situation als untolerierbar, der andere als durchaus noch erträglich. Der eine glaubt, man müsse alles versuchen, um die Situation zu verändern, der andere meint, dass man da nichts machen kann, selbst wenn man wollte. Der eine traut sich die Handlung spontan zu, der andere nicht. Der eine fühlt sich dafür verantwortlich, dass sich etwas ändert, der andere findet, dass sich das schon von alleine wieder einrenken wird. Der eine ist bereit, sich mit voller Kraft einzusetzen, dem anderen ist der Aufwand zu groß. Der eine weiß, wie man so etwas angeht, der andere nicht. Der eine glaubt, dass er schon die nötige Unterstützung finden werde, der andere dagegen ist überzeugt, dass sowieso wie­ der etwas dazwischen kommt. Der eine glaubt, dass er die Sache zu einem glückli­ chen Ende führen kann, der andere dagegen findet, dass man ja doch nie weiß, was letztendlich dabei herauskommt. Der eine beißt sich fest an diesem Ziel, der andere schweift bald wieder ab. Kurz gesagt: kulturelle Handlungsorientierungen sind bereits, lange bevor sichtbare Handlungen ausgeführt werden, massiv wirk­ sam.“ (Molz, 1994, S. 35). „Auch in dem Fall einer unproblematischen sprachlichen Verständigung über gemeinsame Handlungsziele, ist die Koordination der Handlungen in einer Situa­ tion, in der zwei Partner aus unterschiedlichen Kulturen interagieren und koope­ rieren, erschwert, da das Ziel nur selten die gleiche Bedeutung in den Zielhierar­ chien hat und Mittelwahl und Verlaufserwartungen an unterschiedliche kulturelle Regelsysteme angelehnt sind. So gelten aus jeder Sicht andere Handlungsweisen in bestimmten Handlungsfeldern (z.B. Familie...Freizeit..) als angemessen, Hand­ lungsfelder, die zudem nicht einmal in der gleichen Weise voneinander abgegrenzt zu sein brauchen. Selbst wenn das gemeinsame Handlungsziel erreicht worden ist, erfolgt die Handlungsbewertung an der Meßlatte unterschiedlicher Kulturstan­ dards. Das hat dann wiederum Auswirkungen auf die Eingangsbedingungen et­ waiger folgender Interaktionen in den Handlungsketten. “ (Molz, 1994, S. 40)

Ohne Kenntnis der handlungswirksamen Determinanten „... kommt es zwangsläu­ fig zu kulturbedingten Missverständnissen, Fehlattributionen, Mängeln in der An­ tizipation der Partnerreaktion...“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 27). Handlungen in interkulturellen Kontaktsituationen sind, weil jeder der Partner so handelt, wie es in seiner Kultur „normal“ ist, störanfällig. Kommt es jetzt zu Re­ gulationen des Handlungsverlaufs, dann gestaltet sich dies schwieriger als im mo­ nokulturellen Raum. Denn die bislang relativ unreflektierten Regulationen sind oft nicht in der Lage die erwartungswidrigen Effekte des eigenen Handelns auf den Interaktionspartner zu korrigieren. Im Gegenteil! Ihr Einsatz kann die Lage noch verschlimmern. Jetzt besteht eine echte Handlungsbarriere, die mit den erprobten Regulationen nicht zu meistem ist. Es kommt in der Regel auf beiden Seiten zu negativen affektiven Prozessen, die Aufmerksamkeit wird auf die Störung gelenkt und Reflexionsprozesse werden in Gang gesetzt. Im ungünstigsten Fall werden die 26

erprobten Regulationen verstärkt eingesetzt und die Barriere wird größer; im günstigeren Fall werden andere Regulationen erprobt. Was passiert, hängt ent­ scheidend von den in den Reflexionsprozessen verwendeten Attributionen ab. Handlungsverläufe, die zu deutlicher Verunsicherung, zu Störungen, zu Konflik­ ten, zu Bedrohungen usw. werden, die den Akteur belasten, die zu Verhaltens­ änderungen veranlassen oder zum mehr oder weniger leidvollen Ertragen zwingen, beschäftigen als „unerledigte“ Handlungen die Person und werden ihr einige Zeit im Gedächtnis haften bleiben. Solche „kritischen Interaktionssituationen“ sind somit erzählerisch rekonstruierbar und der Erforschung der ihnen zugrundeliegen­ den und in ihnen wirksamen Kulturstandards zugänglich.

Zur Vermeidung kulturell unangepassten Verhaltens und daraus resultierender Handlungsstörungen bedarf es einer Veränderung und Erweiterung des eigenkul­ turellen Orientierungssystems in Richtung auf das fremdkulturelle Orientierungs­ system. Zur effektiven Handlungssteuerung in kulturellen Überschneidungssitua­ tionen müssen beide Orientierungssysteme eingesetzt werden können. Dies erfor­ dert Kenntnisse über fremde Kulturstandards und ihre handlungssteuemden Wir­ kungen sowie die Fähigkeit zur Person- und SituationsWahrnehmung, zur Verhal­ tensbeurteilung und zum Situationserleben im Kontext des fremdkulturellen Ori­ entierungssystems. Triandis (1984) spricht von der Notwendigkeit „isomorpher Attributionen“, d.h. dem fremdkulturellen Orientierungssystem entsprechenden Merkmals- und Ursachenzuschreibungen. Interkulturelles Lernen (Winter, 1988) sollte im oben skizzierten Handlungsfeld erfolgen: von (2) nach (3), aber auch von (4) nach (1).

27

2.2.

Ein Ansatz zur Dynamisierung und Differenzierung des Kulturstandard­ konzepts: Bipolare Kulturstandard­ paare

2.2.1.

Grenzen und Kritik des „klassischen“ Kultur­ standardkonzepts

Das Kulturstandardkonzept ist nicht unumstritten, sondern unterliegt etlicher Kritik (Eckensberger, 1996; Hamisch, 1996; Helfrich, 1996; Krewer, 1996; Wass­ mann, 1996). Die zentralen Kritikpunkte sind dabei:

1. Kulturstandards beinhalten einen hohen Grad an Stereotypisierung. Damit be­ steht zum einen die Gefahr der Verstärkung von Intergruppenprozessen (Kre­ wer, 1996), zum anderen können manche Phänomene nicht assimiliert werden bzw. werden irrtümlich angepasst (Molz, 1994). Der große Vorteil dieses Konzepts der starken Reduktion komplexer Wirklich­ keit wird damit gleichzeitig als sein größter Nachteil gesehen.

2. Kulturstandards sind konstruktivistische Mittel der Selbst- und Fremdreflexion in interkulturellen Begegnungen. Sie gelten damit nur im Kontrast zur Kon­ trastkultur (Krewer, 1996; Helfrich, 1996). Krewer sieht Kulturstandards als Produkt der wechselseitigen Erklärung und Identifizierung: ^ulturstandards sind als spezifische Orientierungssysteme aufzufassen, die konstruiert werden, um eigenes und fremdes Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln in spezifischen INTERkulturellen Kontaktsituati­ onen verständlich und kommunizierbar zu machend' (Krewer, 1996, S. 152, Hervorhebung im Original)

3. Kulturstandards unterliegen intrakultureller Variabilität je nach Individuen, Subgruppen, situativen Zwängen. Diese Variabilität wird jedoch nicht konzeptualisiert und viele Einflussvariablen für diese Variabilität werden vernachläs­ sigt (Krewer, 1996; Helfrich, 1996).

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Der Definition von Kulturstandards folgend hebt Krewer ganz besonders einer­ seits ihren kausalen Aspekt hervor - sie sind keine automatisch wirksamen Me­ chanismen, sondern erlauben Abweichungen und können auch nicht befolgt werden - und betont andererseits ihren ökologischen Aspekt - sie sind Merk­ male, die auf Populationsebene definiert sind und die Individualität oder Ab­ weichung vom Prototyp nicht beachten.

Als mögliche, nicht berücksichtigte Einflussvariablen zählt er auf: die Bedin­ gungen des Kontakts (Dauer, Intensität, Freiwilligkeit), die Zugehörigkeit zu Subgruppen innerhalb der jeweiligen Kultur (Berufsgruppen, Organisations­ kultur, Bildungsstand, Sozialstatus), die Zielvorstellungen der Beteiligten und ihre Kompatibilität, das Tätigkeitsfeld der beteiligten Personen, die von beiden Partnern verfolgten Interkulturalitätsstrategien, die aktuellen und konkreten In­ teressen, die Einflüsse der Intergruppenbeziehungen (Stereotype, Geschichte der Intergruppenkontakte), den Status der beteiligten Gruppen und Individuen (Machtstrukturen), den möglicherweise stattfindenden Wettbewerb zwischen ihnen, das dominante soziale Klima, in dem die Begegnung stattfindet und sämtliche Elemente der persönlichen Identität (fachliche Kompetenz, soziale Kompetenz, Persönlichkeitsmerkmale).

Helfrich weist darauf hin, dass die Probleme, die mit Hilfe von Kulturstandards als interkulturelle diagnostiziert werden, auch innerhalb der eigenen Kultur auf treten. Der Unterschied ist oft lediglich ein quantitativer. So sind die verschie­ denen Ausprägungsformen eines Wertes oder eines Motivs, die einer Kultur deutlicher als ihrer Vergleichskultur zugeschrieben werden, prinzipiell in jeder der Kulturen bekannt. Es handelt sich oft um eine situative Varianz, d.h. die si­ tuativen Faktoren begünstigen in einer Kultur die Äußerung und Wahrnehmung eines Wertes oder eines Motivs auf eine bestimmte Weise und behindern eher die Äußerung und Wahrnehmung dieses Wertes oder dieses Motivs auf eine an­ dere Weise. Auch Situationszwänge wirken in allen Kulturen lindernd. Doch man kennt diese Zwänge nur in der eigenen Kultur, der fremden Kultur unter­ stellt man eher eine Wahlfreiheit und attribuiert auf Absicht. Damit wird der Kontrast zu eigenen Kultur überbetont. 4. Kulturstandards unterliegen historischer Variabilität, wobei das Konzept davon ausgeht, dass Veränderungsprozesse langwierige, generationenübergreifende Entwicklungen auf der gesellschaftlichen Ebene sind. Aktuelle Reaktionsmuster (Krewer, 1996) und Mikroevolutionen auf der individuellen und Gruppenebene werden ebenfalls nicht konzeptualisiert (Molz, 1994). Gerade derartige aktuelle Trends befinden sich aber in der Beschreibung der Kulturstandards. 5. Der Kulturstandardansatz verträgt sich nicht mit der Entwicklung von Syner­ gien (Molz, 1994). Elemente der neu entstehenden Begegnungskultur werden 29

nicht erfasst. In einer kulturellen Überschneidungssituation prallen nämlich nicht nur Sys­ teme von Kulturstandards aufeinander, sondern in der Interaktion entstehen auch neue Formen einer neuen Kultur, z.B. einer Kooperationskultur oder einer Konfliktlösungskultur. Sie werden ausprobiert und evtl, installiert. Mit den den beteiligten Kulturen zugeschriebenen Kulturstandards würde demnach das, was in einer kulturellen Überschneidungssituation passiert, nur unzureichend erfasst. (Thomas & Schenk, 1996). Ebenso unberücksichtigt bleiben die Einflussvariablen für die Begegnungen (Krewer, 1996).

6. Im Anwendungsaspekt geben Kulturstandards lediglich eine Orientierung bzgl. der Fremdkultur, leisten aber keine Reflexion der eigenkulturellen Prägung.

7. Der Kulturstandardansatz ist selbst Ausdruck eines kulturtypischen (deutschen) Forschungsverständnisses: Eine Vielzahl von Autoren arbeitet zusammen; es er­ folgt ein themenbezogener Rückgriff auf Theorien und Methoden, die nur für einen bestimmten Forschungszweck in dieser Kombination zusammengestellt worden sind; Theorien kleiner und mittlerer Reichweite werden aufgestellt; kulturelle Spezifitäten werden induktiv-empirisch gefunden. (Molz, 1994)

2.2.2.

Die Logik der (prä-)adaptiven Gegensätze nach Demorgon

Demorgon entwickelte eine „multiperspektivische Kulturtheorie“ (Demorgon & Molz, 1996). Seine darin dargelegten Gedanken kann man so zusammenfassen.

1. Soziale Wirklichkeit, Denken und Handeln realisiert sich zwischen Polen (sog. (prä-)adaptiven Gegensätzen), die nie erreichbare Endpunkte eines Spannungs­ feldes abstecken. Ein Pol steht dabei nicht für sich alleine, sondern ist nur sinn­ voll in Bezug auf seinen Gegenpol. Die Gewichte können sich verschieben, so dass ein Pol stärker als der andere realisiert wird, doch wird das Potential des Gegenpols zum Ausgleich drängen. Die Bevorzugung des einen Pols ist immer mit spezifischen Vor- und Nachteilen verbunden. 2. Es hängt von der Situation ab, welcher Pol unseren Zielen eher entgegenkommt. Es ist nicht möglich, die Vorteile beider Pole gleichzeitig zu realisieren oder die Nachteile beider Pole gleichzeitig zu minimieren. Es gilt, ein Zusammenspiel

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der Pole, d.h. ein immer neu auszutarierendes Mischungsverhältnis zwischen den Polen zu induzieren, um eine effektive Anpassung zu erreichen. Personen müssen - abhängig von den Erfordernissen - in der Lage sein, das Verhaltens­ spektrum zwischen beiden Polen zu bedienen und über das ganze Spektrum der Möglichkeiten zu variieren. Demorgon verfolgt eine dialektische (sowohl als auch), keine dualistische (entweder oder) Logik: Beide Pole eines Dilemmas haben (in unterschiedlicher Gewichtung) Anteil am Handeln. 3. Konkret wird adaptiv oszilliert (d.h. so funktional wie möglich im Hinblick auf Handlungsziele), potentiell in der ganzen Bandbreite, habituell mit geringerem Radius. Das Ausmaß und der Ort der „adaptiven Achse“ des Oszillierens (d.h. des Oszillationsmittelpunkts) einer Person ist dabei sowohl individuell wie kulturell bestimmt. „Theoretisch kann diese aufsteigende Äquilibration niemals beendet sein. In der Praxis ist sie es ständig und immer wieder und fuhrt somit zu einem je unterschiedlichen ‘Habitus’ der fortlaufend schärfer gegeneinander abgegrenzten Kulturen. Die Kulturen werden also durch unterschiedliche auf­ steigende Äquilibrationsprozesse hervorgebracht, da diese Prozesse selbst aus je unterschiedlichen Situationen erwachsen.“ (Demorgon, 1999c, S. 66) Das hat seinen Sinn: „Die Kulturen helfen uns, auf Situationen zu reagieren. Durch Ge­ wöhnung, Unterweisung und Erziehung legen sie uns eine gewisse Auswahl von Antworten nahe, die in der Vergangenheit selektiert und seither immer wieder bestätigt wurden. So nehmen sie uns die Angst, in einer problematischen Situation nicht reagieren zu können.“ (Demorgon, 1998, S. 191) 4. Der Ausgangspunkt für die Beschreibung von Kulturen ist nun: Jede Aussage über einen kulturellen Sachverhalt ist zu einem beträchtlichen Teil falsch. Auf viele ähnliche Sachverhalte oder auf Wiederholungen des gleichen Falles mö­ gen die getroffenen Aussagen eben nicht zutreffen. Das mag an der häufig ver­ einfachenden, monokausalen Betrachtungsweise liegen, aber auch an dem Problem, dass jede Klassifikation nur eine Rekonstruktion der Realität ist (Molz, 1994b). Demorgon will daher verschiedene Argumentationsebenen aus­ einanderhalten und Bewertungen vermeiden und bietet ein komplexes Modell an. Er unterscheidet a) synchrone Perspektive (Welche existenziellen Dilemmata - dargestellt als polare Paare - gibt es?)

b) diachrone Perspektive (Wie sehen die historischen Entstehungsbedingungen für die Ausprägung der „adaptiven Achsen“ der Akteure aus? Ontogenese? Historiogenese? Philogenese?) c) dimensionale Perspektive (Von welcher Ebene der Aggregierung adaptiver Achsen ist die Rede? Individuum? Subgruppen? Nationen? Kulturkreis? 31

Menschheit?) d) dynamische Perspektive (Welche Selbstorganisationsprozesse zur Bewälti­ gung von Veränderungen und zur erneuten Anpassung finden gerade statt?)

e) strategische Perspektive (Welche Ziele verfolgen die Akteure? Welche Vor­ teile sollen durch die Aktivierung eines Pols erreicht werden? Welche Nachteile werden durch die Nicht-Realisation des anderen Pols in Kauf ge­ nommen?)

f) sektorielle Perspektive (Um welche konkrete Lebenssituation, um welches Handlungsfeld geht es?)

2.2.3.

Grenzen des Demorgon-Konzepts

Das Modell von Demorgon ist sehr komplex. Es versteht sich auch selbst als „For­ schungsrahmen“ mit dem Anspruch der „Multiperspektivität“ (Demorgon & Molz, 1996). So bestechend und plausibel seine Postulate auch sind, hinsichtlich eines konkreten Anwendungsbezugs stellt es denjenigen, der mit ihm arbeiten möchte, doch vor große Schwierigkeiten. Um dem Anspruch der hier vorliegenden Arbeit gerecht zu werden, werden zu­ nächst die Grenzen auch dieses Konzepts dargestellt, um schließlich zu einer Synthese des Kulturstandardansatzes nach Thomas und der „Logik der (prä)adaptiven Gegensätze“ nach Demorgon zu gelangen.

Die (prä)-adaptiven Gegensätze: Die große Schwäche der „(prä)-adaptiven Gegensätze“ liegt in ihrer definitorischen Unschärfe sowie ihrer unscharfen Handhabung.

Die Herkunft der (prä-)adaptiven polaren Gegensätze / (prä-)adaptiven polaren Paare ist unklar, nicht immer nachvollziehbar, mutet manchmal geradezu willkür­ lich an. Hier liegt (für einen deutschen Benutzer) eine Schwäche des Modells. • Demorgon hat viele (prä-)adaptive polare Gegensätze aus seinen Überlegungen ausschließlich deduktiv gewonnen, ohne das nachvollziehbar und nachlesbar darzulegen. • Er übernimmt diverse (prä-)adaptive polare Gegensätze von anderen Forschem (z.B. Parsons, Hall). • Zum Teil wird jedermann überlassen, der mit dem Modell arbeitet, sich selbst 32

neue (prä-)adaptive polare Gegensätze zu definieren.

Die (prä-)adaptiven polaren Paare sind dabei als modellhafte Rekonstruktionen von Realität aufzufassen, so dass „viele der adaptiven Gegensätze, die De­ morgon bisher herausgearbeitet hat, einen ungewissen und vorläufigen Charakter haben, also einer weiteren Differenzierung und Modifizierung zugänglich sind“ (Molz, 1994, S. 102). Zudem unterliegen sie selbst einer historischen Ent­ wicklung, als dass manche an Belang abnehmen und andere an Gewicht zunehmen durch gesellschaftliche Entwicklungen wie z.B. die Globalisierung. Dennoch ist es ihr Anspruch, universell und gleichzeitig nicht mehr zerlegbar zu sein. Molz selbst schreibt zur Qualität der (prä-)adaptiven polaren Paare: „Es ist allerdings in jedem einzelnen Fall sehr schwierig, ihren eigenständigen Charakter nachzuweisen, d.h. zu zeigen, dass sie sich nicht auf andere zurückfuhren lassen“ (Molz, 1994, S. 36). Per Definition wollen sie die nie erreichten Extreme eines polaren Paares sein. Diesen Anspruch können sie jedoch nicht einlösen: Sogar Molz verwendet die (prä-) adaptiven polaren Paare der Einfachheit halber und „fälschlicherweise“ als Bezeichnung der „mehrheitlichen Ausprägungen einer Kultur“ (Molz, 1994b, S. 38) und setzt sie damit mit den „adaptiven Achsen“ gleich. Er weist daraufhin, dass es sich nur um statistische Häufungen eher in der Nähe des einen Pols als in der Nähe des entgegengesetzten Pols handelt.

Forschungsmethoden: Das Rahmenmodell von Demorgon bietet keine Methoden an, wie es überprüft und mit Empirie „gefüllt“ werden könnte. Es versteht sich selbst als Metatheorie und überlässt bewusst denen, die sich mit ihm befassen, die Entscheidung über die Methoden. Die multiperspektivische Kulturtheorie will Rahmenmodell einer Wis­ senschaft vom Interkulturellen sein. Es zeigt Forschungsbedarf auf, gibt aber keine Hinweise, in welcher Form und mit welchen Methoden die Forschung zu einem bestimmten Teilproblem durchgeführt werden soll. So sind beispielsweise die Pole zunächst lediglich Hypothesen, die empirischer Überprüfung bedürfen. Und die Ergebnisse, auf die sich Demorgon (im deutsch­ französischen Vergleich) selbst stützt, sind ebenfalls aus Interviews gewonnen (Molz, 1994). Demorgons Kriterien sind dabei das Wiederauffmden seiner Pole im Datenmaterial bzw. die mögliche Zuordnung der Daten zu den Polen. Für an­ dere Länder (Westeuropas und für Japan) ging Demorgon den Weg des Quel­ lenstudiums. Sein Modell war anwendbar: die Mehrheitskultur war jeweils auf den (prä-) adaptiven Gegensätzen einzuordnen (Molz, 1994).

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Für die anderen „Perspektiven “ weist es ebenfalls nur rudimentär Wege, wie ihr Anspruch eingelöst werden könnte. Gut ausgearbeitet hat Demorgon selbst die diachrone Perspektive für einige Länder. Die Kulturgeprägtheit des Ansatzes: Das Modell ist analog dem „deutschen Kulturstandardansatz“ ein sehr „franzö­ sisch geprägter“ Ansatz: Es ist das Werk eines einzigen Autors; es ist von einer beeindruckenden analytischen Komplexität - freilich ohne klare, eindeutige De­ finitionen -, weil es sich als forschungsleitendes Rahmenmodell versteht; es hat universellen Anspruch und will interdisziplinär integrierend wirken; im For­ schungsprozess überwiegt das deduktive Vorgehen; es bedient sich des Dualis­ mus. (Molz. 1994).

2.2.4.

Ein neuer Weg: Bipolare Kulturstandardpaare

Das Ziel dieser Arbeit bestand darin, eine Systematik zu finden, die typische Probleme in der (west)deutsch-tschechischen Wirtschaftskooperation situations­ übergreifend erfasst, beschreibt, erklärt (Erkenntnisinteresse). Dabei sollten für die immer wiederkehrenden Konflikte beide (!) Perspektiven dargestellt werden kön­ nen. Die synoptische Aufbereitung sollte die zentralen, konfligierenden Elemente so prägnant wie möglich beschreiben, weil sie direkt verglichen und aufeinander bezogen werden können. Es sollten die Elemente der kulturellen Überschneidungssituation „(1) kulturelle Orientierungen des Heimatlandes“ und „(3) tatsächliche Sicht typischer Gastland­ bewohner“ erfasst werden (vgl. 2.1.5.), d.h. das Ziel war, die beiden verschiedenen Situationsdefinitionen zu beschreiben.

Der Anwendungsaspekt lag in interkulturellen Trainings, die diese Systematik be­ troffenen deutschen und tschechischen Personen als Orientierungshilfe für gegen­ seitiges Verstehen und konstruktives Handeln anbietet. Ich versuchte nun einen Weg aus den dazu vorhandenen Theorien und Methoden zu bauen und fand ihn in einer Kombination des KulturStandardansatzes nach Thomas mit der multiperspektivischen Kulturtheorie nach Demorgon. Das sei nun dargestellt:

a. Synchrone Perspektive: Die Allgemeingültigkeit der Demorgonschen (prä-)adaptiven Achsen ist zunächst 34

einmal eine postulierte. So sehr damit französisch-deutsche Typiken erfassbar sein mögen, viele der in großer Zahl vorhandenen Gegensatzpaare waren zur Beschrei­ bung deutsch-tschechischer Unterschiede nicht geeignet. Es finden sich mitunter keine eindeutigen Äquivalente für manche Kulturstandards in einem Pol eines (prä-)adaptiven Gegensatzes. Es mussten neue Polaritäten gefunden werden, deren Definition freilich reiner Kategorisierungs-Pragmatik entsprang. Dabei erwiesen sich etliche der Polaritäten entweder als zu eng gefasst oder als zu grundsätzlich, theoretisch und damit zu wenig realitätsbezogen, um die durch die Daten beschriebenen Phänomene lebensnah abzubilden. Erst die Kombination aus diversen (prä-)adaptiven Polen hat das ergeben, was ich darstellen wollte. Jetzt war oft erst das typisch deutsch-tschechische Dilemma zu erfassen.

Insofern entschied ich mich für die Beibehaltung der Kategorisierung auf Kultur­ standardniveau - was gleichbedeutend ist mit den „adaptiven Achsen“ Demorgons - und ergänzte sie um Demorgonsche Elemente:

1. Erstellung polar angeordneter Kategorien, die einander entsprechende, aber zueinander im Kontrast stehende deutsche und tschechische Typiken (adaptive Achsen = Kulturstandards) beschreiben. 2. Übernahme der Idee von der gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole und eines prinzipiellen Sowohl-als-auch.

Das ist theoretisch so zu begründen: 1. Demorgons (prä-)adaptive Gegensätze sind philosophisch-psychologische Konstrukte und noch abstrakter als empirisch ermittelte zentrale Kulturstan­ dards. Fundamentale Kategorien von Demorgons Modell lassen sich - praktisch gesehen - in wechselnden Kombinationen in verschiedenen Kulturstandards wiederfinden. Kulturstandards Überspannen mehrere Gegensätze. Sie sind aber mehr als die Summe der in einem Kulturstandard wirksamen demorgonschen Gegensätze, denn sie beinhalten Informationen darüber, welche Achsen auf welche Art in einer Kultur verbunden sind. Sie sind damit stärker handlungsund kontextbezogen. (Molz, 1994) 2. Ihre theoretische Konvergenz ist durch die theoretischen Grundlagen der kultu­ rellen Überschneidungssituation gegeben: Lewin (1963) entwickelte den Ge­ danken der Überschneidungssituation in seiner Feldtheorie. Eine Über­ schneidungssituation ist dann gegeben, wenn sich eine Person einer Situation gegenüber sieht, in der zwei oder mehrere Handlungsfelder gleichzeitig valent sind, in der sie aber nicht zwei (oder mehr) Handlungsziele verfolgen kann. Ei­ ne Lösung dieser Situation bedeutet immer, dass ein Handlungsziel verfolgt 35

wird zuungunsten des anderen, konkurrierenden. Die potentere Situationsdefi­ nition, d.h. das potentere Handlungsfeld, setzt sich durch. Was sind nun Demorgons (prä-)adaptive Gegensätze anderes als Strukturierungen für eben diese Konfliktbereiche? Auch bei ihm regulieren Situationsdruck und Strategie das Verhalten. Diese Grundlagen weitergedacht, legt die Auffassung von kultu­ rellen Überschneidungssituationen als Sonderfälle allgemeiner Überschnei­ dungssituationen nahe, „die lediglich die grundsätzlichen Konflikte besonders augenfällig machen, weil die automatisierten Lösungsstrategien nicht die ge­ wohnte Wirkung erzielen“ (Molz, 1994, S. 132). Kulturstandards geben dann Orientierung und strukturieren universelle Konfliktsituationen: Demorgon be­ schreibt dabei die universalistische Sichtweise solcher Konflikte als allge­ meinmenschliche Basisprobleme existentieller Dilemmata, Kulturstandards be­ schreiben die partikularistische Sichtweise dieser Konflikte als kontextbezo­ gene Konstruktionen und Kombinationen zur Lösung dieser elementaren Kon­ fliktsituationen.

Damit verlieren die Kulturstandards etwas von ihrem monolithischen, statischen, klischeehaften Charakter, weil sie durch die Ergänzung um die jeweiligen adapti­ ven Gegensätze auch den weniger stark wirksamen Pol mitschwingen lassen. Die­ ser nicht so offensichtliche Pol dynamisiert damit den vorrangig handlungslei­ tenden. Eindeutige und widersprechende Befunde lassen sich somit kategorisieren. Zum Beispiel: • Es gibt eben keine rein explizite Kommunikation, ein minimaler gemeinsamer Kontextbezug ist immer nötig und wird immer vorausgesetzt bzw. generiert. • Es gibt keine totale Sachorientierung. Gerade die Sache dient Deutschen häufig dazu, den Personenbezug zu regeln. Handlungstheoretisch sind eben auch die potentiellen, nicht realisierten Handlungsaltemativen bei der Organisation von transsituativen Orientierungen von Be­ deutung (Boesch, 1980)!

Das Pendeln ist den Kulturstandards dabei zum Teil bereits als Definitionsbe­ standteil inhärent. Weil Kultur eben auch über die zulässigen Schwankungen be­ stimmt. Mit den Kulturstandardpaaren greife ich außerdem die Kritik des Konstruktivis­ mus von Kulturstandards (Krewer, 1996) auf. Ich will sie nicht entschärfen, son­ dern arbeite bewusst und explizit konstruktivistisch: Ein Kulturstandard ist tat­ sächlich im Kontrast zu seinem anderskulturellen Pendant definiert. Er ist gar nicht anders denkbar und beansprucht nur, das andere, das gegenteilige Muster zu kontrastieren.

36

b. diachrone Perspektive: Kulturstandards haben eine historische Komponente: Sie sind entwickelt worden und entwickeln sich weiter. Thomas bemüht sich stets um eine kulturhistorische Verankerung der empirisch ermittelten Kulturstandards. Demorgon betont immer je nach Betrachtungsebene - die Ontogenese, Historiogenese oder Philogenese der adaptiven Achse. - Es war auch mein Bemühen, eine Historiogenese nachzuvoll­ ziehen, soweit das möglich ist. Dabei nehme ich gerne Anleihe bei den Konstruk­ ten und Ergebnissen, die Demorgon für Deutschland bereitstellt.

c. dimensionale Perspektive: Kulturstandards beziehen sich stets auf die Dimension Nation. Demorgon definiert adaptive Achsen auch für Individuen, Gruppen, gesellschaftliche Subkulturen, Nationen, Kulturkreise usw.. Meine Dimensionen heißen: Westdeutsche und Tschechen, denn sie waren meine Interviewpersonen und Datenauswerter. Inwie­ fern die westdeutschen Typiken auch für Ostdeutsche gelten, kann nur gemutmaßt werden. Aufgrund des Transformationsprozesses, dem Tschechen und Ostdeut­ sche unterliegen (dynamische Perspektive), ist es wahrscheinlich, dass es Abwei­ chungen zu den westdeutschen Kulturstandards gibt. Im Forschungsprozess benut­ ze ich außerdem die Dimension Individuum, aber lediglich als generellen Aus­ gangspunkt für Kritische Ereignisse, um sogleich im nächsten Schritt Individuelles zu eliminieren oder um (in der Selbstbeobachtung) mögliche Erläuterungen für Westdeutsche bzw. Tschechen „typische“ Details des Denkens, Fühlens und Han­ delns zu erfahren. - Die anderen Dimensionen werden übersprungen. Ich verfolge ausschließlich das Aggregieren der adaptiven Achsen auf dieser (Teil)NationDimension.

d. dynamische Perspektive: Kulturstandards sind miteinander vernetzt und stehen zueinander in einer hierar­ chischen Beziehung. - Das wird klar, wenn ich bei der Darstellung eines Kultur­ standards auf einen anderen, mit ihm und einem seiner zentralen Elemente in Ver­ bindung stehenden Kulturstandard verweise. In der deutsch-tschechischen Inter­ aktion ist beispielsweise Sachorientierung versus Personorientierung hierarchisch hoch stehend und andere Kulturstandards beeinflussend.

Nach Demorgon finden immer Veränderungsprozesse statt, was auf meiner Di­ mension gleichbedeutend mit kulturellem Wandel ist. Das trifft im Moment ganz besonders für Tschechien zu, weil es sich im sog. Transformationsprozess von ei­ ner sozialistischen Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft befindet. Ich bemühte mich, diese „Selbstorganisationsprozesse“ (Demorgon) in der Datenerhebung und 37

- auswertung mitzuerfassen.

Damit möchte ich die „kulturhistorische Verankerung“ der Kulturstandards um einen Aktualitätsbezug ergänzen und bewusst aktuelle Reaktionsmuster auf mo­ mentane Umweltbedingungen (Krewer, 1996) beschreiben, soweit das die Daten­ lage erlaubt. e. strategische Perspektive Aus dem Datenmaterial ergeben sich zum Teil klare Vorteile und Nachteile jedes Kulturstandardpaarpols. Sie werden jeweils mit dargestellt. - Im Anwendungsbe­ zug soll dadurch der Gefahr der Stereotypisierung vorgebeugt sowie die Attrakti­ vität es Pendelns erhöht werden.

Diese Perspektive ist eine Ergänzung zur bekannten Kulturstandardforschung. f. sektorielle Perspektive Der Sektor, auf den sich die Untersuchung fast ausschließlich bezieht, ist das Ge­ schäftsleben. „Fast ausschließlich“ deshalb, da Kulturstandards in mehreren Handlungsfeldem (zum Teil auf unterschiedliche Weise) wirksam sind und u.U. genau das ein sehr zentrales Element ihrer Definition darstellt, wie am Paar „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“ versus „Diffusion von Per­ sönlichkeits- und Lebensbereichen“ zu sehen ist. Eine weitere sektorielle Unterteilung oder Differenzierung nach speziellen TeilHandlungsfeldem erfolgte nicht. So sinnvoll eine solche Ab- und Eingrenzung ist, weil sie viel detailliertere Informationen zu Tage fordern kann (Schroll-Machl, 1996), so schwierig ist sie auf dieser Abstraktionsebene einzulösen.

Die Beschränkung auf vorwiegend ein Handlungsfeld und dessen Benennung ist auch in der Kulturstandardforschung üblich. Abbildung 1 gibt einen zusammenfassenden Überblick über den Ansatz der bipo­ laren Kulturstandardpaare als der Synthese aus dem Kulturstandardansatz nach Thomas und der multiperspektivischen Kulturtheorie nach Demorgon.

Im Text werden 'die synchrone, die dynamische und die strategische Perspektive im Empirieteil dargelegt (4.), da sie sich aus den erhobenen Daten ableiten lassen. Die diachrone Perspektive ist unter Kapitel 5 zu finden, weil sie unter Rückbezug auf andere Quellen erstellt wurde.

38

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• Geschäftsleben

Abb. 1: Ansatz der "Kulturstandardpaare"

Handlungsfeld

Selbstbeobachtung) • Nation / nationale Subgruppe

• Individuum (Kritische Ereignisse;

sektorielle Perspektive

dimensionale Perspektive

strategischePerspek

• Vor- und Nachteile der

intrakulturelle Variabilität

Kulturstandards

dynamischePerspek

• Transformationsprozess

historische (kurzfristige) Variabilität

diachronePerspek

synchrone Perspektive

Demorgon

• Historiogenese

Wirksamkeit

• Sowohl-als auch-Prinzip ihrer

• Kulturstandardpaare

Synthese

kulturhistorische Verankerung

Kulturstandards sind konstruktivistisch

Thomas

Ansatz der „Kulturstandardpaare“

2.3. Forschungsleitende Hypothesen 1. Tschechen und Deutsche erleben in ihren Kontakten immer wieder kriti­ sche Interaktionssituationen, denen sie im Umgang mit Partnern aus ihrer eigenen Kultur nicht in derselben Ausprägung oder Häufigkeit begegnen würden.

Was aus der Sicht der einen deshalb erwartungswidriges und unverständliches Verhalten ist, ist aus der Perspektive der anderen erwartungsgemäß, normal, typisch - wenn man Verhalten, das auch in der eigenen Kultur erwartungswid­ rig ist, ausschließt.

2. In der eigenen Kultur sozialisierten Personen ist es möglich, eine Handlung bzw. Handlungselemente als mehr oder weniger typisch für die eigene Kul­ tur einzustufen. Für die als typisch apostrophierten Handlungen und Handlungselemente können sie Erklärungen finden, warum sich die eige­ nen Landsleute so verhalten haben. Diese kulturadäquaten Erklärungen beziehen sich zunächst einmal auf die kon­ krete Interaktion der Kritischen Interaktionssituation.

3. Die Gesamtheit der Erklärungen für eine Vielzahl von Kritischen Interak­ tionssituationen lässt sich mit Hilfe von kategorisierenden Fragestellungen in eine überschaubare Anzahl von Kategorien einteilen. Diese Kategorien können dabei polar beschrieben werden, denn es finden sich im Kontrast zueinander stehende Verhaltens- und Erklärungsmuster von Tschechen und Deutschen als Antwort auf die kategorisierende Frage­ stellung. Jede Kategorie erhält damit eine überwiegend „deutsche“ und ei­ ne überwiegend „tschechische“ Ausprägung. Gleichzeitig können etwaige dynamische und strategische Relativierungen und Differenzierungen er­ fasst werden.

Kulturstandards sind transsituativ relativ stabile kulturelle Orientierungen, de­ ren Existenz sich zeigen lässt, wenn es gelingt, die Erklärungen von Hand­ lungen in verschiedenen Situationen auf einen gemeinsamen Nenner zu brin­ gen. „Gemeinsamer Nenner“ meint dabei, dass es (1) eine Fragestellung gibt, die mit dem Datenmaterial beantwortet werden kann, aber dass (2) die Ant­ worten fur die deutschen Muster bzw. die tschechischen Muster konträr aus­ fallen. (3) Auftauchende Widersprüche, „Ausreißer“ und „Ungereimtheiten“ 40

werden dabei systematisch zu- und beigeordnet, um die Dynamik der Kategorie erfassen zu können. 4. Die auf dieser empirischen Basis gewonnenen tschechischen und deutschen Kulturstandards haben Entsprechungen außerhalb dieser Untersuchung. Sie lassen sich kulturhistorisch verankern. Es finden sich parallele Aussa­ gen in der einschlägigen kulturphilosophischen und kulturvergleichenden Literatur.

Parallele Befunde, Beschreibungen und Untersuchungsergebnisse erhärten die Befundlage und sind ein stichhaltiges Argument dafür, dass es sich bei den hier definierten Kulturstandards nicht um Artefakte des Forschungsprozesses oder um zufällige Übereinstimmungen handeln.

2.4.

Forschen im bikulturellen Team

Wenn man die bislang dargestellten theoretischen Überlegungen wirklich ernst nehmen und in Forschungshandeln umsetzen will, dann ist es nötig, Kulturstan­ dardforschung nicht aus einer kulturellen Perspektive, sondern aus beiden zu betreiben. Denn Forschung selbst ist interkulturelles Handeln und unterliegt damit im Sektor Forschung genauso üblicherweise unreflektierten, kulturellen Selbst­ verständlichkeiten, d.h. Bedingungen, Normen, Werthaltungen, wie die Wirt­ schaftszusammenarbeit im Sektor Wirtschaftsleben. Im Modell gesprochen: Als Deutsche oszilliere ich in der Nähe jeweils eines Pols und kann damit vermutlich nicht so adäquat und detailliert die Daten, die den jeweiligen Kontrastpol charak­ terisieren, zuordnen und interpretieren, wie das ein tschechischer Kollege kann.

Forschungspraktisch heißt das: Es gehen immer dann Chancen zur Datenerhebung und Feinheiten der Datenauswertung verloren, wenn ausschließlich eine Deutsche mit deutschen Methoden in deutsch strukturierten Settings zu Werke schreitet selbst wenn sie das auf eine durchaus aus deutscher Sicht „bewährte“ und er­ probte Art macht.

Für die Datenerhebung hat das folgende Konsequenzen: • Als Eingangsvoraussetzung ist ein Beziehungsnetzwerk nötig, um Auskunfts­ personen zu rekrutieren. In einer personorientierten Kultur ist ein einheimischer

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Kollege mit seinen Beziehungen der Schlüssel zum Erfolg, dass sich überhaupt Interviewpartner zur Verfügung stellen und etwas erzählen.

• Dann hat eine Methodenadaptation zur Datengewinnung zu erfolgen: Die For­ schungssettings in ihrer sozialen, räumlichen und zeitlichen Dimension sind tschechischen Gepflogenheiten anzupassen, um zu relevanten Daten zu kom­ men.

Für die Datenauswertung bedeutet das:

Ein tschechischer Partner ist als Korrektiv und Ergänzung dringend nötig: 1. Für die synchrone Perspektive müssen folgende Fragen beantwortet werden: • Entsprechen die Kategorien auch der tschechischen Wahrnehmung der Problematik? • Ist die (vorläufige) Zuordnung der Daten zu den Kategorien richtig? Sind das tschechische Antworten auf deutsche Fragen? Sind das deutsche Antworten auf tschechische Fragen? • Wie sind Widersprüche und (bisherige) Unvereinbarkeiten einzuordnen? In­ wieweit liegt hier eine Aktivierung des Gegenpols vor?

2. In der dynamischen Perspektive ist der Bezug der erhaltenen Aussagen zum Transformationsprozess zu klären. 3. Und die strategische Perspektive will den Vor- und Nachteilen der jeweiligen Kulturstandards auf die Spur kommen. Das ist nur durch eine gemeinsame Diskussion des Datenmaterials und eine ge­ meinsame Suche nach adäquaten Kategorien zu leisten, weil eben jeder in seiner Kultur Feinheiten im Material, die den anderen irritieren, treffsicherer verorten und auf Stimmigkeit bezüglich der sonstigen Aussagen prüfen kann. Die Diskus­ sion mit dem anderen zwingt dabei jeden zur Präzision. In der hier vorliegenden Untersuchung wurde dieser Ansatz verfolgt. Ein tsche­ chischer Partner hatte sich dankenswerter bereit erklärt, mich in all den genannten Punkten der Datenerhebung und Datenauswertung zu unterstützen.

Da die gesamte Herangehensweise in Deutschland entwickelt, erprobt und verfei­ nert wurde und das methodische Know-how zunächst ausschließlich auf der deut­ schen Seite vorhanden war, konnte deshalb das gemeinsame Handeln nur darin bestehen, dieses Know-how als Ausgangsbasis zu nehmen und anzuwenden, um

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es dann aufgrund gemeinsamer Reflexion mehr und mehr den tschechischen Be­ dingungen anzupassen. Diese Bedingungen stellten den unverrückbaren Rahmen für das Forschungshandeln dar. Mit dieser Herangehensweise wurde der Versuch einer Selbstanwendung des in­ terkulturellen Wissens unternommen. Denn „... nicht anders als in der internati­ onalen wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit sind auch für internatio­ nale wissenschaftliche Kooperationsprojekte bestimmte interkulturelle Kompe­ tenzen der Beteiligten unbedingt erforderlich, wenn von einer einseitigen (finan­ ziellen, konzeptuellen etc.) Dominanzstrategie Abstand genommen wird. Inter­ kulturelle Forschung kann nicht allein eine Forschung über das Fremde sein, son­ dern nur eine Forschung zusammen mit fremdkulturellen Partnern.“ (Thomas, 1999b, S. 1)

2.5.

Der Anwendungsbezug: Interkulturelles Lernen

Der Ansatzpunkt für qualitative Forschung „sollen primär konkrete, praktische Problemstellungen im Gegenstandsbereich sein, auf die dann auch die Untersu­ chungsergebnisse bezogen werden können.“ (Mayring, 1996, S. 22) Die Kultur­ standardforschung hat starken Praxisbezug und dieser heißt „Interkulturelle Trai­ nings“. Und dieser Praxisbezug wird als eine große Stärke der Kulturstandard­ theorie betrachtet.

Molz (1994) hebt hervor, dass das Kulturstandardkonzept als Forschungs- und Theorieansatz unbestreitbar folgende Vorteile bietet: • • • •

lebensnahe Strukturierung leichte Verständlichkeit gute Übersichtlichkeit einfache Memorierbarbeit

Damit könne es seinen Anwendungsaspekt in interkulturellen Trainings bestens erfüllen.

Interkulturelle Trainings haben unabhängig von der konkreten Didaktik immer „interkulturelles Lernen“ zum Ziel. Was ist darunter aber zu verstehen? Eine De­

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finition des Begriffs „interkulturelles Lernen“ soll nun im Lichte der Theorien, die dieser Arbeit zugrunde liegen, erfolgen.

2.5.1.

Interkulturelles Lernen nach Thomas

„Interkulturelles Lernen findet statt, wenn eine Person bestrebt ist, im Umgang mit Menschen einer anderen Kultur deren spezifisches Orientierungssystem der Wahrnehmung, des Denkens, Wertens und Handelns zu verstehen, in das eigen­ kulturelle Orientierungssystem zu integrieren und auf ihr Denken und Handeln im fremdkulturellen Handlungsfeld anzuwenden. Interkulturelles Lernen bedingt ne­ ben dem Verstehen fremdkultureller Orientierungssysteme eine Reflexion des eigenkulturellen Orientierungssystems. Interkulturelles Lernen ist dann erfolg­ reich, wenn eine handlungswirksame Synthese zwischen kulturdivergenten Ori­ entierungssystemen (Kulturstandards) erreicht ist, die erfolgreiches Handeln in der eigenen und in der fremden Kultur erlaubt. ... Interkulturelles Lernen provo­ ziert das Gewahrwerden sowohl fremdkultureller Merkmale (fremde Kulturstan­ dards) als auch das Bewusstwerden eigenkultureller Merkmale (eigene Kultur­ standards), die immer schon als implizite Einflussfaktoren handlungswirksam wa­ ren.“ (Thomas, 1993, S. 382). In dieser Definition sind folgende Punkte im Hinblick auf die vorliegende Arbeit besonders relevant: 1. Sowohl das fremdkulturelle, wie das eigenkulturelle Orientierungssystem sind zu reflektieren. 2. Für das Handeln ist eine Synthese zwischen den beiden Orientierungssystemen zu erreichen.

„Erfolgreiches interkulturelles Lernen und ein hohes Maß an interkulturellem Verstehen sind Voraussetzungen zum produktiven interkulturellen Handeln, defi­ niert als ein Handeln, das in kulturellen Überschneidungssituationen stattfmdet, in denen der Handelnde zunächst zwar sein eigenes kulturspezifisches Orientie­ rungssystem zur Handlungssteuerung in einem fremdkulturell strukturierten Handlungsfeld verwendet, dann aber bereit und fähig ist, dieses Orientierungs­ system entsprechend den fremdkulturellen Standards so umzustrukturieren (ver­ ändern und erweitern), dass beide Orientierungssysteme in einer aufeinander ab­ gestimmten Weise zur effektiven Handlungssteuerung in der kulturellen Über­ schneidungssituation zum Einsatz kommen.“ (Thomas, 1993, S. 383). 44

Wie kann das nun gelingen? Es gelingt gemäß der obigen Definition in den Schritten (1) des Gewahrwerdens des Eigenen und des Fremden in der kulturellen Überschneidungssituation und (2) des reflektierten Handelns.

Das Gewahrwerden des Eigenen:

Sich des Selbstbilds bewusst zu werden, ist kein einfacher Prozess. Denn wir ge­ hen „üblicherweise davon aus, dass so, wie wir uns verhalten, sich auch alle ande­ ren Menschen verhalten. ... Andere Formen der Wahrnehmung, der Beurteilung und Beeinflussung erscheinen uns zunächst einmal als falsch, nicht ganz richtig, lückenhaft, primitiv usw..“ (Thomas, 1999, S. 107; Stewart, 1995). „Im Laufe der individuellen Entwicklung ... sind uns die eigenen Wahmehmungsweisen, die ei­ genen Arten des Urteilens, die eigenen Formen der Beeinflussung und die eigenen Verhaltensweisen so zur Gewohnheit und Selbstverständlichkeit geworden, sie sind so in die Routine übergegangen, dass wir sie nicht mehr als etwas Besonde­ res, Spezifisches und Eigenständiges bemerken.“ (Thomas, 1999, S. 107) Wir sind somit gezwungen, „die eigenkulturellen Bedingungen des Wahmehmens, Denkens und Verhaltens zu thematisieren, zu reflektieren, ihre Eigenständigkeiten und Besonderheiten zu erkennen und verstehen zu lernen.“ (Thomas, 1999, S. 107) Denn das Eigene und das, was daran so typisch ist, wird niemandem be­ wusst. Das Gewahrwerden des Fremden:

Das Fremde wahrzunehmen, ist viel einfacher, denn Fremdes hebt sich vom Ge­ wohnten ab. „Menschen aus anderen Kulturen ... haben abweichende Formen des Wahmehmens, Urteilens, Empfindens und Handelns entwickelt. Sie sind unter anderen .... Bedingungen aufgewachsen und haben somit auch andere Überle­ bensstrategien, Formen der Problembewältigung und der Lebensgestaltung erfun­ den und für sich verbindlich festgelegt.“ (Thomas, 1999, S. 108) Für das interkulturelle Lernen zieht das folgende Konsequenzen nach sich: „1. Erkennen der fremdkulturellen Bedingungen des Wahmehmens, Denkens, Urteilens, Empfindens und Handelns; 2. Verstehen dieser fremdkulturellen For­ men der Lebens- und Problembewältigung; 3. Anerkennen, dass diese Formen ebenso vernünftig und sinnvoll sein können wie die eigenen Formen der Lebens­ bewältigung.“ (Thomas, 1999, S. 109)

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Die Synthese im Interkulturellen:

Eine Zusammenarbeit provoziert und erzwingt die Bewältigung einer neuen An­ forderung: „Eigenes und Fremdes muss ... aufeinander abgestimmt werden. ... Unterscheiden lassen sich folgende Handlungsaltemativen l.Es muss geprüft werden, inwieweit das Eigene und das Fremde miteinander übereinstimmen (kulturelle Identität), in welchem Maße Eigenes und Fremdes voneinander abweichen (kulturelle Differenz) und inwieweit Elemente des Ei­ genen und des Fremden nebeneinander bestehen können (kulturelle Kompa­ tibilität). 2. Weiterhin muss geprüft werden, was vom Eigenen in Richtung auf das Fremde geändert werden kann. Wie weit kann und sollte man sich dem Fremden anpas­ sen?... 3. Es muss geprüft werden, wie das Fremde in Richtung auf das Eigene geändert werden kann, welche Möglichkeiten bestehen, dem Fremden die eigenen Ziele und Verhaltensgewohnheiten so zu vermitteln, dass er sie erkennen, anerken­ nen und sich ihnen eventuell annähem kann.... 4. Es muss geprüft werden, welche produktiven oder destruktiven Konsequenzen solche Änderungsbemühungen in Richtung auf das Fremde und in Richtung auf das Eigene haben.“ (Thomas, 1999, S. lllf) Als Kem der Definition des Interkulturellen Lernens nach Thomas bleibt somit festzuhalten:

Integration und Anwendung beider Orientierungssysteme durch das Ge­ wahrwerden fremdkultureller und eigenkultureller Merkmale.

2.5.2.

Interkulturelles Lernen nach Demorgon

Da Demorgon von existenziellen Dilemmata ausgeht, die er mit seinen Polen be­ schreibt, heißt interkulturelles Lernen für ihn:

Eine Person ist in der Lage, eine Lösung der situativen Gegensätze zu finden, die unter den aktuellen Bedingungen die adaptivste ist, ohne dass die Kultur allein schon diese Antwort vorher bereitstellen konnte. Sein Ausgangspunkt heißt: „Will man die Chancen einer interkulturellen Begeg­ nung nicht verspielen, müssen die tatsächlich vorhandene Komplexität und Wi­ 46

dersprüchlichkeit der Beziehungen, die zwischen persönlichen, sozialen, intraund internationalen sowie intra- und interkulturellen Problemstellungen bestehen, entschlossen in Kauf genommen werden.“ (Demorgon, 1999a, S. 69) Demorgon möchte vor allem Fluidität im Verhalten erreichen. „Kulturelle Unterschiede kön­ nen eine enge Verbindung mit unseren Projektionen, positiven wie negativen Vorurteilen, Hoffnungen und Idealismen eingehen. Dagegen müssen wir uns wappnen.“ (Demorgon, 1999a, S. 73). In interkulturellen Begegnungen werden und darin sieht Demorgon die Chance und die Herausforderung - Assimilationsund Akkomodationprozesse ausgelöst bis eine erneute, schwierige Reäquilibration gelingt. Interkulturelles Lernen ist daher gleichbedeutend mit einer Dynami­ sierung des Pendelprozesses zwischen den Polen der Gegensätze. Die Schwan­ kungsbreite der Oszillationen und ihre Geschwindigkeit erhöhen sich. Das Ziel ist eine Integration, d.h. eine gleichberechtigte Kombination kultureller Eigenheiten der beteiligten Kulturen. Und es wird durch eine Erweiterung der Pendelbewe­ gungen erreicht, indem ein genügend großer Überlappungsbereich entsteht, der eine dauerhafte Kommunikation ermöglicht. Nur hier ist Bereicherung und Fort­ entwicklung möglich, nur hier Potential für interkulturelles Lernen und neue, ge­ meinsame kulturelle Produktionen.

Ausgehend von dieser Vorstellung fuhrt Demorgon nun Bedingungen an, die die Oszillationen erschweren bzw. erleichtern. Erschwernisse:

• Das Anderssein wirkt zunächst bedrohlich. Wird die Bedrohung zu stark erlebt, steigt die Tendenz, den anderen abzuwerten. • Erfolgt eine Festschreibung von angeblichen Charakterzügen des anderen, können die Unterschiede überbetont werden. Erleichterungen:

• Das Anderssein kann als Quelle einer reichhaltigeren Selbstorganisation be­ trachtet werden. Die Gegensätzlichkeiten ermöglichen neue kulturelle Pro­ duktionen! • Dazu müssen die adaptiven Achsen und Strategien der anderen erkannt werden und in die eigenen einbezogen. Die vorfindbare Diversität darf nicht geleugnet werden! Aber sie ist eine statistische, keine substantielle - auch wenn kulturelle Orientierungen aus der primären Sozialisation lebenslang bedeutsam bleiben. • Anforderungen können kreativ und unter Umständen besser bewältigt werden, da keine Kultur alleine den Schlüssel zur Lösung existenzieller Dilemmata hat.

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Prozess des interkulturellen Lernens: Das Ziel interkulturellen Lernens ist für Demorgon, die Selbstbilder zu flexibili­ sieren und damit ein erweitertes Pendeln zu ermöglichen. Die Festschreibung von angeblichen Charakterzügen muss verhindert werden, indem die jedem gegebene Fähigkeit zum Pendeln bewusst gemacht und eingesetzt wird, sodass eine beider­ seitige dynamische Integrationsstrategie durchgehalten werden kann. Er schlägt dazu mehrere Schritte vor (1999a; 1999b):

1. Anerkennung offensichtlicher Unterschiede (wie Sprache, Sitten) 2. Differenzierung und Identitätsverunsicherung - der Schock der Differenz Mit der Zeit werden immer mehr Unterschiede wahrgenommen und die Er­ kenntnis breitet sich aus, dass diese vielen Unterschiede keinen Zufall dar­ stellen. „Wir haben es nun nicht mehr nur mit einer Anreihung kultureller Merkmale zu tun, sondern wir sehen uns mit einem organisierten Ganzen kon­ frontiert, das ein intrakulturelles System bildet.“ (1999b, S. 31) Dabei treten die Identifikationen, denen jeder in seiner Kultur selbstverständlich unterworfen ist, ins Bewusstsein, d.h. wird man sich der eigenen Kultur bewusst und all der Identifikationsprobleme, die man darin zu meistem hat. Das Bewusstsein, dass Individuen sowie Nationen und Kulturen ein Auswahl treffen, wie sie welches Identifikationsproblem lösen, führt zu Verunsicherung und Verwirrung.

3. Kontextualisierung - Verortung der eigenen Identität im kulturellen und ge­ schichtlichen Umfeld Nun wird die individuelle (Lebens)Geschichte in den Kontext der nationalen und kulturellen Geschichte gestellt und erhält hier wieder Struktur und Sinn. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Strategie der Integration, denn eine wankende Identität oder nicht erkannter Sinn in den Verhaltensmustem würde bedrohlich wirken und das Oszillieren verhindern. 4. Distanzierung und Konzeptualisierung - Kulturen als entwicklungsoffene, an­ tagonistische Systeme In diesem Schritt gilt es nach Weiterentwicklungen Ausschau zu halten - kol­ lektiv durch das Wahmehmen von kulturellen Antagonismen und individuell durch das Erkennen und Erproben von Spielräumen. Ein guter Weg zur Dynamisierung der bestehenden vorherrschenden Orientierung und zur Erreichung des vierten Schrittes, besteht für Demorgon darin, die Vorund Nachteile eines Pols zu vermitteln: Worin besteht der Trumpf des anderen?

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Wie kann ich meinen eigenen Trumpf dem anderen nahe bringen? - Das lockt zum Pendeln.

Als Idealtypus proklamiert Demorgon eine sog. Mediatorpersönlichkeit. Ihre adaptiven Achsen sind weder für die eine Kultur noch für die andere typisch, son­ dern liegen im mittleren Bereich des gesamten Spektrums. Damit kann eine der­ artige Persönlichkeit in beiden Kulturen zurechtkommen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Interkulturelles Lernen für Demorgon im Kem bedeutet: Dynamisierung des Pendelprozesses zwischen den Polen der Gegensätze.

2.5.3.

Der Beitrag des vorliegenden Ansatzes der Kulturstandardpaare für Interkulturelles Lernen

Das Modell der Kulturstandardpaare konturiert die Merkmale beider Kulturen.

Damit kann es folgendes leisten: 1. Orientierung über die vorhandene Diversität (Gewahrwerden des Eigenen und des Fremden)

2. Motivation zum Oszillieren durch (a) den Versuch, die Vor- und Nachteile je­ des Pols zu vermitteln (Attraktion der Vorteile des Gegenpols!), bzw. (b) auf­ grund der Beantwortung der „Prüffragen“ für eine Synthese im Interkulturellen nach Thomas

3. Reduktion der Hemmnisse vor dem Oszillieren aufgrund der Herausarbeitung des Sowohl-als-Auch-Prinzips

Dieses Konzept ist daher in der Lage, sowohl Orientierung zu geben, wie auch zur Integration zu ermutigen und die Stadien „conscious competence“ (Howell, 1982) aufgrund der Orientierung bzw. „Kulturbewusste Repersonalisierung“ aufgrund der Relativierung in der polaren Dynamik und „interkulturelle Kreativität“ (Kre­ wer, 1994) aufgrund der historischen Zusammenhänge einzuleiten.

49

3.

Methodisches Vorgehen: Die empiri­ sche (Re-)Konstruktion zentraler tschechischer und (westdeutscher Kulturstandards

Besonders in problematisch verlaufenden ’’kritischen” Interaktionssituationen wird die handlungsregulierende Wirkung der Kulturstandards deutlich erlebbar, da die kulturell unterschiedlich sozialisierten Interaktionspartner mit ihrem gewohnten Orientierungssystem die Interaktionssituation nicht adäquat bewältigen können. In anderen, bereits durchgefuhrten Untersuchungen hat sich gezeigt, dass gerade die Analyse kritischer Interaktionssituationen, "critical incidents" (Flanagan 1954), eine bewährte Methode zur Erfassung von Kulturstandards ist (Thomas 1988). Ge­ rade dann, wenn das eigene gewohnte Orientierungssystem bei der Regulation ei­ ner interpersonalen Interaktionssituation versagt und das Geschehen nicht mehr verstanden werden kann, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass unterschiedliche Orientierungssysteme wirksam sind. Solche Ereignisse sind für die betroffenen Personen ärgerlich, beängstigend und mit einem hohen Grad an Stress und Anpas­ sung verbunden. Sie weisen Merkmale unerledigter, nicht abgeschlossener Hand­ lungen auf, mit denen sich der Handelnde weiterhin intensiv beschäftigt, z.B. nach Gründen und Erklärungen sucht und deshalb in der Lage ist, solche Situationen auch noch nach längerer Zeit gut zu erinnern. Mit anderen Worten: Da für jede Kultur ihre Kulturstandards unreflektierte Selbstverständlichkeiten sind, müssen sie aus der Normalität herausgehoben wer­ den, um greifbar zu sein. Dazu bedarf es der Konfrontation der Selbstverständ­ lichkeiten der einen Kultur mit den Selbstverständlichkeiten der anderen Kultur. Ein Kontrast muss hergestellt werden, der die kulturellen Orientierungen heraus­ hebt, in denen sich die betrachteten Kulturen auffällig unterscheiden. Dies passiert in alltäglichen beruflichen Interaktionen, die im Rahmen der kulturellen Über­ schneidungssituation stattfinden, in den Feldern, in denen die kulturellen Orientie­ rungssysteme der Beteiligten genügend stark differieren. Methodisch ist somit nach denjenigen Verhaltensweisen zu fragen, die aus der einen kulturellen Per­ spektive mit Mitgliedern der anderen Kultur nicht zu erwarten gewesen wären. Warum? Weil Kulturstandards Handlungsorientierungen sind, die Ziel- und Ver­ laufserwartungen ausrichten. Erwartungswidriges Handeln des fremdkulturellen Partners ist damit ein entscheidendes Kriterium für den Kontrast von Kulturstan­ dards. Extreme Abweichungen von den Handlungserwartungen erlauben somit einen wesentlich leichteren Zugriff auf die zugrundeliegenden Orientierungen als normal, den Erwartungen entsprechende Interaktionsverläufe. Deshalb bilden so­ 50

genannte kritische Interaktionssituationen das Ausgangsmaterial der Analyse. (Molz, 1994; Flanagan, 1954; Gutjahr, 1985; Hron, 1994) Kulturstandards können auch deduktiv gewonnen werden. Dann leitet man sie bei­ spielsweise aus philosophischen, historischen, ethnologischen oder kulturanthro­ pologischen Erkenntnissen über die interessierenden Kulturen ab. Im hier be­ schrittenen induktiven Weg werden die aus konkreten Kulturbegegnungen zweier oder mehrerer Personen erhobenen handlungswirksamen Kulturstandards erst im Anschluss durch deduktive Elemente ergänzt.

3.1.

Erhebung kritischer Interaktions­ situationen

3.1.1.

Die Technik der „Kritischen (critical incident technique)

Ereignisse“

Die „critical incident technique“ wurde von Flanagan (1954) entwickelt und von Fiedler, Mitchell & Triandis (1971) auf die kulturelle Überschneidungssituation angewandt. Sie hat sich bereits in einer Reihe von Arbeiten für unterschiedlichste Länderpaare zur empirischen Rekonstruktion von Kulturstandards bewährt (z.B. Brüch & Thomas, 1994; Molz, 1994; Müller & Thomas, 1991; Rieger, 1992; Markowsy & Thomas, 1995; Schmid, 1999; Thomas & Schenk, 1996). Ihr Vorzug ist es, dass auf tatsächliche und konkrete Handlungsverläufe fokussiert wird und nicht Meinungen oder Einstellungen gesammelt werden, die auf allgemeinen oder abstrakten Eindrücken basieren.

Das Wörtchen „kritisch“ an den „Kritischen Ereignissen“ ist nicht alltagssprach­ lich zu verstehen, sondern wissenschaftlich-neutral und bezeichnet Erwartungs­ widrigkeit - im positiven wie im negativen Sinne.

Nach Molz (1994) sind folgende Elemente für Kritische Interaktionssituationen in der kulturellen Überschneidungssituation maßgeblich: 1. „ abgrenzbarer handlungsbezogener Kontext, in dem mindestens zwei Personen unterschiedlicher Herkunft miteinander kommunizieren; 2. das Partnerverhalten erscheint aus der Sicht des Berichtenden entweder uner­ wartet adäquat und besonders zieldienlich oder ausgesprochen unadäquat und

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nicht zieldienlich; 3. die Situation ist vom Berichtenden selbst erlebt, selbst beobachtet oder von Dritten zuverlässig erfahren worden; 4. sie ist überraschend, unerwartet, fremd, verwirrend, sie stiftet Unsicherheit (ein eigenkultureller Interaktionspartner hätte wahrscheinlich anders reagiert); 5. sie wird nicht neutral erlebt, sondern entweder als unerfreulich, ärgerlich, konflikthaft oder als erfreulich, erleichternd, begeisternd; 6. sie ist zuerst unverständlich, nicht eindeutig erklärbar, es besteht eine Tendenz zu einer falschen Interpretation des Partnerverhaltens (inadäquate Attribution); 7. die Reaktion lässt sich nicht durch individuelle Eigenheiten erklären, mit Hilfe kultureller Hintergrundinformation ist sie dagegen interpretierbar; 8. die Situation ist alltäglich (häufig, typisch) und für die Zielgruppe relevant (aus ihrem durchschnittlichen Erfahrungsbereich, für die jeweilige Zielerreichung bedeutsam).“ (Molz, 1994, S. 82 f) Gängigerweise werden Critical Incidents in sog. narrativen Forschungsinterviews (vgl. 3.1.2.) erhoben (z.B. Brüch & Thomas, 1994; Molz, 1994; Müller & Thomas, 1991; Rieger, 1992; Markowsy & Thomas, 1995; Schmid, 1999; Thomas & Schenk, 1996). Das geschah auch in der vorliegenden Untersuchung zu einem überwiegenden Anteil (401 Stück) Als Novum dieser Arbeit wurden aber auch Critical Incidents aus Beobachtung (7 Stück) und Selbstbeobachtung (10 Stück) mit hinzu genommen. Das geschah aus folgenden Gründen:

• Das Ziel dieser Untersuchung war es, mit Hilfe von Critical Incidents deutsche und tschechische Kulturstandards zu erheben. Für dieses Ziel ist es ausschlag­ gebend, Kritische Ereignisse als Datenbasis zu nehmen, die den oben ange­ führten Kriterien entsprechen. Das Erhebungsinstrument ist lediglich ein Mittel solche Kritischen Ereignissen sammeln zu können. Es kann daher prinzipiell durch jedes andere Mittel ersetzt werden, ohne die Qualität der Daten zu beein­ trächtigen, wenn das Ergebnis (Kritisches Ereignis) den Kriterien entspricht. • Um die Untersuchung bilateral durchführen zu können, war die Zusammenar­ beit mit einem tschechischen Kollegen unabdingbar notwendig. Diese Zusam­ menarbeit war aber ihrerseits eine kulturelle Überschneidungssituation, die, wie es für kulturelle Überschneidungssituationen charakteristisch ist, zu kritischen Ereignissen führte. Es war daher nicht nur naheliegend, auch solche Kritischen Ereignisse in die Datenbasis mit aufzunehmen, sondern es war zur Aufrechter­ haltung der Zusammenarbeit zwingend geboten, diese Kritischen Ereignisse zu bewältigen. Damit standen sie - sogar dringlich - zur Bearbeitung an und boten einen Fundus an Analysemöglichkeiten. (Kritische Ereignisse aus Selbstbeo­ bachtung) • Weil die Zusammenarbeit mit dem tschechischen Kollegen nicht nur eine wis­ 52

senschaftliche ist, sondern wir darüber hinaus gemeinsam als Trainertandem für deutsch-tschechische interkulturelle Trainings arbeiten, erlebten wir, wenn wir beratend an konkreten Problemstellungen mit unseren Kunden arbeiteten, wäh­ rend dieser Arbeit ebenfalls einige Kritische Ereignisse, die ich unter der Maß­ gabe, dass Kritische Ereignisse die oben angeführten Kriterien erfüllen sollten, ebenfalls in den auszuwertenden Pool der Datenbasis aufnahm. (Kritische Er­ eignisse aus Beobachtung)

Anzahl der Kritischen Er­ eignisse

Narratives Inter­ view

Beobachtung

Selbstbeobach­ tung

188 mit Deut­ schen 213 mit Tsche­ chen

7

10

Abb. 2: Kritische Ereignisse in der Übersicht

Im folgenden wird nun die Vorgehensweise in all diesen Fällen dargestellt. Da je­ doch überwiegend mit Befragungsdaten aus den narrativen Interviews gearbeitet wurde, wird auch diese Methode ausführlicher geschildert.

3.1.2.

Die Erhebungsverfahren

3.1.2.1.

Das narrative Interview

Zur Gewinnung kritischer Interaktionssituationen wurde - von der vergleichsweise geringen Anzahl an Selbstbeobachtungs- und Beobachtungsdaten einmal abgese­ hen- die Methode eines teilstrukturierten Interviews benutzt, da sie den Befragten im Rahmen der vom Interviewer vorgegebenen Struktur ein hohes Maß an Freiheit in der Gestaltung der Interviewsituation und in der Schilderung der Erfahrungen und Beobachtungen lässt (Huber & Mandl, 1994). Als Form für das Interview wird das narrative Interview gewählt (Lamnek, 1995b; Mayring, 1996; Huber und Mandel, 1994), denn es eignet sich besonders „für Thematiken mit starkem Handlungsbezug“ (Mayring, 1996, S. 56) und „für die Analyse individueller Wahrnehmungen und komplexer Deutungssysteme“ (Hron, 1994, S. 128). Es ist charakterisiert durch die Tatsache, dass der Forscher

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sein „wissenschaftliches Konzept nachträglich auf den Äußerungen des Befragten“ (Lamnek, 1995b, S. 74) aufbaut und kein theoretisch ausgearbeiteter Entwurf die Interviews dominiert. „Das narrative Interview will durch freies Erzählenlassen von Geschichten zu subjektiven Bedeutungsstrukturen gelangen, die sich einem systematischen Abfragen versperren würden“ (Mayring, 1996, S. 55). Ein narrati­ ves Interview ist offen, qualitativ, gering strukturiert. In ihm kann und soll aus einer Retrospektive (Huber & Mandel, 1994; Lamnek, 1995b) persönlich Rele­ vantes sowie individuelle Bedeutungsmuster zur Sprache kommen (Hron, 1994; Lamnek, 1995b). „Die Erzählungen kommen in ihrer Struktur den Orientierungsmustem des Handelns am nächsten.“ (Lamnek, 1995b, S. 71) Die Befragungssitu­ ation ist weitestgehend Alltagsgesprächen angenähert, z.B. hinsichtlich Umge­ bung, Setting oder umgangssprachlichem Gesprächsstil; die Gesprächsfuhrung ist non-direktiv, dem Bedürfnis nach Anerkennung und Rückmeldung Rechnung tra­ gend. Die offenen Fragen des Interviewers müssen den Interviewleitfaden, die In­ terviewsituation und die Erzählbereitschaft und -fahigkeit des Befragten in Ein­ klang bringen (Brenner, 1985). Die Rolle des Interviewers besteht darin, eine gute und vertrauensvolle Beziehung zum Interviewpartner herzustellen - schon rein aus methodischen Gründen, dass dieser der fremden Person etwas erzählen mag (Ulich, 1994). Dazu muss die Neutralität soweit wie möglich aufgegeben und der Beziehungsaspekt genutzt werden. Die Rolle des Interviewers ist die eines anteil­ nehmenden Zuhörers (Ulich, 1994), das Setting ein möglichst naturalistisches, das Alltagskommunikationen nahe kommt (Lamnek, 1995b).

Inhaltlich wurden die zu befragenden Personen gebeten, einige typische, häufig vorkommende und aufgabenbezogene Begegnungssituationen zu schildern, in de­ nen ihre ausländischen Partner in einer nicht erwarteten Art und Weise reagier ten. Bei den geschilderten Situationen sollte es sich um übliche Begebenheiten han­ deln, in denen ein Tscheche mit einem oder mehreren Deutschen interagiert hat bzw. umgekehrt. Der Tscheche / Deutsche musste die Situation als konfliktgela­ den oder verwirrend empfunden haben. Neben der Darstellung kritischer Interakti­ onssituationen sollten die befragten Tschechen und Deutschen auch Interaktions­ situationen schildern, in denen sie überraschend problemlos und konfliktfrei inter­ agieren konnten und die für sie gut, glatt, harmonisch und von gegenseitigem Ver­ ständnis geprägt verlaufen sind. Jedes Interview begann damit, dass nochmals das Ziel der Studie geschildert und betont wurde, dass nach konkreten Erlebnissen und Erfahrungen gesucht, nicht nach einer schlüssig formulierten Charakterbeschrei­ bung und Darstellung der Mentalität eines Deutschen oder Tschechen. Gefragt seien kleine Anekdoten oder Geschichten, die der Interviewpartner mit der ande­ ren Kultur erlebt hätte, die ihm erstaunlich, seltsam, bemerkenswert, fremdartig usw. vorgekommen wären. Beschrieb der Respondent allgemeine Statements be­ züglich der Volksmentalität, was immer wieder geschah, dann wurde versucht sich darüber an konkrete Erlebnisse heranzuarbeiten. Hilfreich war es auch, nach kon­ kreten Erlebnissen in den einzelnen Handlungsbereichen des Interviewpartners zu 54

fragen. Die befragten Personen wurden im Interview außerdem gebeten, zu jeder geschilderten kritischen Interaktionssituation anzugeben, warum sich ihre kultur­ fremden Partner so unerwartet verhalten haben. Sie sollten eine eigene Erklärung für die ’’kritischen” Stellen in der von ihnen geschilderten Interaktion abgeben.

Der Verlauf eines narrativen Interviews lässt sich generell und idealiter so be­ schreiben (Haupert, 1985; Hron, 1994; Gutjahr, 1985; Ulich, 1994; Brenner, 1987): • Die Einführungsphase dient der Situationsdefinition und trägt dem Informati­ ons- und Orientierungsbedürfnis des Interviewpartners Rechnung. Außerdem gilt es, eine Interpretation des Interviews als Leistungssituation oder gar Kon­ trollsituation abzuwenden. • Im Warming-up soll eine möglichst entspannte Situation hergestellt werden, indem leicht beantwortbare, unspezifische Fragen gestellt werden. Ein Vertrautwerden mit der Situation und der Erzählerrolle soll erreicht und die Erinnerung angeregt werden. • Die eigentliche narrative Phase wird durch eine Erzählstimulierung eingeleitet d.h. der Frage nach Erlebnissen, in denen die Verhaltens- oder Reaktionswei­ sen der jeweils fremdkulturellen Partner unverständlich, eigenartig oder uner­ wartet erschienen - und dann durch aufmerksames, anteilnehmendes und akti­ ves Zuhören begleitet, aber nicht gesteuert. • Wenn der Interviewte erkennen lässt, dass seine Erzählung sinnvoll abge­ schlossen ist, werden in der Nachfragephase zusätzliche und ergänzende In­ formationen eingeholt. Dann oder wenn ein Interviewpartner ins Stocken gerät, werden Aktualisierungshilfen eingesetzt und aus dem Interviewleitfaden Beg­ riffe für Szenarien angeboten, die eventuell weitere Erinnerungen auftauchen lassen. • Der Zyklus Erzählstimulierung - Erzählen - Nachfragen wird so oft wiederholt, bis keine Kritischen Ereignisse mehr erzählt werden können oder, ganz prag­ matisch, die Zeit, die der Interviewte sich für das Interview nehmen konnte und wollte, um ist. • Die Abschlussphase kann zur Metakommunikation über das Interview genutzt werden sowie zur Äußerung der Ansicht des Interviewten nach allgemeinen deutschen bzw. tschechischen Eigenschaften, nach möglichen Erfolgserlebnis­ sen in der Kooperation, nach Tipps für andere, die in ähnlichen Situationen stehen.

Der Interviewleitfaden sah folgendermaßen aus:

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Zielangabe: Das Ziel der Studie ist es, die Missverständnisse, Überraschungen und Schwierig­ keiten, die erfahrungsgemäß immer wieder auftreten, wenn Tschechen und Deut­ sche miteinander zu tun haben, auf die zugrundeliegenden kulturellen Unter­ schiede zurückzuführen. Im Anschluss wird aus dem gewonnenen Material ein Training entwickelt, das tschechischen bzw. deutschen Mitarbeitern wichtige deut­ sche bzw. tschechische Denk- und Verhaltensweisen verständlicher macht.

Situationsdefinition:

Als Tscheche/Deutscher, der Sie über eine reichhaltige Geschäftserfahrung mit Deutschen/Tschechen verfügen, haben Sie sicherlich Begegnungen mit Deutschen/Tschechen erlebt, die in irgendeiner Form für Sie ungewohnt, mitunter vielleicht sogar ärgerlich waren. Für die interkulturelle Forschung ist es ausge­ sprochen wichtig, solche Erlebnisse systematisch zu erfassen und wissenschaftlich auszuwerten. Dazu wäre es besonders nützlich, wenn Sie möglichst konkrete Situ­ ationen beschreiben könnten, die durch einen oder mehrere der folgenden Sätze charakterisiert werden können. Es spielt dabei keine Rolle, ob Sie selber beteiligt waren oder die Begebenheit beobachtet haben. Erzählstimuli:

• Ein solches Verhalten des / der Deutschen / Tschechen/in hatten Sie nicht er­ wartet. • Die Situation begann irgendwie seltsam oder befremdlich aufSie zu wirken. • Sie konnten sich zunächst nicht so recht den Grund für eine solche Reaktion erklären. • Dieses Verhalten kam Ihnen ziemlich typisch für Deutsche / Tschechen vor, zu­ mindest aber glauben Sie, dass Ihre Landsleute wohl nicht so (re)agiert hätten. • Sie waren sich in dem Moment nicht sicher, ob Sie sich ganz so verhalten ha­ ben, wie es die deutschen / tschechischen Partner vielleicht erwartet haben. • Sie haben sich nicht richtig verstanden oder ungerecht behandelt gefühlt. • Es gelang Ihnen nicht, Ihr Ziel in der sonst üblichen selbstverständlichen Art zu erreichen. • Sie haben sich geärgert, weil einfache Dinge auf einmal so kompliziert erschie­ nen. • Sie wundern sich bis heute, weswegen eine bestimmte Sache derart einfach und komplikationslos ging und wissen nicht genau, worauf Sie das zurückführen sollen.

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• Aktualisierungshilfen: Versuchen Sie bitte, an möglichst viele Bereiche zu denken, in denen Sie mit Deut­ schen / Tschechen zusammengetroffen sind.

*... im Alltag: • in Ihrer Wohnumgebung (bei Ihren Aufenthalten in Deutschland/ Tschechien) • bei alltäglichen Erledigungen • bei gemeinsamen Freizeitaktivitäten / Einladungen / Freundschaften mit Deut­ schen /Tschechen • im Kontaktverhalten • usw.

*... am Arbeitsplatz: • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Verhandlungsführung, Technologie- und Know-how-Transfer Arbeitsverständnis Arbeitsorganisation und Planung, Entscheidungsverhalten, Lob/Tadel, Präsentation Selbstdarstellung Konfliktmanagement, Diskussionsverhalten, Informationsverhalten, Motivation, Hierarchieverständnis und Führungsverhalten Zusammenarbeit in gemeinsamen (Projekt) Gruppen Personalmanagement Marketing und Werbung A rbeitgeber-A rbeitnehmer- Verhältnis usw.

Zusatz in der Nachfragephase:

• Welche der Auffälligkeiten halten Sie dabei für „systembedingt“, d.h. typisch für Berufstätige unter marktwirtschaftlichen bzw. transformationsspezifischen Bedingungen, welche für originär deutsch bzw. tschechisch?

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Mit Hilfe dieser narrativen Interviews wurden Tschechen und Deutsche, die seit mehreren Monaten, z. T. sogar Jahren, in Interaktion mit der jeweils anderen Seite stehen, nach kritischen Interaktionssituationen befragt. Bei der Gewinnung der Auskunftspersonen wurde Wert darauf gelegt, dass nur solche Personen befragt wurden, die aus beruflichen und persönlichen Gründen einem gewissen Interakti­ onszwang mit Personen des jeweils anderen Landes unterlagen. Damit war ge­ währleistet, dass die Interviewpersonen nicht erst längere Zeit nach Beendigung eines Auslandsaufenthalts oder ihrer Tätigkeit befragt werden, sondern in der kon­ kreten Handlungssituation. Zur Illustration seien hier einige solcher im narrativen Interview erhobenen Kriti­ schen Ereignisse angeführt: Situation 16: Der Konflikt Die Installationsfinna Maier hatte einen Auftrag bei einer großen Baustelle. Der Bauherr war mit der Arbeit sehr zufrieden. Nur zum Schluss gab es Zeitprobleme mit der Fertigstellung, von der die deutsche Mutterfirma aber nichts erfuhr. Sie bekam vielmehr eines Tages einen Einschreibebrief dass die Bauzeit nicht eingehalten werden kann und dass die Firma Maier deshalb eine Verzugsstrafe zu erwarten habe. Am selben Vormittag meldete sich auch der tschechische Geschäftsführer bei Herrn Maier, dass er Zeit­ probleme habe. Er hatte denselben Brief erhalten. Herr Maier war sehr verärgert: Warum nur hatte sich der tschechische Geschäftsführer nicht eher bei ihm gemeldet, wo er doch von einer Personalbesprechung her wusste, dass in Deutschland seit einer Woche sogar ein paar Leute frei und verfügbar waren?

Situation 42: Ausgehen Einem deutschen Mitarbeiter, der neu nach Prag versetzt wurde, fällt auf wie viel hier „geklüngelt“ wird. Alle beruflichen Beziehungen scheinen irgendwie im Privatleben fortzubestehen und umgekehrt. Er bekommt täglich im Büro mit, dass Kollegen sich mit wichtigen Geschäftspartnern auf ein Bier verabre­ den; oder dass Dinge zum Laufen gebracht werden, die niemals Gegenstand offizieller Besprechungen waren, denn man riefsich kurz mal an oder traf sich zufällig irgendwo. Es ist ihm ein Rätsel, wie er den Zugang zu diesem „ Milieu “jemals bekommen soll, zumal er bislang nicht tschechisch spricht.

Situation 62: Die Personalübernahme Eine deutsche Handelsfirma übernimmt in der Region Budweis eine Reihe von Elektrogeschäften. Diese Abwicklung zieht sich über mehrere Monate und der tschechische Direktor soll sie auf selten der tsche­ chischen Firma bis einschließlich Dezember durchführen, so dass die endgültige Übernahme zum Neuen Jahr erfolgen kann. Im Rahmen seiner Aufgaben soll er sein Personal darüber informieren, dass die Geschäfte von der deutschen Firma übernommen werden, und dass jeder Mitarbeiter sich entscheiden solle, ob er/sie damit einverstanden ist, um gegebenenfalls für einzelne Mitarbeiter andere Lösungen herbeizuführen. Denn es ist geplant und zugesagt, dass alle Mitarbeiter - einschließlich dem Personal­ chef - übernommen werden, wenn sie es wollen. Der deutsche Personalverantwortliche des Gesamtunternehmens, Herr Peter, reist im Dezember in der Annahme, dass die Arbeitnehmer über die Übernahme Bescheid wüssten, in die tschechische Republik, um den Arbeitnehmern, die übernommen werden wollen, die Auflösungsverträge mit der alten Firma und die neuen Arbeitsverträge vorzulegen und sie unterschreiben zu lassen. Als er im ersten Geschäft ange­ kommen ist, bemerkt er, dass keiner der Mitarbeiter weiß, was da vor sich geht: Sie wissen nichts über die Übernahme, nichts über die neuen Verträge, nichts über den Zeitplan und die Bedingungen der Ü­

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bernahme, einfach nichts. Herr Peter benötigt den ganzen Tag, nur um den Leuten eines einzigen Ge­ schäfts die Sachlage zu erklären. Er ahnt schon, was dann auch eintrifft: Diese Prozedur wiederholt sich in allen Geschäften und Herrn Peters gesamter Weihnachtsurlaub ist dahin, denn es ist natürlich eine heikle Sache, den Leuten zu erklären, was die deutsche Firma will, dass sie die Mitarbeiter nicht betrü­ gen will usw.. Herr Peter kann die Ängste sehr gut verstehen, denn die deutsche Firma ist in der tsche­ chischen Republik natürlich völlig unbekannt. Und nun wird zudem der Eindruck erweckt, dass die Deut­ schen einfach kommen, kaufen und neue Verträge aufden Tisch knallen. Situation 27: Die Unterlagen fürs Rechnungswesen Frau K. arbeitet in einer Bank. Bei bestimmten Unterlagen fürs Rechnungswesen, ist immer ein Budget­ code und die Gesamtsumme des Preises anzugeben. Das bedeutet, dass zwei Dinge in ein Formular ein­ getragen werden müssen. Frau K. muss das als Assistentin erledigen und dann das Formular dem deut­ schen Chef zur Unterschrift geben. Wenn Frau K einmal nicht auf ihrem Platz ist, dann schreibt ihr der deutsche Chef einen großen Zettel: „Frau K, bitte Budget-Code und Preis ausfüllen und zum Rech­ nungswesen weiterleiten. Danke. Unterschrift. “ So liegt das dann auf ihrem Tisch und sie erledigt das. Frau K. findet das eigentlich lustig: Wenn der Chef das selbst ausfüllen würde, statt ihr den Zettel zu schreiben, würde er ein Drittel der Zeit brauchen. Aber er macht das nicht. Situation 50: Die Bauprojekte

Unter der Obhut des „Reisebüros der Jugend“ konnte der Chef dieses Reisebüros eine „Aktion“ grün­ den, die alte Ferien-Objekte (der Jugend, der Gewerkschaft usw.) renovieren und als Hotels umbauen wollte. Eine Gruppe von Tschechen dieser „Aktion“ fuhr daher nach Deutschland und führte mit einer deutschen Baufirma, die viel Erfahrung im Hotelbau hatte, Verhandlungen. Die Deutschen empfingen die tschechische Delegation freundlich, bewirteten sie und machten ihnen kleine Geschenke mit Ge­ genständen, die ihr Firmenlogo trugen. Man traf sich einige Male. Dann allerdings hatte sich die Situa­ tion auf der tschechischen Seite geändert, weil der Chef, der diese Aktion ins Leben gerufen hatte, „zu­ rückgepfiffen wurde “. Beim letzten Besuch der Tschechen in Deutschland war noch nicht klar, ob und wie die intendierten Projekte realisiert werden könnten. Jetzt zeigten die Deutschen, dass sie böse sein können- so interpretierten das die Tschechen: Das Klima wurde frostig, unangenehm, ärgerlich, fast zornig, Aggressivität war zu spüren in kleinen Bemerkungen, in der Art, wie kurz angebunden die Deut­ schen nun waren. Der tschechischen Delegation war das sehr peinlich. -Sie fürchteten nicht nur um die Projekte, sondern auch um ihren Arbeitsplatz. Doch niemand aus ihren Reihen konnte etwas ändern. So versuchten sie das auch den Deutschen zu erklären, doch das Klima blieb kalt und ärgerlich. Situation 57: Der Flug nach Prag Eine tschechische Studentin hat für eine große deutsche Firma eine Diplomarbeit geschrieben - der Professor, der diese Arbeit betreute, erinnert sich noch mit Schrecken daran. Der Ansprechpartner in dieser Firma hatte klare Vorstellungen, was in dieser Diplomarbeit gemacht werden sollte. Er wollte unbedingt bis zum 20. Juni die Gliederung haben und wissen, wieweit die Arbeit schon gediehen sei. Dazu kam er mit dem Flugzeug nach Prag; ein Auto der Uni erwartete ihn bereits am Flughafen und holte ihn ab. Er sprach mit dem Professor eine Stunde und sagte genau, was er wie wolle und von der Arbeit erwarte. Dann ging er wieder zum Auto undflog nach Hause. Das ist für den Prager Professor bis heute unglaublich!

3.1.2.2.

Selbstbeobachtung

Die Zulässigkeit der Selbstbeobachtung, der Analyse des eigenen Handelns, Den­ kens und Fühlens als wissenschaftliche Methode ist umstritten und war lange Zeit 59

- seit dem Methodenstreit der sechziger Jahre - nicht mehr „salonfähig“: Es herrschten naturwissenschaftliche, quantitative Methoden vor. Vertreter qualitati­ ver Forschung begrüßen nun umso mehr die sich anbahnende Rehabilitation.

Das wieder erstarkende Arbeiten mit Selbstbeobachtungsdaten wird nun je nach methodologischer Perspektive anders benannt: Nach Lamnek (1995b) würde es sich um das Paradigma der teilnehmenden Beo­ bachtung in der von ihm beschriebenen, „maximal aktiven, partizipativen“ Vari­ ante handeln: „Der Forscher kann sich völlig mit dem zu untersuchenden sozialen Feld identifizieren, er geht in ihm auf und wird zum Teilnehmer.“ (Lamnek, 1995b, S. 252) Dabei ist die Beobachtung nicht standardisiert, sondern offen für die Entwicklungen und Verhältnisse im sozialen Feld. Und weil die Zielsetzung offenbar ist, ist eine Aufzeichnung der Information leicht. - Auf die vorliegende Untersuchung übertragen lässt sich das Beobachtungsschema folgendermaßen be­ schreiben: Wir beobachten als Forscherteam und Trainerteam aneinander und mit­ einander Kritische Ereignisse, in dem was wir gemeinsam und miteinander tun. Selbstbeobachtung kann auch als spezifische Form der Feldforschung (Mayring, 1996; Glaser & Strauss 1979) bezeichnet werden, „die ihren Gegenstand in mög­ lichst natürlichem Kontext untersuchen“ will, „um Verzerrungen durch Eingriff der Untersuchungsmethoden bzw. durch die wirklichkeitsferne Außenperspektive zu vermeiden“ (Mayring, 1996, S. 38). Dabei sind wir als Forscherteam die Ak­ teure, die zusammenarbeiten und dabei „natürlicherweise“ aneinander und mit­ einander deutsch-tschechische Unterschiede erleben. Damit ist der „Feldkontakt“ hergestellt und das Material musste nur gesammelt werden, wo und wann es sich bot.

Konkret ging die Erhebung der Kritischen Ereignisse der Selbstbeobachtung so vor sich:

• Wir arbeiteten als Forscherteam oder als Trainertandem oder begegneten uns in einem privaten Kontext. • Irgendetwas passierte, was uns beiden oder einem von uns „komisch“ vorkam, uns überraschte und /oder zu emotionalen Reaktionen führte. • Je nach Dringlichkeit oder Peinlichkeit ließen wir das Geschehen „laufen“ und durchlebten die Situation zunächst einfach oder intervenierten mit Fragen: Was war das? Was ist hier geschehen? Wie konnte das passieren? • Dann traten wir - zwischen Identifikation mit dem Ereignis und Distanz zum Ereignis pendelnd - in eine Phase der Metakommunikation ein, um diese Fragen zu klären. • Zum Schluss unserer Situationsbewältigung stand oft ein erleichterndes Lachen („Tja, da ist uns wieder etwas passiert!“) oder echte Betroffenheit, weil es uns 60

leid tat, das einander „zugefugt“ zu haben. • Nachdem die Gefühle wieder der Rationalität Platz gemacht hatten und wir von der Identifikation mit dem Ereignis zur Distanz gelangt waren, besprachen wir, ob dieses Kritische Ereignis in unsere Datensammlung aufzunehmen ist. Kritische Ereignisse aus der Selbstbeobachtung sind also Kritische Ereignisse ge­ mäß der vorher aufgestellten Kriterien. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass sie jedoch wegen der verursachten Betroffenheit zeitlich nicht von ihrer Analyse durch ihre Akteure - also von unserer Analyse - getrennt werden können. Deswegen ist die getrennte Beschreibung ihrer Erhebung und ihrer Analyse inner­ halb der vorliegenden Arbeit ein Artefakt der Methodendarstellung. Zur Illustration drei Beispiele: Kannst du mir Informationen über die Firma X besorgen?

Eines Tages erhielt ich von meinem Kollegen ein Mail mit dem Inhalt, er hätte von einer deutschen Be­ ratungsfirma ein Kooperationsangebot bekommen, das relativ gut klänge. Er wusste sehr wenig von die­ ser Firma und er bitte mich, über diese Firma etwas herauszufinden. Er möchte sich nicht einfach darauf einlassen. Ich kannte weder die Firma noch irgendjemanden in dem Teil Deutschlands, in dem sie ange­ siedelt war, und überlegte, wie ich - außer über einen direkten Anruf mit der Bitte um Auskünfte - an Informationen gelangen könnte. Den direkten Weg schlug ich meinem Kollegen schon mal per Mail vor, wies ihn aber darauf hin, dass er das am besten selbst machen solle, denn meine Rolle wäre sonst unklar. Dann rief ich ein paar Bekannte und Freunde in einschlägigen Positionen an, ob sie etwas über dieses Unternehmen wüssten und wie ich wohl meinem Kollegen noch helfen könnte. Alle Ratschläge, die ich erhielt, bezogen sich auf die Vorschläge, die ich schon gemacht hatte: Infos anfordern, Internet-Auftritt anschauen, persönliches Gespräch führen, Besuch bei der Firma machen, sich dort diverse Unterlagen zeigen lassen, Referenzen nennen lassen... Und das alles schlug ich dann auch meinem Kollegen vor. Er war peinlichst berührt über den „ Wirbel“, den ich gemacht hatte.

Einladung zur Buchpräsentation Wir hatten vor, ein Buch zu schreiben, und mein Kollege wollte gerne eine Präsentation dieses Buches an der Universität in Prag organisieren. Es sollte eine eintägige Veranstaltung werden, an der diverse Referenten und wir zur Thematik des Buches einen Vortrag halten und viele Leute eingeladen werden. Er erzählte mir von dieser Idee und bat mich um Vorschläge, welche deutschen Gäste und Referenten wir einladen sollten. Wir sprachen über mögliche Inhalte und mögliche Referenten und ich betonte, dass wir ein paar der Deutschen, wenn wir sie einladen wollten, frühzeitig informieren müssten, weil deren Ka­ lender Monate im voraus dicht sein könnte - das gelte vor allem für einen bestimmten Professor. In den nächsten Wochen sprachen wir immer wieder mal über diese Veranstaltung und ich hatte den Eindruck, mein Kollege freute sich darauf und hatte mit verschiedenen Leuten Kontakt aufgenommen. Wir legten auch einen Termin fest (in 6 Monaten). Während dieser Zeit erwähnte mein Kollege immer wieder mal diverse Deutsche - außer diesen Professor. Ich schloss daraus, dass ihm an diesem Herrn offensichtlich nicht gelegen sei (seine Einladung war mein Vorschlag gewesen) und informierte ihn nicht. - Drei Wo­ chen vor der Veranstaltung erhielt ich einen Anruf meines Kollegen, er hätte jetzt das Programm zum Druck gegeben, aber wüsste noch immer nicht, den Titel des Referats dieses Professors...

Feedback nach einem Seminar

Wir hatten eines unserer ersten gemeinsamen Trainings gehalten, saßen im Auto undfuhren nach Hause. Es war in meinen Augen gut gelaufen. Mein Kollege war vor dem Seminar ziemlich nervös gewesen und

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daher, aber auch gewohnheitsmäßig, wollte ich jetzt die Fahrt nützen zu einer Reflexion des Seminars. Mein Kollege willigte ein und meinte, ich solle die Feedbackbögen der Teilnehmer herholen und vorle­ sen. Das machte ich. Kein Kommentar. Dann fügte ich all das an, was ich an unserer Kooperation ge­ lungen fand und wofür ich ihm ein Kompliment machen möchte. Größere Änderungen für ein anderes Mal waren aus meiner Sicht nirgendwo nötig, so dass das positive Feedback meinerseits absolut ehrlich und auch dankbar gemeint war. Mein Kollege hörte sich das alles an. Kein Kommentar. Kein Fedback an mich. Erfuhr Auto und nach einiger Zeit begann er von etwas ganz anderem zu sprechen.

3.I.2.3.

Beobachtung

Eine andere Form der Feldforschung (Mayring, 1996; Glaser & Strauss 1979) wa­ ren, wenngleich in sehr geringem Ausmaß, Kritische Ereignisse, die wir als Trai­ nerteam nicht an uns selbst, aber an und mit unseren Kunden erlebten. Wenn wir hier mit einer von uns entwickelten Supervisionsmethode konkrete Problemfälle der deutsch-tschechischen Kooperation bearbeiteten, ließ es sich gar nicht vermei­ den, Kritische Ereignisse geschildert zu bekommen. Auch in diesen Fällen war unmittelbarer „Feldkontakt“ hergestellt und das Material musste analog den Selbstbeobachtungsdaten wiederum nur aufgezeichnet und meiner Sammlung Kritischer Ereignisse hinzugefugt werden.

Die Methode der Gewinnung der kritischen Ereignisse ist hierbei so zu beschrei­ ben:

Die Trainingsteilnehmer bearbeiten einen ihnen wichtigen Problemfall nach fol­ genden Fragestellungen: (1) Vergegenwärtigen Sie sich die Situation oder den Verlauf dieses problemati­ schen Vorfalls noch einmal. Versuchen Sie sich, so genau wie möglich an alles zu erinnern. Beschreiben Sie zuerst das Ereignis: • Was passierte genau? • Wer sagte was? Wer tat was? • Was war Ihre Intention? • Welche Gefühle und Gedanken hatten Sie während des Geschehens? • Was nahmen Sie sonst noch wahr?

(2) Bewerten Sie nun das Ereignis: • Wie denken Sie darüber? • Welche Gefühle haben Sie dabei? • Wie lautet Ihre Beurteilung des Geschehens? (3) Versuchen Sie einmal die Perspektive Ihres tschechischen /deutschen Partners einzunehmen: • Wie könnte er das Geschehen erlebt haben? 62

• Was könnte seine Intention gewesen sein? • Was könnte er sich gedacht haben? Welche Gefühle könnte er gehabt ha­ ben? (4) Suchen Sie nun nach einer Lösung. • Wie ging die Geschichte in der Realität aus? • Welche positiven Ansatzpunkte blieben? • Welche Lösungsansätze sehen Sie heute?

Für die Zwecke dieser Untersuchung ist an der Stelle lediglich der Punkt 1 (Be­ schreibung eines Kritischen Ereignisses) relevant. Es seien wieder Beispiele für diese Art von Kritischen Ereignissen angeführt: Die Kontaktbörse: Ein deutsch-tschechischer Verband von Unternehmern organisiert eine Kontaktbörse. Alle möglichen Unternehmensvertreter sowie diverse Repräsentanten verschiedener Organisationen sind anwesend, um die Koordination der deutsch-tschechischen Aktivitäten zu besprechen und zu planen. Zwei Verantwort­ liche, eine Deutsche und ein Tscheche, leiten und moderieren die Veranstaltung. Man hat den ganzen Tag gearbeitet. Der offizielle Teil der Veranstaltung ist beendet, das Programm, das man sich bis zum Abendessen vorgenommen hatte, ist abgearbeitet und der Abend steht zur freien Verfügung. Am anderen Tag soll das Programm fortgesetzt werden. Es ist Nacht und die Deutsche schläft, wie die meisten Deutschen. Die Tschechen sitzen in einer Runde zusammen, sie sprechen miteinander, trinken Wein und lachen viel bis um 5 Uhr morgens. Am nächsten Tag geht die Tagung um 9 Uhr weiter. Der tschechische Verantwortliche kommt ein paar Minuten vor 9 Uhr todmüde in den Raum, in dem die Deutsche schon alles hergerichtet hat. Die beiden hatten vereinbart, dass er die Moderation des Vormittags übernimmt. Er orientiert sich ein bisschen und sagt dann zur Deutschen, dass sie doch bitte die Moderation übernehmen möge, er fühle sich nicht gut. Die Deutsche ist innerlich sehr wütend: Ihr Kollege säuft die ganze Nacht und drückt sich dann um die Arbeit! Aber es geht ihr um das Gelingen der Veranstaltung und sie übernimmt die Moderation. Ihr tschechischer Kollege hält sich, wie zu erwarten war, zurück. Der Vormittag verläuft tagesordnungsge­ mäß. Mit dem Mittagessen endet die Veranstaltung und alle scheinen zufrieden. Nur die Deutsche hat ein Problem, das sie in der Reflexion der Veranstaltung mit ihrem tschechischen Kollegen besprechen möchte.

Unzufriedene Sekretärinnen

Eine deutsche Firma in Tschechien ist mit ihrem relativ neuen deutschen leitenden Chef in ein neues Gebäude in Tschechien umgezogen. Damit waren auch einige organisatorische und personelle Verände­ rungen verbunden. Der Umzug Hegt nun schon ein paar Wochen zurück, aber zeitigt noch immer seine Spuren: Es klappt innerhalb der Firma noch nicht alles, wie es soll. So gibt es z.B. Ungereimtheiten der­ gestalt, dass noch immer die Sekretärinnen - es sind allesamt Tschechinnen - sich beispielsweise um Dinge wie die Postabholung, die Toiletten oder den Besucherempfang kümmern müssen, obwohl geplant ist, diese Aufgaben anderweitig zu regeln. Die Sekretärinnen unterhalten sich immer wieder über diese zusätzliche Arbeit. Eines Tages sitzen etli­ che zusammen und plötzlich hat eine von ihnen die Idee, das, was sie ärgert, als Brief zu schreiben und den anderen Sekretärinnen zu schicken, wie auch dem (leitenden) deutschen Chef und ihren unmittelba­ ren tschechischen Chefs. So erhält der deutsche Chef, Herr K, eines Tages einen geharnischten Brief, der von etlichen Sekretä­ rinnen unterschrieben ist. Er ist eigentlich adressiert an die „Lieben Kolleginnen“, aber zur Kenntnis­

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nähme auch Herrn K und allen Managern ins Fach gelegt. Die Sekretärinnen beschweren sich über die Zustände, dass es ihnen nun reiche, dass sie ausflippen würden mit diesen zusätzlichen Anforderungen, dass sie zum Bestreiken dieser Tätigkeiten, wie z.B. Toilettenpapier nachfüllen, Besucher vom Empfang abholen, gewisse Türen nach jedem Benutzer zu- und aufzusperren, die Küchen sauber zu halten usw., aufforderten. Die Abhilfe, die ihnen nunmehr schon seit Wochen versprochen würde, träte nicht ein. Als Herr K. diesen Brief liest, stockt ihm der Atem. Er muss an sich halten, um nicht vor Ärger zu brül­ len. Denn Abhilfe für sämtliche Missstände ist bereits eingeleitet und in ein paar Tagen müsste sogar schon die neue Angestellte, die dafür vorgesehen ist, ihre Arbeit antreten. Außerdem hatte er sich immer um einen offenen Kommunikationsstil und das Ernstnehmen von Beschwerden bemüht. Mehr noch, er dachte sogar, er sei in sehr vielen Belangen seinen Mitarbeitern sehr entgegengekommen (z.B. Verleihen der Dienstautos auch für einen privaten Zweck), hätte sich für sie eingesetzt (z.B. Gehaltserhöhung) und sie müssten doch bemerken, dass er es wirklich gut mit ihnen meint. In einem Wort: Er ist enttäuscht und tiefgetroffen von diesem Stil des Umgangs miteinander. Herr K. lässt bewusst Zeit verstreichen, um nicht im Affekt zu reagieren. Dann setzt er ein Meeting für den übernächsten Tag an, an dem alle Sekretärinnen, alle Manager und er über diesen Brief sprechen werden.

Die Scheinwerferproduktion Ein deutscher Automobilzulieferer verlagerte einen Teil seiner Scheinwerferproduktion nach Tschechien. Eines Tages reist ein Qualitätssicherer mit einem Kunden in das Werk, damit der Kunde seine Prüfungen vornehmen kann. Der Kunde geht in die Produktion und sieht dort fleißige Menschen inmitten einer Menge Material. Er fragt einen Vorarbeiter, für welches Unternehmen hier gerade die Schweinwerfer gefertigt würden. Es handelt sich tatsächlich um seine Automobilfirma. Das elektrisiert den Kunden, weil er am Arbeitsplatz jedes Arbeiters eine Menge Scheinwerferteile für andere Automarken sieht. Er sucht sofort den deutschen Qualitätssicherer auf und stellt den zur Rede.... Wieder einmal haben die Tschechen die Vorschrift ignoriert, vor dem Produktwechsel alle Fremdteile ins Lager zu räumen! Der tschechische Meister hört sich die Vorwürfe des Deutschen ruhig an und weist dann darauf hin, dass er jetzt leider Feierabend hätte und eine andere Schicht zuständig sei. Der nächste Meister sagt zu, dass sofort aufge­ räumt würde; der Qualitätssicherer muss nun den Kunden beruhigen und geht mit ihm zum Abendessen. Doch am anderen Morgen ist alles beim alten. Der Qualitätssicherer debattiert mit dem nun anwesenden Meister und erhält lapidar zur Auskunft, dass man in Tschechien nicht so blöd sei, falsche Teile einzu­ bauen. Man wisse doch, welche Teile in den Scheinwerfer für welche Marke gehörten! Der Kunde könne sich darauf verlassen, dass er ausschließlich und einwandfreie Scheinwerfer für seine Marke erhalte. Er hat nicht Recht: Die Fehlerquote in Tschechien ist dem Kunden zu hoch. Ein Scheinwerfer muss funktionieren, meint der Kunde, oder er kauft keine in Tschechien gebauten mehr.

3.1.3.

Beschreibung der Stichprobe

Nach Boesch (1980) sind für die Erstellung einer Typologie Zufallsstichproben und Repräsentativität keine notwendigen Voraussetzungen. Es genügt der Zugriff auf Personen, die notwendige Mindestkriterien erfüllen, wie sie sich aus der Ziel­ setzung und den theoretischen Erfordernissen ergeben (Lamnek, 1995b; Rust, 1983). Das bedeutet für die hier vorliegende Untersuchung: Die Personen müssen in deutsch-tschechischen Businesskontakten über ausreichende Erfahrung mit der jeweiligen anderen Kultur verfügen (vgl. sektorielle Perspektive 2.2.4.) Sie kön­ nen sogar über informelle Kontakte und Vermittler, die bereits das Vertrauen der

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zukünftigen Befragten genießen, rekrutiert werden (Lamnek, 1995b) - eine für die tschechische Stichprobe unerlässliche Voraussetzung. In den Interviews wurden 18 (West)Deutsche, 28 Tschechen, 4 tschechische, in (Westdeutschland lebende Emigranten befragt. Sie wurden über verschiedene Organisationen (z.B. Kammern), über Universitätskontakte zur Wirtschaft und in­ nerhalb von Firmen, für die ich als Trainerin arbeite, vermittelt. In Tschechien wurde ich vor allem in informellen Kanälen von Interviewpartnem „weiterge­ reicht“. Alle Respondenten wurden ausgewählt unter dem Gesichtspunkt, genügend lange (mind, einige Monate) professionelle Kooperationserfahrung mit der jeweils ande­ ren Kultur, bzw. beiden Kulturen (Emigranten) zu haben - denn die Studie zielt auf das Handlungsfeld „berufliche Zusammenarbeit zwischen Tschechen und Deutschen“. Die befragten Personen lebten zum Teil als Gast im anderen Land, zum Teil pendelten sie als „Vielreisende“ zwischen beiden Ländern ständig hin und her. Damit und mit der Zugehörigkeit zur tschechischen oder deutschen Kul­ tur sind bereits die beiden Auswahlkriterien benannt. Für die tschechischen Interviewpartner musste aus pragmatischen Gründen die Beherrschung von Deutsch oder Englisch gegeben sein, da ich leider nicht ausrei­ chend Tschechisch spreche.

Die Deutschen waren allesamt Westdeutsche, weil die Organisationen und Firmen, die sie vermittelten, westdeutsche waren. Deutsche Expatriates in Tsche­ chien

Deut­ sche „Viel­ reisende“

Erfahrung mit der anderen Seite bereits vor 1989

1

1

Erfahrung mit der anderen Seite nach 1989

3

13

Tschechi­ Tschechi­ sche Ex­ sche „Viel­ patriates in reisende“ Deutschland

Tschechische Manager und Mit­ arbeiter in deut­ schen Firmen in­ nerhalb Tsche­ chiens

4

2

1

Tsche­ chische Emig­ ranten

1

21

3

Abb. 3: Übersicht über die Interviewpartner

Das Selbstbeobachtungsteam bestand aus mir und meinem tschechischen Kolle­ gen. Wir betreiben beide generell interkulturelle Forschung und arbeiteten als deutsch-tschechisches Forscherteam für diese Untersuchung zusammen. Gleich­ 65

zeitig stellen wir auch ein deutsch-tschechisches Trainertandem dar für Interkultu­ relle Trainings an der deutsch-tschechischen Schnittstelle. Beide leben wir in un­ serer jeweiligen Kultur und sind von hier aus über unsere Tätigkeit als Forscher und Trainer mit der Kultur des anderen in Berührung.

Die Respondenten für die Beobachtungsdaten waren Angehörige von drei in Tschechien tätigen Firmen - einer deutschen Firma, zwei deutsch-tschechischen Joint Ventures -, für die mein tschechischer Kollege und ich Interkulturelle Trai­ nings durchführten.

3.1.4.

Durchführung und Ergebnisse der Interviews

Alle Interviews wurden von mir, der Deutschen, durchgeführt. Denn es handelte sich um die erste Studie dieser Art in Tschechien, für die ich zunächst einmal ein Methodeninstrumentarium zur Verfügung hatte. Die Interviews wurden während zweier Aufenthalte in Prag (Februar 1996, Juni 1996) mit tschechischen Respondenten und deutschen Auslandsdelegierten durch­ geführt, sowie im Zeitraum zwischen Januar und Juli 1996 innerhalb (West)Deutschlands mit deutschen Geschäftsleuten, die in regem Kontakt mit tschechischen Partnern stehen. Vorab erhielten die Interviewpartner einen Brief, der über Ziele, Form und Inhalte der Befragung informierte und bereits die Stichpunkte des Interviewleitfadens ent­ hielt. So war eine gedankliche Vorbereitung auf das Interview möglich. Die not­ wendigerweise mehrfache Kontaktaufnahme (Telefon - Brief - Telefon - Besuch) leistete einen ersten Schritt zu einer individualisierten Beziehung.

Ein Interview dauerte im Schnitt mind, eineinhalb Stunden und orientierte sich an dem unter 3.1.4. dargestellten Interviewleitfaden. Da bereits nach ein paar Interviews mit Tschechen klar war, dass sie anders ver­ laufen als mit Deutschen, musste nach Rücksprache mit meinem tschechischen Kollegen die Methode adaptiert werden:

Vergegenwärtigen wir uns das Kernproblem eines Interviews: Es gilt Rapport her­ zustellen und dem Anspruch der Objektivität zu genügen. D.h. der Forscher agiert in einer Doppelrolle zwischen (a) Involvierung einerseits und (b) Distanz anderer­ seits, zwischen (a) ansprechbarem, beteiligtem, persönlich interessiertem Ge­ sprächspartner und (b) an forschungsleitenden Überlegungen orientiertem Wissen­ schaftler, zwischen (a) sozio-emotionaler Orientierung zur Aufrechterhaltung der 66

Motivation des Befragten und (b) wissenschaftlicher Aufgabenorientierung. Wäh­ rend die Objektivität sicherlich durch Vorbereitung vor und Wachsamkeit gegen­ über den interessierenden Inhalten während des Interviews auf Seiten des For­ schers gefordert wird, ist der Rapport nur durch Empathie mit dem Informanden erreichbar. Das heißt: Es kommt in einem interkulturellen Setting darauf an, WIE die Objektivität verfolgt wird. Damit galt es, folgende in der Literatur bekannte „Anforderungen an Interviewer“ (Scholl, 1994) in tschechische Bedingungen umzusetzen:

• Nutzen des maximal nötigen Spielraums, um „bei der Kontaktherstellung die Weichen für die Art der Kooperation“ (Scholl, 1994, S. 84) zu stellen. • Intelligenz zur Einschätzung der Ziele des Interviews und zur geeigneten An­ wendung von Interviewtechniken • Verfolgen eines der Aufgabe funktional zugeordneten sozio-emotionalen Inter­ viewstils zur Verbesserung der generellen Atmosphäre • Flexibilität bzgl. der Wahl einer aktiven oder passiven Rolleje nach Situationserfordemis.

Auf die Befragung der Versuchspersonen bezogen bedeutet dies: • Im Interview war nicht, wie in der Stichprobe der Deutschen, davon auszuge­ hen, (1) dass Vertrauen in meine „guten“ Absichten und mich als Interviewerin bereits bestand bzw. aufgrund der Vor-Kontakte aufgebaut werden konnte und (2) dass der Interviewpartner daher ziemlich offen seine Erfahrungen berichtete. In den Vertrauensaufbau war zu investieren: •=> Mittler, die mich kannten, mussten eingeschaltet werden, um das Ziel meiner Studie glaubhaft machen zu können. - Genauso konnte es passieren, dass ich spontan „weitergereicht“ wurde an Kollegen, die mir ebenfalls etwas erzäh­ len konnten. •=> Im Interview war mehr Zeit auf ein Warming-Up zu verwenden, in dem ich Fragen zu mir und meinen Intentionen zu beantworten hatte. Das erfolgte nicht konsekutiv (zuerst Warming-Up, dann „zum Thema“), sondern parallel: Der Respondent begann mit seinen Erzählungen und fragte - oft assoziativ angeregt von seinen eigenen Ausführungen - mich das, was ihn an mir und meinem Tun interessierte. - Das Interview hatte damit viel mehr den Cha­ rakter einer Unterhaltung und über weite Passagen einer Zweiweg-Kommu­ nikation. Eine persönliche Beziehung war aufzubauen. Rapporttechniken konnten da­ bei helfen, ausschlaggebend war aber eine sich allmählich und intuitiv ein­ stellende Sympathie. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich damit abzufin­ den, dass das Interview nicht ergiebig war. Das Setting war individuell zu gestalten und die diesbezüglichen Wünsche 67

im Vorfeld zu klären. Ein „angenehmes“ Interview hieß des öfteren: infor­ melles Setting in einem Restaurant oder mit Getränken und kleinen Knabbereien in einer „gemütlichen Ecke“ oder an einem „neutralen“ Ort (lieber an der Uni als im Betrieb).

• Im Verlauf eines Interviews war der Interview-Leitfaden vor allem die Basis zu Beginn des Gesprächs. Dann wurde frei erzählt und ich hatte den Ausführungen zu folgen. • Ich hatte zu akzeptieren, dass bei gelungenem Rapport gelegentlich auch kriti­ sche Ereignisse noch „nachgeliefert“ wurden, wenn sie dem Informanden nach­ träglich eingefallen waren. Kritische Ereignisse wurden somit zwar überwie­ gend in den Interviews gesammelt - aber zusätzlich eben auch in diversen ande­ ren, zeitlich folgenden Settings: an eigens vereinbarten Treffpunkten oder bei Zufallstreffen im Umkreis von Veranstaltungen. Die Methode „narratives Interview“ war mit diesen Elementen kulturell angepasst und konnte weitere Verwendung finden.

Der Interviewort war mit Deutschen immer, mit Tschechen gelegentlich der Ar­ beitsplatz bzw. ein Besprechungsraum in der Firma der Befragten, mit Tschechen etliche Male auch ein Universitätsraum oder (auf Wunsch der Respondenten) ein Restaurant. Die Interviews wurden auf deutsch oder englisch durchgefuhrt, (bis auf die Fälle im Restaurant) auf Tonträger aufgenommen und anschließend transkribiert.

Wie viele Kritische Ereignisse berichtet wurden, variierte beträchtlich. Der Spit­ zenwert eines deutschen Befragten lag bei 23, der Minimal wert eines tschechi­ schen Interviewpartners bei zwei.

68

3.2.

Aufbereitung kritischer Interaktions­ situationen

Aus den von den Tonbandaufzeichnungen angefertigten, schriftlichen Interview­ protokollen wurden die berichteten Interaktionssituationen extrahiert und zu abge­ schlossenen Eposiden umformuliert. Transkribiert wurde in die normale Schrift­ sprache (Mayring, 1996), wobei der evtl, vorhandene Dialekt bereinigt, Sprachund Grammatikfehler behoben und der Stil etwas geglättet wurde. Das heißt: Aus dem vollständigen Transkript wurden die Interviewteile, in denen Kritische Ereignisse berichtet wurden, herausgenommen und redaktionell prägnant formuliert. Im Anschluss an die „Anekdoten“ wurden die im Interview dazu gege­ benen Erklärungsversuche und ergänzenden Kommentare und Assoziationen so­ wie Äußerungen zur Bewertung und zu Emotionen im Zusammenhang mit dem Verhalten des fremdkulturellen Interaktionspartners angefugt (fremdkulturelle Be­ urteilungen). Das Ergebnis ist also zu beschreiben mit: Kritische Interaktionssitu­ ation plus Attributionsversuch plus fremdkultureller Kommentar. Damit handelt es sich bereits um einen durch Strukturierung und Zusammenfassung (Mayring, 1996) konzentrierten Text (Lamnek, 1995b).

Eliminiert wurden lediglich bruchstückhafte, für die weitere Analyse unbrauchbar erscheinende Schilderungen. Nicht verwendet wurden außerdem Ereignisse, die eindeutig nicht auf kulturellen Unterschieden beruhen, sondern auf situativen Um­ ständen (z.B. anderes Steuersystem). Die (1) verbleibenden Schilderungen kritischer und harmonisch verlaufender Situ­ ationen sowie Beurteilungen und die aus (2) Selbstbeobachtung und (3) Beobach­ tung gewonnenen Kritischen Ereignisse dienten dann als Ausgangsmaterial für die weiteren Analyseschritte.

69

3.3.

Erhebung kulturadäquater Attributionen (eigenkulturelle Beurteilungen)

Kulturstandards sind Orientierungen, über die jeder durchschnittlich sozialisierte Mensch verfugt. Außerdem können die Beweggründe für das Handeln und die Regeln, an die das Handeln gebunden ist, auf Befragen rekonstruiert werden. Das sind zwei Grundannahmen, mit denen die Kulturstandardtheorie, wie im Theorieteil dargelegt, aus guten Gründen operiert. Insofern ist im Prinzip jeder (West)Deutsche und jeder Tscheche als Informand für die vermutlichen Hand­ lungsgründe seiner Mitbürger geeignet. Das heißt also:

1. Wenn die Situationen von tschechischen Beurteilem daraufhin beurteilt wer­ den, warum sich ihrer Meinung nach der tschechische Interaktionspartner in der jeweils geschilderten Weise verhalten hat, werden sie bei der Suche nach Erklä­ rungen von ihrem kulturspezifischen Orientierungssystem ausgehen und auf die darin enthaltenen Kulturstandards zurückgreifen. Und dasselbe gilt für die Deutschen. Es kann also angenommen werden, dass die von den Tschechen ge­ nannten Attributionen Konkretisierungen tschechischer Kulturstandards dar­ stellen und dass es sich bei von den Deutschen genannten Attributionen um Konkretisierungen deutscher Kulturstandards handelt. 2. Der nächste Schritt erfordert dann, von dem konkreten Datenmaterial, den typi­ schen Verhaltensweisen und ihren kulturspezifischen Erklärungen ausgehend durch Zusammenfassung und Abstraktion zu den dahinterstehenden allgemei­ nen tschechischen bzw. (west)deutschen Kulturstandards zu gelangen.

Ideal und am authentischsten wäre es natürlich gewesen, die tatsächlichen Inter­ aktionspartner aus den Kritischen Interaktionssituationen über ihre Beweggründe für ihr Handeln zu befragen. Das war aber aus praktischen Gründen und aus Gründen des Missbrauchs der Offenheit sowie des Verstoßes gegen den Daten­ schutz im Falle der Interviewdaten nicht möglich. Wo es eventuell möglich gewe­ sen wäre, wurde es auch bei ausdrücklicher Nachfrage stets abgelehnt. - Das ein­ zige Material, das diesen Qualitätsanspruch erfüllt, sind die - dem Umfang nach aber relativ wenigen - Daten unserer Selbstbeobachtung als Forscherteam, zwei der Kritischen Interaktionssituationen aus Interkulturellen Trainings mit binatio­ nalem Teilnehmerkreis sowie zwei Kritische Ereignisse, die in einer Firma zufal­

70

lig von dem deutschen, wie von dem tschechischen Interviewpartner berichtet wurden.

In dieser Studie erfolgte keine Vorauswahl der Kritischen Ereignisse (außer der Elimination von den in 3.2. genannten), sondern es wurden alle im Datenpool ge­ sammelten (aus Interviews, Beobachtung und Selbstbeobachtung) in die Analyse miteinbezogen. Ich wollte auf breiter Basis absichem, ob ein Ereignis typisch ist oder nicht bzw. welche Elemente an einem Ereignis für typisch erachtet wurden.

3.3.1.

Das Erhebungsverfahren: Triangulation

Wenn man Menschen auffordert, das Warum für eine Handlungsweise anzugeben, dann werden sie sicher in der Lage sein - vor allem wenn sie sich von einer Situa­ tion angesprochen fühlen, weil sie ihrem Lebenskontext sehr nahe steht - Aus­ kunft über mögliche Motive und Einstellungen zu geben. „Die so ermittelten ‘Gründe’ sind zweifellos nie die ganze Geschichte, aber sie sind eine wichtige Informationsquelle über mögliche Einflussfaktoren und in manchen Fällen eine unverzichtbare Quelle...“ (Barton & Lazarsfeld, 1979, S. 69). Darüber hinaus sind nämlich situative Motive, Einflüsse von außen oder vorliegende Ursache-Wir­ kungs-Verkettungen wirksam und das umso mehr und umso weniger fassbar, je mehr Einflussvariablen wirksam sind, weil sich das Forschungsgebiet nicht ein­ mal mehr im monokulturellen Raum bewegt. Um sich den interessierenden Kulturstandards anzunähem, ist es sinnvoll, Inter­ aktionssituationen mehreren, verschiedenen Personen zur Analyse zu geben und sie mehrfach bearbeiten zulassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dann viele As­ pekte „der Geschichte“ erfassbar sind, steigt einerseits aus rein additiven Grün­ den, andererseits, weil es dann wahrscheinlicher ist, dass auch eine Person mit der Analyse befasst ist, die analoge Situationen selbst erlebt hat, durch die gezielten Fragen auf wesentliche Aspekte aufmerksam gemacht wird und nun ziemlich au­ thentisch über Beweggründe und Erwartungen Auskunft geben kann. Die Erhebung der kulturadäquaten Attributionen ist bekanntermaßen prinzipiell auf verschiedene Arten möglich und wird üblicherweise durch folgende (alterna­ tive) Verfahren bewerkstelligt: • schriftliche Befragung • Gruppendiskussion • Expertenbefragung 71

Jedes dieser Verfahren hat seine Vor- und Nachteile (vgl. Abb. 4). Da ein Feinziel dieser Arbeit darin bestand, deutsche und tschechische Kultur­ standards zu erheben, zu kontrastieren, dabei möglichst vielfältige Aspekte der Phänomene zu erfassen und auf einem möglichst detaillierten Niveau Prozesse innerhalb der verschiedenen Logiken zu beschreiben, sollten alle Wege, die in der Kulturstandardforschung verwendet werden, zum Einsatz kommen, sodass die Mängel einer Methode durch eine andere Methode ausgeglichen werden können (Lamnek, 1995a). Gemäß dem Postulat, dass auch Forschen im bikulturellen Team interkulturelles Handeln ist, ergänzte ich das verbreitete Methodenarsenal (schriftliche Befragung, Gruppendiskussion, Expertenbefragung) noch um eine vierte Herangehensweise: die Selbstbeobachtung,

Schriftliche Befragung

Stärken

Schwächen

Gruppendiskussion

• individuelle, • Gruppeneinflüsse subjektive forcieren die Beto­ Perspektive nung „situationsspe­ kann einge­ zifisch-objektiver“ bracht werden Elemente und die • gering ausge­ „allgemein geteilte“, prägtes Ge­ „öffentliche“ Mei­ fühl als „Ob­ nung jekt“ der For­ • Meinungen anderer schung wirken als Denkan­ • Fehlerquellen stösse und fuhren zu in der Daten­ weiterer Detaillie­ auswertung rung oder zum Wi­ leicht nach­ derspruch prüfbar • Anwesenheit anderer wirkt ansteckend und als Stimulation • Nachfragen möglich • große Varia­ • Gruppendruck kann bilität der immer auch ein­ Qualität der schränkend wirken Ergebnisse

Abb. 4: Übersicht Methodenvielfalt

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Expertenbefra­ gung

Selbstbeobachtung

• sehr hoher Detaillie­ • maximal rungsgrad der Daten ausgeprägtes • gleichzeitige Erfas­ Gefühl, sung der beiden kul­ „Subjekt“ turellen Perspektiven der For­ schung zu sein • Nachfragen möglich • fundierteres Know-how vorhanden

• Gefahr der Sub­ • Ergebnisse hochgradig jektivität (indi­ viduelles, statt kultu­ motivations­ relles Oszillieren abhängig wird beschrieben) • Die entstehende Nä­ he zwischen den Per­ sonen kann Fluchtund Ausweichten­ denzen begünstigen.

Der kombinierte Einsatz mehrerer Methoden wird als „Methodentriangulation“ bezeichnet. Triangulation ist „eine Metapher, die aus der Militärstrategie und der Navigation stammt und meint, durch multiple Bezugspunkte die genaue Position eines Objekts bestimmen zu können.“ (Lamnek, 1995a, S. 248 ). Unter Triangu­ lation oder auch einem „Mehrfach-Methoden-Ansatz“ (Thomas, 1993) wird im Zusammenhang mit dieser Studie verstanden, „dass der Forscher sich an ein be­ stimmtes Phänomen auf unterschiedlichen Wegen annähert im Bestreben, mög­ lichst unterschiedliche Aspekte dieses Phänomens in seinen Forschungsprozess einzubeziehen.“ (Flick, 1987, S. 258).

Das geschilderte strategische Ziel für eine Forschungspraxis mit einer Triangula­ tion erhielt noch von zwei pragmatischen Gesichtspunkten Unterstützung:

1. Es war nicht von vorne herein klar, auf welches Forschungsdesign die tschechi­ schen Probanden wie reagieren würden und welche (aus kulturellen, aber auch zum Teil rein situativen Gründen) überhaupt durchführbar sind. Mit einer Me­ thodentriangulation war das einerseits zu prüfen und andererseits konnte ver­ hindert werden, dass „magere“ Ergebnisse, wie man sie möglicherweise nur mit einem Design erhalten hätte, die ganze Studie zunichte gemacht hätten. Es be­ steht nämlich im Kulturvergleich die Gefahr, dass ein unterschiedliches Ant­ wortverhalten oder eine unterschiedliche Definition der Untersuchungssituation oder unterschiedliche Reaktionen auf den Versuchsleiter (hier: Interviewer) nicht nur zu Verzerrungen des Ergebnisses, sondern schlimmstenfalls sogar zu Fehlinterpretationen von Untersuchungsbefunden führen (Thomas, 1993). Da­ her ist ein Forschungsansatz vorzuziehen, „der es erlaubt, ein und dieselbe Va­ riable durch den Einsatz verschiedener Methoden zu erfassen“ (Thomas, 1993, S. 46). Triandis hält das für eine Voraussetzung zur Erforschung einer kultu­ rellen Innenperspektive in seinem Ansatz der „subjective culture“ (Triandis, 1983). 2. Praktisch gesehen erlaubte dieser Verfahrensmix, Kritische Ereignisse gezielt nochmals einer weiteren Analyse zu unterziehen und dabei des öfteren eine endgültige Eliminierung vorzunehmen oder bislang unberücksichtigte Aspekte zu einer Episode zu erfahren. Somit war mit der Herangehensweise der Triangulation auch auf einer Makro­ ebene eine kulturelle Adaptation an die tschechischen Bedingungen möglich.

Die Grundfrage, ob die auf verschiedene Arten gewonnenen Daten nun als Schnitt- oder Vereinigungsmenge behandelt werden, wurde im vorliegenden Fall konstruktivistisch, nicht objektivistisch gelöst. Methoden werden in der Triangu­

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lation nämlich gegeneinander ausgespielt, um entweder (1) zu einer „umfassende­ ren und angemesseneren Abbildung des untersuchten Gegenstands“ zu gelangen (Flick, 1987, S. 258) oder (2) um sie zur gegenseitigen Absicherung heranzuzie­ hen (Flick, 1987). Mein Design ist dem ersten Ansatz verpflichtet und will eine „höhere Adäquanz“ (Lamnek, 1995) erzielen. Das Ziel war es nämlich, verschie­ dene Facetten und Perspektiven zu der gleichen Kritischen Interaktionssituation zu erhalten. Damit wurden die den unterschiedlichen Verfahren entstammenden Daten „gesammelt“, gleichberechtigt nebeneinander gestellt und im weiteren Verlauf als komplementär behandelt. Die objektivistische Alternative, aus dem Übereinanderlegen der Daten der verschiedenen Quellen einen gemeinsamen Kem, der die „Wahrheit“ repräsentiert, herauszufiltem, wurde nicht verfolgt.

Im folgenden werden nun die einzelnen, verwendeten Verfahren beschrieben.

3.3.1.1.

Schriftliche Befragung

Nach Albert (1983) kann man einer größeren Anzahl von Vertretern der anderen Kultur die Situationen mit entsprechenden Fragen nach den Verhaltensursachen je nachdem, was der Forscher erheben möchte - schriftlich zur Bearbeitung vorle­ gen oder eine begrenzte Anzahl von Personen befragen. Die Fragen, die Deutschen gestellt wurden, waren:

1. Ist das Verhalten, das beobachtet und beschrieben wurde, typisch deutsch? Für welche Bevölkerungsgruppen? Inwiefern?

2. Wie ist das Verhalten des / der Deutschen aus der Situation heraus (situationsspezifisch) begründbar und erklärbar? 3. Welche generelleren (deutschen) Normen, Einstellungen, Haltungen, Werte werden in diesem Verhalten sichtbar?

4. Inwiefern stellt dieses kritische Ereignis eine typische Situation in einem marktwirtschaftlichen System dar?

Die Fragen, die Tschechen gestellt wurde, lauteten:

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1. Kann man das Verhalten der Akteure für „ typisch tschechisch “ halten? Für welche sozialen Gruppen und inwieweit?

2. Wie ist das Verhalten der Tschechen aus der Situation heraus (situationsspezi­ fisch) begründbar und erklärbar? 3. Welche generelleren (tschechischen) Normen, Einstellungen, Haltungen, Werte werden in diesem Verhalten sichtbar?

4. Was an diesem Verhalten ist durch den Transformationsprozess von einer sozi­ alistischen Gesellschaft zur Marktwirtschaft erklärbar, resp. bedingt durch die aktuelle Zeit, und was allgemeingültig und kulturbedingt?

In Deutschland wurden ausnahmslos alle kritischen Ereignisse mehrfach per schriftlicher Befragung bearbeitet. In Tschechien wurde ein Teil der kritischen Ereignisse, nämlich diejenigen, die vom tschechischen Partner als „die besten“ empfunden wurden, auf diese Art analysiert.

Hier einige Beispiele mit Tschechen und die Analyseergebnisse aus der schriftli­ chen Befragung von Tschechen: Situation 16: Der Konflikt Die Installationsfirma Maier hatte einen Auftrag bei einer großen Baustelle. Der Bauherr war mit der Arbeit sehr zufrieden. Nur zum Schluss gab es Zeitprobleme mit der Fertigstellung, von der die deutsche Mutterfirma aber nichts erfuhr. Sie bekam vielmehr eines Tages einen Einschreibebrief dass die Bauzeit nicht eingehalten werden kann und dass die Firma Maier deshalb eine Verzugsstrafe zu erwarten habe. Am selben Vormittag meldete sich auch der tschechische Geschäftsführer bei Herrn Maier, dass er Zeit­ probleme habe. Er hatte denselben Brieferhalten. Herr Maier war sehr verärgert: Warum nur hatte sich der tschechische Geschäftsführer nicht eher bei ihm gemeldet, wo er doch von einer Personalbesprechung her wusste, dass in Deutschland seit einer Woche sogar ein paar Leute frei und verfügbar waren?

1. sehr ty­ pisch!

2. 3. • Bestreben, den Deutschen zu bewei­ • Bestreben, die Angelegen­ sen, dass man das alles schafft. Sich heiten selbständig und oh­ nicht mit den Deutschen beraten: ne fremde Hilfe zu lösen Jede Mithilfe könnte ja als Schwä­ • Häufige Wette: Man kann che oder Unfähigkeit interpretiert im letzten Moment noch werden. alles retten. • Warum soll man Unsicherheit • Es ist nicht einfach, die

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4. • Man machte das immer so. • So eilig wird es nicht sein!

verbreiten, wenn es noch wahr­ scheinliche Möglichkeit gibt, alles zu schaffen - freilich im letzten Moment. • Wenn der letzte Moment negativ endet, dann bleibt nichts anderes üb­ rig, als das entstandene Problem mit den deutschen Kollegen zu lösen. • Lösungsvorschlag: Beim Zusam­ mensein wegen der Projekte schon gemeinsame Gespräche initiieren. Das überzeugt die Tschechen, dass die Deutschen gemeinsam die Auf­ gabe lösen und helfen wollen!

Tschechen von der Auf­ richtigkeit zu überzeugen, weil sie die Angst vor sei­ ner Überlegenheit loswer­ den müssen.

Situation 42: Ausgehen

Einem deutschen Mitarbeiter, der neu nach Prag versetzt wurde, fällt auf, wie viel hier „geklüngelt" wird. Alle beruflichen Beziehungen scheinen irgendwie im Privatleben fortzubestehen und umgekehrt. Er bekommt täglich im Büro mit, dass Kollegen sich mit wichtigen Geschäftspartnern auf ein Bier ver­ abreden; oder dass Dinge zum Laufen gebracht werden, die niemals Gegenstand offizieller Besprechun­ gen waren, denn man riefsich kurz mal an oder traf sich zufällig irgendwo. Es ist ihm ein Rätsel, wie er den Zugang zu diesem „Milieu" jemals bekommen soll, zumal er bislang nicht tschechisch spricht.

1. typisch für fast alle Gruppen

2. • Tschechen sind es gewohnt, ihre Probleme selbst zu lösen und dabei ihre Freundschaftskontakte aus der Arbeit zu nutzen.

3. • Ein Gespräch mit anderen ist einfacher, schneller, angenehmer.

4. • Das ist durchgängig typisch, nicht epochenab­ hängig.

Situation 62: Die PersonalÜbernahme Eine deutsche Handelsfirma übernimmt in der Region Budweis eine Reihe von Elektrogeschäften. Diese Abwicklung zieht sich über mehrere Monate und der tschechische Direktor soll sie auf Seiten der tsche­ chischen Firma bis einschließlich Dezember durchführen, sodass die endgültige Übernahme zum Neuen Jahr erfolgen kann. Im Rahmen seiner Aufgaben soll er sein Personal darüber informieren, dass die Geschäfte von der deutschen Firma übernommen werden, und dass jeder Mitarbeiter sich entscheiden solle, ob er/sie damit einverstanden ist, um gegebenenfalls für einzelne Mitarbeiter andere Lösungen herbeizuführen. Denn es ist geplant und zugesagt, dass alle Mitarbeiter - einschließlich dem Personal­ chef - übernommen werden, wenn sie es wollen. Der deutsche Personalverantwortliche des Gesamtunternehmens, Herr Peter, reist im Dezember in der Annahme, dass die Arbeitnehmer über die Übernahme Bescheid wüssten, in die tschechische Republik, um den Arbeitnehmern, die übernommen werden wollen, die Auflösungsverträge mit der alten Firma und die neuen Arbeitsverträge vorzulegen und sie unterschreiben zu lassen. Als er im ersten Geschäft angekommen ist, bemerkt er, dass keiner der Mitarbeiter weiß was da vor sich geht: Sie wissen nichts über die Übernahme, nichts über die neuen Verträge, nichts über den Zeitplan und die Bedingungen der Übernahme, einfach nichts. Herr Peter benötigt den ganzen Tag, nur um den Leuten eines einzigen Ge­ schäfts die Sachlage zu erklären. Er ahnt schon, was dann auch eintrifft: Diese Prozedur wiederholt sich in allen Geschäften und Herrn Peters gesamter Weihnachtsurlaub ist dahin, denn es ist natürlich eine heikle Sache, den Leuten zu erklären, was die deutsche Firma will, dass sie die Mitarbeiter nicht

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betrügen will usw.. Herr Peter kann die Ängste sehr gut verstehen, denn die deutsche Firma ist in der tschechischen Republik natürlich völlig unbekannt. Und nun wird zudem der Eindruck erweckt, dass die Deutschen einfach kommen, kaufen und neue Verträge aufden Tisch knallen. 4. 3. 2. l. • Gleichgültigkeit bei Des­ • typisch für • Er glaubte nicht, dass er nach der typisch Übernahme Direktor bleibt. Deshalb interesse Umbruchs­ für viele hatte er kein Interesse, sich weiter • Unzuverlässigkeit tschechi­ situation: • Unangenehme Situationen sche Ma­ um etwas zu kümmern. Manager • Er war in dieser Aktion weder mate­ nager werden verschoben werden nor­ riell noch sonst wie interessiert. malerweise • Die Deutschen hielten es offen­ ausgetauscht sichtlich für selbstverständlich, dass der Direktor das tun würde, küm­ merten sich überhaupt nicht mehr darum und erinnerten ihn nicht dar­ an. • Das ist alles peinlich und unange­ nehm, die Fragen, die Unsicherhei­ ten, das Misstrauen... Sollen es die Deutschen selber machen!

Nun einige Beispiele mit Deutschen und die Analyseergebnisse aus der schriftli­ chen Befragung von Deutschen: Situation 27: Die Unterlagen fürs Rechnungswesen Frau K. arbeitet in einer Bank. Bei bestimmten Unterlagen fürs Rechnungswesen, ist immer ein Budget­ code und die Gesamtsumme des Preises anzugeben. Das bedeutet, dass zwei Dinge in ein Formular eingetragen werden müssen. Frau K. muss das als Assistentin erledigen und dann das Formular dem deutschen Chefzur Unterschrift geben. Wenn Frau K. einmal nicht auf ihrem Platz ist, dann schreibt ihr der deutsche Chef einen großen Zettel: „ Frau K., bitte Budget-Code und Preis ausfüllen und zum Rech­ nungswesen weiterleiten. Danke. Unterschrift. “ So liegt das dann auf ihrem Tisch und sie erledigt das. Frau K. findet das eigentlich lustig: Wenn der Chef das selbst ausfüllen würde, statt ihr den Zettel zu schreiben, würde er ein Drittel der Zeit brauchen. Aber er macht das nicht.

1. im Prin­ zip ty­ pisch, aber ten­ denziell kleinlich

2. • Dieser Chef hält die Kompetenzund Zuständigkeitsbereiche klar ein. Deshalb verhält er sich so: Was die Arbeit der Assistentin ist, das macht nicht er, sondern sie. • Und darauf weist er sie auch höflich hin. • Weil er so höflich ist, geht es ihm dabei wahrscheinlich nicht um das Herausstreichen der Tatsache, dass er der Chef ist, sondern um das Auf­ zeigen klarer Zuständigkeiten.

4. 3. • Einhaltung von Zuständig­ • Kontrolle der keiten Angestellten • Höflichkeit, formelles zugunsten Verhalten eines rei­ bungslosen • „Vorbildcharakter“ als gewissenhafter Chef und Funktionie­ im Wirtschaftsaufbau des rens der Fir­ ma Ostens • Bürokratie

Evtl. Vermutungen: • Die Bürokratie herrscht hier beson­ ders deutlich: Eine Delegation er­ folgt bis ins kleinste Detail - auch

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wenn der Aufwand für den Zettel größer ist, als es die Erfüllung der eigentlichen Aufgabe wäre. • Der Chef fühlt sich - vielleicht auf­ grund verschiedenster Vorerfahrun­ gen - besonders genötigt, diese (oder alle) tschechischen Mitarbeiter bitte sehr auf die Einhaltung von Rollen und Aufgaben hinzuweisen. Dage­ gen wurde eventuell, mehr als ihm lieb ist, verstoßen und deshalb ist er dazu übergegangen, besonders deutlich dieses Prinzip,Jeder hält sich exakt an seine Zuständigkeit“ vorzuleben. - Dabei muss die Mitar­ beiterin gar nicht diese im Beispiel geschilderte Aufgabe vernachlässigt haben, sondern der Chef kann „grundsätzlich“ das Gefühl haben, seinen Mitarbeitern eine „klare Ordnung“ „beizubringen“.

Situation 50: Die Bauprojekte Unter der Obhut des „Reisebüros der Jugend1' konnte der Chef dieses Reisebüros eine „Aktion" grün­ den, die alte Ferien-Objekte (der Jugend, der Gewerkschaft usw.) renovieren und als Hotels umbauen wollte. Eine Gruppe von Tschechen dieser „Aktion" fuhr daher nach Deutschland und führte mit einer deutschen Baufirma, die viel Erfahrung im Hotelbau hatte, Verhandlungen. Die Deutschen empfingen die tschechische Delegation freundlich, bewirteten sie und machten ihnen kleine Geschenke mit Ge­ genständen, die ihr Firmenlogo trugen. Man trafsich einige Male. Dann allerdings hatte sich die Situa­ tion auf der tschechischen Seite geändert, weil der Chef, der diese Aktion ins Leben gerufen hatte, „zu­ rückgepfiffen wurde ". Beim letzten Besuch der Tschechen in Deutschland war noch nicht klar, ob und wie die intendierten Projekte realisiert werden könnten. Jetzt zeigten die Deutschen, dass sie böse sein können- so interpretierten das die Tschechen: Das Klima wurde frostig, unangenehm, ärgerlich, fast zornig, Aggressivität war zu spüren in kleinen Bemerkungen, in der Art, wie kurz angebunden die Deut­ schen nun waren. Der tschechischen Delegation war das sehr peinlich. - Sie fürchteten nicht nur um die Projekte, sondern auch um ihren Arbeitsplatz. Doch niemand aus ihren Reihen konnte etwas ändern. So versuchten sie das auch den Deutschen zu erklären, doch das Klima blieb kalt und ärgerlich. 1. sehr ty­ pisch

4. 2. 3. • Man hat investiert in den Aufbau der • Zeit!!! Time-Mana­ • Rationelles Han­ deln: Ziel muss in Geschäftsbeziehung - vor allem viel gement!!! Keine bestimmter Zeit er­ Zeit zu den Gesprächen - und möchte Rücksicht auf die reicht wird. natürlich jetzt auch ein Geschäft er­ knappe Zeit der zielen. Kommt es nicht zustande, ist Deutschen man sauer. Dabei ist es für Deutsche • Ungeduld, Enttäu­ schung, Ärger wird selbstverständlich, ihre negativen Ge­ fühle auch zu zeigen. offen gezeigt • Nachdem mehrmals ein Treffen statt­ • mehrere Gespräche gefunden hat, gehen die Deutschen = Signal dass ein davon aus, dass das Geschäft nun bald Geschäft zustande zum Abschluss kommt. Die Gesprä­ kommt (Man trifft sich nicht einfach che wurden dabei wahrscheinlich

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nur zum Zeitver­ schon als viel zu langatmig und lang dauernd erlebt, vermutlich fühlte man treib mit unent­ sich bereits hingehalten durch die schlossenen oder Tatsache, dass die Tschechen ein paar nicht-entscheiMal kamen und dachte sich, als sie dungs-befugten endlich sagten, dass das Geschäft Leuten) nicht zustande käme, dass sie das • Zielorientierung, auch gleich hätten sagen können und wenn auch durchaus sollen. - In Deutschland ist es in ei­ freundlich, aber nem solchen Fall fairerweise üblich, sonst nichts. rechtzeitig zu sagen, dass das Ge­ • Direktheit im Han­ spräch (nicht mehrere!) unverbindlich deln und Reden: bleiben muss, dass man nicht zusiKlare Signale er­ chem kann, dass es überhaupt zum wartet (Ja oder Geschäft kommt aufgrund diverser Nein) Umstände, die man erläutert. Dann • Stereotyp: Tsche­ weiß die andere Seite Bescheid und chen betrügen man stiehlt ihr nicht sinnlos die Zeit. Hat das Geschäft dann grünes Licht, dann nimmt man den Kontakt wieder auf. Bekommt man rotes Licht, dann ruft man den Partner an und sagt Nein, aber man besucht ihn nicht mehr, um ihm diese Zeitinvestition zu ersparen. • Indem man sich solange Zeit ge­ nommen hat, indem man sogar kleine Geschenke überreicht hat, hat die deutsche Seite aus ihrer Sicht wirkli­ ches Einfühlungsvermögen und wirk­ liches Bemühen zum Zustandekom­ men des Geschäfts gezeigt. Jetzt ist sie nicht nur verärgert, dass dieses Bemühen umsonst war, d.h. dass kein Geschäft zustande kam, sondern fühlt sich auch betrogen: Die Tschechen „spielten“ scheinbar nur Interesse, sie hatten Motive, die die Deutschen nicht kennen: Die Tschechen wollten wahrscheinlich das Know-how der deutschen Firma umsonst erhalten und ihre Ideen kopieren und hatten gar nie vor, mit der deutschen Seite Geschäfte zu machen. Warum wären sie denn sonst gleich mehrfach per­ sönlich angereist? Diese Vermutung ist es, die die Deutschen wirklich är­ gerlich macht und die es ihnen auch erlaubt, ihren Ärger deutlich zu zei­ gen.

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Situation 57: Der Flug nach Prag

Eine tschechische Studentin hat für eine große deutsche Firma eine Diplomarbeit geschrieben - der Professor, der diese Arbeit betreute, erinnert sich noch mit Schrecken daran. Der Ansprechpartner in dieser Firma hatte klare Vorstellungen, was in dieser Diplomarbeit gemacht werden sollte. Er wollte unbedingt bis zum 20. Juni die Gliederung haben und wissen, wieweit die Arbeit schon gediehen sei. Dazu kam er mit dem Flugzeug nach Prag; ein Auto der Uni erwartete ihn bereits am Flughafen und holte ihn ab. Er sprach mit dem Professor eine Stunde und sagte genau, was er wie wolle und von der Arbeit erwarte. Dann ging er wieder zum Auto undflog nach Hause. Das ist für den Prager Professor bis heute unglaublich! 1.

2. • Das gilt sogar positiv als Organisa­ typisch tionstalent. Denn alles verläuft nach für Perso­ Plan: die Reise selbst, aber auch die nen in Vorstellung, die er bezüglich der höheren Ausführung der Arbeit hat. Positio­ • Er arbeitet zuverlässig: Er erkundigt nen oder sich über den Stand der Arbeit, er für Selb­ äußert seine Wünsche, er meint, sich ständige, mit dem Professor abzusprechen d.h. für (weil er davon ausgeht, dass dieser „Termin­ es sagen würde, wenn er irgendwo geplagte“, an dem Vorhaben Probleme sehen wenn würde oder anderer Meinung wäre.) ihnen eine Er ist sogar sehr engagiert, denn er Aufgabe fliegt persönlich nach Prag und oder ein kümmert sich persönlich um dieses Anliegen Projekt. Er ist an der Arbeit sehr wichtig interessiert und will Bescheid wis­ ist. sen - vermutlich auch, um sie aus seiner Position unterstützen zu kön­ nen. Persönliche Belange interessieren ihn dabei nicht, wenn er dienstlich unterwegs ist. Es gehört sich nicht, dass er diese Reise mit persönli­ chem Vergnügen verknüpft und sich einen schönen Tag in Prag macht. Dazu hat er erstens wahrscheinlich sowieso keine Zeit und zweitens ist eine Dienstreise nicht zum Vergnü­ gen da. - Dass er der Person des Professors nicht mehr Aufmerksam­ keit schenkt und sich mit ihm z.B. ein bisschen unterhält, ist aus seiner Sicht klar: Ein Professor hat eben­ soviel zu tun wie er. Da wäre es so­ gar extrem unhöflich, dessen Zeit zu sehr zu beanspruchen. Beiden geht es doch um die effektive Erledigung dieser Sache - oder?

4. 3. • Nutzenma­ • Klare Organisation der ximierung: Dinge / er ist penibel und Diplomarbeit ordentlich erbringt Ge­ • Einhaltung von Terminen / winn für Pünktlichkeit / persönlich Firma (daher optimale Zeitgestaltung Unterstüt­ • Genaue Planung / planori­ zung) entiertes Handeln / Ver­ • Man will meidung etwaiger Miss­ Fakten, Ter­ verständnisse durch Be­ mine, Leis­ sprechen der Arbeit mit tung. dem Professor • Kontrolle ist • Sachlichkeit wichtig: Sich • Pflichtbewusstsein / er will nicht überra­ sein Ziel erreichen schen lassen! • Unterstützung der Studen­ Alles recht­ tin / Aufmerksamkeit zeitig erken­ • Konzentration auf das Ziel nen! • Zeit ist Geld

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3.3.1.2.

Gruppendiskussion

Nachdem die Erfassung des fremdkulturellen Orientierungssystems mit den zugrundeliegenden Kulturstandards angestrebt wurde, das aus gesamtgesell­ schaftlichen Erfahrungen resultiert und von den Mitgliedern einer Kultur geteilt wird, erscheint die Gruppendiskussion als eine weitere, geeignete Methode. Für die Deutschen kam sie denn auch zur Anwendung. In Tschechien wurde da­ von aus rein praktischen Gründen (Zeit- und Organisationsaufwand, Sprach­ schwierigkeiten) Abstand genommen. In die Gruppendiskussion wurden alle die Kritischen Ereignisse gegeben, die auf­ grund der schriftlichen Befragung nicht eliminiert worden waren. „Allgemein kann man die Gruppendiskussion als Gespräch einer Gruppe von Untersuchungspersonen zu einem bestimmten Thema unter Laborbedingungen auffassen.... Ziele der Gruppendiskussion können... sein: ... Die Feststellung öf­ fentlicher Meinungen und Einstellungen“ (Lamnek, 1995b, S. 131) Für die Fest­ stellung der „öffentlichen Meinung“, d.h. der überindividuellen Handlungs­ determinanten, kollektiven Erwartungen, Normen und Überzeugungen (Dreher & Dreher 1994; Mayring, 1996) gelten sogar Gruppeneinflüsse wie Gruppendruck nicht als Störgröße, sondern als begünstigende Faktoren (Dreher & Dreher, 1994). Freilich müssen Rahmenbedingungen, wie, dass jeder Teilnehmer zur Sprache kommt und dass jede individuelle Meinung im Licht der anderen Aussagen re­ flektiert wird, gegeben sein. Dann ist es z.B. aufgrund des Gruppendrucks un­ wahrscheinlich, dass unsinnige und unverständliche Antworten gegeben werden.

Dabei ist die Gruppendiskussion „besonders hilfreich bei der qualitativen Unter­ suchung von Motivationsstrukturen“ und der „Erkundung der den Meinungen und Einstellungen zugrundeliegenden Bewusstseinsstrukturen der Teilnehmer“ (Lam­ nek, 1995b). Die Befragten regen sich gegenseitig zu detaillierten Äußerungen an und somit werden tieferliegende Bewusstseinsinhalte aktualisiert (Dreher & Dre­ her, 1994). Der konkrete Ablauf einer Gruppendiskussion ist so zu beschreiben:

• Die Gruppengröße schwankte je nach Setting zwischen 4 Personen und 20. Gruppendiskussionen fanden nämlich sowohl „nach Feierabend“ auf freiwilli­ ger Ebene und aus Interesse statt, wie auch innerhalb von Seminaren, wenn oh­ nehin das Thema „cultural self-awareness“ auf der Tagesordnung stand und an­ 81

hand von Beispielfällen bearbeitet werden musste, z.B. in Seminareinheiten mit MBA-Studenten. In jedem Fall war die Voraussetzung gegeben, dass die Teil­ nehmer „vom Gegenstand der Diskussion als gruppenspezifisches Problem be­ troffen sind“ (Dreher & Dreher, 1994, S. 146)

• Es handelte sich ausschließlich um Gruppen, deren Mitglieder auch im Alltag als Gruppe oder innerhalb einer gemeinsamen größeren Gruppe zusammen­ arbeiten. Damit ist die Forderung nach einer „Realgruppe“ erfüllt (Dreher & Dreher, 1994; Lamnek, 1995b). • Der Ablauf der Diskussion gestaltete sich im einzelnen derart, dass die Teil­ nehmer vor der Gruppendiskussion die zur Debatte stehenden Kritischen Inter­ aktionssituationen mit den zu bearbeitenden Fragen (vgl. schriftliche Befra­ gung) erhielten. Sie sollten die Situationen durchlesen und sich zunächst indi­ viduell Gedanken und evtl. Notizen machen, wie die Verhaltensweisen zu er­ klären sind. Damit war eine gründliche Orientierung, die Sammlung der Ein­ zelmeinungen und das Vorhandensein eines gleichen Informationsstandes ge­ geben (Dreher & Dreher, 1994). • Die eigentliche Diskussion verlief dann in Anlehnung an die von Mayring (1996) beschriebene Vorgehens weise: Zuerst wurde eine kritische Interaktions­ situation einschließlich den Fragen nach den Ursachen (der sog. „Grundreiz“) dargeboten. Die Teilnehmer trugen daraufhin ihre individuellen Interpretatio­ nen und Einschätzungen auf der Typisch-untypisch-Skala vor. Anschließend fand die Gruppendiskussion in Form einer argumentativen Auseinandersetzung statt mit dem Ziel, einen Gruppenkonsens über die Erklärungen und deren Elemente und Facetten herbeizufuhren. Um der Polyvalenz und der Viel­ schichtigkeit der zu beurteilenden Situationen gerecht zu werden, waren alle konsensfahigen Antworten zulässig. Die von allen akzeptierten Interpretationen wurden von der Diskussionsleiterin für alle sichtbar notiert. Bereits aufgrund der Fragen zu den Kritischen Ereignissen wurden sowohl sehr situationsnahe Antworten gefunden, wie auch ein mittleres Abstraktionsniveau erreicht, das den konkreten Kontext übersteigt. Konnte über eine Situation kein Konsens er­ zielt werden, dann wurde die Situation eliminiert. Denn dieses Ergebnis wurde so gedeutet, dass dieser Situation scheinbar keine weitgehend geteilten Kultur­ standards zugrunde lagen. - Danach wandte man sich der nächsten kritischen Interaktionssituation auf dieselbe Art zu.

• Die Rolle der Moderatorin liegt in der aktiven Steuerung des Themas und der Qualität der Aussagen. Vorschnelle Einigungen dürfen verhindert, übersehene Elemente oder Argumente dürfen eingebracht werden durch Fragen nach De-

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tails. Die Zusammenfassung und Überprüfung des Konsens obliegt ihr eben­ falls (Lamnek, 1995b).

Exemplarisch soll hier ein Ergebnis einer Gruppendiskussion angeführt werden, das erst nach kontroverser Diskussion so zustande kam. In der schriftlichen Be­ fragung lautete das (enttäuschende) Ergebnis: Die Situation sei untypisch; typisch sei lediglich, dass es wichtig ist, in einer Bank gut gekleidet zu sein. Situation 73: Derfreundliche Lehrer Es war in der deutschen Zentrale der Bank, in der Frau S. in Prag arbeitet. Sie besuchte dort einen mehrwöchigen Lehrgang der Bank. Einer der Lehrer war sehr sehr freundlich, für Frau S. 's Geschmack fast zu freundlich. Er bemühte sich um ein recht freundschaftliches Verhältnis zu den Kursteilnehmern und sagte ihnen sogar, sie könnten ihn duzen. Er schien ihr Freund zu sein, wies die Teilnehmer aber darauf hin, dass sie andere Seminarleiter siezen sollten und auch wirklich nicht alle seine Kollegen als Freunde betrachten könnten. Zurück in Prag erfuhr Frau S, dass eben dieser Lehrer an die Bankniederlassung in Prag eine Nach­ richt geschrieben hatte, in der er die einzelnen Seminarteilnehmer beurteilte. Von Frau S. hieß es da z.B., dass sie nicht elegant genug gekleidet sei, von ihrer Kollegin, dass sie zu wenig gesprochen hätte usw.. Frau S. kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. War dieser Lehrer heuchlerisch! Ergebnis der Gruppendiskussion:

1. Situation eher untypisch (viele Deut­ sche wahren Abstand zu Teilnehmern)

Eher untypisch ist, dass er die Kritikpunkte nicht während, sondern erst nach dem Se­ minar schrift­ lich mitteilt.

Typisch ist aber, dass er die Teilnehmer bewertet, wenn das seine Aufgabe war.

2. • Der Lehrer wollte dadurch, dass er den Teilnehmern das Du angeboten hat, eine gute und für alle angenehme Atmosphäre schaffen. Evtl, wollte er so mehr über die Teilnehmer erfahren, die Beziehung auflockern, sie erleben, wie sie wirklich sind, um sie besser kennen zu lernen und sie leichter beurteilen zu können. Viel­ leicht war ja eine gewisse „Persönlich­ keitsbeurteilung“ seine Aufgabe. • Dieser Lehrer kann, muss nicht heuchle­ risch gewesen sein: Er hat lediglich eine Trennung zwischen persönlicher Freundlichkeit und objektiver Beurtei­ lung vorgenommen. Nur weil er die Teilnehmer persönlich mochte, musste (1) seine Beurteilung noch nicht positiv ausfallen. (2) Freundlichkeit hat nichts mit der Strenge der Beurteilung zu tun. Ein freundlicher Lehrer ist nicht auto­ matisch milde. Falls er die Aufgabe hatte, die Teil­ nehmer Stoff zu lehren, war es nicht in Ordnung, dass er ohne die Teilnehmer zu informieren, eine Beurteilung an die Bank geschickt hat.

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4. 3. • Freundlichkeit gilt • Eine ob­ der Person jektive • Bewertung erfolgt Bewertung für die Leistung ist wichtig bzw. den ange­ für die Kar­ zielten Aspekt riere und • Die Unterschei­ für die dung zwischen Unterneh­ persönlicher Wert­ mensent­ schätzung und ob­ wicklung. jektiver Beurtei­ Diese Be­ lung ist wichtig, urteilung freundlich, aber bringt also korrekt. auch den • Vitamin B wäre Teilneh­ unfair! Objektive mern et­ Beurteilung ist was. wichtig!

3.3.1.3.

Expertenbefragung

Auf der tschechischen Seite wurde des weiteren eine Expertenbefragung durchge­ führt (Thomas & Schenk, 1996). Die Experten - allesamt Tschechen - sind Do­ zenten der Wirtschaftsuniversität Prag bzw. der Karlsuniversität Prag (ein Psy­ chologe, eine Germanistin, eine Soziologin), die im Bereich des tschechisch-deut­ schen Kulturvergleichs arbeiten. Jede/r von ihnen wertete aus:

l. die Kritischen Ereignisse, die er/sie für besonders aufschlussreich bzgl. der tschechischen Kultur hielt, 2. die Ereignisse, die nicht Gegenstand der schriftlichen Befragung waren (in ar­ beitsteiliger Weise),

3. die Ereignisse, deren Interpretation (in der schriftlichen Befragung) Fragen aufgeworfen hatte. Von der Vorgehensweise her stellte die Expertenbefragung (von wenigen schrift­ lichen Ausarbeitungen abgesehen) wirklich eine Befragung dar, d.h. ein Gespräch zwischen der Autorin und der betreffenden Person.

Die Analysefragen der schriftlichen Befragung fungierten auch hier als Leitfaden für das Gespräch. Was den Verlauf dieser Befragungen anbelangt, gilt analoges wie unter 3.1.4. für Interviews dargelegt: Das Setting war informell und die Fragen dienten als Basis, von der zugunsten für wesentlich gehaltener Informationen immer wieder abge­ wichen wurde. Aber gerade das erbrachte den Informationsreichtum, wie er aus dem Ergebnisteil ersichtlich ist.

Zur Illustration der Qualität der in diesem Verfahren erhaltenen Informationen einige Beispiele. Zunächst wird die Analyse der Situation vorgestellt (Tabelle) und dann werden die über die Situation hinausgehenden, aber wichtigen weiteren Aspekte, wie sie nur die Expertenbefragung erbrachte, dargestellt (Text).

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Situation: Die Kontaktbörse (vgl. 3.1.2.3.) 2. 1. typisch • eine gute Beziehungsebene ist die Voraussetzung zu einer künftigen für Tsche­ chen Kooperation • Ziele der Tagung wurden anders (abends) erreicht -> Show für die Deutschen am nächsten Tag • Der Tscheche hat nur um eine kleine Gefälligkeit gebeten (Vertreten in der Moderation)

3. • Beziehungspflege! • improvisieren; Chancen nutzen, wenn sie sich ge­ rade ergeben • angenehme Atmosphäre schaffen • Kollegialität ist selbstver­ ständlich (arrogante Deut­ sche!)

4. • hat mit Transforma­ tionsprozess nichts zu tun

Ergänzung zum Thema „deutsche Arroganz“: • Dieses Verhalten der deutschen Kollegin ist deutsche Arroganz: Für lange Zeit hat wahrscheinlich die Deutsche ganz selbstverständlich alle Aufgaben übernommen (an sich gerissen?) und dem Tsche­ chen sogar dadurch Minderwertigkeitsgefühle verursacht (und ihn „blöd ausschauen“ lassen?). Und dann macht sie ihm das zum Vorwurf. / • Das ist auch deshalb arrogant und überheblich, weil Partnerschaft unter Tschechen heißt: Jeder tut das, was ihm leichter fällt - grundsätzlich und in einer konkreten Situation. So zeigt man einander Wertschätzung und man bohrt nicht an einer Schwachstelle, an der jemand nicht so gut ist /sein kann wie der Partner. • Außerdem werden Beziehungen nicht expliziert. Eventuelle schlechte Gefühle werden überspielt und versucht, in gute überzuführen. Explikation bedeutet ‘schwerwiegender Konflikt’ und alle Gefühle brechen sich Bahn, d.h. die schlechten Gefühle werden dem Tschechen jetzt wieder voll bewusst und er fühlt sich dafür auch noch getadelt.

Situation: Unzufriedene Sekretärinnen (vgl. 3.1.2.3.) 1. 2. 3. • Die Sekretärinnen zeigten sicher • Tschechen sagen nicht, typisch schon lange ihre Unzufriedenheit. dass sie unzufrieden sind, für Tsche­ • Jetzt kulminierte die Unzufrieden­ sie zeigen es. chen heit und entlud sich (Eskalation) • Der Inhalt des Briefes war sekundär, es ging darum, den Unmut kund­ zutun. (Natürlich war das nicht so gemeint.)

4. • kein Bezug zum Trans­ formations­ prozess

Ergänzung: Tschechisches Konflikteskalationsschema 1. Tschechen weichen Konflikten solange aus, wie es geht. 2. Dann werden Konflikte (wenn der Zustand nicht weiter ignorierbar ist) durch Signale des Kontexts kommuniziert Ist Explizitheit nötig, dann schriftlich und in einem Setting, das kein Gespräch erlaubt. 3. Die letzte Stufe heißt: Explosion: als (a) wortloses Verlassen der Situation, (b) laute Auseinanderset­ zung, (c) harte Debatte mit Frage-Antwort-Spiel.

Situation 16: Der Konflikt (vgl. 3.1.2.1.) Ergänzung zum Thema „Ausreden“:

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Während eine Entschuldigung der Wahrheit entspricht und eine Lüge keine Rücksicht auf den Ge­ sprächspartner und dessen Gefühle nimmt, sondern nur die eigene Situation betrachtet, ist eine Ausrede die gekonnte Diplomatie: • Die Sache könnte wirklich so sein, das ist nicht klar zu entscheiden. • Eventuell handelt es sich um eine Teilwahrheit. • Eine Ausrede ist charmant, denn sie geht auf den Gesprächspartner ein und benutzt ein Argument, das diesem gefällt bzw. - in vollendeter Kunst - ihm sogar schmeichelt. • Eine Ausrede hilft dem, der sie gebraucht, aber sie schadet dem Gesprächspartner nicht. • Es ist ein Spiel: Beide wissen, dass es sich um eine Ausrede handelt, aber sie lassen sich darauf ein. • Das „Opfer“ einer Ausrede, d.h. wenn jemand zu spät feststellt, ihm wurde eine Ausrede serviert, ärgert sich über sich selbst und seine Dummheit, nicht über den anderen, denn der vollbrachte eine gute Leistung.

3.3.I.4.

Selbstbeobachtung

Mayring ist grundsätzlich der Überzeugung, dass „die interpretative Erschließung des Gegenstandes ohne Introspektion ... gar nicht möglich“ ist (Mayring, 1996, S. 19) und - ohne es zu explizieren - auch in jede quantitative Forschung introspek­ tive Daten, z.B. in der Form des Vorverständnisses und der Hypothesengenerie­ rung, einfließen. Der in dieser Studie verfolgte Ansatz geht aber über eine derart generelle Er­ kenntnis hinaus: Mit Hilfe der Selbstbeobachtung (vgl. 3.1.2.) sollten analog den anderen Verfahren und sie ergänzend

1. kritische Ereignisse und fremdkulturelle Attributionen erfasst werden sowie

2. eigenkulturelle Attributionen erhoben werden.

Das bedeutet, dass die aneinander erlebten Kritischen Ereignisse analysiert wur­ den und diese Ergebnisse ebenfalls Eingang in das Datenmaterial fanden.

Im Sinne Aschenbachs (1984) und Sommers (1987) folge ich mit diesem Ansatz der Forderung nach Dialog zwischen Forscher und Erforschtem: „Die Deutung von Handlungen soll möglichst - nicht immer können wir es - im Dialog mit den Handelnden erfolgen.“ (Aschenbach, 1984, S. 332) Dann kommt zum Vorschein, was „sie in den Köpfen haben.“

Die Auswertung der Kritischen Ereignisse, d.h. die Erhebung der eigenkulturellen Attributionen erfolgte im Prinzip analog dem Forschungsdesign der anderen An­ sätze lediglich mit dem Unterschied, dass die Akteure nun auch die Informanden für das gemeinsam erlebte Kritische Ereignis waren, d.h. dass Beobachter (=Teilnehmer) und Forscher in Personalunion agierten. Den Leitfaden für die 86

Analyse bildeten die Fragen der schriftlichen Befragung (vgl. 3.3.1.1.), insbeson­ dere

• Wie ist das Verhalten aus der Situation heraus begründbar und erklärbar? • Welche generellen (deutschen/tschechischen) Normen, Einstellungen, Haltun­ gen, Werte werden in diesem Verhalten sichtbar? Intendiert war mit den Selbstbeobachtungsdaten:

1. die Möglichkeit, die verschiedenen Attributionen für ein- und dasselbe kriti­ sche Ereignis an den inkompatiblen Stellen einander kontrastiv gegenüber zu stellen. Man sucht, findet, klärt „les objectifs reciproques“ (Gather Turler, 1990). Situative Einflüsse können dabei ebenfalls leicht differenziert und be­ nannt werden.

2. ein vertiefteres, detaillierteres Erfassen von fremdkulturellen und eigenkultu­ rellen Attributionen als bei den anderen Verfahren aufgrund der affektiven, motivationalen, intentionalen, rationalen Nähe zum Geschehen. Es explizieren sich Betroffene, keine „empathischen Stellvertreter“, wodurch eine größere In­ terpretationssicherheit gegeben ist. Scheele & Groeben (1988) formulieren das so: „Da sich die Innensicht-Perspektive des Handelnden in erster Linie auf die Gründe, Intentionen und Ziele des (eigenen) Handelns bezieht, stellt die Re­ konstruktion von Subjektiven Theorien primär ein beschreibendes Verstehen der Gründe, Intentionen und Ziele des reflexiv handelnden menschlichen Sub­ jekts dar.“ (Scheele & Groeben, 1988, S. 18)

Dabei regt die Differenz zwischen der eigenen Perspektive und der vermuteten fremden Perspektive auf den Ebenen der Kognition („So denkst Du darüber!?“) wie der Emotion („So fühlst Du Dich dabei!?“) zur wechselseitigen Explikation weiterer Details an. Nonverbale Elemente können ebenfalls leichter hinzuge­ nommen werden, weil sie noch (zumindest zum Teil) in Erinnerung sind. Auch hier wieder einige Beispiele:

Im ersten Beispiel (Einladung zur Buchpräsentation) wurde ein Stück deutschen Hoch-Kontexts entdeckt. Außerdem illustriert es das zumindest rudimentäre Vor­ handensein einer „Begegnungskultur“ (Krewer, 1996): Das interkulturelle Vor­ wissen um die tschechische Konfliktvermeidung verstärkte die Tendenz, in die­ sem Fall etwas nicht zu explizieren.

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Einladung zur Buchpräsentation (vgl. 3.1.2.2.)

1. typisch

4. 2. 3. • Ich erwartete irgendeinen Kom­ • Ich brauche eine explizite ohne Bezug zu mentar zu meinem Vorschlag, den Marktwirtschaft Bestätigung, ein verbales Professor einzuladen. Ja oder Nein zu einem • Da er ausblieb, dachte ich, dieser Vorschlag. Gedanke gefalle meinem Kollegen • Keine explizite Bestäti­ nicht, - zumal er zu allen anderen gung wird sicher als NichtGästen positive Kommentare Begeisterung, unter Um­ machte - und ich unternahm nichts. ständen sogar als diplo­ • Dass die langfristige Planung wegen matisches Nein gedeutet. der Einladung des Professors er­ • Andere Signale werden nicht wahrgenommen. folgte und somit ein klares Zeichen war, registrierte ich nicht. • Vermutlich wollte er mich nicht kränken, diese Idee rundheraus ab­ zuschlagen und zeigte mir durch Nicht-Erwähnen sein Nein „do­ siert“.

Das zweite Beispiel (So viel Papier!) lässt das Sowohl-als-auch-Prinzip der Kul­ turstandardpaare im deutschen Mischungsverhältnis von Sache und Person aufscheinen: So viel Papier!

Während der gesamten Kooperation war es stets so, dass ich viel arbeitete und meine Ergebnisse schriftlich festhielt. Alle Papiere, die ich erstellte, schickte ich dann meinem Kollegen - entweder, um sie als Diskussionsgrundlage für die Forschung zu haben oder zur Benutzung als Seminarunterlagen oder schlicht, um ihn auf dem laufenden zu halten über den Stand unserer Arbeit. Im Gegenzug erhielt ich nur dann etwas, wenn ich ausdrücklich darum gebeten hatte. Aus eigenem Antrieb kein einziges Mal. Das verursachte mir Unzufriedenheit.

1. typisch für Profis

2. • Das Schicken der Papiere bedeutete für mich den Beweis aufrichtiger und umfassender Kooperation, denn sonst hätte ich meine eigenen, sauer erarbeiteten Ergebnisse nicht „her­ ausgerückt“. • Es war ein Kooperationsangebot absoluter Offenheit und eine Einla­ dung zur Diskussion über die In­ halte. • Das Fehlen desselben Verhaltens von der anderen Seite verursachte Enttäuschung und das Gefühl, ein Stück weit ausgenützt zu werden sowie im Gefolge Misstrauen.

4. 3. • Das Kooperationsangebot kein Zusam­ erfolgt auf der Sachebene menhang (=Papiere). • Es definiert aber die Be­ ziehungsebene: Weil ich diese Person schätze, schi­ cke ich ihr (und keinem anderen) die Papiere. Weil ich positives Feedback ge­ ben will in der Freude über das gemeinsam Erreichte, erhält sie alle Inhalte, zu denen mich die letzte Be­ gegnung angeregt hat und die ich nun auf diese Art

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festhielt. • Ich bin auf der Bezie­ hungsebene enttäuscht über den fehlenden Infor­ mationsfluss in anderer Richtung, weil ich das als Fehlen eben dieser wert­ schätzenden Signale deute.

Das dritte Beispiel (Das Buch) erlaubt einen Einblick in die doppelte Perspektive für ein und dasselbe Kritische Ereignis. Das Buch

Wir beschlossen, über unsere Ergebnisse und Erfahrungen ein Buch zu schreiben. Ich wollte vor Weih­ nachten bereits planen, wie und bis wann wir was machen könnten, denn ich habe mehrere Monate im voraus einen ausgebuchten Terminkalender und muss mir langfristig seminarfreie Zeiten reservieren, sonst ist es mir nicht möglich, konzentriert an einem größeren Projekt zu bleiben. Das Ergebnis des Gesprächs war, ich sollte im Januar noch bestimmte Dinge zusammenstellen, mein Kollege wolle dann die Semesterferien im Februar nutzen, die tschechische Version des Buches zu schreiben, dann könnten wir im März und April eventuell noch Ergänzungen oder Änderungen vornehmen und im Mai könnte das Buch dann ins Deutsche übersetzt werden. Es gäbe zwei Versionen, eine tschechische und eine deutsche, die sich in manchen Inhalten, aber nicht im Hauptteil (ca. 2/3 des Buches) unterscheiden würden. Ich plante mir also für Ende Juli und Augustfreie Zeit ein, um die deutsche Version zu schreiben, und kürzte meinen Sommerurlaub aufzwei Wochen. Wir sahen uns zwischen Februar und April nicht mehr und ich hatte von der Ferne den Eindruck, dass mein Kollege nicht viel am Buch arbeiten konnte und fragte daher beim nächsten Treffen Ende April / Anfang Mai, wie er denn vorankäme und bis wann ich die Übersetzung voraussichtlich haben könne, da ich wirklich nur bis 1. September und dann erst wieder an Weihnachten am Buch arbeiten könnte. Er antwortete, dass er das tschechische Buch, genau wie ich das deutsche, im August schreiben werde und ich daher keine Übersetzung erhalten werde. Ich fiel aus allen Wolken... Ich wusste, der ganze Sommer war verloren, denn eine Übersetzung zu überarbeiten ist etwas anderes als ein Buch gänzlich zu schrei­ ben. Verschieben konnte ich nichts mehr, von September bis Weihnachten war ich bereits wieder ausge­ bucht.

1.

2. 3. Deutsche Perspektive-. Deutsche Perspektive'. Vorgeschichte: Ich war unruhig, da ich (1) völlig unerfahren bin im Bücher-Schreiben, (2) als Trainerin ausgebucht bin und langfristig planen muss, um überhaupt ein Projekt nebenher machen zu können.

• Ich hätte eine Information über den Verzug erwartet. • Ich hätte ein Angebot oder ein Gespräch erwartet, wie die dadurch verursachten Schwierigkeiten verringert werden könnten. • Tiefste Enttäuschung: keine Rücksicht­ nahme auf mich (Wortbruch, Urlaub zer-

89

• Bringschuld! • Konfliktgespräch und gemeinsame Herbei­ führung einer Lösung • Rücksichtnahme = sich an Vereinbarungen

4.

stört, Planung zerstört...), kein Teamgeist

halten

Tschechische Perspektive’. Vorgeschichte: Wir haben genug Stoff. Tschechen planen nicht langfristig, sondern man weiß erst während des Schreibens, was man schreibt.

Tschechische Perspektive’.

• Die Planung geschah vorwiegend auf dem Hintergrund, die „deutsche Nervosität“ bzgl. des Ablaufs des Buchprojekts durch eine be­ ruhigend wirkende Aussage zu mildem. • Die Planung war daher nicht verbindlich, sondern nur mal so besprochen. Es kam eben anders, obwohl dieses Entgegenkom­ men zum Zeitpunkt der Aussage durchaus intendiert war. • Wenn ich (die Deutsche) merke, dass etwas anders läuft, als ich es dachte und will, muss ich fragen. • Das ist doch kein Problem, ich (die Deut­ sche) habe das Wissen. Eine schlechte Übersetzung hätte mir vielleicht auch gar nicht so viel geholfen, wie ich dachte.

• Kontext von Aussagen beachten (Beruhigung!) • Flexible Anpassung an die Realitäten; mit Stö­ rungen ist zu rechnen. • Holschuld aufgrund von Kontextsignalen • Improvisation

90

3.3.2.

Auswahl der Informanden

Im Theorieteil wurde gezeigt, dass Kulturstandards Orientierungen sind, über die jeder durchschnittlich sozialisierte Mensch verfugt. Außerdem können die Be­ weggründe für Handlungen und Regeln, an die diese Handlungen gebunden sind, auf Befragen rekonstruiert werden. Es ist demnach also im Prinzip jeder (West)Deutsche und jeder Tscheche als Informand über vermutliche Handlungs­ gründe seiner Mitbürger geeignet. Zusätzlich vorteilhaft ist eine gewisse Nähe zu dem Milieu, in dem sich die meisten kritischen Interaktionssituationen abspielen, um deren Attribuierung gebeten wird. Wieder kam das „theoretical sampling“ (Lamnek, 1995b) zum Einsatz zur Rekrutierung der nun benötigten Auskunftsper­ sonen.

Im wesentlichen handelte es sich bei den Informanden für die schriftliche Befra­ gung, die Gruppendiskussion sowie die Expertenbefragung um folgende Perso­ nenkreise (in beiden Ländern): 1. Studenten der Betriebwirtschaft (Sie standen vor ihrem Studienabschluss und hatten bereis ca. zwei Praxissemester im Ausland hinter sich.) 2. Studierende im MBA-Studiengang mit dem Schwerpunkt „Internationalisie­ rung“ (es handelte sich um Manager und Sachbearbeiter, die in den unter­ schiedlichsten Branchen und mit den unterschiedlichsten Ausbildungen und Studienabschlüssen seit einigen Jahren berufstätig sind und sich durch den MBA-Abschluss eine weitere Qualifikation erwerben wollen) bzw. „Aufbau­ studenten“ der Wirtschaftsuniversität Prag (sie arbeiten ebenfalls an ihrer Zu­ satzqualifikation)

3. Manager und Sachbearbeiter von Firmen 4. Experten der Prager Wirtschaftsuniversität und der Karlsuniversität (vgl. 3.3.1.3.) Die Personenkreise 1-3 waren die Respondenten für die schriftliche Befragung und die Gruppendiskussion, die Gruppe 4 stellte die Expertenrunde.

91

3.4.

Identifizierung zentraler tschechischer und (westdeutscher Kulturstandards

3.4.1.

Das Analyseverfahren

Um von den konkreten Daten zu abstrakten und allgemeinen Merkmalen oder Aussagen zu gelangen, wurden im Bereich der qualitativen Forschung verschie­ dene Aufbereitungs- und Auswertungstechniken entwickelt (Mayring, 1995). In der vorliegenden Studie wurden die Interaktionsschilderungen unter Zuhilfe­ nahme des Beurteilungsmaterials einer Inhaltsanalyse unterzogen (Rust, 1983; Rosch, 1979; Lamnek, 1995b; Mayring 1996), um die den Interaktionsprozess besonders in seiner als kritisch erlebten Phase determinierenden Kulturstandards zu identifizieren. Dabei wurde, wie bereits dargelegt, von der Annahme ausge­ gangen, dass die von Tschechen geschilderten Interaktionen mit Deutschen und vice versa deshalb als ’’kritisch" erlebt werden, weil die deutschen (bzw. - aus der Perspektive der Deutschen tschechischen) Partner sich erwartungswidrig verhal­ ten haben. Sie folgen ihren eigenen Kulturstandards und gestalten und interpretie­ ren die Interaktionssituationen anders, als es die Tschechen (bzw. Deutschen) aufgrund ihrer Kulturstandards gewohnt sind. Aus dem Material der eigenkultu­ rellen Beurteilungen, sowie aus dem Vergleich zwischen den fremd- und den ei­ genkulturellen Beurteilungen, werden die für die geschilderten Interaktionssitu­ ationen bedeutsamen Kulturstandards ermittelt. Die „Inhaltsanalyse ist das zentrale Modell zur Erfassung (bzw. Konstituierung) sozialwissenschaftlicher Realität.“ (Lisch & Kriz, 1978, S.ll). Mit ihrer Hilfe werden die abstrakten Kulturstandards aus den situativ eingebetteten, kulturadä­ quaten Attributionen erschlossen. Sie dient der Analyse latenter Sinnstrukturen, deren Manifestationen alltagsweltliche Handlungsfiguren sind. (Lamnek, 1995b). So können der manifeste, im Prozess der Datenerhebung gewonnene Text einer­ seits und die unvermeidlichen Vorannahmen und das unabdingbare Vorwissen andererseits in einem dialektischen Prozess integriert werden. Damit werden die Sinnkonstruktionen des Alltags in kontrollierte wissenschaftliche Methodik über­ fuhrt. Zwischen Alltagsverstehen und wissenschaftlich kontrolliertem Fremdver­ stehen wird kein prinzipieller, sondern lediglich ein gradueller Unterschied gese­ hen bezüglich Systematik, Explizitheit und Nachvollziehbarkeit.

92

Dabei kommt die Konstruktion deskriptiver Systeme zum Einsatz, d.h. das Erstellen von beschreibenden Kategorien (Mayring, 1996). „Mit der Konstruktion deskriptiver Systeme soll das Material durch zu Kategoriensystemen zusammen­ gestellten Überbegriffen geordnet werden. Die Kategorien werden theoriegeleitet und auf das konkrete empirische Material bezogen entwickelt“ (Mayring, 1996, S. 79). Damit ist gemeint, dass die Kategorien zum einen mit allen theoretischen Aussagen über den betreffenden Klassifizierungsgegenstand in Verbindung zu setzen sind und zum anderen aus den konkreten empirischen Tatbeständen abzu­ leiten sind (Mayring, 1996). Sie entstehen „im Spannungsfeld von Induktion und Deduktion“ (Bos & Tamai, 1989, S. 8). Deskriptive Systeme stellen also Abstra­ hierungen des Datenmaterials dar. Im vorliegenden Fall repräsentieren diese Ka­ tegorien zentrale tschechische und (west)deutsche Kulturstandards. Das endgültige Kategoriensystem ist somit theoretisch und empirisch fundiert (Mayring, 1996). Im vorliegenden Fall wurde zur Absicherung der inhaltlichen Gültigkeit der ermittelten Kategorien bzw. Kulturstandards andere Informations­ quellen wie anthropologische Literatur, soziokulturelle Analysen, interkulturelle Untersuchungen, Erfahrungsberichte etc. bei der Kategorisierung herangezogen.

Konkret besteht die Inhaltsanalyse aus zwei Phasen (Lamnek, 1995b): 1 . Nachvollzug der alltagsweltlichen Deutungen und Bedeutungszuweisungen 2. Typisierende Konstruktion eines Musters. Man kann „nicht umhin, den Inhalt und die Bedeutung der Interaktionssituation mit Hilfe bestimmter Kategorien zu klassifizieren - also einen ... möglichst prag­ matischen Sinn zu identifizieren und damit die wesentlichen Parameter dieser (untersuchten) spezifischen (sozialen) Realität (hypothetisch) zu rekonstruieren.“ (Lisch &Kriz, 1978, S. 32):

• Der erste Schritt dazu besteht aus der theoriegesteuerten Festlegung von Analy­ seeinheit und Richtung der Analyse (Mayring, 1996), d.h. im vorliegenden Fall, dass nach kulturellen Merkmalen des tschechischen bzw. deutschen Verhaltens zu suchen ist. Nun wird theoriegeleitet nach derlei gemeinsamen Merkmalen im empirischen Material gesucht. Die so entstehenden Kategorien sind abs­ trakter als der Text und fungieren als „integrierende Konstrukte“ für „eine Vielzahl unterschiedlicher ‘überraschender Beobachtungen’“ eine Mischung von deskriptiven und kausal aufeinander bezogenen Elementen anstrebend (Barton & Lazarsfeld, 1979). Es erfolgt eine inhaltliche und typisierende Strukturierung des gesamten Materials (Mayring, 1996).

93

• Dann wird das Kategoriensystem daraufhin untersucht, ob es in sich stimmig ist: Ob sich alle Beispielelemente zuordnen lassen, ob es mit dem Vorwissen übereinstimmt, ob die Anzahl der Kategorien passend ist (Lisch & Kriz, 1978; Rust, 1983) und wie widersprüchliche Befunde einzuordnen sind. Die nötige Abstraktion, Vollständigkeit und Stimmigkeit ist erst nach einer Reihe von Durchgängen dieses Wechselspiels erreicht (Bos & Tamai, 1989; Mayring, 1996). In der vorliegenden Untersuchung wurde in diesem Schritt aufs engste mit dem tschechischen Partner zusammengearbeitet. Denn das Kategoriensys­ tem sollte beiden Polen gerecht werden und sowohl in der Lage sein, die deut­ schen Muster wie auch die gegenpoligen tschechischen Muster zu erfassen.

3.4.2.

Durchführung der Inhaltsanalyse

Kennzeichnend für die die Kulturstandards repräsentierenden Kategorien ist nun ein schrittweises Vorgehen und die Anpassung des Kategoriensystems an das Material durch Probedurchläufe. Die Analyseeinheit bestand dabei aus je einer Attribution in Verbindung mit der kritischen Interaktionssituation, auf die sie sich bezieht. Interaktionssituationen, denen mehr als eine kulturadäquate Attribution zugewiesen wurde, waren also entsprechend mehrfach vertreten. Dieses Vorgehen bietet den Vorteil, dass die Methode nicht die Zuordnung ganzer (häufig mehr­ fach determinierter) Interaktionssituationen zu einer Kategorie erzwingt, sondern deren Bestimmungsstücke getrennt analysiert werden können. Das erleichtert die Kategorisierung und erhöht die Erklärungskraft der gesamten Typologie für die kritischen Interaktionen. Aufgrund des Vorwissens - gespeist aus (1) den Interviews, aus den Gruppendis­ kussionen, aus den Experteninterviews, aus (2) der Selbstbeobachtung sowie (3) dem reflektierten Erleben vieler eigener, interkultureller, beruflicher Begegnungs­ situationen und (4) aus Literaturstudium - wurden zunächst aus den genannten Attributionen ihre dem Anschein nach zentralen Merkmale abstrahiert. Es wurde nach übergeordneten, kategorisierenden Fragestellungen gesucht, die ein Sub­ summieren tschechischer und deutscher (mehr oder weniger gegensätzlicher, zu­ mindest voneinander auffällig abweichender) Attributionen erlaubten. In einem zeitaufwendigen Verfahren erfolgten dann etliche Durchläufe der Gruppierung und Umgruppierung einzelner Elemente, der Ergänzung und Modifizierung weite­ rer zentraler Merkmale, der Benennung der Kategorien, der Formulierung der ka­ tegorisierenden Fragestellungen und der Revision der Benennung (von Fragen und Kategorien) sowie der Prüfung der Stimmigkeit des Systems. - In Abbildung 5 ist dieser Prozess als Ablaufmodell dargestellt. 94

Ablaufplan des Kategorisierungsprozesses 1. Erfassung der wesentlichen Merkmale des tschechischen bzw. deutschen Verhaltens in jeder Situation Vorverständnis (aus Literatur­ studium, Interviews, Diskussion)

2. Gruppierung von Situatio­ nen mit gleichen oder ähn­ lichen Verhaltensmerkmalen

3. Überprüfung der kultur­ adäquaten Attributionen der gruppierten Situationen auf momokulturelle Vereinbarkeit sowie kulturvergleichende Verschiedenheit

4. Formulierung einer kate­ gorisierenden Fragestellung und abstrakte Benennung jeder Gruppe bzw. Kategorie

5. Zuordnung dynamischer und strategischer Relativierun­ gen und Differenzierungen

6 . Vergleich des empirisch hergeleiteten Kategorien­ systems mit Klassifikationen und Beschreibung in der Literatur

Abb. 5: Ablaufplan des Kategorisierungsprozesses

7 .Endgültiges Kategorien­ system

95

evtl. Veränderung von Kategorien

3.4.3.

Diskussion des Kategoriensystems mit dem tschechischen Partner

Die Vorarbeit einer ersten Kategorisierung leistete ich. Dann sandte ich meinem tschechischen Kollegen die Ergebnisse zur Lektüre und Kritik und ab da begaben wir uns in lange, intensive und wiederholte Diskussionen über die von mir und dann zunehmend von uns vorgenommene Kategorisierung. Vor allem die Schritte 3, 4 und 5 wurden intensiv miteinander diskutiert. Dieser Prozess war ein rekursi­ ver, da, wie im Schema angedeutet, mit jeder neuen Erkenntnis wieder das ganze System in Frage gestellt war.

Fragen, die uns bei unseren Diskussionen leiteten, hießen:

• Vereint die kategorisierende Fragestellung die in dieser Kategorie zusammengestellten Attributionen und Phänomene aus beiden Perspektiven? • Sind die Definitionen der Pole richtig? Treffen sie den jeweiligen Kem? • Ist die Gruppierung der Attributionen zu dieser Kategorie aufrecht zu erhalten? Welche sind falsch zugeordnet? Warum? • Wo gibt es Widersprüche? Wie sind sie einzuordnen? • Worin unterscheiden sich einander sehr ähnelnde Situationen? Wie sind sie deshalb einzuordnen? • Wo und wie verläuft die Abgrenzung zwischen einzelnen, verwandten Kategorien? Bei diesen Diskussionen ergaben sich nicht nur neue Ordnungen und Kategorien, sondern des öfteren auch von uns selbst - quasi als Informanden über unsere jeweilige Kultur - einander mitgeteilte analoge Fälle („Das kennen wir doch...“, „So etwas Ähnliches haben wir doch erlebt...“), neue Attributionen, neue Erkenntnisse und Zusammenhänge, die jedem von uns für seine Kultur schlagartig „ganz klar“ waren. Zum Teil waren das Hinzufügungen zugunsten eines abgerundeteren Bildes, zum Teil der Schlüssel zum Verständnis eines Gegensatzes, von dem wir im Material einen wesentlichen Teil für eine der Kulturen vorfanden, aber das Gegenstück nicht. Diese Erkenntnisse nahmen wir in unser Kategoriensystem auf. Nach den meine Forschung leitenden Grundsätzen Jeden durchschnittlich sozialisierten Men­ schen“ als Informand für seine Kultur zuzulassen (vgl. 3.3.) und mit den Ergeb­ nissen konstruktivistisch zu verfahren (vgl. 3.3.1.), war das folgerichtiges und konsequentes Handeln. 96

Zur Illustration seien zwei Beispiele von auf diese Art gewonnenen Erkenntnisse angeführt: „Abwertung von Strukturen“:

Wir hatten auf der einen Seite eine Menge von Beispielen, in denen Tschechen Strukturen ab werteten und z.B. völlig unvorbereitet waren. Und wir hatten aufder anderen Seite eine Menge von Beispielen, in denen Deutsche proaktiv planten, strukturierten, etwas systematisch anpackten. Wir sortierten und dis­ kutierten, da erwähnte mein Kollege, dass die Formulierung „Abwertung von Strukturen“ zwar absolut zutreffend ist, aber eine Voraussetzung hat, nämlich dass Strukturen gegeben sind. Und genau das wäre der Rahmen, in dem Tschechen dann „systematisch“ handelten: Sie finden eine Struktur vor (z.B. die Vorbereitung der Deutschen) und benutzen diese dann als Spielwiese für die einsetzende Improvisation, um die Struktur zu ändern, nach Schwächen, nach Fehlern zu suchen, sie zu kommentieren, mit ihr zu jonglieren und in all diesen Prozessen ihre jeweilige Persönlichkeit einzubringen. Aber zunächst wollen, suchen und brauchen sie diese Struktur. Die Struktur ist gut und nötig als Raster, als Zielvorgabe, als Erwartung, aber bitte nicht als bindende Verpflichtung. Das sei das tschechische Verständnis von Konstruktiv-Sein und von Vorbereitung: Schwächen suchen und dann die Struktur „ dehnen „Holschuld“

Wir diskutierten das, was Deutsche - auch ich bei der Zuordnung der Beispiele - als tschechische Unzu­ verlässigkeit betrachteten und hatten die deutsche Erwartungshaltung klar vor Augen: Bei auftauchen­ den Problemen und Fragen ist der Akteur verpflichtet, die davon ebenfalls betroffenen Teamkollegen zu unterrichten. Das wird unter Zuverlässigkeit, Verantwortungsgefühl und Rücksichtnahme auf die ande­ ren verstanden. Die tschechischen Analysen hatten erbracht, dass man das aus Gründen des Vertrauens auf die eigene Improvisationsfähigkeit („es wird schon klappen“) und um einen (vielleicht unnötigen) Konflikt zu vermeiden, nicht macht. "Ja, aber es muss doch auch eine Aktivität geben, nicht nur ein Rea­ gieren?" war meine Frage. Sie war der Schlüssel zur Definition des Gegenpols zu meinem deutschen Konstrukt „Bringschuld“: Jeder Tscheche macht seine Aufgabe und hat darin die Verpflichtung für sich selbst zu sorgen und seine Probleme selbst zu lösen. Er muss die anderen im Auge behalten, wenn er von deren Ergebnissen profitieren will und sich selbst auf dem laufenden halten. Er muss beobachten, in Kontakt bleiben, den Kontext mitbekommen, um gegebenenfalls reagieren zu können. Aus tschechischer Sicht ist das eben kein Zeichen von Selbständigkeit zu warten, dass ein Kollege jemandem Informationen bringt!

Gemäß den im Theorieteil dargelegten Ansprüchen dieser Arbeit, galt es auch dynamische und strategische Relativierungen vorzunehmen. Nach einem weitge­ hend erreichten Abschluss der Stufen 3 und 4, wurde daher unser Kategoriensys­ tem und - wenn erforderlich - das Ausgangsmaterial im Schritt 5 auf die dynami­ sche Perspektive hin gesichtet und diskutiert: • Welche Zusammenhangsstruktur weisen die deutschen und die tschechischen Kulturstandards untereinander auf? • In welchem Zusammenhang stehen die Kulturstandards zur Marktwirtschaft bzw. zum Transformationsprozess? • Inwiefern hat der Sozialismus diesen Kulturstandard verstärkt? • Welche Veränderungen können jetzt bereits beobachtet werden?

97

Unser Anspruch war es dabei, für die eigene, wie für die fremde Kultur ein mög­ lichst „neutraler“ Beobachter zu sein zugunsten der Qualität der Forschungser­ gebnisse. „Ein Forscher, dem es gelingt, die eigene Kultur wie auch fremde Kul­ turen als mögliche ‘Spielarten’ des vom Menschen gemachten Teils der humanen Welt zu untersuchen, dem wird der Vergleich der Kulturunterschiede und Gemeinsamkeiten in den verhaltenswirksamen sozialen Kontextbedingungen einen Erkenntnisgewinn bringen.“ (Thomas, 1993, S. 47).

98

4.

Ergebnisse der Untersuchung: Tschechische und (westdeutsche Kulturstandards im Vergleich

Im folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchung dargestellt. Dabei werden alle gefundenen Kulturstandardpaare nacheinander beschrieben. Für jedes Kultur­ standardpaar wird (a) zunächst die kategorisierende Fragestellung eingefuhrt, mit Hilfe derer die Kritischen Ereignisse in Kategorien eingeteilt wurden. Dann wird (b) die synchrone Perspektive beschrieben, also in Demorgonscher Terminologie die „adaptiven Achsen“ der Deutschen bzw. Tschechen, nach Thomas der Kultur­ standard in der Nähe des einen Pols als deutscher Kulturstandard und der Kultur­ standard in der Nähe des anderen Pols als tschechischer Kulturstandard. Die (c) dynamische Perspektive als Vernetzung der Kulturstandards miteinander wird an den Stellen ausgefuhrt, an denen sie zu einem vertieften Verständnis des jeweili­ gen Kulturstandards beiträgt. Daran schließen sich die Befunde zum momentanen kulturellen Wandel im aktuellen Transformationsprozess. Den Abschluss bildet (d) die strategische Perspektive, mit der die Vor- und Nachteile jedes Kulturstan­ dards erfasst werden.

Den historischen Einflüssen wird unter dem Aspekt der Langfristigkeit in der dia­ chronen Perspektive ein eigener Abschnitt gewidmet sein. (Vgl. 5.1.1.)

4.1.

Kulturstandardpaar: Personbezug versus Sachbezug

Kategorisierende Fragestellung

Liegt in der Interaktion und Kommunikation der Fokus auf der Sache oder aufden beteiligten Personen?

Jede Kommunikation hat einen Beziehungs- und einen Sachaspekt. Im Datenmate­ rial zeigte sich, dass Tschechen jedoch tendenziell den Beziehungsaspekt mehr betonen als den Sachaspekt, während Deutsche den Sachaspekt mehr als den Be­ ziehungsaspekt betonen. Daher wurde der tschechische Kulturstandard „Per­ sonbezug“ und der deutsche Kulturstandard „Sachbezug“ genannt.

99

4.1.1.

Die synchrone Perspektive

4.1.1.1.

Der tschechische Kulturstandard „Personbezug“

Definition: Der Kulturstandard „Personbezug“ beschreibt die Tatsache, dass Tschechen in der Interaktion und Kommunikation dem Beziehungsaspekt den Vorrang vor dem Sachaspekt einräumen. (1) Die Sachebene steht in jeder Interaktion an der zweiten Stelle. An erster Stelle stehen die beteiligten Personen. (2) Tschechen bemühen sich bei jeder Interaktion, eine für die Kommunikationspartner menschlich ange­ nehme Atmosphäre herzustellen - für den anderen wie für sich selbst. Die geschaf­ fenen gute Beziehungen bemüht man sich dann zu erhalten.

Darstellung: Vorrangfür die Person/en Der Vorrang für die Person meint zunächst einmal, dass Tschechen stets die je­ weils Agierenden stärker und bedeutsamer wahmehmen als den Inhalt ihres Tuns. Das bedeutet:

• Jeder Kooperationspartner hat sich als Person (nicht nur in seiner Funktion!) zu erkennen zu geben. Man will und sucht „menschliche“ Anknüpfungspunkte. Nur das kann Sympathie und damit die Bereitschaft zur gedeihlichen Zusam­ menarbeit wecken. Bei entspannten Gesprächen schätzen Tschechen es, zu fühlen, dass ihr Gegenüber ein „Mensch“ ist, der Gefühle und Schwächen hat. Während solcher entspannter Kommunikationssituationen verspüren Tschechen wenig Drang, sich individualistisch von anderen abzuheben. • Es ist für viele ‘normale’ berufliche Aufgaben (z.B. etwas von einer Firma ab­ zuholen) Voraussetzung, dass die agierenden Personen einander kennen, mit­ einander bekannt gemacht oder ‘vermittelt’ werden. Als Fremder etwas be­ kommen oder erreichen zu wollen, ist schwierig. • Der persönliche Kontakt signalisiert Wichtigkeit bedeutend mehr als Umfang, Gestaltung oder Inhalt schriftlicher Unterlagen. Die Schriftform für viele Informationen oder Dokumentationen wird eher abge­ lehnt, weil sie ausschließlich die Sache darstellt unter Ausschluss eines persönli­ chen Eindrucks und persönlicher Kontakte. Die Bereitschaft zu mündlicher Be­ 100

richterstattung existiert dagegen durchaus. Gute Führungskräfte nehmen sich Zeit für ihre Mitarbeiter, suchen Kontakt zu ih­ nen, sprechen viel mit ihnen, protegieren ihre Leute. Ein Mitarbeiter ist motiviert für eine Person, die er schätzt, zu arbeiten. Und diese Ebene ist von Seiten des Chefs aufzubauen. Beide Seiten lassen sich primär auf die Person des anderen ein, nicht vorrangig auf die Sache oder die Aufgabe.

Leistung als einziges oder hauptsächliches Beurteilungskriterium zu benutzen, wirkt sehr hart. Schließlich hat man es mit einem Individuum zu tun, das in diver­ se Kontexte eingebunden ist und dessen Handeln von vielem mehr bestimmt wird als von der Sache, um die es augenblicklich geht. Das alles beeinflusst die Leis­ tung. Es herrscht die Erwartung, die anderen Bedingungen ebenfalls zu berück­ sichtigen (vgl. „Diffusion“)

Tschechen messen auch der eigenen Person stets einen hohen Stellenwert bei: • Sie akzeptieren eine Meinung beispielsweise nur, wenn sie wirklich überzeugt worden sind. Eine Expertenmeinung als solche anzuerkennen und ihr deshalb zu folgen, ist unüblich. • Klettert jemand die Karriereleiter hoch, dann gibt ihm seine neue Position vor allem das Gefühl „Ich bin wichtig“. Dieses Gefühl überwiegt beizeiten die ge­ dankliche Auseinandersetzung damit, was mit dieser Position an Arbeit ver­ bunden ist. • Tschechen sind nur ausnahmsweise bereit, alles für ihre Karriere und das Geld zu opfern. Sie legen Wert darauf, genügend Zeit für sich, für die Familie, für Hobbies usw. zu haben. Lieber begnügen sie sich mit weniger Geld. • Und manches Mal ist bei der Selbsteinschätzung auch die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber beeinträchtigt zugunsten eines schonungsvollen Selbstbildes. Hoher Stellenwert einer positiven Atmosphäre Tschechen, mit denen längerfristige Kontakte bestehen, werden von auffallend vielen Interviewpartnem als ausgesprochen „nett“ bezeichnet. Sie selbst sagen, dass sie sich bei jeder Kommunikationssituation darum bemühen, dass sich der Gesprächspartner möglichst wohl fühlen kann. Sie investieren in die Beziehungs­ ebene vorsätzlich und aufmerksam.

Im Geschäftsleben dienen ausführliche Erzählungen häufig der Herstellung bzw. Sicherung der (guten) Beziehungsebene. In Ausschweifungen (z.B. über das zu verhandelnde Produkt) werden „nicht zur Sache gehörende“, in deutschen Augen „unwichtige“ Dinge erläutert. Ausführliche Informationen zu dem gerade aktuel­ len Sachverhalt - auch wenn sie für deutsche Erwartungen weit über die relevanten 101

Tatbestände hinausgehen - bieten aus tschechischer Perspektive viele Anknüp­ fungspunkte für den Aufbau einer künftigen Beziehung, weil man in weiteren Ge­ sprächen auf sie zurückkommen kann, um eine gemeinsame, vertraute Ebene her­ zustellen. Beziehungen werden gepflegt: Tschechen sind gerne in Gesellschaft, lieben Ge­ selligkeit mit Essen und Trinken und Kontakten. Dem „Smalltalk“ in der Arbeit wird mehr Zeit gewidmet als in Deutschland. Tschechen reden und erzählen viel, wenn gegenseitige Sympathie besteht. Das ist für sie ein Ausdruck von Freund­ lichkeit. Sie lieben Witze, Humor, Belustigung, Unterhaltung. Wer sich dabei von sich selbst distanzieren und ironisieren kann, wirkt besonders sympathisch.

Gastfreundschaft hat einen hohen Stellenwert, denn hier werden Beziehungen an­ gebahnt, gepflegt und genossen - mit Essenseinladungen, Festen und Geschenken zu vielen Gelegenheiten. Engere Gastfreundschaft trägt dabei sehr familiäre Züge beispielsweise in Form von Einladungen nach Hause oder in das Wochenendhaus mit Übernachtung. Im Berufsleben gehen die Personen mehr aufeinander ein, wissen mehr von anein­ ander und halten engere persönliche Kontakte als in Deutschland. Mit Kollegen wird ein fast familiär und sehr vertraut anmutender Umgang ge­ pflegt: nett, freundlich, anteilnehmend und aufmerksam. Emotionen sind in Tschechien dabei wichtig, wenngleich sie keinesfalls in überschwenglicher, son­ dern eher in stiller Art gezeigt werden. Als Kehrseite dieser Medaille existieren freilich auch Ratsch und Tratsch mit allen positiven und negativen Effekten.

Zusätzliche Leistungen einer Firma, Sozialleistungen, nette Gesten, kleine Auf­ merksamkeiten sind hochgeschätzt und können bei Entscheidungen ausschlagge­ bend sein, wie auch das Klima der gesamten Kooperation sehr positiv beeinflus­ sen.

4.I.I.2.

Der (westdeutsche Kulturstandard „Sachbezug“

Definition:

Für die berufliche Zusammenarbeit ist unter Deutschen die Sache, um die es geht, die Rollen und die Fachkompetenz der Beteiligten ausschlaggebend. Die Motiva­ tion zum gemeinsamen Tun entspringt der Sachlage, evtl, den Sachzwängen. In geschäftlichen Besprechungen „kommt man zur Sache“ und „bleibt bei der Sa­ che“. Ein „sachliches“ Verhalten ist es, was Deutsche als professionell schätzen: Deutsche zeigen sich zielorientiert und argumentieren mit Fakten. Wenn sich die 102

handelnden Personen kennen oder (sehr) sympathisch finden, ist das ein angeneh­ mer Nebeneffekt, doch das ist nicht primär relevant. Darstellung:

Die Sache im Zentrum der Aufmerksamkeit In beruflichen Kontakten liegt für Deutsche die höchste Priorität darauf, dass die handelnden Personen sachlich gut zusammenarbeiten können. Kollegen (auch über Firmengrenzen hinweg) begegnen einander auf der Basis ih­ rer Rollen und ihrer Qualifikation. Zur Kooperation ist es nicht nötig, eine Bezie­ hungsbasis schon installiert zu haben. Die Funktionsträger besprechen sich, auch wenn sie sich nicht gut kennen. Von der Kompetenz seines Gesprächspartners geht jeder zunächst einmal aus im Vertrauen auf die herrschenden Selektions­ anforderungen.

Ein deutscher Führungsstil ist betont sachorientiert. Ein Chef beharrt auf der Er­ füllung der Pläne, Strukturen, Termine, Zuständigkeitsbereiche. Das ist der Inhalt seiner Aussagen, darauf zielen seine Argumente; dazu übt er, wenn es sein muss, Druck aus und so beurteilt er die Arbeitsleistungen. Die Sache hat er schließlich zum Erfolg zu fuhren, die Mitarbeiter sind dazu ein „Mittel“, d.h. in ihren Ar­ beitsleistungen entsprechend zu koordinieren. Ein Chef ist weisungsbefugt, ob­ wohl viele und gerade moderne Chefs sich bemühen, so gut sie können, durch Überzeugung zu fuhren (partizipativer Führungsstil). Experten haben in Deutschland ein hohes Ansehen. Was sie sagen, das hat Ge­ wicht und das wird im Handeln emst genommen und berücksichtigt. Dabei ist der Expertenstatus sachlich definiert: Jemand kennt sich in seinem Gebiet gut aus. Ob er auch über soziale Kompetenz verfugt, hat auf die Zuschreibung „Experte“ kei­ nen Einfluss.

Deutsche Kontrollsysteme sind oft versachlicht und entpersönlicht. Computerun­ terstützte Controllingsysteme, zeigen beispielsweise Zahlen, Umsatz und Fakten. Die Kontrolle per Anwesenheit und relativ intensivem, persönlichem Kontakt ist seltener. Die Problemanalyse und Lösungsgenerierung aufgrund der per Computer entdeckten Sachverhalte soll dann motivierend wirken.

In vielen Unternehmen ist das Augenmerk deutscher Manager eindeutig auf Leis­ tung und Zahlen gerichtet. Das soziale Klima interessiert sie in zweiter Linie unter Umständen erst dann, wenn die Zahlen Hinweise auf diesbezügliche Miss­ stände liefern. Bei den für eine Entscheidung abzuwägenden Argumenten zählen denn auch vorrangig „harte Faktoren“, die „weichen Faktoren“ stehen eindeutig in 103

der zweiten Reihe. - So beließen Deutsche beispielsweise immer wieder Teile des ursprünglichen (kommunistischen) Managements wegen seines gebündelten be­ trieblichen Wissens, ohne sich um dessen Akzeptanz in der Belegschaft Gedanken zu machen. Sie sollen als Kenner des Betriebs sein Funktionieren gewährleisten. Die Sache, um die es deutschen Geschäftsleuten und Betriebswirten vorrangig geht, ist das Geld. Kosten, Rendite und Gewinn sind Faktoren, die von Deutschen sehr oft bei Entscheidungen, aber auch bei Konflikten ins Feld geführt werden. Kosten-Nutzen-Überlegungen sind für sie ausschlaggebend und lässt sie i.a. in al­ len Dingen kostenbewusst reagieren. Dieser so transportierte Stellenwert des Gel­ des wird von Tschechen sehr oft als übertriebene Sparsamkeit oder Geiz erlebt.

Deutsche nehmen viele Dinge, die ihnen als Service geboten werden, für selbst­ verständlich. Denn, wenn etwas nicht zum Aufgabenbereich einer Person gehörte, würde diese wohl diesen Service nicht leisten. Sie haben daher nicht im geringsten das Gefühl, sich dafür dankbar zeigen zu müssen oder es lobend zu erwähnen. Sie haben ja z.B. dafür bezahlt. Kommunikationsstil In der beruflichen Kommunikation dominiert die Sachebene, d.h. Dinge, die die Arbeit betreffen, und darin wiederum häufig das, was zum Gelingen der gemein­ samen Vorhaben innerhalb des vereinbarten strukturellen Rahmens beträgt bzw. beitragen soll. Der Kommunikationsstil kann dabei so sehr die Sachebene betonen, dass die Beziehungsebene beeinträchtigt wird. Die weichen Faktoren, die „menschliche Empfindlichkeiten“ betreffen, bleiben oft unberücksichtigt und bei­ gefügte Kränkungen u.U. unbemerkt - oder sie werden in Kauf genommen. In Business-Gesprächen, wie Besprechungen, Verhandlungen usw. sind Deutsche zielstrebig, weil sie ihre Sache weiterbringen wollen. Sie reden nicht lange um den heißen Brei, sondern kommen auf den Punkt, um zum Kem ihrer Unterhaltung vorzustoßen. Sie konzentrieren sich auf die ihnen relevant erscheinenden Aspekte, Abschweifungen, Smalltalk oder zeitaufwendige Kontakte erscheinen ihnen als Zeitverschwendung. Wenn Deutsche für ein Ziel oder Ideen werben wollen, dann bereiten sie die rele­ vanten Punkte argumentativ auf, um andere überzeugen zu können. Das geschieht sehr faktenorientiert und z.B. Handlungsansätze, Voraussetzungen sowie Konse­ quenzen aufzeigend. Auf der Beziehungsebene (z.B. durch Humor, durch persön­ liche Bemerkungen) werben sie um Zustimmung erst, wenn die Fakten klar- und ihre Logik dargelegt sind. Dann hat sich der Redner als fachkompetent erwiesen und wechselt u.U. die Ebene.

104

Entscheidungen und Handlungen, für die es Sachargumente, aber auch subjektive Affinitäten gibt, werden überwiegend in ihren Sachaspekten dargelegt. Es erschie­ ne als Schwäche, Subjektivem ein zu hohes Gewicht beizumessen. Das sachlich Sinnvolle, Richtige und Notwendige hat den Ausschlag zu geben. Und wie man dazu persönlich steht, kann allenfalls durchschimmem.

Wenn Deutsche Ausreden benutzen, dann fuhren sie Sachargumente an, die zwar nicht falsch sind, aber doch am Kem vorbeigehen. Persönliche Ausreden, d.h. Er­ klärungen, die sich auf die Person beziehen, haben nur in Ausnahmefällen eine Chance auf Akzeptanz.

4.1.1.3.

Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kultur­ standardpaares „Personbezug - Sachbezug“

Bei diesem Kulturstandardpaar ist das Mischungsverhältnis zwischen den Polen Sachbezug und Personbezug eine häufige Ursache für Konflikte zwischen Tsche­ chen und Deutschen. Denn Deutsche sind bei weitem nicht nur sachorientiert und Tschechen nicht nur personorientiert, sondern der Kulturunterschied liegt im Pri­ mat und in der Betonung der Pole, im WIE des Mischungsverhältnisses.

Das deutsche Mischungsverhältnis: Deutsche sind (im Berufsleben) inhaltlich betont sachorientiert. Aber während sie das sind, stellen sie eine Beziehungsebene her und regeln den Personbezug.

• Vertrauen wird im Beruf dadurch aufgebaut, dass zwei Personen sachlich gut zusammenarbeiten. - Gelingt die sachliche Kooperation, erweisen sich die Be­ teiligten als vertrauenswürdig. • Eine Person zeigt sich sachlich gut vorbereitet und kompetent, eben als Experte auf ihrem Gebiet. - Das lässt Anerkennung und Wertschätzung wachsen und andere arbeiten daher mit dieser Person künftig geme(!) zusammen. Eine posi­ tive Beziehungsebene ist grundgelegt. • Ein Kollege teilt zu Beginn und während einer Kooperation eine Menge an Wissen sowie relevanten Fakten, Daten, Zahlen, Hintergründen mit. Er über­ häuft seinen Kollegen fast mit Informationen schriftlicher oder mündlicher Art. - Auf der Beziehungsebene signalisiert er damit höchste Kooperationsbereit­ schaft, den er teilt sein Know-how mit seinem Partner und stellt sich ihm somit quasi ganz zur Verfügung. • Es gibt Schwierigkeiten und der Kollege zeigt sich als überlegt und analysie­ rend. Er bringt Zeit und Energie auf, dieses Problem einer Lösung zuzuführen. Damit gilt dieser Kollege als eine engagierte Person, die Respekt verdient und der gegenüber sich andere ebenso benehmen werden. So wird eine kollegiale 105

Beziehung gepflegt. • Eine Zusammenarbeit dauert bereits Jahre. Stets war der Partner um gute Re­ sultate bemüht, Einbrüche im Streben um das Gelingen der Sache waren nicht zu verzeichnen. - Das kennzeichnet eine dauerhafte, verlässliche Beziehung. • An den Inhalten von Absprachen wird klar, wen man weswegen schätzt und wie sehr man ihm auch vertraut. • Änderungen von Konzepten und Plänen - selbst sachlich erzwungene - sind nicht nur von inhaltlicher Bedeutung, sondern bedrohen auch die Beziehungs­ ebene, weil sie dem anderen zusätzliche Schwierigkeiten verursachen. Ände­ rungen, die aufgrund persönlicher Umstände nötig werden, sind daher zu be­ gründen und mit einem Wort der Entschuldigung sowie des Danks zu versehen. Werden die Änderungswünsche angekündigt, die Änderungsideen besprochen und die Änderungsschritte abgestimmt, wird deutlich gemacht, dass die positive Beziehungsebene erhalten werden soll. Umgekehrt gilt nun das Dargestellte auch vice versa: Wenn jemand nicht vorbe­ reitet ist, verdient er keine Anerkennung, eine Beziehung zu ihm ist von vorne herein zunichte gemacht. Wer sich bei Schwierigkeiten drückt, lässt auch den Kollegen - nicht nur die Sache - im Stich. Wer wechselhaftes Engagement zeigt, dem ist ganz offensichtlich auch die Kooperation mit seinem Partner(!) nicht be­ sonders wichtig. Wer gemeinsame Pläne leichtfertig umstößt, erweist sich als rücksichtslos und zeigt dem Kollegen, dass ihm dessen Wohlbefinden kein Anlie­ gen ist. Werden nun Deutsche, die sich für Tschechen scheinbar ausschließlich der Sache widmen, auf der parallel laufenden Beziehungsebene enttäuscht, bleiben sie plötz­ lich gar nicht mehr nur sachlich, sondern reagieren ganz offensichtlich verärgert oder gekränkt. Das verwundert Tschechen dann sehr. Und der Grund dafür liegt in dem hier beschriebenen Mischungsverhältnis der Pole: Über die Sachebene und das Engagement auf der Sachebene definieren Deutsche ihre beruflichen Bezie­ hungen - ohne das jemals zu sagen.

Das tschechische Mischungsverhältnis: Im Gegensatz zu den Deutschen bauen Tschechen über die Beziehungsebene die Basis für die Sachebene auf. Berufliche Partner beginnen miteinander zu arbeiten, richten in ihren Begegnungen aber den Fokus ihrer Aufmerksamkeit vorrangig auf den anderen als Person, definieren so ihre Beziehung zueinander und gestalten dann in Abhängigkeit von dieser Beziehungsebene ihre weitere Kooperation. Wenn diese Ebene gut ist, verstärken sie ihre Kooperation und tun u.U. auf der Sachebene viel füreinander. Erscheint ihnen diese Ebene nicht gut und nicht ange­ nehm, dann ist auch ihr Engagement auf der Sachebene gering.

106

Auch Vertrauen wird vorrangig über die Beziehungsebene aufgebaut. Die Frage der Sympathie spielt dazu die erste, wesentliche Rolle. Dann warten und beo­ bachten Tschechen, wie sich die Beziehung weiterentwickelt.

Der interkulturelle Konflikt lässt sich damit pointiert und vereinfacht in folgendem Bonmot so beschreiben: „Wenn Sie gut arbeiten, dann mag ich Sie“ denkt sich der deutsche Partner. „Wenn wir uns mögen, dann arbeite ich gut“ ist das Leitmotiv des tschechischen Partners.

4.1.2.

4 .1.2.1.

Die dynamische Perspektive

Vernetzung der Kulturstandards

Das Kulturstandardpaar „Personbezug - Sachbezug“ beschreibt sehr zentrale und fundamentale Kulturstandards und erfasst eine grundlegend andere Orientierung von Tschechen und Deutschen in ihrem beruflichen Handeln. Er wirkt wie ein kognitives Schema höherer Ebene, dem sich andere Kulturstandards zuordnen las­ sen. Diese Kulturstandards gehen deswegen aber nicht im Person- bzw. im Sach­ bezug auf, sondern beschreiben ihrerseits eine Menge an Details, die zum Teil auch ganz andere Ursachen haben. - Die Dynamik zwischen den Kulturstandards wird bei den jeweiligen Kulturstandardpaaren dargestellt, hier sei auf diese Zu­ sammenhänge nur verwiesen:

Weil Deutsche dem Kulturstandard „Sachbezug“ folgen,

• • • • • •

können ihnen Strukturen als zielfuhrend erscheinen sind sie der Überzeugung, dass die Strukturen eingehalten werden müssen halten sie die Trennung von Lebensbereichen für zielfuhrend ist ihnen ein schwacher Kontext ausreichend haben sie wenig Scheu vor Konflikten können sie selbstsicher auftreten.

Weil Tschechen dem Kulturstandard „Personorientierung“ folgen,

• • • • •

erleben sie Strukturen ambivalent, sind für sie Regeln in Abhängigkeit von Personen und Situationen einzuhalten, ist eine Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen unsinnig, muss stets ein größerer Zusammenhang berücksichtigt werden, wirken Konflikte bedrohlich, 107

• ist Selbstsicherheit nicht durchgängig möglich.

4 .I.2.2.

Kultureller Wandel im Transformationsprozess

Eine Personorientierung wurde vom Sozialismus gefordert, denn das Leben war im gesamten öffentlichen Bereich in Kollektiven organisiert. Damit war zwar staatlicherseits der Versuch verbunden, die Bürger zu kontrollieren und somit den Konformismus zu forcieren, doch die Entdeckung der Tatsache, dass gegen einen einzelnen vorgegangen werden konnte, aber gegen eine Gruppe fast nicht, be­ wirkte vielfach das Gegenteil, nämlich starken Zusammenhalt und intensive Be­ ziehungen. Das wurde zudem verstärkt durch die Mangelwirtschaft, weil man auf­ einander angewiesen war. Gruppen wurden somit zum „warmen Nest“, zur Schutzburg und zum Ort der Hilfe in der Not.

Solches Eingebundensein in eine Gruppe wird auch heute noch als sehr wichtig empfunden: In enger Kooperation mit anderen kann und will man effektiv handeln und fühlt sich unterstützt. Man ist zueinander solidarisch und es herrscht ein ka­ meradschaftlicher, oft kumpelhafter Umgangston. Mit der neuen Zeit schwindet dieser Zusammenhalt freilich und es ist eine Individualisierung zu verzeichnen. Die meisten Informanden bedauerten das ausdrücklich!

Marktwirtschaft Das nicht zur Diskussion stehende Herzstück der Marktwirtschaft heißt Gewinn­ maximierung, d.h. man hat auf gewinnträchtige Ergebnisse hinzuarbeiten. Be­ stimmungstücke einer solchen Ergebnisorientierung sind:

• Nur der Erfolg zählt. (Über ihm steht keine Ideologie mehr.) • Der Kunde entscheidet, was gut ist und was als Erfolg betrachtet werden kann. • Mitarbeiter werden in erster Linie als Humankapital betrachtet, in die investiert wird, damit sie zur Produktivität beitragen. Weil Wettbewerb herrscht, eine Verdrängung vom Markt möglich ist und nur der Leistungsstarke gute Chancen hat (Survival of the fittest), heißen in diesem Kon­ text der Leistungsorientierung verhaltensrelevante Schlüsselelemente:

• Streben nach maximaler Kundenzufriedenheit • Verlässlichkeit, Entschlossenheit und Durchsetzungsfähigkeit (in jeder Position bzgl. der jeweiligen Aufgabe) • Leistungsgerechte Entlohnung (im Rahmen des jeweiligen Lohnniveaus) • Anerkennung und Steuerung der Leistung durch (möglichst objektive) Leis108

tungsbeurteilung • Priorität fur Leistungsfähigkeit des Unternehmens (vor Rücksichtnahme auf Belegschaft) • Qualifizierung der Mitarbeiter dient der Leistungserhöhung und der Motivation • Sozialleistungen an Mitarbeiter müssen zunächst erwirtschaftet werden • Betrachtung einer guten Arbeitsatmosphäre als produktivitätserhöhenden Faktor (in erster Linie) • Kostenbewusstsein (bzgl. Beschaffung, Investitionen, Preisgestaltung, Mängel etc.) • Wettbewerbsbewusstsein

Für Deutsche steht damit im Geschäftsleben unangefochten die Sache im Mittel­ punkt. Und für sie wirkt die Marktwirtschaft als ihren Sachbezug verstärkend.

4.1.3.

Die strategische Perspektive

4.13.1.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Personbezug“

Tschechen betonen als den Vorteil ihrer Orientierung, die mit dem Begriff „Per­ sonbezug“ beschrieben wurde, die größere „Menschlichkeit“ in allen beruflichen Zusammenhängen. Damit meinen sie vor allem das angenehmere Arbeitsklima, größeres Verständnis füreinander, engere soziale Beziehungen. Ein Nachteil liegt darin, dass Tschechen sehr sensibel und empfindsam sind. Dif­ ferenzen, Störungen oder Trübungen eines gewissen, je nach Situation zu definie­ renden „emotionalen Gleichklangs“ der Beteiligten werden fein registriert. Es geht sehr schnell, jemanden zu kränken und viele berichten vom „Beleidigtsein“ als Kehrseite der sehr geschätzten Freundlichkeit. Dieselbe Rücksicht und Feinfühlig­ keit, die man anderen angedeihen lässt, möchte man eben auch selbst erfahren. Ein weiterer Nachteil ist, dass notwendige, unangenehme Beschlüsse oder Arbei­ ten u.U. nicht in Angriff genommen werden, weil in erster Linie die von diesem Beschluss oder dieser Aufgabe betroffenen Menschen gesehen werden und ihnen die damit verbundenen Nachteile erspart werden sollen.

4.13.2.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Sachbezug“

Der Vorteil der Orientierung, die mit „Sachbezug“ beschrieben wurde, liegt darin, 109

dass die Fixierung auf die sachlichen Aspekte eine sehr stringente Verfolgung der Ziele erlaubt. Denn das, was einer Zielstrebigkeit entgegenstünde - wie momen­ tane Befindlichkeiten, individuelle Empfindlichkeiten usw. -, wird ausgeblendet. Als Nachteile sind zu nennen:

• Der Sachbezug hat auf der Beziehungsebene den Preis von Härte und Strenge (vgl. 2.4.) So sehr das im Hinblick auf manches ehrgeizige Resultat begrüßt wird, so sehr verursacht das auf der Beziehungsebene Unannehmlichkeiten, wenn unter „Sachzwängen“ Entscheidungen getroffen und Taten verlangt wer­ den, die auf einer subjektiven, individuellen Ebene das Wohlbefinden beein­ trächtigen. • Der Sachbezug kann auch Alibifunktion haben: ■ Selbst wenn es überwiegend Gefühle oder subjektive Überlegungen sind, die einen Funktionsträger zu einer bestimmten Handlung oder Entscheidung bewegen, wird er das nicht offen legen, sondern er wird Sachargumente, die es auch (!) geben mag, vorschieben. ■ Wenn Deutsche unfaire Spiele spielen, dann verstecken sie diese u.U. hinter dem Anschein von Sachlichkeit, Sachzwängen, obwohl es ihnen eigentlich darum geht, zu konkurrieren, zu beeindrucken, jemanden auszuspielen, Macht zu demonstrieren, sich Vorteile zu verschaffen. In diesen Fällen ist es nicht auf Anhieb zu erkennen, was am Verhalten Deutscher wirklich und was scheinbar sachorientiert ist. ■ Mancher kompensiert persönliche Schwächen und Krisen über eine schein­ bar ausschließliche Sachorientierung.

110

4.2.

Kulturstandardpaar: Abwertung von Strukturen versus Aufwertung von Strukturen

Kategorisierende Fragestellung

Welche Einstellung herrscht gegenüber Strukturen? Werden sie hochbewertet als Unterstützung zur Zielerreichung, dann kann von einer Aufwertung von Strukturen gesprochen werden. Werden sie dagegen als gängelnder, umständlicher, zusätzlich zu berücksichtigender, am besten zu umge­ hender Katalog von Vorgaben betrachtet, dann handelt es sich um eine Abwertung von Strukturen.

4.2.1.

Die synchrone Perspektive

4.2.I.I.

Der tschechische Kulturstandard „Abwertung von Strukturen“

Definition:

Tschechen stehen Strukturen skeptisch gegenüber und halten sie nur zum Teil ein. Stattdessen bevorzugen sie es, zu improvisieren. Flexibel, geschmeidig, findig, kreativ zu sein, halten sie für charakteristische Eigenschaften ihrer Kultur. Sie ver­ suchen jede Gelegenheit zu nützen, in der sie ihre Improvisationsfähigkeit und ih­ re Improvisationsliebe einsetzen können. Tschechen gehen zudem davon aus, dass sich irgendjemand am grünen Tisch die­ sen Plan oder diese Norm willkürlich ausgedacht hat, ohne eine Ahnung davon zu haben, ob das tatsächlich sinnvoll oder gar notwendig ist. Normen, Vorschriften und Gesetze, kurz jede Struktur wird a priori tendenziell für dumm und unsinnig gehalten. Wer sich nun an sie hält, erweist sich als einfältig und nicht-mitdenkend. Intelligenz, Schlauheit und Talent bestehen darin, sie zu umgehen. - Ob diese Ein­ stellung in der jeweiligen konkreten Situation einer Überprüfung standhielte, sei dahingestellt, das sagen sie selbst. Aber Tatsache ist, dass innerlich beim Auftau­ chen einer außen wahrgenommenen Struktur sofort eine Abwertung erfolgt. 111

Das Besondere an diesem Kulturstandard ist neben der Fähigkeit, auf improvisie­ rende Art handeln zu können, das innerliche, subjektive Erleben der Improvisation als Freiheit, Souveränität, Ausdruck der Persönlichkeit, „wahrer“ Intelligenz. Eine Struktur, ein System oder ein Plan wird von Tschechen nicht als hilfreich, d.h. bei­ spielsweise Zeit und Inhalte regelnd, betrachtet, sondern als Einschränkung: Denn die Struktur organisiert in tschechischen Augen nicht die Sache, sondern die Person(!).

Dass die Abwertung von Strukturen auf Kosten der Qualität, der Perfektion, der Optimalität der Sache gehen können, ist Tschechen kein Problem. Hier zeigen sie sich „großzügig“ - so nennen sie es. Die „Abwertung von Strukturen“ beinhaltet daher folgende Qualitäten:

1. Findigkeit zur Wiederherstellung der als bedroht erlebten Freiheit (Reak­ tanzphänomene) 2. Kreativität / Einfallsreichtum / Improvisation i.e.S. 3. geringerer Qualitätsanspruch 4. Gelassenheit. Darstellung: Reaktanz als Grundmotiv für die Abwertung der Strukturen Psychologische Reaktanz entsteht dann, wenn eine Person glaubt, sich grundsätz­ lich frei verhalten zu können, dann aber eine Einengung erlebt, so dass die Freiheit geringer wird oder ganz aufgehoben ist. Nun entsteht eine motivationale Erregung, die eliminierte Freiheit wiederherzustellen und diese bezeichnet man als „Reak­ tanz“. Tschechen zeigen eine im Datenmaterial auffällige Fülle derartiger Verhal­ tensmuster:

Formalismen erwecken bei Tschechen Misstrauen und Zweifel, Befehle fuhren zu großer Reserviertheit, zu klare Handlungsvorgaben wirken freiheitsberaubend und bevormundend und provozieren geradezu Nichteinhaltung. Taucht das Gefühl der Unfreiheit auf, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eben diese Vorgaben zu umgehen versucht werden. An der Mitgestaltung von Arbeitsprozessen, Arbeits­ weisen und beruflichen Rollen nicht beteiligt zu werden, sondern diese Prozesse nur ausfuhren oder umsetzen zu müssen, wird als degradierend empfunden. Denn es herrscht die Tendenz, bereits mit Arbeitsbeginn ein von außen gestecktes Ziel oder eine von außen kommende Entscheidung anzuzweifeln. Man geht a priori davon aus, dass das Ziel nicht erreicht werden muss, dass es auch andere Mög­ lichkeiten geben wird. „Disziplin ist Tschechen nicht angeboren“ nannten das

112

mehrere Interviewpartner. Oder Tschechen sagen von sich selbst, sie wollen keine „gezähmten Affen“ sein, sondern sich selbständig und unabhängig fühlen. Darin liegt ihr Stolz. Das geht u.U. so weit, dass auch besprochene Regeln und Termine und dass Vereinbarungen nicht strikt eingehalten werden. Tschechen lieben statt­ dessen eine gewisse Freiheit im Handeln.

Die Ausgangsvoraussetzung für eine Zusammenarbeit heißt: Skepsis und langsa­ mes Tempo, wenn der eigene Freiheitsgrad bedroht scheint. Die tschechischen Interviewpartner nannten es fast einen Sport, sich bei einer Vorschrift oder An­ weisung sofort zu überlegen, wie das, was da verlangt würde, auch anders ge­ macht werden könnte. Tschechen wollen nicht folgen und gehorsam sein. Ein verbreiteter Führungsstil unter Tschechen lässt konsequenterweise dem Mitar­ beiter denn auch Freiraum, wie er die gesetzten Ziele erreicht. Die Resultate wer­ den kontrolliert, nicht der Weg.

Ist die Anfangsskepsis überwunden und Tschechen sind im Begriff, innerhalb ei­ ner Struktur zu agieren, dann nimmt diese Haltung folgende Form an:

• Tschechen legen sich nicht gerne fest. Klare Entscheidungen würden nämlich keinen Ausweg mehr offen lassen und das wird zu vermeiden gesucht. • Tschechen übernehmen nicht gerne Verantwortung, sondern bürden sie lieber Hierarchien auf. Damit können sie sich einen Schleichweg offen halten, denn von den Hierarchieträgem grenzt sich jeder auf dieselbe Weise ab. • Tauchen Hindernisse auf - von außen, von innen, subjektive oder objektive -, dann setzt in den Worten der Interviewpartner die „praktische Intelligenz“ und „tschechische Schläue“ ein, wie das System, in dem man sich befindet, ein biss­ chen zu „erweitern“ und das Hindernis zu umgehen ist. Man tröstet sich mit dem Motto: „Wenn etwas nicht so geht, wie ich es intendiert habe, dann wird es anders gehen.“ Und dann macht sich ein „tschechisches kleines Spielerchen“ auf die Suche, ein „Weglein“ zur Lösung zu finden. Man setzt beispielsweise in größeren Projekten seine informellen Kontakte, in kleineren Projekten sein Im­ provisationstalent i.e.S. ein und versucht zu tun, was man eben für die beste Möglichkeit im Sinne eines „Wegleins“ hält. Hat man damit Erfolg, ist man sehr stolz. Auf diese Art finden sich diverse Schlupflöcher und Hintertürchen und Tschechen sind eventuell schon mal zur Überschreitung ihrer Kompetenz bereit.

Findigkeit ist das Wort, mit dem man die Qualität dieses Handelns beschreiben kann: Spielräume wittern und nutzen. Das Motto angesichts eines im Prinzip klaren Regelwerks heißt oft: „Eigentlich geht es (= das, was man gerade im 113

Begriff ist zu tun) nicht, aber probieren wir es.“ Deshalb, erzählte ein tschechi­ scher Vater, besteht ein tschechisches Erziehungsziel darin, Kinder zu lehren, dass bei einem Nein die Klugheit zur Durchsetzung des eigenen Willens erst beginnt. Regelverstöße, sich dumm stellen, ein kleiner Trick usw. verursachen kein schlechtes Gewissen, wenn man dadurch seine Ziele erreicht.

• Innerhalb einer Teamarbeit bedeutet dies, dass es Tschechen vor allem auf das Ergebnis ankommt. Den Weg dorthin kann jedes Teammitglied beliebig ändern, ohne Bescheid zu geben. Die Kollegen, so denkt man sich, werden froh sein, wenn jemand einen einfacheren Weg gefunden hat. Und ist eine Person am Ende einer Handlung angekommen - selbst wenn sie das intendierte Ziel akzeptiert und erreicht hat -, dann will sie sich immer noch sagen können: Ich habe das aufgrund einer eigenen Idee erreicht, ich habe den Befehl nicht befolgt. Wenn Tschechen keine Möglichkeit zum Ausscheren oder zur Beeinflussung einer Struktur haben, dann machen sie mit und erfüllen die an sie gestellten Erwartun­ gen. Sie sehen vielleicht, dass mit Hilfe der Struktur ein Ziel gut erreicht wird. Aber sie bewahren sich auch dann noch eine innere Distanz und unterhalten sich z.B. informell darüber, „wie blöd das ist, was sie zu tun haben“.

Kreativität, Einfallsreichtum und Improvisationsliebe im engeren Sinne Das geschilderte Verhalten ist nur möglich, wenn jemand wirklich einfallsreich und kreativ ist und improvisieren kann. Das ist bei Tschechen gegeben:

Es macht einem Tschechen Spaß, etwas ohne Fachmann zu bewältigen und zu beweisen, dass er etwas (doch) schafft, dass er sich zu helfen weiß. Bei allen Be­ völkerungsgruppen ist daher beispielsweise Basteln und Werken beliebt. Über­ haupt werden viele Probleme des privaten und beruflichen Alltags mit Engage­ ment und gerne gelöst. Das beginnt z.B. beim Reparieren diverser Dinge und be­ inhaltet Überlegungen bzgl. eines erweiterten Nutzungszwecks einer Maschine oder den flexiblen Einsatz unterschiedlichster (handwerklicher) Fähigkeiten.

Wird es einmal knifflig, hat es schon fast Sportcharakter, dass jemandem auf An­ hieb eine gute Lösung für ein Problem einfällt. Was Tschechen mit großer Freude und mit Stolz erfüllt, ist, wenn sie einen positiven Überraschungseffekt lancieren können - ganz besonders gegenüber Deutschen. („Dass wir das schaffen - da schaut Ihr?!“)

Vorbereitung für etwas heißt i. a.: Vorbereitung der ersten Schritte. Ab dann wird eine spontane, gekonnte Reaktionsfähigkeit von vorne herein einkalkuliert. Tsche­ 114

chen vertrauen auf seine Improvisationsfähigkeit und bereiten sich manchmal z.B. für Besprechungen oder Verhandlungen gar nicht vor, weil sie sich darauf verlas­ sen, mindestens in 50% der Fälle mit Improvisation die Situation zu meistem. Qualitätsanspruch

Qualität wird von Tschechen weithin als Funktionsfahigkeit definiert. Darüber hi­ nausgehende Kriterien gelten ihnen schnell als zu perfektionistisch. Die gesteckten Ziele sind eben „gut genug“ zu erreichen. Das gilt z.B. für den Anspruch an Sau­ berkeit, die Toleranz bzgl. nicht-fertiggestellter Arbeiten oder die Unwichtiger­ achtung absoluter Fehlerfreiheit. Auch das Streben nach der besten Lösung ist, wenn der Aufwand groß ist, gebremster. Abweichungen von Plänen oder das Auslassen von Schritten werden toleriert. In tschechischen Augen kommt es auf das Ergebnis an (Kriterium: Funktionstüchtig­ keit), nicht auf das genaue Befolgen des Plans.

Diese Differenz führt v.a. in Produktionsprozessen zu vielen Problemen zwischen Tschechen und Deutschen. Arbeitsorganisation und Arbeitsplanung beschreiben Tschechen auch selbst nicht als ihre Stärke: Oft ist irgendetwas vergessen, der Zeitplan nicht eingehalten usw. - Aber eine diesbezügliche Perfektion streben sie gar nicht an. Gelassenheit

Aus all dem erwächst Gelassenheit. Tschechen sind nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, sondern fallen deutschen Informanden als geduldig und fast stoisch auf. Sie selbst sagen: Ihre Devise sei eher, die Probleme auf sich zukommen zu lassen und Ruhe zu bewahren. Folgende Zitate aus den Interviews belegen das: „Ein Drittel der Probleme löst sich sowieso von selbst, ein Drittel mit geringem Auf­ wand, ein Drittel sollte man zu gegebener Zeit angehen.“ „Wenn es sich nicht ums Überleben handelt, dann geht es nur um Scheiße.“ Den bevorzugten Stil im Prob­ lemlöseprozess charakterisieren sie selbst so: „Wenn ein Problem da ist, gilt es, in Ruhe darüber nachzudenken und evtl, einen Weg zu finden, wie das Problem am leichtesten zu umgehen ist. Das Ziel besteht nicht darin, das Problem gleich zu lösen.“ Manches Problem wird „ausgesessen“, d.h. es wird darauf vertraut, dass es sich von selbst erledigt. „Nichts ist so heiß, wie es aussieht.“ Es kann vorkommen, dass „von Forderungen von vorne herein gedanklich bereits 50% abgezogen wer­ den. Der Rest gilt als das, was der Wirklichkeit entsprechen dürfte.“

115

4.2.1.2.

Der (westdeutsche Kulturstandard „Aufwertung von Strukturen“

Definition:

Deutsche streben in ihrem beruflichen Handeln nach einem „Optimum“, das sie mit Hilfe von Strukturen erreichen zu können glauben. Sie wollen die Dinge, die sie tun, möglichst gut machen und sich einem Optimum/Maximum möglichst weitgehend annähem. Sie stecken sich daher qualitativ hochwertige Ziele (hohe Produktqualität; hoher Organisationsgrad der Logistik usw.) und wollen dann ei­ nen möglichst reibungslosen, gangbaren und effektiven Weg zu diesem Ziel be­ schreiten. Als die Art und Weise, wie dieses Optimum zu erreichen ist, gelten Strukturen, Systeme und Normen, die Uneindeutigkeiten, Unsicherheiten und da­ mit Störungen ausschalten sollen. Im Kontrast zur tschechischen Skepsis liegt die entscheidende Grundeinstellung Deutscher bzgl. beruflicher Normen und Systeme nun des weiteren darin, dass sie Strukturen i.a. als „geronnene Erfahrung“ betrachten: Hier hat sich nicht jemand willkürlich eine Norm ausgedacht, die im Grunde sinnlos ist und auch ganz anders sein könnte, sondern hier schlugen sich die Erfahrungen vieler nieder, die bereits an diesem und ganz ähnlich gelagerten Problemen gearbeitet haben. Der nunmehr als Struktur vorhandene Weg erwies sich dabei als gut und effektiv und deshalb sind sie gewillt, diesen Weg auch künftig zu beschreiten. Das gilt für sämtliche Tätigkeiten in der Produktion, aber auch für viele Verwaltungsabläufe oder ande­ re, irgendwie auf Routine basierenden Arbeiten. Hat jemand Kritik an diesen Ver­ fahren zu äußern, kann er das als Verbesserungsvorschlag und als Weiterent­ wicklung tun. Dass ein einzelner jedoch klüger wäre als die „geronnene Erfah­ rung“ vieler, die ebenfalls Fachleute auf ihrem Gebiet sind bzw. waren, wird nur in Ausnahmefallen und aufgrund sehr stichhaltiger Argumente akzeptiert.

Hinter ihren Strukturen, Systemen und Normen sehen Deutsche viel Sinn. Rege­ lungen sind für sie gleichbedeutend mit (bewährten) Problemlösungen. In Produk­ tionsabläufen haben die Normen eine Art Symbolcharakter für „beständige deut­ sche Wertarbeit“ oder für Fortschritt im Sinne einer kontinuierlichen, verbessern­ den Veränderung. Der Kulturstandard „Aufwertung von Strukturen“ ist somit folgendermaßen zu definieren:

• Um das Erreichen ihres relativ hohen Qualitätsanspruchs absichem zu können, • sind Deutsche planerisch, strukturierend und organisierend tätig (Organisati­ onsliebe statt Improvisationsliebe) 116

• bis ins Detail (Detailorientierung). Das Grundmotiv ist dabei, ein Maximum an Orientierung für alle Beteiligten, die Vermeidung von Unsicherheiten sowie eine Risikominimierung zu erreichen.

Darstellung: Organisationsliebe Gilt es, ein Ziel zu erreichen, dann möchten Deutsche möglichst aktiv - nicht re­ aktiv - planen und organisieren sowie dann möglichst störungsfrei handeln kön­ nen. Sie bemühen sich daher, ihre Vorhaben in den Griff zu bekommen und erstellen sich selbst „Systeme“ aller Art: Firmenabläufe werden standardisiert, Verfahren vereinheitlicht, Zuständigkeits- und Kompetenzbereiche definiert, Ar­ beitsteilungen klargelegt, Informationsflüsse formalisiert, Modelle für Prob­ lemlösungen schematisiert usw.. Bei alledem gelten umfassende, vorausschauende und langfristig wirksame Aktivitäten als ideal, eine Ad-hoc-Improvisation dage­ gen als Notlösung zum Ausbügeln einer suboptimalen Planung oder nicht vorher­ zusehender Schwierigkeiten. Es wird als Zeichen von Intelligenz gewertet, sich in eine Sache so vertieft zu haben, dass sie dann „systematisch“ angegangen und in Handeln umgesetzt werden kann.

Dabei sind Deutsche risikoscheu: Sie versuchen, möglichst nichts dem Zufall zu überlassen, sondern Unwägbarkeiten und Risiken zunächst einmal durch mög­ lichst umfassendes Planen auszuschalten. Sie wollen vermeiden, dass Unvorherge­ sehenes passiert und Änderungen nötig sind. Entscheidungen können u.U. schon mal länger dauern, weil Deutsche versuchen, auf Nummer Sicher zu gehen und viele Eventualitäten in ihre Überlegungen und Planungen miteinzubeziehen. Sie möchten sich einen guten Überblick über die Sachlage verschaffen, sie überstür­ zen nichts, sondern überprüfen lieber ein zweites Mal. Um später dann nachvollziehen und kontrollieren zu können, wer wofür genau zuständig ist, wie was exakt vereinbart war, bevorzugen Deutsche schriftliche Ausführungen, schriftliche Bestätigungen oder Zusagen, schriftliche Dokumenta­ tionen (Arbeitszeitnachweis, Leistungstabellen usw.). Damit ist im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit viel Bürokratie zu erledigen. Ihr Wert erweist sich aber so­ wohl im Zwang, damit genauer planen zu müssen, wie auch bei Problemen die dysfunktionalen Stellen herausfinden und künftig optimieren zu können. Sitzungen und Besprechungen dienen dazu, den Informationsfluss in geregelten und nachvollziehbaren Bahnen laufen zu lassen. Damit soll gewährleistet werden, dass alle, die etwas wissen müssen, dieses auch erfahren und dass andererseits nichts übersehen wird. 117

Dienstwege werden in der Regel eingehalten. Die laut Organigramm Zuständigen werden angesprochen, kein Verantwortlicher übergangen. Machtkämpfe laufen unter Deutschen häufig als Streit um Zuständigkeiten und Kompetenzen. Führungskräfte sind Repräsentanten der Strukturen. Ihnen gegenüber werden sich die Mitarbeiter daher dienstbeflissen im Sinne der Strukturen zeigen.

Geschriebene und ungeschriebene Regeln und Verbote gibt es sehr viele - für fast alle Lebensbereiche, z.B. auch für die Höhe des Trinkgelds.

Detailorientierung Den unübersehbaren Perfektionsanspruch setzen Deutsche, wie dargestellt, in ih­ ren Planungen in ein mentales Modell um und denken dann deduktiv weiter: Sie brechen dabei ihre Ideen bis ins Kleinste herunter. Sie achten in vielem auf Klei­ nigkeiten und erachten sie nicht als nebensächlich. Darin steckt für ihrer Überzeu­ gung nach oft sogar die wahre Qualität einer Sache, aber auch die eigentliche Problematik („Der Teufel steckt im Detail“).

Es ist somit kennzeichnend, dass Deutsche • exakte und detaillierte Planungen vornehmen; • vorsorglich auf Fehlervermeidung achten; • gut vorbereitet sind für Besprechungen und Verhandlungen (z.B. mit Folien, Tischvorlagen) • der Ordentlichkeit i.e.S. einen relativ hohen Stellenwert beimessen (z.B. Abla­ gen, Lagerhaltung)

In der Produktion streben Deutsche nach 100% Fehlervermeidung, nach Genauig­ keit, Präzision, Exaktheit. Ihre Zielvorstellung ist ein perfektes Produkt. Dazu wird genau kontrolliert und exakt auf die Normen, die diese Ansprüche sicher­ stellen sollen, gepocht. Maßstab ist die Kundenzufriedenheit. Und diese Kunden deutscher Firmen und Konzerne legen beim Kauf der Produkte Wert auf Qualität definiert als Fehlerfreiheit. Das Image der Firma und damit ihre künftige Auf­ tragslage und ihr weiterer Erfolg hängen daran. Dabei reicht es nicht, wenn das Wesentliche funktioniert. Die Perfektion erweist sich dann, wenn auch die unwe­ sentlichen Dinge beachtet sind. Und um das zu erreichen, gilt es als unerlässlich, sich exakt (nicht ungefähr) an die Vorgaben zu halten.

Geldfragen werden exakt, d.h. auf die einzelne Mark genau geklärt. Das ist eben auch Ausdruck von Exaktheit. Checklisten verhindern, dass etwas vergessen oder übersehen wird. 118

4.2.13.

Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kultur­ standardpaares „Abwertung von Strukturen - Aufwertung von Strukturen“

Das tschechische Mischungsverhältnis: Um Strukturen abwerten zu können, müssen sie zunächst einmal gegeben sein. Darin liegt das tschechische Mischungsverhältnis: Tschechen schätzen zu Beginn ihres Handelns das Vorhandensein von Strukturen als Rahmen für ihr Handeln, als Verdeutlichung der Erwartungen, als Information. Aber sie sind nicht gewillt wäh­ rend des Handelns Strukturen als bindende Verpflichtung zu akzeptieren, sondern betrachten sie, wie sie als Informanden selbst sagten, als „Leitfaden“ oder „Spiel­ wiese“ für die nun einsetzende Improvisation. „Ja, so ungefähr also...“ beschreiben sie ihre Einstellung. Durch die Improvisation wollen sie mit der Struktur,jonglie­ ren“ und „eine Chance haben, ihre Persönlichkeit einzubringen“. Insofern ist die gegenteilige Polarität „Aufwertung von Strukturen“ zunächst ebenfalls wirksam, aber die Polarität „Abwertung von Strukturen“ ist im dann folgenden Handeln die dominantere. Das deutsche Mischungsverhältnis: Deutschen dient Struktur nicht nur dazu, Arbeit effektiv zu organisieren, sondern ebenso Freiräume zu schaffen oder Privilegien zu sichern: Wenn Pause ist, ist Pause, wenn Feierabend ist, ist Feierabend, wenn Urlaubszeit ist, ist nur schwer etwas zu erreichen. Es können sich auch Schlendrian, Faulheit und Bequemlich­ keit eingeschlichen haben und dann „bewährtermaßen“ erhalten bleiben unter Hinweis auf Regeln oder Zuständigkeiten. Die, die daran rütteln wollen, verteufeln die Struktur, die, die gerade davon profitieren, verteidigen sie. Beide werten sie um Grunde ab als sachlich nicht zieldienlich.

4.2.2.

4.2.2.1.

Die dynamische Perspektive

Vernetzung der Kulturstandards

Aufwertung von Strukturen - Sachbezug:

Deutschen geht es um die Sache. Strukturen sind ihnen dabei der Weg zur Zieler­ reichung. Somit erstellen Deutsche in ihren ersten Arbeitsschritten Strukturen und 119

Pläne. Die Vorgabe von in ähnlichen Situationen bewährten Strukturen als bereits vorhandene Problemlösungen, erscheint ihnen schlichtweg eine sehr effektive Möglichkeit zur Zielerreichung zu sein, weil nicht durch neue Wege unbekannte Fehlerquellen auftauchen können.

Das deutsche Mischungsverhältnis der Polaritäten „Sachbezug - Personbezug“ äu­ ßert sich in diesem Kulturstandard folgendermaßen: Deutsche empfinden es als Entlastung, wenn durch eine Struktur etwas übersichtlich und handhabbar gewor­ den ist. Ein großes Stück „Denkarbeit“ ist erledigt - sei es durch eigene Aktivität, sei es durch die Expertise anderer. Nun herrscht Zuversicht, das Ziel auch errei­ chen zu können und die Handelnden können sich daher jetzt „entspannter“ an das Abarbeiten der Schritte oder das Ausfullen ihres Kompetenzbereichs machen. Strukturen auf der Sachebene wirken für Deutsche daher auf einer persönlichen Ebene oft erleichternd und befreiend, nicht einengend. Weil außerdem Deutschland ein sehr explizites Kommunikationsmuster hat („schwacher Kontext“), sind die Strukturen und Regeln auch ausdrücklich, detail­ liert, klar und offen formuliert.

Abwertung von Strukturen - Personbezug: Die Wahrnehmung der Tschechen ist durch Personbezug geprägt. Sie sehen Strukturen vorrangig in ihrer Auswirkung für die betroffenen Personen: Diese sollen etwas tun bzw. ihr Handeln an Vorgaben ausrichten, die von außen vorge­ geben werden - unabhängig von der Einstellung des jeweiligen Akteurs. Das wird als Fremdbestimmung erlebt.

4.2.2.2.

Kultureller Wandel im Transformationsprozess

Auch den Sozialismus hatten Tschechen als System erlebt, mit dem sie sich zwar konform zeigen mussten, mit dem sie sich aber innerlich nicht identifizierten. Man tat zwar dem Anschein nach so, als ob man mitmachte, verfolgte aber dabei seine eigenen Ziele und Interessen. Das ist die jüngste Geschichte, in der man Struktu­ ren abwertete.

Eine Gegenreaktion auf die sozialistische Vergangenheit besteht im Moment daher darin, langfristige Pläne abzulehnen. Man will mit Euphorie seine Freiheit genie­ ßen. Und Pläne erscheinen dabei hinderlich.

Die andere Seite der Medaille bestand in der Entwicklung eines ausgeprägten Im­ provisationstalents, das das Leben unter sozialistischen Bedingungen erleichterte und zum Teil das Überleben sicherte. Denn es galt, Suboptimales zum Funk­ 120

tionieren zu bringen und Situationen geschickt innerhalb des zur Verfügung ste­ henden Spielraums zu nutzen: Sich zu helfen zu wissen - aus einfachen Materia­ lien das Notwendige zu zaubern, Beziehungen vorteilhaft einzusetzen, mit vor­ sichtiger Eloquenz sich aus der Affäre zu ziehen - war subjektiv überlebenswich­ tig. Und sogar objektiv ließ das System diese Grauzone bis zu einem gewissen Grad zu, um seine Schwachstellen etwas kompensieren zu können. - Dabei wurde das Improvisationstalent dann eingesetzt, wenn man eine Nische witterte und zum eigenen Vorteil etwas erreichen konnte. Es regierte vor allem im Informellen. Im Transformationsprozess setzen Tschechen die durch den Sozialismus ver­ stärkte geistige Wendigkeit zum Erlernen der neuen Technologie und der markt­ wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und Gepflogenheiten ein. Dabei kommt es ihnen vor allem darauf an, die Prinzipien (z.B. einer neuen Technologie) zu ver­ stehen, um dann darauf aufbauend frei und selbständig agieren zu können. Das ist ein entscheidendes Motiv für ihre Neugier und ihren guten Willen. Die Krönung des Erfolgs besteht für sie dann darin, das, was gelernt wurde, nicht nur umzuset­ zen und anzuwenden, sondern weiterzuentwickeln und zu optimieren und darin besser zu sein als die Deutschen.

Marktwirtschaft: Wie bereits dargelegt, dienen Strukturen Deutschen als Vehikel, die gewünschten Arbeitsergebnisse, deren zentrales Charakteristikum hohe Qualität sein soll, unter der Maßgabe einer marktwirtschaftlichen Ergebnis- und Leistungsorientierung zu erzielen. Sie streben den Erfolg systematisch, d.h. mit Hilfe von Systemen an. Im­ provisation hat dagegen den Geruch des Nachbessems bei Schlamperei: Wenn die Vorbereitung nicht gut war, wenn sich ein Fehler eingeschlichen hat, wenn etwas übersehen wurde etc.. Das sind alles Situationen, die man eigentlich ausgemerzt wissen möchte. Man strebt nach Fehlervermeidung und Misserfolgsvermeidung. Man will sich mit Schwächen nicht abfmden, sondern ist bemüht, an ihrer Behe­ bung zu arbeiten. Reklamationen wirken alarmierend, denn der Anspruch auf hohe Qualität konnte nicht eingelöst werden, eine Imageschädigung (bzgl. Produkt und Firma) beim Kunden ist erfolgt, der Verlust des Kunden ist zu befürchten, im Wiederholungsfall verliert man Marktanteile und muss sich um seine Konkurrenz­ fähigkeit sorgen. Die nunmehr nötige Nacharbeit verursacht zudem nichtgeplante Kosten. Kundenzufriedenheit ist zwingend nötig und stellt den letzten Grund für die Qualitätsansprüche dar, denn der Kunde bezahlt schließlich die Gehälter der Mitarbeiter und den Gewinn der Firma. Davon abgesehen gelten Produkte als permanent optimierbar. - Das alles verstärkt die „Aufwertung von Strukturen“.

121

4.2.3.

Die strategische Perspektive

4.2.3.I.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Abwertung von Strukturen“

Die Vorteile des Kulturstandards „Abwertung von Strukturen“ liegen in der tsche­ chischen Improvisationsfähigkeit: Manchmal schaffen Tschechen etwas, was unter strenger Berücksichtigung der Strukturen nicht möglich wäre (beispielsweise Ab­ kürzung von Dienstwegen, Entdecken und Nutzen einer Lücke im Regelwerk). Aus dem gleichen Grund sind Tschechen manchmal auch schneller, als erwartet. Oder manchmal warten Tschechen mit positiven Überraschungen auf, was heißt, dass sie mehr tun, als eigentlich erwartet werden würde. Der innere Gewinn liegt dabei in der Aufwertung der eigenen Person als „schlau“, „findig“, „pfiffig“, „kreativ“ und verursacht das zufriedene Gefühl, „intelligenter als die Deutschen“ zu sein.

Die Nachteile des Kulturstandards „Abwertung von Strukturen“ liegen immer wieder in der Güte der Arbeitsergebnisse: Die Qualität einer Sache - z.B. eines Vorgangs, eines Produkts - kann leiden, die Sache kann sogar Schaden nehmen, ein Ergebnis kann suboptimal bleiben, ein Resultat wird eventuell nicht rechtzeitig fertiggestellt sein.

4.23.2.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Aufwertung von Strukturen“

Die Vorteile des Kulturstandards „Aufwertung von Strukturen“ liegen eindeutig darin, dass mit einem gut installierten System auch sehr gute Ergebnisse erreicht werden können.

Als Nachteile sind zu erwähnen:

• Deutsche sind, nachdem sie eine Planung gemacht haben, darauf fixiert, diesen Plan jetzt auch in die Tat umzusetzen. Tauchen dabei aber Barrieren auf oder passiert Unvorhergesehenes, dann sind sie sehr oft aus dem Konzept geworfen und irritiert, was denn nun am besten zu tun sei. Und mancher verliert seine Souveränität und reagiert panisch. (Tschechen beobachten das schmunzelnd und kommentieren es so: „Deutsche sind nicht fähig, selbständig zu handeln. Sie 122









brauchen immer eine Organisation.“) In großen Firmen können Systeme und Strukturen sehr bürokratische Formen annehmen und kann die Kooperation sogar erschweren, weil sehr viele Vor­ schriften, Kompetenzbereiche und Formalitäten zu berücksichtigen sowie Do­ kumentationen und Nachweise aller Art zu erbringen sind, so dass das Handeln schwerfällig und langsam wird. Manches, was im Gesamten seinen Sinn hat, kann im Konkreten durchaus fragwürdig erscheinen. Aufgrund der starken Arbeitsteilung und Spezialisierung kann die Transparenz eines Gesamtprojekts gelegentlich auch fehlen oder verloren gehen. Dann müs­ sen die auftauchenden Probleme trotzdem situativ abgearbeitet werden und das System kann nicht genützt werden. Ein weiterer Nachteil der Organisationsliebe bis zum Detail liegt darin, dass einmal gesetzte Ziele und Strukturen beibehalten und durchgefuhrt werden, auch wenn sie nunmehr tatsächlich nicht mehr die optimalen sind, weil sich die Umweltbedingungen geändert haben. Gewohnte Bahnen und Verfahren werden nur schwer verlassen. Die Handelnden sind zu sehr auf die Einhaltung der Pla­ nung, der Beschlüsse, der (vermeintlichen) fehlervermeidenden Vorgehenswei­ sen fixiert, so dass sie das Ganze aus dem Blick verloren haben. Das System er­ starrt und unterbindet eine eigentlich notwendige Flexibilität. Der Hang zur Systematik und der daraus zweifellos oft resultierende Erfolg verleitet Deutsche u.U. ganz besonders dazu, von sich als Experten sehr über­ zeugt zu sein und das Gespür dafür zu verlieren, wann sie von außen als arro­ gant erlebt werden, weil sie ihr System an keiner Stelle in Frage stellen.

123

4.3.

Kulturstandardpaar: Simultanität versus Konsekutivität

Kategorisierende Fragestellung: Eine grundlegende Kulturdimension zu Erfassung von Kulturunterschieden ist Zeit (Hall, 1990). Sie kann auf unterschiedliche Art strukturiert und genutzt wer­ den. Im deutsch-tschechischen Kulturvergleich ist Demorgons präadaptives Ge­ gensatzpaar Konsekutivität versus Simultanität eine hilfreiche Kategorie: Werden Dinge hintereinander (konsekutiv) oder parallel (simultan) erledigt?

4.3.1.

Die synchrone Perspektive

4.3.1.1.

Der tschechische Kulturstandard „Simultanität“

Definition:

Simultanität bedeutet, dass Tschechen mehrere Dinge zur gleichen Zeit tun und sich nicht nur auf eine Sache konzentrieren. Darstellung: Für Tschechen hat es einen hohen Wert und gilt als erstrebenswert, mehreres gleichzeitig zu erledigen, d.h. verschiedene Tätigkeiten miteinander zu kombinie­ ren, an mehreren Projekten parallel zu arbeiten und - im Umkehrschluss - mit einer Handlung gleich mehrere Handlungsstränge zu bedienen („mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen“).

„Gleichzeitigkeit“ bedeutet dabei nicht unbedingt, im selben Moment mehr als eine Handlung auszufuhren, sondern heißt in der Regel, zwischen den Handlungs­ strängen der gleichzeitig verfolgten Handlungen schnell und leicht je nach (sub­ jektiver) aktueller Priorität zu wechseln. Dieses „kleine, aber beherrschbare Cha­ os“, wie es eine Respondentin formulierte, macht Tschechen Spaß, weil es ihre Improvisationsfähigkeit herausfordert.

124

Auch die Zielstrebigkeit von Tschechen zur Erreichung des intendierten Ziels ei­ nes einzelnen Handlungsstrangs ist nicht sehr ausgeprägt. Sie bevorzugen statt­ dessen eine breitere Berücksichtigung mehrerer möglicher Wege und unterschied­ licher Problemlösungsideen. Bei Barrieren auf dem Weg zur Zielerreichung rea­ gieren sie relativ gelassen und scheinen sich weniger einen Ergebniszwang aufzu­ erlegen.

Der Zeitdruck ist auf dem Weg zur Zielerreichung nicht gleichverteilt, sondern wächst gegen Ende der Handlung an. Das bedeutet, dass oft - in der Wahrneh­ mung Deutscher - „im letzten Moment“ und „auf den letzten Drücker“ vieles ge­ schieht. Tschechen sind dann in der Lage, auf kurze Zeit sehr effektive Ergebnisse zu erzielen, wenn sie bereit und hochmotiviert sind. Dringlichkeit wird von Tsche­ chen sowohl personenbezogen definiert (eine relevante Person will oder braucht etwas) wie auch sachbezogen als endgültige Entscheidung, dass es keine Alterna­ tive (keinen „anderer Ausweg“) gibt und der Handlungsstrang jetzt zu Ende ge­ bracht werden muss. Termine lösen das Gefühl von Dringlichkeit eher nicht aus. Zu Terminen haben Tschechen vielfach die Einstellung, dass zeitliche Verpflichtungen obgleich viel­ leicht in der Sache wünschenswerte, in der Realität jedoch relativ unverbindliche Anhaltspunkte darstellen. Verspätungen sind in vielen Fällen normal und bleiben folgenlos. Tschechen sind überzeugt, dass jemand, der alles rechtzeitig schafft, „komisch“ ist.

Simultanität bedeutet auch gestreute Aufmerksamkeit, d.h. die Wahrnehmungsfä­ higkeit ist bei Tschechen nicht auf eine Sache konzentriert, sondern sie können stets mehrere Dinge im Blick behalten und mehrere Aktivitäten verfolgen. Tsche­ chen haben, so nannten das die Informanden, „ihre Augen und Ohren überall“. Damit sind sie schnell reaktionsfähig und können sich bietende Gelegenheiten wahmehmen und nutzen.

4.3. L2.

Der (westdeutsche Kulturstandard „Konsekutivität“

Definition: Deutsche haben die Vorstellung, dass es optimal wäre, das Leben auf eine Art or­ ganisieren zu können, in der man sich (1) über eine anstehende Handlung Gedan­ ken machen und sie planen kann, (2) diese Planung dann ohne Unterbrechungen und Störungen abarbeiten kann, um (3) schließlich sein Ziel zu erreichen. Da das aber meist unmöglich ist, sondern auch sie sich gezwungen sehen, viele Dinge pa­ rallel zu erledigen, bemühen sich Deutsche, ihrem Ideal doch zumindest nahe zu kommen: Sie teilen die Handlungsschritte in Zeitfenster und Zeiteinheiten ein, 125

ordnen diese dann nacheinander in einer ihnen sinnvoll erscheinenden Reihenfolge an und erledigen sie - soweit wie möglich - in dieser Reihenfolge. Konkret bedeutet das:

1. Deutsche machen sich für jedes ihrer Vorhaben (z.B.: für das Projekt 1, das Projekt 2 usw.) einen (groben) Zeitplan, an den sie sich nun auch weitgehend halten. 2. Zur Koordination der diversen Zeitpläne für die parallelen Vorhaben (Projekt 1, Projekt 2) macht sich jede Person feinere Ablaufpläne, wann sie am besten was erledigt und setzt die Zeitfenster, die für die einzelnen Vorhaben vorgesehen sind, in eine sinnvolle, konsekutive Reihenfolge. (Zeitfenster 1 für Schritt 1 des Projekts 1; dann Zeitfenster 2 für Schritt 3 des Projekts 5; dann Zeitfenster 3 für Schritt 1 des Projekts 2; usw.) 3. Weil nun alle so denken und handeln, ist es bei gemeinsamen Vorhaben essen­ tiell, dass sich die Individuen zeitlich koordinieren. Sie vereinbaren Termine. Diese Termine sind der Kitt für gemeinsame Aktivitäten, weil sie die individu­ ellen Ablaufpläne und Zeitpläne verzahnen. 4. Termine sind verbindlich, denn sonst gerät das System aus den Fugen.

Zeitmanagement gilt damit als Voraussetzung für effektives Handeln überhaupt und als sehr wesentlicher Bestandteil von Professionalität. Ein Mitarbeiter muss in der Lage sein, sich für seinen Verantwortungsbereich zeitliche Strukturen zu ge­ ben, realistische Einschätzungen für die einzelnen Zeitfenster vorzunehmen und sich dann zeitlicher Disziplin zur Einhaltung des Plans zu unterwerfen. Darstellung: Deutsche haben ein Ziel und verfolgen dieses Ziel, indem sie ihr Handeln nun li­ near auf die Zielerreichung hin organisieren. Umwege zur Zielerreichung, z.B. Verzögerungen, Vermittler, Nebenpfade, werden nur in Ausnahmesituationen ak­ zeptiert. Deutsche zeigen eine über die Zeit relativ gleichbleibende Motivation bei der Ab­ arbeitung eines Vorhabens. Sie fühlen sich beruhigt, wenn sie einen vernünftigen, realistischen Zeitplan haben. Sie bevorzugen ein gleichbleibendes Arbeitstempo, das ein Durchhalten erlaubt und Fehler vermeiden hilft.

Deutsche bevorzugen es, pro Zeiteinheit konzentriert an einer Sache zu arbeiten und vermeiden Störungen und Unterbrechungen.

Sie wollen die Handlungen, die sie begonnen haben, auch zu Ende bringen. Nur bei einem gewichtigen Hindernis, kann ein Vorhaben unvollendet bleiben. 126

In der Koordination zwischen den Individuen wird auf Pünktlichkeit und Termin­ treue großer Wert gelegt. Denn nur dann kann störungsfrei gearbeitet werden.

Time-Management gilt Deutschen als eine wesentliche Voraussetzung zur Erfül­ lung professioneller Aufgaben. Es wird gelehrt in Seminaren, es fließt in die Per­ sonalbeurteilung mit ein, es wird von Controllern überprüft. Zeit hat Symbolwert: Sie zeigt die Wichtigkeit einer Sache und einer Person an.

• Wichtigen Dingen und wichtigen Personen wird Zeit gewidmet. Im beruflichen Leben treffen sich Vertreter von verschiedenen Abteilungen oder Firmen nicht grundlos, d.h. ohne sachliche Notwendigkeit, sondern normalerweise zur Zieler­ reichung eines gemeinsamen Vorhabens oder (seltener) als besondere Wert­ schätzung zur wechselseitigen Beziehungspflege (z.B. Dienstessen). Im Privat­ leben „schenken“ Vielbeschäftigte ihre rare Freizeit nur Menschen, die ihnen wirklich etwas bedeuten. • Unpünktlichkeit wird als Geringschätzung der Sache und der Person gewertet, denn durch die Wartezeit werden dem Wartenden Verzögerungen oder gar Schwierigkeiten innerhalb seines Zeitbudgets verursacht. • Pünktlichkeit und Termintreue stellen einen wesentlichen Faktor zur Vertrau­ ensbildung dar. • Unterbrechungen und Störungen (wenn es sich nicht um wirklich notwendige Störungsmeldungen oder Problembesprechungen handelt) signalisieren eben­ falls eine Geringschätzung der Person, denn damit wird ihr Zeit „gestohlen“. • Zeit wird sehr zielorientiert verwendet. Gespräche zum Aufwärmen und Small­ talk können daher bereits als Zeitverschwendung erlebt werden. • Es gilt: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Im Sinn der Trennung der Le­ bensbereiche (vgl. 4.5.) sind diese beiden Elemente hintereinander geschaltet: Zuerst wird gearbeitet, dann wird Smalltalk betrieben. Zuerst erweist sich je­ mand als zuverlässiger Kollege, dann freundet man sich mit ihm an. Zuerst wird auf das Ziel hingearbeitet und dann wird gefeiert. Konsekutivität gibt dem beruflichen Leben in vielen Situationen eine Struktur:

• Tagesordnungen sorgen in Besprechungen für eine gute Zeitnutzung. Die Agenda strukturiert. • Beim Auftauchen von Problemen wird systematisch vorgegangen, d.h. in einer für Deutsche „logischen“ Reihenfolge: Zunächst werden die Ursachen disku­ tiert, danach wird nach Lösungen gesucht und nun werden die Lösungsschritte an die zuständigen Personen / Abteilungen delegiert. • Auch Präsentationen werden nicht nur „systematisch“ aufbereitet, sondern ge­ 127

gliedert in aufeinander aufbauende, nachvollziehbare Schritte. • Pläne sind sehr langfristig, wenn sie sich auf eine Untemehmensstrategie bezie­ hen. Der kurzfristige Gewinn wird dabei u.U. geopfert zugunsten der Gesamt­ strategie, von der sich das Management dann Erfolg verspricht.

4.3.I.3.

Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kultur­ standardpaares „Simultanität versus Konsekutivität“

Als einziger Oszillationsprozess wurde bei diesem Kulturstandardpaar folgende Beobachtung an Deutschen berichtet: Deutsche stoßen ihre Pläne angesichts ihnen absolut vordringlich erscheinender Prioritäten spontan um und verstoßen gegen die sonst so hoch geschätzte Termintreue hinsichtlich anderer Aktivitäten. Das ist z.B. bei Schwierigkeiten in der Produktion der Fall: Deutsche lassen dann sämtli­ che andere Vorhaben zugunsten der Behebung dieser Schwierigkeiten fallen und ignorieren alle anderen Verpflichtungen.

4.3.2.

Die dynamische Perspektive

4.3.2.1.

Vernetzung der Kulturstandards

Der deutsche Kulturstandard „Konsekutivität“ stellt eine Struktur für Zeit dar und weist damit Parallelen auf zum Kulturstandard „Aufwertung von Strukturen“. Au­ ßerdem korrespondiert er sehr gut mit dem noch darzustellenden Kulturstandard „Trennung von Lebensbereichen“, indem er nämlich die Lebensbereiche nachein­ ander anordnet gemäß dem Sprichwort „Zuerst die Arbeit, dann das Spiel“. Für die Sachorientierung wirkt er sicherlich verstärkend, weil man sich nur auf einen Handlungsstrang konzentriert.

Der tschechische Kulturstandard „Simultanität“ stellt die zeitliche Dimension der Improvisationsliebe (Abwertung von Strukturen) dar. Er weist außerdem eine enge Verbindung zu den noch darzustellenden Kulturstandards „Diffusion von Lebens­ bereichen“ und „Starker Kontext“ auf, denn nur mit dem Muster „Simultanität“ ist es möglich, immer wachsam gegenüber allen Chancen, Gefahren und Änderungen zu sein. Manchmal ist Simultanität auch eine Konsequenz der „Konfliktvermei­ dung“, weil Tschechen nicht klar Nein sagen und dann zusehen müssen, wie sie alle Anforderungen bewältigen können.

128

43.2.2.

Kultureller Wandel im Transformationsprozess

In einer zentral geleiteten Wirtschaft war es völlig sinnlos, sich bei der Arbeit zu überschlagen. „Wir lernten, Arbeit zu simulieren. Denn wir hatten für zwei Stun­ den Arbeit, mussten uns aber acht Stunden beschäftigt zeigen“ so schilderte das ein Interviewpartner. War man zu schnell, war nur das Material verbraucht und man musste seine Zeit unbeschäftigt absitzen. Oft stoppte die Zulieferung und es entstanden sowieso Wartezeiten. Niemand hatte Vorteile, wenn er schneller oder effektiver arbeitete. Es hatte keinen Sinn, motiviert zu arbeiten, denn es gab kei­ nerlei Anreiz zur rechtzeitigen Erfüllung der Aufgaben; es existierten auch keine Sanktionen für Verspätung. Zeit schien ein willkürlicher bürokratischer Akt, denn hinter allem standen große bürokratische Apparate, die die Entscheidungen trafen. Das dauerte. Und das lehrte: Keine Eile! Der Sozialismus hinterließ Spuren, die noch beobachtbar sind: Er hat sicherlich den lockereren Umgang mit der Zeit verstärkt. Denn der Faktor Zeit spielt bis heute am Arbeitsplatz eine untergeordnete Rolle. Der Preis der Zeit ist vielen nicht bewusst und sie verhalten sich noch immer weithin gleichgültig gegenüber Termi­ nen. Handlungen und Vorgänge werden vielmehr ruhig und ohne dass Zeitdruck wahrgenommen wird, erledigt. Der Arbeitsstil wirkt gelassen. Die Folge ist, dass Zeitvorgaben nicht eingehalten werden und Zeitverluste nicht aufgeholt werden. Auch längere Pausen im Arbeitsfluss werden toleriert.

Im Kontrast dazu herrscht in einer Marktwirtschaft das Motto: Zeit ist Geld. Stress und Hektik herrschen hier vor. Zeitdruck ist allgegenwärtig. Zudem besteht grund­ sätzlich der Anspruch auf permanente Leistungsoptimierung (gleiches Ergebnis in geringerer Zeit). Besonders wenn es um den Kunden geht, ist Schnelligkeit und zeitliche Zuverlässigkeit unabdingbar. Zeit-Management (von Terminkoordination bis zur Vermeidung von Überstunden durch geschickte Organisation) ist eine Ba­ sisVoraussetzung für Leistung, Karriere, Aufstieg.

Wieder einmal scheinen die Wirtschaftssysteme verstärkend zu wirken.

4.3.3.

Die strategische Perspektive

43.3.1.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Simultanität“

Die Vorteile der tschechischen Simulanität liegen zweifellos in ihrer Flexibilität: 129

• Wichtigen Dingen (die Definition davon ist von Personen und aktuellen Situati­ onen abhängig und deshalb Veränderungen unterworfen) wird Priorität einge­ räumt. • Vieles Geplante kann trotz Auftauchen von Schwierigkeiten doch noch oder zumindest teilweise geschafft und erreicht werden; manches Unerwartete kann zusätzliche bearbeitet und bewältigt werden - in beiden Fällen, weil zeitlich eben entsprechend umstrukturiert wird. Die Nachteile liegen in einer deutlich geringeren Einschätzbarkeit des zeitlichen Rahmens für sämtliche Handlungen, Abläufe, Aktivitäten. Verzögerungen sind normal. Das wird schon mal zeitliche Unzuverlässigkeit genannt - auch von Tschechen.

43.3.2.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Konsekutivität“

Ein Vorteil des deutschen Kulturstandards „Konsekutivität“ besteht darin, zur Qualität von Handlungsergebnissen in dem Sinne beizutragen, dass durch die Konzentration auf jeweils eine Sache sehr viele wesentlichen Elemente beachtet und ausgefuhrt werden und nur wenig aufgrund von Eile übersehen oder aus Zeitmangel ausgelassen werden. Ein Nachteil ist - analog anderen Strukturen - die geringe Flexibilität: Deutsche geraten vielfach in Schwierigkeiten, wenn sie sich aus ihrem Zeitplan geworfen fühlen. Denn aufgrund der terminlichen Verzahnung des einen Plans mit anderen Plänen sowie den Plänen anderer Personen, können sie nicht flexibel reagieren, ohne gleichzeitig anderen zeitlichen Vereinbarungen gegenüber nachlässig und anderen Personen gegenüber unzuverlässig zu sein.

Die Fixierung der Deutschen auf den geplanten Umgang mit der Zeit, schränkt auch - das ist ein weiterer Nachteil - ihr Sozialleben ein, denn Deutsche leiden chronisch unter Zeitnot und fühlen sich fast ständig unter Stress. „Ich habe keine Zeit...“ ist eine oft gebrauchte und von allen, denen es ähnlich geht, akzeptierte Entschuldigung.

130

4.4.

Kulturstandardpaar: Personorientierte Kontrolle versus regelorientierte Kontrolle

Die kategorisierende Fragestellung:

Wo ist ethische Verantwortung verankert?

• An Regeln, die relativ unabhängig von Person, Beziehung und Situation sind? • An Personen und Beziehungen, die die Regeln je nach Situation mehr oder we­ niger in Kraft oder außer Kraft setzen? Das Dilemma besteht in der Frage, ob abstrakte, generelle oder allgemeingültige Regeln, Gesetze und Vereinbarungen befolgt werden müssen oder ob gegen sie auch zugunsten persönlicher Interessen und Beziehungen verstoßen werden kann. Im ersten Fall ist die jeweilige Norm tendenziell internalisiert, im zweiten Fall ist zur Normeinhaltung deutlich mehr extemale Kontrolle nötig.

4.4.1.

Die synchrone Perspektive

4.4.I.I.

Der tschechische Kulturstandard „Personorientierte Kontrolle“

Definition: Tschechen tendieren dazu, zugunsten persönlicher Interessen oder Beziehungen gegen in einem bestimmten Kontext vorherrschende generelle Regeln, Normen und Vereinbarungen zu verstoßen. Sie legen mehr Wert auf menschliche Bezie­ hungen und auf subjektives Wohlbefinden als auf die Einhaltung abstrakter Re­ geln. Bei ihnen verpflichtet Freundschaft und hat daher Priorität vor abstrakten Normen.

In der Interaktion mit Deutschen stellte sich diese Frage im Datenmaterial so dar: Wo ist das Pflicht- und Verantwortungsgefühl einer Person verankert? Wann kann jemand davon ausgehen, dass Vereinbarungen eingehalten werden?

131

Die Ausgangsbasis fur die tschechische personorientierte Kontrolle ist dieselbe, wie beim Kulturstandard „Abwertung von Strukturen“: die Bewahrung der per­ sönlichen Freiheit und Souveränität.

1) Internale Kontrolle, Selbststeuerung hinsichtlich bestehender, äußerer, abs­ trakter Strukturen finden sich daher... a) ... bei Personen und in Situationen dann, wenn das handelnde Individuum durch die Einhaltung der Struktur ein persönliches Anliegen in eigenem In­ teresse verfolgt; b) ... wenn sich ein Individuum einer für sie relevanten Person auf einer solch guten und tragfähigen Beziehungsebene verbunden fühlt, dass es diese Per­ son nicht enttäuschen möchte; c) ... wenn eine hohe Identifikation mit der Sache herrscht. In allen Fällen sind also persönliche Motive ausschlaggebend, nicht die Sache! Die Personorientierung ist dominant! 2) Externale Kontrolle dominiert die Sachebene und die sie repräsentierende Struktur in den sonstigen Fällen:

Ein „Pflichtbewusstsein“ gegenüber objektiven Regeln, Vereinbarungen, Nor­ men usw. ist wenig ausgeprägt. Wenn bzw. solange keine oder nur eine zu ge­ ringe persönliche Motivation herzustellen ist, muss die Sachebene external kontrolliert werden! Schließlich gilt: Regeln werden nur respektiert, wenn es vorteilhaft oder unumgänglich ist. Darstellung:

la) Persönliches Anliegen Voll motiviert und zum Teil sogar über ihre Pflichten hinaus arbeiten Tschechen... • bei persönlichem Interesse, wenn das Handeln der Erreichung eigener, hoch bewerteter Ziele dient, • wenn sie sich persönlich davon einen Profit versprechen, also z.B. wegen einer materiellen oder immateriellen (zusätzlichen) Belohnung, • wenn sie damit neue und ungewöhnliche Herausforderungen bewältigen und somit ihr Selbstbewusstsein stärken können.

Tschechen sind dagegen oft wenig motiviert, sich um Sachen zu kümmern, die sie oder ihre Arbeit nicht direkt betreffen, für die sie keine Belohnung erhalten oder die keine Sanktionen befürchten lassen. 132

Weil Tschechen sich auch selbst als Person nicht verleugnen oder spalten wollen (vgl. Diffusion 4.5.), nehmen sie ihre während der Arbeit auftretenden Gefühle ernst. Sie leben viel stärker als Deutsche nach dem Lustprinzip und scheinen von einer Motivation zum Wohlbefinden oder auch, wie sie selbst oft sagen, zur „Be­ quemlichkeit“ bestimmt. Insofern wirken folgende Bedingungen die Qualität von Arbeitsergebnissen mindernd: • Tschechen möchten nur das bearbeiten und sich nur mit solchen Problemen be­ fassen, die angenehm zu lösen sind. • Bei der Bearbeitung von Aufgaben suchen sie gerne nach bequemen Wegen zum Ziel. Sie wollen möglichst gute Resultate mit möglichst kleinem Ar­ beitsaufwand haben. Selbst wenn etwas ausführlich erklärt wird, warum etwas wie sein soll und das durchaus auch einleuchtend erscheint, gibt es noch immer starke Tendenzen, nach eigenem Gutdünken dem auszuweichen, was für über­ flüssig gehalten wird, oder manches zu vereinfachen, um sich das Leben zu er­ leichtern. - Dass dadurch Schaden verursacht wird, wird nur ungern anerkannt. • Das Streben nach der besten Lösung ist (bei hohem Aufwand) gebremster.

Bei allen Handlungen und in allen Zusammenhängen halten Tschechen - wie be­ reits vom Kulturstandard Simultanität bekannt - Augen und Ohren offen, positiv bewertete Chancen, die sich ihnen auftun, wahrzunehmen und sich bietende Gele­ genheit zu nutzen. Das bedeutet für eine Kooperation: Das Machbare wird ausge­ nutzt. Jeder hat für sich das Ziel, seinen Vorteil zu mehren, was gleichbedeutend ist mit „schlau sein“. Dabei wird nicht bedacht, was das Ausreizen des Spielraums für den Partner bedeutet, sondern der Handelnde geht bis an die Grenzen des sich ihm gerade bietenden Spielraums. - Er ist derart internal motiviert, dass er nun als Korrektiv eine gewisse extemale Kontrolle braucht. - Er hat nicht das Gefühl, zu übertreiben, unfair zu sein oder zu betrügen, sondern verfolgt eben seinen eigenen Vorteil. (Er geht ja davon aus, dass das der Partner auch tut.) 1b) Gute Beziehungsebene Tschechen kommen Menschen entgegen, nicht Sachzwängen. Sie haben ein „per­ sonbezogenes Pflichtbewusstsein“. Sie machen etwas für einen Chef, für einen Kollegen. Aber sie machen nichts aufgrund abstrakter Notwendigkeit, beispiels­ weise weil „etwas so sein soll“ oder „weil es die Sache erfordert“.

Lind darüber hinaus differenzieren Tschechen ihr Pflichtgefühl noch je nach emp­ fundener Nähe zu jemandem. Für verschiedene Personen gelten unterschiedliche Kriterien der Verbindlichkeit: Einer Person gegenüber, die jemand beispielsweise mag oder gut findet, zeigt er sich sehr zuverlässig, einer anderen Person gegenüber dagegen sehr nachlässig, obwohl beiden gegenüber objektiv die gleiche Ver­

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pflichtung (universelle Norm) bestünde.

So tun Tschechen viel einer anderen, ihnen wertvollen Person zuliebe. Das ist im beruflichen Bereich aufgrund der mangelnden Trennung in Person und Rolle (vgl. 4.5.) selbstverständlich der sympathische Chef oder die sympathische Chefin oder es sind angenehme Kollegen.

Dem sozialen Klima und der Festigung der Beziehung besonders zuträglich sind dabei u.a. folgende Motivationsfaktoren: • Dank; kleines Geschenk; • Interesse / Aufmerksamkeit gegenüber der Person; • finanzielle Belohnung / guter Preis / gute Bezahlung (Emstnehmen des Nach­ holbedarfs); • Anerkennung und Lob durch den Partner, Überraschten-Können des Partners mit der eigenen Leistung; Bewunderung für die Qualität der geleisteten Arbeit; • Ermöglichen einer attraktiv erscheinenden Chance. Dann ist mit maximalem Einsatz und maximaler Bereitschaft - u.U. bis hin zu Op­ ferbereitschaft - zu rechnen.

Deutlich verpflichtend wirken freundschaftliche Beziehungen: • Kameraden, Freunde und Familienmitglieder helfen einander gerne, wenn sie können. Es herrscht ein Geben und Nehmen kleinerer und größerer Gefallen. Und natürlich gilt jetzt: „Für einen Freund nur das Beste.“ Ein Freund gilt mehr als irgendjemand oder auch irgendein Kunde und er bekommt daher die wirk­ lich optimale Lösung angeboten, denn sonst müsste man sich vor sich selbst und vor der Mitwelt schämen. • Das Vertrauen ist dabei sehr groß. Wenn ein Freund einem Freund sagt, dass er für ihn etwas macht, dann kümmert sich der, der diese Zusage erhalten hat, u.U. gar nicht mehr um diesen Vorgang. Mit der Zusage empfindet er die Sache be­ reits als erledigt. Auf einen Freund kann man sich verlassen.

1 c) Identifikation mit der Sache Tschechen zweifeln nur dann ihre Arbeit, ihr Ziel und ihren Weg (kurz: die Struktur) nicht an, wenn sie davon selbst überzeugt sind. Das ist der Fall, wenn ihnen klar ist, dass etwas wirklich wichtig und richtig ist. Dann tun sie, was sie können. Der motivierendste Faktor ist dabei neben dem Eigeninteresse (vgl. la) die eigene Einsicht, dass eine Sache auf eine bestimmte Art hervorragend (zu ma­ chen) ist und dass daher bei der Wahl zwischen verschiedenen Wegen, der be­ schrittene tatsächlich der beste ist. Dieses Gefühl der Wahlfreiheit zwischen ver­ 134

schiedenen Wegen und der selbstbestimmten Entscheidung dafür ist für eine Iden­ tifikation mit der Sache unabdingbar. Manchmal sind Tschechen daher für eine Idee, eine Sache, ein Vorhaben schwerer zu gewinnen als Deutsche. Denn die Per­ son muss wirklich überzeugt (!) sein, eine Sache einzusehen, ist zu wenig.

2 ) Externale Kontrolle in den sonstigen Fällen Wenn nun die soeben geschilderten Umstände nicht zutreffen, dann herrscht wirk­ liche Unzuverlässigkeit, denn Regeln oder Vereinbarungen fühlen sich Tschechen nicht verpflichtet. Gleichgültigkeit oder Desinteresse sind dominierend. Keiner hat kein Interesse, sich um Dinge zu kümmern, von denen er selbst oder seine Arbeit nicht direkt betroffen ist oder die keine Belohnung oder Sanktion mit sich bringen. Es bedarf dann eines großen Aufwands an Instrumenten der extemalen Kontrolle von zeitlichen Follow-ups, über dauerndes inhaltliches Nachhaken bis zur Ein­ schaltung bedrohlich wirkender Hierarchiestufen oder der Anwendung von Sank­ tionen. Der Verweis auf Normen zur Begründung von gewünschten Verhaltens­ weisen genügt nie.

Mit der extemalen Kontrolle auf der Sachebene hängt es auch zusammen, dass in Tschechien Holschuld die Normalität zwischen Kooperationspartnern und hierar­ chischen Rängen ist: • Tschechen geben keine Rückmeldungen über Probleme. Sie sagen es eher nicht, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Sie holen sich keine Hilfe in Schwierig­ keiten. Sie setzen vielleicht Signale, denen derartige Botschaften zu entnehmen wären (vgl. Kulturstandard „Starker Kontext“ 2.6.), aber es liegt allemal am je­ weils anderen, die Initiative zu ergreifen. • Während des improvisierenden Arbeitens ist es oft so, dass kein Kollege sich mit anderen abspricht oder berät, sondern dass jeder sich auf sich selbst verlässt. Er sagt nichts bezüglich der Schwierigkeiten, denen er sich gegenüber sieht: Es wird ihm schon etwas einfallen. Und weil das jeder so macht, ist jeder selbst verantwortlich, seine Schwierigkeiten und Probleme zu lösen. • Für eine Führungskraft bedeutet Holschuld, dass sie in der Regel wirklich viel mehr external kontrollieren muss. Es ist ihr Fehler, wenn sie den Mitarbeitern keine klaren Prioritäten setzt oder wenn sie von Störungen nichts weiß, denn sie hat sich bei ihren Mitarbeitern auf dem laufenden zu halten. Sie hat sich um „das Management“ zu kümmern, nicht der Mitarbeiter.

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4.4.1.2.

Der (westdeutsche Kulturstandard „Regelorientierte Kontrolle“

Definition:

Deutsche haben eine starke Identifikation mit der eigenen beruflichen Tätigkeit. Sie nehmen ihre Arbeit, ihre Rolle, ihre Aufgabe und ihre damit verbundene Ver­ antwortung sehr ernst. Zunächst einmal planen, organisieren, strukturieren sie. Das tun sie in der Über­ zeugung, dass so die Aufgaben am besten bewältigt werden können (vgl. Auf­ wertung von Strukturen). Dass diese Strukturen nun in die Tat umgesetzt werden, hat eine zentrale Voraussetzung, die der Inhalt dieses Kulturstandards ist: Alle Beteiligten haben verlässlich zu sein. Eine Sache ist organisiert und jetzt wird von allen erwartet, dass sie sich korrekt an die Vereinbarungen oder Vorgaben halten und ihre Aufgabe erfüllen. Nur in diesem Zusammenspiel aller funktioniert das System. Das bedeutet, dass alle den im jeweiligen Kontext vorhandenen Normen, Systemen, Strukturen Folge leisten. Sie orientieren ihr Verhalten an den abstrakten und allgemein gültigen, d.h. von konkreten Personen und Situationen unabhängi­ gen Regelungen.

Deutsche betrachten es als notwendig: • • • • • •

sich im beruflichen Feld an Kompetenzen und Rollen zu halten; Absprachen, Vereinbarungen, Zusagen und Versprechen einzuhalten; Entscheidungen durchzufuhren; Vorgaben exakt einzuhalten; zeitliche Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu zeigen; den eigenen Handlungsspielraum als Verantwortungsspielraum wahrzunehmen und aktiv die nötige Initiative zu ergreifen.

Geschieht das, gilt jemand als zuverlässig, korrekt, gewissenhaft und er ist ein ge­ schätzter Mitarbeiter oder Kollege. Er verdient Vertrauen.

Diese Verlässlichkeit wird nun nicht vorrangig dadurch erreicht, dass es extemale Instanzen gibt, die überall kommandieren und kontrollieren, sondern dass jeder an seinem Platz aus sich heraus das tut, was von ihm erwartet wird. Tschechen for­ mulieren das so: „Deutsche machen vieles ohne ersichtlichen Zwang dazu.“ Der Handelnde hat nämlich gar nicht mehr das Gefühl, dass sein Handeln andere von ihm erwarten, sondern es ist ihm selbstverständlich, das zu tun. Er hat sich im Pro­ zess der Planung, der Strukturierung oder als er die Stelle antrat, damit bereits 136

identifiziert. Im Fachbegriff spricht man von „internalisierter Kontrolle“: Per Ein­ sicht in die „Notwendigkeit“ bzw. Optimalität bestimmter Regelungen oder Ver­ fahrensweisen kontrolliert sich ein Individuum weitgehend selbst. Es hält sich da­ bei entweder an vorgegebene Normen oder an selbst erstellte Pläne. Bei Verstößen oder Störungen kommt es daher nicht nur zu Konflikten mit einer Kontrollinstanz, z.B. dem Chef, sondern zu internen Konflikten und zu Gewissenskonflikten, weil man mit sich selbst unzufrieden ist.

Weil hier Strukturen, Normen, „Objektives“ internalisiert werden, besteht die deutsche Zuverlässigkeit gegenüber der Sache (vgl. Sachorientierung)! Die Bezie­ hungen, die zu den beteiligten Personen existieren, beeinträchtigen oder fördern die gezeigte Gewissenhaftigkeit normalerweise nicht. Ob der Chef sympathisch ist oder nicht, ob sich Kollegen miteinander wohl fühlen oder nicht - ein Mitarbeiter hat seine Aufgabe zu erledigen. Und er will das auch, denn er findet die Sache im Prinzip gut, sonst wäre er nicht an dieser Stelle und nicht in diesem Job. Das Pflichtbewusstsein gilt somit in erster Linie den konkreten Vorgaben, die Loyalität der Firma, bei der jemand (gerade) arbeitet. Auch das eigene, subjektive Wohlbefinden ist hintan zu stellen: Ob jemand Lust hat oder nicht, ob jemand gerade von Problemen heimgesucht ist, die ihm viel Energie ab verlangen, ob es jemandem sehr viel Mühe ab verlangt oder Spaß macht, spielt keine Rolle: Er hat die Selbstdisziplin aufzubringen, sein Bestes zu geben. Denn er hat Ja gesagt zu dieser Vereinbarung oder dieser Stelle und nun steht er in Pflicht und Verantwortung. Als Gegenleistung wird er ja auch dafür bezahlt. Selbstdisziplin und Härte zu sich selbst sind die Innenseite der Gewissenhaftigkeit. Deutsche lieben keine Ausnahmen. Zu der bislang beschrieben Funktionalität von Strukturierung und Internalisierung gesellt sich eine weitere - soziale - Bedeutung: Deutsche assoziieren mit „gleichen Normen“ für alle auch „Gerechtigkeit“, d. h. gleiche Behandlung für alle hinsichtlich der Chancen und Rechte, aber auch der Sanktionen. Ausnahmen, Sondervereinbarungen, Abweichungen „bevorzugen“ aus deutscher Sicht den, dem sie zugestanden werden. Und das halten sie „im Prinzip“ für unfair. Wenn Ausnahmen gemacht werden, dann bedarf es dazu einer zwingend einsichtigen Begründung oder der zuverlässigen Einschätzung der betreffenden Person als sehr verantwortungsbewusst, was garantiert, dass sie sich sonst selbstverständlich an die Normen hält.

Darstellung:

Die Internalisierung wird grundgelegt im gesamten Sozialisationsprozess. Deut­ sche lernen es dabei von klein an, „gewissenhaft“ und sich zunehmend selbst re­ gulierend an Normen zu halten, die Erziehungsinstanzen vorgeben bzw. vorleben. In der Erziehung spielen Einsicht, Überzeugen und Vernunft sowie Erklärungen, 137

die Ge- und Verbote nachvollziehbar machen, eine große Rolle. „Konstruktive Kritik“, nicht Strafen sind die Sanktionen. Auch Eltern fühlen sich an ihre Verein­ barungen mit den Kindern gebunden und setzen sich nicht leichtfertig darüber hinweg („Versprochen ist versprochen“). Während der schulischen und berufli­ chen Laufbahn werden dann auch nur die erfolgreich sein, die zu einer gewissen­ haften (d.h. internalisierten) Erfüllung der an sie gestellten Anforderungen - seien sie nun explizit als Regeln und Normen oder implizit als Bestandteil von Kompe­ tenzen und Aufgaben geregelt - in der Lage sind, weil diese Systeme auf Eigen­ verantwortung basieren. Was aber heißt Selbständigkeit und Eigenverantwortung im Beruf? Zusammenge­ fasst lässt sich das folgendermaßen darstellen: 1) Mentale Übernahme und Internalisierung der in Plänen und Normen oder in (gemeinsamen) Entscheidungen festgelegten Intentionen, Aufgaben und Re­ geln; 2) eigenverantwortliche Erfüllung dieser Leistungserwartungen in vollem Um­ fang; 3) unaufgeforderte, selbst initiierte Einleitung von geeigneten Abhilfemaßnahmen bei Störungen; 4) Aufnahme von expliziten Gesprächen mit dem Vorgesetzten oder einschlägi­ gen Gremien bzgl. gravierender Barrieren, gewünschter Änderungen, mögli­ cher VerbesserungsVorschläge oder Korrekturen etc., wenn dies als sinnvoll und effektsteigemd erachtet wird. Nach außen ist bezüglich der Selbständigkeit und Eigenverantwortung die Ein­ haltung der Rolle essentiell. Das heißt beispielsweise:

• Eine Person benimmt sich (je gehobener um so mehr) höflich, bewahrt Haltung, bleibt korrekt. • Sie füllt ihren Kompetenzbereich aus, d.h. hält einerseits ihre Grenzen ein, nutzt aber andererseits den Spielraum, den sie hat, aus. Beispiele: (a) Einer, der neu ist, hat sich an seinem Arbeitsplatz von sich aus in die verschiedenen Vorgänge einzuarbeiten, (b) Ein Mitarbeiter ist in der Lage, sich seine Arbeit selbständig nach Prioritäten einzuteilen, die die Belange der Firma widerspiegeln, (c) In Grenzfällen (z.B. bei der Qualitätskontrolle eines Werkstücks, das sich hin­ sichtlich seiner kritischen Messwerte im Grenzbereich der Akzeptanz befindet), befolgt der Zuständige eigenverantwortlich nicht „den Buchstaben des Geset­ zes“, sondern entscheidet „im Sinne der Regel“. Deutsche nennen das: Ein ver­ antwortungsbewusster, motivierter Mitarbeiter denkt mit und denkt weiter und leistet nicht gedankenlos „Dienst nach Vorschrift“. • Mitarbeiter sollen von sich aus nach Verbesserungen und Optimierungen zu streben. „Stillstand ist Rückschritt“, denn „die Konkurrenz schläft nicht“. 138

• Wurden gemeinsame Entscheidungen oder Vereinbarungen herbeigeführt, dann gehen alle davon aus, dass jeder der Beteiligten ab jetzt weiß, was zu tun ist. Sie verlassen sich darauf und fragen oft nicht mehr nach. Gesagt - getan. (Ein Nach­ fragen könnte sogar beleidigen, weil damit jemandem implizit gesagt wird, dass er nicht für zuverlässig genug gilt, sein Wort zu halten.) • Termine sind einzuhalten. Das ist eine sehr tiefsitzende Norm. - Wenn ein Chef einen Mitarbeiter nach denkbaren Terminen fragt, bis wann dieser glaubt, etwas fertigmachen zu können, dann ist diese Frage sehr emst gemeint. Dem Mitar­ beiter wird zugestanden, dass er der beste Experte für sein Gebiet ist und daher einen realistischen Termin nennen kann. Vielleicht wird dieser Termin noch aufgrund der Einflüsse, denen der Chef unterliegt, etwas variiert (z.B. müssen Rahmentermine berücksichtigt werden), aber die Erwartung besteht jetzt ver­ bindlich, dass der gemeinsam vereinbarte Termin, zu dem das Jawort des Mit­ arbeiters eingefordert wurde, vom Mitarbeiter gehalten wird. • Einwandfreie Arbeitsleistungen sind zu erbringen. Und damit sie erbracht wer­ den kann, investieren Deutsche durchaus Geld und Zeit in Ausbildung. Aber dann muss die Investition Früchte zeigen. • Mitarbeiter wenden sich an den Chef, wenn sie auf etwas stoßen, was in dessen Aufgaben- oder Entscheidungsbereich fällt. Ansonsten führen sie ihre Aufgaben selbständig aus (eigener Kompetenzbereich). Und der Chef erwartet das auch so. • Lange Arbeitszeiten werden in Führungspositionen und für karrierewillige Auf­ steiger selbstverständlich vorausgesetzt: Die Aufgabe ist zu erfüllen, nicht die Arbeitszeit und dazu wird ein hohes Engagement und viel Einsatzbereitschaft erwartet. Als Leistungsträger eines Unternehmens rangiert der Beruf an erster, mindestens hervorragender Stelle im Leben - je höher die Position um so mehr. Deutsche erscheinen diszipliniert und relativ hart gegenüber sich selbst und be­ schreiben sich auch selbst so:

• Es Herrscht die Überzeugung, dass Anstrengung zum Erfolg führt. - Die Kehr­ seite wird aber auch als überwiegend zutreffend erachtet: Nur wer sich an­ strengt, hat Erfolg. Ohne Pflichtbewusstsein, ohne Standhaftigkeit und Durch­ haltevermögen ist Erfolg nicht möglich. Wenn eine Arbeit aufwendig oder un­ angenehm wird, dann ist sie trotzdem auszuführen. Hartnäckig zu sein - gegen­ über sich und anderen - nützt der Zielerreichung. • Wer in Zeitverzug kommt, muss eben mehr arbeiten, um die Zeit wieder aufzu­ holen oder sich (beim Chef, bei Kollegen usw.) Hilfe holen. Andere Beteiligte (Kunden, Chef, Kollegen) verlassen sich nämlich darauf, dass jeder sich seine Zeit selbst richtig einteilt. (Vgl. Konsekutivität) • Ehrlichkeit ist sehr hoch geschätzt. Ausreden werden nicht akzeptiert und füh­ ren zu Ärger und Aggressionen. 139

• Ein Schuldeingeständnis und eine Entschuldigung ist ein Wert in Deutschland: Jetzt kann weitergearbeitet werden, weil das Ziel und die Regeln als anerkannt betrachtet werden. Die Person erweist sich als verantwortungsbewusst und auf dieser Basis kann nach einer Lösung für die Blockade gesucht werden. Nun kann sie evtl, sogar menschlich rücksichts- und gnadenvoller behandelt werden. • Lernen aus Fehlern, indem man auf sie hingewiesen wird, hat in der Logik der Internalisierung einen besonderen Stellenwert. Die verletzten (Selbstwert)Gefühle des Lernenden werden in Kauf genommen, um einen besonders nachhaltigen Lemeffekt zu erzielen („Das vergisst der nicht mehr.“), denn nie­ mand mag es, unzuverlässig, schlampig oder inkompetent zu erscheinen. Das wird ihn anspomen, sich das nächste Mal mehr anzustrengen. Und dann müssen Fehler ausgebessert werden - das ist mühsam und macht keinen Spaß, aber es dient der Sache. All das gilt als zuverlässig und wünschenswert. Und Deutsche inszenieren manchmal kleine Tests in punkto Zuverlässigkeit. Wer sich hier als regel- oder vereinbarungstreu und erweist, gilt er als vertrauenswürdig und erfährt fortan die Behandlung als guter Kollege bzw. Bekannter. Zur Logik der „internalisierten Kontrolle“ gehört auch die sog. Bringschuld'.

• Die deutsche Erwartung, wenn Schwierigkeiten auftreten, beschrieben die In­ formanden mit den Redewendungen „Angriff nach vorne“ und „melden macht frei“. Das bedeutet: Wenn jemand in der Erfüllung seiner Aufgabe an Barrieren stößt, dann ist es seine Pflicht, das denjenigen von sich aus mitzuteilen, die da­ von ebenfalls betroffen sind. Diese Personen - ob Chef, Kollegen, Kunden, Ge­ schäftspartner - sind zu informieren und auf die zu erwartende Störung auf­ merksam zu machen. Es gilt jetzt mit ihnen das Gespräch über das weitere Vor­ gehen zu suchen. So ist es möglich, rechtzeitig entsprechende Maßnahmen ein­ zuleiten, die alle Betroffenen berücksichtigt und das Problem minimiert. Das mag zwar peinlich sein, zumal wenn ein eigener Fehler vorliegt. Doch dieses Vorgehen ist gleichbedeutend mit Rücksichtnahme auf die Arbeitspartner und heißt (wenn es nicht dauernd vorkommt) keineswegs, dass die betreffende Per­ son unfähig ist. Im Gegenteil, ein solches Verhalten‘gilt als gewissenhaft und das einzig problemlösende. Ehrlichkeit bei Schwierigkeiten und das Eingeste­ hen von (gelegentlichen) Fehlern zeugt von hohem Verantwortungsbewusstsein, von Selbstbewusstsein und von Verlässlichkeit. Benennt jemand ein Problem nicht (sondern „vertuscht“ es), dann zieht er großen Ärger auf sich, weil alle sich auf die Absprachen verlassen haben und nun ihrerseits mit Selbstdisziplin und Gewissenhaftigkeit ihren Part verfolgen. Was sie das an Energie und Kräf­ ten kostet, bricht sich in Aggression Bahn, wenn das Problem erst zum Schluss bekannt wird und die Konsequenz nicht mehr abzuwenden ist. Wenn also z.B. die Qualitätseinbuße da ist oder der Terminverzug nicht mehr aufzuholen ist. 140

• Diese Bringschuld kann so selbstverständlich sein, dass manche deutsche Chefs ihrerseits gar nicht nach Problemen fragen. Sie gehen vielmehr - auf funktionie­ rende, regelorientierte, internalisierte Kontrolle bauend - davon aus, dass alles läuft, wie es soll, solange sie nichts Anderweitiges hören. Sie rechnen mit der Eigeninitiative der Mitarbeiter, dass diese bei Störungen auf sie zukommen würden. Deutsche Chefs sehen mitunter eine wesentliche Managementaufgabe darin, zunächst einmal viel Freiraum zu geben und dann einzugreifen, wenn der Mitarbeiter alleine nicht mehr weiterkommt. Das verstehen sie unter Delega­ tion.

4.4.1.3.

Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstan­ dardpaares „Personorientierte Kontrolle - regelorientierte Kontrolle“

Der Definition des Kulturstandardpaars „personorientierte Kontrolle versus regel­ orientierte Kontrolle“ ist es inhärent, dass Regeln in oder außer Kraft gesetzt wer­ den, je nach Motivation. Wie zu sehen war, sind die Oszillationen der Tschechen hier sehr groß. Es war möglich, die Bedingungen zu benennen, wann Tschechen sich regelorientiert verhalten und wann nicht. Das Ausmaß der Mischungsanteile der Polaritäten hängt dabei von den beteiligten Personen ab, also vom zu erlan­ genden eigenen Vorteil, vom Grad der Identifikation mit der Sache und von der Beziehung zu der Person, der gegenüber die Verpflichtung besteht. Das Pendeln der Deutschen ist viel geringer:

• Je nach Firma, Hierarchierang, konkreter Person und konkreter Situation findet sich auch bei Deutschen Nachlässigkeit: Beispielsweise bei Geburtstagsfeiern im Betrieb oder langen Besprechungen liegt das Zeitmanagement mitunter im argen. • Aber ein unmotivierter Deutscher nimmt sehr wahrscheinlich die Haltung des „Dienst nach Vorschrift“ ein, das heißt, er erfüllt gerade das Mindestmaß seiner Aufgaben. Und das ist immer noch soviel, dass die Aufgaben nicht zum Erlie­ gen kommen. • Auslandsentsandte in Tschechien scheinen oft geradezu ausschließlich für ihre Arbeit zu leben. Die Entsendung betrachten viele als ein Sprungbrett für ihre Karriere und daher bemühen sie sich ganz besonders. Zudem haben nur wenige ihre Familie in die tschechische Republik mitgebracht. Auf sie wartet demzu­ folge zuhause niemand und es ist egal, wie lange sie im Betrieb bleiben. Das ist ein situativer Aspekt, der aber einen deutlichen Einfluss auf das Verhalten der Expatriates hat: Viele sind noch gewissenhafter und fleißiger, als sie es zu Hau­ se wären.

141

Die grundsätzliche Erwartung heißt: Pflicht- und Verantwortungsgefühl ist zu zei­ gen. Das ist der Maßstab für Engagement und Vertrauenswürdigkeit und daran hängt die berufliche Anerkennung. Der deutsche Kulturstandard „regelorientierte Kontrolle“ ist eine deutliche Normsetzung mit moralischer Färbung. Die bereits erwähnte Vermischung Sach- und Personbezug (vgl. 4.1.2.3.) ist es, die hier beim Kulturstandard „regelorientierte Kotrolle“ eine große Rolle spielt. Die geschilderte Psychodynamik, mit der Deutsche für eine Sache unter Einhal­ tung der Strukturen arbeiten, legt den Tiefgang deutschen Engagements offen. Sachorientierung ist keinesfalls mit „Oberflächlichkeit“ und „Gefühlslosigkeit“ gleichzusetzen, sondern bedeutet für eine motivierte Person große Identifikation und hohes Engagement. Das erklärt, weswegen es bei Deutschen immer wieder zu für Tschechen überraschenden Gefühlsausbrüchen kommt:

• Die Gefühle (Personbezug), die Deutsche während der Arbeit haben und zeigen, sind vornehmlich solche, die das Engagement der Person, ihre Ernsthaftigkeit und ihren Leistungswillen unterstreichen. Das ist ab und zu Begeisterung, überwiegend Druck, Durchhalten, Disziplin, aber auch Unzufriedenheit oder Är­ ger über Störungen und Ungenauigkeiten. Störungen verursachen aufgrund der hohen Identifikation mit der Aufgabe bei eigenen Fehlern Unzufriedenheit mit sich selbst, bei Fehlern anderer Ärger über diese, wenn sie offensichtlich nicht dieselbe Disziplin aufgebracht haben. Und diesen schlechten Gefühlen wird nun - je gravierender sie empfunden werden, umso mehr - Ausdruck verliehen. So ist zu erklären, weswegen Deutsche oft als „Miesepeter“, d.h. unzufrieden, kriti­ sierend, aggressiv erlebt werden. • Die oben geschilderte Bringschuld gewährleistet, dass bei auftauchenden Hin­ dernissen die Handlung auf der Sachebene weitergeführt werden kann und die Beziehung zum Arbeitspartner nicht zerstört wird. Denn durch die rechtzeitige Information wird er insofern respektiert, als ihm z.B. überflüssige Arbeit oder Folgeprobleme wie das Verhindern seiner Zielerreichung, das Umorganisieren diverser Vorhaben oder die Zerstörung anderer Pläne usw. erspart bleiben. Tschechen weisen aber auf die Barriere nicht hin, sondern rechnen damit, dass (a) der Verlauf sowieso anders als geplant sein wird, dass (b) jeder der Partner individuell improvisieren wird, und, dass (c) die Verantwortung für die Lösung seiner Probleme jeder selbst trägt. Es geschieht also nichts, was für Deutsche wahrnehmbar wäre und die Handlung gerät in alle nun folgenden Schwierig­ keiten in vollem Ausmaß. Das führt zu großem Ärger auf Seiten der Deutschen. Ihre Art, Rücksicht auf eine andere Person zu nehmen, heißt nämlich: Vereinba­ rungen zu halten unter großer Selbstdisziplin und eventuell sogar unter Inkauf­ nahme von Unannehmlichkeiten. • Deutsche nehmen ihre Arbeit ernst. Manche identifizieren sich so sehr mit ihrer Aufgabe, dass sie unter Opfern und zum Teil unter Hinnahme persönlicher

142

Nachteile alles tun, was in ihrer Macht steht, um ihre Aufgabe zum Erfolg zu fuhren. Dieses Phänomen war im Datenmaterial in der Form von beruflich überaus engagierten Menschen, die für ihre Aufgabe leben, sowie in der Form von Engagement für Ideale wie Umweltschutz oder Gesundheit auffindbar. Die Handelnden wirkten dabei auf Tschechen übertreibend und missionierend, fast fanatisch. Ein Interviewpartner nannte diese Kollegen „Überzeugungstäter“. Aufgrund des Verständnisses des Kulturstandards „regelorientierte Kontrolle“ ist ihr Verhalten so zu interpretieren: Sie arbeiten hart für eine gut gemeinte Überzeugung. Ihnen geht es auf dem Umweg über das sachliche Ideal (Sachbe­ zug) letztlich um die Menschen (Personbezug), z.B. Arbeitsplätze zu erhalten, am Wirtschaftsaufbau mitzuwirken, die gesundheitlichen Bedingungen zu verbessern, kommenden Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen etc.. Weil sie ihre Ideale aber in eine derartige sachorientierte und kompro­ misslose Disziplin gewanden, ist es Tschechen nicht möglich, die menschlich hehren Absichten zu erkennen.

4.4.2.

Die dynamische Perspektive

4.4.2.I.

Vernetzung der Kulturstandards

Das Kulturstandardpaar „personorientierte versus regelorientierte Kontrolle“ steht in engem Zusammenhang mit dem Kulturstandardpaar „Personbezug - Sachbe­ zug“ und dem Kulturstandardpaar „Abwertung von Strukturen - Aufwertung von Strukturen“ sowie dem Kulturstandardpaar „Simultanität - Konsekutivität“. Es stellt nämlich die Dynamisierung des Kulturstandardpaares „Abwertung - Auf­ wertung von Strukturen“ dar, indem es definiert, wie das Kulturstandardpaar „Per­ sonbezug - Sachbezug“ die „Abwertung bzw. Aufwertung von Strukturen“ und die „Simultanität - Konsekutivität“ aktiviert: Deutsche setzen die Sache per Struktur in Handlungsschritte um und stellen durch die „regelorientierte Kontrolle“ über die Internalisierung der (Teil)Schritte sicher, dass die Akteure nun analog der Struktur handeln. So wird die Struktur ein­ schließlich der zeitlichen Dimension zum Funktionieren gebracht. Tschechen orientieren sich auf der Sachebene ebenfalls an einer Struktur von Handlungsschritten (wer sie auch immer festgelegt hat) zur Zielerreichung, werten diese aber personorientiert auf oder ab und setzen sie damit mehr oder weniger in (Teil)Handlungen um. In wieweit eine Aufwertung erfolgt, hängt davon ab, wie motiviert jemand als Individuum ist (Ausmaß des persönlichen Vorteils), wie die 143

Qualität der Beziehung zwischen den Partnern ist (Grad der Verpflichtung gegen­ über konkreten Positionsinhabem innerhalb der Struktur, aber auch anderen Per­ sonen), wie hoch die Identifikation mit der Sache ist (Akzeptanz oder Reaktanz). Diese drei Faktoren priorisieren außerdem je einen Handlungsstrang vor simulta­ nen anderen.

4.4.2.2.

Kultureller Wandel im Transformationsprozess

Das Handeln hatte sich im Sozialismus am System, an der Partei und ihren Nor­ men zu orientieren. Das führte zu einem JSystemkonformismus“, d.h. zu tun, was verlangt wurde. Man musste sich mit dem System arrangieren und rationalisierte das aus gutem Grund mit allen möglichen Befürchtungen (sonst bekommen die Kinder keinen Studienplatz, ich keine Beförderung, wir keine Wohnung etc.). So entwickelte man ein ausgeprägtes Sensorium für Erwartungen von außen und gab sich dann so konform wie nötig. (Manches Mal freilich konnte man die bestehen­ den Verhältnisse auch geschickt für den eigenen Vorteil nützen.) Die Anpassung an und die Unterwerfung gegenüber den Autoritäten des Systems mündete im So­ zialismus in einen .^Autoritätskonformismus^. Gegenüber Behörden oder „Re­ spektpersonen“ trat man besser angepasst, scheu und zurückhaltend auf. Man lernte, welche Meinung gefragt war und zeigte sich nach außen mit dieser Mei­ nung konform. Aber: Der gezeigte Konformismus war weithin eine Scheinanpas­ sung, denn eine Identifikation mit dem System und den ideologischen Werten fand nicht statt. Im Gegenteil! Man tat lediglich dem Anschein nach so, als ob man mitmachte, verfolgte aber, wo es ging, seine eigenen Ziele und Interessen.

Im Sozialismus entwickelte sich außerdem ein Phänomen, das mit „Handlungs­ blockade“ bezeichnet werden kann: das Fehlen der Initiative zu verantwortlichem, eigenständigem oder problemlösendem Handeln, obwohl auf kognitiver Ebene klar ist, worin das Problem besteht und wie es zu lösen wäre. Aber die Kognition hat kein aktives Handeln zur Folge und Handlungsspielräume bleiben ungenutzt, wenn keine konkrete Anweisung erfolgt. Der Hintergrund, der ein solches Ver­ haltensmuster entstehen ließ, war ein Machtsystem, das seinen Totalitarismus in einer vormundschaftlich-fürsorglichen Art ausübte und die resultierende Unselb­ ständigkeit als soziale Sicherheit glorifizierte. Menschen, die sich einmischten, Fragen stellten, Vorschläge machten waren unerwünscht und wurden dafür mehr oder weniger sanktioniert. Gelobt wurde derjenige, der seine ihm aufgetragene Arbeit verrichtete, ohne über die Grenzen seines Auftrags hinauszugehen. „Moti­ vation war gleichbedeutend mit Bestrafung“, erklärte ein Interviewpartner, denn positive Anreize gab es nicht. Es manifestierte sich damit eine Art generalisierter, „erlernter Hilflosigkeit“ in diesem weithin entmündigenden System, das Initiative öfters bestraft, statt gefördert hat, das Initiative aber sicher unerwünscht - weil potentiell störend - erscheinen ließ. Abschieben von Verantwortung und Passivität 144

waren durchaus tragfähige Überlebensmodelle. Das Umschalten von kognitiver Problemanalyse zu aktivem Handeln setzt nämlich voraus, dass man entspre­ chende Gestaltungsfelder hat. Aber dafür waren oder schienen die Widerstände denn doch zu groß. Jeder erledigte also nur seinen engumgrenzten Bereich und was darüber hinaus ging, interessierte ihn nicht. Darum sollte sich eine übergeord­ nete Instanz kümmern. Allenfalls verwandte man Mühe darauf, zu erklären, wa­ rum man nicht gehandelt und den Plan nicht erfüllt hat. „Wissen Sie, bei uns war immer der der Beste, der erklären konnte, wie es nicht geht. Wenn er gesagt hat, wir können das und das nicht machen, weil das und das eingetreten ist und das könnte noch eintreten oder noch kommen, dann war das der beste Mann in dem Arbeitsbereich.“

Als charakteristisch für ein solchermaßen geprägtes Verhalten nannten die tsche­ chischen Respondenten:

• Es fehlt an Bereitschaft zur Verantwortungsübemahme für die anvertrauten Aufgaben: ■ Man klagt, aber unternimmt nichts, den Missstand zu beheben. ■ Fehler werden weder aufgezeigt noch behoben. ■ Ein Motto heißt: „Lieber abwarten, was passiert“ als selbst handeln. ■ Man sieht bei Passivität nicht, welche Konsequenzen sie haben kann. ■ Ein Ziel ist es nicht selten, wichtige Aufgaben loszuwerden und zu verschie­ ben. • Nur auf Vorgaben des Vorgesetzten hin wird gehandelt. Selbst bei Problemen im eigenen Arbeitsfeld soll der Chef sagen, was zu tun sei. • Oft besteht zu wenig Identifikation mit der Arbeit und zu wenig Stolz auf gute Ergebnisse. • Es herrscht wenig Freude an hochwertiger und gut ausgeführter Arbeit. • „Alibismus“ spielt eine große Rolle. Darunter verstehen Tschechen „keine Lust zur Übernahme der Verantwortung für die eigene Meinung“ sowie „keine Lust zur Suche nach einer eindeutigen Lösung“. Lange Diskussionen dienen dem Ausweichen, dem Zeitgewinn und dem Sich-Drücken. • Tendenziell besteht nur unzureichende Selbstkontrolle und wenig Bereitschaft, „ohne Peitsche“ zu arbeiten. • Selbst Führungskräfte erledigen ihre Arbeit oft nur „theoretisch“ bzw. formal, d.h. per Erlasse vom Schreibtisch aus, ohne sich dann um die Umsetzung zu kümmern. • Fremdes Eigentum wird geringgeschätzt und man geht mit ihm daher nachlässig um. Der Sozialismus hat somit das Muster der extemalen Kontrolle auf einer offiziel­ len und formellen Ebene gefordert und gefordert. 145

Bei allen Handlungen und in allen Zusammenhängen hielt man dennoch Augen und Ohren offen, positiv bewertete Chancen, die sich einem auftun, wahrzuneh­ men und sich bietende Gelegenheit zu nutzen. Die Menschen durchbrachen ihre „Hilflosigkeit“ gegenüber den offiziellen Strukturen dann, wenn sich ihnen eine Gelegenheit bot, das System zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil ihrer Angehö­ rigen zu nützen. Dann waren sie das Nutzen der Chance ihren Angehörigen sogar quasi schuldig, wie das geflügelte Wort „Wer nicht klaut, beklaut die eigene Fa­ milie“ zum Ausdruck bringt. Das Nutzen der Chance geschah meist nicht auf dem offiziellen Weg, sondern bedurfte der Ergänzung durch das bereits geschilderte Improvisationstalent.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Das sozialistische System lehrte die Men­ schen nachhaltig: (1) extemale Kontrolle ist normal und erwünscht, (2) extemale Kontrolle ist individuell am sichersten, (3) dabei sind aber die eigenen Interessen sowie die Pflichten gegenüber den Meinen nicht aus den Augen zu verlieren, son­ dern dort zu verfolgen, wo es geht (internale Kontrolle). Inzwischen ist die tschechische Handlungsblockade bei vielen aufgebrochen und es ist auch ihr glattes Gegenteil beobachtbar. Etliche Leute blühen auf unter den neuen Bedingungen und ergreifen ihre Chance. Sie sehen eine Möglichkeit, sich zu verwirklichen, aktiv zu sein, etwas zu bewegen, es zu etwas zu bringen und sie arbeiten viel und hart. Das gilt vor allem für die, die früher nicht genügend wert­ geschätzt wurden und deren Arbeitsbegeisterung dadurch markant gedämpft wur­ de. Diese Menschen handeln weithin internal kontrolliert. In der deutsch­ tschechischen Kooperation, die im momentanen Transformationsprozess oft in einem Know-how-Transfer besteht, heißt das: Tschechen sind ausgesprochen an­ passungsbereit und lemwillig, wenn die neuen Fertigkeiten ihnen gute Chancen bieten, wenn sie also einen persönlichen Nutzen sehen (vgl. la), wenn sie sich in der Zusammenarbeit mit dem Deutschen wirklich wohl fühlen (vgl. 1b) oder wenn sie von der Sache selbst begeistert sind (vgl. 1c). Modellemen ist eine effektive Methode, besonders im handwerklichen und technischen Bereich.

Allerdings gibt es im Zuge des Transformationsprozesses auch neue Barrieren, die eine Initiative weiterhin lähmen: Die Höhe des Gehalts hängt nämlich in erhebli­ chem Ausmaß von der Branche ab, vom Ort des Geschehens (ob Prag oder Pro­ vinz) und davon, ob der Arbeitgeber eine ausländische Firma (höheres Gehalt) oder eine tschechische ist. Wiederum scheint der zentrale Faktor nicht die Leis­ tung zu sein. Marktwirtschaft:

Die Bereitschaft zur Initiative basierend auf einem individuell verankerten Ver­

146

antwortungsgefühl stellt auf der marktwirtschaftlichen Seite den Gegenpol zur Handlungsblockade dar. Sie zeigt sich zum Beispiel so:

• sich (selbstinitiiert) bzgl. seines Arbeitsfeldes auf dem laufenden halten durch Weiterbildung und durch Informationen • Umsetzen von Wissen, Können, Vereinbarungen • Verantwortungsgefühl im eigenen Tun gegenüber der Firma (Firmeninteresse vor Eigeninteresse) • eigene Aktivität, eigene Entscheidungen als Motor (z.B. in der Kundenbezie­ hung aktives Mühen, Nachhaken, Nachfragen, Problemgespräche) • Selbstdisziplin zur Zielerreichung • statt sanktionierender, aktivierende Motivation zur Erhöhung der Einsatzbereit­ schaft (Anreizmotivation) • Bemühen um einen partizipativen Führungsstil, der die Mitarbeiter in die Ent­ scheidungen mit einbezieht • aktive Unterstützung seiner Mitarbeiter als Vorgesetzter aufgrund seiner Posi­ tion und seiner detaillierten Fachkenntnisse • Einsatzbereitschaft von Fach- und Führungskräften • Entwicklung neuer Ideen auf Firmenebene, um sich von den Wettbewerbern abzusetzen und damit geschäftlich überleben zu können.

(West)Deutsche messen dieser Initiative in Form des verlässlichen, selbständigen Ausfullens des individuellen Spielraums geradezu einen enorm großen Stellenwert bei und halten sie für den Motor einer Leistungsorientierung, die von Erfolg ge­ krönt ist. Zudem scheint die Erfolgsorientierung den marktwirtschaftlichen Deutschen Feh­ ler geradezu zu verbieten. „Fehler kann man sich nicht leisten, wenn man im Wettbewerb bestehen will“ - so eine oft wiederholte Aussage. Daher sind sie stän­ dig um eine Optimierung des Produktionsablaufs zugunsten von Qualität und Kosten bemüht und „strukturieren“ dann entsprechend um.

In der Situation des Know-how-Transfers bedeuten diese Erwartungen, dass auf Selbständigkeit hin „erzogen“ werden soll. Das kann heißen, dass diese Erwartun­ gen ganz besonders betont oder von einzelnen Deutschen ostentativ vorgelebt werden. Ab gewissen Managementebenen schlüpfen Deutsche oft von selbst in die Rolle eines gewissen „Vorbilds“: Sie wollen sich bewusst und sichtbar als beson­ ders genau, zuverlässig, zielstrebig, termintreu und zeitlich einsatzbereit zeigen.

147

4.4.3.

Die strategische Perspektive

4.43.1.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Personorientierte Kontrolle“

Der Vorteil dieses tschechischen Musters liegt darin, dass Tschechen ihre Mit­ menschen positiv überraschen können, weil sie mehr tun, als vereinbart wurde und erwartet werden würde. Das ist dann, wenn sie hochmotiviert sind. Ein anderer Vorteil besteht in einer gewissen Großzügigkeit bei Fehlern und Stö­ rungen: Eine unbeabsichtigte Verletzung von Vereinbarungen, Regeln oder Vor­ schriften wird leichter nachgesehen und schneller verziehen. Konsequenzen sind häufig über eine gute Beziehungsebene oder mittels Bekannter zu lösen.

Nachteiligerweise können jedoch auch folgende Konsequenzen erwachsen:

• Freundesdiensten kann die Priorität gegenüber der Verpflichtung für die Firma (z.B. Firmennutzen) eingeräumt werden. • Von Personen, mit denen jemand in einer Outgroup-Beziehung steht, scheut er sich nicht, (kostenlos) zu profitieren (z.B. Know-how), ohne sich zu einer Ge­ genleistung verpflichtet zu sehen. Eine tschechische Experten-Interviewpartnerin betonte, dass in Tschechien die Ethik für Begegnungen im Rahmen der Wirtschaftszusammenarbeit eher nicht mit universellen Spielregeln, wie z.B. Fairness, Chancengleichheit für Bewerber etc., zu beschreiben ist, sondern sich viel mehr aus eigenem Vorteilsstreben und aus Beziehungen nährt. • Manche Hilfeleistung, manches Entgegenkommen und manche Freundlichkeit kann (auch) kalkuliert und dadurch motiviert sein, dass die Hilfe die eigene Po­ sition für die weitere Zukunft verbessert. • Selbst Informationen können im Dienst von Beziehungen stehen: Ein tschechi­ scher Chef sagt die volle Information seinem sympathischen Mitarbeiter, eine Teilinformation einem anderen, aber eine Fehlinformation dem ihm unsympa­ thischen Mitarbeiter - auch angesichts drohender Sanktionen „von oben“.

4.43.2.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Regelorientierte Kontrolle“

Die Vorteile des Kulturstandards „regelorientierte Kontrolle“ liegen darin, dass Deutsche in der Lage sind, Systeme zielsicher und effektiv zum Funktionieren zu 148

bringen, weil sie sich mit ihrer Arbeit identifizieren. - Und das wird von den Tschechen anerkannt, geschätzt und als „professionell“ apostrophiert. Das gilt als positive deutsche Eigenschaft.

Der Nachteil heißt: Übertreibung. Es besteht manchmal überhaupt keine innerliche Distanz mehr zu den Dingen und eine solche Person wirkt gesprächsunwillig, kompromisslos, stur und fanatisch. Ihr Festhalten an der Struktur kann sich umso mehr steigern, wenn sie keinen Erfolg ihrer Bemühungen sieht und zunehmend extremer wird. Manchmal, so ist zu vermuten, fuhrt auch die starke Internalisierung von Vorge­ hensweisen zu einer übertrieben ausgeprägten Überzeugung davon, dass nur der Weg, den die deutsche Seite gehen möchte, richtig ist.

149

4.5.

Kulturstandardpaar: Diffusion von Persönlichkeits- und Lebensbereichen versus Trennung von Persönlichkeitsund Lebensbereichen

Kategorisierende Fragestellung:

Kulturen werden in „spezifische“ und „diffuse“ eingeteilt. Damit wird das Maß der Betroffenheit im Umgang mit anderen Menschen bezeichnet, d.h. es wird er­ fasst, ob man Menschen in bestimmten, spezifischen" Lebensbereichen und As­ pekten ihrer Persönlichkeit begegnet oder ob man ihnen eher ganzheitlich, „diffus^ gegenübertritt. Im ersteren Fall sind die Lebens- und Persönlichkeitsbereiche analog einer biologischen Zellwand relativ undurchlässig und getrennt, im zweiten Fall hochgradig durchlässig. (Trompenaars, 1993) Die kategorisierende Fragestellung heißt daher:

Wie ist die Spannbreite der Betroffenheit?

4.5.1.

Synchrone Perspektive

4.5.1.1.

Der tschechische Kulturstandard „Diffusion von Persönlich­ keits- und Lebensbereichen“

Definition:

Tschechen zeigen deutliche Merkmale der Diffusion. Beobachtbar ist bei ihnen eine Vermischung der Persönlichkeitsbereiche „Emotionalität-Rationalität“ sowie der Lebensbereiche „Beruf-privat“, „Rolle-Person“ und „formelle-informelle Strukturen“ und zwar in allen Stadien von Nähe und Bekanntschaft.

Darstellung: emotional - rational Gefühle, Empfindungen, Stimmungen sind auch im Geschäftsleben spürbar. Der 150

Anspruch, dass hier Rationalität dominieren sollte, besteht weit weniger ausge­ prägt als in Deutschland. So sind beispielsweise Entscheidungen oft von emotio­ nalen Kriterien motiviert und die rationalen stehen erkennbar hintan. Die Fragen nach dem Nutzen für die eigene Person, nach dem zu erwartenden Wohlbefinden oder nach den potentiellen Geschäftspartnern können die Fragen nach den ratio­ nalen Vor- und Nachteilen und der sachlichen Zweckmäßigkeit deutlich auf die zweite Stelle verweisen. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass emotional ge­ färbte Begründungen und Argumente mit rationalen gemischt werden und das­ selbe Gewicht haben. Doch das wird nicht als störend, sondern als wichtig und „ganz normal“ empfunden. So bewegt auch manches, was Deutsche als konstruk­ tive Sachauseinandersetzung wahmehmen, aufgrund derer man bereits aufeinander zugehen könnte, Tschechen noch nicht zu Kompromissen, wenn ihr Gefühl noch skeptisch ist.

Beleidigtsein und Sich-Beleidigen spielt in den Beziehungen am Arbeitsplatz eine große Rolle. So vieles, was für deutsches Empfinden inhaltlich klar der Sachebene angehört und daher mit dem Persönlichkeitsbereich „Rationalität“ bearbeitet wer­ den kann, verletzt in Tschechien die Gefühle der Person. Die Vermischung dieser Sektoren hat u.a. zur Konsequenz, dass es für Tschechen sehr schwierig ist, Kritik und Konflikte zu handeln. Sie fühlen sich nämlich stets als gesamte Person betroffen. Wie mit Konflikten unter diesen Umständen umge­ gangen wird, das ist in einem eigenen Kulturstandard erfasst (vgl. 4.7.).

Beruf - privat

Im Einklang mit der hohen Personorientierung nehmen sich Tschechen mehr Zeit für die Kontaktpflege während der Arbeit. Dabei beschränken sich die Gespräche aber keinesfalls auf berufliche oder berufsnahe Themen, sondern umfassen alles, was die Personen gerade bewegt. Mit Geschäftspartnern geht man natürlich essen - notfalls auf eigene Rechnung. Soviel Zeit und Geld muss vorhanden sein. Während der Arbeitszeit wird nicht immer voll konzentriert gearbeitet, sondern es gibt auch Erholungszeiten. Dafür nimmt sich ein Mitarbeiter u.U. aber auch Arbeit mit nach Hause oder in den Urlaub, weil er sein Pensum nicht geschafft hat. In der Freizeit sprechen Tschechen außerdem viel über die Arbeit und nutzen sie zu be­ ruflich dienlichen (informellen) Kontakten.

Als Auswuchs dieser Haltung gibt es Menschen, die für ihre Privatinteressen die Firma zu nutzen verstehen - ohne Skrupel.

151

Rolle - Person Soziale Rollen werden als einengend empfunden. Man trifft doch auf ganz kon­ krete Menschen, nicht auf reine Funktionsträger - betonen Tschechen. Die gesamte „Persönlichkeit“ ist daher ausschlaggebend für das Verhalten einer Person und die Persönlichkeit des Gegenübers ist entscheidend für die Zukunft der potentiellen Kooperation, nicht nur die Funktionen. So geben Tschechen ihrer beruflichen Rolle eine individuelle Note - mit all den positiven und negativen Seiten als Person, also ihren Eigenarten, Vorlieben, Ab­ neigungen usw.. Die Stimmungsschwankungen, Sorgen, Freuden der Person hinter der Rolle sind deutlicher spürbar. Persönliche Meinungen gelten als durchaus le­ gitime Diskussionsbeiträge und gehen in die Entscheidungen mit ein. Mancher erlaubt es sich auch, seine Rolle beizeiten zu verweigern und nicht zu tun, was aufgrund der Rolle erwartet werden würde. „Ich bin eben so. So muss man mich nehmen.“ lautet die tschechische Begründung. Für manche Tschechen besteht beispielsweise im Chefsein allein der Reiz der Position („Ich bin wich­ tig“), sie vergessen fast zu arbeiten. Bei vielen Entscheidungen sieht ein tschechi­ scher Mitarbeiter nicht nur die Sache, sondern bedenkt seine persönliche Situation mit. Andererseits sind Tschechen auch eher einmal zur Überschreitung ihrer Kompetenz bereit und tun mehr, als sie gemäß ihrer Rolle tun sollten, wenn sie hochmotiviert sind.

In Präsentationen und Vorträgen schätzen Tschechen es, wenn die Person des Redners durchschimmert. Eine Mischung aus persönlichen, sachlichen und lusti­ gen Passagen kommt besonders gut an. Im Chef-Mitarbeiter-Verhältnis fällt auf, dass viele (gute) tschechische Chefs mit ihren Mitarbeitern per Du sind und mit ihnen ein sehr kameradschaftlich anmutendes Verhältnis pflegen. Die hierarchischen Grenzen erscheinen in dieser Hinsicht nicht so scharf gezogen wie bei Deutschen, denn man begegnet sich nicht nur in den entsprechenden Rollen. Die Beziehungen zwischen einem Chef und seinen Mitarbeitern sollen gut sein. Miteinander zu trinken und zu feiern, ist ein Schritt dazu. Lässt sich ein Chef nicht auf diese Beziehungsebene ein, dann muss er sehr großes Fachkönnen haben, um anerkannt zu sein. Nur dann, so formulieren es Tschechen, „verzeihen“ ihm seine Mitarbeiter dieses „schlechte“ persönliche Ver­ halten. - Diese kollegiale Ebene zwischen den Personen beeinträchtigt aber nicht den Respekt vor der Position und der damit verbundenen Rolle! formell-informell

Tschechen vermischen formelle und informelle Strukturen. Informelle Gruppen 152

spielen für sie dabei eine entscheidende Rolle:

Hier genießen sie zum einen die angenehmere Atmosphäre im jeweiligen infor­ mellen Rahmen und nutzen diese Begegnungen als Möglichkeit, gute Beziehun­ gen zueinander zu pflegen. Zum anderen findet hier die tschechische Form von Mitbestimmung statt, denn hier „redet man miteinander“, hier spricht man sich ab, hier herrscht weitreichende Offenheit im Meinungsaustausch. Und eine Führungskraft sucht und findet hier Unterstützung zur Durchsetzung von Entscheidungen, zur Verfugbarmachung von Ressourcen, zur Gewinnung und Ausübung von Macht. In den informellen Kanä­ len werden nämlich die Meinungen der Mitarbeiter erfragt und ausgelotet; hier lassen sich Vorbehalte klären und die Zustimmung zum jeweiligen Vorhaben er­ wirken. Konfrontationen oder Konflikte bei offiziellen Sitzungen lassen sich somit vermeiden, weil ein (guter) tschechischer Vorgesetzter sich in den informellen Ge­ sprächen bereits ein Bild von den Einstellungen seiner Mitarbeiter machen, ihre Vorbehalte minimieren und sich ihre Zustimmung zu seiner Idee holen konnte. Und die Unterstützung seiner offiziellen Entscheidung durch die Mitarbeiter ver­ hindert einen späteren möglichen Widerstand. - Die informellen Vereinbarungen sind somit auch wichtiger als das, was in formellen Meetings geschieht. Das ist quasi nur noch der Vollzug dessen, was man vereinbart hat. Entscheidungsfindungsprozesse laufen in Tschechien charakteristischerweise so:

• In informellen Kanälen werden Entscheidungen vorbereitet. • Entscheidungen werden dann „formell“ auf der entsprechenden Hierarchiestufe getroffen. • Offizielle Gruppensitzungen sind nicht kontrovers, da die entscheidenden Punkte informell vorbesprochen wurden. • Probleme werden in informellen Gesprächen zu bereinigen versucht. - Offiziell kann es den Anschein haben, dass sie totgeschwiegen werden. Auch eine Verhandlung, eine persönlich wichtige Entscheidung, die Klärung einer drängenden Sachfrage wird als einfacher, schneller und angenehmer erlebt, wenn die Beteiligten „bei einem Bierchen“ zusammensitzen. Formelle Kommunikations- und Informationsstrukturen, wie z.B. das Berichtswe­ sen, werden vor allem bei Konflikten, Störungen, Kämpfen eingeschaltet. Wenn alles gut läuft, dann braucht es sie nicht - so die Einstellung. Dann kann ist es ja möglich, „miteinander reden“.

Informell gesagte Informationen sind daher genauso wichtig wie formell geäu­ ßerte. Außerdem rechnet ein tschechischer Mitarbeiter damit, dass die formellen 153

Kanäle ohnehin nicht funktionieren.

Außenstehenden erscheinen diese informellen Kontakte wie „Geheimzirkel“ oder „Seilschaften“. Um so mehr als sie quer durch die Hierarchiestufen, Abteilungen, Firmen, Parteien und weltanschauliche Gruppierungen gehen, denn überall sitzen Kameraden und Freunde. Somit verfugen Tschechen über ein weit verzweigtes informelles Beziehungsnetz, das sie pflegen - und wenn das nur durch eine weih­ nachtliche Grußkarte geschieht. Bereits lockere Kontakte eröffnen Tschechen un­ tereinander viele Chancen. Sie reichen bereits als Basis aus, um sich gegenseitig (kleine) Gefallen zu tun. Der informelle Weg erweist sich in vielerlei Hinsicht als der goldene: • Der berufliche Aufstieg hängt von Beziehungen ab, d.h. von Kontakten inner­ halb der Firma oder Branche. Auch Seniorität spielt eine große Rolle. • Besondere Vorhaben laufen in der Regel über Beziehungen, d. h. über Bekannte oder über Personen in höheren und jeweils nützlichen Positionen oder über ein­ deutig ausgewiesene Vermittler. • Auch mit Behörden und „offiziellen Stellen“ sind über entsprechende Kontakte beide Seiten zufriedenstellende Arrangements zu erzielen. Die Personen spre­ chen miteinander und finden häufig eine Lösung, die sowohl den offiziellen Auflagen entspricht wie auch dem konkreten Anliegen entgegenkommt. • Freundschaften werden im Geschäftsleben offen genutzt. (Deutsche fühlen sich u.U. „ausgenutzt“.) • Bei Einstellungen ist das erste Kriterium u.U., dass jemand aus dem Kreis der Bekannten oder Verwandten kommt. Das zweite Kriterium ist dann die Fähig­ keit der Person. Distanzregulierung

Persönlichkeitsbereiche kann man in Bezug darauf, wie zentral oder peripher sie empfunden werden, in einem „Zwiebelmodell“ darstellen: Die äußeren Bereiche betreffen die Person weniger intim und sind daher für andere Menschen leichter zugänglich, die inneren beinhalten zentralere Eigenschaften oder Einstellungen und werden nur nahen Freunden und Vertrauten geöffnet. Diese Abstufungen existieren für Tschechen und Deutsche gleichermaßen. Auch Tschechen differen­ zieren sehr klar zwischen Menschen verschiedener Bekannt- und Vertrautheits­ grade. Das unterscheidende Merkmal zu den Deutschen besteht dabei darin, dass innerhalb dieser verschiedenen Nähegrade aber weit mehr Diffusion herrscht. Die Diffusion irritiert Deutsche zunächst einmal zu Beginn der Bekanntschaft, weil sie hier Verhaltensweisen erleben, die sie nicht kennen (Misstrauen) oder selbst erst später zeigen (emotional, persönlich, informell). Denn das Kennenler­ 154

nen zu Beginn erfolgt in folgenden Stufen:

1) Vorsicht, Zweifel und Misstrauen gegenüber jedem Fremden ist grundsätzlich die Ausgangsposition:

• Tschechen verhalten sich reserviert, zurückhaltend, abwartend und bedächtig gegenüber unbekannten und wenig bekannten Personen. Sie werden als in­ trovertiert erlebt, die mehr Zeit als Deutsche für das Warming-Up brauchen. • Das Misstrauen hat seinen Grund: Tschechen wollen sich nicht betrügen las­ sen. Alles zu prüfen, gilt ihnen als überlebenswichtig. Informationen nur spärlich zu streuen ebenso. Jeder vermutet zunächst einmal, über den Tisch gezogen zu werden. Jemandem einfach Vertrauen zu schenken, das gilt als naiv. 2) „Emotionale Beurteilung“ neuer Bekannter und neuer Situationen - Zugang oder Distanzierung: Bei spontaner Sympathie wird der Kontakt aber schnell emotionaler, freund­ lich, offener. Man dringt in eine erste Schale der Persönlichkeit ein. Und dieser Kontaktschluss kann wesentlich schneller gehen als in Deutschland.

• So duzen sich Kollegen grundsätzlich. Im großen Unterschied zu Deutschen ist dies jedoch keine derartige Sympathiebekundung, dass man auf eine sich anbahnende Freundschaft schließen könnte. Man ist ein Bekannter oder ein Kollege - aber nicht mehr. • Gelebt wird nun eine Form von Warmherzigkeit und Aufmerksamkeit, die sich für Deutsche freilich bereits mindestens wie eine gute Bekanntschaft an­ fühlt. Entsteht keine Sympathie, dann ist eine Distanzierung zu spüren. Der innere Abstand wird als mehr oder weniger deutlich empfundene Ablehnung erlebbar. Anzeichen dafür sind Ausreden aller Art und ein weiterhin sehr zurückhalten­ der, vorsichtiger Interaktionsstil.

3) Vertrauen bei Nähe:

Jetzt kann jemand vom Bekannten zum Kameraden und evtl, zum Freund wer­ den. Entscheidend für diesen weiteren, möglichen Vertrauensaufbau ist, ob die Personen miteinander positive Erfahrungen machen. Wie erwähnt, nicht die Abstufung irritiert Deutsche, sondern die bleibende Diffu­ sion: Tschechen schalten nämlich auch im Stadium von Freundschaft keineswegs nur auf „privat“ um, sondern verfolgen ihre geschäftlichen Interessen in der Freundschaft weiter. Somit bleibt in etlichen Kontakten für Deutsche ein mehr 155

oder weniger ausgeprägtes Gefühl bestehen, „ausgenutzt“ zu werden. D.h. es ist für Deutsche nicht klar auszumachen, ob die bestehende Beziehung auf Sympathie beruht oder ob die freundschaftliche Beziehung zu ihnen sich nicht (auch) aus Motiven des eigenen Vorteils nährt. Deutsche trennen die beiden Bereiche klar, für Tschechen stellt sich diese Frage so nicht. Außerdem führt die Diffusion zwar zu spürbar mehr Emotionalität im öffentlichen und beruflichen Leben, aber viel­ fach zu weniger Intensität im Privatbereich. - Dazu kommt erschwerend hinzu, dass Tschechen ihre Beziehungen nicht explizit benennen und gestalten, sondern „nur“ leben, so dass Deutsche ein klärendes Feedback vermissen (vgl. dazu 4.6. und 4.7.).

4.5.I.2.

Der (westdeutsche Kulturstandard „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“

Definition: Deutsche nehmen eine strikte Trennung der verschiedenen Bereiche ihres Lebens vor. Sie differenzieren ihr Verhalten sowohl deutlich danach, in welcher Sphäre sie mit einer anderen Person zu tun haben wie auch danach, wie nahe sie einer an­ deren Person stehen.

Die Unterscheidung folgender Sphären ist daher wesentlich: Beruf - privat

Deutsche arbeiten während der Arbeit und „leben“ in ihrer Freizeit, d.h. nach Fei­ erabend, am Wochenende, im Urlaub. In der Arbeit hat die Arbeit Vorrang und alles andere tritt an die zweite Stelle. Im Privatleben nehmen Beziehungen, Fami­ lie, Freunde, persönliche Neigungen und Interessen die ganze Person in Anspruch. Im Beruf ist jemand sachorientiert, privat beziehungsorientiert. Im Beruf ist ein Mitarbeiter zielstrebig, privat will und muss er entspannen. Im Beruf widmet einer sich den jeweiligen Sachinhalten, im Privatleben frönt er unter Umständen ganz anderen Neigungen und schafft seinem Gemüt Ausgleich. Manchmal scheint es einem Tschechen, als hätte er mit zwei verschiedenen Menschen zu tun - im äuße­ ren Erscheinungsbild, im Verhalten, in der Stimmung.

Emotionalität - Rationalität Deutsche bemühen sich, ihre Gefühle und die „objektiven Fakten“ auseinander zu halten. Dabei ist das Vorherrschen der Rationalität vor allem im Berufsleben an­ gesagt, wo es als professionell gilt, sich sachlich zu zeigen (vgl. Sachbezug) und Gefühle in mancherlei Hinsicht fast Schwäche bedeuten. Rationalität ist somit der 156

Persönlichkeitsbereich, der beruflich aktiviert wird und die Basis für die Sachori­ entierung darstellt. Emotionalität ist dagegen im Privatleben dominanter. Jetzt ist wichtig, Mitgefühl mit und Verständnis für andere zu haben sowie sich seiner ei­ genen Gefühle bewusst zu sein und ihnen freieren Lauf zu lassen.

Rolle - Person Deutsche definieren die Rollen, die zu bestimmten Positionen gehören, klar. Pro­ fessionalität bedeutet, um seine Rolle in allen Facetten zu wissen - bis hin zu Klei­ nigkeiten. Und diese Rolle ist einzuhalten. Beruflich heißt das: Jemand ist korrekt und in der Sache engagiert, distanziert und mit entsprechender fachlicher Qualifi­ kation.

Die Person, die hinter der Rolle steht, ist häufig in vielerlei Hinsicht schillernder. Doch sie kann, will sie beruflich anerkannt sein, nur einen Teil ihrer Persönlich­ keit in ihrer Rolle ausleben: am besten die Seiten, die der Rolle forderlich sind und den Rolleninhaber damit überzeugend erscheinen lassen. „Aus der Rolle zu fallen“ und seine Persönlichkeit mehr als in einer diese Rolle unterstreichenden Art zu zeigen, wird nicht positiv bewertet. formell - informell Deutsche trennen auch zwischen formellen und informellen Settings. Die wün­ schenswerte Norm heißt dabei: Die wichtigen Dinge laufen in den formellen Ka­ nälen. Damit sind sie einsehbar, nachvollziehbar und einfacher zu handhaben. Was Deutsche deshalb analog dem Kulturstandard „Strukturliebe“ an Informationsund Kommunikationskanälen organisieren, das hat auch für den beruflichen Alltag tatsächliche Bedeutung.

Informelle Settings - sofern sie die formelle Struktur nicht unterstützen, sondern sie schwächen - stellen eher Kanäle dar, die eigentlich nicht sein sollten und nicht offensichtlich werden dürfen. Ihrer bedient man sich, wenn es um Kampf und Macht geht und die, die darin involviert sind, tun das am besten nicht kund.

Distanzregulierung Außerdem spielt für die Art des Kontakts zu Deutschen Nähe eine entscheidende Rolle. Es sind bei ein- und derselben Person ganz unterschiedliche Verhaltenswei­ sen beobachtbar, je nachdem, ob ihr Interaktionspartner ein Fremder, ein Bekann­ ter / Kollege, ein guter Bekannter oder ein echter Freund ist. Die Entwicklung von Freundschaften ist dabei der (angenehme) Ausnahmefall. Als durchgängiges Muster kann für Deutsche gesagt werden, dass sich (a) der Kontakt vom Distan­ zierten und Formellen zum Vertrauten hin bewegt, dass (b) die anfängliche Sach­ 157

lichkeit und Rationalität zunehmend größerer Emotionalität, Herzlichkeit und Per­ sonorientierung weicht, dass (c) Nähe eine „Herzenssache“ und nicht von Zweck­ rationalität bestimmt ist. Die Annäherung erfolgt Schritt für Schritt in den Stufen 1. neutrales Verhalten zu Beginn 2. schrittweises Sichnäherkommen mit zunehmender emotionaler Öffnung 3. Freundlichkeit bis Herzlichkeit.

Darstellung: Beruf - privat • In der Arbeit hat die Arbeit Vorrang. Das Privatleben bleibt mehr oder weniger ausgespart. Kollegen wissen daher voneinander u.U. nicht allzu viel. Über pri­ vate Belastungen und daraus resultierende Gefühle wird am Arbeitsplatz häufig nicht gesprochen. Zum einen ist das nicht der Ort dafür, zum anderen könnten daher resultierende Leistungseinbrüche in Konkurrenzsituationen zum Nachteil für die Person verwendet werden. Auch ein Chef wird sich hüten, sich für das Privatleben seiner Mitarbeiter zu interessieren, es könnte als Einmischung ver­ standen werden, deren Beweggründe nicht klar sind. • Niemand zahlt für dienstliche Belange aus der eigenen Tasche. • Deutsche haben mit Kollegen eher selten am Feierabend Kontakt und Freund­ schaften im Kollegenkreis sind keine selbstverständliche Erwartung.. • Aufgrund der Trennung „Beruf - privat“ sehen viele Deutsche ihren Aufenthalt in Tschechien auch als reine „Dienstzeit“ an, von der sie am Wochenende nach Hause in die Freizeit und das eigentliche „Leben“ flüchten. Ihr Antrieb, sich in Tschechien zu integrieren, die Sprache zu lernen, sich dort einzuleben, ist damit zum Teil sehr gering. • Der Urlaub stellt eine geliebte Sondersituation dar, in der z.T. das Gegenteil des normalen, beruflich geprägten Alltags gelebt wird, z.B. Offenheit, Freundlich­ keit, Hilfsbereitschaft, Kontaktfreudigkeit, Gruppenzugehörigkeit, Kennenler­ nen anderer, Zeit haben, aber auch Aus-der-Rolle-Fallen. rational - emotional

• Deutsche trennen persönliche Freundlichkeit - sie gilt dem Menschen hinter der Rolle - von objektiver beruflicher Leistungsbeurteilung oder fachlicher Kritik sie bezieht sich auf die Sache und die Qualität der Rollenerfüllung. Auch freundliche Menschen können daher hart sein im Urteil oder in ihren Forderun­ gen. • Ist das Arbeitsklima konstruktiv und frei von Machtkämpfen, dann ist es aus dieser Logik heraus Deutschen auch möglich, zu sagen, wenn sie einmal Schwierigkeiten mit einer Aufgabe haben oder einen Fehler gemacht haben, oh­ 158

ne sich als Person abgewertet fühlen zu müssen. Im Gegenteil - ein solches Verhalten wird hoch geschätzt als konstruktiv, bemüht, engagiert, (vgl. regel­ orientierte Kontrolle) • Ein Umschalten vom Anspruch der Rationalität und „Objektivität“ auf Emotio­ nalität erfolgt, wie in 4.4.2.3. gezeigt, dann, wenn sich Deutsche dazu legiti­ miert sehen, weil beispielsweise etwas nicht so läuft, wie es gemäß der (verein­ barten) Struktur laufen sollte. Jetzt zeigen sie vor allem in negativer Hinsicht ihre Emotionen: Sie ärgern sich offen, äußern Ungeduld und Unzufriedenheit, zeigen Wut und Enttäuschung. - Beleidigungen, Schläge unter die Gürtellinie, ein Ausfällig-Werden sind dennoch tabu, dafür sorgt das Bemühen um die Rol­ leneinhaltung. • Fehlschläge im Beruf und berufliche Niederlagen schmerzen natürlich auch Deutsche sehr. Doch sie zwingen sich während der Arbeit zur Disziplinierung der persönlichen Gefühle (z.B. Ausleben der Enttäuschung) und zum Leben mit dem Misserfolg. Schwächen gilt es, nur dosiert zu zeigen und stattdessen dabei die Handlungsbereitschaft in den Vordergrund zu stellen. Beharrlichkeit und Weitermachen gilt als produktiv. Sachlich-inhaltlich wird selbstverständlich in Krisensitzungen nach den Ursachen gesucht. • Tschechen halten die Gefühlsintensität Deutscher, wenn Deutsche denn z. B. im Privatbereich Gefühle zeigen, für (viel zu) hoch.

Rolle - Person • Im Sinne der „Aufwertung von Strukturen“ definieren Deutsche Rollen, Zuständigkeits- und Kompetenzbereiche klar. Und wenn sie diese verbessern wollen, nehmen sie Umstrukturierungen vor. Solange die Strukturen aber gel­ ten, wird erwartet, dass die Rollen ausgefüllt werden: Persönliche Belange (Sympathien, Unlustgefühle, anderweitige Verpflichtungen usw.) haben sich während der Arbeitszeit den Rollenanforderungen unterzuordnen. So sind Dienstreisen oder Geschäftsessen z.B. nicht zum Vergnügen da. Oder wenn aufgrund einer dringenden Anfrage eine Arbeit zu erledigen ist, dann soll es nicht ausschlaggebend sein, ob diese Person fremd oder bekannt ist. Die Rolle, in der diese Person anfragte, und damit die Arbeit, steht im Vordergrund und die das Ergebnis erwartende Person selbst rangiert an zweiter Stelle. • Die einzelnen hierarchischen Ebenen sind in ihrer Rollendefinition voneinander getrennt. Jede Ebene hat ihre Aufgaben und eine höhere Ebene mischt sich normalerweise in die Aufgaben der niedrigeren Ebenen nicht ein. Die rangnied­ rigere Ebene nützt ihren Spielraum und füllt ihn verantwortlich aus, worauf sich die ranghöhere Ebene auch gerne verlässt: Sie hat bestimmte Teilbereiche ihres übergeordneten Zuständigkeitsgebiets delegiert und muss sich nur noch im Konfliktfall darum kümmern. Durch gewisse „Rituale“, wie die Einhaltung der Zeichnungsberechtigung, der Entscheidungsbefugnis, des Dienstwegs und der Zuständigkeit wird immer wieder das Rollengefüge bestätigt. 159

• Von besonderer Wichtigkeit für eine Führungskraft ist die Tatsache, dass sie durch ein Verwischen der Grenzen in Richtung ihrer Persönlichkeit ihre Auto­ rität als Chef zumindest zu einem Teil einbüßt: Eine Führungskraft hat für die Ziellerreichung zu sorgen, indem sie ihre Mitarbeiter dazu anhält, ihre Rollen innerhalb der Struktur einzunehmen und damit der gemeinsamen Sache mög­ lichst effektiv zu dienen. Nähe bewirkt aber ein tendenzielles Verlassen der Rolle und erfordert verstärkte Berücksichtigung der Belange einer Person (vgl. Distanzdifferenzierung). Somit wirkt sie im Konfliktfall zwischen objektiver sachlicher Notwendigkeit und persönlicher emotionaler Befindlichkeit der Ef­ fektivität des Systems entgegen. Und genau das soll im Sinne der Vorrang­ stellung der Sachorientierung und der sie stützenden Strukturen nicht sein.

formell - informell • Deutsche halten in erster Linie formelle Meetings. Dort ist der Ort für Mei­ nungsäußerungen und für Mitbestimmung, denn hier wird diskutiert und ent­ schieden. Wer etwas zu sagen hat, soll hier seine Stimme erheben. - Informelle Wege werden nicht als das „normale“, „übliche“ Vorgehen betrachtet. Die in­ formelle Ebene ist in Deutschland auch normalerweise unbedeutender als die formelle. • Eine weitere Konsequenz ist, dass es sehr viele Meetings gibt, denn sie dienen dazu, den Informationsfluss in geregelten und nachvollziehbaren Bahnen laufen zu lassen. Damit soll gewährleistet werden, dass alle, die etwas wissen müssen, dieses auch erfahren und dass andererseits nichts übersehen wird. Inhaltliche Wiederholungen können auftreten, weil man wichtige Dinge nochmals eigens im dafür vorgesehenen Rahmen benennt: Informell (nicht vertraulich!) Gesagtes wird in der Besprechung erneut aufgegriffen. Erst jetzt gilt es und erst jetzt kann sich der Sprecher sicher sein, dass es nicht überhört wurde. Selbst Teamsitzun­ gen finden ganz offiziell statt und es wird u.U. sogar protokolliert und was dort besprochen wird. • Für sämtliche Vorgänge des Geschäftslebens werden formelle Informationska­ näle eingerichtet, d.h. offene, nachvollziehbare Informationsflüsse. Bei der Ent­ scheidung zwischen Angeboten gilt es z.B. als faires Vorgehen, wenn das An­ gebot eines jeden Wettbewerbers offiziell eingeholt und objektiv geprüft wird. • Weil in Deutschland die Betonung auf formalen Strukturen liegt, ist die Hierar­ chie sehr sichtbar bis in sämtliche Teile ihres Funktionierens hinein. • Wie bereits dargelegt, werden Seilschaften und Mauscheleien als etwas be­ trachtet, das es natürlich gibt, das aber gegen die Norm, wie das Geschäftsleben sein sollte, klar verstößt. Im Vergleich mit Tschechen fallen zusätzlich zwei Dinge auf: 1. Das Nutzen von Beziehungen ist in Deutschland eng daran gebunden, dass man jemanden wirklich persönlich kennt - d.h. eine Vermittlung über Dritte reicht nicht aus. Außerdem muss zu ihm auch noch ein relativ enger Ver160

trautheitsgrad (vgl. Distanzdifferenzierung „guter Bekannter“) bestehen. 2. Das Beziehungsnetz, das besteht, ist wesentlich kleiner, enger begrenzt und somit weniger weitreichend. Es ist nur in sehr eingeschränktem Maße mög­ lich, Interessen über Beziehungen zu verfolgen. Für vieles ist der offizielle, formelle Weg tatsächlich der einzige, der zu beschreiten ist. Distanzregulierung Das Annäherungsverhalten Deutscher durchläuft folgende Stufen: Umgang mit Fremden'. Fremden gegenüber verhalten sich Deutsche reserviert, neutral, formell. Oftmals ziehen sie sich auf die reine Sachebene zurück und agieren ausschließlich aus der (z.B. beruflichen) Rolle. Das wird von Tschechen als kalt erlebt, als steif, als ver­ schlossen oder mangels Lächeln als schlecht gelaunt.

Umgang mit Bekannten/Kollegen'. Die Reserviertheit der Deutschen geht etwas zurück. Das Benehmen ist freundli­ cher und entgegenkommender. Ein Bekannter ist z.B. bereit, auf Anfrage im Rah­ men seiner Befugnisse und Möglichkeiten zu helfen. Er hält aber immer noch Ab­ stand und zeigt keine Gefuhlstiefe. Er agiert immer noch vornehmlich aus seiner Rolle und wird kaum auf die Idee kommen, informelle oder gar private Settings mit Menschen dieses Nähegrades aufzusuchen. Geschäftliche Verpflichtungen, die über die Bürozeiten hinausgehen, werden nämlich als „Opfern von Freizeit“ auf­ gefasst.- Im Büro ist diese Ebene vielfach der „normale Umgangston“. Das deut­ sche „Sie“ ist die korrekte, verwendete Anredeform, denn „Sie“ sagt man zu allen Bekannten, nur gute Bekannte und Freunde duzt man. Das „Sie“ an dieser Stelle signalisiert Selbst- und Fremdachtung und legt den Charakter einer Beziehung of­ fen: Man hält sich an seine Rollen und verhält sich korrekt, wenngleich durchaus freundlich. Auch Kunden werden so, d.h. zwar höflich, aber doch „distanziert“ behandelt: Aufdringlich zu sein, könnte den Verlust des Kunden bedeuten. Prinzi­ piell ist es auf dieser Ebene möglich, auch mit weniger sympathischen Kollegen zusammenzuarbeiten.

Auch Chef-Mitarbeiter-Beziehungen bewegen sich üblicherweise auf diesem Dis­ tanzlevel. Und hier erhält die Anrede per „Sie“ eine wesentliche Bedeutung: Mit ihr wird die Aufgabenorientiertheit sichergestellt, weil verhindert werden soll, dass sich Privates und Berufliches vermischen. Bei einem „Näherkommen“ fiele die Distanz und die Mitarbeiterfuhrung wäre dann schwieriger. Denn Freund­ schaftlichkeit oder Herzlichkeit ist im Privatbereich angesiedelt und verpflichtet zu einer Berücksichtigung persönlicher und emotional motivierter Belange. Das würde daher zwangsweise den Chef darin einschränken, seinen Mitarbeitern das sachlich Optimale abzuverlangen und den Mitarbeiter dazu ermutigen, sich dem 161

Chef gegenüber „mehr herauszunehmen“, d.h. weniger strikt die Erfordernisse der Rolle als vielmehr eigene (momentane) Befindlichkeiten im Auge zu haben. Einen qualitativen Sprung im Verhalten Deutscher stellt das Vordringen in den Kreis der guten Bekannten dar. Er ist schlagwortartig so zu charakterisieren:

Ein Individuum hat sehr bewusst ausgewählt, mit wem es sich anfreundet. Das sind durchwegs Menschen, mit denen es sich gut versteht und die es gerne mag. Nun ist auf jeden Fall das „Du“ angesagt. Bekannte offenbaren einander zuneh­ mend ihre Persönlichkeit, also z.B. ihre Einstellungen, Haltungen oder Probleme. Sie vereinbaren Treffen in ihrer Freizeit. Gastfreundschaft, Beziehungsorientie­ rung, private Hilfsbereitschaft und Emotionalität ist angesagt. Kleine, freund­ schaftliche Berührungen sind durchaus üblich und unterstreichen die Nähe. Zu diesen Menschen herrscht eine Vertrauensbeziehung, die verpflichtet, ihnen bei Schwierigkeiten beizustehen. Die Steigerungsform einer Freundschaft bedeutet, dass sich jemand ganz - mit al­ len Gefühlen, Sorgen und Freuden - öffnet. Freundschaften sind mit Gefühlstiefe verbunden und langlebig. Wichtige freundschaftsstiftende Elemente sind z.B. ähnliche weltanschauliche Einstellungen, gemeinsame Interessen, ähnliche Erfah­ rungen. Eine Freundschaft ist emotional motiviert und beruht ausschließlich auf Sympathie. Hier nach Vorteilen zu suchen (z.B. materiell, Beziehungen nutzend usw.), wirkt tief verletzend. Die betroffene Person fühlt sich ausgenutzt.

4.5.I.3.

Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstandard­ paares „Diffusion von Persönlichkeits- und Lebensbereichen Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“

Das Kulturstandardpaar „Diffusion bzw. Trennung von Persönlichkeits- und Le­ bensbereichen“ operiert mit kontrastiven Polen und hat als Definitionsbestandteil, ob eher ein Sowohl-als-auch der Pole überwiegt (Diffusion) oder eher ein deutli­ ches Pendeln zwischen den Polen und damit ein klareres Entweder-Oder (Tren­ nung).

Wie geschildert, ist für viele Tschechen das Muster „Diffusion“ grundlegend. Aber es gibt eine ganz entscheidende Ausnahme: Informelles wird zwar formell wirksam, aber es wird stets diskret und vertraulich behandelt. Informelles bleibt „offiziell informell“ insofern, als dass auf der formellen Ebene nie implizit oder explizit auf das Informelle Bezug genommen werden darf. Vielmehr bedient man sich dessen geflissentlich, aber wortlos in seinem Handeln auf der formellen Ebe­ ne. Und ein u.U. nicht mehr gut zu machender Konflikt kann heraufbeschworen 162

werden, wenn Deutsche die Diffusion überinterpretieren, d.h. begriffen haben, dass Wesentliches informell mitgeteilt wird, diese Grenzziehung aber nicht be­ achten. Sie denken, sachorientiert zu handeln, machen sich aber des Vergehens der Denunziation schuldig. (Für Deutsche wäre das nur dann klar, wenn explizit hin­ zugefugt würde: „Das sag‘ ich dir im Vertrauen. Behalt es für dich.“) Zu den Deutschen ist generell zu sagen, dass die Trennung in die verschiedenen Sphären umso klarer aufrechterhalten wird, je ferner sich Personen stehen und die Grenzen umso verschwommener sind, je näher sie sich sind. Bei diesem Kulturstandard unterliegen die Deutschen ausgeprägteren Schwankun­ gen: • Die Startposition im beruflichen Kontext heißt stets: Kollegen begegnen sich in der Arbeit (nicht privat), betonen ihre Rationalität (nicht die Emotionalität), halten sich korrekt an seine Rolle (ohne ausgeprägte persönliche Note) und an die formelle Struktur. - Im Prozess des Kenneniemens und Sich-Anfreundens wechseln die Kollegen als Bekannte und Freunde tendenziell jedoch auch den Pol: Der Kontakt wird privat, mehr Emotionalität gewinnt Raum, die Persön­ lichkeit wird sichtbar in allen Schattierungen, informelle Settings und Struktu­ ren bilden sich heraus. Als gute Freunde sind sie schließlich angekommen an den Polen „privat“, „emotional“, „Person“, „informell“. • Trotzdem gibt es immer wieder eine Verschiebung der Gewichtung: ■ Wenn einer einen Freund am Arbeitsplatz trifft, konzentriert er sich auf die Arbeit; wenn er ihn privat trifft, auf Privates. ■ Der Freund wird in einer offiziellen Besprechung evtl, sogar wieder gesiezt, um zu zeigen, wie ernst beide ihre Rolle nehmen und dass sie sich keines­ falls informell „verwickeln“ lassen. ■ Immer dann, wenn es um wichtige Fragen geht, wird wieder unterschieden zwischen dem, was man sich „rational“ und „vernünftigerweise“ zu einer Sache denkt, und dem, was man „emotional“ „aus dem Bauch heraus“ meint. Beides ist dann gegeneinander abzuwägen, um zu handeln. • In allen Stadien bemühen sich Deutsche - gemäß dem Muster Trennung - um die Ausgewogenheit der Beziehung und das Vermeiden von ungleichgewichti­ gen Abhängigkeiten. So schenken sie sich z.B. nur zu bestimmten Anlässen et­ was; selbst Freunde zahlen ihre Rechnungen getrennt, wenn es sich nicht um ei­ ne eindeutig ausgesprochene Einladung handelt. Andernfalls hat entsteht das Gefühl, in ungewisse Verpflichtungen zu geraten oder den anderen „auszunut­ zen“.

Zudem müssen ein paar Einschränkungen gemacht werden:

• Besteht kein vertrauensvolles Klima, in dem sich Deutsche sicher fühlen, dann 163

geben sie sich keine Blöße, geben keine Schwächen und Unzulänglichkeiten zu, sondern bemühen sich, ein starkes und korrektes Bild von sich abzugeben und halten ausschließlich an ihrer Rolle fest. • Es gibt auch in Deutschland „Vitamin B“. Doch vielfach ist man sehr bemüht, um einen offenen Wettbewerb, bei dem auch „Outsider“ eine faire Chance er­ halten.

4.5.2.

Die dynamische Perspektive

4.5.2.I.

Vernetzung der Kulturstandards

Der deutsche Kulturstandard „Trennung von Lebens- und Persönlichkeitsberei­ chen“ weist einen engen Zusammenhang zum „Sachbezug“ auf: Deutsche können sich auf den Persönlichkeitsbereich „rational“ und den Lebensbereich „Rolle“ konzentrieren und damit dem „Sachbezug“ in vielen Situationen den Vorrang ein­ räumen. Und vice versa: Wenn dem Sachbezug ein derartiger Vorrang eingeräumt wird, dann sind Rationalität und Rolle die Handlungselemente, mit denen das ge­ leistet werden kann und die deshalb kontinuierlich verstärkt werden. Die Konzentration auf die Rolle und auf die formelle Ebene verhilft der Struktur zur Wirksamkeit. Konsekutivität erleichtert die Trennung der Lebens- und Persönlichkeitsbereiche.

Da mit dieser Konzentration auf jeweils einen Pol, der komplementäre aber nicht bedient wird, brauchen Deutsche zur Kompensation das stärkere Pendeln auch in Richtung des jeweiligen Gegenpols.

Der tschechische Kulturstandard „Personbezug“ verhindert eine Trennung des Le­ bensbereiches „Person-Rolle“ und des Persönlichkeitsbereiches „emotional­ rational“, da zum einen alles, was einem Menschen begegnet, in erster Linie auf der Beziehungsebene wahrgenommen wird. Weil aber zum Zweiten im Berufsle­ ben generell der Sachbezug betont wird, erscheint nun bei Tschechen die Domi­ nanz von „Person“ und „emotional“ abgeschwächter und taucht als Diffusion auf. Denn selbstverständlich wollen Tschechen Ergebnisse erzielen, wollen erfolgreich sein, sind stolz auf Effizienz - aber sie wollen eben die Emotionen und die Person dabei nicht abspalten, sondern auch berücksichtigen.

Und umgekehrt gilt: Wenn der Anspruch gar nicht besteht, sich und sein Leben 164

auseinander zu dividieren, dann wird der Personbezug weiter verstärkt. Simultanität als Zeitmuster unterstützt die Diffusion: alles ist gleich bedeutsam und gleichzeitig wichtig, Arbeit und Freizeit, formelle und informelle Settings.

Da Strukturen ohnehin abgewertet werden, macht es auch von daher wenig Sinn, formelle Strukturen einzuhalten oder eine Rolle perfekt zu spielen.

4.5.2. Z.

Kultureller Wandel im Transformationsprozess

Im Sozialismus gingen der Privatbereich und der Arbeitsbereich ineinander über (Privatismus). Familie und private Aktivitäten hatten einen hohen Stellenwert und konnten - selbst dienstlich - klar die Priorität vor dem Beruf einnehmen. Auch das Verhältnis zum Vorgesetzten wurde, wenn möglich, vorzugsweise kumpelhaft gestaltet. - Sämtliche Phänomene schilderten tschechische Informanden als nach wie vor vorherrschend. - Der sozialistische Hintergrund war, dass eine Art Flucht ins Private die Gegenreaktion auf den Zwang zum Systemkonformismus, auf den geringen Handlungsspielraum und die Widersprüche der Ideologie im Alltag dar­ stellte. Es entwickelte sich eine Orientierung auf Familie, Freunde, informelle Ak­ tivitäten.

Soziale Faktoren bestimmen immer noch die Motivation der Mitarbeiter weithin manchmal sogar mehr als monetäre Entlohnung. Und im Stillen erwartet man nach wie vor die Weiterführung sozialistischer Traditionen, wie Geschenke zum Frau­ entag, Gratisleistungen seitens der Firma oder großzügige Sozialleistungen eines Betriebs.

Auf die Bedeutung der informellen Strukturen im Sozialismus wurde bereits hin­ gewiesen: Nur hier konnte man sich sicher fühlen und in seiner Meinungsäuße­ rung offen sein, hier konnte man sein Improvisationstalent einsetzen zur Erlan­ gung wichtiger Informationen, Dienstleistungen oder Güter hier spielte sich ein Großteil des „eigentlichen“ Lebens ab. Somit steht auch die Diffusion nach wie vor im Schatten des Sozialismus.

Dagegen ist es für marktwirtschaftlich geprägte Deutsche klar, dass es im Ar­ beitsleben nicht nur um die Sache geht, sondern dass diese hier auch klar Vorrang vor dem Privatem hat. Das Privatleben, die Persönlichkeit, das Gefühlsleben sind, wenn es für die Sache erforderlich ist, hintanzustellen.

165

4.5.3.

Die strategische Perspektive

4.53.1.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Diffusion von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“

Die Vorteile der Diffusion liegen - wie beim Kulturstandard „Personbezug“ - in einer häufig angenehmen zwischenmenschlichen Atmosphäre, wenn sich die Be­ teiligten verstehen. Die Nachteile sind darin zu sehen, dass Diffusion auch negativen menschlichen Seiten mehr Raum gibt: Neid, Missgunst, Intrigen, Ausspielen von anderen oder Ausreizen des individuellen Spielraums für Eigeninteressen etc..

Zum anderen wirkt Verständnis, Rücksicht, Einfühlsamkeit in die Mitmenschen einer harten, fordernden Haltung entgegen und verhindert die Einlösung manches Anspruchs an Effizienz.

4.53.2.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“

Die Vorteile der „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“ liegen einmal mehr darin, die Arbeitseffektivität zu steigern. Denn das, was beruflich, in der Rolle, rational, mit Leuten, zu denen wenig freundschaftliche Verpflichtungen bestehen, getan werden muss, kann konzentriert durchgeführt und „durchgezogen“ werden. Für etwaige Entbehrungen, die damit verbunden sind - in emotionaler Hinsicht und als gesamte Person - gibt es eine Kompensation in anderen Berei­ chen, d.h. im Privatleben mit Familie und Freunden. Ein großer Nachteil dieses Kulturstandards ist damit bereits angesprochen: Das System ist hart für die, die keine Kompensationsmöglichkeiten, also kein „Nest zum Auftanken“ haben. Eine weitere Gefahr in dieser Lebensform der Trennung von Lebensbereichen liegt darin, dass sie mitunter zu weit geht und die Authentizität einer Person be­ droht. Tschechen erscheint denn auch diese Diskontinuität im Verhalten Deutscher als Falschheit. Und Deutsche selbst konstatierten mehrmals eine gewisse Einsei­ tigkeit und Unintegriertheit ihrer in den Kritischen Interaktionssituationen han­ delnden Zeitgenossen. 166

Ein bedeutsamer Nachteil der Betonung formeller Strukturen und Rollen besteht darin, dass jeder vor allem seine Ziele, Vorgaben und Aufgaben sieht, aber Schnittstellen und Überlappungen zu Kollegen in ähnlichen Feldern oft nicht kennt. Damit bleibt viel Information gänzlich ungenutzt. („Wenn Firma X wüsste, was Firma X weiß!“) Ein informelles System kann diese Informationsdefizite mangels differenzierter Ausprägung nicht ausgleichen.

167

4.6.

Kulturstandardpaar: „Starker Kon­ text“ versus „schwacher Kontext“

Kategorisierende Fragestellung:

Der Fachbegriff „Kontext“ meint, dass in Kulturen die Anteile des explizit und eindeutig Gesagten im Verhältnis zur Gesamtinformation, die in einer Situation enthalten ist, verschieden groß ist. Ist der Anteil der nicht-sprachlichen Botschaf­ ten hoch, dann handelt es sich um einen starken bzw. Hoch-Kontext. Ist der Anteil des verbal Formulierten und Nicht-Interpretationsbedürftigen hoch und damit der Kontextanteil gering, dann spricht man von einem schwachen oder Niedrig-Kontext. (Hall, 1990)

Die kategorisierende Fragestellung lautet daher:

Wie wird kommuniziert?

4.6.1.

4.6.1.1.

Die synchrone Perspektive

Der tschechische Kulturstandard „Starker Kontext“

Definition: Hochkontext-Kommunikation charakterisiert die verbalen Begegnungen unter Tschechen. Sie bedienen sich eines Kommunikationsstils, der (1) in den Formulie­ rungen indirekter ist und der (2) impliziter ist, d.h. mehr mit zusätzlichen, nicht­ sprachlichen Signalen arbeitet, die dem Kontext, also dem Zusammenhang, zur Interpretation des Gesagten entnommen werden müssen.

Tschechen sagen deshalb von sich, sie drücken sich „schlauer“ aus als Deutsche, denn sie müssen nicht alles, was sie mitteilen wollen, sagen. Es kann der Situation durch genaue Wahrnehmung entnommen werden. Darstellung:

168

Indirektheit

Tschechen benutzen mehr Andeutungen und Anspielungen sowie vorsichtige Formulierungen. Sie beschreiben Dinge mehr, ohne sie direkt beim Namen zu nennen. Sie gehen nicht sofort auf den Kem einer Sache zu, sondern schicken viele Worte voraus und machen viele Worte „drumrum“. Humor ist deshalb so wichtig, weil hier Anspielungen und Andeutungen gemacht werden können, vielleicht auch einmal heikle Dinge oder eine Kritik „verpackt“ werden können. Der tschechische Argumentationsstil bei Meinungsverschiedenheiten ist von vie­ len Fragen gekennzeichnet. Durch Fragen wird versucht, auf die Schwächen einer Argumentation hinzuweisen und dadurch den Partner von einem anderen Stand­ punkt zu überzeugen. Implizitheit Information wird nicht nur mit Worten übermittelt, sondern alle Kanäle sind wichtig: Körpersprache, Gesichtsausdruck, Tonfall, Augenkontakt, Sprechstil, Schweigen, sozialer Status, gemeinsame Freunde, Dauer der Beziehung sowie sämtliche Signale, die jemand in seinem Umfeld hinterlässt. Alle diese Signale müssen wahrgenommen, in den richtigen Zusammenhang gesetzt, entschlüsselt und richtig interpretiert werden, um verstehen zu können, was Tschechen mitteilen wollen. Der Anteil von Gesprochenem zu Signalen des Kontexts ist dabei unter Umständen derart massiv zugunsten der Signale verschoben, dass sich explizit ge­ sprochene Worte ganz erübrigen.

So äußert sich Unzufriedenheit beispielsweise nicht in klaren Beschwerden oder in offenen, mehr oder weniger aggressiven Gesprächen (vgl. Konfliktvermeidung 4.7.), sondern ist vom Verantwortlichen durch viele Signale des Kontexts zu er­ kennen. Gleichgültigkeit, wenig Interesse, „Abnicken“ von Vorschlägen, Aus­ weichen und Verschieben von Gesprächen, Ungereimtheiten, missmutige Gesich­ ter, Geschimpfe in Pausen, Nachlassen bei den Ergebnissen, weniger Engagement in informellen Strukturen usw. sind Führungskräften Anzeichen, die sie zu deuten haben. Und Zufriedenheit äußert sich oft schlicht darin, dass die Stimmung gut ist oder die Fluktuation gering. Auch das bedarf keiner weiteren Worte.

Meist wird selbstverständlich beides gleichzeitig benutzt: Indirektheit und Kon­ text-Signale.

Hoher Kontext bedeutet generell, dass Tschechen Worten weit weniger Bedeutung beimessen. Ihre Haltung beschreiben sie so: „Man kann viel sagen - auf die Taten kommt es an.“ Insofern wollen sie einen Menschen erleben, beobachten, mit ihm 169

Erfahrungen machen, fühlen, wie es sich an seiner Seite lebt usw.. Daraus ziehen sie dann ihre Schlüsse, wie jemand ist und welche Reaktionen ihm gegenüber nun angemessen sein könnten. Beziehungsaufbau heißt somit viel mehr „zusammenseirT als miteinander reden.

Von „starkem Kontext“ ist z.B. auch der tschechische Verhandlungsstil gekenn­ zeichnet: Tschechen legen die Karten nicht auf den Tisch, sagen nicht klar, was sie möchten, sondern deuten mehr an oder setzen andere Zeichen. Sie warten weithin ab, wie der andere reagiert. Sie verdecken auch tendenziell ihre eigenen Schwä­ chen. Sie versuchen sich durch diesen Stil, Wahlfreiheit zu erhalten und Auswege offen zu halten. Eine weitere Seite dieses Kulturstandards ist die Neigung der Tschechen zum Lite­ rarischen, zu Geschichten, zum Spielen, Inszenieren, zum Feiern, Zelebrieren und zu Ritualen. Diese Dinge sind eine wichtige Kommunikationsform, über die vieles transportiert werden kann.

4.6.1.2.

Der (west) deutsche Kulturstandard „Schwacher Kontext“

Definition: Während Tschechen nur relativ wenig direkt sagen, sondern vieles in kontextuelle Signale verpacken, bevorzugen Deutsche einen Stil großer Direktheit und Expli­ zitheit: Sie formulieren das, was ihnen wichtig ist, mit Worten und benennen die Sachverhalte dabei klar und eindeutig. Die charakteristischen Elemente dieses Stils sind:

1. Das WAS steht im Vordergrund, das WIE ist sekundär. - Der Fokus der Deut­ schen ist nämlich vor allem auf die Sachebene gerichtet, d.h. ihnen kommt es auf den Inhalt des Gesagten an. (vgl. Kulturstandard Sachbezug) 2. Daher reden Deutsche direkt und undiplomatisch, aber ehrlich und aufrichtig, ganz so, wie sie etwas eben sehen. 3. Sie denken nicht daran, auf etwaige Empfindlichkeiten der Anwesenden beson­ ders Rücksicht nehmen zu müssen. Und so können Ihre Aussagen verletzend wirken, obwohl das nicht so gemeint und beabsichtigt war. - Schließlich han­ deln sie gemäß der „Trennung von Lebensbereichen“. 4. Interpretationsspielraum zu lassen, ist kein Bestandteil dieses Stils. Deutsche wollen sich präzise, klar und unmissverständlich ausdrücken und daher formu­ lieren sie die Dinge, die sie mitteilen wollen, aus. Sie meinen das, was sie sa­ gen; und sie sagen das, was sie meinen. Ergänzende Informationen müssen nur in einem sehr geringen Maß dazu genommen, zusätzlich wahrgenommen oder aus dem Kontext des Gesagten entschlüsselt zu werden, um die Botschaft zu 170

verstehen. 5. Umgekehrt wird von Deutschen in die Dekodierung nur miteinbezogen, was ausdrücklich gesagt wird. Deutsche denken nicht daran, dass das, was ihnen ge­ sagt wird, nur ein Teil der Botschaft sein könnte, die um weitere Signale ergänzt werden müsste, damit sie verstanden werden kann. Sie hören explizit gespro­ chene Worte, halten das für den Inhalt, den man transportieren wollte und haben keine Ahnung, dass noch anderes zur zuverlässigen Entschlüsselung und Inter­ pretation des Gesagten hinzu genommen werden müsste. Die Elemente 1-3 beschreiben die deutsche Direktheit, die Elemente 4 und 5 die deutsche Explizitheit.

Darstellung: Deutsche fallen Tschechen somit zunächst einmal auf Personen, die viel und lange reden und alles ausführlich darlegen, ohne zu prüfen, ob der tschechische Partner diese Informationen braucht. Diese Eigenart mag aber ganz verschiedene Hinter­ gründe haben:

• In einem Fall wollen die Deutschen durch exakte Erklärungen lediglich errei­ chen, dass alles glatt läuft, weil der tschechische Kollege die Hintergründe, die Ursachen und die Zusammenhänge kennen soll und nun das ganze Feld beherr­ schen kann. • Und im anderen Fall will einer seine Kompetenz nur von neuem zeigen und beweisen, dass er seine Position aufgrund seiner Sach- und Fachkenntnisse zu Recht hat. Durch ausführliche Erklärungen kann er sich in ein gutes Licht rü­ cken und seinen Sachverstand beweisen („Der hat was drauf!“). • Im dritten Fall sollen alle auf den gleichen Informationsstand gebracht werden, weswegen das Meeting viel Zeit in Anspruch nimmt. Obwohl vielleicht immer nur ein paar Personen von einem Tagesordnungspunkt betroffen sind, sitzen doch alle und sollen zuhören. (Tschechen sehen das als extreme Zeitverschwen­ dung an.) • In der nächsten Situation bieten Deutsche eine Menge ihres Know-hows explizit aufbereitet in schriftlicher oder in Präsentationsform an, um ihre Kooperations­ bereitschaft zu signalisieren. • Und schließlich fordern Deutsche für alles die Schriftform an, für Protokolle, Dokumentationen, Gesprächsnotizen etc.. Dennoch ist der gemeinsame Nenner all dieser Situationen der, dass eine Sache dann erledigt scheint, wenn sie mit expliziten Worten bearbeitet und „abgearbei­ tet“ wurde.

Explizit ist auch die Art, wie Deutsche Beziehungen aufbauen und pflegen: Mit 171

Sprache wird Wirklichkeit generiert. Ein Deutscher sagt, was er will, was er beab­ sichtigt, welcher Ansicht er ist, wie er sich fühlt etc.. In einem Wort: Deutsche de­ finieren ihre Situation für andere mit Worten und gehen davon aus, dass die Ange­ sprochenen das ernst nehmen und sich in ihren Reaktionen darauf einstellen. So ist es möglich, dass Individuen sich durch Gespräche kennenlemen, weil sich jeder der Partner in gewissem Sinne offenbart. So ist es möglich, dass sie Vertrauen aufbauen, wenn die Ansichten der beiden Partner in wesentlichen Punkten über­ einstimmen. Beziehungen werden weithin über Sprache vermittelt, also über Mei­ nungsaustausch oder Feedback. Voraussetzung dafür ist, dass die Gesprächs­ partner einander glauben - aber das ist mehrheitlich der Fall. Bei Sympathie zu einer anderen Person bemühen sich Deutsche aktiv um eine Distanzverringerung mit Worten, indem sie z.B. den anderen fragen und von sich erzählen, oder Taten, wie Einladungen, Treffen, gemeinsamen Unternehmungen, initiieren. Diese Aktivitäten, die unter Deutschen Sympathie und den Wunsch, ei­ ne nähere Beziehung aufzubauen, signalisieren, erleben Tschechen mitunter als überschwänglich oder übertrieben, weil ganz offensichtlich zu viel getan, gemacht, gesagt wird, statt die zentralen Elemente der Situation einfach nur schweigend, wortlos, nicht-aktiv zu erleben.

Hierher gehört auch der weit explizitere Umgang in Deutschland mit Gefühlen: In vertrauten Beziehungen zeigen Deutsche ihre Gefühle deutlicher, benennen sie, explizieren sie für andere. Das gilt als sich selbst gegenüber ehrlich. Das ist aber auch für den Partner ein Signal, wie er nun die Person zu behandeln hat - bestär­ kend, beschwichtigend oder sich mit ihr konfrontativ auseinandersetzend. Darin liegt der Grund, weswegen Deutsche von Tschechen für extrovertiert gehalten werden und zwar im positiven wie im negativen. „Deutsche machen wieder ein Theater“ - sagen sie. Außerdem gilt: Je vertrauter Individuen miteinander sind, je näher sie sich stehen (vgl. Distanzregulierung), umso schneller und offener sagen sie einander die Mei­ nung, zeigen einander die Gefühle und besprechen sie miteinander.

In die Dekodierung des Gesprochenen wird von Deutschen nur miteinbezogen, was ausdrücklich gesagt wurde. Anspielungen, Signale, Andeutungen, Erwähnun­ gen werden nicht registriert. Die Idee existiert nicht, dass solche Zeichen Be­ standteil einer normalen Kommunikation sein könnten. Die Aussage „Ich habe das gesagt“ stimmt für Deutsche nur, wenn dieses Etwas explizit gesagt wurde und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem für Deutsche dieses Etwas das Thema war. Eine nebenbei hingeworfene Bemerkung oder eine informelle Information (vgl. Tren­ nung von Lebensbereichen) wird von ihnen wahrscheinlich nicht registriert. Deut­ sche nehmen auch die Art, wie sich jemand präsentiert, für der Realität entspre­ chend. Wenn jemand schlecht oder zu bescheiden von sich spricht, dann wird das 172

nicht „nach oben“ korrigiert. Von Understatement wird nicht ausgegangen.

Deutsche nehmen nicht nur den Kontext der Botschaften anderer zu wenig wahr, sie bedenken auch als Sender den Kontext zu wenig, wenn sie selbst etwas sagen. Wird beispielsweise jemand nach ihrer Meinung gefragt, äußert er diese. Er über­ legt sich nicht, wie seine Aussage in einer bestimmten Situation wirken, oder was es bedeuten kann, wenn er als Inhaber einer bestimmten Position eine Aussage trifft. Er geht davon aus, dass derjenige, der ihm etwas zu entgegnen hat, sein Wort schon erheben wird. Denn jetzt ist ja offensichtlich Meinungsäußerung ge­ fragt. Und hinterher ist der Deutsche über die Wirkung seiner Worte u.U. völlig erstaunt. Deutsche sagen, wie sie etwas sehen, im guten und im schlechten. Sie loben nicht oft, aber dann, wenn etwas passiert oder wenn etwas funktioniert, das ihnen sehr wichtig ist. Sie arbeiten auf diese Art dann auch mit positiven Verstärkern und mit Motivationsforderung.

4.6.13.

Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstan­ dardpaares „Starker Kontext - schwacher Kontext“

Das tschechische Mischungsverhältnis:

An Tschechen wurde beobachtet, dass sie sich manchmal nach Mustern, die für „schwachen Kontext“ typisch sind, verhalten und sich großer Explizitheit bedie­ nen: Es handelt sich dabei um Situationen, in denen Deutsche Tschechen um et­ was fragen, wovon die Deutschen wirklich keine Ahnung haben können, z.B. wenn sie sich gute Lokale oder auch bloß eine empfehlenswerte Waschanlage für das Auto vorschlagen lassen wollen. Dann antworten Tschechen sehr ausführlich mit Informationen, die die Deutschen eigentlich gar nicht wissen wollten (sämtli­ che Restaurants oder Waschanlagen der Stadt mit ihren Vor- und Nachteilen). Nur so, denken sich Tschechen, wenn jemand einen Gesamtüberblick hat, kann er richtig entscheiden. Und sie schaffen nun in sehr expliziter Weise den Kontext für die Informationen. Das deutsche Mischungsverhältnis:

Andererseits sagen Deutsche manches nicht, sondern setzen es als selbstverständ­ lich voraus. Auch sie benutzen stets ein Mindestmaß an gemeinsamem Wissensbe­ stand. Dieser Tatsache begegnet man beispielsweise in der Form, dass Beziehun­ gen aufgebaut, definiert und interpretiert werden, ohne das zu benennen (vgl. Dy­ namik Personbezug-Sachbezug). Dennoch kann generell gesagt werden, (1) dass der deutsche Kontext „schmäler“ und „kleiner“ ist als der tschechische, d.h. dass 173

die impliziten Signale größere Nähe und unmittelbareren Bezug zum Gespro­ chenen aufweisen (z.B. paraverbale Signale) und (2) dass der Kontext sich mehr auf Indirektheit als auf Implizitheit erstreckt (Fehlen von Signalen; Ersetzen ge­ sprochener Worte durch Zuspielen schriftlichen Materials). So gibt es mit Tsche­ chen beispielsweise folgende Variante, in der deutscher Hochkontext wirksam wird: Oft erwarten Deutsche, dass man Übereinkünfte nochmals explizit bestätigt und die einzelnen handlungsrelevanten Inhalte sozusagen wiederholt („Also, wir verbleiben jetzt so...“). Fehlt dieses Signal, dann ist für sie die Übereinkunft nicht erzielt und es geschieht nichts.

Starker Kontext wird auch bei Problemsituationen eingesetzt: • Keinesfalls äußern Deutsche immer ihre Meinung. Je nach hierarchischem Ge­ fälle und persönlichem Bezug zueinander sagen sie sie oder halten sich auch eher damit zurück. • Die Meinungsäußerungen, die sie von sich geben, sind u.U. je nach Zusammen­ hang „politisch gefärbt“: Manche Aspekte werden z.B. besonders betont und ausführlich dargestellt, um dadurch jemanden deutlich zu kritisieren.

4.6.2.

4.6.2.1.

Die dynamische Perspektive

Vernetzung der Kulturstandards

Auf der tschechischen Seite stellt der Kulturstandard „Diffusion“ eine Vorausset­ zung für den Kulturstandard „starker Kontext“ dar. Denn es kann (1) die Aussage einer Person nur dann richtig gedeutet werden, wenn der Gesamtzusammenhang dieser Person dem Hörer bekannt ist. Und es kann (2) ein Sprecher nur zusätzliche Signale setzen, wenn er davon ausgehen kann, dass diese Signale von den Emp­ fängern seiner Botschaft auch wahrgenommen werden. In beiden Fällen muss si­ chergestellt sein, dass Sender und Empfänger mehr wissen und an mehr interes­ siert sind als an den Informationen, die in der momentanen Begegnung enthalten sind. Die Botschaften werden simultan auf alle Lebensbereiche verstreut und ohne Diffusion und gestreute Aufmerksamkeit in der Wahrnehmung (Simultanität) könnte das Kommunikationsmuster „starker Kontext“ nicht funktionieren. Der Kulturstandard „hoher Kontext“ stellt zudem ein für starken Personbezug un­ mittelbar funktionales Kommunikationsmuster dar: Indirektheit wirkt die Person schützend, ihre Gefühle schonend, eine Sache weniger eindeutig fassend, denn alles ist vorsichtiger und zurückhaltender formuliert - Forderungen wie Kritik wie 174

Zusagen. Außerdem bestätigt der Rückgriff auf ein gemeinsames Vorverständnis, auf eine Art „Komplizenschaft“, bei jedem Kommunikationsakt erneut die Grup­ penkohärenz, was in der Terminologie der Kulturstandtheorie gleichbedeutende ist mit „Festigung der Beziehungsebene“.

Auf der deutschen Seite verunmöglicht der Kulturstandard „Trennung von Le­ bensbereichen“ einen starken Kontext. Die Ausgangssituation ist nämlich immer ein sehr geringer gemeinsamer Bezugsrahmen, der erst nach und nach erweitert und als gemeinsame Basis benutzt werden kann. Dann erst kann sich auf dieser Basis ein Kommunikationsmuster einstellen, das diese gemeinsame Basis als „Kontext“ hat, der freilich relativ „schwach“ und relativ eng begrenzt ist. Aber mehr ist auch gar nicht gewünscht, denn die „Trennung der Lebensbereiche“ soll ja aufrecht erhalten bleiben. Der Kulturstandard „Sachbezug“ bildet aber auch eine unmittelbare Ursache für den Kommunikationsstil „schwacher Kontext“: Für den Sachbezug ist es sehr funktional, wenn direkt und explizit kommuniziert wird. Damit kann die Sache präzise und klar formuliert und schnell eine konsequente Entscheidung getroffen werden. Was die Breite der eigenen Wahrnehmung anbelangt, reicht es aus, sich in seiner Wahrnehmung auf die explizit kommunizierten Vereinbarungen zu beschränken und zu verlassen, denn es herrscht ja „regelorientierte Kontrolle“ vor: Andere Sig­ nale müssen für ein Gelingen des Miteinander nicht hinzugenommen werden.

4.6.2.2.

Kultureller Wandel im Transformationsprozess

Viele der Auffälligkeiten des tschechischen Kommunikationsstils wurden auch als Überbleibsel der jüngsten geschichtlichen Erfahrung des Sozialismus genannt. Denn die Angst, etwas falsch zu machen und zur Verantwortung gezogen zu wer­ den, prägte einen „vorsichtigen Interaktionsstil“. Er zeigt sich nicht nur in formali­ sierter Höflichkeit und Überangepasstheit, sondern auch dem Vermeiden klarer und direkter Aussagen selbst auf (Nach)Fragen hin, einem hohen Maß an Selbst­ kontrolle, der Ablehnung des Zeigens von Gefühlsregungen, ausgeprägter Beherr­ schung und Zurückhaltung, der Benutzung vieler Umschreibungen und Abschwä­ chungen sowie in einem starken Misstrauen. Informationen gibt man äußerst spär­ lich. Deutsche fassen den tschechischen Kommunikationsstil manchmal so zu­ sammen: „Mund zu - das ist am sichersten.“ Nur mit Humor und Witzen ver­ schafft man sich für manchen Ärger ein Ventil. Ansonsten ist eine Fassade von Freundlichkeit, Höflichkeit, Zurückhaltung, Vorsicht angesagt. Zur Illustration seien hier ein paar tschechische Redewendungen und Sprichwörter, die die Be­ deutung von Vorsicht unterstreichen, zitiert: 175

• • • • •

„Lieber ein Wort zu wenig. Vorsicht ist niemals zuviel.“ „Nur nichts sagen, was den Mund auf einen Spaziergang gehen lässt. “ „Alles, was Sie sagen, kann sich gegen Sie umdrehen.“ „Miss’ zweimal, schneide einmal.“ „Mach dir keine Feinde.“ (Mit Bemerkungen, Aussagen usw..)

Starker Kontext ist somit eine gute Möglichkeit, etwas zunächst einmal versuchs­ weise anzudeuten und seine Wirkung zu testen. In einem Experteninterview wur­ den die tschechischen (Kommunikations)Strategien, die aus Vorsicht geboren sind, folgendermaßen geschildert:

1. 2. 3. 4.

abwarten, Erwartungen des Partners testen, sich nicht profilieren, bei Einverständnis Ja signalisieren oder ein bisschen etwas tun, bei bestehender Unklarheit zwei Rollen parallel spielen, bei Nicht-Einverständnis passiven Widerstand leisten.

Marktwirtschaft:

In einer Marktwirtschaft dagegen halten Deutsche Direktheit und Explizitheit für sehr hilfreiche Prinzipien, um die Ergebnis- und Leistungsorientierung sicherzu­ stellen. Denn damit kann die Sache, das Produkt, das Problem usw. ohne Hinder­ nisse angegangen werden.

4.6.3.

Die strategische Perspektive

4.6.3.I.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Starker Kontext“

Der Kommunikationsstil des starken Kontexts hat zur Voraussetzung, dass alle Beteiligten denselben Kontext teilen. Vorteilhaft ist er daher innerhalb bestehender Gruppen und existierender Beziehungen, denn eine Verständigung ist schnell möglich. Mit jeder Verständigung werden die bestehenden Bande und die Grenzen gegenüber den Nicht-Dazugehörigen dann noch weiter gefestigt. Starker Kontext ist allerdings - und darin liegt sein Nachteil - von vomeherein auf Vertraute beschränkt, die die indirekten Äußerungen und die Kontext-Signale nicht nur zu setzen, sondern auch zu deuten wissen. - Und das ist eben mit Deut­

176

sehen in aller Regel nicht der Fall.

4.6.3.2.

Vor- und Nachteile des deutschen Kulturstandards „Schwacher Kontext“

Die Vorteile des Kommunikationsmusters „schwacher Kontext“ sind:

• Der direkte Kommunikationsstil richtet sich nicht nur an Eingeweihte, setzt kei­ ne gemeinsame Erfahrung voraus, sondern ermöglicht auch Neu- und Sei­ teneinsteigem den Anschluss, indem sie eben explizit auf den notwendigen Wissensstand gebracht werden. Er ist ein gutes Vehikel zur Überbrückung von Informationsunterschieden und somit zur Integration der Kommunikationsteil­ nehmer unter der Zielrichtung der jeweiligen „Sache“. • Dieser Stil erlaubt Gesprächspartnern einander gut einschätzen zu können. Man kann sagen, „woran man beim anderen ist“. Deutsche legen ihre Konditionen klar, sagen ihre Meinung, äußern sich, wenn ihnen etwas nicht behagt. Sie sind damit ziemlich berechenbar. Die Nachteile des Kommunikationsstils „schwacher Kontext“ sind:

• Direktheit und Explizitheit wirken oft umständlich, (zu) ausführlich, redundant. • Direktheit kann verletzen, indem sie klar, unverhüllt und undiplomatisch for­ muliert. • Diejenigen, die an „schwachen Kontext“ gewohnt sind, sind unerfahren und un­ geübt im Wahmehmen impliziter Signale und Interpretieren zusätzlicher, nicht gesagter Botschaften.

177

4.7.

Kulturstandardpaar: Konfliktvermei­ dung versus Konfliktkonfrontation

Kategorisierende Fragestellung:

Wie wird mit Konflikten umgegangen?

Wird Kritik ausgesprochen? Werden Probleme analysiert? Werden Schwierigkei­ ten und Unangenehmes benannt? Können diese Fragen mit einem Ja beantwortet werden, dann handelt es sich um „Konfliktkonfrontation“, werden sie mit einem Nein beantwortet, dann herrscht „Konfliktvermeidung“.

4.7.1.

Die synchrone Perspektive

4.7.1.1.

Der tschechische Kulturstandard „Konfliktvermeidung“

Definition: Tschechen sagen von sich selbst, dass sie nicht (hart) diskutieren können und dass sie Probleme nicht besprechen können. Solche Gespräche seien ihnen derart unan­ genehm, dass sie ihnen, wo immer möglich, ausweichen.

Wie gehen Tschechen also mit Konflikten um?

1 . Zunächst einmal weichen sie der Thematisierung von Konflikten solange aus, wie es nur irgendwie geht. Der Konflikt wird ignoriert. Bei Kontakten wird da­ her so getan, als gäbe es keinen Konflikt. Jeder will ein möglichst angenehmes Beisammensein herstellen und damit wieder eine positive Beziehungsebene schaffen. 2 . Die Signale, mit denen Konflikte einer höheren, nicht zu leugnenden Eskalati­ onsstufe über lange Zeit kommuniziert werden, sind vor allem Kontext-Signale. Explizite Gespräche finden eher nicht statt. Wenn, dann werden die Konflikte dabei tendenziell bagatellisiert. Wenn Explizitheit wirklich unumgänglich ist, dann werden Konflikte vorzugs­ weise auf schriftlichem Wege thematisiert (beispielsweise per Fax zum verein178

barten Termin), aber fast nie mündlich. 3 . Wird der Druck zu stark, so dass der Konflikt nicht mehr ignoriert werden kann, dann kann eine Explosion erfolgen: Die Explosion kann (a) „leise“ sein, indem ein Konfliktpartner sich wortlos aus der Situation zurückzieht, (b) Der Explo­ sion kann laut, d.h. eine heftige Entladung sein, und kann (muss aber nicht!) ebenfalls das Ende einer Beziehung bedeuten - je nach Personen, Situation, Stärke der Betroffenheit.

Ansonsten heißt das übliche, prophylaktisch konfliktvermeidende Verhaltens­ muster: Sich unauffällig benehmen, nicht aus der Reihe tanzen, keine verbalen Wagnisse vornehmen und keine Verantwortung übernehmen, denn Verantwortung fuhrt potentiell zu Konflikten. Darstellung: Umgang mit Fehlern und Kritik Es fallt Tschechen sehr schwer, eigene Fehler oder Unwissenheit sich und anderen einzugestehen. • Sie suchen daher die Gründe für Probleme und Konflikte anderswo als bei sich selbst. Sie finden einen Schuldigen, einen widerlichen Umstand, eine passende Entschuldigung, eine einfallsreiche Ausrede. Ausreden gelten dabei als ge­ konnte Diplomatie, denn sie berücksichtigen die peinliche Lage des Sprechers genauso wie die Gefühle des Empfängers. Eine gute Ausrede hilft dem, der sie gebraucht, schadet dem nichts, der sie erhält und kann, wenn sie humorvoll ist im gemeinsamen Lachen die Atmosphäre entspannen. • Für einen (offensichtlichen) Fehler entschuldigen sich Tschechen meist nicht. • „Quatschen ist beliebt“ sagen Tschechen, wenn sie das Phänomen beschreiben, dass mit ausführlichen Diskussionen eher weniger relevanter Aspekte eines Problems vor allem ein Ablenkungsmanöver von eigenen Fehlern und Schwä­ chen versucht wird. Es geht hier mit ziemlicher Garantie nicht um die tatsächli­ che Analyse von Komplikationen.

Und bei alledem gilt: Je höherrangig jemand ist, umso weniger kann er einen Fehler zugeben. Auch Kritik anzunehmen, ist schwierig:

• Etwas auszubessem, an „verdächtigen“ Punkten nachzubohren, wirkt bereits als Kritik. Schon klare, eindeutige, direkte Fragen sind ungewohnt und lösen meist (ängstlichen) Rückzug aus. • Das Aufzeigen von Fehlern verletzt und entmutigt. Tschechen wollen kein ne179

gatives Feedback hören. • Tschechen lassen sich auch nicht gerne beraten.

Selbstbehauptung

Ein klares Eintreten für eigene Interessen ist ebenfalls nicht üblich. Schon die ei­ gene Unzufriedenheit offen zu präsentieren, zu erklären und zu begründen, wird als sehr unangenehm erlebt und daher vermieden. Ein - eventuell zähes - Aushan­ deln einer zufriedenstellenden Lösung bei Interessensunterschieden ist äußerst selten. Denn Tschechen argumentieren nicht lange, sie kämpfen nicht lange. Sie wechseln das Thema, sie finden einen Ausweg, sie verlassen die aktuelle Situa­ tion, sie vertagen das Gespräch, sie wechseln auf schriftliche Kommunikation usw.. Im schlimmeren Fall kündigen sie oder beenden die Zusammenarbeit - nicht selten (für Deutsche) ohne Warnung.

Tschechen sagen nicht Nein. Einen Vorschlag lehnen sie nicht rundheraus ab. „Wir sagen Ja und schauen halt dann, was wir machen können“, meinten tschechi­ sche Informanden. Eine Forderung, der jemand nichts abgewinnen kann, nimmt er zunächst einmal hin und zeigt dann durch Kontextsignale seine Einstellung dazu. Ein Interviewpartner formulierte das so: „Ich sage nicht Nein, ich mache Nein.“ Und andere nennen das „den Mantel überzuziehen“, d.h. die eigene Meinung (of­ fiziell) den Umständen anzupassen. Wenn Tschechen überhaupt Kritik äußern, dann nach wesentlich längerer Zeit so­ wie nicht so präzise und nicht so offen wie Deutsche das tun. Am härtesten fallen dann schriftliche Dokumente aus (Brief, E-Mail, Fax), ihnen ist die Stim­ mungslage am deutlichsten zu entnehmen.

Probleme lösen Eine objektive, sachbezogene Analyse von Problemen und Konfliktursachen ist nicht üblich. Eine Analyse wird überhaupt nicht als „konstruktiv“ aufgefasst, um die Sache zu verbessern und voran zu bringen, sondern als versteckte Kritik an den beteiligten Personen. Bei Problemen überwiegt daher eher das Gefühl. Und die bei Problemen vorherr­ schenden Gefühle heißen Enttäuschung oder Resignation und blockieren weiteres Handeln.

Besteht ein Vertrauensverhältnis, dann ist der positivste Fall der, dass Tschechen sofort beim Gewahrwerden des Problems auf eine mögliche Handlung, die sie der peinlichen Analyse entkommen lässt, ausweichen: Sie machen einen Vorschlag, was getan werden könnte oder versuchen ihren Partner zu überreden, ihr Handeln 180

doch zu akzeptieren. passiver Widerstand

Wenn Tschechen kämpfen, dann tun sie das meist in Formen, die man „passiven Widerstand“ oder „subtilen Boykott“ nennen könnte. Das Grundmuster ist dabei so zu beschreiben: Die Struktur wird scheinbar angenommen, sie wird jedoch auf eine Art in Handeln umgesetzt, dass das intendierte Ziel dennoch verfehlt oder zumindest nicht ganz erreicht wird. Man vermeidet geschickt jede Konfrontation, aber lässt die beabsichtigen Maßnahmen ins Leere laufen: Es klappt eben nicht, es gibt eben Hindernisse, es passierten eben Fehler oder Verzögerungen. Beispiele aus dem Interviewmaterial dafür sind:

• • • •

etwas auf die (zu) lange Bank schieben, absichtlich nichts tun, absichtlich einen (kleinen) Fehler machen, durch Nichtbeachtung einer Vorgabe Schaden verursachen.

Dabei bleiben die Akteure nach außen (fast völlig) unschuldig, denn es hat sich lediglich eine kleine Barriere „eingeschlichen“, die freilich große Wirkung hat. Diese Haltung, nur zu kämpfen wenn man Erfolgsaussichten auf einen Sieg hat und ansonsten andere Mittel einzusetzen, hielten die tschechischen Informanden für sehr klug und weitsichtig und manche erwähnten sie expressis verbis als Quelle des Stolzes.

4.7.I.2.

Der (westdeutsche Kulturstandard „Konfliktkonfrontation 64

Deutsche sprechen Fehler an, äußern Kritik, benennen und analysieren Probleme und Schwierigkeiten, vertreten ihre Meinung in Auseinandersetzungen - kurz: konfrontieren sich und andere mit Konflikten.

Darstellung:

Selbstbehauptung • Deutsche sagen es, wenn sie etwas nicht machen wollen oder können; sie be­ nutzen ein klares Nein. • Ebenso widersprechen sie klar, wenn sie anderer Meinung sind. - Oft sind sie im Widersprechen schneller als im gründlichen Zuhören. • Deutsche äußern vielfach auch ihren Chefs gegenüber Beschwerden und Unzu­ 181

friedenheiten explizit. Sie benennen die Dinge, die ihnen nicht gefallen, sie dro­ hen vielleicht mit der Kündigung und versuchen ihre Verhandlungsposition zu stärken. • Diskussionen unter Deutschen beschreiben Tschechen als ziemlich aggressiv, hart und konfrontativ: Wenn ein Deutscher von einer Sache nichts hält, Fehler oder Probleme sieht, dann sagt er das. Die Diskussionspunkte werden „ausge­ fochten“, d.h. jeder bezieht klar Stellung und die jeweiligen Kontrahenten ver­ teidigen ihre Position. - Diesen Stil betrachten Deutsche als sachdienlich, denn er gewährleistet, dass vermutlich alle wesentlichen Aspekte auf den Tisch kommen und damit eine gute Lösung gefunden werden kann. Grundsätzlich gilt dabei: Jeder kann, darf und soll seine Meinung sagen. Die Frage, inwieweit die­ se Meinung dann tatsächlich etwas beeinflussen kann, bleibt freilich offen. Es hängt vom Kontext, von den Personen und der Stärke der Argumente ab.

Umgang mit Kritik

Deutsche äußern Kritik relativ offen und aufrichtig. Sie sprechen direkt an, was ihnen nicht gefällt und womit sie unzufrieden sind. Ihr Kritikverhalten sehen sie dabei unter sachlichen Aspekten: Sie sind überzeugt, dass sie lediglich eine Ver­ fehlung kritisieren, aber nicht die Person, die diesen Fehler begangen hat. Eine Rücksichtnahme auf soziale Faktoren (wie persönliche Empfindsamkeiten, Alter, Geschlecht oder darauf, ob jemand an einer Rückmeldung interessiert ist) er­ scheint aus dieser Perspektive geradezu als unwichtig. Probleme lösen

Deutsche halten den Umgang mit Kritik, wie sie ihn üben, für konstruktiv. Denn sie sind davon überzeugt, dass nur durch eine klare Problemanalyse und ein scho­ nungsloses Ansprechen von Schwachstellen eine Optimierung von Produkten und Vorgängen möglich ist: Erst wenn die Probleme erkannt sind, kann mit der Fehlerbehebung begonnen werden. Das bedeutet: • Wenn eine Vereinbarung oder ein Termin nicht eingehalten werden kann, dann erwarten Deutsche, dass der dafür Verantwortliche das von sich aus sagt und ankündigt (vgl. regelorientierte Kontrolle). Das mag einen Konflikt herauf­ beschwören. Doch dieser wird als konstruktiv betrachtet, weil er im Dienste der gemeinsamen Sache steht. • Fehlern muss genau auf den Grund gegangen werden: Aufgrund der klaren Kompetenzen und Normen wird zunächst einmal geprüft, woran der Fehler lag und wer ihn verursacht hat (vgl. Aufwertung von Strukturen). Probleme wer­ den dann in ihren sachlichen Aspekten erfasst, analysiert und (aus)diskutiert. Dazu wird solange nachgefragt, bis das, was zur Klärung nötig ist, auf dem Tisch liegt. Dass das für die Betroffenen unangenehm sein kann, wird zuguns182

ten der Sache in Kauf genommen. Wenn in diesem Prozess Fehler selbstkri­ tisch eingestanden werden können, dann gilt das als Beitrag zu einer optimalen, schnellen und kostengünstigen Fehlerbeseitigung, weil nicht erst Vertuschtes aufgespürt werden muss. Eine solche Person wird zudem als besonders im Dienste der Sache stehend gesehen, weil sie zugunsten der Sache auf Ge­ sichtswahrung verzichtet (vgl. internalisierte Kontrolle). • Dann muss der Fehler so gut wie möglich ausgebessert und • schließlich muss durch die Initiierung entsprechender Maßnahmen ein solcher Fehler künftig verhindert werden.

In vielen Teamsitzungen geht es vornehmlich um derartige Analysen und Abhil­ femöglichkeiten für größere oder kleinere Probleme. Involvierte Kollegen bespre­ chen bereits auch dann berufliche Probleme, wenn sie sich nicht gut kennen, wenn kaum eine Beziehungsbasis besteht. Das ist ein Zeichen von Professionalität.

4.7.I.3.

Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kulturstan­ dardpaares „Konfliktvermeidung - Konfliktkonfrontation“

Tschechisches Mischungsverhältnis: Auch Tschechen können konfrontativ werden, d.h. sehr direkt reagieren und sich auf eine Frage-Antwort-Auseinandersetzung einlassen. Das bedeutet dann aber, dass die dominante Polarität Konfliktvermeidung verlassen wurde und die Person, wie geschildert, dem beschriebenen Stadium der Explosion bereits sehr nahe ist. Deutsches Mischungsverhältnis: Andererseits berichten Deutsche von diversen Situationen, in denen sie Konflikte vermeiden:

• Deutsche teilen zwar Kritik aus, sind aber selbst sehr wohl verletzbar, wenn sie kritisiert werden - trotz ihres Anspruchs an sich selbst, Lebens- und Persönlich­ keitsbereiche zu trennen und die Kritik unter sachlichen Aspekten zu sehen. • Seitens der Mitarbeiter gibt es auch betont konformistisches Verhalten, wie „übertriebenen“ oder „vorauseilenden“ Gehorsam, „Schleimerei“, das Bemühen nicht aufzufallen... - Zumal in Zeiten der Angst vor Arbeitsplatzverlust. Nicht hinter jedem Konflikt steckt das dem Kulturstandard zugrundeliegende Mo­ tiv, der Sache zu dienen:

• Manche Konflikte werden nicht gelöst, sondern als mehr oder weniger ausge­ 183

prägte „Grabenkriege“ permanent gefochten. In derartigen Fällen dient das Thema als Vorwand für einen anderen Konflikt (z.B. Kampf auf der Bezie­ hungsebene, Machtkampf usw.). • Deutsche wissen sehr wohl zwischen einer konstruktiven und einer vernichten­ den Kritik zu unterscheiden. Denn beides kommt vor. Eine konstruktive Kritik bezieht sich auf die Inhalte und ist bemüht, die Person nicht zu verletzen. Eine vernichtende Kritik will die Person treffen. Während es im ersten Fall tatsäch­ lich um die Sache geht, steckt im zweiten Fall eine andere Absicht dahinter, z.B. ein tobender Machtkampf.

4.7.2.

Die dynamische Perspektive

4.7.2.I.

Vernetzung der Kulturstandards

Der tschechische Kulturstandard „Konfliktvermeidung“ hängt eng mit den Kultur­ standards „Personbezug“, „Diffusion“ und „starker Kontext“ zusammen: • Streng genommen ist „Konfliktvermeidung“ eine Unterkategorie des Kultur­ standards „starker Kontext“. Gerade Konflikte werden über Kontextsignale an­ gezeigt und zu bereinigen versucht. • Aufgrund des ausgeprägten „Personbezugs“ herrscht große Angst, bei einem Konflikt zu verletzen, zu kränken, zu beleidigen und verletzt, gekränkt, belei­ digt zu werden - mit einem Wort die Beziehungsebene und die beidseitige Har­ monie zu zerstören. Ein tschechischer Mitarbeiter möchte keine unangenehmen Situationen im Kollegenkreis durchstehen müssen, er möchte ein gutes Verhält­ nis zu allen, er bevorzugt „gute Beziehungen“. Das stellt in vielen Fällen einen höheren Wert dar, als die Lösung eines Sachproblems. Außerdem hat der tsche­ chische Kollege schlicht das Bedürfnis nach Wohlbefinden: Er hat die Hoff­ nung, dass sich die Situation noch ändert, dass der Partner seine Meinung noch ändert, dass es nicht zum Streit kommt. Damit löst sich der Konflikt von selbst und er kann sich jetzt Stress sparen. • Eine wichtige Ursache für die „Konfliktvermeidung “ besteht zudem in der Dif­ fusion von „rational und emotional“ sowie „Person-Rolle“: Konflikte werden immer personifiziert. Sie bleiben nicht auf einer sachlichen Ebene, sondern werden auf die persönliche Ebene übertragen und betreffen daher stets die ge­ samte Person. Ein Tscheche hört nicht „Das war schlecht von Ihnen“, sondern „Sie sind schlecht.“ Aus sachlichen Argumenten können somit flugs persönlich beleidigende Äußerungen werden.

184

Der deutsche Kulturstandard „Konfliktkonfrontation“ ist eine Konsequenz des „Sachbezugs“ - ein Problem, das der optimalen Zielerreichung im Wege steht, soll beseitigt werden. Gemäß der „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensberei­ chen“ hat sich ein Profi dabei auf seine Rolle und seine Rationalität zu konzentrie­ ren. Und der Stil, in dem Konflikte besprochen werden, ist mit „schwachem Kon­ text“, d. h. Direktheit und Explizitheit als ubiquitärem Kommunikationsmuster, zu charakterisieren. Deutsche sagen in ihrer Wahrnehmung - aufgrund dieser Kultur­ standards - mit einer Kritik nur: „Sie haben etwas falsch gemacht“ und kritisieren damit eine Tat, aber sie sagen und meinen nicht: „Sie sind blöd“, was eine (zuge­ gebenermaßen ziemlich massive) Kritik an der Person wäre.

4.7.2.2.

Kultureller Wandel im Transformationsprozess

Das sozialistische Regime verbreitete Angst. Und diese Angst vor negativen Kon­ sequenzen eines missliebigen Verhaltens ist bis heute eine wichtige Ursache für die Tendenz der Tschechen zu Zurückhaltung (statt Selbstbehauptung) und Kon­ fliktvermeidung.

• Aufgrund der Angst hat man keinen Mut zu diskutieren, eine eigene Meinung oder eigene Vorschläge zu äußern, nachzufragen, Fehler zuzugeben. Ja nicht auffallen - hieß die Devise, die ein angenehmes Lebens ermöglichte. • Die Angst vor Sanktionen, d. h. vor Geschrei, Vorwürfen, Kündigung, Gehalts­ kürzung... ist verbreitet. Die tschechische Erziehung arbeitet bis heute über­ wiegend mit Sanktionen. Und Machtausübung von Tschechen gegenüber Tschechen ist nach wie vor autoritär, wenn sie sich unreflektiert an die Füh­ rungsmuster des alten Regimes anlehnt. • Man hat niemals einen offenen Kommunikationsstil erlebt- weder in der Firma, noch auf der politischen Ebene, noch privat. Also vermeidet man Feedback, diskutiert über Probleme nicht offen, verschweigt oder vernebelt lieber unange­ nehme Informationen und ist selbst sehr kritikempfmdlich. Eine durch den Transformationsprozess bedingte Ursache neuesten Datums heißt: Unsicherheit. Ein Mitarbeiter ist sich nicht ganz sicher, ob das, was von der deut­ schen Seite verlangt und gewollt wird, nicht tatsächlich gut und richtig ist. Also ficht man nicht wirklich für seinen Standpunkt, sondern wartet zunächst einmal die weitere Entwicklung ab. Sind Tschechen eindeutig anderer Meinung und eskalierte die Meinungsverschie­ denheit bereits zu einem Konflikt, dann bedienen sich Tschechen eines Verhal­ tensmusters, das sie ebenfalls im Sozialismus nachhaltig geübt haben, des passi­ ven Widerstands (vgl. 4.7.1.1.) So funktionierte auch im Sozialismus eine Art Ra­ che für die Bevormundung: Wenn schon die Freiheit eingeschränkt ist, dann kann 185

man zumindest durch Interesselosigkeit, Nachlässigkeit oder auch vorsätzliche Manöver (wie Unterlassungen, kleine Fehler etc.) dafür sorgen, dass nichts mehr so richtig funktioniert. Man befindet sich in einer Art Bummelstreik. Dagegen ist man auf der deutschen, marktwirtschaftlichen Seite einem ausge­ prägten „Qualitätsbeyvusstsein^ verpflichtet. Tauchen Fehler oder Unregelmäßig­ keiten oder sollen aus unterschiedlichsten Gründen Verbesserungen vorgenommen werden, dann ist das nur möglich, so die feste Überzeugung, wenn Probleme offen und klar festgestellt sowie rückhaltlos analysiert und aufgeklärt werden und wenn Fehlern gegenüber ein Klima konstruktiver Kritik herrscht. Konfliktkonfrontation erscheint aus dieser Perspektive geradezu als Bedingung zur Erreichung und Be­ wahrung eines hohen Qualitätsstandards.

4.7.3.

Die strategische Perspektive

4.7.3. I.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Konflikt­ vermeidung“

Dass sie nicht konfliktfähiger sind, finden viele Tschechen selbst als einen Nach­ teil. Denn damit kann vieles nicht geklärt werden und an manchen Stellen kann nicht die beste Lösung gefunden werden. Der Vorteil, dass die unangenehme Situ­ ation der Auseinandersetzung verhindert werden kann und die damit verbundenen schlechten Gefühle ebenso, hat dennoch seinerseits wiederum den Preis, dass die objektiv schwierige und konfliktträchtige Situation bleibt und nicht aufgelöst wird. - Überraschend viele Tschechen sagten als Interviewpartner und als Informanden gleichermaßen, dass sie der deutschen konfrontativen Direktheit etwas Positives abgewinnen können, weil damit Probleme konstruktiv, d.h. Lösungen findend, be­ arbeitet werden können. Es bleibt ihnen unangenehm, aber sie finden es „auf­ richtiger“.

Außerdem wirkt sich eine vorausschauende Konfliktvermeidung in diversen For­ men einer Verweigerung von Verantwortung aus. Und das ist auf der Sachebene auch in tschechischen Augen - hinderlich.

186

4.73.2.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Konflikt­ konfrontation“

Der große Vorteil des Kulturstandards „Konfliktkonfrontation“ heißt: So kann ei­ ne problembehaftete Sache angesprochen, analysiert und zielorientiert optimiert werden. Und es kann nach einer Lösung, die die Perspektive der Beteiligten be­ rücksichtigt, gesucht werden. Der Nachteil, der dafür in Kauf genommen wird, besteht darin, dass kaum Rück­ sicht auf die Gefühle der Beteiligten genommen wird. Fehleranalysen sind auch Deutschen peinlich und bergen die Gefahr einer schlechten Leistungsbeurteilung.

187

4.8.

Kulturstandardpaar: Schwankende Selbstsicherheit versus stabile Selbstsicherheit

Kategorisierende Fragestellung: Wie trittjemand auf - selbstsicher oder nicht?

4.8.1.

Die synchrone Perspektive

4.8.1.1.

Der tschechische Kulturstandard „Schwankende Selbstsi­ cherheit“

Definition:

Tschechen unterliegen Schwankungen in ihrer Selbstsicherheit: Sowohl Beschei­ denheit und Understatement einerseits als auch betont selbstsicheres Verhalten und Selbstüberschätzung andererseits sind beobachtbar. Manchmal erscheinen Tschechen fast unterwürfig, an einer anderen Stelle glauben sie, sie seien eindeu­ tig besser und anderen klar überlegen. Das gilt sowohl interindividuell, d.h. man­ che Tschechen zeigen ein eher zu großes und andere ein eher zu geringes Selbst­ bewusstsein; das gilt aber auch intraindividuell, so dass ein- und dieselbe Person mal in die eine Richtung und mal in die andere Richtung tendiert. Darstellung: Zu geringe Selbstsicherheit Für die Mehrheit der Nation ist ein gewisser Minderwertigkeitskomplex bzgl. der westlichen Welt vorherrschend: Alles Westliche hat ein hohes Image. Westliche Waren werden geschätzt, zu westlichen Fachleuten wird vielfach aufgeblickt, Rei­ sen und Kontakte in den Westen gelten als attraktiv. Von daher verhält man sich gegenüber allen Westlern tendenziell „niederrangig“, manchmal „unterwürfig“.

In vielen Dingen sind sich Tschechen tatsächlich unsicher und das schlägt auf das Verhalten durch: 188

• Tschechen lernten z.B. nicht, eigene Qualitäten kundzutun, sich selbst darzu­ stellen und sich zu „verkaufen“. Somit können Präsentationen unsicher, be­ scheiden, zu zurückhaltend wirken. • Tschechen tun sich nicht nur wegen der bereits beschriebenen Konfliktvermei­ dung schwer, ihre Meinung zu äußern oder anderen gegenüber genau nachzu­ bohren. Oft sind sie schlicht nicht mutig und „frech“ genug. • Tschechen haben Angst, etwas falsch zu machen. Sie haben Angst, sich zu bla­ mieren und „blöd“ auszusehen. Auch das ist eine Wurzel für ihre Zurückhaltung mit Fragen: Lieber sage ich nichts als etwas Falsches. Dazu kommt, dass ein (unreflektiertes) verbreitetes tschechisches Kommunikati­ onsschema darin besteht, eine Art Understatement-Spiel zu treiben: Eine Person sagt über sich nichts Gutes, sondern eventuell sogar im Gegenteil, etwas sehr Be­ scheidenes. Sie wartet aber darauf, dass der Gesprächspartner dieses (Höflichkeits-)Ritual durchschaut, das Gute erkennt, dem Understatement widerspricht und, mehr noch, die Person sogar lobt. Ein „anständiger“, „wohlerzogener“ Tscheche tritt grundsätzlich eher bescheiden, zurückhaltend oder höchstens kumpelhaft auf, nicht assertiv oder gar aggressiv. Außerdem hört er gut zu. Einem Tschechen soll man auch eher nicht anmerken, was er alles im Kopf hat - das wird als Zeichen von wahrer Bildung und Größe geschätzt. Überdies gehört es zur Höflichkeit, sich permanent zu entschuldigen für im Grunde unbedeutende, subperfekte Dinge des Alltags. Zudem existieren eine Fülle rhetorischer Floskeln, wie z.B. „Das ist schwer zu sagen...“ als Einleitung zur Antwort auf eine Frage. Grundsätzlich wirkt Schwäche auf Tschechen sympathisch. Dem Schwachen drückt man die Daumen, auf seiner Seite steht man. Gleichzeitig haben Tschechen ein sehr fein ausgeprägtes Gespür für etwaige Asymmetrien in Beziehungen: Ausführliche Erklärungen von Verfahren „stem­ peln“ den, dem erklärt wird, zum Dümmeren. Eine strukturierte, inhaltlich umfas­ send vorbereitete Präsentation kann „überrollend“ und atemberaubend dominant wirken. Als Hilfe apostrophierte Handlungen werden in ihrer Richtung deutlich von oben nach unten erlebt. Manchmal genügt allein die Tatsache, dass eine Firma in deutschem Besitz ist, um ein Gefühl der Benachteiligung auszulösen.

Die Sprache spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Die Tatsache, dass Deutsche nur in Ausnahmefällen Tschechisch sprechen, so dass die Kommunika­ tion normalerweise in Deutsch stattfindet, führt in jeder Begegnung zu einem Un­ gleichgewicht und zu Gefühlen der Unvollkommenheit auf Seiten der Tschechen.

189

Der Transformationsprozess tut sein Übriges: Stets fühlen sich Tschechen einer­ seits unterschätzt und zu wenig anerkannt für die (früheren und jetzigen) tschechi­ schen Leistungen, haben aber andererseits auch Sorge, wirklich nicht genug ge­ wappnet zu sein für die neue Zeit. Übersteigerte Selbstsicherheit

Tschechen auf prestigeträchtigen und machtvollen Positionen werden zu einem ansehnlichen Teil als das glatte Gegenteil geschildert. Sie scheinen teilweise ihre Macht ungehemmt auszuleben und andere spüren zu lassen - Tschechen wie Deut­ sche. So äußern sie mitunter Ansprüche, z.B. Gehaltsforderungen oder Forderun­ gen nach Statussymbolen, die der Relation zur Leistung, zu analogen Positionen im Mutterhaus oder zur Größe der Firma in Tschechien nicht entsprechen, sondern als „überzogen“ beurteilt werden müssen. Auf derselben Linie liegen auch Ver­ haltensweisen dieses Personenkreises, die von (anderen) Tschechen wie von Deut­ schen als Angeberei erlebt werden. Es scheint manchmal so, als wäre eine Firma nur dann viel wert, wenn sie Statussymbole bereitstellt und viel in Repräsentation investiert. Deutsche vermissen bei diesen Tschechen Anerkennung oder gar Dank, wenn sie z.B. außerplanmäßig Sonderleistungen oder Gehaltserhöhungen gewähren oder persönliches Entgegenkommen zeigen. Diese Dinge werden vielmehr als etwas betrachtet, was den betreffenden Personen ihrer Meinung nach quasi zusteht.

Einige berufliche Zielvorgaben, die sich Tschechen setzen - z.B. die ISO-Zertifizierung oder das Anstreben besonders attraktiver Kooperationen -, sowie die Vor­ stellungen über manche betriebliche Möglichkeiten halten Deutsche aufgrund ihrer Erfahrung für gänzlich unrealistisch.

Im Alltag werden Deutsche immer wieder mit einem anderen Maßstab gemessen: Sie zahlen andere Preise oder erfahren eine diskriminierende, unfreundliche Be­ handlung dann, wenn sie sich in einer normalen und keiner machtvollen Position befinden. In Kontakten mit Deutschen suchen sich Tschechen gerne Felder, in de­ nen sie besser sind, z.B. im handwerklichen Bereich. Das Gefühl der Überle­ genheit gegenüber den betreffenden Deutschen wird dann demonstriert und genos­ sen. Im Transformationsprozess erleben sich etliche Tschechen als die „Amerikaner Europas“, die sich hocharbeiten und viele (alle?) andere europäische Länder über­ flügeln werden.

190

4.8.1.2.

Der (westdeutsche Kulturstandard „Stabile Selbst­ sicherheit“

Definition: Tschechen charakterisieren Deutsche stets als betont selbstsicher. In einer weniger schmeichelhaften Formulierung nennen sie sie arrogant. Was verbirgt sich dahin­ ter? Wenn Deutsche mit den Kritischen Ereignissen konfrontiert wurden, die Tschechen als Beispiele von Arroganz interpretierten, dann nannten Deutsche fol­ gende Gründe für ihr Tun: Leistungsbewusstsein, Professionalismus, Kompetenz, Glaubwürdigkeit sowie Streben nach Akzeptanz, Ansehen, Anerkennung und Kar­ riere. Und das sind für sie im Berufsleben alles positiv besetzte Begriffe.

Darstellung: Der Ausgangspunkt ist vielfach der, dass Deutsche gerne den Eindruck erwecken, von einer Sache etwas zu verstehen und in einem/ihrem Gebiet Experten zu sein (vgl. Sachorientierung). Und nun kommen Typiken, die bereits von der Beschrei­ bung des typisch deutschen Kommunikationsstils bekannt sind:

• Deutsche sagen ihre Meinung, klar und deutlich (vgl. schwacher Kontext) - ob gefragt oder nicht. • Sie scheuen sich nicht, anderen zu widersprechen, sie auf (vermeintliche) Fehler hinzuweisen, sie zu korrigieren, Kommentare abzugeben und sich auf Streitge­ spräche einzulassen (vgl. Konfliktkonfrontation). • Sie reden im „Brustton der Überzeugung“ (vgl. regelorientierte Kontrolle). Aber entscheidend ist nun, wie Deutsche ihre Aussagen vortragen - oft strukturiert vorbereitet, stets unüberhörbar und sicher:

• Das, was sie sagen, unterstreichen sie nonverbal mit Signalen, die als „angst­ frei“, „souverän“ oder „stark“ interpretiert werden können. Sie reden scheinbar von Zweifeln unangefochten. • Sie wollen andere überzeugen und „predigen“ geradezu ihre Meinung, ihre Strategie, die Verfahren in ihrem Unternehmen etc.. • Sie halten am eigenen Standpunkt und an den eigenen, einmal erlernten Kennt­ nissen lange fest und zeigen wenig Offenheit und Toleranz für andere Ansich­ ten. Sie hören nicht aufmerksam und interessiert zu und scheinen, neues, ande­ res oder zusätzliches gar nicht wissen zu wollen. • Der deutsche Tonfall ist generell etwas lauter als der tschechische, die Sprache härter. Auch das wirkt (unangenehm) selbstsicher. 191

Ein weiterer Aspekt der Selbstsicherheit liegt darin, dass Deutsche es gewohnt sind, ein gewisses Marketing für sich selbst, ihre Firma, ihre Vorhaben, ihre Er­ folge usw. zu betreiben. Selbstdarstellung und Selbstpräsentation ist immer ein wichtiges Thema, wie auch die Präsentation von Produkten. Firmengebäude haben ebenfalls repräsentativ zu sein und für Besucher wird auf den optischen Eindruck eines Büros Wert gelegt. Deutsche zeigen, wer sie sind, was sie können. Für alles, sogar zur rein firmenintemen Kommunikation werden Präsentationen vorbereitet. Dabei scheinen sie geübter, indem sie das Publikum ansehen, nicht murmeln und fließend sprechen, weil sie die Sache im Kopf haben. Mit der allgegenwärtigen Selbstdarstellung wird auch die Konkurrenz unter Deutschen offener ausgetragen. Gerade nach oben hin ist jeder um eine möglichst positive Selbstdarstellung be­ müht. Ein wirksames Mittel ist, sich als jemanden auszuweisen, der in vorbildli­ cher Weise die Vorgaben, Erwartungen und Regeln erfüllt.

4.8.I.3.

Zur gleichzeitigen Wirksamkeit beider Pole des Kultur­ standardpaares „Schwankende Selbstsicherheit - stabile Selbstsicherheit

Das tschechische Mischungsverhältnis: Einen Grund für die überwiegend geringere Selbstsicherheit sehen Tschechen darin, dass sie stets als ganze Person agieren, also fast nie nur in der Rolle. Dieser Aspekt ist ein wesentlicher Anstoß zum Pendeln zwischen geringer und hoher Selbstsicherheit, denn Tschechen müssen sich bei einem neuen Kontakt erst ihre Position gegenüber dem Partner erobern, da die Rolle alleine dafür nicht ausreicht. Zudem sind sie sich immer und überall ihrer Stärken und Schwächen mehr be­ wusst und fühlen sich der Gefahr ausgesetzt, dass die Schwächen zum Vorschein kommen könnten. Somit treten Sie zunächst scheuer, schüchterner, zurückhalten­ der auf, um sich keine Chance zu verwirken.

Die möglicherweise übersteigerte Selbstsicherheit kann dann eintreten, wenn sich jemand aufgrund seiner Rolle gerade mal unanfechtbar wähnt.

Mit Verlaub: Nicht jede Zurückhaltung entspringt geringerer Selbstsicherheit. Oftmals warten Tschechen einfach eine Situation lieber ab (vgl. Konfliktvermei­ dung). Understatement oder Sich-dumm-Stellen kann außerdem durchaus Taktik sein, um sich Vorteile zu verschaffen (vgl. personorientierte Kontrolle). Das deutsche Mischungsverhältnis: Deutsche stellen ihre Selbstsicherheit in Frage: Ja, beruflich fühlen sie sich selbst-

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sicher, wenn sie in ihrer Rolle agieren und sich in ihrem Fachgebiet wirklich als Experten fühlen, die wissen, wovon sie reden und weshalb sie Dinge genauso und nicht anders handhaben. Doch im Bereich der Beziehungen mit Tschechen sehen sie diesen Tatbestand nicht mehr durchgängig gegeben. Hier erleben sie sich - und zwar je sensibler, bemühter, korrekter umso mehr - von allerlei Unsicherheiten eingeholt. Denn die Geschichte lastet schwer auf ihnen. Ein positives Nationalbe­ wusstsein existiert vor allem als Stolz auf die wirtschaftlichen Leistungen, aber keinesfalls als ungebrochene nationale Identität. Mancher Interviewpartner sagte ausdrücklich, er würde sich im Kontakt mit Tschechen aufgrund des historischen Kontexts ganz besonders darum bemühen, korrekt, engagiert, zuverlässig und „nett“ zu sein. Er möchte bewusst ein positives Deutschenbild vorleben.

Man kann somit sagen, dass Deutsche in ihrer Selbstsicherheit ebenfalls massiven Pendelbewegungen ausgesetzt sind. Doch solange ein Kontakt nur beruflicher Natur ist (Rolle), bleibt diese andere deutsche Seite an einer Person völlig unbe­ kannt. Sie offenbart sich wegen der damit verbundenen intensiven Gefühle nur einem Freund.

4.8.2.

Die dynamische Perspektive

4.8.2.1.

Vernetzung der Kulturstandards

Das Kulturstandardpaar „schwankende versus stabile Selbstsicherheit“ hängt ur­ sächlich sowohl mit „Personbezug versus Sachbezug“ und „Diffusion bzw. Tren­ nung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“ zusammen, wie in der Kon­ sequenz mit „Konfliktvermeidung bzw. Konfliktkonfrontation“. Tschechen be­ nennen selbst das Agieren als ganze Person, die sich wiederum an Personen wen­ det, als Grund für größere Unsicherheit; und Deutsche weisen selbstkritisch darauf hin, dass sie nur so sicher agieren, solange sie sich innerhalb ihrer Rolle und auf die Sache hin orientiert bewegen. Beides ist mit eine Bedingung dafür, ob sich ei­ ne Person auf Konflikte einlässt (Selbstsicherheit) oder ihnen eher ausweicht (Un­ sicherheit). Ungebrochene Selbstsicherheit ziehen Tschechen allerdings aus ihrem Kommunikationsstil „hoher Kontext“: Er weist sie eindeutig als klüger und pfiffi­ ger als Deutsche aus.

193

4.8.2.2.

Kultureller Wandel im Transformationsprozess

Aus sozialistischen Zeiten rührt das Phänomen „Handlungsblockade “, d.h. ein Fehlen von Initiative zu verantwortlichem, eigenständigem oder problemlösendem Handeln, obwohl auf kognitiver Ebene klar ist, worin das Problem besteht und wie es zu lösen wäre, und Handlungsspielräume bleiben ungenutzt. Der Hintergrund, der ein solches Verhaltensmuster entstehen ließ, war ein Machtsystem, das Men­ schen, die sich einmischten, Fragen stellten, Vorschläge machten für unerwünscht erklärte und dafür mehr oder weniger sanktioniert hat. Was dabei nachhaltig ge­ lernt wurde, war eine tiefsitzende Angst. Und diese Angst behindert Aktivität und Bewegung bis heute. Eine mehr oder weniger umfangreiche „Entblockierung“ er­ folgt zwar bei vielen, aber Vorsicht bestimmt immer noch das Verhalten. - Darin liegt eine wichtige Wurzel für Unsicherheit und Zurückhaltung. Und dazu kommt seit der „Wende“, dass der Transformationsprozess seinerseits eine Menge Angstquellen und Kränkungsmöglichkeiten in sich birgt, weil das System der Tschechen geändert wird, nicht das westdeutsche. Das bedeutet nicht nur keine Anerkennung für die Vergangenheit, sondern erneute Unsicherheit, wie Marktwirtschaft im Detail funktioniert, welche Erwartungen hier genau zu erfüllen sind und wie das am besten zu leisten ist. Der Wissens- und Erfahrungsvorsprung der Deutschen ist (immer noch) ein Faktum und damit ist Asymmetrie (immer noch) mehr oder weniger eine Bedingung, mit der man zu leben hat. Wenn der Globalisierungsprozess bedingt, dass tschechische Unternehmen in nicht-tschechi­ sche Hände kommen, ist auch das sicher kein Grund zu Selbstsicherheit im Sinne einer empfundenen Selbstbestimmung aufzubauen. Der Teil, auf den man un­ gebrochen stolz ist - das rege Kulturleben beispielsweise in Literatur, Theater, Musik, Malerei, Architektur - reicht nicht aus, die Gefährdungen des Selbstwert­ gefühls durch den wirtschaftlichen Transformationsprozess zu kompensieren. Marktwirtschaft:

Eine Bedingung im Funktionsgefüge der Marktwirtschaft besteht in einem erfolg­ reichen Marketing. Imagepflege und Werbung sind dabei unerlässlich. Ein gutes Produkt hat mit vollem Recht in gutem Licht zu erscheinen. Und die, die es reprä­ sentieren oder verkaufen, haben ebenfalls zu einem positiven Image des Produkts und der Firma beizutragen. Dazugehörige Verhaltensweisen prägen das Auftreten maßgeblicher Rollenträger einer Firma so sehr, dass sie als mit permanentem Selbstmarketing beschäftigt erscheinen - offensichtlich von Zweifeln in ihrer rol­ lenbezogenen Selbstsicherheit unangefochten.

194

4.8.3.

Die strategische Perspektive

4.83.1.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Schwankende Selbstsicherheit“

Der Nachteil der „schwankenden Selbstsicherheit“ der Tschechen liegt - gerade was den Kontakt mit Deutschen betrifft - darin, dass die Tschechen es damit den Deutschen schwer machen, sie als gleichwertige und gleichrangige Partner zu er­ leben und als solche dann auch zu behandeln: • Tschechen laufen, wenn sie zu bescheiden auftreten, Gefahr, von Deutschen als „schwach“ oder „inkompetent“ gesehen und unterschätzt zu werden. Im noch schlimmeren Fall wird ihnen ein „falsches Spiel“ unterstellt. Wenn die Deut­ schen freilich auf die „Underdog-Attitüde“ reagieren (und z.B. erklären oder „helfen“), begeben sie sich damit automatisch wieder in die stärkere Position und wirken garantiert beleidigend. Tun sie es nicht, gelten sie schnell als ver­ ständnislos und zu fordernd. • Fühlen sich Deutsche in einen Machtkampf verwickelt, in dem ihnen tschechi­ sche Stärke vor Augen geführt werden soll, dann ist auch die Ebene der Eben­ bürtigkeit verlassen und Deutsche kämpfen ihrerseits - je nach Situation - viel­ leicht um ihre Position oder, häufig, um die Effizienz in der Sache (an der sie beruflich schließlich gemessen werden.)

4.83.2.

Vor- und Nachteile des Kulturstandards „Stabile Selbst­ sicherheit“

Die deutsche Art, beruflich selbstsicher aufzutreten, wirkt beeindruckend und durchaus professionell. - Darin liegt ein Vorteil. Selbstsicherheit - und das ist ein bedeutsamer Nachteil - wirkt auf Tschechen aber nicht sympathiefordemd, sondern manchmal als Anlass zum Rückzug, manchmal als Aufforderung zum Kräftemessen. In beiden Fällen ist dann die Kooperations­ basis zerstört.

195

5.

Diskussion und Interpretation

Im Theorieteil (vgl. 2.) wurden die Grundlagen, auf denen diese Arbeit basiert, dargestellt: der Ansatz der bipolaren Kulturstandardpaare als Synthese aus dem Kulturstandardansatz nach Thomas und der multiperspektivischen Kulturtheorie nach Demorgon einschließlich der sich daraus ergebenden Implikation des For­ schens im bikulturellen Team. Dann folgte die Beschreibung des sich aus diesen theoretischen Überlegungen ableitendenden methodischen Vorgehens (vgl. 3.) Im nächsten Abschnitt konnten die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt werden: die erhaltenen bipolaren Kulturstandardpaare im (west)deutsch-tschechischen Kulturvergleich (vgl. 4.). Nun geht es darum, die Ergebnisse zu diskutieren und interpretieren (5.1.), eine Diskussion der verwendeten Methode (5.2.) sowie des Forschungsansatzes (5.3.) vorzunehmen, das Arbeiten im bikulturellen Team zu reflektieren (5.4.) und Überlegungen zum Anwendungsbezug der Ergebnisse in interkulturellen Trainings anzustellen (5.5.).

Den Anfang macht die diachrone Perspektive, also die historische Analyse und Interpretation der Befunde (5.1.1.).

5.1.

Diskussion und Interpretation der Ergebnisse

5.1.1.

Historische Analyse und Interpretation der Befunde: Die diachrone Perspektive

Kulturstandards haben ihre Wurzeln in bestimmten historischen Gegebenheiten, unterliegen über die Zeit hinweg einer gewissen Veränderung und sind irgend­ wann in der Geschichte aus bestimmten Notwendigkeiten heraus entstanden. Kulturelle Orientierungen entstehen als sinnvolle Antwort und aktive Verarbei­ tung lokaler und grundsätzlicher Anforderungen an die Organisation menschlichen Lebens - Anforderungen, die selbst wieder mitgeprägt sind von den Ergebnissen vorhergehender Auseinandersetzungen mit den Lebensbedingungen. Der Rhyth­ mus des Entstehens und Vergehens von zentralen Kulturstandards bemisst sich 196

dabei in Jahrhunderten. Kulturen sind damit einerseits von beachtlicher Kontinui­ tät, wandeln sich andererseits, wenn die geohistorischen Situationsbedingungen nachhaltigen Anpassungsdruck ausüben und man vom Verständnis einer Kultur, wie Demorgon sich ausdrückt, als einer „strukturierten Einheit von Antworten auf menschliche Probleme“ ausgeht. (Demorgon, 1999a, S. 77). Somit lassen sich Veränderungen jüngeren Datums ausmachen, zum Teil jedoch auch recht alte Fundamente ‘freilegen’. „Es sollte keiner Betonung bedürfen, dass jüngere Men­ talitätsentwicklungen die gegebenen nur sukzessiv und kaum ganz vollständig verdrängen...“ (Dinzelbacher, 1993, S. XXXI) Aber „is heute .... gibt es ... keine Theorie der Mentalitäten oder gar des Mentalitätenwandels.“ (Raulff, 1987, S. 9). Fest steht nur: „Die Mentalität ist das, was sich am langsamsten ändert.“ (Le Goff, 1987, S. 23) Es wird nun im folgenden - leider sehr ekklektisch - Hinweisen diverser Autoren nachgegangen und versucht, einschneidende krisenhafte Zeiten darzustellen, die wichtig für die einzelnen Kulturstandards erscheinen. Die Erklärungen können nicht als erschöpfend betrachtet werden, sondern als Teil der möglichen Entste­ hungsbedingungen. Dabei soll die „historische Überdeterminierung“ für jeden Kulturstandard, so gut es geht, ausgeführt werden. Die Kulturstandards kulturhis­ torisch nachzuzeichnen, hat dabei hypothetischen und fragmentarischen Charakter. Sie soll eine mögliche plausible und nachvollziehbare und diskussionsfähige Kon­ struktion von Zusammenhängen sein. „Wenn man so will, dann handelt es sich hierbei um eine Art ‘Szenario’ der Wertentwicklung .., d.h. um eine lockere Anei­ nanderfügung von Hypothesen und Vermutungen, die in einem der Zeitachse fol­ genden ‘narrativen’ Sinn miteinander verbunden sind, wobei ... ‘Plausibilitäts’Urteilen sehr viel Spielraum offengelassen wird.“ (Klages, 1987, S. 203) Dies gilt umso mehr, als dieser Abschnitt über den Fachbereich Psychologie hinausweist.

Obwohl in dieser Arbeit kontrastive Kulturstandardpaare erhoben und dargestellt wurden, lässt sich dieser Ansatz für die diachrone Perspektive nicht mehr durch­ halten. Das hat vor allem zwei Gründe: Der erste Grund liegt in der dünnen Befundlage zur Mentalitätsgeschichte (vgl. Dinzelbacher, 1993; Raulff, 1983) überhaupt und zur tschechischen Mentalitätsge­ schichte im speziellen. Der zweite Grund ist in dem spezifischen Verhältnis, das die Länder Deutschland und Tschechien zueinander hatten und haben, zu suchen. Die Geschichte Tsche­ chiens ist nämlich aufs Engste mit der deutschen Geschichte verwoben, denn Böhmen und Mähren gehörten lange Zeit zu dem Staatengebilde, das - genauge­ nommen mit wechselndem Namen - als „Heiliges / Römisches Reich / Deutscher Nation“ bekannt ist. Böhmen und das mit ihm verbundene Mähren hatte damit nicht nur an allen großen Entwicklungen dieses Reiches Anteil, sondern Böhmen 197

war innerhalb dieses Reiches lange ein durchaus einflussreiches, mächtiges, blü­ hendes Land. Für die tschechische Geschichte ist daher Deutsch(sprachig)es und ein wie immer geartetes „deutsches Reich“ ein sehr wesentlicher Bezugspunkt. Für die deutsche Geschichte bilden dagegen nicht so sehr Böhmen und Mähren, als vielmehr europäische Großmächte wie Frankreich, Spanien und England die Vergleichsbasis. Daher liegen die Befunde zur diachronen Perspektive der deut­ schen Kultur, die existieren, auf einer anderen Ebene. Analog der „power distance reduction theory“ nach Mulder (1977) und der europäischen Konstante des WestOst-Gefälles (Koch-Hillebrecht, 1978) vergleicht sich jede Kultur mit den Mäch­ ten, die sie als „oben“ wahmahm, d.h. die Tschechen setzen ihre Geschichte gegen die deutsche, die Deutschen ihre Geschichte gegen die europäischer Westmächte.

5.1.1.1.

Die tschechischen Kulturstandards

Wegen dieser spezifischen Verhältnisse sei eine Kurzfassung der tschechischen Geschichte den detaillierteren Ausführungen zu den einzelnen Kulturstandards vorangestellt. (Akademie für Lehrerfortbildung, 1988; Halecki, 1952; Hoensch, 1997; Nittner, 1988; Prinz, 1999; Rehder, 1993; Schieche e.a., 1970; Seibt, 1997; Yale, 1995)

Slawische Stämme wanderten im 6. Jahrhundert in das Gebiet des heutigen Tsche­ chiens ein. Unter der Führung des Stamms der Tschechen konsolidierten sich die westlichen Stämme zu einem Staat, dessen erstes Herrscherhaus die Premysliden waren. Die böhmischen Länder waren von Karl dem Großen an bis ins 13. Jahr­ hundert sehr eng mit der Reichspolitik verknüpft: Die Premysliden konnten mit der Rückendeckung durch das deutsche Königtum „ihre Herrschaft in Böhmen und Mähren gegen innenpolitisch starke Gegner festigen, und auch die deutschen Könige und Kaiser ... bedienten sich der reichen böhmischen Fürsten , um sich gegen ihre Feinde im Reich und gegenüber dem Papsttum behaupten zu können.“ (Prinz, S. 12)

Im 13. Jahrhundert setzte dann die Ostkolonisation ein, denn der hochmittelalterli­ che Landesausbau brauchte Menschen für die ausgedehnten Waldrodungen. Die Premysliden holten deutsche Bauern, Handwerker und Bergleute ins Land und be­ dachten sie dafür mit Privilegien, z.B. mit der Zugehörigkeit der neuen deutschen Städte zur mittelalterlichen deutschen Rechtskultur. Ihr Motiv war lediglich Reichtum durch vermehrte Einnahmen und „nationale Aspekte spielten dabei überhaupt keine Rolle“ (Prinz, S. 13). Die Herrschaft der Premysliden blieb denn auch im sonstigen Land völlig unangetastet. Trotzdem beginnt ab dem Spätmittel­ alter auf dieser Basis die wechselvolle Zweivölkergeschichte Böhmens, denn jetzt „lassen sich tschechische Stimmen vernehmen, die sich entschieden gegen den als übermächtig empfundenen deutschen Einfluss im Lande wenden“ (Prinz S. 13). 198

Im Hoch- und Spätmittelalter erleben beide Völker in Böhmen eine Blütezeit und Böhmen erweist sich „als eines der stilbildenden Zentren in Europa“ (Prinz, S. 14).Unter Karl IV. war Prag das politische und kulturelle Zentrum des Reiches. Ab dem 15. Jahrhundert geriet Böhmen in den Strudel der Religionskriege. Dabei hatte die Hussitenbewegung eine nationale, soziale und religiöse Komponente. In ihren nationalen Anteilen - und diese werden in der tschechischen Geschichts­ schreibung gerne betont - stellt sie eine Reaktion auf die „doppelte Übermacht des deutschen Einflusses , der sich sowohl in der personellen Konzentration der Reichsgewalt in Prag äußerte wie in den politisch-gesellschaftlichen Konsequen­ zen der deutschen Siedlung im Lande“ (Prinz, S. 15). Mit Beginn der Habsburger Herrschaft 1526 setzte eine früh-absolutistische und damit gewaltsam zentralisierende Herrschaft ein, die als „Germanisierung“ emp­ funden wurde, aber nicht als solche beabsichtigt war. Der habsburgische Zentra­ lismus lief trotz der Vertreibung der zahlreichen deutschen Protestanten aus Böh­ men im Zuge der Gegenreformation letztlich auf eine Stärkung des Deutschtums hinaus vor allem wegen der Verlegung der böhmischen Hofkanzlei nach Wien und der Amtssprache Deutsch. Böhmen lebte ab 1620 (Schlacht am Weißen Berg Sieg der Gegenreformation) nur im gesamtösterreichischen katholischen Barock weiter. „Für die Tschechen hatte das Deutschtum Böhmens damals vor allem zwei Aspekte: erstens als Mitbewohner der böhmischen Länder und zweitens als be­ trächtlicher Bestandteil der politischen Klasse der Reichshauptstadt Wien, von wo aus die Deutschböhmen nachhaltig auf die politische Lage in Böhmen und Mäh­ ren, gewissermaßen von oben, einwirken konnten. Kein Wunder, dass die politi­ sche Klasse Tschechiens dies als nationale Bedrohung empfand, wenn dies auch kaum der Realität entsprach.“ (Prinz, S. 18) Es ging den Habsburger Herrschern nicht um Germanisierung, sie waren „nur“ absolutistische Monarchen. Tatsache war, „... dass es bis zum Beginn der nationalen Erweckungsbewegung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert für einen sozial arrivierten Tschechen das quasi Normale war, dass er damit auch in eine gesamtösterreichische, nämlich deutschsprachige Kulturgesellschaft eintrat. Der tschechischen Nation mangelte es somit weitgehend an einer tschechischen Intelligenz und Führungsschicht bzw. sie ging verloren.“ (Prinz, S. 17)

An diesem Punkt setzte im 19. Jahrhundert die Gruppe der nationalen Erwecker an und propagierte eine tschechische Nationalkultur und eine erneuerte tschechische Hochsprache. Der böhmische Adel sah darin eine Chance zum Widerstand gegen den Habsburger Zentralismus und die Bewegung bekam eine hochpolitische Note, die Wien gleichermaßen wie die in Böhmen lebenden Deutschen alarmierte. Die böhmischen Gemeinsamkeiten traten in den Hintergrund und beide Völker ent­ fernten sich aufgrund der zunehmenden nationalen Ideologie auf beiden Seiten 199

immer mehr voneinander. Beiden Völkern gereichte der aufkommende Nationa­ lismus zu einer kulturellen Blüte - in Prag wie in Wien. Für beide Völker bereitete es aber auch politisch den Boden für die Katastrophen im 20. Jahrhundert. Seit dem Spätmittelalter also rührt ein Ringen um eine eigenstaatliche Entwick­ lung und um Identität, das nur zwei Epochen erlangter Selbständigkeit aufweist: 1918 - 1938 und seit 1989. Hilf formuliert das so: „Von Anfang an ergibt sich ein eigentümlicher Widerspruch: Böhmen wird in den deutschen Reichsverband einbezogen und wahrt trotzdem bis in die Zeit des öster­ reichischen Absolutismus eine Sonderstellung.“ (Hilf, S. 20) Das Bewusstsein, „im eigenen Recht zu stehen“ war immer da und trägt im 19. Jahrhundert ent­ scheidend zur tschechischen Wiedergeburt bei. (Hilf, S. 20) Böhmen wurde keine Ostmark unter Karl dem Großen; im Mittelalter wurde mehrmals böhmischen Herzögen die Königswürde verliehen. Sie erlangten die volle Gleichberechtigung in der Reichspolitik der Deutschen. Erst nach den Hussitenjahren hatte Böhmen seinen politischen Einfluss eingebüßt und ist zu einer machtlosen Stände- und Adelspolitik geworden. Von daher datiert auch seine Verbindung mit Habsburg, was in Zeiten des Absolutismus ein hartes Los war.

Im folgenden wird nun der Versuch unternommen, die empirisch gefundenen tschechischen Kulturstandards unter der diachronen Perspektive zu betrachten und dazu das Material zusammenzutragen, das das Typische am Verhalten der Tsche­ chen als unter historischen Bedingungen erlerntes und effektives Handeln ver­ ständlich machen kann.

5.1.1.1.1. Personbezug

„Ein deutscher Leser hat kaum die rechte Vorstellung davon, wie sehr ein durch­ schnittlich gebildeter Bewohner der tschechoslowakischen Republik mit dem Be­ wusstsein einhergeht, der Angehörige eine kleinen Volkes zu sein.“ (Seibt, 1997, S. 29). Stets fühlte man sich eingebunden in größere Herrschaftszusammenhänge: bis 1806 gehörte man zum „Heiligen römischen Reich deutscher Nation“, bis 1918 zur österreichischen Monarchie, zwischen 1938 und 1945 war man das „Protekto­ rat Böhmen und Mähren“, 1945-1989 Teil des Ostblock. Böhmen und Mähren wa­ ren im Laufe der Jahrhunderte der Schauplatz vieler Kriege, auf dem fremde Mächte ihre Kriege ausfochten. Und sowohl 1938 wie 1968 fühlte man sich vom Westen im Stich gelassen und feindlichen Großmächten preisgegeben. Thomas G. Masaryk sagte als alter Mann (85-jährig) mit einem Blick auf die tausendjährige Geschichte, „dass ein so kleines Land wie das seine kaum mehr erhoffen dürfe als dann und wann zwei Jahrzehnte der Freiheit“, einen Atemzug „Unabhängigkeit von größeren Nachbarn“ (Seibt, 1997, S. 227) - Allein daraus resultiert ein starker Zusammenhalt unter den Menschen. 200

Seit dem Niedergang Böhmens als Staat herrscht darüber hinaus ein tiefes Gefühl des Beherrschtwerdens vor. Die starke Fokussierung auf Personen und auf die Be­ ziehungsebene ist etlichen tschechischen Gesprächspartnern zufolge eine Konse­ quenz von dieser empfundenen Fremdherrschaft: zum einen war der Zusam­ menhalt der Menschen in Not- und Gefahrensituationen sowie gegenseitige Hilfe und Unterstützung überlebensnotwendig, andererseits war „Menschenkenntnis“ die Basis, mit der die Vertrauenswürdigkeit einer konkreten Person getestet wur­ de. Denn für die Tschechen wie für die mittel-osteuropäischen Länder generell „be­ deutet ... 1989 zugleich den Beginn der letzten Phase der ‘De-Kolonialisierung’... Mehrmals stand das eigenständige Überleben dieser Nationen in Frage, während der nationalsozialistischen Besatzung sogar das nackte physische Überleben. In diesem Umstand liegt ... eine der Wurzeln dafür, warum in allen diesen Ländern den formalen Aspekten sowie dem Bereich der Beziehungen, der persönlichen eingeschlossen, ein derart hoher Stellenwert zukommt.“ (Pumberger, 1997 b, S. 229) Außerdem waren es „sowohl im Kontext jahrhundertelanger fremder Vorherr­ schaften als auch zu Zeiten von Kommunismus und zentraler Planwirtschaft ... generell ebenso wie in den Betrieben - ganz wesentlich diese persönlichen Bezie­ hungen, die als Instrument zur Abschirmung oder zumindest zur Abmilderung von äußeren Zwangseingriffen eingesetzt werden konnten.“ (Pumberger 1997 b, S. 233) Die letzte geschichtliche Epoche, der Kommunismus, ist in dieser Hinsicht noch in der Erinnerung vieler präsent: „Die Tschechen haben eine bestimmte Art von Herzlichkeit entwickelt... Diese Herzlichkeit ist eine Knautschzone gewesen, um der grenzenlosen Unverschämtheit der Funktionäre, der Polizei, der politi­ schen Kader und letztlich auch den ganz normalen Obst- und Gemüseverkäuferin­ nen Paroli bieten zu können.“ (Burgerstein, 1998, S. 80).

Parallel dazu hatte das Land stets seit jeher eine stark zentralistische Ausrich­ tung auf Prag als dem Ort für politische Entscheidungen und der Schaltzentrale für Kultur und Literatur, Künste. Mit der Zentralisierung eines Landes innerhalb festgefügter Grenzen geht stets eine Fokussierung von Entscheidungen auf be­ stimmte Personen, Individuen und Beziehungen einher, das zeigt die Geschichte von höfischem Zentralismus z.B. auch in Frankreich sehr deutlich. Aus dieser Quelle entwickelte sich ebenfalls eine Perspektive für die Bedeutung des Zwi­ schenmenschlichen und für die Wechselwirkung von Individuen. War Prag zu­ nächst höfisch orientiert, so wurde es im Zeitalter der nationalen Wiedergeburt im 19. Jahrhundert zum Zentrum des Tschechischen.

Mühlberger (1973) sieht, und das soll nicht unerwähnt bleiben, als dritte Wurzel 201

auch eine idealistische: das Hussitentum. „Der ... tschechische Wesenszug der Milde, ... des Gemeinsinns, des Hangs zu einfachen, ruhig gedeihenden Lebens­ verhältnissen läuterte sich aus dem Hussitismus heraus und sollte auf friedlichem Wege durch lange Zeit... wirken.“ (S. 60). Der Hussitismus, vor allem die Böhmi­ schen Brüder, predigten einen urchristlichen Kommunismus, (vgl. Schieche, 1970)

Generell ist es für slawische Völker bezeichnend, später zu staatlichen Prinzipien übergegangen zu sein (vgl. Schier, 1989). Sie lebten länger sippenhaft. In solchen Gesellschaften ist Beziehungsorientierung das unabdingbare Element, das die Sippe zusammenhält. - Auch diese uralte Wurzel könnte noch nachwirken. Und Flick (1978) glaubt, feststellen zu können, dass alle slawischen Völker auf­ grund ihrer vorchristlichen Religion, die aus einer Verehrung der Naturkräfte statt der Verehrung personifizierter Götter bestand, auch weniger zur „Menschen­ verehrung“ hervorragender Persönlichkeiten als „höherer Menschen“ neigen. Sie brachten vielmehr bei ihrer relativ späten Christianisierung Brüderlichkeit und so­ ziale Gerechtigkeit in das (vorprotestantische) Christentum ein und betonten es. Sie argumentiert, dass eine Verehrung der Naturkräfte der Mythisierung eines Helden entgegensteht, denn was einen Helden ausmacht, sind dessen innere, nicht dessen äußere Kräfte. Während die physischen Kräfte aber den Naturkräften im­ mer bei weitem unterlegen, erlauben die inneren Kräfte eine Trennung in „höhere“ und „niedrigere“ Menschen. Fehlen sie in der Wahrnehmung, dann herrscht eben mehr Brüderlichkeit - in unserem Kontext hier: eine Personorientierung, die ver­ brüdert.

5.1.1.1.2. Abwertung von Strukturen Die zwischen Tschechen und Deutschen unterschiedliche Haltung Strukturen ge­ genüber, dürfte schon sehr alt sein, so konstatiert das zumindest Seibt (1997), der sich intensiv der böhmischen Geschichte widmet: „Seit tausend Jahren benachbart, seit siebenhundert Jahren in einem Land konfiniert, in Böhmen sowohl als in Mäh­ ren, haben die beiden Völker in diesem Raum viel voneinander angenommen und einander doch immer wieder auch als Gegenpole sehen gelernt. Diese Rivalität ist viel älter als der moderne Nationalismus. Sprache und Recht haben ja doch auch zu alten Zeiten schon beide Gruppen voneinander getrennt. Bereits Jan Hus fiel es auf, dass sich die Tschechen nach ihrem Herkommen orientierten - die Deutschen aber nach ihrem Recht. Hier Brauch - da Recht, hier Gewohnheit und da die un­ gleich schärfer gesetzte kasuistische Norm schieden also schon vor einem halben Jahrtausend die beiden Sprachgruppen.“ (Seibt, 1997, S. 11)

Mühlberger (1973) greift zur Erklärung dessen auf den unter Historikern immer wieder diskutierten Gegensatz des slawischen matriarchalischen Prinzips versus 202

des germanisch-patriarchalen zurück und konstatiert bei den Tschechen eine „Ab­ neigung gegen das Organisatorische“ (S. 19). „Der Zug von Staatsfeindlichkeit oder doch Staatsverdrossenheit ist früh feststellbar.“ (S. 19).

Der Hussitismus, vor allem die Böhmischen Brüder predigen eine Ablehnung von Verwaltung und Gerichtswesen und stattdessen einen urchristlichen Kommunis­ mus (vgl. Schieche, (1970). Auch das ist aufgrund der identitätsstiftenden Bedeu­ tung des Hussitismus vermutlich nicht zu unterschätzen. Eine historisch nachvollziehbare Linie jüngeren Datums könnte folgende sein: 1526 haben sich die Tschechen zu einer Assoziation mit dem habsburgischen Kö­ nigshaus und späteren Kaiserhaus bekannt und sind mit ihm eine Personalunion eingegangen. Der Kaiser des Hl. Römischen Reiches deutscher Nation war ein Habsburger und saß auf dem Wiener Thron. Er war gleichzeitig in persona böhmi­ scher König, obwohl er von seiner Abstammung her kein Tscheche war. Nach dem damaligen Verfassungsrecht war Böhmen trotzdem eine eigene Nation in ju­ ristischem Sinne: Man hatte ein fremdes Oberhaupt, aber der Staat war tsche­ chisch bzw. böhmisch. Darin lag ein wichtiger Grund, sich selbst auch immer wieder diese Selbständigkeit vor Augen zu führen. Und es ist auffällig, dass ab 1526 Sagen und Argumente für eine kulturelle Eigenständigkeit auch immer wichtiger wurden. Während also einerseits Fremdherrschaft vorhanden war, wa­ ren die Tschechen andererseits immer darum bemüht, die gefühlte und gestattete Eigenständigkeit aufrecht zu erhalten. Das erfordert und fordert eine Alltags­ bewältigung im bürgerlichen und wirtschaftlichen Bereich, die davon geprägt ist, eine Gradwanderung einzuhalten, zwischen dem von oben Erlaubten und dem aus eigenem Antrieb und Interesse Gewollten. So schreibt Nosal (1999): „Die Ge­ wohnheit, sich dem Staat und seinen Gesetzen zu widersetzen, könnte mit der sich wiederholenden historischen Erfahrung des Verlustes der eigenen Staatlichkeit und mit der Entfremdung von den Regierungsstrukturen Zusammenhängen.“ (No­ sal, 1999, S. 255) Für die Jahre 1938 bis 45 spricht Nosal von einer „Besat­ zungsmentalität“, die im Kommunismus zu einer „Normalisierungsmentalität “ wurde, die „die kommunistische Ideologie nicht akzeptiert und den Staat enteig­ net“ hat. (Nosal, 1999, S. 255). Die geschilderte Gradwanderung zwischen dem Anerkennen der Autorität und der Bewahrung der Identität hat in weiten Bereichen eine „Doppelbödigkeit“ des Han­ delns zur Folge und erfordert und belohnt Strategien großer Flexibilität und Adaptativität. Das gilt für die Phasen der fremdkulturellen Herrschaft zwischen 1526 und 1918. Das setzte sich fort zwischen 1938 und 1989. Im Kommunismus war das Verhältnis des Staates zum Recht willkürlich. Das verursachte Misstrauen gegenüber seinen Strukturen. Die Partei hinterließ als deutliches Erbe: „die Missachtung des Menschen, Zynismus im Umgang mit au­ 203

genscheinlichen Tatsachen und das Ausnutzen der eigenen Machtstellung.“ (Burgerstein, 1998, S. 109). „Formalism flourished on many levels of social life. ... conomic plans were related more to ideology than any serious intention to im­ prove industry or agriculture.“(Pavlica, 1996, S. 22) „Der Zusammenbruch des sozialistischen Systems ließ zerbrochene, wenn auch ungeliebte Strukturen zurück und er hinterließ Menschen, die mit dem Erbe der nahezu sechzig Jahre national­ sozialistischer, dann kommunistischer Diktatur (1939-1989) zurechtkommen müs­ sen.“ (Burgerstein, 1998, S. 10). - Das führte zu einer bis heute wirksamen Skepsis gegenüber Regeln, Normen, Strukturen aller Art.

Hätte es da andererseits nicht das Improvisationstalent gegeben, wäre das Leben zum Erliegen gekommen:

„Dieses ‘Tüftlertum’ der Tschechen basiert somit zum einen auf industriellen und tschechischen Traditionen, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Zum ande­ ren spiegelt es auch Momente der Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit, die in den slawischen Sprachen und Kulturen ohnehin eine größere Rolle spielen. Das tsche­ chische ‘Tüftlertum’ wurde dann unter den kommunistischen Rahmenbedingun­ gen im Sinne von Improvisation zum Ausgleich von Mängeln und Engpässen weiterentwickelt, um auf diese Weise einigermaßen die Produktion aufrechtzuer­ halten.“ (Pumberger 1997b, S. 230) Und Pumberger zitiert einen tschechischen Soziologen mit dessen Erklärung innerhalb eines Workshops: „Nur durch das be­ wusste Umgehen von Anordnungen konnten die tschechischen Arbeiter über Jahr­ zehnte hinweg trotz aller Widrigkeiten zum Funktionieren ihrer Betriebe beitra­ gen. Der tschechische Arbeiter macht, was ihm gesagt wird, er macht es aber auf seine Weise.“ (Pumberger, 1997b, S. 231) Die bereits erwähnten persönlichen Verbindungen und Bekanntschaften hoben dabei immer wieder eine formale Be­ triebsordnung auf. (Burgerstein, 1998) Auch von der Zeit der nationalen Erweckung berichten Tschechen stolz, dass es hier die Improvisation war, die es ermöglichte, Polizei und Zensoren zu umgehen und der nationalen Wiedergeburt zum Leben zu verhelfen. Und wann immer sonst Tschechen Großtaten vollbrachten - durchaus auch innerhalb der Strukturen des deutschen Reichs -, gelang ihnen das per Spontaneität und Improvisation. Somit erhielt die „Abwertung der Strukturen“ von zwei Seiten Verstärkung: Sie war sowohl ein defensiver Mechanismus - zur Abwehr unerträglich erscheinender Beeinflussung - wie auch ein proaktiver Mechanismus zur Erreichung gesetzter Ziele.

204

5.1.1.13. Personorientierte Kontrolle

Mit denselben, soeben für die „Abwertung der Strukturen“ dargestellten Hinter­ gründen, lässt sich die „personorientierte Kontrolle“ verankern, weil sie be­ schreibt, wann Strukturen positiv gesehen werden - nämlich wenn sie für per­ sönliche Motive erfolgversprechend sind - und wann sie umgangen werden - in den sonstigen Fällen. Ein Beispiel hierfür wären der Organisationsgrad und die Einhaltung der Strukturen in der tschchischen Wiedergeburt.

Besondere Erwähnung verdient an dieser Stelle noch die spezifische Haltung der Tschechen zur Religion, die einen massiven Bruch erlitt. So konstatiert Eisch (1996), dass in vielen Analysen, das Scheitern des Hussitismus verantwortlich gemacht wird, für das, was in dieser Arbeit „personorientierte Kontrolle“ genannt wird: „Die Zerschlagung der Reformationsbewegung... sei durchaus gleichbedeu­ tend mit der Zerstörung der tschechischen Kultur... die Folge sei ein doppelbödi­ ges, anpassungsfähiges Mentalitätsmuster, wie es den Tschechen immer wieder zugeschrieben wird.“ (Eisch, 1996, S. 217) Wie sehr sich auch die Jesuiten in der Gegenreformation mühten, eine innere Bekehrung zum Katholizismus gelang nicht. So zogen weiterhin einige Bibelleser von Dorf zu Dorf und etliche religiöse Zirkel bestanden immer im Geheimen, die erst (zum Teil) mit den aufgeklärten josephinischen Reformen zur Religionsfreiheit ans Licht kamen. (Schieche, 1970) Für die breite Masse galt jedoch: Der Hussitismus war zerschlagen, der Katholi­ zismus wurde nicht wirklich übernommen (da half auch keine Legende von Ne­ pomuk, die die Erinnerung an Hus auslöschen sollte) und Tschechien ist heute ei­ nes der am meisten säkularisierten Länder. (Marada, 1997) Eine universalistische Weltanschauung ist Minderheiten vorbehalten. Einen weiteren Schub erhielt dieser Kulturstandard durch die kommunistische Bü­ rokratie und sozialistische Wirtschaft, in der Konformismus erzwungen und Moti­ vation vorwiegend als Bestrafung unerwünschten Verhaltens verstanden wurde: „With the Russians a system of collective irresponsibility has been implemented here...“ (Pavlica, 1996, S. 130) Zur Illustration der hier entwickelten Handlungs­ blockade“ oder auch „learned helplessness“ (Dunbar, 1996, S. 351) sei eine tsche­ chische Studie von Jarosova e.a. (2000) zitiert: „Generell kann man sagen, dass die ... angegebenen Beispiele auf den allgemeinen Unwillen hinweisen (unabhängig von der Stellung in der Unternehmenshierarchie), Verantwortung zu übernehmen. ... Die Beispiele, aber auch die persönliche Erfahrung deuten auf die Existenz eines Teufelkreises hin, den einer der Manager als System der kollektiven Nichtverantwortung’ bezeichnet hat. Er ist wie folgt zu beschreiben:

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In der Top-Etage wird eine Maßnahme entschieden und sie wird inform von Befehlen allmählich auf die zuständigen, niedrigeren Managementebenen 'delegiert'. Wenn es sich um eine unproblematische Angelegenheit oder eine Routine handelt, läuft alles glatt und niemand klagt darüber — das System scheint perfekt zu funktionieren. Sobald es jedoch gilt, Probleme zu lösen — z.B. eine unpopuläre Maßnahme zu treffen, einen Misserfolg oder das Misslingen zu verhindern, der aufkommenden Unzufriedenheit der Mitarbeiter zu begegnen usw. - beginnt das System zusammmenzubrechen. Die Menschen gehen mit der jeweils unangenehmen Angelegenheit um wie mit einer 'heißen Kartoffel’, an der sich niemand verbrennen will. Jetzt kommt es ganz 'natürlich ’ zu Situationen, in denen sich der Mitarbeiter seine Hände in Unschuld wäscht mit dem Hinweis, dass nicht er für den Misserfolg kann, sondern sein Vorgesetzter, der eine schlechte Entscheidung getroffen hat. Und der Vorgesetzte lamentiert vor seinen Kollegen darüber, dass er im Unternehmen nicht der einzige ist, der entscheidet. Die Topetage schiebt die Existenz und die Entstehung der Probleme entweder auf äußere, 'objektive ’ Bedingungen oder - in einer Retourkutsche - auf die unfähigen, unwilligen Mitarbeiter und mittleren Manager. " (Jarosova e.a., 2000, S. 12f) Die Leute erkannten im Kommunimus, dass sie „are not payed for actual work but for their physical presence ‘at work’ and for loyalty to the regime. Views such as ‘only idiots work hard’ became widely popular on all levels of society.“ (Pavlica, 1996, S. 22) Schließlich gab es keine Arbeitslosigkeit und die Pläne waren vor­ wiegend ideologisch, statt ökonomisch erstellt. „Moreover a new form of ‘Czech little men heroism’ appeared which is related to different forms of organizational theft - paid absence, to actual out and out stealing. The attitude that says ‘who do not steal at work rob their own family’ was shared by many.“ (Pavlica, 1996, S. 22) Diese (sozialistischen) Phänomene stehen Tschechien heute im Wege, so meint Burgerstein: Die Tschechen haben damit... „die Sachlichkeit und die notwendige Verbindlichkeit der Zusagen eingebüßt.“ (Bugerstein, 1998, S. 80).

5.1.1.1.4. Diffusion von Persönlichkeits- und Lebensbereichen sowie Simultanität

Die Diffusion von Persönlichkeits- und Lebensbereichen ist zum einen, wie darge­ stellt, schlicht die Folge der ausgeprägten Personorientierung. Insofern sind die Begründungszusammenhänge für beide Kulturstandards die gleichen. Beispiel: „Die Verschlossenheit der Tschechen lässt sich aus der langen historischen Erfah­ rung mit einem Gefühl der Bedrohung erklären.“ (Nosal, 1999, S. 254) Die große Vorsicht allem Fremden gegenüber sowie das anfängliche Misstrauen Unbekann­ ten gegenüber resultiert aus diesem Bewusstsein, ein kleines Volk zu sein, das 206

darauf bedacht sein muss, seine Identität zu wahren. Besondere Beachtung verdient allerdings folgender Aspekt:

Ein Ausgleich zwischen Untertänigkeit und Betonung von Eigenständigkeit war nötig, weil man ab der Verlagerung des Regierungssitzes nach Wien (1576) so­ wohl in der gesamten Administration einer fremden Wiener Macht diente, wie man auch seine eigene Identität schützen, wahren und verwirklichen wollte. Die Tschechen wollten als tschechisches Volk überleben und nicht in einem anderen Volk aufgehen. In diesem Zwang, sich auf der einen Seite arrangieren zu müssen, und auf der anderen Seite, das Eigene nicht aufzugeben, war es günstig, stets ein waches Auge für Chancen zu haben. Es ging darum, (1) mit ‘denen da oben’ nicht in Konflikt zu geraten, aber auch nicht übergangen zu werden sowie (2) darum, ein Stück des Eigenen ausleben und einbringen zu können. Diese Wachsamkeit für Gefahren und Chancen hat die Diffusion von Lebensbereichen zwingend zur Fol­ ge: Es galt Augen und Ohren überall zu haben und sich vorzusehen, aber auch aufzupassen, nichts zu versäumen und nichts zu übersehen, was irgendeinem (!) Lebensbereich dienlich sein könnte. Eine Trennung von Lebensbereichen konnte gar nicht wahrgenommen werden. Das sozialistische System verstärkte außerdem ganz besonders das „eiserne Gesetz der Instrumentalisierung menschlicher Bezie­ hungen“ (Marada, 1997, S. 57), bei dem Freundschaften der Zweckrationalität folgten. Und Simultanität war das erforderliche Muster im Umgang mit der Zeit: Der Kulturstandard „Simultanität“ beschreibt die Phänomene der Diffusion auf einer zeitlichen Ebene. Man hatte unter empfundener Fremdherrschaft kaum die Mög­ lichkeit, in linearer Weise zu handeln, sondern musste wachsam sein gegenüber der Notwendigkeit der Selbstverteidigung und der Chance der Selbstverwirkli­ chung: Man sah zu, nicht hereingelegt zu werden, sondern die eigenen Ziele zu verfolgen, und hatte daher mehrere Eisen im Feuer. Man musste mit Unvorherge­ sehenem umgehen können und jede Depesche aus Wien sofort adaptiv in sein Handeln zur Verfolgung der eigenen Ziel mit einplanen.

Eine Neuauflage dieses Verhaltensmusters brachte der Sozialismus. Wieder galt es, konform zu sein, aber Nischen zu wittern und zu nutzen, um eigene oder ande­ re, für sinnvoll gehaltene Ziele zu verfolgen. An dieser Stelle sei für die Ver­ mischung der formellen und informellen Ebene ein Zitat pars pro toto wiederge­ geben:

„Auch dieses ‘informelle’ Verhalten im Blick auf Problemlösung oder Entschei­ dungsfindung hat konkrete historische Ursachen. Denn teilweise hing die Funkti­ onsfähigkeit des planwirtschaftlichen Betriebs von der Existenz sogenannter außerplanlicher Aktivitäten ab, die entweder zur internen Reparatur von Planun207

Zulänglichkeiten dienten oder die sich in Vermittlungsaktivitäten äußerten (z.B. in Form von Naturaltausch zwischen verschiedenen Betrieben).“ (Höhne, 1997, S. Hl)

5.1.1.1.5. Starker Kontext

Hochkontext entwickelt sich innerhalb einer Kultur dann, wenn das zentrale bin­ dende Element zwischen den Mitgliedern einer Gruppe homogen ist. Nur dann ist ein Fundus an impliziten Signalen gegeben. In Tschechien gibt es zwei langfristig wirksame, homogenisierend wirksame Entwicklungen: (a) eine ausgeprägte zent­ ralistische Kultur, die lange sehr höfisch geprägt war und nun in einen (wiederum zentralistischen) Nationalstaat mündete, und (b) eine gemeinsame, tschechische, nationale, homogene Identität. Dazu gesellen sich (c) Mechanismen totalitärer Re­ gime (des Habsburger Absolutismus sowie des Kommunismus), die Indirektheit und Implizitheit, zwei Strategien einer Hochkontextkommunikation, zusätzlich forderten. (a) „Die strukturelle Aufteilung erinnert ... an eine Kleinausgabe von Frankreich unter dem Sonnenkönig“ meint Burgerstein noch heute, wenn er sein Heimatland beschreibt (Burgerstein, 1998, S. 28). Die Zentralisierung auf Prag hin ist bereits seit dem 11. Jahrhundert nachweisbar (Hoensch, 1997). Die zentralistische Kultur forciert mit ihrer extremen Personorientierung (vgl. Personbezug) die Entwicklung eines geteilten Signalsystems und seine weitere Differenzierung aufgrund eines gemeinsamen Erfahrungsbestands. Da die Grenzen Böhmens und Mährens lange Bestand hatten, wurde diese Entwicklung zwar mit der Verlagerung des Regie­ rungssitzes von Prag nach Wien vorübergehend abgeschwächt, aber es gab den­ noch in dieser Zeit eine beträchtliche Zahl von Tschechen, die an dieser Kultur Anteil hatten und „im Dunstkreis des Wiener Hofes Lebensunterhalt suchte und im diplomatischen Dienst oder in hervorgehobenen Verwaltungs­ stellen Beitrag zum Aufbau der österreichischen Großmachtstellung leistete...“ (Hoensch, 1997, S. 265). Grundsätzlich gilt: „Zentralismus begünstigt die Herausbildung eines einheitlichen Kontexts, eines breiten, geteilten Verständ­ nisses, welches seinerseits über Kommunikation wachgehalten und ausdifferen­ ziert werden muss.“ (Demorgon, 1999a, S. 80) (b) Die homogene tschechische Identität wurzelt zu einem beträchtlichen Teil im linearen Begründungsmuster für die Entstehungsgeschichte des tschechischen Volkes, die vom Urvater Tschech und anderen Sagen ausgeht, sich über das Ge­ schlecht der Premylsiden erstreckt (bis 1310) und eine Argumentationsfolge der Kontinuität und Linearität der Entwicklung des tschechischen Volkes bis 1526 darstellt. Ab dann war es diese Identität, die einen gemeinsamen Bezugspunkt her­ stellte in Abgrenzung zu Wien und den damit assoziierten Entwicklungen und die 208

die „Leute zusammenstehen“ ließ. Dass es dafür im Kontrast zur Amtssprache, sogar eine eigene Sprache gab, die tschechische, könnte verstärkend gewirkt ha­ ben.

(c) Im Habsburger Absolutismus und im Kommunismus war Konformismus ange­ raten. „Diese Verhaltensweisen werden notwendigerweise von einer besonders ausgeklügelten Gesprächsführung begleitet.“ (Burgerstein, 1998, S. 81) „Vorsich­ tiger Interaktionsstil“ heißt der entsprechende Systemkulturstandard, der von for­ malisierter Höflichkeit, Überangepasstheit, dem Vermeiden direkter Aussagen und einem hohen Maß an Selbstkontrolle gekennzeichnet ist (Schroll-Machl, 1996b). „Die besondere Kunst beruht darauf, so zu formulieren, dass man jederzeit einen Rückzieher machen kann.“ (Burgerstein, 1998, S. 81). Gegenüber einem Vorge­ setzten wird laut Burgerstein zum Beispiel zunächst getestet, in welcher Stimmung sich der Chef befindet. Dann wird das Thema vorsichtig lanciert und man ver­ sucht, herauszuhören, was der Chef davon denkt. Wird positiv gedacht, darf jetzt die Bitte vorgetragen werden. Dasselbe gilt auch für alle inoffiziellen Hierarchien (z.B. Putzfrauen). „Hier gibt es klare Parallelen zu politischen Äußerungen, die mit Bedacht erst dann gemacht wurden, nachdem man die Vorgabe der Parteizei­ tung gelesen hatte.“ (Burgerstein, 1998, S. 81)

5.1.1.1.6. Konfliktvermeidung Der Kulturstandard „Konfliktvermeidung “ ist einer, auf den Tschechen stolz sind und den sie sowohl als festen Bestandteil einer zutiefst begrüßenswerten Charakte­ risierung ihres Nationalcharakters betrachten wie auch gerne historisch diskutie­ ren. „The Czech nation has always been peaceful and never provoked any war.“ (Pavlica, 1996, S. 18)

Von Herder stammt die „Gegenüberstellung von kriegerischen und herrschsüchtigen Deutschen und friedfertigen, demokratischen Slawen (Tschechen)“ (Nittner, 1990, S. 157), die seit Palacky, der sie übernommen hat, fester Bestandteil der tschechischen Identität ist (Hoensch, 1997). Tschechen führen bei allen Gelegen­ heiten aus, dass sie sich niemals expansiv verhalten hätten („Ausnahmen“ wie die Hussitenkriege oder 1946 werden idealistisch und als auf tschechisches Territo­ rium begrenzt begründet), sondern grundsätzlich Frieden und Diplomatie kämpfe­ rischen Auseinandersetzungen vorgezogen hätten. Dazu hätten sie viel Geschick­ lichkeit, Improvisation, Klugheit und Schläue eingesetzt. Demorgon setzte diese Eigenschaft in einen Zusammenhang mit der Wahrung der eigenen Identität als Volk: „Gesellschaften, die intensiven dekulturierenden und akkulturierenden Kräften ausgesetzt sind, benötigen eine konfliktorientierte Erziehung, die zur kulturellen Vorsicht und Wachsamkeit anleitet.“ (Demorgon, 209

1999a, S. 227). So wird nicht nur das physische Überleben gesichert - weil Kampf vermieden wird-, sondern auch die Identität gerettet, weil der schleichenden Assi­ milation vorgebeugt wird. Forciert wird eine Mischung aus Anpassung, „Schläue“ zur Bewahrung der Eigenheiten, Vorsicht und Umsicht sowie ein behutsames Konfliktmanagement. Pavlica (1996) schreibt: „The great nations of Western Eu­ rope never had to concentrate all their energies on self-preservation as nearly all generations of the smaller Slavonic nations did.“ (S. 16) Auch in der historischen Literatur werden den Tschechen Erfolge, die auf anderen als Wegen des Kampfes errungen werden konnten, zweifelsfrei bescheinigt (Prinz, 1999; Hoensch, 1997; Seibt, 1997; Schieche, 1970). Der im kollektiven Gedächt­ nis tief verankerte und von Historikern anerkannte entscheidende Schritt gelang dabei Masaryk und Benes durch ihre unermüdliche Diplomatie mit der Proklama­ tion der souveränen Eigenstaatlichkeit 1918.

1968 wird zwar als eine Niederlage betrachtet, aber dank des passiven Wider­ stands der Bevölkerung zumindest (fast) ohne Blutvergießen. „Die augenblickli­ che Verlegung der staatlichen Rundfunk-, ja sogar Fernsehsender, der Druckereien und sämtlicher Kommunikations- und Befehlszentralen in den Untergrund, die Abmontierung von Hunderttausenden Wegweisern. Orts-, Straßen- und Haustafeln wie die Verstrickung der fremden Soldaten in endlose Diskussionen, in denen sie mittels Marx und Lenin über ihre Tat aufgeklärt wurden, diese geniale Improvisa­ tion, an der fast 15 Millionen Menschen teilnahmen, das war eine Meisterleistung der besten Marke Schwejk.“(Kohout, 1989S. 93) 1989 erfolgte die „samtene Revolution“ friedlich.

1993 erfolgte die Trennung von der Slowakei ebenfalls gewaltlos. Eine Wurzel der Gewaltlosigkeit sieht Schieche (1970) in einer Teilbewegung in­ nerhalb des Hussitentums: Während das Taboritentum kämpfte, schreibt Petr Chelcicky im 15. Jahrhundert seine Glaubenslehre, in der er alle Gewalt verwirft und einen urchristlichen Kommunismus predigt. Ab 1459 schließen sich seine Anhänger zur Gemeinschaft der Böhmischen Brüder zusammen. Sie leben als Bauern und Handwerker und halten an der kompromisslosen Ablehnung der Ei­ desleistung und der Teilnahme an Krieg fest.

Ein anderer Argumentationsstrang lautet: Die Tschechen sind ein zu kleines Volk, als dass sie militärisch viele Erfolge haben konnten. Sie mussten sich mit etlichen Niederlagen scherzlich abfinden und sich andere Überlebensstrategien überlegen. Burgerstein (1998) formuliert das so: „Nennenswerte militärische Erfolge in der Heimat verzeichneten die tschechischen Streitkräfte zuletzt im Jahre 1428, zur Zeit der Hussitenkriege. Die letzte große Schlacht fand 1620 am Weißen Berg 210

statt. Und sie ging nicht glimpflich aus.“ (S. 115)

1938 stellte einen weiteren herben Schlag dar : „Eine Nation, die sich ernsthaft wehren wollte, der man jedoch 1938 mit der Keule des Münchener Abkommens das Rückgrat gebrochen hatte, konnte auf einem Territorium, das einen Partisa­ nenkampf schwer zuließ, wenig ausrichten. Die erzwungene Kapitulation ließ die ursprüngliche Euphorie und Kampflust in Defaitismus und Kleinmut umschla­ gen.“ (Kohout, 1989, S. 93) „Das von der kampflosen Aufgabe gezeitigte Trauma hat die Gesellschaft und ihre politische Führung nicht weniger belastet als eine militärische Niederlage.“(Jiri Pokorny, zit. nach Studienkreis f. T. u. E., 1997, S. 10) Und der jüngste Einschnitt erfolgte 1968: „Die unterlassene militärische Gegenwehr, die man einige Stunden lang in Prag diskutiert hatte, belastete danach das tschechische Selbstbewusstsein in Erinnerung an die Kapitulation von 1938.“ (Seibt, 1997, S, 26) Die verbleibende Möglichkeit hieß, „passiver Widerstand“ inform diverser „Re­ volten“: „yths express the idea that when the Czech nation can’t fight as a whole it is able to revolt on an individual basis.“ (Pavlica, 1996, S.19) Im Kommunismus, der jüngsten historischen Epoche, wurde damit das System erträglicher gemacht: „... persönliche Verbindungen und Bekanntschaften heben beispielsweise eine formale Betriebsordnung auf.“ (Burgerstein, 1998, S.80f) So­ gar der Sieg des tschechoslowakischen Eishockeyteams 1969 gegen die UDSSR wurde „interpreted by the whole nation as a form of a revolt against occupation.“ (Pavlica, 1996, S. 20) - Freilich wird dieses Verhalten heute nicht nur positiv ge­ sehen, denn derartige Manöver mögen „...zunächst sympathisch wirken, nur wer­ den auf diese Weise offene Dialoge und nüchterne Auseinandersetzungen ver­ hindert und Beschlüsse ausgehebelt. Vetternwirtschaft und Nepotismus setzen sich durch.“ (Burgerstein, 1998, S.80f) Revoltieren auf diese und ähnliche Art hat aber bereits ältere Wurzeln, die min­ destens bis in die Habsburger Zeit zurückreichen: Schwejk gilt als das Paradebei­ spiel und wurde weltberühmt. Er ist nach Pavlica (1996) eine Figur, die das „di­ lemma between the Czech romantic heroism and cowardice“(S. 20) beschreibt: Er ist eine Mischung aus einem romantischen Helden und einem Pragmatiker, der gegen die Offiziere rebelliert, indem er Befehle auf eine Art ausfuhrt, die die Situ­ ation zu seinem Vorteil manipulieren. „Open revolt means certain punishment. ‘Svejking’ is in a sense between revolt and collaboration (and) is therefore accep­ table - but only for normal people using the imperfections of the system. For any­ one in the hierarchy however the safest way to survive is more or less direct colla­ boration with the system.“ (Pavlica, 1996, S.21). „In Hasek’s novel there are many 211

Czech collaborators - all of them are in the positions of officers, state bureaucrates and policemen. However we must be aware that these people probably used to „Svejk“ before“.... „It is not surprising that there are few romantic heroes in the Czech nation and plenty of pragmatists beginning as „Svejks“ and finishing as open collaborators.“ (Pavlica, 1996, S. 21)

5.1.1.1.7. Schwankende Selbstsicherheit

Historisch gibt es trotz und gerade wegen des unablässigen Wissens darum, ein kleines Volk zu sein, viele Dinge, auf die die Tschechen stolz sein können. Das Wissen darum stärkt ihre Selbstsicherheit.

• Mähren war bis zur Einwanderung der Madjaren das Zentrum des großmähri­ schen Reiches. • Böhmen wird bereits 1002 als Lehen des Reiches bezeichnet und ist damit (im Unterschied zu Polen) zwar den Eingriffen des deutschen Königs ausgesetzt, aber seit dem Premysl Ottokar I. (1198-1230) „waren die böhmischen Herzöge zu Königen aufgestiegen und deshalb die vornehmsten unter den deutschen Reichsfursten, zwar durch eine Lehenssystem dem Reichsverband eingegliedert, doch unabhängig im Inneren wie keine anderen deutschen Fürsten.“(Seibt, 1997, S.59) „Lehen“ bedeutete damals „kein demütigendes Gefühl der Abhän­ gigkeit.... ein Lehenseid ... setzte keineswegs herab, sondern er hob den ‘Le­ hensmann’ auch geradewegs im sozialen Prestige der Zeit, er band ihn nämlich an seinen Herm, und je höher her Herr, desto höher ist auch das Lehens­ verhältnis einzustufen. Der Lehensherr der böhmischen Fürsten war der Kai­ ser!“ (Seibt, 1997, S. 89). Vielmehr handelte es sich um „ein wechselseitiges Schutzbündnis zwischen der premyslidischen Dynastie und den jeweils in Deutschland regierenden Herrschersippen...“ (Seibt, 1997, S. 90). Deutschland garantierte den Fortbestand des böhmischen Herrschaftsgebildes bis ins 16. Jahrhundert. Denn der deutsche Herrscher bedurfte dieser Selbständigkeit zur eigenen Sicherung und wegen des relativen Reichtums. (Seibt, 1997)

• Karl IV war eine großer Herrscher. Prag war im 14. Jahrhundert die größte Stadt nördlich der Alpen und hatte Kaiserhof, Universität, Klöster, Kontore, erzbischöflichen Sitz, Judenghetto und vieles mehr. Es war ein namhaftes Kul­ turzentrum. (Seibt, 1997). „Unter den ‘böhmischen Kaisern’ Karl IV. und Ru­ dolf II. war Prag ja zugleich die Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und damit halb Europas.“ (Studienkreis f. T. u. E., 1997, S. 4) Das Ende dieser Ära läutete „nicht die nationale, nicht die soziale“, sondern „die christliche Kritik und Selbstkritik“ ein und verwarf diese „glanzvolle Epo­ che“. (Seibt, 1997, S 130f) 212

• Die hussitische Reformation brachte folgende positive Wirkungen (Schieche, 1970): ■ Sie war sozialrevolutionär und führte zu einem Durchbrechen des ständi­ schen, städtischen und geburtsrechtlichen Ordnungsgefüges. ■ Die Erarbeitung eines Widerstandsrechts bei der Klärung der Nachfolge für Wenzel gelang. ■ Hus entwickelte die tschechische Schriftsprache und damit konnte die sprachliche Behauptung der Vorherrschaft des Tschechischen in Böhmen er­ reicht werden. ■ Es gab eine religiöse Reform in den vier Prager Artikeln. - Die Unabhängig­ keit von Rom war dennoch ein Fehlschlag. ■ Die Vorherrschaft der Prager Städte wurde erreicht. ■ Die Prager Universität wurde mehrheitlich tschechisch und der deutsche Ein­ fluss wurde zurückgedrängt. ■ Während das Taboritentum kämpferisch war, waren die Böhmischen Brüder gewaltfrei (Ablehnung von Eid, Krieg, Verwaltung und Gerichtswesen) und galten fortan an als die Begründer des tschechischen Humanismus. ■ Der nationale und der soziale (Taboriten) Charakter der Hussitenbewegung wird von den Tschechen sehr betont. • Trotz des Habsburger Absolutismus war das böhmische Barock kunsthistorisch epochemachend (Seibt, 1997) und in der Entwicklung des neueren Völker- und Staatsrechts ebenso (Seibt, 1997). • Und nach dem Habsburger Absolutismus „m die Jahrhundertwende hatten die böhmischen Länder bei einer Landfläche von etwa einem Zehntel der ge­ samten alten Monarchie ...mit etwa einem Fünftel der Bevölkerung, doch rund drei Viertel der gesamten Industrie in ihrem Raum aufgebaut.“ (Seibt, 1997, S. 218)

• Vor dem Zweiten Weltkrieg war Tschechien „eine moderne Industriegesell­ schaft mit entsprechend ausdifferenzierter Sozialstruktur und demokratischen Institutionen und Traditionen“. Das zählt auch heute zu seinen Potentialen und „trägt nicht unwesentlich zu dem (Selbst-)Vertrauen der Menschen bei, die Transformation gut meistem und schon bald wieder an die westliche Moderne anschließen zu können.“ (Dörr e.a., 1996, S. 3f) • Es ist für die Tschechen charakteristisch, ihre Geschichte als ein stetes Ringen um Identität zu verstehen. Sie sind stolz darauf, das einzige slawische Volk zu sein, das über die Oder vorgedrungen war und nicht im Deutschtum aufgegan­ gen ist. Nur die Tschechen bewahrten ihre Sprache und ihr Volkstum, nur sie „überlebten“. (Schieche, 1970) Lemberg definiert die Leistung der Tschechen 213

als einen jahrhundertelangen „Selbstbehauptungskampf in einer deutschen Umund Mitwelt mit dem Zwang zur ständigen Auseinandersetzung mit europäi­ schen Impulsen“. (Lemberg 1967, S. 115). „Warum das kleine Volk sich so mühsam bewahrte am Rande des großen Nachbarn; warum es aber tatsächlich ... sich anders als ähnliche Sprachgruppen im europäischen Siedlungsgemisch auch als ein Volk erhalten konnte ..., das also ist eine geradewegs für seine nati­ onale Identifikation wichtige Frage des durchschnittlich gebildeten, und damit eben auch nationalbewussten Tschechen.“ (Seibt, 1997, S. 33)

Die Bemühungen zur Wahrung der Identität sind schon früh nachweisbar (Seibt, 1997; Hoensch, 1997): ■ So wurde bereits von Ratislav 861 bei der Christianisierung Mährens die Überlegung deutlich, sich nicht in die fränkische Reichskirche und damit in die fränkische Herrschaft (die Kirchenorganisation war damals gleichbedeu­ tend mit politischer Abhängigkeit) einzufilgen, sondern mit dem Papst direkt Kontakt aufzunehmen. Nachdem der ablehnte, kamen die Byzantiner Kyrill und Method. ■ Die eigenstaatliche Premyslidenherrschaft in Böhmen war dann bereits im 10. Jahrhundert so gefestigt, dass die Tschechen dem Schicksal der Elbslawen entgingen und nicht eingeschmolzen wurden in den neuen mitteldeut­ schen Volksschlag. Böhmen wurde eben nicht auf die gleiche Weise wie an­ dere Stammesherzogtümer Bestandteil des Reiches. ■ Maßgeblich war auch, dass Vaclav, der den kulturellen Anschluss an den Westen suchte, nach seinem Tod 935 heiliggesprochen wurde. Das war in der damaligen Logik gleichbedeutend mit dem Nachweis der Voll Wertigkeit eines Volkes. Dabei war „...as deutsche Milieu ... für die Tschechen immer ein Tor zur entwickelten westlichen Welt, obwohl eine Reihe der Anregungen, die die Tschechen aus Deutschland schöpften, nur vermittelt war.“ (Dolezal, 1999, S. 38f).

In der Phase der tschechischen Wiedergeburt im 19. Jahrhundert „... hat sich in kurzer Zeit innerhalb einer größeren politischen Einheit spontan ein tschechi­ sches Volk mit einem eigenen wirtschaftlichen, kulturellen, ideologischen und organisatorischen Blutkreislauf, einfach auf der Grundlage eines besonderen Geschichtsbildes und Sendungsbewusstseins und der mühsam zur Hochsprache wiederentwickelten tschechischen Sprache integriert und abgegrenzt.“ (Lem­ berg 1967, S. 110) Diese Wiedergeburt wurde als Befreiung von der drohenden Germanisierung erlebt. • Außerdem gelang es, sich immer wieder dem deutschen Einfluss zu entziehen und anderswo Anschluss zu finden (Schieche, 1970). Berühmte Beispiele sind 214

Hus’ Anlehnung an die Lehre Wicliffs, der Panslawismus (d.h. die Idee der slawischen Wechselseitigkeit), die Orientierung an einer (französischen) westli­ chen Demokratie mit der Nationalstaatsidee und der faktischen Staatsgründung 1918 oder kulturelle Einflüsse in der Architektur der Luxemburger und der Kunst der Renaissance der Italiener.

Folgende Punkte jedoch wurden als Niederlagen erlebt und schwächten die Selbst­ sicherheit:

• Hus wird zum Märtyrer und nationalen Helden, als er 1415 am Scheiterhaufen als Häretiker verbrannt wird. Diese Tatsache wird als Beleidigung des tschechi­ schen Volkes gesehen. Und die vehement zuschlagende Gegenreformation, die sich auch gegen deutsche Hussiten richtete, wurde als deutsche anti-tschechi­ sche Haltung erlebt. (Schieche, 1970) • Mit der Hinrichtung Hus’ und der Habsburger Herrschaft erlitt das Ringen um Identität nachhaltige Rückschläge. „Das Land verlor seine Identität. Wer hier etwas werden wollte, musste fortan Katholik sein und Deutsch sprechen.“ (Stu­ dienkreis f.T.u.E., 1997, S. 6) Die „gesellschaftliche, geistige und unternehme­ rische Elite stark dezimiert...“ (Hoensch, 1997, S.227).

• Die Schlacht am Weißen Berg (1620) gilt den Tschechen als vollständige Nie­ derlage (Schieche, 1970; Yale, 1995): ■ Sieg des übernationalen Katholizismus über den Protestantismus Böhmens, was eine massive Gegenreformation mit Hinrichtung des protestantischen Adels oder der Auswanderung vieler Protestanten, dafür aber die Einwande­ rung von deutschen, österreichischen und sonstigen fremden Adeligen in die Burgen bedeutete. Somit verloren die Tschechen weithin ihre Oberschicht. (Yale, 1995) ■ Sieg des Habsburger Absolutismus über eine ständische Regierungsform, d.h. Ende der Unabhängigkeit Böhmens und der Macht der Städte ■ Sieg über die tschechische Sprache im öffentlichen Leben, denn Deutsch wird die Sprache in den Städten, unter den Privilegierten und Gebildeten (Tschechisch für Diener, Arbeiter, Bauern) ■ Beginn einer tragischen Fremdbeherrschung, die die Bevölkerung um die Hälfte reduziert wegen Militärdienst, Hunger, Krankheit, Auswanderung. Die böhmischen Länder galten dann lange Zeit als rückständig in wirtschaft­ licher, sozialer und kultureller Hinsicht (Mühlberger, 1973) wurden ver­ nachlässigt und waren der Raum zur Rekrutierung fleißiger und billiger Hilfskräfte (Mühlberger, 1973). Die Vernachlässigung des Tschechischen verhinderte Effektivität in Verwaltung, Wirtschaft und Militär. (Schieche, 1970)

215

• Der österreichische Erbfolgekrieg 1740-48 zwischen Maria Theresia und Fried­ rich II von Preußen endete für Böhmen mit der Auflösung der böhmischen Hofkanzlei, der Abtretung von Teilen Schlesiens an Preußen und der rein zent­ ralistischen Regierung Böhmens von Wien aus. - Böhmen diente nur als Schlachtfeld und Beute. • Die Anerkennung für etliche große Leistungen hervorragender Böhmen wurde versagt, indem viele bedeutende Böhmen immer wieder schlicht als Deutsche bezeichnet wurden (z.B. Karl IV, Jan Hus, Keppler). Die Konsequenzen dieser Geschichte sind zu beschreiben mit dem Verlust von Selbstvertrauen, dem Gefühl einer historischen Opferrolle, der Notwendigkeit, sich anzupassen (Yale, 1995) sowie dem Aufrücken des Deutschen als Gegenstand des Hasses und Sinnbild der Knechtung. Dolezal (1999) bezeichnet die Deutschen als den „Erbfeind“ der Tschechen, der vor allem mit Beginn des 19. Jahrhunderts dazu hochstilisiert wurde. Andere historische Rivalen, wie die Polen oder die Un­ garn spielten im Vergleich zu den Deutschen stets eine nachrangige Rolle. - Auch in den Interviews wurde mehrmals erwähnt, dass die tschechische Geschichte eine „Geschichte gegen Deutschland“ sei. Und dies bedingt Minderwertigkeitsgefühle und Angezogenwerden einerseits, Argwohn und Abwertung andererseits. Histori­ sche Ereignisse, die diese ambivalenten Einstellungen Deutschen und Deutschem gegenüber begründen, lauten:

• Die tschechische Sprache musste nicht nur gegen die absolutistische Amtsspra­ che Deutsch vor und im 19. Jahrhundert, sondern mehrmals bewahrt und vor­ sätzlich in Ton und Schrift weiterentwickelt werden, damit sie erhalten bleiben und den neuen Erfordernissen angepasst werden konnte. (Pumberger, 1997b) • Die hussitische Bewegung gilt den Tschechen seit der Geschichtsinterpretation Palacky’s im 19. Jahrjundert als Blütezeit in einer Geschichte fortgesetzter Unterdrückung. Palacky hält die Hussiten für die“Vorkämpfer der Demokratie und Humanität“ und daher sei es die „Sendung des tschechischen Volkes, diese Ideale im Kampf gegen die feudal organisierten Deutschen durchzusetzen.“ (Lembergl967, S. 110) Daher sei die „... Zerschlagung der Reformationsbewe­ gung... gleichbedeutend mit der Zerstörung der tschechischen Kultur.“ (Eisch, 1996, S.216f) • Mit der Schlacht am Weißen Berg (1620) begann für die Tschechen ein Kapitel schwerster Erniedrigung. Grusa (1999) schreibt, man sei geprägt von dem erlit­ tenen Leid während einer dreihundertjährigen Unterjochung. Dabei werden die Ziele Roms in der Gegenreformation simplifizierend gleichgesetzt mit den Zie­ len der Habsburger sowie die Rekatholisierung mit einer prodeutschen und an­ titschechischen Haltung, obwohl die tschechischsprechenden und die deutsch­ sprechenden Böhmen gleichbehandelt wurden. (Hoensch, 1997). Der Vemichtungskampf des Nicht-Katholischen sowie der gesamte Absolutismus im 17. 216





• •

und 18. Jahrhundert wurden als Vemichtungskampf des Tschechischen erlebt. (Schieche, 1970). Da erst 1866, als der Sieg Preußens dem Deutschen Bund ein Ende setzte, Ös­ terreich von Deutschland nach 1000 Jahren staatsrechtlichem Zusammenhalt abgetrennt wurde, differenziert das tschechische Geschichtsbewusstsein nicht zwischen den verschiedenen deutschen Stämmen, sondern erlebt empfundenes Unrecht und Unglück als von „Deutschen“ verursacht. Was das Münchener Abkommen 1938 und dann die Herrschaft Hitlers über das Protektorat Böhmen und Mähren betrifft, meint Koch-Hillebrecht: „Geschicht­ liche Ereignisse werden in den Völkerstereotypen vor allem dann wirksam, wenn sie in bestehende Vorurteile eingefugt werden können. Insofern hat das Auftreten Hitlers - im Gegensatz zu vorherrschenden Meinungen - kaum neue Aspekte in das Deutschlandbild gebracht. Seine schreckliche Erscheinung wirkte vielmehr als Unterstützung bestehender Bilder. Gerade weil man ihn als einen zweiten Bismarck, einen zweiten Kaiser Wilhelm ansah, unterschätzte man seine Gefährlichkeit.“ (Koch-Hillebrecht, 1978, S. 17) In der Zeit des kalten Krieges galt Deutschland der Feind Nummer eins in der politischen Propaganda. Das 700-jährige Zusammenleben mit den Deutschen auf einem gemeinsamen Territorium ließ manche soziale Auseinandersetzungen als tschechisch­ deutsche erscheinen: „Ausschlaggebend ... war ... die Verschränkung deutscher und tschechischer Kulturleistungen innerhalb Böhmens und im Dialog mit deutschen Nachbarregionen, die sich weniger an ethnischen Grenzen orientier­ ten als an denen einer böhmischen Ständegesellschaft, bei der die volklich­ sprachliche Herkunft nicht ausschlaggebend war, die aber von der vollen Gleichberechtigung der beiden Völker in Böhmen und Mähren (zur Zeit der Premysliden und der Luxemburger) bis zu einem eindeutigen Übergewicht des tschechischen (zur Zeit der Hussiten und der nachhussitischen Adelsrepublik) und ebenso des deutschen Elements (nach der Schlacht am Weißen Berge und im 18. Jahrhundert) oszillieren konnte. Das Schwanken innerhalb dieser Band­ breite bedeutete aber keineswegs Volkstumskampf, ethnische Herrschaftsan­ sprüche und Auseinandersetzung um den ‘nationalen Besitzstand’, wie wir sie aus den letzten 100 Jahren kennen. Deutsch-tschechische Konflikte waren vor­ rangig sozial motiviert; die Entwicklung eines explizit nationalen Bewusst­ seins, die Thematisierung und Ideologisierung des ethnischen Unterschieds blieb dem 19. Jahrhundert mit der Ausbreitung des Nationalstaatsgedankens in Europa vorbehalten“ (Eisch, 1996, S. 209).

Diese Frontstellung gegen „die Deutschen“ zeigt sich heute in manchen Mei­ nungsumfragen als Misstrauen (Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie, 1993-97; FAZ, 2000). Es existieren jedoch auch nicht die gesamte Historie umfassende Erklärungen für 217

Elemente des Kulturstandards „schwankende Selbstsicherheit“. So erklärt Nosal (1999) beispielsweise die Norm der Bescheidenheit („Understatementspiel“) fol­ gendermaßen: „Die Gleichmacherei erklärt schon der große tschechische Histori­ ker Frantisek Palacky durch den Protest gegen die Ständeunterschiede. Der Philo­ soph Jan Patocka bringt dies in Zusammenhang mit dem sozialen Ursprung der modernen tschechischen Nation, die ihre oberen Schichten verloren hat und sich so von den ‘herrschaftlichen Nationen’ wie Deutschland, Ungarn oder Polen un­ terscheidet.“ (Nosal, 1999, S. 253) Für die Nationsbildung in der nationalen Erwe­ ckungsbewegung war die untere Mittelschicht maßgebend - Adel und Bourgeoisie waren entweder zahlenmäßig zu gering oder wurden eher als Österreicher be­ trachtet - und sie verband die Idee der Demokratie mit einer radikalen Egalität (Marada, 1997). Diese Schicht prägte dann das, was als „normales“ Verhalten gilt, nachhaltig.

Dolezal (1999) gibt als Zusammenfassung seiner Überlegungen zur tschechischen Identität folgendes zu bedenken: „Auf der einen Seite steht eine selbstbewusste nationale Gemeinschaft mit einer unproblematischen Identität. Eine politische Na­ tion, die nach Selbstverwaltung strebte und sie auch erreichte. Eine Nation, die sich des europäischen Kontextes und des Weltkontexts bewusst ist... Auf der ande­ ren Seite zeigt sich eine unsichere Gesellschaft, die ... sich zu einer mythischen Urzeit abkehrt..., sich negativistisch gegen ‘ewige Feinde’ ab ...“ (S. 47).

218

5.1.1.2.

Die deutschen Kulturstandards

Nun sollen die gefundenen deutschen Kulturstandards historisch analysiert und verankert werden (Ausstellungskatalog, 1976; Craig, 1985; Elias, 1972; Engel­ mann, 1974; Fernau, 1972; Klages, 1987; Presse- und Informationsamt der Bun­ desregierung, 1999).

5.1.1.2.1. Sachbezug Beim Versuch, den ausgeprägten deutschen Sachbezug historisch zu begründen, stößt man auf eine Menge unterschiedlichster Argumentationsstränge.

(1) Demorgon begründet den Sachbezug durch die späte nationale Einigung Deutsch­ lands „.... in der Stammesgemeinschaft .... stehen die spezifischen Personenbe­ züge mangels tragbarer Alternative außer Frage. Sie sind gegeben und müssen nicht immer wieder neu ausgehandelt werden. Dadurch ist eine ausgeprägte Kon­ zentration auf (gemeinsame) Aufgaben möglich. Sie stehen im Zentrum des Inte­ resses.“ (Molz, 1994, S. 115f) Dazu kommt, dass das Leben in den deutschen Kleinstaaten von 1648 bis ins 19. Jahrhundert durch die erzwungene Sesshaftigkeit in recht kleinräumigen Lebens­ welten „die Notwendigkeit intensiver Objektbeziehungen in einem sich selbstge­ nügsam abschließenden heimatlichen und privaten Bereich begünstigt“ (Althaus e.a., 1992a, S. 56).

Der Fokus auf die Dinge bleibt auch deshalb besonders prägnant, weil immer wie­ derkehrende existentielle Unsicherheiten, in denen viele Generationen die Erfah­ rung von Verlust oder Zerstörung ihrer materiellen Lebensbedingungen gemacht hatten, den Gütern des täglichen Lebens eine hohe Bedeutung zukommen ließen. (2) Das Bestreben der territorialen Familie mit ihrer charakteristischen Erbfolgere­ gelung, derzufolge der älteste Sohn den gesamten Hof erbt, ist es, das Erbe zu wahren. Das hat möglichst genaue Kenntnisse im Umgang mit den Dingen zur Voraussetzung. Und diese Kenntnisse für einen sorgsamen, ökonomischen Um­ gang wurden nachdrücklich tradiert. (Molz, 1994; Todd, 1990) (3) Eine andere Wurzel könnte im Protestantismus gesehen werden: Nach Mensching (1966) und seinen Ausführungen zur Soziologie des Protestantismus fuhrt 219

des Protestantismus zu einer Verdrängung von Momenten des Emotionalen und Irrationalen aus dem Gottesdienst, denn ihm fehlt ein kultisches Anliegen, d.h. Anbetung und spiritualisiertes Opfer. Stattdessen verschiebt sich die Religiosität zunehmend auf die intellektuelle Ebene und das Verstehen. Auch Nuss (1992) betont, dass im Protestantismus nicht so sehr das Seelenheil im Vordergrund steht, als vielmehr Antworten auf konkrete Probleme und Hilfe bei der Suche nach dem Absoluten. Somit ist das Verhältnis zur Religion nicht leidenschaftlich, sondern intellektuell und könnte über Generationen hinweg zu einer Betonung von Sach­ lichkeit und Rationalität geführt haben, was umso plausibler erscheint, als Theolo­ gen weithin die moderne Lebenswelt in Deutschland prägten. Außerdem sieht der „Protestantismus ... jeden Menschen von Gott in seinen Beruf gestellt, den es so gut es irgend geht auszufüllen gilt....“ (Molz, 1994, S. 116) Das fordert nicht den vorrangigen Fokus auf Personen, sondern auf der Aufgabe und scheint in unserem Zusammenhang geradezu eine Beschreibung des Sachbezugs im Arbeitsleben darzustellen. Ganz speziell das Luthertum verstärkte mit seiner Lehre von den zwei Welten eine Trennung von Lebensbereichen, die zu Aufgabenbezug hier - also Konzentration auf die Sache - und zu innerem Reichtum dort führte. Dabei herrscht Aufgabenbe­ zug überwiegend im Berufsleben, d.h. in der „Öffentlichkeit“.

(4) Eine weitere Wurzel wäre in der Bürokratie zu sehen: „In das Wesen der Büro­ kratie, mit ihrer weitreichenden Bedeutung in Deutschland seit über 300 Jahren, ist das Absehen von der Person und die Konzentration auf die Sache eingeschrieben. Die sachbezogene, methodische Arbeit zum Wohl von Gesellschaft und Staat war gleichermaßen Bestandteil des Pflichtenheftes von Bürokratie, Militär und Bür­ gertum. Diese Moralauffassung strahlte auf andere gesellschaftliche Gruppen aus...“ (Molz, 1994, S. 117) Die Bürokratie war in den einzelnen Staaten bereits bedeutsam und zum Teil sehr differenziert, als es unter der Führung Preußens zu Zeiten des Absolutismus zur Einigung Deutschlands kam. Da diese Einigung aber aufgrund eines militärischen Siegs (1870/71) erfolgte und die dazu notwendige Organisation und Bürokratie im ganzen Land bewundert wurde, hat diese Dimen­ sion sogar nochmals eine zusätzliche Verstärkung erfahren. „An welchem Platz der einzelne auch steht, er hat die Alltagsaufgaben unpersönlich, sachlich, korrekt, affektiv-neutral zu erfüllen. Die Aufgabe war wichtiger als die Art der Arbeitsum­ stände...“(Pross, 1982, S. 46). In diesem Sinne waren die in Preußen führenden, in ihrer Zeit hoch effektiven Industriebetriebe bürokratisch organisiert, sodass es in­ nerhalb des beruflichen Sektors zusätzlich noch einen eigenen Traditionsstrang der Bürokratie und ihres Erfolgs gibt.

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(5) In einem weiteren Argumentationsstrang hält Demorgon die kapitalistisch-mer­ kantilistische Gesellschaft für Deutschland besonders prägend: Auch hier stehen die Dinge als Waren im Zentrum des Interesses (Molz, 1994). (6) Die Begründungen aus der neueren Geschichte setzen 1945 bei der „Stunde Null“ an. Brigitte Sauzay schreibt in spürbarem Bemühen um Verständnis der deutschen Mentalität von außen: „In keinem anderen europäischen Land ist der Generationenkonflikt so schwer­ wiegend wie in Deutschland ... Das ganze Nazi-Vokabular war unbrauchbar ge­ worden. Man fürchtete jede falsche Begeisterung, ging jedem Pathos aus dem Wege... Das Gesetz der Stunde hieß Beschränkung auf konkrete Nüchternheit... Und so gibt sie sich heute, die Bundesrepublik: zahm, leise langweilig, aber be­ wundernswert in ihren wirtschaftlichen Erfolgen und durch ihre politische Organi­ sation. Nur wenige Franzosen wissen, dass sich hinter dieser Fassade ein unend­ lich reicheres und differenzierteres Deutschland verbirgt...: ein unendlich sympa­ thisches Deutschland...“ (Sauzay, 1986, S. 67). Klages, ein Deutscher, setzt diese Nüchternheit in den affektiven Kontext der Zeitgenossen: „Der materielle Wieder­ aufbau... war in dieser von einem dumpfen Selbsthass erfüllten Atmosphäre eine Erlösung. Nun gab es wieder eine Aufgabe, der man sich zuwenden konnte, ohne auf Schritt und Tritt mit Schuldvorwürfen und -gefühlen konfrontiert zu werden.“ (Klages, 1987, S. 215) „Die Partizipation an einer ... rein aufs Funktionsdienliche bezogenen, in kollektiver Hinsicht lebenserhaltenden Sachordnung ideologisch neutraler Natur war die der vorherrschenden inneren Situation entsprechende Vermittlung des einzelnen mit dem Gemeinwesen... ie ermöglichte auch eine Überwindung der Gefühle der Verlorenheit und Ohnmacht...“ (Klages, 1987, S. 216)

Somit wäre der Kulturstandard „Sachbezug“ mehrfach historisch verankerbar.

5.I.I.2.2. Aufwertung von Strukturen Für die kulturhistorischen Hintergründe der Phänomene, die unter dem Kultur­ standard „Aufwertung von Strukturen“ zusammengefasst sind, gibt es ebenfalls diverse Hintergründe:

(1) Todd (1990) weist daraufhin, dass in einer territorialen Familienstruktur Sta­ bilität und Unteilbarkeit des familiären Erbes den höchsten Wert überhaupt reprä­ sentieren. Das wertet natürlich bestehende Strukturen enorm auf!

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(2) „Das Zeitalter der Stammesgemeinschaften war im deutschen Raum lange be­ stimmend... Stammesgemeinschaften sind weitgehend homogene Kulturen, in de­ nen die überlebenswichtigen Regeln der sozialen Organisation für alle absolut verbindlich galten. ... Die sozialen Beziehungen waren lebenslänglich, da überle­ bensnotwendig. Ein Ausschluss aus der Gemeinschaft wegen Übertretung der Re­ geln bedeutete größtes Verderben.“ (Molz, 1994, S. 114) Für Stammesgemein­ schaften ist außerdem, laut Demorgon, das Ritual auch im Alltag typisch und be­ deutend, d.h. eine vorher genau festgelegte Abfolge von Einzelschritten (Molz, 1994). Böhm (1995) erinnert daran, dass im Spätmittelalter auch die wachsende Stadtbe­ völkerung und das Entstehen von Gemeinden ihren Anteil daran haben dürften, durch diese „zunehmende Nähe... der Individuen und Gruppen verbindliche Re­ geln für das Zusammenleben“ zu finden und zu entwickeln. (Böhm, 1997, S. 77).

(3) In dem Gebiet, das wir heute Deutschland nennen, waren Sicherheit und Ord­ nung chronisch in Frage gestellt: „Im Verlauf seiner Geschichte indes hat Deutschland so viele Zeiten der Wirren und des Chaos erlebt, dass es die Segnungen der Ordnung schätzengelemt hat.“ (Gorski, 1996, S. 91) „Es gibt kluge Leute, welche die Wurzel für deutschen Perfektionismus, deutsche Ordnungssucht, deutsche Sicherheitsmanie im Dreißigjäh­ rigen Krieg vermuten... Dreißig Jahre lang, also für damalige Verhältnisse fast an­ derthalb Generationen, herrschten in deutschen Landen Anarchie, Willkür, Ge­ setzlosigkeit.“ (Gorski, 1996, S. 92) Deutschland war machtlos und bis zur nahezu vollständigen Verwüstung das Schlachtfeld anderer Staaten. Als territorial zer­ splittertes Land in der Mitte Europas blieb es Jahrhunderte in seinen Grenzen bedrängt und wiederholt von völliger Auflösung bedroht. Denn das Heilige Römi­ sche Reich, das sich von Karl dem Großen herleitete und seinen Anspruch auf Rom bezog, hatte seit dem Spätmittelalter jede Menge Schwächen gezeigt (Gross, 1971), deren wichtigste eine fehlende integrierende Staatsidee und eine chronische Schwäche der Zentralgewalt war. Damit war es immer mehr ein Netz von Fiktio­ nen geworden, das den realpolitischen Anforderungen nicht gewachsen war. Mit dem Westfälischen Frieden 1648 war der Einfluss der Kirche ebenfalls massiv verringert worden und auch sie konnte keinen Halt in Form eines vorstrukturierten Gefüges mehr geben und Deutschland zerfiel in eine Vielzahl kleiner und kleinster Staaten. „Die von Krieg und Seuchen dezimierten Deutschen verfielen in Provin­ zialität und tiefe Verunsicherung. Sicherheit bot nur der jeweilige Duodezfürst, und dessen Herrschaft ordnete man sich gerne unter.“ (Gorski, 1996, S. 93)

Auch in der jüngeren Geschichte gab es mehrfach existenzielle Erschütterungen: 222

soziale Verwerfungen im Zeitalter der Industrialisierung, Gründerzeitkrise, erster Weltkrieg, Inflation und Weltwirtschaftskrise, zweiter Weltkrieg, Frontstaat im kalten Krieg. Alle diese Traumata verstärkten die Sehnsucht nach Stabilität und Ordnung, sowie nach einer starken Obrigkeit, die solche Schrecken zu vermeiden imstande ist (Craig, 1985), und verfestigten die bereits in früherer Zeit grundgelegte „Aufwer­ tung von Strukturen“. Das gesteigerte Sicherheitsbedürfnis der deutschen Bevöl­ kerung macht die Haltung, dass nur durch Einhaltung der Gesetze und Verordnun­ gen das Gemeinwohl zu erhalten sei, erklärlich und den späteren Aufstieg Preu­ ßens nachvollziehbar. „Mit diesen Erfahrungen im kollektiven Gedächtnis ist es in der Tat kein Wunder, wenn die Deutschen heute am liebsten nichts dem Zufall überlassen. Alles wird minutiös geplant.“ (Gorski, 1996, S. 93) (4) Kielinger (1996) formuliert zudem einen direkten innenpolitischen Zusammen­ hang zwischen dem Zeitpunkt der Aufklärung und den realen politischen Bedin­ gungen zu diesem Zeitpunkt: In Deutschland kam die Idee der Aufklärung lange vor politischen Veränderungen. Fortschritt konnte somit dem Denken nur als Spe­ kulation dienen - einer Spekulation freilich, die die Sehnsucht nach stabiler Ord­ nung erkennen lässt -, denn die politische Emanzipation (es herrschte noch immer kleinstaatlicher Absolutismus!) und die Philosophie der Aufklärung klafften weit auseinander. Inmitten dieser Kluft entwickelte sich nun die abstrakte Idee vom alles ordnenden (Einheits)Staat, der Mächtige und Bürger versöhnt und letztin­ stanzliche Fürsorge leistet. Münch (1993) schildert die Idee vom Staat gar als dem Vertreter des „höheren sittlichen Prinzips“, denn er hebt den Konflikt zwischen den widerstreitenden Interessen auf und integriert sie in ein von Juristen geschaf­ fenes, systematisches und universelles Rechtssystem. - Der Staat wurde im 19. Jahrhundert zur ersehnten, guten Struktur: „In dieser Zeit setzt im Prozess der neuzeitlichen Staatsbildung jene spezifisch deutsche Staatslastigkeit ein, die sich wohl in keinem anderen westlichen Land so mentalitätsprägend erwiesen hat wie in Deutschland.“ (Althaus e.a., 1992c, S. 94; vgl. Nipperdey, 1991)

Parallel dazu erfüllten die Einzelstaaten paradoxerweise auch dieses Bedürfnis zum Teil. Althaus & Mog schildern das am Beispiel Württembergs, das stellver­ tretend für viele deutsche Staaten steht: „Die napoleonische Flurbereinigung vom Jahre 1806 zwingt dieses Württemberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Ver­ einheitlichung heterogener, zum Teil winziger Territorien mit ganz unterschiedli­ chen politischen und sozialen Traditionen und Lebensstilen. Damit verschränkt sich ... ein Prozess der Verstaatlichung, eine ‘Reform von oben’, mit dem das auf­ geklärt-absolutistische Regime auf den napoleonischen Revolutionsexport rea­ giert. Nicht mehr der Souverän als Person beansprucht die Treuepflicht seiner Untertanen, sondern der Staat als ‘objektive’ Autorität und durch ihn die Regie223

rung als Repräsentantin des Gemeinwohls. Vereinheitlichung und Verstaatlichung in einer solcherart von oben in Gang gesetzten und kontrollierten Reform, das heißt etwa: es müssen Konzepte zentraler Wirtschafsteuerung, Organe der Staats­ verwaltung geschaffen werden. Modernisiert und sozusagen verstaatlicht werden muss in diesem Prozess auch der Untertan, aus dem sich idealiter die Figur das Staatsbürgers entwickeln soll, der die Autorität des Staates und die Forderung des Allgemeinwohls verinnerlicht hat“ (Althaus e.a., 1992c, S. 94). Nun werden Ge­ setze und Verordnungen erlassen, die eine nahezu lückenlose Reglementierung des Alltagslebens der Bürger darstellen: von der Zeitökonomie über die Hygiene und die Zwangsarbeitshäuser für Arme und Nichtsesshafte über den Standort der Mist­ haufen, die Kleidermode und die vorehelichen Sexualbeziehungen. Diese Ent­ wicklungen brachten unleugbar Modemisierungs- und Fortschrittsleistungen wie das Ende der Leibeigenschaft, den Beginn des Verfassungsstaates, Religionsfrei­ heit, einklagbare Rechtsnormen, Sozialversicherungen und medizinische Fort­ schritte. Auf der anderen Seite führten sie zu einer starken Disziplin in allen Le­ bensbereichen. Und beide Entwicklungen (die europaweit stattfanden!) hinterlie­ ßen in Deutschland besonders tiefe Spuren, weil sich diese „Verstaatlichung“ (Kontrolle bis ins Detail plus Reformen) „im engen territorialen Rahmen deut­ scher Einzelstaaten durchgreifender und unausweichlicher vollzog als anderswo.“(Althaus e.a., 1992c, S. 96) - Dabei bleibt die Frage strittig, ob die Mächtigen aufgrund der aufgeklärten Einsichten modernisierten oder ob sie das nicht nur zu ihrem eigenen Machterhalt taten (Kaiberg, 1988). In jedem Fall war das Ergebnis eine Bekräftigung der Staatsverehrung - in unserem Kontext der übergeordneten „Struktur“.

(5) Gehlen (1975) sieht in der Erfahrung der Zersplitterung auch die Quelle eines an­ deren Wertes: Organisatorische Präzision ließ sich ihm zufolge gerade in der Kleinräumigkeit lernen. „In der Zeit, da in Deutschland der Landgraf von HessenHomburg über Homburg und fünf Dörfer regierte, ließen sich weiträumige Erfah­ rungen intellektuell-moralischer Art, wie sie nun einmal in der Hochspannung großer Herrschaft entstehen, nur in Preußen und im habsburgischen Reichsteil her­ stellen. Doch war Preußen ein artifizieller Staat und der habsburgische Bereich nur zum kleineren Teil deutsch. Preußen war zudem arm. So hat die alte Eingewöh­ nung in ein Leben unter engen Verhältnissen tiefe Spuren im deutschen Charakter zurückgelassen, hier wurzelt ja wohl die Neigung zum Sichfügen, das Selbstmit­ leid, die Parkettschwere auch in geistigen Räumen und die Ranküne. Auf der an­ deren Seite verdanken wir wohl diesem Sicheinrichtenmüssen im beengt Inten­ siven auch den Handwerkerfleiß, die Meistersinger-Genauigkeit und den im Aus­ land noch verbreiteten Ruf des Zuverlässigen und Geordneten - Eigenschaften, die sich schließlich zu unserer im 19. Jahrhundert hochgerühmten wissenschaftlichen und technischen Könnerschaft sublimierten, parallel zu einer unbestechlichen or­ ganisatorischen Präzision der damals besten Bürokratie der Welt.“ (Gehlen, 1975, 224

S. 112) (6) Wagner (1996) fuhrt noch eine weitere Entwicklung an, die ebenfalls mit dem langen Verharren Deutschlands im Zustand einer zersplitterten, aber bereits abso­ lutistischen Gesellschaft zu tun hat: „Der deutsche Adel öffnete sich anders als in England und Frankreich nicht für die Elite des Bürgertums, so dass in Deutschland die Spitzen des Bürgertums in einer Art trotziger Entgegensetzung eigene Werte und Verhaltensnormen entwickelten, die sich angeblich an natürlichen und inneren Werten des deutschen Menschen orientierten. Sie verstand man als Gegensatz zur Künstlichkeit und Äußerlichkeit des auf Frankreich orientierten Adels. Auf diese Weise wurden in Deutschland die gesellschaftlichen Rituale der Reinlichkeit... zu Zeichen der inneren Sauberkeit aufgewertet: In einem gesunden (weil sauberen) Körper steckt ein gesunder (also sauberer) Geist. Diese Gleichsetzung von äußer­ licher Sauberkeit und Ordnung mit inneren Werten “ ist in ganz Deutschland verbreitet. (Wagner, 1996, S. 51) Und sie durchzieht nun alle Felder, in denen „Ordnung“ möglich ist. (7) Zusätzlich haben wohl auch folgende Argumentationslinien ihre Berechtigung:

• Markovski (1995) spannt einen Bogen zum gräcoromanischen Gedankengut im deutschen Bildungswesen und dem daraus resultierenden stark ausgeprägten Hang zu logischem Denken: „Wer derart stark wie die Deutsche versucht, alles in eine logische Ordnung einzupassen und die Welt durch die Kraft des Gedan­ kens zu erfassen, bemüht sich auch darum, seine Zukunft durch vorausschauen­ des Nachdenken kalkulierbar und damit beherrschbar zu machen, da Ursachen und Wirkungen ja durch logisches Denken erkennbar werden und somit auch alles, was bei einer Sache überhaupt passieren könnte. Die Erkenntnis einer po­ tentiellen Fehlerquelle trägt dann gleichsam den Imperativ zu ihrer Vermeidung in sich ...“ (S. 86)

• Luther predigte, dass die weltlichen Strukturen gottgegeben sind. Damit trug auch er wesentlich zu einer Aufwertung von Strukturen bei. • Die bereits erwähnte, viele gesellschaftliche Bereiche durchdringende Büro­ kratisierung im 17. und 18. Jahrhundert, die als Folge der administrativen Mo­ dernisierung zur Behauptung der deutschen Staaten nach außen und innen diente, kann geradezu als Prototyp regelgeleiteten Handelns innerhalb festge­ legter Strukturen betrachtet werden (Craig, 1985; Münch, 1993). Ebenso das Militär, das lange Zeit als ‘Schule der Nation’ galt (Sana, 1986). Ein herausra­ gendes Beispiel einer hierarchisch-bürokratischen Organisationsform und mili­ tärischem Ordnungsdenken, das im 19. Jahrhundert für ganz Deutschland be­ deutsam wurde, war der Staat Brandenburg-Preußen mit der Hauptstadt Berlin. 225

• Pross (1982) bietet einen weiteren, plausiblen Zusammenhang an: Je expliziter ein Land ist, desto mehr Struktur wird im Detail festgelegt und desto klarer ist die Grenze zwischen erlaubt und verboten. In einer gewagten hypothetischen Zusammenfassung lässt sich folgendes sagen: Deutsche haben eine sehr ausgeprägte Geschichte mit Strukturen:

• Die Strukturen, die sie sich im Römischen Reich gaben, waren äußerst kompli­ ziert und einem hohen Ideal verpflichtet: Schutzherrschaft des Imperiums über die Kirche zu sein (Nipperdey, 1991) • Der Versuch, diese Strukturen einzuhalten, wurde ab dem Spätmittelalter zum Verhängnis (Dauerkämpfe mit dem Papst), weil die Schwäche der Zentralge­ walt letztlich zu Partikularisierung und jahrhundertelanger Kleinstaaterei und damit zur politischen Ohnmacht im Konzert der europäischen Großmächte führte. (Nipperdey, 1991) Die sich nun weiterentwickelnden Strukturen behin­ derten eine nationale Entwicklung und waren letztlich eine Ursache für viele Katastrophen. • Parallel dazu gab es (1), vielleicht weil die Strukturen so hinderlich waren, eine große Sehnsucht nach „intakten“ Strukturen, die das Leben erleichtern würden und (2) auch faktische Erfolge, die wiederum zu wesentlichen Teilen Strukturen zuzuschreiben waren (Nipperdey, 1991), wie z.B. mittelalterliche Reichstage, effektiv durchgeführte Hygienevorschriften, die Reformen der Aufklärung, die Industrialisierung (effektiver Aufbau im 19. Jahrjundert bis hin zum Wirt­ schaftswunderbeitrag der DIN-Normen), die deutsche Einigung 1871 (Bürokra­ tie und Militär erwiesen sich als Erfolgsfaktoren!) oder auch die Organisation der Bundesrepublik seit 1949. Eine gewisse Strukturfixierung in der Realität und in erträumten Wunschvorstel­ lungen sowie eine dauernde Übung im Erdenken, Erstellen, Verändern, Verfeinern von Strukturen wäre somit plausibel erklärbar.

5.1.1.23. Konsekutivität Konsekutivität ist deutbar als die zeitliche Variante der „Aufwertung von Struktu­ ren“. Damit würde sie als weitere Konsequenz der gerade dargestellten histori­ schen Bedingungen zu interpretieren sei.

Das Leben in den kleinräumigen deutschen Staaten forderte „mentalitätsprägende Bedürfnisse nach Abgrenzung, Sicherung, stabilen Ordnungsmustem“ und diese „kehren offensichtlich auch im deutschen Zeitverhalten wieder. Als strukturbildend wirken sich vor allem die sozialpolitischen Reglementierun­ 226

gen des Staates aus, die eine vergleichsweise kleinkarierte und starre gesellschaft­ liche Zeitorganisation durchgesetzt haben.“ (Althaus e.a., 1992b, S. 78).

Als zusätzliche Quelle kommt auch der Protestantismus in Betracht: Durch das Wegfallen einer organisierten, vermittelten Kultfrömmigkeit und die Rückbindung allein an die persönliche Entscheidung kommt es auch zu einer Verschärfung einer linearen Zeitnutzung. (Mensching, 1966) Plastisch formuliert würde das bedeuten: Am jüngsten Tag steht jeder alleine und ganz für sich vor Gottes Gericht und hat sich für sein Leben zu rechtfertigen ohne Wenn und Aber. Das fordert eine gerad­ linige und konzentrierte Lebensplanung.

Des weiteren ist wohl auch Demorgons Hinweis nicht von der Hand zu weisen: „Die territoriale Familie plant in Zeiträumen von mehreren Generationen. Die Bilateralität des Erziehungseinflusses erlaubt den Kindern die Ausbildung einer monochronen Orientierung...“ (Molz, 1994, S.l 15)

5.1.1.2.4. Regelorientierte Kontrolle Die „Internalisierung“ als zentraler Bestandteil des Kulturstandards „regelorentierte Kontrolle“ ist ebenfalls mehrfach kulturhistorisch begründbar: (1) „In Stammesgemeinschaften und kleinen Staaten, wie auch im territorialen Familientypus werden durch die Dauer, die Nähe und die Unausweichlichkeit der Autoritäts- und Sozialisationsinstanzen, Normen, Werte und die spezifischen Rollenzuschreibungen stark internalisiert. Eine ausdrückliche äußere Kontrolle wird so in gewissem Ausmaß entbehrlich, da sich das Individuum selbst kontrol­ liert, seine Rolle als selbstgewollt erlebt und ausfüllt.“ (Molz, 1994, S. 117). So hat Todd (1990) beispielsweise gezeigt, dass sich die Theologie des Protestantis­ mus nur auf der Basis der territorialen Familienstruktur verbreiten konnte, weil durch die lebenslängliche Präsenz der Eltern die durch sie vermittelten Regeln bis zum vorauseilenden Gehorsam internalisiert und konsequent tradiert wurden.

Sana vertritt eine ganz ähnliche, „stammesgeschichtliche“ These: „Die Kritiklo­ sigkeit der Deutschen, ihre Neigung, die gegebenen Verhältnisse widerspruchslos hinzunehmen, wurzelt meiner Meinung nach in dem altgermanischen Begriff der Treue als Bindeglied in der Beziehung zwischen dem Einzelnen und den Stammesherren. Jedes Mitglied des Stammes schwört bedingungslose Gefolgschaft dem Mächtigen, dafür erhält er Schutz und Geborgenheit. Das Verhältnis zwi­ schen den Menschen und den Oberen ist nicht durch abstrakte Klauseln geregelt, sondern durch konkrete, persönliche Bindungen. Deutschland übernimmt im Lau­ fe des Jahrhunderts die formalen, institutioneilen Elemente des griechisch­ 227

römischen Begriffs des freien Bürgers, und auch der Staat wird damit unpersönli­ cher und unverbindlicher als in der Feudalzeit. Aber trotz dieser historischen Ent­ wicklung wird sich die alte germanische Bindung zwischen dem Einzelnen und den Machtträgem untergründig erhalten.“ (Sana, 1986, S. 35f) (2) „Die politische Situation war bis ins letzte Jahrhundert durch die territoriale Zer­ splitterung des deutschen Kulturraumes gekennzeichnet. Die Klein- und Kleinst­ staaten verfestigten die relative Nähe zwischen den Machthabern und dem Volk und damit die Internalisierung der Autorität bzw. die innengeleitete Regelorientie­ rung...“ (Molz, 1994, S.115)

Die Schrecken der Kriege, vor allem des Dreißigjährigen, ließ die Bereitschaft entstehen, den von oben gesetzten Regeln selbst unter ausbeuterischen Bedingun­ gen Folge zu leisten, nur um derartiges ein anderes Mal zu verhindern. (3) Das Luthertum dürfte wiederum von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein und zwar in zweifacher Hinsicht: Es forcierte (a) eine Internalisierung christlicher Normen im Sinne einer „Gewissenhaftigkeit“ weiter und es formulierte (b) den Gehorsam gegenüber jeglichen weltlichen Normen. ad (a): Luther führte das selbständige Bibelstudium ein und ermöglichte auf diese Weise mehr Autonomie und Unabhängigkeit von theologischen Experten. Ein Mittler zwischen Gott und Mensch wird als unnötig erachtet. Jedes Individuum wird in der protestantischen Tradition als jeweils besondere Konkretion des göttlichen Geistes angesehen, das nur für sich und durch sich selbst (Selbstbeherrschung, Impulskontrolle) das Heil finden kann. Die Freiheit des Christenmenschen im Protestantismus besteht in der freien Bindung an das Wort Gottes aus persönlicher Entscheidung (Mensching, 1966). Und die Menschen fühlen sich damit ethisch für ihr Schicksal verantwortlich und füllen ihre täglichen Aufgaben gewissenhaft aus (Nuss, 1992). Denn „as Leben ist auf das Gewissen gegründet, und das Gewis­ sen ist Gewissen des einzelnen.“ (Nipperdey, 1991, S. 42)

Dabei galt dem Protestantismus der Beruf als vorrangiges Feld einer christlichen Bewährung, mehr noch, er heiligte das Berufsleben: Die Berufe gehen auf einen göttlichen Ruf zurück, alle bieten die gleichen Möglichkeiten zur Bewährung und selbst das Familienleben wird als eine Form der Berufstätigkeit betrachtet (Men­ sching, 1966; Nipperdey, 1991). „Der Protestantismus sieht jeden Menschen von Gott in seinen Beruf gestellt, denn es so gut es irgend geht auszufüllen gilt.... Der Anspruch dieser religiösen Ethik war es, mit großem Emst, größtmöglicher Sorg­ falt und hoher Konzentration alle Aufgaben, besonders die berufsspezifischen zu 228

erledigen.“ (Molz, 1994, S. 116) Dabei ist jeder an einen Platz in einem traditio­ nell festgelegten Gefüge berufen und hat sich hier an seine Pflichten anzupassen (Münch, 1991). - Angemerkt sei, dass die Wertschätzung der Berufsarbeit und des Fleißes bis in älteste patriarchale Herrschaftsmodelle zurückgeht, der Protestan­ tismus aber dafür die Theologie lieferte und sie zu bürgerlichen Tugenden werden ließ (Münch, 1984). ad (b) Luther predigte allem revolutionären Potential seiner Theologie zum Trotz die Gehorsamspflicht gegenüber der weltlichen, genauso wie gegenüber der göttlichen Autorität. Er suchte und fand als Mönch Zuflucht bei seinem Landesherm Herzog Friedrich von Sachsen gegen die päpstliche Verfolgung (Engelmann, 1977; Münch, 1991). Der Protestantismus Luthers wurde daher von Anfang an den Machtinteressen des Fürsten untergeordnet, der Schutz quasi honoriert durch die Legitimation des Gehorsams der Protestanten: Gott lenkt die weltlichen Angele­ genheiten durch die weltliche Macht. Deshalb ist sie zu respektieren. Gesetze kön­ nen zwar geändert werden, aber es geht nicht an für einen Christen, sich gegen sie aufzulehnen oder Widerstand gegen den politischen Machthaber zu leisten (Nuss, 1992; Kaiberg, 1988). Zusammenfassend kann festgehalten werden: Der christlich motivierten Selbst­ steuerung und Autonomie (Gewissenhaftigkeit) stellten sich somit in der deut­ schen Geschichte starke (ebenfalls christlich geprägte) autoritäre und obrigkeits­ staatliche Kräfte entgegen. Und beide Kräfte verstärkten sich gegenseitig. Gleich­ sam vereint schienen die beiden Stränge in den Bildungs- und Sozialreformen des preußischen Staates, die Fortschritt brachten, aber das absolutistische System un­ angetastet ließen. (Der preußische Staat war sowohl sehr protestantisch geprägt wie auch „aufgeklärt absolutistisch“.) Untertanen wurden - vor allem auf calvinistischen Einfluss in Preußen hin - „aktiv gehorsam“ und zu „mitverantwortlichen Staatsbürgern“ (Böhm, 1995, S. 83), die selbständig und eigenverantwortlich, qua­ si aus eigenem Antrieb, den Vorgaben des Staates gehorchten (Craig, 1985). Und in der zunehmenden Säkularisierung wurden die protestantischen Tugenden dann zu bürgerlichen: Arbeitseifer, Sparsamkeit, Demut, sich bemühen, materieller Er­ folg (Nuss, 1992). „Als die altprotestantischen Glaubens- und Lebensformen sich auflösten, konnten dann die säkularen Dinge, Familie, Arbeit, Nation, Kultur, ei­ nen neuen Heiligkeitswert gewinnen. Sie sind ein Stück Gott in der Welt, sie wer­ den zu innerweltlichen Transzendenzen.“ (Nipperdey, 1991, S. 50)

(4) In der Aufklärung verlegte Kant „die Instanz Gottes in das Individuum selbst, indem er das Ideal auszubildender Gewissenhaftigkeit, das er ‘innerer Gerichtshof nennt, dem einzelnen Menschen zusprach“ (Böhm, 1995, S. 89). Die Vernunft stellt ein moralisches Gesetz, den kategorischen Imperativ, auf, dem sich der 229

Mensch dann unterwirft (Nuss, 1992.) Damit wäre wieder die Gewissenhaftigkeit dominant.- Allerdings, die Aufklärung beeinflusste auf deutschem Boden höchs­ tens eine kleine Intellektuellenschicht, die Masse verharrte im Protestantismus und unter dem Regiment des Absolutismus (Craig, 1985; Kaiberg, 1988)

(5) Mit dem Aufstieg des Absolutismus begann auch die Herrschaft des verhöflichten Militär- und Beamtenadels, stellte die Bürger in die zweite Reihe hinter Fürsten, höfischen Adel und Militäradel (Elias, 1992; Pross, 1982) und ließ militärische Modelle in den deutschen Habitus einfließen, weil sich die bürgerlichen Spitzen­ gruppen prompt an der ihnen vorgesetzten Oberschicht ausrichteten. „In Deutsch­ land ... wucherten auf verschiedenen Ebenen militärische Modelle des Befehlens und Gehorchens“ (Elias, 1992, S.19). Beamtenschaft und Fabriken wurden eben­ falls nach diesem Befehls-Gehorsams-Modell organisiert (Pross). Das setzte sich noch lange fort: Denn die deutsche Einigung 1848 war zwar auf bürgerliche Initiative hin gescheitert, aber stattdessen 1871 militärisch zustandegekommen. Und das bedeutete emotional: Der Adel hatte über das Bürgertum ge­ siegt. Die bürgerlichen Industriellen und Kapitalbesitzer bildeten nämlich nicht die Oberschicht, sondern fügten sich nun gemäß dem Prozess des Kulturwandels in der Hoffnung auf gesellschaftlichen, rangmäßigen Aufstieg „... in die Gesell­ schaftsordnung des Kaiserreichs ein... und adoptierten dessen Modelle und Nor­ men.“ (Elias, 1992, S. 23; Wagner, 1996) Das ging umso leichter, da fast alle Männer mit der Wehrpflicht durch die Schule des Militärs gegangen sind (Pross, 1982).

Die Pflicht- und Gehorsamswerte wurden somit im Nationalstaat nach 1870 dann durch das Militär vermittelt und waren auch für die Disziplinierung der in die Stadt einströmenden Massen von Bedeutung: „Militärische und industrielle letztlich auch sozialistische - Disziplinansprüche konnten konvergieren und lie­ ferten ein tragfähiges Fundament für die enorme Akzeptanzbereitschaft und Fähigkeit und für die alltägliche Arbeitsleistung breiter Bevölkerungsschichten unter den schweren Lebens- und Arbeitsbedingungen des industriellen Auf­ bruchs “(Klages, 1987, S. 209)

Dabei konvergierten im Felde der Berufsarbeit die protestantische „Ethik der Ge­ wissenhaftigkeit“ mit der des Gehorsams weiter: „Die harte Arbeit einschließende Diszipliniertheit wurde bis zu einem gewissen Grade auch durch die pro­ testantische Kirche mitgetragen und konnte unversehens zu einem für das Selbstund FremdVerständnis konstitutiven Element des ‘deutschen’ Nationalcharakters werden. ‘Deutschsein heißt arbeiten’ -.... konnte zum Zentrum eines die verschie­ denen Milieus und Ideologien übergreifenden ... Selbstverständnisses werden.“ (Klages, 1987, S. 209) „Pflicht war ein moralischer Imperativ für jeden, vom Stra­ 230

ßenkehrer bis zum General.... Er bezog sich auf alle sozialen Beziehungen.“ (Pross, 1982, S. 46) Pflicht bedeutete „...Selbstkontrolle und Leistung. ..b man mit Vorgesetzten, Untergebenen und Kollegen einverstanden war oder nicht, man hatte seinen Dienst gewissenhaft zu tun. Pflicht beinhaltete beides, Dienst und sachliche Kompetenz. Die sachbezogene Tätigkeit richtete sich auf das Wohl von König und Kaiser, Gesellschaft und Staat. Zum Dienst gehörte Gehorsam, er war mehr wert als individuelle Rechte und Selbstbestimmung.“ (Pross, 1982, S. 46) Und der Gehorsam sicherte die Harmonie. Die Ansicht war verbreitet, dass Har­ monie und eine funktionierende Gesellschaft herrschen, wenn jeder seine Rolle pflichtgemäß erfüllt. Störungen hatten in dieser Philosophie ihren Ursprung in menschlichen Schwächen und Fehlern und die galt es zu überwinden, um das Wohl der Gemeinschaft zu sichern. Selbst Arbeiter und Anhänger der SPD „hiel­ ten Disziplin und Gehorsam für Tugenden und erachteten Ordnung als wün­ schenswert.“ (Pross, 1982, S. 51) Das steigende Klassenbewusstsein drückte sich nicht in Revolten, sondern in der Erhöhung des Organisationsgrads, d.h. steigen­ der Mitgliederzahl bei den Gewerkschaften, aus. (6) Dieses Modell erfuhr eine Verstärkung durch das erste Wirtschaftwunder (18711914), denn es schien bewiesen: Autorität ist effizient! (Pross, 1982) Wollte man jetzt nach oben gelangen, dann war Tüchtigkeit dazu ein Mittel (Gelfert, 1983) „Erfolgreiche Geschäfte in einer merkantilistischen Gesellschaft können nur mit einem hohen Grad an Eigeninitiative und Selbstdisziplin durchgeführt werden, will man der Konkurrenz um die nötige Nasenlänge voraus sein.“ (Molz, 1994, S. 118) (7) Eine Übertragung dieser Ethik auf eine ganz neue Erfahrung stellten die Material­ schlachten des Ersten Weltkriegs dar: „Es entwickelte sich in diesem Grenzsitu­ ationen individueller und kollektiver Not und Bewährung eine Relativierung tren­ nender Momente...“, Kameradschaft und „Bereitschaft zur gegenseitigen Aufopfe­ rung“ rückten in den Mittelpunkt, „der Arbeiter und der Soldat“ verschmolzen „zu einer Figur“ (Klages, 1987, S. 210). Das wiederum bildete seinerseits eine Basis für die neue Erfahrung der Volksgemeinschaft, die überkommene Milieu- und Schichtzugehörigkeitsgrenzen (Konfessionen, Ideologien), wie es viele wünsch­ ten, durchlöcherte und relativierte, aber das Pflichtgefühl weiter verstärkte.

(8) 1945 ging mit der Konzentration auf den Wiederaufbau erneut „eine massive Aufwertung von Pflicht- und Ordnungswerten Hand in Hand... Die Hochwertung der ‘Ordnung’ war gewissermaßen die Projektion der Überlebenswertorientierung der Stunde Null aufs sozialorganisatorisch geregelte Lebensdienliche.“ (Klages, 1987, S. 215f) Die Wiederherstellung einer ökonomisch-technischen Funktions­ 231

Ordnung war überwältigend evident. „Und dass die eigene alltägliche Mitwirkung ... im Sinne einer pflichtbewussten Rollenübemahme und -ausübung erforderlich war“, war klar. „‘Ordnung’ und ‘Pflichterfüllung’ waren Lebenswerte in dem alle­ runmittelbarsten Sinn, der sich denken lässt. Auch eine Hochwertung von Effi­ zienz und Effektivität gehörte unmittelbar in die Wertelandschaft der Wiederauf­ bauperiode hinein“ (Klages, 1987, S. 216) Beim Wiederaufbau waren die Werte, die hinter der „regelorientierten Kontrolle“ stehen, entscheidend: „... der Wille zur Gemeinschaftsarbeit, sich einem allgemein verbindlichen Modell zu unterwer­ fen....“ (Sauzay, 1986, S. 59) (9) Wie stellt sich dieses Werteszenario heute dar? Zuerst Pross (1982): Die autoritären Werte (des Gehorsams), die in der Öffent­ lichkeit für Jahrhunderte gefordert waren und durch eine entsprechende Erziehung in Familie und Schule unterstützt wurden, haben sich mit dem Wertewandel nach dem zweiten Weltkrieg nachhaltig verändert. Denn der Schock, dass 1945 hatte passieren können, hatte sie radikal in Frage gestellt. Jetzt expandierten Selbstent­ faltungswerte und Selbständigkeit ist inzwischen eines der wichtigsten Erzie­ hungsziele. Kinder sollen „nicht fügsam, nicht grundsätzlich gehorsams- und un­ terordnungsbereit werden“ (Pross, 1982, S. 85), sondern sich behaupten, sich durchsetzen, eigene Rechte wahren, sich nicht unterkriegen lassen. Selbständigkeit meint Konkurrenzfähigkeit, Urteilsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, ei­ gener Wille. Andererseits, so die Erziehungszielforschung, sollen Kinder sachbezogene Fertig­ keiten und Geschicklichkeiten erwerben. Genau hier treten nun alte Tugenden doch wieder auf den Plan: „Wissenserwerb setzt Ordnung, Disziplin, Selbstkon­ trolle voraus. Ohne sie ist die ...hochbewertete Sachkompetenz nicht zu erreich­ bar.“ (Pross, 1982, S. 88) Kompetenz und Tüchtigkeit blieben also Erziehungs­ ziele, aber sie sollen „vor allem im Dienst des Individuums und seines Glücks, seiner Interessen stehen und nicht im Dienst einer als übergeordnet angesehenen Sache...“ (Pross, 1982, S. 88). Der traditionelle Wert Tüchtigkeit ging also jetzt eine nichttraditionelle Verbindung mit dem Wert der persönlichen Unabhängigkeit ein (statt mit blindem Gehorsam): Unabhängigkeit und Selbständigkeit soll durch Leistung erreicht werden (nicht durch Verweigerung).

Auch die Arbeit verlor den Rang einer Lebensaufgabe zugunsten einer instrumen­ teilen Arbeitsauffassung (Pross, 1982). Dennoch bleibt sie für eine große Mehrheit „Quelle der Selbstachtung, Urheberin von Befriedigung, Weg zu sozialen Kon­ takten, Grundlage von Ansehen.“ (Pross, 1982, S. 95) Aber: Als Konstante bleibt ein prinzipielles Misstrauen gegenüber Autorität - auch im beruflichen Umfeld. Kein anderes Volk (West)Europas legt Autoritäten einen derart durchgängigen 232

Begründungszwang auf. Anordnungen haben an Einsicht gekoppelt zu sein (Noelle-Neumann, 1987).

Kurz und prägnant formuliert heißt dieses Werteszenario heute: Gehorsam hat ausgedient, Disziplin nicht. Klages formuliert das so: Heute koexistieren die „Pflicht- und Akzeptanzwerte und die Selbstentfaltungswerte bei großen Bevölkerungsteilen“ (Klages, 1987, S. 222). Diese widersprüchlichen Werte repräsentieren „die psychischen Nieder­ schläge unterschiedlicher Entwicklungsphasen der Bundesrepublik“ und bilden eine Gemengelage, „so dass es zu keiner fest ausgeprägten, situationsüberdauemden ‘Identität’ der Menschen mehr kommen kann. Die ‘Sozialpersönlichkeit’ wird hier vielmehr, pointiert ausgedrückt, zur Funktion derjenigen Zug- und Druck­ kräfte, die aus den aufeinanderfolgenden sozioökonomischen Situationszusam­ menhängen heraus wirken... “ (Klages, 1987, S. 223) - Und er verweist damit auf das, was in dieser Arbeit als „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensberei­ chen“ geschildert wird.

5.1.1.2.5. Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen Wie aber ist die „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“ erklärlich? Wiederum sind multiple Ansatzpunkte zu erwähnen. (1) Luther trennt zwischen (a) „privater und religiöser Innerlichkeit und (b) „öffentli­ cher Welt“ oder auch „gesellschaftliche Äußerlichkeit“. (Münch, 1993; Nipper­ dey, 1991). Er entwickelte die Lehre von den zwei Reichen: Die Äußerlichkeit (b) bezieht sich auf die staatliche Ordnung und die beruflichen Normen, die Innerlich­ keit (a) auf das Neue Testament und ist zunächst einmal religiös definiert - später lebt sie als Persönlichkeitsideal fort. Die Politik (b) bleibt dem Landesherm über­ lassen, der Untertan hat zu gehorchen bis auf die Anweisungen, in denen etwas befohlen wird, was gegen die Gebote Gottes verstößt (dann kann er darauf hinwei­ sen oder fliehen, aber nicht aktiv Widerstand leisten). Hier hat eine Person zu „funktionieren“ im Sinne des wie immer gearteten Gemeinschaftsgefuges. Die In­ nerlichkeit (a) bezieht sich auf Gefühl, Glaube und Vertrauen in Gott und eine Person verwirklicht sich in der Hingabe an Gott. Daher kann jemand in seinem Inneren ein ganz anderer sein, denn in der Innerlichkeit besteht Freiheit als Frei­ sein von den Äußerlichkeiten des Lebens, den Kämpfen, dem Machtstreben, der Interessenverfolgung. Die beiden Sphären sind streng getrennt: Die Gesinnung muss sich nicht im Handeln äußern, wenn man das Vertrauen auf Gott bewahrt. Das gesellschaftliche Handeln ist Rollenhandeln - eine Zugabe aus der persönli­ chen Identität heraus ist dabei nicht notwendig. (Münch, 1993) „Innerlichkeit und 233

christliche Gesinnung sind abgehoben vom äußeren Tun und Treiben der Welt, von der Welt der Institutionen, des Rechts, der Taten.“ (Nipperdey, 1991, S. 43) (2) In den Jahrhunderten der territorialen Zersplitterung war Enge und Kleinräu­ migkeit eine durchgängige Erfahrung (Althaus e.a. 1992a). Schließlich gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts rund 1000 Territorien auf deutschem Gebiet „deren Grenzen prägend und auch nicht ohne weiteres überschreitbar waren. Sie bildeten selbständige rechtliche Einheiten, waren oft gleichzeitig Konfessionsgrenzen und modellierten einschneidend und unterschiedlich die Erfahrungen der Menschen. Fundamentale Entscheidungen im Leben des einzelnen hingen von den lokalen Besonderheiten an: z.B. das Recht zur Eheschließung, Gewerbe- und Niederlas­ sungsrecht, korporative und feudale Bindung, Erbrechtsgewohnheiten, Schulwe­ sen, Armenfürsorge.“ (Althaus e.a., 1992a, S. 46) Die Grenze von Innenraum und Außenraum wird überprägnant, nicht nur physisch, sondern auch psychisch als das Sich-Einrichten in der kleinräumigen Lebens weit unter den „Vertrauten“ wie auch als Rückzug in die Privatheit vor dem Zugriff des absolutistischen Landesherm. Eine säkulare Innerlichkeit bildet sich aus.

(3) Mit den Reformen der Aufklärung erfolgte eine „Verstaatlichung“ des gesamten Lebens, wie bereits dargestellt. Mit der Fürsorglichkeit des Obrigkeits- und Wohl­ fahrtsstaats war man einverstanden, mit seiner Tendenz, die Verstaatlichung auch im privaten Bereich stets voranzutreiben, nicht. Hier erwuchs „das Bedürfnis nach Abgrenzung, nach dem Schutz der Privatsphäre... der Abwehr von staatlichen In­ terventionen...“ (Althaus e.a., 1992c, S. 96). Im Biedermeier und der Restauration erreicht der Rückzug des geknebelten Bürgers ins Privatleben einen Höhepunkt ideologisch untermauert durch deutschen Idealismus und Romantik. Im Privatle­ ben labt der Bürger Herz, Geist und Seele (Kaiberg, 1988; Münch, 1993; Sauzay, 1986). - Damit besteht zweifellos ein Zusammenhang zwischen dieser Staatstradi­ tion und den deutschen Bedeutungskonnotationen der Privatheit. Und als sich ca. um 1800 eine auf Gefühle und emotionalen Zusammenhalt kon­ zentrierte Familie herausgebildet hat mit verinnerlichten Eltem-Kind-Beziehungen, ist der Raum für diese Verfeinerung der Subjektivität und Emotionalität in Deutschland nur in geringem Ausmaß der politische und soziale Raum, sondern vielmehr der der Innerlichkeit: Familie, Literatur, Naturerfahrung, Freundschaft heißen die Orte der eigentlichen Lebenserfüllung. Das überhöht und „bereichert“ die Privatsphäre umso mehr.

Die bürgerlichen Schichten blieben jedoch bis zur Weimarer Republik nachhaltig einflusslos auf politische Entscheidungen. Als 1848 die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche mit ihren Reformen scheitert, war der Rückzug ins 234

Private nicht nur Ausdruck der Resignation, sondern auch der Schutz vor Verfol­ gung.

Für die unteren Schichten galt: Die Industrialisierung riss die Großfamilien räum­ lich auseinander und der Vater war nun nicht mehr zuhause anwesend, später auch Mutter und Kinder. Die Stärke und die Geschwindigkeit dieses Umbruchs, der der Tradition der territorialen Familie völlig zuwidergelaufen ist, muss als Schock gewirkt haben. Und die Gegenreaktion führte einmal mehr in den letzten Rest an Privatheit und familiärem Leben.

Parallel zu diesen Ereignissen hatte sich das deutsche Freundschaftsideal in der Romantik und im Idealismus entwickelt als ein „Höchstmaß an seelischer Ver­ trautheit, Gefühl und Wärme“ (Kaiberg, 1988, S. 13) sowie lebenslanger gegen­ seitiger Verpflichtung. (Kaiberg 1988) Und das war wichtig: Nur echte „Freunde“ befreien die Intellektuellen in den aufgeklärten, autoritären Kleinstaaten von ihrer Isolierung. Den unteren Schichten erlauben sie die Wiederherstellung einer größe­ ren „Ersatzfamilie“. Allen bringen sie Orientierung und Stabilisierung im Zeitalter der „Auflösung der alten sozialen Ordnungen und Bindungen“ (Althaus e.a., 1992, S. 102).

Kaiberg bringt diese Entwicklungen auf den Punkt: „Eine gesteigerte Polarisie­ rung, in der die Familie einerseits zum Ort des Vertrauens, des Mitleids, der Zu­ verlässigkeit und der Nähe wurde, und die bürgerliche Gesellschaft und der Staat andererseits zum Ort der sachlichen Beziehungen, in dem Herrschaft und formale Hierarchie das Miteinander regulieren, war das Resultat.... Es etablierte sich eine Art doppelte Moral... Angesichts der sachlichen und hierarchischen Art der Bezie­ hungen in der öffentlichen Sphäre wurde eine Idealisierung des Privatbereichs, also der Familie und der Freundschaftsbeziehungen ...“ eingeleitet (Kaiberg, 1988, S. 13f). „Das wahre deutsche Leben findet im Reich der Innerlichkeit statt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit... Da ist der Deutsche in seinem Element, da blüht sein Wesen, und die deutsche Philosophie, die deutsche Literatur, die deutsche Musik und Kunst, den deutschen Emst verdanken wir diesem Rückzug in die In­ nerlichkeit. Der Innerlichkeitsfetischismus erklärt auch die Geduld oder die Gleichgültigkeit, mit der die Deutschen die politische Unfreiheit ertragen.“ (Sana, 1986, S. 97) Als Deutschland politisch und militärisch unfähig war, sich durchzu­ setzen, gab es als Gegenbewegung eine Hochstilisierung der inneren Werte der Deutschen, so bemerkt auch Nuss (1992): 1750-1850 gab es tatsächlich eine Blü­ tezeit der deutschen Kultur. Das Vereinsleben dient letztlich der Herstellung von Privatheit in der Öffentlich­ keit (Althaus e.a., 1992c; Kaiberg, 1988) durch die Kombination eines harmoni­ schen Gemeinschaftsgefühls in der Welt Gleichgesinnter mit der Formulierung und Vertretung diverser Interessen und der Übernahme öffentlicher Aufgaben in 235

privater Regie: Bildung, Soziales, öffentliche Belange, politische Interessen. „In immer neuen Wellen entfalten immer neue soziale Gruppen diese Geselligkeitsund Organisationsform für die Realisierung ihrer Interessen und Bedürfnisse.“ (Althaus e.a., 1992c, S. 103).

(4) Der totale Zusammenbruch des dritten Reiches und die moralische Verurteilung allen politischen und öffentlichen Lebens während dieser Zeit hatte noch einmal den gleichen Effekt: Abwendung vom Öffentlichen und Rückzug ins Private, in kleingruppenhafte, familiäre Bezugsfelder, als Ausdruck der Demütigung (Kai­ berg, 1988; Klages, 1987).

5.1.1.2.6. Schwacher Kontext

Demorgon zufolge hat der „schwache Kontext“ in Deutschland vor allem zwei Wurzeln: (1) „Die Direktheit der interpersonalen Kommunikation wird durch die weitgehende Trennung von Sach- und Beziehungsebene möglich. Der Beziehungsaspekt ist in der territorialen Familie und in kleinen lokalen Gemeinschaften durch stabile Bezüge klar geregelt. In diesem Fall ist der direkte Weg in der Kommunikation auch der zielführendste, denn es kann nicht die Gefahr aufkommen, dass durch die Direktheit die Beziehung in Frage gestellt wird.“ (Molz, 1994, S. 117) (2) Eine explizite Kommunikation ist in Interaktionen zwischen Personen mit ver­ schiedenen Erfahrungshintergründen und damit wenig gemeinsamen Referen­ zen nötig. Solche Interaktionen waren im deutschen Kulturraum Normalität,

• da die Erbfolge der territorialen Familie den größeren Teil jeder Generation aus dem Elternhaus und häufig über die Grenzen der Kleinstaaten hinaustrieb. (Molz, 1994) • da „elbst in der Frühzeit Deutschlands, als der Kaiser des Heiligen Römi­ schen Reiches deutscher Nation herrschte, ... es keine glanzvolle Haupt- und Residenzstadt . Der arme Kaiser war Zeit seines Lebens auf Achse - von Pfalz zu Pfalz, wo er jeweils eine Zeitlang regierte und Recht sprach, um dann mitsamt seinem Hofstaat zur nächsten Residenz, dem nächsten Gerichtsstand weiterzuziehen.“ (Gorski, 1996, S. 131) Die deutsche Geschichte war stets eine, in der sich Stämme und ihre Führer bzw. in der jüngsten Zeit Bewegungen und ihre Sprecher miteinander abstimmen und einen Einigungsprozess herbeiführen 236

mussten, wenn sie erfolgreiche Politik machen wollten.

• weil „n der merkantilistischen Gesellschaftsform ... der Erfolg grenzüber­ schreitenden Handelns ebenfalls durch explizite Kommunikation befördert .“ (Molz, 1994, S. 117) Denn folgendes Prinzip gilt im Grunde für jede „Kontext-Überschreitung“: „Kleinstaaterei fuhrt zur Herausbildung multipler Kontexte, die bei Grenzüber­ schreitungen durch Kommunikation systematisch textualisiert, expliziert werden müssen, um Verständigung zu ermöglichen.“ (Demorgon, 1999a, S. 80)

Außerdem finden sich folgende Ansätze:

(3) Requate (1993) führt einen ähnlichen Gedanken an: Im Gegensatz zur höfischen Welt ist die dörfliche Kommunikationsform „in hohem Maße von Direktheit geprägt.“(Requate, 1993, S. 394) Sogar derbe Beschimpfungen und Verwün­ schungen gehören hier zum Repertoire, wenn es um die Ehre geht. „Dieses ... Kommunikations verhalten ist dabei als Ausdruck einer Weitsicht zu verstehen, in der sowohl materielle wie auch immaterielle Güter nur in begrenztem Ausmaß zur Verfügung standen... ... der Verlust des einen den Zugewinn des anderen bedeutete.“ (Requate, 1993, S. 394). Wenn man bedenkt, dass weite Teile Deutschlands nach 1648 zutiefst in Provinzialität und Armut abgesunken waren, könnte hier tatsächlich eine Wurzel für den verbreiteten Kommunikationsstil lie­ gen im Gegensatz zur höfischen Kommunikation mit einer äußerst verfeinerten Direktheit. - Hellpach (1954) schlägt in dieselbe Kerbe, dieses Mal im städtischen Milieu: Grobianismus war der unfreien Bevölkerung ursprünglich als eine Art Narrenfreiheit zugestanden worden nach dem Motto: „vom Knecht erwartet man nichts anderes, als dass er im Dienst arbeitswillig und privatim ein Grobian sei“ (Hellpach, 1954, S. 211). Und dann hielt sie sich als Überrest in den breiten Schichten der nicht-begüterten Stadtbevölkerung. (4) Kurioserweise wurde mit Knigges Buch 1788, das eine „Epochenschwelle hin zu ‘bürgerlichen’ Umgangs- und Kommunikationsformen markierte“ (Requate, 1993, S. 394) der direkte Kommunikationsstil von einer anderen Seite her gefördert: „Den auf die Komplimentierkunst, also auf Verstellung und Schmeichelei gegrün­ deten Kommunikationsformen des Hofes setzte Knigge Umgangsformen entge­ gen, die sich ganz im Sinne der Aufklärung an der Selbstverantwortlichkeit des Individuums und an ‘bürgerlichen’ Tugenden wie Nützlichkeit, Wahrhaftigkeit und Redlichkeit orientieren.“ (Requate, 1993, S. 394) Diese Tugenden werden heute noch genannt, wenn man Deutsche nach den Gründen ihrer Direktheit fragt!

237

(5) Auch der Protestantismus trug zu diesem Kommunikationsstil bei:

• „Luthers Kirche ist eine Kirche des Wortes, des gelesenen, gesprochenen, ge­ predigten, gesungenen Wortes, nicht eine Kirche des Sakramentes und der Li­ turgie; das Wort vermittelt den Sinn, nicht die Anschauung; protestantische Kultur ist Kultur ... des Ohres. Schrift und Buch sind nicht Sache der Prediger allein, sondern Sache aller. Worte sind es, die das Leben auslegen, die Konzent­ ration auf das Wort trainiert die intellektuelle Regsamkeit, die Reflexion, es lehrt den Menschen, mehr als die zum Ritual gewordene Beichte, das IchSagen, und die Distanz zwischen Ich und Welt, ja die Distanz des Ich zu sich selbst. ... innengeleitetes Verhalten ruht auf Reflexion.“ (Nipperdey, 1991, S. 44) • Außerdem hat Luther „das katholische System der Vermittlungen und Kom­ promisse zwischen Natur und Gnade, Mensch und Gott, Glaube und Welt, das System der Analogien und Synthesen des ‘Lind’ und des ‘Sowohl als auch’“ be­ seitigt. Er ist ein „Mann des Entweder/Oder“ (Nipperdey, 1991, S. 42). • Und der Pietismus, eine in Deutschland sehr einflussreiche protestantische Strömung, forderte in der Konsequenz die bedingungslose Suche nach Wahrheit und die bedingungslose Wahrhaftigkeit des Menschen. - Die Aufklärung ver­ schärfte diesen Anspruch noch. (Sauzay, 1986) In einem solchen weltanschaulichen System gibt es keinen anderen Weg, als sich explizit mit der Wahrheit auseinanderzusetzen. (6) Darüberhinaus steht Explizitheit sicher auch im Dienst der Regelorientierung: „Alles, was ausdrücklich, präzise, unmissverständlich und wo möglich nachprüf­ bar niedergelegt ist, erhöht das Gefühl, dass alles seine Ordnung hat und gibt die gewünschte Ordnungssicherheit. “ (Molz, 1994, S.l 17) (7) Markowski (1995) nennt noch folgenden Grund für die Direktheit: „Eine mögliche Erklärung liegt in ihrem starken Bedürfnis nach Logik: Im Zuge der Reformation wuchs der Einfluss der Universitäten in Deutschland stark an, so dass in der Folge die Entwicklung eines für breite Bevölkerungsschichten zugäng­ lichen Schulwesens möglich wurde. Vor allem an den höheren Schulen waren da­ bei die Sprachen und die Literatur der Antike zentraler Bestandteil der Ausbil­ dung. Mit Latein und Griechisch wurden aber auch das diesen Sprachen und der antiken Philosophie innewohnende logikorientierte Denken vermittelt - wie bis heute noch an deutschen Gymnasien üblich. Vor allem das logische Argumentie­ ren in der Tradition des antiken Meinungskampfes ist den Deutschen auf diese Weise im Lauf der Jahrhunderte in Fleisch und Blut übergegangen. Dies impliziert 238

aber zugleich Direktheit in der Kommunikation, da Indirektheit ja auch Unklarheit und Irritation erzeugt und somit eher hinderlich ist, wenn es darum geht, die Äuße­ rungen des Gesprächspartners in ein logisches System einzuordnen und danach zu bewerten.“ (Markowski,, 1995, S. 54)

5.1.1.2.7. Konfliktkonfrontation Dieser Kulturstandard hängt eng mit der Sachorientierung, der Direktheit der Kommunikation und der Trennung von Lebensbereichen zusammen und stellt eine weitere Auswirkung der geschichtlichen Hintergründe dar, wie sie zur Veranke­ rung dieser Kulturstandards ausgeführt wurden. Gesonderte Erwähnung verdient eine Variante der deutschen Geistesgeschichte: „Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Blütezeit deut­ scher Philosophie... Die ... Denker dieser Zeit entwickelten neuartige Analyseme­ thoden, systematisch wie nie zuvor. Ihr Einfluss strahlte durch das Bildungswesen ... über die gebildeten Schichten hinaus aus.“ (Molz, 1994, S. 116) Sie sind wohl auch letztlich die Grundlage für eine „systematische Fehlersuche“ und alle mögli­ chen sonstigen Analyseverfahren.

Im deutsch-tschechischen Kontext dürfte für die Wahrnehmung der Deutschen als sehr konfrontativ darüber hinaus all das eine Rolle spielen, was als „Geschichte gegen Deutschland“ (vgl. 5.1.1.1.) beschrieben wurde und auf unbestreitbare krie­ gerische und nicht-kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen ver­ schiedener deutscher Stämme und Tschechen beruht. „Die germanischsprechenden Stämme, die in den Jahrhunderten der Völkerwanderung die europäische Tief­ ebene westlich der Elbe und ein weites Gelände zwischen ihr und den Alpen be­ siedelten, fanden sich eingebettet zwischen Völkerschaften, deren Sprache ein Abkömmling des Lateinischen war, und östlichen Völkerschaften mit slawischen Muttersprachen. Für mehr als tausend Jahre kämpften diese drei Volksgruppen um die Grenzen ihres Siedlungslandes. Bald verschoben sich die Grenzen zugunsten der westlichen und östlichen Völkerschaften, bald zugunsten des germanisch- oder deutschsprachigen Mittelblocks. ... Immer wieder fühlten sich die latinisierten und die slawischen Gruppen von dem menschenreichen deutschen Staat bedroht. Alle Seiten nutzten ganz rücksichtslos jede Chance der Expansion, die sich ihnen bot.“ (Elias, 1992, S. 9; Halecki, 1952)

5.1.1.2.8. Stabile Selbstsicherheit Bei dem Kulturstandard „stabile Selbstsicherheit“ stehen wir mit dem Versuch einer kulturhistorischen Verankerung auf sehr wackeligem Boden: Es finden sich 239

nur Begründungen für ein /«stabiles Selbstwertgefühl. Viele Autoren konstatieren geradezu Minderwertigkeitsgefühle. Die Lösung des Problems liegt in der Defini­ tion des empirisch gewonnenen Kulturstandards „stabile Selbstsicherheit“: Er herrscht nämlich im Agieren in der Rolle vor, nicht generell und sicher nicht auf der Ebene einer nationalen Identität. In anderen Kontexten sprachen auch die In­ formanden denn auch von Selbstzweifeln. Wo immer in der Literatur überhaupt auf ein positives Selbstwertgefühl der Deut­ schen Bezug genommen wird, wird stets die Ambivalenz thematisiert: Elias formuliert das so: „Zwei verlorene Kriege haben ihm nicht den Stempel einer absterbenden, erniedrigten und verachteten Menschen­ gruppe aufgedrückt“ (Elias, 1992, S. 24). Wirtschaftlichen Wohlstand, Achtung in der Welt aufgrund des politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus, frühere Feinde als Verbündete und eine recht normale Existenz als wohlhabender Indust­ riestaat sind der Rahmen des Lebens des deutschen Volks. Doch: Während der Frage nach der Identität als Deutscher mit Verlegenheit begegnet wird, kann die Unsicherheit durch forsches Auftreten und Imponiergehabe überspielt werden. (Krockow, 1989) Denn der Stolz auf die Ökonomie ersetzt den Nationalstolz. „Seit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches sind die Deutschen auf der Suche nach einer neuen Identität; gefunden haben sie sie wohl noch nicht. Daher die in­ nere Unruhe, die sich hinter ihrer vordergründigen Selbstzufriedenheit und gele­ gentlichen Prahlerei verbirgt.“ (Sana, 1994, S. 178). Die andere Seite der Medaille - das Minderwertigkeitsgefühl - ist detaillierter her­ auszuarbeiten:

Das deutsche Reich erlebte seinen geschichtlichen Höhepunkt im Mittelalter (Eli­ as, 1992). „Das deutsche Kaiserreich des Mittelalters und besonders einige der markantesten mittelalterlichen Kaiser dienten lange als Symbole für eine Größe Deutschlands, die verloren war“ (Elias, 1992, S. 11). „In der Frühzeit legitimierte sich das Heilige Römische Reich deutscher Nation als eine Art Reinkarnation des weströmischen Kaiserreichs. Auf diesen Frühstufen der Staatsentwicklung hatten die deutschen Herrscher ... eine Vormachtstellung im Verband der römischen Kir­ che, der im wesentlichen das umfasste, was man heute als ‘Europa’ bezeichnet.“ (Elias, 1992, S. 11) „Gewiss ist das Mittelalter für die deutschen Fürstentümer ein goldenes Zeitalter. Die Kultur dieser Zeit erreicht hier Höhepunkte...(Sauzay, 1986, S. 75) - Vorher und nachher gibt die Geschichte wenig Anlas zu Stolz:

• Die germanischen Stämme waren Barbaren, als im Mittelmeerraum schon Hochkulturen herrschten. Dieser Tatsache waren sich die Deutschen im Ver­ gleich mit den romanischen Völkern immer bewusst und sie sahen sich selbst als im Vergleich barbarisch und formlos. (Müller-Freienfels, 1922). 240

• „... erade die mittelalterliche Stufe des deutschen Staatsbildungsprozesses trug viel dazu bei, dass dieser nicht mit den Staatsbildungsprozessen anderer eu­ ropäischer Gesellschaften Schritt hielt.“ (Elias, 1992, S: 10) Es fehlte nämlich die fester integrierte und in Machtkämpfen gewöhnlich überlegene Entwicklung einer absoluten Monarchie. In Deutschland dagegen verlagerten sich die Ge­ wichte vom Kaiser weg auf die Landesfiirsten. Während andere eine Zentra­ lisierung erlebten, „erlebte das Deutsche Reich einen Zerfall der Zentralgewalt.“ (Elias, 1992, S. 11) und die lockere Integration des Deutschen Reiches erwies sich nun als eine große Schwäche seiner Struktur, als eine Einladung zum Ein­ fall fremder Mächte in das Territorium der deutschen Stämme. Das deutsche Reich war ein zerstückeltes Land, eine leichte Beute für Eindringlinge, das Schlachtfeld Europas und unfähig, sich politisch oder militärisch durchzusetzen (Nuss, 1992). So war es möglich, dass unter dem Vorwand eines Glaubenskrie­ ges die damaligen drei Großmächte Spanien, Frankreich und Schweden im Dreißigjährigen Krieg „ihren Kampf um die Vorherrschaft in Europas auf deut­ schem Boden und mit deutschem Blut“ austrugen (Fernau, 1972, S. 136)

• Die Deutschen traten dann schließlich als Spätvolk in die Geschichte ein, d.h. ihre nationale Einigung erfolgte im Vergleich zu den Völkern Westeuropas sehr spät. Das drückte ihr Selbstwertgefühl sehr (Müller-Freienfels, 1922) und führte Jahrhunderte hindurch zu tendenzieller Depression (Elias, 1992), weil mit der mangelnden Einheit ein enormer sozialer Abstieg in der Rangfolge der europäi­ schen Völker verbunden war, der, wie erwähnt, deutsche Territorien mehrmals zum Schlachtfeld europäischer Großmächte gemacht hatte. „Weniger klar ist vielleicht, dass die relative Schwäche des eigenen Staates, verglichen mit ande­ ren Staaten, für die betroffenen Menschen spezifische Notstände mit sich bringt. Sie leiden an der physischen Unsicherheit, zweifeln an ihrem Eigenwert, fühlen sich erniedrigt und entwürdigt und neigen zu Wunschträumen über die Rache, die sie an den Urhebern dieser Situation nehmen möchten.“ (Elias, 1992, S. 13) Spätestens die Zerstörungen des Dreißigjährigen Kriegs machten Deutschland „lange Zeit zu einem verarmten und benachteiligten Land.“ (Craig, 1985, S. 25) • Während der Zeit der territorialen Zersplitterung war die Geistlichkeit internati­ onal organisiert und der Adel in international regem Austausch, vor allem mit Frankreich. Somit sahen Adel und Geistlichkeit immer auf Deutsches und Bür­ ger hinab und dieses Gefühl der Minderwertigkeit prägte alle Schichten zuneh­ mend (bis in die Weimarer Zeit!). • Deutschland war militärisch schwach: „Militärisch ... war Deutschland fast im­ mer besiegt worden; bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein war es öfter Opfer als Angreifer.“ (Sauzay, 1986, S. 74) Viele europäische Kriege spielten sich auf deutschem Boden ab. „Abgesehen von der Bismarckschen Episode hat 241

Deutschland jedes Mal, wenn es sich durchsetzen wollte - mit Luther gegen das Papsttum, mit Wilhelm II. im Kampf um die Gleichberechtigung als Groß­ macht, mit Hitler gegen das ‘Diktat’ der westlichen Demokratien - eine Katast­ rophe erlebt.“ (Sauzay, 1986, S. 75) • Brandenburg-Preußen gelang es, sich hochzuarbeiten und militärisch aufzuho­ len. Doch die Staatsentwicklung verharrte in der absoluten Monarchie und Deutschland stürzte sich in den Ersten Weltkrieg. Die Niederlage von 1918 be­ lebte alte Ängste: Sie „wurde als Rückkehr in die Zeit der deutschen Schwäche, der fremden Heere im eigenen Land, des Lebens im Schatten der größeren Ver­ gangenheit empfunden. Der ganze Prozess des deutschen Aufholens stand auf dem Spiel.“ (Elias, 1992, S.14) Und der nächste Krieg wurde vorbereitet. (Elias, 1992) 1945 endete in einer totalen Katastrophe. „... die psychische Verarbeitung des Geschehenen ist für viele Deutsche nicht einfach.... Sie müssen sich immer von neuem mit der Tatsache auseinandersetzen, dass das Wir-Bild der Deutschen durch die Erinnerung an die Exzesse der Nazis beschmutzt ist und dass andere, dass vielleicht sogar ihr eigenes Gewissen ihnen anlastet, was Hitler und die Seinen getan haben.“ (Elias, 1992, S. 25) „Schon früher war die Unsicherheit über den Wert und Sinn, den es hat, ein Deutscher oder eine Deutsche zu sein, aufgrund der Gebrochenheit der deutschen Entwicklung groß. Sie ist es heute mehr denn je.“ (Elias, 1992, S. 25) Auch Noelle-Neumann (1987) stellt das Fehlen von Nationalstolz in Deutschland fest und ein Nationalgefühl, das sich mehr aus 12 Jahren „unheilvoller deutscher Geschichte“ (S. 47) als aus 1000 Jahren mehr oder weniger heiler nährt. Deutsche Geschichte „kam auf die An­ klagebank, nach 1945 zuerst und dann nach 1968; jetzt gab es für die jüngere Generation auch kein Erbe und keine Tradition mehr, die wie für die Älteren zustimmungsfähig waren.... darunter leidet die Identität.“ (Nipperdey, 1991, S. 262). „Eine Bestätigung der eigenen nationalen Existenz durch Geschichte hat die deutsche Jugend nach 1945 nie erfahren.... Die nationalstaatliche Vergan­ genheit erscheint dem größten Teil der deutschen Jugend ... als Irrweg, der durch Indifferenz gegenüber oder gar rüde Ablehnung jeglicher nationalen Ori­ entierung, bisweilen auch durch vorbehaltlosen Applaus für weltumspannende Utopien kompensiert wird.“ (Tiemann, D. 1990, S. 325f)

Sauzay schildert die Identitätsprobleme nach 1945 so: Die Kollektivschuld tra­ gen alle - die Mehrheit hat „sie in der Wiege vorgefunden“ (Sauzay, 1986, S.100). Die brutale Konfrontation mit den Greueln löst moralische Betroffenheit aus. Dazu kommen die von den Deutschen selbst erduldeten Leiden, die freilich niemand als die Deutschen selbst beachtet. „Die Vergangenheit ist durch die zahllosen Traumata, die sie hinterlassen hat, allgegenwärtig.“ (Sauzay, 1986, S. 100) 242

Es kann zusammenfassend festgehalten werden, dass der Kulturstandard „stabile Selbstsicherheit“ in der sektoriellen Perspektive „Berufsarbeit“, um die es in die­ ser Arbeit vorrangig geht, vor allem durch die „Trennung der Lebensbereiche“ und damit durch die dort angegebenen Hintergründe historisch fundiert werden kann. Für andere Sektoren sollten dann die hier aufgefuhrten Zusammenhänge hinzuge­ nommen werden. Aber stets werden sie eher verborgen bleiben, denn es handelt sich um innere Verletzungen, die von außen meist nicht zu sehen sind. (NoelleNeumann, 1987).

243

5.1.2.

Vergleich der Ergebnisse mit anderen empirischen Wertestudien

5.1.2.1.

Studien zu Tschechien

Es sollen nun zur Validierung der Kulturstandards andere empirisch-wissen­ schaftliche Quellen herangezogen werden. Als solche sollen in diesem Zusam­ menhang sogenannte Wertestudien gelten gleich welchen Verfahrens. Bei diesen wissenschaftlichen Studien erfolgt an dieser Stelle keine Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden Paradigma, das ebenfalls nicht notwendig mit der vertre­ tenen kulturpsychologischen Richtung Hand in Hand gehen muss. Im Sinne von multiplen objektiven Welten (Shweder, 1986) verhindern paradigmatische Inkom­ patibilitäten einen Vergleich der Ergebnisse nicht, die aus den unterschiedlichen Perspektiven auf einen vergleichbaren Gegenstand hervorgehen.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Befundlage zu Tschechien sehr dürftig ist. Die Tatsache, dass Tschechien ein Land des „Ostblocks“ war, verhinderte bis 1989 derartige Forschungen. Der Vergleich der in dieser Studie erzielten Ergebnisse mit anderen empirischen Ergebnissen muss sich daher im Grunde auf drei Quellen be­ schränken: auf Trompenaars (1993), der damals noch „Tschechoslowaken“ und Westdeutsche in seine Studie aufnahm und auf Jarosova e.a. (2000), wo versucht wurde, die Binnenperspektive von Tschechen für diverse Phänomene zu eruieren. Aus der Arbeit Pavlicas (1996) sind nur wenige Dinge zu entnehmen, da sie sich ausschließlich auf den tschechisch-britischen Kulturvergleich bezieht. (1) Zunächst zu den Ergebnissen Trompenaars (1993):

• Er konstatiert auf der Universalismus - Partikularismus - Dimension eine schwächere universalistische Ausprägung der tschechoslowakischen Kultur im Vergleich zur westdeutschen (82% : 91 %) (Trompenaars, S.57), sowie eine stärkere partikularistische Ausprägung (79% : 62%) (Trompenaars, S.61). Das geht einher mit dem in dieser Studie als „personorientierte Kontrolle“ be­ zeichneten Kulturstandard.

• Als stärkeren „Personbezug“ kann man folgenden Befund Trompenaars deu­ ten: Tschechoslowaken glauben in einem geringeren Maß als Westdeutsche, dass ein Chef lediglich die Arbeit erledigt haben will, statt auch eine Art „guter Vater“ zu sein (64% : 87%) (Trompenaars, S.205). - Dieser Befund lässt sich 244

auch als Ausdruck dessen sehen, was in dieser Studie „Diffusion Rolle-Person“ genannt wird.

• Tschechoslowaken stimmen weniger als Westdeutsche dem Statement zu, der Zweck einer Organisationsstruktur liege darin, dass jeder wisse, welche Funk­ tionen wo angesiedelt seien und wie sie koordiniert würden (70% : 92%) (Trompenaars, S. 215). Dies ist als Ausdruck einer anderen Einschätzung von Strukturen zu interpretieren (vgl. Abwertung von Strukturen). (2) In der Studie von Jarosova e.a. (2000) sind folgende Parallelen zu den Ergebnis­ sen dieser Arbeit zu entdecken:

• Als Kemaussage der Typologie zur Charakterisierung von tschechischen Mit­ arbeitern schreiben die Autoren: „Es zeigt sich, dass für tschechische Mitar­ beiter der außerhalb der Routine liegende Inhalt der Tätigkeit von Bedeutung ist, der die Möglichkeit in sich birgt, die eigene Kreativität zur Geltung zu brin­ gen.“ Was ist das anderes, als ein Mensch, der im Sinne der „Abwertung der Strukturen“ agiert und seiner „Improvisationsliebe“ nachkommt? Denn alle Mitarbeiter-Typen zeigen ein erhebliches Maß an Nicht-Konformität. • Für Führungskräfte gilt: „Ansehen und Respekt werden ... mit einem beschei­ denen Auftreten,... , mit Kommunikationsbereitschaft ... und mit einer engen Beziehung zu den Menschen verbunden.“ Das sind Eigenschaften, die den Kulturstandards „schwankende Selbstsicherheit“ (hier: „UnderstatementSpiel“) und „Personbezug“ zugeordnet werden können.

• Was Konflikte betrifft, treten am häufigsten zwei relativ konfliktlose Typen von Mitarbeitern auf: (a) Einer, der sich „alles gefallen lässt... In seiner Beziehung zu Autoritäten verhält er sich unterordnend und passiv. Es ist bei ihm ein Man­ gel an Selbstvertrauen deutlich. Sein Nicht-Einverstanden-Sein behält er für sich.“ Er wird eher unteren Schichten zugeordnet. Und (b) einer, der sich „äu­ ßerlich untergeben“ zeigt, aber um seinen Preis weiß. „Seine Kritik am Vorge­ setzten sagt er indirekt - er beklagt sich entweder bei der Sekretärin ... oder bei seinen Kollegen.“ „Er ist ein potentieller Rebell, der im Fall einer langfristigen Unzufriedenheit und/oder des Gefühls der ungerechten Behandlung im Unter­ nehmen eine Rebellion vorbereitet.“ Der Kulturstandard „Kon­ fliktvermeidung“ taucht auch in dieser Studie deutlich auf. • Im Umgang mit der Zeit stellen die Autoren vor allem eine kurzfristige Orien­ tierung ihrer tschechischen Respondenten fest. Das ist ein Phänomen, das in der hier vorliegenden Studie neben anderen Phänomenen der Simultanität zuge­ ordnet wurde. 245

• Ein ausführliche Schilderung dessen, was im Kulturstandard „personorien­ tierte Kontrolle“ „extemale Kontrolle“ genannt wird, geben die Autoren in folgenden Stufen der Beschreibung des Schulderlebens: 1. „... Verstoß... 2. ... Reflexion des Verstoßes und das Erleben des Schuldgefühls... 3. ... Reflexion der Wichtigkeit des Verstoßes und das Streben nach Rechtferti­ gung... 4. Streben nach einer Minimalisierung des Ausmaßes an Schuld... ... Selbstverteidigung...“ Die Selbstverteidigung „hat die Form der Ausrede / Entschuldigung (die Respondenten unterscheiden semantisch diese Ausdrücke gewöhnlich nicht). Es handelt sich vor allem darum, sich auf Annehmbares zu berufen, d.h. vor allem auf konkrete, „objektive“, „glaubwürdige Gründe“. Sie muss dann knapp sein, nicht besonders viel „eingeflochten“ haben, man darf sich mit ihr nicht aufhalten, um seine Stellung nicht zu verschlechtern...“ 5. „Der Akt / das Ritual der Vergebung: Vergebung ist dann zu erwarten und sozusagen notwendig, wenn das Maß der Schuld annehmbar ist...“ Zusammenfassend kommentieren die Autoren das mit folgenden Worten: „Das angeführte Szenarium deutet an, daß ein Tscheche verhältnismäßig stark vom Bedürfnis geprägt ist, gute, konfliktfreie Beziehungen mit seiner sozialen Umgebung, vor allem mit den Autoritäten und mit den Menschen in vorgesetzten Positionen aufrechtzuerhalten. Das angeführte Szenarium deutet jedoch auch an, daß er in den Situationen von Schuld die Tendenz hat, sich alibistisch zu verhalten, d.h. nach Ausreden und nach Mitschuldigen zu suchen, die persönliche Verantwortung für bzw. den negativen Folgen des eigenen Verhaltens auszuweichen.“ Ihre Begründung verweist einmal mehr auf den Kulturstandard „Konfliktvermeidung“. (3) Pavlica: • Pavlica (1996), der sich in seiner Arbeit der Hofstede-Dimensionen bedient, nennt Ansichten tschechischer Manager über ihre Rolle, die neben der Inter­ pretation hoher Machtdistanz auch als Beleg für eine ausgeprägte extemale Kontrolle (vgl. personorientierte Kontrolle) gelten können: „In their sayings and proverbs about the role of managers Czech respondents refer to ... me­ taphors. The first one is that of a coachman - i.e. A manager is like a coachman. His horse doesn't stop before his command. This kind of discourse builds upon the idea of a passive staff...“ (S. 132). „We can use an example from chemistry. Imagine that you have two poles and elements moving between them. Now a manager must come and determine which pole is positive and which is negative. Then he connects them and this system produces work.“ (S. 132) - Tschechi­ sche Manager sehen sich als „somebody who gives direction and sense to cha246

oto organizational life“ (S. 158). Ein Manager sollte in bezug auf seine Mitar­ beiter „... not rely on their own commonsense knowledge“ (S. 132).

• Kommunikative Fähigkeiten werden dabei als Voraussetzung für den Erfolg eines Managers angesehen. „However in Britain it is considered that only via cooperation and good communication can organizations successfully undergo all appropriate changes, whereas in the Czech Republic these skills are seen ra­ ther in terms of effective instruments for the manipulation and control of peo­ ple.“ (S. 164) Wenn das eine verbreitete Meinung ist, dann nimmt es nicht wunder, dass in der hier vorliegenden Studie Misstrauen eine große Rolle spielt (vgl. Diffusion - interpersonale Distanz) und nur aus dem Kontext Sicherheit über die Absichten anderer Personen gewonnen werden kann (vgl. hoher Kon­ text). • Pavlica belegt außerdem, wie wichtig sich tschechische Manager als Personen nehmen (vgl. Personbezug - Vorrang für die Person): Die von ihm befragten tschechischen Manager halten individuelle, persönliche Eigenschaften und Qualitäten (also die eigene Person mit ihren Eigenarten) für effektives Managen wichtiger als interpersonale Fertigkeiten. Außerdem betrachten sie sich als „su­ perior beings who give sense to all social and professional life“ (S. 130). Pavli­ ca referiert dann eine Studie von Bloom, der sog. „Euromanagement skills“ als Charakteristika für einen effektiven Managementstil in vielen westeuropäischen Ländern vorgelegt hat und vergleicht mit Blooms Ergebnissen die Aussagen seiner tschechischen Probanden. Dabei kommt er zu folgenden Ergebnissen: 1. ability to leam from others: „Czech managers tended to think only about their own individual growth and careers and think of non-managers as people who do not need to leam.“ (S. 163) 2. orientation on development: „.. is in the Czech cultural environment understood in terms of an orientation towards individual strength, luck and victory in competition with others“ (S. 164)

Insgesamt erbringt die Arbeit Pavlicas jede Menge Daten, die eine hohe Macht­ distanz tschechischer Manager untermauern. Dazu kann jedoch die vorliegende Studie keine Aussagen machen, weil in den deutsch-tschechischen Kooperationen fast nie Tschechen die Vorgesetzten von Deutschen waren.

247

5.I.2.2.

Studien zu (West)Deutschland

Im folgenden werden Ergebnisse psychologischer Studien aufgeführt, die Kultur­ standards erheben bzw. Wertestudien darstellen - soweit sie Parallelen zu den in dieser Arbeit aufgezeigten Ergebnissen aufweisen . Sachbezug

In der Kulturstandardforschung hat sich immer wieder gezeigt und zwar bei kul­ turvergleichenden Untersuchungen zu diversen Kulturen, „dass sich Deutsche im Vergleich zu Kontaktpartnem aus anderen Ländern dadurch unterscheiden, dass sie sehr stark sachorientiert waren, wogegen andere eher beziehungsorientiert han­ delten. Ob es sich dabei um Geschäftsverhandlungen handelte, Interaktionspro­ zesse am Arbeitsplatz..., immer wieder beobachten Ausländer, dass Deutsche sich nicht lange mit Beziehungspflege aufhalten, kein großes Interesses an den Perso­ nen, mit denen sie interagieren, zu erkennen geben, sondern sich schnell, zügig und effektiv mit den zur Diskussion anstehenden Sachproblemen auseinander zu setzen wünschen und sehr viel Energie darauf verwenden, die Interaktionspartner auf die Sachproblematik hin zu orientieren. Ausdauernde Investitionen in die Be­ ziehungspflege gegenüber den Aktionspartnem, Investitionen in das gegenseitige Kenneniemen und Herstellen einer harmonischen Atmosphäre werden oft als überflüssig, Zeitverschwendung, unnötige Verschwendung von Energien und Res­ sourcen angesehen und auch so behandelt.“ (Thomas, 1999b, S.127). Pars pro toto seien einige Studien wörtlich zitiert: • „In Diskussionen - diese Form des Gesprächs lieben Deutsche besonders - wird sachbezogen argumentiert, ohne dabei auf die Emotionen der Gesprächspartner besondere Rücksicht zu nehmen. Es geht eben in erster Linie um die Sache selbst und weniger um Gefühle. Deutsche sind in hohem Maße fähig, Sachver­ halte zu diskutieren, ohne Emotionen einfließen zu lassen. Was in solchen Ge­ sprächen zählt, sind Logik, Fakten und rhetorisches Stehvermögen.“ (Mar­ kowski, 1995, S. 53) • „Sachthemen genießen in der Kommunikation Priorität. Sachinformationen sind für die Orientierung wesentlich. Emotionen werden kontrolliert, wenn sie nicht sachdienlich sind (v.a. im öffentlichen Raum...)“. (Molz, 1994, S. 98) • Aufgaben- und Sachorientierung““. Schwerpunkt bei beruflicher Interaktion liegt auf den Funktionen der handelnden Personen. Verhalten erscheint sachlich, nüchtern, direkt.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 99)

Auffallend ist, so Thomas weiter: „Aus deutscher Sicht ergeben sich die positiven interpersonalen Beziehungen gleichsam von alleine, wenn man sich über die Sachprobleme einigermaßen konfliktfrei und konsensorientiert verständigen kann. 248

Ein friedliches und erträgliches interpersonales Miteinander ist aus deutscher Sicht eine selbstverständliche Folge eines rationalen und sachgerechten Umgangs mit den anstehenden Themen und Aufgaben.“ (Thomas, 1999b, S. 127) - Was ist da­ mit anderes beschrieben als die in dieser Arbeit dargestellte Definition der Bezie­ hungsebene über die Sachebene?

Stewart e.a. (1994) beobachten außerdem, dass die Motivation zur Kooperation der Mitarbeiter auf sachlicher Ebene erfolgt. Manager überzeugen mit sachlichen Argumenten, auf der Basis von Fakten und Wissen. Die Glaubwürdigkeit erwächst aus der Sachkenntnis. Deutsche betreiben ein „Management durch Fachwissen“; auch die Autorität erwächst aus fachlichem Bessersein. Die Autorität eines Mana­ gers beruht auf seiner Sachkompetenz, d.h. auf seiner Qualifikation und auf seiner Erfahrung. Seine Machtbasis heißt weithin Expertenmacht. Aufwertung von Strukturen

Deutschland gilt gemäß der Untersuchung nach Hofstede (1993) als ein Land mit relativ hoher Unsicherheitsvermeidung, d.h. als eine Gesellschaft mit einem relativ hohen Angstniveau bzw. einem relativ hohen „Grad, in dem die Mitglieder einer Kultur sich durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen“ (S. 133). Deutsche bevorzugen daher ein hohes Maß an Strukturierung; Regulierung und Genauigkeit. Lee (1993) hebt hervor, dass ein Großteil der Fehlinterpretation, Deutschland sei ein autoritäres Land - worauf die Messergebnisse zum Konstrukt Machtdistanz keine Hinweise liefern - von dieser Regelorientierung her rühre: Deutsche lassen sich von Regeln beherrschen und erscheinen stur und unflexibel, sie wählen den sicheren Weg und wollen alle möglichen Eventualitäten abdecken, sie bewundern Experten, betrachten Wahrheit in einem absoluten Sinn, lieben das Langzeitdenken, klare Vorgehens weisen imd Zuständigkeiten, benutzen Hierar­ chien als gute Organisationsmittel, arbeiten hart und auf Ordnung und Ordentlich­ keit bedacht. All dies sind in der Terminologie\Hofstedes Charakteristika der „Un­ sicherheitsvermeidung“, in der Kulturstandardterminologie dieser Arbeit Be­ standteile der „Aufwertung von Strukturen“. Auch in der Kulturstandardforschung ist die „Aufwertung von Strukturen“ eine Konstante: • Organisationsbedürfhis: „Alles muss organisiert werden, um Unsicherheitsfak­ toren zu eliminieren.... Deutsche sind Meister im Organisieren.... Es ärgert Deutsche einfach ungemein, wenn ... Probleme auftreten, die man durch or­ dentliche Planung hätte vermeiden können. “ (Markowski, 1995, S. 85) • „Indem Deutsche potentielle Fehlerquellen und Hindernisse selbst bei unwich­ tigen Dingen im voraus zu erkennen und zu eliminieren versuchen, wird die Wahrscheinlichkeit einer Störung der geplanten Sache wesentlich reduziert und somit auch eine hohe Effizienz erreicht. Deutsche hassen Fehler und versuchen, 249













Unsicherheiten in allen Dingen so weit als möglich zu vermeiden. Diesem Be­ dürfnis werden sie durch langfristige Organisation und Planung in allen Berei­ chen gerecht. Sorgfältig zu planen und auf Ernstfälle vorbereitet zu sein, gilt als Ausdruck von Intelligenz und Verantwortungsbewusstsein. Wer nicht plant, handelt dagegen aus deutscher Sicht verantwortungslos und unintelligent.... Ist eine Sache aber erst einmal geplant, wird der entsprechende Plan in der Regel auch beibehalten.“ (Markowski, 1995, S. 85f) „Regelorientierung"'. „Die impliziten und kodifizierten Regeln, die die soziale Ordnung in der öffentlichen Sphäre regulieren, werden als allgemeinverbindlich betrachtet. Das Bedürfnis nach einer klaren und zuverlässigen Orientierung ist deutlich ausgeprägt.“ (Molz, 1994, S. 97) „Systematische Aufgabenerledigung"-. „Aufgaben werden mit einem stark me­ thodischen Geist angegangen: ■ die Konzentration auf je eine Aufgabe ist groß... ■ sie wird in Einzelschritte zerlegt... ■ es wird versucht, in der Planungsphase alle Eventualitäten zu berücksichti­ gen... ■ in der Ausfuhrungsphase wird präzise, gründlich und beharrlich bis zum Ziel gearbeitet.“ (Molz, 1994, S. 98) Der Kulturstandard „Regelorientierung" wird folgendermaßen charakterisiert: „Lückenloses Gesetzeswerk, formalisierte Entscheidungs- und Handlungsab­ läufe und starres Einhalten von Regeln. Erreichen von maximaler Planbarkeit und Kontrolle durch Regelgenerierung und -einhaltung.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 95) „Bürokratische OrdnungsStruktur"'. „Verwandtschaft mit Regelorientierung, Grundsatz der Gleichbehandlung. Buchstabengetreues Ausfuhren von Vor­ schriften.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 95) „Systematische Aufgabenbewältigung"'. „Konsekutives Abarbeiten von Aufga­ ben nach vorheriger Planung in linear angeordneten Schritten. Systematisierung und Routinisierung der Aufgaben.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 96) Regelorientierung'. „Rechtsstaatlichkeit, lückenlose gesetzliche Regulierung , aber auch Regelgläubigkeit des Einzelnen. Überwachung der Einhaltung von Regeln ist Sache jedes Mitbürgers.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 99)

Aus den Resultaten Stewarts (1994) kann ergänzt werden: • Kontrollen erfolgen durch Planung, automatische Ergebniskontrollen, Techno­ logie usw., aber nicht durch Face-to-face-meetings. • Die Bedeutung von Strukturen ist groß, sie sind sehr wichtig. Sie gelten als Schlüssel zu effektivem Management. Auch Hall (1990) konstatiert „pressure to observe all rules - legal, informal and formal“ (S. 52).

250

Konsekutivität „Monochron“ nennt Hall (1990) die deutsche Kultur: • Das Leben ist eingeteilt, die Menschen konzentrieren sich jeweils nur auf eine Sache in einer Zeiteinheit („eins nach dem anderen“): „Germans prefer doing one thing at a time and keeping each activity descrete“ (S. 43). „They simply will not give up once they’ve decided upon a course of action“ (S. 53). Sie rea­ gieren außerdem besonders empfindlich auf die Unterbrechung ihrer Aktions­ ketten, denn es ist „important for Germans to complete action chains“ (S. 37) • Pünktlichkeit ist fast eine „Zwangsvorstellung“. • Verspätungen bedeuten, dass etwas nicht wichtig ist oder dass jemand nicht verantwortungsbewusst, egozentrisch oder grob unhöflich handelt. • Erstellte Zeitpläne werden nicht mehr umgestoßen.

Die Kulturstandardforschung erbringt: • Systematische Aufgabenerledigung: Bei der Erledigung einer Aufgabe wird die Reihenfolge der Einzelschritte ihrer Bearbeitung vorausgeplant und „... es wird intensives Zeitmanagement betrieben“ (Molz, 1994, S. 98) • Termin- und Zeitplanung „Termin- und Zeitplanung sind im Beruf wie in der Freizeit möglichst genau festgelegt. Zeit als wichtiges, begrenztes Gut. Wenig Spielraum für Spontaneität. Monochrone statt polychrone Zeitauffassung.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 96) • Systematische Aufgabenbewältigung’. „Konsekutives Abarbeiten von Aufgaben nach vorheriger Planung in linear angeordneten Schritten. ... Konzentration auf ausschließlich eine Sache.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 96) Stewart e.a. (1994) hebt hervor: Ein deutscher Manager ist seinen Mitarbeitern ein pünktliches Vorbild. Regelorientierte Kontrolle

Lee (1993) stellt in Kooperation mit Hofstede fest, dass in Deutschland zwar klar und präzise delegiert wird, dass der Vorgesetzte dann aber nicht in die Einzelhei­ ten eingreift, nicht über die Schulter sieht, nicht bei Einzelheiten entscheidet, son­ dern individuelle Kompetenz voraussetzt und respektiert. Den Messungen Trompenaars-Q993) zufolge ist (West)Deutschland universalisti­ scher und Tschechien partikularistischer. Außerdem gehören die (West)Deutschen zu den Kulturen mit den höchsten Werten für Selbstkontrolle und „Selbstbe­ stimmtheit“ statt „Außengeleitetheit“. Er nennt die (West)Deutschen daher „fast vollständig verinnerlicht“ (S. 185).

251

Hall (1990) merkt an, dass Deutsche bei der Arbeit sehr ernst sind und offensicht­ lich keinen Spaß erwarten. Außerdem scheinen sie es zu hassen, Fehler zu machen und wirklich peinlich berührt zu sein, wenn sie einen machen. „he Germans object strenuously when people fail to obey signs and directions“ (S. 42f). Aus der Kulturstandardforschung können folgende Resultate zitiert werden: • Regelorientierung'. „Es gibt für alles eine Regel, deren Einhaltung für selbstver­ ständlich erachtet wird.... Die Deutschen wirken - was diesen Punkt betrifft -... leicht pedantisch, unflexibel und stur.... Bestehende Regeln ... werden oft rigide angewendet und wenig hinterfragt; das heißt, dass man sich zum Teil selbst dann noch an bestehenden Regeln orientiert, wenn hinter diesen gar kein Sinn mehr sichtbar ist. Die Einhaltung von Regeln wird als selbstverständlich erach­ tet und stellt für sich genommen bereits einen Wert dar.“ (Markowski, 1995, S. 68) • Pflichtbewusstsein'. „Bei der Erledigung übernommener Aufgaben werden Selbstkontrolle und Disziplin in hohem Maße erwartet.“ schreibt Markovski (1995, S. 119) und definiert so seinen Kulturstandard „Pflichtbewusstsein“. „Deutsche erwarten vom einzelnen, dass er Aufgaben, die er übernommen hat, mit einem hohen Maß von Arbeitsmoral bewältigt, ganz egal, wie unbedeutend die Aufgabe auch sein mag... Wer sich seiner Rolle nicht mit der nötigen Dis­ ziplin stellt, gilt als schwacher Charakter und muss mit entsprechenden Sankti­ onen der Außenwelt rechnen. Dabei ist es sekundär, inwieweit die jeweilige Ar­ beit mit Lustgewinn verbunden ist: Die Pflicht geht vor.... Übernommene Auf­ gaben werden sehr ernst genommen...“ (Markowski, 1995, S. 119) • Selbststeuerung'. „Die persönliche Autonomie und Selbstbestimmung hat einen hohen Wert. Sie wird vehement eingefordert oder verteidigt. Jeder wird als für sich und sein Handeln ganz allein verantwortlich angesehen. Selbst initiiertes und eigenverantwortliches Urteilen und Handeln wird ermöglicht oder regel­ recht erwartet. Handlungsfolgen, die als negativ beurteilt werden, müssen strikt vom Verursacher betragen werden.“ (Molz, 1994, S. 99) Stewart e.a. (1994) findet: • Deutsche Manager wollen ein gutes Beispiel geben und fungieren als Rollen­ modell. • Deutsche Manager erwarten von ihren Mitarbeitern Stetigkeit, die Einhaltung von Anweisungen (statt persönlichem Antrieb und Enthusiasmus), Vertrauen, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit. • Man hat eine positive Einstellung zur Aufgabe. Man internalisiert das Ziel des Jobs. Man betont seinen „Beruf4 und er verleiht ein großes Stück Identität und Zufriedenheit, ja er verschafft Freude, Spaß, Lust, man macht ihn gerne.

252

Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen

Hall (1990) schreibt im Kapitel zur Arbeitsmoral, dass Arbeit und Freizeit sowie Arbeit und Spaß in Deutschland getrennt werden. Außerdem herrscht zwischen Du und Sie ein Unterschied, die Verwendung der Vornamen ist etwas besonderes. Freunde (Du) haben an den intimsten Gefühlen teil, z.B. an philosophischen Er­ örterungen und persönlichen Problemen. „Germans are never casual about friendships“ (S. 49). Trompenaars (1993) erhält hohe Messwerte der „Spezifität“ für (Westdeutschland. Auch die Rolle des Managers sehen die (Westdeutschen damit am besten beschrieben, dass er „allein die Arbeit erledigt“ sehen will, statt ihn „als eine Art Vater“ zu betrachten (S. 204f). Einen deutschen Manager be­ schreibt Trompenaars als jemanden, der vorwiegend eine Rolle ausfüllt in einem unpersönlichen, rational-legalen, aufgabenorientierten System.

Auch durch die Kulturstandardforschung zieht sich der „Trennung der Persön­ lichkeits- und Lebensbereiche“ wie ein roter Faden: • „abgegrenzter Privatbereich“ „Die Privatsphäre ist heilig und wird vor der Au­ ßenwelt geschützt.“ (Markowski, 1995, S. 107) Deutsche laden andere Men­ schen nicht selbstverständlich nach Hause ein, sondern „als eine besondere Ehre und als Zeichen von Vertrauen“ (Markowski, 1995, S. 107). • „Abgrenzung von Lebensbereichen“'. „Dieser Kulturstandard betrifft eine drei­ fache Trennung, die die Deutschen in der Regel sehr scharf und konsequent vornehmen: die zwischen fremden und bekannten Personen, die zwischen Be­ rufs- und Privatleben und sich damit überschneidend die zwischen öffentlichem und privatem Raum. Für diese unterschiedlichen Bereiche gelten je eigene Werte, Umgangsformen und Regeln der Beziehungsgestaltung.“ (Molz, 1994, S. 99) • „Trennung zwischen Arbeits- und Privatbereich“: „Diese Trennung wird inhalt­ lich möglichst konsequent durchgeführt... Das Heim, die (familiäre) Innenwelt als Rekreationsbereich und zur Verwirklichung von Zielen außerhalb des Beru­ fes / öffentlichen Lebens.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 96) • „Privatsphäre“: „Klar getrennt von der öffentlichen/beruflichen Sphäre, unge­ betenes Eindringen gilt als Verletzung persönlicher Rechte.“ (Thomas & Schenk, 1996^. 99) • „Interpersonale Distanzdifferenzierung “: Im Arbeitsleben werden „generell sehr formelle Umgangsformen gepflegt.. - „man hält zu reinen Arbeitskollegen eher eine gewisse Distanz, siezt sich und redet nur bedingt über Privatangele­ genheiten“ (Markowski, 1995, S. 34). Im Privatleben wird „ein wesentlich in­ formellerer Ton gepflegt. So fällt Amerikanern immer wieder auf, dass Deut­ sche, mit denen sie ansonsten nur am Arbeitsplatz ... zu tun hatten, plötzlich wie ausgewechselt scheinen, trifft man sie bei privaten Unternehmungen wie etwas 253

bei einem fest. Der Umgangston ist dann oft wesentlich entspannter und die Distanz zu anderen Personen wird kleiner.“ (Markowski, 1995, S. 34) • „Die anfängliche Distanziertheit und Verschlossenheit... weicht nach einer län­ geren Phase des Kenneniemens einer überraschenden Offenheit und Zugäng­ lichkeit selbst in Bezug auf zentrale Persönlichkeitsbereiche“ (Markowski, 1995, S. 33) und kann „schließlich in eine tiefe und dauerhafte Freundschaft münden“ (S. 34) • „Abgrenzung von Lebensbereichen“'. „Persönliche Gespräche im öffentlichen Raum , mit wenig bekannten Personen und mit Arbeitskollegen während der Arbeitszeit sind unüblich. Viele alltägliche Kontaktchancen werden von Deut­ schen in diesen Bereichen nicht als solche wahrgenommen oder sogar aktiv vermieden. Nur kurze Zeit andauernde Beziehungen bleiben in der Regel fol­ genlos. Es kann ziemlich lange dauern, bis sich nähere Kontakte entwickeln. Diese anfängliche Distanziertheit und geringe Zugänglichkeit selbst peripherer Persönlichkeitsschichten verwandeln sich in volle Zugänglichkeit zum Kem der Persönlichkeit, sobald jemand als Freund eingestuft wird und sich damit einreiht in den Kreis ausgewählter naher Kontaktpersonen. In dieser Runde zählen inne­ re Werte und private Tugenden, wie Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit.“ (Molz, 1994, S. 99) • Distanzdifferenzierung'. „Der Grad zugestandener (persönlicher/intimer) Nähe steht in Abhängigkeit zur Qualität der Beziehung (Hierarchie, Funktion, Dauer, gewünschte Nähe, etc.) und ist sehr genau differenziert. Übertretungen werden als Distanzlosigkeit streng sanktioniert.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 99)

Und Stewart (1994) stellt fest: Es herrscht eine strikte Trennung von Arbeit und Privatleben. Im Beruf wird konsequent und konzentriert gearbeitet, entspannt wird zuhause. So lautet der Arbeitsvertrag, dafür wird man bezahlt. Aber nach Feier­ abend ist Schluss und man hat frei. Das „Sie“ differenziert zwischen „vertrauten“ und „höflichen“ Beziehungen.

Schwacher Kontext Demorgon (1999a) schreibt: „In der alltäglichen Kommunikation herrscht bei der deutschen Kultur die textuelle Kommunikation vor.... Durch den expliziten und ausführlichen textuellen Stil wirken die Deutschen oft umständlich, langatmig und pädagogisierend.“ (S. 80) Nach Hall (1990) gelten Deutsche als Menschen, mit schwachem Kontext, die keine allzu engmaschigen Informationsnetzwerke haben und sehr viel zusätzliche, detaillierte Information benötigen über die Hintergründe von Ereignissen. Aber wenn sie tadeln, dann tun sie das sehr direkt. Offenheit und Direktheit ist über­ haupt hochgeschätzt: „Germans value honesty and directness“ (S. 50) und sie le­ gen „high value on frankness and directness“ (S. 53). 254

Die Kulturstandardforschung belegt die Direktheit der Deutschen mehrfach: • „Direktheit“: „Der Inhaltsaspekt der Kommunikation hat Priorität vor dem Be­ ziehungsaspekt.... In Deutschland wird ... generell ein sehr direkter und offener Ton gepflegt.... Konnotationen (also das, was ‘zwischen den Zeilen’ gesagt wird ) spielen in der Kommunikation eher eine untergeordnete Rolle und werden auch weit weniger wahrgenommen... Wer etwas will, der muss das auch explizit sagen.“ (Markowski, 1995, S. 53) • „Deutsche sind es ... gewohnt, bei allem, was gesagt werden soll, direkt und oh­ ne Umschweife zur Sache zu kommen. Schmückendes Beiwerk und versteckte Anspielungen haben in der Kommunikation ... nicht den Stellenwert... Wenn man jemanden nach seiner Meinung fragt, dann muss man auch damit rechnen, eine ehrliche Antwort zu bekommen... (Markowski, 1995, S. 53) • „Ein solcher direkter Kommunikationsstil bedeutet aber auch, dass nahezu alles, was gesagt wird, wörtlich genommen wird. Das gilt... auch bei Zusagen... Es ist beispielsweise nicht üblich, ... zuzusagen, nur um den anderen nicht weh zu tun... Eine Zusage ... wird ... als verbindlich angesehen. “ (Markowski 1995, S. 54) • Explizite, direkte Kommunikation: „Der deutsche Kommunikationsstil ist typi­ scherweise direkt, offen und ehrlich. Er fuhrt ohne Umschweife auf den Punkt. Umwege bzw. das Einschalten von Vermittlern wird bei Problemlösungen ver­ mieden. Alles, was von Bedeutung ist, muss ausdrücklich und vollständig ge­ sagt sein. Anspielungen, Konnotationen und Kontextinformationen werden in die Dekodierung nicht einbezogen, wenn auf sie nicht extra hingewiesen wurde. Die nonverbale Kommunikation ist relativ schwach und als Interpretationsebene ebenfalls wenig entscheidend.... wird alles wörtlich genommen und hinter dem Gesagten kein Hintersinn vermutet. Wenn etwas in einer bestimmten Wei­ se gesagt wird, dann ist das in der Regel auch so gemeint.“ (Molz, 1994, S. 98) • Direktheit, Wahrhaftigkeit“: „Meinungen, Wertungen, Kritik, Ablehnung wer­ den möglichst direkt, ohne Verwendung mehrdeutiger Symbolik geäußert. Der Sachaspekt steht dabei im Vordergrund. Wertungen der Person (Beziehungsas­ pekt) werden eher indirekt über diesen vermittelt. Aussagen werden als ver­ bindlich angenommen....“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 96) • Direktheit und Wahrhaftigkeit: „Unverschlüsselte, direkte, auch kritische Mei­ nungsäußerungen werden als nützlich erachtet und haben praktischen Nutzen (Effektivität, sachdienlich).“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 99)

Die Direktheit, so Stewart (1994), wirkt zwar auf Briten oft brüskierend, für Deut­ sche ist sie jedoch akzeptabel, denn alle spielen nach den gleichen Regeln der Aufgabe: „Von der Sache her ist das ... notwendig“. Konfliktkonfrontation

Hall (1990) findet: Deutsche weisen andere auf Fehler hin. 255

Die Kulturstandardforschung differenziert die Phänomene der „Konfliktkonfron­ tation“ detailliert: • Direktheit interpersonaler Kommunikation'. „Die persönliche Meinung wird deutlich ausgesprochen und die eigene Glaubwürdigkeit ist dabei oft wichtiger als ein harmonisches Gesprächsklima. “ (Markowski, 1995, S. 53) • „Auch Kritik wird in Deutschland meist direkt und ohne positive Einleitung ausgesprochen.“ (Markowski, S. 53) „Offene Äußerungen wie ‘Also, wenn ich ehrlich sein soll, mir gefällt das nicht besonders gut’ werden weit positiver be­ wertet als halbherzige Schmeicheleien. (Markowski, 1995, S. 54) • Ein „klares ‘Nein’... problemlos akzeptiert... Deutsche mögen es über­ haupt nicht, wenn einer Zusagen und Versprechungen macht, die er dann doch nicht einhält. Eine solche Person wirkt schnell unglaubwürdig und wenig ver­ läßlich, und man fragt sich, warum sie nicht das macht, was sie sagt, und nicht sagt, was sie wirklich denkt. Diese Art von Ehrlichkeit hat im deutschen Werte­ system einen ausgesprochen hohen Stellenwert.“. (Markowski, 1995, S. 54) • Regelorientierung: „Regelverletzungen werden im täglichen Leben selbst bei Kleinigkeiten sofort kritisiert.... Vor allem im Arbeitsleben muss man als Ame­ rikaner damit rechnen, häufiger als gewohnt korrigiert, kritisiert und belehrt zu werden. Dies sollte man aber nicht als Angriff auf die eigene Person, sondern als selbstverständlichen Bestandteil des deutschen Arbeitsalltags begreifen, vor allem während der Einarbeitungszeit. Durch eine umfassende und bisweilen ge­ radezu pedantische Reglementierung selbst kleinster Teilgebiete des Arbeitsle­ bens versuchen die Deutschen, alle Fehlerquellen so effektiv wie möglich aus­ zuschalten.“ (Markowski, 1995, S. 69). • Organisationsbedürfnis: Treten Probleme auf, die durch eine gute Planung hät­ ten vermieden werden können, dann regen sich Deutsche auf und „debattie­ ren..., ... wer dafür verantwortlich ist.“ Aus deutscher Sicht macht das Sinn. „Beim nächsten Mal wird der gleiche Störfall wohl nicht mehr auftreten, da sein Zustandekommen durch diese Analyse transparent und damit in den meisten Fällen auch vermeidbar geworden ist. Darüber hinaus wird dadurch, dass jeder für Fehler, die er direkt oder indirekt verursacht hat, als voll verantwortlich an­ gesehen wird, erreicht, dass der Betreffende in Zukunft wohl besser planen wird, um eben diesen Fehler zu vermeiden.“ (Markowski, 1995, S. 85) • „Direktheit, Wahrhaftigkeit“: „Meinungen, Wertungen, Kritik, Ablehnung wer­ den möglichst direkt, ohne Verwendung mehrdeutiger Symbolik geäußert. ... Auch Emotionen (Ärger, Ungeduld etc.) werden vergleichsweise offen zum Ausdruck gebracht.“ (Thomas & Schenk, 1996, S. 96)

Kappe (1993) legt eine Untersuchung zu Konfliktlösungsmechanismen im Kultur­ vergleich vor. Aus ihren Beobachtungsdaten konstatiert sie: • „Übereinstimmend weisen beide Gruppen eine Sachorientierung und eher direktives, konkurrierendes, zu Aggressivität neigendes Verhalten auf.“(S. 155) 256

• Das direktive Verhalten interpretiert sie dabei vor allem als Ausdruck einer ge­ ringeren Beziehungsorientierung, aber stärkeren Aufgabenorientierung. Denn: „Alle nicht-deutsch besetzten Gruppen ... zeigen in der Konfliktsituation part­ nerschaftliches, personorientiertes und solidarisches Verhalten und berücksich­ tigen so im Interaktionsprozess auch die Beziehungsebene; die beiden deutsch besetzten Gruppen jedoch zeigen ein eher dominierendes, aggressives und kon­ kurrierendes Verhalten und verzichten so weitgehend darauf, auch die Bezie­ hungsebene konstruktiv zu gestalten.“ (S. 84) Zur Erklärung des direktiven Verhaltens verweist sie aber auch zusätzlich auf „Autoritätshörigkeit, Kontrolliertheit, formelle und distanzierte soziale Beziehungen, Obrigkeitsdenken, Ge­ horsamkeit“ (S. 79). • „Zu der Fragestellung wie sachlich bzw. emotional das Konfliktgespräch ge­ führt wird, ergibt sich..., dass das Konfliktregelungsgespräch bei den Deut­ schen... aggressiver und damit emotionaler verläuft als bei den übrigen mono­ kulturell besetzten Gruppen.“ (S. 84) • Sie stellt durchgehend relativ wenig Bereitschaft zu Kompromissen fest. • Auch sie beobachtet folgende Konflikteskalation: Es „kann aus dem Gesprächs­ verlauf entnommen werden, dass die deutsche Seite nach vergeblichem Bemü­ hen, ... in einen Dialog zu kommen und so den Konflikt zu lösen, zur vertrauten dominierenden und aggressiven Vorgehensweise überging.“ (S. 81) Aus ihren Befragungsdaten bei Führungskräften berichtet sie: . • Beim tatsächlichen Führungsverhalten tendieren die Deutschen „in Richtung direktives Führungsverhalten; Entscheidungen werden von den Managern allein getroffen und den Mitarbeitern entweder mitgeteilt oder mit ihnen durchgespro­ chen.“ (S. 99) • Ihre Informanden „... zeigen die Neigung, in Gesprächen zur Bereinigung eines Konflikts Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen vorzunehmen.“ (S. 136) • Sie schätzen auch ihren Gesprächsstil selbst konfrontativ ein. • Die Bereitschaft, informelle Wege zur Konfliktklärung zu nutzen, ist relativ ge­ ring.

Stabile Selbstsicherheit Das Ergebnis Hofstedes (1993), Deutschland sei ein relativ „maskulines“ Land, kann als Parallele zu dem, was in dieser Studie als „stabile Selbstsicherheit“ be­ zeichnet wurde, gedeutet werden, denn in einem maskulinen Land ist Bestimmt­ heit statt Bescheidenheit angesagt. Auch Lee (1993) hebt das Durchsetzungsver­ mögen im Arbeitsfeld hervor.

257

5.1.3.

Vergleich der Ergebnisse mit Darstellungen wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Autoren

5.13.1.

Zur tschechischen Kultur

Es sollen nun zur Validierung der Kulturstandards andere wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Quellen herangezogen werden. Mit diesen Quellen sind einerseits wissenschaftliche Autoren gemeint, die eine Vorgehensweise gewählt haben, die nicht primär auf ausdrücklichen empirischen Erhebungen basieren oder empirische Erhebungen mit anderen Zielsetzungen, als einer Erhebung von „Wer­ ten“ im weiteren Sinn, durchgeführt haben, andererseits nichtwissenschaftliche Autoren, die literarisch, auf der Basis persönlicher Erfahrungen und ihrer Verar­ beitung schreiben. Sie sind als Vergleichsquellen nicht weniger geeignet, da es Einzelpersonen gibt, die für kulturelle Spezifitäten z.T. außergewöhnlich sensibel sind. Ihr intuitives Erkennen oder ihre journalistische Expertise darf nicht gering­ geschätzt werden. In der folgenden Übersicht werden für jeden Kulturstandard einzeln Stichworte oder Zitate samt Quellen genannt, die zu einem Aspekt des Standards parallel lau­ fen.

Personbezug: Baxant e.a.: • „Auf jeden Fall sollte man sich dessen bewusst sein, dass tschechische Partner vielleicht in stärkerem Maße als andere auf eine freundschaftliche Atmosphäre und auf gute zwischenmenschliche Bezie­ hungen Wert legen.“ (Baxant e.a., 1995, S. 63) Ehlers: • Die Tschechen werden von Deutschen nach einem Aufenthalt im tschechischen Sprachraum in der Regel als „ sehr freundlich und hilfsbereit, zuvorkommend und rücksichtsvoll... erfahren.“ (Ehlers e.a., 1997, S. 190) Hasenstab: • In einer Umfrage zur Zufriedenheit in bilateral arbeitenden Unternehmen war auffällig, das Tsche­ chen „ein gutes Betriebsklima“ wichtig war. Ganz besonders unzufriedene tschechische Manager be­ klagten Einbußen beim Faktor „Betriebsklima“ und „Persönlichkeitsentwicklung“. (Hasenstab, 1996, S. 27). Grusa: • „Er < der Tscheche> liebt das Duzen...“ (Grusa, 1999, S. 15) • Ratsch und Tratsch sind beliebt. (Grusa, 1999) • „Familienpannen sind interessant und werden preisgegeben. Und natürlich das Missgeschick gene­ rell!“ (Grusa, 1999, S. 31)

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Mühlberger: • Die Tschechen waren bereits in der Monarchie „fleißig, arbeitsam und unermüdlich rührig“, aber in einer „Art, durch welche das Leben und die Muße nicht zu Schaden kamen, Arbeit nicht zu einem Laster ausartete.“ (Mühlberger, 1973, S. 225) Sie stellten immer das Denken „in den Dienst der Le­ benswirklichkeit“ (S. 239) und verabscheuten Jede geistige Überspitztheit“ Nehring: • „Cooperation between colleagues and a good relation to supervisors is especially significant. For ma­ ny it suggests a desire to have that...“ (Nehring, 1995, S. 254). Pumberger: • Ein Spitzenmanager soll ständig Präsenz zeigen. „Er soll sich fortwährend um die Beschäftigten, um die Produktion, um den Betrieb kümmern.“ (Pumberger, 1997b, S. 231) So wurde Kalma, der tödlich verunglückte Vorstandsvorsitzende von Skoda-VW zur Legende. Denn für ihn war „der innere soziale Friede sowie die Zufriedenheit der Mitarbeiter immer ein wichtiger Faktor.“ (Pumberger, 1997b, S. 231) • „In der tschechischen Gesellschaft, aber auch im heutigen wirtschaftlichen Leben der Tschechischen Republik spielen informelle und persönliche Beziehungen eine entscheidende Rolle.“ (Pumberger, 1997b, S. 233) Schmitz e.a.: • Die Tschechen gelten als sehr „hilfsbereit, und das nicht nur im geschäftlichen, sondern auch im pri­ vaten Bereich“. (Schmitz e.a., 1996, S. 11)

Abwertung von Strukturen: Baxant e.a.: • Tschechen sind in Verhandlungen weniger gut vorbereitet. (Baxant e.a., 1995) Burgerstein: • Man ist stolz auf die enorme Anpassungsfähigkeit der Leute. „Die gerühmte Improvisationsgabe bleibt auch weiterhin eine aus der Not geborene Tugend, um mit den Unzulänglichkeiten und dem Schlendrian der Erzeugnisse bzw. Dienstleistungen klarzukommen.“ (Burgerstein, 1998, S. 196) • „Ein kleiner Schönheitsfehler bleibt verschwiegen. Er äußert sich in Unmengen von Pfusch.“ (Bur­ gerstein, 1998, S. 196) Dunbar: • „ealthy paranoia characterizes the organizational suspiciousness“ (Dunbar, 1996, S. 351) Grusa. • „Sieht er doch die Sache... immer nur so, wie sie ist: nämlich demontierbar.“ (Grusa, 1999, S.15) • „Wir Tschechen sind keine großen Systematiker. Wenn schon einem von uns etwas auf diesem Feld gelingt, so heißt er ... Dünnbierverkäufer.... Wir schwärmen lieber für anderswo Erdachtes, originell sind wir dann bei seinem Einsatz... Das Systeme ändernde Babbeln jedoch, das ist unser Werk, das haben wir erfunden, erprobt, angewandt, das hat sich bewährt.“ (Grusa, 1999, S. 74). • „Der Tscheche versteht sich mithin als Praktiker, ist Tüftler und Bastler...“ (Grusa, 1999, S. 15) Nehring: • „Czechs express a general affinity for having a job.., but one with variety and adventure.“ (Nehring, 1995, S. 254) • „Flexibility and creativity allow Czechs to ‘make things work*...“ (Nehring, S. 256) Nosal: • „Es gibt... ein hohes Defizit des Vertrauens... in die Behörden...“ (Nosal, 1999, S. 250) Pavlica: • „he tactics of sophisticated manipulation and of keeping options open is a part of the Czech nati­ onal ‘heritage’.“ (Pavlica, 1996, S. 21) Pumberger: • Auf tschechischer Seite wird „massiv kritisiert, daß deutsche Manager immer alles bis ins letzte De­ tail anordnen müssten.... Der Spielraum für den Einzelnen gehe dabei gegen Null.“ (Pumberger,

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1997b, S. 230) • Als schon legendäres tschechisches Leitungssystem zitiert Pumberger die Bat’a-Strategie: Strenge Vorgaben und gleichzeitig bis zur letzten Werkbank innerhalb dieser Vorgaben einen gewissen Spiel­ raum. (Pumberger, 1997b, S. 230). • Auch Pumberger (1997b) bescheinigt den Tschechen ein „Tüftlertum“. (S. 230) Schmitz e.a.: • „Deutsche Umfrageteilnehmer stellen fest, dass konzeminteme Spielregeln häufig von den tschechi­ schen Kollegen als Überwachung und Bevormundung empfunden werden. Gleichzeitig wäre jedoch eine kontinuierliche Arbeitskontrolle notwendig, da die tschechischen Mitarbeiter oft eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Tätigkeit und gegenüber ihrem Unternehmen zeigen würden.“(Schmitz e.a., 1996, S. 12) • In einer Umfrage unter Deutschen wurde die Flexibilität und das Improvisationstalent der Tschechen besonders geschätzt. (Schmitz e.a., 1996) Yale: • Tschechen sind eher pragmatisch als idealistisch. (Yale, 1995)

Simultanität: Baxant e.a.: • Tschechen haben einen anderen Zeitbegriff: Sie zeigen eine größere „Laxheit“ (d.h. weniger zielori­ entiert, zeitbewusst). (Baxant e.a., 1995, S. 77) Burgerstein: • „Was die Gemütlichkeit betrifft, so kennt Tschechien wunderbare Sprichwörter, die sie auf den Punkt bringen: ‘Die Arbeit ist kein Hase’ (sie läuft nicht weg). Oder ‘Ich gehe ran wie ein Löwe’ (brülle kräftig, dann leg’ ich mich hin).“ (Burgerstein, 1998, S. 194) • „Besuche werden nicht immer vorher angemeldet, eine spontane Visite wird auch bei Zeitknappheit äußerst selten abgewiesen.“ (Burgerstein, 1998, S. 126) Chambres de commerce et d’industrie: • Die französische Chambres de commerce et d’industrie empfiehlt ihren Mitgliedern, viel Zeit mitzu­ bringen. (Chambres de commerce et d’industrie, 1999) Dunbar: • Dunbar konstatiert „poor time-management skills“. (Dunbar, 1996, S. 351) Höhne: • Es „zeigt sich auf tschechischer Seite häufig eine Präferenz der kurzfristigen Orientierung“ (Höhne, 1997, S. 111) Yale: • Yale führt aus, dass man bei Terminen "nachfassen’’ muss, damit sie ernst genommen und eingehalten werden. Er beschreibt Tschechen als Leute, die sich Zeit nehmen. Zeit ist für sie nicht Geld. (Yale, 1995)

Personorientierte Kontrolle: Burgerstein: • „Im Gegensatz zu Luther und seinem: ‘Hier stehe ich, ich kann nicht anders!’ meinte Schwejk zu seinem Habsburger Franz Josef: „Hier stehe ich, aber wenn Sie’s winschen, kann ich mich auch set­ zen.’ (Burgerstein, 1998, S. XX) • „Mit einer einfachen Bezahlung ist ein Tscheche selten zufrieden. Es muss noch etwas dazu. ... Das ist ein Teil der alten Krankheit von Verbindlichkeiten und Gefälligkeiten. Aus diesem Grund werden westliche (‘reiche’) Ausländer für geizig gehalten.“ (Burgerstein, 1998, S. 197) • Das Verb ‘svejkovat’ (= Agieren wie Schwejk) heißt, „etwas leger vorzugehen, elegant Unannehm­ lichkeiten zu umgehen und womöglich noch etwas zum eigenen Vorteil rauszuschlagen.“ (Burger­ stein, 1998, S.142) • Auch Tschechen untereinander können sich nicht auf korrekte Verhaltensnormen (wie Bezahlen von

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Rechungen, Einhaltung von Vereinbarungen) verlassen. (Burgerstein, 1998) Grusa: • „Ein tatsächlicher Tscheche schafft es nämlich fast immer, sich aus einer Kalamität irgendwie heraus­ zuwinden.“ (Gusa, 1999, S. 94). Hellpach: • In deutschböhmischen Haushalten mit tschechischen Dienstboten machte man immer wieder die ver­ wandte Erfahrung: diese Mädchen oder Diener konnten recht viel, waren anstellig und anhänglich, aber man hatte stets auf der Hut zu sein, dass sie auch das taten, was sie in oft unterwürfigen Wen­ dungen zu tun versprochen hatten.“ (Hellpach, 1954, S. 193) Oschlies: • Tschechen sind „listige Lebenskünstler“ (Oschlies, 1996, S. 227) Pavlica: • Amerikaner haben mit Tschechen ein Problem, wenn sie ihre Management-Methoden lehren wollen: Sie können ihr Konzept von Wirtschaftsethik nicht verständlich machen. „Czech managers tended to be sceptical about the concepts of ethics in business and when this issues were discussed they referred to Mafia-style corruption, bribery, misappropriation of state assets and the like.“ (Pavlica, 1996, S. 165) Pumberger: • Ein Spitzenmanager soll ständig Präsenz zeigen. „Er soll sich fortwährend um die Beschäftigten, um die Produktion, um den Betrieb kümmern.“ (Pumberger 1997b, S. 231) Schmitz e.a.: • Die Tschechen erhielten in einer Umfrage unter deutschen Managern „die besten Noten für ihre Lembereitschaft und Lernfähigkeit“. Dabei können sie auf einem soliden Know-how aufbauen. (Schmitz e.a., 1996, S. 11) • Zum Teil wird die mangelnde Loyalität der Tschechen bemängelt. Sie gäben Untemehmensintema (z.B. Kalkulationen) an Dritte weiter. (Schmitz e.a., 1996)

Diffusion: Baxant e.a.: • Baxant e.a. stellen einen sehr höflichen, zurückhaltenden Ton auf Seiten der Tschechen fest. Sie scheinen „Gefiihlsausbrüchen positiver oder negativer Art skeptisch“ gegenüberzustehen. (Baxant e.a., 1995, S. 107) • Baxant e.a. konstatieren, dass Tschechen etwaigen künftigen Konfliktsituationen durch übertriebene Vorsicht und durch grundsätzlichen Vertrauensmangel vorbeugen. (Baxant e.a., 1995) Dunbar: • Dunbar beschreibt die „interpersonal guardedness“ als Bestandteil des Phänomen, das er „healthy paranoia“ nennt. (Dunbar, 1996, S. 351). Nehring: • „Czechs also report that their trust in others is not particularly high.“ (Nehring, 1995, S. 253) Nosal: • Nosal nennt als einen sehr wichtigen tschechischen Charakterzug die „Verschlossenheit“ (Nosal, 1999, S. 254). • „Es gibt... ein hohes Defizit des Vertrauens unter den Menschen im allgemeinen... Aus der Untersu­ chung ergibt sich, dass nur 23 % der Bürger anderen Menschen vertrauen (‘den Menschen kann man gewöhnlich trauen’), 67 % drücken ein bedingtes Vertrauen aus (‘es ist nötig, sich vor den Menschen in acht zu nehmen’) und 10 % der Antworten drücken ein absolutes Misstrauen zu anderen Menschen aus...“ (Nosal, 1999, S. 250) Yale: • Yale schildert Tschechen in Negationsbegriffen: Sie gelten ihm als weder enthusiastisch, noch auf­ dringlich, noch eifrig, sondern in jeder Richtung als gemäßigt. (Yale, 1995) • Yale schildert Tschechen als Leute, die lange brauchen, um Freundschaften zu entwickeln. (Yale, 1995)

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Starker Kontext: Burgerstein: • „Direktheit und Sachlichkeit wirken in Tschechien oft unfreundlich bis arrogant.“ (Burgerstein, 1998, S.81) Chambres de commerce et d’industrie: • „En effet, votre interlocuteur pratique le ’oui japonais’, c’est-ä-dire que s’il acquiesce, ce n’est pas parce qu’il est d’accord avec vous, mais simplement qu’il a compris ce que vous vouliez dire, meme si sa position est totalement opposee.“ (Chambres de commerce et d’industrie, 1999, S. 26). Grusa: • „Weitschweifigkeit ist uns keineswegs fremd... Man ist gerne geschwätzig.“ (Grusa, 1999, S. 31) Hammett e.a.: • Tschechen treffen nicht gerne Entscheidungen, wenn sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, was von ihnen erwartet wird. Sie bemühen sich sehr herauszufinden, was erwartet wird. Sie handeln nicht entsprechend ihren wahren Gefühlen oder nach dem, was sie für wahr halten. (Hammett e.a., 1994, S. 31) • Sehr oft bekommt man auf eine Frage eine schmeichelnde oder unverbindliche Antwort, weil sich die Tschechen darauf konzentrieren, herauszufinden, was von ihnen erwartet wird. Sie wollen die „rich­ tige“, d.h. erwartete, nicht eine spontane Antwort geben. (Ob diese Meinung irgendeine Ähnlichkeit mit ihrer wirklichen Meinung hat, bleibt fraglich.) (Hammett e.a., 1994) • Das ist ganz besonders dann der Fall, wenn sie mit einer ihnen fremden Person, und ganz sicher, wenn sie mit einer fremden Person in einer höheren Position zu tun haben. (Hammett e.a., 1994, S. 56) Schier: • Typisch für die Tschechen sei, das habe bereits Masaryk bemerkt, die „Ungeradheit, Indirektheit“. „Diese slawische Indirektheit wird von den Deutschen oft als Falschheit empfunden, während die deutsche Geradheit oft den Eindruck der Grobheit erweckt.“ (Schier, 1989, S. 211) • „Unterwürfigkeit und Schlauheit sind die Eigenschaften, welche den slawischen Völkern aus dieser jahrhundertelangen Unterjochung erwachsen mussten. Nur getarnt vermochten sie wertvolle Güter durch die Epoche der Zwingherrschaft zu retten; daher sind viele slawische Völker bis zum heutigen Tag Meister der Tarnung geblieben.“ (Schier, 1989, S. 29)

Konfliktvermeidung: Baxant e.a.: • Wenn bei Verhandlungen Tschechen etwas nicht ganz verstehen (z.B. neu einzuführende Technolo­ gien) und ihnen somit etwas unklar bleibt, sagen sie das nicht.(Baxant e.a., 1995) Hammette.a.: • Nebulös ist der richtige Ausdruck, um viele alltägliche Probleme zu beschreiben: Die Tschechen um­ gehen und beschönigen Dinge unermüdlich. Sie lassen einer Situation einfach ihren Lauf und warten ab, anstatt eine sofortige und endgültige Lösung zu forcieren. Sie nutzen diese Verhaltensweise, um angespannte oder unangenehme Situationen zu entspannen. (Hammett e. a., 1994, S. 29) Höhne: • „Als problematisch wird... markiert, ... dass Kontroversen bzw. Divergenzen nicht offen artikuliert werden.“ (Höhne, 1997, S. 118) Lenk: • Tschechen haben eine zurückhaltende Umgangsweise mit Kritik und „der Bereitschaft zur Kritikarti­ kulation“. (Lenk, 1999, S.14) • „Während in Deutschland Kritik als Medium der Rückmeldung (feedback) als erwünscht betrachtet wird, zumindest theoretisch zwischen Kritik an der Sache (sogenannte ‘sachliche’ oder konstruktive Kritik) und Kritik an der Person getrennt wird, hat Kritik in kommunikativen Kontext in Tschechien einen grundsätzlich anderen Stellenwert. Kritik, vor allem in direkter Form, wird eher vermieden;

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keine Kritik zu äußern, heißt mit dem Verhalten des Gegenübers einverstanden zu sein. Darüber hi­ nausgehend wird Kritik als Beziehungsstörung empfunden, die bei entsprechend hoher Bewertung von persönlichen Beziehungen auch in beruflichen Kontexten als Negativverhalten bewertet wird.“ (Lenk, 1999, S. 15f) Nehring: • „...when passive resistance surfaces, foreign managers would be advised to reconsider the manage­ ment and communication styles they are using. It is often a response to ... communication that is too direct.“ (Nehring, 1995, S. 257) Pavlica: • „Open revolt means certain punishment. ‘Svejking* is in a sense between revolt and collaboration (and) is therefore acceptable - but only for normal people using the imperfections of the system. For anyone in the hierarchy however the safest way to survive is more or less direct collaboration with the system.“ (Pavlica, 1996, S.21). Schmitz e.a.: • „Hinsichtlich ihrer Kritikannahmefähigeit erhielten die Tschechen von ihren deutschen Kollegen die relativ schlechtesten Noten. Häufig sind Tschechen nicht bereit, eigene Schwächen - sowohl fachli­ cher als auch persönlicher Natur - einzugestehen.“ (Schmitz e.a., 1996, S. 12) • Das Durchsetzungsvermögen der Tschechen sei unzureichend. Einige vermissen bei ihren tschechi­ schen Kollegen „eine gewisse Diskussionsbereitschaft. Für Tschechen hat der Chef immer recht. Es gibt (aus welchen Gründen auch immer) keinen - oder nicht genügend - Widerspruch.“ (Schmitz e.a., 1996, S. 12) Studienkreis f.T. u. E.: • „Sich blöd zu stellen ist zu unserer (Über)Lebensphilosophie geworden. Probleme werden tunlichst nicht beseitigt, sondern geschickt und gerissen umgangen. Der Obrigkeit bietet man nie offen die Stirn, man macht sie allenfalls am Stammtisch lächerlich. Erwischt man uns mal dabei, oder verhalten wir uns sonstwie nicht korrekt, weisen wir jede subversive oder unfreundliche Absicht von uns, ganz nach dem Motto: ‘So einem einfachen Menschen wie mir könnte Böses nicht einmal im Traum ein­ fallen.’“ (Petr Bystron, zitiert in Studienkreis, 1997, S. 8). Yale: • Yale beschreibt das so: Tschechen verhalten sich nicht-konfrontativ. Es kann daher schwierig sein zu wissen, was ihr Standpunkt ist. Manchmal stimmen sie zu, weil es ihnen so einfacher erscheint. Sie sagen weniger klar Nein, als: ’’Wir werden sehen”. (Yale, 1995)

Schwankende Selbstsicherheit: Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie: • Die Einstellung gegenüber Deutschland ist von Seiten der Tschechen die schlechteste in allen osteuro­ päischen Ländern: Nur 16% der Tschechen mögen die Deutschen, 51% mögen sie nicht. 42 % der Tschechen glauben, dass von Deutschland Gefahren ausgehen, nur 36% glauben das nicht. (Allensba­ cher Jahrbuch der Demoskopie, 1993-1997, S. 1111) Baxant e.a.: • Tschechen erscheinen Deutschen oft nicht als selbstbewusst, denn sie beherrschen die Kunst, sich zu verkaufen, schlechter. Mehr noch, sie scheinen den Verweis auf eigene Erfolge und Fähigkeiten leichter als Prahlerei aufzufassen. (Baxant e.a., 1995) • Manchmal existiert nach Beobachtungen Baxants e.a. das Phänomen, die Deutschen als reiche Onkel zu betrachten und von ihnen profitieren zu wollen. (Baxant e.a., 1995) Dörr e.a.: • Dörr e.a. stellen fest, dass der Transformationsprozess selbst in vielerlei Hinsicht Unsicherheit provo­ ziert (Dörr e.a., 1996, S. 9f): ■ So bestand wenig Übung im Einschätzen der Interessen eines westlichen Kooperationspartners. Viele Regelungen und prozesshaften Änderungen der Strategien wurden daher vor allem als nachteilig und einschränkend erlebt. ■ Manche kurzfristige Strategie hat das Misstrauen verstärkt, evtl, nur Spekulationsobjekt zu sein. ■ Ein multinationales Unternehmen kann vermehrt Unterordnung unter das Gesamtinteresse des

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Konzerns erfordern und Standortvorteile außer Acht lassen. Innerbetriebliche Veränderungen hießen fast immer: Personalabbau und Personalselektion. Damit gab es Transformationsgewinner und -Verlierer. Diese Spannungen erschweren jeden Informati­ onsfluss. (Und ganz besonders dann, wenn unter den Gewinnern alte Kader waren.) Das Vertrauen in betriebliche und gewerkschaftliche Interessensvertretung war durch den Sozia­ lismus gebrochen. Um Glaubwürdigkeit muss erst wieder gerungen werden.

Eisch: • Es „treffen auch unternehmerische Aktivitäten der Deutschen im kollektiven Gedächtnis noch auf andere Erinnerungen und Wiederholungsängste: ... Die Deutschen renovieren - wirtschaftlich - die 1938er Okkupation.... Hier taucht wieder das Motiv des Eindringens über die Grenze als Aneignung und Einverleibung des ‘Anderen’ auf.“ (Eisch, 1996, S. 362). Giardina: • „In allen Ländern des ehemaligen kommunistischen Blocks steht die Bundesrepublik mit Investitio­ nen und Joint-Ventures an der Spitze, und der Tscheche Eduard Goldstücker fragt sich, ob sein Land seine Identität bewahren oder in zwei oder drei Generationen in die deutsche Nation eingehen will.“ (Giardina, 1998, S. 31) Grusa: • „Angeber mögen wir nicht“ und Heldentaten sind verdächtig. (Grusa, 1999, S. 56) • „Bescheidenerweise hält er sich für schlauer als die anderen.“ (Grusa, 1999, S. 15) Höhne: • Eine völlig andere Einstellung zu Werbung verrät folgende Redensart: „Gute Ware lobt sich selbst, für schlechte muss man Werbung machen.“ (Höhne, 1997, S. 120) Pumberger: • „Tschechen in leitenden Positionen, die ‘ganz gut Deutsch sprechen’, finden in der Regel nicht den Mut, fremdsprachliche Defizite im Verstehen offen zuzugeben.“ (Pumberger, 1997a, S. 90) • „Auf tschechischer Seite wird hervorgehoben, dass es häufig die deutschen Manager sind, die das Sagen haben. Meistens wird diese Argumentation jedoch genau von jenen tschechischen Führungs­ kräften vorgetragen, die selber unsicher sind, für eigene Entscheidungen auch die Verantwortung zu übernehmen. Statt dessen wird eher erwartet, dass die deutsche Seite entsprechende Direktiven vor­ gibt und auch die Entscheidungsverantwortung übernimmt. Somit schließt sich der Kreis.“ (Pumber­ ger, 1997a, S. 92) • „Auf tschechischer Seite erweist sich nach wie vor die Schwierigkeit, größere, objektiv bestimmbare Zusammenhänge (z.B. Weltmarktkonkurrenz, konjunkturelle Einbrüche innerhalb einzelner Bran­ chen) auch als solche anzunehmen“ als gravierend. „Viele verschließen die Augen vor objektiv verur­ sachten, zugegebenermaßen unangenehmen Entwicklungen und neigen vielmehr dazu, diese als ‘an­ titschechische’ Entscheidungen darzustellen.“ (Pumberger, 1997a, S. 94) • „Im Falle Tschechiens waren die Protagonisten dieser fremden Vorherrschaft - abgesehen von der kommunistisch-sowjetischen Dominanz in den Jahren 1948-1989 - entweder direkt Deutsche oder deutsch-sprechend. Dieser Kontext ist für jede deutsche Führungskraft, die in Tschechien tätig ist, relevant. Ob es ihr gefallt oder nicht, die tschechische Seite wird ihr Verhalten bewusst oder unbe­ wusst in diesen Kontext stellen. Daraus resultiert auf tschechischer Seite eine ambivalente Einstel­ lung. Zum einen wird der wirtschaftlichen und demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 durchaus Respekt gezollt. Es ist ja gerade die wirtschaftliche Potenz, der Zu­ gang zu den Märkten sowie das Know-how, das deutsche Partner für die tschechische Seite im Falle einer wirtschaftlichen Kooperation interessant macht. Zum anderen gibt es aber auch eine tief ver­ wurzelte Angst vor möglicher Vereinnahmung und Verlust der Eigenständigkeit. In diesem Zusam­ menhang taucht immer wieder das Schlagwort der ‘Germansisierung’ auf. Dieser Befund deckt sich mit Ergebnissen aus öffentlichen Meinungsumfragen.“ (Pumberger, 1997b, S. 229) Schmalen e.a.: • Auch jetzt herrscht „Angst vor ausländischer Überfremdung“. (Schmalen, e.a., 1992, S. 11) • Noch sozialistisches Relikt ist die „Überschätzung der eigenen Marktposition bzw. Leistungsfähig­ keit“. (Schmalen: S. 21) Studienkreis f. T. u. E.: • „icht wenige wittern ... die Gefahr, sie könnten von Fremden ‘überrannt’ oder dahin gebracht

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werden, den ‘reichen Westlern aus der Hand zu fressen’, wie es ein tschechischer Freund sarkastisch sagt.“ (Studienkreis f. T. u. E., 1997, S. 4)

5.13.2. Zur (westdeutschen Kultur

Sachbezug: Aich: • „Wenn eine anerkannte Autorität etwas sagt, so unterstellt man ganz selbstverständlich, dass das stimmt.“ (Aich, 1994, S. 162) Commer: • „Was weiter bemängelt werden muss, sind die in Deutschland oft notleidenden zwischenmenschli­ chen Beziehungen, die fehlende Herzlichkeit.“ (Commer, 1996, S.47) Forapani: • „In Deutschland ... gibt es an den Universitäten bereits Spezialkurse für alles, und dementsprechend gibt es auch ein Anspruchsdenken, dass nur der, der diese Spezialisierung ‘studiert’ hat, ein Anrecht auch den entsprechenden Beruf haben könne.“ (Forapani, 1991, S. 83) • „Ihre Fähigkeit, ‘ihre’ Wahrheit zu finden und sie dann logisch zu entwickeln..., fasziniert mich ir­ gendwie. Vor allem wenn sie zahlengläubig bei den kompliziertesten Themen ihren Argumenten mit Statistiken mehr Gewicht verleihen wollen.... Die Statistik ist immer noch das solideste Argument im Streit der Meinungen.“ (Forapani, 1991, S. 81 f) Frenkin: • „Die deutsche Lebensordnung ist aus russischer Sicht zu rationalistisch, zu vorprogrammiert. Die Seele ist dem Verstand untergeordnet.“ (Frenkin, 1995, S. 17) Gorski: • „Die Deutschen mögen sich manchmal nach Ihrem Verständnis aberwitzig, ja verrückt verhalten aber niemals tun sie etwas ohne Grund beziehungsweise ohne logische Begründung.“ (Gorski, 1996, S. 19) Hill: • Die Deutschen haben „a very matter-of-fact appoach to problems“ (Hill, 1995, S. 104) Hoffmann: • „Bedenklich stimmt die sehr deutliche, offene Kritik... den zwischenmenschlichen Beziehungen in Wissenschaft, Forschung und Lehre.“ (Hoffmann, 1989, S. 311) Lawrence: • „So what do you have to do to get on ...? Just have Fachkompetenz..., work hard and show Leis­ tung...“ (Lawrence, 1980, S. Ill) • „They do not seem to fear that clever people will be bad at ‘action’. ... there is no perceived incompatability between technical knowledge and commercial aptitude.“ (Lawrence, 1980, S. 112) • ,,ow does one become a foreman in Germany?... e has completed an apprenticeship and a foreman’s course, passed two terminal examinations, acquired two legally, protected statuses (Fach­ arbeiter and Meister} and had several years’ experience as a skilled worker. He has acquired and de­ monstrated both craft skill and technical knowledge.“ (Lawrence, 1980, S. 159) • „Requests are made and I or instructions given in a rather matter of fact way, suggesting that the speaker regards it as quite reasonable, the listener is going to regard it as quite reasonable and it will happen.“ (Lawrence, S. 133) Loewenthal: • „Get to the point politely but quickly and know your subject well. The Germans are a thourough peo­ ple who do not like their time wasted. The sort of preliminary courtesies... are wasted on Germans. After greetings and introductions ... they are anxious to get on with the job at hand; they do not like to chat before doing business. ... Be prepared; make concrete, precise offers; confirm all agreements in writing.“ (Loewenthal, 1990, S. 63)

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Mole: • „Deutsche suchen eine starke, entschlussfreudige Führung durch jemanden, der weiß, wovon er re­ det.“ (Mole, 1992, S. 46) • „Manager, die sich eher auf ihre Fachkompetenz stützen als auf die Stärke ihrer Persönlichkeit, wer­ den höher geschätzt.“ (Mole, 1992, S. 46) • Für Meetings „ist es wichtig, sehr gut vorbereitet zu sein.“ (Mole, 1992, S. 48) Moosmüller: • Die Deutschen bemühen sich nicht um eine angenehme Atmosphäre in der Businesskommunikation. „Die Deutschen sind sehr ernsthaft... Sie sind sehr systematisch, manchmal zu theoretisch, zu kompli­ ziert...“ (Moosmüller, 1997, S. 126) • „Die Deutschen neigen dazu, sich mehr mit dem Inhalt des Gesagten zu identifizieren, auf Meinungen eher zu beharren und die Äußerungen der Gesprächspartner im Hinblick auf die logische oder sachli­ che Fundierung zu prüfen.“ Weiter sehen „die Deutschen in der Klärung inhaltlicher Fragen den wichtigsten Zweck eines Gespräches ... das Herstellen von persönlichen Beziehungen durch das Gespräch als zweitrangig...“ (Moosmüller, 1997, S. 268). Nees: • „It is a really mode or style of speaking and means sticking to the matter at hand, leaving out any personal references, and being as unemotional and matter-of-fact as possible. The idea of being sach­ lich pervades German speech, especially in the public sphere.“(Nees, 2000, S. 83) • „Another aspect of remaining sachlich is keeping one’s personal stories and experiences out of the conversation as much as possible. Here German notions of modesty and Sachlichkeit reinforce one another to make the talk more objective and as impersonal as possible.“ (Nees, 2000, S. 84) • „Since emotions are generally considered a disturbance to the objectivity of a conversation, Germans attempt to limit the appearance of emotion in most discussions that take place in the public sphere. A major exception to this rule of thumb is the expression of irritation or annoyance.“ (Nees, 2000, S. 85) Sana: • „.. unbedingte Methode als ausschließliches Kriterium des gesellschaftlichen Umgangs bewirkt die Entstehung einer Verwaltungssprache, die aus Verachtung, Arroganz und automatisierter Korrektheit besteht und die einzelnen zur anonymen Ware degradiert.“ (Sana, 1986, S. 30)

Aufwertung von Strukturen: Commer: • „Übertriebene Ordnungsliebe“, d.h. „unsere Liebe zum Perfektionismus, zur Ordnung“ (Commer, 1996, S. 47) Eliot in Nünning: • „Das deutsche Denken“ zeichnet sich durch „die gründliche Erforschung von Tatsachen“ aus. (Eliot, 1994, S. 83) Frenkin: • „Der deutsche Perfektionismus, die Ansprüche auf Vollkommenheit und die Fähigkeit zur Vervoll­ kommnung, höchste Vollendung in technischer und übriger Beherrschung, Ausführung eigener Tätig­ keit, handwerkliche und überhaupt jede berufliche Meisterschaft - alles das ist für uns in Russland ty­ pisch deutsch.“ (Frenkin, 1995, $. 27) • Frenkin fällt auf die „Ordentlichkeit der Deutschen“ (1995, S. 17). „Der Deutsche ist zuallererst or­ dentlich.“ (1995, S. 22) • „Jede Ungewissheit Unklarheit, Unbestimmtheit ist für den Deutschen unerträglich“ (Frenkin, 1995, S. 25) • „Den geistigen Aspekt der deutschen Ordentlichkeit möchte ich besonders betonen... Jedes Chaos widerspricht im Prinzip dem deutschen Geist. ... Klassifizierung und Systematisierung einerseits, und die Ganzheitlichkeit der Weltanschauung mit Berufung auf das Absolute andererseits, so könnte man das deutsche Denken mit Vereinfachung charakterisieren.“ (Frenkin, 1995, S. 25) • Was den Russen wirklich irritiert, das ist die schreckliche Pedanterie vieler Deutschen, die alle Dinge mit peinlicher, kleinlich wirkender Exaktheit ausführen.“ (Frenkin, 1995, S. 28)

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Glunk: • „Gesetz und Ordnung gehen ihm über alles in der Welt.“ (Glunk, 1996, S. 325) Gorski: • Er zitiert „die drei großen ‘P’ der Deutschen: penibel, pingelig, perfektionistisch.“ (Gorski, 1996, S. 86) Goth: • „Es sind immer wieder - quer durch alle Nationen - dieselben Begriffe, mit denen die Arbeits- und Wirtschaftswelt als auch allgemeiner die Gesellschaft der Bundesrepublik charakterisiert werden: vor allem Organisation und Ordnung, dann Disziplin, schließlich Rationalisierung und Arbeitseffizienz. Der deutsche Leser stellt hier einen geradezu erstaunlichen Konsens fest.“ (Goth, 1977, S. 14) Hellpach: • Eine Konstante für Hellpach besteht in der „Ordnungsliebe“ (Hellpach, 1954, S. 188) als dem An­ spruch an ein tadelloses Funktionieren. • Die „Gründlichkeit“ erscheint auch Hellpach ebenfalls eine Konstante im deutschen Charakter. Doch auch er bemängelt das „Exzessive des Kleinwillens bis zur Kleinigkeitskrämerei“ (Hellpach, 1954, S. 175f) Hill: • „The Germans are the most... cautious people in Europe.“ (Hill, 1995, S. 97) • Es gibt Gesetze und Regeln für (zu) vieles. (Hill, 1995, S. 100) • „he truth is that the Germans have a very systematic , even modular, approach to just about eve­ rything. One example is the relentless use of the word System to promote almost anything from skin care products to furniture. Another is the use of the Baukasten...principle in the construction and other industries.“ (Hill, 1995, S. 104f) • „The Germans are systematic, often mechanistic in their approach to many things in life.“ (Hill, 1995, S. 106) JPB: • „Man versucht, das Risiko, das Unvorhergesehene auszuschließen und es berechenbar zu machen.“ (JPB, 1996, S. 245) • „Das Richtliniendenken gibt deutschen Managern Sicherheit“ (JPB, 1996, S. 245) • „... Untemehmensrichtlinien für Qualität. Es werden Normen geschaffen und deren Errei­ chung und Einhaltung ständig überprüft.“ (JPB, 1996, S. 255) • „Das deutsche Perfektionsstreben ist Legende... Entweder-Oder, die Suche nach nur einer, der letzten und absoluten Wahrheit. Die Planung und der Soll-Ist-Vergleich, das perfekte Im-Plan-liegen und das Ausdiskutieren-Syndrom. Bekanntlich liegt der Teufel ja im Detail...“ (JPB, 1996, S. 253) Lawrence: • „here is a lot of forward planning. German production managers are not especially keen to de­ monstrate their prowess as crisis handlers and would rather avoid such occasions.“ (Lawrence, 1980, S. 148) Loewenthal: • „Germany is a very regulated society.“ (Loewenthal, 1990, S. 60) Mole: • „Die Organisation und die Rolle des einzelnen sind in ihr logisch, me­ thodisch und in Kategorien aufgeteilt. Funktionen und ihre Beziehungen zueinander sind genau defi­ niert und dokumentiert. Verfahren, Routinen und das Einhalten von Vorschriften sind wichtig. Nicht den Dienstweg einzuhalten, Initiative zu ergreifen und Formalitäten zu vernachlässigen wird missbil­ ligt.“ (Mole, 1992, S. 44) • „Wenn jedoch etwas Unerwartetes geschieht, können auch die bestens geführten Organisationen we­ niger gut damit umgehen. Sie suchen einen bereits ausgearbeiteten Mechanismus, und wenn dieser nicht existiert, wissen sie oft nicht mehr weiter. Dies bedeutet auch, dass deutsche Organisationen ei­ nen Prozess ständiger und regulärer Änderungen weniger gut in Gang in halten können.“ (Mole, 1992, S. 45) • „Deutsche fühlen sich unbehaglich bei Ungewissheit, Unklarheiten und unquantifizierbaren Risiken.“ (Mole, 1992, S. 45)

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• „Die Entscheidung wird vorsichtig sein, versehen mit Rückfallpositionen, Ausweichplänen und Al­ ternativen, und empirischem Test unterworfen. Der Ansatz wird am besten umschrieben mit ‘syste­ matisch pragmatisch’. Eine gemeinsam getroffene Entscheidung wird in genaue, umfassende Hand­ lungsschritte übertragen, die nach dem Buchstaben ausgeführt werden, ohne sie in Frage zu stellen. Alternative Lösungen werden nicht gefordert, wenn sie von Mitarbeitern kommen, die dafür nicht als qualifiziert betrachtet werden.“ Mole, 1992, S. 45) Mühlberger: • Schon aus der K&K-Zeit rühren folgende Zuschreibungen für die in Böhmen lebenden Deutschen: Hang zum Bürokratismus, Starrheit (Mühlberger, 1973, S. 226) Nees: • „..the German ability to effectively organize and coordinate complex processes“ (Nees, 2000, S. 36) • „Germany is a society structured by a large number of explicit rules and regulations.“ (Nees, 2000, S. 38) • „German rules can all be rationally justified...“ (Nees, 2000, S. 40) • „Germans have an extremely high regard for rational, analytic thought.“ (Nees, 2000, S. 40) • „... decision making in German business is marked by clearly laying out all possible contingencies in the beginning stages of a project and then planning all steps of the project accordingly. Improvising... too uncertain and ambiguous for the traditional German mindset.“ (Nees, 2000, S. 56) • „At times it appears Germans have a rule for everything - and they do, almost! This is an aspect of what Germans call Gründlichkeit, or thouroughness. Germans are great believers in doing things thouroughly , and this has led to their reputation as perfectionists. If they are going to do something, they spare little expense or time in doing it well. And if they can’t do it thouroughly, they are inclined not to do it at all.“ (Nees, 2000, S. 39) Noelle-Neumann: • „Everything speaks for the Germans continuing to be a nation of perfectionists. Not liking to see sloppiness in work, and instead taking perfectionism to extremes (with respect also to cleanliness and order) - these are established German national characteristics“. (Noelle-Neumann, 1987, S. 71) • Ordnung steht nach wie vor sehr hoch im Kurs. 63% stimmen der Aussage zu: „Ordnung ist für mich sehr wichtig. In einer Wohnung oder an einem Arbeitsplatz, wo nicht alles richtig aufgeräumt ist, könnte ich mich nicht wohlfühlen.“, (Noelle-Neumann e.a., 1997, S. 90) Nuss: • Die Ordnung gewährleistet Deutschen Ruhe und Stabilität und zwingt zu methodischem und präzisen Vorgehen. Das Bedürfnis nach Ordnung ist letztlich Ausdruck einer fehlenden Sicherheit und der Angst, etwas falsch zu machen. Erst wenn Ordnung herrscht, können Deutsche richtig entspannnen. (Nuss, 1992) • Nuss attestiert Deutschen einen „Sinn für das Methodische“: Sie verhalten sich nicht intuitiv. Durch Methode ist ein Mangel an Inspiration zu kompensieren und Probleme sind Zug um Zug zu erledigen. (Nuss, 1992) • Im Organisieren haben Deutsche den Eindruck, Einfluss auf die Wirklichkeit nehmen zu können. (Nuss, 1992) • Fleiß wird auch auf die Organisation der Freizeit angewandt. (Nuss, 1992) • Im Geschäftsleben ist kein Detail unbedeutend. (Nuss, 1992) • Manchmal wird die Organisation organisiert und man verliert sich in Einzelheiten. (Nuss, 1992) • Manchmal tritt man auf der Stelle, weil nicht zwischen Wichtigem und Unwichtigem getrennt wird. Pedanterie und Haarspalterei können auftauchen. (Nuss, 1992) • Lange schriftliche und mündliche Ausführungen sollen alle Aspekte und alle Probleme enthalten. (Nuss, 1992) • „Die Deutschen verbessern ihre Leistungsfähigkeit, indem sie die meisten Aufgaben systematisieren.“ (Nuss, 1992, S. 156) Peabody: • Systematization. A central characteristic is a tendency to ‘rationality*: the systematization of ideas and actions, and the relationship between the two.“ (Peabody, 1985, S. Ill) Sana: • „Die Deutschen waren schon immer ein Volk, das nach dem Absoluten gestrebt hat, erst auf philoso­

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phischer, theoretischer Ebene, dann auf der praktischen, mit Hilfe .... der Produktion und Technik.“ (Sana, 1994, S. 179) • „Die Deutschen haben das Ideal der Vollkommenheit sehr weit gebracht, aber sie sind trotzdem mit dem Erreichten noch nicht ganz zufrieden, sie meinen, es könnte noch besser, noch perfekter, noch ordentlicher werden “ (Sana, 1994, S. 185) • „Der Deutsche weiß natürlich nicht, merkt kaum, dass seine systematische Ernsthaftigkeit für einen Außenstehenden etwas Komisches hat.“ (Sana, 1986, S. 24) • „Der Begriff Ordnung spielt bei den Deutschen eine sehr wichtige Rolle...“(Sana, 1986, S. 25) • „Die Deutschen haben es schwer, nicht nur wegen ihrer Fehler, auch aufgrund ihrer guten Eigen­ schaften. Sie sind ein tüchtiges Volk und möchten ihre unzähligen, bewundernswerten Attribute ande­ ren, weniger begabten Völkern beibringen, darunter auch ihren ausgesprochenen Sinn für Ordnung und Sauberkeit. Sie stoßen aber immer auf die Unbelehrbarkeit der anderen, so daß es ihnen nicht ge­ lingt, die Schlamperei und Unordnung, die in der Welt herrschen, zu beseitigen.“ (Sana, 1986, S. 25) • „..der Hang, methodisch zu handeln, ist geblieben. Das ist das Markenzeichen der Deutschen, im Gu­ ten und im Bösen: fruchtbar, wenn es für positive Zwecke benutzt wird, gefährlich, wenn es unlaute­ ren Absichten dient.“ (Sana, 1986, S. 28) • „In jedem Deutschen steckt ein Stratege, ein Organisator ersten Ranges, ein Generalstäbler. Er will alles überschauen, im voraus beherrschen, nichts dem Zufall überlassen.“ (Sana, 1986, S. 28f) • „Methode, überall Methode.“ (Sana, 1986, S. 30) Schmitz e.a.: • Tschechen schätzen an Deutschen die organisatorischen Fähigkeiten. (Schmitz e.a., 1996) Schons: • „Qualität ist für die Deutschen sehr wichtig. Sie legen großen Wert darauf, dass ihre Erzeugnisse auf dem Weltmarkt ein Vorbild an Qualität und Ausführung sind. Die Werbung für deutsche Produkte auf dem Weltmarkt stützt sich zum großen Teil auf diesen Ruf. Der deutsche Verbraucher besteht auf Qualitätsware.“ (Schons e.a., 1990, S. 1 Of) Zeidenitz: • „Germans like things that work. This is fundamental. A car or a washing machine which breaks down six months after purchase is not a nuisance, it’s a breach of the social contract.“ (Zeidenitz e.a., 1993, S. 11) • „‘Nobody is perfect, but we are working on it’, said Baron von Richthofen optimistically. Perfectio­ nism is a prime German characteristic which benefits their auto industry... Compromise and settling for what is good enough is not good enough. Strictly speaking, only the ideal will do.“ (Zeidenitz e.a., 1993, S. 15) • „Clashes between ideas and reality are inevitable, and Germans are quite resigned to this. It is part of what makes life tragic.“ (Zeidenitz e.a., 1993, S. 16) • „Seeking refuge from the world’s uncertainties, ...they rely on order and system“ (Zeidenitz e.a., 1993, S. 5) • „The Germans pride themselves on their efficiency, organization, discipline, cleanliness and punctua­ lity. These are all manifestations of Ordnung which doesn’t just mean tidiness, but correctness, pro­ perness, appropriateness and a host of other good things. No phrase warms the heart of a German like ‘alles in Ordnung’, meaning everything is all right, everything as it should be. The categorical impe­ rative which no German escapes is ‘Ordnung muss sein ’“(Zeidenitz e.a., 1993, S. 11). Zeile: • „Da tauchen zuallererst die altbekannten preußischen Tugenden Fleiß und Ordnung auf...“ (Zeile, 1991, S. 9) • „... das perfekt funktionierende Universitätssystem wird bewundert“ (Zeile, 1991, S.9) • „Mit der deutschen Ordnung machen die meisten unliebsame Erfahrungen...“ (Zeile, 1991,S.9)

Konsekutivität: Collett: • Deutschland ist ein zeitbewusstes Land, das Wert legt „auf Pünktlichkeit, Zeitpläne und feste Termi-

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ne“. (Collett, 1993, S. 151) Eberwein: • „Thus in Germany within production management there is, in comparison to England, ... a distinct appreciation of punctuality and faithfulness to deadlines, which can be classed ... as a definite advan­ tage of competition for German industry.. “ (Eberwein e.a, 1993,. S., 178f) Frenkin: • „Der Deutsche hat eine langfristige Lebensplanung, weil er sicher ist, dass diese Mühe sich lohnen wird.“ (Frenklin, 1995, S. 18) Gorski: • „Kommen Sie, wenn ein Termin vereinbart ist, unbedingt pünktlich.“ (Gorski, 1996, S. 47) • „Tauchen Sie nie, wie Sie es von daheim kennen, uneingeladen bei einer deutschen Familie zur Abendbrotzeit oder zu einem anderen Termin auf. Eine Essenseinladung ist eine ernste Angelegenheit, sie wird geplant und vorbereitet.“ (Gorski, 1996, S. 46) Goth: • Man besucht niemanden unangemeldet. (Goth, 1977, S. 17) Kura: • Wenn sie zu Besuch sind, dann erwarten „Deutsche ... Aufmerksamkeit die ganze Zeit. Wenn ich viel aufstehe und herumlaufe, dann ist das für sie merkwürdig.“ (Kura, 1993) Lawrence: • „... another of these intangible facts of German life - the cult of punctuality. It is equally noticable in industry and in the public services.“ (Lawrence, 1980, S. 132) • „To say that a German production manager takes Termintreue seriously is a magnificient piece of understatement. German managers are obsessed with delivery punctuality. ... German industry does have a good reputation for delivery punctuality and German companies are at pains to sustain this re­ putation.“ (Lawrence, 1980, S. 147) • „The Termingespräch ... is both instructive and entertaining for a foreigner. This institution is at its best in, for instance, general engineering companies where there are a lot of different products, with modifications, being manufactured in a miscellany of long runs, short runs and single units, all going through the shop at the same time.“ (Lawrence, 1980, S. 147) • „German production managers.... appear to have fewer crisis, interruptions and demands on their time and attention originated by others.“ (Lawrence, 1980, S. 159) Loewenthal: • „Right on time, neither too early nor too late - that’s the German attitude towards time. Being prompt when arriving at any appointment... is very important.“(Loewenthal, 1990, S. 54) • „Don’t rush a German. Remember, a job done well is more important than a job done quickly.“ (Loewenthal, 1990, S. 60) • „Germans are not accustomed to ‘dropping in’ on one another.“ (Loewenthal, 1990, S. 58) Mole: • „Es ist sehr wichtig, pünktlich zu sein, das heißt auf die Minute genau.“ (Mole, 1992, S. 54) • „Außer in dringenden Notfällen werden Sitzungen jeglicher Art Wochen im voraus geplant. Sie sind formal mit Tagesordnung und Protokollen. Möglicherweise unterhält man sich zuerst eine Weile höf­ lich, während eine Sekretärin Tee oder Kaffee serviert, aber danach sind die Meetings streng funktio­ nell.“ (Mole, 1992, S. 47) Nees: • „The desire for Ordnung is also related to Germans’ strict adherence to schedules and deadlines. Punctuality is a virtue, and lateness is seen as sloppiness or a sign of disrespect. (Ness, 2000, S. 36) Sana: • „Sie sind Langstreckenläufer, diese Germanen, ihr Rhythmus ist langsam, aber dafür beständig und ausdauernd.“ (Sana, 1994, S. 108) Schons: • „Pünktlichkeit ist der Schlüssel zum Erfolg, wenn man in Deutschland erfolgreich arbeiten will. Deut­ sche sind untereinander pünktlich, sowohl bei der Arbeit als auch im gesellschaftlichen Leben. Sie erwarten Pünktlichkeit voneinander und ... von Geschäftsleuten aus dem Ausland.“ (Schons e.a., 1990, S. 3)

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• „Geschäftssitzungen sollten lange vorher schriftlich festgelegt werden. Eine Konferenz kurzfristig oder per Telefon zu vereinbaren, ist in Deutschland nicht so der Brauch.... der Deutsche teilt seinen Tag strenger ein... und wird bei weitem nicht so leicht seinen Plan umändem...“ (Schons e.a., 1990, S. 17) • „Pünktlichkeit... vielmehr ein Zeichen von Kompetenz“ (Schons e.a., 1990, S. 4) Zeile: • „Wenn das ganze Leben geplant und geordnet verläuft, bleibt die Spontaneität irgendwie auf der Stre­ cke: ‘Einerseits bewundere ich den Willen, die Zeit produktiv zu nutzen, andererseits bedaure ich die Tatsache, dass meine Freunde sich wenig auf spontane Aktionen einlassen.“ (Zeile, 1991, S. 10)

Regelorientierte Kontrolle: Commer: • „Man hält die meisten, wenn nicht alle Deutschen für fleißig, zuverlässig, gründlich...“(Commer, 1996, S. 50) Elyashiv: • „Das Auffallendste an jedem Deutschen ...ist, dass er immer und andauernd etwas will...... Deutscher Fleiß, deutsche Gründlichkeit, deutsche Tüchtigkeit, deutsches Pflichtbewusstsein, deutsches Durch­ halten, deutsches Mitlaufen - all die vielgerühmten und die viel verschrienen Eigenschaften sind, glaube ich, Ausdruck dieses Wollens.“ (Elyashiv, 1994, S. 157f) Ferraris: • „Gründlichkeit ist sicher eine typisch deutsche Eigenschaft“ (Ferraris, 1994, S. 236) Frenkin: • „Der fleißige Deutsche, der sich unermüdlich, ernsthaft und beharrlich mit seiner Arbeit beschäf­ tigt...“ (Frenkin, 1996, S. 17) • Frenkin bescheinigt den Deutschen ein „Arbeitsethos“ und nennt sie „ein moralisches Volk“ (Frenkin, 1996, S. 19) • „Diese ... deutsche Ordentlichkeit hat eine moralische Dimension. Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit wurden in der Gesellschaft kultiviert... Betrug ist ein Verbrechen und kein Kavaliersdelikt...“ (Fren­ kin, 1996, S. 24) • „Mich persönlich, wie alle Russen, die mit Deutschen bestimmte Beziehungen haben, fasziniert am meisten die Verbindlichkeit der Deutschen...“ (Frenkin, 1996, S. 28) • „Den höchsten moralischen Wert hat aus russischer Sicht ... das Verantwortungsbewusstsein. Ich meine nicht nur die Pflichterfüllung, sondern darüber hinaus die kreative, schöpferische Fähigkeit und Bereitschaft, die ganze Verantwortung für die Sache zu übernehmen, die diesem Menschen anvertraut ist.“ (Frenkin, 1996, S. 56) Gelfert: • „Es ist die deutsche Leistungsideologie, deren Schlüsselwort ‘Tüchtigkeit’ heißt. In Deutschland ist es nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten zu zeigen, wie tüchtig man ist. Aufgekrempelte Ärmel und Schweiß auf der Stirn sind nichts Ehrenrühriges, sondern im Gegenteil etwas, das allgemeine An­ erkennung findet. ‘Tüchtig’ ist ein Wort, das uneingeschränktes Lob bedeutet, wobei es gleichgültig ist, ob ein Arbeiter die Schwielen an seinen Händen oder ein Intellektueller seine Gehimschwielen zeigt.“ (Gelfert, 1998, S. 34) Giardina: • „Befehl ist Befehl - ein alte Regel, die in der jüngeren Geschichte Deutschlands zu Katastrophen ge­ führt hat. Sie ist out, im Heer und in den Betrieben, ganz zu schweigen von den Familien....“ (Giardi­ na, 1998, S. 191). Giardina zitiert dann den Italiener Giuseppe Vita: „Ein Manager... muss in Deutschland vor allem seine Mitarbeiter davon überzeugen, dass das, was er tut, richtig ist. Entschei­ dungen werden gemeinsam getroffen, aber die Verantwortung liegt beim Chef. Die wichtigste Arbeit besteht darin, die eigene Mannschaft zu überzeugen, die dann aber auch geschlossen handelt und Meinungen oder Zweifel des einzelnen außer Acht lässt.“ Und Giardina fugt hinzu: „Das ist das ge­ naue Gegenteil unseres Vorurteils.“ (Giardina, 1998, S. 191)

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• „Die Deutschen? Großartige Arbeiter! tönt es im Chor... Sie sind auch selbst davon überzeugt, dass der Fleiß ihre größte Tugend sei, um die sie die ganze Welt beneidet. Wie kann man sich nur so gründlich täuschen! ... Der deutsche Arbeiter hält in der Tat einen zweifachen Weltrekord: Er arbeitet am wenigsten und wird am besten bezahlt.“ (Giardina, 1998, S. 164) • „Die Deutschen arbeiten also weniger, arbeiten sie denn besser? ... Nach eigenen Berechnungen ran­ giert ihre Produktivität weltweit unter den niedrigsten, und die Qualität des made in Germany wird von Herstellern wie Verbrauchern in Frage gestellt.“ (Giardina, 1998, S. 165) Glunk: • „Die Deutschen sind in ihrem Erscheinungsbild vor allem fleißig und stark und damit auch noch er­ folgreich...“ (Glunk, 1996, S. 64) • Der ‘gemittelte Deutsche’ „zeigt Fleiß und Ehrgeiz“. (Glunk, 1996, S. 325) Grusa: • „Der Deutsche wird bei uns am häufigsten als .... tiefgründig, fleißig und stur charakterisiert. Und lassen Sie sich nicht irreführen, wenn man es gefälliger formulieren oder umschreiben will, indem man ... philosophisch, leistungsfähig und zielbewusst sagt.“ (Grusa, 1999, S. 16) Gorski: • „Unbegreiflich, aber wahr: In Deutschland gibt es tatsächlich Menschen, die sich Regeln und Vor­ schriften selbst dort unterordnen, wo deren Einhaltung nicht überwacht wird.“ (Gorski, 1996, S. 88) • In Deutschland hat man für Fälle von Regelverletzung „ein Standardargument parat, das sich schlecht widerlegen lässt: ‘Wenn alle das täten...’“ (Gorski, 1996, S. 98) • „‘Deutsch sein’, so sagt man, ‘heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun.’“ (Gorski, 1996, S. 99) „Das stimmt schon lange nicht mehr.deutsch sein heißt heute ebenso häufig, eine Sache möglichst spät, wenn überhaupt anzupacken.... Keine zweite Industrienation gewährt ihren Arbeitnehmern mehr Freizeit als Deutschland.“ (Gorski, 1996, S. 146f) • „Einmal abgesehen von der Verbotssucht, ist das deutsche Obrigkeitsdenken heute - gottlob - weitge­ hend ausgestorben.“ (Gorski, 1996, S. 102) • „Wenn es darum geht, den Opfern von Natur- und Hungerkatastrophen Geld zu spenden, dann sind die Deutschen weltweit unübertroffen.“ (Gorski, 1996, S. 159) Hill: • „With their Gründlichkeit..., their social discipline, their industriousness... they represent Europe’s ‘economic center of gravity’“ (Hill, 1995, S. 103) • „.. the Germans are a philosophical and ultimalety sentimental folk who easily drift off into abstracts, foggy idealism...“ (Hill, 1995, S. 108) • Marsh nach Hill. „Only a thin line separates idealism from escapism, ... discipline from servility.“ Und Hill ergänzt: „perfectionism from inflexibility“. (Hill, 1995, S. 108) • „Germans consider themselves - and generally are - well motivated, disciplined and professional.“ (Hill 1994, S.37) • „Whatever else, the Germans are a consequential people. As the American CEO of a software compa­ ny said: ‘They ‘re so damned demanding, both on themselves and others...“ (Hill, 1994, S. 38) Hoffmann: • „Fast die Hälfte der Kommentare hoben die ‘typisch deutschen’ Eigenschaften Ordnung, Pünktlich­ keit, Disziplin...hervor.“ (Hoffmann, 1989, S. 313) JPB: • „Soziales Verantwortungsgefühl und Vorbildfunktion: gemeinschaftliche Anliegen werden zu per­ sönlichen Anliegen, richtiges Verhalten wird oft vorexerziert“ (JPB, 1996, S. 141) • „Berechenbarkeit: Zuverlässigkeit ist Grundlage für den Vertrauensaufbau“ (JBP, 1996, S. 141) • „‘Wenn das jeder täte!’ ist eine bekannte Zurechtweisung... Jeder hat sich daran zu halten, aber gleichzeitig wird keiner benachteiligt. Dieses Denken prägt ganz entscheidend das Gerechtigkeits­ empfinden und kann sogar zur ‘Maxime allen Handelns’ werden.“ (JPB, 1996, S. 251) Kani: • „Sie sind fleißig, intelligent, energisch, rationell veranlagt und pünktlich - nur leider in allem zu gründlich, sodass die genannten guten Charaktereigenschaften manchmal verheerend wirken...“ (Ka­ ni, 1994, S. 168)

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Klein: • Die Attribute „arbeitsam“ und „aufgabenbewusst“ werden von Franzosen Deutschen vor und nach einem Deutschlandaufenthalt (dann allerdings weniger) zugeschrieben. (Klein, 1972, S. 263) Kura: • „Und die Professionalität in Deutschland imponiert mir. Wenn man etwas tut, dann betreibt man es richtig, mit Ernsthaftigkeit.“ (Kura, 1993) Larson: • Larson überschreibt ein Kapitel mit „Leam to live with too-muchness“. Darin: „Deutsche Gründlich­ keit, or German thouroughness in all things great and small...“ (Larson, 1984, S. 13) „The point I am making here is that the German seeks thouroughness in any form of instruction...“ (Larson, 1984, S. 16) Germans have a nasty habit of lecturing people who inadvertantly or unwittingly violate their ha­ bits or social customs.“ (Larson, 1984, S. 18) Lawrence: • „One notes that people doing quite ordinary jobs are concerned that they should be done well. There is a tendency for the worker not just to do the job but also to internalize it’s purpose.“ (Lawrence, 1980, S.132) Lippe: • Deutschen mangelt es an Leichtigkeit. Die Franzosen haben dafür den Begriff „lourdeur allemande“, in dem „Schwerfälligkeit und Wichtigtuerei sonderbar rechthaberisch miteinander verbunden erschei­ nen“. (Lippe, 1990, S. 332f) Loewenthal • „Breaking an appointment or arriving a few minutes late is a quick way to give a bad impression.“ (Loewenthal, 1990, S. 63) • „A job well done is something to be proud of, and doing things well and thouroughly is very impor­ tant to the conscientous German.“ (Loewenthal, 1990, S. 50) McClelland e.a.: • „We differ chiefly in seeing German obedience as a response that at least from the internal point of view is dictated not by a liking for obedience but by a strong belief in the importance of sticking to an abstract, ideological code of right conduct in society. ... found that obedience is not always good in German plays: but the one time rebellion is legitimate is when it is in the interest of some higher good of society as a whole. In short it is not obedience per se which is good. It is seen as in­ strumental to an ideology of right social behavior that may on occasion demand rebellion.“ (McClel­ land e.a., 1958, S. 254) Mikes: • „They are ...reliable.“ (Mikes, 1953, S. 45) • „Eines der größten Verbrechen der Deutschen besteht darin, dass sie zu hart arbeiten.“ (Mikes, 1994, S.137) Mole: • „Die Deutschen nehmen die Arbeit tatsächlich sehr ernst, was jene berücksichtigen sollten, die aus Ländern kommen, wo dies weniger der Fall ist.“ (Mole, 1992, S. 39) • „Neulinge sollen sich am besten eng an die Regeln halten, bis sie den akzeptablen Weg genau kennen, in dem die Regeln durch Pragmatismus abgeschwächt werden können.“ (Mole, 1992, S. 44) • „Was in anderen Kulturen zu einem bürokratischen Alptraum fuhren würde, funktioniert in Deutsch­ land wegen des Respekts vor Perfektionismus, der sich auf alle Bereiche des betrieblichen und priva­ ten Lebens erstreckt.“ (Mole, 1992, S. 44) • „Sich mit minimalem Arbeitseinsatz durchzumogeln wird auf allen Ebenen der Organisation verab­ scheut, insbesondere im oberen Management. Es ist wichtig, den Vorgesetzten hart arbeiten und ‘die Hände schmutzig machen’ zu sehen. Auch wenn die Aufsteiger Belohnung erwarten, wird die Mög­ lichkeit, es sich leicht zu machen, während andere die Arbeit tun, nicht mit Beförderung assoziiert.“ (Mole, 1992, S. 46) • „Beschäftigte befolgen bereitwillig Anweisungen, aber sie wollen sie lieber ohne Einmischung aus­ führen.“ (Mole, 1992, S.46) • „Deutsche sind von Konkurrenzdenken geprägt und ehrgeizig. Sie können eigenen und fremden Misserfolg nicht tolerieren... Sie messen dem individuellen Erfolg und seinen äußeren Zeichen große

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Bedeutung bei.“ (Mole, 1992, S. 50f) Mühlberger: • Schon aus der K&K-Zeit rühren folgende Zuschreibungen für die in Böhmen lebenden Deutschen: Tüchtigkeit, Starrheit, Unnachgiebigkeit, Korrektheit, schulmeisterlich pedantisch, allzu loyaler Ge­ horsam (Mühlberger, 1973, S. 226) Müller-Freienfels: • Zäher und unermüdlicher Fleiß, sich hingebende Arbeit und hartnäckige Ausdauer werden hochge­ schätzt. (Müller-Freienfels, 1922, S. 104) • Vor allem im Wirtschaftsleben fordert und erträgt man Zwang. „Was ... wirtschaftlich groß macht..., ist die freiwillig übernommene straffe Disziplin.“ (Müller-Freienfels, 1922, S. 156) Nees: • „... Germans feel comfortable with these kinds of rules, which give them a feeling of security as well as a strong sense of what is right and wrong.“ (Nees, 2000, S. 39) • „... Pflichtbewusstsein, or one’s sense of duty and obligation, is a major component of the German psyche.“ (Nees, 2000, S. 56) • „Not to fulfill their duty weighs Germans down with a sense of guilt and shame.“ (Nees, 2000, S. 56) • „This sense of submitting to the greater good serves as the main justification for many of the rules and regulations that structure German society.“ (Nees, 2000, S. 57) • „The notion of Verbindlichkeit, which implies the binding nature of one’s word, illustrates another crucial aspect of the German sense of duty and obligation. While still very young, Germans leam to be extremely careful about what they say because they are taught that when they speak, they are committing themselves to what they say.... To not follow through with what one says is to not fulfill one’s obligation, something that rightfully causes disrespect in others and feelings of shame in one­ self.“ (Nees,2000, S. 58) • „To say something and then not carry through with it is a blemish on one’s reputation.“ Nees, 2000, S. 81) • „... Germans are far less forgiving of people who change plans at the last minute or won’t commit to doing something. Credibility and reliability are key points that Germans are looking for in both per­ sonal and business relationships.“ (Nees, 2000, S. 82) Noelle-Neumann e.a.: • Bei Befragungen zum Selbstbild der Deutschen wurden folgende Eigenschaften in absteigender Rei­ henfolge genannt: fleißig, ordentlich, sauber, pünktlich, ehrgeizig, nehmen alles sehr genau, zuverläs­ sig. (Noelle-Neumann e.a., 1993, S. 503) Nünning: • „Einigkeit herrscht ... darüber, dass der Deutsche über bürgerliche Kardinaltugenden wie Ordnungs­ liebe, Fleiß, Sparsamkeit, Sauberkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit verfugt. Auch Treue, Ehr­ lichkeit, Ernsthaftigkeit, Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit, Organisationstalent werden diesem effi­ zienten und strebsamen Arbeitstier sowohl von seinen europäischen Nachbarn als auch von der ame­ rikanischen Bevölkerung... bescheinigt.... In den Augen ausländischer Beobachter neigt der Deutsche vor allem dazu, diese Tugenden überzubewerten. Die Folge seien bedingungslose Prinzipientreue, übertriebene Disziplin, absolute Autoritätsgläubigkeit, phantasielose Gründlichkeit, Engstirnigkeit, pe­ dantische Korrektheit, bürokratische Kleinkariertheit, kritikloser Kadavergehorsam, übersteigertes Pflichtgefühl und ein fanatischer Ordnungs- und Sauberkeitstick. Häufig beklagt werden auch der Hang zum Perfektionismus..., der unstillbare Ehrgeiz...“ (Nünning, 1994, S. 21) • „Besonders lächerlich wirken ‘typisch deutsche’ Verhaltensweisen dann, wenn sie mit jener germani­ schen Konsequenz und Gründlichkeit auf die Spitze getrieben werden, die nicht mehr nach Sinn und Zweck fragt...“ (Nünning, 1994, S. 22) Nuss: • Treue betrachten Deutsche als Beweis für Seelengröße, sich selbst treu zu sein als Charakterstärke. (Nuss, 1992) • Nuss bescheinigt Deutschen psychische Vitalität: Man sei sehr standfest. Je stärker die Anfechtungen und je größer die Schwierigkeiten, desto nachhaltiger sei das Bemühen zur Überwindung. Und die Mittel dazu hießen: Ordnung, Pünktlichkeit, Präzision, Disziplin. (Nuss, 1992) • Gehorsam wird nicht als Einschränkung der Persönlichkeit gesehen, sondern als ein notwendiger Akt.

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Man fügt sich bereitwillig ein, wenn man das Gefühl hat, einer Sache von allgemeinem Interesse zu dienen, ‘gebraucht’ zu werden, seine ‘Pflicht’ zu tun. (Nuss, 1992) • Beim Engagement für ein Ideal herrscht Opferbereitschaft. Solcher Idealismus entstammt der An­ nahme, dass es eine absolute Wahrheit gibt, die es wert ist, dass man für sie kämpft. (Nuss, 1992) • Damit Ordnung herrscht, hat jeder seine Pflicht zu tun. (Nuss, 1992) • Die Pflicht getan zu haben, stellt eine tiefe Befriedigung dar. (Nuss, 1992) • In der Arbeit ist man ernst und bestrebt, sie gut zu machen. (Nuss, 1992) • „Nicht achtet der Deutsche mehr als seine Prinzipien. Die Entschiedenheit, mit der er ihnen norma­ lerweise treu ist, ist noch größer, wenn es um moralische Vorschriften oder Verhaltensregeln geht. Seinen Prinzipien treu bleiben ist eine Redensart, mit der man in Deutschland alles entschuldigen kann.... Genauer gesagt ist der Deutsche vor allem seinen Prinzipien treu, das heißt denjenigen, die er für sich selbst aufgestellt hat. Bevor er sie sich zu eigen gemacht hat, hat er sie sorgfältig analysiert, abgewogen und beurteilt. Danach fühlt er sich umso stärker, um nicht zu sagen definitiv an sie ge­ bunden. Nichts wird ihn dazu bringen, sie aufzugeben, selbst nicht die Unannehmlichkeiten, die sie für ihn nach sich ziehen können oder die Gefahren, denen er sich durch sie ausgesetzt sieht. Um sie zu verteidigen, stürzt er sich verbissen, selbstlos und mutig in dem Kampf. Es ist ihm äußerst angenehm sich von ihnen leiten zu lassen, da ihm auf diese Weise Selbstzweifel und Gewissensqualen erspart bleiben. Andererseits kann damit auch eine gewisse Prinzipienreiterei einhergehen, jener kleinliche Eigensinn, der darin besteht, dass man seine Prinzipien auf alles, selbst auf Dinge, für die es sich nicht lohnt, anzuwenden versucht.“ (Nuss, 1994, S. 222) Oschlies: • „Seit Jahrhunderten werden den Deutschen gewisse Eigenschaften kollektiv zugeschrieben: fleißig, ordentlich, sparsam, wirtschaftliche diszipliniert.“ (Oschlies, 1996a, S. 9) Peabody: • ^upra-individual goals. ... the ends to which systematization is applied are not typically ... those of individual economic gain. These ends ... tend to be seen by Germans as selfish. Instead, there is a tendency to prefer supra-individual goals. ... German ‘obedience’ ... reflects a commitment to an idealistic obligation to society as a whole.“ (Peabody, 1985, S. 112 f) Sana: • Die Deutschen brauchen niemanden, „der sie beobachtet, ihre Erziehung und Mentalität sorgen auto­ matisch dafür, dass sie sich benehmen wie man es von ihnen erwartet...: ernst, verantwortungsvoll, korrekt...“ (Sana, 1986, S. 23) • Er beschreibt die „Zwangsjacke der äußeren Korrektheit“: „...Mund halten, wenig oder nur ganz leise schimpfen,... sachlich bleiben, tun, was die Mehrheit auch tut,... diskret und unpersönlich sein,... sich kollegial verhalten, tüchtig arbeiten, sich auf die Leistung konzentrieren... Das sind ideale Eigen­ schaften, um dem Wohl des Ganzen zu dienen und soziale Spannungen zu vermeiden. Der emotionale Druck stirbt aber deshalb nicht. Die Aufrechterhaltung der äußeren Strukturen geht auf Kosten des in­ neren Gleichgewichts, die institutioneile gesellschaftliche Einheit auf Kosten der Desintegrierung des Einzelnen. Wenn andere Länder nicht so reibungslos funktionieren, dann nur deshalb, weil ihre Be­ wohner nicht bereit sind, den Grad der Selbstrepression und Selbstverleugnung auf sich zu nehmen, der anscheinend für die Deutschen selbstverständlich ist.“ (Sana, 1986, S. 74). • Das Unglücklichsein der Deutschen „hängt nicht zuletzt zusammen mit dem tiefverwurzelten Emst der Deutschen, mit ihrem Schaffensdrang und ihrem obsessiven Streben nach Vollkommenheit, mit den hohen ... Lebenszielen.... Bei einer solch einseitigen Fixierung auf Leistung und Selbstbewährung bleibt wenig freier Raum für die Entfaltung des Spieltriebs und für Charakterzüge wie Gelassenheit, Selbstironie, Sorglosigkeit...“ (Sana, 1994, S. 177). Schmitz e.a.: • Positiv schätzen die Tschechen „das persönliche Interesse der deutschen an ihrer Arbeit und ihre Identifikation mit dem Unternehmen..., ebenso die fachliche Kompetenz, die Belastbarkeit und das Engagement.“ Sie wurden z.T. als ‘opferwillig’ bezeichnet. Sie nannten die vermeintlichen deutschen Tugenden: Fleiß, Disziplin, Korrektheit, Qualitätsbewusstsein, Gründlichkeit, Pünktlichkeit, das Veranwortungsbewusstsein und die Seriosität. (Schmitz e.a., 1996, S.9) Schons: • „Verabredungen werden genau eingehalten...“(Schons, 1990, S. 3)

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• „Wenn Sie sich irgendwo angemeldet haben, sollten Sie auf jeden Fall versuchen, den Termin einzu­ halten, und nicht im letzten Augenblick umdisponieren..“ (Schons, 1990, S. 17f) Zeidenitz: • Ein Kapitel benennt er mit „ importance of being ernsthaft“ (Zeidenitz, 1993, S. 10).

Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen Althaus e.a.: • „Zumindest die neuen Mittelschichten der Bundesrepublik schreiben der verlängerten Freizeit Werte zu, die früher eher mit der Arbeitsleistung verbunden waren: Ideen durchsetzen, sich selbst verwirk­ lichen, etwas Bleibendes schaffen“ (Althaus e.a., 1992b, S. 78) Frenkin: • Frenkin erwähnt die „Menschlichkeit“ als typisch deutsch: „Im Sinne des herzlichen Entgegenkom­ mens, der Anteilnahme und des Mitempfindens sind die Deutschen aus russischer Sicht menschlicher als andere westliche Nationen. Nicht nur die riesige humanitäre Hilfe während der letzte Jahre..., son­ dern darüber hinaus ist die gesamte vielfältige Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit unserem Land... einzigartig. ... Die Hilfe und Investitionsbereitschaft anderer Länder sind unvergleichbar ge­ ringer. Alle warten darauf, was aus Russland wird, nur die Deutschen handeln.“ (Frenkin, 1995, S. 32) • „Der Begriff der Menschlichkeit ist vieldeutig. Z.B. ist die deutsche Sentimentalität lobenswert.“ (Frenkin, 1995, S. 36) Glunk: • So sehen uns andere Nationen: „Bei den Eigenschaften ‘humorlos’, ‘gefühllos’... ist man sich ... ziemlich einig.“ (Glunk, 1996, S. 63) Goth: • „Arbeit und Privatleben werden streng getrennt; in den Arbeitsstunden sei man umgänglich, darüber hinaus gebe es aber ‘no socializing’“ (Goth, 1977, S. 18) • „Das mitmenschliche Klima ... hat nichts von Herzlichkeit, sondern lässt eher frösteln.“ (Goth, 1977, S. 17) • Man knüpft offenbar „Kontakte weniger ‘selbstverständlich’... als anderswo.“ (Goth, 1977, S. 17) • „Kontakte sind generell sehr formal“ (Goth, 1977, S. 18) • „Engere Kontakte sind zwar schwierig herzustellen; aber wenn sie zustande kommen, sind sie ange­ nehm oder sogar besonders lohnend“ (Goth, 1977, S. 18) Güler: • „Diese deutschen Menschen grüßen sich immer, egal ob sie sich auf der Straße oder sonstwo begeg­ nen, aber sprechen tun sie nicht miteinander.“ (Güler, 1991, S. 32) Hellpach: • Hellpach stellt folgenden Bruch im „deutschen Wesen“ fest: „Das sind die Züge der Rühr- und Leid­ seligkeit, der Verschwärmtheit und Gemütsschwelgerei (wozu auch schon vieles gehört, was wir Ge­ mütlichkeit nennen) - die sich mit der emsigen Gründlichkeit ... zusammenbringen lassen.“ (Hellpach, 1954, S. 218) Hill: • „Intensity is certainly ... a leitmotiv of the German temperament.“ (Hill, 1995, S. 108) Und er bezieht das auf Gefühlsintensität im Guten wie im Bösen. Hoffmann: • Beobachtet wurde „Verschlossenheit“. (Hoffmann, 1989, S. 314) Loewenthal: • „The Germans make a clear distinction between ein Freund ... and ein Bekannter. One may have a close acquaintance for many years and still not consider the person to be ein Freund. Even the use of the Du form doesn’t necessarily indicate that one is a friend. Ein Freund indicates a person with whom you spend a lot of time, with whom you share interests, and whom you would expect to help in emergency... The words Du and Freund... are only used to indicate very special relationships... It ta­ kes a long time for a friendship to develop because it requires a lot of attention, interest... Because the

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strong commitment involved, it is understandable that people are cautious about becoming involved. Once this lifetime commitment is made, the ensuing relationship is very close, extremely rewarding, highly valued, and potentially demanding.“ (Loewenthal, 1990, S. 54) • „Germans are private people and resent being asked personal questions by people they have just met.“ (Loewenthal, 1990, S. 57) • „Many people you meet will seem quite reserved, and it may take time to develop personal con­ tacts...“ (Loewenthal, 1990, S. 63) Mohler: • Dem Deutschen, so zitiert er den Schriftsteller Doderer, sei „das unbewusste Denken fast verlorenge­ gangen ... und also auch eine entsprechend modulierte, wenigstens vom tiefsten Hintergrund her et­ was gedämpfte Art zu sein. Der Deutsche handelt unaufhörlich in der Verlängerung seines bewussten Denkens ...“ Er wolle „... das Denken um jeden Preis mit der Wirklichkeit zur Deckung ...bringen“. (Mohler, 1965, S. 20) Mole: • „Es gibt eine klare Abgrenzung zwischen Privatleben und Arbeit. Die Deutschen verlassen die Arbeit so pünktlich, wie sie gekommen sind, und nehmen selten Arbeit mit nach Hause. Sie haben es nicht gerne, zu Hause wegen Arbeitsangelegenheiten angerufen zu werden, außer wenn es einen triftigen Grund hierfür gibt. Leute auf allen Ebenen nehmen ihren vollen Urlaubsanspruch wahr und halten keine Verbindung mit dem Büro, wenn sie weg sind, oder erwarten, nicht angerufen zu werden.“ (Mole, 1992, S. 51) • „Das öffentliche Verhalten steht in starkem Kontrast zur Ungezwungenheit und Wärme des Privatle­ bens und echter Freundschaft.... Es gibt ein starkes Zugehörigkeitsgefühl... Manchmal geht < es > in Sentimentalität über...“ (Mole, 1992, S. 53) • „Das informelle Du wird nur mit beiderseitigem Einverständnis von engen Freunden benutzt, und er Übergang zum Du ist ein wichtiges Ereignis. Er markiert den Eintritt in den eifersüchtig gehüteten ‘Privatraum’ von beiden und sollte nicht leichtgenommen werden. Er ist ein Zeichen, daß sich die Vertrautheit bei der Arbeit zu einer dauerhaften persönlichen Freundschaft entwickelt hat.“ (Mole, 1992, S.53) • „Informelle Kontakte bestehen mehr innerhalb von Funktionsbereichen als über Abteilungen hin­ weg.“ (Mole, 1992, S. 51) Moosmüller: • Die meisten deutschen Expatriates sind „nur als ‘Arbeitsperson’ greifbar“, was den - in diesem Fall japanischen - Kollegen nicht genügt, „sie wollen ‘die ganze Person’“. (Moosmüller, 1997, S. 173) Müller-Freienfels: • Deutsche seien mit starker Innerlichkeit und Gemütswärme genauso zu charakterisieren wie mit star­ kem Willen und fassten das unter den Begriff „Persönlichkeit“ (Müller-Freienfels, 1922, S. 92). „Man ist Individualist aus Gemüt und Empfindsamkeit“ (Müller-Freienfels, 1922, S. 132) • Müller-Freienfels (1922) beschreibt den „freiwillig bejahten Zwang“ als typisch deutsch und zwar als Überkompensation für das andererseits so intensive Gemütsleben: die harte Sachlichkeit, betonte Nüchternheit und strenge Selbstdisziplin drängten die Gefühle zurück. Nees: • „Germans also compartmentalize the private and public spheres of their lives.“ (Nees, 2000, S. 50) • „Because Germans separate their private and public lives so clearly, they rarely seek out friendships among their coworkers, nor do they often sozialize with them.“ (Nees, 2000, S. 53) • „Networks in Germany tend to be smaller, more closed...“ (Nees, 2000, S. 54) • „When Germans are in a group with which they identify and there are no outsiders present, they talk about being unter uns (among ourselves). Being unter uns creates a sense of security and solidarity and directly influences the way Germans communicate. When outsiders are present, Germans are significantly more formal, more reserved, and less friendly. When only insiders are present, they open up and speak much more sincerely about topics they would never discuss with outsiders. As will be explored later, being an insider also brings with it commitment and obligation toward the other mem­ bers of the group.“ (Nees, 2000, S. 46) • „As should be clear, the du/Sie distinction correlates positively with the private/public distinction and greatly influences most aspects of German communication style.“ (Nees, 2000, S. 70)

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• „Mention to a German friend that you have a problem and your friend will take time to ask lots of detailed questions to figure out what the problem is and how to help you.“ (Nees, 2000, S. 89) • „... friends tend to divulge far more of their private affairs to one another...“ (Nees, 2000, S. 89) Nuss: • Deutsche verfügen über ein „Gemüt“, d.h. sie messen geistigen Werten große Bedeutung bei, kennen ein intensives Gefühlsleben, empfinden tiefe Sympathie für Menschen, sie zeigen Redlichkeit, Dank­ barkeit, Opferbereitschaft, Gedankentiefe, Inbrunst und Sentimentalität. Vertrautheit entsteht lang­ sam, aber Freundschaften dauern dann das ganze Leben. (Nuss, 1992) • Freundschaft spielt in Deutschland eine wichtige Rolle. Dabei kommt die Freundschaft im Meinungs­ austausch, d.h. im Einblick in Empfindungen, Probleme und Gedanken, nicht in gemeinsamen Unter­ nehmungen zum Tragen. (Nuss, 1992) • „Freundschaften zwischen Deutschen sind beständig und selbstlos.“ (Nuss, 1992, S. 115) • Man sollte alles so organisieren können, dass man auch wieder frei hat und durch Muße entschädigt wird für die erbrachte Anstrengung. Man arbeitet zwar gern, gut und gewissenhaft, aber sucht Arbeit nicht systematisch. Man schämt sich nicht des Urlaubs und schätzt die Freizeit, in der man sein eige­ ner Herr ist und interessante und nützliche Dinge tut. (Nuss, 1992) Oguro: • Die Deutschen trennen scharf zwischen dem Gefühl und der Logik einer Sache.(Oguro, 1984) Peabody: • „The ‘private virtues’. The ‘public’ sphere is sharply contrasted with a ‘private’ one. In the private sphere, relations with intimates (symbolized linguistically by those adressed as ‘Du’ rather than ‘Sie’) are highly personal, and may involve almost unlimited rights and obligations.... The private virtues apply not only to the expression of negative emotions but also to the positive ones.... (Peabo­ dy, 1985, S. 113f) Sana: • „Ein solch überzogenes, unreflektiertes und fetischiertes Verhältnis zur Vollkommenheit muss das Entstehen einer einseitigen, unharmonischen Persönlichkeit zur Folge haben.“ (Sana, 1994, S. 191) • „Was mir auffiel war, dass die Deutschen nicht sehr gesprächig und mitteilsam waren, dass ihre Kommunikationsbedürfnisse eher einen unpersönlichen Charakter hatten... Die deutsche Wortkargheit und Zurückhaltung empfand ich als ein Zeichen von Kälte, Teilnahmslosigkeit, Gleichgültigkeit...“ (Sana, 1986, S. 15) Pumberger: • Deutsche Führungskräfte gehen keine „Schritte in Richtung engerer Kontakt“ (Pumberger, 1997a, S. 90) Und sie erlernen auch die Landessprache nicht. Sauzay: • „Ja, in Deutschland zu leben, deutsche Freunde zu finden, bedeutet oft, wärmere, menschlichere Be­ ziehungen als in Frankreich zu haben: den Deutschen ist es weder gegeben, sich hinter elegantem Zy­ nismus zu verbergen, hinter einem lässigen Schlendrian, einer Ironie, die Diskretion vortäuschen will... ie zeigen guten Willen und eine ernsthafte Neigung... vor allem menschliche Beziehungen zu vertiefen, die das Leben reizvoll machen.“ (Sauzay, 1986, S. 62) Schons: • „Der Übergang von dem Titel ‘Herr/Frau’ zum Gebrauch des Vornamens und damit oft auch des ‘Du’ statt des ‘Sie’ ist oft ein langwieriger Prozess und beruht auf der Entwicklung einer gegenseitigen Freundschaft und eines Vertrauens.... Mit der ‘Du’-Form drückt die deutsche Sprache eine echte menschliche Wärme, Freundschaft oder Intimität aus... Das intime ‘Du’ wird geschützt durch den all­ gemeinen Gebrauch des ‘Sie’ im formellen und informellen Verkehr.“ (Schons, 1990, S. 75) Stephan: • „...nur die tiefe, ehrliche Freundschaft sei das Erstrebenswerte und die den Vorteil suchende Herz­ lichkeit verfalle als bloße Äußerlichkeit schon der Kritik.“ (Stephan, 1995, S. 76) Es ist vor allem verbreitet „die Suche nach dem authentischen Gefühl“ (Stephan, 1995, S.77). • Es „ist die Unterscheidung in einen privaten und einen öffentlichen Menschen von Bedeutung. Privat darf sich jeder denken, was er will. Das ist Gedankenfreiheit. Was er tun darf, begrenzen die Regeln des menschlichen Zusammenlebens.“ (Stephan, 1995, S.120)

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Taylor: • „Der Begriff ‘deutsch’ bedeutete zu bestimmten Zeiten, so sentimental, vertrauensvoll und gottes­ fürchtig zu sein, dass es den Anschein hatte, als sei der Deutsche zu gut für diese Welt. Auf der ande­ ren Seite stand der Begriff für eine derartige Brutalität..., dass es den Anschein hatte, als sei der Deut­ sche nicht geeignet, als ein Mensch zu leben.“ (Taylor, 1994, S. 122) Wosnessenskaja: • Sie schätzt an Deutschen, mit denen sie in einer Menschenrechtsgruppe zusammenarbeitet: „Ihre An­ teilnahme, ihre Fähigkeit, sich fremden Kummer anzuhören und auf fremdes Leid zu reagieren.“ (Wosnessenskaja, 1994, S. 217) • „Als Freunde sind die Deutschen wundervoll. Zu Verrat sind sie meines Erachtens nicht fähig.... Aber ihr Verhältnis zur Arbeit ist nüchtern...“ (Wosnessenskaja, 1994, S. 217) Zeidenitz: • „The Germans like to dream, see themselves as romantic. ... In every German there is a touch of the wild-haired Beethoven striding through forests und weeping over a mountain sunset, grappling against impossible odds to express the inexpressible. This is the Great German Soul, prominent display of which is essential whenever Art, Feeling, Truth are under discussion.“ (Zeidenitz, 1993, S. 7) • „For the Germans, life is made up of two halves: the public and the private. The public sphere ofjobs, officialdom, business and bureaucracy is radically different the private one of family, friends, hobbies and holidays.... As a foreigner you will, almost by definition, encounter public Germany first, and may never see more.“ (Zeidenitz, 1993, S. 5) • „For the Germans, the concept of cosiness is much more than comfort. It is interwoven with the idea of Heimat - the cosy heart and hearth of home and family, the safeguard against Angst..., the warm and orderly shelter in a cold and chaotic world.“ (Zeidenitz, 1993, S. 21) • „The strict separation of the public from the private provides a guarantee that in private the Germans are open and sincere. They make lack polite cushioning phrases, seeing them as a waste of language, and keep their distance from strangers and acquaintances much longer than the English, but when you cross the Hellespont of the ‘du’ it means that all reservations are gone and you have made a friend for life.“ (Zeidenitz, 1993, S. 28) Zielcke: • ,„... das Hin und Her zwischen ekstatischer Innerlichkeit und radikaler Sachlichkeit“ war lange kenn­ zeichnend für die Deutschen. (Zielcke, 1997) • Sie konnten sich „zu Recht ihres grandiosen Forschergeists, ihrer wissenschaftlichen Neugier und Sachlichkeit rühmen...“ und steigerten „diese Neigung bis zum kategorischen Imperativ einer inhuman-selbstverleugnenden Parole - ‘deutsche sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun’“. (Ziel­ cke, 1997)

Schwacher Kontext: Commer: • „‘Ihr fangt bei euren Briefen und Telefonaten immer mit dem Unangenehmen an’, stellen Ausländs­ deutsche, die über einen besonders scharfen Spürsinn für unangenehme Eigenschaften ihres eigenen Volkes verfügen, immer wieder fest. Und das scheint zu stimmen. Mangel an ironisch-distanzierter Formulierung, Mangel an Umgangsformen und Manieren - das sollten wir zu ändern versuchen.“ (Commer, 1996, S. 48) Forapani: • „‘Nein’ sagen sie sofort, wenn sie mit dir nicht einverstanden sind. Noch nie habe ich das Wort ‘Nein’ so offen und so trocken aussprechen hören. Wenn ‘Nein’ sein muss - die Deutschen sprechen es sofort und ohne zu zögern aus.“ Deutsche sprechen immer „so geschwind und ohne nachzudenken“ aus, was sie gerade empfinden. „Gedanken über die Gedanken des anderen müsst ihr euch nicht machen. Ihr seid ja offen - und die anderen müssen das auch sein.“ Ein Gesprächskultur, „die weniger mit der Ehrlichkeit und Direktheit des Sprechenden und mehr mit der Empfindlichkeit oder Verletzlichkeit der anderen rechnen sollte“, würde nicht schaden. „Aber die Deutschen sind so überzeugt von dem, was sie gerade sagen wollen, und sie nehmen es auch so ernst, dass ich sie verstehen kann. Sie spre­ chen eben, wie sie denken, ohne Umschweife...“ (Forapani, 1991, S. 81)

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Giardina: • „Gehen Sie nicht zu einem deutschen Arzt, wenn Sie keine eisernen Nerven haben.... Er denkt immer an das Schlimmste. Und weil er Deutscher ist, lügt er nicht. Er legt seine Vermutungen also ganz und gar aufrichtig und grob dar.“ (Giardina, 1998, S. 199) • „Das ist auch so ein Wesenszug der Deutschen: Sie nehmen einen immer beim Wort.“ (Giardina, 1998, S. 227) Kani: • „Die Deutschen sind ehrlich und offen, sie sagen ihre Meinung deutlich. Da sie aber zu gründlich ehrlich sind oder sein wollen, nehmen sie keine Rücksicht, ob die Harmonie der Gesellschaft gestört und ihre Aufrichtigkeit den anderen vielleicht unangenehm oder peinlich werden könnte...“ (Kani, 1994, S. 169) • „Sie möchten alle Fragen möglichst mit Ja oder Nein, gut oder schlecht, Recht oder Unrecht klar und deutlich entschieden haben. Etwas unklar lassen, abwarten, bis die Natur oder Zeit alles erledigen das können die Deutschen einfach nicht.“ (Kani, 1994, S. 169) • „Sie sprechen alles aus, was sie wissen und denken.“ (Kani, 1994, S. 173) Loewenthal: • „When you get to know Germans well, you will find, that they tend to be direct, even blunt, in con­ versation... The ability to impart knowledge is, to the German, an important skill to which politeness may occasionally take a back seat.“ (Loewenthal, 1990, S. 58) Mikes: • „Always explain the obvious and explain it with a dogmatic air...“ (Mikes, 1953, S. 44) • „If you have a chance... air your vast knowledge just to show that you possess it. Be patemak to eve­ rybody and teach everybody his own business. Do this benevolently, full of the noblest intentions...“ (Mikes, 1953, S. 45) • „They are honest...“ (Mikes, 1953, S. 45) Mole: • „Delegation ist klar, genau und vorzugsweise schriftlich niedergelegt.“ (Mole, 1992, S. 46) • „Viele deutsche Unternehmen blühen und gedeihen auf Massen schriftlicher Kommunikation, die weiter ausführt und bestätigt, was in persönlichem Gespräch diskutiert und verabschiedet wurde.“(Mole, 1992, S.49) Müller-Freienfels: • Schwerfällige Umgangsformen und mangelnde Ausdrucksfähigkeit werden als „rauhe Außenseite wenn das Herz nur gut ist“ entschuldigt. Konvention und Form gelten leicht als Unehrlichkeit und werden nicht toleriert. (Müller-Freienfels, 1922) Nees: • „Ideally Germans view beating around the bush, vagueness of expression, and ambiguous definitions as major causes of misunderstandings and problems. This strong desire for clarity leads to a very di­ rect and frank style of speaking, which is sometimes overly direct and blunt for non-German sensibi­ lities. It also often leads Germans to overlook the feelings of the person they are talking with in order to be direct and honest.“ (Nees, 2000, S. 48) • „In Germany there is a strong emphasis on explicit verbal communication, which emphasizes the content level of communication and deemphasizes the relationsship level.“ (Nees, 2000, S. 62) • „... directness and honesty are highly valued by Germans and thus among the most telling characte­ ristics of their style of speech. Part of this emphasis on directness is related to their desire for Klarheit and dislike of ambiguity.“ (Nees, 2000, S. 72f) Nuss: • „Der Deutsche ist kein Anhänger der Zwischentöne und Andeutungen. Er will, dass man ihm alles bis ins kleinste erklärt und zögert nicht, dies auch selbst zu tun.“ (Nuss, 1992, S. 163) • Deutsche nehmen alles wörtlich und denken nicht im übertragenen Sinn. (Nuss, 1992) • Sie sagen geradeheraus, was sie empfinden und denken. Sie verfälschen nicht ihre Gefühle. (Nuss, 1992) • Sie sind leichtgläubig, aufrichtig, haben Vertrauen. (Nuss, 1992) • List und Tücke benutzen sie selten. In praktischer Hinsicht ist ihr Idealismus ein Handikap. (Nuss, 1992)

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Oguro: • Die Sprache ist scharf und exakt. Missverständnisse sollen vermieden werden. Vielfach wird sie buchstäblich gebraucht, nicht im übertragenen Sinne. (Oguro, 1984) • Sie bringen leicht ein Nein über die Lippen. Darauf stützen sie ihre Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit zwei in ihrem Moralsystem sehr hochstehende Werte. Denn ihrer Meinung nach sollten sich Wort und Tat decken, sonst ist ein Mensch offensichtlich ein Lügner oder er lässt sich eine Hintertür offen und ihm ist zu misstrauen. (Oguro, 1984) Pross: • Deutschland ist eine schrecklich explizite Gesellschaft, in der alles auf das Genaueste niedergelegt werden muss...“ (Dahrendorff zitiert nach Pross, 1982, S.123) Stephan: • Unter dem Kapitel: ‘Ein Lob der Lüge’: „Deutschland jedenfalls hat immer Kattun gesagt, wenn es Kattun meinte. Ein Vorteil ist das nicht.“ (Helmuth Plessner zitiert nach Stephan, 1995, S. 15) Zeidenitz: • „The Germans would like to be respected for their devotion to truth and honesty. They are surprised that this is sometimes taken as tactlessness or worse. After all, if I know you to be in error, surely it’s my duty to correct you? Surely the Truth is more important then pretending to like your ghastly shirt?“ (Zeidenitz, 1993, S. 10) • „If they don’t like something, expect to be told so in no uncertain terms. Sparing other people’s fee­ lings is quite unnecessary since feelings are a private matter and have no business in public. ... Ger­ mans expect you to state your wishes clearly and directly... The Germans say what they mean and mean what they say.“ (Zeidenitz, 1993, S. 25) • „A distinct difference between English and German social life is the absence of petty hypocrisy. It is not good form to pretend to like someone for the sake of making a sale or gaining an advantage.“ (Zeidenitz, 1993, S. 28) Zeile: • „Ihre Ehrlichkeit fällt auf. Die meisten interpretieren sie jedoch als Mangel an Einfühlungsvermögen , als Rücksichtslosigkeit, als Mangel an ‘savoir vivre’.“ (Zeile, 1991, S. 10)

Konfliktkonfrontation: Friday: • Eine Bespechung „can become quite heated“ (Friday, 1989, S. 436) • „The German Besprechung is argumentationbased on the assumption that there is some logically and philosophically attainable truth.“ (Friday, 1989, S. 438) Giardina: • „Bei uns ist Spionieren eine Schande.... Für Deutsche aber ist Spionieren eine gesellschaftliche Pflicht.“ (Giardina, 1998, S. 207) - Gemeint ist damit das Anzeigen von anderen, die gegen Regeln verstoßen (z.B. im Straßenverkehr, beim Finanzamt). Glunk: • „Die Deutschen - im Urteil der anderen - haben zwar eine starke, innovative Wirtschaft und damit notwendigerweise große Bedeutung in der Welt, die sie auch sozial engagiert einsetzen. Wie sie je­ doch draußen auftreten, wird schon weit weniger positiv empfunden. Mit anderen Worten: Trotz ihrer guten Leistungen schaden sie ihrem Ansehen am Ende durch schlechte Selbstdarstellung. Das wird auch im Notenunterschied zwischen Charakter und Leistung der Deutschen klar.“ (Glunk, 1996, S. 60) • „Bei den Eigenschaften ... ‘intolerant’ ... ist man sich ... ziemlich einig.“ (Glunk, 1996, S. 63) • Die Deutschen sind „eingebildet“ (Glunk, 1996, S. 64). • „In schöner Selbstkritik verbindet jeder zweite Deutsche mit der Bezeichnung ‘typisch deutsch’ eher Schlechtes.“ (Glunk, 1996, S. 64) Grusa: • „Der Deutsche wird bei uns am häufigsten als ... stur charakterisiert. Und lassen Sie sich nicht irrefuh­ ren, wenn man es gefälliger formulieren oder umschreiben will, indem man ....zielbewusst sagt.“

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(Grusa, 1999, S. 16) Hill: • Tauchen Probleme auf, gehen Deutsche „Straight to the heart of the problem.“ (Hill, 1994, S. 39) JPB: • „Schuldige werden zur Verantwortung gezogen“. Man geht „auf Fehlersuche.. Dieser wird dann möglichst so bereinigt, dass er für die Zukunft ausgeschlossen ist.“ (JPB, 1996, S. 255) Kani: • „Sie können sehr schlecht nachgeben. Schon bei normalen Unterhaltungen daheim oder mit Freunden diskutieren sie sehr gern. Jeder möchte recht haben, den anderen überreden, ihn übertönen.“ (Kani, 1994, S.170) • „Ja, die Deutschen sind sehr logisch und haben auch vor Logik, Vernunft, Ordnung und Rationalis­ mus Respekt. Wenn sie untereinander über irgendetwas streiten, diskutieren sie ernsthaft und lange. Wer den logischen Beweis geführt und die anderen damit überzeugt hat, hat recht, und die anderen respektieren dieses Resultat und handeln danach.“ (Kani, 1994, S. 172) Kura: • „In Deutschland diskutiert man gern, und man will sich durchsetzen...... den Deutschen fehlt oft die Fähigkeit zum Zuhören...“ (Kura, 1993) Lee: Deutsche liefern sich schonungslose, intellektuelle Wortgefechte. (Lee, 1993) Mole: • Sind an einer Planung mehrere Personen beteiligt, „sind ständige Diskussion und vollständiger Kon­ sens erforderlich. Jeder mit Fachwissen und Kenntnissen wird um eine fundierte Meinung gebeten und ernsthaft angehört.(Mole, 1992, S. 45) • „Man zögert nicht, Jemandem zu sagen, dass er oder sie gegen akzeptable Verhaltensnormen ver­ stößt.“ (Mole, 1992, S. 52) • Das Verhalten aller anderen zu kontrollieren wird nicht als beleidigend angesehen, sondern als soziale Pflicht.“ (Mole, 1992, S. 52). Moosmüller • Er berichtet über Situationen, in denen Deutsche „sich einmischen“ und andere Personen zugunsten eines, in ihren Augen höherstehenden Ziels (z.B. wie Umweltschutz), zurechtweisen. Dabei fällt es Deutschen ganz offensichtlich schwer, „Haltungen, Meinungen und Verhaltensweisen zu respektie­ ren, die von ihren Gewohnheiten abweichen, oder gegen ihre Prinzipien verstoßen.“ (Moosmüller, 1997, S. 167) Rücksichtnahme und Zurückhaltung stehen dann hintan. Mühlberger: • Schon aus der K&K-Zeit rühren folgende Zuschreibungen für die in Böhmen lebenden Deutschen: Starrheit, Unnachgiebigkeit, selbstbewusste Rechthaberei, schulmeisterlich pedantisch (Mühlberger, 1973, S. 226): Nees: • „This sense of right and wrong is often expressed openly and emotionally by Germans, especially when they think someone has done something wrong. This can seem overly judgmental or rude at ti­ mes...“ (Nees, 2000, S. 39) • „Direct attacks on the content of a person’s communication are common, but attacks on the person are avoided by keeping the discussion impersonal and objective.“ (Nees, 2000, S. 63) • „Ask a German a question to which he or she has a yes or no answer, and you will get a direct yes or no response.... You asked a direct question and he or she is giving you a direct, clear answer, with no harm intended.“ (Nees, 2000, S. 74) • „Direct contradictions are a third verbal tool Germans don’t shy away from.“ (Nees, 2000, S. 74) • „...people were socially obligated to get to the truth, but necessarily to save face.“ (Nees, 2000, S. 77) • „.. critical questions... signaled interest, not rejection.“ (Nees, 2000, S. 77) • „From the German perspective, having a good - even if somewhat confrontational - discussion allows the conversationalists to get to know one another better as well as helping them understand the world a little more. People who rarely express a clear point of view are viewed negatively as glatt (slippery), or ‘lacking format’.“ (Nees, 2000, S. 81) • „Criticism has a long intellectual pedigree in Germany and is often viewed as something both useful

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and necessary for the smooth functioning of a business or society.“ (Nees, 2000, S. 85) Noelle-Neumann e.a.: • Deutsche haben mehrheitlich nicht die Einstellung von „Der Klügere gibt nach“, sondern sind der Ansicht, dass „man ... auf seiner Meinung bestehen .“ (Noelle-Neumann e.a., 1997, S. 90) Nuss: • Eng damit verbunden ist die Gründlichkeit: Man stößt bis zum Grund des Problems vor und will es methodisch und vollständig lösen. Das kann quälerisch sein. (Nuss, 1992) • Bei Problemen zeigen Deutsche Beharrlichkeit, eine systematische Erforschung aller Eventualitäten und eine hartnäckige Überprüfung aller Möglichkeiten. (Nuss, 1992) • Ihre Prinzipien können Deutsche zur Prinzipienreiterei verleiten. Das macht sie unbeliebt, aber das ist ihnen dann egal, wenn sie gerade um das Prinzip kämpfen. (Nuss, 1992) Oguro: • Bei einem Streit geht es ums Rechthaben, um die Objektivität, um die Wahrheit. Wenn sich hier je­ mand zurückhält und ihm daraus Nachteile erwachsen, dann ist er selbst schuld. (Oguro, 1984) Schons: • Er schreibt im Kapitel „streitlustige Deutsche“: „Wenn Sie schon einmal die Bekanntschaft von Deut­ schen in Deutschland gemacht haben, dann haben Sie wahrscheinlich bemerkt, dass sie Ihnen sofort erklären wollen, wie man eine Sache richtig macht, und sie scheinen über jeden ihrer Standpunkte ar­ gumentieren zu wollen.“ (Schons, 1990, S. 41) • „Also, warum streiten die Deutschen so viel? Die Antwort ist ganz einfach: um zu lernen. Von klein auf lernen die deutschen Kinder zu Hause und in der Schule alles, was sie hören und lesen, kritisch zu betrachten, und Dinge nicht einfach blind hinzunehmen. Während amerikanische Kinder lernen, eine Meinung zu haben, lernen deutsche Kinder, zu analysieren und Ideen in Frage zu stellen, und sie müs­ sen den Grund für ihre Meinung erklären und rechtfertigen können (zweifellos hat die Nazi-Zeit mit ihren nicht ausreichenden kritischen Auseinandersetzungen von Ideen und Ereignissen noch dazu bei­ getragen, dass der moderne Deutsche es für nötig hält, gründlich zu untersuchen). Daraus entsteht die Eigenart in der deutschen Kultur, dass man dazu neigt, alles in einer Unterhaltung auseinanderzulegen und Dinge zu kritisieren, die nicht ganz richtig zu sein scheinen. Durch eine gegenseitige Analyse von Ideen und Argumenten lernen aber am Ende beide Seiten voneinander.... Da daran gewöhnt sind, mögen sie diese Wortwechsel gut leiden ...“ (Schons, 1990, S. 43f) • Wenn Deutsche jemanden auf Regelverstöße aufmerksam machen haben „sie keine Absicht, so belei­ digend zu sein, wie es den Amerikanern erscheint. Sie sind auch gar nicht angriffslustig.“ Es gilt eben nur: „Regeln sind Regeln“ (Schons, 1990, S. 46f) Stephan: • „... dass man sich um jemanden kümmert, indem man ihn kritisiert, und dass dieses Kümmern Freude macht - das ist ein Gedanke, den man festhalten sollte....“ (Stephan, 1995, S. 132) • „Kritisieren Sie Menschen, an denen Ihnen Hegt - der Form nach freundlich, der Sache nach korrekt. Kritik, die höfliche Sorte, will den anderen nicht vernichten, sondern ihm signalisieren, dass man nur das Beste von ihm erwartet. Wer alles kritiklos hinnimmt, betrügt den anderen um die Chance, sein Optimum zu geben.“ (Stephan, 1995, S. 151) - Das steht unter „ABC der Umgangsformen“.

Stabile Selbstsicherheit: Giardina: • „In Deutschland bildet sich man etwas darauf ein, ordentlicher, zuverlässiger, fleißiger, fortschrittli­ cher und ehrlicher zu sein als die Nachbarn. Man hat dort so etwas wie einen KlassenprimusKomplex. Einigen Umfragen zufolge halten sich knapp 80 Prozent für die Besten der Besten. Und sie belügen sich damit selbst...“ (Giardina, 1998, S. 10) • „Sie sind unorganisiert, chaotisch, ungenau, bequem und verschwenderisch, gerissen und laut, ge­ schwätzig, eitel und unzuverlässig.“ (Giardina, 1998, S. 12) • „Nicht einmal die Deutschen sind vollkommen, und deshalb kann man sie auch gerne haben... Wenn sie das Gefühl haben, dass man sie versteht und akzeptiert, werden die Deutschen zu wunderbaren Partnern...“ (Giardina, 1998, S. 11)

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• „Die Deutschen wollen geliebt werden. Kein anders Volk kümmert sich mit solcher Besessenheit um die Frage, was man im Ausland von ihm denkt.“ (Giardina, 1998, S. 1 If) „ie ‘arroganten’ Deut­ schen, die krampfhaft und masochistisch nach der Bestätigung des Urteils über den hässlichen Deut­ schen suchen und dabei nichts anderes tun, als die Ansichten von Europäern, Amerikanern oder Japa­ nern wiederzugeben; fällt das Urteil positiv aus, wundern sie sich darüber. Wie bitte? Sie urteilen nicht schlecht über uns? Wie kommt das?“ (Giardina, 1998, S. 20) • „Die Deutschen sind auf Komplimente aus, aber sie trauen nur jemandem, der über sie schimpft...“ (Giardina, 1998, S. 250) Goth: • „Als merkwürdig empfinden sie < ausländische Gäste > auch, dass es trotz des allgemeinen Wohlstands so oft Unzufriedenheit gibt.“ (Goth, 1977, S. 13) • „Ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein ... wird mehrfach konstatiert.“ (Goth, 1977, S. 15) • „Unter den deutschen Eigenschaften ist mir aufgefallen eine seltsame... Mischung von Stolz und De­ mut, gutem Gewissen und Schuldgefühl, Selbstvertrauen und Angst vor Auslands-Urteil“. (Goth, 1977, S. 15) Grusa: • „Der Deutsche wird bei uns am häufigsten als hochnäsig.... charakterisiert. Und lassen Sie sich nicht irreführen, wenn man es gefälliger formulieren oder umschreiben will, indem man stolz... sagt.“ (Gru­ sa, 1999, S. 16) Höhne: • Der deutsche Expatriate hat eine rhetorische Dominanz aufgrund des Muttersprachengebrauchs. (Höhne, 1997, S. 107). Hoffmann: • „Unsere Volkskrankheiten sind Überheblichkeit, Rechthaberei, Selbstüberschätzung und Egozentrik“ (Hoffmann, 1989, S. 310) Mole: • „Sie sind zu Recht stolz auf die deutschen Fähigkeiten und Errungenschaften - einige selbstkritische deutsche Kommentatoren haben gemeint, zu stolz, wenn nicht an der Grenze zur Arroganz, dann si­ cher zur Selbstgefälligkeit. Ein Neuankömmling wird bald auf die feste Überzeugung treffen, dass deutsche Produkte, deutsches Management und die deutsche Handlungsweise am besten sind.“ (Mole, 1992, S.39) Moosmüller: • „Die Deutschen glauben, dass sie die fähigsten Leute in der Welt sind, aber das ist nicht in allem so, sie haben auch Schwächen.“(Moosmüller, 1997, S. 175) • Japanische Mitarbeiter halten „die Deutschen für ignorant und respektlos“. Kommen sie mit falschen Konzepten, werden diese nie korrigiert (Moosmüller, 1997, S. 176) „‘Unflexibel’ und ‘Beharren auf einer Meinung’ sind die häufigsten Charakterisierungen der Deutschen.“ (Moosmüller, 1997, S. 176) Nees: • „Displaying one’s knowledge while talking is also associated with being educated and thus brings with it not only respect but also status. This is one reason Germans like to appear knowledgeable; it is a way for them to gain credibility and social status.“ (Nees, 2000, S. 55) • „In business situations ... Germans try to appear calm, firm, and in control, a manner they sometimes refer to as bestimmt auftreten“ (Nees, 2000, S. 147) • „For many Germans the war is a source of profound guilt, and they often find it hard to be patriotic or to develop a positive national identity.“ (Nees, 2000, S. 167f) Nishina: • „Verwundert hat mich am meisten, wie diese Studenten ihre Meinung ohne Hemmung äußern können und keine Angst davor haben, sich selbst zu präsentieren.“ (Nishina, 1991, S. 13) Noelle-Neumann: • „An international survey ... again showed the Germans lagging behind all the other major countries in national pride.“ (Noelle-Neumann, 1987, S. 68) • „Das Auffallendste war die Antwort: Teh weiß keine guten Eigenschaften der Deutschen.’“ (NoelleNeumann e.a., 1997, S. 486) • Beim Assoziationstest zu Deutschland wurden an erster Stelle genannt: „Industrie“ und „Leistung“.

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(Noelle-Neumann e.a., 1997, S. 493). • „Die Deutschen betrachten sich als Angeber.“ (Noelle-Neumann e.a., 1993, S. 513) Nuss: • Deutsche können halsstarrig und keinem Argument zugänglich sein, wenn sie sich im Recht glauben. Dann geben sie keinen Finger breit nach. (Nuss, 1992) • Prinzipien stehen über allem und ihnen ist man treu. An sie fühlt man sich gebunden und damit blei­ ben Selbstzweifel und Gewissensqualen erspart. (Nuss, 1992) Rich: • „Der größte Teil der Deutschen heute war entweder im Krieg noch nicht geboren, oder er war zu jung, um viel damit zu tun gehabt zu haben. Viele leiden unter Schuldgefühlen oder unter dem Gefühl, dass Deutschland etwas Schreckliches darstellt, und kämpfen, um dieses Gefühl loszuwerden. Oft erschei­ nen sie bitter oder sogar aggressiv. Es scheint mir, dass keiner richtig stolz auf sein Land sein kann, ohne sich erst dafür entschuldigen zu müssen oder erklären zu müssen, warum.“ (Rich, 1991, S. 141) Sana: • „Das Deutschland, in das ich 1956 kam, war die Mischung eines Volkes, das die Niederlage des Dritten Reiches seelisch noch nicht überwunden hatte, andererseits aber schon mit Stolz auf den wirt­ schaftlichen Wiederaufbau hinwies. Ein innerlich gespaltenes Volk, mit Schuld- und Schamgefühlen über die Vergangenheit beladen und gleichzeitig von dem tiefen Bedürfnis beherrscht, sich und den anderen mit neuen Leistungen zu beweisen, dass es doch ein wertvolles Volk sei.“ (Sana, 1986, S. 13) • „Solch ein Ausgangspunkt konnte die Schatten der Vergangenheit, das Unheilvolle, das in ihm lag zwar überdecken, aber nicht überwinden, ‘aufheben’. Auf diese Art konnte eine neue Fassade entste­ hen, sogar äußerlich glänzend, aber ohne festen Grund.“ (Sana, 1986, S. 14) • Die Deutschen waren „unbescheiden genug..., mit ihren Leistungen ziemlich ostentativ zu protzen.“ (Sana, 1986, S. 32) • „Die Deutschen haben im Laufe ihrer Geschichte so ziemlich alles gelernt und mit ihren beachtlichen Leistungen die Welt oft in Erstaunen versetzt, aber glücklich zu sein, haben sie bisher nicht geschafft, auch und gerade die Nachkriegsdeutschen nicht. Sie werden von vielen Völkern auf Grund ihrer Er­ rungenschaften, ihres Lebensstandards und ihrer politischen und wirtschaftlichen Stabilität beneidet und bewundert, und die Deutschen selbst weisen nicht selten auf diese Tatsachen hin, aber sie sind in der Tiefe ihrer Seele sehr unzufrieden mit ihrem Dasein und mit der Welt.“ (Sana, 1994, S. 175) • „Sie haben sich über vierzig Jahre lang im ganzen still verhalten, mit erstaunlicher Disziplin das Los eines besiegten und geteilten Volkes hingenommen. Und was sie als Volk getan haben, haben sie auch als einzelne getan: sich den Umständen gefügt. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass sie glücklich sind, weder als Kollektiv noch als Individuen. Sie sind im Gegenteil tief unglücklich, auch wenn diese innere Gemütsverfassung sie nicht daran hindert, tüchtig zu arbeiten, Reichtum zu akku­ mulieren, sich zu amüsieren und gute Miene zum bösen Spiel zu machen.“ (Sana, 1994, S. 178). Sauzay: • „Wir suchen nach Leuten, die ein wenig plump ... und ungeheuer selbstbewusst sind, dabei im Über­ fluss leben. Statt dessen finden wir Leute von reizbarer Empfindlichkeit, die sorgenvoll in die Zukunft blicken. ... Das Bild der achtziger Jahre zeichnet sich keineswegs durch ein Übermaß an Arroganz, sondern vor allem an Pessimismus aus.“ (Sauzay, 1986, S. 93 f) Schmitz e.a.: • Lernbereit, kritikannahmefähig und anpassungsfähig sind Deutsche nicht. Sie werden zu einem hohen Prozentsatz für arrogante Besserwisser gehalten, indem sie z.B. ihre Konzepte den Tschechen über­ stülpen. (Schmitz e.a., 1996, S. 9) • Nur 14% sprechen überwiegend tschechisch. (Schmitz e.a., 1996, S.9) Die mangelnde Bereitschaft, tschechisch zu lernen, wird sehr negativ bewertet. • Mehrere Informanden gaben an, inzwischen herzliche Beziehungen zu ihren tschechischen Kollegen geknüpft zu haben. „Dabei seien sie besonders froh über die Tatsache, dass von einer negativen histo­ rischen Vorbelastung des deutsch-tschechischen Verhältnisses im direkten Umgang miteinander nichts zu spüren sei.“ (Schmitz e.a., 1996, S.l 1) Wagner: • Es war „mir und vielen anderen Angehörigen meiner Generation durchaus angenehm, dass es dieses Großdeutschland nicht mehr gab. So konnte ich behaupten, ich hätte mit dem Deutschland der Kon-

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zentrationslager und der Judenvemichtung nichts zu tun. Die Bundesrepublik, in der ich aufgewach­ sen bin, war nicht Deutschland, sondern eben nur Westdeutschland.... Ihre Politiker waren ohne impe­ riale Ambitionen, konnten sie sich gar nicht leisten... waren Bürger, Repräsentanten eines bescheide­ nen Landes, das redlich mit seinen Problemen rang. Es war eine Republik der Antihelden. Das machte sie mir und wahrscheinlich den meisten aus meiner Generation sympathisch.“ (Wagner, 1996, S.79) • „Die intensive Beschäftigung mit der Geschichte Nazideutschlands führte viele aus meiner Generati­ on in die Konfrontation mit der Eltemgeneration. ‘Trau keinem über 30’ war die passende Parole, denn die damals Dreißigjährigen hatten alle irgendwie mitgemacht, wenn vielleicht auch nur als Flak­ helfer.“ (Wagner, 1996, S. 78) Zalamea: • „Die schlimmste Erfahrung, die ich in Deutschland hatte, waren die Deutschen, die schlecht von sich selbst sprachen. Sie versuchten, mir klarzumachen, dass in Wirklichkeit nichts von dem Schönen, was ich erlebt hatte, normal sei. Niemand hat mir jemals so viel Schlechtes von Deutschland erzählt, wie die Deutschen selbst.“ (Zalamea, 1991, S. 134) Zeidenitz: • „..the Germans seem unassailable. But behind the facade is a nation distictly uncertain about where it is, where it is going, even how it got there.“ (Zeidenitz, 1993, S. 5) • „The Germans themselves are ... fearful of any foreign country getting a bad impression of the Ger­ mans.“ (Zeidenitz, 1993, S. 5) • „If experience has taught them one thing, it is that there is no future outside the community of nations. No other nation has a stronger sense of importance of getting along with others. Tolerance is not only a virtue, it’s a duty.“ (Zeidenitz, 1993, S. 7) • „They are thought of as efficient, self-obsessed, arrogant und domineering“ (Zeidenitz, 1993, S. 9)

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5.2.

Diskussion der Methode

Da in der vorliegenden Arbeit mit einem Multimethodenansatz bzw. einer Methoden-Triangulation geforscht wurde, gilt es nun die verwendeten Methoden im ein­ zelnen kritisch zu prüfen sowie die Methodentriangulation insgesamt zu bewerten.

5.2.1.

Die narrativen Interviews

Critical incident technique: Die Verwendung dieser bewährten Technik als empirischem Zugang zu kulturel­ len Orientierungen erwies sich erneut als praktisch und praktikabel. Es konnten sogar unerwartet reichhaltige Daten erhoben werden. Theoretical sampling:

Die Auswahl der Interviewpartner nach diesem Prinzip ist für die Erstellung von Typologien vollkommen ausreichend. Das Ziel der Untersuchung bestimmt näm­ lich über die Stichprobenauswahl. Triandis propagiert „emic approaches ... when the researcher knows relatively little about the culture, and when the interest is in getting a holistic picture that consists of many interrelated elements. Data collecti­ ons tends to be maximally appropriate.“ (Triandis, 1983, S. 113)

Dass eine Reihe der zentralen „features“ erfasst werden konnten, zeigt die Tatsa­ che, dass sich viele der berichteten kritischen Interaktionssituationen in den ver­ schiedenen Interviews wiederholen oder zumindest thematisch deutlich ähneln. Narrative Interviews:

Diese Interviews gaben durch ihre Offenheit prinzipiell einen geeigneten Rahmen ab, um die Critical-incident-technique so gewinnbringend einsetzen zu können, da sie als Interviewpartner den Fortgang des fast alltäglich anmutenden Gesprächs selbst in der Hand hatten. Dennoch stellt sich die Notwendigkeit, die Methode einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Zum einen war zu Beginn der Studie nicht abzusehen, wie sich vorhandene Kul-

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turunterschiede in der Interviewsituation selbst, die ja ihrerseits eine interkultu­ relle Überschneidungssituation ist, auswirken würden, da die Kulturunterschiede ja nicht bekannt waren. Zum anderen bringt die verwendete Methode prinzipielle und nicht vermeidbare Probleme und Quellen für Verzerrungen mit sich. Die Schwierigkeit der Methode des Interviews liegt nämlich darin, dass eine Gradwanderung erforderlich ist zwi­ schen dem Aufrechterhalten des Rapports einerseits und dem Anspruch der Ob­ jektivität, also der Vermeidung der Einflussnahme auf den Interviewten, anderer­ seits. Das Ziel von Interviews ist es, ’’authentische”, unverfälschte und wahre In­ formationen zu bekommen (Pareek & Rao, 1980). Es soll keine Verstärkung der Antworttendenzen und keine Suggestion erfolgen, aber es sollte ein der Alltagssi­ tuation verwandter Kontakt zwischen den Interaktionspartnem Interviewer und Interviewter das Gespräch nicht abreißen lassen. Das ’’Instrument" Interviewer birgt daher eine Gefährdung der Zuverlässigkeit in sich (Scholl, 1993), weil er/sie "während des Interviews mit dem Respondenten eine soziale Zweiergruppe bildet" (Erbslöh & Wiendieck, 1974) und beide sich wechselseitig beeinflussen. Es be­ steht Grund zur Annahme, dass das Interviewergebnis das unmittelbare und ge­ meinsame Produkt von Interviewer- und Befragtenverhalten ist (Erbslöh & Wien­ dieck, 1974). Die Persönlichkeit und das Verhalten des Interviewers sowie die In­ teraktion zwischen Befragtem und Befrager haben weitreichende Konsequenzen: die Motivation kann gesteigert werden, Hemmungen können überwunden werden, die Ausfallquote kann gering gehalten werden, man kann relativ gültige und ge­ naue Aussagen erhalten - das sind mögliche Vorteile, aber - und das sind mögliche Nachteile - die Erhebungsbedingungen variieren, die Ergebnisse sind eventuell schlecht vergleichbar, die Kommunikation kann gehemmt oder verzerrt werden (Anger, 1969). Und die bekannten Validitätsgefährdungen (Anger, 1969; Breiten­ bach, 1974; Erbslöh & Wiendieck, 1974; Hopf, 1970, 1978; Pareek & Rao, 1980; Scholl, 1993; Ulich, 1994) fallen leider umso mehr ins Gewicht, je offener und unstrukturierter die Form der Befragung und je „weicher“ die Befragungstechnik ist (Anger, 1969). Hinzu kommt die Besonderheit, dass bei dieser Untersuchung die Interviewerin in mehr als der Hälfte aller Fälle einer anderen Kultur angehörte als ihre Gesprächspartner. Offensichtliche Merkmale des Interviewers sind beson­ ders dann von Einfluss, wenn eine Beziehung zwischen dem Inhalt der Fragen und den entsprechenden Merkmalen der Interviewer besteht (Erbslöh & Wien­ dieck, 1974), wenn also z. B. - wie hier geschehen - eine Deutsche Fragen stellt zu deutsch-tschechischen Beobachtungen. Der Tatsache des kulturellen Hintergrunds der Interaktionspartner in interkulturellen Untersuchungen räumen Pareek & Rao (1980) eine bedeutende Position ein.

Was bedeutete das hinsichtlich der deutschen Interviewpartner? Ähnliche Gruppenzugehörigkeit als offensichtliches Merkmal des Interviewers 288

fördert den Rapport, was sowohl optimale Antwortbereitschaft begünstigen (Erbslöh & Wiendieck, 1974) wie auch verfälschend als ’’Überkontakt” wirken kann in Form ausgesprochener Sympathiebeziehungen (Anger, 1969). Demnach wären also in den Interviews mit den Deutschen als positiver Effekt viele und in­ haltlich wesentliche Aussagen zu erwarten gewesen, als negativer Effekt Aussagen im Sinne der sozialen Erwünschtheit. Der positive Effekt mag auch zutreffen: Das Material ist durchaus als gehaltvoller, einsichtsgewährender Fundus zu betrachten. Gleichzeitig finden sich Hinweise auf Tendenzen der sozialen Erwünschtheit in dem Sinne, dass kein Interviewpartner, auch wenn er von großen Enttäuschungen berichtete, sich über die Tschechen wirklich ab wertend äußerte, sondern sich sehr reflektiert und lediglich irritiert zeigte. Man zeigte somit die vermutete „er­ wünschte“ Einstellung. Das ist freilich methodisch unproblematisch (Scholl, 1994). Zudem fanden sämtliche Interviews am Arbeitsplatz des/der Interviewten statt, was wegen der Nähe zu den Interviewinhalten aufgrund des gleichen Settings Verzerrungen entgegenwirkt. Diese Dinge sind bekannt und auch diese Untersuchung kann summa summarum der Methode „Narratives Interview mit Deutschen“ keine neuen Erkenntnisse hinzufögen.

Wie gestaltete sich die Interview-Problematik mit den Tschechen? Auch alle Tschechen redeten im Interview lange. Doch wie viel sie sagten, unter­ lag beträchtlichen Schwankungen. Ihre Art, mit einer Interviewsituation umzuge­ hen, erschwerte die Datenerhebung und erfüllte diverse, in der Literatur diskutier­ ten Bedingungen für Antworttendenzen (Scholl, 1993; Huber & Mandel, 1994). Daher war auch, wie im Methodenteil dargelegt, eine Adaptation des Verfahrens „narratives Interview“ vorzunehmen.

Die entscheidende Frage hieß: Ist ein Rapport zwischen der Interviewerin und dem Interviewpartner herzustellen? Denn die Tatsache, kein Gruppenmitglied zu sein (Deutsche, persönlich nicht bekannt, Kanäle der Vermittlung nicht besonders vertraut, Altersunterschied usw.), hatte bedeutsame Auswirkungen:

• Viele Interviewpartner erschienen zu Beginn des Interviews sehr unsicher über Ziel und Zweck des Unterfangens und ich musste nochmals eingehend meine Absichten mit der Untersuchung und meinen Kontext in Tschechien erläutern. Die Glaubwürdigkeit, die ich während des Interviews aufbauen konnte, schien mir von Person zu Person zu schwanken. Bei manchen war eine Vertrauensba­ sis herzustellen, die sie „auftauen“ und einer Fremden etwas anvertrauen ließ. Und das Interview wurde zunehmend offener und ergiebiger. Bei manchem 289

Partner wirkte der „Auftraggebereffekt“ massiv und ich hatte das Gefühl, dass die Skepsis bis zum Schluss überwog und man sich bewusst bedeckt hielt, d.h. sicher keine kritischen Ereignisse erzählte, die sich auf den deutschen Chef be­ zogen hätten oder gravierende Probleme zum Inhalt gehabt hätten. (War ich ei­ ne Spionin der Deutschen, die etwaigen deutschen Chefs oder Eigentümern Be­ richt erstattet?) - Mein Ansinnen, das Interview auch noch aufzeichnen zu wol­ len, wirkte für einen Zweifler sicherlich zusätzlich verunsichernd. • Am ergiebigsten waren die Interviews mit Bekannten von meinen tschechischen Bekannten. Ihnen erschien ich offensichtlich wenig verdächtig. Mancher, so wurde mir im Anschluss an das Interview oder später erzählt, hatte sich erkun­ digt, was er mir denn sagen solle. Wenn die Antwort dann hieß: „Die Wahrheit. Alles. Genauso, wie es ist. Die will das so - wirklich!“ dann waren die Inter­ views eine Fundgrube. • Junge Leute, die zum Teil in Deutschland gelebt hatten (zum Studium, zur Ar­ beit, als Au-pair), waren generell offener und für das Interview gut vorbereitet. Die Reaktivität und der Widerstand äußerten sich vor allem in verschiedenen Va­ rianten von Ich-weiß-nicht-Antworten („Ich sehe keine Unterschiede“, „Mir fiel nichts auf4, „Wir kooperieren gut“, „Wir machen das genauso wie die Deutschen“, etc.) in unangemessenen oder ausweichenden, themaverfehlenden Erzählungen und in zwei Fällen in Diskriminierung der Deutschen. Eine Schlüsselfrage bezog sich auch (wie in 3.1.4. dargestellt) auf das Setting'. Denn ein Kriterium für ein „angenehmes“ Interview hieß mit Tschechen: mög­ lichst informell. Das Setting hatte einen spürbaren Einfluss auf die Auskunftsfreu­ digkeit. Damit war es allerdings ein paar Mal nicht möglich, die Interviews aufzu­ zeichnen.

Der Interviewverlauf war (bei bestehendem Rapport) öfters als mit Deutschen spontan, d.h. weniger an den Aktualisierungshilfen orientiert (die die Deutschen sicherheitshalber zum Schluss noch durchgehen wollten). Er war im besten Sinn des Wortes „narrativ“: Die Informanden erzählten und ich folgte ihnen. Damit konnten im Sinne der Intention des öfteren Punkte gestreift werden, die niemals erfragt worden wären.

Sprachschwierigkeiten gab es auf einer rein instrumentellen Ebene nicht. Das Deutsch, einmal auch Englisch, meiner Informanden war hervorragend. In welcher Richtung allerdings Verzerrungen bei Benutzung der Heimat- bzw. der Gastland­ sprache zu erwarten sind, darüber gibt es keine Befunde. Der Einfluss der Tatsa­ che, nicht in der Muttersprache sprechen zu können, kann nicht kontrolliert wer­ den (Breitenbach, 1983). Die Muttersprache schafft einen anderen Kontext als die Fremdsprache. Vermutlich nimmt man in ihr stärker auf die eigenkulturellen Ori­ entierungen Bezug. - Dieses Faktum nannten denn auch tschechische Auskunfts­ 290

personen, mit denen ich die Ursachen für die unterschiedlichen Erträge bei Deut­ schen und Tschechen eruieren wollte.

Wie ist das nun zu bewerten? Wenn Tschechen für die Herstellung des Rapports andere Elemente bzw. diesel­ ben Elemente in größerem Ausmaß brauchen als Deutsche (z.B. Sicherheit über Machtverhältnisse, Aufbau einer persönlichen Beziehung zum Interviewer im Vorfeld und während des Interviews, informelleres Setting, zeitliche Freiheit), dann stellt sich die Frage, ob (a) das als „Störeinfluss“ und „Validitätsgefährdung“ zu betrachten ist oder (b) als Herausforderung, die gerade zugunsten der Objekti­ vität (Forschungsinteresse!) und der internen Validität bewältigt werden will. Ich entschied mich für die zweite Deutung. Denn in einem Setting, obwohl es mit Deutschen hervorragend funktioniert, zu verharren, kann für Tschechen der „Stör­ einfluss“ sein, der sie gerade daran hindert, relevante, wahrheitsgemäße, authenti­ sche Aussagen zu machen. Solche Aussagen sind aber das Ziel der Untersuchung, nicht die Befriedigung methodischer (deutscher) Standards, wie z. B. keine Varia­ tion der Erhebungsbedingungen. Die Standards sind somit unter der Maßgabe der Zielsetzung der Forschung zu prüfen: Es ging um eine summative Sammlung Kri­ tischer Ereignisse und fremdkultureller Attributionen. Und aus diesem Grund war die vorgenommene Adaptation der Interview-Methode geboten.

Aus heutiger Sicht, nachdem die Kulturunterschiede bekannt sind und tschechi­ sche Partner mit der Forschungsmethode vertraut sind, würde ich für künftige For­ schungen folgende Empfehlungen aussprechen:

• Die genannten Probleme können reduziert werden, wenn ein Tscheche tschechi­ sche Informanden interviewt. • Um die durch das Rapportproblem verminderte Quantität der Daten auszuglei­ chen, kann es sinnvoll sein, viele Menschen zu befragen. - Diese sind vorzugs­ weise über informelle Netzwerke zu rekrutieren. Eine andere Variante besteht darin, eine (zu spät) „aufgetaute“ Person nochmals zu interviewen, d.h. eine sog. „Nachfaßaktion“ (Scholl, 1994) zu starten, um nach dem Warmwerden im ersten Interview im zweiten mehr Chancen zu ha­ ben, relevante Infos zu erhalten. Der Informand konnte im ersten Interview sei­ ne Vorbehalte prüfen und reduzieren und hat nun nochmals die Möglichkeit zur Vorbereitung. Denn die Ursachen für derartige Antworttendenzen liegen (a) oft in der man­ gelnden Transparenz der Situation (Huber & Mandel, 1994; Scholl 1994), d.h. in diesem Fall in der Unklarheit über die Verwendung der zu erhebenden Daten sowie der Skepsis gegenüber meinen dargelegten Absichten, in der Unbekannt­ heit meiner Person und in der Unbekanntheit des Instruments „Interview“. Im „Befragtenrollenansatz“ der Interviewforschung haben wir damit eine „miss­ 291

trauische Versuchsperson“ vor uns (Scholl, 1994). (b) Mancher Informand war ein „Pseudofreiwilliger“ (Scholl, 1994), der aufgrund der Einhaltung einer Höf­ lichkeitsnorm (gegenüber dem Interviewer) und einem gesellschaftlichen Ver­ pflichtungsgefühl (gegenüber dem, der ihn vermittelt hat) handelte. • Es ist unabdingbar, sich auf die Settingwünsche (informell!) einzulassen.

5.2.2.

Die Erhebung eigenkultureller Attributionen

In der kulturellen Überschneidungssituation sind die Handlungen der Beteiligten deshalb so problematisch, weil beide Seiten verschiedene Attributionen haben, weswegen (Kausalattributionen) man sich wozu (Finalattributionen) wie verhalten sollte. Genau diese Begründungen gilt es jetzt zu erforschen. Und dazu ist es nö­ tig, die eigenkulturellen Erklärungen für das zu erheben, was dem anderen unver­ ständlich, seltsam, auffällig erscheint. Dies geschah dadurch, dass alle Kritischen Ereignisse, die Tschechen an Deutschen auffielen, Deutschen mit der Bitte um Er­ klärung ihres Verhaltens und alle Kritischen Ereignisse, die Deutschen an Tsche­ chen auffielen, Tschechen mit der Bitte um Erklärung ihres Verhaltens gegeben wurden.

„Alle“ meint, dass mit einer Totalerhebung gearbeitet wurde und tatsächlich alle gesammelten Kritischen Ereignisse zunächst Ausgangspunkt dieses Stadiums der Datenerhebung waren. Das verhinderte die mit „bias“ umschriebene Auswirkung der kulturellen Voreingenommenheit, denn es stellte sich heraus, dass manches Ereignis für die weitere Analyse nicht gewählt worden wäre, dessen Bearbeitung aber eine Quelle interessanter Erklärungen war. Ebenfalls sehr aufschlussreich er­ wies sich die Frage, weswegen ein Ereignis typisch oder untypisch sei und die bei Uneindeutigkeit zusätzliche Folgefrage, welche Anteile denn typisch oder unty­ pisch seien und weswegen.

5.2.2.I.

Schriftliche Befragung

Der erste Schritt hieß auf der tschechischen wie auf der deutschen Seite: schriftli­ che Befragung. Im späteren Verlauf der Forschung wurde auf dieses Verfahren dann nochmals zurückgegriffen, wenn das für die Analyse einzelner Kritischer Ereignisse sinnvoll erschien. Der große Vorteil dieses Verfahrens besteht in der Darbietung der Bearbeitungser­ gebnisse in Schriftform, was im weiteren Fortgang der Datenanalyse eine transpa­ rentere und nachprüfbarere Identifizierung von Fehlerquellen erlaubte.

292

Sein Nachteil ist darin zu sehen, dass manchmal qualitativ mindere Resultate Zu­ standekommen, weil die Befragten eine sehr unterschiedliche Motivationslage zeigen.

In Deutschland wurden auf diese Weise (1) alle Kritischen Ereignisse, die Tsche­ chen über Deutsche berichtet hatten, bearbeitet. (2) Etliche wurden sogar mehrfach (bis zu 4 mal) verteilt und analysiert. Damit konnte die Hauptgefahrenquelle der schriftlichen Befragung - es werden nicht immer qualitativ brauchbare Antworten genannt - durch einen Mehrfachdurchlauf der Methode und durch die wechselnden Zielgruppen eliminiert werden. Um den in den Interviews mit den Tschechen zum Teil gespürten Widerstand zu verringern, wurde die schriftliche Befragung von Tschechen durchgefiihrt. Die Bearbeitungsfragen wurden ins Tschechische übersetzt und im Rahmen von diver­ sen Veranstaltungen (für Studenten und sich weiterbildende Berufstätige) an der Wirtschaftsuniversität Prag verteilt. In Tschechien wurden auf diese Art die „besten Geschichten“ bearbeitet, d.h. mein tschechischer Partner nahm eine Vorauswahl vor nach dem Kriterium, welche Kritischen Ereignisse besonders typisch tschechisches Verhalten schilderten. Es war aus praktischen Gründen nötig, den Umfang zu reduzieren, da für diesen Schritt ja sämtliche Kritischen Ereignisse und - im Anschluss an die Bearbeitung die Resultate übersetzt werden mussten.

S.2.2.2.

Gruppendiskussion

Nur mit Deutschen fanden im nächsten Schritt sieben mal Gruppendiskussionen statt. Dazu wurden den Teilnehmern die Kritischen Ereignisse gegeben, die sich im ersten Schritt der schriftlichen Befragung als weiterhin klärungsbedürftig her­ ausgestellt hatten (bislang keine überlappenden Ergebnisse, einzelne Elemente der Geschichte blieben unberücksichtigt, Abgrenzung ähnlich lautender Geschichten, außergewöhnliche Erklärung sollte überprüft werden).

Diese Methode kann als (für Deutsche) sehr geeignet angesehen werden, denn die Befragten regten sich gegenseitig zu detaillierten Äußerungen an, was zu reich­ haltigen Ergebnissen führte. Wenn eine Äußerung nicht auf Anhieb nachzuvoll­ ziehen ist, war es bei dem Verfahren auch möglich zur genaueren Klärung des Gemeinten nachzufragen. Die Rahmenbedingungen, wie Interesse am Thema, Homogenität der Gruppen (MBA-Studenten, Teams von Firmenangehörigen) und umfangreiche Vorbereitung wirkten sich ebenfalls günstig aus.

293

Mit Tschechen schied diese Methode aus rein praktischen Gründen aus, denn Sprachschwierigkeiten erlaubten keine Zusammenstellung solcher Gruppen in aus­ reichender Teilnehmerzahl zu passenden Zeitpunkten. Und die tschechische Seite konnte die Sache (aus mancherlei Gründen) nicht übernehmen.

5.2.23.

Expertenbefragung

Der zweite Schritt auf der tschechischen Seite bestand in einer Expertenbefragung. Diese Befragung erfolgte nur zum Teil schriftlich, zu einem großen Teil - den Tschechen entgegenkommend - auch mündlich.

Das Verfahren hatte den Vorteil, relativ umfangreiches Material sammeln zu kön­ nen, da der Termindruck nicht groß war und nach eigenem Gusto gearbeitet wer­ den konnte - schriftlich, aber auch mündlich. Darüberhinaus ließ das mündliche Verfahren - wie bei der Gruppendiskussion - ein tieferes Nachfragen zu und er­ brachte damit zum Teil sehr detaillierte Ergebnisse. Zudem gestattete es sofort ei­ ne kommunikative Validierung der Expertenaussagen („Habe ich das richtig ver­ standen, dass...?“). Die Expertenbefragung war vor allem deshalb so ergiebig, weil alle Personen Be­ kannte von mir sind, zu denen eine Beziehung besteht und die deshalb für dieses Anliegen leicht angesprochen werden konnten. Sie waren offen und bereit, auf meine Fragen - sogar sehr genau - einzugehen. Sie halfen mir gerne. Die Daten, die ich auf diese Weise erhielt, sind sehr detailliert und differenziert.

Die Kriterien, nach denen bereits analysierte Kritische Ereignisse für dieses Ver­ fahren ausgewählt wurden, sind dieselben wie für die Gruppendiskussion auf deut­ scher Seite (einzelne Elemente der Geschichte blieben unberücksichtigt, Abgren­ zung ähnlich lautender Geschichten, außergewöhnliche Erklärung sollte überprüft werden). Das Gespräch selbst unterliegt wiederum den Interviewbedingungen, wie sie auch für „narrative Interviews“ diskutiert wurden. Ich möchte hier noch einmal betonen, wie wesentlich (kulturadäquat aufgebauter) Rapport ist: Weil wir eine Bezie­ hungsbasis haben, wirkt die Tendenz zur sozialen Erwünschtheit dergestalt, dass Konfliktträchtiges Gegenstand einer ausführlichen Analyse sein kann, auch und gerade in den Aspekten, die schwer nachvollziehbar, aber gerade deshalb wichtig zu erfahren sind! An derartige Informationen ist nur in einem solchen Setting he­ ranzukommen!

294

5.2.2.4.

Selbstbeobachtung

Methodisch wurde in dieser Arbeit versucht, die Interkulturalität des Forschungs­ prozesses selbst zu berücksichtigen und zu reflektieren (Selbstanwendung auf der Reflexionsebene). Denn die enge Zusammenarbeit mit meinem tschechischen Partner erbringt interkulturelle Probleme, die gelöst werden müssen: Als Forscher erleben wir aneinander die Kulturgeprägtheit des Vorgehens, als Trainer die Kulturgeprägtheit des pädagogischen Tuns und als Menschen die Kulturgeprägtheit im Umgang mit Kollegen, Bekannten und Freunden. Etliche Kritische Ereignisse, denen wir uns dabei gegenüber sahen, haben wir als Selbstbeobachtungsdaten verwendet.

Für die Selbstbeobachtung als wissenschaftliche Methode stellt das Dilemma zwi­ schen Identifikation und Distanz ein Problem dar. Mögliche Verzerrungen sind durch die Personalunion Teilnehmer - Forscher nicht auszuschließen, da per Defi­ nition eine Distanz zum Geschehen, d.h. zum zu analysierenden eigenen Erleben fehlt. Es sollte aber ein Bild der sozialen (deutsch-kulturellen bzw. tschechisch­ kulturellen) Wirklichkeit gezeichnet werden, das möglichst wenig von der Sub­ jektivität der Akteure verzerrt ist, sondern in der Lage ist, auf „typisch Deutsches“ oder „typisch Tschechisches“ hinzuweisen. Das Dilemma besteht also für die ei­ gene Person darin, (1) durch die Identifikation bei sich Prozesse zuzulassen, die zur Voraussetzung für die Gewinnung Kritischen Ereignissen werden („Da war wieder etwas...“), und (2) dann die Rolle zu wechseln und als Forscher sich an die Analyse zu machen („Was geschah genau?“), um sich (3) wiederum erneut in sei­ ne kulturelle Identität hineinzubegeben und Erklärungen für das eigene Erleben zu „erfühlen“ („Warum bin ich verwundert, enttäuscht oder verärgert?“) und (4) schließlich mit mehr Distanz diese Erklärungen sich und dem anderen zu explizie­ ren. Dazu kommt bezüglich des Gegenübers, Empathie für den anderen zu zeigen und seine Welt nachzuvollziehen zu versuchen, wenn er sich offenbart oder ge­ stellte Fragen beantwortet (Distanz zu sich und Identifikation mit dem anderen), um dann aber wieder zu sich selbst zu schwenken, damit auch hier der Erlebnisfa­ den als Quelle für die Exploration nicht abreißt. Identifikation und Distanz be­ gleiten somit alle Stufen des Forschungsprozesses. Zuviel Distanz erbringt ober­ flächliche Ergebnisse, zuviel Identifikation reduziert das Wollen oder Können der Mitteilung als Forscher. Die Schwäche der Selbstbeobachtung liegt damit in der Subjektivität: Es ist als betroffene Person manchmal sehr schwierig zu entscheiden, ob eine Reaktion mehr auf individuellen Eigenarten beruht oder tatsächlich sehr „typisch tsche­ chisch“ bzw. recht „typisch deutsch“ ist. Auch wenn es ohnehin so ist, „dass per­ sonenspezifische und kulturelle Verhaltensdeterminanten nicht klar voneinander zu trennen sind. Die Person ist mit ihren psychischen Strukturen und in ihren psy­ 295

chischen Prozessen immer schon kulturell determiniert und zugleich ein Teil der Kultur. Kulturelle Determinanten sind keine vom Individuum getrennte, extemale Verursachungsfaktoren, sondern sind mit seinem Wahmehmen, Denken, Werten und Handeln verwoben.“ (Thomas, 1993, S. 48). Trotzdem ist die Person im Sinne der im Theorieteil vorgestellten Normalverteilung ein um den Erwartungswert os­ zillierendes Individuum.

Zur Validierung ist es daher unabdingbar, dass komplementär danach zu fragen ist, „ob diese Gründe auch einem externen Beobachter als Realgründe, d.h. Ursa­ chen, gelten können.“ (Scheele & Groeben, 1988) Und deshalb wird die Selbstbe­ obachtungsmethode als Ergänzung zu den bislang üblicherweise benutzten Me­ thoden verstanden und umgekehrt. Das entspricht der von Scheele und Groeben genannten Möglichkeit zur extemalen Validierung, in der auf Fremdberichte Be­ zug genommen wird (Validität wird mithilfe von Fremdbeobachtung von offenem Verhalten, das auf diese Ereignisse bezogen ist, festgestellt). Wir entsprachen da­ mit der Forderung Aschenbachs (1984) „...Auskünfte von Handelnden über ihre Sinngehalte... nicht jedenfalls ohne zusätzliche Deutungs-, Rekonstruktions- und Beurteilungsleistungen als Tatsachen für den Aufbau von Theorien oder für die Verteidigung oder Verwerfung der eigenen Behauptungen“ zu benützen. (Aschen­ bach, 1984, S. 331) In der Forschungsstruktur dieser Arbeit wurden die Methoden dabei nicht sequen­ tiell hintereinander geschaltet, sondern durch eine komplementäre Über- und Un­ terordnung miteinander verzahnt. D.h. mancher Incident der Selbstbeobachtung wurde in andere Verfahren eingespeist und mancher fremde Incident ereignete sich in ähnlicher Weise in unserem Leben und Arbeiten und konnte damit aus der Innensicht-Perspektive zusätzlich und detaillierter erklärt werden. (Letztere wur­ den wegen ihrer großen Ähnlichkeit allerdings nicht extra in den Pool unserer Kritischen Ereignisse aufgenommen.)

Freilich ist bei dieser Form der Methodentriangulation die Gefahr der Zirkularität nicht auszuschließen, weil die Forscherin bzw. das Forscherteam (Deutsche und tschechischer Partner) nicht unabhängig vom Wissen, das sie aus anderen Quellen bereits hatten (Gruppendiskussion; schriftliche Befragung, Expertenbefragung), agieren konnten. Generell wurden Kriterien aufgestellt, wann und wie Selbstbeobachtungsdaten in der qualitativen Forschung verwendet werden dürfen (Aschenbach, 1981, 1984; Sommer, 1987, Groeben & Scheele, 1977). Sie konnten alle erfüllt werden:

• Als Mindestkriterium zur Erhebung derartiger Daten gilt „die „Wahrhaftigkeit“ der Betroffenen, d.h. die Synonymität der inneren und der geäußerten Reden über Sinngehalte (Aschenbach, 1984; Sommer, 1987; Groeben & Scheele, 1977). 296

Das ist in dieser Arbeit aufgrund unserer subjektiven Betroffenheit und des ge­ meinsamen Bemühens um erfolgreiches wechselseitiges Verstehen gegeben. • Aschenbach (1981) fordert, eine „Theorie der Befragung“ als methodisches Prinzip zu formulieren. - Eine solche Theorie können wir aufgrund unseres For­ schungs-Designs (Analysefragen) vorweisen. • Die Forderung nach Genauigkeit sieht er dann erfüllt, wenn man „aufgabenund gegenstandsgerecht“ (Aschenbach, 1981) arbeitet, d.h. Bezug nimmt auf individuelle Orientierungen, und wegen der „... ‘Verzahnung von objektivierter Gegebenheit und subjektivem Sinn’ auch keine universellen und vollständigen Standardisierungen“ verlangt (Aschenbach, 1981, S. 293). - Wir waren uns der Subjektivität bewusst und überprüften unsere Erklärungen diverse Kritischer Ereignisse mit anderen Verfahren innerhalb der Methodentriangulation. • Am unproblematischsten erscheinen Aschenbach (1981, 1984) Rede-Hand­ lungszusammenhänge, in denen Handlungen, über die geredet wird, auch von den Dialogpartnem beobachtet wurden - sie erfüllen die Forderung nach Wahr­ haftigkeit am besten. - Genau diese Bedingung ist immer gegeben, weil wir die Kritischen Ereignisse mit- und aneinander erlebt und somit aus beiden Perspek­ tiven beobachtet haben. Die Bedingungen, unter denen wir arbeiten, erleichterten uns die Anwendung des Verfahrens Selbstbeobachtung: • Wir sind sowohl ein Forscher- wie auch ein Trainerteam. Damit ist (1) die Basis unserer Kooperation breiter. Und wir taten uns damit leichter, einem actionreflection-Zyklus (Marsick, 1990; Kasl e.a., 1997; Marsick e.a., 1997) zu fol­ gen, weil es faktisch eine Menge „action“ gab. Außerdem definierten wir uns (2) klar als Forscher, deren Ziel die Reflexion ist (Marsick e.a., 1997). • Nicht nur aus Forschungsinteresse, sondern weithin rein aus Sympathie sind wir darum bemüht, einander offen Ideen mitzuteilen, miteinander Informationen auszutauschen, einander aufmerksam zuzuhören und beieinander auch Unter­ stützung zu suchen. Es herrschen Vertrauen, Wertschätzung und das Gefühl ei­ nes beidseitigen Vorteils. Das sind wesentliche Voraussetzungen, als Team ge­ meinsam zu lernen, d.h. in unserem Fall zu forschen. (Kasl e.a., 1993; 1997) • Den Faktor Zeit konnten wir als „Time-out“ an vielen gemeinsamen (Seminar)Abenden zu relativ entspannten Diskussionen unserer eigenen und auffal­ lend paralleler fremder Kritischer Ereignisse nutzen. Wir standen nicht unter • Handlungsdruck, sondern konnten manches auch erst dann besprechen, wenn die Zeit dafür reif war.(Kasl e.a., 1997; Marsick e.a., 1997). • Es herrscht ein Machtgleichgewicht zwischen uns. (Marsick e.a., 1997) Die Ziele, die mit den Selbstbeobachtungsdaten intendiert waren, konnten tatsäch­ lich erreicht werden: 1 ) Es ist mit Selbstbeobachtungsdaten möglich, für ein- und dasselbe kritische Ereignis die verschiedenen Attributionen an den inkompatiblen Stellen einan297

der kontrastiv gegenüberzustellen. 2 ) Es ist außerdem ein vertiefteres, detaillierteres Erfassen von beiden Attribution(ssystem)en aufgrund der affektiven, motivationalen, intentionalen und ra­ tionalen Nähe zum Geschehen möglich als mit den anderen Verfahren. Die einander mitgeteilte Differenz der Sicht- und Erlebnisweise regt zusätzlich zur wechselseitigen Explikation weiterer Details an, weil zugunsten der Erhaltung einer positiven Beziehungsebene der Wunsch danach, verstanden zu werden und den anderen zu verstehen, machtvoll wirkt.

5.2.2.5.

Abschließende Bewertung der Methodentriangulation

Die Überlegungen, weswegen eine Methodentriangulation für diese Arbeit von Vorteil ist, erwiesen sich als richtig. (1) Die verschiedenen Verfahren stießen tatsächlich auf unterschiedliche Akzeptanz: Auf der tschechischen Seite war die Expertenbefragung das beliebteste und ergie­ bigste Design. Nur auf eine schriftliche Befragung zu setzen, hätte vergleichsweise wenige Ergebnisse erbracht. Auf der deutschen Seite hielten sich schriftliche Be­ fragung und Gruppendiskussion die Waage. (2) Der Vorteil einer Methodentriangulation ist grundsätzlich darin zu sehen, dass Schwächen der einzelnen Erhebungsverfahren (vgl. 3.3.1.) ausgeglichen und Mängel eingeschränkt werden können (Lamnek, 1995a). Das war auch in dieser Untersuchung so, wenn sich beispielsweise manchmal die Ergebnisse der schriftli­ chen Einzelbefragung als recht „dünn“ erwiesen, aber die Gruppendiskussionen dann mehr und reichhaltigere Erklärungen erbrachten oder das Ergebnis, dass die­ ses Kritische Ereignis tatsächlich nicht besonders typisch ist und eliminiert werden sollte.

Dazu kommt, dass verschiedene Personen schlicht verschiedene Präferenzen für das eine oder andere Verfahren haben. (3) Der Verfahrensmix erlaubte die mehrmalige Analyse eines Kritischen Ereignisses und trug damit erheblich zur Qualitätshebung per Summation bei: • Wie in andern, ähnlichen Forschungsarbeiten zur Erhebung von Kulturstandards auch (Thomas & Schenk, 1996), fielen die Erklärungsansätze für die kritischen Interaktionssituationen recht heterogen aus. Dabei widersprachen sich die Er­ klärungen nur in Ausnahmefällen. In den meisten Fällen erhielt ich unter­ schiedliche Blickwinkel und Abstraktionsebenen. Die Heterogenität der Metho­ 298

den und Antworten erwies sich daher tatsächlich als gegenseitige Explikation. Z. B. konnte das Konsensergebnis einer Gruppendiskussion mit einer oder meh­ reren Einzelbefragung(en) erhärtet oder überprüft werden. Oder es konnten in der Gruppendiskussion die Elemente eines Kritischen Ereignisses herausgear­ beitet werden, die ganz typisch sind, auch wenn die Geschichte selbst eher mar­ ginal war. Der Methodenmix erbrachte somit mehr Informationen und eine tie­ fere Analysen von Zusammenhängen. • Es gab mehr kritische Ereignisse, die Deutsche über Tschechen berichteten als umgekehrt. Die Gründlichkeit der Bearbeitung sollte nun dadurch sichergestellt werden, dass die geringere Anzahl deutscher Kritischer Ereignisse dann eben vertieft ausgewertet wurde, wohingegen die größere Anzahl tschechischer Kriti­ scher Ereignisse in der Summe ihrer Auswertungen dann ebenfalls einen adä­ quaten Detaillierungsgrad an Information für die Kategorien erbrachte.

Generell ist zu sagen, dass man hinsichtlich der Güte mit einer Methodentriangu­ lation insgesamt zu reliableren Daten gelangt. „Sind das Resultat einander ergän­ zende Aussagen und Interpretationen, so lässt sich damit zumindest ansatzweise die Angemessenheit der vorgenommenen Interpretationen absichem.“ (Flick, 1987, 258). Da sich zusätzlich der Gegenstand mit jeder Methode verändert (in dieser Arbeit ist das vor allem zwischen schriftlicher Befragung und Selbstobachtungsdaten evident), dient die Triangulation laut Flick (1987) weniger der Validie­ rung (mit einem Außenkriterium) als einer Vorgehensweise, die ein möglichst to­ tales Bild eines Phänomens erhalten will.

5.2.3.

Qualitative Inhaltsanalyse

Durch das explizierte und systematische Vorgehen, das am empirischen Material orientiert sowie gleichzeitig regel- und theoriegeleitet ist, ist die qualitative In­ haltsanalyse ein akzeptables und gut funktionierendes wissenschaftliches Verfah­ ren der Erstellung eines Kategoriensystems. Dabei bestand die Besonderheit dieser Arbeit darin, das Kategoriensystem bikulturell zu erarbeiten.

Zur synchronen Perspektive: (1) Da die Inhaltsanalyse mit subjektiven Deutungen und interpretativen Prozessen des Forschers arbeitet und keine Gütekriterien existieren, wie das Datenmaterial zusammengefasst und gedeutet werden kann, wurde das Kategoriensystem zwar in einem ersten Entwurf von mir, einer Deutschen, entwickelt, im weiteren Vorgehen aber in jeder Entwicklungsstufe mit meinem tschechischen Kollegen diskutiert 299

und (zumindest) stichprobeweise auf etliche Kritische Ereignisse angewendet, um eine wechselseitige Konsensfähigkeit des Kategoriensystems herzustellen. Dieser Konsens wollte neben der Sicherstellung der inhaltlichen Entsprechungen der je­ weiligen Kontrastpaare auch möglichst wertfreie Formulierungen für die Kate­ gorien finden, um den Einfluss der kulturspezifisch geprägten kognitiven Struktur der Forscherin und ihres tschechischen Kollegen diskutierbar und nach Möglich­ keit verwertbar zu machen. Dies stellte einen zusätzlichen Aufwand dar, der je­ doch für die Qualität der Ergebnisse unabdingbar war. Damit konnte im Rahmen des Leistbaren dem Schwachpunkt der subjektiven Deutung - was in unserem theoretischen Modell gleichbedeutend ist mit dem Ge­ fangensein in der relativ engen Oszillation in der Nähe des einen Pols -, aber auch dem kulturpsychologischen Anspruch eines dialogischen Verfahrens (Aschenbach, 1984) begegnet werden.

(2) Auf einen anderen Schwachpunkt des Verfahrens hat jedoch auch die bikulturelle Herangehensweise keinen Einfluss: Die Trennschärfe der einzelnen Kategorien ist immer nur relativ. Es existieren keine inhaltlichen Kriterien, wie die notwendige Anzahl und das Abstraktionsniveau der Kategorien zu bestimmen wäre oder wie der Prozess des Findens von Oberbegriffen durchzuführen sei. Vielmehr werden Unterpunkte Kategorien zugeordnet, vorläufige Kategorien zusammengelegt oder geteilt und das alles geschieht in der Dialektik von theoretischer Vororientierung, dem Lesen des empirisch gewonnenen Materials und der gemeinsamen Diskussion darüber. Das vorgeschlagene Kategoriensystem repräsentiert dennoch keine Belie­ bigkeit der Ergebnisse, sondern eine von mehreren, potentiell genauso gültigen Taxonomien und abstrakten Beschreibungen des Materials. - Die concurrent vali­ dity zeigt, (1) dass das Kategoriensystem über das vorliegende Material hinaus Gültigkeit hat, aber auch (2) dass man ein anderes Beschreibungssystem hätte ge­ nauso verwenden können.

Deshalb herrscht auch eine gewisse Mehrdimensionalität etlicher Kritischer Ereig­ nisse. Viele sind nämlich im Zusammenspiel zweier oder mehrerer Kulturstan­ dards zu erklären und stellen nicht „Prototypen“ für exakt einen Kulturstandard dar. Eine andere Taxonomie würde dieses Phänomen evtl, bei anderen Kritischen Ereignissen verursachen. (3) Was das Sowohl-als-auch-Prinzip (Oszillationen zwischen den Polen) betrifft, wurde das Material zusätzlich etliche Male durchgegangen unter folgenden Frage­ stellungen: • Wo finden sich (vermeintliche?) Widersprüche zu den definierten Kategorien? 300

• Welche Hinweise haben wir, dass die kulturtypischen Definitionen nicht zutref­ fen? Wann nicht? • Wann und wie lebt eine Kultur offensichtlich mehr oder weniger das Gegenteil aus? Manchmal waren diese Dinge klar und offensichtlich und die gemeinsame Diskus­ sion diente der Vergewisserung der richtigen Zuordnung. Manchmal war es sehr hilfreich, sich als Deutsche die Aussagen hinsichtlich der Tschechen und als Tscheche die Aussagen hinsichtlich der Deutschen zunächst unter Rückbezug auf seine eigene kulturelle Identität durchzulesen. D.h. sozusa­ gen als „naive Person“ nachzufuhlen, was im System der anderen aufgrund des bislang erworbenen Wissens und des bisher erreichten Grades an Empathie nicht logisch, stringent, nachvollziehbar ist, sondern unverständlich bleibt und als wi­ dersprüchlich empfunden wird. Ausgehend von diesen „Fundstellen“ konnten dann die Irritationen formuliert, mit weiteren Hinweisen im Text verglichen und im Team miteinander diskutiert werden.

Manchmal waren die Selbstbeobachtungsdaten der Schlüssel, auf die obigen Fra­ gen eine Antwort geben zu können. Denn hier waren noch deutlicher als im „fremden Material“ die Regeln für das WANN und WIE des Mischungsverhält­ nisses nachzuvollziehen.

Zur strategischen Perspektive: Die strategische Perspektive wurde versucht zu erfassen, indem in mehreren Mate­ rialdurchläufen nach Hinweisen auf Vor- und Nachteile der jeweiligen Kulturstan­ dards gesucht wurde. Sie mussten dann lediglich den Kategorien beigefugt wer­ den. Zur dynamischen Perspektive:

Die dynamische Perspektive hinsichtlich der „Vernetzung der Kulturstandards“ ist vor allem das Ergebnis gemeinsamer Diskussionen, in denen wir die Kategorien voneinander abgrenzen mussten und dabei „automatisch“ auf die Zusammen­ hangsstruktur der Kulturstandards stießen.

Die „Veränderungsprozesse im Transformationsprozess “ entstanden sowohl durch die Zusammenstellung der Nennungen der Informanden wie auch in der Diskus­ sion dieser Nennungen mit dem Ziel der Zuordnung zu den Kategorien, weil dazu ein vertiefteres Eindringen in die „Logik“ des sozialistischen Systems nötig war. Mein tschechischer Diskussionspartner fungierte dabei als Experte in seiner Funk­ tion als Professor an der Wirtschaftsuniversität, denn ein Schwerpunkt seiner Tä­ 301

tigkeit besteht verständlicherweise darin, Erfordernisse der System-Transforma­ tion zu entdecken und zu vermitteln.

5.2.4.

Hinweise auf die Qualität der Ergebnisse

Wenn es gilt, die Qualität der Ergebnisse zu überprüfen, sind dazu die Gütekrite­ rien Objektivität, Reliabilität und Validität aus der klassischen Methodenlehre nur bedingt anwendbar, weil die hier vorliegende Methodik nicht dem naturwissen­ schaftlich-mechanistischen Paradigma folgte (Flick, 1987; Mayring 1995).

Objektivität:

„Der kulturpsychologische Ansatz ist dem Gedanken verpflichtet, dass es keine einheitliche und subjektunabhängige Objektivität gibt ..., sondern vielmehr eine ganze Reihe möglicher, perspektivenabhängiger, kommunikativer ko-konstruierter Weltsichten und kontextabhängiger Bedeutungssysteme. Diese Vorstellung um­ fasst Alltagshandeln und Forschungshandeln gleichermaßen. In dieser Sicht kann Objektivität im herkömmlichen Verständnis nicht Gütekriterium angesehen wer­ den, denn es ist gerade die (subjektive, intersubjektive, kulturelle Perspektive), die Erkenntnis überhaupt möglich macht.“ (Molz, 1994, S. 101) Den Forschungsge­ genstand objektiv zu analysieren, hieße, ihn perspektivenunabhängig bzw. aus al­ len Perspektiven gleichzeitig zu betrachten, das kann keine sinnvollen, kommu­ nizierbaren Interpretationen liefern (Shweder, 1991). Der wissenschaftliche An­ spruch verschiebt sich auf Kriterien der intersubjektiven Verständigung und Nachvollziehbarkeit (Groeben, 1986; Krewer, 1992; Lisch & Kriz, 1978). Dafür sind eine lückenlose Verfahrensdokumentation, Voraussetzungs- und Regelexpli­ kation nötig (Bergold & Breuer, 1987; Mayring 1995, 1996). Dem wurde in dieser Studie versucht gerecht zu werden, indem das Ausmaß des Erreichens dieser An­ forderungen an entsprechender Stelle offengelegt wird:

• Datengewinnung: Welche Verzerrungen legt das Setting nahe? Welche Regel­ verletzungen beinhaltet es? (Flick, 1987) • Dateninterpretation: Transparenz und Nachvollziehbarkeit (Flick, 1987); Ver­ fahrensdokumentation, Argumentative Interpretationsabsicherung, Nähe zum Gegenstand, Regelgeleitetheit, Kommunikative Validierung und Triangulation (Mayring, 1996) • Bedingungen für eine ausreichende qualitative Absicherung: Einzelfallanalysen sind in den Forschungsprozess eingebaut; der Forschungsprozess wird grund­ sätzlich für Ergänzungen und Revisionen offen gehalten; grundsätzlich ist auch introspektives Material zur Analyse zugelassen; der Forschungsprozess wird als Interaktion betrachtet; der Gegenstand wird auch in seinem historischen Kon­ 302

text gesehen; es wird an konkreten praktischen Problemstellungen angeknüpft, die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse wird argumentativ begründet. (Mayring, 1996).

Reliabilität: Wegen der hier gewählten Form der Triangulation, einer sog. Within-method, kann in die daraus entstehende Theorie mehr Vertrauen investiert werden (Lam­ nek, 1995), weil verschiedene Techniken innerhalb einer Methode zum Einsatz kommen, um Daten zu sammeln und zu interpretieren. Dieses Verfahren erhöht die Reliabilität.

Validität: Prinzipiell können folgende Validitätsformen bei qualitativer Forschung angewen­ det werden (Flick, 1987; Bos & Tamai, 1989; Krippendorf, 1980; Rust, 1983; Mayring 1995; Lisch & Kriz, 1978): kommunikative Validierung, face validity, semantical validity, concurrent validity, construct validity.

• kommunikative Validierung

Darunter wird die Vergewisserung der Übereinstimmung zwischen der Inter­ pretation des Gesagten durch den Forscher mit dem Gemeinten des Informanden verstanden. Im Sinne des Bemühens um eine „semantische Gültigkeit“ (Mayring, 1995) wurde das Kategoriensystem mit einem tschechischen Experten abgesprochen und dauernd weiterentwickelt, so dass zumindest eine Überprüfung durch einen tschechischen Experten zu verzeichnen ist.

In der Selbstbeobachtung als Forscherteam konnten die Kriterien des „Dialog­ konsens“ und der „Absicherung der Interpretation“ (Flick, 1987) erfüllt werden, da nach der verbalen Erhebung der Selbstbeobachtungsdaten eine Protokollie­ rung des Ereignisses und der verschiedenen Perspektiven erfolgte, die von bei­ den Seiten „abgesegnet“ wurde. Somit war im Sinne einer „dialogischen Her­ meneutik“ (Sommer, 1987) und seines „Korrespondenzkriteriums“ eine Beur­ teilung und gegebenenfalls Korrektur der Aussagen möglich. • face validity - Plausibilität Ihre Stütze sind Erfahrung, nichtwissenschaftliche, themenbezogene Literatur und Expertengespräche.

303

Methodisch ist sie die schwächste Form der Validierung. Sie ist gegeben aufgrund der zahlreichen Literaturverweise. Außerdem wird uns in unserer Tätigkeit als Interkulturelle Trainer in den Seminaren bestätigt wird, wie treffend die Kulturstandards die (west)deutsche und die tschechische Rea­ lität beschreiben.

• semantical validity - Richtigkeit der Bedeutungsrekonstruktion Sie wurde durch die Methodentriangulation so weit wie möglich zu erreichen versucht, wenn ein- und dasselbe Kritische Ereignis in verschiedenen Verfahren analysiert wurde. „So weit wie möglich“ heißt, dass es immer (!) Überschnei­ dungsbereiche der in den verschiedenen Verfahren gewonnenen Ergebnisse gab. Doch weil die Studie additiv zu arbeiten im Sinn hatte, wurden auch die ergän­ zenden Aspekte aufgenommen und es wurde nicht zugunsten dieser Validität nur mit den übereinstimmenden Interpretationen weitergearbeitet.

• concurrent validity (Parellelenvalidität) - Übereinstimmung mit den Er­ gebnissen einer vergleichbaren Studie, die einer anderen Methodik folgt Sie konnte mit Hilfe des Vergleichs der in dieser Untersuchung gewonnenen Ergebnisse mit anderen erfüllt (vgl. 5.1.2. und (zum Teil) 5.1.3.) werden.

• construct validity - Bezug auf Aussagen etablierter Modelle und Erfolge mit ähnlichen Konstrukten Kulturstandards - grundsätzlich und speziell westdeutsche - konnten bereits in mehreren Studien empirisch rekonstruiert, validiert und als Trainingselemente erfolgreich eingesetzt werden (Thomas & Schenk, 1996; Molz, 1994; Markowsky & Thomas, 1995) Außerdem können einige der in dieser Studie gewonnenen Kulturstandards mit den Aussagen Halls (1990), Hofstedes (1991) und Trompenaars (1993) in Ver­ bindung gebracht werden. Letzteres verweist allerdings auf das Problem der Zirkularität von Validierung, weil Wissen über diese Konzepte bereits in die Theorieseite der Inhaltsanalyse eingeflossen ist. Es ist damit nicht mehr unab­ hängig von den Ergebnissen und kann daher mehr zur Generalisierung denn zur Validierung verwendet werden.

304

5.3.

Diskussion des Forschungsansatzes: Einlösung des theoretischen Anspruchs der Fortentwicklung des Kulturstandard­ konzepts?

Der theoretische Anspruch dieser Arbeit bezog sich • auf die synchrone Perspektive: Welche existenziellen Dilemmata - formuliert als grundsätzliche Fragen und dargestellt als polare Paare - zwischen (West)Deutschen und Tschechen gibt es?

• auf die dynamische Perspektive: Welche Prozesse zur erneuten Anpassung fin­ den gerade statt? - Stichwort: Transformationsprozess • auf die strategische Perspektive: Welche Vor- und Nachteile sind mit den Polen verbunden und werden verfolgt bzw. inkauf genommen?

Hier sollte der klassische Kulturstandardansatz weiterentwickelt werden. Die Fra­ ge ist nun, inwieweit das gelungen ist.

5.3.1.

Zur synchronen Perspektive

(1) Es gelang, Kulturstandardpaare einander kontrastiv gegenüber zu stellen. Die handlungsleitenden Kulturstandards der Tschechen und der (West)Deutschen konnten dabei deutlich herausgearbeitet werden. Dem Ziel dieser Arbeit ist dabei ein gewisses Maß an Konstruktivismus inhärent und dies wird bewusst als nützliches Mittel zu eben dieser Zielerreichung be­ trachtet. Aber Kulturstandards sind eben nicht bloße Konstrukte von Forschem und Ergebnisse interkultureller Reflexionen, mit denen das interkulturelle Gesche­ hen verarbeitet wird, sondern stellen sehr wohl eine bis zu einem gewissen Grad automatische Reproduktion monokulturell geprägter Programme dar. (Krewer, 1996) Insofern ist Krewer entgegenzuhalten: • Kulturstandards erheben niemals den Anspruch, das gesamte Wert- und Ver­ haltenspektrum eines Volkes zu repräsentieren - nicht einmal den, dass sie über 305

die Polarität, aufgrund derer sie entwickelt wurden (deutsch-tschechisch, deutsch-französisch usw.), Gültigkeit haben. Denn sie identifizieren den Teil der deutschen Kultur, der aus der Perspektive tschechischer Interaktionspartner andersartig und fremd hervortritt. Sie sind bruchstückhafte Wiedergaben der „Programme“, die manche Aspekte besonders betonen, andere vernachlässigen dürften, die zum Teil sogar (aber eben nicht ausschließlich!) Elemente beinhal­ ten, die nur im Kontakt mit den spezifisch anderen wirksam werden. Ihr „Au­ tomatismus“ ist demzufolge eingeschränkt. Sie sind rudimentär und relativ un­ differenziert. Sie sind Kristallisationskeme, die rekontextualisiert und wieder ausdifferenziert werden müssen.

• Positiv betrachtet, fokussieren sie damit ziemlich genau auf die „neuralgischen Punkte“ der deutsch-tschechischen Begegnung - mehr oder weniger vollständig „Programmabläufe“ abdeckend. Insofern können sie in ihrem Anwendungsbe­ zug gute Werkzeuge sein, um die nötigen Anpassungsleistungen an die spezi­ fisch andere Kultur zu erbringen. Als Kristallisationskeme fungierend, kann sich an sie in hervorragender Weise Erfahrungswissen anlagem (zur Evaluation interkultureller Trainings: Kinast, 1998; Urbanek, 1994). Und genau deshalb er­ freuen sie sich auch in der pädagogisch-praktischen Anwendung in Interkultu­ rellen Trainings so großer Beliebtheit. • Für die Definition der Kategorien gilt: Es gibt zwar mehrere Möglichkeiten der Beschreibung, aber es ist nicht jede Beschreibung möglich. Der Druck des Fak­ tischen ist sehr wohl wirksam, wenngleich er auch nicht die Beschreibung voll­ ständig determiniert. Mit diesem Einwand stoßen wir auf eine grundsätzliche erkenntnistheoretische Frage (Shweder, 1991; Eckensberger, 1992).

• Zudem sind Kulturstandards geteilte Realität eines Kollektivs. Wenn wir in ih­ rer Definition behaupteten, dass sie menschliche Interaktionen so strukturieren, dass sie zumindest teilweise einen gemeinsamen Realitätsbezug ermöglichen, dann tauchte das in der Empirie in folgender Variante auf: Verschwinden diese Strukturen in einer interkulturellen Überschneidungssituation und ist der ge­ meinsame Realitätsbezug in Frage gestellt, dann kommen Reaktionen der Form von „Das kann man doch nicht machen!“ Individuen haben somit ein aktivier­ bares Wissen um das Selbstverständliche ihrer Kultur. Und dieses Wissen ist sowohl auf die konkrete Situation bezogen wie auch transsituational darstellbar. - Das zeigen die Interviews! Und das zeigt die face validity.

• Es stimmt: Das Datenausgangsmaterial erhebt ausschließlich interkulturelle In­ teraktionssituationen - von Beobachtungen verwunderlicher mono-kultureller Interaktionssituationen in der anderen Kultur einmal abgesehen. In der zweiten Stufe (Erhebung der Attributionen) allerdings, wird dieser Bezugsrahmen ver­ lassen, weil auch Menschen befragt wurden, die nicht (!) in deutsch-tschechi306

sehe Kontakte involviert sind. Damit sind Kulturstandards zumindest dem Ver­ dacht enthoben, ausschließlich das znterkulturelle Geschehen in einer kulturel­ len Überschneidungssituation zu verarbeiten. Dennoch ist der Ausschnitt der Realität eines Volkes ausschließlich dadurch gewählt, was den anderen auffällt. Was also als konstruktivistischer Anteil der Forscher vor allem und unbestreitbar bleibt, ist die weitere Abstraktion diverser transsituationaler Regeln als Typologie eines Kategoriensystems. Dieses Niveau lässt sich nicht mehr erfragen und höchstens im bikulturellen Team kommunikativ validieren. Dabei wurden die Kulturstandards in einem so weit wie möglich nachvollziehbaren Prozess auf der Basis theoretischer Orientierung und empirischer Befunde entwickelt. Mit ihnen soll eine möglichst adäquate abstrakte Beschreibung der Beweggründe alltägli­ cher, praktischer Handlungen erreicht werden. Es ist eine Frage der intersubjekti­ ven und interkulturellen Verständigung, als wie geglückt diese Beschreibung an­ gesehen wird. (2) Es gelang, das Sowohl-als-auch-Prinzip der Wirksamkeit von Kulturstandards aufzuzeigen, z.B. im Mischungsverhältnis des Sach- und Personbezugs (vgl. 4.I.2.3.) Es wäre jedoch wünschenswert, hier noch reichhaltigere Ergebnisse zu haben. Doch die Critical-Incident-Technique kommt hier an ihre Grenzen: Kritische Er­ eignisse verweisen ja gerade auf die „Andersartigkeit“ und nicht auf das Oszil­ lieren in Richtung des eigenen Kulturstandards. Solche Kritischen Ereignisse be­ richteten nur die, die sehr viel Erfahrung mit der anderen Seite haben, über deren „typisches Verhalten“ bereits Bescheid wissen und nun gerade das als auffällig wahmehmen, was eben nicht typisch ist im Sinne der Erwartungen, wie die andere Seite sich typischerweise, üblicherweise, normalerweise verhält. (Vgl.: Deutsche sind normalerweise zuverlässig, aber manchmal ignorieren sie alle Ver­ pflichtungen. - 4.3.2.3.)

Um hier zu mehr Material zu kommen, müsste die Erhebungstechnik der Critical Incidents verfeinert werden. Man könnte beispielsweise sehr Erfahrenen die Zu­ satzfrage stellen, wann sich die andere Seite tendenziell untypisch verhalten hat. Oder man könnte auskunftswillige Versuchspersonen vor dem Interview längere Zeit (mehr oder weniger) typische und (mehr oder weniger) untypische Beoach­ tungen sammeln lassen. Oder man könnte vermehrt mit Selbstbeobachtungsdaten sich dazu bereit erklärender Teams arbeiten. (3) Es sei noch einmal darauf hin gewiesen, dass sich der Anspruch dieser Arbeit darin erschöpfte, die beiden verschiedenen Situationsdefinitionen, die 307

(West)Deutsche und Tschechen haben, zu erheben und zu beschreiben. Es sollten Situationen erfasst werden, in denen unterschiedliche Orientierungen das Handeln determinieren. Kritische Interaktionssituationen gelten daher als Beispiele für kulturelle Überschneidungssituationen und bilden den Ausgangspunkt der weite­ ren Analyse, die in derartigen kulturellen Überschneidungssituationen wirksamen Attributionen zu identifizieren. Ebenfalls erhoben wurden in diesem Schritt die „vermuteten Orientierungen“ (Bestandteile 2 und 4 der kulturellen Überschnei­ dungssituation), d.h. die fremdkulturellen Attributionen, warum der fremdkultu­ relle Partner sich so verhalten hat. Die sich entwickelnde „Begegnungskultur“ (Krewer, 1996) wurde dagegen nicht erfasst. Sie spielte beobachtbar lediglich ru­ dimentär und nur dann eine Rolle, wenn eine vermeintliche Anpassungsleistung einer Seite an die andere fehlschlug und zu einem Kritischen Ereignis führte. Doch das lässt sich nur in den Selbstbeobachtungsdaten und in einem Fall in den Beo­ bachtungsdaten aus einem bikulturellen Training nachvollziehen. An Stellen, an denen solche Erscheinungen auftauchten, wurden sie gemäß des Ziels der Studie analog allen anderen Kritischen Ereignissen behandelt: Weiterleitung in das Aus­ wertungsverfahren. Es wurde lediglich in den Begründungen neben den allgemei­ nen, kulturtypischen Charakterzügen, die in der Situation zum Tragen kommen, vermerkt, inwiefern die znterkulturelle Begegnung das „Typische“ beeinflusst (meist vermindert oder verstärkt) hat (vgl. 3.3.1.4.)

Im Hinblick auf künftige Forschung kann gesagt werden, dass eine Möglichkeit, an die Beschreibung von Prozessen einer Begegnungskultur heranzukommen, die Datenerhebung mit bikulturellen Gruppen wäre, wenn diese ihre Aktions- und Re­ aktionsweisen nachvollziehen und offen legen können. Selbstbeobachtungsdaten wären dazu ebenfalls eine Möglichkeit.

5.3.2.

Zur dynamischen Perspektive

Die dynamische Perspektive nimmt den kulturellen Wandel ins Visier. Das ist ein wichtiges Thema für Tschechien, denn die Tschechen haben den Transformations­ prozess von einem sozialistischen zu einem marktwirtschaftlichen System zu leis­ ten. Die Arbeiten und die Daten, auf die zurückgegriffen werden konnte, können aber lediglich in der Retrospektive aufzeigen, wie das Leben unter den anderen Bedingungen war und inwiefern das die erhobenen Kulturstandards gefordert und verstärkt hat. Die positive Perspektive, wie der Wandel aussehen könnte oder wird, ist nicht vorherzusagen. Von den bestehenden Ansätzen zu kulturellem Wandel (Heesen, 1994) scheint da­ bei der „akkulturationstheoretische Ansatz“ am ehesten dazu zu passen, was Tschechen gerade widerfahrt. Kultureller Wandel wird hier als Umbildung einer 308

Kultur zu einem neuen evolutionären Stadium der Gemeinschaft verstanden. Die Voraussetzungen für Änderungen sind dabei signifikante Veränderungen von Le­ bensbedingungen, unter denen bislang etablierte Verhaltensnormen nicht mehr zum gewünschten Resultat fuhren. Nun müssen neue Reaktionen favorisiert wer­ den und es kommt zu einer kulturellen Innovation. Normen werden neu justiert, d.h. von bislang geltenden Normen wird abgewichen, aber diese Abweichungen können bereits die Antizipation neuer Normen darstellen (Herskovits, 1938).

Wenn man den Prozess betrachtet, dem Tschechien seit 1989 unterliegt, dann kann man sagen, dass in der (west)deutsch-tschechischen Begegnung West- und Osteu­ ropa, ein Beispiel des zusammengebrochenen Sozialismus und eine führende Marktwirtschaft, aufeinander stoßen. Dabei ist die Flussrichtung der gegenseitigen kulturellen Beeinflussung keinesfalls ausbalanciert - und das gilt für unser Hand­ lungsfeld der Wirtschaftskontakte ganz besonders -, sondern von einem klaren Ungleichgewicht gekennzeichnet: die Marktwirtschaft dominiert. Auf Seiten der Tschechen erfolgt laut Theorie ein additiver und ein subtraktiver Prozess, indem kulturelle Elemente zu anderen dazu addiert oder abgezogen werden. Darin be­ steht der kulturelle Wandlungsprozess (Herskovits, 1938). Als Strategien stehen prinzipiell zur Verfügung:

1) Assimilation (wechselseitige Annäherung und Partizipation der nicht-domi­ nanten Gruppe am System der dominanten) 2) Separation (völlige Abgrenzung und keine Aufnahme neuer Muster) 3) Marginalität (Leben am Rande der Gesellschaft) 4) Integration (Veränderung der dominanten Kultur durch Anpassung, Berichti­ gung und Reaktion) Es besteht zwar eine gewisse Reziprozität zwischen den Kulturen, aber sie ist nicht ausbalanciert. Das Gleichgewicht wird durch den Akkulturationsdruck un­ terwandert. Und dieser Druck reflektiert die Machtdifferenzen zwischen den Kul­ turen. - Insofern muss man kein Prophet sein, um zu sagen, dass die Strategie mit der geringsten Chance auf Verwirklichung die Integration sein dürfte.

Nochmals: Kulturstandards können keine Aussagen machen über die Dynamik des Prozesses des kulturellen Wandels. Sie beschreiben die gesellschaftlichen Lösun­ gen einer Kultur auf die ihr gestellten Dilemma-Situationen ausschließlich im Hier und Jetzt. Bezüglich eines kulturellen Wandels können lediglich folgende Annahmen ge­ macht werden:

• Weil kultureller Wandel langsam geht, haben die in dieser Arbeit erhobenen Kulturstandards trotzdem für mindestens mehrere Jahre Gültigkeit. 309

• Wenn es kulturhistorische Parallelen zu den einzelnen Kulturstandards gibt, dann mag dies ein Hinweis darauf sein, dass diese Elemente veränderungsre­ sistenter sind als andere, weil sie vermutlich weitreichender integriert sind. • Wenn Kulturstandards auch in den jetzigen Bedingungen Vorteile bringen, dann werden sie auch weiterhin als effektiv wahrgenommen und verstärkt. • Wenn Ungleichgewicht herrscht, dann kann das unter Umständen zu ausge­ prägten Reaktanzphänomenen fuhren und ein kultureller Wandel ist (vorerst?) blockiert (vgl. akkulturationstheoretischer Ansatz: Separation).

5.3.3.

Zur strategischen Perspektive

Es gelang, die Kulturstandards nicht nur zu definieren, sondern die in ihnen ent­ haltenen Werturteile („Es ist gut, wie wir das machen“) zu relativieren: Jeder Kulturstandard hat Vor- und Nachteile und seine Aktivierung bringt eben diese auch zum Vorschein. Damit stellt sich stets die Frage nach den Zielen, die mit der Herausbildung eines Kulturstandards verfolgt wurden und werden und dem Preis oder dem Gewinn, der damit einher geht. Die Offenlegung dieser Punkte stellt eine echte Erweiterung des Kulturstandard­ konzepts dar. Ihre eigentlich Wirkung entfaltet die strategische Perspektive aber vor allem im Anwendungsbezug, weil sie ein vertieftes Verständnis für das Warum mancher Verhaltensmuster bietet, und auch, weil sie es ist, die zur Er­ weiterung des Oszillierens motivieren kann, wenn jemand beginnt, seine Ziele zu hinterfragen.

5.3.4.

Zur diachronen Perspektive

Die diachrone Perspektive nimmt Bezug auf den historischen Entstehungsprozess von Kulturstandards. Es ist gelungen, kulturhistorische Fundamente der zentralen Kulturstandards zu finden. Die meisten zentralen Kulturstandards haben jahrhundertealte Wurzeln und zwar z.T. gleich in mehreren Bereichen. Durch diese starke Überdeterminiert­ heit sind sie sehr stabil. Sie wandeln sich nur im Laufe von Generationen.

Dabei ist freilich anzumerken, dass diese historische Perspektive eine Konstruk­ tion ist, die nur teilweise eine theoretische Basis hat. Die Aussagen hierzu sollen wiederum als mögliche und wahrscheinliche Erklärungsmodelle verstanden wer­

310

den, die keinen Anspruch auf Verifizierbarkeit erheben können.

5.3.5.

Zur dimensionalen Perspektive

Die intrakulturelle Variabilität wurde gemäß den Darlegungen im Theorieteil ver­ nachlässigt. Sie wurde lediglich dort, wo die Informanden auf sie Bezug nahmen, erwähnt.

Ein Hinweis, dass es sich nicht um Schicht- und milieuspezifische Ergebnisse han­ delt, findet sich in den Daten selbst: Die Akteure hatten zu einem bedeutenden Teil Interaktionspartner aus anderen Schichten und Milieus. Die Erklärungen zu diesen Situationen jedoch passen sich in die Kategorien genauso ein, wie alle an­ deren. Allerdings ist nicht systematisch nach Alter, Geschlecht, Schicht oder ähn­ lichen Merkmalen differenziert worden. Es bleibt also der Anspruch aufrechtzuerhalten, dass trotz dieser argumentativen Interpretationabsicherung der Erklärungswert des Kategoriensystems für jeden zusätzlichen Fall gesondert geprüft werden. Die Rede von globalen, nationaltypi­ schen Kulturstandards ist und bleibt ein noch einzulösender Anspruch. Die nötige Unterscheidung zwischen West- und Ostdeutschland ist dafür lebendiges Mahn­ mal.

5.3.6.

Rückbezug auf die forschungsleitenden Hypothesen

Die vier forschungsleitenden Hypothesen konnten alle bestätigt werden. Hypothese 1:

Tschechen und (West)Deutsche erleben in ihren Kontakten immer wieder kritische Interaktionssituationen, denen sie im Umgang mit Partnern aus ihrer eigenen Kultur nicht in derselben Ausprägung oder Häufigkeit begegnen würden. Tschechen und (West)Deutsche erleben im Umgang miteinander tatsächlich kriti­ sche Interaktionssituationen, die sie in dieser Art und Intensität in ihrer Heimat­ kultur nicht erlebt hätten. Und Tschechen wie Deutsche waren in der Lage, diese kritischen Interaktionssituationen zu schildern. Außerdem konnten sich auch Er­ klärungen dafür angeben, wieso sich die jeweils andere Seite so benimmt (fremd­

311

kulturelle Interpretationen). Hypothese 2:

In der eigenen Kultur sozialisierten Personen ist es möglich, eine Handlung bzw. Handlungselemente als mehr oder weniger typisch für die eigene Kultur einzustu­ fen. Für die als typisch apostrophierten Handlungen und Handlungselemente kön­ nen sie Erklärungen finden, warum sich die eigenen Landsleute so verhalten ha­ ben. Handlungen von Personen aus der eigenen Kultur können als typisch oder unty­ pisch beurteilt werden. Die typischen Fälle können dabei aus dem kulturellen Re­ gelwissen erklärt werden. Diesbezüglich gab es eindeutige Voten und weitgehende Übereinstimmung zwischen den verwendeten Methoden.

Es war möglich, viele, reichhaltige und zum Teil sehr detaillierte eigenkulturelle Interpretationen dessen zu erhalten, was die jeweils einen an der entsprechend an­ deren Seite beobachtet und von ihr berichtet hatten.

Zur Erhebung dieser eigenkulturellen Attributionen wurde mit einer Methodentri­ angulation gearbeitet. Hypothese 3:

Durch die Anpassung des Kategoriensystems an das Material aufgrund eines mehrmaligen Rückkoppelungsprozesses, werden die Interaktionssituationen so geordnet, dass sich aus den dadurch gebildeten Kategorien zentrale Kulturstan­ dards ableiten lassen. Die Gesamtheit der Erklärungen für eine Vielzahl von Kritischen Interaktionssitu­ ationen lässt sich mithilfe von kategorisierenden Fragestellungen in eine über­ schaubare Anzahl von Kategorien einteilen. Diese Kategorien können dabei polar beschrieben werden, denn es finden sich im Kontrast zueinander stehende Verhaltens- und Erklärungsmuster von Tschechen und Deutschen als Antwort auf die kategorisierende Fragestellung. Jede Katego­ rie erhält damit eine überwiegend ,„deutsche“ und eine überwiegend „tschechi­ sche“ Ausprägung. Gleichzeitig können etwaige dynamische und strategische Re­ lativierungen und Differenzierungen erfasst werden.

Es gibt eine Tiefenstruktur in den Erklärungen zu den Kritischen Interaktionssitu­ ationen. Die Inhaltsanalyse führte zu acht Kategorien, in die sich alle kulturadä­ quaten Erklärungen für die Kritischen Ereignisse einordnen lassen. Gäbe es diese Tiefenstruktur nicht, wären nicht nur so wenige Kategorien zustandegekommen. 312

Hypothese 4:

Die auf dieser empirischen Basis gewonnenen tschechischen und (westdeutschen Kulturstandards haben Entsprechungen außerhalb dieser Untersuchung. Sie las­ sen sich kulturhistorisch verankern. Es finden sich parallele Aussagen in der ein­ schlägigen kulturphilosophischen und kulturvergleichenden Literatur. Die empiriegestützte Rekonstruktion von deutschen Kulturstandards fuhrt zu Er­ gebnissen, die über die befragten Gruppen hinaus aussagekräftig sind, denn es fin­ den sich parallele Aussagen in der einschlägigen Literatur.

Außerdem war eine kulturhistorische Verankerung möglich.

5.4.

Forschen im bikulturellen Team

Wie im Theorieteil dargelegt (vgl. 2.4.), war sowohl für die Datenerhebung wie für die Datenauswertung die Kooperation mit einem tschechischen Partner uner­ lässlich:

• Interviewpartner konnten (fast) nur durch seine Vermittlung rekrutiert werden. • Die Methodenadaptation zur Datenerhebung war in der Diskussion mit ihm zu entwickeln. • Die Kategorisierung der Attributionen musste intensiv mit ihm diskutiert wer­ den, um eine richtige Zuordnung der Daten einschließlich ihrer Widersprüche und zusätzlichen Perspektiven sicherzustellen. Wie diese Kooperation vonstatten ging, wurde bereits im Methodenteil (vgl. 3.1.2.2., 3.3.1.4. und 3.4.3.) beschrieben und im Diskussionsteil (vgl. 5.2.1., 5.2.2.4. und 5.3.) reflektiert. Nach Abschluss der Untersuchung sind im Rückblick folgende Punkte als Besonderheit der bikulturellen Teamarbeit hervorzuheben:

1) Die Methodenadaptation erfolgte in einem gemeinsamen, rekursiven Prozess. Ich startete mit meinem deutschen methodischen Repertoire (Interviews, schriftliche Befragung), beobachtete Durchführung und Ergebnisse und bat meinen Kollegen, mit mir zu besprechen, woran auftauchende Unterschiede in der Reaktion der tschechischen Respondenten liegen könnten und wie ich eventuell durch Änderungen eine Verbesserung der Ergebnisse erreichen könn­ te. Diese Ideen probierte ich aus und wir besprachen dann den Erfolg des geän­

313

derten Bemühens, usw.. Nur auf diese Weise war es möglich, mein methodi­ sches Know-how in tschechische Bedingungen zu transferieren und gleichzei­ tig den tschechischen Kollegen mit Prognosen bzgl. der Reaktionen seiner Landsleute auf meine (in Tschechien bislang unbekannten) Instrumente nicht zu überfordern.

2) Die gemeinsame Arbeit stellte interkulturelles Handeln in einer kulturellen Überschneidungssituation dar. Wie bereits erwähnt, führte diese Tatsache zur Aufnahme von Selbstbeobachtungsdaten (vgl. 3.1.2.3. und 3.3.1.4.) in die Untersuchung. Diese Daten zeichnen sich aufgrund ihrer Authentizität durch eine besondere Qualität hinsichtlich ihres Detaillierungsgrads und ihrer dop­ pelten Perspektive aus. Und genau das war an manchen Stellen zunächst der einzige und wie sich dann herausstellte, wesentliche Schlüssel zur Identifizie­ rung von Phänomenen des Kulturunterschieds. Das galt insbesondere für das Kulturstandardpaar „starker - schwacher Kon­ text“. Denn Signale des Kontexts können in den Interviews nicht erzählt wer­ den, da sie ja von den Deutschen nicht wahrgenommen und von den Tschechen per definitionem nicht expliziert werden. Sie können nur in der Selbstbeobach­ tung vermisst, nachgefragt und erklärt werden. Aber dann, auf dieses Phänomen aufmerksam geworden, ist es möglich, (a) eine Reihe von Kritischen Interaktio­ nen und ihre Interpretationen erneut unter diesem Blickwinkel zu lesen und weitere Elemente zu entdecken sowie (b) in Gruppendiskussion bzw. Experten­ befragung gezielt den Kontext (Zusammenhang) eines Kritischen Ereignisses zu überprüfen und Elemente zu generieren, die „in einem solchen Fall“ „üblicher­ weise“ ebenfalls eine Rolle spielen und daher „höchstwahrscheinlich “ auch zum Umfeld des gerade zu analysierenden Kritischen Ereignisses gehören.

Das war auch besonders wichtig zur Erfüllung des Anspruchs, das Sowohl-alsauch-Prinzip der Kulturstandardpaare zu erfassen und inhaltlich zu füllen. Den Selbstbeobachtungsdaten haben wir es vor allem zu verdanken, das WIE des Mischungsverhältnisses - beispielsweise den Aufbau einer Beziehungsebene über die Sachebene oder die Störung der Beziehungsebene über Unzulänglich­ keiten der Sachebene - beschreiben zu können. 3) Die Voraussetzung für die Kooperation war es, dass sich beide Seiten auf die Zn/erkulturelle Ebene einließen. Es sollen an dieser Stelle nicht die Kritischen Ereignisse, die wir mit- und aneinander produziert hatten, wiederholt werden. Es sollen hier auch nicht unsere Strategien, diese Kritischen Ereignisse zu be­ wältigen, dargelegt werden (vgl. 3.3.1.4.). Es ist vielmehr der Sinn eines Dis­ kussionsteils die Elemente hervorzuheben, die für andere Forscher ebenfalls Nutzwert haben können. Und diese Punkte heißen in unserem Fall:

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• Die Grundvoraussetzung schlechthin besteht im Aufbau einer tragfähigen Beziehungsebene zueinander und im Aufbau von Vertrauen. Nur dann sind (a) auskunftsfreudige Interviewpartner vermittelbar, nur dann sind (b) Ex­ perteninterviews möglich, die einen wirklichen Einblick in - wie sich alle drei Kollegen ausdrückten - die „tschechische Seele“ gewähren auch an den Punkten möglich, die sie selbst nicht nur vorteilhaft finden. Ganz sicher ist nur dann (c) eine Offenheit möglich, wie sie die Methode Selbstbeobachtung erfordert. Und nur dann (d) bleibt die Beziehung über die erlebten Höhen und Tiefen der Kritischen Ereignisse hinweg erhalten.

Dabei hätte es nicht genügt, nur eine - selbst auf Sympathie begründete Kollegialität zu leben, wie sie zur Koordination von Forschungsprojekten in Deutschland üblich ist. Dass wir sowohl als Forscher- wie als Trainertan­ dem arbeiten, war den Aussagen meines Kollegen nach meine Chance, ihn von der Wahrhaftigkeit meines Empathie-Anspruchs in meiner Forschung zu überzeugen, weil er in den Trainings prüfen konnte, wie und wozu ich mein Wissen verwende.

• Eine weitere Basis stellt die Klärung der Frage dar, warum sich der tschechi­ sche Partner auf eine derart intensive Kooperation einlassen sollte. Für mich war die Motivlage klar: Es ging mir zunächst um die „Sache“ deutsch­ tschechische Kulturunterschiede und ich wollte möglichst viele Kritische Er­ eignisse möglichst intensiv analysieren. Mir dabei zu helfen war ein Motiv, mit mir die Kooperation zu beginnen. Aber dann hatten andere Elemente da­ zu zu kommen, die die Person selbst motivierten und interessierten. Das war in unserem Fall (a) die sich zunehmend spannender gestaltenden Inhalte, (b) die Möglichkeit, das Wissen auch gemeinsam(!) zu nutzen für diverse Ziele (z.B. Trainings, Buch) und (c) das Gefühl, für den anderen wertvoll zu sein, weil wir nur gemeinsam inhaltlich weiterkommen. • Kulturunterschiede sind auch in einer gelingenden Kooperation nicht auf­ hebbar, sondern es ist „unter Berücksichtigung der interkulturellen Thematik Toleranz für Ambiguitäten ... zu akzeptieren und partiell zu ertragen“ (Tho­ mas, 1999, S. 112). Die Selbstbeobachtung, die mir als Deutscher inhaltlich gesehen viele Einblicke gewährte und aufgrund der Metakommunikation ei­ ne Bewältigung von eigenen Kritischen Ereignissen ermöglichte, wurde von meinem tschechischen Kollegen auf der affektiven Ebene gemäß der Kultur­ standards „Konfliktvermeidung“ und „starker Kontext - implizite Kommuni­ kation“ (explizite Kommunikation stört die Beziehung; mehr noch: die Be­ ziehung wird geradezu instrumentalisiert) als sehr unangenehm erlebt und (fast nur) mir zuliebe mitgetragen. Die auch von ihm unbestrittenen inhaltli­ chen Fortschritte auf der kognitiven und behavioralen Ebene waren nicht in der Lage das Gefühl abzumildem. Weil ich das spürte, verzichtete ich auf 315

etliche Möglichkeiten der Analyse von Selbstbeobachtungsereignissen und beschränkte mich auf die, die mir besonders irritierend, wichtig oder auf­ schlussreich erschienen. Wir konnten dem anderen und seinen kulturellen Handlungsmöglichkeiten lediglich Wertschätzung entgegenbringen und den eigenen Handlungsspielraum (um explizite bzw. implizite Ausdrucksformen) erweitern, eine Konvergenz war nicht erreichbar.- Insofern liegt in der Selbstbeobachtung sicher kein Königsweg zur Erforschung bikultureller Per­ spektiven, wenn die nicht-deutsche Kultur sie nicht auch gleichermaßen so­ wohl inhaltlich (kognitiv, behavioral) erhellend wie auch (affektiv) bezie­ hungsstiftend erlebt. „Anzunehmen, interkulturelle Forscher und Austauschpraktiker seien immer und automatisch auch kulturelle Mediatoren ist eine berufsbedingte Selbsttäuschung der wohltuenden Art. Eine intellektuelle Auseinandersetzung mit (inter)kulturellen Themen ist jedoch keinesfalls gleichzusetzen mit den Mühen systematischer Selbstbeobachtung und -relativierung in konkreten interkulturellen Auseinander­ setzungen, in denen auf der Basis eines Machtgleichgewichts eigenkulturelle Vor­ stellungen nicht ohne weiteres durchgesetzt werden können und die beliebte Lö­ sung, aus dem Feld zu gehen, ausscheidet. Um in solchen, für den interkulturellen Austausch interkultureller Forscher und Praktiker wesentlichen Situationen zu bestehen, ist der kontinuierliche Rückbezug der wissenschaftlich gewonnenen Er­ kenntnisse über kulturelle Orientierungen der eigenen Kultur(en) auf das eigene forscherische und praktische Handeln genauso nützlich, wie eine Auffassung des eigenen interkulturellen Alltags als anregendes, hypothesengenerierendes For­ schungsfeld. Es ist auch und gerade in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nötig, sich gegenseitig die jeweiligen handlungsleitenden Orientierungen explizit zu vermitteln, da sie nur teilweise geteilt werden (und wir leider schwerlich wis­ sen, welcher Teil).“ (Demorgon & Molz, 1996, S. 75). Diesen Worten eines deutsch-französischen Forschertandems, das ebenfalls weiß, wovon es spricht, können wir uns nur anschließen.

316

5.5.

Anwendungsbezug der Ergebnisse: Interkulturelle Trainings

Durch den engen Bezug der Kulturstandardforschung mit der Praxis interkulturel­ ler Trainings ist auch die Frage zu stellen, welchen Beitrag die Ergebnisse dieser Studie für Interkulturelle Trainings leisten. Diese Frage kann an dieser Stelle nur aufgrund von Überlegungen und Erfahrungen beantwortet werden, nicht aufgrund einer Evaluationsstudie, in der der Lemeffekt der hier vorliegenden Ergebnisse im Feld überprüft worden wäre. Doch bezüglich der wahrscheinlichen Lemeffekte der Ergebnisse dieser Studie können aufgrund diverser Forschungen relativ gut be­ gründete Aussagen gemacht werden.

5.5.1.

Ziele und Wirkungen von Culture Assimilator Trainings

Generelle Ziele interkultureller Trainings: Die Ziele interkultureller Trainings variieren beträchtlich. Ein interkulturelles Training „... can be directed at helping trainees adjust to living in new cultural en­ vironments, interact effectively with members of other groups in culturally diverse environments, or counsel members of other cultural groups. The specific goal ... need to be derived from the broad objectives of the training, the theory or appro­ ach used to guide the training, and the specific trainees.“ (Gudykunst e.a., 1996, S. 65)

Dennoch, auf drei Gebiete beziehen sich die Ziele immer: Kognition, Emotion und Verhalten: „ Cognitively, most ICT (=intercultural trainings) generally is aimed at helping trainees understand how their culture, stereotypes, and attitudes influence their interactions with members of other cultures. Cognitive ICT goals, therefore, focus on knowledge and/or awareness. Affectively, ICT generally is aimed at helping trainees effectively manage their emotional reactions (e.g. anxiety) when interac­ ting with members of other cultures. Behaviorally, ICT generally is designed to help trainees develop the skills they need to interact effectively with members of other cultures. The specific skills depend on the broader objectives of the training (e.g. cultural adjustment, effective communication). “ (Gudykunst e.a., 1996, S. 65)

317

Wirkungen interkultureller Culture Assimilator Trainings Evaluationen erbrachten diverse positive Effekte von interkulturellen Trainings. Black and Mendenhall (1990) schreiben beispielsweise in ihrem Überblicksartikel: „.... there were positive feelings about the training..., improvement in their inter­ personal relationships, changes in their perception of host nationals, reduction in their experience of culture shock, and improvement in their performance on the job.“(S. 180)

Wie diese Ziele erreicht werden können, ist eine Frage der Didaktik. Verschiede­ nen Kategorisierungen von Trainingsdesigns zufolge (Gudykunst, 1996; Thomas & Hagemann, 1992) sind die hier vorliegenden Ergebnisse dem Anliegen von Culture Assimilators („Intercultural Assimilator“, „Intercultural Sensitizer“) ver­ wandt.

„ To accurately understand what a person 's intentions are, one must understand the context in which it occurs. Culture provides one such context. Without an ade­ quate cultural context, another 's behavior is akin to noise and can be rather mea­ ningless. Knowledge of culture enables one to interpret the motivations of others in the same way they wouldfor themselves. People are thus more accurate in their judgements of others. Misunderstanding the reasons or motivations for peolpe 's behavior, or making misattributions, is a common problem in an intercultural context. The goal, then, is for people to make isomorphic attributions, or similar judgements about the causes of another's behavior. Making isomorphic attributi­ ons thus helps improve intercultural understanding and relations and is the major goal of training with the ICS (= intercultural sensitizer). “ (Cushner e.a., 1996, S. 186). Der Culture Assimilator (CA) soll primär kognitive Komponenten interkultureller Handlungskompetenz aufbauen. Ein Trainee soll wissen:

1. „dass seine Partner sich in bestimmten Situationen anders verhalten werden, als er es von zuhause gewohnt ist (fremdkulturelles Handlungswissen), 2. warum sie sich so verhalten (kulturell isomorphe Attributionen), 3. welches Verhalten sie von ihm erwarten und welche Kognitionen (Einstellun­ gen, Bewertungen, Schemata, Skripts) er bei seinen Partnern durch bestimmte Verhaltensweisen erzeugt... (interkulturelles Verstehen), 4. welcher Nutzen sich aus den kulturdivergenten Orientierungssystemen, Verhal­ tensregeln, Situationsinterpretationen usw. zur gemeinsamen Zielerreichung ziehen lässt (interkulturelle Wertschätzung)." (Thomas, 1995, S. 109)

Zentral ist dabei der Aufbau der Fähigkeit, das Verhalten eines fremdkulturell ge­ 318

prägten Handlungspartners isomorph zu attribuieren. Dabei sollen das eigen- und das fremdkulturelle Orientierungssystem integriert werden und dem Handelnden zur Verfügung stehen.

Ein CA im eigentlichen Sinn liegt als schriftliches Trainingsmaterial vor. In Trai­ ningsabschnitte gegliederte Fallbeispiele der interessierenden kulturellen Über­ schneidungssituation samt Fragen, Rückmeldungen und Erklärungen zum Ver­ halten der fremdkulturellen Akteure vermitteln einen zentralen Kulturstandard nach dem anderen. CAs sind gut evaluiert (Albert 1983; Albert 1986; Brislin, 1990; Bhawuk & Brislin, 2000; Lange, 1994): „Overall the research tends to indicate that the culture assimilator is an effective training tool on the cognitive level, and it also has some positive impact on behavioural and effective criteria.“ (Bhawuk & Brislin, 2000, S. 173) Die in diesem Kontext interessanteste Studie zur Wirkung eines Interkul­ turellen Trainings (IT) stammt von Kinast (1998). Kinasts Anliegen ist, herauszufinden, „wie und warum ein IT wirkt (, wenn es wirkt).“ (Kinast, 1998, S. 332; Hervorhebung im Original) Es interessiert sie die Frage, „welche Wirkungen ein IT auf die psychischen Prozesse und Handlungen von Trainingsteilnehmern in fremdkulturellen Handlungssituationen im fremdkulturellen Handlungs­ feld hat.“ (Kinast, 1998, S. 332, Hervorhebung im Original) Ihr Resultat:

„Es zeigte sich, dass es im fremdkulturellen Handlungsfeld Situationen gibt, in denen ein IT eine Wirkung haben kann, und zwar auf die Emotionen, die Kogniti­ onen, das Verhalten und das Handlungsergebnis von Trainingsteilnehmern, selbst wenn es ein überwiegend kognitives IT ist. Im einzelnen zeigte sich, dass Trai­ ningsteilnehmer im IT Wissen über das fremdkulturelle Orientierungssystem er­ werben und für kulturbedingte Unterschiede im Handeln von fremdkulturell ge­ prägten Handlungspartnern sensibilisiert werden können. Das IT kann dann im fremdkulturellen Handlungsfeld die Wahrnehmung und kulturdivergente Klassifi­ kation von Verhalten fremdkultureller Handlungspartner bewirken, der Trai­ ningsteilnehmer wiedererkennt und erinnert vielleicht Trainingsbausteine oder Inhalte, er kann hier aufgrund des IT über kulturadäquates Wissen verfügen, das Verhalten fremdkultureller Handlungspartner deshalb isomorph attribuieren, ori­ entiert sein und adäquate Handlungsstrategien und Handlungskonsequenzen anti­ zipieren. Das IT kann im weiteren positive Emotionen, adäquates Verhalten und ein positives Handlungsergebnis beim Trainingsteilnehmer bewirken. Die einzel­ nen Wirkungen auf die psychischen Prozesse und Handlungen von Trainingsteil­ nehmern treten im Verlauf einer fremdkulturellen Handlungssituation im fremd­ kulturellen Handlungsfeld aber nicht konsistent auf. “ (Kinast, 1998, S. 353)

Kinast konnte auch herausfiltem, wann die geschilderten Wirkungen eintreten:

319

„Das IT kann in der Trainingsphase, der präaktionalen, aktionalen undpostaktionalen Handlungsphase wirken. Es kann sofort beim erstmaligen Eintreten einer spezifischen Situation wirken, und hier in der präaktionalen und/oder postaktionalen Handlungsphase, und/oder später beim Eintreten einer ähnlichen Situation wie der vorangegangenen, und zwar in der präaktionalen, aktionalen und postaktionalen Handlungsphase. Außerdem können Wirkungen eines IT in einer spezifi­ schen Situation sogar Wirkungen in mehr als einer ähnlichen zukünftigen Situa­ tion nachsichziehen. Die Wirkungen haben je Handlungsphase unterschiedliche Funktionen: In der präaktionalen Handlungsphase bereitet das IT vor, indem es Vertrautheit herstellt. In der postakionalen Handlungsphase bereitet es entweder die vorangegangene Situation nach, indem es im nachhinein eine kulturadäquate Situationswahrnehmung und -interpretation bestätigt oder auf eine kulturinadä­ quate Situationswahrnehmung und -interpretation aufmerksam macht, oder es be­ reitet auch auf zukünftige ähnliche Situationen vor, indem es Orientierung schafft und dadurch beim Trainingsteilnehmer ein Gefühl von Sicherheit im Umgang mit fremdkulturellen Handlungspartnern hervorruft.“ (Kinast, 1998, S. 353)

5.5.2.

Kontrastlernen mit Kulturstandardpaaren

Die vorliegende Studie erbrachte als Resultat aber nicht nur tschechische bzw. (west)deutsche Kulturstandards, sondern definierte Kulturstandardpaare, die in der Lage sind, nicht nur das Fremde, sondern auch das Eigene zu erfassen und vorzustellen (vgl. 2.5.). Daher muss an dieser Stelle der Frage nachgegangen wer­ den, was der spezifische Effekt der polaren Darstellung des eigen- und des fremd­ kulturellen Orientierungssystems sein kann. Das sog. „Kultur-Kontrast-Lemen“ hat eine lange Tradition. In der 60-er Jahren entwickelte Stewart seine „contrast-American method“ (Stewart, 1995) und Lee das „cultural analysis system“ (Bhawuk & Brislin, 2000). In den 70er Jahren folgte Kraemers „cultural self-awareness model“. (Bhawuk & Brislin, 2000) In Anlehnung an diese Ansätze arbeiten in Deutschland Reisch und Bittner mit einem sogenannten „Contrast-Culture Training“ (Reisch, 1993). Allen Ansätzen ist ge­ mein, dass sie „cultural awareness“ fur die eigene Kultur vermitteln wollen, aller­ dings nicht auf der Ebene von Werten oder Kulturstandards mehrerer spezifischer Kulturen, sondern entweder nur auf die eigene Kultur (Stewart, Kraemer) oder auf bestimmte Handlungszusammenhänge bezogen (Lee, Kraemer, Reisch e.a.)

Als Quintessenz des interkulturellen Kontrastiemens kann festgehalten werden: 1. Der Kontrast mit einer fremden Kultur erlaubt das Gewahrwerden des Typi­ schen an der eigenen Kultur. 2. Der Kontrast der eigenen mit einer fremden Kultur stellt eine Herausforderung 320

dar, nach neuen Handlungsweisen zu suchen. Der Punkt 1 ist das Novum des in dieser Arbeit verfolgten KulturstandardpaarAnsatzes: Über die andere Kultur lernt man in diversen didaktischen Ansätzen auch im hier besonders interessierenden CA viel. Um jedoch das eigene Orientie­ rungssystem beschreiben zu können, wurden die Kultur-Kontrast-Ansätze ge- und erfunden. Warum aber ist das so wichtig? Weil interkulturelles Lernen die Integration beider Orientierungssysteme (Thomas) bzw. eine Reäquilibrierung auf einer neu zu fin­ denden adaptiven Achse (Demorgon) darstellt (vgl. 2.5.). Und dieser Prozess wird erleichtert, wenn die Systeme bewusst oder zumindest teilweise bewusst sind.

Unterstützung für diese Behauptung ist zum einen Feedback-Theorien zu entneh­ men, zum anderen kognitionspsychologischen Studien zum Kontrastiemen, zum dritten den Intergruppentheorien.

5.5.2.I.

Erhalt von Feedback über den Ist-Zustand der Interaktion

Filtert man aus den diversen Definitionen von Feedback (Antons, 1976; Thomas, 1992; Weinert 1987) den Bedeutungskem heraus, dann ist Feedback eine Rück­ meldung über sich aus der Außenperspektive. Folgende detaillierte Bestimmungsstücke von Feedback können dabei auf inter­ kulturelles Lernen im Interkulturellen Training übertragen werden:

1. Feedback bezieht sich auf das Wissen um die eigene Leistung und Effektivität, d.h. um die Adäquatheit der persönlichen Anstrengungen und Aktivitäten (Hackman e.a., 1971; Greif e.a., 1989). Dieses Feedback kann die Aufgabe selbst erbringen oder es kann durch eine andere Person - in unserem Fall die Seminargruppe samt Trainer(n) - gegeben werden (Hackman e.a., 1971; Domi­ nick e.a., 1997). „Through feedback, a group may obtain information about the quantity and quality of its output as well as knowledge about the effectiveness of the methods used to achieve desired levels of performance. Feedback serves as an error detection device and thus as a stimulus to begin problem identifica­ tion and solution“ (Nadler, 1979, S. 309). Feedback hat daher laut Nadler die Funktion, auf Fehler und Irrtümer hinzuweisen, d.h. Ziele zu klären wie auch die Wege zu den Zielen zu korrigieren (cue function), das Lernen zu steuern (learning function) und durch eine Bewertung des bisherigen Handelns die Mo­ tivation zu erhöhen (motivational function). Die Vermittlung der Kulturstandardpaare gibt also Aufschluss darüber, inwie­ weit die Trainees in der interkulturellen Überschneidungssituation effektiv han­ deln. Welche eigenkulturell geprägten Strategien setzen sie bislang - auf einer 321

kulturellen Ebene meist unreflektiert - ein? Welche Strategien wären bei „den anderen“ wirksam? 2. Antons (1976) stellt heraus, dass Feedback eine Möglichkeit ist, den Ist-Wert einer Interaktion oder Kommunikation festzustellen. Das Feedback braucht da­ bei als Auslöser einen Irrtum bzw. ein Abweichen von einem Sollwert. Im Kontext interkultureller Trainings handelt es sich um Rückmeldungen bzgl. des Ist-Zustandes der eigenen Arbeitsleistung (Greif e.a., 1989) in einer kultu­ rellen Überschneidungssituation: Warum erzielen einige der verwendeten Stra­ tegien nicht die beabsichtigen Wirkungen? Woran hakt es? 3. Rückmeldungen der Stärken und Schwächen sollen eine Verhaltensänderung der Führungskräfte bewirken (Staufenbiei, 1999). Dass sie manches „falsch“ machen, fühlen die Seminarteilnehmer bereits, wenn sie sich zum Training anmelden, weil die Resultate ihrer Bemühungen oft nicht die erwünschten sind. Warum erzielen aber bestimmte verwendete Strategien sehr wohl ihre Wirkung - manchmal mehr als erwartet? Woran liegt das? 4. Feedback ist auch ein wirksames Lemprinzip, denn es wirkt als Konditionieren im Sinne einer positiven oder negativen Verstärkung (Staufenbiei, 1999; Greif e.a., 1989; Weinert, 1987). Schon Lewin setzte es in seinen Sensitivitätstrainings mit Erfolg ein: „Durch Rückkoppelung (‘Feedback’) und Selbstbeobach­ tung soll Vorgesetzten die Erlernung und Einübung kooperationsfordemder Einstellungen und Verhaltensweisen erleichtert werden.“ (Hofstätter, 1986, S. 242) Das Sowohl-als-auch-Prinzip verweist darauf, dass jedes Verhalten der „ande­ ren“ auch Teil des eigenen Verhaltensrepertoires ist, freilich seltener oder nur unter bestimmten Umständen. Eine wichtige Frage ist also: Wann und wie ken­ ne ich dieses Verhalten? Was erleichtert mir seinen Einsatz künftig im Kontakt mit den „anderen“?

Zusammenfassend besteht der Feedback-Effekt der Kulturstandardpaare somit in folgendem: 1. Durch die Erarbeitung des eigenkulturellen und des fremdkulturellen Orientie­ rungssystems gleichzeitig kann die Angemessenheit der eigenen Handlungsziele sowie der Handlungsstrategien überprüft werden. 2. Für Handlungsbarrieren und Handlungserfolge kann Ursachenforschung betrie­ ben werden. 3. Die Darstellung des Sowohl-als Auch-Prinzips erleichtert es, an sich Seiten zu entdecken, die als Stärke im Integrationsprozess der kulturellen Orientierungs­ systeme genutzt werden können. Und Hinweise, welche Verhaltensweisen ne­ gative Handlungskonsequenzen haben, werden reichlich klar. Denn mit den Kulturstandardpaaren erhalten die Trainingsteilnehmer sowohl In­ formationen über den anderen wie Feedback über sich und was sie in ihrem in­ 322

terkulturellen Handeln mit dem fremdkulturellen Partner „richtig“ oder „falsch“ machen. Das erfahren sie nur deshalb so klar, weil sie sich beide Orientierungs­ systeme gleichzeitig in den sich jeweils entsprechenden Elementen vor Augen fuh­ ren. - Damit ist der Einsatz der Kulturstandardpaare als begleitende Supervisions­ methode, wenn also schon (viel) Erfahrung vorliegt, besonders sinnvoll.

5.5.2.2.

Kontrastlernen erleichtert den Transfer

Bransford & Schwartz (1998) beschäftigen sich als Kognitionspsychologen mit dem Gelingen von Transfer von Wissen. Dabei entdeckten sie folgende interes­ sante Befunde:

„Perceptual learning theorists point toward the importance of contrasting cases, like glasses of wine side by side, as guides to noticing and differentiation. One is unlikely to remember each of the contrasting cases, and experience with a set of cases will not necessarily let one induce principles that guide unaided problem solving. Nevertheless, experiences with contrasting cases can affect one ’s subse­ quent noticing and interpretation of events, and this in turn can affect the formu­ lation of hypotheses and learning goals. “ (Bransford & Schwartz, 1998, S. 12) „... noticing new features is not an act of simply finding common elements bet­ ween the past and the present. Through contrasting cases, one develops the ability to notice finer and finer distinctions. One becomes a connoisseur of the world. “ (Bransford & Schwartz, 1998, S. 3If) Das Arbeiten mit Kontrasten, in diesem Fall mit Vergleichsbildem, erweist sich als effektive Lemmethode für die Wahrnehmung von visuellen Reizen. Dabei gilt:

1. Je mehr Kontraste man herstellt, umso mehr Züge einer Figur werden sichtbar und bewusst. Denn ein Stimulus ist definiert über den Kontext im Feld der Al­ ternativen. 2. Für einen Transfer auf ähnliche Problemstellungen bedeutet das, dass, auch wenn die einzelnen Fälle vergessen werden, mit der früheren Kontrast-LemErfahrung die Bühne bereitet ist für eine künftige differenzierte Wahrnehmung. Der Effekt besteht nicht in der Replikation des früher Gelernten. Es ist vielmehr ein kognitives Schema bereit gestellt worden, von dem aus dann der neue Fall bearbeitet wird. (Was ist in diesem Fall wesentlich und nützlich?) Bransford & Schwartz selbst übertragen und überprüfen diese Erkenntnisse auf andere Lemfelder und stellen ihre Wirksamkeit auch dort fest. Dabei betonen sie, daß nicht die Kontrastfälle alleine zu vertieftem Verständnis fuhren. Die Kontrast­ fälle bereiten bloß die Lernenden besser darauf vor, neue Informationen zu lernen, 323

wenn sie mit neuen Informationen konfrontiert sind.

Übertragen auf den hier interessierenden Zusammenhang können diese Befunde folgendes bedeuten: 1. Mit den kontrastiven Kulturstandardpaaren wird generell die Wahrnehmung für Kulturunterschiede geschult. Und das ist eine entscheidende Voraussetzung für Interkulturelles Lernen, weil die kulturdivergente Klassifikation eines Kriti­ schen Ereignisses die Voraussetzung für adäquates Handeln ist. Ansonsten be­ merkt der Trainee nämlich nicht, dass die Situation anders verläuft als im Hei­ matland. Er verhält sich daher ausschließlich nach seinem eigenkulturellen Muster und es kann zu einem Konflikt kommen. (Kinast, 1998) Ein bedeutender Effekt der Kulturstandardpaare dürfte demzufolge darin liegen, dass ein Trainee den Eindruck gewinnt, dass es wirklich etliche Kulturunter­ schiede zwischen Deutschen und Tschechen gibt. Er „schöpft“ von nun an be­ reits bei anfänglichen „Ungereimtheiten“ „Verdacht“ auf einen Kulturunter­ schied und beobachtet und prüft alles, was ihm in einer kulturellen Überschnei­ dungssituation begegnet, schneller und leichter auf Kulturdivergenz. Damit kann er kulturadäquater handeln. 2. Desphande e.a. (1992) fand in seiner Metaanalyse verschiedenster Evaluations­ studien, dass sich interkulturell Vorerfahrene an eine neue Kultur in kürzerer Zeit anpassen und damit schneller in der Lage sind, effektiv zu handeln. Das wäre im Sinne dieser Erkenntnisse als Wirksamkeit eines generell erworbenen Schemas für Kulturunterschiede zu interpretieren, das schneller spezifisch „aus­ gefüllt“ wird. Für die deutschen oder tschechischen Trainees ohne sonstige internationale Er­ fahrung bzw. für die bereits anderswo international erfahrenen Trainees, die sich nun speziell auf Tschechien bzw. Deutschland vorbereiten, hieße das, dass sie im Interkulturellen Training ein „kognitives Schema“ zu deutsch-tschechi­ schen Kulturunterschieden aufbauen oder ein rudimentär vorhandenes modifi­ zieren und erweitern (Urbanek, 1994; Kinast, 1998), dass sie aber aufgrund der kontrastiven Darstellung deutsch-tschechischer Kulturunterschiede jetzt leichter in der Lage sind, in dieses im Interkulturellen Training erworbene Schema selb­ ständig weitere spezifische Elemente zu integrieren und damit das Schema auf­ grund eigener Beobachtungen und Erfahrungen zunehmend zu differenzieren. Bereits in der Evaluation eines „klassischen AC“ von Kinast zeigt sich, dass ein Interkulturelles Training (IT) den Boden bereitet haben kann für Interkulturelles Lernen „im Feld“ und „vor Ort“: „Es zeigte sich..., dass ein IT tatsächlich inter­ kulturelles Lernen fordern kann. Es zeigte sich aber auch, dass ein IT ein Kataly­ sator für interkulturelles Lernen im fremdkulturellen Handlungsfeld sein kann.“ (Kinast, 1998, S. 354). - Dies müsste im Kulturstandardpaar-Ansatz aufgrund der Ergebnisse von Bransford & Schwartz umso mehr gelten. 324

Den Kontrasteffekt erhöhen wir im Training noch dadurch, dass wir als tsche­ chisch-deutsches Trainertandem auftreten. Jeder von uns ist damit symbolisch Repräsentant seiner Kultur, jeder lebt aber auch ohnehin als Person unübersehbar und unüberhörbar Teile seiner Kultur deutlich. In der Rollenverteilung zwischen uns achten wir darauf, dass jeder vor allem die Kulturstandards seiner Kultur im Abstrakten wie im spontan Geäußerten erläutert. Teilnehmerrückmeldungen, die besagen, wir würden die Kulturstandards im Training „vorleben“, erhalten wir nicht nur im Seminar, sondern auch noch nach längerer Zeit: „Wenn ich etwas er­ lebe, sehe ich Sie beide immer noch vor mir stehen und dann überlege ich mir bei­ de Seiten: Was hätten Sie wohl gesagt? Der Tscheche? Die Deutsche?“ - So schrieb ein Teilnehmer ein paar Wochen nach dem Training in einem spontanen Mail.

5.5.23.

Bipolarität fördert Orientierung und reduziert Diskriminierung

Mit Hilfe der kontrastiven Darstellung in ihrer hier vorgenommenen Differenzie­ rung können Teilnehmer (1) an ihrem Stereotypisierungsbedürfnis abgeholt wer­ den, aber auch (2) darüber hinaus geleitet und zu einer Verringerung der Diskri­ minierungstendenz geführt werden.

(1) Stereotypen sind im Sinne der Theorie der Intergruppenbeziehungen (Thomas, 1994) soziale Kategorien, die (a) der schnellen und zuverlässigen Orientierung in einer komplexen sozia­ len Umwelt und (b) der Entwicklung eines Gefühls der sozialen Zugehörigkeit und der Stär­ kung der sozialen Identität dienen.

Damit sind sie zunächst einmal ein Faktum, von dem auszugehen ist. ad la): Orientierung wollen auch die Trainees aufgrund der erlebten Schwierigkeiten, die sie mit den jeweils anderen haben. Insofern ist zunächst vom Orientierungsbedürf­ nis auszugehen, dem mit der Darstellung der Kulturstandardpaare Rechnung ge­ tragen wird, durchaus in einer kompakten und simplifizierenden Form. ad 1b): Bei der Präsentation der Kulturstandardpaare ist nun darauf zu achten, jeden tschechischen und jeden deutschen Kulturstandard mit seinen Vor- und Nachteilen darzustellen. Damit kann das Bedürfnis, sich mit den positiven Seiten der eigenen

325

Kulturstandards identifizieren zu können, erfüllt werden.

Weil aber interkultureller Kontakt immer eine potentielle Bedrohung des Selbst­ bilds darstellt, besteht die Gefahr darin, der Diskriminierungstendenz zu erliegen, d.h. das eigene Muster als gut und das fremde Muster als schlecht zu bewerten

(2)

An dieser Stelle erweist nun die Darstellung der Kulturunterschiede als bipolare Kontrastpaare ihre Stärke: Man kann ein Kulturstandardpaar als eine Skala erläu­ tern, die mögliche Antworten zur Bewältigung einer grundsätzlichen Frage gibt, wobei die Tschechen tendenziell eher eine Antwort bevorzugen, Deutsche eher eine andere. Da die Nachteile der einen Antwort (des einen Pols des Kulturstan­ dardpaares) oft die Vorteile der anderen Antwort (des anderen Pols des Kultur­ standardpaares) sind, ist es möglich, die mit der Stereotypisierung einhergehenden Diskriminierungstendenzen gegenüber den anderen zu verringern. In der Sprache der Intergruppentheorie werden damit nämlich überlappende Kategorien herge­ stellt, weil jede (!) Antwort tatsächlich in beiden Kulturen vorkommt, die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen und wie häufig.- Aber genau das wird nun im Interkulturellen Training diskutiert. Die Abnahme der Tendenz zur Diskriminierung beruht auf folgenden Faktoren:

• Die allgemeine kognitive Kompetenz wird gefordert, z.B. durch das Bemühen um ein Verstehen und Nachvollziehen der anderen Logik und um Empathie. Das steht im Einklang mit dem Trainingsziel, die vorhandenen sozialen Katego­ rien um die „Innensicht“ der Stereotypisierten zu erweitern. Kognitive Kompe­ tenz ist eine Voraussetzung und eine Folge des Perspektivwechsels. Dazu berichten Bransford & Schwartz eine weitere Beobachtung, die für Inter­ kulturelles Lernen ebenfalls von Wichtigkeit sein dürfte: Neues zu lernen bein­ haltet auch ein „Gehen-lassen“ bzw. ein Ersetzen des alten Wissens. Es wird eben nicht nur neue Information assimiliert, sondern effektive Lerner betrachten ihr momentanes Wissen und ihre jetzigen Einstellungen kritisch im Sinne von „vorläufig“. Sie wissen beispielsweise, dass sie mehr Informationen brauchen, als sie im Moment haben und verwenden nun das vorhandene Material als Leit­ faden zur Wissenssuche. Dabei ist dann manches von dem, was sie im Moment wissen und für richtig halten, als falsch über Bord zu werfen! Als Idealtypus mit einer solchen Einstellung beschreiben Bransford & Schwartz den „vollendeten Novizen“. Er weiß, was er weiß, und weiß, wieviel er nicht weiß. Sie übertragen das auch auf interkulturelles Lernen: „...people who have experienced living in another culture (and reflected on their experiences) may be more prepared to ‘let go’ of egocentric assumptions about the things that constitute worthwhile practices.“ (Bransford & Schwartz, 1998, S. 26) • Die ursprüngliche Kategorisierung in Eigen- und Fremdgruppe wird etwas ab326

geschwächt, wenn man die Muster des „anderen“ auch bei sich entdeckt. • Mit der Auftretenshäufigkeit und den Auftretensbedingungen für einen Kultur­ standard (z.B. historische Hintergründe, Machtverhältnisse,) wird eine alterna­ tive Vergleichsdimensionen zur Erreichung einer positiven Unterscheidung zwischen Eigen- und Fremdgruppe eingeführt. • Die Tendenz zur Diskriminierung der anderen sinkt auch deshalb, weil man sich sicherer fühlt, das Selbstkonzept weniger bedroht sieht und den verursachten Stress weniger aus Gründen des Selbstschutzes in Abwehr, Schuldzuweisung und Stigmatisierung ummünzen muss. In der Terminologie Demorgons ist dieses Phänomen so zu beschreiben: Das Mo­ dell der Kulturstandardpaare konturiert die Merkmale beider Kulturen. Es er­ leichtert somit die Anwendung beider Muster bzw. motiviert zum Pendeln. Denn:

1) Das Bedürfnis nach Identität wird genauso erfüllt (Vorteile des eigenen Mus­ ters, Nachteile des fremden Musters) wie 2) das Angezogenwerden durch den Gegenpol aufgrund des Gewahrwerdens der Nachteile des eigenen und des Aufscheinens der Vorteile des fremden Musters. In der Praxis der Trainingsarbeit bedeutet dies:

• Die Vor- und Nachteile der Kulturstandards werden in den Analysen der Kriti­ schen Ereignisse diskutiert oder dargestellt. • Der Effekt, sich positiv mit den eigenen Kulturstandards identifizieren zu kön­ nen und damit seine soziale / kulturelle Identität zu stärken, tritt hierbei für Deutsche und für Tschechen an verschiedenen Punkten ein: Deutsche wissen um ihre berufliche Effektivität, aber auch um den Preis, den sie dafür zahlen, nämlich als kalt und unsympathisch wahrgenommen zu werden. Sie freuen sich, wenn sie nun (vor allem bei der Diskussion der „Trennung der Persönlichkeitsund Lebensbereiche“) den Tschechen aufgrund der Darstellung ihrer anderen Seite auch „menschlich“ erscheinen und wenn ihre guten Absichten deutlich werden („internalisierte Kontrolle“). Tschechen sind begeistert, dass ihre Eigen­ schaften völlig gleichberechtigt den deutschen gegenübergestellt werden. Sie hegen in ihrer „schwankenden Selbstsicherheit“ immer latent das Gefühl, dass sie sich ändern müssten (aber nicht wollen). Und nun werden ihre Charakteris­ tika schlicht mit Vor- und Nachteilen dargestellt. Die Vorteile sehen sie selbst ebenso und die Nachteile können sie jetzt ohne Defensive betrachten, denn es hat sich durch diese Darstellung eine Atmosphäre breit gemacht, die ein Teil­ nehmer so beschrieb: „Ja so sind wir. Aber wir dürfen also so sein!“ • Es wird explizit bei der Arbeit an den Fallgeschichten und bei der Explikation der Kulturstandards die Frage gestellt: Woher und wie kenne ich das Muster „der anderen“? Wann verhalte ich mich / verhalten wir uns auch so? 327

• In dieser Reflexion wird deutlich, dass die Verhaltensmuster zumindest ansatz­ weise im eigenen Repertoire vorhanden sind. Sie können als Brücke genutzt und im angezielten Kontext angewendet und ausgebaut werden!

5.5.3.

Anwendung des Kulturstandardpaaransatzes in Interkulturellen Trainings bei VW-Skoda

Wir sind seit Jahren Interkulturelle Trainer bei Skoda. Begonnen haben wir unsere Arbeit mit dem Auftrag, die deutschen Expatriates und zum Teil ihre Angehörigen bei der Eingewöhnung ins Leben und Arbeiten in Tschechien und mit Tschechen zu unterstützen. Das Interkulturelle Training sollte dabei nicht vor der Ausreise nach Tschechien, sondern bereits nach Ankunft der Entsandten im Gastland statt­ finden, zu einem Zeitpunkt also, an dem je nach inzwischen verstrichener Aufent­ haltsdauer - wir halten das Training in regelmäßigen Abständen mehrmals pro Jahr - mehr oder weniger viele eigene Erfahrungen vorliegen. Inzwischen hat sich diese Arbeit ausgeweitet sowohl auf tschechische Teams, die in ihrer Zusammenarbeit mit den Deutschen unterstützt werden sollen, wie auch gelegentlich auf gemischte deutsch-tschechische Teams, die tagtäglich Zusammenarbeiten und ihre Koopera­ tion auf diese Weise stärken wollen. In jedem dieser Seminare verwenden wir da­ bei das in dieser Studie dargestellte Wissen als Basis. Hier ist nicht der Ort, die einzelnen Programme detailliert zu beschreiben - zumal sie natürlich je nach Gruppe variieren. Beispielsweise sind landeskundliche Informationen oder eine Beschreibung des „Kulturschockerlebens“ mit der Diskussion von Copingstrate­ gien nur fur die Expatriates wichtig, für die anderen Gruppen nicht. Aber es ist im Anschluss an diese Studie sicher von Interesse, nachzuvollziehen, auf welche Weise die Kulturstandardpaare in der Praxis zum Einsatz kommen. Deshalb wer­ den im folgenden exemplarisch mögliche Varianten beschrieben, die vor allem die zentrale Bedeutung der synchronen und strategischen Perspektive illustrieren. Dann folgen Überlegungen zum Stellenwert der dynamischen und diachronen Per­ spektive. Zur synchronen und strategischen Perspektive:

Eine Variante (Variante 1) in monokulturellen Settings (also im Training aus­ schließlich für Deutsche oder ausschließlich für Tschechen) besteht im klassischen Culture Assimilator: Die Teilnehmer erhalten verschiedene Critical Incidents samt Antwortaltemativen und haben die Aufgabe, dieses Material in einer Kleingruppe durchzuarbeiten und eine Szene für ein Rollenspiel aufzubereiten. Dadurch setzen sie sich selbst intensiv mit diesem Kritischen Ereignis und seinen Erklärungen auseinander, bringen es aber auch anschaulich ins Plenum ein. Dabei wird darauf

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geachtet, dass jede Untergruppe ein oder mehrere Kritische/s Ereignis/se zu nur einem Kulturstandard erhält, so dass im Plenum dann verschiedene Rollenspiele verschiedene Kulturstandards illustrieren. Hier wird nun Kulturstandard für Kul­ turstandard durchbesprochen und anhand der Incidents diskutiert. Wir Trainer moderieren, ergänzen, visualisieren. So erarbeiten wir einen fremdkulturellen Kulturstandard nach dem anderen, machen aber nach jedem Halt und richten das Augenmerk auf den dazu korrespondierenden eigenkulturellen Kulturstandard: Was entspricht denn diesem Verhalten auf unserer (eigenkulturellen) Seite? Wie würden wir uns in einer solchen Situation verhalten? Welche Erwartungen sind uns selbstverständlich? Diese Elemente werden gesammelt, vom jeweiligen Native in unserem Tandem mit dem entsprechenden Begriff charakterisiert und definiert und um ein paar weitere wichtige Bestandteile ergänzt. Eine andere Variante (Variante 2) besteht darin, die Kulturstandards nicht induk­ tiv (vom Kritischen Ereignis zum Kulturstandard) zu erarbeiten, sondern in einer Mischung aus Deduktion und Induktion. Wir beginnen damit, als Trainertandem die Kulturstandardpaare vorzustellen. Das machen wir im Wechsel: Pro Kultur­ standardpaar erläutert mein tschechischer Kollege den tschechischen Kulturstan­ dard und ich den deutschen. Dann teilen wir Kritische Ereignisse aus ohne Ant­ wortoptionen und ohne Erklärungen. Es ist die Aufgabe der Teilnehmer (entweder in Einzelarbeit oder in Untergruppen), aufgrund des Gehörten die vermutliche fremdkulturelle Perspektive für das Ereignis wie auch die eigenkulturelle Per­ spektive zu erarbeiten. Zum Schluss steht wieder die Diskussion, Differenzierung und Ergänzung aus beiden Perspektiven im Plenum. Ein dritte Variante (Variante 3) ist die Arbeit an unmittelbaren Problemfallen der Teilnehmer. Die Trainees analysieren ihren eigenen Fall analog den in 3.1.2.3. vorgestellten Fragen und bereiten ihn entweder als Rollenspiel oder in einer ande­ ren Präsentationsform für die Plenumsdiskussion auf.

Bei allen drei Varianten besteht das Ergebnis im Plenum in folgenden Einsichten:

(l)Diese Kontraste existieren weithin: Sie erklären das Kritische Ereignis und ma­ chen es verständlich und nachvollziehbar. Sie decken sich auch sonst mit den Erfahrungen der Teilnehmer. (2)Diese Kontraste sind aber nicht nur derart „schwarz-weiß“, sondern zumindest gelegentlich oder unter bestimmten Umständen in beiden Kulturen vorhanden. Stets „bekennen“ es einige Teilnehmer spontan und ganz offen, wenn sie sich persönlich mit einem Kulturstandard in einem Höchstmaß identifizieren können und durch ihn charakterisiert sehen, aber auch, wenn sie sich bei einem anderen eher „tschechisch“ bzw. „ein bisschen deutsch“ einschätzen. Immer fragen wir auch expressis verbis, wo und wie das Muster „der anderen“ aus dem eigenen Leben vertraut ist und gelebt wird. 329

(3)Stets gibt es spontane „Anwälte“ der „anderen Seite“, die betonen, dass dieser Kulturstandard der „anderen“ doch diese oder jene Stärke habe, das solle und müsse man freiweg und selbstkritisch „zugeben“. - Es ist keineswegs nur uns vorbehalten, die Vor- und Nachteile hervorzuheben.

Ob die Detaillierungsstufe der schriftlichen Materialbearbeitung eines Culture Assimilators (Variante 1) zum Einsatz kommt oder die Diskussion von Kritischen Ereignissen, wie sie diese Studie erhoben hat (Variante 2), oder die Analyse eige­ ner Kritischer Ereignisse der Trainingsteilnehmer (Variante 3), betrachte ich als eine didaktisch-methodische Frage, die in ihrer Wirkung auf den Effekt des Ler­ nens (Kinast, 1998) sehr ähnlich sein dürfte. Wir arbeiten daher, wie dargestellt, je nach Teilnehmergruppe prinzipiell mit allen drei Ansätzen, vorwiegend jedoch mit Variante 2 und Variante 3. Die Kulturstandards werden an der entsprechenden Stelle referiert. Immer liegen sie den Teilnehmern auch schriftlich vor. Von der gewählten Methode wird allerdings die Motivation zum Lernen sehr wohl beeinflusst. Dies ist vor allem für die tschechischen Trainees von Bedeutung: Sie begegnen uns nämlich zunächst einmal misstrauisch und skeptisch und es muss als erstes eine Vertrauensbasis hergestellt werden. Auf die hier zur Diskussion ste­ hende Frage nach der Art eines CA-Trainings im weiteren Sinn bezogen, heißt das: Um ein CA-Training in schriftlicher, „klassischer“ Form (Variante 1) durchfuhren zu können, müssen fiir Tschechen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

1. Der C A muss sehr gut und sehr differenziert ausgearbeitet sein. Er darf keines­ falls einfach und keinesfalls durchsichtig, sondern muss wirklich anspruchsvoll sein: • Die Beispiele müssen glaubwürdig sein und durch ihren Detaillierungsgrad beispielsweise davon überzeugen, dass der Autor ein Insider ist. • Die Kulturstandards müssen gut ausgearbeitet sein. • Alle Antwortaltemativen müssen etwas richtig und etwas falsch sein, denn, dass eine ganz richtig wäre, das ist in tschechischen Augen unmöglich. Und dann besteht die Gefahr, dass die Trainees sich ausschließlich verbeißen in den Beweis der Unzulänglichkeit der vom Material präferierten Lösung. Ist das nicht gegeben, achten Tschechen nicht auf die Inhalte, die vermittelt werden sollen, und wollen sie nicht lernen, weil sie dem ganzen Verfahren nicht glauben! Es herrscht das Gefühl vor, auf simple Art manipuliert oder für nicht besonders intelligent gehalten zu werden. 2. In der Trainingsdramaturgie kann ein schriftlicher CA nicht zur Vermittlung von Kenntnissen eingesetzt werden. Man glaubt dem Instrument einfach nicht. Der CA kann entweder als Diskussionsgrundlage genommen werden, sodass man seine Botschaften relativieren, eigene Gedanken einbringen und mit den 330

Trainern und den anderen Teilnehmern diskutieren kann. Oder eine andere Möglichkeit besteht darin, den CA zum Schluss eines Trai­ nings als Zusammenfassung einzusetzen. Wenn das Training bis dahin gut ge­ laufen ist und die Teilnehmer grundsätzlich von der Qualität der Inhalte über­ zeugt werden konnten, dann akzeptieren sie jetzt den CA als „Abschlussübung“.

Aus diesen Gründen haben wir nur wenige Beispiele schriftlich und derart exakt ausgearbeitet. In der Mehrzahl der Fälle benutzen wir die von uns erhobenen Kri­ tischen Ereignisse und erarbeiten ihre Deutungen in einer Gruppen- und Ple­ numsdiskussion, wie in Variante 2 beschrieben. Der größte Spielraum für eine kritische Diskussion, für das Einbringen eigener Ideen sowie für den Test der Trainer auf Glaubwürdigkeit und nachhaltigem Empathieanspruch ist bei der Be­ arbeitung eigener, erlebter Fallgeschichten gegeben (Variante 3). Deshalb arbeiten wir in jedem Seminar mit der Analyse einiger von den Trainees selbst erfahrener Kritischen Ereignisse. Nun gilt es, glaubwürdig, die Teilnehmer individuell an­ sprechend und in unserer eigenen persönlichen und kulturellen Identität au­ thentisch bleibend gemeinsam mögliche Ursachen für die Problematik zu analy­ sieren und Lösungsansätze zu überlegen. Die in dieser Arbeit beschriebenen tschechischen Kulturstandards „Abwertung von Strukturen“ (Schriftform!), „Personbezug“ und „personorientierte Kontrolle“ (Überzeugt-Sein von einer Sache als Voraussetzung für Kooperation) sowie Dif­ fusion (Lerner - Person) sind als grundlegende kulturelle Orientierungen eben auch in einer Trainingssituation wirksam. Dazu kommen folgende Rahmenbedin­ gungen: Seminare zu „soften Faktoren“ sind völlig neu und werden (a) immer in die Nähe früherer politischer Schulungen gebracht, (b) kränkenderweise als ver­ deckter Hinweis auf mangelnde soziale Kompetenz betrachtet, (c) als potentieller Konflikt zwischen den deutschen und tschechischen Kollegen interpretiert, den man sich scheut, explizit zu machen. - Wenn Tschechen allerdings im Seminar begeistert werden können, dann herrscht eine sehr offene und äußerst intensive Lematmosphäre und die Arbeit macht allen Beteiligten Spaß. Mit Deutschen existieren diese erwähnten Probleme nicht: Diejenigen, die ins Training kommen, sind bereits motiviert, wollen hier etwas lernen und geben uns Trainern einen gewissen Vertrauensvorschuss in unserer Rolle als „Experten“ für die Thematik - unabhängig von der gewählten Didaktik. Mancher formuliert sogar u.U. ganz offen, dass er als Ingenieur kein psychologischer Fachmann ist und wir ihm deshalb in komprimierter Form Wissens- und Beachtenswertes mitgeben mö­ gen. - Die Kulturstandards „Sachbezug“, „Aufwertung von Strukturen“ und „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“ sind aktiviert.

Eine weitere Anwendung der Kulturstandardpaare (Variante 4) besteht in einer Übung, die wir „Wege zum Erfolg“ nennen. Wiederum liegt die Initiative auf sei331

ten der Teilnehmer: Sie sollen ein „gelungenes Kritisches Ereignis“ aus ihrem Er­ fahrungsschatz wählen, das sie als „Erfolgsbeispiel“ betrachten und es in fol­ genden Schritten analysieren: 1. Beschreiben Sie die problematische Ausgangssituation möglichst genau. • Was war Ihre Perspektive? • Was war (vermutlich) die Perspektive Ihres tschechischen bzw. deutschen Partners? 2. Wie sah die Lösung der Situation aus? Bitte beschreiben Sie sie. • Worin bestand Ihr Beitrag zur Lösung der Situation und zum Gelingen der Kooperation? • Worin bestand der Beitrag Ihres tschechischen bzw. deutschen Partners?

Wieder machen sich Kleingruppen an die Aufbereitung einer Fallgeschichte sowie der Antworten für die Plenumsdiskussion. Und wiederum ergänzen wir als Trai­ nertandem zunächst Einzelheiten der Wirksamkeit der Kulturstandards in der problematischen Ausgangssituation. Und dann filtern wir heraus, welche Oszilla­ tionsprozesse erfolgt sind, die das Gelingen ermöglichten. Salopp formuliert be­ antworten wir die Frage: An welchen Kulturstandards der „anderen“ konnte mit welchen eigenen Kulturstandards „angedockt“ werden? Ein Beispiel: Er hat’s doch nicht leicht... Ein Deutscher kommt als neuer Chef einer Abteilung nach Tschechien. Gleich am ersten Tag seiner „Amtszeit“ wird er damit konfrontiert, dass in seiner Entwicklungsabteilung ein größeres, relativ weit­ gefächertes Problem besteht, das aber schon geraume Zeit „ mitgeschleppt “ wird. Das erkennt er in dem Meeting, in dem er mit seinen tschechischen Mitarbeitern sitzt, und bittet den Protokollanten dieses Problem ins Protokoll aufzunehmen. Der windet sich... Das ginge nicht, nicht in der Formulierung, das würde Herrn X und Herrn Y betreffen und treffen... und er nannte hundert Argumente, warum das nicht ins Protokoll aufgenommen werden könnte. Der Deutsche kontert: „Aber das ist ein ernsthaftes Problem. Das müssen wir angehen, das können wir nicht ignorieren. Das löst sich nicht von selbst. “ Beide Seiten debattieren eine Weile - ohne Erfolg. Der Deutsche spürt, dass er irgendeine sensible Stelle berührt hat und zwingt daher den Protokollanten zu nichts, sondern lässt sich nach dem Meeting nochmals erläutern, wo die Schwierigkeit mit dem Pro­ tokoll läge. Ja, erfährt er, die Sache würde eben vor allem Herrn X betreffen - auch Herrn Y - und vor allem an Herrn X hingen sowieso schon so viele Probleme und Aufgaben. Er hätte es wirklich nicht leicht und wenn man ihm dann das auch noch aufbürde.... Der Deutsche geht an seinen Schreibtisch. Er ruft Herrn X und Herrn Y an. Er sagte ihnen, dass man gerade das Problem besprochen habe. Dass das wirklich anzupacken sei und dass er, damit es auch nach und nach angegangen werden würde, dieses Problem ins Protokoll aufnehmen werde. Das sei nichts gegen sie, diese beiden Herren, und in keiner Weise ein Vorwurf oder eine weitere Last. Er wisse jetzt noch nicht, wie das Problem zu lösen sei, aber er werde sich alleine, mit ihnen und mit anderen eine Lösung überlegen. Was sie denn vorschlagen würden, wie man das Problem für das Protokoll for-

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mutieren solle, dass sie damit leben könnten, dass aber Energie und Ressourcen dafür zu bekommen seien.

Es gab eine Formulierung, es gab keine Stimmungstrübung, das Problem konnte angegangen werden.

Analyse der problematischen Ausgangssituation: deutsche Perspektive

Tschechische Perspektive:

• Es geht um eine wichtige Sache, für die sich der Deutsche verantwortlich fühlt. => Sachbezug - > regelorientierte Kontrolle

• Der Protokollant weiß, wer was und wie viel zu tun hat und was deshalb für wen welche Konsequenzen nach sich zieht. Er möchte sei­ nen Kollegen schonen. Das ist wichtiger, als dass das Problem beho­ ben wird. Das geht schon lange so, das wird auch weiterhin so gehen... => Personbezug => personorientierte Kontrolle

• Man muss sich an eine Problemlösung ma­ chen! => Konfliktkonfrontation

• Der Protokollant möchte auf keinen Fall der­ jenige sein, der einem anderen Schwierigkeiten macht und sich damit Vorwürfe und Anti­ pathien einheimst, wenn es kein Entrinnen gibt: „Der hätte das anders formulieren sol­ len...“ => Konfliktvermeidung

Analyse der Lösung: deutscher Beitrag:

tschechischer Beitrag:

• Innehalten im ausschließlichen Sachbezug und auf der Beziehungsebene die Störung wahr­ nehmen. => Oszillation in Richtung Personbezug

• Verbleib im vertrauensstiftenden informellen Setting (Diffusion) mit Zugangsmöglichkeit für den Deutschen • Innehalten in der ausschließlichen Konflikt­ vermeidung und Aufklärung des Deutschen über die zugrundeliegenden Probleme =>Oszillation in Richtung Konfliktkonfrontation

• Wiederaufnahme des Sachbezugs, aber mit „Ankoppelung“ an den tschechischen Kultur­ standard „Diffusion - informelles Setting“ (Vier-Augen-Gespräch und persönliche Tele­ fonate bzgl. der Ursachen und etwaiger Lö­ sungsvorschläge) - > Oszillation in Richtung Diffusion

• Akzeptanz seines Anliegens auf der Sachebene => Oszillation in Richtung Sachbezug

• Benutzung des deutschen Kulturstandards „schwacher Kontext“ (Fragen nach der Ursa­ che) • Wahrung des Kulturstandards „Konfliktkon­ frontation“ (Nicht-Nachgeben bis eine Lösung gefunden ist), aber Kombination mit den tschechischen Kulturstandards „Personbezug“ (sichtlich um gute Beziehung bemüht) und

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„Diffusion - informelles Setting“ => Oszillation in Richtung Personbezug => Oszillation in Richtung Diffusion

Wenn wir dem Verhalten des Akteurs folgen und aus diesem erfolgreich bewältigten Kritischen Ereignis Empfehlungen für ähnliche Situationen ableiten wollten - manchmal wünschen sich die Teilnehmer eini­ ge solcher Tipps dann könnten sie für Deutsche (ein Deutscher war der aktiv Handelnde!) in der Integ­ ration ihrer deutschen Kulturstandards mit relevanten tschechischen Kulturstandards folgendermaßen lauten:

Zum Kulturstandard „Sachbezug“: • Gehen Sie nicht davon aus, dass etwas akzeptiert oder gar gemacht wird, nur weil es sachlich ein­ sichtig erscheinen müsste. (Zur sachlichen Einsicht müssen nun noch motivationale Faktoren des > Personbezugs hinzukommen.) Alleine mit der Reduktion dieser Erwartung ersparen Sie sich schon viel Ärger. • Seien Sie sich dessen bewusst, dass es genau diese deutsche Sachorientierung ist, die unsympa­ thisch wirkt und Stereotype wie „Kälte“, „Unnahbarkeit“, „Arroganz“ nährt. (-> Personbezug} • Ergänzen Sie diesen Ihren Sachbezug um Elemente des Gegenpols -> Personbezug. Zeigen Sie sich als „Mensch“ und zeigen Sie dem Partner deutlich, in welchem persönlichen Bezug Sie zu ihm stehen oder zu stehen wünschen. • Bemühen Sie sich, zu Beginn einer Kooperation schon eine Beziehungsebene zu installieren und die Sachebene „gebremster“ zu verfolgen. Schaffen Sie dazu Foren für persönliche Begegnungen. Wenn man sich kennenlemt, kann Sympathie entstehen. „Der ist nicht blöd, er ist eigentlich sym­ pathisch“ könnte das Urteil Ihres tschechischen Gegenübers lauten und dann haben Sie die beste Basis für eine Zusammenarbeit. (-> Personbezug} • Im Idealfall sollte es Ihnen möglich sein, für (sachliche) Probleme eine persönliche (individuelle, situativ angepasste) Lösung zu suchen, die erkennbar die Bedürfnisse der tschechischen Kollegen bzw. Mitarbeiter einbezieht. (-> Personbezug} Zum Kulturstandard „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“:

• Lernen Sie mit informellen Strukturen zu arbeiten. Vor allem als Chef müssen Sie diese gut ken­ nen und durch informelle Gespräche viel wissen. (-> Diffusion: formell-informell} • Um Tschechen von Ihren guten Absichten zu überzeugen, sind informelle Wege unerlässlich. Tschechen werden nur hier ehrlich und offen reden, nur hier Diskussionen mit Ihnen „erproben“, nur hier eventuelle Fehler besprechen. Dabei müssen Sie zeigen, dass das alles keine negativen Konsequenzen hat. (-> Diffusion: formell-informell Zum Kulturstandard „Konfliktkonfrontation“:

• Seien Sie sich grundsätzlich der Tatsache bewusst, dass eine Problembesprechung überhaupt nur bei gesicherten, intakten Beziehungen funktionieren kann. (-> Personbezug} • Gehen Sie auf der Beziehungsebene mit Problemen behutsamer um, nehmen Sie auf die Gefühle Ihres tschechischen Mitarbeiters Rücksicht. Konstruktive Problemgespräche sind nur dann zu füh­ ren, wenn die Beziehungsebene gesichert ist, eine angstfreie Atmosphäre hergestellt werden kann, die zu Stellungnahmen ermutigt (unter vier Augen, -> informelle Ebene!), und der Person deutlich Wertschätzung entgegengebracht wird. Eine sozial verträgliche Dosierung (nicht alles auf einmal!) ist das Heftpflaster für den Wunsch nach weitgehendem Wohlbefinden. (-> Konfliktvermeidung; > Personbezug} • Gehen Sie inhaltlich mit Sametpfotchen vor. Erklären Sie, warum, wieso, weshalb... Bemühen Sie sich, ausschließlich die Sachebene anzusprechen, keine Bloßstellung, keinen Vorwurf, keine Schuldzuweisung zu äußern. (-> Konfliktvermeidung; -> Personbezug}

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• Konflikte muss die deutsche Seite ansprechen, die Tschechen tun das nicht. Wenn Sie nun ein­ fühlsam, offen, vorsichtig und um eine gute Beziehung bemüht agieren, dann sind solche Gesprä­ che möglich. (-> Konfliktvermeidung; -> Personbezug)

Wie der Schilderung zu entnehmen ist, arbeitet die Variante 4 am umfassendsten mit dem Potential zum interkulturellen Lernen, das im Ansatz der Kulturstan­ dardpaare steckt: Die Problemanalyse liefert Informationen zum Eigenen und zum Fremden; die Erfolgsanalyse erlaubt ein kognitives Nachvollziehen der Oszillati­ onsprozesse (Demorgon) bzw. der Integrationsleistungen (Thomas), die gelungen sind. Das ist neben dem kognitiven und behavioralen (Modellemen!) Effekt des Transfers für künftige, ähnliche Situationen auch motivational und emotional wichtig. Es wird nämlich gezeigt, dass die Teilnehmer Potential zum Oszillieren haben, dass sie es können und nicht als unangenehm erlebt haben. Weil das Handlungsergebnis positiv ist, wird auch die Einstellung gegenüber der anderen Kultur generell positiver (Kinast, 1998) und erleichtert künftig das Oszillieren: Vorteile, die im Handlungsmuster des „anderen“ zur Zielerreichung stecken, wur­ den erfahren und die Attraktivität des „anderen“ Verhaltens steigt. Zusammenfassend kann für sämtliche hier vorgestellten Varianten des Arbeitens mit Kulturstandardpaaren in der Praxis gesagt werden:

• Prinzipiell finden alle Varianten in allen Trainingssettings - ob monokulturell oder bikulturell - Anwendung. Es versteht sich dabei von selbst, dass in bikul­ turellen Trainings natürlich das erste Wort zur Erhellung der eigenkulturellen Perspektive die anwesenden Teilnehmer haben. • Das erhaltene Feedback gibt Rückmeldungen über den Ist-Zustand der Koope­ ration und eröffnet Perspektiven für künftiges Handeln. • Das Kontrastiemen erleichtert den Transfer der Trainingsbeispiele in den All­ tag. • Das Sowohl-als-Auch-Prinzip der Kulturstandardpaare fordert eine positive ei­ gene kulturelle Identität und wirkt erleichternd für die Integration des eigenen und des fremden Musters.

Zur diachronen und dynamischen Perspektive: Die diachrone und die dynamische Perspektive, also die kulturhistorischen Hin­ tergründe für die Kulturstandards und die Typiken des Transformationsprozesses, werden von uns Trainern auf die - ausnahmslos immer gestellte - Frage der Teil­ nehmer, wie und warum denn diese unterschiedlichen Kulturstandards entstanden seien, erläutert.

(1) Für Deutsche ist es wichtig, über den Stellenwert, den Geschichte für Tschechen

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hat, folgendes zu wissen: a) In Tschechien spielt Geschichte in der Allgemeinbildung eine bedeutende Rolle. Damit sind historische Daten den Menschen viel vertrauter und bedeut­ samer. Hoensch sagt Tschechen eine „weitverbreitete Neigung“ nach, „durch den Rückgriff auf die nationale Vergangenheit Mut und Hoffnung für die Probleme der Gegenwart zu schöpfen“ und eine „bewusste Pflege der Ge­ schichte“ zu betreiben. (Hoensch, 1997, S. 457). b) Da bis in die jüngere Zeit Geschichte oft nicht nur aus der jeweiligen Zeit her­ aus zu verstehen versucht wurde, sondern mit der Brille des Heute ins Gestern geblickt wurde (Seibt, 1997; Hoensch, 1997) - ob national oder marxistisch motiviert -, konnte und kann manches Datum tendenziös gelehrt und gesehen werden. Das heißt in unserem Zusammenhang, dass die Geschichte Böhmens als eine Geschichte „gegen“ Deutschland manchmal ex post facto als solche betrachtet wird, obwohl sie das in dem Ausmaß in den Augen der jeweiligen Zeitgenossen nicht war. Der Nationalbegriff wurde erst im 19. Jahrhundert re­ levant, prägte aber ab da die Identitätsfindung der Völker so sehr, dass sie die Geschichte rückblickend unter nationaler Perspektive lasen und dabei die epo­ chenweiten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen vorwiegend national (d.h. im Gedanken der Staatssouveränität und Nationalentwicklung) interpretierten. c) Damit sind im tschechischen Bewusstsein Rivalitäten, die man mit Deutschen ausfocht (sprachliche, ständische, städtische, religiöse und nationale), viel kla­ rer vorhanden als ein durchschnittlicher Deutscher das ahnt. - Und das zeitigt seine Wirkung bis heute. Viele Deutsche haben nämlich bereits Skepsis, Misstrauen und Vorsicht seitens der Tschechen erlebt, manche sogar Ablehnung und Diskriminierung. Es ist des­ halb unabdingbar, dieses tschechische Verhalten in einen größeren historischen Zusammenhang zu stellen, seine Hintergründe zu beleuchten und die Geschichte in Grundzügen zu kennen.

(2) Der Effekt der historischen Erläuterungen liegt auch darin, eine Zusammenhangs­ struktur der deutschen bzw. tschechischen Kulturstandards herzustellen und Ant­ worten auf das Warum für die Kulturunterschiede zu haben. Wenn die „andere“ Kultur somit als konkludentes System erscheint, erhöht sich die Bereitschaft, ihr Respekt zu zollen und sich auf die Andersartigkeit wirklich und langfristig, d.h. für die Dauer der eigenen Kooperation, einzustellen.

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