Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Bio-Pioniere in Österreich: Vierundvierzig Leben im Dienste des Biologischen Landbaus 9783205790341, 9783205785156


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German Pages [276] Year 2010

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Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Bio-Pioniere in Österreich: Vierundvierzig Leben im Dienste des Biologischen Landbaus
 9783205790341, 9783205785156

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Grüne Reihe des Lebensministeriums Herausgegeben vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Wien

Band 21

Bio-Pioniere in Österreich Vierundvierzig Leben im Dienste des Biologischen Landbaus

Aurelia Jurtschitsch

Böhlau Verlag Wien . Köln . Weimar

Gesamtredaktion der Grünen Reihe: Dr. Ruth M. Wallner, Lebensministerium

www.lebensministerium.at

Titelfoto: Der Inhalt des vorliegenden Buches gibt die Meinung der Autoren wieder und muss nicht mit der der Herausgeber übereinstimmen. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek. Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78515-6 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2009 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien · Köln · Weimar http://www.boehlau.at http://www.boehlau.de Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck: Druckallianz s.r.o, CZ-Brno

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1. Die Begründer der Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Dr. Rudolf Steiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans Müller – Maria Müller – Dr. Hans Peter Rusch . . . . . . . . . . . . .

2. Verbände und Initiativen bzw. Institutionen,

die die Biobewegung vorantrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waerlandbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mix in Salzburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weltbund zum Schutz des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dachverband ökologische Lebenssicherung . . . . . . . . . . . . . Verein natürlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum . . . . . . . . Der Österreichische Demeter-Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bergbauernvereinigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreich ORF – TV und Help-Redaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd Lötsch in diversen Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Verbandsentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Produktionsrichtlinien 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Biografieteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Sanfte“ Umstellung

Wurzerhof . . Wagner . . . Ganitzer . . . Eiböck Steinhauser . Heissenberger Steindl Löschenkohl .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wenn Alleen ins Alter wachsen

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Ertl Stelzl

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Anregung zur Umstellung von außen

Kappel Franz. Kappel Josef . Froschhauser . Haitzmann. . Forsthuber . . Falkinger. . . Riser . . . . . Nagiller . . . Amann. . . . Weissenbach .

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Betriebsinterne Umstellung führen zur Umstellung

Schuster . . Kainberger . Vetter . . . Brader . . . Brandner. . Prasser . . . Wimmer . . Loidl . . . . Wach . . . Conrad . . Beilschmidt Prenninger . Gahleitner .

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Interessensvertreter erkennen die Bedeutung

Willi . . . Fill . . . . Plakolm . Zöchling . Ibeschitz . Rittsteuer Schlögl. . Posch . . Riegler . .

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Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Allen, die das Leben auf der Erde achten, bewahren und schützen

Einleitung Aurelia Jurtschitsch

Die Pioniere des biologischen Landbaues – welche Menschen sind das? Was trieb sie zu dem Entschluss, aus dem gängigen, modern-fortschrittlichen Wirtschaftssystem auszusteigen und umzustellen auf Handarbeit, Kreislaufwirtschaft und Verzicht auf chemische Hilfen. „Wen hat es ‚erwischt‘?“ – das war schon meine (noch ganz frei und unwissenschaftlich formulierte) Frage bei den Recherchen für meine Dissertation „Die Biobewegung in Österreich. Biologisch – biografisch“ gegen Ende der 1980er Jahre. Untrennbar schien mir damals schon die Relation zwischen den handelnden Personen und der neuen Herausforderung zu sein. Wann und warum hatte der Gedanke an eine biologische, ökologische, naturgemäße Lebensweise diesen oder jene erfasst und begeistert, dass sie ihn unter allen Umständen realisieren wollten? Die Frage kann logischerweise auch selbstreflexiv gestellt werden: Warum ich mich als Studentin mit dem Thema beschäftigt habe. Die Antwort ist relativ einfach: Mitte der 1970er Jahre hatte es mich selbst „erwischt“, ich erlebte die Umstellung auf biologische Landwirtschaft auf dem Weingut der Familie hautnah mit. Eingefädelt hat diese Entwicklung die Mutter, die sich von einer naturbelassenen Ernährungsweise Gesundung und Kräftigung erhoffte. Ganz nach dem Motto, der Körpers könne sich nur von innen heraus erneuern kann, indem er durch eine vitale, vollwertige, Kraft spendende Nahrung die Mittel dazubekommt. Das bedeutete eine grundlegende Änderung der Küchenpraxis und des Speisezettels und nicht alle Familienmitglieder waren gleichermaßen dafür zu begeistern. Aber die dahinter steckende Logik ließ sich auf den Betrieb übertragen: Was für den Menschen stimmt, müsste auch für die Rebstöcke im Weingarten gelten. Sprich, gegen deren Krankheitsanfälligkeit sollte nicht mehr mit chemischen Mitteln von außen vorgegangen werden, sondern sie sollten durch optimale Nährstoffzufuhr aus einem lebendigen Boden von innen her widerstandskräftig gemacht werden. 1977 stellten die beiden ältesten Brüder auf biologischen Weinbau um. Einige Jahre später bot mir Professor Paul Fielhauer das Bio-Thema für die anstehende Abschlussarbeit an der Universität Wien an. Die biologische Landwirtschaft war so weit gediehen, dass man ihr von offizieller Seite ökonomisch eine Nische zugestand. Und auch von Seite der Volkskunde war das Auftauchen von alternativen Greißlerläden registriert worden. Die Bioprodukte waren unübersehbar gegenläufig zum Zeitgeist, oft schrumpelig und für Normalverbraucher sündteuer, dies alles im Öko-Ambiente: Weidenkörbe, einfach gezimmerte Holzregale, meist selbst gemacht, individuell gestaltet, recycled und die Waren im Mehrweg-Pfand-System. Die wissenschaftliche Fragestellung ging dahin, ob es Einleitung

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sich hier um eine Subkultur handelt und wenn ja, ob diese das Potential hätte, zu einer Leitkultur aufzusteigen oder ob es eine Modeerscheinung sei und als solche auch bald wieder verschwinden würde. Innerhalb von zwanzig, dreißig Jahren sind all diese Zuschreibungen – Nische, Mode, „Gammel-Look“ – obsolet. Biolandbau und Bioprodukte sind normal geworden, ja sind etablierte Größen. Die Initiatoren hingegen, die Wegbereiter der Biobewegung in Österreich haben sich zum Großteil aus dem aktiven Geschehen zurückgezogen und ihre Erlebnisse und Geschichten verlieren an Präsenz. - Wie schnell doch etwas an der Schwelle zum Vergessen-Werden steht. Diesem Vergessen-Werden hat sich dankenswerter Weise die Bio Austria im Jahr 2007 entgegengestellt und ein Projekt initiiert, im Zuge dessen 40 Biobauern und Biobäuerinnen der ersten Stunde sowie Akteure in der Wissensvermittlung und in der Politik gebeten wurden, ihre Geschichte auf dem Weg zum Biolandbau zu erzählen. Das Institut für Geschichte des ländlichen Raumes (IGLR) mit Sitz in St. Pölten wurde mit dem Projekt beauftragt und der Umfang von 40 Interviews abgesteckt. Nach Vorgesprächen mit der Initiativgruppe um Andreas Schwaighofer, Geschäftsführer von BioAustria Salzburg, wurde ich mit der Durchführung des Gesamtprojektes betraut. In Zusammenarbeit mit den amtierenden Landesgeschäftsführern der einzelnen Bundesländer wurden die Pioniere ausgesucht und die Kontakte geknüpft. So wurden im Namen von BioAustria und unter wissenschaftlicher Betreuung durch das IGLR die narrativen Interviews im Sommer 2007 und 2008 durchgeführt. Die Tondokumente, Transkriptionen und diverse ausgehändigte Dokumente aus den Anfängen des Biolandbaues (Fotografien, Zeitungsberichte und Korrespondenzen) werden schließlich vom IGLR archiviert. Eine Fundgrube für alle, die eventuell durch die folgenden Ausführungen Lust auf mehr Geschichte(n) der Biobauern bekommen. Vor allem der Originalton – über alle Färbungen des Österreichischen von Vorarlberg bis Kärnten, Burgenland bis Oberösterreich – bietet einen authentischen Eindruck der verschiedenen Temperamente und Gemüter. Im vorliegenden Buch finden sich als Vorgeschmack auf diesen persönlichen Ausdruck mehrfach Originalzitate. Die einzelnen Besuche bei den Pionieren und Pionierinnen habe ich immer mit Spannung erwartet und durfte doch durchwegs mit dem Gefühl Abschied nehmen, dass es für beide Teile eine erfreuliche Begegnung war. Und so schwingt bei manchem auch der Wunsch nach einem Wiedersehen mit. Dabei traf ich nur in ganz wenigen Fällen auf schon bekannte Gesichter. Im Regelfall handelte es sich um Begegnungen von bisher einander Unbekannten, denen nur ein oder zwei Telefonate vorangingen. Umso mehr ist es wertzuschätzen, wie viele Details aus den persönlichen Erlebnissen – und es waren neben den bestärkenden und erfolgreichen oft genug auch Nerven strapazierende – in Erinnerung gebracht wurden. Und so danke ich an dieser Stelle im eigenen Namen und im Namen aller interessierten Leserinnen und Leser, denen diese Erfahrungsschätze dadurch zugänglich gemacht werden können. Einige der Pioniere sind noch so im dichten Arbeitsleben und mit der Gegenwart beschäftigt, dass ein offizielles Erinnern für dieses Projekt im ersten Moment gar nicht ins Tageskonzept passte, dann aber doch auch ersprießlich gedieh. Für andere wiederum, die sich aus dem Berufsleben weitgehend zurückgezogen

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Einleitung

haben, war es ein nochmaliges Aufleben-Lassen einer vergangenen Zeit, ihrer Zeit! Spannend war es auch jedes Mal, wer aller an dem Gespräch beteiligt war. Denn Bio-Pionier zu sein hieß in den meisten Fällen, dass die ganze Familie – in erster Linie aber immer der Ehepartner, die Ehefrau – die Idee und alle mit der Umsetzung verbundenen Arbeiten und Folgeerscheinungen mitgetragen hat. Und so gab es einige aufschlussreiche, gemeinsam erzählte Geschichten des Werdeganges. Insgesamt entsteht beim kapitelweisen Durchlesen ein facettenreiches Bild der Entwicklungsgeschichte des Biolandbaues in Österreich. Die Einzelstandorte und Personen verzahnen sich nach und nach miteinander wie Puzzlesteine, je mehr sich Gruppen und Verbände zusammenfinden. Dass es sich durchwegs um eigenständige, wache Naturelle handelt, manchmal vollauf experimentierfreudig, manchmal eher umsichtig, kann nun in allen Variationen nachgelesen werden. Interessant ist es bei jedem und jeder Einzelnen, wie sie die Gratwanderung schafften, im Dorf, in verschiedenen Vereinigungen – Bauernbund, Musikkapelle, Maschinenring, Kirchenrat und dergleichen – integriert oder sogar leitend zu sein und auf einmal als Biobauer, mit der landwirtschaftlichen Methode auszubrechen und akkurat in die entgegen gesetzte Richtung zu marschieren. Nicht nur einmal zeichnete sich die Pioniernatur bereits sehr früh ab, wenn die Jungbauern, frisch von der Schule, Vorreiter für die Kunstdünger-Wirtschaft wurden oder im konventionellen System neue Praktiken in einer Region einführten. Die Umstellung auf Biolandbau war nur noch eine weitere Innovation – wenngleich sie meist nicht so begierig vom Umfeld aufgenommen wurde. Erstaunen mag es erregen, dass diese frühen Biobauern nicht – wie heute unabdingbar vorgeschrieben – mit einem festgelegten Stichtag komplett auf biologische Landwirtschaft umgestellt haben, sondern in zwei Etappen oder in einem längeren Erprobungs-Zeitraum. Erst ließ man den Kunstdünger weg und erst in einem späteren Schritt verzichtete man beim Pflanzenschutz auf chemische Mittel. Auch das Kriterium der offiziellen Anerkennung durch einen Verband oder eine staatliche Institution fiel damals weg – es gab sie nicht. Vielmehr war es eine persönliche bzw. kollegiale Zuschreibung: Man fühlte sich als Biobauer, man verhielt sich entsprechend und man bezeichnete sich als solcher. Nachdem in jedem Bundesland auch ehemalige oder die ersten Obmänner der Biobauernverbände zu Wort kamen, wird auch transparent, welche Aufgaben zu bewältigen waren auf dem Weg zu einer großen, agrarpolitisch wirksamen Einheit. Es ist ein österreichisches Spezifikum, dass lauter einzeln Berufene zu einer der beiden damals greifbaren biologischen Methoden – biologisch-dynamisch oder organisch-biologisch – fanden oder hingeführt wurden. Erst über die Bereitschaft oder die Notwendigkeit, biologisch zu wirtschaften, lernten sie andere Gleichgesinnte kennen, bildeten nach und nach Gruppen und erst später Verbände. Ganz anders in Deutschland und in der Schweiz, wo um die jeweiligen Gründerväter – Dr. Rudolf Steiner und Dr. Hans Müller – eine Bauerngruppe bestand und von Anfang an ein Austausch untereinander möglich war. Das Experiment der Vielfalt in der Einheit ist – wohl mit großen menschlichen Anstrengungen, denn diese Pioniere zeichnet auch ein gewisses „Einzelkämpfertum“ aus – gelungen.

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In manchen Gesprächen wurde klar, dass den Pionieren noch weitere Pioniere vorangegangen sind oder engagierte Gleichgesinnte sie begleiteten und unterstützten, die im Rahmen dieser Arbeit nicht oder nicht mehr selbst zu Wort kommen können. Diese Lücke bleibt schmerzlich bestehen, es wird aber das Wirken und der Einfluss dieser Persönlichkeiten so weit als möglich berücksichtigt – sei es in entsprechenden Verweisen innerhalb der Biografien, sei es in den Vorworten zu den Bundesländern. Eine knappe Skizzierung der Gesamtentwicklung ist am Ende des Buches zu finden. Es soll kein Hehl daraus gemacht werden, dass mit diesem Projekt für mich ein Herzenswunsch in Erfüllung ging. Mit „meinen Biobauern“ diese Gespräche führen zu können, war eine wunderbare Sache. Da aber glückliche Fügungen nicht einfach vom Himmel fallen, sondern doch meist – und auch in diesem Fall – durch mehrere Beteiligte zustande kommen, sei nicht nur dem Himmel Dank, dass alles so gekommen ist, sondern auch ganz konkret DI Andreas Schwaighofer, der im Rahmen der BioAustria diese Dokumentations-Serie anregte und Mag. Christoph Gleirscher, der als Bundesgeschäftsführer der BioAustria die Zustimmung zur Finanzierung gab. Drin. Rita Gastenauer vom IGLR begleitete das Werden dieses Buch von Anfang an. Ohne ihr sowohl ermunterndes als auch kritisches Feedback würde es nicht in dieser präzisierten Form vorliegen. Dafür herzlichen Dank! So bleibt einzig der Wunsch, dass Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, mit Interesse in die folgenden Lebensgeschichten eintauchen und ich hoffe, dass dabei ein wenig Humusgeruch zwischen den Zeilen aufsteigt – oder Sie Sehnsucht bekommen, ihn wieder einmal zu riechen, denn nur deshalb haben all diese Menschen ihren ganzen Fleiß, ihre Courage und Erfindungsgeist eingesetzt: Damit die Erde fruchtbar bleibt!

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Einleitung

1. Die Begründer der Methoden

Dr. Rudolf Steiner Die erste Assoziation zum Wirken Rudolf Steiners weist auf die von ihm gegründete Anthroposophie hin. Wie der Name schon aussagt versteht sie sich als „Weisheit vom Menschen“, die ein umfassend einsichtiges Wissen vermittelt und daraus folgend dem Menschen auch Aufgaben- und Entwicklungsmöglichkeiten im Hinblick auf sein Erdendasein anbietet. Unter diesen Aspekten gab Steiner 1924 den Impuls, die Vorgänge und Zusammenhänge in der Landwirtschaft grundlegend neu zu sehen und aufeinander abzustimmen. Rudolf Josef Lorenz Steiner wurde am 27. Februar 1861 in Kraljevec (ÖsterreichischUngarische Monarchie, heute Kroatien) geboren. Schon im Jahr darauf wurde der Vater als Stationsvorsteher der Südbahn nach Niederösterreich versetzt und so verlebte Steiner seine Kindheit mit den beiden jüngeren Geschwistern in Mödling, Pottschach (vgl. Biografie Maria Steinhauser) und Neudörfl. Die Eltern waren tief verwurzelte Waldviertler und zogen nach der Pensionierung des Vaters rasch wieder dorthin zurück. Das Abitur an der Realschule in Wr. Neustadt absolvierte Steiner mit Auszeichnung. Mit dem Ziel, Realschullehrer zu werden, belegte Steiner ab 1879 an der Technischen Hochschule in Wien die Hauptfächer Mathematik, Physik, Botanik, Zoologie und Chemie, daneben Literatur, Geschichte und Philosophie. Bereits 1882 wurde er zur Herausgabe von Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften in Kürschners „Deutscher National-Literatur“ berufen, was ihn bis 1897 beschäftigte und für die Mitarbeit an der Sophien-Ausgabe von Goethes Werken in Weimar qualifizierte. In diesen Jahren unterrichtete Steiner als Privatlehrer die Söhne einer Wiener Arztfamilie und konnte dadurch erste Erfahrungen und Erfolge im förderlichen Umgang mit einem behinderten Kind sammeln. Von 1890 bis 97 lebte Rudolf Steiner in Weimar, wo er neben herausgeberischen Arbeiten (Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, Schopenhauer, Jean-Paul, Wieland, Uhland) seine Dissertation fertig stellte und diese 1892 unter dem Titel „Wahrheit und Wissenschaft“ publizierte. 1893 erschien sein philosophisches Hauptwerk „Die Philosophie der Freiheit“. Ab 1892 wohnte der 31jährige Rudolf Steiner bei der frisch verwitweten Anna Eunike (1853–1911) mit ihren fünf Kindern, die 1899 seine erste Ehefrau wurde. Zu seinen Freunden bzw. Korrespondenten aus der Wiener Zeit gehörten Rosa Mayreder, Friedrich Eckstein, der ihn mit der Theosophie Helena Petrovna Blavatskys verStadt & Land – eine historisch wechselvolle Beziehung

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traut machte, weiters der Philosoph Eduard von Hartmann, Ernst Haeckel, John Henry Mackay, Elisabeth Förster-Nietzsche. In all diesen Jahren und auch später noch in Berlin führte Steiner ein karges Leben, was die finanziellen Umstände anbelangt, ein ungeordnetes, wenig auf sein äußeres Erscheinungsbild achtendes Leben, folgt man den Berichten seiner Freunde, ein suchend-fragendes, innerlich bewegtes Leben. - Seine Schriften waren durchaus erfolgreich, jedoch seine Habilitationsschrift für Philosophie wurde nicht anerkannt. 1897 erfolgte die Übersiedlung nach Berlin, wo Steiner für Magazine im Bereich Theater und Literatur publizierte bzw. seine Vortragstätigkeit aufnahm. In diese Zeit fiel eine offenbar einschneidende persönliche Erfahrung Steiners, die als neuzeitliches „Damaskus-Erlebnis“ bezeichnet wurde: Die innere Konfrontation mit einer Christus-Erfahrung. Steiners Lebensstil änderte sich. 1901 wurde Rudolf Steiner Mitglied der Theosophischen Gesellschaft und kurz darauf Generalsekretär der Deutschen Sektion. Er begegnete der Theosophin, Sozialistin und Frauenrechtlerin Annie Besant und lernte in diesen Jahren auch seine spätere zweite Frau Marie von Sivers (Eheschließung 1914) kennen, die vorerst enge Mitarbeiterin beim Aufbau theosophischer Logen wurde. Rudolf Steiner lehrte sowohl an der „Freien Hochschule“ des Friedrichshagener Dichterkreises als auch an der von Wilhelm Liebknecht begründeten Arbeiterbildungsschule. Neben eigenen Publikationen in Zeitschriften und vielen Vorträgen – sie sollen sich zeit seines Lebens auf 6.000 summieren – erschienen zwei grundlegende Zeugnisse seiner Anschauung: „Theosophie“ (1904) und „Die Geheimwissenschaft im Umriss“ (1910). Die von ihm entwickelte Laut-Bewegungskunst - die Eurythmie - wurde gemeinsam mit Marie von Sivers, die vom dramatischen Fach her kam, zur Bühnenkunst weiter ausgebaut. Aufgrund zunehmender Auffassungsunterschiede verließ Steiner 1913 die Theosophische Gesellschaft. (Steiner lehnte es ab, Jiddu Krishnamurti als reinkarnierten Christus anzuerkennen.) Er brach mit der Tradition der Geheimlehren und wollte das Wissen um den Menschen allen Gesellschaftsschichten zugänglich machen. Auf dieser Basis baute er ab 1913 seine Anthroposophie auf und gründete die Anthroposophische Gesellschaft. – Gleichzeitig wurde mit dem Bau des Goetheanums in Dornach bei Basel begonnen, nachdem ein Vorgängerprojekt in München nicht realisiert werden konnte. In seinem viel beachteten Werk „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ entwickelte Steiner die Auffassung von der Dreigliederung des sozialen Organismus als Lösung der anstehenden sozialen und gesellschaftlichen Probleme. Motiviert durch die bedrängende politische Lage in Mitteleuropa gegen Ende des 1. Weltkrieges wandte sich Rudolf Steiner mit zwei Memoranden über eine solche soziale Neugestaltung des öffentlichen Lebens an einflussreiche politische Persönlichkeiten – Prinz Max von Baden, Staatssekretär Richard von Kühlmann und Kaiser Karl von Österreich – wenngleich ohne Erfolg. Leitgedanke dieser „Sozialen Dreigliederung“ ist die Ermöglichung des Zusammenspiels eines freien Geisteslebens mit einem demokratischen Rechtsleben und einem assoziativen Wirtschaftsleben. Im Konkreten trat Steiner in öffent-

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1. Die Begründer der Methoden

lichen Vorträgen für die Einsetzung von Betriebsräten ein. Es war auch die Zeit der Eröffnung der ersten Freien Waldorfschule in Stuttgart (September 1919) als Betriebsschule für die Kinder der Arbeiter und Angestellten der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, wobei Steiner die Ausbildung und Beratung des Lehrerkollegiums nach anthroposophischen Überlegungen übernahm. Auch in den Bereichen Medizin, Nationalökonomie, Schauspielkunst, Heilpädagogik – und Landwirtschaft gab der inzwischen 60jährige Rudolf Steiner Anregungen und grundlegende Neuansätze. Nach einem Aufruf Rudolf Steiners an die wirtschaftlich tätigen Anthroposophen, sie mögen die Arbeit des Goetheanum finanziell mittragen, kam es im März 1920 Abb. 1: Steiner Rudolf. Prag 1918 No 10 - Dokumentation am Goetheanum zur Begründung des Verbandes „Der Kommende Tag - Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte“. Über 20 Betriebe – ein Verlag und Druckerei, Fabriken, Kliniken, Forschungsinstitute, eine Mühle, landwirtschaftliche Güter u.a. – kooperierten in diesem Sinne, allerdings unter inneren und äußeren Spannungen. Hinzu kam, dass in der Silvesternacht 1922/23 der Holzbau des Goetheanums durch ein Feuer zerstört wurde. Steiner schuf ein neuerliches Modell, diesmal für eine Betonkonstruktion. Nach Baubeginn löste Steiner sein soziales Engagement praktisch ein und hielt 14 Vorträge für die Bauarbeiter, in denen er Themen der Schöpfung der Welt und des Menschen, Erdenleben und Sternenwirken, Ernährungsfragen u. a. behandelte. Für die „AG Der Kommende Tag“ konnte Rudolf Steiner Graf Carl von Keyserlingk als Agrar-Sachverständigen gewinnen. Keyserlingk gehörte zum Vorstand der Firma Vom Rath, Schoeller & Skene, einem Zusammenschluss von 18 Gütern, und war als deren landwirtschaftlicher Leiter für etwa 7.500 Hektar Land verantwortlich. Schließlich wurde ihm das Gut Koberwitz als Arbeitsstätte zugewiesen, wo er bewusst junge Mitarbeiter aus der anthroposophischen Gesellschaft anstellte. Zu ihnen gehörten u. a. die Brüder Hellmut und Erhard Bartsch (vgl. Biografie Wurzerhof ). Als in Koberwitz durchsickerte, dass Rudolf Steiner Ernst Stegemann auf dem Klostergut Marienstein bei Göttingen Anweisungen zu einem vorerst geheim gehaltenen „biologischen“ Kompostierungs- bzw. Düngeexperiment gegeben hatte und der Chemiestudent Ehrenfried Pfeiffer nach Steiners Angaben ein „Hornpräparat“ mit Dung bereitet hatte, wollte man vom Mentor allgemeingültige Ratschläge für die Landwirtschaft einholen. Es dauerte zwei Jahre, bis Rudolf Steiner zusagte und anlässlich der Pfingsttagung der Anthroposophischen Gesellschaft 1924 an acht Tagen die gewünschten Vorträge über „Die Geisteswissenschaftlichen Grundlagen Stadt & Land – eine historisch wechselvolle Beziehung

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Abb. 2: Aus den Aufzeichnungen Rudolf Steiners zum Landwirtschaftlichen Kursus in Faksimile. Nachrichten der R.St-Nachlassverwaltung Nr. 18, Herbst 1967, Dornah. Text im Bild: Das Astralische von oben nach unten wirkend – in Verbindung mit Wärme: Anfangsprodukt des Kosmos. Im Winter. Es wird der Geist-Kosmos wirksam (grafische Einfügung mit den Sternzeichen) Beim Übergang von Skorpion zu Wassermann / Erdkrystallbildung. – Beim Überang von Krebs zu Löwe / Humusbildung: Pflanzengestaltung. (mit freundlicher Genehmigung des Rudolf Steiner Archivs)

zum Gedeihen der Landwirtschaft“ hielt. Kurz umrissen beinhalteten sie folgende Themen: Vorwort: Hier geht es um die kritische Lage der Landwirtschaft, die nicht nur „nicht nur ein bisschen verbessert“ werden sollte, sondern durch Kräfte, die aus dem Geiste geholt werden müssen, damit das Leben der Menschen überhaupt weiterhin ermöglicht werden kann. Durch die materialistische Landwirtschaft hingegen würden die nährenden Kräfte in den Lebensmitteln abnehmen, sodass diese nicht mehr ausreichend zur menschlichen Ernährung dienen könnten. Es müsse um ein reicheres Spiel an vitalen (kosmischen) Kräften gehen und nicht nur um die Zufuhr von chemischen Elementen und Kalorien. 1. Vortrag – Dargelegt wird, dass Landwirtschaft nicht aus den Zielsetzungen der National- oder Sozialökonomie heraus bestimmt werden dürfe, sondern aus den eigenen Gesetzmäßigkeiten des Bodens, der Pflanzen, der Tierwelt, der kosmischen Rhythmen und Einstrahlungen. 2. Vortrag – Der Begriff der „Hofindividualität“ wird erläutert. 3. Vortrag – Besprechung der fünf wichtigsten Elemente und ihr Vergleich mit Charaktereigenschaften. 4. Vortrag – Das Wesen der Düngung – die Rolle der Kompostierung und der Anwendung der „Präparate“. 5. Vortrag – Es geht um die Spurenelemente bzw. die Anleitung zur Bereitung der Präparate aus Schafgarbe, Kamille, Brennnessel, Baldrian, Eichenrinde und Löwenzahn in Verbindung mit tierischen und jahreszeitlichen Komponenten.

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1. Die Begründer der Methoden

6. Vortrag – „Unkraut“, Pflanzenkrankheiten und Schädlinge 7. Vortrag – Über die „naturintimen Wechselwirkungen“ zwischen Feld- und Obstwirtschaft bzw. Viehzucht. 8. Vortrag – Die Beziehung der einzelnen Pflanzenteile (Wurzel/Knollen, Kraut, Blüte, Frucht/Samen) zu den Organen der Tiere (Magen, Kreislauf, Lunge/Atmung...)wird dargestellt. Noch in Koberwitz wurde von einigen engagierten Landwirten der „Landwirtschaftliche Versuchsring“ gegründet. In Zusammenarbeit mit der Astronomischen und Naturwissenschaftlichen Sektion sollten Forschungsprojekte durchgeführt werden für die eine vierjährige Probezeit veranschlagt wurde. Von den Vorträgen gab es stenografische Mitschriften, die für die 120 Teilnehmer vervielfältigt wurden. Weiters wurden insgesamt 600 Exemplare an namentlich verzeichnete Interessenten ausgehändigt. Wie der Nachlass zeigt, hatte sich Steiner in Form von stichwortartigen Skizzenblättern auf den Kursus vorbereitet. Schon im Jahre 1923 hatte Rudolf Steiner Frau Dr. Lili Kolisko aufgefordert, die Gestaltungskräfte bei verschiedenen Pflanzen zu studieren. Er nannte ihr eine Reihe von Pflanzen, deren Saft sie extrahieren und auf Filterpapier auftropfen lassen solle, um die sich daraus ergebenden Formen zu studieren. Es war die erste der bildschaffenden Methoden. So wurde 1925 Ehrenfried Pfeiffer angeregt, die Kupferchlorid-Kristallisation zu entwickeln, um ätherische Kräfte zu erforschen. Obwohl Rudolf Steiner bereits im Herbst 1924 krankheitshalber seine Vortragstätigkeit vollkommen einstellen musste, gab er in Briefen weiterhin Anregungen zur Vertiefung der geistigen Arbeit in den verschiedenen Bereichen und stellte seine Autobiografie „Mein Lebensgang“ fertig. Am 30. März 1925 verstarb Rudolf Steiner in Dornach bei Basel.

Dr. Hans Müller, Begründer der organisch-biologischen Wirtschaftsweise Die Verbreitung und Einübung der organisch-biologischen Landwirtschaft steht und fällt mit der Person Dr. Hans Müllers, wiewohl betont werden muss, dass die praktische Erprobung und Ausarbeitung der Methode ab den 1930er-Jahren weitgehend von Maria Müller-Bigler durchgeführt wurde und ab 1951 durch den Bakteriologen Dr. Hans Peter Rusch ein neues wissenschaftliches Fundament sichergestellt wurde. Hans Müller wurde 1891 in einer Emmentaler Bauernfamilie geboren und wuchs mit sechs Geschwistern und sieben Waisenkindern, die von seiner umsichtigen Mutter mit aufgezogen wurden, auf. Seine Berufslaufbahn begann nach einer pädagogischen Ausbildung als Sekundarlehrer, schließlich absolvierte er auch noch das Studium der Biologie und schloss mit dem Doktorat ab. Aus einer zutiefst persönlichen Motivation heraus – sein Vater war Alkoholiker und weil er einer Bitte seiner Mutter folgte, schlug Müller nicht die akademische Laufbahn ein, sonDr. Hans Müller

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dern setzte sich für die Nöte des Bauernstandes ein. Mit der Einführung der Süßmostherstellung erzielte er erste schlagende Erfolge in der Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs. 1923 bildete sich in Grosshöchstetten der Verein abstinenter Bauern und Bäuerinnen. Über das Thema Süßmostbereitung hielt Müller bereits 1924 auch einen Vortrag in Salzburg – was später noch für die Biobewegung in Österreich von Bedeutung werden sollte.

Zusammenarbeit Hans Müller und Marie Müller-Bigler

1932 entstanden auf dem Möschberg oberhalb Grosshöchstetten im Kanton Bern eine private Bäuerinnenschule und ein Bildungszentrum für Bauern unter der Leitung Dr. Hans Müllers und seiner Frau Marie Müller-Bigler. Es gab kein Thema des bäuerlichen Bereiches, das nicht in Vorträgen, Tagungen oder Schulungen behandelt wurde. Die Entschuldung der Landwirtschaft, die politische Standortbestimmung, zwischenmenschliche Problemfelder wie etwa der Generationenkonflikt, Nachfolge- und Erbfragen wurden besprochen, wie auch die Gleichberechtigung der Frau eingefordert. Dies alles auf einer christlichen Basis. Die bäuerliche Jugend, die Jungbauern führte Müller jährlich auf dreibis viertätige Bergbegehungen ins Hochgebirge, wobei Erbauung und Erholung ebenso wie Freundschaften gefunden werden konnten. Hans und Maria Müller entwickelten eine breit gefächerte Bildungs- und Kulturarbeit, wobei die 3000 Bände umfassende Bibliothek ergänzend zur Verfügung stand. Schon im ersten Betriebsjahr waren Biolandbau und Vollwerternährung feste Bestandteile des Lehrplans. Seit den 1920er-Jahren brachte Maria Müller-Bigler (1894–1969) viel Wissen aus reformerischen Ernährungslehren – etwa von Bircher-Benner oder Kollath – ein. Sie verfügte auch über weite Kenntnisse der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise, die von Dornach aus in der Schweiz schon früh etabliert war, und befasste sich auch mit den Schriften von Sir Albert Howard, Raoul Francé u.a. Indem sie sämtliche Angaben systematisch verglich und in ihrem Garten auf dem Möschberg erprobte, erarbeitete sie wesentliche praktische Grundlagen für die biologische Landwirtschaft. Ein weiterer wichtiger Teil ihrer Arbeit bestand im Aufbau und in der Leitung der Hausmutterschule, in der in 5-Monats-Kursen die Schülerinnen auf den vielfältigen Beruf der Bäuerin vorbereitet wurden. Auf die Bedürfnisse dieser Ausbildung zugeschnitten verfasste Maria Müller die vorbildliche Schrift: „Was die Bauernfamilie über die neuzeitliche Ernährung wissen müsste.“ Als ausgereiftes Spätwerk hinterließ sie zuletzt noch eine „Praktische Anleitung zum organisch-biologischen Gartenbau“ (1968). Im Laufe seiner politischen Tätigkeit in der Jungbauernbewegung, davon 19 Jahre im Nationalrat, kam Dr. Hans Müller zur Überzeugung, dass die Grundfragen der bäuerlichen Existenz auf der politischen Ebene nicht zu lösen seien, sondern dass die Bauern sich selbst helfen müssen. 1946 wandte sich Dr. Hans Müller endgültig von der Politik ab. Gestützt auf seine Jungbauern gründete er die Anbau- und Verwertungsgenossenschaft (AVG) in Galmiz. An drei Eckpfeilern machte Dr. Hans Müller die bäuerliche, vor allem kleinbäuerliche Zukunft fest:

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1. Die Begründer der Methoden

Abb.4: Dieses Portrait war viele Jahre Fixpunkt auf der Rückseite von Kultur und Politik in Verbindung mit dem Bio-Bircher-müesli der Firma „familia“. Dr. Hans Müller, Pionier des biologischen Landbaus und Betreuer mehrerer hundert Bio-Betriebe.

Abb. 3: Die Vierteljahresschrift von Dr. Hans Müller, erschien seit 1946

Die Leistung steigern, die Kosten senken, der Gesundheit dienen. - Dies war am ehesten gewährleistet durch seine biologische Wirtschaftsweise, bei der die Zukäufe von Betriebsmitteln wegfallen konnten, die Fruchtbarkeit des Bodens durch hofeigene veredelte Dünger dauerhaft aufgebaut wurde und zugleich qualitativ hochwertige, gesunde Lebensmittel produziert wurden. Der Absatz wurde einerseits durch den Postversand von BioPaketen zentral geregelt, andererseits gab es seit Gründung der AVG Abnahmeverträge mit Migros, dessen Direktor persönlich mit Dr. Müllers bekannt war. Ab 1946 erschien auch die Vierteljahresschrift „Kultur und Politik“ mit Texten über praktische landwirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Themen.

Zusammenarbeit zwischen Dr. Müller und Dr. Rusch

Ein wesentlicher Impuls kam durch die Zusammenarbeit mit dem deutschen Gynäkologen Dr. Hans Peter Rusch (1906 – 1977). Nach seinem Einsatz als Frontarzt im 2. Weltkrieg bekam sein medizinisches Interesse befruchtende Anregungen durch den befreundeten Arzt Dr. Hans Kolb und dem Bakteriologen Dr. Arthur Becker. Ein Resultat war die Publikation in der Zeitschrift Hippokrates 1950: Der Kreislauf von Bakterien als Lebensprinzip. 1954 gründeten Mommsen, Becker, Kolb, Rusch und andere engagierte Ärzte den „Herborner Kreis“, dem es vor allem um die Durchführung von Versuchen in einem eigenen mikrobiologischen Laboratorium ging. Hintergrund des Wirkens war der Versuch, den Menschen in einem natürlichen Kreislaufsystem zu sehen, zu welchem sie Dr. Hans Müller

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den Kulturboden, die Landwirtschaft und die Ernährung zählten und den allgegenwärtigen Mikroben eine besondere Rolle einräumten. 1951 stieß Dr. Müller auf den bedeutsamen Aufsatz von Dr. Hans Peter Rusch in der Wiener Medizinischen Wochenschrift über „Das Gesetz von der Erhaltung der lebendigen Substanzen“. Kurzentschlossen reiste Müller zu Rusch und konnte den Arzt für eine wissenschaftliche Zusammenarbeit im Hinblick auf die Landwirtschaft gewinnen, was schließlich in der Ausformung der organisch-biologischen Wirtschaftsweise gipfelte. Rusch entwickelte einen speziellen mikrobiologischen Bodentest („Rusch-Test“), der die Menge und Qualität der lebenden Substanz im Boden feststellt, was mit chemischen Methoden nicht erfasst werden kann. Dieser wurde für die erste Generation Biobauern zur unabdingbaren Arbeitsgrundlage. Wertvoll waren für viele auch die Ausführungen Ruschs in der Publikation: Naturwissenschaft von morgen: Vorlesungen über Erhaltung und Kreislauf lebendiger Substanz (1955) und zuletzt auch: Bodenfruchtbarkeit – Eine Studie biologischen Denkens (1968). Rusch hielt auch zahlreiche Vorträge zu diesem Thema und war auch als Lehrender am Möschberg tätig. Ab ca. 1960 wurde das Wirken Dr. Müllers auch für österreichische Interessenten maßgeblich. Die Salzburgerin Minna Schnürer hatte 1924 Dr. Müllers Vortrag gehört und wurde mehr als dreißig Jahre später wieder auf ihn aufmerksam. Sie holte sich Informationen über den organisch-biologischen Landbau und brachte Interessenten aus Salzburg und Oberösterreich mit Dr. Müller in Kontakt. Über die Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum kamen immer mehr Bauern mit dem organisch-biologischen Landbau in Verbindung und entschlossen sich zur Umstellung. Durch die jährlichen Besuche Dr. Müllers für Schulungs-Vorträge, bei denen seine pädagogische Grundausbildung prägend zum Ausdruck kam, aber auch bei persönlichen Hofbesuchen, wurde eine überzeugte Gruppe von Biobauern aufgebaut. Wie ein Echo aus seinen Vorträgen in denen Müller nicht müde wurde seine Maximen zu wiederholen, sind folgende Merksätze in den Köpfen seiner Zuhörer bewahrt: • Die Aufgabe des Bauern ist: Der Gesundheit dienen Die Kosten zu senken Die Leistung steigern Selbständig Denken lernen • Nur Leben schafft Leben (und wer das nicht versteht, ist ein Depp) • Wir düngen („füttern“) den Boden, – nicht die Pflanze. • Jeder Praktiker muss sich die Fruchtbarkeit seines Bodens selbst erzeugen, - nicht zukaufen. • Schaffe einen gesunden Boden, dann gibt das gesunde Pflanzen, gesunde Tiere und gesunde Menschen. • Schafft Beispiele! (Nicht am Dorfbrunnen über den biologischen Landbau viel herum erzählen)

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1. Die Begründer der Methoden

In den 1970er-Jahren rang Dr. Müller um die Anerkennung der biologischen Produkte. Im Vorfeld war Schweizer Käse aufgrund zu hoher Insektizidrückstände in Übersee beschlagnahmt worden – das Paradepferd des schweizerischen Agrarexports war zum Skandal geworden. Generelle Lebensmitteluntersuchungen waren die Folge und ein Gesetz, das Qualitätskriterien (Rückstandstoleranzen) festlegte. Im Gegensatz zu den bio-dynamischen Demeter-Produkten waren die Lebensmittel aus organisch-biologischer Erzeugung nicht verbindlich definiert oder staatlich geschützt. Im Oktober 1971 stellte Dr. Müller an das Eidgenössische Gesundheitsamt den schriftlichen Antrag, die Deklarierung der AVG-Produkte als „Bio-Produkte bzw. als biologisch gezogene Erzeugnisse“ unter bestimmten, im Antrag ausformulierten Bedingungen zu bewilligen. Erst 1974 kam es zu einer Entscheidung: Sie war negativ, da es keine „wissenschaftliche Charakterisierung“ von biologisch erzeugten Lebensmitteln gibt. – Erst die Schweizerische Bio-Verordnung vom 22.9.1997 schützt in Artikel 1 die Kennzeichnung biologischer Erzeugnisse. Das erlebte Dr. Müller nicht mehr. Hochbetagt – im Alter von 98 Jahren – verstarb Dr. Hans Müller im Jahr 1989. Zum Teil sehr widersprüchliche Erinnerungen bleiben an ihn, den ausdauernden Lehrer, den unermüdlichen Ermunterer und Ermahner seiner Bauern und Freunde, den kompromisslosen, ja unerbittlichen, gar doktrinären Kämpfer, den willensstarken Pionier im Dienste des biologischen Landbaues und der bäuerlichen Kultur.

Hippokrates.Zeitschrift für praktische Heilkunde.Organ für die Einheitsbestrebungen in der Medizin unter besonderer Berücksichtigung der naturgemäßen Heilmethoden. Stuttgart. Ab 1929 erschienen.

Dr. Hans Müller

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2. Vereinigungen in der Biobewegung

Die ersten Verbände Österreichs Verschiedene Bedürfnisse konnten zum Biolandbau führen. Für manche wurde er zum neuen Lebensinhalt, für manche bedeutete er einen wichtigen Punkt in einem Spektrum an Themen. Und meist fanden sich Gleichgesinnte oder Gleichbedürftige zu Gruppierungen zusammen. So gab es Initiatoren, (stille) Vorbilder, Vorkämpfer, Förderer und Multiplikatoren – energische, überzeugte, unbeirrbare Frauen und Männer – und wohlwollende Begleiter bzw. mehr oder weniger vereinbare Strömungen und Absplitterungen. Dies spiegelt sich wider in einer Anzahl von Vereinen, Interessensgemeinschaften, Berufsvereinigungen, Vermarktungsgemeinschaften, Konsumenten orientierte Plattformen. Und hinter jedem Verband stand entweder eine treibende Person oder eine vorerst lose Gruppe Gleichgesinnter. Daher ist auch meist die Vorgeschichte zur Gründung eines Vereines interessant, weil hier die Grundmotivation oft am deutlichsten abzulesen ist. Wiewohl der weitere Werdegang von der gesamtgesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Entwicklung bzw. von Einzelpersönlichkeiten beeinflusst werden konnte und mehr oder weniger starke Modifikationen der ursprünglichen Zielsetzungen vorgenommen wurden. Im Einzelnen konnten die Umstände sogar bis zur Auflösung von Gemeinschaften führen.

Waerlandbewegung Drei Personen – Martin Ganitzer, Franz Kappel, Michael Haitzmann - waren vorrangig wichtig, dass der organisch-biologische Landbau in Österreich erste Wurzeln geschlagen hat. Alle drei hatten diesen Impuls eindeutig und z. T. sehr eindringlich von Anhängern der Waerland-Bewegung bekommen, so sei auch dieser Verein hier mit seinen Inhalten kurz angeführt. Da der Mensch aus Sicht des Schwedischen Ernährungsreformers Are Waerland (18761955) untrennbar mit der Natur und dem Kosmos verbunden ist, sollen alle Nahrungsmittel möglichst so verzehrt werden, wie die Natur sie anbietet. Betont wird die Wichtigkeit der Rohkost, weiters wird Vollkornbrot bzw. „Kruska“ (eine kurz aufgekochte und langsam nachgedämpfte Getreidespeise ) empfohlen, wobei Brot und Kruska je aus einer Mischung von vier bis fünf heimischen Getreidearten zubereitet werden. Kartoffel in der Schale und Milchprodukte ergänzen die Grundkost. Waerland legte großen Wert auf Lebensmittel aus biologischer Landwirtschaft, vereinzelt wird dezidiert auf die biologischWaerlandbewegung I

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dynamische Richtung verwiesen – sie war zu Lebzeiten Are Waerlands die ausgereifteste Methode. So sehr die Grundidee viele überzeugte und auch gesundheitliche Erfolge sich des öfteren einstellten, gab es auch kritische Stimmen, die vor Fanatismus und Einseitigkeit dieser Kost und Lebenseinstellung warnten. Zwei Knotenpunkte waren in Österreich bedeutsam: Graz und Salzburg. 1956 begründeten Margarethe Seidl (Tochter des Begründers des Agathenhof in Kärnten, wo in den 1920er-Jahren vegetarisches Kost und Sonnenbäder eingeführt wurden), Hans Nickel u. a. die „Waerlandbewegung Steiermark“ mit Sitz in Graz. Seidl hatte im Jahr davor einen Vortrag Are Abb. 5: Buchcover, Gedenkbuch zum Waerlands in Graz gehört, ihre Ernährung 80. Geburtstag Are Waerlands, 1956 spontan nach seinen Gesichtspunkten verändert und sich dadurch eine Operation erspart. Es war der erste Waerlandverein in Österreich und sie war es auch – nach Auskunft ihrer Nichte, die Dr. Hans Müller erstmals nach Graz zu einer Besprechung mit Bauern holte, woraus die St. Mareiner Gruppe entstand. In Graz wurde für ganz Österreich die Zeitschrift herausgegeben, die bis zur Auflösung des Vereines Ende 2004 erschien. Dass bei Waerlandisten in Salzburg der biologische Landbau Ende der 1950 Jahre schon ein Begriff war, im speziellen Fall für den Eigenbedarf im Garten, zeigt die Biografie von Martin Ganitzer, der dann eifrig dieser Spur folgte.

Ein Mix an Interessensvereinigungen in Salzburg Es wurde immer darauf verwiesen, dass Minna Schnürer (1901–1967) erstmals 1924 Dr. Hans Müller in Salzburg bei einem Vortrag über Süßmostbereitung gehört hatte. Weiters war bekannt, dass sie in den 1950er-Jahren erneut den Kontakt zu ihm aufgenommen hat, diesmal um mehr über den organisch-biologischen Landbau zu erfahren. Woher kam ihr starkes Interesse? Naturverbundenheit wurde ihr gewissermaßen angewöhnt, da ihr Vater, ein Zahnarzt und begeisterter Jäger resp. Heger, sie oftmals in den Wald mitnahm. Später gehörte sie der Wandervogelbewegung an. Auch ihre berufliche Ausbildung zur Landwirtschaftslehrerin in Otterbach/St. Florian am Inn zeugt von diesem Interesse. Sie wendete ihr Wissen privat im Garten zur Versorgung der Familie an, Kunstdünger hat

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ihr immer widerstrebt. Ihr Sohn aus zweiter Ehe erinnert sich auch, dass speziell in der Nachkriegszeit ihre Kontakte zu Bauern im Flachgau intensiver wurden, einerseits um von ihnen Lebensmittel zu bekommen – dafür half man auch manchmal bei der Ernte mit – andererseits zog sie für die Bauern Kücken heran. Als sie dann verstärkt auf die biologische Landwirtschaft hinwies, wurde sie erst belächelt und fand kaum Mitstreiter. Aus ihrer Überzeugung heraus wandte sie sich aber auch an die verantwortlichen Stellen im Ministerium, erhielt aber ebenfalls eine Zurückweisung. In Salzburg selbst fand sie Anfang der 1960er-Jahre einen regen Verbündeten in Martin Ganitzer. Engültig von Erfolg gekrönt war schließlich ihre Vermittlung von Dr. Müller an ihre Bekannten vom Wandervogel, die Begründer der Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum. Auch Hermi Amanshauser, deren Mann nach dem 2. Weltkrieg den Wandervogel in Salzburg neu begründete – die Bewegung an sich bestand schon offiziell seit 1911 in Österreich, erzählt von ihren Fahrten zur Vereinshütte am Wallersee, über die Besuche bei Bauern, bei denen man auch gern übernachtete, sang, musizierte. Durch gemeinsame Ausflüge und Treffen reichten die Bekanntschaften auch bis Linz und zu der engeren Gruppe, die sich zur Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum zusammenschlossen. Auch die Abstinenzbewegung hatte einen langjährigen Verfechter in Salzburg. Prof. Heinrich betrieb ein Reformgeschäft, beschäftigte sich mit Süßmost, den er insbesondere Jugendlichen bei den von ihm organisierten „Fahrten“ nahe brachte. Über seine Schwester, Frau Fachinspektor Elisabeth Heinrich, wird in der Biografie von Maria Steinhauser berichtet, dass sie sehr früh die erste Exkursion von Angestellten der Salzburger Landwirtschaftkammer zu Dr. Müller in die Schweiz organisierte. Salzburg war auch das unmittelbare Einzugsgebiet des Schriftstellers Günther Schwab, der Ende der 1950er-Jahre dort den Weltbund zum Schutz des Lebens gründete. Zu seinen Anliegen gehörte auch der Schutz des Bauernstandes und die biologische Landwirtschaft.

Weltbund zum Schutze des Lebens (WSL) 1958 vom Schriftsteller Günther Schwab (1904 / Prag – 2006 / Salzburg) begründet. Bereits 1949 begann Schwab die Herausgabe der Zeitschrift Glücklicher Leben – der stille Weg als eine „unparteiliche, überkonfessionelle und internationale Zeitschrift zum Lebensschutz“. Im Jahre 1960 wurde die Organisation als „Weltbund zum Schutze des Lebens (WSL)“ in das Vereinsregister eingetragen und bald darauf in 32 Staaten aktiv. Sowohl der wissenschaftliche Austausch wurde gepflegt als auch internationale Tagungen abgehalten. Schwab selbst wandte sich mit rund 1.500 Vorträgen und Lesungen an die Öffentlichkeit. Mit seinen Aktionen trug er zum aktiven Schutz der Natur bei, sie trugen ihm aber auch Klagen von Chemiekonzernen ein.

Weltbund zum Schutz des Lebens I

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Abb. 6: Informationsblatt Nr. 4 (1975) von DI Kilian Müller, Launsdorf, Kärnten

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2. Verbände und Initiativen

Aufrüttelnd war das 1959 erschienene Buch „Tanz mit dem Teufel“, in dem er in Dialogen diverse Problemfelder aufrollt – Arzneimittel, Chemie, Volksgesundheit, Atom, Krebs, (Ab)Wasser, Lärm, Landwirtschaft (Düngung, Schädlingsbekämpfung, Erosion u.a.) Konsum u.v.a. Es werden an die 300 Literaturangaben gemacht, darunter Annie Francé-Harrar, Dr. Hans Peter Rusch, Prof. Alwin Seifert, Elisabeth Tornow sowie Are und Ebba Waerland, Dr. Werner Kollath, Max Bircher-Benner. Zum Nachvollzug der sprachlichen Umsetzung sei ein Auszug aus dem Kapitel „Die Axt an der Wurzel – Bericht über die Zerstörung des Bauerntums“ angeführt: „Ich bin beauftragt, das Bauerntum zu zerstören“, begann der Dezernent. „Warum gerade das Bauerntum?“ fragte die Ärztin. Tibu: „Mit dem Bauerntum steht und fällt die Existenz der Menschheit.“ Alfred: „Ich glaube, dass Sie die Bedeutung des Bauerntums überschätzen.“ „Das Bauerntum hat drei lebenswichtige Aufgaben zu erfüllen: es hat die anwachsende Erdbevölkerung zu ernähren, es hat die nicht landwirtschaftlich tätige Menschheit durch Abnahme ihrer Erzeugnisse zu beschäftigen, und es hat die Geburtenausfälle der Städte zu ersetzen.“ ... „Die Hektarerträge, auf Weizenwert umgerechnet, betragen in Holland 50, in Deutschland 28, in Österreich 19, in USA 6, in Australien 0,5 Zentner.“ Rolande fragte: „Liegt das an der Verschiedenheit der Bodengüte?“ „Es liegt an der Verschiedenheit der Bewirtschaftung. In den Ländern mit bäuerlicher Wirtschaftsweise gibt der Boden hohe Erträge, und zwar nachhaltig und dauernd. In Ländern mit mechanischer Großflächenwirtschaft leistet der Boden wenig, und auch das wenige verweigert er nach kurzer Zeit, sobald er erschöpft ist. Der Bauer pflegt seinen Boden, d.h. er gibt ihm seit Jahrhunderten die Lebensstoffe zurück, die er ihm entzieht, und der Humus bleibt erhalten, der Boden bleibt fruchtbar.“ Bob: „Solche wirtschaftliche Klugheit müsste man ebensogut beim Großfarmer voraussetzen.“ Tibu: „Sie iren sich, Bob Harding! Der echte, in seiner Seele ungebrochene Bauer ist durch die Überlieferung an seinen Boden gebunden. Er liebt die Erde, er hat ein persönliches Verhältnis zu ihr und spürt eine Verpflichtung ihr gegenüber. Die seelische Bindung an den Boden ist die Voraussetzung für seine Erhaltung.“ Bob wandte sich Alfred zu: „Reichlich sentimentale Formulierungen hört man im Hauptquartier des Teufels, nicht wahr?“ Mit einer Handbewegung schaltete der Teufel sich ein: „Die Menschenseele ist unser Feind Nummer eins. Auf welchem Gebiete des Lebens Sie auch Krankheit, Entartung, Zerstörung, Überheblichkeit und Habgier finden, dort haben wir immer zuerst die Seele angegriffen.“ Tibu hielt es für angebracht, weitere Erklärungen abzugeben: „Der Erfolg unserer Arbeit hängt davon ab, ob wir die geheimsten Zusammenhänge und Hintergründe erkennen oder nicht. Der Bauer ist noch ein Stück beseelter Schöpfung, in unbewusster WechselbeWeltbund zum Schutz des Lebens

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ziehung zu Pflanzen und Tieren, Wassern und Wolken, Winden und Sternen. In der Großflächenwirtschaft liegen die Dinge ganz anders. Mit der Verfarmung wechselt der Standpunkt von der Qualität zur Quantität. Der kommerzielle Erfolg hängt von der Standardisierung der Hilfsmittel und der landwirtschaftlichen Bodennormung ab. Diese Aufgabe übernimmt im weitesten Umfang die Chemie, ...“ (S.246f ) Anmerkung zu den Hektarerträgen: Sicco Mansholt brachte als Minister für Landwirtschaft, Fischerei und Lebensmittelversorgung (ab 1945) die niederländische Landwirtschaft auf einen Modernisierungs-, Veredelungs- und Exportkurs. Ende 1968 legte er als Kommissar der Europäischen Gemeinschaft einen Plan vor, der durch die Reduzierung der Anzahl und die Vergrößerung der Flächen der landwirtschaftlichen Betriebe die europäische Landwirtschaft rationalisieren und an den Weltmarkt heranführen wollte, wonach das Schlagwort „Wachsen und Weichen“ geprägt wurde. In den Interviews wurde verschiedentlich auf die Tätigkeit von DI Kilian Müller in Kärnten hingewiesen, der Mitte der 1970er-Jahre als „Aktionsgemeinschaft RETTET DAS LAND“ innerhalb des Weltbund zum Schutze des Lebens, Sektion Österreich, regelmäßig Informationsblätter über Organische Landentwicklung veröffentlichte und so wesentlich zur Verbreitung und auch zur Vertiefung der Thematik beitrug.

Dachverband für ökologische Lebenssicherung Das ursrüngliche Einzugsgebiet des Dachverbandes ist die Umgebung von Graz. Die Gründung 1977 steht u. a. im Zusammenhang mit der Antiatombewegung, gesunder Ernährung, d.h. insbesondere gegen die Verwendung giftiger Spritzmittel, und Themen des regionalen Umweltschutzes z. B. die Initiative „Rettet das Kainachtal“, Betroffene der schädlichen Abgase einer Ziegelfabrik und auch mit der geplanten Raffinerie in Lannach nahe Graz (vgl. Biografie Franz Kappel). Gründungspräsident war Prof. Gerhard Preuschen vom Münchner Max Planck Institut für Landarbeit und Landtechnik. Sekretärin und engagierte Mitarbeiterin war Renate Gortner, die verschiedentlich Vorträge organisierte, sowohl (vgl. Biografie Zöchling und Steindl). In Kärnten hatte der Dachverband in Frau Annemarie Lorbeer eine äußerst aktive Mitarbeiterin (vgl. Biografie Löschenkohl).

Verein natürlichen Lebens (VNL) Eine Gruppe verantwortungsbewusster Mitmenschen gründete im Dezember 1958 in Salzburg den «Verein zur Forschung und Förderung biologischer Heilverfahren und einer gesunden Lebensweise». Im Jahr 1960 wurde dieser auf «VEREIN NATÜRLICHEN LEBENS» umbenannt und der Sitz nach St. Veith an der Glan verlegt. Seit 1982 befindet sich nunmehr die VNL-Zentrale in Wörgl.

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2. Verbände und Initiativen

Abb. 7: Arbeitsbericht 1980 des Dachverband f. Ökologische Lebenssicherung und zukunftsorientierte Umwelt. Es werden 46 Termine angegeben: Landbaukurse, Kochkurse, Brotbackkurs, Vorträge, Exkursionen, Spatendiagnose/Bodenproben. Insbesondere 22. – 24. 2. Seminar: Ökologischer Wein- und Gemüsebau in Purbach. Ehrenschutz: Landeshauptmann Theodor Kery u. a. Leitung: Prof. Dr. Gerhardt Preuschen Vortragende: Harry Dietrichstein, Dr. Gernot Graefe, Alfred Polzer, Ing. Ernst Zöchling u. a.

Verein natürlichen Lebens

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Der Initiator des VNL, Ignaz Schlifni, Jahrgang 1924, hatte Anfang der 1970er-Jahre eine Tagung über biologischen Landbau in Zittersdorf, Unterkärnten anberaumt und so auf diese Alternative aufmerksam gemacht. Für Peter Prasser (vgl. Biografie) gab dies den ersten Anstoß zur Umstellung. Schlifni ist Herausgeber einer Schriftenreihe: Als Band I erschien das Lexikon „Schlag nach über Heilpflanzen“ (1986), Band II ist „Schlag nach über Homöopathie“ (1997) und „Schlag nach über Hausmittel“ erschien als Band III im April 2008.

Die Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum Als der erste Verein, der sich die Förderung der Biolandwirtschaft als oberstes Ziel erkoren hat, hat er auch die längste Geschichte bzw. eine Vorgeschichte. In Linz traf im Jänner 1959 ein erstes Bauern- und Landwirttreffen im Rahmen des Österreichischen Wandervogels statt, bei dem es überraschend zur Bildung einer Bäuerlichen Arbeitsgemeinschaft kam. Noch im Lauf des Jahres formierte sich eine „Förderungsgemeinschaft für bäuerliches Siedlungswesen“. Hintergrund waren die enorm steigende Ausdehnung von industriellen Anlagen und Stadtgebieten ins agrarische Nutzland, die Landflucht und leer stehende Höfe, die zu privaten Zwecken gekauft wurden. Gründungsmitglieder waren DI Heinrich Brauner (Ybbsitz), Dr. Marianne Rieger (Schönfichten bei Grein), Luise und Hans Reinmüller (Neukirchen/Vöckla) u. a. Man wollte bäuerliche Betriebe ohne Erben wieder in die Hände bäuerlicher Jugend führen. Über Dr. Rieger bestand auch Kontakt zur Salzburgerin Hermine Schnürer, die bereits zu Dr. Müller für Informationen über organisch-biologischen Landbau Kontakt aufgenommen hatte. Dieses Konzept schien ideal zu den Anliegen des Vereins zu passen und so wurde Dr. Müller bereits zur Jahrestagung im Frühjahr 1962 nach Linz eingeladen. Sein Vortrag war so überzeugend, dass die Gründungsmitglieder umstellten. Kurz darauf, im Juni 62 fand die erste Studienreise der Förderungsgemeinschaft in die Schweiz statt, eine weitere im darauf folgenden Jahr und eine dritte 1967. 1964 kam es zur entscheidenden Neuorientierung, da ein Kammerbescheid die Bezeichnung „bäuerliche Siedlung“ als den aktuellen Aufgaben in der kommenden Großraumwirtschaft nicht entsprechend ablehnte. Dies unter Berufung auf das geltende Landwirtschaftsgesetz, das sich im § 1 ausdrücklich zur Erhaltung eines „gesunden Bauerntums“ bekennt. In der Folge wurde in der Hauptversammlung im März 1965 die Umbenennung des Vereines in „Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum“ beschlossen und die Satzungen entsprechend geändert: Die Förderung des Bauerntums als Grundlage der Kultur, die Pflege und Verbreitung lebensgesetzlicher Erkenntnisse und Methoden, die Pflege der Bodengesundheit u. a. Seit seinem ersten Auftritt 1962 blieb der Kontakt zu Dr. Müller rege. Jährlich kam er zu einer Tagung nach Salzburg, Gasthof Höllbräu, und anschließenden Hofbesuchen. Es wurden nach und nach Arbeitsgruppen gebildet und betreut - etwa im Flachgau und Pinzgau, um St. Marein und in der Laussa. Welche Rolle die Aktivitäten des Vereins bzw. die Mitglieder persönlich in der Verbreitung der Methode hatten, kann in den Biografien von

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2. Verbände und Initiativen

Gerhard Plakolm, Silvester Brandner, der vom Schwiegersohn Dr. Riegers aufmerksam gemacht wurde, Ing. Helga Wagner und Hubert Falkinger. beispielhaft nachgelesen werden. Zu den Jahreshauptversammlungen lud die Förderungsgemeinschaft hervorragende Rednerinnen und Fachkundige ein, die wichtige Impulse gaben. Es sprachen: • Dr. Hans Peter Rusch im Feber 1963 über „Die Ordnung des Lebendigen – Grundlage unserer Gesundheit“. • Martin Ganitzer über Steinmehl und Symbioflor, ein von Dr. Rusch entwickeltes Bakterienpräparat. Einführungsvortrag mit Lichtbildern • Prof. Dr. Hans Bach, Institut für Agrar- und Gesellschaftspolitik, Johannes Kepler Universität Linz, über das Bauerntum im Industriestaat und auch über „Die Zukunft der Erde - Mondwüste oder blauer Stern?“ • Dr. Margarete Sekera über Humus im Boden bzw. Gesunder und kranker Boden. • DI Heinrich Brauner über den Mansholtplan. Über organisch-biologischen Feldgemüsebau. • Prof. Alwin Seifert über Garten- und Landbau ohne Gift. • Univ. Prof. Dr. Gertrude Pleskot über die Problematik der Anwendung giftiger Stoffe in der modernen Landwirtschaft. • Fachlehrerin Maria Steinhauser über die Aufgaben und Möglichkeiten der Bäuerin im organisch-biologischen Land- und Gartenbau. • Ing. Helga Wagner, Leitung des Stadtgartenamtes Linz, über die Umstellung auf biologischen Gartenbau. • Günther Schwab, Weltbund zum Schutze des Lebens, über „Das Ende der Zukunft? Angst, Traum und Hoffnung des modernen Menschen“. • Ernst Weichel, Landmaschinenbauer, über die Möglichkeiten der Mechanisierung der organisch-biologischen Landbaues. • Ing. Teschemacher (Bioland Deutschland) über die Fruchtfolgen im organischbiologischen Landbau. • Dr. Hannes an der Lan, Umwelttoxikologe, über Umweltbelastung • DI Kilian Müller über biologischen Landbau als agrarpolitische Alternative. • Dr. Anni Gamerith bzw. DI Werner Gamerith • Prof. Gerhardt Preuschen zeigte die Durchführung der Spatenprobe. • Luise Reinmüller, Franz Kappel, Walter Eiböck u.a. hielten Kurzvorträge über ihre Erfahrungen im organisch-biologischen Landbau. Man wurde sich auch bald bewusst, dass schriftliche Unterlagen zum Biolandbau für alle hilfreich wären. Ab 1969 erschienen sodann die von Frau Dr. Rieger angeregten Merkblätter für den organisch-biologischen Land- und Gartenbau und 1973 stellte Ing. Brauner „Die wissenschaftlichen Grundlagen des organisch-biologischen Landbaues“, in der er die Methode Rusch-Müller klar umreißt, in einer hektographierten Ausgabe (300 Stück) erstmals zur Verfügung. 1975 erschien dieses Büchlein in einer Auflage von 5.000 Stück zum Preis von 25,– Schilling – eine heiß ersehnte und heiß begehrte Arbeitsgrundlage und Informationsschrift. Die Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum

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Abb. 8: Auf Anregung von Frau Dr. Annemarie Rieger erschienen ab 1969 die Merkblätter. Nr. 1 9 Punkte zur biologischen Landwirtschaft Nr. 2 Die Gründüngung Nr. 3 Das Unkraut im Acker und Garten Nr. 4 Das Basaltmehl / Der Wert des Steinmehles Nr. 5 Die biologischen Bodenproben Nr. 6 Die Jauche als wertvoller wirtschaftseigener Dünger Nr. 7 Die Mistaufbereitung und Mistverwendung Nr. 8 Die Verwendung von Symbioflor-Humusferment Autoren: Martin Ganitzer, DI H. Brauner, Ing. Helga Wagner, Oberinsp. Wilfried Erlach

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2. Verbände und Initiativen

Ab 1974 und insbesondere 1975 wurden vermehrt Bauernvertreter in den Vorstand gewählt: Peter Prasser, Silvester Brandner, Franz Kappel, Walter Eiböck. Die Förderungsgemeinschaft sah sich immer als Interessensgemeinschaft für alle Gruppen – Gärtner, Private, Bauern, Ärzte u. a. Dennoch kam dieses Gefüge gegen Ende der 1970er-Jahre in eine Krise, da Mentalitäten und Bedürfnisse immer weiter auseinander gingen. Nach einem Klärungsprozess, bei dem sich 1979 ein reiner Biobauern-Verband herausbildete, wurde die Arbeit in der Förderungsgemeinschaft getreu den Satzungen weitergeführt. Das Markenzeichen ORBI – organisch-biologisch kontrolliert / nach Dr. Hans Müller – garantiert für die spezielle Qualität. Die Betreuung von bäuerlichen Mitgliedern bei der Umstellung, Umsetzung der Methode wie bei der Vermarktung geht parallel zum Kontakt zu Konsumenten bzw. das Hinaustragen des Biolandbaus ins öffentliche Interesse. Die Förderungsgemeinschaft gibt seit nunmehr 27 Jahren vierteljährlich eine Zeitschrift heraus, „Der Bäuerliche Pionier“, für dessen Inhalt Ing. Helga Wagner verantwortlich zeichnet. Etwa zur gleichen Zeit – 1982 – wurden die ORBI-Läden in Linz eröffnet, die einen wichtigen Absatzweg für die Mitgliedsbetriebe darstellen. Die Grundgesinnung der Förderungsgemeinschaft will den Blick und die Aufmerksamkeit immer wieder auf den Boden lenken, auf die Bedeutung der Kenntnis und Steigerung der Bodenfruchtbarkeit. So konnte nach 2002 der mikrobiologische Rusch-Test, der in erprobter Weise Auskunft über die biologische Verfassung des Bodens geben kann, wieder belebt und wird bei den Mitgliedern regelmäßig durchgeführt. So ist Entwicklung auch (Rück-)Besinnung auf das Wesentliche.

Der Österreichische Demeter-Bund Der Verband, der für biologisch-dynamische Landwirtschaft und Lebensmittel in Österreich zuständig ist, hat sowohl ein Vorbild als auch eine ganz persönliche Vorgeschichte, nämlich die ihres Initiators Marianus Rath. Zur Vorgeschichte könnte man sagen: „Am Anfang wirkte der Zufall.“ Wilhelm Rath, ein Berliner Literat, musste während der Pfingsttagung in Koberwitz etwas an Rudolf Steiner überbringen. Die Vorträge über die Landwirtschaft zogen den jungen Mann jedoch so in Bann, dass er blieb und auch beschloss, sein Metier zu wechseln, sobald es ihm möglich sein würde. 1935 – er hatte schon auf anderen Höfen praktiziert – konnte Wilhelm Rath Gut Farrach in Maria Rojach, Kärnten erwerben und bewirtschaftete es von da an biologisch-dynamisch. Sohn Marianus Rath stieg mit 19 Jahren Anfang der 1950er-Jahre in den Schweinemast-Betrieb ein und übernahm ihn schließlich 1961 vollends. Er bekam durch einen ihm gut bekannten Demeter-Bauern aus Deutschland, Nikolaus Remer, den Anstoß, sein bio-dyn-Getreide nicht zu verfüttern, sondern Getreide für die menschliche Nahrung zu produzieren, das sei viel wichtiger. In Absprache mit dem Vater wurde dieser Wechsel vollzogen – und damit die Menschen auch den Wert dieses bio-dyn-Getreide erkennen Der Österreichische Demeter-Bund

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und schätzen können, wurde 1964 eine Ernährungstagung auf Gut Farrach veranstaltet. Es folgten jährlich weitere Tagungen. Schon damals war es Marianus Rath ein Anliegen, einen Konsumentenverein nach deutschem oder Schweizer Vorbild zur Sicherung des Absatzes ins Leben zu rufen und er bedauerte immer, dass ihm dies nicht gelungen ist. So blieb der Verkauf eine schwierige Sache. Rath verarbeitete die ersten Produkte selbst, verschickte Preislisten und lieferte direkt an Kunden. Ab 1967 vertrieb er seine Ware auch über Reformhäuser, allerdings mit der neutralen Bezeichnung „Anbau und Verarbeitung ohne chemische Mittel“. Erst als er Mitglied im Forschungsring wurde, konnte er in Deutschland einen Demeter-Vertrag abschließen, der ihn zur Führung des Markenzeichens berechtigte. Aber in Österreich er war allein damit, weil der gleich gesinnte Wurzerhof nicht für den Markt produzierte. Rath wartete noch zu, bis es mehr biologischdynamische Bauern in Österreich gab. Unterstützung bekam er vom Initiativkreis zur Förderung der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise, der von Wien aus aktiv war. Zum Vorbild des Österreichischen Demeter-Bundes ist zu sagen, dass Marianus Rath die Entwicklung in Deutschland kannte, wo die Marke Demeter seit den 1950er-Jahren eine durchgehende Qualität vom Anbau über die Verarbeitung bis zum Handel von biodyn-Produkten garantierte. Zusätzlich gab es Verbraucherorganisationen. Eine ähnliche Struktur stellte er sich für Österreich vor.1968 bildete sich auf sein Betreiben schließlich auch eine Proponenten-Gruppe - genannt werden Frau Gergely, Raimund Remer, Frau Vilaghy, Frau Hampel, Karl und Paula Röthy - und Statuten ausgearbeitet. Zu Frau Dr. Elisabeth Gergely kann und soll erhellend ergänzt werden, dass sie nach dem Krieg die erste Waldorfschule in Österreich in Wien-Mauer aufbaute, wo einerseits versucht wurde, Demeter-Produkte an Eltern und Schüler heranzubringen, anderseits den Schülern in der Landwirtschaftsepoche dieses Fachgebiet praktisch erlebbar gemacht wurde. Diese Unterweisungen gab übrigens Dipl.Landwirt Georg Merckens, der verschiedene Höfe bei der Umstellung beriet und begleitete. Raimund Remer, der Sohn des oben erwähnten Nikolaus Remer, führte damals den Wurzerhof und war ein wichtiger Partner bei der Gründung des Vereins. Im Juni 1969 fand anschließend an die jährliche Tagung in Farrach die Gründungsversammlung des Österreichischen Demeter-Bundes statt. Anwesend waren auch Almar von Wistinghausen, der Obmann des Deutschen Demeter-Bundes, und Gerhard Schmidt, Sektionschef für Landwirtschaft und Ernährung am Goetheanum. Erster Obmann hier war Marianus Rath, der es auch bis 1993 blieb. In der Gründungsphase hatten alle großen Einsatzwillen und spürten die Aufbruchstimmung. Dabei muss bemerkt werden, dass zu Beginn nur zwei Bauern im Demeter-Bund waren, im Jahr 1974 waren es „schon“ vier und 1977 acht Höfe, wird im Rückblick zum 30jährigen Bestehen festgehalten. Über drei dieser Demeter-Betriebe kann im Biografieteil nachgelesen werden: Über den Wurzerhof, Peter Prasser und Gerhard Conrad. 1977 wurde eine Geschäftsstelle in Wien eingerichtet. Als Berater kam jährlich ein oder zwei Mal Herr Merckens aus Deutschland und besuchte die Höfe, vor allem die neu hinzugekommenen. Durch ihn wurden auch spezielle Fragen, die in den monatlichen Treffen der Demeter-Bauern untereinander nicht geklärt werden konnten, bearbeitet. Die Finanzierung dieser externen Beratungen oblag dem

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Abb. 9: Aus: 30 Jahre Österreichischer Demeter-Bund, 1999

Demeter-Bund. Ebenso war er zuständig für die Vertrags-Abschlüsse, die Kontrollen, die Bewerbung der Demeter-Produkte mit ihrer spezifischen Qualität und auch die Kundenwerbung. Ein ganz eigener Bereich war das Finden von Kooperationspartnern für die Verarbeitung bzw. für den Vertrieb. Hier ist die Bäckerei Kaschik in Wien unbedingt erwähnenswert, die seit der ersten Stunde sich auf die Demeter-Produktion einließ. Legendär in Erinnerung sind die Schrotfladen, die Rosinenweckerl und die Grahamweckerl. In dieser Anfangsphase übernahm der Demeter-Bund, insbesondere aber Gut Farrach unter der Leitung seines Obmannes Marianus Rath noch eine wichtige Funktion, wie dieser in einem Interview 1999 rückblickend berichtete: „Es gab ein großes Interesse am biologischen Landbau, auch unter den konventionellen Bauern. In manchen Jahren machte ich Woche für Woche Führungen mit über hundert Bauern, denen ich alles zeigen musste: Die Felder, die Verarbeitungsstätten, die Verpackungen, das Vermarktungen. Diese Besichtigungen wurden von den Landwirtschaftskammern organisiert. – So sind im Lauf der Jahre in Österreich immerhin 20.000 Bauern auf biologischen Landbau umgestiegen. Das sehe ich teilweise auch als unser Verdienst an.“ Umgekehrt hatte man bis Anfang der 1980er-Jahre mit der öffentlichen Wahrnehmung der Produkte zu kämpfen, geschweige denn mit einem wirklichen Verständnis der Qualität. Darüber hinaus musste die wichtigste Verkaufsstelle, das Demeterhaus, aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden. Umso mehr wurde es begrüßt, dass 1981 gemeinsam mit den anderen Bioverbänden und dem Ludwig-Boltzmann-Institut Richtlinien für die Erzeugung von pflanzlichen Produkten aus biologischen Anbau festgelegt und von der Presse sehr positiv aufgenommen wurden. Dennoch gab es auf der internen Ebene Beanstandungen und Auseinandersetzungen mit der Lebensmittelpolizei. Der Österreichische Demeter-Bund

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Ein Stimmungsbild aus 1986, dem Jahr der Tschernobyl-Katastrophe, soll noch hervorgehoben werden (Auszug aus einem Rundschreiben des Demeter-Bundes): „Radioaktivität zerstört Leben. Nicht Resignation, sondern aktive Tat gerade auch dem Boden und den anderen Lebewesen Pflanze und Tier gegenüber, ist in dieser Lage besonders wichtig. Jeder Mensch hat eine Verantwortung der Erde gegenüber, die der Entwicklungsort der Menschheit ist. Helfen Sie also mit, eine Landwirtschaft zu tragen, die allen Abtötungsprozessen zum Trotz, über die Anwendung von Heilkräutern, durch Einordnen in Naturrhythmen, durch liebevolle Pflege des Bodens, durch Verzicht auf Gift und Mineraldüngeranwendungen, die Lebensprozesse verstärkend versucht, aus Nahrungsmitteln wieder Lebensmittel werden zu lassen ...“ (vgl. Biografie Gerhard Conrad) Natürlich wurden im Lauf der Jahre strukturelle und personelle Veränderungen, vor allem Erweiterungen, vorgenommen. So ist zum Beispiel verzeichnet, dass 1988 der Vorstand auf zwölf Personen erweitert wurde, wovon acht Bauern sind. Berater werden aus den eigenen Reihen ausfindig gemacht und eingestellt, das Sekretariat wird erweitert. - Allerdings sind auch menschliche Verluste zu beklagen, leider auch durch tragische Unfälle. Neue Arbeitskreise für das Rechtswesen, für Wirtschaft und Kultur wurden konstituiert. Es gab vermehrt Neuzugänge von Umstellungswilligen, - und es gab erste Ausschlüsse oder Betriebsaufgaben. Der Horizont erweiterte sich immer mehr, einerseits blickte man im Demeter-Bund über die Grenzen und orientierte sich international, anderseits suchte man seinen Platz innerhalb der ARGE Biolandbau in Österreich zu behaupten. Man übte den Spagat zwischen deutlich erkennbarer Besonderheit durch das Dynamische und allgemeiner Verbindlichkeit und Kompatibilität durch das Biologische. Alfons Piatti, 1990 Obmann-Stv., formulierte es so: „Der Demeter-Bund ist einmal ein Verband in dem Sinn, dass er überregional ist, dass in ihm alle Produktionssparten abgedeckt sind, dass Kleine und Große ebenso Platz haben wie Berg- und Flachlandbauern, Grünland, gemischte und reine Ackerbauern. – Andererseits ist der Österreichische Demeter-Bund auch eine relativ geschlossene Gesellschaft. Das kommt daher, dass die Ansprüche an den Demeter-Bauern mit Abstand die höchsten sind, aber auch, dass es dem Demeter-Bund bis heute nicht gelungen ist, die Inhalte der biologisch-dynamischen Landwirtschaft dem umstellungswilligen Bauern so klar und einfach zu vermitteln, dass dieser nicht gleich den Mut verliert.“ Was sind diese angeblich „schwer vermittelbaren“ Inhalte? Die Praxis zeigte, dass Anweisungen zum Pflanzenbau und zur Düngung einfacher angenommen und umgesetzt werden. Allerdings liegen auch hartnäckige Missverständnisse vor, etwa dass Präparate eine spezielle Art der Düngung seien. Als echte Knackpunkte erwiesen sich einzelne Aspekte eines Themas oder der Gesamtbereich der: • Anthroposophie • Präparate • Schädlingsregulierung • Tierhaltung • Problematik der Reife • Problematik der ganzheitlichen Betrachtungsweise

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Zur Anthroposophie: Der in der biodynamischen Landwirtschaft wesentliche Aspekt der Anthroposophie ist, dass der Mensch im Umgang mit den Naturreichen (Mineral-, Pflanzen- und Tierreich) ein Verständnis entwickelt, das über die Ebene der sinnlichen Wahrnehmung hinausgeht. Letztendlich geht es um die bewusstseinsmäßige Entwicklung eines Menschen über seinen praktischen Umgang mit seiner Mitwelt. Zu den Präparaten: Das Wirken der Präparate ist dezidiert keine Anreicherung an Stoffen, sondern ein Anstoß für tatsächliche stoffliche Neuformierungen, wie zum Beispiel die Schwefelwirkungen durch das Schafgarbenpräparat. Zur Schädlingsregulierung Pflanzen und Tierarten, die Überhand nehmen, werden gesammelt und man lässt sie „durch das Feuer gehen“, d.h. durch Verbrennen mittels Holzfeuer werden sie „verascht“ (vgl. Landwirtschaftlicher Kurs 6. Vortrag). Sowohl bei der Veraschung als auch beim Ausstreuen auf dem Territorium ist die Beachtung der Planetenstände wesentlicher Faktor. Zur Tierhaltung: Zum einen geht es um die grundsätzliche Anforderung in der Tierhaltung, dass sie in einem ausgewogenen Verhältnis zu den landschaftlichen Gegebenheiten steht; zum anderen geht es um eine über jeden Tiergerechtigkeitsindex hinausreichende Form die Haltung: Keine enthornten Rinder, Beachtung von generationsüberschreitenden Auswirkungen in der Fütterung. Zur Problematik der Reife: Im biodynamischen Landbau ist die Beachtung der lebensgesetzlichen Reifungsstadien ein wesentlicher Aspekt des Handelns. In der Tierhaltung liegen die Zeitpunkte der Erstbelegung im Vergleich mit anderen Landbauarten signifikant später, d.h. um den Zeitpunkt des Abschlusses des Zahnwechsels. Desgleichen orientieren sich Kriterien des Mähzeitpunktes in der Grünlandbewirtschaftung am Blühstadium. Zur Problematik der ganzheitlichen Betrachtungsweise: Die biodynamische Sichtweise versucht, sich von der kausalen Sicht, dass das Geschehen auf einem Hof einen Kreislauf darstellt, zu lösen. Das Bestreben ist, den Hof als Organismus aufzufassen, wobei die einzelnen Organe – Tierhaltung, Ackerbau, Gartenbau, Verarbeitung etc. – gleichzeitig und in unterschiedlicher Intensität aufeinander wirken. Auch die Wahrnehmung von Bereichen hinter dem sinnlich Erfassbaren ist ein Teil des angestrebten ganzheitlichen Denkens. Erste Aussagen und Ergebnisse konnten diesbezüglich etwa durch die Bildekräfteforschung bereits gemacht werden.

Der Österreichische Demeter-Bund

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Die Österreichische Bergbauernvereinigung – ÖBV Seit 2005 ÖBV - Via Campesina Austria (übersetzt: Der kleinbäuerliche Weg) Wie der Name schon andeutet, vor allem zuletzt das Selbstbekenntnis zum kleinbäuerlichen Weg, handelt und handelte es sich bei der ÖBV nicht vordringlich um einen Bioverband. Bemerkenswert ist vielmehr, dass grundsätzliche bäuerliche Probleme, die sich aus der spezifischen agrarischen Struktur Österreichs abgezeichnet hatten, lösungsorientiert aufgegriffen wurden und letztlich kompatibel waren mit den Anliegen der Biobewegung. Schließlich wurde die ÖBV in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre Mitglied der ARGE Biolandbau. In den „Annalen“ auf der Homepage wird die eigene Geschichte rekapituliert: Die ÖBV wurde am 25. 1. 1974 in Wels von 23 Bauern und einer Bäuerin gegründet. Gründungsväter waren Franz Stummer, Leiter der Bergbauernabteilung in der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer, der innerhalb seiner Institution für die Anliegen der BergbäuerInnen keine Zukunft mehr erkennen konnte und Franz Rohrmoser, der in der katholischen Landjugend mit kritischen und unzufriedenen Bauern ein Projekt zur Selbstbestimmung initiiert hatte. Die Gründung der ÖBV war ein Prozess, der gleichzeitig von innen, von den Bauern und Bäuerinnen, und von außen, von den Gründungshelfern eingeleitet wurde. Das war neu und von Anfang an sehr konfliktreich, aber auch sehr produktiv. - In der Biografie von Hans Gahleitner kommen seine persönlichen Eindrücke aus dieser Zeit zum Ausdruck. Zitat aus dem ersten Bildungskonzept der Bergbauernvereinigung: „Es bedarf einer organisierten Anstrengung, dem Bergbauern eine autonome Gestaltung des Lebens zu ermöglichen, um das Entstehen einer Klasse passiver Almosenempfänger zu vermeiden. Es ist eine Forderung der Zeit, dass die Interessen der Bergbauern von ihnen selbst wahrgenommen und vertreten werden, dass die Funktion der Bergbauern in Wirtschaft und Gesellschaft neu definiert und neue Einkommensmöglichkeiten geschaffen werden und dass die besonderen Fähigkeiten der Bergbauern ausgeschöpft werden.“ Diese Einstellung und Zielsetzung löste eine enorme Gegenwehr aus den Reihen der bestehenden Bauernvertretung, dem Bauernbund aus. Viele Mitglieder der ÖBV in dieser Zeit bekamen Repressionen in der konkreten Umgebung ihrer dörflichen Strukturen zu spüren. Doch die ÖBV konnte sich auch politisches Gehör verschaffen und erreichte, dass Bundeskanzler Bruno Kreisky Direktzahlungen an BergbäuerInnen einführte. Ebenso ließ Kreisky das von Dr. Anton Rohrmoser im Umfeld der ÖBV „erfundene“ Konzept der „Eigenständigen Regionalentwicklung“ ausarbeiten. Es lief zunächst als „Sonderaktion zur Stärkung entwicklungsschwacher Räume“ und wurde dann in die „Förderaktion für eine Eigenständige Regionalentwicklung“ umgewandelt. Als inhaltliche Schwerpunkte in den 1970er-Jahren werden folgende Punkte angegeben:

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• • • •

Widerstand gegen die Philosophie des „Wachsens und Weichens“, Forderung von flächen- und betriebsbezogenen Direktzahlungen für Bergbauernbetriebe. Thematisierung der Benachteiligung der Bäuerinnen bei der Rentenfrage. Erarbeitung einer Broschüre zum Bergbauernproblem durch die Katholische Sozialakademie. • Auf Antrag der ÖBV beim Landwirtschaftsministerium wurde 1979 eine Forschungsanstalt für Bergbauern gegründet, später Bundesanstalt für Bergbauernfragen. Gleichzeitig wurde nach alternativen Einkommensmöglichkeiten und neuen Produkten gesucht. Es kam zur • • • •

Entwicklung einer praxisnahen Kostenrechnung, Gründung von Maschinenringen, Beginn der Direktvermarktung (v. a. auch von Bioprodukten) Mithilfe bei der Gründung von ErzeugerInnen-VerbraucherInnen Genossenschaften BERSTA (Berg-Stadt: Waldviertel-Wien) und MÜLI (Mühlviertel-Linz)

Verstärktes Augenmerk wurde auch auf Bildung und Kultur gelegt. Eine bessere Verbindung von Praxiswissen und Wissenschaft ließ BergbäuerInnen zu mündigen und gut informierten DiskussionspartnerInnen heranwachsen, soziale und psychologische Themen, z.B. Konfliktbewältigung bei Einheirat, Hofübernahme etc. wurden angesprochen. Ein Spiegel dieser Selbstreflexion, des vielschichtigen Problembewusstseins, Institutionskritik und auch Selbstironie sind die Cartoons in der Zeitschrift „Die Bergbauern“, die der Grafiker MUCH seit Jahren treffend beisteuert. Beispiele aus den 1980er-Jahren sind im Buch eingeflochten.

Abb. 10: Aus: Die Bergbauern Nr. 129/130

Die Österreichische Bergbauernvereinigung

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Der Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs, später „Ernte für das Leben“, kurz „Ernte-Verband“, seit 2005 „BioAustria“ Vorbemerkung

Mitte der 1970er-Jahre gab es in Österreich etwa 35 bis 40 bekannte Biobauern, wobei diese Zahlen einen Annäherungswert darstellen. Dennoch belegen sie, dass es im Verhältnis zu den grob gerundet 300.000 bäuerlichen Betrieben insgesamt sehr wenige waren, selbst wenn 50 gewesen wären. Desgleichen belegen diese vagen Angaben, dass es keine eindeutige, geschlossene Gruppe war. Wie haben sie dennoch einander gefunden, gekannt und sich organisiert? Die ca. zehn deklarierten bio-dynamisch wirtschaftenden Bauern waren im DemeterBund zusammengeschlossen. Sofern jemand nach der organisch-biologischen Methode von Dr. Hans Müller arbeitete, wurde der/die Betreffende zu den entsprechenden Arbeitskreisen regional vermittelt und eingebunden – ab 1966 gab es eine Gruppe in St. Marein, im Salzburger Pinzgau und Flachgau etwa zeitgleich oder sogar früher, dann in der Laussa in Oberösterreich und ab 1976 in der Buckligen Welt. Jährlich hatten sie einen starken gemeinsamen Fokus bei dem Treffen im Höllbräu, zu dem Dr. Müller jedes Mal fix kam. Diese Biobauern waren z. T. auch Mitglied der Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum. War die gemeinsame Arbeit in den Arbeitkreisen für alle freiwillig und ohne jeglichen finanziellen Beitrag – jeder trug seine Unkosten selbst bzw. Telefonate, Fahrten, Kopien, Porto, Vorbereitungszeiten von Gruppenleitern gingen auf deren eigene Kasse –, so war bei der Förderungsgemeinschaft ein Mitgliedsbeitrag zu leisten. Dafür konnte man den Service in Form von Informationsschriften und Fachvorträgen Zeitschrift in Anspruch nehmen und bekam die Zeitschrift regelmäßig mit aktuellen Meldungen.

Vorgeschichte

Schon 1976 war die Idee zur Gründung eines eigenständigen Biobauernverbandes von Ing. Josef Willi an über 20 potentielle Mitglieder herangetragen worden, deren Umsetzung

Abb. 11: Die Entwicklung der Logos seit 1979 129/130

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aber im ersten Anlauf scheiterte (vgl. Biografie Josef Willi). Wichtigste Anliegen waren ein stärkerer Auftritt in der Öffentlichkeit und dem Ministerium gegenüber, besser koordinierte und gebündelte Vertriebssysteme und insgesamt mehr Marktpräsenz. Überdies wird von einzelnen Akteuren dieser Zeit berichtet, dass es immer stärkere Auffassungsunterschiede und differierende Mentalitäten innerhalb der Förderungsgemeinschaft gab. In den eigenen Reihen und von interessierten Aussenstehenden verdichteten sich die Argumente für die Gründung einer eigenen bäuerlichen Berufsgemeinschaft. Durch den engen Kontakt Willis zum Filmteam Elisabeth Guggenberger und Helmut Voitl, die die Verbandsidee sehr unterstützten, wurden für den ORF einige Sendungen gedreht. Diese brachten nicht nur unerwartet hohes Publikumsinteresse, sondern 1982 auch die Zuerkennung des Konrad-Lorenz-Preises. Als Reaktion darauf wurde eine Informationsbroschüre gedruckt, in der etwa auch die Produktionsvorschriften für biologische Lebensmittel aufgelistet wurden (s. n. Kapitel), und die Initiative „Bildungsbewegung Ökologischer Landbau“ begründet, als deren Verantwortliche Ing. Josef Willi, Franz Kappel und Doz. Dr. Bernd Lötsch zeichneten. Man nahm zu den Interessenten Kontakt auf, verschickte Erlagscheine an Unterstützungswillige und bekam einen Grundstock, mit dem man die Ausarbeitung neuer Statuten in Auftrag geben konnte und schließlich stand der rechtsgültigen Verbandsgründung nichts mehr im Wege.

Der Verband

Im November 1979 war die Zeit reif für die Gründung des „Bundesverband organischbiologisch wirtschaftender Bauern Österreich“ mit Walter Eiböck als Gründungsobmann und Franz Kappel als Obmannstellvertreter. Die genauen Mitgliederzahlen im ersten Jahr sind nicht mehr zu rekonstruieren. Doch der Jahresbericht von 1982, freundlicherweise vom damaligen Obmann Walter Eiböck zur Verfügung gestellt, weist insgesamt 378 Mitglieder auf, davon 120 anerkannte Biobetriebe, wobei es deren in Oberösterreich 35 und in der Steiermark bereits 37 gibt, Niederösterreich (18), Salzburg (16) und Tirol (13) liegen im Mittelfeld, im Burgenland wird 1 Biobetrieb und in Kärnten 0 verzeichnet. Das Ländle ist als Landesverband noch nicht vertreten. Kommentar zur Entwicklung: „Im Jahr 1982 wurde wegen mehreren ungelösten Problemen keine besondere Mitgliederwerbung gemacht. Trotzdem hat sich der Mitgliederstand im Berichtsjahr von 297 auf 378 erhöht. (...)“ Es handelt sich vorwiegend um Bauern aus Ungunstlagen wird dazu vermerkt. Und obwohl der Verband als ausschließlicher Biobauern-Verband konzipiert war, gab es „natürlich“ auch einzelne fördernde Mitglieder ohne eine Landwirtschaft zu betreiben. Diese Auflistung macht bereits deutlich, dass der Bundesverband aus Landesverbänden zusammengesetzt ist, die etwa zeitgleich oder aber 1980 bzw. 81 formal gegründet worden sind. Der Bundesverband ist nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgebaut. 1982 bestehen innerhalb der sieben Landesverbände 39 Arbeitsgruppen. Der NÖ Landesverband umfasste später auch offiziell Wien und ab 1989 gibt es einen Landesverband in Vorarlberg. RückDer Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs

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blickend muss diese Struktur als die Basis des Erfolgs angesehen werden. Sie gewährte im Detail regionale Entscheidungskompetenz, auf Landesebene konnte man mit Landsleuten angemessene politische Regelungen aushandeln und auf Bundesebene konnte man auf die Gleichgesinnten aus ganz Österreich zählen und bekam als Gesamtgruppe stärkeres Gewicht. Umgekehrt war man für umstellungswillige Interessenten vor Ort ansprechbar oder doch in relativer Reichweite. Die Kollegen bzw. Bioberater auf Landesebene waren im weitesten Sinn auch mit den Verhältnissen im Gebiet vertraut und konnten so rasch adäquate Auskunft über die Möglichkeiten oder Knackpunkte geben. Diese länderweise Verhandlungsstrategie brachte rasch erste Erfolge: Nur wenig mehr als ein Monat nach der Gründung des Verbandes, konnte Obmannstellvertreter Franz Kappel am 1. 1. 1980 die Stelle als Berater für biologischen Landbau in der Steirischen Landwirtschaftskammer antreten. Das fügte sich insofern gut, als er nun auch auf Interessenten aufgrund der Fernsehsendung systematisch eingehen konnte. Ab September 1987 ist es z. B. auch für Franz Heissenberger in Niederösterreich so weit. Ob im Einzelfall eine Bioverbandsförderung in Form von finanzieller Unterstützung oder in der Möglichkeit zur Benützung von Infrastruktur, in der Anstellung eines Beraters für Biolandbau oder einer Kombination, das lag in den Interessen und Durchsetzungsgeschick der Landesobmänner. Dass aber mehr und mehr die Bereitschaft zu Anerkennung und Unterstützung gegeben war, dies wurde vom Obmann des Bundesverbandes dankend vermerkt. Der Grundtenor war noch ganz im Sinne von Dr. Müller, sowohl praktisch (Kreislaufwirtschaft, Verwendung von Steinmehl, Flächenkompostierung, flaches Pflügen, Schädlinge zeugen von Ungleichgewichten) als auch ideologisch (Nur Leben erzeugt Leben, Schafft Beispiele!, positives Denken, in der Überzeugung, dass es geht). – Man war sich aber auch schon bewusst, dass nicht alles zweifelsfrei war, dass sich bereits Dogmen eingeschliffen hatten und vor allem die Tierhaltung noch vernachlässigt worden war. Aufgabengebiet neben der Betreuung der Mitglieder, d.h. der anerkannten Betriebe und Umstellungsbetriebe, war auch die Betreuung eines Interessentenkreises, der das zweibis dreifache des Mitgliederstandes ausmachte. Es gab also weitere 700 bis 1000 Betriebe, zu denen direkter beratender Kontakt bestand. Im Protokoll werden neben dem Weiterbildungsangebot in den Arbeitskreisen noch 40 zusätzliche Veranstaltungen (Kurse, Vorträge, Lehrfahrten) angeführt. Zum Prozedere der Anerkennung als Biobetrieb gehörte der Besuch einer mehrköpfigen Kommission, bestehend aus dem Landesobmann, dem Geschäftsführer oder Berater und einem/einer KonsumentenvertreterIn). Nach einem eingehenden Gespräch über die Methode bzw. Betriebsführung konnte das Zertifikat ausgestellt werden. Als anerkannter Biobetrieb war die Teilnahme in einer Arbeitsgruppe verpflichtend, ebenso die Produktkennzeichnung mit der Produzentennummer, um jederzeit die Ware identifizieren zu können, weiters wurden regelmäßig Bodenproben gezogen bzw. fallweise Rückstandskontrollen gefordert. Weitere Kontrollen durch Personen aus dem ersten Trio folgten. Man ging wie geplant neue Schritte in der Vermarktungsstrategie. Gemeinsam mit biodyn Bauern wurde im Berichtsjahr 1982 eine Genossenschaft gegründet (ÖBIOGEN),

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die auch marktfernen Höfen den Absatz sichern sollte. Der überwiegende Teil der Ware wurde ab Hof verkauft. In diesem Jahr war die Nachfrage nach Bioprodukten enorm gestiegen und man musste sich eingestehen, dass sie nur mangelhaft befriedigt werden konnte. Ebenfalls im Sinne von Kooperation und besserer Verteilung wurde der Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern in den folgenden Jahren stärkstes Mitglied der ARGE Biolandbau. Genau 10 Jahre nach Verbandsgründung erfolgt ein markanter Schritt – 1989 wird die Registrierung der Marke „ERNTE für das Leben“ vom Patentamt bestätigt. Treibende Kraft dahinter war Bundesobmann Walter Eiböck. Im Vorfeld wurden in Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck eine Markterhebung und Befragungen der Biobauern durchgeführt, um das Marktpotential abzuschätzen. Auch wenn sich einzelne Daten bzw. Prognosen als realitätsfern herausstellten, wurde diese fundierte Untersuchung als Meilenstein gesehen. Das absolut Moderne am Ergebnis der Wort-Bild-Marke war, dass sie ohne den Begriff „bio“ auskam – man sah sich damit durchaus auf einer Linie mit Trendsettern wie der legendären Franz!-Werbung für Humanic. Um die Jahreswende 1988/89 kommt es in zwei Bundesländern zu deutlichen strukturellen Erweiterungen. In NÖ wird Engelbert Sperl und in der Steiermark Josef Renner als Geschäftsführer eingesetzt, was über die wirtschaftlichen Belange hinausgehend auch eine intensivere Mitgliederbetreuung und Beratung ermöglicht. Es ist die Zeit, in der auch im Landwirtschaftministerium die Schaffung einer eigenen Abteilung für Biologischen Landbau von Minister Josef Riegler initiiert wurde und staatliche Förderungen für Bioverbände gewährt wurden. Für den Verband spürbar sind die Weichenstellungen in diese Richtung besonders deutlich ab den Jahren 1991/92, wo die Dynamik der Förderungen bei den Bauern voll gegriffen hat und viele Umstellungen erfolgten. Ein äußeres Zeichen der Expansion und österreichweiten Zentralstellung gibt es insofern, als das ERNTE-Büro nach Linz übersiedelt, was es mehr in die geografische Mitte rückt. Ab 1993 gibt es in Österreich zwei Kontrollfirmen, die Austria Bio Garantie (ABG), die sich zur größten Bio-Kontrollfirma entwickelte und entsprechend viele ERNTE-Bauern betreut und die Salzburger Landwirtschaftliche Kontrolle GesmbH (kurz SLK GesmbH). Im Jahr 1995 sieht die Zwischenbilanz folgendermaßen aus: Seit einem Jahr heißt auch der Verband „ERNTE für das Leben“. Unterstützt durch nationale Förderprogramme (ÖPUL) und Partnerschaften mit dem Handel (seit 1994 ist Billa mit der Eigenmarke Ja! Natürlich Abnehmer von ERNTE-Produkten) hat der Verein bereits 10.895 Mitglieder, die rund 150.000 ha Land biologisch bewirtschaften. Insgesamt – alle Biobauern zusammengerechnet – wurde Österreich zum „Bioland Nr. 1“. Zur Vermarktung (Sammlung, Zwischenlagerung und Weitervermittlung) von Tieren, Getreide, Gemüse und anderen Bioprodukten wurde 1996 die Fa. Ökoland Vertriebs GesmbH gegründet (vgl. Biografie Schlögl). Der Zenit der Mitgliederzahl wird Ende des Jahrtausends erreicht und pendelt sich auf einer Höhe zwischen 11.000 und 12.000 Mitgliedern ein, während die biologisch Der Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs

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bewirtschafteten Flächen leicht ansteigen. Beeindruckende 150 Tonnen Pflanzenschutzund Schädlingsbekämpfungsmittel sowie mehr als 30.000 Tonnen Kunstdünger werden dadurch z.B. im Jahr 2000 erspart. Diese Erfolgszahlen dürfen aber nicht über interne Spannungen und Konflikte mit anderen Bioverbänden hinwegtäuschen. Die Aufgaben haben sich auch z. T. sehr gewandelt: „Lag der Schwerpunkt ursprünglich bei der Verbreitung der grundsätzlichen Anerkennung der Bio-Landwirtschaft an sich und bei der Lösung grundsätzlicher Umstellungsprobleme, müssen nun zunehmend Energien in eine professionellere Produktqualität und profitablere Vermarktung der Bio-Lebensmittel fließen“ schreibt Herbert Allersdorfer, ERNTE-Marketingchef. Gegen Ende des 20. Jahrhundert ist die Bioproduktion so weit angekurbelt worden, dass im Inland z. B. bei Milch der Bedarf bei weitem gedeckt ist, es bereits Überschüsse gibt und der Export forciert werden muss. Gleichzeitig konnte nicht verhindert werden, dass die wesentlich angewachsenen Strukturen auch vereinzelt zu Missbrauch in Form von Falschdeklarationen verleiteten. Dies sind kritische Momente für die Gesamtheit der Biobewegung und fordern die Verantwortlichen zu noch konsequenterer Arbeitsweise heraus. Als zuletzt eine Umstrukturierung und Vereinheitlichung der Bioszenerie Österreichs von ministerieller Seite beauftragt wird, zieht der ERNTE-Verband 2004 als stärkste Fraktion in den neuen und einzigen Dachverband für biologische Landwirtschaft BIO AUSTRIA ein.

ORF – TV und Help-Redaktion im Hörfunk Medial bahnbrechend war die Ausstrahlung der TV-Serie über biologischen Landbau des jungen Film-Teams Helmut Voitl & Elisabeth Guggenberger ab Oktober 1978. Dem ging ein spannender persönlicher Erfahrungsweg voran und es folgte ein unvorhersehbarer Entwicklungsschub. Nach der prozessualen Dokumentarfilmarbeit „Planquadrat – Leben in der Stadt“ (1974–76), nämlich das Beleben von Hinterhofgärten durch die Aktivierung von Bewohnern im 4. Wiener Gemeindebezirk, wollten Voitl/Guggenberger neuerlich ein schwieriges, aber existentielles Thema aufgreifen, um beim Publikum Interesse und Aufnahmebereitschaft zu stimulieren. Sie begaben sich in die Grenzregionen des Mühl- und Waldviertels und untersuchten es auf Zukunftspotential. Als erstes stießen sie aber auf die problematischen Berichte der Bauern, dass ihre Kühe von dem Futter, das sie fressen, krank werden. Das war auch für die Filmer höchst irritierend. Ihre Recherchen über mögliche ökologische Zusammenhänge führten dann direkt zu Ing. Josef Willi, der sich auch mit dem Thema befasste und neuerdings biologischen Alternativen nachging. Da er im Zuge dessen auch Dr. Hans Müller zu einem Vortrag in die Landwirtschaftliche Landeslehranstalt Rotholz eingeladen hatte und dieser kurz bevorstand, wurden sie eingeladen, sich dessen Ausführungen über den Regenwurm anzuhören. Gesagt, getan – drei Tage Informationen über biologischen

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Abb. 12: Helmut Voitl bei Dreharbeiten für die TV-Filme 1978

Landbau in Rotholz. Das gab eine „Megaerkenntnis“ und den ersten Film „Planquadrat – Ländlicher Raum“. Für die Sendung über biologischen Landbau wurden Dreharbeiten u. a. gemacht bei Franz Kappel, Franz Froschhauser, Alois Wach, Michael Haitzmann, Walter Eiböck, Silvester Brandner, deren Umstellungsgeschichten in diesem Buch nachzulesen sind, darüber hinaus bei Alfred Wegscheider, Hans Bachler, August Mair in Tirol, Peter Moosbrugger (Vbg.) und Johann Einzenberger (OÖ). - Es ging aber nicht um eine Doku über „die da draußen“, sondern am Schluss wurde gefragt: „Wer interessiert sich dafür?“ – Es interessierten sich übermäßig viele, 15–20.000 Anfragen „überschwemmten“ die Redaktion. Dafür ernteten die Filmer zusätzlich begeisterte Pressestimmen in den großen Tageszeitungen: Fulminant: 20.000 Seherzuschriften nach der Sendung!! Durch die beeindruckende Bildsprache sind die Sendungen spannender als ein Krimi. Anmerkung Elisabeth Guggenberger: „Das war faszinierend und nur möglich, weil die Sendung im Hauptabendprogramm ausgestrahlt wurde. Der ORF ist seinem Auftrag als öffentlich rechtliches Medium damals noch nachgekommen, mit seinen Sendungen zu mobilisieren. Die qualitätvolle Aufgabe bestand auch darin, Kommunikationsstifter zu sein, rund um die Sendungen auch weitere Vernetzungen zu schaffen und Anstöße für die Praxis zu geben.“ Um dem Anfragenansturm des Publikums irgendwie gerecht zu werden, beschlossen Voitl/Guggenberger eine Informationsbroschüre zusammenzustellen, die an Interessenten abgegeben werden konnte. Dazu mussten sie aber erst im ORF enorme Überzeugungsarbeit leisten, denn dafür sah man sich im Haus nicht zuständig. Es gelang dennoch und die Begleitinformation zu den Filmen erschienen im ORAC-Verlag. Das Thema biologischer Landbau wurde dann auch vom seit 1973 bestehenden Help-TV aufgegriffen. ORF

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Nach mehreren Jahren (1978–1989) medialer Beiträge sehen sich Voitl/Guggenberger durch ihre filmische Arbeit als wesentliche Impulsgeber für Umstellungen auf biologischen Landbau. Die Filme liefen unter den Titeln: • 1975–77: Planquadrat Ländlicher Raum (4 x 60 min) • 1978–79: Patient Natur (4 x 60 min) Boden – Kultur (Biologische Landwirtschaft); Mangel im Überfluss; Rund um das Rind; Ökologie – Ökonomie • 1984–86: Bruder Baum – Mutter Erde (7 x 60 min) • 1986: Milch kaputt Elisabeth Guggenberger über diese Zeit: „Der Film BODEN – KULTUR war sicher ein wichtiger Impuls. ABER: Wichtig waren vor allem jene Aktivitäten, die wir gemeinsam mit Ing. Josef Willi und vielen Biobauern im Anschluss daran initiierten. Das waren Publikationen, Bücher (Der Biologische Landbau, 1979; Das große Buch vom Biologischen Land- und Gartenbau, 1980, beide Verlag Orac), Bildungsbewegung Ökologischer Landbau (mit vielen Seminaren), Grünes Forum Alpbach (Fachtagungen zum Biologischen Landbau), Gründung des Bundesverbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs, Entwicklung eines ersten Markenzeichens für ihre Produkte, etc. Die Finanzierung dieser umfangreichen Aktivitäten war möglich, weil wir das Preisgeld, welches wir damals gemeinsam mit Josef Will den ‚Konrad Lorenz Staatspreis‘ erhielten, in diese Initiativen investierten.“ Anmerkung: Der Preis wurde 1982 verliehen und steht für „Niveau im Sachlichen, Öffentlichkeitswirksamkeit und Mut - und den Kampf um das Unwiederbringliche.“ Aktuell beträgt das Preisgeld über 21.000 Euro. Praktisch zeitgleich (1977/78) hatte Wolfgang Hingst in der Help-Redaktion des ORFHörfunks die Problematik erkannt und das Thema biologische Landwirtschaft in den Sendungen thematisiert. Als außergewöhnlichen Service erarbeitete er Namens-Listen von Biobauern, die ihre Produkte ab Hof verkauften. Waren es zu Beginn etwa 200 Adressen in ganz Österreich, die abgetippt und in einer Auflage von einigen Hundert gedruckt wurden, so wurde laufend aktualisiert und erweitert. – Hier muss auch darauf hingewiesen werden, dass die Help-Redaktion eine Idee des engagierten Hörfunkintendanten Wolf In der Maur war, der auch die Verantwortung für die z. T. brisanten Beiträge hatte. Ab 1975 wurde die Help-Redaktion für den Sender Ö3 von Dieter Dorner aufgebaut, der das einmalige Konzept erstellte, auf spezifische Hörerprobleme einzugehen. Dank des von In der Maur großzügig bereitgestellten Budgets, konnten auch Rechtsberatungskosten gedeckt und Fälle ohne Senderelevanz behandelt werden. Neben Dieter Dorner (selbst seit 1975 Bioweinhauer in Slowenien) wurden Wolfgang Hingst und Hanswerner Mackwitz Mitarbeiter der Help-Redaktion, erwähnenswert ist auch der Werbetexter Helmut Gyrky („Atomkraft? – Nein danke“). In der Help-Sendung – damals mit der Beatles Signation – wurde des öfteren Anfragen über biologische Lebens-

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2. Verbände und Initiativen

mittel, Rückstände, Chemie im Alltag informiert, was jedes Mal auch die Nachfrage an den Bezugsquellen für Lebensmittel aus natürlichem Anbau ankurbelte. Bei der 6. Auflage des „Bio-Wegweisers“ 1987 stieg das Landwirtschaftministerium in das Projekt als Partner ein. Zuletzt war die Broschüre bereits so umfangreich, dass sie in zwei Ausgaben herausgebracht wurde, einmal die östlichen Bundesländer, einmal von Oberösterreich westwärts.

Abb.13: Aus: Die Bergbauern, Feber 1989

Bernd Lötsch Der junge Biologe wurde 1973 vom damaligen Präsident des Österreichischen Naturschutzbundes, Prof. Dr. Eberhard Stüber, entdeckt und gefördert. Er ist Verfasser der meisten Grundsatz-Manifeste des Österreichischen Naturschutzbundes zwischen 1974 und 1981. Insbesondere zu erwähnen ist das Villacher Manifest von 1976 zum Thema „Der ländliche Raum – Lebensgrundlage der Industriegesellschaft“, in dem ein Plädoyer für biologischen Landbau aus mehreren Blickwinkeln gehalten wird: Gesellschaftspolitisch, bezüglich Landschaftsgestaltung, gesunde Ernährung, Risikominimierung u.a. Dr. Bernd Lötsch begann mit dem Aufbau des Instituts für Umweltwissenschaften und Naturschutz (zuerst als Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft), dessen Leiter er war, als das Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eingegliedert wurde. Auch in dieser Funktion ist er ein argumentativer Vorkämpfer des Biologischen Landbaues in Österreich (1975 bis 1985). Er gehörte auch zum Team der Initiative „Bildungsbewegung Ökologischer Landbau“ die 1979 in der Folge des ORF-Films von Voitl/Guggenberger gestartet wurde. Für das Ministerium für Wissenschaft und Forschung arbeitete 1980 er ein Forschungsprojekt zum Ökologischen Landbau in Österreich aus und gab Empfehlungen ab, sowohl im Hinblick auf die Förderungsstrategien, insbesondere aber auch auf die dringend notwendigen Kontrollen. Zur Förderungswürdigkeit des biologischen Landbaues äußerte er sich auch in einer gesonderten Schrift. Ebenso nahm er Stellung zu strittigen Fragen der Rückstandskontrolle (müssen Lebensmittel aus biologischer Landwirtschaft gänzlich rückBernd Lötsch

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Abb. 14: Konrad Lorenz Preis für den „Einsatz für das Unwiederbringliche in der Natur und in der Umwelt“ an Prof. Dr. Bernd Lötsch durch BM Martin Bartenstein, 1998.

standsfrei von Chemikalien sein oder besteht ihre Qualität darin, dass sie nachweislich nicht mit chemischen Mittel erzeugt wurden und eventuelle Rückstandswerte natürlich unter der gesetzlichen Obergrenze liegen) und gab eine Stellungnahme zu den Richtlinien für die Erzeugung von Landwirtschaftlichen Produkten aus biologischem Anbau für die Ludwig Boltzmann-Forschungsstelle für biologischen Landbau ab, wo an der Ausarbeitung von Richtlinien gearbeitet wurde. Bernd Lötsch hat sich mit seinem Engagement zur Rettung der Hainburger Au verdient gemacht und ist seit 1986 Präsident des Nationalpark-Instituts Donau-Auen. Gleichzeitig war er als Universitätsprofessor in Salzburg tätig. Seit 1994 ist Lötsch Generaldirektor des Naturhistorischen Museums Wien.

Weitere Verbände und Kooperation

Abb. 15: Erster österreichischer Dachverband für biologischen Landbau und Lebensmittel. Quelle: ARGE Biolandbau – Jahresbericht 1986

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2. Verbände und Initiativen

Zwei Entwicklungen lassen sich ab Mitte der 1980er-Jahre beobachten. Zum einen war die Biobewegung in verschiedenen Bereichen – Landwirtschaft, Handel, Forschung und Lehre – so weit fortgeschritten, dass es sinnvoll, ja notwendig erschien, die einzelnen Aktivitäten zu koordinieren. Dies gipfelte in der Gründung der ARGE Biolandbau. Der andere Strang der Entwicklung auf Biobauern-Seite war, dass sich regionale oder spezifische Interessen deutlicher abzeichneten und

Abb.16: Verteilung der anerkannten Betriebe in Österreich Quelle: ARGE Biolandbau – Jahresbericht 1986

Abb.17: Zusammenstellung von Aurelia Jurtschitsch als Beilage der Dissertation, 1991

Weitere Verbände und Kooperation

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man sich zu – entsprechend kleineren – Verbänden zusammenschloss. Hier ist zu nennen: • Bergkräuter Sarleinsbach, 1986 als Bergbauern-Selbsthilfe Initiative gegründet. • Erde und Saat – Das Gütezeichen für biologische Landwirtschaft und Saatzucht,1987 (vgl. Biografie Gahleitner) • KT – Kritische Tiermedizin bzw. Freilandverband, 1987 von Reinhold Plank initiiet. • Biolandwirtschaft Ennstal, 1988 • DINATUR - Verein für fortschrittliche kontrolliert biologische Landwirtschaft und der Verein organisch-biologischer Landbau – Weinviertel – beide in Niederösterreich • Auch der Typus der Konsumenten-Produzenten Vereinigungen wird in dieser Zeit „geboren“ – etwa die KOPRA in Vorarlberg (vgl. Biografie Amann)

Abb.18: Bedeutung des Labyrinths im Logo von Erde & Saat: im Innersten 180° Umkehrung „Umstellung“. Darstellung bei Hopi-Indianerm, aus Irland, Indien, Kaukasus, Sardinien. Aus: Die Bergbauern Nr. 119

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2. Verbände und Initiativen

3. Produktionsvorschriften für die organisch-biologische Landwirtschaft Auszug aus „Der biologische Landbau – Begleitinformation zu den Fernsehfilmen „Bodenkultur“ und „Planquadrat Ländlicher Raum“ (1979, Orac) Man bezog sich auf die „Fördergemeinschaft für den organisch-biologischen Landbau“ und gab an, dass Verhandlungen zur Schaffung eines Marken- bzw. Gütezeichen im Laufen sind. Biologischer Landbau = BL

Abb. 19: Der biologische Landbau. ORFBegleitschrift zu den TV-Filmen von VoitlGuggenberger, Orac 1979

I. Verbindlichkeit Wer als Produzent (Bauer, Gärtner) landwirtschaftliche Produkte unter dem einschlägigen Markennamen und den allfälligen Zusatzbezeichnungen „aus biologischem Anbau“ oder „aus biologischer Erzeugung“ in den Verkehr bringen will, hat sich an folgende Vorschriften zu halten. II. Anerkennung 1. Voraussetzung für die Anerkennung als biologisch geführter Betrieb ist die Umstellung des ganzen Betriebes. Ausnahmen können u. U. für Spezialbetriebszweige vereinbart werden. 2. Der Betriebsleiter muss die notwendigen Fähigkeiten (Ausbildung, Praxis) besitzen. 3. Der Betriebsleiter muss einer Arbeitsgruppe angeschlossen sein. Produktionsvorschriften

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4. Betriebe, die vom herkömmlichen (konventionellen) auf BL umstellen, können ihre Produkte frühestens zwei Jahre nach der Umstellung (3. Ernte) unter den genannten Bezeichnungen verkaufen. 5. Bei besonders günstigen Vorbedingungen (vollständige Angaben über die bisherige Bewirtschaftungsart) kann die Anerkennung bereits ab der zweiten Ernte erfolgen. III. Fruchtarten- und Sortenwahl Es müssen für den Anbau nach Möglichkeit Arten und Sorten verwendet werden, die dem Standort angepasst und wenig krankheitsanfällig sind. Eine ausgewogene Fruchtfolge zur Erhaltung und Förderung der Bodenfruchtbarkeit und Pflanzengesundheit ist zu beachten.

1.

2. 3. 4.

IV. Humuswirtschaft und Düngung Der BL betreibt eine gezielte Humuswirtschaft. Die Zufuhr organischer Substanz zum Boden muss mindestens die Abbauverluste decken. Die Düngung im BL fördert die Tätigkeit des Bodenlebens. Die Stickstoffdüngung erfolgt ausschließlich mit organischen Düngern. Die mineralische Ergänzungsdüngung erfolgt grundsätzlich in einer Form, bei der die Nährstoffe nicht direkt für die Pflanze verfügbar sind. Die Verwendung von chemisch-synthetischen Stickstoffverbindungen, leichtlöslichen Phosphaten sowie hochprozentigen reinen und chlorhältigen Kalidüngern ist untersagt. Die Höhe der Düngung darf die Qualität der Erzeugnisse (wertgebende Inhaltsstoffe, Haltbarkeit, Geschmack) nicht beeinträchtigen. Detailregelungen zur Düngung s. Beilage 2.

V. Pflanzenschutz 1. Die Förderung der Pflanzengesundheit ist mit den Mitteln des vorbeugenden Gesundheitsschutzes wie geeignete Sortenwahl, Förderung der Bodengesundheit als Voraussetzung für eine harmonische Ernährung der Pflanze sowie durch geeignete Anbau- und Kulturmethoden wie Fruchtfolgemaßnahmen, Pflanzenart, Mischkulturen, Gründüngung usw. zu erreichen. 2. Die Verwendung von naturfremden / synthetischen Pflanzenschutzmitteln ist untersagt. Es sind nur Pflanzenschutz- und Pflanzenbehandlungsmittel erlaubt, die in Beilage 3 festgelegt sind. Alle nicht ausdrücklich zugelassenen Mittel sind verboten. Es gelten die offiziellen Anwendungsvorschriften für Pflanzenschutzmittel. VI. Unkrautbekämpfung und Wachstumsregulation 1. Die Unkrautbekämpfung hat vor allem durch pflanzenbauliche Maßnahmen zu erfolgen. 2. Die Verwendung von Herbiziden und chemischen Wachstumsregulatoren ist untersagt. VII. Lagerhaltung Die Lagerbehandlung des Erntegutes mit chemischen Lagerschutzmitteln (Insektizide, Herbizide), das Waschen gelagerter Früchte mit chemischen Reinigungsmitteln, das Nach-

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3. Produktionsvorschriften

Abb. 20: Produktionsrichtlinien – der Stil der Arbeitskleidung wurde nicht streng kontrolliert.

reifen mit chemischen Substanzen, die Anwendung von Keimhemmungsmitteln sowie die radioaktive Bestrahlung sind verboten. VIII. Tierbesatz und Fütterung 1. Der Tierbesatz eines Betriebes muss an die landwirtschaftliche Nutzfläche sowie an die ökonomischen Gegebenheiten angepasst sein. Bei der Rindviehhaltung dürfen nicht mehr als 3,5 Rinder-GVE, bei der Schweinehaltung nicht mehr als 16 Mastschweine pro Hektar/Jahr landwirtschaftliche Nutzfläche gehalten werden. Abweichende Regelungen z.B. Abgabe von Mist und Jauche an andere Betriebe, bedürfen einer besonderen Genehmigung. 2. Zugekaufte Futtermittel müssen nach Möglichkeit nach diesen Vorschriften produziert sein. 3. Die Verwendung von Futter mit Wirkzusätzen (Antibiotika, Masthilfsmittel usw.) ist untersagt, ebenso auch die Verwendung von Harnstoff u. ä. 4. Für tierische Erzeugnisse aus biologisch geführten Betrieben, die unter dem Markennamen bzw. als „aus biologischer Produktion“ in den Verkehr gebracht werden, gelten noch spezielle Vorschriften (s. Beilage 4). IX. Tierhaltung, Krankheitsvorbeugung und -bekämpfung 1. Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Tiere sind durch tiergerechte Stallhaltung und geeignete Zuchtmethoden zu verbessern. 2. Die Aufstellung und Haltung muss dem Tier ein Mindestmaß an Bewegung sowie Betätigung der jeweils arteigenen Verhaltensgewohnheiten erlauben. Produktionsvorschriften

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3. In der Tierheilkunde ist den Naturheilmitteln soweit möglich der Vorzug zu geben. 4. Die Applikation von Wirkstoffen (speziell an Schlachttiere), welche die Qualität des Fleisches und andere in den Verkehr gebrachte tierische Erzeugnisse beeinträchtigen können, die verboten. X. Kontrollwesen 1. Solange mangels Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen eine staatliche Anerkennung von Erzeugnissen aus organisch-biologischer Produktion fehlen, erfolgt die Kontrolle durch die Fördergemeinschaft bzw. deren Organe. 2. Die Fördergemeinschaft hat das Recht, durch ihre Organe: • Jederzeit den Betrieb zu überprüfen und hiebei auch schriftliche Ausweise über den Kauf und die Verwendung von Dünge-, Pflanzenschutz- und Futtermittel zu verlangen. • Die Durchführung von Bodenuntersuchungen zu veranlassen; • Rückstandsuntersuchungen durchführen zu lassen • Qualitätstests (Geschmack, Haltbarkeit usw.) als Vergleichstest durchführen zu lassen. • Sonstige, ihr als wichtig erscheinende Maßnahmen zur Qualitätsprüfung durchzuführen. 3. Betriebe, welche in Umstellung sind, sind verpflichtet, auf Ersuchen der Kontrollorgane vollständige Angaben über die bisherige Bewirtschaftungsart und soweit vorhanden über Bodenanalysen (Nährstoffvorräte) vorzulegen. 4. Unzulässige Hilfsstoffe dürfen auf dem Betrieb nicht vorhanden sein.

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3. Produktionsvorschriften

4. Biografien

In der folgenden Einteilung werden die Biopioniere unter dem Gesichtpunkt der Umstellungsdynamik oder auch Dringlichkeit gruppiert. Anlass dafür ist, dass bei einigen Lebensgeschichten sich deart plakativ-eindeutige Impulse erkennen lassen, die grundsätzlich von den anderen verschieden sind und gewissermaßen Prototypen ergaben. Bei einigen ist nicht nur ein Beweggrund ausschlaggebend gewesen, doch es wurde versucht, eine Hauptüberlegung zur Umstellung herauszufiltern. – Die nicht landwirtschaftlich-praktizierenden Biopioniere wurden in einer eigenen Gruppe zusammengefasst.

„Sanfte“ Umstellung Mit dem Wurzerhof, der 1927 umgestellt wurde, und mit dem Linzer Stadtgartenamt, das von Ing. Helga Wagner ab 1951 biologisch geführt wurde, sind in diesem Abschnitt auch die frühesten Initiativen Österreichs beschrieben, die noch durch die Geschichte von Gut Farrach ergänzt werden kann (siehe Demeter-Bund). Für sie gilt wie auch für die anderen, dass es entweder unerwartet, aber sehr erhellend einen entscheidenden Moment der Information über biologische Landwirtschaft gegeben hat oder sich die Argumente für eine Umstellung wie ein Puzzlespiel zwanglos zusammengefügt haben.

Wurzerhof

„Diese wenigen Versuche – und unsere große Freudigkeit zur anthroposophischen Arbeit als Landwirte haben genügt, unseren Vater, der in seinem Beruf anerkannt tüchtig ist, von der Bedeutung derselben zu überzeugen, sodaß er erklärt hat, von den seit einigen Jahren üblichen Kunstdüngergaben auf Wiesen und Feldern abzusehen.“ – Diese Zeilen erschienen in den Mitteilungen des landwirtschaftlichen Versuchsringes im Februar 1928, nicht ganz vier Jahre nach Dr. Rudolf Steiners Vorträgen über die „Geisteswissenschaftlichen Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“. Die eingangs zitierten wenigen Versuche bezogen sich auf die Kompostierung bzw. die Anwendung der Präparate und hinter den anthroposophisch arbeitenden Landwirten steckten die beiden Schwestern Hemma und Luise Wurzer. Die beiden Bauerntöchter hatten im Februar 1927 in Dornach an der landwirtschaftlichen Tagung teilgenommen, waren aufgrund ihres Interesses – und Freudigkeit – auch unmittelbar in den Versuchsring anthroposophischer Landwirte aufgenommen worden und Wurzerhof I

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hatten vom Leiter der Naturwissenschaftlichen Sektion persönlich eine Nachschrift des „Landwirtschaftlichen Kursus“ ausgehändigt bekommen – gedruckt wurde er erst 1929. Mit diesen Impulsen waren die Schwestern auf den elterlichen Hof nach Scheifling in Kärnten zurückgekehrt und zur Tat geschritten. Pioniertum anno 1927 war in diesem Fall jung und weiblich: Die beiden Frauen waren etwas über 25 Jahre alt, und es war für sie von Jugend an nicht ungewöhnlich, buchstäblich Neuland zu betreten. Die Familie Wurzer hatte einen ansehnlichen Hof in Kraßnitz oberhalb von Gurk. Aber 1912 kaufte der als anerkannt tüchtig beschriebene Vater Wolfgang Wurzer das Anwesen Toni Nr. 7 in Scheifling, weil es nah bei St. Veit an der Glan liegt. Die Stadtnähe hatte ausschlaggebende Pluspunkte aus der Sicht des Familienvaters: Abb. 21: Familie Wurzer Bessere Schulbildung für seine drei Töchter, rasche medizinische Versorgung, eine Bahnstation. Als Bauer wusste er, dass seine Kühe frischer bei der Versteigerung in St. Veit ankommen würden als nach den stundenlangen Märschen, die bisher erforderlich waren und Gewichtsverluste brachten. - Lauter kluge Überlegungen Wurzers im Hinblick auf Toni Nr. 7, doch er konnte nicht ahnen, dass dieser Flecken als Wurzerhof Geschichte schreiben würde, später, im Österreich nach der Monarchie. Vater Wurzer hatte selbst etwas Pionierhaftes. Als erstes wurde das Bauernhaus um ein Stockwerk erweitert, Zentralheizung und WC – 1912! – installiert. Er war erfolgreich in der Rinderzucht und wurde für die Höchstleistungen in der Milchproduktion bei Kärntner Blondvieh prämiiert. Sein Geschick lag auch in der Traber-Zucht und schließlich gründete er in den Zwanziger Jahren in St. Veit den Trabrennverein. Und er war so fortschrittlich, dass er bereits in den Zwanziger Jahren Kunstdünger einsetzte. Diesen Vater mussten also die beiden Wurzer-Schwestern von der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, wie sie später genannt wurde, überzeugen. Fürs erste brachten ihnen die Versuche mehrfach die Titulierung biologisch-„tamische“ Wurzer-Töchter ein. Aber die Mädchen waren gewappnet. Nach der Übersiedlung nach Scheifling 1912, nach Bürgerschule und Nähschule hatte der Vater für eine außergewöhnlich gute Ausbildung gesorgt. In den Zwanziger Jahren waren Hemma und Luise in einer privaten Haushaltungsschule in Stuttgart gewesen und anschließend in einem Töchterpensionat in Weimar. Diese Umgebung, insbesondere eine Lehrerin, bot spannende Berührungspunkte

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4. Biografieteil

mit der Weltanschauung der Anthroposophie. Tief beeindruckt vor allem vom heilpädagogischen Ansatz Rudolf Steiners, drängten die beiden jungen Frauen zu einer Tätigkeit in diesem Bereich und fanden eine Stelle im Sonnenhof in Arlesheim. Das erst 1922 eröffnete heilpädagogische Heim stand in engem Austausch mit dem nahe gelegenen Goetheanum in Dornach, wo in der Naturwissenschaftlichen Sektion auch die Landwirtschaft nach den Anleitungen Rudolf Steiners geführt wurde. Dort begegneten Hemma und Luise Wurzer den Söhnen von Graf und Gräfin Polzer Hoditz, die ihrerseits auf Gut Tannbach in Oberösterreich die zugehörige Landwirtschaft nach den Angaben aus dem Steiners Kursus betrieben. Insbesondere Gräfin Berta Polzer Abb. 22: Hemma und Luise Wurzer Hoditz war Mentorin der Wurzer-Schwestern und sie ermöglichte auch deren Teilnahme an der landwirtschaftlichen Tagung in Dornach 1927. Als bald darauf Maria, die dritte Schwester, heirate und auf einen anderen großen Hof ging, zog sich Vater Wurzer auf seinen Stammhof zurück. In den Aufzeichnungen von Luise Wurzer wird umso mehr die Führungskraft und Einsatzbereitschaft der Mutter hervorgehoben, ohne welche der Wurzerhof sich nicht in der geplanten Form hätte entwickeln können. Diverse Besuche von Mitgliedern des „Versuchsring anthroposophischer Landwirte“ – Ing. Franz Dreidax, Carl Stegemann, Ehrenfried Pfeiffer werden genannt – kamen zur Begutachtung und Beratung nach Scheifling. Auch sie wussten den Einsatz von Altbäuerin Wurzer als „unsere Demeter-Mutter“ zu schätzen. – Die Böden wurden als „arme Sandböden“ bezeichnet, von denen wenig Ertrag zu erwarten war. Umso mehr waren die Erfolge durch die neuen, biologischen Maßnahmen erkennbar und trugen zur Verwunderung so manches Beobachters bei. Man muss sich überdies vergegenwärtigen, dass die ersten Jahre nach dem Kursus als Erprobungsjahre der Methode galten und eine Geheimhaltungspflicht über die Versuche und Ergebnisse bestand. Hemma und Luise Wurzer zählten zum Kreis der Forschenden im Neuland. Insofern sprach man damals auch nicht von einer „Umstellung“. Ein entscheidendes Jahr war 1930 und konkret der Besuch von Dr. Erhard Bartsch vom Versuchsring. Er hatte im Jahr zuvor Gut Marienhöhe nahe Bad Saarow (Brandenburg) zu bewirtschaften begonnen. Ein ehrgeiziges Unterfangen, wollte er doch den Beweis antreten, dass auch auf ungünstigen Böden – Marienhöhe lag in einem bekannt unwirtlichen Gebiet – die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise Erfolge und Verbesserung bringt. Für den Wurzerhof hatte dies insofern gravierende Folgen, als Hemma Wurzer, die ältere der beiden Schwestern, sich bereit erklärte, Erhard Bartsch zu begleiten und die dringenden Aufgaben des bäuerlichen Hauswesens zu übernehmen. 1933 ging sie endgültig nach Deutschland. Die Verbindung zum Hof in Kärnten blieb dadurch erhalten, dass Bartsch Wurzerhof I

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Abb. 23: Gruppenbild 40er Jahre

auf betriebswirtschaftlichem Gebiet und namentlich in Fragen der Fruchtfolge Beratung bzw. Mitarbeit zusicherte und leistete. Mutter Hemma und Luise Wurzer führten indes den 64 Hektar großen landwirtschaftlichen Betrieb in Scheifling mit etlichen Gehilfen weiter. Der Wurzerhof wurde in den Folgejahren zur Auskunftstelle für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise und es wurden über zehn Garten- und Landwirtschaftsbetriebe von hier aus kontinuierlich betreut. Zusätzlich wurden auf dem Hof viele Besuche zu Besichtigungen oder zu kleinen Tagungen empfangen. 1935 wurde die Arbeitsgemeinschaft für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Gartenbau und Landwirtschaft in Kärnten und Steiermark am Wurzerhof gegründet. Luise Wurzer wurde Obfrau des 25 Mitglieder zählenden Zusammenschlusses. Die Versuchstätigkeit ging unvermindert weiter, die landwirtschaftlichen und bio-dynamischen Maßnahmen wurden stets dokumentiert und die Erträge festgestellt – somit auch die Erfolge. 1936 betrug der Milchleistungsabschluss der ganzjährig kontrollierten 16 Kühe 3.690 kg, der Genossenschaftsdurchschnitt lag hingegen bei 2.743 kg. Vater Wolfgang Wurzer war vergleichsweise im Jahr 1924 noch mit 3.367 kg für die beste Milchleistung im Blondviehzuchtgebiet ausgezeichnet worden. Die Kriegsjahre waren auf dem Wurzerhof nicht von zusätzlichen Repressalien erschwert. Besorgt musste man eher wegen der Verhältnisse auf Marienhöhe sein. Wie es der Schwester, dem – inzwischen – Schwager Erhard Bartsch und deren drei Kindern erging. Bartsch war

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4. Biografieteil

Abb. 24: Tagung 50er Jahre

eine zentrale Figur für die Anthroposophie und für die biologisch-dynamische Bewegung. In der NS-Zeit waren Anthroposophie und zugehörige Organisationen verboten und Literatur beschlagnahmt worden. Obwohl auf einer Ebene von Seiten des NS-Regimes auch Interesse an der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise bestand und taktisches Vorgehen für die Landwirte eine große Herausforderung war, kam es andererseits zu Verhaftungen – auch von Erhard Bartsch. Durch Intervention konnte eine Hofhaft auf Marienhöhe erwirkt werden. Gesundheitlich geschwächt zog sich Bartsch von den nach außen gehenden Aktivitäten in der Landwirtschaft zurück und wandte sich mehr internen, kulturell gestaltenden Aufgaben auf dem Hof zu. Selbst nach dem Ende der NS-Zeit war sein Bestehen auf Marienhöhe nicht abgesichert. Das Gut lag im Gebiet der DDR und es war nicht auszuschließen, dass er nicht als Humusforscher nach Russland abkommandiert würde. Am Wurzerhof waren 1948 die Kinder von Hemma und Erhard Bartsch eingetroffen, Jürgen, Friederike und Johanna. Doch auf alle in der Gemeinschaft kamen drei karge Jahre zu, Dürreperioden zehrten die Böden aus. Dazu kam der wohl schwerste Schlag, Altbäuerin Hemma Wurzer verstarb 1949. Nun bedurfte es der Hilfestellung mit anderen Vorzeichen: Erhard Bartsch entschloss sich, zu seinen Kindern auf den Wurzerhof nachzukommen und die Hofführung mitzutragen. Währenddessen blieb seine Frau Hemma auf Gut Marienhöhe, das durch die Heirat österreichischer Besitz geworden war, und führte den Betrieb mit den verbleibenden Mitarbeitern unverändert in der biologisch-dynamischen Art weiter. Wurzerhof

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Abb. 25: Junge 50er Jahre

Abb. 26: Weihnachtsspiel 60er Jahre. Arbeit und Feste feiern

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4. Biografieteil

Von 1950 bis 1960 wirkte Erhard Bartsch in Richtung einer Erneuerung des gesamten Hoflebens. Er tat dies unter Einsatz seiner gereiften Persönlichkeit und man muss dazu wissen, dass er ein Multitalent war, „einfache“ Arbeiten wie Mähen waren ihm genauso geläufig wie ein verständiger Umgang mit dem Vieh, er konnte Fechten und Reiten, war ein guter Eisläufer und Tänzer – er hatte studiert und er war anthroposophisch gebildet. Es lag in seiner Wesensart, Menschen wie magnetisch anzuziehen oder aber gegen sich zu polarisieren. Zuletzt war er von der Idee getragen, dass sich auf dem Land Kulturstätten entwickeln sollten als Gegenbewegung zur einsetzenden Landflucht. Auf dem Wurzerhof gehörten zu den gemeinsamen landwirtschaftlichen Arbeiten bald auch gemeinsam gestaltete Feste im Jahreslauf, die Besucher und auch kurzzeitige Helfer anzogen. Das Spektrum reichte von religiösen Inhalten im Sinne der Christengemeinschaft über Fachvorträge bis zu unterhaltsamen Tanzfesten. All diese Aktivitäten wurden in periodischen Heftchen zusammengefasst, vervielfältigt und auch an Interessierte verschickt. In diese Zeit fielen aber auch grundlegende Modernsierungen wie die Elektrifizierung des Hofes, die Anschaffung des ersten Traktors, auch ein Stallveränderung. Wie in Marienhöhe wurden nun auch am Wurzerhof kilometerlange Windschutz- und Vogelschutzhecken angelegt. Auf dem Hof wurden nun nicht nur Frauen als Hauswirtschaftslehrlinge ausgebildet, sondern auch Landwirtschaftslehrlinge. Es ging aber noch einen wesentlichen Schritt weiter. Eine Idee, die bei Hemma und Luise Wurzer ganz am Beginn gestanden hatte, lebte wieder auf. Erhard Bartsch suchte Kontakt zu Personen, die heilpädagogisch wirkten. Unter anderem ließ er sich von dem nach Schottland emigrierten Anthroposophen Dr. Karl König, Gründer der CamphillBewegung, inspirieren. Im Mai 1960 besuchte dieser den Wurzerhof und es entstand eine gedankliche Symbiose zwischen den beiden Disziplinen: Die heilpädagogische Arbeit sollte nicht nur in sozialen Wohngemeinschaften ausgeübt werden, sondern mit der Landwirtschaft verknüpft werden, in der die zu Betreuenden mit einfachen Betätigungen zu einem Mitleben hingeführt werden. Wenngleich Erhard Bartsch die Umsetzung nicht mehr erleben durfte, er verstarb Anfang September 1960, so wurde doch noch im selben Monat zu Michaeli die sozialtherapeutische Arbeit am Wurzerhof begründet. Die später eingerichtete Wohnstätte erhielt den Namen Erhard Bartsch Heim. Bartschs Einfluss auf den Wurzerhof blieb aber nicht auf diesen Radius beschränkt, wie am späteren Wirken zweier seiner Mitarbeiter abzulesen ist. Reimund Böhm war mehrere Jahre auf dem Wurzerhof tätig und wurde dann der Landwirt und Mitbegründer des Lehenhof am Bodensee, wo die Camphill-Idee umgesetzt wird. Ebenso nahm Eugen Burnus die Impulse zur sozialtherapeutischen Arbeit auf dem Wurzerhof auf und gründete in den 1970er Jahren die Dorfgemeinschaft Hohenroth in Deutschland. Luise Wurzer manövrierte in den herausfordernden Jahren der Umorientierung die Weiterexistenz des Wurzerhofes. Frischen Wind brachte Raimund Remer in den Hof. 1964 heiratete Johanna, die jüngste Bartsch-Tochter, den tüchtigen Landwirt. Sie selbst hatte sich auf den Bereich der sozialtherapeutischen Arbeit konzentriert, durch ihren Mann erlebte die Landwirtschaft einen neuen Aufschwung. Hervorgehoben werden könWurzerhof

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nen sein Geschick in der Haflingerzucht und sein besonderes Augenmerk auf den Wald, wo er den Umstieg auf Plenterwald und die Untermischung mit Laubbäumen einleitete. Jahre später zeichnete sich der Wurzerhof als Vorreiter der Nutzung von Biomasse aus - 1981 wurde die erste große Biomasseheizung installiert. Feldgemüsebau, Bienen- und Schafzucht wurden eingeführt bzw. intensiviert. So wie die Schafzucht den Grundstein für die spätere Wollverarbeitung und Weberei in den therapeutischen Werkstätten legte, war die Pflege des Waldes und Holzgewinnung die Basis für die Einrichtung einer Tischlerei. Daneben gedieh die künstlerisch-therapeutische Arbeit mit den Pflegebedürftigen. Handwerk, Musik, Eurythmie und Schauspiel schufen einen anregenden Ausgleich. In diese Zeit fielen aber auch dramatische Ereignisse wie drei Brände im Stadel bzw. im Werkstatthaus und es bedurfte großer Anstrengungen, all diese Krisensituationen zu meistern. Raimund Remer trug sein Wissen auch nach außen, hielt Vorträge über Waldbau und wirkte in der Prüfungskommission der Kärntner Landwirtschaftskammer mit. Auch an der Gesamtentwicklung der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise in Österreich hatte Remer seinen Anteil. 1969 war er Mitbegründer des Österreichischen Demeterbundes. Kein Wunder, dass Rudolf Keiblinger, der sich in den 1980er Jahren vom Lehrerberuf in Richtung Landwirtschaft verändern wollte und einen guten Bauern als Lehrherrn suchte, zu Raimund Remer verwiesen wurde – und zwar als den besten Landwirt. Kaiblinger lernte daraufhin den Wurzerhof kennen, blieb einige Jahre und nahm die Vielfalt der Impulse auf. Danach arbeitete er vier Jahre in der Dorfgemeinschaft Hohenroth mit und schloss in Deutschland seine landwirtschaftliche Ausbildung ab. Indessen gab es einschneidende Veränderungen auf dem Wurzerhof. Zwischenmenschliche Schwierigkeiten hatten 1988 zur Trennung von Johanna Remer-Bartsch und Raimund Remer geführt, sodass dieser schließlich den Hof verließ. Sohn Markus übernahm kurzfristig die Leitung, blieb aber nur drei Jahre. Durch die Auflösung der Familie drohte auch dem Besitz eine Zersplitterung, die aber abgewendet werden konnte. – In diesen Wirren traten auch Unstimmigkeiten zwischen den Hofeignern und dem Vorstand des Erhard Bartsch Heimes auf, die in einer Spaltung gipfelten. Johanna Bartsch als Besitzerin des Hofes wurde aus der sozialtherapeutischen Arbeit gekündigt, Inventar und Vereinskasse wurden abgezogen, sämtliche Betreuer und die Hälfte der Pflegebedürftigen bereiteten den Neubeginn an einem anderen Ort vor. Aber Hans, einer der Pfleglinge, wollte bleiben. Er war seit 1964 in der Obhut der Betreuer des Wurzerhofes. Er wollte hier bleiben! Das war Pioniertum spezieller Art, denn es war ein Novum, dass Pflegebedürftige autonom für sich und die eigenen Bedürfnisse eintraten. Hans wurde gleichsam zum Sprachrohr weiterer vierzehn Heimpersonen. Das forderte weiteres Pioniertum auf Seite der Therapeuten heraus, denn durch die vorangegangenen Widrigkeiten stand man auf dem Wurzerhof und im Erhard Bartsch Heim vor dem Nichts. Rudolf Keiblinger hatte sich nach den Lehrjahren in Deutschland wieder zur therapeutischen Sozialarbeit entschlossen und wollte auf dem Wurzerhof einsteigen. Dort kam er mitten in das Tauziehen um den weiteren Werdegang und so sprang er in der Landwirtschaft ein, da war der schlimmste Engpass: Er hatte zwar keine Geräte mehr im Schuppen

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4. Biografieteil

(auch sie hatten unfreiwillig den Besitzer gewechselt) und das Futter war knapp, aber in dieser Situation machte er die Erfahrung, dass nur mit Landwirtschaft das Überleben einer solchen Gemeinschaft möglich ist. Gemeinsam schafften sie es mit bescheidenen Mitteln. Der Garten, Feld und Stall gaben genug und auch Köstliches – nur Salz und Zucker mussten gekauft werden. Jawohl, Johanna Bartsch und ihr zweiter Mann, Rudolf Keiblinger-Bartsch, hatten sich der Aufgabe gestellt, die heilpädagogische Arbeit unter den neuen Vorzeichen fortzuführen. Natürlich ging es nicht ohne Unterstützung von anderen, sei es der Eltern der zu Betreuenden, sei es die persönliche Beratung durch den anthroposophisch versierten Finanzexperten Wilhelm-Ernst Barkhoff. In der Landwirtschaft wandte man sich in den folgenden Jahren verstärkt wieder der Rinderzucht zu – es ging um die Erhaltung des reinrassigen Kärntner Blondviehs. Mitte der 90er Jahre wurde auf Mutterkuhhaltung umgestellt, was auch einen Umbau des Stalles und die Angliederung eines 300 m2 Laufhofs erforderte. Währenddessen wurde im kulturellen Bereich der Ausbau der Veranstaltungsräumlichkeiten forciert. 1997 schließlich wurde ein großer Saal im Dachgeschoß für künstlerisch-therapeutische Aktivitäten, Theateraufführungen, Tanz, Festveranstaltungen sowie Fortbildungsseminare fertig gestellt. 1999 wurde eine Kindergartengruppe ins Leben gerufen, die 2003 von einem Begegnungs-Waldorfkindergarten ergänzt wurde. Die Besonderheit hierbei ist, dass die Kinder an Menschen mit einer Behinderung herangeführt werden. Ebenfalls 2003 wurde mit der Errichtung eines Hofladens ein weiteres Aktions- und Austauschfeld eröffnet. Es tut sich was auf dem Wurzerhof. Alles in allem - Familie Bartsch, heilpädagogisch betreute Personen, Kindergartenkinder, Therapeuten und Mitarbeiter in den verschiedenen Bereichen - leben auf dem Wurzerhof rund 90 Menschen. Fast schon ein kleines Dorf! Soviel Umsicht und Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Aufgabe bzw. dem Ziel. wurde schließlich auch von der Öffentlichkeit anerkannt. Im Jahr 2000 verlieh das Land Kärnten dem Wurzerhof den Umweltschutzpreis und 2003 wurde Johanna Bartsch mit der Wahl zur EVA 2000 durch das Land Kärnten für ihre jahrzehntelange gemeinnützige Tätigkeit gewürdigt.

Ing. Helga Wagner

In zwei Funktionen bzw. Wirkstätten hat Helga Wagner prägende Spuren hinterlassen, im Linzer Stadtgartenamt, das sie 40 Jahre lang leitete, und in der Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum. Das Organische, das Biologische und das Dynamische wurden zum Kernpunkt Ihres Schaffens – auch in der Übersetzung ins Organisatorische, Lebenspraktische und beharrlich Wirkkräftige. So wurde es „ein Leben für die Gesundung des Bodens als Lebensträger der Erde“, wie sie es selbst formuliert. Die Kindheits- und Jugendjahre verbrachte Helga Wagner auf dem von ihrer Mutter professionell betriebenen, 6000m2 umfassenden Gartenland. Zu sehen und zu betreuen waren 60 Obstbäume, Gemüseland, Mistbeet, zwei Ackerflächen für Gerste und Kartoffel Helga Wagner

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samt Feldgemüse, dazu allerlei Nutztiere – Ziegen, Schweine, Geflügel. In diesem Umfeld erwarb sie unwillkürlich die besten Vorkenntnisse für einen landwirtschaftlich-gärtnerischen Beruf. Diese Szenerie aus den späten 1920er und folgenden 30er Jahren muss ergänzt werden um die soziale Dimension. Dieser Gartengrund grenzte an das Areal der großväterlichen Fabrik im damals einzigen Industrie- und Arbeiterviertel in Linz-Kleinmünchen. Diese Umgebung prägte jeden auch durch die menschliche Dichte, Helga Wagner war eine von 56 Schülerinnen in den oberen Volksschulklassen. Im Realgymnasium erwarb sie sich die Grundlage der Allgemeinbildung und den Maturaabschluss. Es folgte der Besuch der Landfrauenschule in Miesbach/Oberbayern und eine anschließende landwirtschaftliche Lehrzeit mit gärtnerischem Einschlag zuerst an der jungen Donau im Badischen, dann im oberösterreichischen Salzkammergut und letztlich im Landwirtschafts- und Werkstättenbetrieb Loheland bei Fulda. Hier geschah Entscheidendes und Lebensprägendes für Helga Wagner, und zwar durch die Begegnung und das Kennenlernen der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise. Es war eine denkwürdige Viertelstunde der Aufklärung über eine unbekannte – und für die in moderner Landwirtschaft eingeschulte Absolventin äußerst merkwürdige – Maßnahme zur Schädlingsbekämpfung durch Veraschung im Besonderen und über die gesamte Methode im Überblick. Mehr instinktiv als verstandesmäßig wurde ihr dabei schlagartig bewusst, dass hier der richtige Weg gegangen wurde und die Agrikulturchemie in die Irre führt. Rückblickend kann sie sagen, dass diese Erkenntnis ihr Leben lang durch nichts zu erschüttern war. Neben der praktischen Arbeit war die neueste Fachlektüre ebenfalls Richtung weisend für Helga Wagner. – Und bei aller Ernsthaftigkeit bietet Helga Wagner auch anekdotisch anmutende Einblicke in diese Tage, wenn sie erzählt: „In Loheland hab ich zwei Bücher gelesen – zwischendurch beim Kuhhüten; und bei Regen sogar unterm Wetterfleck. Das eine war von Alwin Seifert ‚Im Zeitalter des Lebendigen‘ und das andere war ‚Gesunde und kranke Landschaft‘ von Ehrenfried Pfeiffer. Diese beiden Bücher hab ich nicht gelesen, sondern die habe ich verschlungen.“ Es waren die aktuellsten Publikationen der beiden Autoren aus den Jahren 1941 und 42 und gerade recht für die junge Wissbegierige. Durch die Dramatik des Krieges brach sie diese letzte Lehrzeit auf Loheland verfrüht ab, doch die Rezeptur über die Bereitung der biologisch-dynamischen Kompost- und Spritzpräparate konnte sie gleichsam als Vermächtnis im Rucksack mitnehmen. Die Verhältnisse nach Kriegsende generell, die finanziellen insbesondere, wiesen Helga Wagner 1946 den Weg mehr ins Gärtnerische und damit an die Höhere Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau Klosterneuburg. Zu ihrer Freude war es ihr an dieser Lehranstalt durchaus möglich, mit der einen oder dem anderen Vortragenden ernsthaft über den biologisch-dynamischen Landbau zu sprechen, dieser wurde durchaus als etwas Positives eingeschätzt. Nach Abschluss dieser Studien war ein Ortswechsel in die Schweiz möglich und es folgte eine dreijährige Anstellung in einer Gartengestaltungsfirma samt Baumschule. Kontakte mit dem Goetheanum in Dornach wurden sofort aufgenommen und so mancher Vortrag besucht, wobei sie unter anderem auch Dr. Ehrenfried Pfeiffer persönlich erlebte. Bei ei-

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nem biologisch-dynamischen Winterkurs in Stuttgart wurde sie weiter mit der Methode vertraut und hörte beeindruckende Vorträge namentlich von Dr. Nikolaus Remer und Tierarzt Dr. Joseph Werr. Nach diesen ca. zehn Jahren dauernden Lehr- und Wanderjahren bot sich eine Fixanstellung wieder in der Heimat. „Die Jugendspringerei war vorbei. Aber das war von mir auch eine Springerei mit Absicht: Um zu lernen. Man muss raus, um Diverses kennen zu lernen!“ gibt sich Helga Wagner programmatisch. Am Gartenamt der Landeshauptstadt Linz fand sie ihre Lebensstellung, es wurde der Mittelpunkt, von welchem aus sie 40 Jahre lang, von 1951 bis 1990, den Radius ihres Wirkens spannte: Die Planung, Neuanlage und Pflege der öffentlichen Grünflächen der Stadt mit einem letztendlichen Ausmaß von 350 Hektar und mit rund 200 Bediensteten. Wie muss man sich das Umfeld vorstellen, in dem Ing. Helga Wagner ihre neue Laufbahn startete?! In Linz war nach dem Krieg unter der Ägide von Bürgermeister Dr. Ernst Koref eine Aufbruchstimmung. 1949 wurde der Bahnhof neu eröffnet und zwar als erster in allen Landeshauptstädten. Linz bekam eine Stadtautobahn, ebenfalls erstmalig in Österreich. Ein botanischer Garten wurde angelegt und die Planung des zweiten Teiles erfolgte bereits durch Frau Ing. Helga Wagner. Das Linzer Donauufer wurde entrümpelt und der Donaupark mit dem Brucknerhaus geschaffen. Eine Universität wurde gebaut und mit einem großzügigen Park umgeben. Weiters erhielt die Stadt zwei Badeseen mit ausgedehnten Grünflächen, drei neue Schwimmbäder und zahlreiche Schulen und Kindergärten – jeweils mit zum Teil sehr großflächigen Gärten. Für Helga Wagner ein einmaliges Arbeitsund Aufgabengebiet. Der Chef des Gartenamtes, Architekt Rudolf Hirschmann, war zuvor mehrere Jahre bei dem in biologisch-dynamischen Kreisen hochgeschätzten Garten- und Landschaftsarchitekten Max Karl Schwarz tätig, als dieser die Begrünung des Autobahnabschnitts Bremen-Hamburg durchführte. Das gesamte Begrünungsprojekt der Deutschen Autobahnen oblag Prof. Alwin Seifert, der Hirschmann nach Linz brachte. Hier muss ein Einschub über dessen Arbeitsweise erfolgen, da Helga Wagner dies immer wieder hervorhebt: „ Prof. Seifert war Architekt, Landschaftsplaner, Professor an der technischen Universität München – und er war der biologisch-dynamischen Richtung gegenüber offen. Bei dem Großprojekt Autobahnbegrünung hat er bei allen Bauabschnitten zuerst die gesamte Humusschicht abtragen und in endlosen Mieten verkompostieren lassen und hat dieses so geschützte Material nach Fertigstellung der Bauabschnitte als Basis zur Begrünung wieder aufbringen lassen. So ist nie wieder Straße gebaut worden, mit dieser Schonung der Muttererde!“ Hingewiesen wird auch darauf, dass Seifert auch nach dem Krieg mannigfach international als Begutachter geholt wurde, so auch von der Stadtbauverwaltung Linz. In Bezug auf die Zusammenarbeit von Gartenamtsdirektor Hirschmann und Ing. Wagner gab es wiederum eine entscheidende Viertelstunde. Schon nach wenigen Worten fanden sie ihre übereinstimmende Auffassung von Gartenpflege heraus und rasch wurde das Einverständnis gefunden, dass die Bewirtschaftung der öffentlichen Grünflächen der Stadt eine biologische werden sollte. Ab 1958 stand ein Kompostplatz auf der Fläche von einem Hektar zur Verfügung. 150 Mieten zu 20 Meter Länge. „Der gesamte Kompostplatz wurde Helga Wagner

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Abb. 27: Alle in städtischen Grünanlagen von Linz anfallenden organischen Abfälle verrotten in rund 150 Mieten mit etwa 20 Meter Länge zu Kompostdünger.

Abb. 28: Helga Wagner zeigt das kostbare Endprodukt (in: Kraut und Rüben, 9/10 1988)

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maschinell betrieben: Zubringung, Aufsetzen und Umsetzen der Mieten sowie der Abtransport. Kompostiert wurde das gesamte organische Material vom Grasschnitt bis zum Holzhäcksel wie es in den Grünanlagen anfiel. Bereits beim Aufsetzen wurde Urgesteinsmehl, Biolit vom Hartsteinwerk Kitzbühel, beigemischt. Es hat sich binnen Kurzem als unverzichtbar für eine zufrieden stellende Rotte erwiesen. Die Mieten wurden sehr genau und gewissenhaft mit den biologisch-dynamischen Kompostpräparaten, die vom Goetheanum bezogen wurden, geimpft. Das Endprodukt war hervorragend, der Gesundheitszustand der Pflanzungen bestens“ weiß Helga Wagner höchst zufrieden

Abb. 29: Prof. Alwin Seifert im eigenen Garten in Diessen am Ammersee bei der Kompostarbeit

zu berichten. Und mit noch einem beachtlichen Fazit kann sie aufwarten: „Es wurde 40 Jahre lang kein Kilogramm Kunstdünger gekauft oder auch nur ein Liter Gift verspritzt. Dazu konnte ein markanter wirtschaftlicher Erfolg verbucht werden: Gegenüber einer konventionellen Bewirtschaftung mit Kunstdünger und Spritzmitteln ergab sich ein Gewinn von 1,4 Millionen Schilling.“ Ohne je die geringste Werbung gemacht zu haben, wurde diese Einrichtung geradezu eine Wallfahrtsstätte für biologische Wirtschaftsweise im näheren süddeutschen Raum und noch darüber hinaus. Ing. Wagner erhielt schriftliche Anfragen von Bundesdienststellen in Bonn, Berlin, Köln, Essen, Stuttgart, Wiesbaden und Augsburg. Es kamen persönliche Besuche von Vertretern der Stadtverwaltungen von Wien, Innsbruck, München, Heidelberg, Salzburg, Graz, Passau, ... (Die Liste ist lang und Helga Wagner will offenbar keine Delegation vergessen) so auch von Heilbronn, Marburg an der Lahn, Burghausen, Klosterneuburg, Perg, Erding, Altötting, Klagenfurt, Wels, Ried im Innkreis, Sinnbach am Inn, Amstetten, Eisenstadt. Besondere Wertschätzung bedeutete der Besuch von Einzelpersönlichkeiten von Rang und Namen. So lebt die Erinnerung an Prof. Alwin Seifert, der zwei Mal kam, an Dr. Gerhard Schmid und Dr. Jochen Bockemühl, beide Leiter der landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum, Dr. Eberhart Spohn, der große, alte Mann der deutschen Müllkompostierung, Georg Siebeneicher, der Herausgeber von „Garten organisch“, Gertrud und Hannfried Frank, die Schöpferin der Mischkultur und ihr Gatte. Beispielhaft wurde ein Film über die Anlage gedreht, der bis in Australien gezeigt wurHelga Wagner

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de. Ab 1987 wird die Arbeit von Ing. Helga Wagner auf offiziell wertgeschätzt. Sie erhält die Umweltschutzmedaille der Stadt Linz, das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, Frau Minister Marilies Flemming überreichte ihr eine Ehrenurkunde des Ministeriums für Umwelt, Jugend und Familie, desgleichen der Akademische Senat der Johannes Kepler Universität Linz und die Oberösterreichische Landesregierung das Silberne Verdienstzeichen. Die Anlage des Stadtgartenamtes war entschieden ein Impuls für Vieles und viele und hat das Wunder der Erdwerdung aus organischen Abfallstoffen bestens vor Augen geführt. Die Stadt Linz hat zum Bedauern Wagners die Anlage nach ihrer Pensionierung verkommen lassen. Für sie selbst aber gab es noch einen weiteren Schritt auf dem Weg des biologischen Landbaues zu machen. Es war das Kennenlernen und Erarbeiten der zweiten, der organisch-biologischen Methode. Einmal mehr hatte Prof. Alwin Seifert den Anlass dazu gegeben. Als er 1969 beim Verband „Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum“ einen Vortrag hielt, konnte sie ihn begleiten. Im Zuge dieses Abends erfuhr sie dann auch einiges über die organisch-biologische Landbaumethode nach Dr. Müller-Dr. Rusch. Ihre Begegnung mit dieser Interessensgruppe hatte auch sehr praktische Konsequenzen. Schon im folgenden Jahr wurde Ing. Wagner in den Vorstand der Förderungsgemeinschaft gewählt und übernahm in den folgenden Jahren viele ehrenvolle – und auch ehrenamtlich verrichtete – Aufgaben und begleitete aktiv gestaltend die Ereignisse. So zeichnet sie auch seit Jahren verantwortlich für die vierteljährlich erscheinende Mitglieder-Zeitschrift „Der bäuerliche Pionier“. Ihr war sehr bald der Unterschied zwischen beiden Methoden, kurz: der dynamischen und der organischen, klar geworden und sie hatte befunden, dass letztere wesentlich einfacher und daher leichter zu erfassen war, besonders für den im chemischen Nährstoffdenken erzogenen Bauern des konventionellen Landbaus. Darüber hinaus wurde dabei auch das Bäuerlich-Praktische mehr betont im Unterschied zu der – oft für das Denken und Handeln kompliziert empfundenen – geistbetonten, dynamischen Richtung. Sie ließ sich auf beide Methoden ein und sowohl im Verband als auch im eigenen Garten wurden diverse Maßnahmen erarbeitet und schließlich konnte sie beiden Richtungen ihre volle Berechtigung zugestehen, sie würden sich ihrer Meinung nach hervorragend ergänzen. Für sich hat sie es ja auch praktiziert und schildert ihre Situation etwas schelmisch: „Ich persönlich bin ja herumgetanzt wie eine Ballett-Tänzerin zwischen Haufen- und Flächenkompost – mir hat das alles so gefallen.“ Allerdings war sie sich auch immer bewusst, wo die Grenzen lagen und sei es nur in den Köpfen der Menschen. Nachdem sich 1979 eine Anzahl von Mitgliedern der Förderungsgemeinschaft zum Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs abgespaltet hatte, begann eine neue Ära. Eine Folge dieser Auseinandersetzungen war auch, dass Dr. Müller sich ab1980 aus Österreich persönlich vollkommen zurückgezogen hat. Unvermindert verfolgt Helga Wagner wachsam und kritisch, und als Geschäftsführerin bzw. Schriftführerin der Förderungsgemeinschaft nach wie vor auch lenkend, die Entwicklungen. Ihrer Ansicht nach wurde beim organisch-biologischen Landbau in den letzten 15 Jahren das Hauptaugenmerk auf Marketing und Management gerichtet und der Boden

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Abb. 30: 10 Jahre ORBI Bauernläden – man gratuliert Frau Ing. Helga Wagner

sehr außer Acht gelassen. Das Ganzheitsdenken sei verloren gegangen und die Erkenntnisse von Müller-Rusch seien weitgehend vom Tisch gewischt worden. Dafür habe sich ein konventionalisierter Einheits-Bio-Landbau nach EU-Vorschrift breit gemacht. Gegensteuern will sie mit längst erprobten, vergessenen Maßnahmen, etwa der Wiedereinführung von Bodenuntersuchungen, dem guten, alten Rusch-Test. Damit sei bereits durch die Zusammenarbeit mit dem Labor des Biologen André Gilhofer ein Anfang gelungen, weiß sie zu berichten. „Die Heimat in beiden Landbaumethoden zu haben, im landwirtschaftlichen Umfeld genauso zu Hause zu sein wie im Gärtnerischen bis hin zum Blütenzauber von Stauden und Gehölzen und das Wunder Boden als die Mutter von allem zu erleben ist, denke ich, Lebensinhalt genug.“ Helga Wagner 2009.

Martin Ganitzer

Wer sich mit den Anfängen des organisch-biologischen Landbaus hierzulande befasst, kommt an ihm nicht vorbei: Martin Ganitzer war die „rechte Hand“ von Dr. Müller in Österreich, die rührige Kontaktperson zwischen hiesigen Bio-Interessenten und dem Möschberg, der ideale Netzwerker, wenn es diesen Begriff schon gegeben hätte Anfang der 1960er Jahre. Martin Ganitzer I

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Abb. 31: Das gut eingespielte Team Dr. Hans Müller und Martin Ganitzer (Mitte) bei einer Exkursion

Mit dem Geburtsdatum 1. Dezember 1915 ist Martin Ganitzer wohl der älteste Zeitzeuge der Biobewegung, zu der er Anfang der 1960er Jahre gestoßen ist, also etwa in der Mitte seines inzwischen hoch betagten Lebens. Ein Pachtgarten hat dem Leben der Familie Ganitzer ab 1957 eine neue Richtung gegeben. Damals war Martin Ganitzer Beamter bei der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle der Stadt Salzburg und lebte mit seiner Frau Margarethe – allen geläufiger unter dem Namen Gretl, den beiden eigenen Kindern und den drei angenommenen Kindern in geordneten Verhältnissen. Eines Tages kam sie mit dem Angebot nach Hause, einen Garten, eigentlich ein Stück Grabeland im frisch gestochenen Leopoldskroner Moor, zu pachten. Es war ihr angetragen worden. Für Martin Ganitzer war dies aus zwei Gründen ideal: Zum einen konnte die siebenköpfige Familie leichter mit frischen Lebensmitteln versorgt werden und zum anderen hatte Ganitzer bei seinen Amtskollegen wiederholt festgestellt, dass diese im Pensionsalter, wenn der geregelte Tagesablauf wegfiel, schnell an Lebensfreude und Gesundheit verloren. Dem wollte er jedenfalls entgegenwirken und so ein Garten schien ihm bestens geeignet als sinnvoll anregende Beschäftigung. Die Entscheidung, die 350 m2 Gartenland zu pachten, fiel demnach ohne Zögern. Alsbald wurden die wichtigsten Gemüse und Beeren gepflanzt und auch diverse Obstbäume gesetzt. Ganitzer ging mit voller Lust ans Werk, informierte sich über den letzten Stand der Gartennovitäten und stellte schon Ende der 1950er Jahre ein Folienzelt auf, sechs Meter lang und zweieinhalb Meter breit. Und prompt waren auch die Vertreter der Düngebera-

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Abb. 32: Martin Ganitzers vielgepriesener Kräuel, der alle anderen Gartengeräte ersetzte.

tung der Chemie Linz zur Stelle und versorgten die über 50 Neulinge der noch jungen Kleingartenanlage mit Kunstdünger und Spritzmitteln. Der Erfolg waren große, schöne Salate, Früchte und Gemüse. Aber Martin Ganitzer erinnert sich auch, dass sie schnell faulig wurden, sich schlecht lagern ließen und auch, dass man von den „wunderbaren“ Gemüsen bald wieder Hunger bekam. Im Gegensatz dazu beobachtete er bei einer Nachbarparzelle, dass der Betreiber „aweng andersch tuat“, nämlich ohne die chemischen Hilfsmittel auskam. Kein Wunder, es war ein Waerlandist, der nach Alwin Seiferts „Kleiner Kompostfibel“ gärtnerte. Dieser Spur ging Martin Ganitzer nach und kam direkt zum organisch-biologischen Landbau. Die Zusammenhänge schildert er folgendermaßen:

„Hermine Schnürer – sie war beim Waerlandverein – hat 1924 Dr. Müller in Salzburg kennen gelernt. Er hatte einen Vortrag gehalten wie man Süßmost macht. Dann war aber bis 1946 nix. Da hat sie in einer Zeitschrift über einen Vortrag von Dr. Müller über biologischen Land- und Gartenbau gelesen. Daraufhin hat sie ihm geschrieben und er hat prompt geantwortet. Er ist dann ständig nach Österreich gekommen, jedes Jahr im Frühjahr und im Herbst. – Er war derjenige, der das nach Österreich gebracht hat.“ Auf diese Weise aufmerksam geworden ist Ganitzer Anfang der 1960er Jahre 14 Tage in die Schweiz gefahren, hat mit Dr. Müller die Bauern besucht und die verschiedenen Arten gesehen wie sie die biologische Landwirtschaft betrieben haben. Weiters hat er sich einschlägige Literatur beschafft und studiert und er hat sich auch etliche Pflanzanordnungen in Großhöchstetten im Mustergarten der „Doktor Müllerin“ abgeschaut – wie er Maria Müller tituliert. Die Umstellung auf biologisches Gärtnern war also besiegelt: „Es ist da nie mehr Kunstdünger rein gekommen und Gift schon gar nicht. Ich mach nur Kompost und Gründüngung. Klee, Leguminosen, Erbsen usw., damit der Boden lebendig wird. Das geht tadellos.“ Dazu verwendete er eifrig Gesteinsmehl und in Ermangelung von Stallmist behalf er sich mit Horn- und Knochenmehl. Mit der Zeit wurde Martin Ganitzer Spezialist für MischMartin Ganitzer

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kulturen und er hat seit den 1960er Jahren nie mehr umgestochen. Vielmehr schwört er auf sein Arbeitsgerät: „Ich hab einen Kräuel, eine gebogene Gabel, mit der wird gelockert. Luft muss reinkommen, aber man darf die Schichten nicht stören – Oben ist die Abbauschicht, dann die Aufbauschicht und die Umbauschicht, wo die Wurzel die Nahrung holt – die soll man nicht stören.“ Schon bald entwickelte sich seine Gartenparzelle zu einem Schaugarten, den er bereitwillig für Interessenten öffnete und ihnen sein angesammeltes Wissen mitteilte. Bald konnte er auch Nachbarn in der Gartensiedlung für das biologische Gärtnern gewinnen und als speziellen Service bereitete er Jahr für Jahr für die Gemeinschaft an einer zentralen Stelle den Kompost. Die Mitglieder brachten ihm ihre Abfälle, er sammelte sie, häckselte auch die gröberen Teile, schichtete mit Steinmehl – und im Jahr darauf konnten sich alle besten Kompost abholen. Nachdem Minna Schnürer Landwirtschaftslehrerin war, knüpfte sie bald Kontakte zu Bauern, die sie für eine Umstellung gewinnen wollte. Martin Ganitzer erinnert sich an die erste Zeit um 1960: „Sie hat die ganze Geschichte zusammengehalten und organisiert und aus ganz Österreich Interessenten nach Salzburg einberufen, wenn Dr. Müller gekommen ist. Die Leut’ sind auch in die Schweiz gefahren und haben geschaut, ob und wie das funktioniert.“

Abb. 33. Eine Gartenparzelle wie jede andere? Auf diesem Grundstück wurden zahlreiche Schauer und Frager zum biologischen Land- und Gartenbau bekehrt. Obwohl der Garten schon übergeben ist, fühlt sich Martin Ganitzer in „seinem“ Folienhaus wie zu Hause.

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Insbesondere hatte Minna Schnürer den zukunftsweisenden Kontakt zwischen Dr. Marianne Rieger von der Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum in Linz und Dr. Müller hergestellt. Da sie schon bald aus gesundheitlichen Gründen zurückstecken musste, beauftragte sie Martin Ganitzer, ihre Agenden zu übernehmen, was er alsbald tat und auch nach ihrem allzu frühen Tod Anfang der 1960er Jahre

treulich weiterführte. Noch heute verfügt er über die Schachtel mit der Adresskartei aus dieser Zeit ... 1962 sprach Dr. Müller bereits auf der Jahreshauptversammlung der Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum und 1963 folgte eine Vortragsreise seines wichtigen wissenschaftlichen Partners Doz. Dr. Rusch durch Österreich. So bildeten sich regionale Arbeitskreise von Biobauern, bei denen Ganitzer seine Erfahrung einbrachte, aber auch praktisch mitwirkte, indem er die Bodenproben einsammelte und in die Schweiz zur Untersuchung schickte. Er scheute auch nicht davor zurück, einmal einen Waggon Gesteinsmehl für die Bauern umzuladen, damit „sie einmal anfangen können“. Er zeichnete sich als Mittelsmann aus in jeder Hinsicht, er erledigte den Briefverkehr mit speziellen Anfragen oder Organisatorisches mit Dr. Müller, er aktualisierte laufend die Zettelkartei, in der alle Interessenten erfasst waren und er tippte die Einladungen für die Vorträge, vervielfältigte und verteilte sie rechtzeitig, mit der Post oder persönlich, um Porto zu sparen. Und er hatte seine „Verbindungsleute“ und zählt die beiden Gartenarchitektinnen Lore Schöner und Ing. Helga Wagner auf, des weiteren auch Maria Steinhauser, mit denen fachlich und/ oder organisatorisch Kontakt gehalten wurde. Ganitzer bot auch eigene Vorträge und Gartenführungen an und leitete Umstellungskurse. Im Lauf der Jahre brachte er es auch zu einer Vielzahl an Dias, die er als einprägsames Anschauungsmaterial seiner Mischkulturen oder guten Werkzeuges bei seinen Zuhörern verwendete und die ihm als Dokumentation von Exkursionen und Veranstaltungen dienten. Viele unbezahlte Beratungs- und Verwaltungsstunden flossen durch sein Engagement in die junge Biobewegung ein. Auch in der Förderungsgemeinschaft wollte man auf die Kompetenzen von Martin Ganitzer nicht verzichten und so wurde er in den 1970er Jahren zum dritten Obmann gewählt. Allerdings verliert er selbst kein Wort darüber. Das entspricht einerseits seiner Bescheidenheit, andererseits waren schlussendlich damit auch unschöne Ereignisse verbunden – handelt es sich doch um die unruhigen Jahre ab 1976, in denen sich die Abspaltung jener bäuerlichen Mitglieder anbahnte, die ihre Belange stärker behandeln wollten, mehr an die Öffentlichkeit drängten und auf dem Markt expandieren wollten und 1979 den ersten reinen Biobauern-Interessensverband gründeten. Obwohl Ganitzers Kompetenz als Bioberater in keiner Weise in Frage gestellt wurde und vor allem Dr. Müller voll hinter ihm stand, bekam er nun auch rauhen Gegenwind von Biobauern, die ihre Interessen lieber von einem Bauern vertreten gesehen hätten als von einem privaten „Biogartler“. In dieser gespannten Situation zog sich Ganitzer aus der Funktion als Obmann der Förderungsgemeinschaft zurück und übertrug sie an Franz Kappel. Nach eigenen Worten hatte er den Biolandbau, insbesondere seinen Garten, als seinen Ruhepol empfunden. Unter strittigen Umständen war es nicht sein Platz. Und sein Garten wartete auf jeden Fall auf ihn und seine Vortragsreisen, bei denen ihn inzwischen auch seine Frau Grete begleiten konnte, rissen nicht ab, vielmehr wurde er bis Überlingen, Reichenhall und bis nach München eingeladen. „Das hab ich als ‚Gaude’ gemacht“, meint er jovial, „Wissens’s, der Mensch braucht etwas, das ihn freut. Mir hat der Gartenbau zugesagt, das Lebendige.“

Martin Ganitzer

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Martin Ganitzer ist über 90 Jahre alt. Er lässt seine Geschichte Revue passieren. 1915 wurde er in den Krieg hinein geboren, verbrachte eine extrem karge Kindheit mit acht Geschwistern in Bad Gastein, mit langen, eisig kalten Schulwegen im Winter, und es war nichts Ungewöhnliches für ihn, in der Heukrippe zu schlafen. Als Volksschulkind verdiente er in den Ferien als Tennisbube die ersten Groschen – nicht für sich, sondern für die Familie, denn der Stiefvater war alles andere als sorgend für die Familie. Später fand er eine Stelle als Lehrbub im Hotel Elefant in Graz, bei einer Dienstzeit von 14 bis 16 Stunden am Tag. Es war keine gute Zeit Ende der 1920er Jahre für die Hotellerie und ihn störte die stinkende Luft im Speisesaal. Nach wenigen Jahren bekam eine Herzneurose und spielte mit dem Gedanken, beim Militär unterzukommen und versorgt sein – Ganitzer hatte öfter Soldaten mit ihren Fernsprech-Geräten im Freien beobachtet, das hatte ihn beeindruckt. Als er sich stellen wollte, wurde er aber für untauglich erklärt. In seiner mächtigen Wut über dieses „untauglich“, schmiss er alles hin, kündigte den Hotelposten (statt in Krankenstand zu gehen) und ging nach Bad Gastein zurück, arbeitete in der frischen Luft im Wald – und wurde binnen weniger Monate gesund! 1935 rückte er ein und wurde Funker: „Als Kommando-Telegraphist hab ich chiffriert. Wir mussten 60 Morsezeichen in der Minute senden – und 100 aufnehmen.“ Bis 1945 blieb er im Militärdienst, wurde im Krieg ganz in den Norden, nach Kirkenes versetzt, wo er nach einem 3000 Kilometer Fußmarsch als Spieß eine Holzfällergruppe kommandierte. Bei seinem Führungsstil „herrschte“ aber die Menschlichkeit, denn sein Motto war: „Was mir nicht taugt, das taugt denen auch nicht!“ Auf diese Weise musste er auch nicht anschaffen, sondern erreichte eine gute, freiwillige Zusammenarbeit. – Als er 1946 zurückkam, konnte er eine Stelle im Salzburger Kriminalamt annehmen, wobei er für das ganze Land Salzburg zuständig war. Auch hier wurde er sehr geschätzt ob seiner sachlichen Vorgangsweise und mitfühlenden Haltung. Im Bekanntenkreis seiner Tante hatte Martin Ganitzer schon vor dem Krieg seine künftige Frau gefunden und konnte mit ihr lange Jahre glücklich sein: „Wir haben uns wirklich gut verstanden, es hat bei uns nie was gegeben. Auch die Kinder sagten: ‚Wir haben euch nie streiten gehört.’ Haben wir auch nicht!!! – Dafür hat man ja den Schnabel, dass man sich’s ausreden kann. - Sie ist jetzt leider vor sieben Jahren verstorben – unterm Reden eingeschlafen – sie geht mir schon sehr ab.“ So manche Facette seines Gemütes schimmert in den Erzählungen schon durch, fehlt noch eine wichtige: Sein sanfter Humor: „Ich mach noch alles allein – man muss es eben so einteilen, dass man sich nicht umbringt dabei. Ich hab ein Werkzeug mit einem langen Stiel, dass ich weit weg bin von der Arbeit. Man muss sich nicht überanstrengen.“ Und was ihm sicher in manchen Lebenssituationen geholfen hat, ist eine gewisse Gelassenheit, die in Bezug auf die Zukunft seines 40 Jahre lang liebevoll und sorgsam biologisch behandelten Gartens etwa in solchen Aussagen zum Ausdruck kommt: „Naja, die brauchen dann nur weitermachen. Ich sag ihnen wie es geht. Wenn sie es auch so machen, dann haben sie Erfolg. Wann nicht, sind sie eh selber schuld. Warum soll ich mir da Sorgen machen, was nachher passiert. Da bin ich frei, mach ich mir keine Sorgen.“ – Die muss er zuletzt auch wirklich nicht haben, denn ab 2008 wirken und werken seine Schwiegertochter und Enkelin ganz in seinem Sinn.

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Nur er selbst weiß, wie viele Stunden er beratend, vermittelnd und tatkräftig in den Dienst des Biolandbaues gestellt hat. Dennoch misst er seine Bedeutung für die Entwicklung der biologischen Landwirtschaft recht zurückhaltend: „Wir haben heute allein in Salzburg über 3000 Bauern – ich hab vielleicht auch bisschen dazu beigetragen.“ Landeshauptmann Haslauer, der um die Verdienste Ganitzers mit seinem Garten durchaus informiert ist, ließ ihm jedenfalls in dankbarer Anerkennung ein Buch übermitteln. Und auch BioAustria ist voll und ganz davon überzeugt, dass er einen ganz wesentlichen Beitrag zum Gedeihen des organisch-biologischen Landbaues in Salzburg, ja in Österreich geleistet hat und überreichte Martin Ganitzer 2006 das Ehrenzeichen des Verbandes.

Walter Eiböck

Wie ein Fixstern lenkte Walter Eiböck als erster Bundesobmann ab 1979 die erste Dekade des Verbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs. Er, der grundsätzlich alles hinterfragt, was ihm als Faktum angeboten wird, und der sich in letzter Zeit gern dem Interessensgebiet der Astronomie und Astrophysik widmet, wird diese Metapher nur gelten lassen, wenn auch daran erinnert wird, dass es sich dabei um eine relative, scheinbare Fixiertheit am Firmament handelt. Leogang ist seit 1962 die Wahlheimat von Walter Eiböck. Nachdem er den elterlichen Hof übernommen hatte, der keine zehn Kilometer entfernt in Saalfelden stand, hielt er es aber für ratsamer, statt des kleinen Anwesens in der Stadt einen geeigneteren Standort zu finden. Mit seiner Frau Hermine begann er alsbald den Grünlandbetrieb zu führen. Er war noch gespickt mit den Lehren aus der Landwirtschaftsschule und so gab es reichlich Futter für die 20 bis 30 Stück Vieh, denn der Kunstdüngereinsatz auf den Wiesen erbrachte die kalkulierte Wirkung. Er hatte aber auch die weniger erwünschte Nebenwirkung, die Flora dahingehend zu verändern, dass Wiesenblumen und Kräuter verschwanden und einfache Graswiesen übrig blieben. Eiböck führte dies auf seine – zugegeben unüblich hohe - Stickstoffdüngung zurück. Über diese Sache unter anderem redete er natürlich mit Kollegen. Und dabei berichtete ihm einmal Michael Haitzmann, den er aus der Saalfeldner Zeit gut kannte, welche Vorstellungen man als Biobauer über die Landwirtschaft hat und dass er selbst bereits umgestellt hat. Das war 1966. Diese Bio-Ideen waren nicht sofort eine heiße Spur, aber auch nicht von der Hand zu weisen. Walter Eiböck ging jedenfalls zum nächsten Vortrag von Dr. Müller in einem Gasthaus in Saalfelden. Diese Begegnung war nun doch ein Anstoß, biologischen Landbau als ernste Alternative zu sehen, auch die Persönlichkeit von Dr. Müller beeindruckte Walter Eiböck fürs erste. Auf dieser Grundhaltung zum bäuerlichen Betrieb und zur Landwirtschaft konnte man aufbauen. Die zu treffenden Maßnahmen wiesen insgesamt auf die große Bedeutung des Bodens und auf die Erhaltung bzw. Steigerung der natürlichen Fruchtbarkeit hin und das war ihm sympathisch. Darüber hinaus untermauerte das Konzept des Biolandbaus seine Bedenken gegen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, d.h. bezüglich Chlorierten Wasserstoffen etc., die er noch aus der Fachschulzeit in sich trug. In seinem Betrieb mit Walter Eiböck

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Weidewirtschaft hatten Spritzmittel zwar keine Aktualität, aber es waren ihm inzwischen noch andere Informationen über die moderne Agrarchemie zu Ohren gekommen, die problematisch waren. Also lautete für Eiböck die Formel für die Umstellung des Betriebes kurz und bündig: Kein Kunstdünger mehr! In den folgenden Jahren wurden weitere Schritte in Richtung biologisch Wirtschaften gesetzt. Der Betrieb erlebte wieder eine Anbauvielfalt an Getreide und Hackfrüchten, wie sie eigentlich vor den Rationalisierungstendenzen in dieser Gegend üblich war. Die Bearbeitung auf den Feldern und die Aufbereitung nach der Ernte waren allerdings herausfordernde, auch durchaus von Rückschlägen gezeichnete Kapitel und riefen sein Improvisationstalent auf den Plan. Beflügelt hat ihn aber immer wieder die Begeisterung an der Sache. Im Gedankenaustausch mit anderen Biobauern, durch Vorträge und auch Literatur – die Vierteljahresschrift „Kultur und Politik“ gehörte da zum Grundstock – rundete sich die Erfahrung mehr und mehr ab. 1970 besuchte Eiböck den einwöchigen Landbaukurs auf dem Möschberg, wo er zusätzlich in diversem Schrifttum fündig wurde. Dort spürte man auch den Einfluss von Maria Müller und ihre gut durchdachten Anweisungen für gesunde Ernährung. Dies kam letztlich auch der Familie Eiböck zugute, denn Hermine übernahm viele Anregungen und so wurden auch die sechs Kinder von klein auf an diese Kost gewöhnt. In den 70er und ganz besonders in den 80er Jahren war der Saalfeldner Raum mit den vielen Schulen, Lehrern und Gesundheitsvereinen ein ausgesprochen empfängliches Einzugsgebiet für naturgemäße Lebensführung. So lag es nahe, im verbliebenen Stallgebäude des Stammhofes im Ortskern einen Hofladen einzurichten. Immer am Samstag war Verkaufstag, an dem aus eigener Produktion Milch, Käse, Eier und einiges an Getreide und Gemüse frisch angeliefert wurden. Die Nachfrage war gut und regte dazu an, eine immer noch größere Vielfalt an Gemüse anzubauen – oder das Angebot durch Produkte von anderen Biobauern zu ergänzen etwa aus Niederösterreich. Anfänglich wurden in einer Saison 10.000 Kilo Weizen, Roggen zum Brotbacken, Erdäpfel, Karotten, Kraut und Rote Rüben umgesetzt. So sinnvoll die Anbauvielfalt an sich ist, bei Eiböck wäre es auf Dauer zu idealistisch gewesen. Die landwirtschaftliche Fläche – Alm und Wald nicht gerechnet – war zu klein, um einen Maschinenkauf zu rechtfertigen. Auch fehlte es an Zeit, denn Walter Eiböck widmete sich bereits mit voller Kraft dem Biobauern-Verband. Die Begeisterung für biologische Landwirtschaft hatte für Walter Eiböck von Anfang an drei gravierende Konsequenzen: Die Betriebsumstellung, sein fachlich-theoretisches Interesse wurde aus der Reserve gelockt und er machte die Verankerung des Biolandbaus innerhalb der Berufsgruppe zu seiner ernsten Aufgabe. Je eingehender er sich mit den vorgegebenen methodischen Grundregeln beschäftigte, desto mehr machte er sich daran, diese Standardrezepte auf Stichhaltigkeit abzuklopfen. Schließlich wagte er es, einzelne Dogmen von Dr. Müller umzustoßen und als irrelevant oder nicht genügend wissenschaftlich fundiert zu betrachten. Kritische Punkte waren z. B. die pH-Wert-Regulierung mit Patentkali bzw. Thomasmehl, wobei bei letzterem noch die

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ganze Thematik der Roh-Phosphate und deren Schwermetallgehalt zur Debatte standen. Das Steinmehl wurde als Allheilmittel oft überbewertet, manche Kollegen interpretierten es völlig falsch als Kunstdüngerersatz und auch den Vergleich mit Nilschlamm ließ Eiböck nur bedingt gelten. Die Doktrin, Mist sei das ganze Jahr über möglichst frisch auszubringen, war überzogen, und wurde, wenn auch aus einer anderen Sichtweise heraus, inzwischen bei Schneelage verboten. Auch wenn Eiböck mit einiger Turbulenz, nämlich mit dem Turbolader des Lastwagens, die Güllebelüftung erfolgreich bewerkstelligte und auch positive Effekte - weniger Schärfe, weniger Gestank – feststellte, wurde sie ihm zu dogmatisch gefordert. Ebenso waren in seinen Augen die Bodenuntersuchungen gemäß dem Rusch-Test von der Idee her einleuchtend, aber von der Aussagekraft unbefriedigend und nicht weiter wissenschaftlich untermauert. – Als Dr. Müller auf Umwegen von diesen Gegenpositionen erfuhr, war er „furchtbar bös“ auf den ketzerischen Biobauern. Solche äußeren Kontroversen konnte Eiböck aber um des eigenen inneren Friedens willen durchaus ertragen. Für ihn müssen fachliche Behauptungen durch und durch schlüssig sein, vorher hat er keine Ruhe. Einen ersprießlichen Gesprächspartner fand er in Gerhard Plakolm, der direkten Zugang zu Forschungsergebnissen hatte bzw. selber wissenschaftlich arbeitete. Dass Walter Eiböck thematisch voll angebissen hatte, war nicht zu übersehen. Schon bald leitete er Arbeitsgruppen, hielt aufgrund seines vertiefenden Wissens Fachvorträge oder betrieb breitere Öffentlichkeitsarbeit. So folgte Eiböck 1974 der Einladung von Ing. Willi, in der Landwirtschaftskammer Tirol an einer Podiumsdiskussion über Biolandbau teilzunehmen. Der Chef der Düngerberatung, ... Gruber, und Heinrich Brauner von der Förderungsgemeinschaft waren die weiteren Kontrahenten und jeder hatte zwanzig Minuten Sprechzeit. In so kurzer Zeit stellt man nicht die Welt auf den Kopf, sollte man meinen. Aber man soll doch auch nicht die Wirkung guter Argumente und Beispiele unterschätzen. Jedenfalls meldeten sich aufgrund der Statements 190 Interessenten, die mehr über Biolandwirtschaft erfahren wollten. Zwei Monate später rollten drei vollbesetzte Autobusse Richtung Leogang. Auf diese und ähnliche Weise kam Eiböck immer mehr in Kontakt mit Agrar-Funktionären, etwa Direktor Fill aus Hohenems schätzte er sehr wegen seiner Geradlinigkeit. Dabei gab es auch ganz honorige Annäherungen: „Das war lustig wie Libiseller das erste Mal gekommen ist – er war ein ganz lieber, aber steifer Mensch – da stand er mit seinem Pass in der Hand: ‚Ich bin der und der ...‘ stellte er sich ganz offiziell vor. Er hat die Zusammenhänge der Kalzinose untersucht. In Tirol war es ja arg mit den Goldhaferwiesen. - Und Liebscher, der Vater des jetzigen Nationalbankdirektors, war Pflanzenbaudirektor – das war menschlich eine sehr angenehme Begegnung.“ All das waren Fingerübungen für spätere Aufgaben. Nach der Umstellung war Walter Eiböck in der Förderungsgemeinschaft eingebunden und hatte eine zeitlang auch die Funktion des Obmannstellvertreters übernommen. Der Verein war eine erste Drehscheibe für den organisch-biologischen Landbau. Zu seinem Leidwesen stellte Eiböck aber fest, dass er auch für ein Gedankengut, das nach 1945 nicht mehr hätte kursieren dürfen, eine Drehscheibe war. Je deutlicher ihm diese Sachlage wurde, umso klarer wurde ihm auch, dass hier eine scharfe Trennlinie gezogen werden muss und verabschiedete sich ohne viel Aufhebens aus der Gemeinschaft. Das haben ihm einige Personen aus der FörderungsgeWalter Eiböck

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meinschaft sehr übel genommen. – In Bezug auf Biolandbau standen wichtige Themen an. Eiböck war ganz auf der Seite Ing. Josef Willis, der 1977 die Initiative zur Bildung eines gesamtösterreichischen Zusammenschlusses von Biobauern ergriff. Es dauerte jedoch noch bis 1979 bis dieser Verband zustande kam. Einige Hundert Bauern waren motiviert worden, und sie baten Walter Eiböck, die Wahl zum Obmann anzunehmen. In der Funktion als Bundesobmann des Verbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs galt es, einerseits die einzelnen Zellen im Mühlviertel, im Salzburger Flachgau, um St. Marein, in der Buckligen Welt zu vernetzen und daraus erste Vermarktungskooperativen zu bilden, den Austausch von Bio-Produkten untereinander zu organisieren, Anbaumengen zu erfassen bzw. Anbaupläne zu erstellen. Andererseits sollten diese regionalen Gruppierungen zu Landesverbänden gefasst werden und sich eigenständig entwickeln. Auf Bundesebene war es wichtig, diese internen Prozesse zu begleiten und den Austausch untereinander zu fördern. Nach außen hin ging es darum, dem Biolandbau eine Kontur in der Öffentlichkeit zu geben, ihn zu definieren und aus den einzelnen Parolen verbindliche Richtlinien zu schmieden, ja sogar endgültig die Benennung „biologisch“ zu fixieren anstelle von „ökologisch“ und „naturbelassen“ etc. Hier ging es bereits um eine starke Auseinandersetzung mit staatlichen Stellen, denn auch von dort wurde darauf gedrängt, dass zum Schutz der Konsumenten eine gesetzliche Basis geschaffen wird. Das war dann Aufgabe der Codex-Kommission, in der Eiböck auch mitarbeitete. Aber wesentliche Vorarbeit zu einem Entwurf bescheinigt er Herrn Ing. Willi, mit dem er sich diesbezüglich in vielen Stunden beratschlagt hatte. Es war tatsächlich nicht einfach, die z. T. sehr unterschiedlichen Ansprüche der organisch-biologischen Methode und der Demeter-Produktion auf ein allgemein gültiges Niveau herunter zu brechen. Die einzelnen Punkte mussten auch kontrollierbar und für den Konsumenten nachvollziehbar sein. Für den Pflanzenbau war dieser Fragenkomplex bis 1981 in einer Erstfassung abgeschlossen. Die Gespräche haben aber auch den einzelnen Verbänden gezeigt, dass strategische Kooperation nach außen hin die Position des Biolandbaues insgesamt stärkt. Aus diesen Überlegungen heraus wurde 1984 eine Dachorganisation aus den vier damals bestehenden Bio-Verbänden samt assoziierter Schulungseinrichtungen und einem Wissenschaftlichen Beirat gegründet, die ARGE Biolandbau, genau genommen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Biologischen Landbaus. Wiederum wurde Walter Eiböck zum Obmann gewählt. Ein erstes Beiratstreffen wurde einberufen. Prof. Kienzl vom Biologiezentrum der Universität Wien hatte eingeladen und die Räume zur Verfügung gestellt. Dr. Bernd Lötsch und Prof. Haiger von der Boku hatten wohlwollend angenommen und es wurden einzelne Vertreter der Bioverbände erwartet. Doch als Eiböck eintraf, hatte sich im Raum eine Überzahl an Händlern eingefunden, die gar nicht zur Teilnahme vorgesehen waren. Da hieß es schnell schalten – und Walter Eiböck waltete obmännisch: Er rief einen Vermarktungsbeirat ins Leben, zur allgemeinen Zufriedenheit. Diese Obmannschaften bedeuteten auch eine rege Fahrtätigkeit, da viele der Sitzungen bzw. auch offizielle Termine in den Ministerien wahrgenommen werden mussten. Organisatorisch anstrengend, zeitintensiv und – wie folgende Episode belegt – manchmal trotzdem umsonst. Endlich, Ende 1986, hatten die Vertreter der ARGE Biolandbau einen

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Termin zur Antrittsvorstellung bei Landwirtschaftsminister Günther Haiden und trafen der Reihe nach ein. Doch es gab keinen Empfang, sondern eine Verabschiedung - und diese galt dem Minister selbst: Überraschend hatte es einen Regierungswechsel gegeben. Das waren leere Kilometer. Nicht ganz so ergebnislos war ein anderer Termin im Ministerium, bei dem sich der Hauptverhandler mit Blick auf die Uhr nach wenigen Minuten verabschiedete, die weiteren Beamten seinem unseligen Beispiel alsbald folgten. Man hatte andere Termine ... Die Biobauern fühlten sich im Stich gelassen und hilflos und halbherzig abgefertigt. Zu Beginn der 1990er Jahre wurden verstärkt auch Förderungen für Biolandbau ausgehandelt, die Eiböck voll befürwortete. Dennoch ging es schleppend und bezog sich erst auf einzelne Projekte von Erzeuger-Verbraucher-Initiativen oder auf pauschale Verbandszuschüsse. Auch die Kompetenztrennung zwischen Kammer und Ministerium bzw. den Ländern oder Bund musste im Einzelnen berücksichtigt und austariert werden. Als aber die Umstellungsförderungen festgelegt wurden, lag es wiederum am Obmann, hier ein Verteilungssystem auszuarbeiten bzw. ausarbeiten zu lassen. Daneben spulte Walter Eiböck das „normale“ Programm in leitender Funktion des Bioverbandes ab: Er hielt die Sitzungen ab, trat mit sehr, sehr vielen Vorträgen vor Publikum, leitete Einführungskurse und gab, wenn notwendig, Interviews. Das Bayrische Fernsehen drehte einmal auf seinem Hof. Schließlich neigte sich die Ära des Obmannseins im Bundesverband und auch in der ARGE ihrem Ende zu. Nur wenig zeitversetzt – 1990 – löste sich Walter Eiböck auch von der Verpflichtung auf dem Hof und übergab ihn seinem Sohn. Doch für das Land Salzburg stieg er noch einmal in den Ring und wurde ab 1990 für zwei Jahre Landesobmann. Als nach der gesetzlichen Verankerung der Richtlinien das Thema Kontrolle im Sinn des Konsumentenschutzes virulent wurde, war auch der Verband stark eingebunden. „Mit Lehrern der Landwirtschaftsschulen und Studenten wurden erste Kriterienkataloge und Umsetzungsschritte entwickelt – die sich aus späterer Sicht stümperhaft ausnehmen mögen“, fügt Walter Eiböck selbstkritisch an und weiß es wohl am besten, nachdem er sich später grundlegend mit Qualitätsmanagement beschäftigt hat. Auch der Ruf nach eigenständigen Kontrollstellen wurde laut, später sogar gesetzlich verankert. Und Eiböck hatte dazu die fixe Idee, eine unabhängige fach-und sachkundige Kontrollfirma aufzubauen, denn eine so heikle und verantwortungsvolle Sache sollte nicht an externe Institute übertragen werden. Zwischen Salzburg und Tirol wurde verhandelt, aber es wurde eine reine Salzburg-Lösung. Gemeinsam mit der Kammer erfolgte 1993 die Gründung der SLK, der Salzburger Landwirtschaftlichen Kontrolle. Das hat deshalb funktioniert, weil Eiböck keine Berührungsängste kannte und schon gar nicht Feindbilder zwischen den Interessensvertretern aufkommen ließ, was manche seiner Kollegen nicht nur nicht verstanden, sondern ihm sogar ankreideten. Im Fall der Einrichtung eines Kontrollorgans für Biobauern musste Eiböck auch heftige Angriffe von Vertretern der Bergbauernvereinigung parieren, die sich aus dem linken Lager kämpferisch gaben und sich grundsätzlich dagegen auflehnten, dass es Kontrollen geben soll. Als sich auf Bundesebene eine zentralistische Verbandsstruktur durchgesetzt hatte, empfand Walter Eiböck, dass es für ihn an der Zeit wäre, sich aus der aktiven Funktion zurückzuziehen, da Walter Eiböck

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für ihn nur eine dezentrale ausgerichtete Organisation in Frage kommt. – Aus mehrjähriger Distanz resumiert er schließlich: „Ich glaub, die Biobauern haben heut nicht mehr viel zu reden im Biolandbau.“ Was die Persönlichkeit von Walter Eiböck sicherlich ausmacht ist selbständiges Denken und eigenverantwortliches Handeln. Für ihn ist das Leben kein Spiel, auch wenn er es mit dem Backgammon-Spiel vergleicht, bei dem in einem vorgegebenen Rahmen aufgrund der Würfelzahlen eine eigene Strategie entwickelt und verfolgt werden kann. Ihn leitet der Glaube an eine Urmacht und Evolutionsprozesse, ganz im Gegensatz zu einer Dogmagläubigkeit wie sie in Religionen eingefordert wird. Aus dieser Offenheit gegenüber dem Leben fasziniert ihn zuletzt z. B. auch Gehirnforschung, Astronomie, Physik, auch Genforschung, wobei er sich einen maßvollen, wohl definierten Einsatz von Genmanipulierten Pflanzen auch im Biolandbau vorstellen kann, auch hier stört ihn eine zu plakative Dogmatik. Und er hat begonnen, Sprachen zu lernen, man höre und staune schon ein gutes Dutzend. Das hätte er sich vor zehn Jahren selbst nicht denken können. Welche Visionen hat ein Pionier für die Biolandwirtschaft? „Die ist ganz einfach, denn alles Wichtige ist einfach: Langfristig eine vernünftige Landwirtschaft zu machen, umweltgerecht und auf Basis der Kreislaufwirtschaft – ohne besondere Bio-Richtlinien“ das wäre sein Wunsch. Wobei er „bio“ eher als Anlass, als Denkanstoß für weltweites Umdenken einschätzt und nicht so sehr nachzählt, ob jetzt ein paar Biobauern mehr oder weniger sind.

Maria Steinhauser

Der Name Steinhauser ist in die Ortsgeschichte von Ternitz eingeschrieben. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts werden ein Herrenhaus und eine Hammerschmiede unter diesem Namen erwähnt, Maria’s Vorfahren. Die Liebe zur Landwirtschaft ist ihr nicht in die Wiege gelegt worden. Dass sie ihr im Blut lag, konnte 1927 noch niemand wissen. Maria wurde als einziges Kind der Familie Steinhauser in Ternitz geboren und wuchs im schönen Wohnhaus mit großem Garten in der Stahlwerkstraße auf. Der Name weist auf das im 19. Jahrhundert gegründete, bedeutende Stahlwerk hin, das der Sensen-, Sichel- und Rüstungserzeugung diente. Das Aufleben als Luftkurort war eine Episode um die Jahrhundertwende. Der Ort ist gut in die Südbahnstrecke angebunden und rein über die geografische Nähe lässt sich ein Gedankensprung zu Rudolf Steiner herstellen, der im Nachbarort Pottschach seine frühe Kindheit erlebte, weil sein Vater dort Bahnhofsvorstand war. Für Landwirte zeigte sich die Gegend mit den armseligen, ertragsarmen Böden hingegen nicht von der einladenden Seite. Umso mehr mag es erstaunen, dass Maria Steinhauser hier ihre Bestimmung fand. Maria beendete die Hauptschule im Kriegsjahr 1943 und als kräftiges, junges Mädchen kam sie anschließend im Nachbarort zu einem Bauern auf Landdienst. Es war ein unerwartet zukunftsweisendes Jahr, denn wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre sie dort geblieben. Das bäuerliche Schaffen hatte sie ganz eingenommen. Es entwickelte sich eine geordnete Laufbahn daraus: Zuerst besuchte sie die Haushaltungsschule in der Nachbargemeinde, von 1946 bis 50 absolvierte sie die Landwirt-

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schaftsschule in Sooß und schloss mit Fachmatura ab, schließlich komplettierte sie mit der Pädagogik-Ausbildung in Tullnerbach das Studium. Ihre erste Anstellung bis zur Lehrbefähigung bekam sie im Weinviertel. 1955 kam der große, entscheidende Sprung nach Salzburg. Hier war Maria Steinhauser bis 1975 Angestellte der Landwirtschaftskammer und betreute als Wirtschaftsberaterin erst die Bäuerinnen der Region St. Johann/Pongau und später 15 Jahre in Zell am See. Moderne Ernährungsfragen, Kochpraxis, aber auch Einrichtungsfragen und bautechnische Neuerungen standen auf dem Programm, Exkursionen waren zu organisieren, es gab einen regen Informationsfluss. Insbesondere von ihrer Vorgesetzten, Frau Fachinspektor Elisabeth Heinrich, deren Bruder damals ein Reformhaus betrieb, kamen klare Vorstellungen von einer gesunden Lebensweise: Vollkornprodukte, einfache Zubereitungsweisen und die grundsätzliche Bedeutung der Lebensmittel. Maria Steinhauser gehörte auch zu einer Gruppe um den Schriftsteller Günther Schwab, der zu dieser Zeit vor der extremen Modernisierung in der Landwirtschaft warnte, vor Kernenergie, Technisierung, Pestiziden und Massentierhaltung. Unter diesen damals ähnlich Gesinnten, entwickelte sich ab 1962 auch der Kontakt zu Dr. Müller, unter dessen Anleitung man sich konkret der Pflege einer naturbezogenen Landwirtschaft widmen konnte. Maria Steinhauser kam von da an regelmäßig zu den Vorträgen von Dr. Müller über die organisch biologische Wirtschaftsweise, wo sie die ersten Biobauern kennen lernte. Stets nahm sie an deren Gruppentreffen in der Region Leogang teil, stand mit Rat und Tat zur Seite, engagierte sich vor allem aber auch praktisch, indem sie die Bodenproben zog, deren Analyse damals das Um und Auf der Entwicklung des Hofes bedeuteten. Große Unterstützung in pflanzenbaulichen Fragen kam zu dieser Zeit von Dr. Kurt Liebscher – der Vater des langjährigen Nationalbankpräsidenten Klaus Liebscher –, der als Pflanzenbaureferent in der Tiroler Landwirtschaftskammer dem biologischen Landbau erstaunlich offen gegenüberstand. Es wurden Grünlandbegehungen gemacht und das angestrebte Optimum der Zusammensetzung war ein Drittel Gräser, ein Drittel Kräuter und ein weiteres Drittel Kleearten. Obwohl sie eigentlich wusste, dass es „illegal“ war, sich als Kammerangestellte für biologische Landwirtschaft zu interessieren, hatte sie damals absolut kein schlechtes Gewissen, betont Maria Steinhauser dezidiert. Aus ihrer Sicht war es ganz normal und sie hatte immerhin auch die Rückendeckung ihrer Vorgesetzten. Manchmal bedurfte es allerdings doch eines schlauen Kunstgriffes. Als endlich eine Exkursion in die Schweiz zu den Ausbildungsstätten am Möschberg bzw. zu aktiven Biobauern bevor stand, wurde dies nicht nur als offizielle Dienstreise deklariert, sondern das Dienstauto beansprucht. Ihre Vorgesetzte gab an, die Gruppe käme einer Einladung der Maggi-Fabrik in Zürich nach ... Es wurde eine sehr beeindruckende „Dienstreise“ ins Berner Oberland, aber auch bis nach Genf und Lausanne, ins Rhônetal und in die Obstgebiete des Wallis. Und es gab auch Nachwirkungen: Ein Kollege von der Welser Landwirtschaftskammer hatte voller Begeisterung in der Raiffeisenzeitung über die Reiseeindrücke zu den biologisch wirtschaftenden Bauern berichtet – und Veröffentlichungsverbot bekommen. – Die Zeit war noch nicht reif in Österreich. Aber sie reifte im Stillen. Maria Steinhauser

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Nach den Salzburger und oberösterreichischen Biobauern waren auch die ersten Steirer dazu gestoßen. Wer Dr. Müller gehört hatte, beherzigte, was er gesagt hatte: „Der Bauer kann sich die Fruchtbarkeit nicht kaufen; die muss er selber machen.“ Dr. Müller wurde nicht müde, sein Credo zu wiederholen. Einen weiteren Gedanken, es muss Mitte der 70er Jahre gewesen sein, dass die Bauern Dr. Müller gefragt hatten, was er von moderner Stalltechnik hält, hat Maria Steinhauser noch ganz frisch in Erinnerung, ja bittet darum, ihn nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und zitiert Dr. Müller: „Soweit die schwere körperliche Arbeit dadurch weg ist, ist die moderne Stalltechnik in Ordnung. Die Gefahr besteht darin, dass der Bauer weniger Zeit mit den Tieren verbringt. Es geht ganz bewusst um den Kontakt mit den Tieren, das ist wichtig. Das ist genau in der heutigen Zeit mit der Massentierhaltung ein ganz wichtiger Anspruch.“ 1975 entschloss sich Maria Steinhauser, wieder nach Ternitz zu ziehen und ihre betagte Mutter zu betreuen. Gleichzeitig wechselte sie für die kommenden sieben Jahre als Lehrkraft an die – damals noch bestehende - Landwirtschaftliche Berufsschule in Gutenstein. Was das biologische Wirtschaften anbelangte, betrat sie dort vollkommenes Niemandsland. Auch in Ternitz kannte niemand den Biolandbau. Als sie beim Garten der Eltern eine Fuhre Gesteinsmehl lagerte, kam die irritierte Frage, was das denn für ein eigenartiger Zement sei, der bindet gar nicht ab. Mit der Zeit konnte Maria Steinhauser im örtlichen Gartenbauverein Interessierte gewinnen und so manche Erfahrung gut einbringen. Schneller reagierten die Biobauern. Es dauerte keine zwei Wochen, da hatten die Biobauern aus der Buckligen Welt sie ausfindig gemacht und gebeten, für sie die Bodenproben zu erledigen. Sie wurde alsbald integriert und es entstanden neue Freundschaften, bis hinauf ins Waldviertel. Aus ihrem Wissensgebiet veranstaltete sie wiederum Kochkurse mit Schwerpunkt gesunde Ernährung und schon 1977 kauften sich zehn Bauernfamilien eine Getreidemühle. Das hatte nicht nur den Vorteil, nun jederzeit frisch gemahlenes Getreide zu haben, sondern sie bekamen für die Abnahme von zehn Geräten auch Rabatt von der Vertriebs-Firma. An zwei große Ereignisse in Bezug auf Dr. Müller erinnert sich Maria Steinhauser gerne: Seinen Besuch in ihrem Haus und Garten, bei dem er sich auf der Rückseite des Haussegens mit einer Widmung „verewigte“. Und eine gemeinschaftliche Aktion zum 90. Geburtstag ihres Mentors, wo alle Biobauern einen Dr. Müller-Baum pflanzten. Die Einträge in ihrem Gästebuch können sich sehen lassen – so zahlreich ihre Besucher sind, so prominent sind sie auch. In einem Jahr, als bei Maria Steinhauser der Lämmer-Reichtum kein Ende nahm und sie erfuhr, dass Elfriede Ott Schafe besonders mag, schenkte sie ihr ein junges Pärchen zum Geburtstag. So war beiden geholfen und Die Ott bedankte sich aufs herzlichste bei ihrer „Lamplmutter“. Der Bekanntheitsgrad von Maria Steinhauser als kundige Bioberaterin und Biogärtnerin war auch nach ihrer Pensionierung so weit gestiegen, dass sie zuletzt auch in die ORFSendung „Natur im Garten“ eingebunden wurde. Jetzt, Sommer 2007, steht für Maria Steinhauser auf dem Programm, sich auf den Weg zu machen, um im Garten hinten die zwei Lämmlein mit der Flasche zu füttern. Der Schafmutter ist während der Schwangerschaft eine Zitze abgestorben, da muss schon die „Lamplmutter“ nachhelfen, damit die beiden Lämmlein durchkommen.

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Abb. 34: Zum 90. Geburtstag von Dr. Müller setzten die Biobauern-Familien einen Apfelbaum. Maria Steinhauser und Anna Schuster mit den Setzlingen, 1981

Abb. 35: „Liebe Frau Steinhauser. Zwei große Ereignisse hab ich durch Sie erlebt. Die Sonnenfinsternis und Wolferl und Waberl (die beiden Schafe), die mich so erfreuen. Ihre kleine gute Welt hier ist eine Insel auf der ich mich wohl fühl! Ihre Elfie Ott August 99“

Maria Steinhauser

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Der Weg zu den Schafen geht vorbei an der Güllegrube. Ganz wichtig, das wird betont, war vor Jahren die Installierung einer Belüftungsvorrichtung. Schräg vis-à-vis davon hat Maria Steinhauser ihren Hühnerstall. Für ihren 3.500 Quadratmeter großen Garten betreibt sie organische Düngewirtschaft so weit es ihr möglich ist. Der Hühnermist wird gesammelt und in die Güllegrube gegeben, Kompost wird aus Gartenabfällen gemacht und Gründüngung wird auf den Beeten direkt betrieben. Fast wie ein intimes Geheimnis mutet es an, wenn ihr dazu eine Aussage von Dr. Müller einfällt, die er damals auf seine engsten Mitarbeiterinnen, Lore Schöner, Helga Wagner und eben Maria Steinhauser bezog: „Eine Frau, die niemals geboren hat, hat eine besondere Beziehung zum Humus.“ Sie selbst hat das erst sehr spät akzeptieren und zutiefst verstehen können, hat aber bemerkt, dass Dr. Müller sie in besonderer Weise betreut, angespornt hat. Als Landwirtschaftslehrerin weiß Maria Steinhauser es nur zu gut: Es ist in der Landwirtschaft ein laufendes Lernen und Erfahren. Ein Beobachten der Witterung, der Bodenverhältnisse, des Düngers... Eigentlich geht es aber immer wieder nur darum, den Kreislauf des Lebendigen im eigenen Betrieb zu verwirklichen. – Und wo bildet sie sich selber weiter? „Ab einem gewissen geistigen Entwicklungsstand bekommt man alles, was man zur Weiterentwicklung braucht“ meint Maria Steinhauser. Um nicht hochmütig zu klingen, bringt sie das Beispiel. „Zufällig“ hat sie in einer Auslage das Buch der amerikanischen Psychologin Luise Hay entdeckt hat über die Wichtigkeit der richtigen Gedanken. Dann kann man nicht krank werden, sagt die 80-Jährige, und strahlt vor Lebensfreude.

Franz Heissenberger

Die Luftlinie zwischen den beiden Höfen nahe Kirchschlag in der Buckligen Welt beträgt nur ein paar Kilometer, aber es dauerte sieben Jahre bis der Bio-Funke übersprang - und bei Franz Heissenberger ordentlich zündete: Wenige Jahre später war erster Obmann des Ernte-Verbandes NÖ, erster offizieller Bioberater der Landwirtschaftskammer und hat weit über 3000 Biobauern gleichsam persönlich umgestellt. Heissenberger kannte den Betrieb von Karl Schuster schon aus seiner Lehrzeit, dann verlor er ihn aus den Augen – immerhin lag ein Hügel und viel Wald dazwischen ... Damals – in den 1970er Jahren, aber auch unverändert bis heute – betrug der Heissenberger-Hof knapp 30 Hektar, davon 11 Hektar Ackerland, 7 Hektar Dauergrünland und 12 Hektar Wald. Auf 720 m Seehöhe gelegen ist es ein Bergbauernbetrieb mit etwa 640 mm Niederschlag pro Jahr. „Zu wenig“, sagt Franz Heissenberger kurz und unsentimental – „Ideal wären 800 bis 900 Millimeter.“ Dennoch betrieb er in dieser Grenzlage Ackerbau und Mais als Futtergrundlage. Denn einen guten Teil des Betriebes machte die Milchwirtschaft aus und so waren die Kühe im Stall ein zentrales Thema. Dabei war es beunruhigend geworden, dass nach der Übernahme 1968 und der üblichen Modernisierung die Tiergesundheit nachließ und es Probleme mit der Fruchtbarkeit gab. Über den Zuchtverband stand Franz Heissenberger natürlich mit anderen Bauern in Kontakt, kam auch mit Karl Schuster ins Gespräch und musste anerkennend zugestehen,

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dass dessen Stallleistung beachtlich war – und das, obwohl er biologisch wirtschaftete. Nachdem sich Heissenberger aber auf die Thematik näher einließ, erschien ihm diese alternative Methode durchaus einleuchtend und überzeugend – für einen reinen Grünlandbetrieb wie ihn Schuster hatte. Der Haken war nur, dass er selbst ja auch Ackerbau betrieb. Und da kamen doch arge Zweifel auf, ob die Sache genauso glatt gehen würde. Also ging die Suche nach Lösungen für seine Probleme weiter und er horchte sich um. Schließlich nach einem Vortrag an der Hochschule für Bodenkultur von Walter Eiböck, dem versierten Biobauern aus Salzburg, nahm er einen neuerlichen Anlauf und schilderte diesem seinen Fall, Punkt für Punkt, alles was er als unbefriedigend empfand. Und bei jedem Problempunkt meinte Eiböck verständig nickend: Das hab ich auch gekannt. Ja, das hab ich auch gekannt. – Und seine Lösung war immer der Biolandbau. Das machte nun wirklich Eindruck und bewog Franz Heissenberger, unverzüglich einen Umstellungskurs am Möschberg zu besuchen. Neun wegweisende Tage waren das für ihn und einen Kollegen im Februar 1975 und zuletzt wurde sein Entschluss besiegelt: „Das hat mir dann soviel Stütze gegeben, dass ich gesagt hab, jetzt stell ich um. Das mach ich jetzt.“ Im März, April 1975, als die ersten Feldarbeiten zu erledigen waren, wurde bereits mit der Umsetzung der organisch-biologischen Maßnahmen begonnen. „Das erste Jahr war dann gleich eine Katastrophe,“ bekennt Heissenberger lachend, wenn er daran zurückdenkt. – Eine Trockenheit und unglaublich starke Verunkrautung hat ihm die Maisernte zunichte gemacht. Somit gab es zu wenig Futter für die Tiere und es musste konventionelles Futter zugekauft werden. Biologisches Grundfutter gab es noch lange Jahre nicht zum Zukauf. In diesem Jahr und in den folgenden war es schon sehr wertvoll, dass in der Buckligen Welt vereinzelt auch andere Bauern auf den Biolandbau gestoßen waren und man Rücksprache halten konnte. Aus dem losen Erfahrungsaustausch entwickelte sich sehr bald ein Grundtenor der Zusammenarbeit unter dem Motto: Gemeinsam geht es besser. Schon am 4. Jänner 1976 – dieses Datum prägte sich eindrucksvoll ins Gedächtnis ein – fand das erste Gruppentreffen bei Karl Schuster in Hollenthon statt. Von den zwölf Teilnehmern waren acht Bauern aus der Buckligen Welt! Die Gruppe war von gegenseitigem Vertrauen getragen (was nicht selbstverständlich war innerhalb der Bauernschaft). Jahr für Jahr wurden neue Erkenntnisse gewonnen und es stellten sich auch Verbesserungen in der Tiergesundheit ein. Auf dieser Basis konnte er wohl bestärkt weitermachen, doch es waren noch lang nicht alle Probleme geklärt. Dazu kamen auch von außen Schwierigkeiten. Je mehr ab Mitte der 1970er Jahre der Biolandbau publik wurde, erhitzten sich auch Kontroversen und Diskussionen. Widerstand von anderen Bauern wurde laut, von der Politik und von den Bauernvertretern. Aber auch Konsumentenschützer stocherten in der Biobewegung herum: Unterstellt wurde, dass hier viel Schwindel betrieben wird, es keine Kontrolle und keine Richtlinien gibt. Umgekehrt stießen aber auch Privatpersonen zu den Gruppentreffen der Biobauern, wollten von ihnen Produkte kaufen, gaben Anregungen zu mehr Vielfalt beim Gemüse. Dieser Rückhalt von Seite der Konsumenten war enorm wichtig, denn grundsätzlich wurde die Ware, die Milch vor allem, konventionell verkauft. Die Biobauern haben selbst gar nicht geglaubt, dass eine Biovermarktung möglich ist. Franz Heissenberger

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Die angeregte Situation spitzte sich bei beiden Bio-Vertretern zu. Die breite Öffentlichkeit der (potentiellen) Konsumenten wurde durch den 1978 ausgestrahlten Fernsehfilm „Bodenkultur“ samt der zugehörigen Broschüre zum biologischen Landbau geweckt und auf Seite der Bauern gipfelte es in der Gründung des ersten reinen Biobauern-Verbandes 1979 auf Bundesebene, dem 1981 die Gründung des Landesverbandes Niederösterreich und Wien mit 17 Mitgliedern folgte. Der Obmann hieß Franz Heissenberger und er blieb es bis 1994. Ein neues Aufgabenfeld ergab sich indes am Hof in Aigen. Die deutlich gestiegene Nachfrage nach Milch und Getreide – selbst Wiener nahmen die Distanz von über 100 Kilometer in Kauf – ließ es für Heissenberger als sinnvoll, wenn nicht notwendig erscheinen, den Betrieb auf Direktvermarktung ab Hof einzustellen. Das wiederum vor allem für seine Frau, Rosa Heissenberger, die von Anfang an die Entwicklung des biologischen Wirtschaftens mitgetragen hatte, einen neuen, erheblichen Arbeitsschub bedeutete. Milch, Topfen und Butter mussten vorbereitet werden, aber auch Vollkornbrot und Getreide, Lagergemüse, etwa Karotten, Zwiebel, Kraut und Erdäpfel wurden angeboten. Sie hatten rund um die Uhr die Hände voll zu tun, geschäftlich und privat, denn auch die Familie ist größer geworden – inzwischen hatte Rosa fünf Kinder großzuziehen. Als sich Heissenberger 1984 dazu entschloss, einen Laufstall zu bauen, war er gut zehn Jahre der Zeit voraus. Das verstanden nur die wenigsten und aus deren Sicht erschien das alles einfach „deppert“. Dafür hatten andere Biobauern gesteigertes Interesse und kamen zu Besichtigungen. Was ihn aber spätestens in den 90er Jahren am meisten befriedigte, war die Tatsache, dass die Milchleistung sich merklich erhöht hatte und bis zu 6200 Kilo betrug (vor der Umstellung lag sie bei 5000 Kilo). Als Verbands-Obmann war Franz Heissenberger sehr aktiv und auch viel unterwegs. Beratungen bei Biobauern, Vorträge, Umstellungskurse und unzählige Fahrten nach Wien zu Sitzungen und ins Büro standen auf dem Arbeitsplan. Einige Meilensteine für den Biolandbau wurden unter seiner Mitwirkung erreicht: 1981 die Herausgabe der Richtlinien zur Erzeugung von pflanzlichen Lebensmitteln aus biologischer Landwirtschaft von der Codex Kommission, 1984 die Einführung eines Markenzeichens und im Zeitraum von 14 Jahren während seiner Obmannschaft der Aufbau des Verbandes von 17 auf 3.400 Mitglieder. Dabei war ein erster Aufnahmeboom 1990 bis 92 sicherlich seinem Verhandlungsgeschick mit Landesrat Blochberger zu verdanken, denn es gab dann landesspezifisch die ersten Direktförderungen für Umstellungsbetriebe. Ein zweiter solcher Vorstoß erfolgte 1995 durch die Förderungen aus den EU-Abkommen. Als auch große Ackerbaubetriebe biologisch zu wirtschaften begannen, waren die Gemüter sehr gespalten, ob das möglich, gar zulässig sei. Hier bewährte sich Franz Heissenbergers Fähigkeit, Gegensätze zusammenhalten zu können und Integration zu schaffen. 1987, mit 42 Jahren nahm Franz Heissenberger noch eine zusätzliche Aufgabe an: Er wurde als erster Berater für Biolandbau von der Landwirtschaftskammer NÖ angestellt. Es war persönlich eine große Herausforderung, den Beruf zu wechseln. Die Büroarbeit und die Umgebung sämtlicher Agrarbeamten waren doch etwas ganz anderes als der ihm vertraute Umgang mit Bauern, bei denen er mit Wissen aus der Praxis punkten konnte,

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Abb 36: Bei der Ernennung zum Ökonomierat 2003 gratuliert Minister Josef Pröll im Marmorsaal des Landwirtschaftsministeriums.

ihre Sprache sprach. Wiederum blickt er auf eine stolze Bilanz seines Einsatzes zurück – rund 550 Vorträge, 280 Einführungs- bzw. Umstellungskurse (300 sollen es werden, wenn der Herrgott es zulässt), 1700 Betriebsbesuche und Beratungen und ungezählte Telefonate, Briefe und offizielle Empfänge. Bei all seinen Arbeiten begleiteten ihn Aussprüche, Grund- und Lehrsätze von Dr. Müller. Gleich mehrere nennt er in einem Atemzug, beginnend mit dem Klassiker: “Nur Leben schafft Leben! - Man muss den Weg zeigen, indem man vorangeht. – Und auch: Es gibt 20jährige Greise und 80jährige Jünglinge – die 20jährigen Greise sind diejenigen, die glauben, für ihr Leben lang genug gelernt zu haben. Und die 80jährigen Jünglinge sind diejenigen, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters, noch immer bereit sind, Neues zu tun. Diesen Ausspruch hab ich selber vielleicht auch 1000 Mal anderen mitgegeben.“ 2003 wurde abrupt ein neuer Lebensabschnitt eingeleitet. Innerhalb von 10 Tagen legte Franz Heissenberger alle Funktionen zurück: Im Vorstand des NÖ Landesverbands der Biobauern, in der Codex Kommission, in Ausschüssen des Ministeriums und er beendet seine Beratertätigkeit. Im gleichen Jahr übergab er auch seinen Betrieb an den jüngeren Sohn. Seine Gesundheit hatte ihn zu mehr Ruhe gemahnt. In Pension gehen ist vielleicht die offizielle Bezeichnung, in Ruhestand ist Heissenberger sicherlich nicht getreten. Aber seine Tätigkeit ist nun mehr auf dem Hof, seinem angestammten Platz, und im Kreis der Familie, die ihm stets so viel Rückhalt geboten Franz Heissenberger

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hat. Hier kann er an der Zukunft mitgestalten helfen und auch gern an beeindruckende Begegnungen zurückblicken. In der Fotosammlung sind Gäste und Hofbesichtigungen dokumentiert. Da finden sich neben interessierten Kollegen und Studenten, Vertretern der Landwirtschaftskammer und neben Landwirtschaftsminister Riegler auch Besuche aus dem Ausland, von Dr. Hans Müller bis zum Japanischen Landwirtschaftsminister. – Eine aufregende Geschichte war das, erzählt Heissenberger: „Das war ein inoffizieller Besuch. Offiziell war diese Delegation in Wien bzw. drei Tage in Österreich. Sie haben einen Vortrag von mir gehört. Sie hätten am Samstag schon abfliegen sollen, aber haben auf Sonntag verschoben, weil sie herkommen wollten. Sie nahmen sich ein Taxi von Wien und sind einige Stunden bei mir gewesen. Ich hab sie dann am Samstagabend zum Flughafen geführt. Der Landwirtschaftminister hat mich dann gefragt: Wissen Sie überhaupt was Sie da aufzubauen angefangen haben?! – Nun ja, ein bißl schon. – Das ist etwas Weltbewegendes! hat er gemeint.“ Und wer kann wie Franz Heissenberger voll überzeugt von sich sagen: „Ich hab die zwei schönsten Berufe gehabt, die es im Leben gibt. Bauer zu sein – das bin ich heut noch mit Leib und Seel’, auch wenn es mir nicht mehr gehört. Und Berater zu sein, d.h. Wissen, das man sich angeeignet hat, anderen zur Verfügung zu stellen.“

Johann Steindl

„Meine Lupe hab ich immer mit, ohne die geh ich nicht in den Weingarten.“ bekennt sich Johann Steindl mit blitzenden Augen zu seiner Leidenschaft: Die ständige, genaue Beobachtung des Lebens rund um seine Weinstöcke. Vieles könnte er auch mit freiem Auge sehen, etwa Marienkäfer und andere Käfer, Tag- und Nachtschmetterlinge (beim Weinschwärmer kommt er direkt ins Schwärmen), Florfliegen, Spinnen, Wanzen und Ohrwürmer. Solange es sich um Nützlinge handelt, ist das ja wunderbar. Aber bei Schädlingen wie dem gefürchteten Traubenwickler gilt es, das Frühstadium, also die Eier und Larven zu erkennen, um rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, damit sie keinen Schaden anrichten können. Der springende Punkt dabei ist, es müssen ökologisch vertretbare Maßnahmen sein - Johann Steindl ist mit Leib und Seele. Nachdem zu guter Letzt auch im Burgenland der VERBAND ORGANISCHBIO LOGISCH WIRTSCHAFTENDER BAUERN ÖSTERREICHS ZUR FÖRDERUNG DES BIOLOGISCHEN LANDBAUES (sic) gegründet worden war, erhielt Steindl die erste Mitgliedsnummer, man startete aber – aus ähnlichen Gründen wie in Tirol – mit der Zahl 10. In diesem Zusammenhang erhielt er am 20. 8. 1981 seinen Lizenz-Vertrag, alle 10 Punkte auf einem Blatt ökologisch korrekt doppelseitig bedrucktem, ungebleichtem Recyclingpapier, gegengezeichnet vom Obmann Eugen Wimmer. Gut 25 Jahre später, auf der Biofach 2007 ist er wieder Nummer Eins. Für seinen Chardonney erhält er eine Große Goldene, und somit „Weinsteindl“ als erstes österreichisches Bio-Weingut die höchste Prämierung für einen Weißwein, gleichzeitig auch noch eine Goldene und eine Silberne als Auszeichnung und eine Empfehlung. Gefolgt von einer Goldenen im Jahr 2008. Kein Ende abzusehen? – Was bewegt den „unruhigen Geist Steindl“, wie ihn einmal ein Journalist bezeichnete?

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Abb. 37: Steindl der genaue Beobachter: Belegschein für eine Bodenuntersuchung von Johann Steindl 1980. Die Zelterwiese (200ar) wurde seit 1977 biologisch bewirtschaftet. Bodenart: bindiger Ton, 3 Jahre Grünbrache, zuletzt Sojabohne. Stark verunkrautet. Ergebnisse: Gare: gut/mässig, pH: 8,2, Güte II (30 % / 80 %) Güte III (70 %/ 20 %). Unterschrift des Landbauberaters: Ernst Zöchling

Johann Steindl

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Johann Steindl wurde 1940 in den Familienbetrieb Biowinzer in Purbach am Neusiedlersee hineingeboren und ist ganz selbstverständlich in die Arbeit im Weinbau hineingewachsen. Da gehörte es auch dazu, dass er schon als Halbwüchsiger mit dem Traktor fuhr. In der Landwirtschaftlichen Fachschule in Eisenstadt lernte er in den späten 50er Jahren wie die moderne Agrikultur funktioniert und richtete sich auch danach. Neue Kulturen wurden ausgesetzt und auf 1 m Höhe und T-Träger gezogen und „Blaukorn“ war das Viagra des Bodens – die Erträge waren mehr als zufriedenstellend. Was ihm nicht so behagte, waren die Tage, an denen die Pestizide gespritzt werden mussten oder gar E 605 zum Einsatz kam – es war ihm am Abend immer leicht schwindlig. Schon früh lernte er Beruf und Abb. 38: Steindl der Vorkämpfer: Endlich war es so Freizeit eng zu verknüpfen. So wurden weit: Die Bezeichnung Alternativer Weinbau durfte etwa die Olympischen Winterspiele verwendet werden. Steindl-Etikett Welschriesling 1982, mit Architekturskizze (Steindl Neubau im modernisier1964 in Innsbruck mit Eifer besucht, ten burgenländischen Hofstil nach Plänen von Architekt mit ebensolchem Eifer nebenbei auch Ernst Hiesmayr) potentielle Weinkundschaften in Tirol acquiriert. Es gab an und für sich viel zu tun im Betrieb und es gab viel interessantes Neues zu erforschen. In den folgenden Jahren verlagerte sich der Eifer mehr und mehr auf die Arbeit. In diesen Jahren stieß Johann Steindl auf das Buch von Prof. Margarethe Sekera, die das Buch ihres Vaters und Bodenkundeprofessors an der Hochschule für Bodenkultur „Gesunder und kranker Boden. Ein praktischer Wegweiser zur Gesunderhaltung des Ackers“ überarbeitet und 1959 neu herausgebracht hatte. Eine neue Welt tat sich vor ihm auf. Er lernte seine Böden in völlig neuen Zusammenhängen zu sehen: Bodengare, Lebendverbauung der Krümelstruktur, bodenständige Mikroorganismen und organische Düngung wurden die künftigen Leitbegriffe. Fazit: Er wurde zum „Unkrautbauern des ganzen Burgenlandes“. Damit verband sich auch dieses Bild in Steindls Erinnerung: „Die ganze Fläche ist Grünes gewesen, bis 1.50 Meter hoch. Das hab ich alles mit der Fräse eingearbeitet. – Der Vater ist durch die Reihen gekommen. Da ist der Hut als erstes gekommen, dann der Mann, so hoch war die Begrünung.“ Ab 1970 verschob er es von Jahr zu Jahr, noch einmal Kunstdünger zu verwenden,

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aus finanziellen Gründen und aus Bequemlichkeit. Mit der Pflege der Gründecke, Mulchen, Bereitung der Brennnesseljauche und mit dem Kompostieren hatte er genug Beschäftigung. Von der Winzergenossenschaft Donnerskirchen holte Steindl mit dem eigens dafür gekauften Lastwagen nach der Lese die Trestern – seine künftige organische Kompostdüngung. Da auch ohne Kunstdünger die Erträge hoch blieben, meinte er, es läge an den jungen Kulturen und Nährstoff-Reserven aus früheren Jahren im Boden. Seine Weine waren außergewöhnlich. Ing. Zöchling, der Weinbauberater der Kammer, hatte wiederholt nachgefragt, was denn Steindl mit dem Wein mache, dass sie so fruchtig, so grasig werden?! Sie sinnierten über die Ursachen und vermuteten die inAbb. 39: Johann Steindl betrachtete das schulterhohe tensive Begrünung, der aufsteigende Gras nicht als Unkraut, das man bekämpfen muss. Ganz Kohlenstoff und der reiche Humus im Gegenteil! wären „schuld“. Aus Sicht der biologischen Landwirtschaft war das aber erst die halbe Miete, von den chemischen Spritzmitteln hatte sich Steindl bis dahin noch nicht verabschiedet. Die ausschlaggebenden Informationen zu diesem Bereich erhielt er 1980 beim Seminar „Ökologischer Wein- und Gemüsebau“, das der Dachverband für Ökologische Lebenssicherung und zukunftsorientierte Umwelt in Purbach abhielt. Unter der Leitung von Prof. Gerhardt Preuschen (D) referierten Dr. Gernot Graefe, Alfred Polzer und Ing. Zöchling u. a. Anhand der gebrachten Beispiele und Anleitungen war nun für Steindl endgültig „Grünes Licht“ für den Biolandbau gegeben. Auch für andere Weinbauern war die Zeit reif für bio und sie bildeten ab 1981 eine eigene Fraktion im Biobauernverband. Eine der wichtigsten Orientierungshilfen wurde die Spatenprobe, zu der es auch eine Episode gibt. Eines Tages hatte Steindl eben hocherfreut sechs Regenwürmer, das Markenzeichen eines lebendigen Bodens, in seinem Spatenaushub registriert. Sein konventioneller Weingarten-Nachbar hatte ihn beobachtet und wollte daraufhin auch auf seinem Grund nachsehen. Aber trotz mehrerer Spatenproben fanden sie keinen einzigen Regenwurm. Eine wertvolle Hilfe in der Schädlingsbekämfpung wurde der Bazillus Thuringiensis, wenn auch nicht auf Anhieb: „Das Mittel hab ich aus der Schweiz besorgt, das hat es in Ö nicht gegeben. Aber es hat keine Wirkung gehabt, wir haben trotzdem den Wurmschaden geJohann Steindl

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Abb. 40: Steindl-Gruppe

habt. Bei der Bio-Messe im Elsass war auch ein Fach-Institut – die haben genau erklärt, wie das Bazillus-Präparat eingesetzt werden muss. Zwei Ursachen nannten sie, warum es nicht gewirkt hat: Entweder zu spät eingesetzt oder es war ein altes Produkt, das sind ja Bakterien, das wirkt dann nicht mehr. Dann hab ich mich noch mehr damit beschäftigt und Erfolge gehabt.“ Gegen Echten Mehltau konnte das Mittel Bio-S wirksam eingesetzt werden. Spannend und lehrreich waren Exkursionen zu anderen Betrieben, 1984 die schon erwähnte Fahrt ins Elsass zur 3. Messe für Brot, Wein und Käse „éco-biologique“ und weiters zum 1. Ökokongress in Deutschland, wo Steindl auch selbst einen öffentlichen Bericht gab. Das war gewissermaßen streng geheim, denn die Bezeichnung „biologisch“ war damals für Wein verboten. Der Kellerei-Inspektor hätte unverzüglich den Wein beschlagnahmt und gestraft. Ein Dorn im Auge und im Herzen. Daher war Steindl als Obmann-Stellvertreter im Bio-Verband unermüdlich in Verhandlung mit dem Ministerium. Schließlich konnte samt Unterstützung aus der Biowinzer-Gruppe durchsetzen, dass „aus alternativem Weinbau“ auf dem Etikett stehen durfte und als Erläuterung: „Dieser Wein wurde ohne Verwendung synthetischer Spritz- und Düngemittel und Aufzuckerung erzeugt. Auf chemische Mittel zur Schönung oder Geschmacksverbesserung wurde verzichtet. Er wurde ohne Asbestfilter abgefüllt.“ Aufgrund seines Wissens war Steindl auch prädestiniert, als einer der drei Kontrollore im Verband zu wirken. Er hatte zig Kräuter im Kopf, sämtliche Nützlinge und Schädlinge sowie die Krankheitsbilder der Rebstöcke, aber auch Mittel zu deren Bekämpfung - so-

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Abb. 41:

wohl die konventionellen als auch die biologischen. Darauf kam es an, um zielführend auf Spurensuche gehen zu können und alle Indizien klar zu erkennen. Später gab es unter den Kollegen Kontroversen über die Aufzuckerung und den Einsatz von Kupferpräparaten. Heiße Debatten gingen der Festlegung von Zulassung und maximale Einsatzmengen in den Richtlinien voraus. Darüber hinaus fungierte Steindl im Aufsichtsrat der 1982 ins Leben gerufenen Verkaufs-Genossenschaft ÖBIOGEN. Es waren aufreibende Zeiten zwischen dem Großhandel und den bäuerlichen Produzenten - und auch in den eigenen Reihen kriselte es. Ein Bauer musste wegen Falschdeklaration ausgeschieden werden, es gab finanzielle Schwierigkeiten, die Koordination von Lieferkapazitäten und Nachfragepotential klafften zu weit auseinander. Man hatte einerseits den kommenden Vermarktungstrend absolut richtig erkannt, andererseits war man jedoch der Zeit um einen Schritt voraus. Ab Mitte der 1970er Jahre liefen zu Hause mehrere Parallelaktionen. Neben den landwirtschaftlichen Aktivitäten startete Steindl 1975 einen Hausneubau. Mit dem verdienstvollen Architekten Univ. Prof. Ernst Hiesmayr wurde ein modernes Bauernhaus entworfen, das dennoch regionaltypische Merkmale aufweist. In dieser Neukonzeption des Wohn- und Wirtschaftshauses wurde auch schon der Plan zu einem Heurigenbetrieb vorgesehen. Dies nun das Revier von Waltraud Steindl, die von einem Gasthof stammt und auch die Gastronomiefachschule in Bad Gleichenberg absolviert hat. Nach der Hochzeit Johann Steindl

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1976 hatte sie die drei Söhne großgezogen und im Betrieb mitgeholfen, wo es ging. Seit der Eröffnung des Heurigenbetriebes 1997 – es hat sich doch ziemlich lang hingezogen, bis alles parat war – ist nun von Mai bis Oktober das ihr Einsatzgebiet. In der BioweinVermarktung werden durch diesen gastlichen und kulinarischen Bereich neue Impulse gesetzt. Die servierten Speisen sind aus der Region und zum Teil auch biologisch. Die Söhne haben hoch qualifizierte Ausbildungen genossen, auch schon im In- und Ausland sich ihre Sporen verdient – und gehen immer wieder auch im Weingut zur Hand. Ob der Beruf des Bio-Winzers für einen von ihnen zum Hauptanliegen wird, steht noch in den Sternen. Das hauptsächlich von Arbeit geprägte Leben des Vaters ist nur sehr bedingt Vorbild für die jüngere Generation. Angesichts eines solchen Arbeitstages kann man sich das auch vorstellen: „Wir haben bis jetzt immer viel gearbeitet. Was kann man alles machen in einem Tag. Eine Liefertour nach Vorarlberg und wieder zurück. – 1440 Kilometer! – Um drei Uhr früh bin ich weggefahren. An zehn Stellen hab ich geliefert. In Tirol wurde angefangen, im Biohotel. – Dann durch den Arlberg durch – nach Deutschland zu einem Kunden. Um neun Uhr am Abend bin ich von dort weggefahren – der hat eh gesagt, das ist nicht gescheit – und um vier Uhr früh zu Haus angekommen.“ Für Vater Steindl ist die Zeit des Wartens auf eine Entscheidung zur Nachfolge im Betrieb eine gewisse Geduldsprobe. Was aber seine eigene unbedingte Verbundenheit mit seinen Rebstöcken nicht schmälert. Wenn er zwischendurch einmal im Überschwang meint: „Mit so viel Herz und Liebe wie ich, sind wenige dabei“, ist es nicht überhöhte Selbsteinschätzung oder zuviel „Einbildung“, vielmehr kommt da auch eine kleine Wehmut durch, dass er nicht viele findet, mit denen er dieses Mitleben mit der Natur und die Begeisterung dafür teilen kann. – Tja, das Biologische ist eben ganz das Seine!

Rudolf Löschenkohl

„Treffen wir uns, reden wir darüber, handeln wir danach. Bilden wir Inseln der Nachhaltigkeit. Viele dieser Inseln werden wir brauchen, damit alle darauf Platz finden.“ So schrieb Rudi Löschenkohl 1996 in seinem Plädoyer für die Arbeitsgruppen in der Zeitschrift des ERNTE-Verbandes. Er selbst hatte längst so eine Insel auf seinem Hof in Kappel am Krappfeld angelegt und war Anziehungspunkt für Menschen. Von hier aus strahlte er aber auch aus, gab seine Erfahrungen schon als junger Biobauer in Vorträgen an Interessenten weiter, war Landesobmann des ERNTE-Verbandes in Kärnten, gründete einen Bio-Zustelldienst und hat ein wachsames Auge auf aktuelle Entwicklungen. Ein Erneuerer, im wahren Sinn des Wortes um_sichtig, dazu viel_fältig und motivierend. Schon im Jahr 1971, als der 17jährige Rudi die Landwirtschaftliche Fachschule Althofen mit Eifer besuchte und mit seinen Kenntnissen über Stickstoff und Phosphor, Kali, Kalk, K2O und CaO brillierte, hatte ein Fachlehrer auch über Biolandbau gesprochen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht – ohne nennenswerten Zukauf von Betriebsmitteln - war dies auch ein beeindruckender Ansatz. Noch ein anderer Hinweis, den der (grundsätzlich voll und ganz der Agrochemie verpflichtete) Pflanzenbaulehrer einmal in den Unterricht ein-

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flocht, prägte sich bildhaft ein: „Burschen, wenn es euch gelingt, zwei Großvieheinheiten oberhalb und zwei Großvieheinheiten unterhalb der Wiese zu haben, dann seid ihr die Kaiser!“ Ein ernst zu nehmender Hinweis auf das Bodenleben, ganz im Sinne des Biolandbaus. Nach seinem ersten Kurs über biologisches Wirtschaften im Winter 71/72 bei Kilian Müller, dem Vorreiter der Kärntner Bio-Bewegung, ließ Rudi die neuen Ideen in den elterlichen Betrieb einfließen. Der Vater, der selber nie auf die Idee gekommen wäre, sich eine Spritzbutte umzuschnallen, ließ den noch nicht einmal Volljährigen gewähren und meinte: „Tu lei probieren!“ Er erinnerte sich wohl daran, wie er selbst auf den Stoffl-Hof in Kappel am Krappfeld kam. Als er zuheiratete war es Brauch, als erstes hinaus zu gehen und die Böden anzuschauen – sie waren die Grundlage für die Zukunft der Bauernfamilie. Und zum Stofflhof gehörten 40 Hektar gute, fruchtbare Erde, Wiesen und Äcker. Dazu noch 40 Hektar Wald. In den allerersten 70er Jahren kam es schon manchmal vor, dass das Getreide einfach abgemäht wurde und getrocknet als Einstreu verwendet wurde. Der Mähdrescher wäre vergeblich gekommen. Das mit dem prophezeiten Kaiser-Sein dauerte also noch. Der Einsatz von Steinmehl war dagegen rascher von Erfolg gekrönt. Kaiser-Feeling stellte sich ein, als nach beachtlichem Steinmehl-Einsatz – ein Sattelzug brachte jedes Jahr 20 bis 30 Tonnen - auf den Wiesen ein nie da gewesener Kleereichtum zum Vorschein kam. Bei den ersten Kunden, die damals auch schon auf den Hof kamen, erweckten die SteinmehlLager bei der Zufahrt immer wieder Neugier und nach erfolgter Aufklärung nahm sich so mancher einen Sack für den eigenen Garten mit. Sonst war guter Rat meist weit entfernt: „Oft war die Frage nach der Richtigkeit des Tuns schier unerträglich. Was lag näher, als Gleichgesinnte zu suchen.“ So oft es ihm möglich war, fuhr der Jungbauer zu den Treffen der Bauerngruppe um Kilian Müller in MittelKärnten. Zwischendurch zehrte er von den regelmäßig zugeschickten fachlichen Schriften dieses Bio-Vorreiters. Peter Prassers Hof lag zwar direkt in Kappel, aber er hatte auch erst vor kurzem umgestellt und es fehlte schlichtweg rundum an Erfahrung. Schwierig war es auch, das Gartenbauwissen, das Martin Ganitzer anbot, im größeren Maßstab auf Felder und Wiesen umzusetzen - Stichwort Mulchen, bei der zigfachen Fläche erschien der Arbeitsaufwand einfach nicht bewältigbar. Es dauerte Jahre, eine optimale Fruchtfolge herauszufinden bzw. Mais ohne Verluste anbauen zu können. Trotz all dieser ungelösten Fragen nach knappen zwei Jahren Bio-Testzeit ließ Rudi Löschenkohl in einem Interview für die Kleine Zeitung bereits 1974 verlauten, dass er sich vorstellen kann, mit der biologischen Wirtschaftsweise auch über Generationen hinweg gut bestehen zu können. Spätpubertäre Überschätzung und/oder naiv-idealistischer Optimismus?! Mitnichten. Nach mehr als 30 Jahren Praxis ist es für ihn 100prozentige Realität. Seit 1977 steht Irmgard – Irmi – offiziell als Ehefrau Rudi zur Seite. Er hatte es geschickt anstellen müssen, die HAK-Absolventin auf den Bauernhof zu bekommen. Der Hausgarten wurde sogleich ihrer Obhut übergeben – und zugleich ein Büchlein über biologisches Gärtnern überreicht, danach folgte ein exquisiter Kochkurs. Das Lebens- und Familien-Projekt konnte beginnen. Im Lauf der Jahre wuchsen neun Kinder in die Biowelt des Stoffl-Hofes hinein. Rudolf Löschenkohl

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Im gleichen Jahr 77 machte Rudi auch die Jagdprüfung und den Landwirtschaftsmeister. Dabei hatte er noch eine spezielle Schikane zu überwinden. Der Vorsitzende der Prüfungs-Kommission behauptete, er kenne sofort an den Unterlagen, wenn jemand in Richtung bio ist. Der Betreffende müsse gar nicht erst zur Prüfung antreten. Es kam genau umgekehrt: Er trat nicht als Prüfer an, sondern ging in Pension. Rudi Löschenkohl bestand die Meisterprüfung mit Auszeichnung. Weniger Glück hatte sein ehemaliger Fachlehrer Kilian Müller, der für seinen Pro-Bio-Kurs im Unterricht drastische berufliche Repressalien hinnehmen musste. Dem Biolandbau kamen in diesen Anfangszeiten von den Städten wache, engagierte Personen entgegen, die sich für Umweltthemen und gesunde Ernährung einsetzten. Annemarie Lorbeer – Rudi Löschenkohl nennt sie „Die Mutter des Biolandbaus in Kärnten“ - war von Klagenfurt für den „Dachverband für ökologische Lebenssicherung“ tätig und in St. Veith an der Glan wurde der „Verein natürlichen Lebens“ aktiv, der sich 1960 hier niedergelassen hat. In diesem Umfeld wurde ein reger Gedankenaustausch gepflegt und man konnte auch mit Abnehmern für chemiefrei produzierte Lebensmittel rechnen. In Sachen Gartenbaufragen fand sich in Edith Santler eine über Jahrzehnte hinausreichende profunde Praktikerin und Lehrerin für Kärnten und darüber hinaus. Auch Walter Schmutz, der ehemalige Direktor der Landwirtschaftsschule in St. Georgen am Längsee war für ökologische Themen sensibilisiert worden. Durch die Besuche von angehenden Biohöfen und am Stoffl-Hof wurde ihm endgültig die Bedeutung und Tragfähigkeit des Biolandbaus bewusst. Von da an wollte er auch andere Leute davon überzeugen und konnte den Biobauern als Vermittler gewinnen. In den Wintermonaten 1984/85 starteten Walter Schmutz und Rudi Löschenkohl das Vortragsprogramm „Alternativ Landwirtschaften“ im Bildungshaus St. Georgen am Längsee, das dann bis in die 90er Jahre lief. Rückblickend meint letzterer, dass die Gestaltung dieser „Alternativen Abende“ vielleicht ihn am meisten geprägt hat, denn er musste sattelfest sein bei allem, was er über biologische Landwirtschaft und gesunde Lebensführung hier weitergab. Dabei war es ihm wichtig, nicht dozierend einen Stoff abzuhandeln, sondern auch offen zu diskutieren. Selbst lernte er ja auch ständig dazu. Der Blick zurück zeigt auch auf, dass aus diesen Zusammenkünften viele zutiefst überzeugte Biobauern herausgewachsen sind. Zu dieser Zeit, Mitte der 80er Jahre, stand für den Hof ein entscheidender Schritt an. Um voll in die Direktvermarktung einsteigen zu können, mussten die Produkte dezidiert biologisch deklariert werden. Geschützte bio-Markenzeichen wurden von den Verbänden vergeben und so trat Rudi Löschenkohl 1986 dem ERNTE-Verband bei. Mit einem einmaligen Zeitungsbericht über die Bezugsquelle direkt am Hof sprang der Verkauf richtig an. Konsumenten kamen und bald wollten sie neben Getreide, Milch und Brot auch Erdäpfel und Gemüse. Der Anbau von Kartoffeln und Wurzelgemüse wurde auf je ein Hektar ausgeweitet. Aus organisatorischen Gründen wurden die Verkaufszeiten später auf einen Tag gestrafft. – Die Mitgliedschaft im ERNTE-Verband hatte eines Tages eine eher verwunderliche Wendung für Löschenkohl parat. Andere Mitglieder, allen voran Martin Ertl und Hubert

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Zankl aus Ober-Kärnten, kannten seine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit im Bildungshaus St. Georgen und hatten ihn 1989 als neuen Obmann ins Auge gefasst. Sie nahmen ihn zu der entscheidenden Sitzung mit, stellten ihn nach einer bio-logischen Aktion als Kandidat vor - und er wurde gewählt. Als Quereinsteiger mit kaum einem Dutzend Mitgliedern begann das Abenteuer – die Erfolgsgeschichte! Rudi Löschenkohl war der richtige Mann für die Kommunikation nach außen und die strategische Leitung intern. Er zählte in seiner Funktion als Biobauern-Chef auf Handschlag-Qualität und auf Verhandlungsbasis in gleicher Augenhöhe mit den offiziellen Bauernvertretern, was beinhaltete, dass es von beiden Seiten keine Diskriminierung gegenüber dem anderen gab. Erreicht hat er, dass die Kammer künftig die Unkosten für Organisatorisches, Aussendungen etc. voll übernahm, was bis dahin der Obmann aus der eigenen Tasche gezahlt hatte. Aus späterer Sicht ist es kaum mehr vorstellbar, wie zäh jeder kleine Fortschritt ausgehandelt werden musste: „Da sind nicht nur Stunden – da sind Tage, Wochen und Monate ins Land gezogen.“ so der Originalton Rudi Löschenkohl. Vom Kammeramtsdirektor bis zur eigenen Mutter, von Landesräten und ihren Sachbearbeitern über Journalisten bis zu potentiellen Kunden musste Überzeugungsarbeit geleistet werden. „Da war das Körndlbeisser-Image, die Mär vom In-der-Nacht-Spritzen und die Behauptung, wenn alles bio ist, verhungert die Welt – und wenn alles Aussteiger werden, bricht der Markt zusammen. Wir haben uns immer wieder hingestellt und bei Adam und Eva angefangen, immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten.“ Das erforderte Zeit, dafür musste man Geduld aufbringen – und von einer klaren Gesinnung getragen sein. Verbandsintern führte Rudi Löschenkohl einen neuen Führungsstil ein, eigentlich einen Nicht-Führungsstil, denn er betraute nach und nach alle Vorstandsmitglieder mit einem Fachgebiet, womit er die Verantwortung verteilte und die Kompetenz der einzelnen Personen im Dienste aller einforderte. Diese Haltung ist bei den Löschenkohls so selbstverständlich, dass auch Irmgard sich immer mehr einbrachte. Wann immer es die Familie und der Betrieb zuließen, fuhr sie mit ihrem Mann zu den Veranstaltungen wie auch andere Biobäuerinnen. Unüblich war es aber, dass die Frauen an den Sitzungen oder Abstimmungen teilnahmen. Irmgard begleitete eines Tages Rudolf in das Besprechungszimmer – und sorgte für gehörigen Aufruhr, nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen, die auf einmal auch in den Saal drängten. Ein Druchbruch war geschaffen. Ein Jahr lang waren Rudolf und Irmgard Löschenkohl gemeinsam das Führungsteam des Bioverbandes, er als Obmann, sie als Geschäftsführerin. Als er sich dann 1994 aus der Funktion als Obmann des Kärntner Landesverbandes verabschieden wollte – er musste sich voll den notwendigen Neuerungen in seinem Betrieb widmen – bereitete er sorgsam auch seine Nachfolge vor. Hannes Tomic konnte ihn ein Jahr lang bei seinen Agenden begleiten und sich auf das Amt vorbereiten. Aus dieser Schule kommend, wurde Tomic später zum Bundesobmann gewählt. Rudi Löschenkohl hat sich mittlerweile wohl aus dem Verband zurückgezogen, verfolgt aber mit Argusaugen die weitere Entwicklung und spart nicht mit Kritik, wenn sie ihm notwendig erscheint. Ein akutes Unbehagen ist dabei, dass der Bioverband so etabliert und angepasst ist, dass ureigenste Anliegen oft nicht mehr politisch durchgesetzt werden. Als Rudolf Löschenkohl

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NGO agiert man von der Basis her, tritt als Alternative auf, so verstand man sich zu seiner Zeit und so erscheint es ihm richtiger. Ebenso stellt er klar, dass er in keinster Weise damit zufrieden ist, was im Kärntner Landesverband, in der BioAustria, in der EU, ja auf der ganzen Welt für den Biolandbau geleistet wird. Seiner Meinung nach müsste man bereits ganz woanders sein. (Wenn er so loslegt, mildert der leichte Kärntner Einschlag zwar die Klangmelodie, nicht aber die Ernsthaftigkeit seiner Aussage.) Einen richtigen Vermarktungs-Coup landete die Familie Löschenkohl 1994 mit der Gründung eines neuen Vertriebssystems, später als „Der Biobote“ etabliert. Ein funktionierendes Vorbild in Deutschland, das Irmi gecheckt hatte, umfangreiche sachliche Beratung durch Herrn Kock im Vorfeld und die Zusammenarbeit mit anderen Biobauern hatten es möglich gemacht: Auf Wunsch bekamen von nun an die Kunden die bestellte Gemüsekiste direkt an ihre Haustüre geliefert. Da halfen auch schon die älteren der Löschenkohl-Kinder bei der Abwicklung mit. Bis ins Jahr 2008 ist es zu einer Kooperative von 35 Bauern aus verschiedenen Regionen angewachsen. Der Lieferwagen rollt mehr als 1000 km pro Woche – zu Kindergärten, Bäckereien und natürlich zu Privathaushalten. Als wichtige Produktions-Schiene darf man die Tiere nicht vergessen: Die Rinder, vor allem der Jungrind-Verkauf, der über die BioAustria läuft, sind ein wichtiges Standbein. Ein bemerkenswertes Detail ist hier zu erwähnen. Seit Jahren ist es Rudi Löschenkohl gegeben, Homöopathika nach eigenem Verfahren selbst herzustellen und er wendet sie mit Erfolg vor allem bei seinen Rindern an. Die Wirksamkeit bestätigt ihm auch der Tierarzt. So wird vorbeugend - nach einer gewissen Beobachtungsphase nach der Geburt - für jedes Tier ein individuelles Konstitutionsmittel ausgearbeitet und verabreicht. – Luxusgeschöpfe? Einfach bio-logisch! Mit den Legehennen hat Rudi Löschenkohl eine mengenmäßige Pionierleistung hingelegt. 1994 erklärte sich ein Kollege aus Oberösterreich bereit, ihm alles über Hühnerhaltung zu zeigen. Einzige Bedingung, er müsse es innerhalb eines Jahres in Kärnten zustande bringen, ie Freilandhennenhaltung auf 3000 Legehennen aufzustocken! Schon in der Pilotphase waren es mehr als 15.000 Hühner. – Und 2008 stehen 1000 Hühnern etwa zwei Hektar Land als Auslauf zur Verfügung. Futtergetreide wird zugekauft, denn auf den eigenen Flächen wird hochwertiges Speisegetreide gebaut. Sommerzeit auf dem Stoffl-Hof ist auch Zeit für „Unterm Kriecherlbaum“ und das bedeutet drei Wochen lang Lifemusik-Abende, Kleinkunst, Vorträge, Hofbesichtigung, gemütliches Beisammensein am Lagerfeuer und natürlich Köstlichkeiten vom Biokoch. Da ist Rudi Löschenkohl gern mittendrin, unterhält sich locker, fachsimpelt mit den Erwachsenen oder spielt Opa mit den Enkeln. Wäre da noch die Gretchenfrage. Wie steht es mit der re-ligio? Rudi Löschenkohl hat hier verschiedene Rückbindungen. Er sieht sich, den Menschen allgemein, als Teil der Natur. Es geht um Wechselwirkungen, es sei zu beachten, welchen Einfluss jeder auf sein Umfeld hat. Natur ist bei ihm nicht allein auf die Erde bezogen, sondern greift ins All hinaus. So wäre es spannend zu begreifen, welchen Einfluss Gestirne auf uns haben. In der christlichen Tradition, insbesondere im Evangelium, findet er Rückhalt und zugleich die Herausforderung der Alltagstauglichkeit. Bei einigen dramatischen, gefahrvollen Erleb-

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nissen machte Rudi Löschenkohl die wundersame Erfahrung, dass „etwas“ um ihn ist, das ihn beschützt. Diesen schützenden Kontakt hält er auch bewusst aufrecht. Sein Schlusswort ist kein Resumée, sondern weist in die Zukunft: „Ich werd wach bleiben und daran weiter arbeiten, dass dieses gesamte Gedankengut weiter verbreitet wird.“

Martin Ertl

Biobauern, und die Pioniere insbesondere, haben ja den Ruf, dass sie eigene Wege gehen und irgendwie anders ticken. Martin und Erika Ertl sind seit 30 Jahren Biobauern und ihr Weg - Martin hat sich der Lebensleistungszucht verschrieben - hat einige Pointen parat. So mussten erst die persönlichen Berufsziele geändert werden. Immerhin interessierte sich Martin im Gymnasium besonders für Mathematik, und hätte wohl auch Technik studiert (er liest auch heute noch am liebsten Autozeitschriften, obwohl er weiß, dass Autos ökologisch betrachtet „das Letzte“ sind) und Erika hatte die Lehramtsprüfung für Physik in der Tasche, bevor sie auf „Angewandte Biologie“ umsattelte.

Abb. 42: ... nach der Arbeit: Erika und Martin Ertl 2009

Der stattliche Hof in Spittal an der Drau wurde in den letzten Jahren von den Ausläufern der Bezirkshauptstadt eingeholt und ist von Neubauten umringt. Hinten, am traditionellen Kachelofen der geräumigen Küche, bereitet still und mit jahrzehntelang geübten Händen die Großmutter den Kärntner Reindling vor. Diese Idylle durchbricht Martin Ertl mit seiner Erzählung über all die Neuerungen, die diesem Hof einst bevorstanden. 1968 hatte der Vater mit der Einkreuzung amerikanischer Holstein-Friesian in die deutsche Schwarzbunt-Zucht begonnen und somit die wirtschaftliche Ausrichtung des Hofes auf Rinderzucht und Milchproduktion festgelegt. 1973 wurde am Ertl-Hof für die 35 Rinder ein Umlaufstall gebaut, einer der ersten in Kärnten. Die Nachfolge unter den drei Brüdern musste dringend geregelt werden. „Studieren oder Hof übernehmen“ lautete die Vorgabe des Vaters, nachdem der Älteste unerwartet den Usus Martin Ertl

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durchbrach und studieren wollte. Entsprechend unüblich war es dann auch, dass Martin als Jüngster und ganz auf Studium eingestellt, schließlich den Hof übernahm, seine erste „Umstellung“. Um die neuesten Errungenschaften in der Milchwirtschaft kennen zu lernen, machte Martin erst ein Praktikum in Schleswig-Holstein und weil damals wie heute die Spitze der Leistung von Schwarzbunten und Holstein-Friesen in Amerika war, ging er 1976 mit 21 Jahren nach Virginia. Der Betrieb mit 120 Kühen war beeindruckend. Die Milchleistung war beachtlich, aber der Umgang mit den Kühen war ihm nicht geheuer, speziell im Krankheitsfall. Da hieß es für die Tiere, schnell wieder auf Leistung kommen oder es geht Richtung Schlachthof. Zu Hause war ein krankes Tier Familienangelegenheit, man suchte nach möglichen Ursachen, schloss auch selbst gemachte Fehler bei der Haltung nicht aus. Auch die eigene Situation als Arbeiter war für Martin ungewohnt, ja unangenehm. Es fehlte der Zusammenhalt, er war ein Fremdarbeiter, einer unter vielen, austauschbar. Wieder zurück in Österreich. 1977 in Schlierbach – wie wenn er drauf gewartet hätte – hörte Martin Ertl einen Vortrag von Prof. Bakels (Dr. Dr. Frederik Bakels) über naturgemäße Rinderzucht. Bilder von Rindern vor 20.000 Jahren wurden gezeigt, Entwicklungen und die Zusammenhänge von Veränderungen seither wurden dargestellt. Und nach all den ehrgeizigen, kurzfristigen Zuchtzielen wurde eine neue Richtung präsentiert, die „Lebensleistungszucht“. Andern Tags gab Bakels, der eine Professur an der Universität München hatte, einen Bericht über seinen privaten, biologisch betriebenen Hof und auch dieser war für Martin zutiefst beeindruckend. Aber all das stellte auch eine Attacke auf seine bisherigen Maßstäbe in der Rinderzucht dar. Da rang er sich zu dieser Schlussfolgerung durch: „Wenn Bakels über die Rinder an einem Tag so gescheit redet, kann wohl das, was er am zweiten Tag über bio erzählte, nicht ganz blöd sein. Der Vater hat mir im Jahr davor einen Kunstdünger-Streuer gekauft, weil ich das im Praktikum gesehen und ganz wichtig gefunden hab. Aber wenn das aber stimmt, was Bakels gesagt hat, dann bin ich – mit dem vielen Aufwand, den wir daheim betreiben – ein Scheißer, einfach auf dem falschen Dampfer. Das kann’s nicht sein.“ Ergo war die nächste Frage an Prof. Bakels, ob er biologisch wirtschaftende Höfe kennt, die man besichtigen bzw. auf denen man ein Praktikum machen kann. Schon in den Sommermonaten 1978 lernte Ertl Martin auf dem Bio-Hof der Familie Colsmann in Bayern die Eckpfeiler des Biolandbaues kennen: Das Entwickeln einer optimalen Fruchtfolge, das Finden der geeigneten Sorten bei Getreide und den SaatgutNachbau. – Aber auch ganz andere Agenden standen auf der Tagesordnung. In der Garage wurden Plakate und Transparente gegen die Wiederaufbereitungsanlage für Atomstäbe in Wackersdorf gemalt. Bioauer-Sein hörte also nicht auf dem Hof auf, sondern umfasst alle Belange von Natur und Umwelt. Auch Erika, die ihn abholen kam, aber zuvor noch eine Woche das Geschehen auf dem Hof miterlebte, nahm diese unerwarteten Eindrücke mit. Die Heimreise führte noch bis Stuttgart und ins Allgäu, um weitere Biobetriebe anzusehen. Bei den beiden hat es gefunkt, privat und beruflich. Rasch wurde ein Hochzeitstermin gefunden und Martin erklärte dem Vater, er würde ab 1979 den Hof biologisch führen.

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Chef war noch der Vater, der es gut sein ließ, dabei aber ein scharfes Auge für das Betriebswirtschaftliche hatte. Immerhin machte er auch seine Buchführung für den Grünen Bericht. Seine Beurteilung erfolgte im Herbst auch nach diesen Kriterien, wenn er stolz im Ort erzählte, dass in diesem Jahr überhaupt kein Kunstdünger zugekauft wurde und dennoch genug Futter da sei! In diesem Jahr ist das Maisfeld noch wie gewohnt chemisch gespritzt worden. Auch den Kühen ist noch einige Zeit konventionelles Mischfutter gegeben worden. Es gab zu dieser Zeit noch keine festgeschriebenen Richtlinien und Martin Ertl ist auch heilfroh, dass er damals seine Umstellung nicht per Stichtag machen musste so wie heute, sondern dass er ohne Druck Jahr für Jahr hineinwachsen konnte. Es ging erst einmal um das Grundverständnis des organischen Kreislaufes am Hof. Da war es auch schon eine gravierende Entscheidung, bewusst kein Soja aus Dritte-Welt-Ländern einzuführen. Dafür aber bewusst wieder mit dem Getreidebau zu beginnen, fürs erste nur einmal ein halbes Hektar. Die Mutter musste noch restlos überzeugt werden, vor allem von der Vollwertkost. Ganz begeistert von den gesundheitlichen Aspekten einer biologischen, vollwertigen Ernährung, hatte Martin seiner Mutter nämlich aus der Praktikumszeit eine Getreidemühle mitgebracht. Nun nahm Martin sie auf eine Exkursions-Runde nach Tirol mit. Durch Gespräche mit anderen Biobauern sollte sie in all diese Dinge Vertrauen gewinnen. Zugegeben, Geschmack und Aussehen waren wohl ungewohnt, aber das war gar nicht so sehr die Frage, diese Kost war einfach gescheit und gesund. Gewöhnungsbedürftig war allerdings auch der Umgang mit dem Vollmehl. Die ersten Palatschinken waren eher missglückte Kreationen. - Bei Brot und Gebäck wird inzwischen durchwegs frisch gemahlenes Vollmehl verwendet – einzig der Kärntner Reindling, der muss aus weißem Mehl sein. Nicht nur einmal stand man durch die Umstellung vor unlösbaren Problemen, es gab niemand, der vorbeugend oder im Akutfall Rat geben konnte. So musste einmal Mais einfach abgemäht werden, weil er nicht recht gewachsen war. Und ein total verunkrautetes Feld gleich neben der Straße, wo es alle sehen konnten, kostete auch Nerven. Eine Situation zum Verzweifeln bereitete das Auftreten von Sumpfschachtelhalm in einem neuen Pachtfeld. Die Luzerne war an sich wunderschön aufgegangen, aber darin auch das giftige Beikraut. Der erste Schnitt wurde kompostiert, den zweiten Schnitt verweigerten die Kühe und der Pflanzenbaudirektor riet – wie könnte es anders sein: Spritzen! Weggebracht wurde das Kraut erst nach Jahren, nachdem man die Ursache herausgefunden und gegengesteuert hatte, in diesem Fall durch tiefe Lockerung. Bezüglich der Behandlung des Bodens wollte Martin Ertl noch sattelfest werden, wollte mehr über den Unterschied zu Bayern herausfinden. Er machte sich auf den Weg zu einem nur wenige Kilometer entfernten Biobauern. „In der Fachschule haben wir noch über ihn gelacht, weil er nicht gespritzt hat und sich lieber von den Erdäpfelkäfern das ganze Kraut wegfressen ließ. Als ich zu ihm hingekommen bin und wegen bio gefragt hab, hat er sich unglaublich gefreut, - dass er nicht mehr der einzige Togger (Tepp) ist.“ – Die beiden und später auch noch andere Kollegen trafen einander dann öfter zu Gesprächen. Martin Ertl hatte Kontakt zu Ing. Josef Willi aufgenommen und holte sich Informationen über dessen Fernschule. Ebenso konnte er sich vermehrt auf wissenschaftliche SchrifMartin Ertl

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ten von Prof. Bakels, aber auch von Prof. Alfred Haiger von der Boku Wien stützen. Auch Kilian Müller wurde ein wichtiger Ansprechpartner. Dass sich der Pflanzenbaulehrer aktiv für die Verbreitung des Biolandbaus einsetzte, war in den 70er Jahren noch ein Sakrileg, denn als Ertl für ihn einen Vortrag im Gemeindesaal organisieren wollte, wurde ihm die Benützung des Saales verwehrt. 1980 wurde der Landesverband der organisch wirtschaftenden Bauern Kärntens mit etwa 15 Mitgliedern gegründet und Martin Ertl war von Anfang an im Vorstand. So verfolgte er natürlich die Strategien der konventionellen Linie und scheute keineswegs Konfrontationen. Die Herausforderung bestand darin, es zu erreichen, dass bio nicht als eine (zu vernachlässigende) Nische abgetan wird, sondern dass Biolandbau als die zukunftsträchtige Lösung anerkannt wird. Auch wenn es damals noch keinen naturwissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Nachweis gab, es gab ein Grundverständnis und erfolgreiche praktische Beispiele. – Mitstreiter war damals DI Schmutz aus St. Georgen, der mit Vorträgen immer mehr Interessenten anlockte. Der Verband stand damals allgemein Interessierten offen. In den 80er Jahren war Martin Ertl auch einer der Betriebskontrollore. Als Dreier-Team, nämlich ein Vorstandsmitglied, ein Fachschullehrer und eine Konsumentenvertreterin (im Normalfall jemand von der Umweltberatung) begutachtete die Biobauern. Besonders interessant wurde es für Martin Ertl, wenn über das agrarische Fachwissen ein unvermutetes kreatives Potential zu entdecken war. Kuriosum aus heutiger Sicht ist, dass Ertl selbst in all diesen Jahren nicht zertifizierter Biobauer war. Zum einen gab es für ihn als in erster Linie Viehhalter keine verbindlichen Richtlinien, zum anderen war praktisch dazu keine Notwenigkeit. Gute Kundenbetreuung hat auf dem Ertl-Hof schon seit jeher Tradition, Milchkunden gab es schon seit der Nachkriegszeit. Mittlerweile bietet ein Milchautomat Milchabholung per Selbstbedienung rund um die Uhr. Es hat sich auch herausgestellt, dass Milchkunden nicht so sehr den Unterschied von bio und nicht-bio beachteten. Das begann erst stark mit den Getreidekunden und hier wohl wegen der Spritzmittel. Deshalb machte schließlich ein Markenzeichen auch Sinn und es kam die Stunde der Urkunden-Verleihung als Garantie für die Konsumenten. Auf dem Hoffest im Jahr 1989 wurde der ganze Vorgang einer Betriebsanerkennung für die Besucher inszeniert, von Felderbegehung und Betriebsmittelprüfung über Stall- und Tierbegutachtung bis zur Lagerung. Zu guter Letzt wurde Martin Ertl das Zertifikat als anerkannter Biobauern überreicht und als Clou die Betriebsnummer Eins zugeteilt. Wie das? Für die ersten Betriebsnummern hatte man den alten Trick angewendet, erst bei einer höheren Zahl – nämlich 14 (13 war auch kein guter Einstieg) zu beginnen. Diese Nummer Eins war sowohl ein kleiner Lockruf, sich den Kontrollen zu unterziehen als auch ein Dankeschön für lange aktive Mitgliedschaft. Sein ureigenstes Interesse war aber, dahinter zu kommen, was optimales biologisches Wirtschaften auf seinem Betrieb ist und sein Herzblut floss in die Rinderzucht: Über Jahre hinweg beobachtet er nun schon seine Kühe auf Milchleistung und Fitness, d.h. auch ihre Töchter und deren Töchter werden auf Lebensleistung hin erfasst. Und die passenden Bullen müssen ausgesucht werden, die die Linie optimal fortsetzt. – So sehr er da selbst

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die Aufmerksamkeit steigerte, bei anderen Biobauern hatte er oft den Eindruck, sie benützen die Kühe nur zum Mistproduzieren. Der Acker, der Boden war ihnen wichtig, aber die Kühe sind lange total vernachlässigt worden. Bei Ertl war die Zucht der Einstieg – die Rückbesinnung auf den Boden als grundlegende Aufgabe des Bauern entwickelte sich daraus. Also rückten neben der immer genauer beobachteten Fruchtfolge auch Mist und Jauche – nach einem neuerlichen Stallbau auch Güllebehandlung – in den Vordergrund, mal mit, mal ohne Steinmehleinsatz. Allerdings ist Ertl Martin, wie man am Land sagt, nicht jemand, der sich stur irgendwelchen Angaben unterwirft. Es geht ihm wohl um prinzipielle Zusammenhänge Abb. 43: Einladung zur Felderbegehung 1989 – mit und Optimierung, aber das Auanschließender Anerkennung als Biobetrieb und Urkundengenmaß für das Machbare – was Verleihung am Hof konkret personell und finanziell geleistet werden kann – ist ebenso wichtig. Zu dem Machbaren ist 1992 gemeinsam mit einem anderen Bauern der Betrieb eines Biomasse-Heizwerkes gekommen, das er heute anders anlegen würde, nur mehr Nahversorgung. Ertls haben sich auch sehr früh eine Pflanzenkläranlage bauen lassen, um auch hier ökologisch ganzheitlich zu sein. Die familiäre Situation ist derzeit so, dass alle fünf Kinder bereits außer Haus sind und Martin und Erika daher bei der Arbeit am Hof alleine sind. In Notsituationen sind aber die Kinder, Enkelkinder und Freunde jederzeit zur Hilfe da, besonders der jüngste Sohn Paul, der in Wien Landwirtschaft studiert. Die Freizeit gehört vorwiegend der Großfamilie, aber auch mit interessanten Leuten, guten Freunden gemütlich beisammen zu sein und anregende oder ausgelassene Gespräche zu führen. Dafür fährt man auch gern mal wohin auf Besuch. Gesprächskultur als bäuerliche Kultur. Natürlich gehört auch manchmal ein Konzertbesuch im Schloss Porcia dazu. Und auch die Fahrt zu einer Vernissage nach Bregenz oder zur Biennale nach Venedig gehört dann zum Ausflugsrepertoire, weil es eine persönliche Beziehung zum Künstler gibt. In der Kirche trifft man sie eher selten, den Pfarrer kennt Martin Ertl nicht persönlich. Woran glauben eigentlich zwei so naturwissenschaftlich fundierte Biobauersleut? Schwierig zu sagen. Ein Wort von Konrad Lorenz bringt es stellvertretend zum Ausdruck: Das Martin Ertl

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Abb. 44:

Christentum verehrt den Schöpfer und vergisst dabei die Schöpfung. – Selber will man es eher umgekehrt machen! Mit seinen Rindern versucht Martin Ertl, konsequent diesen Weg zu gehen. Er kann einerseits auf seinen Betriebsspiegel verweisen, der belegt, dass er vor 30 Jahren 1000 kg Kraftfutter in Form von Getreide verfüttert hat und heute hat er die gleich guten Kühe ohne Getreidezufütterung. Bei dieser Bilanz ist es kein Wunder, dass er Kritik an den erst vor recht kurzer Zeit festgelegten Tierhaltungsrichtlinien übt, weil es für ihn absurd ist, wenn eine Bio-Milchvieh-Kuh 6 – 7 – 8 – 9 – 10 Kilo Getreide verfüttert bekommt. Auch wenn es 100 Prozent biologisch ist, hat es mit einer Kuh nichts zu tun. Er muss sich auch damit abfinden, dass man sich im Bioverband nicht ernsthaft mit züchterischen Fragen beschäftigt und ist froh, kein Funktionär mehr zu sein. Er hat auch längst seine aktive Mitarbeit im Verband aufgekündigt. Allerdings ist er Obmann des Verbandes österreichischer Lebensleistungszüchter und dort kann er viel besser sein „Rindviechisches Weltbild“ einbringen.

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Josef Stelzl

Prall gefüllt liegen die 25-Kilo-Säcke gestapelt, paarweise gekreuzt, jeweils ein Turm aus zwanzig und mehr Roggen-, Weizen- und Dinkelsäcken. Mit ihren blauen Maschen am Hals, die das kostbare Körnergut unter Verschluss halten, wirken sie als hätten sie ein Rendezvous im Sinn. Genau genommen ist es ja auch so: Hier in der Verkaufsecke auf dem Bio-Hof von Josef und Christiane Stelzl wartet das Getreide der letzten Ernte darauf, abgeholt und zu Weckerln, Broten und Flocken transformiert zu werden. „Früher haben wir ganz viele Kunden gehabt, die sich 200 Kilo Getreide abgeholt haben. Das war der Wintervorrat für eine Familie. Jetzt kommt das nur noch vereinzelt vor“, erläutert Josef Stelzl während er mit einer Schüssel aus dem offenen Sack eine Partie herausschaufelt – große, gleichmäßige, schön geputzte Weizenkörner. Sein prüfender Blick wandelt sich in Zufriedenheit, ja Freude - es steckt so viel Arbeit darin, bis es so weit ist. In diesen Säcken, auf diesen fünf Quadratmetern ist der Ertrag von etwa einem halben Hektar, die Arbeit eines Jahres und die Erfahrung von über dreißig Jahren Bio-Getreide-Anbau komprimiert.

Abb. 45: Josef Stelzl in seinem Getreidelager für den Ab-Hof-Verkauf

Josef Stelzl

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Abb. 46: Moderne Unkrautbekämpfung im biologischen Landbau: Striegl, 1983

Gleich als sie 1974 heiratete war es der ausdrückliche Wunsch von Christiane, nunmehr Frau Stelzl, die künftige Familie gesund zu ernähren. Sie hatte von ihrer Schwester, die in eine Gesundheitsschwesternschule ging, allerhand schon gehört und schließlich von den St. Mareiner Biobauern Getreide bekommen. Als Hofübernehmerin des 48 Hektar-Betriebes in Mariahof – auf einer Hochebene im Naturschutzgebiet Grebenzen auf 1073 Meter Seehöhe gelegen und weit ins Murtal hineinblickend – hatte sie gemeinsam mit Josef Stelzl nun ganz neue Pläne. Ihr Vater hatte die Wirtschaft in den letzten Jahren auf Sparflamme geführt. Vom Krieg war er gesundheitlich angegriffen nach Hause gekommen und da war es in erster Linie darauf angekommen, den Betrieb über Wasser zu halten, bei aller gebotenen Arbeitsamkeit und Sparsamkeit, die damals auch den Kindern auferlegt wurde. – Josef Stelzl, der selber die Arbeit auf einem Bauernhof von klein auf kannte und schon ab 1972 in Mariahof kräftig mithalf, kamen die Ideen von Christiane ganz gelegen. Seine Mutter war bekannt für ihren vorbildlichen Gemüsegarten und er war es gewohnt, dass viele Ernährungsbewusste, Mitglieder des Verein Natürlichen Lebens oder Waerlandisten, kamen und mit Gemüse versorgt wurden. Etliche von diesen alten Bekannten verfolgten nun auch gespannt die Entwicklungen in Mariahof, seiner neuen Wirkstätte, und mischten durch ihre Anregungen und Kundenwünsche auch bei der Produktion etwas mit. Trotz dieses animierenden Umfeldes und den – wie sich bald herausstellte – enormen Vitalreserven in den Böden war zu Beginn doppeltes Lehrgeld zu zahlen. Josef Stelzl kam aus der Fortwirtschaft und musste sich erst in die Landwirtschaft hineinfinden. Und er

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kam aus einer anderen Gegend, so musste er die Böden, das Klima, den ganzen Betrieb erst in Erfahrung bringen, wobei ihm die Stallarbeit noch am geläufigsten war. Christi kannte zwar von Kindheit an den Hausgebrauch, hatte die Hauswirtschaftsschule besucht und war ihm natürlich zur Seite, so oft es die Zeit neben der Familie zuließ. Bei dieser Höhenlage ist klar, dass das Hauptaugenmerk auf Grünland und Viehwirtschaft liegt – Stelzl hat die Betonung auf Milch-Vieh! Dabei will Josef Stelzl auch felsenfest bleiben, unabhängig von Preisdiskussionen und anderen Moden. Um den aktuellen Stand 2008 vorwegzunehmen: Es gibt 13 Milchkühe und eine Mutterkuh sowie Jungvieh, die auf der Weidealm einen schönen Sommer verbringen. Vor einigen Jahren ist eine etwas entfernte Alm dazugekauft worden, wodurch nun eine wesentlich verbesserte Gesamtversorgung und Weidesituation im Sommer erreicht wurde. Selbst in einem schlechten Weidejahr beträgt der Futterzukauf in Form von Getreide maximal fünf Prozent, denn es gibt immer eigenes Futtergetreide. Aber Achtung, es handelt sich dabei in erster Linie um die vom hochwertigen Speisegetreide ausgesiebten Körner. Womit wir auch beim Kernstück der Produktion wären, dem Getreide. Zum Hof gehören sehr sonnig gelegene Ackerflächen, auf denen es trotz der Höhenlage immer möglich war, Getreide zu ernten. Mit dem Hafer- und Roggenanbau konnte Stelzl als erstes wieder beginnen. Auch Weizen wurde alsbald von den Gästen verlangt und dem Wunsch wurde entsprochen. Aber bis Stelzl die Ernte einbringen konnte, gab es in den ersten Jahren viele Fehlerquellen: Von der Wahl des Saatgutes, über die Aussaatmenge – er hatte am Anfang viel zu dünn gesät – bis hin zum Saattermin. Bei allen spielten natürlich auch die jeweils auf dem Feld vorhandenen Beikräuter eine Rolle, wann und wie der Konkurrenzdruck am besten eingedämmt werden kann. Ob Senf oder Kornblume überwiegt konnte bestimmen, ob eine Winter- oder Sommersorte genommen wird. Das brauchte schon einige Jahre der Beobachtung, des Vergleichens und des Variierens. Ebenso die Fruchtfolge. Obwohl in den Böden Nährstoffreserven von der früheren extensiven Bewirtschaftung vorhanden waren, musste doch nach ein, zwei Getreideernten wieder eine Ruhephase von drei und besser noch vier Jahren Kleegras eingelegt werden. Es ist eben doch ein Unterschied, ob man auf Gunstlagen im Tal oder auf 1100 bis 1300 Meter Seehöhe anbaut. Inzwischen gedeihen Hafer/Nackthafer, Gerste, Roggen, Weizen und Dinkel. Der Dinkel bedeutete gleichsam die dritte Steigerungsstufe an Herausforderung. Alle schwärmten davon und wollten ihn haben. Peter Prasser war damals Anlaufstelle Nummer Eins und 1979 holte Josef Stelzl seine erste Charge Saatgut von ihm samt einiger wertvoller Tipps für die Aussaat und für die weitere Behandlung. Aber wieder hatten sie sich bei der Aussaatmenge verkalkuliert: Ausgehend von 120 Kilo plus ein Drittel für die Spelzen dazugerechnet käme man auf 160 Kilo; aber gesät wurden an Anfang doch nur etwa 150 Kilo – und jetzt werden 250 Kilo gesät! Trost dabei war, dass es in jenem Jahr ausgenommen schöne, große Körner geworden sind. Doch sie steckten noch in den Spelzen. Also fuhr Stelzl mit dem gesamten Dinkel wiederum zu Prasser nach Kärnten, um ihn reinigen zu lassen. Das war ein großer Aufwand und noch dazu war Prasser wenig erfreut über eine zusätzliche Arbeit. Eine Entscheidung stand an: Entweder er kann in Zukunft selber DinJosef Stelzl

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kel reinigen oder es wird keiner mehr angebaut. Stelzl, der am liebsten unabhängig von anderen seine Arbeit erledigt, machte sich auf die Suche nach einer Reinigungsmaschine. Bisher hatte Stelzl bei der Getreideaufbereitung schon einige Lernschritte bewältigt, inklusive des nicht unbedeutenden Lehrgeldes, wenn etwa eine Maschine zwar als bestens geeignet angepriesen wurde, sich aber im Gebrauch daheim nicht bewährte und die Investition – durchschnittlich 20.000 Schilling - außer Komplikationen nichts gebracht hatte. Enttäuschenderweise konnte er auch bei Mühlen kaum Rat einholen, dort war es nicht mehr üblich, Getreide auf Sichtqualität aufzubereiten, denn es wurde durchwegs vermahlen. Bestens bewährt hatte sich schließlich die Petkus-Saatgut-Reinigungsmaschine. Als nächstes war ein Steinausleser fällig geworden, dann die Absaugung. Aber das wichtigste und allen voran war die Trocknungsanlage. Sofort nach dem Dreschen musste das Getreide auf den Trockner kommen, damit es keine Pilzentwicklung gibt, denn das wäre schlimmer als jedes Körnchen Unkraut. Eine Schälmaschine für Hafer und Rollgerste wurde installiert und zu guter Letzt fehlte nur noch ein Gewichtsausleser, ein Tischausleser - eine Investition von 250.000 Schilling – eine Maschine, die Hafer, Dinkel, Mutterkorn etc. trennen kann. Als auch die gefunden wurde, mussten die gesamten Baulichkeiten verändert werden, weil dieses Gerät auf einer Betondecke stehen musste. – Zwischendurch ist auch der Strom nieder gegangen, die Kapazität der Leitung war ausgereizt und es musste eine Staffelung des Gebrauchs der Geräte gefunden werden. Aber was solls: „Oberstes Ziel war, dass wir total sauberes Getreide haben. Das ist uns voll gelungen“, resumiert Josef Stelzl nach all diesen kritischen Momenten. Und es ist ihm auch gelungen, alles selber auf dem Hof machen zu können und nicht herumfahren zu müssen. Dabei ist er gar nicht der geborene Mechaniker. Als er mit den Maschinen zu tun bekam, das gilt auch für die Geräte zur Bodenbearbeitung, lief er wegen jeder Kleinigkeit, die zu reparieren oder zu verändern war, in die Werkstatt – aus heutiger Sicht unvorstellbar. Die Kunden wussten die Stelzl-Qualität zu schätzen. Bis Tirol hatte es sich herumgesprochen und das Getreide von Josef Stelzl wurde in den Perlinger Läden angeboten. Und noch jemand ist auf sein Getreide aufmerksam geworden: Prof. Baldur Preiml, der in den 70er Jahren Trainer des Österreichischen Schispringer-Nationalteams war und in das Fitness-Programm auch eine vollwertige Ernährung einplante. Einige Jahre lieferte Stelzl an die Spitzensportler, die bald so ein Nahverhältnis zu ihrem Biobauern fühlten, dass sie ihm von der Olympiade 1980 in Lake Placid/USA eine Grußkarte schickten. Vielleicht war es ja auch die Kraft seiner Körner, dass Toni Innauer die Goldmedaille holte. – Damals war die Nachfrage seiner privaten Stammkunden so groß, dass Stelzl weder den Handel noch Prof. Preiml weiterhin beliefern konnte. Bis zu 15 Tonnen Getreide pro Jahr wurde in Spitzenjahren von Privatkunden abgeholt. Das ist Vergangenheit. – Inzwischen kommt es sogar vor, dass Getreide zugestellt wird. In diesem Punkt haben die Stelzls eines ihrer ureigensten Prinzipien umgestoßen und sich den heutigen Gegebenheiten angepasst, denn sie verlassen nur ganz selten den Hof. Sie fahren nicht gern weg. Sie sind es gewohnt, dass man zu ihnen kommt. Aber an einem anderen Grundsatz halten sie eisern fest: Nie für die eigenen Produkte Werbung zu machen, das wäre denn doch zu niedrig – für Lebensmittel zu werben.

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Dass auf den Stelzl-Äckern besondere Qualitäten heranreiften, wurde nicht zuletzt durch das Ludwig Boltzmann-Institut bestätigt. Sowohl die Böden als auch das Getreide wiesen die mit Abstand niedrigsten Schadstoffwerte auf. Nicht ganz so anerkannt in der Methode, aber für manche sogar aussagekräftiger, ist das Auspendeln von Lebensmitteln im Hinblick auf Vitalität oder persönliche Zuträglichkeit wie es vor allem eine Hauptkundin wiederholt machte. Auch dabei schnitt das Stelzl-Getreide immer sehr gut ab. Solche Bestätigung, ja Anerkennung von außen freute ihn, ohne dass er besonders stolz darauf ist. Denn als den größten Erfolg sieht Josef Stelzl an, dass alle seine fünf Kinder nie krank gewesen sind. In keinem der Schulzeugnisse sei je ein Fehltag verzeichnet gewesen, wo doch Bekannte damals meinten, spätestens in der Klasse würden die Kleinen mit den typischen Kinderkrankheiten angesteckt werden. Es ist nicht so gekommen und Stelzl führt das voll und ganz auf die gesunde Ernährung vom ersten Tag an zurück. Im Wald konnte der ausgebildete Forstmann Josef Stelzl auch einiges verändern. Als erstes schaffte er die Waldweide ab, die zwar billiges Futter für die Rinder bedeutete, an den Bäumen aber Trittschäden und Wurzelverletzungen hinterließ. Die in der Vorgängergeneration vernachlässigten Wälder wurden nach und nach durchforstet und Stelzl einigte sich mit dem Schwiegervater auf Einzelstammentnahme und Naturverjüngung, statt strichweisem Kahlschlag. Verbandsmensch sei er weniger, sagt Josef Stelzl, was nicht hindert, dass er seit 1979 Mitglied im Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern ist und man ihm in Anerkennung seiner Vorreiterrolle die niedrigste Betriebsnummer AT-N-01-BIO-0012 L steiermark- bzw. österreichweit zuteilte. Ihm ist es um das Markenzeichen gegangen. Schon im Vorfeld hat er sich dafür eingesetzt, denn die Demeter-Marke der biologischdynamischen Bauern war schon auf dem Markt und es würde nicht lange dauern, dass die Konsumenten fragen würden, warum die anderen Bioprodukte nicht gekennzeichnet sind. Zu den Versammlungen fuhr er nur sehr sporadisch. Auch zu Dr. Müller ist er nicht groß gepilgert, er hat ihn aber doch einmal bei den Mareiner Bauern kennen gelernt und auch ein persönliches Schreiben von ihm erhalten. Den Biobauern-Treffen konnte er nur bedingt praktischen Nutzen abgewinnen, für seine Verhältnisse in der Höhenlage gab es keinen Erfahrungsaustausch mit anderen. Das Grundwissen entnahm er laufend den Publikationen und setzte sie nach Maßgabe um. Aber die geforderte ständige FrischmistAusbringung war in der Berglage mit den langen Wintern illusorisch. Er fand seine eigene Lösung für die Mistbehandlung, er setzte Steinmehl ein – wie auch Fotos dokumentieren, an der Kompostbereitung führt kein Weg vorbei. Von den Getreideflächen fallen große Mengen Stroh an, die im Tieflaufstall als Einstreu Verwendng finden und in weiterer folge zu Kompost aufbereitet werden. Einige Jahre lang betreute Stelzl als Leiter der Umstellungsberatung etwa 180 Höfe in seiner Heimatregion. Bei diesen Leuten – Familienbetriebe in einer durchwegs klein strukturierten Gegend mit relativ hohem Arbeitsaufwand bei relativ bescheidener Wertschöpfung, ungeachtet dessen aber mit einer hohen Identifizierung mit ihrem Bauersein – konnte er etwas bewegen. Gar nicht klar kommt er hingegen mit großen Agrariern, die sprechen eine andere Sprache, haben andere Ziele und meist nur Zahlen im Sinn. Und Josef Stelzl

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völlig sträuben sich die Haare bei Josef Stelzl, wenn er sich das neue Leitbild des Bauern als Unternehmer vorstellen soll. Es ist für ihn ein klarer Widerspruch, denn so wie er es beobachtet, haben Unternehmer immer Erfolg aufgrund eines Vorteils gegenüber anderen und indirekt also auf Kosten anderer. Bäuerliche Existenz soll sich aber nicht nach solchen Regeln entwickeln. Und diesen Gedanken weiterspinnend, folgt auch eine Kritik am heutigen Förderungssystem, das nach Hektar und Stück Flächenprämien zuteilt anstatt bäuerlichen Familien auch in wenig begünstigten Lagen und in kleinen Betriebseinheiten das Weiterwirtschaften zu ermöglichen. Eine Entscheidung als Delegierter des Verbands würde Josef Stelzl am liebsten noch rückgängig machen: Ein Fehler, ein schwerer Fehler sei es gewesen, in den 90er Jahren den Verarbeitungsrichtlinien zugestimmt zu haben. Dadurch sind die Bioprodukte regalfähig geworden – und die Dimension dieser Weichenstellung habe er damals nicht erkannt. Für ihn persönlich bedeutete es im Lauf der letzten Jahre, dass treue AbHof-Kunden seltener kommen und letztlich so auch Freunde des Hauses verloren gehen. Neukunden haben meist einen anderen Bezug zum Getreide, die eigene Verarbeitung von frisch vermahltem Vollmehl ist ihnen nicht mehr das Wesentliche. In der sich ständig verändernden Biobewegung wirken die Aussagen und die Prinzipien von Josef Stelzl wie ein Fels in der Brandung. Was er mit seiner Frau auf dem Hof aufgebaut hat wird auch weitergehen. Einer der beiden Söhne und dessen Frau sind schon auf die Übernahme vorbereitet. Heißt das, dass die Eltern mehr Freizeit haben? Zur Jägerei hat Josef Stelzl noch immer zu wenig Zeit. Er ist schon als Kind mit dem Vater jedes Wochenende auf die Jagd gegangen – wenn nicht, hätte die Mutter geglaubt, sie seien krank. Aber eine Jagd hat etwas Rituelles und wenn man nicht die Ruhe hat, soll man nicht Jagern gehen. Eher könnte er wieder Violine spielen, sie liegt griffbereit auf der Truhe in der Stube. Dazu gibt es noch ein Chello und eine Querflöte von den Kindern. Früher hat man in der Familie öfter zusammen musiziert, auch bei gelegentlichem geselligem Zusammensein mit Kunden, wobei klassische Stücke – etwa Bach – bevorzugt wurden. Insgesamt gesehen gibt es schon einige Bereiche, die sich unwiederbringlich verändert haben. So erscheint auch die Religion, der Glaube an etwas Höheres in einem anderen Licht. Wie man beim Biolandbau gelernt hat, vieles zu hinterfragen und selber die Augen aufzumachen, so ist es auch in religiösen Dingen gewesen. Vielleicht liegt es einfach darin, dass es ihrem Wesen und Selbstverständnis nicht entspricht, wenn Menschen immer jemand über sich haben müssen, zu dem sie aufschauen, nacheifern, nachlaufen. Oder liegt es an ihrer Post-Adresse „Ob der Kirche“. Tatsächlich schauen die Stelzls vom Hof aus direkt hinunter auf die alte Wehrkirche Mariahof, die je nach Jahreszeit und Witterung auch malerisch im Talnebel versinkt. Dann kann man von der Höhe aus wirklich leichter den Überblick behalten. Im Frühjahr, wenn wieder einmal der Schnee gar nicht wegtauen will, ist seit jeher der 1. März ein Stichtag: Die weißen, schneeglitzernden Felder werden dann ganz dünn mit grauer Holzasche bestreut. Das fördert das Abtauen. So dem Winter ein letztes Mal „eingeheizt“ und ein neuer fruchtbarer Jahreslauf kann beginnen.

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Umstellung von außen angeregt Der Hinweis, dass es als Alternative zur sog. konventionellen auch eine biologische Landwirtschaft gibt, wurde an die Bauern von verschiedener Seite herangetragen. In den folgenden Beispielen waren es Privatpersonen, Bekannte der Bauern, die für ihre Ernährung naturbelassene Lebensmittel suchten (Kappel Franz, Haitzmann, Forsthuber, Nagiller). Es waren aber auch die Hinweise von Kollegen aus der Bauernschaft , ja auch aus der Verwandtschaft (Kappel Josef, Froschhauser, Falkinger, Amann). Nicht zuletzt erforderte es das berufliche Umfeld oder der eigene Ehrgeiz, dass man über diese neue Richtung Bescheid wissen wollte oder musste (Riser, Weissenbach).

Franz Kappel

Als Anfang der 1960er Jahre das junge Ehepaar Kappel am Rosenberg, einer Villengegend hinter dem Grazer Schlossberg, eine Pachtwirtschaft gefunden hatten, ahnte niemand, dass dies die Wiege des Biolandbaus in der Steiermark sein würde und dass hier der künftige Landesobmann und erste Kammerberater für Biologische Landwirtschaft „geboren“ wird. Zu dem Gutshof der verwitweten Grazer Besitzerin gehörten 10 Hektar Grund, hauptsächlich Grünland, die Franz und Karoline Kappel mit einfachsten Mitteln bewirtschafteten. Die Bewohner dieser an sich noblen Gegend standen in diverser Wechselwirkung mit dem landwirtschaftlichen Betrieb. So stellten die Nachbarn eine willige und potente Kundschaft für Eier, Milch, Gemüse, Obst dar. Spaziergänger und vor allem deren Hunde machten keinen Unterschied zwischen Weg und Acker, die Vierbeiner holten ohne Rücksicht auf Verluste das für sie geworfene Hölzl und Buben spielten ungeniert auf der Weidewiese Fußball. Und noch eine spezielle und für die Biobewegung bedeutsame Personengruppe gehörte zur Grazer Kundschaft: Waerlandisten. Von ihnen wurde penibel nachgefragt: „Verwendet’s wohl keinen Kunstdünger? Tut’s wohl net spritzen?“ und Kappel fragte sich, ja warum denn nicht? Eben war ihm doch in der Schule und von der bäuerlichen Fortbildung erklärt worden, wie gut und notwendig Kunstdünger und Spritzmittel sind. Eine Frau versorgte die Kappels auch mit Literatur und brachte eines Tages die Kompostfibel von Alwin Seifert zur Verdeutlichung ihres Anliegens mit. Dieses Büchlein beinhaltete nun wiederum eine unerwartet spannende und noch dazu finanziell verlockende Sichtweise, weil sie den Zukauf von Kunstdünger zu ersparen versprach. Aber auf den ersten Blick war auch klar, dass die Kompostierung sämtlicher anfallender Materialien erhebliche zusätzliche Arbeit bedeuten würde. Kappels mussten ohnehin alles mit der Hand machen, statt eines Traktors wurden noch die Kühe eingespannt ... Die Waerlandleute ließen aber nicht locker. Als 1962 Dr. Rusch einen Vortrag im Arbeiterkammersaal in Graz hielt, wurde Franz Kappel eingeladen. Die Aussagen, auch die gezeigten Bilder von den Möglichkeiten im biologischen Landbau waren überzeugend und für nähere Auskunft zu agrarischen Fragen verwies Rusch auf Dr. Müller. Kappel nahm Franz Kappel

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demnach Kontakt auf, informierte sich weiter und wiederum hatte alles Hand und Fuß. Nach reiflicher Überlegung fiel dann aber rasch die Entscheidung zur Umstellung im Jahr 1963. Zur Vertiefung nahmen die Kappels in den nächsten zwei Jahren an Exkursionen zu den Schweizer Biobauern teil, die die Salzburger Landwirtschaftslehrerin Minna Schnürer organisiert hatte. Sie waren jeweils drei Tage lang unterwegs und konnten sich verschiedentlich erkundigen. Weiters besuchten sie Vorträge und fragten zwischendurch die Gartenarchitektin Lore Schöner aus Leoben um Rat, die eine kundige Mittlerin zu Dr. Müller war. Aber auch Dr. Müller selbst kümmerte sich um seine Bauern, er besuchte praktisch jeden Hof und gab Instruktionen. – Und die ernährungsbeflissenen Kunden waren endlich zufrieden. Der Standort Graz-Rosenberg war nicht „auf ewig“ geplant, nach diesen Jahren der Erfahrung wollten Franz und Karoline Kappel auf eigenem Grund und Boden wirtschaften. Südlich von Graz fanden sie Mitte der 60er Jahre in Lannach einen Hof auf Leibrente, den sie natürlich auch biologisch bewirtschafteten. Hier betrieben sie mehr Getreide- und Hackfruchtanbau, wobei sich die richtige Fruchtfolge als der Knackpunkt zum Erfolg herausstellte. Es war ihnen aber nicht vergönnt, ihre Pläne an diesem Standort lange zu verwirklichen. In Lannach, einem aufstrebenden, industrieorientierten Gebiet, wurde der Bau einer Erdölraffinerie angestrebt und sämtliche Bauern wurden vom vorgesehenen Areal abgesiedelt. So auch die Familie Kappel - Franz und Karoline hatten inzwischen zwei Kinder. Sie hatten nun schon einige Stationen hinter sich, nachdem sie sich in den 1950er Jahren auf dem Hof von Franz’ Eltern in Wuschan/Preding kennen gelernt hatten. Karoline hatte dort nach der Haushaltungsschule ihre erste Lehrstelle gefunden. Franz, der von einer großen Geschwisterzahl einer der jüngeren war, hatte den Landwirtschaftsmeister gemacht und 1956 beschlossen, sein Können als Verwalter in anderen Betrieben unter Beweis zu stellen. Zudem hatte sich die Hofübergabe zu Hause hingezogen. Zuletzt war er Wirtschafter – nach Andritz und Admont – im Schloss Trautenburg in Leutschach. Karoline war indes als Familienhelferin unterwegs gewesen. In Graz-Rosenberg hatte ihre gemeinsame Arbeit begonnen, in Lannach sollte es weiter gehen, allerdings eben nicht lange. Als Ersatz für den Hof in Lannach fanden die Kappels einen Hof in Elxenbach nahe St. Marein. Um den Abfertigungsbetrag konnten sie ihn kaufen – und bis zum heutigen Tag bleiben! Die Böden waren in gutem Zustand, aber sonst mussten sie gleichsam bei Null anfangen. Einige Maschinen brachten sie von Lannach mit, aber als erstes stand der Neubau des Wohnhauses an. Und bei der Tierhaltung bewiesen sie in der ersten Zeit einiges an Improvisationstalent. Zu Weihnachten 1970 - Karoline hatte eben ihr drittes Kind zur Welt gebracht – konnten die Kappels wohl den neuen Standort beziehen, aber es war noch lange nicht alles fertig eingerichtet. Dennoch kamen bald schon wissbegierige Schauer, denn es hatte sich herumgesprochen, dass hier ein ausgefallenes Haus mit ausgeklügelten Details entstanden ist. Karoline, die als Familienhelferin auf den verschiedenen Höfen teils optimale, teils sehr schlecht organisierte Haushalte kennen gelernt hatte, hatte für ihr eigenes Reich als Bäuerin mit dem Architekten ganz spezielle, neue Lösungen in der Raumanordnung gefunden. Exkursio-

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nen, auch von der Kammer geführte Gruppen, kamen zur Besichtigung. Dabei ging eins ins andere über. Die Besucher bekamen zwischendurch auch das selbst gebackene Vollkornbrot serviert, pur und als Butterbrot, und unwillkürlich schwenkten dann die Gespräche auch auf gesunde Ernährung und die biologische Landwirtschaft um. So wurden diese Besuche zu einer rundum informativen Sache. Das Brot war übrigens auch eine Kreation von Karoline Kappel, die darin den Rat einer Ernährungskundigen bezüglich des genauen Vermahlungsgrades beherzigte, um die optimale gesundheitliche Wirkung zu erzielen. 1966 brachte Franz Kappel erstmals Dr. Müller nach St. Marein. Einige Bauern aus dieser Gegend waren auf Biolandbau aufmerksam gemacht worden, hatten sich den Betrieb in Lannach angesehen und ihr ernstes Interesse bekundet. Nach dem Vortrag entschieden sich immerhin sieben zur Umstellung: Flitsch, Froschhauser, Hutter, Rosenberger, Friedl, Kamper und Dirber – es waren lauter kleine Wirtschaften, die den Anfang machten. Der Zusammenhalt, die Überzeugung und der Ansporn waren groß, auch wenn etwas nicht sofort gelang: „Das Wankelmütige hat es nicht gegeben. Wir sind ja nicht blöder als die Schweizer. Wenn es bei denen geht, wird es bei uns auch gehen.“ Ab 1969 gab es eine erste Verkaufs-Kooperationen innerhalb der Mareiner Gruppe, wobei die Obst-Produkte gegen Vorbestellung nach Salzburg geliefert wurden. Ab 1970 war ja auch Kappel nach dem Umzug ein richtiger Mareiner. Zu der Verkaufsgemeinschaft, die ab 1973 im Geschäft von Biobauer Steinkleibl in Graz vertreten war, steuerte Karoline Kappel das Brot bei. Die anfänglichen 100 Kilo konnten bis auf 200 Kilo gesteigert werden – das bedeutete vier Durchgänge im Backofen und mehr als einen Tag Arbeit - und war ein guter Zuverdienst. In all diesen Jahren waren die Mareiner untereinander in regem Kontakt – und auch zu etwas Entfernteren etwa in der Buckligen Welt. Als Leiter der monatlichen Arbeitsgruppentreffen im Sinn Dr. Müllers organisierte Kappel spezielle Referenten wie Martin Ganitzer für den Gartenbau, fuhr aber selbst auch zu Schulungen nach Salzburg oder Linz. Hier tauschte er sich mit den Leuten der Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum aus und hatte in ihr eine größere Organisation als Partner, wenn es um öffentliche Belange der Biobauern ging. Insofern sollte ihm noch eine besondere Rolle zufallen. Der erste Vorstoß zur Gründung eines reinen Biobauern-Verbandes 1977 scheiterte zwar, führte aber zu einem Eklat in der Förderungsgemeinschaft, von der sich etliche bäuerliche Mitglieder neu formieren wollten. In dieser Situation löste Franz Kappel kurzentschlossen Martin Ganitzer auf dessen Wunsch ab und wurde Obmann des Verbandes. In dieser Funktion konnte er innerhalb der Förderungsgemeinschaft immerhin so weit einrenken, dass die ziemlich unterschiedlich motivierten, auch privaten Mitglieder ein Einsehen dafür bekamen, dass ein eigener Berufsverband sinnvoll, ja notwendig ist. Zu dieser Zeit war Kappel bereits ein bekannter Vertreter des Biolandbaus, sodass erste Videoaufnahmen auf dem Hof gemacht wurden. „Stars“ waren die Kühe auf der Weide, die auf Zuruf zum Melken in den Stall kamen. Auch das Fernsehteam Voitl-Guggenberger filmte seine Kühe für die Dokumentation, die 1978 ausgestrahlt wurde. Dieser Film samt Veröffentlichungen hatte die angestrebte Wirkung beim Publikum, es gab daraufhin zahlreiche Interessenten für biologische Lebensmittel. Kappel war auch insofern noch länger Franz Kappel

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mit dem Film verknüpft, als er auch einer der drei Verantwortlichen und Ansprechpartner in der Begleitbroschüre war und zwar in seiner Funktion als Obmann der Förderungsgemeinschaft. Im Jahr darauf spitzte sich die Situation erneut zu. Die Biobauern stimmten mit Unterstützung von Ing. Willi von der Tiroler Landwirtschaftskammer nochmals dahingehend ab, einen eigenen Bauernverband zu begründen. Er hatte die Statuten von einem Rechtsanwalt prüfen lassen (dessen Honorar mit Unterstützungs-Geldern beglichen wurde, die nach dem TV-Film eingegangen waren) und so stand auch formal dem Verband nichts mehr im Wege. Zum ersten Bundesobmann des Verbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs wurde Walter Eiböck gewählt und sein Stellvertreter war Franz Kappel – der kurzerhand die Obmanschaft in der Förderungsgemeinschaft zurückgelegt hatte. Wenig später wurde er auch Obmann des steirischen Landesverbandes. Damit war aber auch der Bruch von Seite Dr. Müllers besiegelt. Vorbei waren die Zeiten, wo der energische, alte Mann bei den Exkursionen dem kleinen Puch der Kappels freundschaftlich die Ehre gab, und andere (ein wenig neidisch ob des Vorzugs) im Konvoi folgten... Das Unverzeihliche für Dr. Müller war, dass Kappel in seinen Augen Ganitzer in der Obmannschaft verdrängt hatte, was aber nicht stimmt. Ein Schreiben von Martin Ganitzer an Kappel mit der Bitte um die Nachfolge belegt Müllers Irrtum. Als Unvereinbarkeit kam offenbar für Müller noch hinzu, dass Kappel beabsichtigte, mit bzw. in der Landwirtschaftskammer zu arbeiten. Die Neugründung, die Gründung des Verbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs war somit nicht frei von Konflikten. Aber es war notwendig, Fachleute, d.h. praktizierende Biobauern als Gesprächspartner zu haben, wenn es um öffentlich rechtliche Entscheidungen ging. Es ist ein Unterschied, ob Vertreter einer Gesinnungsgemeinschaft wie in der Förderungsgemeinschaft oder einer Berufsgemeinschaft der Biobauern mit öffentlichen Stellen, in höchster Instanz dem Ministerium, verhandeln. Tatsächlich kam es alsbald zu einem spannenden Vorstoß von Agrar-Funktionären, die sich unter Zugzwang sahen. Bereits 1976 hatte die Veranstaltung an der BOKU den Biolandbau ins helle Scheinwerferlicht gestellt und er hatte sich behaupten können. Nicht zuletzt das große Echo auf den ORF-Film über Biolandbau hatte dann Bauern und offizielle Bauernvertreter aufgerüttelt. Ende 1979 meldeten sich der steirische Kammeramtsdirektor Dr. Heinz Kopetz, der damalige Direktor des steirischen Bauernbundes DI Josef Riegler und auch Landesschulrat Schaller bei Kappel zu einem Besuch an – es war deren erster Besuch auf einem Biobetrieb. Nach ausführlicher Erkundigung machten sie auch kein Hehl daraus, dass sie interessiert wären, jemand Kompetenten, einen Praktiker, in die Kammer zu holen, denn die Anfragen für bio häuften sich. Dieser „Jemand“ war – nicht ganz unerwartet - ab 1. Jänner 1980 Franz Kappel. Ein Tag pro Woche wurde für Sprechstunden in Graz fixiert, darüber hinaus konnten Beratungen am Betrieb vereinbart werden. Neben den neu eingehenden Anfragen, war ein allererstes Aufgabengebiet jedenfalls die Sichtung, Sortierung und ggf. Beantwortung der rund 200 Zuschriften aufgrund des ORF-Filmes. Kappel hielt Vorträge, später wurden auch Einführungskurse organisiert. Dafür sammelte er Betriebsstatistiken und arbeitete

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übersichtliche Folien aus. Ebenso wurden Arbeitsunterlagen, Druckschriften für die Bauern verfasst. Ein eigener „Job“ war es ganz nebenbei, den Vorurteilen, dem Unverständnis anderer Kammer-Mitarbeiter zu begegnen. Bisweilen ging seine Arbeit als Kammerangestellter nahtlos in die Verbandsarbeit über, etwa wenn nach einer Umstellungsberatung die Aufnahme in den Verband erfolgte. Üblicherweise kamen dann auch die Betriebskontrollen dazu, zu denen er sich aber meist jemand zweiten mitnahm. So sehr er an der Entwicklung der Codex-Richtlinien interessiert war, so wenig einverstanden war er mit der Einführung der Förderungen. – Generell hatte man in seinen Kreisen nicht daran gedacht, Flächenprämien zu bekommen, sondern den Produktionspreis für die Ware. Heute kommt auch die Pflege der Umwelt dazu, die bei schlechten Produktionspreisen eine Entschädigung notwendig macht. Kappel war in seinen Funktionen viel unterwegs, auch oft bis spät in die Nacht. Was aus der Sicht Karolines sich eher als ein zu viel und zu spät ausnahm, denn an ihr blieb die Arbeit zu Hause, auch das Melken hängen. Mitunter ergab sich sogar ein krasses Zerrbild, wenn immer wieder auch „Helfer“ auf den Hof kamen, eigentlich Idylle suchende Städter, Aussteiger, Alternative, die auf einem Bauernhof, idealerweise natürlich „bio“, für ein paar Handgriffe übernachten wollten, mitleben wollten. Sie fanden es herrlich in dieser Atmosphäre, hatten aber von der Arbeit meist keine Ahnung. – Diese Besuche waren eben eine typische Nebenwirkung dieser Zeit und dieser Bewegung und prägten in gewissem Sinn auch das Image der Biohöfe, auf denen es „anders“ zugeht. Seit 1996 ist der Hof an Sohn Georg übergeben, der ja nun tatsächlich von Geburt an mit diesem Hof verbunden ist, als Kind Dr. Müller kennen lernte, all die Eindrücke mitnahm. Biologisch wird der Betrieb auf jeden Fall bleiben, welche Produktionslinie letztlich Franz Kappel

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als langfristig stimmig wird, daran wird gefeilt, es hängt auch von der generellen Marktentwicklung und den Rahmenbedingungen ab. Im Moment hat er einen fixen Job und ist nicht vom Ertrag des Hofes abhängig – und der Vater ist ja auch noch zur Hand. Franz und Karoline haben sich indes in das ebenerdige Altenteil, das sie selbst vor über 30 Jahren geplant haben, eingezogen. Das Drumherum ist ruhiger geworden, die beruflichen Funktionen sind aufgegeben, die kulturellen Veranstaltungen im Chor, in der Gemeinde und in der Pfarre selektiver – und sie können getrost zurück blicken. In diesem Sinn resumiert Franz Kappel: „Ich bin dankbar – es war für die Familie ein Broterwerb und es war eine sinnvolle Arbeit von Anfang bis zum End. – Diener der Schöpfung zu sein, das ist eine ehrenvolle Sache. Ich bin froh, dass es so gelaufen ist und dass wir da Vorreiter sein haben können.“

Josef Kappel

So wie Josef Kappel die Geschichte seines Hofes in Wuschan schildert, zeugt es eher von einem Hinübergleiten von einem vorindustriellen, in sich geschlossenen bäuerlichen System in das biologische Wirtschaftssystem als von einer gravierenden Umstellung, einer Kehrtwendung zurück zu den Naturkreisläufen. In dieser Gegend - der Ort Wuschan liegt in relativer Nähe zu Stainz, etwa 30 Kilometer südlich von Graz – hatte bis in die 1960er Jahre die Modernisierung noch nicht im großen Stil Einzug gehalten. Zur Dosierung des Kunstdüngers in diesen Jahren meint Josef Kappel: „Wenn jemand einmal ein Stamperl Schnaps trinkt, sagt man auch nicht, er ist ein Säufer.“ Auf seinem Hof, vulgo Höllpaul, ging es also weniger um die Entscheidung, von konventionell auf biologisch umzustellen, sondern darum, den Anschluss ans 20. Jahrhundert zu finden und die Entscheidung hieß: Intensivieren und spezialisieren oder biologisch aktivieren. Dass es ab 1969/70 die biologische Variante wurde, ist maßgeblich auf den Einfluss des älteren Bruders Franz zurückzuführen. Wenn Josef Kappel erzählt, dass seine Eltern 1914 geheiratet haben und er der Jüngste von neun Geschwistern ist, davon sechs Brüder, taucht man mit ihm in die Bilder vergangener Zeiten ein und bekommt Einblick, was in diesen Zeiten das Wirtschaften in und mit der Natur geheißen hat. An Getreide wurde die ganze Vielfalt angebaut: Korn, also Roggen, Hafer, Weizen – der sogar verkauft wurde -, Gerste und Mais. Die neun Joch Äcker und elf Joch Wiesen waren uneinheitlich, manche schwierig zu arbeiten, weil sie so steil waren. Neben den Milchkühen, Schweinen und Hühnern auf dem Hof gab es auch noch die Ochsen als Arbeitstiere, die ein kräftigeres Futter, das Ochsenmehl bekamen, das weniger Stroh enthielt als das Kühmehl. Weiters wurden Rüben und Erdäpfel angebaut und allerhand Obst für Säfte und Wein geerntet. Auf dem Hof gab es viele einzelne Teilbereiche der Selbstversorgung. Der Arbeitstag begann um vier Uhr früh und das Jahr hatte für alle Tätigkeiten einen lang erprobten Rhythmus. So wurden im Winter allerlei Holzarbeiten durchgeführt, vom Staudenhacken aus den Wiesen und Wegraine säubern bis hin zum Haselstauden schneiden, um Futterkraxn zu flechten oder auch um Fassreifen

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herzustellen. Aus jungen Fichtenstämmen wurden die Stecken für die Futterhiefel und Harpfenstangen zugerichtet, die später zur Heuernte gebraucht wurden. Das Ackern, das Mistführen, die Aussaat – alles wurde noch mit dem vorgespannten Ochsen gemacht dauerte einige Wochen im Frühjahr. Bald danach fing das Hacken an. Den ganzen Juni wurde Heu gemacht. Anfang Juli, an Petrus, war man damit fertig. Dann wurde als erstes die Gerste gedroschen, in der ganz frühen Zeit noch mit der Hand. Es folgte der Drusch des anderen Getreides, das Erdäpfelgraben und das von Laubrechen, das als Einstreu gebraucht wurde. Im Herbst nach der Ernte wurden die Äcker erneut umgebaut und noch einmal Mist gestreut. Das Jahr ging zu Ende und es war wieder Zeit, Schwendholz, d.h. Brennholz für den Winter zu machen .. Einzelne Begebenheiten und Veränderungen markieren die Jahre. Etwa, dass 1949 ein so schlimmer Hagel die Obstbäume mitgenommen hatte, dass ein einziges Mal gespritzt worden ist, damit sich keine Krankheit ausbreiten konnte. Dass es immer schwieriger wurde, die Arbeit zu bewältigen, denn die Knechte und Tagwerker gingen vom Hof weg und suchten sich wo anders Arbeit. Dass der Traktor die Ochsen ablöste, aber doch wieder nicht geeignet war für die kleineren, oft krummen Ackerflächen. Und dass statt der Arbeitstiere Melkkühe eingestellt wurden und die Milchlieferungen aufgestockt wurden. 1957 hatte Josef Kappel den Hof übernommen. Die älteren Brüder hatten ein Handwerk gelernt bzw. Franz, der nächstältere Bruder, hatte sich im Jahr zuvor dazu entschlossen, eine Anstellung in der Landwirtschaft anzutreten und die Schwestern hatten weggeheiratet. Während die Eltern ein ruhiges Ausgedinge hatten, gründete Josef Kappel mit seiner Frau Christine eine eigene Familie und der Hof ging allmählich einer neuen Entwicklung entgegen. Josef Kappel ist sicher keiner, der auf Teufel-komm-Raus einen Fortschritt erzwingt, aber technische Hilfen wurden nach und nach angeschafft. Ein Bindemäher sorgte für ein flotteres Vorankommen bei der Getreideernte und ab 1962 gewöhnte man die Kühe an die Melkmaschine und erleichterte sich so die Stallarbeit. Ab Mitte der 1960er Jahre ließ Bruder Franz bei seinen Besuchen immer wieder Anregungen für Biolandbau einfließen, die er von den Vorträgen von Dr. Müller mitbrachte und auf seinen Pachtflächen schon anwendete. Von der Grundidee passte dies zu der Praxis auf dem elterlichen Hof und das Interesse war gegeben. Das Verbleiben im natürlichen Kreislauf und ein Wirtschaften ohne wesentliche Betriebsmittelzukäufe waren seriöse Überlegungen. Speziell bei Christine stieß Schwager Franz auf ein offenes Gehör, was den Gesundheitsaspekt und die Ernährung mit biologischen Lebensmitteln anbelangte. Auf einem Landbaukurs hatte sie sich den Informations-Grundstock für den Garten geholt, in der Küche führte sie das selbstgebackene Vollkornbrot ein und die eingebrannten Suppen mussten der Rohkost weichen. Bei einem Treffen in St Marein hatte Josef Kappel schließlich auch Dr. Müller persönlich kennen gelernt, sowohl die Informationen in Richtung bio als auch die praktischen Erfahrungen verdichteten sich, und als 1969/70 die Entscheidung anstand, wie es wirtschaftlich mit dem Betrieb weiter gehen soll, beschloss die Familie, nun endgültig eine rein organisch biologische Landwirtschaft zu betreiben. Wie mit dem Wirtschaftsdünger umzugehen ist, damit sich die Böden verbessern, und Fragen der Bodenbearbeitung musste man erst in den Griff bekommen. Die Brüder Josef Kappel

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bildeten insofern ein Team als Franz Kappel methodische Lösungen anbot und Josef die Umsetzung gewährleistete. 1. Kapitel - Dünger: Auf dem Mistplatz wurden zwei Walme angehäufelt, nach Möglichkeit nicht gar zu lang gelagert und dann ausgebracht. Die Melkmaschine erbrachte eine Zusatzfunktion – mit der Abluft konnte die Jauche belüftet werden. 2. Kapitel - Boden: Die Böden hatten relativ gute Untersuchungswerte was die Belebung anbelangte, waren aber immer durchschnittlich in der Gesamtbewertung. Die neue Düngung bewirkte, dass mehr Futter wuchs, was mehr Kühe bzw. mehr Mist brachte und somit noch mehr Dünger zur Verfügung stand, so wurde der Kreislauf angekurbelt. Ein zusätzlicher Aufschwung diesbezüglich kam aber auch durch neu erworbene Flächen, denn 1975 konnte ein Nachbarhof gekauft werden. 3. Kapitel – Feldarbeit: Auf den Feldern kamen sie manchmal nicht mit dem Hacken nach – dann war das Unkraut ärger und der Ertrag geringer – was sich Christine Kappel sehr zu Herzen nahm. Josef Kappel reagierte da eher mit Gleichmut und blickte ins nächste Jahr voraus, wo es wohl wieder besser sein würde und meint dazu: „Es wär uns nicht in den Sinn gekommen, eine Spritze umzuhängen. Es war uns klar, dass es ohne aggressive Spritzmittel für den Boden das Beste ist.“ Aber er vermied dennoch die krassesten Belastungen und der am meisten für Verunkrautung anfällige Mais wurde sehr reduziert. Beim Getreideanbau verlegte er sich mehr und mehr auf ausgesuchte Brotgetreidesorten und es wurde ein neuer Betriebszweig eröffnet, ab 1975 wurde Vollkornbrot gebacken. Christine Kappel steigerte die wöchentliche Produktion, nachdem auch noch ein neuer Holzbackofen gebaut worden war, auf cirka 250 Brote, die an drei Tagen frisch gebacken wurden. Eine Bäckerei in Graz war ein Hauptabnehmer dafür. Sohn Andreas hat schon als Jugendlicher die Ohren.gespitzt, wenn Onkel Franz die Überlegungen über Biolandbau mitteilte. Er machte konsequent seine landwirtschaftliche Ausbildung bis zum Meister, hatte aber im Jahr 1977 auch drei Monate auf dem Biohof von Fritz Dähler in der Schweiz mitgearbeitet, die ihn eindrucksvoll geprägt haben. Früh schon wurde er zu den Arbeitsgruppentreffen mitgenommen und hörte sich in alle Themen ein. Auch ein Landbaukurs am Möschberg durfte schlussendlich nicht fehlen, um sich der Sache sicher zu sein. Er ist praktisch mit der Familie in den Biolandbau hineingewachsen und interessierte sich derart dafür, dass er sofort bei Gründung des Verbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern mit in den Vorstand aufgenommen wurde. Da war er eben einmal 18 Jahre jung. Damals mussten erst alle losen Interessenten und schon praktizierenden Biobauern ausfindig gemacht und als Verbandsmitglied eingeschrieben werden. Andreas Kappel interessierte sich mehr für die Erstellung der Produktions-Richtlinien und später für die Verarbeitungs-Richtlinien. Daneben wurden dringend anstehende Vermarktungsfragen behandelt, ging es doch darum, Liefergemeinschaften unter den einzelnen Bauern zu bilden, damit auch größere Abnehmer in ausreichender Menge versorgt werden konnten. Als er dann auch den Führerschein gemacht hatte, gab es auch gleich einen Spezialauftrag für ihn: Wenn die aus Leoben stammende Lore Schöner im Auftrag von Martin Ganitzer die Bodenproben von den Bauern nehmen sollte, war Andreas Kappel am Bahnhof Graz zur Stelle und fuhr mit ihr zu den Höfen in der West-Steiermark. Sie machte keine Spatenprobe. Ihr Augenmerk galt der Krümelstruktur, dazu entnahm sie

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Abb. 48: Monika Kappel führt die Tradition des Brotbackens ihrer Schwiegermutter weiter: Einblick in die Backstube

Abb. 49: Direktvermarktung per Zustellung und im kleinen Hofladen in Wuschan.

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mit einer kleinen Schaufel nur an der Oberfläche, etwa fünf Zentimeter tief, etwas vom Erdreich. Sie überließ es dabei den Bauern, die Stelle zur Probenentnahme zu bestimmen. Franz Kappel hatte seinen Neffen schon früh in Sachen Biolandbau unter die Fittiche genommen und auch später, als er als Berater für Biolandbau tätig wurde, nahm er ihn immer wieder zu Betriebsbesichtigungen mit. Das war für den Jungbauern ein persönlicher Gewinn. Franz Kappel hatte aber auch indirekt Einfluss auf den Höllpaul-Hof in Wuschan, auf dem die Umstellung auf Biolandbau nach außen hin so unauffällig vor sich gegangen, dass die Nachbarbauern kaum davon Notiz genommen hatten. Erst durch Zeitungsberichte über ihn als Verbandsobmann und Kammerberater für biologischen Landbau zog man Rückschlüsse von einem Bruder auf den anderen. Als vor einigen Jahren ein Getreidestriegel auf den Hof gebracht worden ist, haben sich alle gewundert über das seltsame Gerät, auch der Händler hatte sich erst erkundigen müssen, was er da bestellen soll. Und als mit dem Brotbacken und mit dem AbHof-Verkauf begonnen worden ist, haben nur einige, mehr Privatkunden, die neue Linie auf dem Hof von Josef Kappel wahrgenommen. Er selber hielt sich immer zurück, machte Biolandbau zu keinem Gesprächsthema im Ort und Werbung zu machen hätte es schon gar nicht gegeben. Der Generationswechsel begann 1987, als Andreas den Hof pachtete und zwei Jahre später übernahm. 1989 war auch das Jahr, in dem er heiratete. Monika Kappel ist geprüfte Hauswirtschaftsberaterin, unterrichtete einige Jahre, identifizierte sich dann aber immer mehr mit den Aufgaben auf dem Bauernhof. So führte sie die Tradition des Brotbackens weiter und ließ sich auch noch zusätzliche Sorten einfallen, für die sie auch schon Prämierungen erhielt. Und sie ging neue Vermarktungswege. Zum einen belieferte sie die Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft in Stainz und zusätzlich begann sie mit Hauszustellungen in ganz Preding, inzwischen an rund 30 Adressen. Sie ist auch eine der Bäuerinnen, die den Party-Service Tischlein-Deck-Dich bestückt. Und ihre letzte Errungenschaft ist ein schmucker, kleiner Hofladen. Das Getreide, das frische Brot und Gebäck, die Milch und Topfen kommt aus eigener Produktion und diverses Gemüse wird von anderen Biobauern beigesteuert. Auf dem Weg von der Backstube über den Hofladen hinauf zum Stall kommt man auch bei einem kleinen Teich vorbei. Der Umlaufstall wurde von Andreas 1992 gebaut, er ist flächenmäßig doppelt so groß wie der alte, aber der Rinderbestand ist nur um ein Drittel aufgestockt worden – sie haben nun eben mehr Platz für ihr Eigenleben. Auch Josef Kappel geht in altgewohnter Regelmäßigkeit in den neuen Stall. Um 6 Uhr früh wird ausgemistet und jeden zweiten Tag führt er den 500-Liter-Tank mit dem Auto hinunter nach Leitersdorf. So gehen die Tage dahin. Und erst jetzt, wo die Brüder alle über 80 Jahre alt sind, haben sie auch hin und wieder Zeit, einander gemütlich zusammenzutreffen, Martin, Franz und Josef Kappel.

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Franz Froschhauser

„23 Jahre organisch-biologisch wirtschaftender Bauer. Erfahrungen und Gedanken von Franz Froschhauser.“ So lautet der Titel einer kleinen Schrift, die Franz Froschhauser 1989 im Eigenverlag herausgab. Auf zwölf Seiten komprimiert er seine Erlebnisse als Biobauer in Holzmannsdorf unweit von St. Marein, wobei er gleich zu Beginn selbst die Frage stellt: „Warum greift ein solcher Bauer plötzlich zum Schreibzeug, um über das zu schreiben, was er mit seiner Familie in diesen Jahren lernen, erfahren und beobachten konnte? – Einerseits ist es die Dankbarkeit über die Freude, die man in dieser Wirtschaftsweise erlebt hat. Dankbarkeit unserem Gott, aber auch allen Menschen gegenüber, denen wir es verdanken, dass wir schon im Jahre 1966 beginnen konnten, organisch-biologisch zu wirtschaften.“ Als zweiten Beweggrund schließt Froschhauser an, dass er den Konsumenten sagen möchte, welche Entwicklung die Landwirtschaft im Lande gemacht hatte. Und so erfreulich er persönlich die Arbeit als Biobauer empfunden hat, so wenig macht er ein Hehl daraus, dass nach seinem Dafürhalten gegen Ende in diesen 23 Jahren einiges im Biolandbau „schief gelaufen oder schief gelenkt“ worden ist. Diese Schrift ist auch zutiefst motiviert vom Gedenken an Dr. Hans Müller, der wenige Monate zuvor, am 5. Dezember 1988, verstarb. Unzweifelhaft war dies der Anlass für ein Nachdenken und Resumieren. Als 100prozentigen Anhänger von Dr. Müller bezeichnet sich Froschhauser sen. selbst und er gilt als der puristischste Verfechter der FrischmistAnwendung. Als solcher hebt er auch gleich auf der ersten Seite einen der wichtigsten Grundsätze Dr. Müllers hervor: Wir düngen nicht die Pflanze – wir füttern und pflegen das Bodenleben! Froschhauser erläutert dann die Prinzipien, die dem Kreislauf des Lebens dienen bzw. welche Eingriffe ihn unterbrechen und lebenswidrige Folgen zeitigen. Dabei lässt er auch persönliche Erlebnisse einfließen und schildert etwa die Beobachtung, dass einige Jahre nachdem auf einem Wildfütterungsplatz in konventioneller Weise erzeugter Mais und Getreide angeboten worden war, dort bei einzelnen jungen Fichten das Wurzelwerk abgefault war und er konnte es einzig als Langzeitwirkung von Giftrückständen auf dem Futterplatz deuten. Durch derlei Exempel, aber auch durch vermehrtes Unkraut in den Wiesen und häufiger auftretender Unfruchtbarkeit bei den Kühen infolge seiner bisherigen Kunstdünger-Wirtschaft, waren Abb. 50: Franz Froschhauser druckte diese Franz Froschhauser sen. und seine Frau empSchrift – seine Erfahrungen mit dem biologischen fänglich geworden für neue Wege. Landbau – 1989 im Eigenverlag. Franz Froschauer

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Kleine Vorgeschichte: In St. Marein gab es die Arztfamilie Dr. Stampfl. Einer der beiden Söhne, Dr. Karl Stampfl, war in Leoben Primar, hatte aber noch guten Kontakt zu St. Marein. Als sich dort einige Bauern für biologischen Landbau interessierten, war das auch ihm zu Ohren gekommen und er wiederum kam mit Herrn Flitsch, Bauer und Tischler im umweit gelegenen Ort Prüfing, über diese Sache ins Gespräch und konnte ihn interessieren. Flitsch wiederum war mit der Familie Froschhauser im Nachbardorf gut bekannt – und so machte die Kunde vom Biolandbau in der Gegend die Runde. Als Anfang Mai 1966 tatsächlich Dr. Müller erstmals der Einladung nach St. Marein folgte, waren sie alle dabei. An die 25 Personen waren dort und für etwa zehn Bauern wurden die Ausführungen über biologischen Landbau zukunftsweisend und bildeten eine kleine Gruppe. Auch Franz Froschhauser sen. und seine Frau fassten den Entschluss, die organisch-biologische Wirtschaftsweise zu versuchen und er schreibt: „So führten wir gleich den restlichen Stapelmist und die Jauche auf die Nutzflächen; auch der restliche Kunstdünger wurde verstreut. Ende Juni 1966 war es so weit.“ Nur Leben erzeugt Leben! Die weiteren Ausführungen Froschhausers stehen im Zeichen dieses Leitsatzes von Dr. Müller und beziehen sich auf die Düngung. Zum einen kritisch bezüglich der ätzenden Wirkung des Mineraldüngers und die Zwangsbeglückung mit Nährstoffen durch dessen Wasserlöslichkeit. Zum anderen richtungsweisend in Bezug auf die Ausbringung von Frischmist bzw. die Wichtigkeit der Sauerstoffzufuhr bei der Lagerung von Mist und Jauche. Er berichtet wie dem Schichtaufbau des Bodens Rechnung getragen wurde, nämlich durch seichten Pflugeinsatz, Geringhaltung der Bodenoberfläche bzw. Bedeckung durch eine Pflanzendecke oder Mistschleier. Der Einsatz von Urgesteinsmehl wurde ihm zu einer Selbstverständlichkeit. Es wurde im Stall täglich über die Einstreu des Viehs gegeben und auf die Nutzflächen verteilt. Sogar die Menge wird recht genau angegeben: ca. 6 Kilo je Ar und Jahr. Über den Ackerbau wird berichtet: „Beim Brot- und Futtergetreide blieben die Erträge ähnlich wie vor der Umstellung. Wenn wir mit dem Unkraut nicht ins Reine kamen, waren die Erträge niedriger. – Bei den Hackfrüchten mussten wir uns an die vorhandenen Arbeitskräfte anpassen: Kartoffeln für den Eigenbedarf, Rüben alle Jahre und in den ersten Jahren auch immer Mais. Dass Hackfrüchte starke Nährstoffzeherer sind, ist bekannt. Sie wurden in der weiten Fruchtfolge immer nach Klee, Wiese oder Gründüngung gesetzt. Dr. Müller hat uns gesagt, der biologische Bauer muss mit seiner Planung immer drei Jahre voraus sein.“ – Erst der gemeinschaftliche Kauf eines 5 Meter breiten Unkrautstriegels Mitte der 80er Jahre brachte Arbeitserleichterung bzw. Effizienz in der Unkrautbekämpfung und bessere Erträge. Besonderes Augenmerk wurde von Anfang an auch dem Hausgarten geschenkt, der sich durch entsprechend schonende Bearbeitung bzw. Düngung, insbesondere Gründüngung erfreulich entwickelte. Die Freude und auch das Staunen über die Wunder des Lebens bringt Franz Froschhauser sen. dann zum Ausdruck, wenn er etwa über die Verwandlungsprozesse von Erde durch den Regenwurm berichtet, nämlich, dass Regenwurmkot 5–7 Mal mehr Stickstoff, 7 Mal mehr Phosphor, 3–11 Mal mehr Kali und 6 Mal mehr Magnesium enthält als die Erde, die dieser – zusammen mit vegetabilen Materialien – zuvor gefressen hatte. Er lässt auch persönliche Eindrücke einfließen. So wurden in seiner Jugendzeit die Kühe 15–20 Jahre

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alt, und man berichtete damals, die älteste bekannte Kuh sei über 46 Jahre alt gewesen. Dem gegenüber stellt er die Statistiken des steirischen Kontrollverbandes, die Ende der 1980er Jahre ein Durchschnittsalter bei Kühen von 6 ½ Jahren aus wiesen – und 2008 findet man Aussagen über 4,6 bis 5,8 Jahren je nach Rasse – bei Milchleistungen von 18.000 bis 20.000 kg Milch (Quelle Internet). Diese lagen bei Froschhauser in den 80er Jahren bei 5,247 kg Milch. Franz Froschhauser jun. war 1966 ein aufgeweckter Bursche von acht Jahren und erinnert sich noch sehr gut an die Begegnungen und Impulse von Dr. Müller. Enormen Wert hatte Müller auf das Verständnis von Gare und Humus gelegt. Er hatte dazu auch die Krümelstruktur samt Lebendverbauung durch die Bodenorganismen skizziert und bei jeder Zusammenkunft die Bauern gefragt: „Wer kann mir erklären, was ist Gare und was ist Humus?“ Das war das zentrale Thema. – Zur gängigen Praxis gehörte bald auch das Entnehmen der Bodenproben durch Lore Schöner, die in Leoben die Vorsitzende des Waerland-Vereines war und sich stark in der Biobauern-Gruppe engagierte. Noch ein Bild hatte Dr. Müller seinen aufmerksamen Bauern mitgegeben: „Die Wiese ist die Mutter des Ackers.“ Demnach sollte nach einigen Jahren Ackerbau über einen gewissen Zeitraum wieder Wiese sein, quasi als Erholung, Regeneration. – Mit der neuen Regel, die Jauche nur mehr bei Schönwetter auszubringen, sorgten die Biobauern bei ihren Nachbarn für Aufsehenr. Was sich diese Biobauern nun wieder denken, wo doch klar ist, dass Jauche ätzt und nicht nur Kleinlebewesen und Pflanzen, sondern auch die empfindlichen Regenwürmer umbringt, wenn nicht frisch fallender Regen während des Ausbringens die Jauche verdünnt. Die konventionellen Bauern mussten erst erfahren, dass die Jauche auf einem Biohof längst zuvor mit Regenwasser verdünnt und zusätzlich belüftet worden ist und deshalb akurat bei trockenem Wetter ausgebracht wurde, um nicht in tiefe Bodenschichten mitgeschwemmt zu werden. Unter den Erinnerungsbildern von Franz Froschhauser jun. findet sich auch dieses: „Was mich wirklich fasziniert hat, ist die Ernährung: Wenig Weißmehl, wenig weißen Zucker, so viel wie möglich roh essen. Gemüse als Hauptspeise und Fleisch nur als Zuspeise.“ – Und noch etwas anderes hat ihn tief beeindruckt, weil es das sonst nicht gegeben hat: „Es war alles ganzheitlich. Niemand sonst in der Landwirtschaft hat auch von Ernährung geredet. Müller hat wirklich den ganzen Menschen gemeint, die Familie und immer auch die Frauen.“ Auch Dr. Müllers Hinweis, dass für die Erzeugung von einer Tonne Reinstickstoff der Energiewert von zwei Tonnen Rohöl benötigt wird, war in den 1970er Jahren unerhört und aufrüttelnd - und ein starkes Argument für eine Landwirtschaft, die ohne den Verbrauch von fossiler Energie auskommt. F. F. jun. ist wie selbstverständlich in das biologische Wirtschaften hineingewachsen. Er hat sich ganz früh für alles Dazugehörige interessiert, hat an den Gruppentreffen teilgenommen und schließlich – Jahre später – auch selbst Kurse über Ackerbau oder Rinderzucht gehalten. Auch in die Jugendarbeit hat er das Biologische eingebunden. Die Familie Froschhauser zählte von Anfang an zur St. Mareiner Gruppe, der ein wesentlicher Schritt gelang: Sie waren die ersten, die – dem Schweizer Vorbild folgend – in einer steirischen Version eine Anbau- und Verkaufsgemeinschaft für ihre biologischen ProFranz Froschauer

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Abb. 51: Das Geschäft in der Koßgasse in Graz, 1980

dukte bildeten. Bauer Flitsch hatte als erster damit begonnen, Apfelsaft selbst zu pressen und direkt an Kunden abzugeben. Dann richtete er einen Ab-Hof-Verkauf für die Biobauern der Gegend ein. Als es gewerberechtliche Probleme gab, sprang die Verwandtschaft ein. Josef Steinkleibel, der Schwager von Froschhauser sen., hatte einen Gewerbeschein und betrieb neben seinem Bauernhof in Kirchbach/Weissenbach auch ein kleines Lebensmittelgeschäft. Auch seine Umstellungsgeschichte ist erwähnenswert: Steinkleibel hatte schon in den 60er Jahren etwas vom biologischen Landbau gehört und sich informiert, aber erst als in den Landwirtschaftlichen Mitteilungen der steirischen Landwirtschaftskammer jemand auf seine Anfrage bezüglich Schädlingen die Auskunft erhielt, er solle einmal vom Stickstoff, vom Kunstdünger, weggehen, da machte er ernst. Frau Steinkleibel hat es noch im Ohr wie er sagte: „Nun schreiben die auch schon darüber. Jetzt geh ich sofort hinaus die Jauchegrube ausleeren und stelle um!“ Von dem Tag an im Jahr 1966 gehörte auch die Familie Steinkleibel zum engen Kreis der St. Mareiner Biobauern. Konsequenterweise wurde die zum Geschäft gehörige Tabaktrafik zugesperrt, sie passte nicht mehr zum biologischen Konzept. Als Flitsch mit dem AbHof-Verkauf aufhörte, konnten die St. Mareiner Steinkleibel überreden, es zu übernehmen. Bald wurde es zu aufwändig, jeden Kunden einzeln abzufertigen, der irgendwann am Tag dastand und sich Getreide oder Erdäpfel holen wollte. Steinkleibl änderte die Strategie und lieferte die Ware an einen zentralen Punkt in die Stadt. 1973 wurde das erste Geschäft in Graz in der Schützenhofgasse eröffnet! Für die Kundschaft ein voller Gewinn. Am Verkaufstag wurde um sieben Uhr aufgesperrt: „Da sind sie

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Abb. 52: Josef Steinkleibl mit Sohn im neu eingericheten Geschäft.

schon Schlange gestanden bis zum Hauseck und beim Abladen haben sie schon von der Kiste die Sachen heraus genommen“, erinnert sich Frau Steinkleibel. „Die Leute sind auf der Stiege vom Geschäft stehen geblieben und haben gesagt: ‚Bei euch ist es lustig – ihr strahlt so etwas Erfreuliches aus.’“ Das Geschäft war mit Kundschaft voll. Für Herrn und Frau Steinkleibel indes war es immer der arbeitsintensivste Tag der Woche: „Wir haben ja selber gemahlen. Wir haben Vollmehl gemacht, Sterzmehl, in Sackerl gefüllt, mit der Hand beschriftet - bis zwei Uhr in der Früh und um vier Uhr ist er fort gefahren.“ Die Tour führte ihn in aller Herrgottsfrühe zuerst zu den anderen Bauern, um frisches Gemüse, Vollkornbrot, Eier und Milch abzuholen. Bis fünf Uhr am Abend hielt Steinkleibl das Geschäft offen. Er betrieb es weitgehend allein und nach einem Verkaufstag, nachdem alles wieder ordentlich aufgeräumt war, kam er meist erst spät wieder nach Hause. Bezüglich der Produktpalette gab es untereinander Absprachen und einen gemeinsamen Anbauplan, so konnte eine gewisse Vielfalt geboten werden. Getreide nahm man auch von Biobauern aus der Buckligen Welt dazu und für weitere Ergänzungen suchte man sich Produzenten. In den eigenen Reihen war man bemüht, vor allem den Gemüsebereich ständig zu erweitern. Der Gemüseanbau war in der Familie Froschhauser ein Knackpunkt, da Franz sen. davon ausging, diesen Bereich nicht ausreichend zu beherrschen. Doch die Zeit lehrte es, flexibel zu sein. Kleineren Betrieben wurde von offizieller Seite dringend geraten, sich zu spezialisieren bzw. sich ein sicheres Standbein zu suchen. Als erstes einigte sich FroschhauFranz Froschauer

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Abb. 53: Frisches Gebäck am Verkaufstag bei Froschhauser – nun kommen die Kunden aus der Umgebung in den Hofladen.

ser mit der Gruppe auf den Anbau von Weißkraut, das dann frisch verkauft bzw. ein Teil zu Sauerkraut verarbeitet wurde. Das Kraut gedieh und nur wenige Jahre später wagte sich Froschhauser auch über den Anbau von Sellerie und Porree. Die Mengen stiegen entsprechend der wachsenden Nachfrage, die Jungpflanzen wurden nach Möglichkeit selbst gezogen und der Anbau in die Fruchtfolge eingebaut. Froschhauser berichtet über zufrieden stellende Erträge und im Einzelfall sogar über eine ungeahnte Regenerationskraft der jungen Krautpflänzchen nach einem schweren – vermeintlich vernichtenden – Hagelschlag. Die Jahre brachten nicht nur Veränderung und Entwicklung, sondern auch Abschiede, die nicht leicht fielen. 1989 war Dr. Müller verstorben und im Jahr darauf erlitt Josef Steinkleibel einen tödlichen Arbeitsunfall und wurde nicht nur aus seiner zwölfköpfigen Familie herausgerissen, sondern an ihm hing auch das Geschäft in Graz. Mit idealistischem Engagement hatte er den bäuerlichen Direktverkauf ins Rollen gebracht. Das war ihm mit vollem Einsatz gelungen. Dafür war er bereit gewesen – wohl mit Helfern – vier Mal den Standort des Geschäftes innerhalb von Graz zu wechseln und immer wieder die Kunden mitzuziehen bzw. neue zu gewinnen. Nach seinem Tod führte Frau Steinkleibel mit einer Tochter das Geschäft noch etwa ein Jahr lang weiter. Die Jahre brachten auch so manche Verunglimpfung und Enttäuschung. Franz Froschhauser sen. will nicht mehr darüber sprechen, aber er hat es sich von der Seele geschrieben. Bei seinem Rückblick bezog er sich auf die öffentlichen Stellen, die sehr früh meinten, sie

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müssten den Biolandbau mit allen Mitteln verhindern. Auch die missbräuchliche Verwendung und das Zerreden der Begriffe „biologisch“, „ökologisch“ und die Konsumenten täuschende Bezeichnung „kontrollierte Produktion“ führte er an. Aber er war auch mit den Vertretern der Biobauern uneins, die sich auf die Festlegung von Richtlinien eingelassen hatten, die seiner Meinung nach „nicht mehr auf Leben aufgebaut sind, sondern nur aussagen, was verwendet werden darf und was nicht.“ Demgegenüber bietet Froschhauser sen. die Lösung dahingehend an: „Wir Menschen werden uns besinnen müssen auf jene Erzeugungsmethoden, die im Plan Gottes grundgelegt sind: Den Kreislauf des Lebendigen!“ Franz Froschhauser jun. hat längst den Betrieb übernommen. Zu den eigenen zehn Hektar wurden die Flächen von Herrn Flitsch dazugenommen. Für die in ihrer Gegend typische klein strukturierte Landwirtschaft setzt sich Froschhauser ein, und er ist und bleibt überzeugter Milchbauer. Seine Frau hat vor einiger Zeit einen hübschen AbHofVerkaufsladen eingerichtet. So veränderte die Zeit die Verhältnisse: In den 70er und 80er Jahren kaufte keiner aus der Umgebung biologische Lebensmittel, heute sind ihre 30 Stammkunden durchweg aus der Gegend. Für diese wird frisches Dinkelgebäck zum Verkaufstag gebacken. Die Bio-Milch gibt es ja ohnehin und auch Frischmilchprodukte werden selbst erzeugt. In diesem Miteinander leben zurzeit drei Generationen Froschhauser auf dem Hof und sowohl der Sohn als auch eine Tochter hätten das Zeug, der nächste Biobauer/die nächste Biobäuerin zu sein.

Michael Haitzmann

„Halb zog sie ihn, halb sank er hin ...“ Die Zeilen Johann W. v. Goethes im Gedicht „Der Fischer“ beschreiben zwei unterschiedlich motivierte Kräfte, die auf das gleiche Ziel ausgerichtet sind. Auf ähnliche Weise kam Michael Haitzmann, dem Stechaubauer in Saalfelden, zur biologischen Landwirtschaft: Einerseits suchte er neue Wege, andererseits kam von außen massiv der Ansporn zur Umstellung auf Biolandbau und er wurde vom Informationsfluss gleichsam überflutet. – Aus Sicht der konventionellen Landwirtschaft konnte man meinen „Da war‘s um ihn geschehn“ bzw. „und ward nicht mehr gesehen“. Umso deutlicher trat er als Biobauer auf – 1964 war er einer der ersten in Salzburg. Michael Haitzmann hatte 1959 den 26 ha Milchwirtschafts-Betrieb übernommen. Seit Mitte der 50er Jahre war er mit Maria verheiratet und der älteste Sohn Michi und die beiden jüngeren Geschwister komplettierten auch schon quirlig die Familie. Nachdem sein Vater früh verstorben war – 1934 war er noch ein kleiner Bub - hatte er zu seinem Großvater mütterlicherseits ein herzliches Verhältnis entwickelt. Von diesem Pionier der Kunstdüngerwirtschaft hatte er wichtige Instruktionen über Mineraldünger aus erster Hand erhalten und parallel dazu aus dessen Büchern auch enorm viel über Wiesenkräuter, Futtergräser und Leguminosen herausgelesen. 1949, gleich nach der Landwirtschaftsschule, hatte er als einer der ersten ein Auslandspraktikum gemacht. Er berichtete darüber öfter in der Salzburger Bauernzeitung und hatte so auch Vorbildwirkung für andere. Als Jungbauer Michael Haitzmann

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betrieb er tendentiell intensive Landwirtschaft, was neben der Gülle vor allem den Einsatz von Thomasmehl bedeutete. Er war Obmann des Absolventenverbandes, engagierte sich im Viehzuchtverband und wurde auch dort später Obmann. Obwohl soweit alles gut lief, empfand sich Michael Haitzmann doch auch als Suchender, er war in mancher Hinsicht nicht zufrieden. So beobachtete er, dass das Vieh lieber bei den Zäunen in den feineren Beständen herumgraste als freudig ins fette Gras mitten in der Wiese zu beißen. Die bunte Vielfalt der Gräser, Kräuter und Leguminosen schwand mehr und mehr. Konkret störte ihn, dass der Wiesenschwingel nicht mehr da war. In dieser Zeit, Mitte der 1960er Jahre, musste sich Haitzmann auch mit einer anderen Person immer wieder auseinandersetzen. Ein Nachbar war begeistertes Mitglied des „Verein natürlichen Lebens“, der 1958 in Salzburg von einer Gruppe naturverbundener Menschen unter dem Namen „Verein zur Forschung und Förderung biologischer Heilverfahren und einer gesunden Lebensweise“ gegründet worden war. Die persönliche Motivation dieses Nachbarn waren schwere gesundheitliche Probleme mit dem Magen. So war er sehr daran interessiert, chemiefreie Lebensmittel aus nächster, verlässlicher Quelle zu erhalten. Er hatte Haitzmann dazu auserkoren und zog ihn nach und nach in die Thematik hinein. Der Stechaubauer hatte zwar verweigert, extra nach Salzburg zu fahren, um den Vortrag Dr. Müllers über die biologische Wirtschaftsweise im Verein natürlichen Lebens zu hören – eigentlich hielt er das alles für Spinnerei oder für eine Art Sekte – aber er hat eingewilligt, sich die Sache anzuhören, wenn Dr. Müller auf seinen Hof in Saalfelden kommt. So fand folgende Begegnung statt: „Müller war eines Tages wirklich hier. Er hat mich loslegen lassen, da war er pädagogisch sehr gut! Zuerst hat er mir zugehört. - Ich war ihm schon gleich sympathisch und er mir auch. Er war so ein väterlicher Typ, so ein alter Herr und ich ein junger Spritziger.“ Sichtlich amüsiert schilderte Haitzmann diese Szene, die leider niemand filmisch festgehalten hat. „Dr. Müller hat dann das Wort ergriffen und sagte: ‚Michael, jetzt hat hab ich dir zugehört – jetzt musst du mir einmal zuhören.’ Dann hat er mir über die Biogenossenschaft und die Betriebe in der Schweiz erzählt. Das hat mich schon interessiert. – Er musste wieder weg, hat mir aber ein paar Schriften da gelassen und gesagt: ‚Michael, ich komme wieder! In drei, vier Wochen muss ich wieder nach Salzburf. Lies dir das durch, mach dir deine Gedanken, dann reden wir weiter.“ Dr. Müller kam tatsächlich wieder und die beiden setzten ihren Diskurs fort, wobei Michael Haitzmann nach der Lektüre schon weit interessierter war und auch sein Vertrauen weit gefestigter war. Ein Fundament dazu hatte allerdings gleich zu Beginn die Schilderung über Müllers Dissertation „Wie kommt das Leben auf den Fels?“ gelegt, da er selbst gern in die Berge ging und dieses Phänomen hinterfragt hatte. Aber auch in den Ebenen der Stechau gab es noch Fragen genug. Anreiz für den jungen Bauern war weniger, dass er sich die Kosten für den Handelsdünger erspart, es war ihm eher ein Rätsel, wie ohne Thomasmehl gute Erträge erzielt werden sollten? Den Schritt zur Umstellung wollte er erst machen, nachdem er gesehen hat, dass die Sache in der Praxis funktioniert. Dazu musste er in die Schweiz fahren. Klarerweise musste es in der Vegetationszeit sein und klarerweise war das genau die Schwierigkeit – wann konnte er für einige Tage die Frau mit den Kindern allein im Betrieb lassen?

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Im Juli 1964 war es schließlich so weit und Haitzmann überzeugte sich fünf Tage lang auf mehreren Betrieben, allen voran bei Fritz Dähler in Noflen, was sich im Getreidebau, bei Hackfrucht und Gemüse und in der Viehwirtschaft mit biologischer Bewirtschaftung zuwege bringen ließ: Es war alles in bester Ordnung und ermutigte ihn zur Umstellung. Eine erste Maßnahme wurde die Frischmistdüngung, ergänzt durch Steinmehl, das er aus Irmending in Bayern bezog, wobei Steinmehl etwas übertrieben ist, vielmehr handelte es sich um 0,2er Sand. Dem Bodenleben hat es trotzdem „geschmeckt“ – der Klee kam wieder in die Wiesen! Da konnte er es auch leichter wegstecken, dass andere Bauern, die ihn beobachteten und vor allem solche, die ihn als seriös und mit beiden Füßen auf dem Boden stehend kannten, meinten: „Jetzt spinnt der Michi!“ Die eigene Lektüre wurde erweitert und auch die Zusammenkünfte in der Biobauerngruppe halfen, rascher an Erfahrung zu gewinnen. Der erste kleine Kreis bestand aus Müllner Schurl, dem Hühnerbauern von St. Martin – einer der Pioniere, Walter Eiböck im benachbarten Leogang – und Maria Steinhauser war immer dabei. Dazu brachte Martin Ganitzer erprobte Anweisungen als Gartenbesitzer ein, die hatten ihr Gutes, aber auch ihre Grenzen. Denn für einen Landwirt geht doch alles in größere Dimensionen und muss vom Arbeitsaufwand anders eingeschätzt werden. Der wesentlichste Unterschied lag aber darin, dass beim Bauern die wirtschaftliche Existenz vom Milch- bzw. Ernteertrag abhängt – der Hausgarten bleibt Privatvergnügen. So sorgte auch dies für Diskussionsstoff. Generell besprach man sich über die Bodenkenntnis durch die Spatenprobe, über technische Hilfskonstruktionen im Stall und zur Mistbehandlung oder über die gemeinsame Beschaffung von Gesteinmehl, das damals aus Kärnten geholt wurde, u.v.m. Michael Haitzmann fand aber auch seine ganz auf sich gestellten Lösungen. Etwa wollte er doch zu gern wissen, ob das Diabas-Gestein aus Saalfelden sich auch als Steinmehl eignet, es wäre quasi vor der Haustüre. Kurzerhand nahm er also eine Probe mit und schickte sie ins Mineralogische Institut nach Wien. Analysewerte: Fast identisch mit der mineralischen Zusammensetzung des Nilschlamms. Kostenpunkt: 3000 Schilling. Faktum: Diesen Betrag hätte er sich sparen können, denn die Analyse lag bereits beim Direktor des Saalfeldner Werks in der Schreibtischlade. Fazit und Trost: Haitzmann konnte sich beste Qualität Gesteinsmehl künftig aus nächster Umgebung gratis abholen. Haitzmann ging also seinen Weg und setzte sein Beispiel, ganz im Sinne Dr. Müllers, ohne viel am Dorfbrunnen zu erzählen. Besprochen hat er die Dinge dennoch. Dr. Libiseller von der Landwirtschaftlich-Chemischen Bundesversuchsanstalt Wien zählte wiederholt zu den Sommergästen auf dem Hof und war sehr interessiert an der neuen landwirtschaftlichen Praxis. Immerhin war er beruflich damit beschäftigt, die Ursachen der rätselhaften Weidekrankheit (Enzootische Kalzinose) herauszufinden, wo Zusammenhänge mit der Beschaffenheit der Futterweiden vermutet wurden. Ebenso verfolgte der Rektor der Hochschule für Bodenkultur, Prof. Herbert Franz, wohlwollend und bestärkend den Fortgang der Umstellung. Und auch neugierige Schauer kamen, allerdings nicht immer positiv eingestellt. Ein ganz kritischer war Ing. Fill von der Düngerberatungsstelle in Innsbruck, der auch überraschend auftauchte und alles musterte, sich erkundigte und dann für sich nachrechnete. Eines Tages, nach einigen Jahren, kam er und sagte: „Herr Haitzmann, was ich Michael Haitzmann

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Abb.54: Gerhard Plakolm mit Michael Haitzmann im Gespräch, Michael H. jun. hört aufmerksam mit (Bild Mitte)

bei dir jetzt mitverfolgt habe, da muss ich dir gestehen, dass ich auf dem falschen Posten bin.“ Nach mehrmaliger Prüfung und Analyse im Vergleich konventionell:biologisch hatte er seine Position als offizieller Vertreter der chemischen Düngung revidiert! Als er kurz darauf in Hohenems Direktor der Landwirtschaftsschule wurde, lud er Michael Haitzmann öfter zu Vorträgen ein und unternahm mit den Schülern Exkursionen nach Saalfelden. Aber wirklich gefreut hat Michael Haitzmann, dass ihm Direktor Fill das Buch „Der Mistapostel“ mit der Widmung „... als Dank für vieljährige Unterweisung im Biolandbau“ überreicht hat. Auch Sohn Michael hat es der Biolandbau angetan, er ist praktisch hineingewachsen. Noch halb ein Bub machte er ein Jahr Praktikum bei Fritz Dähler in der Schweiz, dessen Betrieb schon Jahre zuvor den Vater so beeindruckt hatte. Die Erfahrungen beim Gemüsespezialisten Dähler waren so beeindruckend, dass er sie später auch in Saalfelden umsetzen wollte – wenn auch der Boden und das Klima für Gemüseanbau nicht optimal waren. Obwohl alle davon abrieten, wurde ihm genehmigt, ein Viertel Hektar umzubrechen – 10 Ar für Gemüse und 20 Ar für Erdäpfel. Das Abraten hatte seine Berechtigung, tatsächlich hat vieles nicht auf Anhieb geklappt. Aber mit Ausdauer hat sich der Erfolg eingestellt. War damals die Erntemenge von 1000 Kilo Erdäpfel eine „Wahnsinnsvorstellung“, so werden heute 50.000 Kilo produziert und vermarktet. – Ach ja, die Vermarktung. Mit dem Gemüse kam auch der Ab-Hof-Verkauf. Bisher wurden die Milch und das Fleisch

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konventionell vermarktet. Aber nach und nach kamen mehr Kunden, auch von weit her, etwa von Kitzbühel oder aus Linz, und holten sich frische, biologische Produkte. Das hat sich inzwischen geändert und die Nahversorgung in der Region steht im Mittelpunkt. Eine persönliche Herausforderung war es, die eigene Scheu zu überwinden und seine taufrischen BioProdukte – Salat etwa – auch der Gastronomie anzubieten und einen gebührenden Preis zu verlangen. „Manchmal hätte man lieber alles hergeschenkt, als etwas dafür zu verlangen.“ lautet der lakonisch-ironische Kommentar seiner Mutter dazu und Michael ergänzt, dass es bisweilen wirklich harte Überlegungen gibt, ob man etwas völlig unter seinem Wert anbietet (und dann generell den Preis kaputt macht) oder lieber gar nicht auf den Markt bringt. Das Thema der Vermarktung hatte er schon früh auch von anderer Seite kennen gelernt. 1978, zu seinem 20. Geburtstag, war er bei einem Biobauern-Treffen in St. Virgil in Salzburg, an dem auch die Filmemacher Voitl und Guggenberger engagiert teilnahmen, denn es ging um Vorbereitungen für die geplante Gründung eines eigenständigen Verbandes. In diesem neuen Verband sollten neben einer soliden Basis für die Produktion auch Strategien für die Vermarktung ausgearbeitet werden. Sie hatten zwar das Vorbild der Schweizerischen AVG (Anbau Verwertungs-Genossenschaft Galmitz), wollten aber eine den österreichischen Verhältnissen entsprechende Vertriebsstruktur finden. Für viele bedeutete dies damals in erster Linie Direktverkauf ab Hof oder auf Bauernmärkten. – Der Preis für diese angestrebte eigenständige Entwicklung war allerdings der Bruch mit Dr. Müller. Als dieser von der „Abtrünnigkeit“ einiger seiner Biobauern erfuhr – zu denen die sonst hochgeschätzten Haitzmanns zählten – konnte er dies nicht akzeptieren und wandte sich ab. Auch Michael Haitzmann Junior hat schon einen Junior. Seit zwei Jahren ist Martin Haitzmann auf dem Hof voll eingebunden und noch im Herbst 2009 steht die Hochzeit bevor. Bis jetzt geht die Braut noch einem anderen Beruf nach, wächst aber mehr und mehr in den Biobetrieb hinein. Dass das Familienglück und auch der Betriebserfolg ohne die Frauen nicht denkbar ist, das weiß man in der Familie Haitzmann, und man weiß es auch zu schätzen. Bis jetzt haben sich auch immer Frauen gefunden, die die Bio-Idee mit Elan mitgetragen haben. So kann Michael Haitzmann Senior ganz ruhig nach vorn blicken und auch zurück. Er hat vieles in die Wege geleitet, auf seinem Hof die Bio-Ära begründet, im Rinder-Zuchtverband und im Raiffeisen-Aufsichtsrat als Obmann sein Know-How eingebracht, hat einen Kirchenbau im Ort organisiert und tatkräftig in vielen Arbeitsstunden mitgeholfen. Nun in der Pension konnte er endlich wirklich seinen Hobbies fröhnen: Bergsteigen und Schifahren. Dabei entdeckte er wahre „Bodenschätze“, von denen er nach all den Jahren weiß: „Auf den Boden, aufs Bodenleben muss man enorm schauen. Das ist ungemein viel wert. Wenn ich das Bodenleben hab – kann ich fast die Hände in den Schoß legen.“

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Forsthuber Elfriede und Peter

Seekirchen am Wallersee erlebte in den 1960er Jahren einen vorher nicht gekannten touristischen Aufschwung durch das neue Seebad. Die angemeldeten Sommergäste wurden von Jugendlichen mit Blumensträußchen und Liedern am Bahnhof in Empfang genommen, Heimatabende wurden veranstaltet, die Seekirchner boten Gastlichkeit pur. Familie Forsthuber war voll dabei: Peter und Elfriede Forsthuber betrieben seit ihrer Hochzeit 1952 die kleine Landwirtschaft hauptsächlich zum Eigenbedarf, sie nahmen aber auch zahlreiche kulturelle Aufgaben wahr. Peter, der gelernte Schuhmachermeister, war als Obmann der Flachgauer Heimatvereinigungen sehr aktiv und auch als Tanzleiter viel unterwegs. Elfi hat sich die Kunst des Goldhauben-Sticken angeeignet und mit Geschick viele der begehrten Stücke fabriziert. Die vier Söhne bildeten eine reizende Stubenmusik und spielten für die Feriengäste, die ihrerseits beeindruckt, ja begeistert waren. So sehr, dass eines Abends ein Besucher aus Bremerhaven mit auf den Hof kam. Es sollte ein wichtiger Abend mit Folgen für die Forsthubers werden, denn der Gast erzählte über die biologischdynamische Wirtschaftsweise, schwärmte davon, dass er durch diese in seinem Garten keine Kartoffelkäfer hatte und lobte die Wirkungen vom Gesteinsmehl, wie er es nannte, über alles. Das war 1966. Das Interesse war geweckt und gelegentlich erzählte Peter Forsthuber im Bekanntenkreis über diese „Geschichte“. Dabei erfuhr er, dass in der Nachbarschaft so ein Steinmehl-Haufen gelagert wurde. Rasch konnte er mit dem Bauern die Vereinbarung treffen, dass er zu Probezwecken eine Charge abholen kann. Den Versuch wollte man wagen, es kostete nichts. Der Zufälle nicht genug, war am vereinbarten Tag der Abholung auch Martin Ganitzer aus Salzburg auf dem Hof, der Experte in Sachen biologischer Landbau, wenn auch von der organisch-biologischen Richtung. Durch diese Begegnung war nun endgültig der Weg geebnet, sich eingehend mit Biolandbau auseinanderzusetzen. Peter und Elfriede Forsthuber hörten die Vorträge von Dr. Müller, dem Begründer der biologisch-organischen Methode, in Salzburg, sie lernten dort andere Interessenten kennen, besichtigten andere biologisch bewirtschaftete Höfe, beide besuchten den Einführungs-Kurs auf dem Möschberg in der Schweiz – und stellten selbst um. Zu dieser Zeit bauten Forsthubers noch Getreide sowohl für Futterzwecke als auch als Brotgetreide an, der Anbau von Karotten, Kartoffeln, Zwiebeln wurde ausgedehnt, denn Ganitzer stand nicht nur mit Rat und Tat zur Seite, sondern vermittelte auch immer wieder Kundschaft. Das übliche Prozedere war folgendermaßen, berichtet Elfi Forsthuber: „Die Kundschaften, die das Gemüse und Getreide wollten, kamen im Herbst. Zu Beginn haben wir ihnen das Getreide auch vermahlen und eingelagert. Damals haben Familien unter der Terrasse ihr Getreide eingelagert, die haben nicht nur ein oder zwei Kilo gekauft, die haben im Herbst zehn Kilo Karotten und 200 Kilo Kartoffel gekauft. Ich hab die Einnahmen im Herbst gehabt – übers Jahr nichts.“ Während des Jahres gab es nur die Einkünfte aus den Milchlieferungen und wenn Peter Forsthuber Schusterarbeiten übernahm. Die Umstellung bedeutete erheblich höheren Arbeitsaufwand, da die Unkrautbekämpfung händisch gemacht werden musste. Einfallsreichtum half Kosten sparen, so wurde der

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Kunstdüngerstreuer so umgebaut, dass er zur Ausbringung von Gesteinsmehl verwendet werden konnte. Erst nachdem eine Sämaschine und ein Gerät zur Unkrautbekämpfung angeschafft wurden, kam es auch zu einer Erleichterung in der Feldarbeit. Das Gerät entfernte nun wohl Unkräuter zwischen den Zeilen, zwischen den Pflanzen musste nach wie vor händisch gehackt werden. Und die Erdäpfelkäfer waren doch nicht verschwunden... Die Beschäftigung mit dem biologischen Landbau zog es auch nach sich, dass der Blick auf ein gesundes Leben generell gelenkt wurde. Insofern wurde auch die Ernährung auf vollwertige Speisen umgestellt. Damals gab es ja noch nicht so viele Möglichkeiten wie heute, aber man verwendete z. B. Honig statt Zucker. Erstaunlicherweise schmeckte es den Kindern besser als dem Ehemann, der „das grobe Zeug“ nicht so schätzte. Doch Elfriede Forsthuber konnte sich auch auf Kompromisse einlassen, es wurde auch weißes Mehl verwendet. Im Übrigen war man ja an bester Quelle, die Hühner, das Schwein, die Kühe bekamen ausschließlich Biofutter und im Hausgarten konnte man nach Anweisung des erfahrenen Martin Ganitzer das Gemüse ziehen. Manchmal brauchten die Forsthubers allerdings extra gute Nerven und einen langen Atem. Etwa wenn ein Kunde 1000 kg Karotten bestellt hatte, aber zum Liefertermin angab, dass er sie doch nicht braucht. In den Anfangsjahren gab es weder einen organisierten Vertrieb noch eine geregelte Nachfrage. Zusätzlich zu den Privatkunden wurden einzelne Reformhäuser kontaktiert. Und es gab unerwartete Sonderabnehmer. Einmal kamen 100 kg Bio-Karotten ganz unorthodox einem kranken Stier zugute, dessen Besitzer ein intensiver Kunstdüngerbauer war. Nachdem ihm aber sein Tierarzt aufgetragen hatte, er müsse dem kranken Tier biologische Karotten verfüttern, stand eines Tages in der Tür und fragte an. Aber es war ein Auf und Ab. Ein anderes Mal, als eine größere Menge Zwiebel für eine Heilanstalt geordert wurde, scheiterte die Abnahme am Streit zwischen Primar und Koch über Möglichkeit und Sinn der Verwendung. Es war die Zeit Mitte oder schon gegen Ende der 1970er Jahre, als Forsthubers dringend neue Vertriebsstrukturen suchten. Der engagierte Kollege Prenninger führte im Hofladen am Erentrudishof in Salzburg Bioprodukte ein. Das bot neue, spannende Möglichkeiten und die Zusammenarbeit beruhte auf dem Austausch von praktischer Hilfe gegen Sachleistungen. Auch die Natur selber hatte Herausforderungen parat. Nach einigen Jahren, in denen die Karotten prächtig gewachsen waren, schlich sich die Kräuselkrankheit ein, was Ernteeinbußen nach sich zog. Damals hatte man noch nicht für jedes Unkraut bzw. Pflanzenkrankheit ein probates Mittel herausgefunden. Melde, Franzosenkraut – das „Knopferlkraut“ – oder Ampfer waren im Gespräch und man versuchte, von Kollegen oder aus der Literatur geeignete Gegenmaßnahmen zu erfahren. Von den Bauern, die sich halbjährlich im Höllbräu zu den Vorträgen von Dr. Müller trafen, wurden nach und nach regionale Gruppen gebildet, die sich zu – meist monatlichen – Treffen, Hofbesichtigungen und Erfahrungsaustausch zusammen fanden. Das konnte in Gottsreit, Köllersberg, im Gsperr oder bei sich zu Haus sein, einer aus der Gruppe lud immer für das nächste Treffen ein. Als nach einigen Jahren schließlich ein eigener Biobauern-Verband gegründet wurde, was nicht ganz reibungslos vor sich gegangen ist, erinnert sich Elfi Forsthuber vage, wählte Forsthuber Elfriede und Peter

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man sie zur ersten Schriftführerin. Ihre Protokolle sind ihr nicht mehr zugänglich, aber einige Fragestellungen sind ihr gut im Gedächtnis. Die Preisgestaltung spaltete in diesen Jahren die Gemüter. Den Vorgaben von Dr. Müller entsprechend wurde einerseits ein niedriger Endverbraucher-Preis angestrebt, damit die biologischen Lebensmittel allen erschwinglich sein können. Aus den Reihen der österreichischen Biobauern kamen andererseits Bestrebungen, einen gerechten, etwas höheren Preis für die vielen Leistungen zu erhalten, die in biologischen Produkten steckten. Für die Direktvermarkter bot z. B. der Salzburger Schrannenmarkt Orientierung. Der höchste Preis für konventionelle Ware wurAbb. 55: „Perlenschnüre“ nennt Peter Forsthuber beglückt de auf die Bioprodukte übertragen. und staunend das heranreifende Wunder der Natur – die In den Debatten im Ausschuss biologisch gezogenen Cherrytomaten in den Folientunnels ging es auch immer wieder darum, von Sohn Otto. sich gegenüber unsachgemäßen Darstellungen und Kontroversen mit der Kunstdünger-Wirtschaft zu positionieren, erinnert sich Elfriede Forsthuber. Es ging noch nicht so sehr um die Beanspruchung von Förderungen, sondern um die grundsätzliche Anerkennung: Die Biobauern wollten nicht abgewertet werden. 1989 wurde schließlich der Hof an Sohn Otto und seine Frau übergeben. In gutem Vertrauen, denn beide sind anständige, gläubige Menschen, fachlich gut ausgebildet und interessiert. So ist inzwischen auch der Mondkalender in Gebrauch, eine breite Palette an Gemüse wird angebaut, z. T. auch im Folientunnel. Ein Hofladen wurde eingerichtet und regelmäßig wird ein Marktstand betreut. Peter und Elfriede Forsthuber haben sich rechtzeitig ihr „Austrag“, ihr neues Zuhause gebaut, gleich neben dem lange selbst bewohnten Bauernhaus. Einige Möbelstücke stammen aus Elfriedes Elternhaus in Klosterneuburg, von wo die Offizierstochter im 2. Weltkrieg mit der Familie fliehen musste. Davor - in den kargen 1930er Jahren – hatten sie in Klosterneuburg einen großen Garten zur Versorgung der siebenköpfigen Familie bzw. weil dem Vater aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit im Freien geraten worden war. An Früchten und Gemüse gab es „alles“, sogar Himbeeren und Spargel, die älteren der fünf Kinder übten das Mähen und an zwei Ziegen konnte das Melken erprobt werden. Trotz

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aller Härte der äußeren Umstände ein fast idyllischer Rahmen für jemand wie Elfriede, die sich schon damals für Landwirtschaft interessierte. In den Kriegswirren landete sie im Salzburgischen und kam auf einem Bauernhof unter. In dieser Umgebung lernte sie ihren späteren Mann beim Dreschen kennen, bei den herbstlichen Abdruschfesten gab es doch immer ein geselliges Beisammensein. So mischen sich vielfältig die Erinnerungs-Bilder von bäuerlicher und kunstfertiger Hausarbeit, von festlichen Anlässen, Brauchtum und Neuanfängen der Biobäuerin Elfriede Forsthuber.

Hubert Falkinger

„Dazumals“ – und die 1960er Jahre sind gar nicht so lange her – „gehörte der Hof der Familie Falkinger mit seinen 9 Hektar Ackerland, 13 Hektar Grünland und 6 Hektar Wald zu den größeren in der Gemeinde Putzleinsdorf im Mühlviertel, jetzt ist das eher durchschnittlich.“ Hubert Falkinger erläutert die Fakten zu seinem Hof und fügt an: „Aber die Größe sagt eh nix aus.“ Aussagekräftiger erachtet er die Tatsache, dass der Vater ab den 1950er Jahren mit der Tierzucht sehr erfolgreich war. Das war auch wichtig angesichts einer zwölfköpfigen Familie, in die Hubert hineingeboren wurde. In der weiteren Folge erfährt man dann, was wirklich wichtig ist: Einen Hof biologisch zu bewirtschaften - und wie er zu diesem Schluss kommt. Die ersten Erzählungen über die biologische Wirtschaftsweise gehen in das Jahr 1971 oder 72 zurück, er war etwa 22 Jahre alt und auf Kur in Bad Gastein. Dass der junge Bauer auf Kur geht mag verwundern, solange man nicht weiß, dass er als Jugendlicher für den Güterweg im Steinbruch zwei Winter lang roboten gehen musste, dazumals, und sich dabei Kreuzschmerzen einhandelte. In Gastein war auch Luise Reinmüller aus Neukirchen an der Vöckla, damals schon eingefleischte Biobäuerin und Gründungsmitglied der Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum. Im jungen Falkinger fand sie einen aufgeschlossenen Gesprächspartner für die alternative Landwirtschaft. Diese Denkart und Zielsetzung war ihm gar nicht so fremd, denn er war in der Katholischen Jugend aktiv und da waren die Themen der Entwicklungshilfe, Plantagenanlagen mit hohem Pestizideinsatz und die Transportproblematik schon ein Begriff. In den kommenden Jahren hörte er sich Vorträge über den organisch-biologischen Landbau an. Als 1975 bei der Versammlung der Förderungsgemeinschaft auch zwei Bauern aus seinem Bekanntenkreis aus dem Mühlviertel da waren, bekam die Sache noch mehr Gewicht. Im November 1976 fuhr er sogar nach Wien, wo Gerhard Plakolm an der BOKU die erste Veranstaltung über biologischen Landbau organisiert hatte und Franz Fischler die Abschlussdiskussion leitete. Dort merkte er schließlich die Schubkraft des Biolandbaus, nämlich dass nicht mehr nur Praxisberichte vorgebracht wurden, sondern auch wissenschaftliche Belege vorlagen. Er selbst experimentierte bereits am Hof vereinzelt mit der biologischen Methode. Es war auch ohne willkürliche landwirtschaftliche Neuerungen eine wechselvolle Zeit. Der Vater war 1973 gestorben. Schon zwei Jahre zuvor hatte Hubert den Hof gepachtet und Hubert Falkinger

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mit der Mutter bewirtschaftet. Daneben hatte er mit anderen Bauern einen Maschinenring gegründet, den er in den folgenden Jahren auch leitete. Insofern stand er mit 50 bis 60 Bauernkollegen laufend in Kontakt. Wie reagierten diese denn auf den Biobauern? Falkinger umreißt sein damaliges Selbstbild: „Ich war in der Katholischen Jugend ziemlich aktiv. Die kannten mich also und da hat man es mir einfach abgenommen, dass ich anders bin. – Obwohl ich schon ein ordentlicher Bauer hätte sein sollen, weil ja der Vater schon gestorben ist. Man hat es mir zugestanden, dass ich auf den Feldern etwas anderes mache.“ In Bezug auf den Biolandbau war ja keine radikale Umstellung nötig. Im Mühlviertel generell und ebenso auch im elterlichen Betrieb hat man nicht so viel Kunstdünger gestreut wie in Gunstlagen. Vielmehr lag der Hauptreiz für Hubert Falkinger darin, etwas anderes zu machen – und etwas, wo der persönliche Beitrag, die eigene Einschätzung und Verantwortung wichtig sind. Da war es ihm schon lieber, entscheiden zu müssen, wann der richtige Zeitpunkt ist, mit dem Unkrautstriegel zu fahren als nur mehr die Entscheidung zu haben, ob er 250 oder 300 Liter Nitromonkal auf seine Flächen ausbringt. Obwohl er die Umstellung vorsichtig anfing, lernte er bald auch massiv die alten Gegenspieler kennen, die Unkräuter. Nicht nur einmal machte er die Erfahrung, dass die „Beikräuter“ die Oberhand über die Ackerfrucht gewannen und musste auf den geplanten Ertrag verzichten. Das bemerkten auch die Nachbarn und fragten insgeheim bei der Mutter nach, was denn da passiert sei, das könne doch nicht gut sein. Man ließ ihr gegenüber auch durchblicken, dass sich das eigentlich nicht gehört, den schönen Betrieb des Vaters so zu vernachlässigen. Die Mutter fing all diese Zuflüsterungen ab - sie verstand nicht nur das Vorgehen ihres Sohnes, sie unterstützte sogar seine Neuerungen mit Improvisationstalent. Bevor es eine Getreidemühle im Haus gab, wurde das Mehl für das Vollkornbrot in einer Getreidequetsche, die eigentlich für das Futter bestimmt ist, ausgesiebt. Hubert Falkinger behielt sich bis 1977 die eiserne Reserve Herbizid vor und spritzte in diesem Jahr ein letztes Mal 3 Hektar Getreide. – In dem Jahr, in dem er seine Marianne heiratete, wollte er doch keine Missernte riskieren. Dass er aber längst vom Biolandbau überzeugt ist, bewies er noch im selben Jahr mit einer anderen Initiative. Für den Absolventenverband der Landwirtschaftlichen Berufsschule Schlägl, wo Falkinger seine Ausbildung erhalten hatte, organisierte er für die Fachtagung einen Beitrag über die biologische Wirtschaftsweise und sorgte für Aufmerksamkeit in der Bauernschaft und in deren Medien. Sein Pressetext zur Tagung wurde wortgleich sowohl in den OÖ Kammernachrichten als auch im OÖ Bauernbündler abgedruckt, allerdings mit dem markanten Unterschied, dass im Kammerblatt die Passage über den Biolandbau – der halbe Artikel – fehlte. Das war ein Fall für Falkinger, der unverzüglich mit dem zuständigen Redakteur telefonierte und durchsetzte, dass dieser Teil in der folgenden Nummer nachgeliefert wird. Ab 1978 wurde auf dem Falkinger Hof definitiv nach den vorgegebenen Richtlinien der Förderungsgemeinschaft gewirtschaftet. Auf Gemeinschaftsebene war diese Zeit aber auch die „heiße Phase“ vor der Gründung des Verbandes biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs im folgenden Jahr, der aus der personell breiter angelegten Förderungsgemeinschaft hervorging.

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Abb. 56: Der mit 5000 Schilling dotierte Umweltschutzpreis des Landes Oberösterreich im Jahr 1988 ging an den OÖ Landesverband der organisch-biologisch wirtschaftenden Bauern Österreichs. Hubert Falkinger: „Uns geht es nicht ums Geld, wir freuen uns, dass unsere Wirtschaftweise positiv bewertet wird.“

Die erwähnte Episode mit den Medien kann schon als ein Omen für die nächsten zwei Jahrzehnte interpretiert werden. Hubert Falkinger wurde 1980 Obmann-Stellvertreter für Oberösterreich im eben geschaffenen Biobauernverband. Ein wesentlicher Bestandteil der Aufgabe war es, Öffentlichkeitsarbeit und Lobbying in den eigenen Reihen zu betreiben, d.h. den Kontakt und eine Gesprächsbasis mit den Bauernvertretern in der Kammer herzustellen. Es ging um eine Anerkennung als gleichwertige Gruppe von Bauern, die aufgrund von Fakten bewertet wird und nicht einfach mit Vorurteilen abgetan wird.

Hubert Falkinger

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Von Förderung oder gar Unterstützung wollten die Biobauern nichts wissen, man fühlte sich schließlich stark genug als dass man Subventionen gebraucht hätte: Prämien für die erbrachten Leistungen hätte man gern gesehen oder die Finanzierung rein organisatorischer Angelegenheiten. An solchen Spitzfindigkeiten und Präzisierungen wurde gefeilt und um sie gab es ein Tauziehen. Schließlich wurde erreicht, dass von der Kammer ein erster Büroplatz für eine offizielle Vertretung der Biobauern zur Verfügung gestellt wurde. Diese Art von Kooperation wurde gern in Anspruch genommen. Parallel dazu liefen die Verhandlungen wegen der Richtlinien für Pflanzenbau und der Aufbau eines Kontrollsystems, das Mitte der 80er Jahre verbandsintern aufgebaut wurde. Die Kontrollen wurden vor allem als erstes Prüf-Instrument bei Neuaufnahmen nach der zweijährigen Umstellungszeit notwendig und nicht – wie es später meist gesehen wurde – als Garantie für Konsumenten eingesetzt. Das neu geschaffene Gütesiegel des Verbandes, das einwandfreie BioQualität zusichert, stellte Falkinger 1985 über die Medien einer breiteren Öffentlichkeit vor, z.B. in der Mühlviertler Rundschau. Eine Portion lustvollen Kampfgeist in dieser Zeit spürt man auch in einem SeminarTitel wie „Unser Boden – das Wichtigste zwischen Himmel und Hölle“, den Hubert Falkinger mit Genuss zitiert. Obwohl er sonst als Biobauernvertreter eher zurückhaltend und moderat auftrat, aber nachhaltig wirkte. In seiner ersten Zeit als Landes-Obmann kam dem Bio-Verband beachtliche anerkennende Aufmerksamkeit zu, als ihm 1988 der Oberösterreichische Umweltschutz-Preis zuerkannt wurde. Zu dieser Zeit gab es im Mühlviertel bereits 80 Biobauern und in ganz Oberösterreich 140, deren Obmann Falkinger und seine frisch eingesetzte Geschäftsführerin Maria Dachs den medialen Aufschwung auch nützten. Nicht oft genug konnte man Postition beziehen und biologisch gegen Trittbrettfahrer à la „naturnah“, „gesund“, „ungespritzt“, „ökologisch“ usw. abzugrenzen. Wobei zu Maria Dachs speziell zu bemerken ist, dass es damals an ein Wunder grenzte, eine Frau, eine Frau Magister, als Kammerangestellte an die Spitze des Biolandbaus zu setzen. Ein großes Anliegen des Obmanns waren auch die Richtlinien für die Tierhaltung. Ebenso zeugen diverse Presseberichte von seinen Aktivitäten wie etwa die Einführung von BioProdukten in die Maxi-Märkte. Bis 1997 war Hubert Falkinger Landesobmann in Oberösterreich, als solcher auch im Bundes-Vorstand oder Aufsichtsrat und auch Vorsitzender der Gruppe biologischer Landbau in der Präsidentenkonferenz. Ah ja, und seit 21 Jahren ist er Obmann der Musikkapelle, bei der er seit 45 Jahren Tenorhorn bläst. – Was will man mehr? „Dass die Menschen der Arbeit des Bauern die gebührende Wertschätzung entgegenbringen“ wünscht sich Hubert Falkinger.

Toni Riser

1972 in der Tiroler Landwirtschaftskammer. Aus Zeitmangel fragte der Jungbauer Toni Riser bei Ing. Josef Willi, dem Leiter der Fachausbildungsstelle, um eine Sondergenehmigung zur Belegung des Meisterkurses und für die landwirtschaftliche Meisterprüfung. Der 22-Jährige hatte vor zwei Jahren den gemischten Zwölf-Hektar-Betrieb der Eltern in

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Obsteig übernommen und hatte alle Hände voll zu tun. Der Vater hatte ihm absolut freie Hand gelassen, alles umzusetzen, was der Musterschüler in der Landwirtschaftsschule gelernt hatte. Toni nützte diese Chance und zeigte, was er kann: Er wurde Bundessieger eines Düngewettbewerbs der Stickstoffwerke Linz. Gleichzeitig war er bereits Ortsbauern-Obmann und er war Betriebsleiters der Seilbahn. Offiziell fehlte nur noch die Meisterprüfung und selbst diese Formalitäten hatte er in der Unterredung mit Ing. Willi nun eigentlich erledigt. Doch in diesem Moment ereilt ihn die Frage: „Was halten Sie vom Biolandbau?“ Willi wollte wissen, was ein junger, fortschrittlicher Bauer vom Biolandbau hält. „Es wäre für mich ein Rückschritt!“, lautete Risers Antwort. Ing. Willi entließ ihn mit aufstachelndwissender Miene. Toni Riser wurde hellhörig und beschloss, sich genauer zu informieren, um in Zukunft in solchen Fragen triftige Gegenargumente zu haben. Im Zuge seiner Recherchen stieß er dann auf die Lehrbriefe, die Ing. Willi ab 1975 zum Biolandbau herausgab. Sie fruchteten. Riser stellte nicht nur seinen Betrieb auf biologische Landwirtschaft samt Direktvermarktung um, als Spätwerk läßt er sein Know-How als Gutsverwalter in die Fachschule Imst einfließen. So sehr Toni Riser in den ersten fünf Jahren nach der Betriebsübernahme intensiv mit Kunstdünger probierte, so sehr experimentierte er nach dem Entdecken der Lehrbriefe auch mit biologischen Maßnahmen – heimlich, denn da wollte er schon auf Nummer sicher gehen. Dabei leistete seine angeborene Wissbegier wieder vollen Einsatz. Schon als Fünfjähriger hatte er die verschiedenen Getreidesorten beim Keimen auf dem Feld erkannt, den Roggen, die Gerste. Später schaute er öfter beim Lagerhalter des Lagerhauses in die Säcke und kannte bald alle Futtermischungen – nicht nur mit dem Namen, sondern wie die rohen Körner schmeckten. Auch den Geschmack von Futtermelasse hat er sich auf der Zunge zergehen lassen. Als Biobauer säte er dann in einem Jahr auf dem Acker zur Bodenverbesserung ein Resele-Gemenge aus Ackerbohnen, Wicken und Hafer. Dadurch wurde allerdings aus der Heimlichkeit seiner Testphase für die benachbarten Bauern eher etwas Unheimliches: Soviel „Unkraut“ bei Toni Riser, der doch sonst das alles voll im Griff hat, das war unbegreiflich. Niemand kannte die Ackerbohne. Im Jahr darauf reicherte Riser diese Mischung noch mit alles überragenden, leuchtenden Sonnenblumen an, da war die „Unkrautfrage“ rasch geklärt. Parallel dazu wurde streng kalkuliert. 40 Kilo Reinstickstoff auf einen Hektar ergab auf den Wiesen traumhafte Erfolge. Aber nach zwei Jahren mussten es schon 80 Kilo sein, und das hätte so immer gesteigert werden müssen. Zu diesen Berechnungen erinnert sich Riser, dass ein Sack Stickstoff-Dünger 120 Schilling gekostet hat, das entsprach etwa dem Lohn für acht Arbeitsstunden. Zu den Ertragssteigerungen hatte er sich mit der konzentrierten N-Düngung aber auch Goldhafer-Wiesen „erdüngt“. Goldhafer indes bewirkt Fruchtbarkeitsstörungen und er hatte in den Wiesen bereits bis zu 80 Prozent Goldhafer bemerkt. Und die besagten Fruchtbarkeitsstörungen waren in letzter Zeit auch eingetreten, von acht Kühen wurden nur vier trächtig. All das gefiel ihm gar nicht. Vielmehr bereitete es der biologischen Alternative den Weg. Wie anders klang da die These, dass die natürliche Mineralisierung von Stickstoff im Boden bei 10 ppm aufhört, – alles was an künstlichen Mineralstoffen dazugeben wird, Toni Riser

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macht die Arbeit der Bodenbakterien zunichte. Die Lösung im biologischen Landbau heißt folglich, die natürliche Stickstoff-Nachlieferung durch die Bodenbakterien zu nützen und zu fördern, um zu vergleichbaren Werten zu kommen. Das wurde Risers Wegweiser. Hartnäckiger Knackpunkt war der Mais, bei dem Toni Riser sich über einige Jahre nicht durchringen konnte, ohne Pestizide auszukommen. „Faulheit ist der stille Vater des Fortschritts.“ Ohne nähere Erläuterung traut man Riser diesen Ausspruch nicht zu. „Ich wollt mich nicht dazu hergeben, ein Hektar händisch durchzugehen oder der Frau und den Kindern zu sagen: Raus in den Acker, wir müssen vier Tage hacken. Da muss es technische Möglichkeiten geben, sonst ist es ein Rückschritt.“ Aber es kam nicht der technische Fortschritt, es kamen die Raben: „Drei- bis vierhundert Kolkraben sind auf den Acker eingefallen - ein Hektar Mais - die sind so intelligent und pickten Korn für Korn unter dem spitzenden Mais die Kerne heraus. Neunzig Prozent wurden eliminiert. Damit hatte ich in einem Jahr keinen Silomais. Was hab ich gemacht?! Eine Luzerne-Gras-Mischung angebaut. Das brachte gleich viel Ertrag und ich hatte im Stall keine Einbußen.“ Somit war der Maisanbau kein Thema mehr. Bald gehörte Toni Riser fix zur Gruppe der rund zwanzig Biobauern in Tirol, auch wenn er sich dort eher als der Wirtschafts-Rebell unter Ideologen und Fundamentalisten fühlte. Erfahrung sammeln war ihm dabei wichtiger als Bekennertum. Erst als er sich absolut sicher fühlte, den Herausforderungen des Biolandbaus gewachsen zu sein, nach nicht ganz zehn Jahren Erprobungszeit, trat er 1982 dem Tiroler Landesverband der organischbiologisch wirtschaftenden Bauern bei und bekam die Betriebsnummer 1014. Aber Achtung, da steckt eine Idee von Ing. Willi dahinter, der bei der Gründung des Verbandes 1979/80 unbedingt dafür plädiert hatte, dass man mit Tausend beginnen müsse, denn welches Auftreten, welche Bedeutung würde man einem Grüppchen von zehn oder zwanzig Biobauern zugestehen?! Als Pioniersleistung sieht Toni Riser vor allem seine Innovation bei der Vermarktung, genau genommen bei der Verpackung. Als Direktvermarkter mit einem Frischangebot von Milch, frischem Fleisch, selbstgebackenem Brot und Kartoffeln unterlag er der allgemeinen Kennzeichnungspflicht bei abgepackter Ware. Seine Erfindung ist hier die „Umhüllung“. Wenn nämlich Fleisch in einem Nylonsack, dessen Öffnung einfach einmal abschließend zusammengeklappt und ohne besonderen Verschluss angeboten wird, so erspart man sich als Anbieter aufwändige Beschriftungen auf der Verpackung. All das scheint lange her. Auch Toni Riser hat den Hof schon vor Jahren an seinen Sohn Andreas, seines Zeichens Landwirtschaftsmeister und Fleischermeister, übergeben. Die bewirtschaftete Fläche ist bereits mehr als doppelt so groß. Im Jahr werden 15 Rinder und 50 Schweine geschlachtet und alles geht in Direktvermarktung über den Ladentisch. Um das eigene Warenangebot zu erweitern, ging man Kooperationen, z.B. mit einer BioKäserei, ein. Und all das lässt auf eine starke Frau hinter den erfolgreichen Männern schließen. Richtig, es ist Luise Riser. Obwohl sie gar nicht aus der Landwirtschaft stammt, sondern gelernte Friseuse ist, hat sie sich in ihre Rolle auf dem Hof bestens drein gefunden, wobei ihr aber auch vollends zugute kommt, auch Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft

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zu sein. Neben der Erziehung der drei Söhne und Führung des Haushaltes hält sie noch zwölf Fremdenzimmer für Gäste bereit. Bei Sohn und Hofübernehmer Andreas ist noch offen, wer seine „Luise“ wird – nach dem Vorbild der Mutter ist da auch ein Quereinstieg möglich. Toni Riser selbst hat sich einer neuen Aufgabe verschrieben. Als Gutsverwalter des Lehrbetriebes der Landwirtschaftlichen Landeslehranstalt Imst will er offiziell nachweisen, dass die biologische Landwirtschaft langfristig die bessere Wirtschaftsweise ist. Seine langjährige Praxis war auch ausschlaggebend für diesen Posten. So fließt sein Pioniergeist aktuell z.B. in die Rinderzucht ein. In Kooperation mit interessierten Stellen hat er ein Projekt mit Grauvieh in Freiland-Mutterkuhhaltung“ ins Leben gerufen, das „Be Free Grauvieh“, das dieser Rinderrasse im alpinen Bereich wieder seine ursprüngliche Bedeutung geben könnte. Auch in der BioAustria gehört Toni Riser zum Vorstands-Team. Er hat auch sehr für ihr Zustandekommen gekämpft. Und er hält auch nicht damit hinterm Berg, dass seine Gegner nicht zu beneiden sind, wenn er sich etwas in den Kopf setzt. Soviel Selbsterkenntnis hat er übrigens auch, um von sich sagen zu können: „Wenn ich einen Job angenommen habe, dann nur mit Führungskompetenz.“ – Reine Machtlust? Nein, Toni Riser will etwas bewegen können und er kam zur Einsicht: „Man muss auch nachgeben können und einsehen, wenn etwas nicht zu realisieren ist.“ – dabei denkt er an den langen Weg zu einem Biomilchprojekt mit der Tirolmilch. Und es folgt das Resumée, dass Macht sowieso das schlimmste Bestreben sei, das man haben kann. Lachen ist ihm wichtig, auch über sich selbst. Es ist alles nichts wert, nicht die schönsten BioProdukte, wenn man dabei das Lachen verlernt. Zu dieser lebensfrohen, heiteren Seite gehören sicherlich auch sein Hang zum Kulinarischen und die Musik. Immerhin ist er seit 50 Jahren bei der Blasmusik und Luise Riser ist Chorsängerin. Aus der ernsteren Ecke der Lebenseinstellungen kommt eine Haltung, die er von seinem Vater übernommen hat, nämlich dass es vernünftiger ist, auf den Betriebserfolg, auf das Ganze, zu achten als auf den einzelnen Züchtungserfolg. Das war auch ideal kompatibel mit den Zielsetzungen des Biolandbaus. Im Biolandbau geht es nicht um Maximierung, sondern um Optimierung – für alle Beteiligten vom Regenwurm bis zur Kuh. In seiner eigenen Vaterrolle will er seinen Kindern vermitteln, dass wir in Europa auf der reicheren Seite der Welt geboren sind und nicht überlegen müssen, ob wir am nächsten Tag genug zu essen haben. Das ist Reichtum. Immer wieder geht es bei Toni Riser um Ausgleich. Wohl, die besten gehen voran, ist er überzeugt. Aber man muss denen helfen, die zurückbleiben und die bremsen, die grad zu groß werden. Und was menschliche Kraft nicht ausgleichen kann, das muss im Jenseits erreicht werden – sonst macht alles keinen Sinn.

Toni Riser

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Nagiller Rudolf und Martha

„Die Spritzmittel – ich hab die nie riechen können. Die sind mir immer unheimlich vorgekommen. Vielleicht bin ich da überempfindlich, ich weiß es nicht. Das war für mich eine Welt, – wo ich immer vom Gefühl her gewusst hab, das kann nicht das Richtige sein.“ Rudolf Nagiller ringt förmlich nach Worten für dieses Bekenntnis, für die Beschreibung seiner Situation damals in den 1960er und 70er Jahren. So einfach, so instinktiv richtig, so praktisch dieses G’spür als Wegweiser zum biologischen Landbau war, so unpraktisch, unmodern, eigenbrötlerisch war es in dieser Zeit der Modernisierung der Agrarwirtschaft. Persönliche Empfindungen sind an sich schwer zu erklären – geschweige denn, wenn sie aus der Reihe tanzen. Der Nagiller-Hof liegt mitten in Aldrans, einem Haufendorf auf sonnigen 780 m Seehöhe oberhalb von Innsbruck. Auf halbem Weg kommt man bei Schloss Ambras vorbei. Rudolf kam hier 1946 zur Welt und wuchs in das bäuerliche Umfeld hinein. Auch damals schon gehörten zum Betrieb sieben Hektar Grünland, das Weide und Futter für sieben bis acht Kühe bot, acht Hektar Wald und dazu wurden noch drei Hektar Flächen gepachtet. Als Kind konnte er in einer Vielfalt an Pflanzen, Kräutern und Gräsern schwelgen, auch allerlei Käfer, Bienen und Schmetterlinge durchzogen seine Welt. In späteren Sommern hatte die Mutter gerne Feriengäste in den Zimmern im ersten Stock und auch für die Winter-Olympiade 1964 waren die Stuben bereit. Inzwischen hatte sich der Vater die Arbeit erleichtert, indem er bei Erdäpfeln, bei Getreide und Mais gegen das Unkraut die neu angebotenen Spritzmittel einsetzte, die sich als enorm effektiv erwiesen. Mitte der 60er Jahre lernte auch Rudolf in der Schule, bevor er die Meisterprüfung ablegte, eine Landbewirtschaftung kennen, in der Kunstdünger die Hauptrolle spielte und die Spritzmittel dazu – all das „Zeug“, das ihn eigentlich gar nicht interessierte. Er hat auch nie Kunstdünger gekauft, er hat auch seine Flächen nie für die angebotenen Versuchsprogramme hergegeben, da hätten dann die Erträge genau abgewogen hätten werden müssen etc. All das unbewusste Sträuben bekam mit einem Mal eine neue Basis, ja Rechtfertigung. Zufällig – d.h. der konkrete Anlass ist einfach nicht mehr erinnerlich – besuchte Rudolf Nagiller 1976 einen Vortrag von Dr. Bruker über gesunde, Natur belassene, vollwertige Ernährung. Dabei wurde auch auf die Erzeugung solcher Lebensmittel eingegangen inklusive einzelner Hinweise über Tierhaltung. Das war alles in sich schlüssig und Nagiller war bereit, sich solche Kost zu besorgen. Frage: Wo bekommt er das alles? – Im Reformhaus! – Die Antwort war nicht wirklich zielführend, denn diese waren damals so selten wie Apotheken. Vielmehr war diese Auskunft eine Aufforderung an ihn selbst, sich als Bauer selbst gesunde Lebensmittel zu erzeugen. Für Rudolf Nagiller stand demnach fest, dass er von den Betriebsmitteln – Düngemittel, Spritzmittel, Futtermittel – wegkommen wollte, von all diesen Abhängigkeiten. Seinen genauen Beobachtungen war auch nicht entgangen, eher ist es ihm zu seinem Leidwesen aufgefallen, dass die Vielfalt an Feldblumen und bei den Insekten weniger geworden ist und die Pflanzen und Tiere immer kränker geworden sind. Er war etwa 30 Jahre alt und hatte den Hof noch nicht übernommen, so hatte er auch

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Abb. 57: Eine Rübe sagt mehr als tausend Worte... Rudolf Nagiller vor staunenden jungen Landwirten.

Abb. 58: So sieht der Gemüsebau „in echt“ aus, 2007

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noch nicht freie Hand, die Ideen aus dem Vortrag gleich im folgenden Frühjahr umzusetzen. Aber er konnte mit seinem Vater einen Kompromiss aushandeln: „Wir hatten einen Kartoffelacker, den wollte ich dann gleich nicht mehr spritzen. Da war der Vater aber ganz dagegen. Der meinte, wir ersticken sonst im Unkraut. So kamen wir zu der Einigung: Einen Acker spitzen, einen Acker nicht spritzen. Der Unterschied war zu meinen Gunsten – es waren eher mehr Erdäpfel, sie waren schöner und es waren keine grünen dabei. Seither war keine Diskussion mehr.“ 1977 bezeichnet Nagiller als sein Umstellungsjahr. Er startete eine Reihe von Lupinen-Versuchen, genau genommen waren es Versuche Abb. 59: Der Beitrag Rudolf Nagillers für das Studienzenin jeglicher Hinsicht. Erdäpfel-Sortrum für Agrarökologie (Ing. Willi). Beratungsschrift Nr. ten wurden auf Ertragssicherheit, 5 Mischkulturenanbei bei Kartoffeln, Futterrüben und Haltbarkeit usw. ausgetestet, imFeldgemüse mer nur einige kleine Partien. Aus der ehemaligen Versuchsanstalt in Rinn bekam er alte Getreidesorten, z. B. eine Gerste, die sehr spät reift und eine ganz frühe Weizensorte. Mit denen experimentierte er. Und darüber hinaus hieß die Devise: Viel lesen, viel schauen, viel ausprobieren. Von Anfang an war ihm auch klar gewesen, dass es wohl nicht angehen wird, einfach alles an chemischen Zusätzen wegzulassen und sonst gleich weiter zu wirtschaften. Er musste den Gesamtzusammenhang erfassen: Gute Ernten, richtige Düngung, den Wasserhaushalt, Pflanzen-Symbiosen. Ein Grundsatz wurde die Vielfalt. Dabei faszinierte ihn das Prinzip der Mischkultur, die Logik dahinter, dass sich die Pflanzen ergänzen als Bodenbedecker, Nährstofflieferanten und –Verbraucher, in der Ausnutzung der Sonneneinstrahlung und nicht zu vergessen bei der Durchwurzelung des Bodens. Letztere sei ein Spiegel des Pflanzenaufbaues über dem Boden in Volumen, Tiefe bzw. Höhe und Dichte. „Das ist ein stufenweiser Aufbau - niedere Pflanzen, mittlere und höhere Pflanzen. Wie’s überm Boden ausschaut – so schaut es unterm Boden aus.“ So einfach ist die Gleichung Rudolf Nagillers und unwillkürlich zuckt einem jenes „wie oben so unten“ durch den Kopf, das auf Hermes Trismegistos zurückgeführt wird, ohne Rudolf Nagiller philosophische Referenzen nachtragen zu müssen, denn er baut sich sein Welt- und Naturbild schon selber. Und

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die Auswirkungen kann man schließlich auch miterleben. Seine Nachbar-Bauern und die Leute aus dem Dorf wurden zu (un)freiwilligen Zeugen seiner außergewöhnlichen, teilweise pittoresken Anbaupläne. Aufmerksame Begleiterin ist ihm nun doch schon seit vielen Jahren Martha, die von einem anderen Bauernhof hierher geheiratet hat. So sehr sie Rudolf mit seinen Praktiken unterstützte so sehr weist sie auch auf anfängliche Misserfolge hin. Und sie gebot dem „unendlichen Probieren“ ihres Mannes auch bisweilen Einhalt, weil ihr auch das Ausmaß der Mehrarbeit von vornherein bewusst war. Ganz positiv trug sie hingegen die Expansion des Gemüseanbaues mit. Wurden zu Anfang 50 m2 für den Eigenbedarf der Großfamilie („Wir sind Gemüsefanatiker“) angepflanzt, so wurde bald auf 500 m2 und zuletzt auf beachtliche drei Hektar erweitert. Diese Entwicklung ist verständlich, wenn man den kleinen Hofladen kennt. Auch schon zu Vaters Zeiten gab es Erdäpfelkundschaft, aber Martha Nagiller hat sehr bald nach der Umstellung auf Biolandbau mit der Vermarktung der verschiedenen Gemüse begonnen – und es gedeiht inzwischen sehr vieles, bis hin zu Broccoli, Zucchini, Topinambur und Pastinaken. Der Anbau wird immer auch auf die Kundenwünsche abgestimmt. Aus eigener Produktion gibt es nun schon seit 20 Jahren frische Eier, Gemüse der Saison, Getreide und Brot, gelegentlich auch Fleisch. Das kann ein halbes Kalb sein, ein Schwein, Hühner oder eine Ziege, selten auch ein Ziegenkitz. Die Stammkunden sind schon bestens eingewöhnt, für alle neuen Interessenten gibt die Bio Austria-Tafel beim Hofeingang die Verkaufszeiten an: Freitag von 15 bis 19 Uhr. Eine frühe Kontaktperson für Rudolf Nagiller war Ing. Josef Willi von der Tiroler Landwirtschaftskammer, der ihm vor allem beim Verkauf seiner Bioprodukte behilflich war. Für Willis Schriftenreihe am Studienzentrum für Agrarökologie verfasste Rudolf Nagiller die Beratungsschrift Nr. 5 mit dem Thema „Der Mischkulturenanbau bei Kartoffeln, Futterrüben und Feldgemüse“. Und noch etwas verband ihn mit Ing. Willi: Dieser schickte ihm viele Exkursionen an den Hof. Tatsächlich hat Rudolf Nagiller all die Versuche, Vergleiche und Sorten-Auslese aus 30 und mehr Praxis-Jahren im Kopf und kann sehr viel an Erfahrung preisgeben. In ihm ist alles gespeichert und die eingeprägten Bilder abrufbar. Aufschreiben will er es nicht. Irgendwie ist es schon sehr speziell, wie Rudolf Nagiller sein Bauer-Sein austariert. Weil er es als arge Unsitte empfindet, dass in seiner Umgebung so viel Erdreich verschoben und planiert wird oder sogar Bäche zugeschüttet werden, fühlt er sich berufen, ja geradezu verpflichtet, hier ausgleichend einzugreifen und in seinem Areal Biotope zu schaffen. Im Zuge dessen hat er auch schon einen kleinen Teich angelegt. Aus seiner Sicht sind solche Nivellierungen zerstörerische Vorgangsweisen und für ihn gehen dadurch auch alte Kraftplätze verloren. So nimmt er im Gegenzug Steinsetzungen vor, um förderliche Energien wieder zu stabilisieren. Er fühlt diese Dinge einfach. Sein Sohn Martin, der den Hof übernehmen wird, hat auch diese Fühligkeit. Schlagen die beiden total aus der Art oder liegt es in der Familie? Nun ja, wenn man der Sache nachgeht, kann man schon feststellen, dass bereits Rudolfs Vater einen Hang zur Medizin hatte und Sanitäter im Krieg war. Die älteste Schwester von Rudolf Nagiller wurde Krankenschwester und die drei Brüder sind alle Ärzte, ein namhafter Herzchirurg ist unter ihnen. Also die Ambition zu heilendem Nagiller Rudolf und Martha

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Abb. 60: Lagergemüse naturgekühlt.

Abb. 61: Spezieller Service: Das Kalb wird im Handkarren mit der Mutterkuh zur Weide gebracht.

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Abb. 62: Muttersau

Wirken ist hier schon deutlich bemerkbar. Martha Nagiller trägt ihres zur Tradition bei. Jedes Jahr sammelt sie die verschiedenen Sorten Kräutertees, Lindenblüte, Holunderblüte und viele mehr für den Hausgebrauch. Zu guter Letzt die Frage nach Wünschen, Anregungen oder Beschwerden? – Martha kann sich ein Leben ohne derart viel Bürokratie als Biobäurin bestens vorstellen und Rudolf Nagiller hat die Vision, dass Tirol als eine geschlossene Bio-Region in der Welt vorbildlich heraus sticht.

Peter Amann

Kennen Sie Laurentius von Schnifis? Nein?! Er hat zum Beispiel „Wunderschön prächtige ...“, das Marienlied, verfasst. Peter Amann hat mehrere geschichtsträchtige Referenzen zu seinem Heimatort parat, in dem er 1941 geboren wurde. Der rätoromanische Name senobio (seno-bio!) weist auf einen Kraftort, eine Quelle hin. Im Nachbarort Röns wurde die älteste Urkunde Österreichs entdeckt - usw. Beim Psychotherapeuten und Biobauern Amann schwingt auch Stolz mit, in diesem Ort aufgewachsen zu sein, in dem trotz der beengten Lebensverhältnisse bei den (Kleinst-)Bauern sich ein vielfältiges Kulturleben, Gemeinschaftswesen und sogar Individualismus entwickeln konnte. Dennoch wollte er weg, nur nicht auf dem Hof bleiben, auf dem er bis zum 23. Lebensjahr ohne eigenen Verdienst Peter Amann

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mitarbeiten musste. Sie waren zehn Geschwister, von den neun Buben haben sieben die Kindheit überlebt und sechs davon studiert, er ist einer von ihnen. Ursprünglich wollte er Katholischer Priester werden, so leben wie Franz von Assisi: Einfach und naturverbunden. Die Realität sah vorerst noch ganz anders aus. Nach der landwirtschaftlichen Fachschule in den 1960er Jahren griff Peter Amann wirtschaftlich massiv in den elterlichen Betrieb ein. Er, der noch in einer Zeit aufgewachsen ist, wo „alles“ am Hof selbst erzeugt wurde, von der Schafwolle bis zu den Handtüchern aus Hanf, wo noch die gemeinsame Dorftränke für die Tiere bestand, er düngte nun die Weiden der sechs ha umfassenden Landwirtschaft mit Kunstdünger auf, dass die Erträge binnen kurzem auf das Dreifache stiegen, auch die Schweinezucht und die eigene Mast brachten hervorragende Erfolge und Gewinne. Den Vater störte all das Neue gewaltig, der Mutter war es recht, sie konnte das Geld gut gebrauchen, damit die Geschwister studieren konnten und Amann selbst sinniert darüber: „Ich war der erste ‚Giftler‘ im Ort in den Sechziger Jahren. Nach der landwirtschaftlichen Fachschule – als guter Schüler will man glänzen, indem man umsetzt, was man gelernt hat. Viel Nitromonkal hab ich gestreut. Eine Koppel war Weidebetrieb und sieben im Wachstum. Sieben mal drei Tage, 21 bis 28 Tage war ein Turnus. Das Gras war ja doppelt so hoch, als wenn man nicht gestreut ha. Superstar. Giftler. Da hat man hat die Landwirtschaft vorwärts gebracht im Ort. Alle sind nach mir umgestiegen!“ Was ihn damals freute und ihm Anerkennung brachte, entlockt heute Amann ein: „Leider“, denn seiner späteren Weiterentwicklung zur biologischen Landwirtschaft folgten sie nicht mehr so willig. Amann war noch jung und voller Elan. Der Absprung vom Hof gelang 1964. Erste Station war in Horn das Spätberufenenseminar, dem er wegen mangelnder Askese der Kirche den Rücken kehrte und nach Wien übersiedelte. Hier studierte er Pädagogik im Hauptfach, weiters Philosophie, Soziologie, Psychologie und Theologie. Er lernte das Leben im Studentenheim und in Wohngemeinschaften kennen, er spürte die Aufbruchstimmung dieser Zeit, das Kämpferische, die Ideologie der Linken – und all das hatte ihm gefallen. Was nicht heißt, dass er Schnifis vollends den Rücken gekehrt hätte. Zur Heuernte war er stets zu Hause. Bis Mitte der 70er Jahre ging das so, 1975 hatte er die Diplomarbeit fertig. Ganz auf den Hof zurück kam er erst 1978, eine Therapie-Idee war spruchreif geworden: Der Bauernhof ist besser als jede Klinik. Es gab kein konkretes therapeutisches Vorbild, wenngleich bei Viktor Frankl der Sinn im Leben eine große Rolle spielt und das auch ein Aspekt bei Amanns Überlegungen war, nämlich: „Ein Bauernhof ist eine große Chance für gescheiterte junge Menschen. Hier finden sie einen Restbestand von Tradition und Instinktsicherheit. Man lebt mit dem Jahresrhythmus, – wenn auch abgeschwächt, so sind die Impulse noch da.“ Ab 1978 nahm er Klienten aus den Jugendhäusern aus der Stadt Feldkirch und den umliegenden Dörfern auf den Hof. Hier übten sie durch Mitarbeit im Stall, beim Heumachen, im Haushalt oder Heimwerken ihre Integration in ein soziales Gefüge ein – oder auch Sinnfindung. Auch andere Mitbewohner, meist Aussteiger und Sinnsucher kamen mit dieser Motivation auf den Betrieb. Amann nannte sie „Aktiv-Urlauber“. Das Konzept war einfach: Freie Kost und Logis bei vier Stunden Arbeitsleistung. Überstunden wurden bezahlt. Dahinter steckte eine Umkehr-Logik, denn er wäre selbst sehr gern weggefahren, um sich ferne Länder und Kulturen anzusehen. Doch seine Kühe waren da nicht

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so flexibel, die konnte er nicht mitnehmen. Aber die Leute konnten zu ihm kommen: „Von je weiter weg die Leute kamen, umso lieber war es mir, Afrikaner, Kalifornier, Koreaner, eine Chinesin, fünf Mädchen aus Israel, auch aus Deutschland, – das war das Faszinosum.“ Mit 41 Jahren war seine Verbindung mit dem Hof doch so weit gediehen, dass Peter Amann 1982 den Hof übernahm. Mit 80 Jahren wollte sein Vater Klarheit in der Nachfolge, entweder jemand aus der Familie bleibt oder er stellt ihn anderwärts zur Verfügung, etwa für Vietnam-Flüchtlinge. Peter stieg ein unter der Bedingung, frei schalten und walten zu können. Das war insofern notwendig, als er auf Weideochsen umstellen wollte und somit die Milchkühe nach und nach zur Schlachtung kamen. Und er wollte seine Klienten weiter am Hof haben. Amann hatte weitläufig Bekannte, so auch einen blinden Künstler, der einen wunderschönen Bio-Garten vorzeigen konnte. Dieser machte ihn auf das Buch „Gärtnern, Ackern: ohne Gift“ von Alwin Seifert aufmerksam – die Lektüre wurde zu einem Schlüsselerlebnis. Amann machte sich auf die Suche nach Praktikern, und bekam Adressen von Biobauern. Im Jahr 1984 überschnitt sich alles. Das Studium holte ihn noch einmal ein. Sein Professor hielt ein Dissertanten-Seminar in verlockender Nähe am Bodensee ab. Happy-go-lucky lernte Amann dort seine spätere Frau Bernadette kennen, die aus Freiburg im Breisgau zum Seminar kam. Und gleich im Anschluss an die transzendental-philosophischen Lektionen besuchten sie gemeinsam eine Versammlung von Vorarlberger Biobauern. In deren Atmosphäre fühlte sich Amann in der Bioidee bestärkt und holte sich wertvolle praktische Anregungen. Bereits 1985 baute Peter Amann den ersten Laufstall Vorarlbergs – den er gegen den Widerstand der Behörden erst durchsetzen musste. Vereinzelt gab es bereits Kunden, die von seinem Weideochsen-Fleisch begeistert waren. Die Abnehmer erhielten das Fleisch direkt nach der Schlachtung in Zehn-Kilo-Misch-Paketen, wobei auf einen Knochenanteil von zweieinhalb Kilo im Sinne einer vollständigen Verwertung des Tieres großer Wert gelegt wurde. Zum Bekanntenkreis gehörte auch der Journalist Mag. Werner Kräutler, der Neffe von Bischof Erwin Kräutler, und andere Grün-Bewegte, die tatkräftig an der Verbreitung der Idee mithalfen. Daraus entwickelten sich Hoffeste, die einen weiteren Stammkundenkreis nach sich zogen. Bei all diesen Aktionen stand der unmittelbare Kontakt, das Gespräch, die Anteilnahme im Vordergrund, kurz: Die Verbindung KonsumentProduzent. Gleichzeitig waren die Käufer auch seine Kontrollore am Hof. Aber es ließ sich auch Geld verdienen, die Pakete hatten erst einen Kilopreis von 80,-- Schilling, der nach einigen Jahren bis 130,-- Schilling angehoben wurde. 1988 war diese Praxis soweit ins Rollen gekommen, dass die KOPRA – die Konsumenten-Produzenten-Arbeitsgemeinschaft – ins Leben gerufen wurde. Im Vordergrund standen hohe Standards bei der Tierhaltung und die Stärkung der Bergbauern durch eine enge Verflechtung von Erzeugern und Verbrauchern. 1992 wurde die KOPRA ein anerkannter Bioverband. Als erster Obmann war Peter Amann weiterhin ein unerbittlicher Verfechter dieser Grundprinzipien und brachte bei Vereinsgründung 500 Kundenadressen ein. Es wurde ein kurzes Intermezzo, da sich intern die Auffassung über die Abwicklung der Geschäfte zu sehr von seinen Vorgaben entfernte. Jahre später, ab 2006, bildet die KOPRA Peter Amann

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Abb. 63: Die Bergbauern, Oktober 1983

nach langen, kontroversiellen Auseinandersetzungen mit dem Parallel- bzw. KonkurrenzBiobauern-Verband „Ernte“ eine spannende Symbiose als Verein Bio Austria Vorarlberg, denn im Bereich der Bioverbände ist die Mitwirkung privater Mitglieder rar geworden. Indes ging Peter Amann seinen Weg der Einbeziehung des Sozialen in die Landwirtschaft unbeirrt weiter. 1989 hatte er sich die Logotherapie und Existenzanalyse Viktor Frankls soweit angeeignet, dass er mit einer Doktorarbeit am Bauernhof 1992 sein Studium besiegelte. Immer mehr trat das Motto „Sinn statt Wert“ in den Vordergrund und wurde zur Therapieform für seine Klienten. Privat war längst eine neue Dimension dazugekommen, Peter und Bernadette Amann hatten eine Familie gegründet. Sie haben zwei Töchter und einen Sohn, die sich nun bereits beruflich orientieren bzw. noch zur Schule gehen. Die Zeit war auch günstig, mit Hilfe von staatlichen Förderungen, etwa der Wohnbauförderung, Projekte zu finanzieren, sei es der Ausbau der Räumlichkeiten, sei es Weiterbildung oder das Einrichten von Werkstätten. Zum Sinn kamen doch auch die Werte, immerhin gehören zum Hof heute fünf Häuser, die als Betreuungseinrichtungen genützt werden. Dr. Peter Amann ist Psychotherapeut nach der Logotherapie Viktor E. Frankls, das ist seine Haupteinnahmequelle. Der Biobauernhof war und ist die Grundlage seiner Sozialtherapie und seine eigene Familie ist die konstante Kernzelle, um die sich die anderen Abläufe organisieren. Es sind sehr feine, sensible Membranen der Abgrenzung aber auch der Durchlässigkeit. Für seine Stellung als handelnder, kreativer Mensch in der Schöpfung

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hat Amann ein eigenes Bild: Wir sind Transmitter. Als Menschen haben wir die Aufgabe, zwischen der geistigen Welt und der physischen zu vermitteln. Dass wir auf unserem Lebensweg „begleitet“ werden, davon ist er nicht zuletzt deshalb überzeugt, weil er sich drei lebensgefährliche Situationen, die er überlebt hat – Unfall und Blitz – anders nicht erklären kann. Für den Biolandbau hat Therapeut Amann Vorschläge parat, oder Zukunfts-Visionen: Es braucht eine neue Pionierphase, die eine Wertphilosophie etabliert. Die individuelle Sinnsuche als Biobauer, aber auch als Verband sei Voraussetzung. Es gehe insgesamt darum, die Natur als Lehrmeister anzuerkennen und die in ihr verankerten Gesetze wahr zu nehmen. Dies sei vor allem auch für Konsumenten wichtig, weshalb jeder Biohof Informations- und Praxismöglichkeit bieten soll. Ideal seien Hof-Feste bzw. Theateraufführungen als Verbindung von Kulturellem, Sozialem und dem Biohof als Lebensgrundlage. Bei ihm wurden solche Visionen schon Realität.

Elmar Weissenbach

„Für mich hat Biolandbau mit Vernunft zu tun“, schlussfolgert DI Elmar Weissenbach, Landwirtschaftslehrer und Biobauer, und erläutert das Gesagte an einem Beispiel: „Wenn ich denke, dass auf jeden Österreicher mehrere Kilo Gift fallen – den Verlautbarungen nach werden in Österreich im Jahr an die 4.500 Tonnen Agro- und Lebensmittelchemikalien verbraucht - so will ich das nicht und brauche es nicht. Das sind alles Gifte, die gegen die Fruchtbarkeit gehen. Seien es Herbizide gegen die Fruchtbarkeit von Pflanzen, seien es Fungizide gegen die Fruchtbarkeit von Pilzen, seien es Wachstumshemmer gegen irgendwelche Schädlinge. Und wenn die Fruchtbarkeit des Menschen nachlässt, ich weiß schon, woher das kommt. Der Mensch kennt sich da noch zu wenig aus.“ – Die Vernunft, die er meint, sieht eher so aus: In seinem Stall stehen Kühe, die 1993 geboren wurden, also jetzt 15 Jahre alt sind, das ergibt eine tolle Lebensleistung! Der aktuelle Österreich-Vergleich: Da erreicht eine Kuh im Durchschnitt ein Alter von 6 bis 6,3 Lebensjahren. Die modernen Trends in der Nutztierhaltung hat Elmar Weissenbach an der Universität für Bodenkultur eingehend kennen gelernt, an der er 1985 seine Diplomarbeit am Institut für Tierproduktion über Silagequalität verfasst hat. An der BOKU liefen in dieser Zeit wohl schon die ersten Lehrveranstaltungen zum Biolandbau, aber: „Der Funke ist damals sicher noch nicht übergesprungen, weil man damals gelernt hat, wie man es „richtig“ macht: Intensiv!“ Vielmehr war ausschlaggebend, dass Weissenbach sofort nach dem Studium mit 27 Jahren eine Stelle an der Landwirtschaftsschule in Hohenems bekam. Dort setzte sich Direktor Fill schon seit den 70er Jahren für den Biolandbau im Unterricht ein und DI Weissenbach wurde unwillkürlich von diesem neuen Mainstream erfasst. Bereits ein oder zwei Jahre später gehörte er auch zu einer kleinen Personengruppe, die als Kontrollore für organisch-biologische Betriebe des aufstrebenden ERNTE-Verbandes ausgebildet wurde. Im Sommer war er also öfter mit einem Kollegen einige Tage unterwegs. Zwei bis drei Höfe wurden von ihnen täglich geprüft, insgesamt gab es in Vorarlberg damals vielleicht Elmar Weissenbach

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20 oder 30 Betriebe. Für die Bauern waren es freiwillige Kontrollen, die von den Kontrolloren ehrenamtlich durchgeführt wurden. Diese Besuche liefen auch eher als sorgsame Gespräche ab, wobei das Augenfällige maßgeblich war: Der Pflanzenbestand, die Tiere, das Gesamtbild, – nicht so sehr penible Aufzeichnungen. Es waren eher Gespräche, die auch den Charakter von Beratungen annehmen konnten. Parallel zur Unterrichtstätigkeit hatte Elmar Weissenbach als künftiger Hoferbe den 20 ha Betrieb zu Hause geführt – und nach und nach alles verändert, was der Vater als Milchbauer je gemacht hatte. 1988 wurde erstmals wieder Dinkel angebaut. Obwohl Dinkel als Schwabenkorn früher bekannt war, ist er völlig aus dem Anbauplan verschwunden gewesen. Es bedurfte eines Anstoßes von außen. Ein magenkranker älterer Mann hatte „Herrn Fachlehrer Weissenbach“ telefonisch derart eindringlich „bekniet“, er solle doch für ihn Dinkel anbauen, er würde ihm auch das Saatgut besorgen. Elmar Weissenbach hatte schließlich eingewilligt. 20 Ar Dinkel waren die erste Pionierleistung, allerdings noch nicht streng biologisch. 20 Jahre später ist mit 5 ha Anbaufläche das Maximum erreicht, der Hof ist seit 1995 anerkannter Biobetrieb und es gibt seit kurzem den „Götzner Würfel“, ein zertifiziertes Bio-Dinkelbrot mit den serienmäßigen Massen 15 x 15 x 8 cm. Als Bio-Weißbrot ist es eine weitere Pionierleistung von Elmar Weissenbach, einer örtlichen Bäckerei und einem innovativen Kaufmann. So sehr man den biologischen Landbau mit dem Verstand ergreifen kann und letztlich muss, so sehr er durch gute Beispiele und Argumente untermauert werden kann und sich die wirtschaftlichen Kalkulationen inzwischen positiv gestalten lassen, so sehr ist doch jede Umstellung auch eine emotionale Herausforderung. Bei Elmar Weissenbach war alles bestens vorgeplant für das Jahr 1995, das Jahr der Betriebsübernahme und zugleich der Umstellung – und das Jahr des EU Beitritts Österreichs. Am 15. April 1995 kaufte er 15 Mutterkühe (und er bereut keinen Tag, an dem er nicht mehr melken gehen muss), der Umstellungskurs war längst absolviert und die Anmeldung als Biobetrieb war ebenfalls bereits erfolgt. - Aber Elmar Weissenbach lebt in Vorarlberg und im Ländle hält man seit eh und je Milchkühe und auch seine Eltern haben all die Jahre den Hof als Milchbauern geführt. Im Dorf war er doppelt out: bio und Mutterkuh – da ist man kein Bauer mehr. Zu Hause begannen wortkarge Jahre. Der Vater konnte es nicht verstehen, dass man nun Milch kaufen gehen musste, die viereckige Milch, für sich und die Katze. Klugerweise hatte Elmar Weissenbach Tiroler Grauvieh – eine Fleischrasse – gewählt. Die Tiere mussten einfach völlig verschieden aussehen gegenüber den früheren, sonst wäre das „emotionale Abstillen“ noch schwieriger geworden. Die Umstellung des Vaters erschien in diesen Tagen als die größte Herausforderung bei der Umstellung des Betriebes. Mit dem Tiroler Grauvieh hat er einen Glücksgriff gemacht, weiß Herr Weissenbach nach mehr als zehn Jahren. Der Umstieg auf die Zweinutzungsrasse war aber offenbar noch nicht Pionierleistung genug. Mit einem Kollegen wurde zuletzt eine eigene Marke aufgebaut – das Vorarlberger Freiland-Beef. Jeder Biobauer, der die Kriterien erfüllt, kann Lieferant für diese Marke werden. „Das Kunststück ist, alle zwei Wochen kontinuierlich das ganze Jahr vier Stück in AMA-Qualität herzubringen. In einem so kleinen Land wie wir sind,

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ist das mühsam. Zwischendurch sind es einmal nur zwei oder drei Stück – es erreichen nicht alle AMA-Qualität in einem Jahr. Jungrind wird mit 364 Tagen geschlachtet. In der Klassifizierung muss es R2 nach dem EUROP-System erreichen, d.h. die dritte von fünf Fleischklassen und zwei in der Fettklasse sollten da sein – und da fallen bei bio vierzig Prozent im Alter von einem Jahr weg. Da muss man rechtzeitig durch Lebendbeschau feststellen, dass das Tier in das Projekt hineinpasst. Grundsätzlich kann es bio schon leisten. Aber es müssen eben Fleischkühe, nicht Milchkühe sein. Bei manchen passt das Futter nicht. Nur mit Heu geht es nicht, Futtersilage darf man wiederum nicht – und Kraftfutter kostet Geld.“ Das EUROP-System ist aber auf intensive Mast-Tierhaltung hin angelegt. Mit diesen Standards muss die nach anderen Kriterien handelnde Biolandwirtschaft mithalten, gibt aber noch die eigenen Qualitätsmaßstäbe mit dazu – wie Auslauf u.v.a. Hier ergibt sich ein Streitpunkt für Elmar Weissenbach, der sich vehement dafür einsetzt, dass Lebensmittel aus biologischer Landwirtschaft nicht stur und unsinnig an den Standards der konventionellen Landwirtschaft gemessen werden. – Jedenfalls liegt er richtig mit seiner Produktionslinie, die Nachfrage ist groß. Pro Jahr werden 120 Rindern abgesetzt – kein Vergleich mit seinen Anfängen vor zehn Jahren, wo er ab Hof sechs bis sieben Stück vermarktete. Der Vertrieb läuft vornehmlich über eine Supermarktkette, die sich letztlich auch für bio zertifizieren ließ, somit werden Aufarbeitung und Vermarktung von Produkten aus biologischer Landwirtschaft innerhalb der Kette kontrolliert. Ein erfreulicher Nebeneffekt. Im Zuge der beiden Produktentwicklungen Brot und Fleisch, aber auch bei anderen Projekten waren diverse Optimierungsprozesse zu bewältigen. Fazit für Elmar Weissenbach: „Man muss mit guten Leuten zusammenarbeiten, mit solchen, die perfekt sind, dann wird es eine Win-Win-Situation.“ Umgekehrt ist er durchaus selbstkritisch: „Wenn ich etwas zu Jammern habe, dann muss ich etwas anderes suchen, dann habe ich etwas Falsches gemacht.“ Und es wurmt ihn, wenn er einen Fehler gemacht hat. Im Hause Weissenbach sind Privatleben, Hof und Lehrberuf als eigenständige Bereiche geplant, die sich in gewissen Punkten ergänzen und überschneiden. Es war von Anfang an klar, dass er den Betrieb so weit durchrationalisiert, dass er ihn allein neben dem Lehrberuf führen kann. Denn schon in der Wiener Studienzeit fand er seine spätere Frau, eine Medizinstudentin. Sie geht ihrem Beruf als Schulärztin in Feldkirch nach, der Hof und ein großer Garten sind gemeinsame Lebensbasis für das Ehepaar und für die drei Kinder. Das Areal geht allerdings nahtlos in Wiesen und Weiden über, wo zwei Pferde, eine kleine Rinderherde und eine ansehnliche Schar Truthähne für lebendige Umrahmung sorgen. Im Eingangsbereich zum Garten stehen hingegen stilisierte Tierfiguren aus Metall – Kreationen von Elmar Weissenbach, der in der Berufsschule auch das Fach Schlosserei unterrichtet. Ja, stimmt, die Tiere sind seine Welt, aber er hält sich keinen Streichelzoo. Regelmäßig stehen Schlachttermine auf der Tagesordnung. Wie geht Herr Weissenbach als bekennender Christ (ohne es konfessionell zu eng zu sehen) und Humanist damit um? - Er bekennt sich dazu, dass wir Tiere essen. Und wer Tiere isst, muss sie auch schlachten oder schlachten lassen. Aber solange sie leben, sollen sie einen lebenswerten Raum und gentechnisch freies Futter zur Verfügung haben. Es sind Nutztiere und nicht Ausbeutungstiere. Elmar Weissenbach

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Er möchte, dass es den Tieren besser geht, dass der Boden gesünder wird und er möchte, dass er keinen Müll hinterlässt. Das ist das Prinzip der Natur: Dass sie alles aufbraucht und darüber hinaus noch etwas hergibt. Das ist das Lebensmotto. PS + Fazit: Jedes Jahr im Frühling, wenn Elmar Weissenbach seinen Kühen die Kuhglocke anlegt, wissen sie, es geht auf die Alm und das ist „Juchu“. Da muss er nicht nachhelfen und braucht keine Treiber zum Verladen. Und im Herbst ist es wieder „Juchu“, wenn es zurück in den Stall geht. Geht es den Tieren gut, dann geht es auch dem Bauern gut.

Betriebsinterne Probleme führen zur Umstellung Die Probleme waren einerseits Krankheitsfälle, wobei es sein konnte, dass ein Mitglied der Familie betroffen war und als erstes eine Ernährungsumstellung auf naturbelassene Lebensmittel angeraten wurde, bevor man sich über die weiteren Zusammenhänge von Gesundheit, Umwelt und (biologischer) Landwirtschaft machte (Schuster, Kainberger, Vetter, Brader). Aber auch kranke Tiere und der Rat eines Tierarztes, Dr. Seliger in Kärnten etwa und Dr. Postuvanschitz in Oberösterreich, die auch über biologische Methoden Bescheid wussten, konnten ein Umdenken und eine Umstellung bewirken (Brandner, Prasser). Auch die chemischen Düngemittel bzw. giftige Spritzmittel zwangen zur Umkehr. Das konnten die drastisch angestiegenen Preise im Jahr der Energiekrise 1973 sein (Prenninger). Das war Unzufriedenheit mit dem Ertrag (Conrad, Wach) ebenso wie die völlig überhöht erscheinenden Düngeempfehlungen sein (Beilschmidt) oder der ungewollte „Chemieeinsatz“ am eigenen Leib in Form von Spritzmittelvergiftungen (Wimmer, Loidl). Nicht zuletzt die problematische Lage der Landwirtschaft und insbesondere der Bauern in Ungunstlagen führten notgedrungen zum Ausstieg aus dem bestehenden Agrarsystem und brauchte neue Strategien (Gahleitner).

Karl und Anna Schuster

Man fährt eine ganze Weile entlang des schmalen, flachen Tales, waldige Hänge links und rechts, kaum Wiesen, keine Häuser, kein Gegenverkehr. Wohnt hier überhaupt noch jemand?! Hier, im südöstlichsten Teil von Niederösterreich, in einem entlegenen Eck der Buckligen Welt - die genaue Adresse lautet Grodorf Nr. 7 und gehört zu Hollenthon – liegt der Hof von Karl und Anna Schuster. Die abgeschiedene und im Stillen gediehene Keimzelle der Biobewegung. 1961, als Karl und Anna Schuster frisch verheiratet den Betrieb übernahmen, musste auf dem Hof viel nachgeholt werden. Nach dem Krieg waren die familiären Verhältnisse schwierig gewesen, es hatte an arbeitskräftigen Männern gefehlt. Von seinem Großvater hatte Karl Schuster aber noch den ermutigenden Satz im Ohr, dass man jedes Haus in die Höh’ bringen kann, auch wenn es noch so schlecht ist, wie man auch das beste Haus zu-

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Er möchte, dass es den Tieren besser geht, dass der Boden gesünder wird und er möchte, dass er keinen Müll hinterlässt. Das ist das Prinzip der Natur: Dass sie alles aufbraucht und darüber hinaus noch etwas hergibt. Das ist das Lebensmotto. PS + Fazit: Jedes Jahr im Frühling, wenn Elmar Weissenbach seinen Kühen die Kuhglocke anlegt, wissen sie, es geht auf die Alm und das ist „Juchu“. Da muss er nicht nachhelfen und braucht keine Treiber zum Verladen. Und im Herbst ist es wieder „Juchu“, wenn es zurück in den Stall geht. Geht es den Tieren gut, dann geht es auch dem Bauern gut.

Betriebsinterne Probleme führen zur Umstellung Die Probleme waren einerseits Krankheitsfälle, wobei es sein konnte, dass ein Mitglied der Familie betroffen war und als erstes eine Ernährungsumstellung auf naturbelassene Lebensmittel angeraten wurde, bevor man sich über die weiteren Zusammenhänge von Gesundheit, Umwelt und (biologischer) Landwirtschaft machte (Schuster, Kainberger, Vetter, Brader). Aber auch kranke Tiere und der Rat eines Tierarztes, Dr. Seliger in Kärnten etwa und Dr. Postuvanschitz in Oberösterreich, die auch über biologische Methoden Bescheid wussten, konnten ein Umdenken und eine Umstellung bewirken (Brandner, Prasser). Auch die chemischen Düngemittel bzw. giftige Spritzmittel zwangen zur Umkehr. Das konnten die drastisch angestiegenen Preise im Jahr der Energiekrise 1973 sein (Prenninger). Das war Unzufriedenheit mit dem Ertrag (Conrad, Wach) ebenso wie die völlig überhöht erscheinenden Düngeempfehlungen sein (Beilschmidt) oder der ungewollte „Chemieeinsatz“ am eigenen Leib in Form von Spritzmittelvergiftungen (Wimmer, Loidl). Nicht zuletzt die problematische Lage der Landwirtschaft und insbesondere der Bauern in Ungunstlagen führten notgedrungen zum Ausstieg aus dem bestehenden Agrarsystem und brauchte neue Strategien (Gahleitner).

Karl und Anna Schuster

Man fährt eine ganze Weile entlang des schmalen, flachen Tales, waldige Hänge links und rechts, kaum Wiesen, keine Häuser, kein Gegenverkehr. Wohnt hier überhaupt noch jemand?! Hier, im südöstlichsten Teil von Niederösterreich, in einem entlegenen Eck der Buckligen Welt - die genaue Adresse lautet Grodorf Nr. 7 und gehört zu Hollenthon – liegt der Hof von Karl und Anna Schuster. Die abgeschiedene und im Stillen gediehene Keimzelle der Biobewegung. 1961, als Karl und Anna Schuster frisch verheiratet den Betrieb übernahmen, musste auf dem Hof viel nachgeholt werden. Nach dem Krieg waren die familiären Verhältnisse schwierig gewesen, es hatte an arbeitskräftigen Männern gefehlt. Von seinem Großvater hatte Karl Schuster aber noch den ermutigenden Satz im Ohr, dass man jedes Haus in die Höh’ bringen kann, auch wenn es noch so schlecht ist, wie man auch das beste Haus zu-

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grund richten kann. Das junge Paar ging mit vollem Eifer daran, den Betrieb „in die Höh“ zu bringen. Zur Verfügung standen 10 Hektar landwirtschaftliche Fläche überwiegend auf humusarmen Sedimentböden und etwa 30 Hektar Wald, dazu ein Sägewerk. Sie entschieden sich zur Rinderzucht mit einer Milchkuhherde und zwar nach den modernsten betriebswirtschaftlichen Regeln wie sie in sämtlichen Fachbüchern beschrieben standen. „Das Wichtigste – so glaubten wir damals -“ besinnt sich Karl Schuster zurück „wäre der Einsatz von Kunstdünger laut Bodenuntersuchung. Erstes Ergebnis: 0,5 mg Phosphor, Kraftfutter laut Futterberechnung einschließlich Mineralstoffe und Vitamine sowie künstliche Besamung von besten Stieren. Diese Punkte nahm ich sehr genau. – Erst hat es ausgesehen, als ob der Himmel runterfällt. Schon im Jahr 1964 hatten wir die respektable Stalldurchschnittsleistung von fast 5000 Kilo erreicht“, berichtet Schuster in einer leisen, beflissenen Art. Die Vergleichszahlen drei Jahre zuvor, 1961, lagen bei 2800 Kilo. Dann fährt er fort: „Damit war aber auch der Zenit der Leistung unter seinen Rahmenbedingungen erreicht und es rapide abwärts.“ Hatte er in den drei Erfolgsjahren 26 Besamungsscheine ohne Nachbesamung vorweisen können, so war nach weiteren vier Jahren, 1968, nur mehr eine Kuh im Stall. Nach zweimaliger Behandlung und zwei Mal belegen war sie nach 187 Tagen zum 3. Kalb trächtig. – Rückblickend beurteilt Schuster nüchtern die Verkehrtheit der Entwicklung: „Hätte ich eine normale Lage, d.h. einen tiefgründigen Boden mit gewachsenem Untergrund und Kontakt zum Grundwasser gehabt, dann wäre das Elend wie bei zigtausend anderen so langsam gekommen, dass wir geglaubt hätten, alles wäre normal und die Schöpfung ist eben so lückenhaft. So aber hat sich heute eine Vorstellung gebildet, die das Abnormale für normal und das Normale für abnormal hält.“ Er selbst wurde von den Umständen dadurch gezwungen, den Weg zurück zu gehen und sich nach den naturgegebenen Bedingungen auszurichten. 1968 muss wohl als das härteste Schicksalsjahr bezeichnet werden. Der landwirtschaftliche Erfolg war am Tiefpunkt, im Stall war es ruhig geworden, nur das Sägewerk rettete den Betrieb. Da ist zu alledem Anna Schuster „niedergegangen“, wie sie sagt. Der Arzt diagnostizierte Gehirnkollaps. Eine Hiobsbotschaft für die Familie, wo inzwischen drei kleine Kinder zu versorgen waren. Aber schon bald erkannte Schuster: „Ich hatte mich auf das Ärgste vorbereitet. Doch Gott hatte mit uns etwas anderes vor.“ Der neue, engagierte Pfarrer brachte kurz darauf Broschüren, die auf die Bedeutung gesunder, naturbelassener Ernährung hinwiesen. Unter anderem führte ein Hinweis zu Dr. Fritz Becker in Deutschland, der bereits 1957 das Buch „Der Weg zur vollkommenen Gesundheit. Gesunde Lebensführung oder Symptombekämpfung“ im Verlag der Waerland-Bewegung veröffentlichte, den Vegetarismus vertrat und auch das Schlagwort prägte „Der Tod sitzt im Darm“. Aus Termingründen verwies dieser kurzfristig die Patientin zum Naturarzt Dr. Rumler in Gmunden. Für die Dauer der verordneten achttägigen Untersuchung quartierte sie sich in einem Bauernhof ein. Als „Nebenwirkung“ in diesen Tagen bekam Anna Schusters dort von einem Gast das Büchlein von Maria Müller über den biologischen Gartenbau geschenkt. Diese Lektüre gab den entscheidenden Ausschlag. Die Ernährung wurde auf biologische Lebensmittel umgestellt und später kam Homöopathie dazu. Karl Schuster nahm brieflich Kontakt mit Dr. Müller auf und nach seinen, auch telefonischen, Angaben wurde die organisch-biologischen Methode im Betrieb sorgsam ausprobiert. Karl und Anna Schuster

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Abb. 64: Arbeitsgruppentreffen hatten auch eine kulinarische Seite.

1972 ließen es endlich die Umstände am Hof zu und der Zufall spielte mit, dass Karl Schuster einen kurzfristig frei gewordenen Platz im Kurs bei Dr. Müller auf dem Möschberg belegen konnte. Während er dort den theoretischen Anweisungen und Praxisberichten lauschte, lief im Betrieb zu Hause ein unfreiwilliger „Futterversuch“ ab. Das eigene, biologische Futter war in diesem Jahr schon knapp und so hatte Schuster noch am Tag der Abreise eine günstige Gelegenheit wahrgenommen, Futter zuzukaufen. Aber die Kühe vertrugen diese schöne Luzerne nicht, sie bekamen schon am zweiten Tag heftigen Husten. Anna telefonierte wiederholt mit Karl in der Schweiz, der auch schon den Experten Fritz Dähler zu Rate gezogen hatte. Sie kamen dahinter, dass die Luzerne mit Saugülle gedüngt worden war und diese hatte Antibiotika enthalten – darauf reagierten die Schuster-BioKühe, die konventionelle Arzneimittel nicht mehr gewohnt waren. Nach mehreren Jahren hatte sich der Betrieb endgültig erholt, die Tiergesundheit war wiederhergestellt. Die Milchleistung war zufrieden stellend bis sehr gut. Die Milch wurde ganz normal an die Molkerei abgeliefert und es war für Schuster kein Drama, dass nicht „bio“ draufstand, und dass er deshalb auch nicht mehr Geld für bekam. Vielmehr wurde er dadurch entschädigt, dass er keine zusätzlichen Kosten hatte, weder für Düngemittel

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noch für übermäßige Tierarztbesuche. Selbst die Humusschicht hatte sich nach und nach zu einer beachtlichen Stärke über dem blanken Schotteruntergrund aufgebaut. Nach den Worten von Anna Schuster ist es aufgrund all der biologischen Maßnahmen „rapid in die Höh’ gegangen“. Diese neuen Erfahrungen haben sie so überzeugt, da hätte nun kommen können, was auch immer, es hätte sie nichts mehr davon abbringen können. Karl und Anna Schuster sind ein sehr gut abgestimmtes Team – im Betrieb, in der Familie und seit der Zeit des Kennenlernens auf dem Tanzparkett. Für seine Ideen sucht er bei ihr Bestätigung, wenn ihm zu viele Möglichkeiten durch den Kopf gehen. Fast intuitiv filtert sie die beste(n) Variation(en) heraus und entscheidet vom Gefühl her für das Richtige. Dann führen sie die Sache gemeinsam durch. Informationen den Biolandbau betreffend holte er sich aus Schriften von Dr. Müller, Dr. Rusch und anderen. Er las in der Nacht jeweils einige Kapitel eines Buches und beim Melken am nächsten Morgen erzählte er ihr die Neuigkeiten. Das klingt nach Idylle und war auch speziell – es hatte aber auch andere Konsequenzen. Durch die neue persönliche und betriebliche Ausrichtung passten sie nicht mehr in ihr altes Umfeld und gingen immer weniger aus. Als sich herumsprach, dass sie biologisch wirtschaften, waren sie gleichsam abgestempelt als „die Depperten“. Als sie schließlich auch noch ein Biohaus bauten – bei Anna hatte sich eine Zementallergie gezeigt – war klar: Die spinnen total! – In dieser Situation war es wirklich von Vorteil, eine abgelegene Wirtschaft zu haben. Hingegen fanden sie Rückhalt und tragfähige, freundschaftliche Beziehungen zu anderen Biobauern. Franz Kappel und die Gruppe aus St. Marein waren wichtige Ansprechpartner und Franz Froschhauser wurde zum kollegialen Freund. Auch Franz Heissenberger, der nur einen Hügel entfernt seinen Hof hatte, gehörte ab Mitte der 1970er Jahre zu den Vorreitern und Anhängern des Biolandbaus. Betriebsbesuche und Treffen gaben gegenseitige Sicherheit und Bestärkung, um die auftretenden Probleme auf den Äckern und Wiesen oder im Stall zu meistern. Am 4. Jänner 1976 übernahmen Karl und Anna Schuster die Rolle der Gastgeber für einen besonderen Anlass: Auf ihrem Hof wurde die Arbeitsgruppe Bucklige Welt als erste niederösterreichische Biovereinigung gebildet. Sehr familiär spielte sich das ab. Im Gästebuch von Karl Schuster haben alle Anwesenden in loser Folge unterschrieben: Als wissenschaftlicher Schirmherr Dr. Rudolf Libiseller, die Landwirtschaftslehrerin Maria Steinhauser, selbstredend vertreten sind Karl und Anna Schuster, weiters Johann und Maria Freiler, Josef und Maria Ostermann, Franz Heissenberger, Franz Schuster, Rosa und Peter Gremel und Johanna Glatz. Ein neuer Abschnitt der Zusammenarbeit für biologische Landwirtschaft hatte begonnen, sowohl intern als auch nach außen gerichtet. Es folgten viele monatliche Arbeitsgruppentreffen, Besuche von Dr. Müller und Exkursionen zu anderen Betrieben. Am Anfang wurden viele Vorträge über Grünlandwirtschaft gehalten. Der erste war in der Fachschule Gießhübl, dann in Linz, Wels, Buchberg, an der Wiener Hochschule für Bodenkultur. Auf den Hof der Schusters kamen immer mehr Gäste, es wurde nachgefragt, diskutiert, philosophiert. Auch die Fachschule Warth machte eine Exkursion nach Hollenthon. Der Betriebserfolg des Biobauern beeindruckte Lehrer und Schüler: Nach der Umstellung gab es in acht Jahren 33 Zuchttiere bei einem Bestand Karl und Anna Schuster

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Abb. 65: Das Gästebuch enthält schon die Unterschriften der Gründungsmitglieder der Arbeitsgemeinschaft Bucklige Welt 1976. Auch das 30jährige Jubiläum wurde im März 2006 bei Karl und Anna Schuster gefeiert. Franz Heissenberger hielt Rückblick. Mag. Gilhofer hielt einen Vortrag über Krümelstruktur, Lebendverbauung, Bodenleben, Ton-Humuskomplex, Humusaufbau, CO2 Anreicherung der Atmosphäre - 60 % kommen aus der Landwirtschaft, Wirtschaftsdüngeraufbereitung.

von durchschnittlich sieben Kühen. Vor der Umstellung waren es lediglich drei bei vergleichbaren Rahmenverhältnissen. Der Hof ist übergeben und wird von der jüngsten Tochter mit ihrem Mann auch weiterhin biologisch bewirtschaftet. Freude herrscht auch darüber, dass die anderen drei Kinder Bauern und Bäuerinnen auf Biohöfen geworden sind. Und die Zahl der Enkelkinder ist bereits auf 13 gestiegen. Als großes neues – und doch so altes – Thema ist die Pflege des Waldes in den letzten Jahren wichtig geworden. Mit großem Interesse begibt sich Karl mit Anna Schuster auf Lehrfahrten oder zu Vorträgen und kommt zu dem Schluss: „Wenn unser Planet zu retten ist, dann nur durch einen gesunden Boden und einen gesunden Wald.“ Ach ja, bei solchen Gedanken spürt man schon, dass früher oder später bei Karl Schuster ein Hang zum Philosophischen durchkommt. Nach reiflicher Vorbereitung ist er ein guter Rhetoriker, sagt er. Bald hat er die Notizen für sein letztes Statement beim Bio-Pionier-Treffen 2007 in Schlägl zur Hand und gemahnt ernst: „Bauer sein ist eine Verpflichtung – den Vorfahren gegenüber und den Nachkommen gegenüber. Die Erde ist uns nur geliehen. – Einst war der Bauer Volksernährer. Heute sind wir Landschaftspfleger. In Zukunft werden

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sie die Gesunderhalter des Volkes werden.“ Und zitiert in diesem Zusammenhang auch Dr. Rusch: „Die Menschheit wird das biologische Zeitalter gewinnen oder sie wird nicht mehr sein.“ Ebenso setzt er den Zielen des organisch-biologischen Landbaus nach Dr. Müller ein Denkmal: „Erstens, der Gesundheit dienen. Zweitens, die Leistung steigern. Und drittens, die Kosten senken.“ Aber, um mit Laotse zu sprechen - Karl Schuster zitiert mit Vorliebe alte Weisheitslehrer und -schriften – zählt vor allem die Gesinnung und der Wille jedes Einzelnen. Sehr schön zeigt er mit diesem Gleichnis das Entscheidende: „Der Schüler hält ein Vögelchen im Gewand versteckt, er tritt mit dieser Frage an den Meister heran: Meister, sag, ist das Vögelchen in meiner Hand lebendig oder tot? – Der Meister, wohl wissend, dass es nur eines festen Druckes mit der Faust bedarf, um das Tierchen zu töten, lächelt und antwortet schlicht: Das Schicksal liegt in DEINER Hand!“

Hans und Gusti Kainberger

In dieser Gegend thront auf jedem Hügel ein Bauernhof. Diesen Eindruck macht es, wenn man zum Schafflhof der Familie Kainberger fährt, kurvenreich durch Wiesen, Felder und Waldstücke hügelaufwärts. Sarleinsbach ist wohl eine geografische Annäherung, aber den Weg zum Hof Auerbach 5 muss man kennen, sonst ist man verloren. Und wollte man einen Nachbarn fragen, so müsste man den erst finden. – Aber dann: Schmuck liegt er da, der Schafflhof. Als erstes sieht man das frisch renovierte Troadstöckl (ein ehemaliger Getreidekasten), das Gästehaus, mit der umlaufenden Schrift „von Himels Segen ich den Armen gern mitheil weil es so der Willen Jesu sey – Johan und Maria Keimperger MDCCCXXXX“. Im Haupthaus daneben steht das Einfahrtstor offen, durch das man in den Hof eintritt. Hier also wurde der erste Landesobmann des Verbandes organischbiologisch wirtschaftender Bauern Österreichs geboren. Er in der Latzhose, eben aus dem Stall kommend, sie im weißen, leinenen Küchenschurz, so sitzen Gusti und Hans Kainberger kurz darauf am Küchentisch, ergänzen einander beim Erzählen ihres Weges zum Biolandbau genauso wie seit bald vierzig Jahren als Ehepartner und bei der Arbeit auf dem Betrieb. Als sie 1969 heirateten und zu wirtschaften begannen, war Hans erst noch in der Futtermittelberatung tätig und die 24 Hektar große Landwirtschaft wurde im Nebenerwerb betrieben. Entsprechend der Aufteilung in zwei Drittel Grünland und ein Drittel Acker war die Milchwirtschaft die Haupteinnahmequelle. Sechs Hektar Wald wurden noch mitbetreut und es gab die Gästezimmer, die schon von der Mutter eingerichtet und vermietet wurden. Zur Bewältigung der Arbeit half noch ein Onkel mit und immer wieder Praktikanten. Die Familie wuchs erfreulich an, vier Söhne kamen zur Welt. So hätte alles einfach auch weiter gehen können. Eine schwierigere Zeit, auch eine Zeit des Nachdenkens begann, als Gustis Schwiegermutter einen Gehirnschlag erlitt und komplett versorgt und gepflegt werden musste. Auf der Suche nach bestmöglichen Medikamenten stießen die Kainbergers auf einen Arzt, der Hans und Gusti Kainberger

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die ganzheitliche Medizin vertrat und sie auf die Bedeutung gesunder Ernährung hinwies. Er empfahl ihnen u. a. auch mehr Rohkost zu essen, äußerte aber auch, dass bei gespritztem Obst, Salat und Gemüse erhöhte Vorsicht geboten sei. Das wiederum ergänzte ihr Unbehagen beim Einsatz von chemischen Mitteln im eigenen Betrieb. Dass Gusti bei den Ernährungsfragen anbiss, lässt sich gut nachvollziehen, wenn sie sagt: „Ich bin in der Landwirtschaft aufgewachsen, aber Hauswirtschaft ist mein Hauptfach. Ich wollt schon als Kind Köchin oder Bäuerin werden und jetzt bin ich beides.“ Und warum Hans ein offenes Ohr für alternative Formen in der Landwirtschaft hatte, erklärt er so: „Zum Teil waren es gesundheitliche Sachen – oder auch draußen wirtschaftlich, die Spritzmittel, - wir sind ja noch aufgewachsen, wo man gejätet hat, dann sind die Spritzmittel gekommen – und dann hat eines nicht mehr gewirkt, da musste man wieder ein anderes nehmen. Das waren so die Gedankenanstöße – wo man sagt: Gibt’s noch was anders?“ Bei einem weiteren Vortrag über gesunde Ernährung – es ging um die Schädlichkeit des weißen Zuckers – wurden die beiden auf die Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum und auf den biologischen Landbau von Dr. Müller aufmerksam gemacht. Von da an ging es recht flott auf dem Weg zur Umstellung. Nach einem einschlägigen Vortrag über die organisch-biologische Methode, beim Mittagessen mit anderen Biobauern, die gerade vom Umstellungskurs am Möschberg in der Schweiz zurückgekommen waren und darüber erzählten, war bei Gusti der Groschen gefallen und sie meinte, das könnte ein Weg in die richtige Richtung sein. Kurzerhand ergriff sie die Initiative und wollte bei Martin Ganitzer, dem direkten Draht zu Dr. Müller, für ihren Mann einen Platz im Umstellungskurs auf dem Möschberg reservieren. Einmal mussten sie sich gedulden, denn der Kurs war ausgebucht. Doch im Frühjahr 1976 war es soweit und Hans Kainberger besuchte den Einführungskurs, Gusti ein halbes Jahr später den Gartenbaukurs. 1976 wurde auch das erste Umstellungsjahr auf dem Hof. - Kein Zögern, kein Wenn und Aber? – Doch, sie hätten schon manchmal Bedenken gehabt, meint Hans, und das räumt Gusti auch ein, aber grundsätzlich waren sie beide überzeugt und sie hatten ja auch biologisch wirtschaftende Höfe in der Schweiz gesehen, wo es gut funktioniert hat. Mit der Umstellung kamen neue Tätigkeiten. Die Spritzmittel fielen komplett weg, aber der Einsatz von Steinmehl wurde forciert, weiters waren die Mistkompostierung in Walmen bzw. die Güllebelüftung gravierende Änderungen. Mit der Umstellung kam auch ein erhöhter Arbeitsaufwand, denn das Unkraut ließ nicht lange auf sich warten. Es rechtzeitig in den Griff zu bekommen war, gelinde ausgedrückt, ein echter Lernprozess. Lernen in vielerlei Hinsicht war angesagt, aus Büchern und aus der Praxis von Kollegen, die Österreich weit noch sehr dünn gesät waren. Neue Geräte wurden angeschafft und mussten eingeübt werden. Die Umstellung brachte eine größere Vielfalt im Anbauplan: Neue Erdäpfelsorten, Karotten, Zwiebel u. a. wurden angebaut und Sonderkulturen wie der wunderschön blasslila bis rot blühende Waldviertler Graumohn kamen hinzu. Der war auch eine Augenweide für die Gäste. Im Lauf der Jahre mussten auch maschinelle Neuanschaffungen getätigt werden: Hackstriegel, Miststreuer, Breitstreuer und Grubber wurden selber gekauft, denn Maschinenring hatte solche Geräte nicht.

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Eine Prise Geschichtsunterricht gefällig? Hans würzt nach: „Mit der Getreidestützung, so ab den 1955er Jahren – wenn man dem Bäcker 1 kg Roggen gegeben hat, hat man 1 kg Brot dafür bekommen. Durch diesen einfachen Umtausch haben ja alle das Brotbacken aufgegeben in der Region. Wir haben früher 90 Kilo Brot für drei Wochen gebacken. Dann haben wir den alten Backofen weggerissen und ein Bad aus dem Raum gemacht. – Wie dann die Umstellung gekommen ist, haben wir erst im Küchenofen Brot gebacken und dann einen Backofen gebaut.“ Die Umstellung brachte auch unerwartet Kunden. Gesundheitsbewusste Lehrer aus Haslach waren die ersten privaten Kunden und es sprach sich in immer weiteren Kreisen herum, dass es am Schafflhof biologische Lebensmittel gibt. Die Leute kamen mitten am Tag, sie kamen am Wochenende, sie wollten gesundes, biologisches Getreide, Kartoffel und Gemüse (da äußerten sie auch Anregungen und Sonderwünsche), sie nahmen gleich 5 oder 10 Kilo, auch 15 Kilo-Säcke als Vorrat. Darüber hinaus bekamen sie auch Milch, Eier, Fleisch, Brot und später auch Dinkelnudeln. Diese unkoordinierte Nachfrage musste schließlich besser geregelt werden und so wurden die Ab-Hof-Tage zu Ostern und um den Staatsfeiertag Ende Oktober eingeführt. Nur bei größeren (Sammel-)Aufträgen wird bis heute auch direkt zugestellt. Und noch etwas kam mit der Umstellung als neuer Akzent in den Biobauern-Alltag der Kainbergers: Die monatlichen Arbeitsgruppentreffen. Hier entstand bald eine Wechselwirkung. So sehr sie sich auf den Weg machten, bei den Treffen oder einzelnen Hofbesuchen Informationen und Vergleichsmöglichkeiten von anderen Biobauern aus anderen Bundesländern zu bekommen, so sehr war es abwechslungsreich, wenn die Kollegen zu ihnen auf den Schafflhof kamen und eine Hofbesichtigung machen konnten. Neben den landwirtschaftlichen Fragen kam hier noch die Besonderheit dazu: Gusti konnte ihre Liebe zum Kochen sehr gut einbringen und gab gerne erprobte Vollwertrezepte oder Anleitungen zum Brotbacken bzw. zur vollwertigen Ernährung weiter. Immer wieder gab es auch Kostproben. 1980 tauchte Hans Kainberger vollends in die Biowelt ein. Extern: Hans Kainberger wurde zum ersten Obmann Oberösterreichs im Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern gewählt. Und intern: Ab nun wurde der Biobetrieb im Vollerwerb geführt, was auch den Vorteil hatte, dass er viel mehr zu Hause – im Betrieb und in der Familie – sein konnte. Als Obmann bestand die vordringliche Aufgabe darin, sich als Gruppe zu formieren und nach außen hin stärker zu werden. Das Ziel war, innerhalb der gesamten Bauernschaft und von agrarischen Fachkreisen endlich die gebührende inhaltliche Anerkennung zu bekommen. Umstrittener war die Erreichung einer finanziellen Anerkennung. Die Überlegungen darüber spalteten die Gruppe in Befürworter und Ablehnende, wobei letztere ahnten und befürchteten, dass das Streben nach finanziellem Erfolg das Interesse und Engagement für die Inhalte des Biolandbaues überlagern könnte. Doch schließlich kam man zur Auffassung, dass man für die Leistungen der Biolandwirtschaft eine angemessene Abgeltung akzeptieren könne – gemessen an den damals gezahlten Exportförderungen für die Überschussproduktion der konventionellen Landwirtschaft wäre eine Honorierung für die Reduktion der Überschüsse bei hohem Arbeitseinsatz nur allzu logisch. Hans und Gusti Kainberger

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Abb. 66: Bundesminister Josef Riegler besuchte am 20. Mai 1987 den Schafflhof. Es konnten wichtige Punkte durchdiskutiert und verhandelt werden: Zusage des Ministers, dass Getreideverkauf ab Hof legalisiert wird. Bild: Walter Eiböck (2. v. l.), Hans und Gusti Kainberger mit Kind, Josef Riegler, ganz r. Marianus Rath vom Demeter-Bund.

Weiters mussten eindeutige Produktions-Richtlinien geschaffen werden. Aber auch untereinander sollten Strukturen geschaffen werden, einander bei Produktion und Verkauf zu ergänzen, etwa, dass die Salzburger Grünlandbauern Stroh aus den Getreidegebieten bekommen können. Auch gewisse gesetzliche Regelungen sollten an die aktuellen Erfordernisse angepasst werden. So war der einfache AbHof-Verkauf von Getreide nicht erlaubt, man hätte eine Abgabe an den Getreidewirtschaftsfonds leisten müssen. In diesem Punkt kam es zu einer historischen Begebenheit bei Kainbergers auf dem Schafflhof: Der Bundesvorstand des Verbandes biologischer Bauern Österreichs hatte den zuständigen Minister Josef Riegler zu einem Lokalaugenschein eingeladen. An Ort und Stelle erfasste er die spezielle Verkaufs-Situation und machte die Zusage zur Gesetzesänderung im Sinne der Direktvermarktung. Umgekehrt bedeutete der EU-Beitritt manche gesetzliche Differenz zu den bisherigen Vorgaben. Auf dem Schafflhof entschloss man sich nach eingehendem Abwägen zur Umstellung auf Fleischproduktion statt der Milchkühe. Die Schafhaltung war ja längst Bestandteil. Der Knackpunkt war nun die Errichtung der Schlachtstätte direkt am Hof. Würden das die Feriengäste akzeptieren? Aus der Sicht der Tiere und für die Fleischqualität wiederum war die Hausschlachtung absolut zu bevorzugen. Dazu entschlossen sie sich schließlich auch.

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Diese Entscheidung fiel schon unter Mitsprache des jüngsten Sohnes, der – wie es hier üblich ist – inzwischen den Hof übernommen hat. Der Betriebszweit „Urlaub am Biobauernhof“ wurde begleitend mit der Entwicklung de Biolandbaues ständig ausgebaut und verbessert. Mit der Frau des Hofübernehmers, die ebenfalls eine gute Hand für Gäste hat, wird das Angebot Urlaub auf dem Bio-Bauernhof ein Standbein bleiben. Von A–Z, d.h. von der Baubiologie bis zum selbst gemachten Brot, wird eine durchgehend hohe Qualität geboten. Die hatte immer ihren Preis, wird aber von den Kunden gern angenommen und entsprechend honoriert. Die Zeiten sind zwar vorbei, wo Gusti und Hans Kainberger mit den musizierenden Kindern – Trompete, Harmonika, Ziehharmonika und Singen – stimmungsvolle Abende mit den Gästen gestalteten. Dafür gibt es neue Attraktionen, vom geselligen Grill- oder Singabend, Hofführung oder Kinderreiten, Weckerl backen oder einer Traktorfahrt, bis zur Geburt eines Lammes oder Kalbes – einem Höhepunkt, nicht nur für kleine Gäste.

Hubert Vetter

Schöne, saftige, rote Erdbeeren sind ein köstlicher Genuss. Einige von ihnen waren dazu ausersehen einen Umdenkprozess einzuleiten, der schließlich einen Landesobmann für Biolandbau hervorbrachte. – Hubert Vetters älteste Schwester, damals ein Mädchen von etwa zwölf Jahren, hatte ihre Freude an den herzhaften Ananaserdbeeren aus dem Garten. Allerdings nur für kurze Zeit, denn sie bekam jedes Mal nach dem Verzehr von Erdbeeren einen brennenden Hautausschlag. Bis von einem Arzt die entscheidende Frage kam, ob denn die Erdbeeren „gespritzt“ würden. Mutter Mathilde musste dies bejahen und hatte mit diesem Eingeständnis auch schon den Schlüssel zur Besserung in der Hand: Sie musste einfach das giftige Schädlingsbekämpfungsmittel weglassen! Das war Anfang der 1960er Jahre und hinterließ in der Familie Vetter einen bleibenden Eindruck. Zu dieser Zeit hatte Vater Alfons Vetter den kleinen, gemischten Betrieb im Ländle bereits dem neuen Trend angepasst und erzeugte Silomais, wobei zur Stabilisierung der Erträge natürlich chemische Spritzmittel und Kunstdünger eingesetzt wurden. Auch beim Getreide und Gemüse wurde chemisch „nachgeholfen“. Aber durch den erwähnten ärztlichen Hinweis veränderte sich die Grundeinstellung in der Familie rapide. Nachdem das Weglassen der Spritzung bei den Erdbeeren sofort funktioniert hat und die Beschwerden ihrer Tochter nicht mehr auftraten, setzte Mathilde Vetter es generell durch, dass keine Chemie mehr im Garten und auf dem Feld eingesetzt wurde. Bis auf den Mais. Und Kunstdünger wurde auch noch moderat verwendet. Mit dieser Grundtendenz hatten aber alle ein besseres Gefühl bei dem, was auf den Tisch kam, wobei auf dem Speiseplan überwiegend Lebensmittel aus Eigenproduktion standen. Man könnte sagen, alles was das Herz begehrt kam aus dem eigenen Garten und aus dem Stall daneben. Es wurde selbst Brot gebacken, Butter gerührt, eigenes Joghurt angesetzt – und wenn es ganz „heiß“ herging im Sommer, bekamen die Kinder – Hubert und seine vier Schwestern – selbst gemachtes Eis. Hubert Vetter

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Die Stimmungsbilder seiner Kindheit und Jugend bereichert Hubert Vetter noch um ein wesentliches Detail: „Ich bin in einem sehr offenen Haus aufgewachsen. Wir hatten relativ viel Handlungsfreiheit.“ Aus der Nachbarschaft kamen Bekannte und holten sich gern das Gemüse oder Milch und Eier. Und da der Vater sowohl in der Politik als auch in der Kirche fest verankert war, waren auch Besuche aus diesen „Fraktionen“ keine Besonderheit. „Vom Sandler bis zum Bischof, vom Politiker bis zum Jungschar-Mitglied“, so erläutert Vetter die Bandbreite der Gäste. – Dennoch hatte er mit sechzehn Jahren einzig im Sinn, vom Hof fort zu gehen, er wollte etwas anderes kennen lernen und sich ein eigenes Geld verdienen. Alle Freunde waren aus Arbeiterfamilien, er war der einzige Bauernsohn in der Industrieregion Lustenau. Aber als er mit der Ausbildung zum Maschinenmechaniker fertig war, somit den Fabriksalltag als Arbeiter erfahren hatte, hatte ihn das auch nicht restlos befriedigt. Nach dem Militärdienst ging er doch wieder zurück auf den Hof und den Eltern zur Hand. Etliche Kilometer entfernt gab es einen Demeter-Bauern. „Die Exoten kannte man“, sagt Hubert Vetter. „Der Heinzle ist dann aber schon 1982 nach Kanada ausgewandert.“ – Auf jeden Fall wollte er wissen, was hinter diesem Exotischen, diesem Anderen steckt und kam mit Heinzle ins Gespräch. Prompt reizten ihn diese neuen Zugänge zur Landwirtschaft und so machte er 1975 einen zehntägigen Einführungs-Kurs in die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise auf dem Blaserhof im Schweizer Emmental. Selbstredend, das war eine zu kurze Zeit, um damit sofort voll ans Werk gehen zu können. Aber die Grundprinzipien waren einmal erkannt und Vetter war ernsthaft davon angetan. Als zusätzliche Weiterbildung besuchte Hubert in den folgenden Monaten geflissentlich das Agrarpolitische Seminar des Bauernbundes in Baden bei Wien. Frustrierend war dort allerdings, dass ihn die Bauernvertreter einfach nicht ernst nahmen, ihn verlachten, wenn er von seinem Kurs über biologisch-dynamische Landwirtschaft erzählte. Da waren alle Granden der Landwirtschaft zusammen gekommen wie etwa auch der damalige Kammerpräsident, aber keiner zeigte auch nur einen Funken an Interesse. Noch Jahre später war von dieser Seite kein Verständnis zu erwarten, vielmehr mied man Vetter wegen seiner Ansichten. So sehr die biologische Landwirtschaft von anderen negiert wurde, so sehr ließ sie Hubert Vetter nicht mehr los. Er brauchte nur noch weit mehr Information. Diese holte er sich in verschiedenen Kursen in Ost und West – von Vorarlberg aus orientiert man sich viel leichter über die Grenze nach Westen als über den Arlberg beim Rest von Österreich anzudocken. In der Praxis ließ er sich mit biologisch noch Zeit, da ging es erst zehn Jahre später richtig los. 1984, mit 35 Jahren, übernahm Hubert Vetter den Hof. Zu diesem Zeitpunkt war er schon vier Jahre lang mit Annemarie verheiratet, sie hatten schon die ersten Kinder – es sollten sechs werden, vier Buben und zwei Mädchen! Also, im 84er-Jahr wurde der Mais gestrichen, somit auch die Spritzerei und der Kunstdünger. Dafür begann Vetter mit dem Getreideanbau und schon im Jahr darauf startete er die Initiative zur Direktvermarktung. Hubert und Annemarie hatten sowohl einen Stand auf dem Bauernmarkt in Dornbirn als auch in Bregenz. Da es noch keinen Bioverband in Vorarlberg gab und Vetter keine Ambition hatte, zu einem Verband in Niederösterreich zu gehen, wurden die Produkte nicht

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als biologische Ware deklariert, sondern die Qualität überzeugte und bewährte sich bei den Kunden. Als sich das Marktfahren nach relativ kurzer Zeit nicht mehr mit der Familie vereinbaren ließ – es war unsinnig, jedes Mal einen Babysitter zu engagieren – wurde als günstigere Lösung ein Hofladens eingerichtet. Just der Kammeramtsdirektor legte ein Veto ein und wollte damit erreichen, dass Vetter weiterhin auf den Markt fährt. Als eine Art Begründung zweifelte er den Erfolg an: „Wer fährt schon auf den Hof, um ein paar Sachen einzukaufen?“ – „Das lass nur meine Sorge sein!“ war sich Hubert Vetter seiner Sache sicher. Derartige Anfechtungen machten ihn nicht scheu: Sein Vater hatte auch gemeint, der Betrieb würde zugrunde gehen, als er den Mais weg gelassen hatte. Gar nicht beschwichtigende Töne schlug Vetter aber an, als 1989 der Vorarlberger Landesverband der organisch-biologisch wirtschaftenden Bauern gegründet wurde. Die als Obmann/Obfrau vorgeschlagenen Personen wollte Vetter partout nicht akzeptieren, sie seien „zu sehr Fundis“ war seine Überzeugung und schließlich überzeugte er auch die anderen im Verband, dass man mit Engstirnigkeit und Ausgrenzungen keine Gruppe aufbauen und erweitern könne. Und Erweiterung war dringend nötig angesichts der gerade einmal achtköpfigen Schar. Die Geschichte weiß, dass der erste Obmann Hubert Vetter hieß und dass er diese Funktion 18 Jahre lang, bis 2007 ausgeübt hat. Die Geschichte weiß auch, dass im Jahr 1989 Franz Fischler als österreichischer Landwirtschaftsminister eingesetzt wurde. Für seinen Antrittsbesuch in Vorarlberg wurde der Vetterhof ausgesucht: Die Gründung des Bioverbandes und ein frischgebackener Obmann war das Innovativste, was man im Ländle auf dem Agrarsektor zu bieten hatte. In seiner Zeit als Verbands-Chef hat Vetter öfter Wettergott gespielt, mit Donnergrollen, mit drohendem Blitz und Hagel, wenn er meinte, die Dinge laufen aus der Spur. Er hat aber auch immer wieder frischen Wind in die Sache gebracht und bei aller Striktheit auch Herzlichkeit und spitzfindigen Humor. Das bis zur Zerreißprobe Spannende war, dass Hubert Vetter seit langem – sei es als Obmann, sei es als wortgewaltiger Redner in einzelnen Gremien - fest in der Landwirtschaftskammer Vorarlberg verankert war. Da gehörte einiges an politischem Kalkül dazu, die Bio-Sache klar zu vertreten, aber auch mit den Landesräten der ÖVP kooperieren zu können. – Jedenfalls gelang es ihm sehr rasch, die ersten 200.000 Schilling als Basisfinanzierung zum Aufbau des Verbandes auszuhandeln. Für bessere Handlungsfähigkeit musste dringend eine Basis-Infrastruktur geschaffen werden und so avancierte ein Besenkammerl zum Mini-Büro. Eine Mitarbeiterin wurde angestellt, die Kontakte wurden erweitert, Bauern zur Umstellung und Mitgliedschaft bewogen. Für weitere Fördergelder verhandelte Vetter nicht mehr mit der Kammer, sondern mit dem Land direkt, dort war mehr Geld zu lukrieren. In seiner Funktion als Verbandsobmann legte er Zig-Tausende Kilometer zurück im Ländle und im ganzen Bundesland, der Weg nach Wien zu den Bundesversammlungen ist weit. Als ein Beispiel seiner Vorgangsweise sei zitiert, wie er sich in der Kammer gegen die Subvention des Ampferbekämpfungsmittels Roundup einsetzte. Alle hatten der Verbilligung durch die Förderung zugestimmt, nur ein Senner und Vetter sagten: Nein. - Argument: Es gibt Probleme bei der Käsebereitung, wenn solche Stoffe in die Milch kommen sollten. – Wirkung: Nach einem Jahr wurde die gesamte Förderaktion gestrichen. Hubert Vetter

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Vetter startete Initiativen zur Absatzförderung. Er führte Gespräche mit Handelsvertretern und der Gastronomie. Ein erster Partyservice wurde auf die Beine gestellt, die Werksküche des Landes-Gendarmeriekommandos gepachtet, aber wieder aufgegeben. Dafür eroberte bio die Kantine der Vorarlberger Fachhochschule in Dornbirn, wo täglich 150 – 200 Essen mit 90 Prozent Bioanteil ausgegeben wurden. Durch eine nochmalige Umorganisation werden jetzt 1000 Essen mit einem Anteil von 35 Prozent bio zubereitet, wodurch insgesamt ein größerer Bio-Wareneinsatz erzielt wird. Dennoch ist das Kapitel „Bio-Ausspeisung“ ein hürdenreiches, von der Konzessionsbeschaffung bis zum intriganten Mitarbeiter, von der Verfügbarkeit der Warenvielfalt bis Abb. 67: Lustvolles Ernten in Lustenau – Hubert Vetzur Lokal- und Partnersuche. Vetter hat ter im Folienzelt Foto: Marcel Hagen, Studio 22 alles in verantwortlicher Position live miterlebt. Aber man hat nur die halbe Geschichte erzählt, wenn man den Vetter-Hof selbst, das Betriebs- und Wohngebäude nicht erwähnte. Hubert Vetter hatte sich der puren Notwendigkeit gebeugt, sich ein geeignetes Areal für einen Neubau des Wohnhauses, des Stalles, eines Lagers und geeigneter Wirtschaftsflächen zu suchen. Seit Ende der 80er Jahre, parallel zu seinen Aufgaben im Verband, trug er diesen Plan mit sich. Schließlich nach erheblichen Hürden – vom (überhöhten) Grundstückspreis über die (verweigerte) Baugenehmigung, von der (schwierigen) Architektenwahl bis zur (lange nicht erreichten) idealen Bauform – wurde der Bau 1996 fertig gestellt. Vom Architekten Roland Gnaiger entworfen steht nun in Alberried ein moderner Bauernhof, der drei Architekturpreise gewonnen hat und in Architektur-Magazinen als gelungenes Beispiel hervorgehoben und inzwischen von gut 500 Exkursionen besichtigt worden ist. Zuletzt kam in der Bewirtschaftung eine neue Attraktion dazu, ein verschiebbarer Hühnerstall, wodurch eine bessere Flächennutzung beim Auslauf erreicht wurde. Aktueller Stand 2009: Es werden 35 Hektar biologisch bewirtschaftet, 11 Hektar Eigengrund, 24 Hektar gepachtet. 3 Hektar intensiver Gemüsebau, 1,5 Hektar Getreide, 2 Hektar Streuwiesen, die werden ab September gemäht, dazu etliche Hektar Wiesen mit Obstbäumen. Der Rest ist Ackerland mit Wechselwirtschaft bzw. Dauergrünland. Es gibt 45–50 Stück Vieh und 2.500–2.700 Masthühner.

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Abb. 68: Der Vetterhof wurde in den Jahren 1991–1993 vom renommierten Architekten Roland Gnaiger geplant und 1996 fertig gestellt und mit Architekturpreisen ausgezeichnet. Vor der Südfront der Kräutergarten.

Abb. 69: Die Kuhherde schätzt die offene Architektur des Stalles auf ihre Weise.

Hubert Vetter

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Das alles zu bewältigen, inklusive Direkt-Vermarktung, braucht reichlich viele Hände und Organisation. In den letzten beiden Jahren entschied sich Hubert Vetter zu einem Kurswechsel: „80 Prozent der Außenwirtschaft wird von Lohnunternehmen und vom Maschinenring gemacht. – Die machen es gern, ich nicht, damit ist’s erledigt. Ich hab keinen Miststreuer, keine Presse, keinen Pflug – das klappt.“ Es bleibt genug Arbeit, die vom Ehepaar bzw. unter Mithilfe der Kinder erledigt wird; das ganze Jahr über sind aber auch Praktikanten am Hof. Der hohe Gemüseanteil ist besonders aufwändig, aber es lohnt sich. Zuletzt wurde sogar ein Gemüsekistl-Versand gemeinsam mit zwei anderen Biobauern eingeführt. 250 Kunden hat man schon in der Gegend. Vetter ist ein Mann mit Visionen. So verwirklichte er (sich) gegen alle Einwände den Traum eines Gemeinschaftsraumes für Seminare, Theateraufführungen, Geburtstagsfeiern. Hier wird die Bio-Idee zur kollektiven Sache. Und an einer neuen Vision wird gearbeitet: Die Ökologisierung der Kirche: „.Ich hab jetzt zwei hochrangige Vertreter der italienischen Bischofskonferenz hier gehabt. Denen hab ich erklärt, dass auch die Katholische Kirche eine Schöpfungsverantwortung hat. Das habe ich auch unserem Bischof erklärt als ich ihn im Landhaus in Bregenz getroffen habe. – ‚Ja, da hat er noch nie nachgedacht’ sagte er. – ‚Ja, so gehts wohl nicht.’“ empörte sich Vetter. Solange die Klöster intensiv wirtschaften, sind sie weit weg von der Schöpfungsverantwortung. Christus hat gesagt: Macht euch die Erde untertan, aber nicht: beutet sie aus! – Aber Vetter weiß auch: „Ich kann jeden nur durch gute Beispiele auf meine Seite bringen.“ Diesen Weg geht er unbestritten und unbeirrt.

Karl Brader

Bio ist Leben, bio ist gesund. In dieser Analogiekette könnte folgen, dass jene Menschen, die unmittelbar mit biologischen Lebensmitteln zu tun haben, nämlich die Biobauern, auch vitale, kerngesunde Personen sind, quasi das wandelnde Aushängeschild der Branche. Karl Brader bot hier lange Jahre ein drastisches Gegenbild. Wenn man ihm begegnete, erlebte man nicht nur sein freundliches, kommunikatives Wesen, sondern wurde mit seiner mächtigen Geschwulst am Hals konfrontiert. Über dreißig Jahre hatte sich ein Ohrspeicheldrüsen-Tumor ausgewuchert. – Aber im Sommer 2008 ergriff Brader die Chance, einen Schlussstrich zu ziehen. Nachdem endlich alle Umstände stimmten, konnte durch eine Operation die Wucherung entfernt werden. Zurück blieb die Erinnerung, dass im Jahr 1975 die Diagnose Parotis-Tumor sein Leben abrupt in eine neue Bahn lenkte. Karl Brader war damals 37 Jahre alt und betrieb seine etwa 12 ha umfassende Landwirtschaft nahe von St. Leonhard am Forst. Er war glücklich mit Cäcilia verheiratet und sie hatten schon drei Kinder. Als Lastwagenchauffeur konnte er nebenberuflich für zusätzliches Einkommen sorgen und zugleich seine Begeisterung für Autos ausleben. Der Tumor durchbrach jäh den Alltag. Cäcilia war gelernte Krankenschwester und in ihrem Bekanntenkreis gab es Heilpraktiker, von denen der dringende Rat kam, Brader solle sich mit biologischen Lebensmitteln ernähren. Da lag es direkt auf der Hand, seinen kleinen Betrieb umzustellen. Praktische Informationen dafür bekam er von drei Personen

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Abb. 70: Karl Brader während des Interviews 2007

Abb 71: ... und im Sommer 2009

Karl Brader

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aus Wieselburg und Gaming. Das war zum einen Leopold Lutz, der seinen Betrieb ein Jahr zuvor auf Biolandbau umgestellt hatte, von Schuldirektor Frank, der seinen Garten biologisch bewirtschaftete und Bauernkollege Erich Zahnt, dessen Schriften zum organisch-biologischen Landbau „Kultur und Politik“ Brader ausborgte und eifrigst las. Über diese Kontaktpersonen kam er auch zu Frau Ing. Wagner und zur Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum. In dieser Zeit liefen mehrere Dinge parallel. Karl Brader beschäftigte sich nun intensiv mit dem Biolandbau und vollzog die geistige und praktische Umstellung. Dem Kunstdünger und sonstigen chemischen Hilfsmitteln für die Landwirtschaft hatte er abgeschworen. Somit war auch sein latentes Unbehagen darüber behoben, dass jedes Jahr mehr Kunstdünger gestreut werden musste, um den gleichen Ertrag zu erhalten. Im Betrieb wurden weiterhin einzelne Speise-Getreidearten angebaut, dazu Futter für die Tiere – ganz am Anfang waren neben den sieben Kühen und etlichen Hühnern auch Schweine auf dem Hof. Verstärkt kam aber auch der arbeitsintensive und speziell zu betreuende Gemüseanbau dazu. Glücklicherweise konnte er in dieser Sparte auf die Erfahrungen des Gemüsespezialisten Lutz zurückgreifen. Gleichzeitig musste der Tumor im Zaum gehalten werden. Das bedeutete drei Mal pro Woche zur Frischzellen-Kur nach Wien zu fahren. Wenn es irgend möglich war, verband Karl Brader das Nützliche oder auch Notwendige mit dem Angenehmen: So sehr ihm Familie und Beruf lieb und wichtig waren, so sehr konnte er auch das Autofahren genießen, in die Stadt zu kommen, Abwechslung zu haben und andere Menschen zu sehen. Wenn er schon so weit fahren musste, dann sollte das aber auch wirtschaftlich Sinn machen. So nahm er einige Schachteln Eier mit, läutete im Vorbeigehen bei Privathaushalten an und bot sie zum Verkauf. So gewann er seine erste Kundin im 13. Bezirk und bald folgten weitere. Schließlich kamen auch Naturkostläden dazu, Ökologia und Eisbär. Als die „Förderungsgemeinschaft“ 1979 ihren bäuerlichen Mitgliedern anbot, sich zertifizieren zu lassen und das frisch kreierte Markenzeichen ORBI (organisch-biologisch) auf ihren Produkten zu führen, war Karl Brader sofort dabei. Es erfüllt ihn mit einem gewissen Stolz, die Nummer 5 zu haben. Frau Ing. Helga Wagner selbst führte die Aufnahme durch. Es handelte sich dabei um eingehende Gespräche über den Anbau, eine Betriebsbesichtigung, in der Folge Bodenproben, die nach der Rusch-Methode geprüft wurden, und die Befolgung der Richtlinien. Somit war er offiziell im Biobauernverband und konnte auch Reformhäuser beliefern. Wichtige, treue Abnehmer wurden später auch z.B. EVI`s gute Stube in St. Pölten und das vegetarische Restaurant Wrenkh in Wien. 1979 gab es aber noch eine wesentliche Neuerung, mit der Karl Brader eine Spitzenposition einnimmt: Von Peter Prasser holte er Dinkel-Saatgut aus Kärnten und baute als einer der ersten in Niederösterreich Dinkel an. Zunächst trug ihm das aber mehr Spott als Ehre ein, denn er hatte kein Gerät zum Putzen des Dinkels und musste die Ernte zwei Jahre einfach liegen lassen. 1981, zwei Jahre nach der Umstellung, erhielt er die volle Anerkennung. Es mag anachronistisch wirken, dass Karl Brader erst nach der Zertifizierung den Umstellungskurs auf dem Möschberg besuchte. Er holte sich dort aber eben nicht die erste Wegweisung, son-

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dern die letzte innere Sicherheit, mit der er den Weg weiterhin beschreiten konnte. Diese Sicherheit kam vielen Kulturen zugute: Karotten, Zwiebel, Kraut, Zeller, Gurken, Paradeiser, Zucchini, Pastinaken, gelbe Möhren, Paprika, Melanzani, Fisolen, Kürbis, Lauch wurden angebaut, dazu Ölkürbis und auch Sojabohnen. „Wenn Gemüse wo wächst, wo vorher noch nie eines war, da wird es viel schöner!“ erinnert sich Karl Brader gern an die erste Anbauzeit. Später lernte er einige Grundfesten schätzen und meint folglich: „Die Fruchtfolge ist das Wichtigste!“ Weiters war ihm der Mondkalender eine große Hilfe und er legte auf Mischkulturen großen Wert. „Ich hab auf Dämme gebaut: Zwei Roal (Raine) Zwiebel – zwei Roal Karotten. Da hat man keine Zwiebelfliegen gehabt und keine Karottenfliege. Und auch die Wurzelausscheidungen ergänzen sich so gut. Obwohl, manche vertragen sich nicht, da muss man aufpassen!“ Beim Duo Kraut und Zeller machte Brader folgende Beobachtung: „Der Zeller hat den Kohlweißling so irritiert, dass der nicht wusste, wo er die Larven hinlegen soll.“ – Einen anderen tollen Erfolg hatte er mit Zwiebel. Dieser Zwiebel war wunderschön gewachsen, hielt sich bis Juli ohne auszuwachsen, zu schrumpfen oder zu faulen. Es war enorm viel Arbeit und er musste penibel durchkalkulieren und schließlich 10,– Schilling verlangen (der normale Preis lag bei 2,50 Schilling), aber die Leute zahlten es. Mehr noch: Durch die gute Qualität bekam er zusätzliche Kunden. In den 90er Jahren lieferte er bereits an diverse Bauernmärkte in Wien. Am besten verdiente er aber im Westen. So eine Tagestour nach Innsbruck, wenn Brader in seinem Ford Granada mehrere Hundert Kilo Gemüse zum Marktstand von Kollegen Alois Wach lieferte, brachte ihm gutes Geld – und den Tirolern Biogemüse-Vielfalt. Aber auch Fehlschläge sind in der imaginären Brader-Chronik verzeichnet. Ein Acker voll Spitzkraut, das als Super-Kraut aufging, platzte schließlich auf und musste verfüttert werden. Viel Lehrgeld – ein Fehlgriff bei der Suche einer Entspelzungsmaschine kostete ihn 84.000 Schilling - musste er zahlen, bis er eine klaglos und rationell funktionierende Getreidereinigungsanlage installiert hatte. Jetzt allerdings kann er auch für andere Bauern diesen Dienst übernehmen. Nicht nur intern wuchsen die Aufgaben, Karl Brader vergrößerte auch nach und nach die Anbauflächen und nach 2000 bewirtschaftet sein Sohn nun über 50 Hektar Eigenwirtschaft und Zupacht. In all den Jahren hatte Karl Brader immer mehr Biobauern kennen gelernt, die Gruppe ist stärker geworden. Eines Tages schlug ihm ein tonangebender Kollege spontan vor, sich als Vorstandsmitglied für den jungen Verband der organisch-biologisch wirtschaftenden Bauern zur Verfügung zu stellen. In einem raschen sonntäglichen Wortwechsel zwischen Tür und Angel willigte Karl Brader ein. Den offiziellen Schönheitsfehler, dass er noch nicht einmal Mitglied war und überdies bei der Wahl mit Abwesenheit glänzte, sah man ihm nach. Die Kollegen kannten ihn und vertrauten ihm und so war er von 1985 bis 1991 im Vorstand des ERNTE-Verbandes NÖ. Natürlich wurde er auch Mitglied – diesmal Nummer 42. Keine Frage, es war noch eine sehr dünne Auslese und erfahrene Biobauern waren Gold wert.

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Der Betrieb, das Vermarkten, die Funktion im Verband und die Familie füllten die Tage leicht aus. Dennoch war da noch immer die Krankheit. Der Tumor brauchte auf seine Weise viel Aufmerksamkeit. Viele Bücher wurden gelesen, Kurse besucht und Heiler aufgesucht. Von Hildegard-Medizin bis zur Ionenmessung, um den Gesundheitswert von Speisen zu messen, von Channeling bis zur Arbeit am menschlichen Lichtkörper und dem Erlernen von Reiki reichte sein Suchen und Finden. Auf Reisen zu heiligen Indianderstätten blickt Karl Brader ebenso zurück wie auf eine Reise zu den Heilern auf den Philippinen. Hier sammelte sich ein ganz anderer Erfahrungsschatz als man an der Universität lernen kann, sagt Karl Brader, der es zutiefst bedauert, dass er nicht Englisch lernte, weil er keine Möglichkeit hatte, in die Hauptschule zu gehen, der Vater hatte schon dringend auf den Buben gewartet, 1952, damit er ihm in der Wirtschaft zur Hand geht. Ja, die Jahre seiner Kindheit waren hart, auch angstvoll. – Aber der schwerste Schlag im Leben von Karl Brader sollte erst kommen. 1989 starb seine Frau unerwartet mit nur 52 Jahren. Er, der 51Jährige, stand fassungslos da, mühte sich schwer durch den Alltag und erst später sah er ein, dass dieses einschneidende Erlebnis karmische Bedeutung hatte. Das Wissen um geistige Zusammenhänge ist ihm ein neuer Leitstern geworden und er hat sich aus dem engen Denken der katholischen Kirche befreit. „Im Prinzip ist alles göttliche Energie – auf das will ich hinaus – und die göttliche Energie ist in Wirklichkeit Liebe. Die größte Eigenschaft von Gott ist die Liebe.“ Als Biobauer sieht er dies auch in der Ausstrahlung der Sonne, das Liebeslicht, das als Wärme zu uns auf die Erde kommt – und die Pflanzen diese Lichtnahrung erst in sich aufnehmen und an uns Menschen weitergeben. Im Sommer 2008 schließlich fasste er den Entschluss, sich den Tumor entfernen zu lassen. Endlich stimmten für ihn alle Vorzeichen dazu und die Operation glückte! Dass er sich sehr rasch von dem heiklen Eingriff erholte schreibt er zu einem Großteil seiner guten Konstitution aufgrund der langjährigen biologisch-gesunden Ernährung zu.

Sylvester Brandner

Wer kann die Regentropfen zählen, wer die Sandkörner am Meeresstrand? Wer zählt die Tage der Ewigkeit? Wer kann messen, wie hoch der Himmel ist, wie weit die Erde, wie tief das Meer? – Herausfordernde Fragen. Vor über 2000 Jahren gaben sie jedenfalls einen ehrfürchtigen Verweis auf die Unermesslichkeiten des Lebens. Es ist die Anfangspassage aus Jesus Sirach und Sylvester Brandner zählt diesen Text aus den Apokryphen zu seinen Lieblingsstellen. Solche Gedanken zu Zeit- und Raum-Dimensionen passen gut zum Biohof Brückler in Laussa. Am höchsten Punkt der hügeligen Gegend gelegen, überragt von einem schroffen Felsstock, ist schon seit 1313 auf diesem Platz ein Hof nachweisbar. Gar steinzeitliche Funde, die eine noch weit frühere Besiedelung bezeugen, werden in der Vitrine aufbewahrt. Die Gegenwart hält eine ganz andere Besonderheit bereit: In einer neu adaptierten Ferienwohnung im ersten Stock kann man per Knopfdruck die Wand hochziehen und das Bett unter den Sternenhimmel auf den Balkon hinaus rollen. Von da

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Abb. 72: Die Vor-Vor-Vorgeschichte zum Biolandbau von Sylvester Brandner in der Laussa: Aufbaukeramik

eröffnet sich am Tag aber auch der Blick ins Grüne und zur hofeigenen Kapelle. Und 1968 hat Sylvester Brandner Geschichte geschrieben, damals hat er seinen Hof mit der Anschrift Am Plattenberg 38 in der Laussa auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Es wird sicherlich auch in Zukunft noch markante Daten hier geben, eine wird schon bald sein, ab 2016 ist der Hof seit 200 Jahren im Besitz der Familie Brandner und kann die Verleihung der Ehrenbezeichnung „Erbhof“ erwirken. 1940 wurde Sylvester Brandner als sechstes Kind von elf Geschwistern auf diesem Hof geboren. Nach dem Besuch der Landwirtschaftlichen Fachschule in Lambach führte er in den 1960er Jahren die eben erlernte moderne Landwirtschaft mit Agrochemie-Einsatz mit jungem Elan am elterlichen Betrieb ein. Der Haupterwerb des 34 Hektar umfassenden Hofes war damals wie auch heute Milchwirtschaft und Zuchtviehverkauf bzw. Rinderverkauf. Seinerzeit schon gab es auf dem reinen Grünlandbetrieb zwischen 50 und 60 Stück Vieh. 1966 unternahm Sylvester Brandner wesentliche Schritte, er legte die Meisterprüfung als 500ster Meister von Oberösterreich ab (was ihn sehr amüsiert) und da ihm Angela Aschauer das Ja-Wort zur Ehe gab, konnte er mit ihr gemeinsam den Betrieb übernehmen und mit gutem Mut in die Zukunft blicken. – Und Mut sollte er bald auch brauchen, denn zuerst nur vereinzelt auftretende gesundheitliche Probleme im Stall eskalierten. Zu der Klauenkrankheit waren auch völlig neue Krankheitsbilder dazugekommen. Stattliche Kühe mit zuvor 700–800 kg Gewicht mussten mit 400 kg als „Beindlvieh“ notgeschlachSylvester Brandner

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tet werden. Schließlich diagnostizierte der immer häufiger gerufene Tierarzt Dr. Postuvanschitz: „Vest (Silvester), deine Kühe sind morsch!“ Auf die Aufforderung, sie eben wieder fit zu machen, blockte der Tierarzt ab und meinte: „Wenn DU nachhaltig sanieren und deinen Stall wieder in Ordnung bringen willst, musst DU von Grund auf die Wirtschaftsweise ändern, wieder den Kreislauf instand bringen und dann wird es besser.“ Er sprach konkret von der organisch-biologischen Wirtschaftsweise und gab auch gleich bekannt, wann der nächste Vortrag darüber stattfindet. Als dem „Vest“ auch versichert wurde, dass dies mit keinerlei Kosten verbunden sei, beschloss er, sich das auf jeden Fall anzuhören. Schon im folgenden Jahr, es war 1968, lernte Sylvester Brandner Dr. Hans Müller kennen und schätzen und vereinbarte mit noch acht Kollegen eine Exkursion zu Schweizer Biobauern. Die Eindrücke und Argumente waren so ermutigend, dass der 28jährige Sylvester sich zur Umstellung entschloss und auch die Familie zum Einverständnis gewinnen konnte. Das ist ein wesentlicher Punkt im Hause Brandner, dass alle an einem Strang ziehen. Probieren konnte man es, der Aufwand war im überschaubaren Rahmen und es gab ja auch keine andere Erfolg versprechende Alternative. Vordringliche Maßnahmen wie Jauchebelüftung, Mistbehandlung und der Einsatz von Steinmehl – das allerdings eine viel zu grobe Körnung hatte und Jahre zur Aufschließung brauchte – wurden gesetzt. Dazu kamen die Bodenproben nach Dr. Rusch, die einen eigenen Knackpunkt darstellten, weil sie gnadenlos anzeigten, dass dies oder das noch immer nicht stimmte. Da war Sylvester Brandner durchaus selbstkritisch und die richtige Mistbereitung wurde gleichsam zur Lebensaufgabe. Immer wieder wurden Faul- und Hemmstoffe in den Boden gebracht. Ein großes Vorbild hinsichtlich eines idealen Mistes, hatte er auf dem Hof von Michael Haitzmann in Saalfelden gefunden: „Mit dem Schwager und dem Tierarzt sind wir hingefahren, an irgendeinem Wintertag. Wir haben auch im Stall alles gesehen. Er verwendet Stroh und Stroh und wieder Stroh. Dabei hat er umständlich mit der Hand, mit dem Schubkarren den Mist aus dem Stall rausführen müssen – der Haufen war schon zwei Meter hoch – aber GERAUCHT hat er! Weil sie diese Menge Stroh dabei gehabt haben, die nötig ist!“ Das Geheimnis war also gelüftet: Es war reichlich Stroh im Mist. Und es rauchte und dampfte – das untrügliche Zeichen, dass die Erwärmung auf 50 bis 60 Grad gestiegen ist, somit die essentiell wichtige Hygienisierungsphase erreicht wurde. Aber wo die nötigen Tonnen von Stroh in der Laussa hernehmen? Die Strohpreise waren und sind hier extrem hinderlich, auch die Forschung lieferte bisher keine Alternativen. Nicht nur im Betrieb gab es Änderungen, je mehr die Familie sich mit der Thematik auseinandersetzte, desto klarer wurde, dass auch die Ernährung grundlegend verändert werden musste. Unumgänglich war der Kauf einer Getreidemühle zur Bereitung von Brot, Gebäck und Mehlspeisen. Die neue Linie entsprach dabei ganz der eigenen Denkweise, so vieles wie möglich selbst zu erzeugen, Gemüse, Fleisch, Milch, Hühner und natürlich Eier. Auf dem Umstellungskurs auf dem Möschberg im Jahr 1972 verfestigte Sylvester Brandner einerseits das bisher auf dem Hof schon Erprobte, andererseits ging danach das Experimentieren mit neuen Impulsen weiter. Im Zentrum stand immer wieder die Düngung. Zur besseren Kompostierung wurde ein Folienhaus um 50.000 Schilling gebaut. Aber der Wind ging damit sehr ungnädig um und riss es schon im ersten Jahr nieder und

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nach dem erneuten Aufbau noch einmal, sodass diese Methode zwar gewisse Erfolge ahnen ließ, aber nach drei Jahren nicht weiter verfolgt wurde. Auch eine Biogasanlage baute Sylvester Brandner. Die positive Seite war, dass er drei Jahre lang angenehm das Haus heizen konnte. Die negative Auswirkung zeigte sich auf dem Feld: Wo die Rückstände ausgebracht worden sind, verbreitete sich schon bald der giftige Hahnenfuß. Als er diesen Zusammenhang erkannte, war sofort Schluss mit Biogas. Etliche Jahre später wurde der Stallumbau in Angriff genommen und mit dem 1990 gebauten Laufstall erfolgte auch die Umstellung auf Güllewirtschaft. Man muss sich zu all diesen Vorgängen den Vater vorstellen, der ruhig zuschaut und sich denkt: Er wird schon draufkommen, dass es so nicht geht. Gut, er wusste wohl, dass sich sein Sohn nicht leichtfertig in Abenteuer stürzt und im Stall waren bereits merkliche Besserungen eingetreten. - Die Nachbarn waren da nicht immer so nachsichtig, und haben bei den „bio“- Aktionen des Sylvester sich eher gedacht, dass er „einen Vogel hat“. Dabei kann man mit ihm offen reden, auch über Fehler. Wie soll man denn sonst lernen, außer durch den Vergleich zwischen besser und schlechter. In den Arbeitskreisen hat Brandner Vest die Unterschiede bei Lebensmitteln herausgearbeitet. Er hat sich immer wieder dafür eingesetzt und erklärt, dass das Um und Auf die Qualität der Lebensmittel sei und dass diese wiederum von der richtigen biologischen Bewirtschaftung des Bodens abhänge. – Das ist eine Herausforderung. Das muss auch wirtschaftlich sein. Aber man darf nicht nur daran denken, was man letztlich herausbekommt, und nicht nur überlegen, wie viel an Arbeit und sonstigem Einsatz man leisten muss. Diese Diskrepanz ist ein wunder Punkt für Brandner, hier hatte sich eine andere Entwicklung vorgestellt. Im Ennstal ist eine schöne Gruppe um ihn gewesen, aber sie ist zerbröckelt, und er schließt nicht aus, dass er zu wenig Talent oder Initiative in sich hatte, sie beisammen zu halten. Vielmehr muss er nun zusehen, wie junge Bauern die biologische Landwirtschaft gar nicht in ihrer Bedeutung erkennen oder dass die Förderungen mehr und mehr zum Hauptargument für Umstellungen auf Biolandbau werden. Bei ihm am Hof ist die wirtschaftliche Maxime immer gewesen, keine Schulden zu machen. Bei der Umstellung auf die biologische Wirtschaftsweise war dies damals rein betriebsintern kalkuliert worden, ohne Prämien oder Subventionen und ohne höhere Absatzpreise, trotz des höheren Arbeitseinsatzes. Auch jetzt, nach der Übergabe an den jüngeren Sohn Georg, ist der Betrieb nicht abhängig von Förderungen. Sie erleichtern den Gesamtbetrieb und können für Investitionen genützt werden. So konnte in der letzten Zeit der Ausbau für Ferienwohnungen leichter durchgeführt werden. Und an ein frühes, typisches Biobauern-Thema erinnert sich Brandner auch belustigt: „Vor der Übergabe hab ich zum Sohn gesagt: Wenn ich den Betrieb ampferfrei übergeben kann, ist er noch einmal soviel wert. So ein gefürchtetes Unkraut ist der Ampfer. Und wir haben so viel gehabt! – Eines Tages hat mich der Amtsleiter angerufen, Silvester, Ich hab da ein paar rumänische Kleinbauern da, hast nicht Arbeit für sie?! – Mir schießt das momentan am Telefon ein: Ampferstechen! Diese beiden fleißigen Männer waren den ganzen Sommer da.. Ich hab damals die ganze Bioförderung für die Ampferbekämpfung verwendet – das waren ca. 30.000 Schilling.“

Sylvester Brandner

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Im vergangenen Jahr hat man Sylvester Brandner im Ort ein neues „Gschaftl“ übertragen. Erst war er gar nicht begeistert, dass er den Seniorenbund übernehmen soll. Aber er ist ein sozial eingestellter Mensch und als solcher auch im Ort bekannt und beliebt und konnte nicht zusehen, dass diese Einrichtung sich ohne ihn auflösen würde. Und Übung hat er von früher, als er Bauernbund Obmann war und im Altbauernbund tätig. Sein eigenes Pensionistenleben ist recht rege. Wenn im Stall, Garten, auf der Weide, im Wald und in der Familie, auch als Opa alles erledigt ist, kommt er zum Lesen: Zeitkritisches interessiert ihn – und die Bibel.

Prasser

Die Spur wies immer eindeutiger nach Kappel im Krappfeld. Mehrere Biobauer hatten erzählt, dass sie ihre erste Charge Saatgut von Peter Prasser aus Kärnten bezogen hatten. Tatsächlich hatte Prasser Anfang der 1970er Jahre aus der Schweiz biologisches Dinkelsaatgut mit nach Kärnten genommen und als erster in Österreich wieder angebaut. Ein österreichischer Fachmann für Hildegard-Medizin hatte ihn aufmerksam gemacht. Damals war Dinkel bei Mühlen und Konsumenten unbekannt, er war nach Jahrhundert langer Verbreitung in unseren Regionen in Vergessenheit geraten. Längst dominierte der ertragreiche, pflegeleichte Weizen, gegen den Dinkel, dessen fest angewachsene Spelzen erst in einem besonderen Schälvorgang von den Körnern gelöst werden muss, keine Chance hatte. Prasser fehlten entsprechende Vorrichtungen zur Dinkelaufbereitung und hatte mit der Haferle-Schälmühle eine Zeitlang „herumprobiert“. So konnten sich die Mastschweine einige Saisonen lang an dem seltenen Kraftfutter erfreuen. Prasser hatte ohnehin ein eiweißreiches Futter gesucht. Womit wir schon mitten in den Alltag eines Pioniers eingetreten sind. Nachdem Peter Prasser schon mit 21 Jahren den Viktorhof mitten in Kappel von seinem Großvater übernehmen konnte und „ungehindert losmarschieren konnte“, nahm er gleich mehreres in Angriff, privat und betrieblich. 1960 heiratete er Romana und somit war der Grundstein für die Familie gelegt. Und in der Wirtschaft wurde „der Bleistift gespitzt“ – Peter Prasser war ein Muster an Rationalisierung, Vereinfachung und Weglassen im Interesse des höheren Gewinns. Anstelle der Pferde, Rinder, Schweine, Hühner und Schafe – die Gänse waren schon damals nicht mehr beim Hof – kam die Konzentration auf Schweinezucht. 1963 war Erfolgsprogramm angesagt: „Ich wollte mehr Ertrag – und für die Schweinewirtschaft mehr Futter. Beim Durchsehen der Prospekte deutscher Saatgutfirmen, in denen damals schon die Unterfußdüngung bei Mais propagiert wurde, merkte ich: Aha, da tut sich was beim Mais! Sofort hab ich kalkuliert, da müsste ich auf mindestens vier- bis fünftausend Kilo hinkommen. Bei Getreide waren es zweieinhalb- oder dreitausend. Ich hab mir die Wetterdaten geholt – und habe im Frühling sechzehn Hektar Körnerraps und Körnerrübsen umgepflügt und bin sofort auf Mais umgestiegen.“ – Aber: Prospekte und Praxis sind zwei sehr verschiedene Dinge. Der Mais wurde nicht wie geplant im Herbst reif, sondern die Ernte erfolgte verzögert bei Schnee. An die

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frostigen Temperaturen waren auch die Maschinen nicht gewöhnt und machten Probleme, sie vereisten. So etwas kann aber einen Pioniergeist nicht beirren, Peter Prasser sieht es so: „Dass einmal ein Acker daneben geht, das gab es vorher auch schon. Dann muss man eben ein Jahr warten. Diese Ausrutscher hängen damit zusammen, dass ich sehr neuerungs- und experimentierfreudig bin und immer verbessern will. – Wenn ich von Haus aus etwas vorsichtiger wäre, ruhiger und schauen würde, was andere tun, so käme es vielleicht nicht vor. Aber ich nehme das in Kauf, dass es ‚umsonst’ war.“ Für die Vertreter der Futtermittelfirmen war Peter Prasser ein willkommener Partner. Sie brauchten Testbetriebe und Referenzen von Anwendern. Er wollte mit neuesten Mitteln und Methoden seinen Betrieb in den Griff bekommen und probierte öfter etwas Neues im Stall aus. Dann wurde das ganze Futter genau gewogen und ausgewertet, genaue Aufzeichnungen sollten verhindern, dass ein Fehler etwa zweimal passierte. Doch einmal beschloss Prasser, einen Versuch auf eigene Faust durchzuführen: Ein halbes Jahr wurde die eine Hälfte der Tiere im Stall mit dem angepriesenen Futtermittel samt Antibiotika und die andere Hälfte normal ohne Antibiotika gefüttert. Siehe da, der Mehrertrag durch das teurere Futter samt Antibiotika machte genau soviel aus als gekostet hatte. Es wird aber eingeräumt, dass es bei den Tieren mit pauschal verfütterter Vorbeugung etwas weniger Krankheitsanfälligkeit gab. Was die engagierten Agrarchemie-Vertreter an Information nicht ins Haus brachten, holte sich Peter Prasser auf Messen, wo er sich nach den aktuellsten Entwicklungen umsag: „Ich bin ein moderner Bauer gewesen und als Pionier vorausmarschiert. Auch beim Maschinenkauf. Die erste Hochdruckpresse für Stroh hab ich hierher nach Kärnten gebracht. Auch den ersten Heuschwanz – eine breite Transport-Gabel, die beim Traktor hinten angebaut wurde. Damals war das der erste in ganz Österreich.“ Es war eine Sensation für die anderen Bauern und für die Ortsbewohner, wenn so ein spektakuläres Gerät Einzug gehalten hat. Das Staunen hat meist schnell in Eifer umgeschlagen, es ihm gleich zu tun, berichtet Prasser und lenkt bereits auf ein ganz neues Kapitel seines Bauer-Seins: „Alles haben sie mir recht rasch nachgemacht – nur die Umstellung auf Biolandwirtschaft ist sehr zäh gegangen. Da war auf einmal Stille. Zehn oder fünfzehn Jahre lang haben alle nur geschaut.“ Später fügt er nicht unbedeutend hinzu: „Aber um die Jahrhundertwende – also um 2000 - gab es in unserer Gemeinde und Bezirk wahrscheinlich den höchsten Prozentsatz an Biobauern.“ Die Biolandwirtschaft war also der nächste entscheidende Schritt, der genauso abrupt gewagt wurde wie vorher schon andere in seiner fünfzehnjährigen Laufbahn als Bauer. In dieser Zeit hatte er alles ziemlich auf die Spitze getrieben auf dem Feld und im Stall. Aber einen Schwachpunkt zeigte schließlich das moderne System, zu dem auch ein neuer, die Arbeit erleichternder Stall gehörte. Es konnte nichts darüber hinwegtäuschen, dass es bei jeder zweiten Erstgeburt der Muttersauen Probleme gab. Schon gar nicht konnte man den Tierarzt täuschen, der immer öfter gerufen werden musste. Der Viktorhof gehörte zum Einzugsgebiet von Dr. Selinger aus Althofen, der schon in den 1960er Jahren teilweise homöopathisch gearbeitet hat. Die besondere Qualität in der Behandlung der Tiere bestand aber grundsätzlich darin, dass er sich das kranke Tier als erstes in Ruhe ansah, um die Ursachen zu ergründen und dann spezifische Mittel auszusuchen. Andere Tierärzte Prasser

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hatten gleich eine Spritze zur Hand und damit fertig. Dr. Selinger war auch Anthroposoph und hatte direkten Zugang zur biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise. Im Lauf der Jahre ließ er mehr und mehr von diesem alternativen Wissen einfließen und Peter Prasser ließ sich darauf ein. Immerhin war ihm auch Raimund Remer vom Wurzerhof schon seit langen Jahren ein Begriff, er hatte sich aber nicht näher informiert. Wie gerufen kam da die große Ankündigung einer Europäischen Tagung über biologische Landwirtschaft in der Kärntner Bauernzeitung, organisiert vom Verein natürlichen Lebens in Sittersdorf in Unterkärnten. Von hier führte ein direkter Weg in die Schweiz und bereits im Februar 1971 besuchte Peter Prasser einen Kurs von Dr. Müller auf dem Möschberg, um die Biolandwirtschaft von der Pike auf zu lernen. Er war gewillt, zwei oder drei Felder biologisch zu bewirtschaften, es fehlte aber noch grundlegendes Verständnis. Der Kurs dauerte über eine Woche lang, doch schon am dritten Tag stand fest: Der ganze Betrieb wird umgestellt! Im Kopf eines Pioniers ist offensichtlich alles ganz einfach: Der Wille, etwas zu tun, zu erforschen oder zu beweisen überlagert mit schlichter Überlegenheit alles andere Geschehen, andere Rücksichten und alle anderen Bedürfnisse. Peter Prasser gab ein weiteres markantes Exempel. Zu Hause angekommen gab er sämtliche Vorräte an Pflanzenschutzmitteln dem Lagerhaus wieder zurück. Er stellte radikal um – und durch diesen Akt wussten es auch bald alle in der Gegend. Nach zwei Jahren waren vor allem im Stall positive Ergebnisse sichtbar, im Feld ging es langsamer. Romana Prasser war diese Entwicklung grundsätzlich sehr willkommen, sie wollte schon immer die Kinder gesund ernähren. Das war sie von daheim, einem Bauernhof im bergigeren Gebiet, so gewohnt. Sie hatte immer gewisse Vorbehalte gehabt gegenüber der fortschrittlichen Landwirtschaft und meinte auch, man würde es schmecken, wie die Nahrung erzeugt worden ist. Durch die sehr umfassenden neuen Informationen über gesunde Ernährung wurde ihre Meinung bestätigt und bekam ein stärkeres Fundament. – Mit der Umstellung kam aber auch eine zusätzliche Welle an Arbeiten auf sie zu. Beim nunmehr wieder händischen Hacken der Felder half sie natürlich mit, was neben dem Haushalt für die inzwischen fünfköpfige Familie und dem Garten eine zusätzliche Belastung darstellte. Und wenn man bei dem einen oder anderen Feld der Beikräuter nicht Herr werden konnte, dann hatte Romana das feinere Ohr für die Kommentare im Ort, dass es jetzt schon schlimm bestellt sei um die Ernte, gar um den Hof. Peter Prasser kümmerte es wenig, was andere sagten. Damit nicht genug, hatte das Ehepaar im Umstellungsjahr 1971 nach kurzer Überlegung entschieden, das ererbte Haus nicht zu sanieren, sondern ein neues Wohnhaus zu bauen. Es gab an allen Ecken alle Hände voll zu tun. Peter Prasser saß gewissermaßen an zwei Quellen, auch wenn beide in diesen Jahren noch sehr spärlich flossen. Er hatte nach dem Kurs am Möschberg Kontakt zu der Salzburger Gruppe, d.h. zur Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum, für die Martin Ganitzer zu den regelmäßigen Treffen mit Dr. Müller eingeladen hatte. Da in Kärnten der organisch-biologische Landbau damals noch nicht Fuß gefasst hatte, musste Prasser immer die lange Anfahrt in Kauf nehmen. Der Erfahrungsaustausch war wichtig, auch wenn es mehr um allgemeine Fragen, selten um seine konkreten Fragestellungen ging.

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Und um Dr. Selinger, Raimund Remer vom Wurzerhof und Marianus Rath von Gut Farrach bildete sich eine Kärntner Bauerngruppe der biologischdynamischen Richtung. Dort schlossen sich Peter und Romana Prasser an und nahmen an den monatlichen Treffen teil, und zwar bis heute. Schon 1969 war in Maria Rojach bei Marianus Rath der Österreichische Demeterbund – ein Zusammenschluss von biologisch-dynamischen Bauern, Verarbeitern und Händlern – gegründet worden. Mit großer Begeisterung nahm Peter Prasser auch an der vom Demeterbund jährlich veranstalteten Tagung in Rojach teil. Er genoss die Informationsdichte und die Präsenz vorausblickender und versierter Persönlichkeiten wie Maria Thun. Es kam sogar vor, dass die JahresversammAbb. 73: Juli 1979 besucht Univ.Prof. Dr. Ludwig lungen beider Bio-Richtungen terminLöhr vom Kärntner Landesinstitut für Bergbäuerliche lich hintereinander lagen und Prasser Betriebs- und Arbeitsforschung, der für Modernisievon der einen Tagung unmittelbar zur rung und Vollmechanisierung eintrat, den Viktorhof. Peter Prasser zeigte ihm seinen (bis auf die Schweinenächsten übersiedelte. mast) biologisch geführten Betrieb – die Diskussion Seit 1975 ist Peter Prasser Mitglied war eröffnet. im Demeterbund. Er bekam auch eher bald die Anerkennung, weil er schon einige Jahre biologisch gewirtschaftet hatte. Die Richtlinien der Zertifizierung hatten aber noch nicht die heutige Strenge. So gab es auch keine Probleme, als er 1984 spontan mit der Schweinehaltung aufhörte und sieben Jahre lang als viehloser Betrieb bio-dyn wirtschaftete. Inzwischen muss jeder Demeterbetrieb auch einen angemessenen Tierbestand haben. Bei Prasser war die Arbeitserleichterung ausschlaggebend. Als dann die Vorschriften strenger gehandhabt wurden, war aber klar, dass er Demeterbauer, und zwar ein richtiger, sein wollte. So wurden Rinder eingestellt und die Sache war wieder rund – im Sinne des geschlossenen Kreislaufs am Hof. Anfang der 1980er Jahre wurde die Sache mit dem Dinkel virulent, er sollte endlich als Speisedinkel der Ernährung des Menschen dienen. Da es keine andere Möglichkeit zur Reinigung gab, nahm Peter Prasser es selbst in die Hand und investierte in eine Anlage. Da inzwischen auch andere Biobauern vor diesem Problem standen, war er auch für sie bald Anlaufstelle und übernahm auch für andere die Getreideaufbereitung. Es gab immer genug zu tun!

Prasser

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Zur Routine wird das Dasein eines Biobauern nicht. Neue Fruchtfolgen werden ausprobiert. Da dauert es oft zwei, drei Jahre bis das Neue wieder gut integriert ist, vom Arbeitsablauf her, von der Wirkung her. Und es passieren auch Fehler, ein Aussaattermin wird verpasst oder zu früh angesetzt und löst unter Umständen eine Kette an Korrekturmaßnahmen aus. Zuletzt bemühte sich Peter Prasser darum, die Futterrübe – vom Silomais gänzlich verdrängt – wieder in die Fruchtfolge einzubauen, gute Erträge und gute Werte an Inhaltsstoffen zu erzielen. Im Wesentlichen geht es nämlich darum, den Tieren alle Pflanzenteile zu verfüttern, demnach Wurzel, Blatt, Blüte und Same/Korn. Neben Kraft(körner)futter und Gras/Klee/Heu ist die spezielle Futterkomponente des Wurzelgemüses fast durchgehend gestrichen worden. Laut Rudolf Steiner gibt es aber einen klaren Zusammenhang der Wirkstoffe der Pflanzenteile zu den Körperregionen beim Tier und beim Menschen, also Kopf – Rumpf – Gliedmaßen zu den Pflanzensegmenten und zwar im umgekehrten Verhältnis, so enthält die Wurzel der Pflanzen Wirkstoffe, die für den Kopf wichtig sind. Prasser bemerkt dazwischen, dass dies speziell bei den Zuchttieren wichtig wäre. Die Blüte wirkt auf die untere Region und das Blatt in der Mitte. Soweit die Lehre, in der Praxis würde man die subtilen Auswirkungen wohl erst nach einigen Generationen merken. Als zertifizierter Biobauer kam ab 1995 durch den EU-Beitritt zu der Landwirtschaft die Formularwirtschaft. Gegen den ungeliebten, aufgezwungenen Verwaltungsaufwand im Zuge der Förderungen und Kontrollen sträubte sich Prasser erst heftig, aber wie man weiß, muss sich hier jeder fügen. Peter Prasser schenkte wenig Aufmerksamkeit den äußeren Reaktionen auf seine Neuerungen. Er legte es nicht darauf an, Kollegen dazu zu bewegen, die biologische Methode mitzumachen oder nachzumachen. Umgekehrt hielt er aber auch nicht hinterm Berg mit seinen Anschauungen und Überzeugungen. Wenn er von engagierten Gruppen aus der frühen Öko-Szene Flugzettel oder Informationen zu Umwelt-Themen erhielt, kam es schon vor, dass er sie auch im Lagerhaus auslegte und zum Mit- oder Nachdenken anregen wollte. Als unverhohlen Andersdenkender und anders Wirtschaftender war für Prasser nach und nach der Zeitpunkt gekommen, sich aus diversen Funktionen in der Öffentlichkeit zurückzuziehen, aus dem Aufsichtsrat im Lagerhaus, aus dem Gemeinderat und als Ortsbauernbund-Obmann. Dafür gewann das Studium von Büchern aus dem Werk Rudolf Steiners im Kreise einer kleinen Gruppe an Bedeutung. Da traf und trifft man sich wöchentlich und daran nehmen Peter und Romana Prasser gerne teil. Die vertiefenden Gespräche im Anschluss an die Lektüre sind immer aufschlussreich. Peter hatte immer schon eine Ader für philosophische, „all“umfassende Fragen. So wird erzählt, dass er schon als Kindergartenkind sich eindringlich nach den Sternen erkundigte und ähnlich ausgefallene Fragen stellte. Nun zitiert er aus seiner Sprüchesammlung einen Gedanken des Griechen Anaximander, der 500 v. Christus gelebt hat, der ihm eben besonders gefällt: „Nimm in die Sorge das Seiende im Ganzen.“

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Lassen wir mal die Sorgen weg und nehmen das Seiende rund um den Viktorhof im Ganzen. Zu den drei Kindern gehören auch schon acht Enkelkinder. Der Hof ist bereits auf den Sohn übertragen, wenngleich dieser noch einer anderen Profession nachgeht. Er hat sich im Alternativ-Energie-Sektor mit dem Vertrieb von Sonnenkollektoren erfolgreich etabliert. Aber einstweilen ist Peter Prasser noch am Werk in der Landwirtschaft und behauptet auch von sich, dass die Arbeit das Wichtigste ist. Aber für den Gesangsverein muss für einen Kärntner schon noch genug Zeit sein. Beide Prassers sind im Chor und Peter steuert einen kräftigen Bass bei. Aber nachdem dieses Geheimnis gelüftet ist, schwenkt er wieder bald wieder aufs Hauptthema um: „Die Landwirtschaft ist so interessant und ich bin heut noch so gern Bauer wie vor fünfzig Jahren.“

Wimmer Eugen

Reichlich Historie, reichlich Erneuerndes, ja Avantgardistisches und einige dramatische Einschnitte sind bestimmende Faktoren in Eugen Wimmers Leben. Dass er auf biologische Landwirtschaft umschwenkte und schließlich auch erster Obmann des Bioverbandes im Burgenland war, ist nicht die einzige agrarische Extravaganz, mit der er die Oggauer Winzerkollegen überraschte. Eugens Geburtshaus ist ein typischer ungarischer Streckhof mit Säulenaufgang und seit drei Generationen im Besitz der Wimmers. 12 Hektar Weingärten, 20 Hektar Ackerland und dazu noch 6 Hektar Wiesen bildeten immer eine solide Basis für die Wirtschaft. Dieses Haus hatte schon vier Jahrhunderte, also auch die Türkenbrände, überdauert und vermittelte Tradition, Kontinuität und Stabilität. Aber die Zeit, in der er heranwuchs, war von Umbruch und Krieg geprägt – seine Hauptschule in Mödling wurde 1943 wegen Bombengefahr geschlossen. Bis in die 1950er und 60er Jahre waren neben der Familie noch vier oder fünf Personen als Gesinde am Hof. Es war eine gemischte Bauernwirtschaft mit all der üblichen Vielfalt, zu der Schweine, Kühe, Schafe und Hühner ebenso wie die Arbeitspferde, zwei Ochsen für ein Gespann und zwölf Bienenstöcke gehörten, der Getreidebau ebenso wie Futterbau und der alles krönende Weinbau. Und die Männer in der Familie lernten traditionell auch die Jägerei, ein Mufflongeweih sticht unter den Trophäen heraus. Doch auch Modernisierung pulste im Haus: 1937 wurde der erste Deutz-Traktor im Ort angeschafft, der bereits im Kindheitsalter Eugens Neugierde und auch Liebe zu Maschinen, zu allem Neuen und Fortschrittlichen weckte. Eugen jun., der „Eugène“ gerufen wurde (zur Unterscheidung von Eugen Wimmer sen., der sich ungarisch „Jenő“ benamste), besuchte die Fachschule für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg. Dort wurde bald sein Klassenkamerad Sepp Moser, der Sohn des „Weinpapstes“ und Erfinders der Hochkultur Lenz Moser, ein guter Freund. Doch unerwartet früh musste er arbeitsmäßig seinen kranken Vater zu Hause in Oggau ersetzen und sah sich gezwungen, die Weinbauschule vorzeitig abzubrechen. Die Praxis rief ihn dringender. Wimmer Eugen

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Die 60er Jahre waren dann geprägt von Änderungen und Neuerungen. Zum einen privat, da Eugen in Maria seine Frau gefunden hatte – die ihn mit ihrer Dynamik seit nunmehr 45 Jahren begeleitet. Sie stammt aus Rust, hat den Beruf der Kindergärtnerin gelernt und lange mit viel Freude ausgeübt und war damals auch einmal Winzerkönigin. Zum anderen waren nun endlich die Verhältnisse so, dass er auf Hochkultur umsteigen konnte, wo er doch durch Sepp Moser direkt an der Quelle saß. Nun war er der erste in Oggau, der von der engen, niederen Stockkultur auf breite Reihen und hochgezogene Rebstöcke umstieg – und er blieb auch lange Zeit der einzige mit der modernen Hochkultur. Zusätzlich musste stark rationalisiert Abb. 74: Blick in den musealen Bereich des Hofes von werden, weil die bisher im Haus lebenEugen und Maria Wimmers den und arbeitenden Leute weg gingen. Für die Weingärten fand Wimmer eine unorthodoxe, wissenschaftlich widersprochene und berufsethisch verpönte Lösung: Die Dauerbegrünung. Ihm ersparte es viel Arbeit, denn er ließ alles, was im Weingarten anfiel an Ort und Stelle. Gräser und Beikräuter, das Weinlaub im Herbst oder die holzigen, abgezwickten Reben - mit seinem Häxler zerkleinerte – „häxelte“ – er alles und übergab es dem Boden resp. Bodenleben. Dabei strafte er die Wissenschaft Lügen, von der behauptet und befürchtet wurde, dass man sich mit Rebhäxel Krankheitskeime, Schädlingslarven etc. im Weingarten züchte. Wimmer bemerkte in all den Jahren nichts davon und so blieb er dabei. Wenn ein Weingarten gesetzt wird, wird der Boden acht Jahre lang normal bearbeitet, gesäubert, belüftet und mit organischer Masse gedüngt, sodass sich das Wurzelreich der jungen Rebstöcke frei entfalten kann. Dann verpasst ihnen Wimmer gleichsam eine Radikalkur, indem er zur Dauerbegrünung übergeht, wodurch er im oberen Boden eine Wasser- und Nährstoffkonkurrenz erzeugt und die Wurzeln gezwungen sind, in tiefere Schichten vorzudringen, so erklärt es sich Eugen Wimmer. Er hatte nicht nur mit seinen eigenwilligen Methoden Erfolg, auch seine Weine, die er typisch für das Burgenland auch als Spätlesen und Auslesen kelterte, wurden vielfach prämiiert. Und er wurde Obmann des Weinbauvereines. Einen dramatischen Einschnitt brachte das Jahr 1974. Im Frühjahr, genau in der Karwoche, waren Eugen und Maria mit einer Lieferung von 400 Bouteillen in Wien unter-

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Abb. 75: Dauerbegrünung seit 30 Jahren in Eugen Wimmers Weingarten, Oggau

wegs und wurden von einem 28 Tonnen schweren Lastwagen gerammt. Sein Leben hing an einem Faden, selbst der Unfallarzt hatte befürchtet, dass jede Hilfe zu spät kommt. Beide waren wochenlang im Spital bzw. in häuslicher Pflege. Verwandte, Bekannte und Nachbarn waren eingesprungen und hatten inzwischen Haushalt und Tiere versorgt. Und im Keller warteten ein paar Tausend Rebsetzlinge darauf, ausgepflanzt zu werden. Schließlich war Wimmer soweit genesen, dass er vom Liegestuhl aus im Weingarten mitverfolgen konnte wie der neue Weingarten von Helfern angelegt wurde. Langsam klinkten sich beide wieder in das aktive Leben ein. Für Eugen Wimmer war es selbstverständlich, sämtliche Arbeiten im Weingarten selbst, oft auch allein, zu erledigen. Dazu gehörten auch die heikleren, unangenehmeren wie das alljährlich mehrmals notwendige Ansetzen und Anrühren des Kupfervitriols oder auch der Kupferkalkbrühe, ebenso die sofortige Reinigung der Geräte, die sonst von den scharfen Mitteln angegriffen worden wären. Diese giftigen Prozeduren hatten im wahrsten Sinn „unerwünschte Nebenwirkungen“, denn Wimmer war nach dem Unfall gesundheitlich sensibler geworden und Ende der 1970er Jahre erlitt er bei diesen Arbeiten einen Schwächeanfall. Der Arzt diagnostizierte eine leichte Spritzmittelvergiftung. Das stimmte ihn nachdenklich und machte ihn empfänglicher für die Hinweise über biologische Maßnahmen, die der Weinbauberater Ing. Zöchling immer wieder fallen ließ. Eugen Wimmer setzte sich mehr mit dem biologischen Weinbau auseinander. Er fand Literatur und er redete mit anderen Weinbauern – Steindl, Beilschmidt und Wetschka Wimmer Eugen

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- die in ihrer Art biologisch arbeiteten und experimentierten. Er nützte die verfügbaren Informationsangebote in Form von einzelnen Gesprächen, Vorträgen und 1981 machte er den Einführungskurs für Biolandbau in Mattersburg. „Es war ja schon ein Risiko. Er ist mit zwölf Hektar Weingarten prompt hinüber gegangen, man hat ja nicht gewusst, was sein wird, da haben wir schon gezittert“ kommentiert Maria Wimmer die Umstellungszeit. Um die neuen Anforderungen in der Bearbeitung zu bewältigen, verpachtete Eugen Wimmer seine Ackerflächen, baute kontinuierlich den Viehbestand ab und konzentrierte sich ausschließlich auf den biologischen Weinbau. Kernpunkt der Umstellung war das Weglassen der chemischen Spritzmittel. An deren Stelle trat fürs erste die Brennnesseljauche. Unmengen des Krautes wurden in Bottichen angesetzt und dann als Blatt- und Bodendünger ausgebracht. Ursprünglich war die Brennnesseljauche ja als Pflanzenschutzmittel vorgeschlagen worden, löste dieses Versprechen aber nicht ein, vor allem gegen Pilzkrankheiten wirkte sie nicht. Kein Grund für Eugen Wimmer, alles hinzuschmeißen: „Wegen eines Misserfolgs darf man sich nicht entmutigen lassen – vielleicht hat man selber etwas schlecht gemacht.“ Um die organische Düngermasse aufzubessern, „entsorgte“ Wimmer die Trestern der Oggauer Winzergenossenschaft ökologisch, indem er sie verkompostierte. Von 40 Bauern kam schon eine beträchtliche Menge zusammen und er war nächtens vollauf mit dem Abtransport beschäftigt. „Eine Stresspartie“, sagt er. Für die Organisatoren des Winzerverbandes in Rust, von denen er auch Pressrückstände übernahm, war es dagegen bequem, die Trestern nicht auf die Müllhalde führen zu müssen. Sie ließen den Biobauern gern gewähren, der schon immer seine eigenwilligen Strategien hatte. Kritik kam aber von seinem Mentor Zöchling, der über die Sinnhaftigkeit bzw. Zulässigkeit, Trestern von konventionell gespritzten Weingärten in seinen biologischen Betrieb hereinzunehmen, zu debattieren begann. Für Wimmer galt es abzuwägen, organische Masse in den Kreislauf zurückzubringen oder sich partout gegen ein paar Giftstoffe zu wehren. Richtlinien im strengen gesetzlichen Sinn gab es noch nicht. Er vertraute auf die Umwandlungskräfte der Natur und sah die Trestern als eine gute Humusbasis. Zu Beginn kompostierte er sie und brachte den fertigen Kompost in die Weingärten aus. Doch nach wenigen Jahren ersparte er sich diesen Arbeitsschritt und setzte die Trestern direkt als Flächenkompost ein. Auch das funktionierte. Es gab einen ständigen Informationsaustausch. 1984 unternahm Wimmer mit anderen Interessenten aus dem Burgenland eine Exkursion zu Biobauern in Deutschland, ins Elsass und die Schweiz. Ebenso nahm er das Angebot zu Bodenuntersuchungen wahr, hat sie aber in keiner erfreulichen Erinnerung und aus Kostengründen hat er das Verfahren auch rasch wieder eingestellt. Etwa 15.000 Schilling für zehn Proben, nämlich pro Weingarten, und das über mehrere Jahre hinweg, das wäre ihm einfach zu viel gewesen. Mit seiner Gründecke und seinen jahrelangen Beobachtungen hat er sich seinen persönlichen Bezug zu seinem Boden aufgebaut – ohne Analysen. Nicht nur im Weingarten, auch im Keller, in der Behandlung des Weines gab es einige Änderungen, den Unterschied schmeckte man auch zuletzt im Glas. Der Kundenstock wandelte sich entsprechend. Die Verkaufssituation nicht mehr die alte und die gewohn-

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ten Pfade zu Weinmessen mit Prämiierungen fielen nun weitgehend weg. Wimmer sagte seinen Kunden, dass der Wein biologisch ist, d.h. dass sich die Produktionsweise wesentlich verändert hat, der Preis jedoch gleich blieb. Wimmer ging es dabei um einen heiklen Punkt, mit dem er auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden wollte: „Wenn jemand spekuliert mit dem Preis. Wenn etwas umtituliert wird und nur deshalb schon mehr verlangt wird. Das sollte nicht der Sinn der Sache sein.“ – Der Weinskandal 1985 trug in der österreichischen Weinwirtschaft auf seine Weise dazu bei, dass Qualität grundlegend hinterfragt wurde. Den Biowinzern verschaffte er so manchen neuen Kunden. Eugen Wimmer kennt seine Stärken und Schwächen und man bekommt sie auch sehr schnell zu spüren. Er konzentriert sich auf das Wesentliche, das freundlich in knappen Worten vermittelt wird – er hält sich selbst für keinen guten Rhetoriker, hat auch nichts übrig für weitschweifiges Gerede oder gar Stammtischrunden. Er ist eher zurückhaltend, übt sich in feinem Understatement. Man erlebt ihn als aufmerksamen Zuhörer, dem kein Detail entgeht, der aber sofort aktiv eingreift, wenn er Ungenauigkeiten, gar Fehler ortet. Dazu hat er einen Sensor für Neuerungen, sei es ein echter Paradigmenwechsel, eine technische Errungenschaft oder ein modisches Accessoire. In echter Pioniermanier geht er seinen Weg durchaus allein, testet was ihn interessiert ungeachtet der Kommentare anderer – und braucht auch keine Miteiferer. – Vielmehr holten andere ihn. Eugen Wimmer war Weinbauvereinsobmann in Oggau, hatte den Hochkultur-Ring geleitet, war im Jagdverein aktiv – seit ... Jahren ist er aber nur mehr der Heger, nicht mehr der Jäger, und ist auch jetzt noch ehrenamtliches Naturschutzbund-Mitglied. Und in den Augen Maria Wimmers ist er „bestimmt ein tiefgreifender Mensch. – Er hat Achtung vor allem, vor jedem Lebewesen – er kann nicht einmal eine Spinne umbringen. Er sieht praktisch in jedem Lebewesen die Schöpfung Gottes.“ – Und Eugen Wimmer war Gründungsobmann des Verbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Burgenland. Blick zurück: Ende der 1970er Jahre hatte sich auch im Burgenland eine kleine, überzeugte Schar von Biobauern zusammengeschlossen und Eugen Wimmer oblag es ab 1981 in seiner Funktion als Obmann in der eigenen Diktion „dafür zu sorgen, dass die Partie bei einander bleibt und sich weiterbildet.“ Somit hat er immer herumtelefoniert und alle zu den Versammlungen zusammengetrommelt. Obwohl er, wie er selbst wiederholt beteuert, für die diversen Gesprächsrunden eigentlich nicht zu haben war und dort lieber die anderen debattieren und „pallavern“ ließ. Im Übrigen hat damals Herr Ing. Kurzbauer, ein treuer Teilnehmer dieser Treffen, der schon verstorben ist, immer mitstenografiert. Natürlich hielt Wimmer auch regen Schriftverkehr mit dem Bundesobmann Walter Eiböck und er war überzeugt: „Diese Bewegung muss man unterstützen und vorwärts bringen, das ist – meiner und unserer Meinung nach – das Richtige gewesen und die Zukunft. So hab es zumindest ich in Erinnerung.“ – Wo es am laufenden Band Schwierigkeiten gegeben hatte, war bei den Behörden. Es war den Biobauern unmöglich, sich Zutritt zum Kammerpräsidenten oder zum Kammeramtsdirektor zu verschaffen. Deren Vorzimmerdamen waren schon instruiert und ließen die Biobauern mit ihren Anliegen nicht vor, weil die Herren beschäftig sind... Eugen Wimmer vergleicht mit seiner heutigen Situation, wo sein Neffe Kammeramtsdirektor ist und er ihn jederzeit konsultieren könnte. Aber die Herren in der LandWimmer Eugen

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wirtschaftskammer damals hatten nichts übrig für Biolandbau, kannten sich nicht aus, interessierten sich aber auch nicht dafür – und so konnten und wollten sie auch keinerlei Unterstützung bieten oder „ein paar Schilling“ für eine Veranstaltung frei geben. Auf die gleiche Haltung stießen Wimmer, Zöchling und Steindl im Ministerium, als es Steindl vorantreiben wollte, dass biologischer Wein auf dem Etikett als solcher ausgewiesen werden darf. Da hat sich nichs getan, trotz mehrmaliger Vorsprache. All das war absolut unverständlich für die Biobauern, deren Überzeugung es war, dass durch den biologischen Werdegang alles besser wird, einfacher wird, die Lebensqualität gehoben wird – im Klartext: Dass man gesund lebt und nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Doktor gehen muss. Maria Wimmer steuert Stimmungsbilder rund um die Anfänge der Ökobewegung bei. Die Aubesetzung bei Hainburg im Dezember 1984. Die beiden fuhren öfter zu den Demonstranten und versorgten sie mit selbst gebackenen Strudeln – Bohnen-, Topfen- und Krumbeer (Erdäpfel)Strudel mit Speck – und Brot, Traubensaft und Nüssen. Im Ort empfand man das eher närrisch, bis auf ein paar Helfer. Und den Heiligen Abend verbrachten sie selbst in der Au, Seite an Seite mit Günther Nenning und Freda Meissner-Blau. Oder als einmal – auch in den 1980er Jahren – von der Firma Perlinger aus Tirol Einkäufer kamen und wegen 8–10.000 kg Trauben anfragten. Das war zwar arbeitstechnisch eine harte Herausforderung, aber – ja, die können sie gerne haben! Die Begutachtung der Proben fiel zufrieden stellend aus. So wurden die Kisten geliefert, bei dieser Menge stapelte sich einiges an Gebinde. Und es wäre wirklich ein guter Preis gewesen! – Wäre gewesen? – „Zwei Tage vor dem Ernten ist der Hagel gekommen.“ Trocken, aber mit einem begütigenden Lächeln kommentiert Eugen Wimmer die Absurdität dieser Situation. „Alles war weg. Alle Kisten mussten wieder in die Steiermark zurück – alles – das muss man einmal miterleben“ ergänzt Maria Wimmer diesen herben Schlag der Natur. Aber es gab auch ganz andere Interferenzen mit der Natur. Etwa, als Eugen Wimmer in seinem Hut acht Wildenteneier nach Hause brachte, deren Mutter von einem Tier gerissen worden war. Die wurden im Kachelofen ausgebrütet, wurden fürsorglich aufgezogen und lebten am Hof. Doch mit der Zeit zeigte sich die Wildentennatur, sie flüchteten, kamen wohl ums Futter wieder, wochenlang, bis eine nach der anderen endgültig wegblieb. Ein kleines Glück, ein kleines Drama. – Unvergesslich auch das Mariekserl, das kleine Huhn, das Eugen Wimmer überall hin nachlief, ins Haus, in den Stall. Und wo es nicht mitlaufen konnte, nahm er es in einer Kiste im Auto mit: In den Ort, in den Weingarten... Über kurz oder lang war seine Tierliebe ortsbekannt und man brachte ihm kranke Haustiere, auch ein verletzter Storch wurde gesund gepflegt. – Im Haus, in der guten Stube konnten Rauchschwalben in den zahlreich an der Wand hängenden Guglhupfformen nisten. Eugen und Maria Wimmer lebten in einer ungewöhnlichen Nähe mit einigen ihrer Haustiere. So verwundert es nicht, dass sie keines ihrer Tiere essen: „Sie sterben alle eines natürlichen Todes.“ Eugen meint, er braucht generell kein Fleisch, Maria dagegen liebt noch den Bratenduft. Und was isst er wirklich gern? In der Marillen- und Zwetschken-Saison könnte er jeden Tag Marillen- oder eben Zwetschkenknödel essen, auch eine Woche lang. Ansonsten alles, was es im Haus gibt, Gemüse, Eier – ganz einfach, saisonal, regional.

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Eugen und Maria Wimmer haben mit ihrer Lebensart ein dicht verwobenes Netz mit dem altehrwürdigen Haus gesponnen. 1973/74 ließ Eugen das Haus nicht nur gründlich sanieren, sondern nach akribischen Recherchen bzw. durch fachkundige Beratung in den originalen Zustand zurück renovieren. Wie im Märchen öffnet Maria Wimmer zuletzt noch eine Tür im ehemaligen Gesindetrakt und führt in das, wie sie sagt, größte private Heimatmuseum des Burgenlandes. Hier wird die komplette Wohnungs-Einrichtung sowie eine Herdstelle mit Kamin, Geschirr, Kleidung, Bilder, Gerätschaft dicht gedrängt aufbewahrt. Maria Wimmer weist auf eine alte Portraitfotografie hin: „Hier, das war ein tiefgläubiges Haus. Auch meine Mutter war eine zutiefst fromme Kroatin. Von ihrer Maika / Mutter hat sie immer erzählt, dass die ihre sieben Kinder so erzieht, dass sie vor dem Kaiser und dem Herrgott bestehen können. Sie braucht keine Polizei. Da hat es keinen Pardon gegeben, bei den Buben nicht und bei den Mädchen.“ So birgt das Haus viele Zeugnisse der Geschichte. Die Zukunft ist noch nicht fix, denn Eugen und Maria haben die Nachfolge noch nicht bestimmt. Bis jetzt war es immer so eingerichtet, dass Eugen Wimmer noch alles allein bewältigen konnte. Jetzt macht er sich doch allmählich Gedanken, jemanden einzuweisen – es gibt ja in Oggau inzwischen auch andere Biowinzer. Maria bescheinigt ihrem Eugen jedenfalls: „Er war ein glücklicher Pionier!“

Loidl Fritz

Eine Reihe von Schlüsselerlebnissen – wie er sie selbst bezeichnet – bewirkte bei Fritz Loidl einen facettenreichen Umdenkprozess, der ihn mehr und mehr in ökologischen und sozialen Belangen aktiv werden ließ – erst als Biobauer und zuletzt auch als Bürgermeister. Im kleinen Dorf Kopfing nahe Hartberg in der Steiermark 1951 geboren und mit fünf Geschwistern auf dem Hof des Vaters aufgewachsen, übernahm schließlich Fritz Loidl den elterlichen Betrieb. Frisch von der Fachschule weg, mit der er 69/70 fertig geworden ist, wollte der aufgeweckte Fritz mit einer fortschrittlichen Agrarproduktion durchstarten. Die Entdeckungen in Chemie und Physik hatten ihn immer besonders interessiert, und sie gaben ihm tolle Mittel in der Hand. Der kleine, gemischte Betrieb war regionaltypisch auf Edelobst spezialisiert. Es war die Zeit des Golden Delicius und Gloster-Apfels, die auf dem Markt Spitzenpreise erzielten. Daneben wurde noch in kleinem Rahmen Getreide angebaut und ein paar Stück Vieh gehalten. Auch wenn Geld immer knapp war, rentierte es sich vor allem im Obstbau, Spritzmittel und Kunstdünger einzusetzen. Durch gesicherte Erträge und Arbeitsersparnis machten sie sich doppelt bezahlt. Höchstens das Auftreten von ersten Schädlingsresistenzen gegen Spritzmittel fiel Loidl auf und irritierte ihn. Aber er behielt die Linie bei und gründete 1978 zudem den „Maschinenring Hartberg Süd“, dem schon bei der Gründung cirka 150 Bauernkollegen beitraten. 15 Jahre lang war er Obmann und erledigte für viele der Mitglieder die Spritz-Maßnahmen auf den Feldern, in der Chemie war er ja Experte.

Loidl Fritz

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Aber auch eine andere Seite der Agrarproduktion lernte Fritz Loidl schon früh kennen, denn durch die Katholische Jugend-Bewegung waren die Probleme von Bauern in weit entfernten Gebieten der 3. Welt auch in so entlegene Winkel wie Kopfing vorgedrungen. In seinem Freundeskreis entstand daraufhin eine Selbstbesteuerungsgruppe, in der jeder selbst festlegte, welchen Betrag er jährlich geben konnte. Mit der gemeinsam erzielten Summe wurden gezielt Entwicklungshilfe-Projekte finanziert bzw. unterstützt – und das bis heute. Als dann 1972 der Club of Rome den aufrüttelnden Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte, war dies für Loidl ein Schlaglicht auf die sorgsam zu nützenden Ressourcen dieser Welt. Bald folgte ein ähnliches Schlüsselerlebnis durch ein Buch, das den weltweiten Energieverbrauch in der Landwirtschaft auflistete und dabei die ernüchternde Bilanz zog, dass bei der Nahrungsmittel-Produktion für eine Kalorie auf unseren Tellern bereits zehn Kalorien als Vorleistung hineingesteckt worden sind. Kein Wunder, dass Fritz Loidl daraufhin auch einen kritischen Blick auf die eigene Energiebilanz warf und sich Gedanken machte... Damit nicht genug, fiel ihm noch eine „Schlüssel-Information“ in die Hände, eine Forschungsarbeit aus der Schweiz, die die Kette der Abbauprodukte der Agrochemikalien verfolgte. Da gefiel ihm die Chemie gar nicht mehr so gut. Zuletzt lieferte ihm noch sein eigenes, unmittelbares Arbeitsfeld weitere aufrüttelnde Erlebnisse. Für einen Kollegen sollte ein Halmverkürzer für Gerste gespritzt werden. Als Loidl das Kleingedruckte auf der Packung las, fand er den Hinweis, dass zur Ausbringung ein Wasserrechtsbescheid vorliegen müsse, der garantiert, dass der Grundwasserstrom bis zur nächsten Quellfassung mehr als 60 Tage unterwegs ist. Man kam zur Einsicht, dass das Mittel nicht zur Anwendung kommen konnte. Seine Verunsicherung über den Einsatz von Agrochemie wurde auch diverse Meldungen über Resistenzbildungen genährt, insbesondere über die Herbizidresistenz beim Maisanbau und Mittel gegen die Rote Spinne im Wein- und Obstbau. Seit 1981 ist Fritz Loidl mit Maria verheiratet. Durch ihre Initiative hatten sie auf biologische Ernährung umgestellt. Sie bauten sogar schon auf einem Acker Getreide für den Eigenbedarf ohne Spritzmittel und Kunstdünger an. Es schien ihnen irgendwie verrückt, wenn ein Bauer das Getreide im Reformhaus kauft. Im Geschäft von Johann Steinkleibl in Graz konnten sie außerdem bei Bedarf fehlende Lebensmittel ergänzen. Nach der Lektüre von Alwin Seiferts Büchlein über giftfreien Ackerbau war biologische Landwirtschaft für Fritz Loidl eine zu erwägende Alternative. Er war auch schon interessiertes Mitglied vom Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern und hatte Kontakt zu Franz Kappel und der Gruppe der St. Mareiner Biobauern. Interessehalber fuhr Loidl auch bei einer Exkursion mit – aber für eine komplette Umstellung seines Betriebes waren die Informationen zu dünn: Für biologischen Obstbau gab es in der Steiermark weder eine Beratung noch Bauern, die damit schon Erfahrung hatten. Im Gegenteil, er stieß obendrein noch bei Vertretern der bio-dyn Richtung auf Ungereimtheiten in der Durchführung der Methode. – So war er in diesen kritischen Jahren zwar bei seiner Chemie geblieben, suchte aber Schutzmaßnahmen bei den Spritzungen. Er gewöhnte sich an den Mundschutz, den später auch Kollegen und Nachfolger im Maschinenring benutzten. Seinem Vorschlag,

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komplette Schutzanzüge mit Maske beim Spritzen zu tragen, konterte man allerdings entschieden, dass das auf Konsumenten abschreckend wirken müsse. Es könnte den Eindruck erwecken, dass hier gefährliche, giftige Maßnahmen durchgeführt werden. Zuletzt wurden zumindest geschlossene Fahrerkabinen zum Selbstschutz als neue Standardausrüstung durchgesetzt. Dennoch – die Folge von alarmierenden Informationen hatte immer engere Kreise gezogen und zuletzt ihn persönlich betroffen. Das definitive Schlüsselerlebnis war im Jahr 1982/83: „Es war ein körperlicher Zusammenbruch, ich musste mich niederlegen. Eine Herbizidvergiftung. Ich hatte Unkrautmittel im Getreidebau ausgebracht. Es waren die gleichen Wirkstoffe und die gleichen Symptome wie damals bei den amerikanischen Soldaten im Vietnamkrieg 2.4-D, 2.4.5-T, CPB, CBA – diese Wirkstoffgruppe – diese Wuchsstoff-Herbizide wurden dort zur Buschentlaubung eingesetzt – und wir setzen sie in der Lebensmittelerzeugung ein... Da hab ich gesehen: So mach ich sicher nicht weiter.“ Loidl räumt ein, dass ihm das viele Spritzen eigentlich schon vorher gegen den Strich gegangen war – er hatte die Lohnarbeit für 140 Hektar übernommen und war den Bauern im Wort – dass es aber wohl dieses drastischen Anstoßes bedurft hatte, dass er den Schritt wagt, die Arbeit aufzukündigen. Erst bei Exkursionen nach Südtirol und in die Schweiz gelang es Loidl, genügend fundierte Erfahrungswerte für biologischen Obstbau zu sammeln, auf die er aufbauen konnte. Und durch die Spritzmittelvergiftung war die Umstellung besiegelt. Der Mitgliedschaft im steirischen Landesverband folgte schließlich 1984 die Anerkennung als Biobetrieb. Nur jene Bäume, die sein Vater sich zum Fruchtgenuss auf 2000 m2 nach der Hofübergabe vorbehalten hatte, musste Loidl noch konventionell mit synthetischer Chemie behandeln – bis der Vater nach drei Jahren zugab, dass die Bio-Äpfel eindeutig besser schmecken! Der bessere Geschmack war schließlich auch dafür ausschlaggebend, dass die Fläche des Vaters umgestellt wurde. Solches Feedback war natürlich Gold wert und Fritz Loidl unterstreicht auch, wie wichtig für ihn die positiven Reaktionen seiner Kunden waren. Echtes Gold gab es zuletzt bei Prämierungen für die biologischen Loidl-Apfelsäfte, die auf der Wieselburger Messe drei Mal als bester naturtrüber Apfelsaft mit der „Goldenen Birne“ ausgezeichnet wurden. Das ist die Trophäe der größten österreichischen Verkostung! Schon nach wenigen Jahren war Loidl fixer Bestandteil der damaligen Bio-Szene. Beim Absatz hatte er sich komplett neu ausgerichtet und hat sich einen neuen Kundenstock aufgebaut. Zum Frischobst kam die Saftproduktion dazu, was wiederum mit zusätzlichen Arbeitsschritten und Investitionen verbunden war. Der Verkauf ab Hof wurde verstärkt und fand am zweiten Wochenende im September in einem großen Hoffest seinen alljährlichen Höhepunkt. Von Beginn an belieferte er die Grazer Naturkostladen nicht nur mit Obst, sondern auch mit Getreide. Aber noch dringender wurde dort fertiges Vollkornbrot gebraucht. So begann Maria Loidl mit dem Brotbacken, was noch bis heute Tradition ist. Die 80er- und 90er-Jahre waren in jeder Hinsicht sehr kommunikativ. Die eigene Fortbildung ging weiter. Loidl besuchte Tagungen oder andere Biobetriebe. Der wirkliche Clou für damalige Verhältnisse war ein telefonischer Tonband-Beratungsdienst am Forschungsinstitut für biologischen Obstbau in Weinsberg BRD, der gern in Anspruch genommen wurde. Loidl Fritz

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Umgekehrt kamen vermehrt Exkursionen auf seinen Hof. Mehrere Praktikanten fanden in Loidl einen kundigen Lehrherrn und nahmen ihre Erfahrung mit nach Hause, um auch dort künftig so manche Biofrucht reifen zu lassen. Schließlich hielt Fritz Loidl auch selbst Vorträge oder Kurse und gab so seine Erfahrung weiter. Er drängte sein Wissen über biologischen Landbau seinen Berufskollegen nie auf, ließ sie aber bei verschiedenen Bauernversammlungen oder auch in den Mitteilungen des Maschinen- und Betreibshilferinges immer wieder einfließen. Nicht nur Loidl bediente sich der Medien, auch er wurde von den Medien entdeckt. Radio und TV waren nicht nur einmal vor Ort. Und als sich die EU Agrar-Kommissarin anmeldete, die anlässlich ihres Österreichbesuches unbedingt einen biologisch wirtschaftenden Obstbaubetrieb sehen wollte, willigte Fritz Loidl natürlich ein und verständigte ordnungshalber auch die Gemeinde. Der Bürgermeister nahm die Sache nicht ernst, – bis kurz vor dem genannten Termin eine Delegation die Sicherheitsverhältnisse checkten und das Kamerateam eintraf. Dann war auf einmal große Aufregung – und die Stunde der Wahrheit: Anlässlich der Begrüßung fand der Bürgermeister erstmals anerkennende Worte für den Biobetrieb von Fritz Loidl. Bis dahin hatten ihn insgeheim alle belächelt, aber still gehalten. Als Loidl in den frühen 90er-Jahren im steirischen Ernte-Landesverband die leitende Funktion übernommen hat, fühlte er sich als Übergangs-Obmann, nämlich zwischen der Pioniergeneration und einer jüngeren Generation von Biobauern, die nach dem EU-Beitritt 1995 in großer Zahl dazugekommen waren. Loidl erlebte diesen Ansturm an Umstellungs- und Förderungsanträgen und ergriff Maßnahmen zur Meisterung des Verwaltungsaufwandes. In seiner Amtszeit wurde 1993 als erste offizielle Kontrollstelle die Austria Bio Garantie (ABG) ins Leben gerufen. Loidl hatte sich speziell dafür eingesetzt, dass das wichtige Instrument der Qualitätskontrolle in der Kompetenz der Bauernverbände bleibt und nicht externen Institutionen übertragen wird. Von außen spürte er in all diesen Jahren die kontroversielle Haltung der Landwirtschaftskammer. Als Hofnarr sah er den Biolandbau missbraucht, der bei den EU-Behörden präsentiert wurde und für Prestige und Fördergelder sorgen sollte, aber im eigenen Land nichts zu melden hat. Da war es schon hilfreich, dass Fritz Loidl in all den Jahren die Erfahrung gemacht hat, dass alles gut ausgeht. Er hat einfach dieses Urvertrauen. Und das Leben hat es ihm wieder und wieder bestätigt. Es hängt bei ihm aber auch mit seinem Sinn für Verhältnisse zusammen – Augenmaß könnte man sagen – und auch die Art, etwas nicht justamend durchbringen zu müssen, sondern unter den Beteiligten stimmig werden zu lassen. Know-How im menschlichen Umgang holte er sich über einige Jahre lang in einer Selbsterfahrungsgruppe und auch Familienaufstellungen findet Loidl sehr spannend. Noch dazu hat er eine ideale Gesprächspartnerin. Seine Frau Maria beschäftigt sich sehr viel mit sozialen und psychologisch-therapeutischen Themen. Angesichts dieser fachlichen und menschlichen Kompetenzen ist es wiederum gar nicht verwunderlich, dass man ihn schließlich im Jahr 2005 zum Bürgermeister von Kaindorf wählte. Friedrich Loidl hat in den Jahren seiner Amtszeit einiges in die Wege geleitet und im Team mit den Nachbargemeinden wird an den Zielen einer Öko-Region gearbeitet. Die Schmankerl-Tour wurde schon früher in der Umgebung eingeführt, bei der regio-

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Abb. 76: Fritz Loidls naturtrüber bio-Apfelsaft wurde in mehreren Jahren auf der Wieselburger Messe mit der Goldenen Birne prämiert.

nale und auch Bioprodukte den Gästen schmackhaft gemacht werden. Man wird seine Handschrift in manchen Bereichen merken. Einziger Wermutstropfen für ihn ist, dass er zugunsten der Amtsgeschäfte manchmal wichtige Arbeiten auf dem Biohof hinausschiebt und dieser dabei etwas zu kurz kommt. Dann wird wieder eine Portion Urvertrauen aktiviert, dass alles gut ausgeht.

Wach Alois

Nomen est omen. Bei Alois Wach trifft es im doppelten Sinn zu: Wachsein, hellhörig sein und sehr früh, früher als andere sich Gedanken über Alternativen zu der modernen Landwirtschaft zu machen, aber auch tatsächlich früh am Morgen wach sein und aufstehen, wenn für andere noch nachtschlafene Zeit ist. Wenn man in Arzl bei Innsbruck 1935 auf einem Bauernhof geboren wurde wie Alois Wach, so gewöhnte man sich bald an das Arbeiten „von Tagwerden bis Nachtwerden“ wie es damals üblich war. Der Stall und die Felder des 7,5 ha großen, vielfältig gemischten Betriebes lagen in den schmalen Ackerterrassen des Haufendorfes verstreut. Auch heute, wo mit 14 ha etwa die doppelte Größe bewirtschaftet wird, befinden sich die 30 Parzellen in ganz verschiedenen Lagen. Wach wuchs in ein Bauer-Sein hinein, das er nicht ganz ohne Selbstironie beschreibt: „Du warst der Herr, aber auch dein eigener Knecht – denn du hast alles selber machen müssen, was du angeschafft hast.“ Ohne lang in Schulen zu gehen, war Alois Wach ab den 50er Jahren am Hof im EinAlois Wach

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satz. Damals kam zu den Rössern auch der erste Traktor. Und allmählich, weil es von der Kammerberatung propagiert wurde, auch der Kunstdünger, wobei die vier oder fünf Säcke für den ganzen Betrieb gerechnet schon eine enorme finanzielle Belastung darstellten, aber im Vergleich zu den heutigen Einsatzmengen nicht ins Gewicht fallen. Man hatte als Dünger ja noch den eigenen Mist, Thomasmehl oder Gaswasser. Als eine Patentlösung wurden dann auch die ersten chemischen Spritzmittel eingesetzt. Ganz klar sah man auch in der Familie Wach den Vorteil, wenn man dadurch nicht mehr so viel „Peckchen und Hackchen“ musste. Allein beim Zuhören in der knackig-kehligen Tiroler Aussprache tut einem der Rücken weh. Aber – die Patentlösung hatte einen Haken. In Arzl war es immer möglich gewesen, eine zweite Frucht im Sommer bauen zu können. Nach dem Spritzmitteleinsatz bei den Frühkartoffeln war aber damit Schluss: Die nachgebauten Bohnen oder der Salat wuchsen nur mehr verkümmert und wurden gelb. Damals ist Alois Wach auf den biologischen Landbau gekommen. Durch bäuerliche Fachzeitungen, durch Gespräche und durchs eigene Nachdenken. Dabei hat ihm vor allem die Überlegung gefallen, dass es früher ja auch ohne Kunstdünger gegangen ist. Warum sollte es also jetzt nicht mehr gehen. Diesen Beweis anzutreten wurde schließlich seine Haupttriebfeder. Schon in den 60er Jahren hatte er am Betrieb völlig freie Hand und konnte alles nach seinen Vorstellungen einteilen. Ab 1970 strich er die Spritzmittel komplett, verwendete aber noch minimal Kunstdünger und etwas Patentkali. Bestärkend und ausschlaggebend für die komplette Umstellung waren Gespräche mit Ing. Willi und später dessen Informationsbriefe über biologischen Landbau, die seit 1975 erschienen, und eine Fahrt zu Dr. Müller in die Schweiz. Die praktische Durchführung erforderte vollen Einsatz, die Erfolgschancen waren indes in den ersten Jahren gleich Null. Zum Stichwort Unkraut outet sich Wach als unfreiwilliger Grüner: „Ja mei – das erste Jahr – da war alles Grün. Alles grün, nicht nur zeilenweise. Wir haben es ja nicht bewältigt, und der Boden war so verdichtet, dass man es nicht ausreißen hat können.“ Das musste er die ersten zwei, drei Jahre durchhalten. Umso mehr musste man auch intern zusammen helfen. Seine Ehefrau Apollonia – in der vertraulicheren Form „Loni“ – konnte mit ihrem Einkommen als Berufschullehrerin die Ertragseinbussen fürs erste ausgleichen und von den beiden Töchtern kam vor allem die ältere zum „Handkuss“ und musste des Öfteren schon vor dem Schulunterricht mit aufs Feld, um bei den Karotten oder beim Salat das Unkraut zu jäten. Und wenn dann endlich der Salat in der Parzelle am Waldrand prächtig gedieh, entdeckten das just auch die Rehe und fraßen überall die Salatherzen heraus ... Zum Missstand kamen dann noch die hämischen Kommentare von außen: Dass die viele Arbeit doch nur Blödsinn sei und nichts zur Volksernährung beigetragen werde. Außerdem gehe der Hof damit sowieso bald zugrund. Dazu muss man sich aber vergegenwärtigen, dass Wach 35 Jahre lang Ortsbauern-Obmann war, der starke Mann genau der Gruppe, die ihn immer brauchte und die ihn doch nie verstand oder gar auslachte. Aber Alois Wach hatte einen zähen Willen bei seiner BioSache und eine dicke Haut. Die benötigte er auch gleich bei der nächsten Aktion, seinem Verkaufs-Stand in Markthal-

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le in Innsbruck, den er seit 1974 betrieb. Die Kundschaft war kritisch und unverständig – bis auf einige Kranke und Vernünftige: „Die Kranken haben sich Wunder erhofft, da ist man der letzte gewesen in der Kette, wenn es nicht geholfen hat, sind sie wieder zu anderen einkaufen gegangen. Andere blieben, die sagten, schlechter als anderes kann es auch nicht sein. Und welche von der gehobenen Klasse, Akademiker, die sind da eher auf unserer Linie gewesen.“ Mit der Zeit konnte allerdings durch Hofbesichtigungen bei immer mehr Personen ein langfristiges Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Aber auch die Seitenhiebe blieben nicht aus. Die Tafel: „Ohne wasserlösliche Mineraldünger und ohne Herbizide gewachsen“ erläuterte die Produktionsweise des WachGemüses - worauf die Stand-Nachbarin konterte: „Mit reinem Wasser gewaschen“. Doch als Gipfel der Anfeindung kam eine Anklage wegen Preistreiberei samt Strafvorschreibung von 25.000 Schilling. Nach dem ersten Schock, weil der Einspruch im Namen seines Landeshauptmanns abgewiesen wurde, konnte Wach aber schließlich seinen persönlich größten Erfolg einholen. Der Oberste Gerichtshof gab ihm Recht, ein Meilenstein in der Anerkennung der Arbeitsleistung und Qualität, die in den Bioprodukten steckt. Diese herbe Episode überschnitt sich zeitlich mit der – bekanntlich auch nicht einfachen – Gründung des Verbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs (1979/80), dessen erster Landesobmann 1980 Alois Wach wurde und Ing. Josef Willi Geschäftsführer. „Startkapital“ waren 17 Grünlandbauern (manche hatten Erdäpfel dabei), allesamt überzeugte Idealisten, die ihre Milch konventionell abliefern mussten, ohne einen besseren Preis zu erzielen. Auf Alois Wach als Obmann wartete bald die Aufgabe, die Richtlinien verbindlich zu machen und bei seinen Leuten die Kontrollen vorschriftsmäßig umzusetzen. Dafür wurden die Produkte dann mit dem neuen Logo versehen, über dessen Einführung Wach jedoch gar nicht begeistert war: „Das ERNTE-Logo, das war auch so eine Aktion, die einen Haufen Geld gekostet hat, es war wohl schon Fördergungsgeld. Das war die Idee von den Niederösterreichern und Oberösterreichern. Da hat ein aussagekräftiges Logo hermüssen und da hat eben eine Werbefirma kassiert – und die Bauern haben nix gehabt von dem allen.“ Den Vertretern der östlichen Bundesländer mit den viel günstigeren Produktionsbedingungen musste er erst einmal die Differenzen zu Tirol und Vorarlberg mit der klein strukturierten Landwirtschaft und kleineren Liefermengen klarmachen und adäquate Abgeltungen verhandeln. Das hatte Auswirkung auf verschiedene Marketing-Strategien. Tiroler und Vorarlberger kleinbäuerliche Betriebe hatten nicht die Kapazität zur Belieferung des Großhandels, daher forcierte Wach den Direktverkauf und baute auf den Fremdenverkehr. Bei den Arbeitsgruppentreffen der Biobauern ging auch nicht immer alles glatt. Das Thema war für alle neu und die damit verbundenen Vorstellungen wichen zum Teil sehr weit voneinander ab. Wach setzte sich unerschütterlich ein, redete allen zu. Die einen glaubten ihm, die anderen stempelten ihn geradezu als Angeber ab, wenn man gewisse Zielsetzungen und Vorgaben für die Biolandwirtschaft darstellte. Es gab ja in den 80erJahren noch keine lange Praxiserfahrung in den einzelnen Bereichen und auch die Begriffe, was genau als „biologisch“ deklariert wird, wurde von verschiedenen Leuten anders gesehen – trotz der Richtlinien. Alois Wach

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Abb. 77: „Der „Buchrainer-Hof“ in Arzl war 1971 der erste Biobetrieb in Tirol“ ist am 8. Juni 1999 in der TBZ-Sonderausgabe zu lesen. Im Bild: Loni Appler-Wach

Das war Arbeit, harte Arbeit, ehrenamtliche Arbeit, oft bis spät in die Nacht hinein oder gar bis nach Mitternacht. Ing. Willi prägte dazu die Parole: „Der Tag hat 24 Stunden, und wenn das nicht reicht, müsst ihr die Nacht dazunehmen“, die sich der an Arbeit gewohnte Alois Wach zu Herzen nahm und neue Vorträge und Foren organisierte. – Politischer Profilierung bedurfte es, als eine Förderaktion der Kammer unabhängige Codexbetriebe stärken sollte, was aber umgekehrt dem Verband potentielle Mitglieder abgeworben hätte. Wachs großes Bestreben war es, in der Kammer einen fixen Platz – eine Sekretärin für

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Verwaltungstätigkeit; Benzingeldverhandlungen waren in Diskussion – und ein Referat zu bekommen. Das ist ihm gelungen, das hat auch gut funktioniert, es war eine Art der Förderung. Was er gar nicht verstehen konnte, war die Vorgangsweise, nachdem er die Obmannschaft 1995 zurückgelegt hat. Der Verband ist aus der Kammer wieder ausgestiegen. Wie soll man da mitreden und mitgestalten können?! Er selbst war sogar für das Amt des Kammerrats vorgeschlagen worden. Die damalige Landesbäuerin hatte allerdings vor der Wahl vor sämtlichen Obrigkeiten verlauten lassen: „Den können wir nicht wählen. Das wäre so, wie wenn man einen Bibelforscher in den Pfarrkirchenrat hinein wählt.“ – Damit war der Fall erledigt. All diese Extra-Verantwortungen konnte Wach nur bewältigen, weil im eigenen Betrieb endlich 1980 durch den Kauf eines Grubbers eine wesentliche Arbeitserleichterung erreicht werden konnte. Dennoch: Die Traktorarbeit auf dem Feld wurde in der Nacht gemacht, die Handarbeit mit den Leuten unter Tag bis zum Füttern. Nach der Fütterung ging es wieder mit dem Traktor aufs Feld. Das waren keine kurzen Tage. Man hat ihm sogar einmal um halb elf Uhr nachts die Polizei geschickt: Er müsse jetzt das Fahren lassen, denn die Leute wollen schlafen! - Solange er etwas gesehen hat, ist er eben draußen gewesen. So hatte er maschinell alles im Griff. „Gott sei Dank“, das ist dann nicht bloß eine Floskel, wenn ein Jahr gut gegangen ist. Da ist schon die Seele dabei, auch wenn man sagt: „In Gott’s Namen“ sagt Alois Wach, der mit den irdischen Vertretern durchaus manches „Kampfl“ durchgefochten hat. Als letztes Resumee, jetzt, in der Pension, wo der Betrieb an die Tochter längst übergeben ist und auch der Enkel schon hineinwächst, wo er sich mit bisschen Jägerei die Zeit vertreibt, wiederholt er entspannt: „Ich hab’s mein Leben noch nie so schön gehabt wie jetzt!“

Gerhard Conrad

Für den halben Kilometer vom Schloss Pichlhofen in St. Georgen ob Judenburg, wo die Familie Conrad wirtschaftet, braucht man etwa zehn Minuten zu Fuß hinüber zum Nussmoar-Hof der Familie Steiner. Das war für österreichische Biobauern Anfang der 1970erJahre außergewöhnlich nah, ja eine glückliche Ausnahme-Situation: In der Nachbarschaft einen Gleichgesinnten, einen „Artgenossen“ zu haben. Gerhard Conrad erinnert sich zurück an seine markantesten Erlebnisse, wie es zur Umstellung beider Betriebe gemäß der biologisch- dynamischen Wirtschaftsweise kam – und welche überwältigenden AhaErlebnisse damit verbunden waren. Wer in den 1960er-Jahren an der Hochschule für Bodenkultur studierte, wurde mit den modernsten Strategien der Agrikultur und Agrochemie vertraut gemacht – und es hätte seinem Ruf und seiner Zurechnungsfähigkeit geschadet, nicht an deren Erfolg zu glauben. Gerhard Conrad ging aufmerksam durch diese Lehren, merkte sich aber auch den Hinweis eines Bodenkundeprofessors, dass man mit zu großen chemischen Düngergaben Gerhard Conrad

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Abb. 78: Demeter Schutzvertrag für Gerhard Conrad 1.1.1989 – Löst den Vertrag v. 19. 12. 76 ab.

dem Boden auch Schaden zufügen kann. Der ganze Bereich der Forschung im Agrarsektor war für den jungen Conrad hochinteressant und es hätte ihn durchaus gereizt, eine Berufslaufbahn in diese Richtung einzuschlagen. Doch auf ihn wartete der landwirtschaftliche Betrieb im Murtal und in Rücksichtnahme auf die Eltern war es selbstverständlich, auf Schloss Pichlhofen zu bleiben - das fachliche Rüstzeug hatte er ja. Die Studentenzeit in Wien hatte auch eine zukunftsweisende Begegnung parat: An einer BOKU-Übung nahm auch die Praktikumskollegin Inge teil, die eigentlich von der Medizintechnik kam. Aus kollegialer Hilfsbereitschaft wurde Freundschaft. Später erwuchs daraus eine Lebensbeziehung. Nach der Hochzeit war es für die Städterin eine enorme Umstellung, zu ihm aufs Land, in das allein stehende, ehrwürdige Gemäuer zu ziehen. Der zugehörige Landwirtschaftsbetrieb umfasst 35 Hektar agrarische Fläche, eine Alm und 70 Hektar Wald. Nach ersten tatkräftigen Einsätzen musste Conrad aber feststellen, „dass der herrliche Kunstdünger nicht auf allen Böden so gut greift wie versprochen. Auf manchen schotterigen Wiesen hätte man Unmengen hinbringen müssen.“ – Das war äußerst unbe-

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friedigend. Das trostlose Bild hat er noch vor Augen, als er einmal bis in die Dämmerung hinein mit dem Traktor mähte, aber bald nicht mehr klar unterscheiden konnte, wo schon gemäht worden ist und wo noch nicht, so schlecht war der Wuchs. Inge und Gerhard Conrad fanden sich öfter bei Steiner-Nussmoar zum Musizieren ein, die Gespräche dazwischen schwenkten gewöhnlich auch auf berufliche Themen. Als Conrad einmal die Schwächen beim Kunstdünger zur Sprache brachte, hatte Frau Steiner die Schriften des Forschungsrings für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise „Lebendige Erde“ zur Hand und erzählte von Höfen in Deutschland, die ganz ohne Chemie auskommen. Der Blick war geschärft – die Sache war inhaltlich und geografisch doch zu entfernt. Wenig später fand Conrad eine Zeitungsannonce vom freien Bauernverband über „Grüne Engel“, die in Wien bezüglich Biolandbau beraten. Ein Gärtner namens Zach aus Perchtoldsdorf wurde ihm als Ansprechpartner genannt und dieser hat sehr ermutigend von den Möglichkeiten des Biolandbaues gesprochen. Vor allem hat er die Lektüre des Buches „Ackern, Gärtnern – ohne Gift“ von Alwin Seifert empfohlen, der Renner der damaligen Zeit. Das war ein Volltreffer, das erste spannende Buch seit dem Studium. Bei einer eingehenden Hofbesichtigung im Winter 1971 oder 1972/73 wurde mit einem Berater alles noch einmal durchgesprochen bezüglich Anbau und Bodenbearbeitung und dann kam das dicke Ende: Der Mist sollte kompostiert werden! Vorbei war die Zeit, wo man einfach den Misthaufen sein ließ wie er eben war füllte und im Frühjahr und Herbst alles ausbrachte. Ab nun wurde das ganze Jahr über Mist aufbereitet, umgestapelt und im Herbst ausgebracht. Nachbarschaftshilfe zwischen Steiner und Conrad machte es möglich, dass auf beiden Höfen diese Arbeit bewältigt werden konnte. Ein Anfang war gemacht. Es war wohl nicht perfekt, doch beim Mist zeichnete sich Kompostcharakter ab und er zeigte gute Wirkung. Eines Tages erzählte der Vertreter des Moorbades Neydharting, dass es in Kärnten einen biologisch wirtschaftenden Bauern gibt, Peter Prasser. Das war ja beinahe in greifbarer Nähe! Prasser wurde unverzüglich kontaktiert. Der aber verwies kurzerhand auf den Wurzerhof bei St. Veit, dort hätte man jahrzehntelange Erfahrung, es würde ihn selbst interessieren. Die drei Anwärter – Prasser, Conrad und Steiner – vereinbarten noch selbigen Tages einen Termin bei Nikolaus Remer, dem Betriebsleiter. Dieser lenkte nach und nach den Blick auf die vielschichtigen Aspekte der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. – Gerhard Conrad war anfangs bloß insofern irritiert, als Remer nicht von sich aus erzählte, sondern nur darauf einging, was tatsächlich gefragt wurde. Erst aus späterer Sicht wurde klar, dass jedes Mehr an Information für einen Anfänger leicht ein Zuviel hätte sein können und eher abschreckend gewirkt hätte. Hilfreich war es in der Praxis, schon Erfahrung in der Mistkompostierung à la Seifert zu haben und darauf aufbauend in Feinheiten des Biologisch-Dynamischen hineinzukommen. Hier setzte man ganz auf die Heilkräuter-Präparate. Durch sie wird den Mistwalmen eine Belebung in eine gewisse Richtung gegeben: Eichenrinde und Kamille aktiviert und regelt später die Kalziumversorgung des Bodens, Schafgarbe fördert extrem die Fruchtbildung, dazu noch Löwenzahn, Baldrian und das Brennnesselpräparat, das alles gut abrundet. Sowohl bei der Herstellung als auch bei der Anwendung der Präparate oder bei Gerhard Conrad

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der Ausbringung des Mistes soll das Dynamische, sollen die kosmischen Kräfte einwirken können – allen voran soll der richtige Mondstand beachtet werden. Die „Impfung“ mit den Präparaten soll demnach an – energetisch gesehen – Blütentagen erfolgen, um optimale Wirkung zu entfalten, und Tage, an denen der Mond in wässrigen Sternbildern stehen – Fische, Skorpion oder Krebs – vermieden werden. Hingegen kommt Steinmehl gar nicht zum Einsatz, weil es einen wässrigen Mist ergeben würde. Eine Variante, mehr Mineralisches zum Mist zu bekommen, wäre eventuell Holzasche, die selbst aus dem Organischen kommt und diese Information auch mitbringt. Derartige Anweisungen, die Remer im Laufe mehrmaliger Besuche auf dem Wurzerhof gab, waren für die unmittelbare praktische Umsetzung gedacht. Zusätzliche Schriften über die biologisch-dynamischen „Hintergedanken“ musste jeder für sich in Erfahrung bringen. So gehörte Rudolf Steiners „Landwirtschaftlicher Kurs“ bald zur Lektüre – wenn auch beim ersten Anlauf eine gewisse Überwindung dazugehörte und wenig Hoffnung auf Verständnis war. Um mehr davon zu haben, muss man ihn ein zweites und drittes Mal durcharbeiten, ist der allgemeine Erfahrungswert. Theoretische Überlegungen, die praktische Erfahrung und der Austausch in der biodyn-Gruppe prägten die ersten Jahre der Umstellung in den frühen 1970er-Jahren. – Gegen Jahresende 1976 erhielt Gerhard Conrad seine erste Demeter-Anerkennung. Zur Praxis: Im Grünland war es total problemlos. Conrad hat in bester Erinnerung, dass vor allem nach dem Einsatz des Fladenpräparates die Wiesen immer nur besser und besser geworden sind. Speziell auch jene Schotterwiesen, die zuvor so hoffnungslos ausgesehen hatten. Er wollte noch nicht großartig von Humusaufbau sprechen, aber die Erde wurde brauner, veränderte ihre braungraue Farbe. Einige der Ackerflächen lagen im Überschwemmungsgebiet der Mur. Diese Böden waren graubraun, graublau schlierig durchzogen, auch mit rostroten Streifen darin. Bisher hatte Conrad bald nach einer Überflutung alles abgemäht, ungeachtet der Bodenverdichtung, damit rasch wieder etwas Frisches nachwächst. Ende der 70er-/Anfang der 80er-Jahre waren drei Hochwässer innerhalb von zwei Jahren. Es war trostlos, die Erde konnte nicht regenerieren, jeder Aufwuchs war zerstört. Die für Bonitierung zuständige Behörde wurde gerufen und sollte endgültig die Bodenqualität niedriger einstufen. Spannend wurde es aber, als die Kontrolle durchgeführt wurde – und der Beamte feststellte, dass er eigentlich diesen Boden höher einstufen müsste, denn es war eine Verbesserung eingetreten. Bei allen umliegenden Wiesen wurde eine Verschlechterung ausgewiesen. – Diese Episode, diese offizielle Bestätigung, markierte vor mehr als 30 Jahren einen fundamentalen Wendepunkt: In diesem Moment war klar, dass all die biologisch-dynamischen „Spompernadeln“ nicht umsonst gewesen sind! Conrad: „Das war schon – ich möcht’ sagen – ein gewaltiger Schub, dass wir gesagt haben: Mein Gott, war das alles doch zu etwas zunutze! Ja – ich war voll Freude und Begeisterung, dass das so eine Wirkung haben kann. Wir waren wirklich glücklich, dass wir den Weg eingeschlagen haben und dass das derartig gegriffen hat. Das war begeisternd.“ Nicht ganz so glatt ging es im Ackerbau. Fruchtfolge, Unkrautregulierung, Bodenbearbeitung – es brauchte seine Zeit, bis alles seine Geläufigkeit bekam und durch und durch einleuchtete.

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Spannend wird es für Nicht-Eingeweihte, darüber unterrichtet zu werden, wer die eigentliche Regentschaft über den Arbeitsplan hat: Die Rhythmen des Tages in der Natur. Mit Sonnenaufgang steigen die Säfte in die oberen Teile der Pflanze und die Wurzel wird vergleichsweise schwach. Somit ergibt sich der ideale Zeitpunkt für Bodenbearbeitung zur Wurzelbekämpfung von unerwünschten Pflanzenbeständen. Auch im Getreidebau gab es ein beachtenswertes Erlebnis, und zwar im Zusammenhang mit der Umweltkatastrophe im Atomreaktor von Tschernobyl 1986. Nach Bekanntwerden der allgemeinen Strahlenbelastung waren Konsumenten darauf versessen, Lebensmittel aus früheren Ernten zu erhaschen. So auch die Getreidekunden von Herrn Conrad. Bis auf eine beherzte Kundschaft aus Graz, die es sich etwas kosten ließ und die Probe einer 86er Ernte zur Untersuchung einschickte. Das Institut schickte ein tadelloses Ergebnis bezüglich der radioaktiven Strahlenbelastung des Getreides – und dazu eine schroffe Rüge, weil man sich erdreistet hatte, in totalen Stresszeiten, ein unbelastetes (zweifellos altes) Getreide untersuchen zu lassen. Nun war die Entrüstung auf Kundenseite: Es war kein altes, sondern Getreide aus dem Jahr 1986. Das war dem Institut eine zweite Untersuchung wert. Ergebnis: Keine Strahlenbelastung. Niemand konnte dieses Phänomen erklären außer Gerhard Conrad, der seit etwa zwei Jahren auf seinen Feldern das Fladenpräparat von Frau Maria Thun anwendete, das aus Kuhmist, versetzt mit Basaltmehl und zerriebenen Eierschalen und den Kompostpräparaten besteht und als „Puffer“ oder „Schutzschild“ gegen Radioaktivität entwickelt wurde. Die angestammte Milchkuhhaltung hatte sich gut entwickelt. Über viele Jahre war für Inge Conrad damit die Butter-, Käse- und Topfenbereitung für den Verkauf gekoppelt. Nicht ganz leichten Herzens wurde in den letzten Jahren auf Mutterkuhhaltung reduziert und das Milchkontingent schließlich abgegeben – es fehlte einfach an Arbeitskräften. Das Wissen und Interesse wären ja bei Conrad vorhanden und im Tierarzt Dr. Selinger hatte er lange Jahre einen hochgeschätzten, versierten Berater. Selinger hatte sich so weit in die anthroposophische Tiermedizin eingearbeitet, dass er ein eigenes homöopathisches Präparat entwickelt und bei der Firma Weleda in Auftrag gegeben hatte. Über lange Zeit war damit der Bedarf an Spurenelementen abgedeckt, so schien es. Virulent wurde das Thema zuletzt, als sich bei den Geburten Komplikationen einstellten, ja sogar Totgeburten vorkamen. Glücklicherweise bekam Conrad in dieser Situation von seiner Schwester, die in den Tropen über die Mineralstoffversorgung von Pflanzen und Tieren forscht, den Rat, unverzüglich Jod zu „füttern“ und das Problem war tatsächlich künftig gelöst. An diesem Thema hängt letztlich auch die Frage, wie weit man im Boden das gesamte Spektrum an Mineralstoffen und Spurenelementen verfügbar hat oder verfügbar machen kann, um über die Futterpflanzen auch den Bedarf der Tiere abzudecken. Zugleich war dieser Engpass natürlich eine dringende Aufforderung, sich den allgemeinen Mineralstoffgehalt auf den Feldern und beim Pflanzenbesatz anzusehen. Bei den Futterrüben wurde die fachkundige Schwester noch einmal fündig. Obwohl die Blätter auf den ersten Blick einen Stickstoff-Überschuss vermuten ließen – der Gedanke an Kunstdünger lag nahe, was natürlich auch sofort wieder ausgeschlossen werden konnte – handelte es sich faktisch um Kupfermangel. Auch an den Obstbäumen, die für den Eigenbedarf gepflegt werden, Gerhard Conrad

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registrierte Conrad Verschiebungen des Verhältnisses von Ertrag, Nährstoffversorgung der Bäume und veränderten Krankheitsbildern. Er vermutet Bormangel, den er natürlich alsbald homöopathisch zu beheben sucht, obwohl Löwenzahntee oder Präparateanwendung auf Langzeit helfen müsste. Die Lerneffekte hören auch nach jahrzehntelanger Praxis nicht auf, aber auch sein Wille, Probleme bio-logisch zu meistern, ist ungebrochen. Es reißt auch nicht ab. Noch immer leistet der agile Vollblut-Biobauer ganzen Einsatz im Betrieb, aber immer drängender stellt sich dem nun doch schon fast 70Jährigen die Frage nach der Betriebsübergabe. Nachdem keine der vier Töchter die landwirtschaftliche Tradition weiterführen will, suchen Gerhard und Inge Conrad nach geeigneten Nachfolgern. Interessenten hat es gegeben und erst kürzlich war eine Vertragsunterzeichnung schon in Aussicht und ist dann doch zurückgezogen worden, weil die Auflage, biologischdynamisch zu wirtschaften zu schwierig erschien. Das ist nun tatsächlich zu einer Geduldsprobe geworden. Herausforderungen – wie etwa ein Stallbrand – hat es einige gegeben. Und Conrad selbst hat öfter im Leben die Grenzen des Leistbaren persönlich ausgelotet, wobei ihm auch dramatische Unfälle passierten. Dank seiner enormen Regenerationskraft, der fürsorglichen Pflege seiner Frau und auch mit Hilfe kollegialer Bauern ist es immer ohne größeren Schaden ausgegangen. Bei allem Unternehmungsgeist, den Herr Conrad ungebrochen ausstrahlt, und bei allem Problembewusstsein, blitzt unversehens auch immer wieder sein Humor auf. In dieser Mischung ist er auch zuversichtlich. Und im Innersten hat er überdies eine Gelassenheit entwickelt, die auch aus seiner religiösen Einstellung kommt, er fühlt sich als ganz traditionell als Katholik. Als Demeterbauer hat er sich auch mit den geistigen Hintergründen aus der Anthroposophie beschäftigt und wertvolle Erkenntnisse daraus gezogen. Das brachte ihn aber in Konflikt mit den katholischen Glaubenssätzen, etwa in der Frage der Wiedergeburt – so sah es zumindest der Pfarrer, der ihm etwas restriktiv begegnete. Selbst meint er dazu: „Es spielt überhaupt keine Rolle - der Herrgott wird es so handhaben, wie Er es eben handhabt und sich nicht nach einer katholischen Kirche oder nach den Anthroposophen richten.“ Wesentlicher als dogmatische Spitzfindigkeiten ist ihm die Praxis und so plädiert er dafür, dass man dem Gros der Menschen eine stärkere Seelenbildung angedeihen lässt, wozu die Anleitungen Rudolf Steiners eine hervorragende Basis seien. Mit derlei Gedankengängen deutet Conrad an, dass in seinem Kopf noch so manche Anregungen für die Gesellschaft zu finden wären. Das war wohl schon immer so, und das haben auch andere erkannt. Nicht umsonst war er – vor der Umstellung – Gemeinderat, Pfarrgemeinderat, Parteiobmann. Nur das Bürgermeisteramt hatte er abgelehnt. Im Demeterbund war Gerhard Conrad in den frühen Jahren ebenfalls im Vorstand, doch die Atmosphäre von damals hat er in keiner positiven Erinnerung und bedauert, dass der Verband zu wenig konstruktiv geleitet wurde. Zudem fiel ihm die Teilnahme aus zeitlichen Gründen oft schwer. Aber das ist Vergangenheit. In der aktuellen Lage gehört nach wie vor die volle Aufmerksamkeit der Landwirtschaft und in kleinem Rahmen der Direkt-Vermarktung. So hat auch Inge Conrad ihre fixen Tage, an denen Brot für Privatkunden und natürlich für den Eigenbedarf gebacken wird.

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Und zwei Mal pro Jahr wird geschlachtet, in adaptierten Räumen eines benachbarten Biobauern. Ein „Sich zur Ruhe setzen“ ist für Gerhard Conrad, der ja im Geist schon wieder auf dem Traktor und auf dem Feld ist, im Moment nicht in Sicht. Für eine Schlussbemerkung zur Bio-Bewegung nimmt er sich doch noch die Zeit: „Das Wesentliche ist, dass das Biologische eine Landwirtschaftsform ist, die meines Erachtens die einzig Richtige ist – da bin ich überzeugt – vor allem für die Zukunft. Und dass mir der organisch biologische Landbau als eine wünschenswerte Vorstufe erscheint und die biologisch-dynamische Landwirtschaft das Endziel darstellt. Und wie gesagt, wenn ich neu anfangen müsste und es zu wissen kriegen würde – ich würde sofort biologisch-dynamisch anfangen!“ und lacht herzlich.

Rudolf Beilschmidt

Das ist ja echt der Clou: es ist gar kein Scherz, dass Biobauern in der Nacht spritzen. Zumindest Rudolf Beilschmidt, Biowinzer in Rust, tat das mit gutem Grund: „Es verdunstet ja zu viel, wenn die Sonne draufglüht! Aber sehr zeitig in der Früh oder gegen Abend bis in die Nacht hinein, wenn es noch dazu windstill ist, hat die Spritzung eine viel bessere Wirkung!“ Auch andere Weinbauern spritzen nachts – nur andere Mittel. Dies ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie Rudolf Beilschmidt Schritt für Schritt seine Praktiken durchdacht und im Versuch ausgetestet hat und nun als echtes Know-How einsetzen kann – und er sagt selbst: „Alles, was ich weiß, weiß ich aus eigener Erfahrung.“ Um Biobauer zu werden, müssen einige Parameter stimmen: dass man Grund und Boden hat, genügend Arbeitskraft, Geschick und Wissen. Aber die wichtigste Voraussetzung ist, dass man überhaupt Bauer sein will. Diese Hürde musste Rudolf Beilschmidt als junger Mann erst nehmen, denn anstatt die drei Hektar Weingärten seiner Mutter zu übernehmen, hätte er sich auch gut einen Beruf im Bereich Funk und Radio und der sich anbahnenden späteren Elektronik-Technologien vorstellen können. Aber er gehört noch zu einer Generation, die einen Betrieb übernehmen musste. 1973 war dieser Zeitpunkt gekommen, Rudolf war eben 25 Jahre alt. Und noch eine wesentliche Weichenstellung gab es in diesem Jahr, die auch noch jemand zweiten betraf – Lisbeth. Für die beiden war 1973 auch das Hochzeitsjahr. Mit der Betriebsübernahme stieg dann auch das Verantwortungsbewusstsein dem Betrieb gegenüber. Beilschmidt hatte eine weinbauspezifische Ausbildung hinter sich und orientierte sich an den modernen Methoden. Dazu gehörten z. Bsp. Bodenanalysen bezüglich der Nährstoffgehalte, und damit verbunden die Empfehlungen der Düngeberatungsstellen. Im Hinblick auf Ertragssteigerung wurden zuletzt extrem hohe Düngergaben vorgegeben. Beilschmidt begann aber genau mitzurechnen! Seine Mutter hatte nur wenig Kunstdünger verwendet, wann es eben die Finanzen zuließen. Dennoch waren die Bodenwerte und auch die Erträge zufriedenstellend bis sehr gut gewesen. Beilschmidt wollte einen anderen Weg gehen. Gebhart Franz, ein Redakteur der Landjugend-Zeitung nannte Ing. Josef Willi, den Leiter der Fachausbildungsstelle der Tiroler Landwirtschaftskammer, als mögliche Quelle Rudolf Beilschmidt

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für Lösungen im Sinne Beilschmidts. Prompt bekam er von diesem auch Adressen von biologisch wirtschaftenden Obstbauern in Südtirol. Der Winzer vereinbarte Besuchstermine, und ein erster Problem- und Erfahrungsaustausch kam zustande. Wichtig war außerdem ein Seminar mit Prof. Preuschen in der steiermärkischen Weinbauschule Silberberg über Biolandbau. Die Grundprinzipien klangen absolut einleuchtend und anspornend, auch wenn Beilschmidt die Umsetzung im Einzelnen noch nicht so klar war, denn im Weinbau hatte man damals noch keine diesbezüglichen Erfahrungen. Den Vorträgen und der Literatur stand demnach die Praxis ziemlich konträr gegenüber: „Im 75er Jahr war es ein leichter Schritt, die Mineraldünger wegzulassen, denn vorher wurde auch nicht viel gestreut. Problematisch wurde es, als ich in der Euphorie den Büchern geglaubt hab, dass Brennnesseljauche auch gegen die Pilzkrankheiten hilft – da hatten wir Ertragseinbußen von sechzig Prozent und mehr. Das war eine schwierige Zeit.“ Auch wenn Beilschmidt die richtigen Mischungen und Mengen für Gründüngung erst langwierig erproben musste, damit es keine Wasserkonkurrenz für die Rebstöcke gab und der Boden die spezifisch notwendigen Nährstoffe erhielt, die schwierigste Herausforderung bestand für ihn darin, ohne die „todsicheren“ Spritzmittel gegen Traubenwickler, Peronospora und Oidium auszukommen. Man kann den psychischen Druck gegenüber seiner Mutter erahnen, der durch die massiven Ertragseinbußen entstand. Man bekommt aber auch eine Ahnung seines Naturells, das er bezogen auf jene Situation selbst so umschreibt: „Es ist ein bissl etwas Stures: Wenn ich etwas will, dann mach ich es! So hab ich viel Erfahrung gesammelt – und hab auch viel draufgezahlt. Vielleicht war es damals sogar ein gewisser Leichtsinn. Ich war von allem, das ich gelesen hab, überzeugt, dass es gehen müsste.“ Durch die Vorführung und Erklärung der Spatenprobe nach Prof. Preuschen bei einem Kurs in Donnerskirchen 1981 hatte es nochmals gefunkt: „Das war es! Wie bewerte ich einen Boden. Wie ich gesehen habe, wie Preuschen aufgrund der Spatendiagnose einen Boden beurteilt, da bin ich auch ganz anders an den Boden herangegangen,und haeb mir das Wurzelwachstum genauer angesehen.“ Beilschmidt wollte mehr wissen. Egal, ob sich sein Verhältnis zum biologischen Landbau als Überzeugung, Begeisterung, Fanatismus oder Zweckoptimismus äußerte, zurück zur Kunstdüngerwirtschaft konnte und wollte er ganz sicher nicht mehr. Durch die neuen Sichtweisen fand er auch eine neue Beziehung zu seiner Arbeit und zu seinem Besitz: „Als ich mit der biologischen Wirtschaftsweise angefangen habe, bin ich mindestens jeden zweiten Tag durch alle Weingärten spaziert – ich hab nachgeschaut und hingesehen – und zwar ganz anders als wir es in der Schule gelernt haben.“ Es kam bald auch zu einer Verbindung zum Dachverband für ökologische Lebenssicherung, der Vorträge von Fachleuten ansetzte und 1984 eine Exkursion zu Biobauern in Deutschland und ins Elsass organisierte. Hier gab es in verschiedenen Betrieben sowohl die Möglichkeit für informative Gespräche, als auch Diskussionen mit den Mitreisenden aus der eigenen Region. Paul Leitner wird genannt, Johann Steindl und Eugen Wimmer. Genau genommen hatte für Beilschmidt noch einmal eine intensive Lernzeit begonnen. Und dass Kompostieren eine eigene Wissenschaft ist, hat er bei Familie Lübke in Oberösterreich gelernt. Viele Faktoren wären bei der Verrotttung zu beachten, hieß es,

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denn die spezifische Behandlung und Reife des Kompostes seien schließlich ausschlaggebend für seine Verwendung. Ebenso lieferte Dr. Gernot Graefe mit seinen Untersuchungen zur Kompostierung von Traubentrester starke Anreize, in dieser Richtung selbst tätig zu werden. Nicht zu vergessen die Impulse, die man aus Ehrenfried Pfeiffers Publikationen beziehen konnte – Rudolf Beilschmidt hatte in diesen Jahren theoretisch und praktisch enorm viel gelernt. Es wurden noch Weingärten dazugekauft und somit etwa sieben Hektar Rebflächen bewirtschaftet. Aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen heraus nahm er kurzeitig eine Stelle in einer Vinothek an. Der Tagesplan sah demnach vor, dass er am Vormittag die Arbeit im Weingarten erledigte und nachmittags die Verkaufstätigkeit wahrnahm. Für ihn war dies wieder eine neue Lektion, nämlich Routine im Umgang mit Kunden zu bekommen. Bis zur Umstellung hatte er seine Weine über die Winzergenossenschaft oder in größeren Gebinden verkauft. Den biologisch erzeugten Wein verkaufte Beilschmidt nun nur mehr in der Flasche. Auch in der Vinothek in Rust bot er seine Eigenproduktionen an. Da bei der Kelterung äußerst puristisch vorgegangen wurde – der Biowinzer verzichtete auf die Aufbesserung mit Zucker und minimierte drastisch den Einsatz von Schwefel – war das Ergebnis für damalige Verhältnisse eher ungewöhnlich. Aber Rudolf Beilschmidt wollte damals sowieso nicht über biologische Arbeitsweise, der noch das Image von „unsauber“ oder „schlampig“ anhaftete, sprechen. Aus den Gesprächen mit Kunden entstand eine neue Idee: Beilschmidt bot Weingartenführungen mit Kellerbesichtigung und kommentierter Weinprobe an. Ab Ende der 1980er-Jahre wurde das Hoffest mit Biowein-Aussschank, mit Vollwertschmaus und Verkauf von Bio-Gemüse und Bio-Obst (durch Kollegen) jährlicher Fixpunkt und Highlight Beilschmidt’scher Geselligkeit. Der für ihn „glückliche Skandal“, wie Rudolf Beilschmidt den Weinskandal von 1985 nennt, brachte endlich den Kick. Der bis dahin eher schleppend verlaufende Weinverkauf sprang an. Die Konsumenten waren durch die Medien sehr verunsichert und wollten mit bio-Qualität auf Nummer sicher gehen. Ab diesem Moment gab es auch keine Preisdiskussionen mehr. Das Jahr 1985 brachte noch eine ganz andere spannende Facette ins Haus Beilschmidt, denn da quartierte sich Heinz, ein Doktorats-Student von der Hochschule für Bodenkultur ein. Da dessen Untersuchungen über die Sexualhormone des Bekreuzten Traubenwicklers im Zusammenhang mit der Verwirrungsmethode auf einer größeren Fläche getestet werden sollten, mussten die Weingarten-Nachbarn „eingeweiht“ werden. So konnten auch in diesen Weingärten Pheromonfallen aufhängt werden. Jetzt, nach 25 Jahren, wird diese Methode in Rust fast flächendeckend angewendet. Im Lauf der Jahre wurden noch viele andere Versuche, etwa mit dem Ludwig Boltzmann-Institut, durchgeführt. Rudolf Beilschmidt führte in seinem Betrieb aber immer wieder eigene Versuche durch. So wurden zum Beispiel bei seinen Biospritzungen ein paar Stöcke „geopfert“ und mit Plastik abgedeckt, um einen „ungespritzten“ Vergleich zu haben. Tatsächlich waren diese Rudolf Beilschmidt

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Abb. 79: In zahlreichen Ordnern können die Aufzeichnungen nachgeschlagen werden, anhand derer Konsumenten von der biologischen Wirtschaftsweise überzeugt wurden.

Stöcke später explosionsartig vom Pilz befallen. Eine weniger aufwändige Möglichkeit war es, während der Spritzung ein Stück weit die Düsen abzustellen, um eine unterschiedliche Wirkung zu sehen. Es gab ihm auch selbst die Sicherheit, zu wissen, welche Behandlung nützt, welche nicht bzw. in welchem Ausmaß – und nur deshalb kann er zuletzt ohne Umschweife sagen, dass er alles aus eigener Erfahrung kennt. Keine Frage, Rudolf Beilschmidt blieb immer am Ball und nahm selbstverständlich auch Impulse aus der Literatur und aus der Fachwelt auf. Dabei erkannte er die Einsatzmöglichkeiten ganz spezieller Maschinen. So wurden ein Spatenpflug und eine Kompostwendemaschine angeschafft und es wurde auch ein Miststreuer gekauft, obwohl es im Betrieb kein Vieh gibt, den er aber für spezielle Arbeiten einsetzen wollte. Als Ing. Ernst Zöchling aus den losen Kontakten von Bio-Interessenten 1981 im Burgenland den Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern gegründet hatte, waren Mitgliedschaft und Mitarbeit an den vereinbarten Arbeitstreffen für Beilschmidt eine logische Konsequenz. In mehrfacher Hinsicht erinnert er sich daran, dass es sich in dem kleinen Verband um ausgeprägte Individualisten handelte, von denen jeder gern etwas für sich ausprobierte, aber nicht so sehr koordiniert vorgegangen wurde. Als es um ein Abstecken der Richtlinien für biologischen Weinbau ging, wollte Beilschmidt die Aufzuckerung gänzlich ausschließen. Auch bei der strittigen Frage, ob Betrie-

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Abb. 80: Bodenchroma (Bildschaffende Methode) vom Feber 1987, Angaben über Düngemaßnahmen 1986: Stallmist, Bakterien, Gründüngung, Pferdebohnen, Wicke

be nur teilweise auf Biolandbau umgestellt werden könnten, verfolgte er die strenge Linie, dass der gesamte Betrieb biologisch bewirtschaftet werden muss. – Bei der Preisgestaltung plädierte er damals wie heute für eine direkte Abgeltung der geleisteten Arbeit für die Produktion von biologischen Lebensmitteln anstelle von Förderungen und Stützungen. Diese hält er sowohl moralisch als auch betriebswirtschaftlich für ungeeignet. Seine persönliche Lösung waren akribische Aufzeichnungen über alle landwirtschaftlichen und kellertechnischen Maßnahmen. Diese wurden den Konsumenten zur Einsichtnahme auf Wunsch vorgelegt. Später arbeitete er aufgrund dieser Vorarbeit mit Stefan Ibeschitz, dem Bioberater in der Landwirtschaftskammer, ein Formular aus, das auch anderen als Vorlage diente. Rudolf Beilschmidt vertrat einige Jahre die Biowinzer im Bundesverband des ERNTE-Verbandes, und war als Biowinzer auch Vorstandsmitglied des Ruster Weinbauvereines. 1999 gab Rudolf Beilschmidt seinen Bedürfnissen und seinem Lebensgefühl eine entsprechende Form und ließ ein Winzerhaus errichten, ein großer Weingarten schließt direkt an den Hof an. Eine gelungene Kombination aus klarer Zeitmäßigkeit, traditionellen Anklängen und vorausblickenden Technologien. Zu letzteren zählt die 42 m2 Sonnenkollektorfläche, dank welcher 4.000 Liter Warmwasser bereitet werden. Damit wird zu gegebener Zeit auch das Heizen der Wohnräume ermöglicht. Zur Dämmung des Hauses bot sich die ökologische und im wahrsten Sinne nahe liegende Variante an: Schilfmatten, die in der Freistadt Rust produziert werden. Der Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs

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Sämtliche Neuigkeiten des Hauses Beilschmidt (Veranstaltungen, Prämierungen, etc.) wurden, mit vielen Fotos, über zehn Jahren lang im „Weiba Blattl“ einmal jährlich zusammengefasst und an Kunden und Freunde verschickt oder verteilt. Unschwer zu erraten, dass Gattin Lisbeth für den Inhalt verantwortlich zeichnete. Rudolf Beilschmidt genießt seine Pensionierung; die Weingärten sind bis auf einen Hektar verkauft, und das Arbeitspensum ist dementsprechend leichter zu bewältigen. Die beiden Töchter sind erwachsen und haben bereits beruflich ihren Weg eingeschlagen. Sie hatten schon früh signalisiert, dass sie den Betrieb in vollem Umfang nicht übernehmen wollten. In der reduzierten Fassung ist seit 2006 aber nun doch Tochter Karola (Absolventin der Weinbaufachschule in Klosterneuburg) die Chefin, was aber für die Eltern immer noch reichlich Betätigungsfeld zulässt. All das lässt keinen Zweifel mehr: „Wo man hinsieht – es ist 100 Prozent Beilschmidt-bio.“

Leopold Prenninger

Die heiligen Kühe in Indien können davon nur träumen. Mit welcher Hingabe Schwester Theodora für die Kälber und Jungstiere des Stiftes Nonnberg die Boxen ausmistete und ihnen die Streu zum Lagern zurechtmachte sucht ihresgleichen. Mit Freude ging sie allabendlich für ihre Schützlinge „Betti machen“. Leopold Prenninger hat aus seiner fast dreißigjährigen Tätigkeit als Verwalter des Erentrudishofs in Salzburg-Morzg, aber auch aus weiteren Aufgabengebieten einige famose Geschichten parat. Nachdem er den landwirtschaftlichen Betrieb des Stiftes voll Überzeugung auf Biolandbau umgestellt hatte, war er Gründungsobmann des Bioverbandes in Salzburg, ehe er in seinen letzten Berufsjahren bis 2004 als Bioberater in Salzburg im Einsatz war. Krise als Chance! Sehr erstaunlich, dass Leopold Prenninger jetzt – als freudig-agiler Pensionist – seine Lebenserfahrung auf diese kurze Formel bringt. Die erste Krise wird daher sofort benannt und zeitlich zugeordnet: Energiekrise 1973. Prenninger war auf bestem Weg, den 80 Hektar-Betrieb vollends auf Intensivwirtschaft umzustellen, er wollte Stiermast mit etwa 100 bis 150 Tieren betreiben. Aber als die Betriebsmittel über Nacht um 100 Prozent teurer wurden, machte das einen gewaltigen Strich durch seine Jahresberechnung, die ohnehin schon durch zusätzliche Ausgaben für Maul- und Klauenseuche revidiert werden musste. Da fiel ihm Martin Ganizer ein, der alternative Gartler, der vor wenigen Jahren die Schwestern bezüglich des Gemüseanbaues und der Obstbäume im Stift Nonnberg beraten hatte. Daraufhin hatte Prenninger eines Tages einen Waggon Steinmehl im Garten oben beim Kloster abladen müssen. Er hielt damals nicht viel von dem „Sand“. Nun aber pilgerte er zu Ganitzer mit der Frage, ob biologischer Landbau wohl auch für Landwirtschaft im größeren Stil anwendbar sei. Ganitzer ermutigte ihn so weit, dass er einen Biolandbaukurs bei Dr. Müller am Möschberg absolvieren wollte. Nach Rücksprache mit dem Kloster – mit Priorin Regina – wurde die Übereinkunft getroffen, dass das Kloster den Kurs bezahlt und dass Prenninger nachher entscheiden soll, ob biologisch tatsächlich der richtige Weg für den Betrieb ist. Gesagt, getan.

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Abb. 81: Salzburger Landeszeitung Nr. 28/1982. v. l.n.r: Landesobmann Salzburg Leopold Prenninger, Maria Wuppinger, Bundesobmann organ.biol. wirtschaftender Bauern Walter Eiböck, DI Siegfried Wieser (GF Landesverband Sbg.) Felix Wuppinger, Seekirchen.

Der junge Verwalter hat sich zwar bei Dr. Müller nicht sehr beliebt gemacht mit seinen kritischen Fragen, für sich selber zog er aber unterm Strich die Bilanz, dass dieser Kurs den Stoff der halben Fachschulzeit abdeckten, so bereichernd waren die zehn Tage in der Schweiz. Prenninger nahm prägende Eindrücke von Fritz Dählers Betrieb mit, wobei neben der Betriebsführung auch die Baulichkeiten vorbildlich waren. Der Erdkeller, in dem ohne weiteren kühltechnischen Energieaufwand hunderte Tonnen Erntegut bestens gelagert waren, wurde von einigen Biobauern in Österreich nachgebaut. Und Prenninger erinnert sich an eine erheiternde Langzeit-Beobachtung. Unter den österreichischen Teilnehmern waren drei Bäuerinnen, die bisher jeweils drei Töchter hatten. Neun Monate nach dem Kurs kamen drei Buben zur Welt! Die Umstellung des Erentrudishofes auf die organisch-biologische Wirtschaftsweise war beschlossene Sache. Prenninger hatte sich mit der vorher undenkbaren Bedingung abgefunden, dass er laufend guten, frischen Mist dem Bodenleben „direkt in den Mund zu füttern“ muss und nicht wie bisher zwei Mal im Jahr den Mist ausbringt und danach den gewaschenen Miststreuer wieder in die Ecke stellt. Zu Beginn war besonders wichtig, Leopold Prenninger

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eine breitere Fruchtfolge anzusetzen, nämlich eine Sechs-Felder-Wirtschaft bestehend aus Getreide, Zwischenfrucht, Getreide, Kartoffeln, und dann zwei Jahre Klee. Nach Roggen bzw. Dinkel kam eine gut gemixte Gründüngung aus Erbsen, Wicken, Pferdebohnen, Sonnenblumen, Senf, Hafer und Phacelia. Die in den Herbst versetzte Blüte auf den Feldern war für alle eine unerwartete, vielgestaltige Augenweide und die Imker waren hellauf begeistert. Statt Mais führte Prenninger Kartoffel ein – erst ein halbes Hektar, zuletzt sechs Hektar Fläche! – und sie brachten ihm großes Lob ein, weil er eine hervorragende Qualität produzierte. Hier befolgte er den Rat Dr. Müllers, im Jahr der Kartoffelernte keinen Frischmist mehr zu düngen, dann stammen die Geschmacksstoffe nur von den Wurzelausscheidungen der Gründüngung. Die auftretenden Kartoffelkäfer-Invasionen konnten mit Hilfe von Lehrlingen und schließlich auch mit einer dankbaren Schar von Konsumenten beseitigt werden. Im Stall wurde sofort die Fütterung von Trockenmilch eingestellt. Das schlug wirtschaftlich zu Buche. Die rund 30 Kälber bekamen von den Schwestern sehr viel Milch, und ein tägliches Fixum von etwa 60 Liter Milch ging für den Eigenverbrauch ins Stift Nonnberg, da blieb nicht viel Milch übrig, die abgeliefert werden konnte. Beträchtlich ausgebaut wurde die Schweinehaltung und bald wurden die Hühner auf 400 Legehennen aufgestockt. Eine beträchtliche Umstellung hatte der Getreideanbau mit sich gebracht. Die Zeit war vorbei, als er mit dem Mähdrescher die Ernte einholte und im Lagerhaus abkippte. Von nun an brauchte Bio-Gutsverwalter Prenninger das eigene Saatgut für den Nachbau, das aber nicht in gängiger Form über 60 Grad getrocknet werden durfte, weil es dann nicht mehr keimfähig ist. Folglich baute er eine eigene Trocknungsanlage, einen eigenen Lagerraum und eine eigene Reinigungsanlage. Auch um den Verkauf kümmerte er sich schließlich selber. Ab den 80er-Jahren war die Nachfrage über den Ab-Hof-Verkauf derart angestiegen, dass an den Verkaufstagen am Mittwoch und Samstag manchmal 5000 Kilo Getreide und 5 bis 6000 Kilo Erdäpfel verkauft wurden. Einen weiteren Kunden-Schub brachte die Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986. Statt des Grünfutters kaufte Prenninger Heu zu, damit Schwangere und Mütter mit Babies eine unverstrahlte Milch bekamen. Das haben auch Ärzte positiv wahrgenommen. Aber bis es so weit war, hatte er auch einige Durststrecken und hitzige Debatten mit anderen Bauern zu bestehen und erst als der Hof voll Autos war und die Kofferräume voll bio getankt wurden, schlug deren Lästern in Neid um. Man darf sich nämlich Leopold Prenninger nicht als jemanden vorstellen, der auf seinem Stiftsgut in Klausur ging, auch wenn das die Schwestern gern gesehen hätten. Vielmehr setzte er sich liebend gern an den Stammtisch zu den Bauernkollegen um Neuigkeiten zu diskutieren. Das tat er auch, als er frisch vom Möschberg zurückgekommen war und seine neue Idee war die biologische Landwirtschaft. Aber die anderen nahmen ihm nicht ab, was er da im Kopf hatte. Das theoretische Grundgerüst und die praktischen Beispiele der Schweizer Bauern nützten ihm nichts, solange er real hier in Salzburg nichts Greifbares vorweisen konnte. Ganz im Gegenteil schauten in den ersten Jahren manche seiner Felder eher wild aus, wenn etwa das Unkraut doppelt so hoch gewachsen war als das

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Getreide. Da meinten die Nachbarbauern, sie würden ihm – heimlich, nachts natürlich, damit es niemand merkt – gern einmal drüberspritzen, weil sie diesen Anblick nicht mehr aushalten. Umgekehrt, wenn seine Felder gut gediehen und sich Ertragserfolge einstellten, wurde wie so oft in dieser Zeit vermutet, dass er nächtens Kunstdünger streut oder aber deshalb so gut dasteht, weil die Schwestern für ihn beten. Diese „Methode“ trug Prenninger den Lästerern aber gern auch zur Nachahmung an. Sticheleien gab es vielfältig, er und seine Mitarbeiter bekamen den Widerstand in der Fachschule, von Seite der Chemie, bei Wirtsleuten usw. zu spüren und auch die Titulierung als Bio-Pold war nicht schmeichelhaft gemeint. Aber Prenninger hatte sich eine moralische Stütze von Dr. Müller mitgenommen, der seine Biobauern darauf vorbereitet hatte, dass es in den Jahren der Umstellung zäh werden kann, bis sich der Boden regeneriert hat. Er hat ihnen aber auch eingeprägt, keine halben Sachen zu machen, völlig falsch wäre es, den „Goldenen Mittelweg“ zwischen den Methoden zu nehmen. Anlässlich der jährlichen Vorträge von Dr. Müller im Höllbräu konnten diverse Informationen auch kollektiv aufgefrischt werden. Es gab auch noch andere, auf die sich Prenninger stützen konnte. So bot die Lektüre von Gerhardt Preuschen wertvolle Hinweise für die biologische Landwirtschaft und durch die persönliche Bekanntschaft mit Gerhard Plakolm und Bernd Lötsch konnten aktuelle Probleme besprochen werden. Einen speziellen Impulsgeber fand Prenninger auch im Zukunftsforscher Dr. Millendorfer, der in Schlierbach im Jahr 1978 das Ausbildungszentrum SPES gegründet hatte und der den Menschen im ländlichen Raum zurief: „Ihr seid nicht die Letzten von gestern, sondern die Ersten von morgen.“ Als Leopold Prenninger die Umstellung auf Biolandbau in Angriff nahm, wusste er bereits aus eigener Erfahrung, was es heißt, Anfangsschwierigkeiten zu meistern und zwar aus der Zeit, als er den Posten als Verwalter des Erentrudishof angenommen hatte. 1966 hatte der gebürtige Oberösterreicher die zweijährige Fachschule Schlägl absolviert, als Pater Konrad vom Stift Schlierbach, ein guter Bekannter der Familie, zu Leopold meinte, er wüsste eine Stelle in Salzburg, der Erentrudishof bräuchte eine neue Kraft. Obwohl acht Schwestern und Landarbeiter da waren, fehlte eine klare Führung. Man schicke den jungen Prenninger „nach Salzburg auf Entwicklungshilfe“ scherzten Insider. Nicht nur die Betriebsgebäude fand der künftige Verwalter ziemlich desolat, sondern der ihm angebotene Wohnraum war unzumutbar. Damit er schließlich ein Zimmer im Kloster beziehen konnte – ein Mann im Frauenkloster! – musste erst vom Erzbischof Erlaubnis eingeholt werden. Bald gewann Leopold das volle Vertrauen von Priorin Regina, einer über die Jahre erfahrene Wirtschafterin und Baumeisterin. Es ging darum, die Landwirtschaft in Schwung zu bringen, Maschinen anzuschaffen, die Bauten zu sanieren und um die richtige Wahl von Mitarbeitern, nachdem vier Schwestern abgezogen wurden. Nach einem unliebsamen Intermezzo mit einem Melker-Ehepaar griff Prenninger auf seine alten Beziehungen aus der Zeit als Diözesanverantwortlicher bei der Katholischen Jugend zurück und fand gute Mitarbeiter. So kam allmählich der Betrieb in Schwung, auch der Direktverkauf wurde ausgebaut, den die Schwestern schon immer betrieben hatten. Da gab es Milch, Topfen und Butter, Milchbrot und Buchteln und wenn Schweine geschlachtet wurden, Leopold Prenninger

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Abb. 82: Salzburger Landeszeitung Nr. 28/1982. Winteraussaat am Erentrudishof Salzburg-Morzg (Leitung Leopold Prenninger) mit speziell umgebauten Maschinen.

Presssack, Blutwürste und Geselchtes. Hier änderte sich allerdings nach der Umstellung auf Biolandbau das Angebot wesentlich. Vollwertige Getreide- und Milchprodukte wurden ebenso bereitgestellt wie Gemüse und Fleisch. An Baulichkeiten kam ein eigener Schlachtraum und eigener Kühlraum für Rinder dazu und im Zuge der Ökologisierung des Betriebes errichtete der Erentrudishof schon in den 80er-Jahren eine Hackschnitzelheizung und installierte Sonnenkollektoren. Auch privat hatte Leopold Prenninger in Salzburg einiges vor. Er wollte ein Haus bauen, was er mit Elan angehen konnte, nachdem er von den Schwestern in unmittelbarer Nähe des Hofes einen Baugrund sehr günstig erwerben konnte. 1972 fand die Hochzeit mit seiner Frau Franziska statt. Sie und nach und nach die fünf Kinder kamen alle in den Sog der Biowelle. Das erste Weihnachtsgeschenk nach dem Kurs auf dem Möschberg war eine Getreidemühle. Als gelernte Krankenschwester war Franziska der Ernährungsumstellung sehr aufgeschlossen und für die Kinder musste der Papa im Zweifelsfall Vorbild sein: Wenn es ihm schmeckte, aßen auch die Kleinen. Ihm schmeckte die Bio-Vollwertkost und er führt auch auf sie zurück, dass sich seine gesundheitlichen Beschwerden mit der Zeit besserten. Dazu trägt sicherlich auch viel seine positive und dankbare Lebensgesinnung bei, ist Prenninger überzeugt. Die Umstellung auf Biolandbau sorgte öfter auch für Wochenendausflüge für die ganze Familie, nämlich immer dann, wenn sie zu einem Arbeitsgruppentreffen auf einen anderen Hof fuhren, was alle auf ihre Weise genossen.

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Leopold Prenninger wurde 1979 Gründungsobmann des Salzburger Verbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern und blieb es 13 Jahre lang. Er fühlte sich auch als Vater des Biolandbaues in Salzburg. In dieser väterlich-verantwortlichen Einstellung förderte und betreute er die regionalen Arbeitsgruppen. Darüber hinaus bildete er auch eigenständige Arbeitsgruppenleiter heran, die den Erfahrungsaustausch, die Hof- und Felderbesichtigung – und in gewisser Hinsicht auch die interne Kontrolle lenkten. Drei Mal wurde Leopold Prenninger als Obmann wieder gewählt. Soweit war es Vereinssache und stimmig. Doch es war jedes Mal auch eine externe Hürde zu nehmen, nämlich bei den Schwestern in aller Förmlichkeit die Erlaubnis einzuholen, dass er dieses Amt neben seiner Tätigkeit als Verwalter ausüben darf. Es war nicht zu leugnen, dass er oft nicht am Erentrudishof war, weil er seinen Aufgaben als Obmann nachkommen musste. Tatsächlich widmete er den größten Teil seiner Freizeit und seinen Urlaub der Funktionärsarbeit. Zu dieser gehörten naturgemäß auch die Einberufung und das Abhalten von Versammlungen. Dass hier fachliche, wirtschaftliche und/oder strategische Themen des Biolandbaues auf der Tagesordnung standen, ist klar. Prenninger war es aber auch wichtig, ethische, christliche und soziale Werte einzubringen. Ein schön gestalteter Gottesdienst zu Beginn der Jahreshauptversammlungen war für ihn ein Fixpunkt. Einmal lud er den Europa-Benediktiner Pater Johannes Bausch zu einem Vortrag ein. Der Klostergründer, Theologe und Psychotherapeut war auch Bauer! Auch bevor er dieses Amt übernommen hatte, war Prenninger kein Unbekannter in der Bauernschaft. Er war Landarbeiterkammerrat und als Landwirtschaftsmeister etliche Male Beisitzer bei den Meisterprüfungen. Als er 1974 das Gut umgestellt hatte, ging das rasch in die Öffentlichkeit, was er ja selbst auch mit Feuereifer vorantrieb. Neben dem Stammtisch wurde die Landwirtschaftsammer zur zweiten Überzeugungszone. Er setzte in vielen Streitgesprächen und Diskussionen alles daran, dass die Idee / Ideologie des biologischen Landbaues in das gängige Programm einfließen sollte. Aber seine Amtszeit, die bis 1992 dauerte, hat dafür nicht ausgereicht, um das zu erleben. – Mehr als 20 Jahre später hörte er seinen Hauptkontrahenten, einen Pflanzenbau- und Tierzuchtberater, wieder einmal bei einem Vortrag – und er hatte Aspekte der Prenninger’schen Philosophie zu Fütterung und Haltung eingebaut. Wer sich da verändert hat? Die Zeit! Wenig später – 1994 – bahnte sich ein zweiter Abschied an. Das Kloster hatte nach dem Ausscheiden der geschätzten Priorin Regina – sie hatte diese Postition bis zu ihrem Ableben nach 92 Lebensjahren inne gehabt –- eine neue Leitung und da wurden andere wirtschaftliche Parameter an die Führung des Erentrudishof gelegt. Die gegensätzlichen Auffassungen spitzten sich schließlich in der Weise zu, dass sich Leopold Prenninger schweren Herzens nach 28 Jahren von der Aufgabe als Verwalter trennte. Er würde es wohl nicht mehr erleben, wie das eine Mal auf dem Mähdrescher, wo das Wetter prächtig war und das Getreide – der goldgelbe Weizen – so schön gestanden ist, dass ihn momentan das Gefühl überkam: Himmelvater, jetzt könnt ich dich umarmen, weil du mir so eine schöne Ernte schenkst! – Nach 20 Jahren Biolandbau dies aufgeben zu müssen bewirkte, dass er in eine Depression fiel.

Leopold Prenninger

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Und doch hieß es wieder: Lebenskrise als neue Chance! Schon als er noch im Erentrudishof die Verwaltung leitete, hatte Prenninger einen dreijährigen Unternehmerlehrgang begonnen. In dieser Bauer und Unternehmer-Schulung, kurz BUS, die eine fachliche, rhetorische und betriebswirtschaftliche Schulung umfasst, hatte sich dieser Satz bei ihm eingeprägt: „Wenn du nicht das erreichen kannst, was du willst, verändere das, was du gerade machst. Veränderung war also angesagt und Prenninger fasste die Aufgabe eines Bioberaters ins Auge. Mit 53 Jahren stieg er im Landesverband Salzburg als Berater ein und stellte sein Wissen und seine Erfahrung Bauern vor und während der Umstellung zur Verfügung. Schwerpunkt war die Tierhaltung und Stallbauberatung. Es hat sich bald herumgesprochen, dass er wieder im Einsatz war und er wuchs schnell in das neue Metier hinein. Wie auch schon als Obmann war es ihm wichtig, Biobauern und Biobäuerinnen zu haben, die mit Leib und Seele bei der Sache sind, und nicht nach dem Papier. Für das Papier waren 15 Stunden Umstellungskurs vom Ministerium vorgeschrieben. Aber für Prenninger war klar, dass man in 15 Stunden aus einem konventionellen keinen Biobauer bzw. Bäuerin machen kann. So bot er erst Kurse mit fünf Tagen an. Zu diesen Aufbaulehrgängen kam als Abschluss noch ein sechster Tag mit Exkursion zu Praxisbetrieben. Seine Kreativität machte auch vor dem Kursangebot nicht Halt, so organisierte er zusätzlich zum Standardprogramm auch einmal einen Flirtkurs. – Gegen Ende seiner Beraterzeit in Salzburg wurden im Land Falschdeklarationen von Bioprodukten aufgedeckt. Als Prenninger nicht durchsetzen konnte, dass der Verband die Schwarzen Schafe bekannt gibt, distanzierte er sich von dieser Haltung und nahm 2004 kurzfristig den Abschied. Was bietet ihm nun der Un-Ruhestand? Eine eigens eingerichtete Tischlerwerkstatt ist das Zentrum der Freizeitbeschäftigung. Im Kindergarten und in der Pfarre macht er sich mit Rat und Tat als Hausmeister nützlich, zudem ist er Koordinator des Dorffestes, das er ins Leben gerufen hat und das alle drei Jahre unter Teilnahme aller 15 Vereine abgehalten wird. Zu Hause kommen öfters die Enkel zu Besuch, dann wird im von ihm gezimmerten Sandkasten gespielt. – Der schon seit Jahren vom Erentrudishof gepachtete 200 m2 große Gemüsegarten direkt beim Haus ist übrigens seit jeher das Liebkind von Franziska und hat viel zu bieten für die ganze Familie. Gelegentlich hilft Leopold Prenninger auch drüben auf dem Erentrudishof bei der Ernte oder bei Baulichkeiten mit – unter ungekehrten Vorzeichen: Der jetzige Verwalter war sein ehemaliger Praktikant.

Hans Gahleitner

„Meine Ausbildung und mein erster Ansatz in der Landwirtschaft war auf eine extreme Chemielandwirtschaft ausgerichtet. Das ging in etwa bis 1966/68. Dann gab es einen Schnitt“ – Hans Gahleitner fokussiert seinen persönlichen Wendepunkt. Die Radikalität seiner gedanklichen und emotionalen Umbrüche, die sich auf agrarischer, politischer und religiöser Ebene auswirkten, und die Unbeirrbarkeit, mit der er diesen Schnitt durchzog, ergab eine facettenreiche Geschichte, die ihn schließlich zu dem biologisch-dynamischen Saatgutzüchter in Österreich werden ließ.

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Wie der Kronprinz wurde Hans Gahleitner 1940 als erster Sohn nach sechs Mädchen in die Familie Gahleitner in Arnreit im oberösterreichischen Mühlviertel geboren. Der Hof wurde fortschrittlich geführt, schon 1925 hatte der Vater als erster in der Gegend Kunstdünger verwendet und die Mutter war später erste Bezirksbäuerin und auch die erste Frau, die mit dem Traktor fuhr. Der Hof war im weiteren Umkreis bekannt, man kannte die Familie. Auf Hans Gahleitner wartete eine klare Zukunft als Vorzeigebetrieb der Chemie Linz und eine politische Karriere im Bauernbund bzw. in der ÖVP. Konsequente Schritte in diese Richtung machte er in den frühen 1960er-Jahren mit Düngeversuchen und Saatzucht für die Chemie Linz und verdiente ziemlich viel Geld. Parallel dazu zeichneten sich in der Landwirtschaft gravierende Probleme ab: Viele Höfe waren veraltet, es fehlte an Arbeitskräften, es fehlte das Geld für den Zukauf von Betriebsmitteln und schon gar für größere Investitionen wie die Anschaffung von Maschinen oder einen Neubau. In der katholischen Landjugend diskutierte Gahleitner mit anderen jungen Bauern wie man die Höfe erhalten kann und wie man verhindert, nach Linz arbeiten gehen zu müssen. Zusätzlich inspiriert von Ideen der aufkeimenden 68erBewegung wurde rasch klar, dass man sich von der bestehenden agrarpolitischen Dominanz des Bauernbundes lösen und eigene Strukturen aufbauen muss. Sie dachten dabei in erster Linie an Wirtschafts-Kooperationen untereinander. Aus diesen – politisch linken - bäuerlichen Netzwerken ging 1974 die Österreichische Bergbauern Vereinigung hervor (ÖBV, jetzt La Via Campesina) und Hans Gahleitner wurde ihr außenpolitischer Sprecher und später sechs Jahre lang Obmann. In diesen Funktionen verfestigte sich sein Kontakt zu unterschiedlich Gleichgesinnten, mit der aktiven westfälischen Landjugend oder in N-Deutschland mit der Anti-Atombewegung rund um Gorleben und er machte freundschaftliche Bekanntschaft mit Joschka Fischer und Antje Vollmar. Dass er in den 70er-Jahren in Deutschland kein Unbekannter war, beweist die Überwachung durch den Staatssicherheitsdienst im Vorfeld der ÖBV-Gründung. Unter all den virulenten Alternativ-Bewegungen stieß Hans Gahleitner auch auf den biologischen Landbau. In Deutschland sprach er mit den Leuten des vorbildlichen Dottenfelder Hofes nahe Frankfurt, wo sich einige Familien 1978 zusammengeschlossen hatten und biologisch-dynamisch wirtschafteten, und in der Westfälisch-Lippischen Landbauschule besuchte er Kurse zum ökologischen Landbau. Als aufgeschlossener Beobachter entging ihm auch die Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum mit Sitz in Linz nicht, die sich ursprünglich den Erhalt von Bauernhöfen auf die Fahnen geschrieben hatte und ab 1969 den Biolandbau propagierte. Dennoch wurde Gahleitner nicht einfach ein gläubiges Mitglied. Für den Biolandbau interessierte er sich wohl, aber die betont religiöse Haltung von Dr. Müller war ihm erzzuwider. Ein ganz anderes praktisches Beispiel für eine Art „bio“ fand er hingegen bei einem Nachbarn, der ohne Agrarchemie wirtschaftete, dabei aber immer gute Erträge hatte. Dieses Getreide war eindeutig aromatischer als das eigene – für den selbstgebrannten Schnaps nahm er immer das Korn vom Nachbarn. Das tägliche Leben auf dem Hof in den späten 60er- und 70er-Jahren war spannungsreich und konfliktgeladen, oftmals auch Kampf. Die aufwieglerischen alternativen Ideen trugen Hans wenig Vertrauen seiner Eltern und Geschwister ein und die Mutter übergab Hans Gahleitner I

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ihm nach dem Tod des Vaters 1965 nur ungern den Hof. Da fehlte es gerade noch, dass er Anfang der 70er-Jahre biologisch zu wirtschaften begann und die bisherigen Karrierepläne hinschmiss. Sein Kalkül war dennoch schlichtweg ein Finanzielles: Die Nachfrage nach Bioprodukten war bereits spürbar und es wurden Preise in der Direktvermarktung gezahlt, wo es sich auszahlte umzustellen! – Von diesen Traum-Einnahmen war er aber noch weit entfernt, denn vorerst war eher offensichtlich, dass er rasch abwirtschaften würde. Das Unkraut auf den Feldern nahm mehr als einmal überhand und er hatte schüttere bis erschütternd niedrige Erträge. Die Natur servierte ihm eine alte Rechnung zur Begleichung: Nach dem 30jährigen extremen Kunstdüngerdoping brauchten seine Böden nun extrem lang, um sich zu erholen und die Mikroflora zu regenerieren. – Und Hans Gahleitner meinte, von sich aus eine andere Rechnung quittieren zu müssen: Er trat aus der katholischen Kirche aus, was familiär nicht gerade opportun war. Auch Verwandtenbesuche auf anderen Höfen wurden problematisch, weil man sich dort vor seinen biologischen und religiösen Einflüsterungen bewahren wollte. Dicke Haut, sturer, revolutionärer Querdenker, vernarrt in eine Sache, die sich Biolandbau nennt, vergeblicher Rufer in der Wüste oder Hans im Glück? – Hans Gahleitner ging jedenfalls unbeirrbar seinen Weg weiter und behauptet zwischendurch erstaunlicherweise, dass ihm im Leben mehr durch Glücksfälle als durch sein Wissen gelungen ist. 1977 wurde die Milchviehzucht auf Mutterkuhhaltung umgestellt, denn er musste seine Arbeitskraft und seine Zeit gezielt einsetzen. Die Anerkennung als Biobetrieb bekam Gahleitner 1979, als er vom Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs aufgenommen wurde. Aber der frisch zertifizierte Biobauer Gahleitner macht sich keine Illusionen über seinen Beliebtheitsgrad im Verband, denn als jahrzehntelanges Aushängeschild für die Kunstdüngerwirtschaft – wie sollte er da auf einmal ein ernst zu nehmender Biobauer sein. 1981 wurde der erste Dinkel angebaut. Durch die Hildegard-Medizin war der Kilopreis für Dinkel „jenseits“, jenseits des normal Vorstellbaren gestiegen. Eine Hürde war dennoch zuvor zu nehmen: Die Getreidereinigung, und die kostete einigen Aufwand. – Geliefert wurde an Reformgeschäfte, Naturkostläden und Erzeuger-Verbraucher-Initiativen: Müli in Linz, Bersta in Wien, Evi in St. Pölten – Gahleitner war bei der Gründung Anfang der 1980er-Jahre dabei. Selbst gegründet hat Hans Gahleitner 1985 den Biobauern-Verband Erde & Saat, dessen Logo aus dem Kretischen Labyrinth als Symbol für die fruchtbare Erde und einer Dinkel-Ähre gebildet wird. Über 500 Mitglieder zählte der Verband in seiner besten Zeit. Aufgrund einer Mitgliederliste konnten sich Konsumenten informieren, bei wem sie welche Produkte ab Hof kaufen können bzw. wer in einem Hofladen ein breites Sortiment anbietet. Darüber hinaus wurden in vier Städten eigene Läden unter dem Label „Grüner Zweig“ eingerichtet, die die Produkte Erde & Saat-Bauern verkauften. Angetreten war der Verband mit den Idealen bäuerlichen Selbstverständnisses und Unabhängigkeit von parteipolitischen oder traditionellen Interessensvertretungen. Nicht gefeit war der Verband gegen Veruntreuung von Geldern durch ein Mitglied, ein herber Schlag, der aber intern bereinigt werden konnte. Im Jahr 2000 legte Hans Gahleitner im Alter von 60 Jahren die

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Obmannschaft zurück – 15 Jahre schienen ihm auch genug. All diese Jahre und Entwicklungen hat Anna Gahleitner, die um drei Jahre ältere Schwester, als einsatzbereite und unerschütterliche Stütze in Haus und Hof mitgetragen. Durch sie ist auch die Umstellung auf vollwertige Ernährung leicht möglich geworden und ihr ist es auch zu verdanken, dass der Bruder sich immer wieder vom Betrieb losreißen konnte, um zu Sitzungen, Tagungen, Fortbildungskursen oder politischen Aktionen zu fahren: Unvergesslich soll die Kuh bleiben, die vor dem Parlament gemolken und die Milch demonstrativ an Passanten verschenkt wurde, weil Biobauern keine Rohmilch verkaufen durften. Nebenbei wollte sich die Kuh auch mal im Hohen Haus umsehen, wenn sie schon mal in Wien ist ... Wie es schon im Verbandsnamen Erde & Saat zum Ausdruck kommt, war das Saatgut ein besonderes Anliegen von Hans Gahleitner. Nach diversen Tagungen und in Kenntnis der restriktiven Strategien von Saatgut-Konzernen inklusive der Saatbau Linz hat es ihn gereizt, selbst in die Saatzucht einzusteigen. Während die großen Konzerne auf Gunstlagen züchteten, wollte er stabile Sorten für sämtliche Lagen entwickeln, auf denen Biolandbau betrieben wird. In seine Züchtungsarbeit kam ein neuer Impuls, als Gahleitner 1987/88 einen Astrologiekurs für Saatzucht bei auf Schloss Rittershain machte. Martin Schmitt hatte sich seit 1924 der Getreidezucht nach biologisch-dynamischen Kriterien gewidmet und hatte in Georg Wilhelm Schmitt einen engagierten Nachfolger finden, der diese Arbeit 1986 dauerhaft auf Rittershain verankerte. Nun vertiefte sich auch Gahleitner immer mehr in die Zusammenhänge zwischen den kosmischen Gestaltungskräften und den Erdenkräften im Boden in den Pflanzen. Es geht um permanente Vermittlungstätigkeit: Aus dem Universum sollen Lichtkräfte hereinholt und in den Nahrungspflanzen manifestiert werden, sodass sie letztendlich den Menschen zur Verfügung stehen. „Das Fahnenblatt beim Dinkel ist riesig, das ist ein Sonnenkollektor“ erläutert Gahleitner begeistert. „Wir wissen überhaupt nicht, welche Lichtfrequenzen da jeden Tag eingespielt werden. – Wir kennen ja eigentlich nur die Hauptgestirne Sonne und Mond. Aber die spezifische Informationen von Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn auf die Pflanzen zu bekommen, das ist die Herausforderung.“ Es ist nicht egal, welche Information in einem Getreidekorn liegt und wie damit umgegangen worden ist. Es geht nicht nur Backqualität, sondern um eingefangene und verwandelte kosmische Lichtinformation – solche Nahrung kann auch Tier und Mensch subtil mit dem großen Ganzen verbinden, gleichsam rückkoppeln, ist Gahleitner überzeugt. Bei seiner Züchtungs-Linie verweigert er auch Einkreuzungen. „Ausgegangen wird nur von alten, ursprünglichen Sorten wie dem Einkorn, Emmer und Dinkel, in denen noch unverfälschte Ordnungen vorgefunden werden. Ziel ist es, dass ganz spezielle hochwertige Aminosäuren und Stickstoff-Verbindungen in bzw. von den Pflanzen gebildet werden können, wie wir sie in Zukunft noch dringend benötigen werden.“ Gahleitner spricht über seine Arbeit, richtet aber insgeheim einen Appell an die Verantwortung aller Produzenten, Verarbeiter und Konsumenten. Hans Gahleitner brauchte einige Jahre, bis er sich in die inneren Zusammenhänge der biologischen Systeme intensiver hinein lebte und erkannte, „was da für Energien loszufahren sind auf den Böden“ und dass biologische Landwirtschaft bessere Produkte hervorbringt Hans Gahleitner

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Abb. 83: 1995 wurde die Firma BIO SAAT gegründet. Hans Gahleitner in der Bildmitte.

– eine immer wieder umstrittene Behauptung, die er aber mit Redox-Messungen, bildschaffenden Methoden oder Biophotonen Messung nachweisen will / kann. Spontan lässt er sich zu der ehrfürchtig anmutenden Aussage hinreißen: „Der Boden ist ja fast das Heiligste, was wir haben auf der Erde, sozusagen.“ Was ihn dabei so fasziniert ist das Faktum, dass man vom anorganischen Bereich etwas herüberholen kann ins Organische, ins Lebendige. Die offizielle Anerkennung seiner Zuchtsorten ließ länger auf sich warten als erhofft. 1999 war die Dinkelsorte Rotkorn endlich patentreif. Das war dringend notwendig, damit Gahleitner offiziell Saatgut verkaufen durfte. Die Ackerbohne Bioro folgte. Schon 1995 hatte Gahleitner mit acht Bauern die Firma BIO SAAT mit Sitz in Arnreit gegründet. Sie boten Serviceleistungen rund um Saatgut an, vom Verkauf über Reinigung und Lagerung. Dieser Verband besteht aus Biobauern, die von verschiedenen anderen Bioverbänden zertifiziert sind. Die Verbandsleistung entwickelte sich erfreulich stabil und Gahleitner ist es zufrieden. Auf dem eigenen Hof weht seit drei Jahren frischer Wind. Nachdem Anna Gahleitner nach einer Operation sich aus der Arbeit auf dem Hof zurückgezogen hat, fanden sich Maria Grünbacher und Josef Stockinger als Pächter für den Hof. Sie werden ihn auch übernehmen, was im Einzelnen noch geklärt wird. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass Hans Gahleitner auf diese Weise zwei gelernte Theologen auf dem Hof hat, was ihn auch erheitert. Er hat ja nichts gegen Religion, ganz im Gegenteil, sagt er: „Religio, das heißt Rückbindung an die Urkräfte des Lebens, das ist eine Notwendigkeit, sonst fängt man zu zerfallen an.“ Maria und Josef leben mit ihren drei Buben auf dem Hof und haben die Vieh-

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4. Biografieteil

bestände übernommen – Waldviertler Blondvieh und Tauernziegen, während Gahleitner noch den Ackeranteil des 32 ha Betriebes bewirtschaftet und sich der Getreidezucht widmet. Für ihn selber steht noch die Entscheidung an, sich ausschließlich auf die Saatzucht zu konzentrieren. Dann läge es nahe, zu seinen wichtigsten Anbauflächen im nördlichen Niederösterreich zu übersiedeln. Diese Gegend verfügt nach seiner Beobachtung über hervorragende Lichtqualität und geringe Funkbelastung. Ein wesentliches Kriterium, denn schon einmal musste er einen herben Züchtungsrückschlag durch Mobilfunkstrahlung einstecken. Kein Wunder also, dass er seinen Hof in Arnreit daraufhin zur handyfreien Zone Abb. 84: Hans Gahleitner ist bestrebt, bei seinen Zücherklärt hat. – tungen die Wirkungen von Planetenkräften bewusst Unter freiem Himmel, im Anblick einzusetzen. Grafik mit Planetenläufen. der Saatzuchtparzellen sinniert er über unsere irdische Existenz: „Wenn du die Dimensionen kennst im All, dann fühlst du dich wie ein Sandkörnchen in der Wüste Sahara. Aber das heißt ja nicht, dass man nichts tun kann, du kannst ein leuchtendes Sandkörnchen werden.“

Lehre, Wissenschaft und Politik erkennen die Bedeutung der Biobewegung Eine neue Sache wird zuerst ignoriert, dann belächelt, dann bekämpft – und wenn sie sich doch etablieren kann, wird sie gelobt und man war schon immer dafür. – Je nachdem, auf welcher Seite man steht oder in welchem Stadium einer Entwicklung oder einer Beobachtung man sich befindet, kann dieser Spruch als allzu wahr, irrelevant oder peinlich empfunden werden. Genau genommen drückt er aber nur aus, wie schwierig es ist, etwas Neues, das nicht nur Neugier weckt, sondern auch sperrige Momente in sich birgt, einem breiten Interessentenkreis verständlich zu machen und darüber hinaus in eine Lebenspraxis überzuführen. Wie es gelungen ist, in Wissenschaft, Lehre und Politik einen Paradigmenwechsel hin zum biologischen Landwirtschaft zu bewirken, erzählen die folgenden Lebensgeschichten. Und es beginnt immer zuerst bei einem selbst ... Die Bedeutung der Biobewegung

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bestände übernommen – Waldviertler Blondvieh und Tauernziegen, während Gahleitner noch den Ackeranteil des 32 ha Betriebes bewirtschaftet und sich der Getreidezucht widmet. Für ihn selber steht noch die Entscheidung an, sich ausschließlich auf die Saatzucht zu konzentrieren. Dann läge es nahe, zu seinen wichtigsten Anbauflächen im nördlichen Niederösterreich zu übersiedeln. Diese Gegend verfügt nach seiner Beobachtung über hervorragende Lichtqualität und geringe Funkbelastung. Ein wesentliches Kriterium, denn schon einmal musste er einen herben Züchtungsrückschlag durch Mobilfunkstrahlung einstecken. Kein Wunder also, dass er seinen Hof in Arnreit daraufhin zur handyfreien Zone Abb. 84: Hans Gahleitner ist bestrebt, bei seinen Zücherklärt hat. – tungen die Wirkungen von Planetenkräften bewusst Unter freiem Himmel, im Anblick einzusetzen. Grafik mit Planetenläufen. der Saatzuchtparzellen sinniert er über unsere irdische Existenz: „Wenn du die Dimensionen kennst im All, dann fühlst du dich wie ein Sandkörnchen in der Wüste Sahara. Aber das heißt ja nicht, dass man nichts tun kann, du kannst ein leuchtendes Sandkörnchen werden.“

Lehre, Wissenschaft und Politik erkennen die Bedeutung der Biobewegung Eine neue Sache wird zuerst ignoriert, dann belächelt, dann bekämpft – und wenn sie sich doch etablieren kann, wird sie gelobt und man war schon immer dafür. – Je nachdem, auf welcher Seite man steht oder in welchem Stadium einer Entwicklung oder einer Beobachtung man sich befindet, kann dieser Spruch als allzu wahr, irrelevant oder peinlich empfunden werden. Genau genommen drückt er aber nur aus, wie schwierig es ist, etwas Neues, das nicht nur Neugier weckt, sondern auch sperrige Momente in sich birgt, einem breiten Interessentenkreis verständlich zu machen und darüber hinaus in eine Lebenspraxis überzuführen. Wie es gelungen ist, in Wissenschaft, Lehre und Politik einen Paradigmenwechsel hin zum biologischen Landwirtschaft zu bewirken, erzählen die folgenden Lebensgeschichten. Und es beginnt immer zuerst bei einem selbst ... Die Bedeutung der Biobewegung

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Josef Willi

„Bildung soll ja dafür gut sein, Probleme zu lösen und nicht neue zu schaffen. – Wenn man auf etwas Neues draufkommt, ist es die große Aufgabe, sich einmal einzuarbeiten. Was sind die Grundlagen, was spricht dafür, was dagegen – was stimmt, was stimmt nicht.“ Als Leiter der der land- und forstwirtschaftlichen Lehrlings- und Fachausbildungsstelle bei der Landwirtschaftskammer Tirol in der Zeit von 1956 bis 1988 war Ing. Josef Willi geradezu beruflich verpflichtet, in Sachen agrarischer Fortschritt, aber auch Problemlösung auf dem letzten Stand der Dinge zu sein. In den 1950er- und 1960er-Jahren war dies für ihn zweifelsohne die Lehrmeinung über die Düngung mit synthetischen Handelsdüngern in Kombination mit diversen chemischen Pflanzenschutzmitteln. Als allerdings Anfang der 1970er-Jahre Probleme mit der Tiergesundheit nicht mehr im gängigen System in den Griff zu bekommen waren, bahnte sich etwas Neues an: „Wie ich zu bio gekommen bin? Sehr tüchtige Bauern bei uns hier, die die Meisterprüfung gemacht haben, die fleißig gedüngt haben, gute Erträge bekommen haben, die hatten Schwierigkeiten mit der Tiergesundheit bekommen. Das war für mich der Anstoß. Diese Bauern haben geklagt, dass die Kühe das Gras nicht mehr fressen, die Kühe nicht mehr aufnehmen und sie fragten natürlich auch, was man da tun kann. Das wusste ich auch nicht. – Aber wenn man in der Bildung tätig ist, sollte man auf alle Fragen eine Antwort haben.“ Bedenkpause. „Einer kam nach einem Jahr wieder und erzählte von Bauern in Salzburg, die auch die Probleme hatten, aber nach Umstellung auf biologischen Landbau gab es die nicht mehr. Also war für mich klar, dass wir die einmal einladen müssen.“ Der Termin für einen Informationstag in Innsbruck, bei dem man von den beiden Biobauern Michael Haitzmann und Walter Eiböck herauszubringen wollte, was an der Biolandwirtschaft dran ist – eben: was stimmt und was stimmt nicht – kam schließlich Mitte Februar 1974 zustande. Zahlreiche Teilnehmer hatten sich eingefunden und sie gewannen durchwegs einen positiven Eindruck, auch eventuelle Ressentiments gegen ein allzu alternatives Erscheinungsbild (Stichwort: Lange Haare) waren unbegründet: Eiböck und Haitzmann waren ganz normale Bauern, mit denen man reden konnte. Vielmehr wurde zu guter Letzt der Wunsch geäußert, sich deren Höfe anzusehen. Schon drei Monate später, im Mai, startete eine Exkursion mit mehreren Bussen und 100 Interessenten Richtung Leogang bzw. Saalfelden. Nachdem auch auf den Höfen, im Stall und den Weiden nichts zu kritisieren war, sondern nur umso mehr Bestärkung entstand, dass an diesem biologischen Landbau etwas dran ist, war eine Fahrt zu Dr. Müller das nächste Ziel. Wenn auch die Erfolge der beiden Biobauern im Grünland beachtlich waren, für Ing. Willi waren noch genügend Fragen offen, ob sich die Methode gleichermaßen im Ackerbau bewährt. Drei Tage hatte sich Dr. Müller für die fünfköpfige Delegation aus Tirol unter der Leitung von Ing. Willi Zeit genommen und er gab zahlreiche Einblicke in die organisch-biologische Wirtschaftsweise – unter anderem erklärte er auch auch: „Im biologischen Landbau spielen Schädlinge keine Rolle.“ Ein aufmerksamer Mitreisender entdeckte jedoch später in einem Buschbohnenbeet auf einer Blattunterseite Läuse und sprach Dr. Müller darauf an. Es kam zum Eklat: „Sie sind nur in die Schweiz gekommen um ein paar Läuse zu suchen

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und jetzt sind sie überglücklich, dass sie einige gefunden haben.“ Ende der Diskussion, Müller wollte seine Besucher einfach stehen lassen und davongehen. Hier war Willi gefordert, die Sache wieder einzurenken, indem er zu bedenken gab, dass er in seiner Funktion durchaus kritisch sein muss, sonst würde man ihn als leichtgläubig abtun. Solche Momente erinnern an die Märchen, wo der/die Berufene diverse Gefahren und Hindernisse überwinden muss, bis das Ziel erreicht wird. Und eine gewisse Anerkennung von Seite Dr. Müllers gegenüber der Bedeutsamkeit des Besuches des Bildungsbeauftragten und Multiplikators Ing. Willi kann auch daran abgelesen werden, dass er diesen im Nachhinein bat, einen zusammenfassenden Bericht über die gewonnenen Eindrücke für seine Zeitschrift „Kultur und Politik“ zu schreiben. In seinem Artikel „Viel Berufsoptimismus bei den biologisch wirtschaftenden Bauern“ schilderte daraufhin Willi sein Fazit ohne weiteres großes Lob oder Überschwang. Bis dahin hatte er gleichsam einen „Blinden Fleck“ bezüglich des Biolandbaus. Noch kurze Zeit vor dieser Neuorientierung hatte er einer Anhängerin der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise, die Mutter einer Teilnehmerin des Gärtnermeisterkurses, die ihn auf die Alternative aufmerksam machte, nicht Gehör geschenkt. Er hatte das Potenzial des Biolandbaues für die Landwirtschaft noch nicht erkannt. Genau genommen hätte es auch schon Literatur gegeben, vielleicht nicht praxisnah, aber auch da war er in seiner Welt der analytisch-synthetisch berechenbaren Landwirtschaft verhaftet und hatte nicht über den Tellerrand hinausgesehen. Es hatte auch noch keinen zwingenden Grund dafür gegeben. Begeisterung für eine Sache ist eines, eine wirklich tiefe Überzeugung gefunden zu haben und auch bis ins Detail alles durchargumentieren zu können, ist etwas anderes. Ing. Willi nahm nach den ersten Exkursionen und Begegnungen mit erfolgreichen BioPraktikern den Biolandbau ernst, er genehmigte sich aber auch eine geistige Umstellungszeit; drei Jahre hält er durchaus angemessen für einen derartigen Prozess. Er pflegte den Kontakt zu Dr. Müller und er richtete den Blick bewusst auf eine Landwirtschaft und auf Bauern, die mehr mit der Natur gelebt haben. Dennoch war auch Diplomatie angesagt. Innerhalb der Landwirtschaftskammer von einem Verzicht auf synthetischen Dünger zu sprechen, das musste klug angestellt werden, denn Rückgang des Düngemittelverbrauches war gleichbedeutend mit Rückständigkeit. Weiters war er selbst der Meinung: „Es geht auch nicht, dass man von heut auf morgen sagt: Der Biolandbau, das ist jetzt die richtige Wirtschaftsart und alles andere vergessen wir. Ich war mir schon sicher, aber dass das andere auf einmal ist gar nix wert – das geht nicht. Ich war von bio überzeugt, aber man kann nicht so einfach Gegendruck betreiben.“ Willi leitete auch schon erste Veranstaltungen, um den Biolandbau bekannt zu machen. Allerdings gab es kaum Lehrmittel und so stand sein Bildungsauftrag auf dem Prüfstein der Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig war es aber geradewegs unmöglich, dass alle Lernwilligen in die Schweiz fuhren, um einen Kurs zu absolvieren. Es hatte sich auch schon eine fixe Interessentengruppe um ihn gebildet, die ARGE Meister und Meisterinnen, die sowohl Initiator als auch erster Abnehmerkreis für seine Lehrbrief-Reihe über biologischen Landbau war. Ab 1975 erschien die zehnteilige Serie, zu der Willi mehrere Autoren zu ihren jeweiligen Spezialgebieten verpflichtet hatte. Auch Rudolf Nagiller hatte seinen Beitrag Josef Willi

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Abb. 85: Verleihung des Konrad Lorenz Preises für Umweltschutz für das Aufzeigen der Bedeutung der Beziehung zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz an Ing. Josef Willi (ganz re.), Helmut Voitl und Dr. Elisabeth Guggenberger (ganz li.) durch Umweltminister Dr. Kurt Steyrer und SC Dr. Herbert Pindur, 1982. Fotoquelle: Univ. Prof. Dr. B. Lötsch, Generaldirektor Naturhistor. Museum Wien

über Mischkulturen beigesteuert. Dazu muss man wissen, dass Ing. Willi ein Pionier in Sachen Fernlehrgang im Agrarsektor ist und bereits 1963 die „Fernschule der Landwirtschaft“ begründet hat, die von mehreren Hundert Jungbauern in Anspruch genommen wurde. Im folgenden Jahr, 1976, hätten die Ereignisse kaum kontroversieller sein können. Ing. Willi bekam im Frühjahr von der Kammer das Verbot, die Lehrbriefe über biologischen Landbau fortzusetzen (was er aber ignorierte) – und im Herbst wurde ihm der Österreichischen Naturschutzpreis genau ihretwillen verliehen. Dass Ing. Willi aus einer politischen Familie stammt – der Großvater war 46 Jahre lang, der Vater 17 Jahre lang Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Schoppernau im Bregenzerwald – und sich als politischer Mensch sieht, d.h. sich zum Handeln gedrängt fühlt, wenn Zustände nicht mehr stimmig sind, konnte man in den folgenden Jahren miterleben. Unabhängig von seiner Bildungstätigkeit war er zur Auffassung gekommen, die österreichischen Biobauern müssten stärker geeint öffentlich auftreten, um ihre spezifischen Anliegen durchsetzen zu können. Aber auch die Vermarktung von Bioprodukten würde mit manchen Partnern besser funktionieren, wenn größere Einheiten geschaffen würden – etwa der in Tirol tätige Betreiber einer Handelskette, Engelbert Perlinger, suchte bereits größere Mengen an biologischem Getreide.

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Ein Rundbrief an über zwanzig Bauern und Bäuerinnen im Frühjahr 1977 bezüglich der Idee eines Biobauernverbandes brachte positives Echo. Als er jedoch diesen Vorschlag beim Jahrestreffen der Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum am 1. Mai 1977 ohne weitere Absprache mit dem Vorstand tatsächlich veröffentlichte, stellte es einen heftigen Affront gegen den bestehenden Verein dar. Erst nach einer gesonderten Besprechung über diese provokant gespaltene Lage rangen sich die Biobauern zum endgültigen Entschluss zu einem neuen, reinen Biobauernverband durch. Dennoch scheiterte an diesem Tag die Gründung an Vertragsformalitäten, obwohl Statuten und Produktionsrichtlinien schon ausgearbeitet waren. Im Jahr 1979 wurde die Idee schließlich umgesetzt und der Verband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs gegründet. Im Vorfeld dazu konnte die Arbeit und die Zielrichtung der Biobauern medienwirksam aufbereitet werden. Das ORF-Filmteam Voitl/Guggenberger hatte das Thema in seiner Brisanz erkannt, filmte an verschiedenen Biohöfen und nahm auch den Vortrag Dr. Müllers während eines Kurses an der landwirtschaftlichen Schule in Rotholz auf. Die Filme „Bodenkultur“ und „Planquadrat Ländlicher Raum“ wurden 1978 vom ORF ausgestrahlt – ein ideales Geburtstagsgeschenk zum „Fünfziger“ von Ing. Willi. Die beiden Filme und die dazugehörige Begleitschrift lösten eine Lawine an Interesse bei den Zusehern aus, eingehende Spendengelder ermöglichten sowohl die Finanzierung der „Bildungsbewegung ökologischer Landbau“, deren Verantwortliche Ing. Josef Willi, Franz Kappel und Doz. Dr. Bernd Lötsch waren, als auch der Rechtsanwaltskosten für die Schaffung der notwendigen Statuten für den neu zu gründenden Verein. Und noch eine Initiative wurde von Ing. Willi in diesem Jahr gestartet. Neue Idee, neuer Ort und gute Beziehungen in die Schweiz und nach Deutschland machten es möglich – das erste „Grüne Forum Alpbach“ wurde am 29. und 30. Mai 1978 abgehalten, gedacht für und auch entsprechend besucht von Fachleuten, Lehrkräften und WissenschafterInnen. Bis 1987 wurden neun Kongresse von internationalem Format durchgeführt und weitgehend publiziert. Die dreitägigen Veranstaltungen wurden von 150 bis 200 Personen besucht. Zwei Fragestellungen beschäftigten Willi zeit seines Bildungsauftrages: Wo findet man die Lehrer für die zukunftsweisenden Bildungsaufgaben? Und: Wie transportiert man wissenschaftliche Erkenntnisse effizient von der Ebene der Fachkreise zu den Praktikern? Die rege Teilnahme an den Alpbacher Kongressen war wohl sehr erfreulich, aber für Willi war die Umsetzung auf den Feldern und Wiesen noch zu wenig evident. Nach einem Jahr Vorbereitung konnten vom Studienzentrum für Agrarökologie spezifische praxisorientierte Lehrgänge angeboten werden. Dabei handelte es sich um ein maßgeschneidertes Programm für Landwirte, das an vier mal drei Tagen flexibel in ganz Österreich abgehalten werden konnte, sofern sich dreißig HörerInnen anmeldeten. Und sie meldeten sich an! – Ab Herbst 1985 bis 1999 wurden unter Mithilfe engagierter Personen aus dem landwirtschaftlichen Bereich 34 Agrarökologielehrgänge und zwölf Hochschulkurse abgehalten. Es war die Ära von Franz Fischler – damals war der spätere EU-Kommissar für Landwirtschaft Kammeramtsdirektor in Tirol – und als Ing. Josef Willi 1988 beschloss, mit Josef Willi

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sechzig Jahren in Pension zu gehen, wurde er von diesem ehrenvoll verabschiedet. Für Willi selbst bedeutete es aber den nahtlosen Übergang in das Aufgabengebiet der ehrenamtlichen Geschäftsleitung des Studienzentrums für Agrarökologie. Bis Ende 2007 wurden also von ihm weiterhin Lehrgänge organisiert. Aber Willi wirkte auch selbst bei zahlreichen ein- und mehrtägige Fachveranstaltungen, Seminaren und Exkursionen mit und hielt z. b. auch über 100 Hofkäsereikurse ab. 2008 – mit 80 Jahren, blickt Josef Willi zurück. Als gläubiger Mensch kommt da auch das Danken nicht zu kurz, „Je mehr man dankt, umso zufriedener wird man!“ und erinnert sich an Momente im Krieg oder bei Unfällen, wo er nur knapp dem Tod entgangen ist, – für ihn war das eine Führung Gottes. Willi blickt aber auch in die Zukunft: „Das agrarpolitische Ziel muss sein, dass die ganze Landwirtschaft auf bio umstellt. Das ist doch derzeit kein Zustand, inkonsequent ist das“ donnert er los. Aus dieser Sicht ist es fast überflüssig zu wiederholen, dass er immer der Meinung war: „Was man im biologischen Landbau lehrt, das muss jeder Bauer können, ganz selbstverständlich. Dieser Umgang mit der Natur, das sollte jeder können.“

Herbert Fill

Da greift man doch zu, wenn man als 25-Jähriger doch noch die Chance bekommt, studieren zu können. Herbert Fill hatte bereits die Höhere Bundeslehranstalt für alpine Landwirtschaft absolviert und war als Landwirtschaftlicher Berufsschullehrer im Einsatz. Schon seit vier Jahren, seit 1958 war er als Wanderlehrer im Kitzbühler Raum unterwegs. Nun bot man ihm ein Begabtenstipendium, um an der Hochschule für Bodenkultur in Wien zu studieren. Das hätte sich der gebürtige Wildschönauer als Kind nicht träumen lassen. Als Bub, nach dem Krieg, hatte er die zwei oder drei Ziegen gehütet, die das tägliche Mahl der kinderreichen Familie aufbesserten. Damals hatte man dem geschickten jungen Burschen in Aussicht gestellt, dass er sicher eine gute Arbeit irgendwo finden werde ... Im Frühjahr 1966 war dann klar, wo der nun knapp 30-Jährige Herbert Fill seine Arbeitsanstellung fand: Dem frisch gebackenen Diplomingenieur wurde die Leitung der Düngerberatungsstelle bei der Landeslandwirtschaftskammer Tirol übertragen. Geschafft! Er war in seinem Element. Bodenuntersuchungen, Beratungstätigkeiten für Umstellungen auf die moderne Kunstdüngerwirtschaft und die Abwicklung von Dünger-Aktionen waren schon als Lehrer seine Aufgaben, die er mit Engagement erledigt hatte. Die Bauern waren sehr empfänglich für die erklärenden Beratungen über die Mineralstoffwerte im Boden und Düngeempfehlungen. Wie rasch wirkte das alles und zeitigte einen Erfolg? – Fill spontan: „Explosionsartig! – Da ist es vorgekommen, dass eine Bäuerin sagte ‚Wenn nur du nicht mehr kämest!’ – Warum? – Weil mehr als das doppelte Gras als früher gewachsen ist! Während man früher das Futter mit zwei schönen Sonnentagen als Heu trocken hatte und einführen konnte, ist jetzt nach zwei Tagen noch ein welkes Zeug draußen gelegen. Keine Rede von trocken. Drei und vier Tage musste man haben – hintereinander! Das gibt es ja viel weniger in Tirol. Und schon ist es eine ganze Woche – und das Futter ist trotzdem nicht ganz trocken.

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Und ist nicht ruhig. Das war eine ganz neue Erfahrung. Dass das Futter von diesen stark gedüngten Wiesen auch unruhig geblieben ist – dann sind die Heustockbrände gekommen. Auch manche Höfe sind zu brennen gekommen, das weiß man heute nicht mehr.“ Fill bemerkte noch einen weiteren Zusammenhang: „Es kam noch etwas anderes dazu. Diese Massenfutter waren schwer, die Bauern hatten nicht die Maschinen. Das Wenden, die Schwaden verteilen, das war viel aufwendiger. Früher konnte man den Wiesenschnitt mit dem Rechen ein bißl auseinanderfegen, aber jetzt musste man mit der Gabel alles schwer verteilen. Es ist viel schwieriger geworden mit dem ungenügend getrockneten Heu. Beim Abladen und Verteilen auf dem Stock hatte man immer das doppelte Gewicht auf der Gabel – das zwar zermürbend ...“ Dazu kamen auch – im Nachhinein erkannte – theoretische Fehlschlüsse in der Düngeberatung. In diesen Schilderungen zeichnete sich schon die Schattenseite des Erfolges ab. Genau genommen wurde Fill schon kurz nach Übernahme der Düngeberatungsstelle mit Problemen in der Fütterung konfrontiert, und just bei den „Musterbauern“ im Bezirk Kitzbühel. Etwas war im Gange, das machte einen Strich durch die Rechnung: „Da hatten wir zusammen mit den Bauern die Koppelwirtschaft eingeführt. In der Art der Mäh-Weide-Wirtschaft. Da hat man den Kühen wirklich schöne Bestände, fünfzehn bis zwanzig Zentimeter hohe Wiesenbestände - jung, saftig, dunkelgrün – bereitet. Aber die Kühe gehen herum, schauen, rupfen dort ein bißl und da etwas – und haben keine Freude am Futter. – Das ist hat dann so ausgeartet, dass man die Tiere direkt als ‚krank‘ bezeichnet hat. Echte Krankheitssymptome waren erstens: Sie haben dieses Futter nicht gefressen. Dann nur noch für den größten Hunger gefressen, aber Durchfall bekommen. Drittens extrem abgemagert – und schlussendlich in den Extremfällen Bewegungsstörungen gezeigt. Sie hatten offensichtlich Schmerzen beim Aufstehen und beim Gehen und konnten nicht normal mit der Vorhand aufgehen. Diese Tiere begannen umgekehrt, also von hinten aufzustehen, dann sind sie auf der Vorderhand, auf den Ellbogen verharrt und hatten große Mühe, ganz aufzugehen.“ Und natürlich sank auch die Milchleistung entsprechend. Behelfsmäßig bezeichnete man diese Symptome in Fachkreisen als „Weidekrankheit“, denn es war offensichtlich, dass mit dem Futter etwas nicht stimmte. Die Lehrmeinung dazu besagte, dass dem Kunstdünger noch entscheidende Mineralstoffe fehlen, diese folglich noch zugesetzt werden müssen. Zuallererst mussten sie aber erst herausgefunden werden. Die Zeit drängte. Zum Thema Dünger hatte in dieser Zeit auch der Verkaufseiter des Hartsteinwerkes Kitzbühel, Ing. Bouvier, eine ungewöhnliche Geschäfts-Idee: Sein Abfallprodukt Diabasmehl wurde von organisch-biologisch wirtschaftenden Grünland-Bauern in Salzburg seit einigen Jahren zur Bodenbelebung erfolgreich eingesetzt. Ob sich Ing. Fill nicht auch für diese Sache interessieren würde. Pro forma „interessierte“ sich Ing. Fill auch dafür (obwohl – oder gerade weil – er „Biolandbau“ nicht einmal vom Begriff her kannte) und erklärte sich auch bereit, einen derartigen Betrieb anzusehen. Insgeheim hatte er aber die vorgefasste Meinung parat, dass er sich davon nichts verspricht. Der Besuch bei Michael Haitzmann in Saalfelden ließ ihn vom Saulus zum Paulus werden – nicht so schlagartig wie in der Originalgeschichte, aber nach vier Jahren war er bekehrt. Schon bei der ersten Hofbesichtigung war Ing. Fill wider seinen Willen von allen vorgefundenen Tatsachen so beeindruckt, dass er sich Bedenkzeit für eine endgültige Herbert Fill

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Stellungnahme gab. Es wurden vier diskussionsreiche Jahre, er fragte nach, ließ sich jährlich den Betriebsspiegel geben, verglich und rechnete. Es wurden vier einfühlsame Jahre, in denen er die Tiere beobachtete, den Stall, Mist und Kompost begutachtete und die Weidegräser, außergewöhnlich viele Kleearten und Kräuter entdeckte. Und nicht zuletzt lernte er in dieser Zeit das bäuerliche Wirtschaften und das Zusammenleben der Familie Haitzmann kennen und schätzen. Parallel dazu befasste sich Ing. Fill auch mit einigen anderen Biobauern in Lofer und Leogang, er nutzte die Gelegenheit, sich bei Dr. Müller direkt zu informieren und alles steuerte zum Gesamtbild bei: Die organisch-biologische Landwirtschaft stärkt den Bauern. All diese Erkenntnisse waren aber nicht einfach ein spannendes Privatvergnügen des Herbert Fill, nach wie vor war sein Job bei der Düngeberatung der LLWK, die auch sein Gehalt zahlte. Bei den Kollegen und Vorgesetzten bzw. bei der Bauernschaft war diplomatisches Vorgehen und Kompromissbereitschaft gefordert. Einen konkreten Vorstoß mit seinen vom Biolandbau inspirierten Überlegungen leistete sich Ing. Fill mit einem Vortrag anlässlich einer Dienstbesprechung der ÖDB im Dezember 1972, bei dem es um „Die Beratung in Problembetrieben“ ging. Als er eine deutliche Reduktion des Einsatzes von N-, P- und K-Düngern forderte und gleichzeitig die Forcierung von Basalt- oder Diabasmehl empfahl, löste er entrüstetes Erstaunen aus und einige Hörer assoziierten (nicht ganz unrichtig): „Das ist ja schon fast Biolandbau!“ – Ein Gespräch mit seinem Amtskollegen Ing. Josef Willi fruchtete schon mehr. Als Leiter der Lehrlings- und Fachausbildungsstelle griff dieser das Thema engagiert auf und arbeitete in späteren Jahren Lehr-Materialien aus. Ziemlich genau ein Jahr später, zu Weihnachten 1973, informierte Ing. Fill den Kammeramtsdirektor Dr. Alois Partl ausführlich über seine bisherigen Erfahrungen mit dem organisch-biologischen Landbau und seiner daraus folgenden positiven Einschätzung, worauf ihm dieser Rückendeckung zusicherte, wenn Fill in diese Richtung weitergehen wollte. Obwohl niemand von offizieller Seite aus Druck auf Fill ausübte, wenn er seine Überzeugung vom Biolandbau zu erkennen gab, wurden die Dienstbesprechungen als Düngerberater immer schwieriger. Die Differenzen und der Vermittlungsaufwand wurden für ihn immer größer, vor allem gegenüber den Beratungs-Kollegen in den östlichen Ackerbaugebieten, weitgehend viehlose Betriebe. Diese Bauern konnten kaum auf organischen Dünger, d.h. Mist zurückgreifen – wie dann biologischer Landbau aussieht, war noch zu wenig erprobt. Die Lösung des persönlichen Dilemmas wurde glücklicherweise von außen an Herbert Fill herangetragen. Die Vorarlberger Landesregierung suchte für die neue Landwirtschaftsschule in Hohenems einen Direktor. Die Ausschreibung für diesen Posten war Ende 1973 und Fill reichte gerade noch zeitgerecht seine Bewerbung ein. Als die Wahl auf ihn fiel, war es für Ing. Fill eine ideale Chance, hier neue Akzente zu setzen. Denn obwohl die Verhältnisse in der Vorarlberger Landwirtschaftskammer gegenüber dem Biogedanken wiederum sperrige waren – auch in Vorarlberg waren Präzedenzfälle solcher landwirtschaftlicher „Spinner“ geortet worden –, hatte er sich im Vorfeld zusichern lassen, dass er, sollte er

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Abb 86: Ing. Herbert Fill deklariert sich in diesem Artikel erstmals als Direktor der neuen Landwirtschaftlichen Fachschule Hohenems als Befürworter der biologischen Landwirtschaft, 1974.

Herbert Fill

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Direktor werden, Lehrinhalte über den biologischen Landbau in die landwirtschaftliche Ausbildung integrieren kann. Dienstantritt für nunmehr Herrn Direktor Fill in der Schule in Hohenems war im Jahr 1974 und eine seiner ersten Aufgaben bestand darin, den Biolandbau als Kapitel im Unterrichtsfach Pflanzenbau zu verankern und geeignete Lehrer zu finden, die die Grundzüge des organischen Kreislaufes vermitteln konnten. Auch hier gab es Hürden zu überwinden, denn Fill stieß sowohl auf Unkenntnis als auch auf Widerstand, was folglich erst einmal die Aufklärung und Ausbildung von Lehrern nötig machte. Er selbst schöpfte - neben den Praxisberichten bei Hofbesichtigungen im In- und benachbarten Ausland Schweiz - aus Quellen wie Hans-Peter Ruschs Publikationen oder „Wege der Biologie“ von Prof. Dr. Philippe Matile vom Institut für allgemeine Botanik der ETH Zürich. Aus dieser Schrift entnahm er einen Leitsatz, der ihn für die Zukunft prägte: Land-Wirtschaften heißt: Die Biozönosen im Jugendstadium zu halten. Umgekehrt brach er von Anfang an öffentlich eine Lanze für den Biolandbau, so z. B. in der Absolventenzeitung in seinem Antritts-Statement als Schuldirektor. 1977 war die Zeit reif für eine große Informationstagung, die tatsächlich beachtliches Echo hervorrief. Im Schulalltag war es Fill wichtig, den Schülerinnen und Schülern diesen Keim, d.h. die Möglichkeit genauer auf Lebenszusammenhänge hinzusehen, nahe zu bringen. Im konkret Fachlichen legte er Wert auf das Grundverständnis für ein biologisches Wirtschaften. Auf einer umfassenderen Ebene der Menschenbildung war sein Bestreben, ein ordnungsvolles, rücksichtsvolles Miteinander anzuregen, was in seiner Sprache heißt: „Man muss gut sein zu allen Lebewesen – zu allen Lebensgrundlagen. Man muss aufmerksam sein gegenüber allem, das einen umgibt. Das muss bei Luft und Wasser anfangen.“ – Wie sich das im Biolandbau praktisch anfühlt, konnte an der Schule erst nach 1989 so richtig griffig werden, denn ab diesem Jahr konnte der Lehrbetrieb von der Stadt gepachtet und auf biologisches Wirtschaften umgestellt werden. Im selben Jahr war auch der Beginn einer neuen Ära: am 26. Juni 1989 wurde der Verband organisch biologisch wirtschaftender Bauern, Landesverband Vorarlberg gegründet, wobei Ing. Fill der Leiter des Proponentenkomitees war und die Formalitäten erledigte. Kein Wunder, dass Fill seine Rolle so einschätzt: „Ich habe ja nicht den Biolandbau erfunden, aber in Vorarlberg salonfähig gemacht.“

Gerhard Plakolm

Immer schon sind Neuerungen von ihren Vertretern gefeiert und vorangetrieben worden und gleichzeitig von Gegnern kritisiert und je nach Machtpotential unterdrückt worden. Das läuft in der Wissenschaft gleichermaßen, dafür braucht es keine Pioniere mehr. – Auch in den Agrarwissenschaften ist der Streit zwischen Vertretern der Humuswirtschaft und der Agrarchemie über 150 Jahre alt, wobei seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts eindeutig die Letztgenannten das Sagen haben in Forschung, Lehre und Praxis. An der Hochschule für Bodenkultur Wien kam Gerhard Plakolm die Rolle des Neuerers zu, was er allerdings noch nicht ahnte, als er 1974 mit dem Studium begann. Aber als

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er merkte, dass die biologische Landwirtschaft, um deren positive Möglichkeiten und Erfolge er aus eigenem Erleben wusste, wissenschaftlich ignoriert und durch niederschmetternde, falsche Behauptungen diffamiert wurde, stellte er das Thema öffentlich zur Diskussion. Das von ihm organisierte Symposium „Der Regenwurm“ am 12. und 13. November 1976 war schließlich die Initialzündung für die Auseinandersetzung mit dem Biolandbau an der BOKU – ein historischer Wendepunkt. Aber einfach auf Fingerschnippen ging es natürlich nicht. Es bedurfte einiger Etappen, um diesen Gipfelpunkt zu erreichen. – Schon in Leonding bei Linz, wo die Familie Plakolm lebte, fand Gerhard viele Ansätze für eine naturverbundene Lebensweise. Die Eltern waren begeisterte Anhänger der Wandervogel-Bewegung und so waren Ausflüge in die Berge und ein achtsamer Umgang mit Natur, aber auch eine gesunde Lebensführung ohne Alkohol und Nikotin, dafür aber mit vollwertiger Ernährung normaler Alltag. Verstärkt wurde diese Einstellung noch, als Gerhards Schwester an Leukämie erkrankte und man der Naturheilkunde mehr vertraute als Bestrahlungen. Auch Musizieren und Tanz gehörte zum Repertoire der Plakolm-Kinder. Über einzelne Mitglieder vom Wandervogel bestand auch eine Verbindung zur Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum und des Öfteren umrahmten die Geschwister, einzeln oder mit Freunden, mit ihren Melodien Veranstaltungen dieser Vereinigungen. Gerhard erinnert sich auch daran, schon als ganz kleiner „Spund“ Dr. Hans Müller in diesen Kreisen erlebt zu haben. Wirklich gepackt hat ihn aber ein Vortrag von Prof. Seifert über Biolandbau für die Förderungsgemeinschaft. Es war 1971, die letzten stressigen Tage der HTL-Matura, Fach Elektrotechnik. Er sollte nur bei dem Begrüßungs-Stückl mitspielen und dann gleich wieder zurück ins Lernkammerl. Aus Höflichkeit wartete Gerhard noch die ersten Worte des kundigen Professors ab – und vergaß binnen kurzem komplett auf die Lernerei, weil ihn der Vortrag über die Lebenszusammenhänge in der Landwirtschaft völlig gefangen nahm. Nach der bestandenen Matura absolvierte er elf Monate lang seinen Militärdienst – mit der Klarinette bei der Militärmusik. Aber er lebte bereits in einer Parallelwelt. Sein Interesse für den biologischen Landbau war nach dem grundlegenden Vortrag voll erwacht, er besuchte weitere Vorträge darüber und lernte immer mehr engagierte Persönlichkeiten kennen. Nach einem Vortrag von Herrn Lübke über Kompostierung wäre er sogar am liebsten Kompostmeister geworden. Es kam aber anders. Auf der Suche nach einem „erdigen“ Arbeitsplatz wurde er auf Helga Wagner in der Leondinger Nachbarschaft hingewiesen, die tatsächlich auch vermittelnd wirken konnte. Sie kannte den biologischdynamischen Berater DI Georg Merckens und dieser fand für Gerhard eine Lehrstelle bei der Familie Tress in der Schwäbischen Alb. Da gab es zwar noch heftigen Aufruhr in der Familie, denn Gerhards Vater, der als Postbeamter heilfroh war, der Landwirtschaft entronnen zu sein, in der er als Kind die Ferien verbringen musste, konnte es nicht fassen, dass sein Sohn freiwillig diesen Abstieg anstrebte und sich „ausnutzen“ ließ. Für Gerhard Plakolm begann indes das schönste Jahr in seinem Leben, das bestimmendste, aber auch das härteste. Als erster Lehrling der Familie Tress, die schon seit etwa 15 Jahren biologisch-dynamisch wirtschaftete, bekam er Einblicke in ganz neue Tätigkeitsbereiche, frühzeitiges Aufstehen war eine Selbstverständlichkeit, dann wartete jede Menge Arbeit auf Gerhard Plakolm

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dem Feld und im Stall und am Wochenende war Verkaufstag. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ lautete die Devise, der manch ersehnter Tanzabend am Wochenende zum Opfer fiel. – Umgekehrt gewannen jene Arbeiten an Bedeutung, in denen wochenlang in Handarbeit Karotten, Rote Rüben oder Kartoffeln gehackt wurden und dabei Herr Tress Gerhard aus den anthroposophischen Schriften erzählte, die er nächtens gelesen hatte. So war es – im Gegensatz zu Steiner’s Schriften verständlich und sehr interessant. Manchmal fragte er sich aber auch, in welcher Welt er wirklich lebte. Weitere fachliche Ausbildung holte er sich zusätzlich in diesen Wintermonaten 1972/73 in der landwirtschaftlichen Winterschule. So erfreulich das Verhältnis zu seiner Lehrfamilie war – Gerhard wurde sogar die Hofübernahme in Aussicht gestellt –, so rasch beendet war sein Anlauf beim zweiten Lehrjahr. Die Situation war frustrierend autoritär und Gerhard türmte über Nacht. Seinem Berufsziel entsprechend, Bio-Berater zu werden, führte nun kein Weg an einem Agrarstudium vorbei und Gerhard Plakolm übersiedelte nach Wien und begab sich an die Hochschule für Bodenkultur. Hier wehte für ihn ein strenger Wind angesichts der Lehren über modernen Pflanzenbau, chemischen Pflanzenschutz usw. Sein Wissen über die ökologische Alternative wollte er während des Studiums für sich behalten, war er sich doch bewusst, in der „Höhle des Löwen“ zu sein. Doch schon im zweiten Semester offenbarte er einem interessierten Studienkollegen seine Begeisterung für die biologische Landwirtschaft, was schlagartig seinen Status veränderte: Er hatte sich – ohne es zu wissen – einem Werkstudenten der Österreichischen Düngeberatungsstelle (ÖDB) anvertraut. Von da an gab es nur mehr die Offensive nach vorn. Gerhard Plakolm argumentierte für den Biolandbau im Studium, diskutierte mit den Mitbewohnern im Katholischen Studentenheim, wenn nötig, legte er sich auch mit Professoren an und er organisierte Informationsabende im Rahmen der Hochschülerschaft an. Zuerst als Einzelkämpfer, später lud er auch Biobauern, hin und wieder auch Fachleute, z. B. Dr. Bartusek, zu den Gesprächen ein. Man kannte ihn: Er hatte sich in seiner Studienzeit seine ganz persönliche Standardbekleidung zugelegt: steirische Lederhose, feste Schuhe, Janker und Hut, dazu ein Vollbart, die meisten hielten ihn für einen Forstwirt. Dieser „Schutzanzug“ kam ihm an der BOKU zugute, aber er stiftete auch Verwirrung, speziell dann, wenn er seine wahre Überzeugung – die Biolandwirtschaft – zum Ausdruck brachte. Denn diese Alternative wurde verstärkt von den Linken aufgegriffen und forciert. So wichtig diese als Gesprächspartner waren, Plakolm wollte verhindern, dass das Thema ausschließlich ins linke Lager abrutscht. So leicht sollte es nicht einfach abgetan werden können. Die frühe Wachsamkeit gegenüber der Natur und Umweltthemen hatten Gerhard Plakolm noch vor dem Studium auch zum Anti-Atomkraft-Aktivisten werden lassen. Der Bau von Zwentendorf und das geplante zweite Atomkraftwerk in St. Pantaleon (1973) waren Anlass für akkordierte Gegenaktionen. Dabei holte er sich wesentliches organisatorisches Rüstzeug, das er kurz darauf sehr gut gebrauchen konnte. Sechs Monate Vorbereitungszeit kostete ihn die erste groß angelegte Veranstaltung „Was der Regenwurm kann und was er nicht kann“, bei der auch mehrere Minister und der Rektor den Ehrenschutz übernehmen und verschiedene Vertreter aus der Wissenschaft und natürlich Biobauern zu Wort kommen sollten. Am 12. November 1976 war es so

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Abb. 87: Gerhard Plakolm, der als Student an der Hochschule für Bodenkultur das erste offizielle Seminar über biologische Landwirtschaft organisierte, während seines Vortrages.

weit. Der Andrang war enorm, die Ankündigungsplakate und die Mundpropaganda hatten unglaublich gewirkt. Er neue, große Hörsaal war so voll, dass Teilnehmer hinten mehrreihig gestanden sind. Studenten der BOKU aber auch aus dem Ausland – alles, was im Biolandbau Rang und Namen hatte, war gekommen, vor allem viele Biobauern, die sich bei der Tagung erstmals ernst genommen fühlten. Ein entscheidender Schritt war gesetzt, um dem Biolandbau eine erste Präsenz an der Universität für Bodenkultur zu geben. Die wirkliche Verankerung als Lehrfach ließ noch auf sich warten. Für den Studenten Gerhard Plakolm folgten noch spannungsvolle Semester bis zu seiner Diplomarbeit und dem Abschluss im Jahr 1980. Die Professoren, denen seine kontroversielle Einstellung ein Dorn im Auge war, schenkten ihm nichts. Doch auch Plakolm schenkte ihnen nichts. Fachlich interessiert war er in beide Richtungen, beim obligaten Lehrstoff und erst recht bei den biologischen Alternativen. Aber das Wissen darüber war nicht an der BOKU zu holen. Dazu hatte er jede Gelegenheit wahrgenommen, wo es nur einen Vortrag oder eine Tagung oder eine Fachexkursion gab – in Österreich, Deutschland oder in der Schweiz. Da musste er dabei sein! Rückblickend meint er: „Sich für den Biolandbau einzusetzen, das hat auch Kraft gegeben. – Das hat auch damit zu tun, dass es etwas Besonderes war und so bekämpft wurde.“ Ins Berufsleben entlassen, war der direkte Weg ins Ludwig Boltzmann-Institut für biologischen Landbau, wo es ihn allerdings nur ein Jahr hielt. Er hatte sich zwar mit großem Gerhard Plakolm

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Abb. 88: Bericht in der Wochenpresse über die Tagung an der BOKU. Volle Hörsäle, aber die Professoren waren großteils nicht gekommen.

Eifer an eine Recherche über Biobauern gemacht und 47 Höfe nach einem ausführlichen Fragenkatalog erfasst. Aus den aktuellen Fragen und Problemen wollte er Forschungsschwerpunkte ableiten. Aber zur Ausarbeitung und Publikation war es nicht mehr gekommen. Noch vor dem Studienabschluss hatte Gerhard Plakolm an einem für ihn persönlich bereichernden, dreimonatigen Kurs über Kommunikationstechniken und Gruppendynamik der Katholischen Sozialakademie teilgenommen. Dieses Erfahrungswissen konnte er schon bald bei den Biobauern bestens einsetzen, weil er für die Landwirtschaftskammer Oberösterreich als „Konsulent“ (ein Vertrag für 44 Stunden pro Monat) mit Beratungen für den organisch-biologischen Landbau unterwegs war und auch Gruppentreffen abhielt: „Wesentliches Kennzeichen war, dass ich so weit wie möglich auf frontale oder übergestülpte Vorträge wie auch Beratungen verzichtet habe, dafür vorhandenes Wissen und Erfahrungen hervorlockte und darauf aufgebaut habe.“ Dieses Wissen um Kommunikationsmechanismen sicherte ihm aber auch bei seiner Lehrtätigkeit an der BOKU in den 1980er-Jahren einen motivierenden Umgang.

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Tatsächlich startete Gerhard Plakolm 1981 seine Vorlesung als Freifach an der Universität für Bodenkultur angesiedelt am Institut für Pflanzenbau. In den vorangegangenen Jahren waren die Diskussionen doch so weit fortgeschritten, dass in den Gremien der Entschluss gefasst wurde, eine einstündige Vorlesung als Freifach anzubieten. Nachdem Prof. Dr. Vogtmann vom Pflanzenbauprofessor als Hauptgegner des Biolandbaues, Prof. Steineck, kurzfristig abgelehnt worden war und Plakolm in letzter Minute aufmerksam gemacht wurde, dass seine Bewerbung erwünscht sei, verfasste er in einer Nacht-Aktion seinen Antrag – und bekam den Lehrauftrag. Damit war die Etablierung des Ökolandbaus im Wissenschaftsbereich in Österreich geglückt. Ab 1986 wurde es in ein zweistündiges Wahlfach aufgewertet. 1992 wurde die erste Gastprofessur für das Fach mit Prof. Hess besetzt und vier Jahre später das Institut für Ökologischen Landbau eingerichtet und schließlich ab dem Jahr 2000 – eine echte Wende – ist Ökologischer Landbau Pflichtfach im Studium der Landwirtschaft. Geschafft! Im Herbst 1981 begann für Gerhard Plakolm eine neue Ära. Im Vorfeld hatte sich der Direktor der landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalten in Linz und Wien für ihn interessiert – er war durch sein Auftreten als Organisator der „Regenwurm-Tagung“ an der BOKU auf ihn aufmerksam geworden – und holte ihn nun in sein Institut und zwar in das neu begründete Referat für Biologischen Landbau, das idealerweise in Linz angesiedelt war. Man hatte seine fachlichen Kompetenzen und seinen guten Ruf bei den Biobauern funktionalisiert, er sollte die Fronten kalmieren zwischen Biobauern und den offiziellen Agrarstrukturen, die allesamt Vertreter der Agrarchemie zu sein schienen. Die konkret zugewiesene Aufgabe bestand darin, sämtliche Forschungsarbeiten zum Biolandbau in Österreich zu koordinieren und auch die Seriosität gegenüber den Biobauern zu gewähren. Darüber hinaus setzte sich Gerhard Plakolm aber mit aller Kraft dafür ein, von den reinen Vergleichs-Versuchen Biolandbau versus konventioneller Landwirtschaft wegzukommen und dringend notwendige Forschungsprojekte zur Weiterentwicklung und Optimierung des Biolandbaus anzulegen. Aber es war keine angenehme Ära für Gerhard Plakolm. In der Verwaltungsmaschinerie und unter steigendem Arbeitsdruck hat das Faszinierende am Erleben des Biolandbaus, das Ringen um die beste Form und seine feurige Begeisterung sehr gelitten. Dennoch stellte er in eineinhalb Jahren härtester Arbeit – fast ohne Pausen, auch an Wochenenden – neben dem Job seine Dissertation zum Thema Unkrauterhebungen in biologisch und konventionell bewirtschafteten Getreideäckern Oberösterreichs 1989 fertig. Danach arbeitet er mit noch größerer Anstrengung und unvorsichtiger Selbstausbeutung an dem Buch für die Landwirte „Ökologischer Landbau. Grundwissen für die Praxis“, das er gemeinsam mit Gerald Herrmann herausbrachte und die schon bald vergriffen war. Neben diesen beruflichen Anforderungen kam das Privatleben zu kurz und die Gesundheit – die Gesamtkonstitution erlitt merklich Schaden, Depressionen stellten sich ein. Derzeitige Wirkungsstätte ist die Höhere Bundeslehr- und Forschungsanstalt Raumberg-Gumpenstein (HBLFA), wo er die Abteilung für EU-Fragen in Wels/Lambach leitet. Mit einem ironischen Blick auf seine Situation weist er auf das ehrenvolle Dilemma hin, Gerhard Plakolm

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Abb. 89: Gerhard Plakolm beim Getreide bonitieren. Foto: G.P.

Leiter der Abteilung, aber auch einziger Mitarbeiter zu sein und nicht einmal eine Sekretärin zu haben. Ob er Pläne für danach hat? – Wünsche hat Gerhard Plakolm gleich mehrere: „Mit Bauern zusammenarbeiten, um Forschung nach den eigenen Vorstellungen zu betreiben, mit meiner Drehleier zu musizieren und zu singen, Berge und die Weiten Europas wandernd kennen zu lernen und Zeit für Beziehungen zu haben.“ Begleitet von einem Zweifel: „Ob sich das alles ausgeht?“ Diesen Zweifel möchte man ihm gern ausräumen und sagen: Mit Sicherheit, das geht alles, nur schön hintereinander! Und auch für den Gottsucher und Volkstänzer wird genug Raum und Zeit sein.

Ernst Zöchling

Sein halbes Leben ist mit dem Werden des österreichischen Biolandbaues verflochten – so sieht es Ing. Ernst Zöchling selbst. Tatsächlich hat sich der in der Burgenländischen Landwirtschaftskammer als Berater und Lehrer Angestellte seit Mitte der 1970er-Jahre mit ökologischen Themen auseinandergesetzt und einige Jahre danach hat er das Zustandekommen des burgenländischen Landes-Verbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern vorangetrieben und ihn in der Folge aktiv begleitet. Zunächst die „andere“, die erste Hälfte: Aus der Badener Gegend gebürtig war Ernst Zöchling immer mit Landwirtschaft in Berührung. „Mein Vater war Bauernsohn, jedes der

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zehn Kinder bekam einen Acker und einen Weingarten. Dazu haben wir einen Heurigen aufgemacht. Nebenbei hab ich das gemacht, als Sicherheit. Damals hat auch keiner geklagt über zuviel Arbeit. Nach Feierabend – also nach der Arbeit – ging man in den Weingarten, das war ein Vergnügen.“ Der 1925 Geborene hatte als erstes einen kaufmännisch-gewerblichen Beruf erlernt und ausgeübt. Doch dann blieb ihm die Erfahrung des Krieges nicht erspart: „Wegen einer Granatsplitterverletzung war ich gehbehindert. Vorwiegend aber aus Interesse habe ich dann den Beruf gewechselt. In Klosterneuburg habe ich die ‚Höhere Bundeslehrund Bundesversuchsanstalt für Obst und Weinbau‘ – wie sie sich damals nannte – absolviert. Dann war ich bei der NiederAbb. 90: 25. 5. 2007 – Ein „historischer Tag“ für das österreichischen Landwirtschaftskammer Projekt über die Biopioniere: Erstes Interview mit Ing. Ernst Zöchling und DI Gerhard Bruckner, GF von und zuletzt 21 Jahre lang bei der BurgenBioAustria Burgenland ländischen Landwirtschaftskammer angestellt. Dazwischen war ich auch einige Jahre beim Verband der NÖ Lagerhausgenossenschaften und für private Firmen tätig.“ Diese Aufzählung kann und muss dahingehend ergänzt werden, dass der nicht einmal 30-Jährige in den 1950er-Jahren neben der Tätigkeit als Obstbauberater sowohl seiner ungebremsten Lust am Ausprobieren fröhnte als auch der Notwendigkeit, seine kleine, anwachsende Familie zu versorgen, Rechnung trug, indem er sich hobbymäßig mit Imkerei beschäftigte bzw. viele Jahre lang professionell Reben veredelte. Der Weinbau hatte es ihm schon früh angetan. Alsbald studierte er das bahnbrechende Buch von Lenz Moser „Weinbau einmal anders“, erzog als erster und allen Warnungen zum Trotz seine Reben zur Hochkultur und merkte sich die von Moser als „rebhold“ bezeichneten Kräuter. Im Lauf der Jahre wurde Zöchling generell zum Kräuterkundigen und teilte gern sein Wissen mit anderen. Umgekehrt erforderten es der Beruf und die Lehrmeinung, dass er sich mit Kunstdünger und Spritzmitteln eingehend beschäftigte. Zu seiner Zeit stand auch noch DDT hoch im Kurs. Als aber die dramatischen Folgen dieses Giftmittels nachgewiesen wurden, wurde er zum strikten Gegner. Insbesondere mit dem Veredeln von Walnussbäumen hatte Zöchling in Österreich eine Marktlücke entdeckt. Zuvor hatte er sich in einem Kurs im Institut für Walnussforschung in Geisenheim dieses Spezialwissen angeeignet. Die praktische Umsetzung nennt er zwar eine „Schinderei“, da er alles händisch bewerkstelligte, aber die Nachfrage war gut und er konnte durch dieses Nebeneinkommen ein Haus bauen. Doch ohne Investitionen in Ernst Zöchling

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Maschinen zur rationelleren Abwicklung sämtlicher Arbeiten war seiner Kraft eine Grenze gesetzt, nebenberuflich ging es nicht mehr. Aber er sieht auch den Zeitgeist von damals, den damaligen EU-Kommissar für Landwirtschaft Sicco Mansholt mit dessen Parole vom „Wachsen oder Weichen“ in der Landwirtschaft, die ab 1968 den so genannten Strukturwandel noch verschärfte. Ing. Ernst Zöchling war aber seit 1964 längst bei der Burgenländischen Landwirtschaftskammer angestellt. Als Lehrer war sein Dienstort die Bauernschule in Eisenstadt und in der unterrichtsfreien Zeit hatte er abwechslungsreiche weitere Obliegenheiten: Diverse Beratungen im Büro sowie im Außendienst über Pflanzenkrankheiten, Parasiten, Mangelerscheinungen sei es im Boden direkt, sei es bei den Pflanzen; Schadensfälle waren zu begutachten, wobei es um die Schätzung von Ernteausfällen durch Schädlinge ebenso ging wie um Schäden, die von Menschen etwa durch Unsachgemäßheit verursacht wurden. Sein Part war es, die Bauern bei der Versicherung zu vertreten und die Sache für sie durchzukämpfen. Mit diesen strittigen Fragen war er vertraut und im Abhandeln versiert. Doch Mitte der 1970er-Jahre hatte er eine aufrüttelnde Konfrontation mit seiner Gesundheit. Ernst Zöchling war noch nicht 50 Jahre alt, doch die Gesamtkonstitution war angegriffen und die Nieren machten sich unliebsam bemerkbar. Über die Zusammenhänge und Hintergründe gesundheitlicher Lebensfragen (und die empörend oberflächliche, ignorante Aussage seines Arztes) kam er zur bio-logischen Ernährung und zur Ökobewegung insgesamt – die zweite, die „bio-Hälfte“ seines Lebens bahnte sich an. Frau Hutfleß, eine gestandene biologisch-dynamische Biobäuerin aus Nickelsdorf und engagierte Anti-AKW-Aktivistin, versorgte ihn mit Demeter-Vollkornbrot – 40 km fuhr er, um es in ihrem legendären Laden in der Biedergasse im 19. Bezirk in Wien zu holen – und sie begeisterte ihn für neue, alternative Ideen. Durch die Anthroposophische Gesellschaft in Wien bekam er die Anregung, einen Einführungskurs in die bio-dynamische Wirtschaftsweise in Darmstadt zu machen, wo er Persönlichkeiten wie die für ihre Forschungen über Mondeinflüsse auf das Pflanzenwachstum bekannte Maria Thun kennen lernte. Auch Vorträge am Goetheanum in Dornach besuchte er. Später kamen weitere Bücher über biologischen Landbau dazu, etwa von Dr. Hans Peter Rusch über die Bodenfruchtbarkeit. Es konnte nicht ausbleiben, einen Kurs bei Dr. Müller in Großhöchstetten zu absolvieren. Und nicht zuletzt führte der Weg zu den Kongressen „Grünes Forum Alpbach“, die Ing. Willi ab 1978 abhielt. Dort bekam er später von seinem Kammer-Kollegen Willi sehr direkt die Aufforderung, doch einen Bio-Verband zu gründen – die Burgenländer wären die Letzten im Bundesverband organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs, die noch keinen Landesverband haben. Es gab nicht einmal einen Verein. Er war wie ein Sog. Die Aufgabe reizte Zöchling, verpflichtete ihn geradezu, auch – oder gerade weil – die Umstände für Biolandbau eher widrig waren: „Die behördlichen Instanzen bremsten und setzten darauf, es werde sich alles im Sand verlaufen. Auf der Suche nach Interessenten bin ich natürlich herumgefahren, hab alle beredet. Die meisten Bauern haben gesagt, das ist ein Blödsinn, du erzählst nur an Schmäh.“ Für sich entschied er dabei: „Nun gut, die sollen es bleiben lassen, denn es ist ja nichts gewonnen mit jemandem, der von sich aus nicht

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interessiert ist.“ Er selbst ließ sich von seiner Überzeugung nicht abbringen, es schwebte ihm ein Bioverein vor, der die Sache ernst nimmt und sich positioniert. Dafür wollte er Mitglieder heranziehen, sie durch Vorträge etc. weiterbilden, die Sache ins Rollen bringen. Im Vorfeld organisierte Zöchling einen Kurs, um Interessenten zu bekommen. Um sein Ziel zu erreichen, erweiterte er den geografischen Radius. Bis Karlstein im nördlichen Niederösterreich fuhr er und holte sich Rat bei Pfarrer Weidinger, der selbst eben Obmann des jungen Vereins Freunde der Heilkräuter geworden war und die Zeitschrift „Ringelblume“ herausgab - in der Zöchling später selber Aufsätze publizierte: Das Mysterium des Brotes und des Weines (1987) und Zum Wesen des Biogedankens (1989). In der Steiermark wurde er beim Grazer „Dachverband für ökologische Lebenssicherung“ fündig und lud dessen Präsident Prof. Gerhardt Preuschen, Leiter des Max Planck Instituts für Landarbeit und Landtechnik in Deutschland, zum Vortrag ein. Die Ankündigung musste unter dem Decknamen des Dachverbandes erfolgen, denn es gab noch keinen eigenen burgenländischen Bioverein. Besondere Unterstützung bekam er durch Miriam Wiegele, die sich frisch nach dem Studium der Medizin und Botanik für den Biogedanken in ihrer Umgebung engagierte. So wurde im Februar 1980 ein viertägiger Einführungskurs in die biologische Landwirtschaft für ca. 40 Teilnehmer in Purbach abgehalten. Neben vielen anderen wertvollen Anregungen war die Vorstellung der Spatenprobe durch Prof. Preuschen ein bleibender Eindruck. Ein Anfang war gemacht, nun musste die Gruppe noch zusammengeschweißt werden. Im Jahr darauf hatten die Anstrengungen Zöchlings gefruchtet. Am 15. Jänner 1981 wurde die Absichtserklärung zur Bildung eines Bio-Vereins im Burgenland beim Bundesministerium für Land- u. Forstwirtschaft eingebracht. Bereits ein Monat danach fand die 1. Vollversammlung vom „Landesverband Burgenland organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs zur Förderung des biologischen Landbaus“ statt. 15 Biobauern waren die ersten Mitglieder. Diese wurden in der Folge mit 14tägigen Treffen und ersten Exkursionen von Zöchling „bei der Stange gehalten“. Ein zweiter Kurs folgte im Jahr darauf in Mattersburg. Engste Mitverfechter waren der erste Obmann Eugen Wimmer, Johann Steindl aus Purbach und Rudolf Beilschmied, die er schon als Berater in der Kammer kennen gelernt hatte. Insbesondere die aromatischen, bukettreichen Weine Steindls waren ihm schon lange ein Begriff und er wusste, dass dieser in seinen Weingärten Kompost verwendete und mit seiner Gründüngung völlig „alternativ“ von den übrigen Rieden abzeichnete. Obwohl es ihm eindringlich angetragen wurde, ließ sich Ing. Zöchling nie auf die Funktion des Obmannes ein – es entspräche nicht seiner Mentalität. Aber als Berater, Vortragender und Vermittler konnte er sein Wissen weitergeben: Im Rahmen von Kräuterwanderungen und Fachvorträgen, durch die Organisation von Exkursionen und die Einreichung von Bodenuntersuchungen vor allem auch durch kritische Meinungsbildung im Hinblick auf die Richtlinien für Weinbau in der Codex Kommission oder wenn er sich für die Notwendigkeit einer Kontrollinstanz einsetzte. 1981 verfasste er in dieser Hinsicht einen Rundbrief an die Vorstände von Gesundheitsvereinen. Er verfolgte die Idee, dass Ernst Zöchling

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Vertreter dieser Vereine - namentlich wird der Kneippbund angeführt - in Form eines „übervereinsmäßigen Ausschusses“ diese Kontrollfunktion übernehmen könnten. Nicht zuletzt deshalb, weil sie das Vertrauen ihrer Mitglieder, d.h. der Konsumenten genießen. Es ging um die Kontrolle der Erzeuger bezüglich der Einhaltung ihrer selbst auferlegten Produktionsrichtlinien (Aufzeichnungen über Betriebsmittelzukäufe etc.) und Zöchling formulierte vermittelnd und kritisch zugleich: „Die Erzeuger würden eine solche Stelle wohl anerkennen, so lange bis sich der Staat der Sache wohlwollend annimmt. Dazu müsste er zunächst aber ... seine ablehnende Haltung gegen den alternativen Landbau überhaupt revidieren.“ Aufrüttelnde Radio-Sendungen samt Interviews mit dem provokanten Titel „Vergiften uns die Bauern?“ waren – und sind noch immer – ganz in seinem Sinn. Diskussionen, Meinungsverschiedenheiten über Biolandbau gab es in den eigenen Reihen in der Landwirtschaftskammer bzw. gegenüber Politikern des öfteren. Wenn etwa der Kammeramtsdirektor vor den 35 Personen der Vollversammlung die Meinung vertrat, Biolandbau sei rückständig, Mist und den Kompost habe man längst überwunden, das wäre keine moderne Landwirtschaft, so konterte Zöchling klipp und klar: „Nein. Wir, die Biobauern sind die Modernen und Kunstdünger und Spritzmittel sind rückständig!“ Wohl wissend, dass es in den Lagerhausberichten nur darum geht, bei welchem Kunstdünger und welchem Spritzmittel der Verkauf um wie viel Prozent gestiegen ist. „Aber wenn das so weiter geht, vergiften wir uns ja“, lautete Zöchlings Schlussfolgerung. Landwirtschaftminister Günter Haiden (1976 bis 1986), kein Freund der Biolandwirtschaft, sollte durch die Anspielung aufgerüttelt werden, einmal vor ein „Tribunal“ gestellt zu werden, wenn er weiterhin den Biolandbau ignoriert. An Gesundheitsministerin Marilies Fleming und gleichzeitig an Wissenschaftsminister Tupy wurde brieflich appelliert, „dass uns die Nahrung etwas schuldig bleibt“, weil sie auf unbelebten Böden produziert ist. Hingegen hätten Pflanzen einen ganz anderen, höheren Gesundheitswert, wenn sie auf belebten Böden gewachsen sind. – „Ein Biobauer gibt nicht leicht auf. So ein brav lernender, genügsamer, fleißiger Kammerdiener bin ich wohl nicht. Eher ein Unbequemer, der nicht selten aneckt.“ Soweit differenziert er einmal sein Selbstbild. Egal was man Ernst Zöchling fragen würde, seine Antwort würde doch bei den Erkenntnissen von Dr. Müller über den Boden enden. Er ist auch davon überzeugt, dass man die Wichtigkeit dieses faszinierenden Wissensgebietes nicht hoch genug einschätzen könne. Von Müller hat er prinzipielle Überlegungen übernommen: „Wenn Schädlinge und Krankheiten auftreten, ist fast immer der Boden schuld“ bzw. „Wir müssen den Boden heilen, um nicht Tier und Mensch heilen zu müssen. Die Pflanze ist ein Abbild vom Bodenzustand, d.h. es gibt keine gesunde Pflanze auf einem kranken Boden, denn Gesundheit ist unteilbar. – Letztlich muss man zu dem Schluss kommen, auch der Mensch kann nicht gesünder sein, als der Boden. Er bezieht ja seine Kräfte davon. Und so kommt es auf den Belebungsgrad des Bodens an. Düngen heißt, den Boden beleben.“ Apropos Kräfte – hier schöpft Ernst Zöchling aus seinen ersten Einsichten aus den Schulungen aus der bio-dynamischen Richtung und erklärt: „Heute bin ich mehr denn je überzeugt, dass wir in ein Kräftedenken hineinfinden müssen. Der Stoff selber ist nur eine Trä-

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gersubstanz für die Kräfte – ist nur Mittel zum Zweck. Man stelle sich nebeneinander eine volle und eine leere Batterie vor – von außen sehen sie gleich aus. Oder der Unterschied zwischen einem toten Pferd und einem lebendigen – wenn man beide rein chemisch analysiert, sind sie gleich.“ 1984, mit 60 Jahren, ging Ing. Zöchling in Pension, was nicht heißt, dass er dem Biolandbau den Rücken gekehrt hätte. Solange er sein Auto hatte, nahm er regelmäßig und interessiert an Veranstaltungen teil. Dann gab es eine Zäsur oder wie er es in seiner dramatischen Art schildert, er wurde ein weiteres Mal körperlich „in den Abgrund geschleudert“. 2004, mit 80 Jahren, erlitt Ernst Zöchling bei einem Autounfall mehrfach Brüche, Knöchelzertrümmerung, Lungeninfarkt. Dass er alle Komplikationen überlebt, ja sogar außerordentlich rasch regeneriert hat, dafür hat er eine Erklärung, die er auch gegenüber der Ärzteschaft äußerte: „Herr Primar, dass Ihnen das Meisterstück gelingen hat können, mir das Bein und auch noch dazu das Leben zu retten, da hab ich schon auch ein bisschen beigetragen – durch meine Biokost!“ Auch wenn der Angesprochene es mit einem ungläubigen Schmunzeln quittierte, für Zöchling stimmt es unbestritten. Und im Moment begeistert ihn noch etwas ganz Spezielles: Ayurveda! Das „Wissen vom Leben“ wie sich die traditionelle indische Heilkunst selbst bezeichnet ist seiner Erfahrung nach die vollkommene Weiterführung der biologischen Basis. Milde gestimmt und dankbar wird er, wenn er an die lebensrettenden „Zufälle“ in seinem Leben denkt – und schließt längst nicht mehr aus, dass es doch etwas Höheres gibt. Wenn er zurückblickt auf Errungenes und Aufgegebenes, meint er: „Nein, stolz bin ich überhaupt nicht – ich freu mich, wenn wer anderer Erfolg hat. Ich hab sowieso einen, mir kann niemand mehr was wegnehmen. Glücklich ist der, der wenig braucht. Ich hab das, was ich brauch, und wenn es mich zu etwas drängt, dann mach ich es. Wenns für die Katz war, dann macht es auch nix, dann probiert man es eben anders. – Man soll keine Gelegenheit zum Lehrgeld-Zahlen auslassen.“ Gelassenheit und ein Quentchen Selbstironie zuguterletzt aus dem Mund eines sonst durchaus Streitbaren.

Stefan Ibeschitz

„Die einen spritzen am Tag, die anderen in der Nacht“ – in den 1970er-Jahren (und auch noch danach) wurde mit dieser Kurzformel gern über Biobauern und deren Weigerung, aggressive Pflanzenschutzmittel einzusetzen, gewitzelt. Wahlweise wurde der Sager auch für chemische Düngemittel adaptiert, dann hieß es „streuen“ statt „spritzen“. Auch in der Landwirtschaftsammer half man sich mit diesem Running Gag, um diese paar „anderen“ Bauern nicht sehr ernst nehmen zu müssen. Man hatte im Zuge der Modernisierung und Intensivierung völlig andere Herausforderungen und Perspektiven im Auge. Ing. Stefan Ibeschitz war zu dieser Zeit Pflanzenbauberater der Burgenländischen Landwirtschaftskammer und auch er kannte diese Sprüche. Er wusste aber auch etliches mehr über die Bio-Philosophie und wurde schließlich zu einem Wegbereiter des Biolandbaues im Burgenland. Stefan Ibeschitz

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Sein Kollege in der Burgenländischen Landwirtschaftskammer, Ing. Ernst Zöchling, hatte ihn schon öfter in eine Diskussion über Biolandbau verwickelt. Ibeschitz wollte sich zwar nicht mehr hinter den gängigen Vorurteilen verschanzen, aber die geschilderten Beispiele von zwei, drei Weinbauern waren einfach zu wenig aussagekräftig. Da gab es noch eine ganze Reihe von Diskrepanzen, warum Biolandbau in den 1970er-Jahren für ihn keine befriedigende Lösung darstellte: Österreich importierte z. B. damals jährlich viele Tonnen Futtergetreide, aber vom Biolandbau war für die Verbesserung der Versorgungslage nichts zu erwarten, denn es wurden z. T. extrem niedrige Erträge erzielt. / Damit war unmittelbar das nächste Problem verbunden, denn die Bauern lebten vom Verkauf ihrer Produkte. Wenn zu wenig Ertrag da war, konnten sie nicht genug verkaufen, um einen Gewinn zu erwirtschaften bzw. den Betrieb zu erhalten. Das Betriebsrisiko und die laufenden Kosten für Betriebsmittel und Maschinen blieben trotzdem bestehen, auch wenn der Spritz- und Düngemittelzukauf entfielen. / Dabei waren die Preise für Bio-Produkte nicht geregelt, sie wurden zum Teil zum gleichen Preis verkauft wie konventionelle Ware. / Es gab nur einige, wenige Biobauern weit verstreut im lang gestreckten Burgenland, es gab relativ wenige Produkte und es gab keinerlei Koordination von Angebot und Vertrieb. / Vorerst es gab nur wenige Bio-Konsumenten, oft fanden sie nur schwierig zu den Bauern. / Ein anderer Teil potentieller Kunden war wiederum nicht bereit, entsprechend der arbeitsaufwändigen, biologischen Produktionsweise höhere Preise zu bezahlen. / Zusätzlicher Hemmschuh: Die Optik. Es war die Zeit bzw. das Image der „Schrumpeläpfel und -erdäpfel“ – nach gängigen Qualitätsstandards wurden aber kaumst Abweichung in Größe, Form und Oberfläche toleriert. / Die Biobauern waren auf Landesebene schlecht organisiert und auch auf Bundesebene gab es keine wirklich greifbaren Ansprechpartner. – Unter diesen Aspekten musste Biolandbau von außen gesehen für das Landwirtschaftsministerium, die Universität, die Kammern und Schulen, auch für die Medien den Eindruck erwecken, dass er sich von selbst tot läuft. Und für die paar Spinner, die unbedingt meinten, sie müssen und können nicht anders, hatte man ein mildes Lächeln. Da Ing. Stefan Ibeschitz als Berater für das ganze Burgenland zuständig war, kannte er im Lauf der Zeit viele Bauern persönlich – unter anderem auch die acht oder zehn, vielleicht elf Biobauern, die es damals im Land gab. Nach offizieller Jobbeschreibung war er ja für alle Bauern da und er interessierte sich auch für alle Anliegen und Probleme. Ordnungsgemäß standen daher in seinen Berichten an die Vorgesetzten auch die Anmerkungen über die Bio-Gruppe. Aber dann wollte er Klarheit wie ihnen gegenüber weiter vorzugehen sei und forderte: „Da soll was geschehen, da muss was geschehen! – Was tun wir?! – Dann hab ich den offiziellen Auftrag bekommen, Kontakte aufzunehmen und zwar als Biobauern, nicht wie bisher im Zug der generellen Beratungen.“ So meldete sich Stefan Ibeschitz bei Eugen Wimmer, dem Biowinzer in Oggau, der Obmann des burgenländischen Landesverbandes der Biobauern war. Es war ein gutes Timing, denn eine Besprechung der Gruppe im Gasthof Schnepfenhof in Jois stand unmittelbar bevor. „Ich wurde mit offenen Armen empfangen. Dass sich die Landwirtschaftskammer der Biobauern annimmt, das ist sehr positiv anerkannt geworden. Dann hat es das

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erste schriftliche Protokoll von der Vorstandssitzung gegeben, ich hab ja mitgeschrieben – und das erste Mal haben die Teilnehmer ein Protokoll bekommen, das war eine Novität. Die Sekretärinnen in der LK haben das geschrieben, ich hab es dann den etwa fünf Teilnehmern zugeschickt. Auch das ist sehr gut angekommen. – Dann hab ich ein kleines Konzept vorgelegt, was man tun kann. Es war ja nichts Schriftliches da, nur mündliche Kontakte und guter Wille.“ Im nächsten Schritt wurden folglich die Betriebsdaten der einzelnen Biobauern und ihre Produktpalette erfasst. Alle machten mit und es bildete sich eine Art Verwaltungszentrale im Büro Ibeschitz heraus. Die Sache wurde nach und nach greifbarer und bekam Kontur. Schließlich informierte Ibeschitz auch seine Vorgesetzten in der Kammer und im Ministerium, nicht weil diese es speziell hören wollten, sondern weil er es als seine Aufgabe sah und es ihm auch persönlich wichtig geworden war. In Eigenregie wurde Stefan Ibeschitz auch beim Lebensmittelhandel und in Lagerhäusern vorstellig. Nun hatte er ja eine Liste der verfügbaren Bio-Produkte – Wein, einiges an Getreide, auch Gemüse war dabei – und setzte sich auch dafür ein, dass sie in Umlauf kommen. Doch stieß er meist auf taube Ohren. Auch die Arbeit mit den Medien war sehr mühsam. Obwohl er immer wieder Informationen und Veranstaltungstermine weiterleitete, wurde nicht alles oder nicht ganz sinngemäß veröffentlicht. In den Publikationen der Burgenländischen Landwirtschaftskammer platzierte Stefan Ibeschitz aktuelle Themen zum Biolandbau bzw. bot seine Dienste als offizieller Berater für Biolandbau an. Das war ein klarer Vorstoß in fremdes Terrain und schmeckte manchem konventionellen Bauern gar nicht. Bisher war er einer von ihnen, aber jetzt?! Pikiert meinten sie: „Der Stefan, der Ibeschitz ist ja jetzt ein Biobauer!“ Keine einfache Situation, denn tatsächlich fand der Pflanzenbauberater inzwischen in beiden Produktionsformen positive Aspekte und er suchte auf beiden Seiten zu kalmieren und zu vermitteln. Real gab es jedoch herbe, harte Diskussionen, denn er hielt auch in der Fachschaft mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Er hatte sich bei den Arbeitskollegen in der Kammer mehr Offenheit erwartet, biss aber lange Zeit auf Granit. Seine Kreativität bezüglich PR für bio war aber noch nicht zu Ende. Ibeschitz knüpfte Kontakte zur österreichischen Frauenbewegung in Eisenstadt. Im Bundesländerhof stellte Frau Friedl vor 35 Interessentinnen ihre Produkte vor. Die Biobäuerin aus Lackendorf im Mittelburgenland, wo sie Ackerbau und Tierhaltung betrieb, brachte diverse Kostproben mit und gab Auskunft über Anbau und Verarbeitung. So direkt vermittelt hatte es das vorher nicht gegeben. Mit derartigem Engagement konnte nach und nach mehr Aufmerksamkeit und Zuspruch erzielt werden. Auch in anderen Bezirksstädten folgten Frauengruppen diesem Vorbild – und in Eisenstadt hat sich jene Auftaktveranstaltung längst zu einem jährlichen Bio-Fest in der Fußgängerzone gemausert. Der dringend notwendige Wissenstransfer in den 1980er-Jahren im biologischen Landbau bezog sich auf kulturtechnische und produktionstechnische Maßnahmen. Beispielsweise wurden anfangs der Unkrautstriegel wiederbelebt und der Hackstriegel weiterentwickelt. Bei den Gruppentreffen oder in einzelnen Gesprächen sammelte und verglich Ibeschitz die Maßnahmen, die die einzelnen Biobauern gesetzt hatten, er zeichnete die erzielten Erfolge oder Rückschläge auf und wurde zur Informationsdrehscheibe, die von Stefan Ibeschitz

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der Burgenländischen Landwirtschaftskammer aus agierte. Natürlich griff er auch auf Literatur zurück, kannte die Publikationen von Dr. Müller u. a. und er absolvierte auch einen Bodenprüfkurs bei Frau Lübke, ein Klassiker in dieser Zeit. Aber er fühlte sich in erster Linie als Praktiker, als Ackerbauer, ja als „Feld-Herr“. Parallel zu den Beobachtungen bei anderen legte er auf eigenen Grundstücken – Ibeschitz hatte in Steinbrunn auf dem elterlichen Hof einige Hektar zur Verfügung – manchen Versuch an. Es war auch von Anfang an in seiner Beratertätigkeit ein Pluspunkt, dass er aus der Praxis kam. Jetzt, wo es um die Bewährungsprobe für biologischen Landbau ging, interessierte ihn, wie ohne chemische Spritzmittel die Unkrautbekämpfung besser maschinell erledigt werden konnte. In der Not kam er auf unorthodoxe Lösungen. Wenn er etwa die dichten Disteln, deren Köpfe schon über die Erbsen hinausgewachsen waren, mit einem adaptierten Heuwender schnitt. Im Retourgang, da der Heuwender an der Heckhydraulik angebracht war! Mähbalken schnitt. Im Retourgang! In Fahrtrichtung war zu viel von den Erbsen umgeführt worden. Wenn er nicht der Herr Ingenieur Ibeschitz und Kammerberater gewesen wäre, hätte er mit dieser Aktion sich selbst und den Biobauern wieder einmal gehörig das Spinner-Image aufpoliert. So hatte er für Aufmerksamkeit in der ERNTE-Zeitung gesorgt, konnte es aber letztlich nur bedingt empfehlen. Indessen standen aber auch dringende Fragen zur Positionierung des biologischen Landbaues an. Als Johann Steindl, ein berufener Biowinzer in Purbach, im Ministerium durchsetzen wollte, dass er seine biologisch produzierten Weine auch als solche bezeichnen darf – es bestand laut Weingesetz ein Verbot – bot ihm Ibeschitz als Vertreter der Burgenländischen Landwirtschaftskammer Hilfe und Rückendeckung. Trotz mehrerer, gemeinsam verfasster Eingaben und Vorsprachen konnte damals partout nichts erreicht werden. Die Zeit war noch nicht reif. Noch einen zweiten starken Biowinzer hatte Ibeschitz für innovative Ideen an der Hand, Rudi Beilschmidt aus Rust. In langen Sitzungen berieten der Praktiker und der Kämmerer – nächtens, nach beider normaler Arbeitszeit – über die kritische Frage der Echtheit eines Bioproduktes, die oft auch den höheren Preis vor dem Käufer rechtfertigen musste. Wie können Konsumenten bio erkennen? Wie kann ihnen eine Garantie gegeben werden? Nach welchen Kriterien könnte eine Kontrolle erfolgen? Sie entschieden sich für ein Protokollbuch, d. h. beim Winzer für kontinuierliche Aufzeichnungen aller Bearbeitungsmaßnahmen im Weingarten, auch im Keller. Sie entschieden sich für die Offenlegung der Betriebsdaten, samt Belegen über die Zulassung der verwendeten Mittel – die heute oft zitierte und geforderte Transparenz. Es war ein einfaches Instrumentarium weit der Zeit von Kontrollfirmen voraus und wurde von der Kundschaft gut angenommen. Anderen Weinbauern stellten sie Kopien der Vorlage zur Verfügung und für Ackerbauern entwickelten sie nach diesem Schema ein modifiziertes Formular. Einen Entwicklungssprung gab es Anfang der 1990er-Jahre, als DI Franz Schlögl mit einem ehrgeizigen Projekt in der Burgenländischen Landwirtschaftskammer vorsprach. Er hatte soeben als erster Österreicher einen Beraterkurs für Biolandbau absolviert, kannte das brachliegende Bio-Potential des Burgenlandes und legte ein Konzept zur Umstellung von 100 Betrieben innerhalb von drei Jahren vor. „Super-Idee!“ konnte Ibeschitz nur bei-

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pflichten. Für ihn bestand somit auch Aussicht, in seiner Arbeit entlastet zu werden, da sich auch in den letzten Jahren schon immer mehr Bauern für Biolandbau interessierten und Beratung gesucht hatten. Zur Projektfinanzierung musste aber erst Landesrat Rittsteuer gewonnen werden, was Schlögl nahtlos gelang. So ergab sich eine neue Konstellation in der Bioberatung, die sich nun schwerpunktmäßig zu Schlögl verlagerte. Indes konnte sich Stefan Ibeschitz anderen Agenden widmen, etwa dem ganzen Bereich der Feldversuche. Er machte eigene und welche in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Land- und Forstwirtschaft (nunmehr AGES) bzw. dem Ludwig Boltzmann-Institut und der Universität für Bodenkultur. Mit Prof. Krätzmacher ging es z.B. um KulturAmaranth oder auch um Sojabohnen und Trockenreis. Der Sojaanbau war in Österreich praktisch verschwunden und so mussten sämtliche Erfahrungen neu gemacht werden, was die Sorten, die Saattermine, Saattiefe, Saatmenge u. a. pro Hektar anbelangte. Für ein Distelprojekt kam Prof. Hartl ein Jahr lang immer wieder mit seinen Studenten, die genau beobachtet, aufgezeichnet und bonitiert haben. Exotisch klingt der Versuch mit Elefantengras, den er für Prof. Liebhard von der Universität für Bodenkultur durchführte. Ertragreiche Energiepflanzen wurden gesucht, aus Dänemark mussten die Stecklinge zu stolzen Preisen besorgt werden und obwohl es Aufsehen bei der Bevölkerung erregte und den Jägern ideal als Deckung diente, für den angestrebten Zweck als Heizmaterial war es nicht geeignet. Für Ibeschitz selbst kristallisierte sich heraus, dass sein Liebkind der Pflanzenbau, der Getreidebau, aber auch Sonderkulturen, etwa Sonnenblumen sind. Dazu hatte er Versuche gemacht und Interessierte aus ganz Österreich erkundigten sich danach – von den Landes-Landwirtschaftskammern, vom Ministerium, vom Bundesamt, von Saatgut-Firmen und Bauern natürlich. Allen war bekannt, dass er praxisnahe Versuche im Dienste auch der Biobauern machte, um widerstandsfähigere und gesündere Sorten herauszufinden, Sorten, die weniger Saatgut brauchen und dabei höhere Erträge liefern. Mit der Zeit veränderte sich das gesamte Umfeld um Stefan Ibeschitz, ehe er sich 2002 von seinen Aufgaben in der Burgenländischen Landwirtschaftskammer zurückzog und in Pension ging. Die Bioberatung wurde weiterhin in der Landwirtschaftskammer fortgesetzt. Der Verband hatte sich neu organisiert und neben dem Obmann einen Geschäftsführer und Berater angestellt. Zu allen hatte Ibeschitz ein sehr gutes persönliches Verhältnis, nahm an den Sitzungen teil, umgekehrt wurde er als Ausdruck des guten Einvernehmens auch in den Vorstand kooptiert und erhielt 2006 in dankbarer Anerkennung eine Erinnerungsskulptur zum 25-jährigen Jubiläum des ERNTE-Verbandes Burgenland. Hat das Leben tatsächlich nur aus Arbeit bestanden, aus dem Dienst für Bauern und die Landwirtschaft? – In gewisser Weise ja, denn Stefan Ibeschitz hielt sich an keine Dienstuhr. Er nahm sich auch Unterlagen mit nach Hause und bereitete von da aus vor. Bei den Hofberatungen, bei den Besprechungen und Treffen konnte es auch sehr spät werden oder auch in das Wochenende gehen. Für seine Familie – seine Frau Maria und auch die Töchter – war das nicht immer nachvollziehbar. Ibeschitz kann nicht anders, er muss Aufgaben schnell erledigen und strebt rasche Lösungen an. Das haben schon seine Lehrer in der Schule bemerkt, die ihm empfohlen hatStefan Ibeschitz

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ten, die Höhere Bundeslehr- und Versuchsanstalt in Wieselburg, das Francisco Josephinum, zu besuchen. Nachdem er diese mit Leichtigkeit bestanden hatte, bewarb sich Stefan Ibeschitz in der Burgenländischen Landwirtschaftskammer und wurde auf Anhieb genommen. Dass er einer fortschrittlichen Landwirtschaft – der modernen Agrarchemie gleichermaßen wie der Technisierung und Motorisierung – äußerst positiv gegenüberstand, brachte er auch schon als 14-Jähriger zum Ausdruck. Es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass er von Hand mit der Sense gemäht hat. Dem Gebot des Vaters zum Trotz startete er den Traktor, der Mähbalken wurde heruntergeklappt und das heikle Grummet, das sonst immer sorgsam mit der Hand gemäht worden war, hatte er in kürzester Zeit geschnitten. Als Haupterwerb wäre der elterliche Betrieb zu klein gewesen, aber später übernahm Stefan Ibeschitz den Hof in Steinbrunn, ehemals Stinkenbrunn, wie er geschichtsbeflissen anmerkt. Er bewirtschafte die wenigen Hektare und in den 1990er-Jahren stellte er offiziell auf Biolandbau um. So wird es auch bleiben. Bei den Töchtern ist noch nicht die letzte Entscheidung gefallen, wie Hof und Felder später einmal genutzt werden. Aber da ist ja noch Zeit. – Apropos Zeit – Zeit haben, Zeit sinnvoll nützen oder aber Zeitvertreib, da hat Stefan Ibeschitz eine alte Vorliebe wieder entdeckt, das Schachspiel. Da kann er schier endlos Lösungen anstreben, und zwar jederzeit, wann es ihm beliebt. Einer seiner Gegner ist auch stets spielbereit – sein Computer! Und während all der Tage und Jahre des Lebens ist sich Stefan Ibeschitz bewusst, dass alle Überlegungen und Handlungen nicht einfach Privatangelegenheit sind, sondern: „Es gibt Einen, der über uns ist und der sagt: Pass auf Freund! Habt Acht! Hände an die Hosennaht und einen Schritt vortreten.“ Dass er sich diesem Einen verpflichtet fühlt, kann man sehr gut nachempfinden.

Paul Rittsteuer

Ende der 1980er-Jahre, genau in die Halbzeit seiner über dreißigjährigen Tätigkeit als Agrarpolitiker im Burgenland, wurde der biologische Landbau wie ein rohes Ei auf Gedeih und Verderb in seine Hände gelegt. Als Landesrat für Agrarwirtschaft, Wasserwirtschaft und Umweltfragen setzte Paul Rittsteuer sein sicheres Gespür für gute Projekte und seine politische Erfahrung im entscheidenden Moment dafür ein, dass das Bio-Ei ein gut gepolstertes Nest bekam und erfolgreich ausgebrütet wurde. DI Franz Schlögl, damals der erste und einzige ausgebildete Bioberater in Österreich und gebürtiger Burgenländer, war zutiefst überzeugt, dass im Biolandbau enorme Potentiale liegen und er hatte einige Maßnahmen im Kopf, mit denen er die Sache ins Rollen bringen wollte. Er suchte einen starken Partner und fand ihn spontan in LR Rittsteuer. Gemeinsam mit dem Obmann des ERNTE-Verbandes DI Christoph Böbel hat Schlögl 1989 bei Paul Rittsteuer vorgesprochen, welche Möglichkeiten dieser sieht, die biologische Landwirtschaft im Burgenland zu forcieren. Rittsteuer kannte und schätzte zwar den Biowinzer und ehemaligen Verbandsobmann Eugen Wimmer persönlich sehr, beschäftigte sich aber nicht mit den Ausbaumöglichkeiten. Die etwa zwanzig praktizierenden Biobauern wurden damals allgemein – vorsichtig formuliert – als „exotisch“ eingestuft.

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Nun aber, in der Darstellungsweise von Schlögl passten die Zielsetzungen der biologischen Landwirtschaft nahtlos zu den Intentionen Paul Rittsteuers. Als er vor zwei Jahren AgrarLandesrat geworden war, hatte er sich die Aufgabe gestellt, nach der Wachstums- und Intensivierungsphase der Landwirtschaft in den 60er- und 70er-Jahren und der daraus entstandenen Überschussproduktion, nun klare ökologische Akzente im Agrarraum zu setzen. Folglich kamen die Bio-Maximen – bewusste Schließung des Naturkreislaufes, vielseitig abgestimmte Produktion, moderate Erntemengen – wie gerufen. Auch Umwelt- bzw. Naturschutz sollten wieder mehr mit der Landwirtschaft verknüpft werden. Die Interessens-Kluft, die sich zwischen beiden Bereichen in den letzten Jahrzehnten aufgetan hatte, galt es dringend zu überbrücken. Letztlich würde auch der Tourismus davon profitieren, wenn die Gäste nicht nur eine einförmige, von der Agrarindustrie dominierte Landschaft vorfinden. Paul Rittsteuer beschloss kurzerhand, die biologische Landwirtschaft zu unterstützen. Was er noch brauchte, war ein klar umrissenes, griffiges Konzept. Das sollte er bekommen. DI Schlögl trat mit dem ehrgeizigen Ziel an, innerhalb der nächsten drei Jahre 100 Biobauern im Burgenland zu haben. Der Projektantrag war Punkt für Punkt perfekt durchargumentiert und durchkalkuliert. Damit konnte Rittsteuer bei den Budgetverhandlungen einhaken. Er musste nämlich bei der Finanzierung den mühsamen Umweg über das allgemeine Landesbudget nehmen, weil es im Agrarbudget keinen Ansatz „Biologische Landwirtschaft“ gab. Auch Flexibilität in der Zuordnung war gefordert, erinnert sich Rittsteuer: „Ich habe unter dem Titel ‚Innovationsförderung‘ die ersten Förderungsmittel erkämpft. 1989 waren es 86.000 Schilling, 1990 waren es 250.000 Schilling. Mit dieser jährlichen Zuwendung haben wir den Beginn des Projektes finanziert und sichergestellt.“ So eine Aktion ist wie ein Echo zu Rittsteuers Selbsteinschätzung: „Wenn ich für meine Bauern etwas wollte, dann bin ich marschiert wie ein Panzer, ob es mir geschadet hat oder nicht. Und was ich gesagt habe, da war die Emotion dabei, es ist ehrlich rüber gekommen.“ – Dem Projekt und dem Biolandbau ist dieses Engagement eindeutig zugute gekommen. Und dank der Kreativität und Begeisterung, die Rittsteuer dem Projektleiter bescheinigt, wurde es ein durchschlagender Erfolg. Es hat sich deutlich gezeigt, dass ein latentes Interesse für Biolandbau aufgegriffen und richtig gelenkt werden wollte. Bereits im zweiten Jahr zählte man 120 Biobauern im Lande, bis Projektende 1993 wurde noch auf 128 Biobauern aufgestockt. Paul Rittsteuer konnte zufrieden sein. Erfreulich war aus seiner Sicht auch, dass es keine Kompetenz-Streitigkeiten zwischen Kammer, Bio-Verband und dem selbständigen Projektträger Schlögl gab. Vielmehr wurde hier bestens akkordiert vorgegangen. Auch für die Medien gab es nun positive Meldungen, einerseits weil sich das allgemeine Image von bio gewandelt hatte, andererseits weil der Erfolg des Projektes für sich sprach. Bei der ersten Pressekonferenz hatte man wohl selbstbewusst und optimistisch die Zuwachsraten präsentiert, aber niemand konnte garantieren, dass die Rechnung aufgeht, noch weniger konnte man ahnen, dass die Prognosen um ein Drittel übertroffen werden würden.

Paul Rittsteuer

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Noch einmal zurück ins Jahr 1989. Paul Rittsteuer gelang nämlich noch ein anderer Quantensprung in Richtung Ökologisierung des Burgenlandes: In Unterkohlstätten wurde auf seine Initiative hin das erste Hackschnitzel-Heizwerk errichtet. Politisch war dies kein leichtes Unterfangen, denn von der SPÖ-Regierung wurde der Ausbau des Gasnetzes favorisiert. In einer 15 Jahre später verfassten Broschüre verwies er erneut auf die drei Aspekte Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und regionale Wertschöpfung, die für ihn von Anfang an richtungweisend waren. Er hatte deren Bedeutung für die Energieversorgung bereits in den 1980er-Jahren erkannt und bis 2004 konnten 37 BiomasseHeizwerke errichtet werden. Der Biolandbau war von außen an Paul Rittsteuer herangetragen worden, woher hatte er die Idee der Biomasse-Heizungen? Als angehender ÖVP-Agrarpolitiker hatte Rittsteuer bald die Bekanntschaft mit Josef Riegler und dessen Konzept der Ökosozialen Marktwirtschaft gemacht. An der Diktion „Joschi“ Riegler lässt sich unschwer ein amikables Verhältnis ablesen. Weitere engagierte Wegbegleiter waren in der Steiermark Landesrat DI Hermann Schaller und der Steirische Kammeramtsdirektor und Vorreiter, später Vorsitzender, des Biomasseverbandes Dr. Heinz Kopetz, ebenso wie Prof. Dkfm. Ernst Scheiber, der vor allem im Bereich erneuerbare Energie unbeirrbar für neue Strategien eintrat und seit 1978 Geschäftsführer des Ökosozialen Forums, seit 2007 dessen Präsident ist. In Bezug auf die Wasserwirtschaft und Wasserbau gab es zu dieser Zeit auch ein Umdenken, weg von der harten Betonierung hin zum naturnahen Wasserbau, wofür sich Paul Rittsteuer einsetzte. Später bot die Nutzung der Windkraft im Spektrum der erneuerbaren Energien für das Burgenland gute Chancen und Rittsteuer unterstützte intensiv die Errichtung des ersten burgenländischen Windkraftwerkes in Zurndorf. Was ökologiepolitisch absolut korrekt war, verlangte ihm in der weiteren Entwicklung eine große emotionale Umstellung ab: Die wie mit ruhiger Hand perfekt gezogene Horizontlinie von Neusiedl am See Richtung Parndorfer Heide ist nun Vergangenheit. Mehrere Windparks zerfransen die Naht zwischen Himmel und Erde. Ab den 1990er-Jahren zeichnete sich der politische Weg in die Europäische Union ab. Der langjährige Agrarreferent am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung Univ.-Doz. DI Dr. Matthias Schneider errechnete gemeinsam mit dem Leiter des Agrarwissenschaftlichen Instituts in Gießen für die österreichischen Bauern Einkommensverluste von 13 Milliarden Schilling, da die bisherigen Stützungssysteme wegfallen würden. Aufgrund dieser Prognosen unterstützte die Bauernschaft ursprünglich die Beitritts-Absicht nicht. Als aber klar wurde, dass ab 1995 die Gesetzesregeln der WTO die GATT-Bestimmungen ablösen würden und es ebenso Verluste geben würde, begann man ab 1993, die Weichen für den EU-Beitritt zu stellen. Schneider, selbst gebürtig aus Oslip, kannte insbesondere die schwierige Situation des Burgenlandes und machte bereits Mitte der 80er-Jahre als erster Rittsteuer Landwirtschaftskammer-Präsident Franz Stefan Hautzinger darauf aufmerksam, dass eine Chance auf Ziel-1-Förderung bestünde. Damals wollte aber niemand mit den Rückstandsgebieten Spaniens oder Griechenlands verglichen werden. De facto bedeutet Ziel 1 nach wie vor die höchste Förderungsstufe der EU für Regionen, in denen das Pro-Kopf-Einkommen niedriger als 75 Prozent des EU-Durchschnittsein-

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kommens liegt. – In der Folge kam Rittsteuers Netzwerk erfahrener Agrarpolitiker zum Tragen. Bestens fundierter Rat kam vom Südtiroler Bauernbunddirektor Dr. Pohl, weiters von Dr. Balthasar Huber, der in der Europäischen Kommission in der Generaldirektion für Landwirtschaft für die Ziel 1-Förderung zuständig war, und von Seiten Dr. Alfred Stockingers, den Rittsteuer vom Österreichischen Bauernbund holte. Fazit Rittsteuer: „Wir waren damals wirklich die am besten Aufgestellten mit unserem Programm, das traue ich mir in aller gebotenen Bescheidenheit zu sagen.“ Gemeinsam mit Kammer-Präsident Hautzinger bewirkte er, dass die Sache auch von Landeshauptmann Karl Stix und dessen Stellvertreter Franz Sauerzopf unterstützt wurde und die Ziel 1-Förderung schlussendlich für das Burgenland Geltung bekam. Damit war aber noch lange nicht Feierabend, denn nun begann erst das Tauziehen der drei großen Fraktionen Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft um die Aufteilung der Fördergelder. Allerdings konnte durch die hervorragende Vorleistung von Seite der Agrarpolitiker auch ein entsprechend großes Stück vom Kuchen für die Landwirtschaft abgeschnitten werden. Für die biologische Landwirtschaft bedeutete dies einen neuerlichen Aufschwung durch verstärkte finanzielle Anreize in Form von Flächenprämien, speziell im Burgenland. Rittsteuer ortete nach 1995 eine Umstellungswelle bei den Getreidebauern und zwar von Leitbetrieben, im Durchschnitt um zehn Hektar größere Betriebe als die konventionellen mit tüchtigen Betriebsleitern. Wenn jemand die biologische Produktion im Griff hatte und die Prämie dazu bekam, war der Deckungsbeitrag sehr gut. Da haben eben viele zu rechnen angefangen – und dann biologisch zu produzieren. Doch auch die Absatzseite musste weiter ausgebaut werden. Paul Rittsteuer gewährte dem Verband oder einzelnen Antragstellern für Bio-Projekte in den Schulen bzw. in Großküchen finanzielle Unterstützung. So konnten Beraterinnen Informations-Kampagnen für biologische Lebensmittel starten. Auch die Biofeste in Eisenstadt oder anderen Städten wurden immer kofinanziert und organisiert. Spannend und bereichernd fand es Rittsteuer auch, hin und wieder Berater bzw. Experten im Weinbau, für Obst- und Gemüsebau aus dem Ausland zum Gedankenaustausch einzuladen, weil sich dabei oft neue Perspektiven ergaben. – Kluge Konzepte, solide Basisfinanzierungen und überzeugte, einsatzfreudige Personen machten über die Jahre den Biolandbau im Burgenland zu einer Erfolgsstory, wie Rittsteuer zusammenfasst: „Heute haben wir 810 Biobetriebe mit 33.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche und wir sind mit einem Bioflächen-Anteil von 18 % im europäischen Spitzenfeld.“ Bezüglich der kompetenten Mitarbeiter versäumt er auch nicht, darauf hinzuweisen, dass Frau DI Christa Größ als Mitarbeiterin des ERNTE-Verbandes Burgenland so viel Erfahrung und Know-How sammeln konnte, dass sie vor wenigen Jahren die Leitung des Bereiches Landwirtschaft in der BioAustria übernommen hat. Im Jahr 2005 fügte Paul Rittsteuer seinem Titel Landesrat das a. D. hinzu und zog sich aus der Politik zurück. Nach wie vor ist er aber im Vorstand des Nationalparks Neusiedlersee, der in seiner Ägide gegründet worden ist – wie so mancher Naturpark oder Natura 2000 Gebiete in seiner Funktion als Naturschutzverantwortlicher des Landes als solche ausgewiesen wurden. Insgesamt wurden fast 31 % der Fläche unter Naturschutz gestellt. Rückblickend konnte Rittsteuer vieles für „seine Bauern“ erreichen, manchmal Paul Rittsteuer

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musste er sie auch fordern, etwa wenn es um die Einbeziehung umweltschonender Maßnahmen ging. Doch immer war er um den Dialog, das Verständnis, die Bereitschaft der Handelnden bemüht. „Mit Gesetzesdruck erreicht man nur Opposition“ ist seine Erfahrung. Zu seinen gelungensten Initiativen zählt Rittsteuer die erneuerbare Energie und den biologischen Landbau, wobei ihm bei letzterem ein Aspekt ganz und gar unbefriedigend erscheint, nämlich die Preisgestaltung. „Für mich war das Lebensmittel immer unterbezahlt. Solange man im biologischen Landbau nach wie vor die höchste Flächenprämie benötigt, damit die Biobauern mit Ackerbau existieren können, ist die Ware nicht richtig bezahlt, ist es kein richtiges Preis-Leistungs-Verhältnis.“ Er bezieht sich auch auf die Statistik über Haushaltsausgaben, wonach in den 1960er-Jahren 44 % des Einkommens, in den 70er-Jahren noch 30 % und nach 2000 lediglich 13 % für Lebensmittel ausgegeben werden. Dass ihm die Preis-Entwicklung als ein besonderer Missstand auffällt, ist leichter nachzuvollziehen, wenn man weiß, dass die schlechte Bezahlung der bäuerlichen Arbeit und der Produkte der Anlass waren, dass Rittsteuer in jungen Jahren politisch aktiv wurde. Der ersten Freiland-Salat im Mai auf den Wiener Märkten kam immer aus dem Neusiedlersee Gebiet. Auch die Eltern von Paul Rittsteuer bauten in den 1950er-Jahren bis in die 70er-Jahre bis zu 70.000 Stück Wintersalat in ihrem Gartenstück. Um den 1. Mai, dem Tag der Arbeit, wurde das erste Mal Salat geschnitten, es gab wieder Bargeld und dafür leistete man sich die lang entbehrte Wurst – es war richtig Feiertag! Doch die Lage konnte auch triste sein, wenn trotz all der mühevollen händischen Feldarbeit der Salat nicht gedieh, weil die Hitze oder ein Unwetter in letzter Minute alles vernichtete oder wenn ein Überangebot war. Dann gab es keinerlei Entschädigung für all den Aufwand, oder die Preise wurden gedrückt. Besonders ungerecht empfand Rittsteuer diese Situation, wenn er seine Mutter bei der anstrengenden Arbeit sah, obwohl sie eher eine schwache Konstitution hatte. Sie verstarb im Alter von nur 60 Jahren. Unmittelbar danach, 1967, er war eben erst 20 Jahre alt, wurde Paul Rittsteuer von seinem Vater die Verantwortung für den Betrieb übertragen. Er hatte die Fachschule in Eisenstadt besucht – Ing. Ernst Zöchling war damals einer seiner Lehrer, – hat den Landwirtschaftsmeister gemacht und arbeitete auch rege in der Landjugend mit. Dort artikulierte er auch gelegentlich seinen Unmut über die unsichere Abgeltung der bäuerlichen Leistung bzw. wollte auf politischer Ebene nach besseren Lösungen suchen. So kam er rasch in den Sog der Politik: „Als ich 1973 in die Burgenländische Landwirtschaftskammer kam, war ich der jüngste Kammerrat, später der jüngste Abgeordnete, dann das jüngste Regierungsmitglied – und wie ich mich einmal umgeschaut hab, nach 19 Jahren, war ich der dienstälteste Agrarreferent in ganz Österreich.“ Nachdem Rittsteuer die Politik verlassen hat, widmet er sich wieder ganz der Landwirtschaft, zehn Hektar Ackerland und neun Hektar Weinbau. In all den Jahren musste es nebenbei laufen, bot aber einen schönen Ausgleich zum Politikerberuf. Seine Frau Elisabeth führte in dieser Zeit den Betrieb. Sie stammt auch von einem Bauernhof, war aber vor der Heirat als medizinisch-technische Assistentin beschäftigt. Auf dem eigenen Betrieb kann Rittsteuer seinen Grundsatz verwirklichen, den er als allgemein verbreitet bei den Bauern voraussetzt, dass jeder seinen Grund und Boden verbessert an die nächste Generation weitergibt. Bei ihm könnte es sein Sohn sein, der den Betrieb weiterführt. Er besuchte bereits

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Abb. 91: Aus: Die Bergbauern, Oktober 1988

die Vino-Hak und studiert nun Betriebswirtschaft. Die Übernahme muss aus freien Stücken kommen, ebenso wie die Zertifizierung als Biobetrieb erst noch überlegt wird. Die beiden Töchter haben für sich schon andere Betätigungsfelder gefunden. Eine kleine volkstümliche Bildtafel hängt im modern eingerichteten Verkostungsraum und wird überdacht von einem Spruchband: „Ich bin der wahre Weinstock, Ihr aber seid die Reben. Durch mich werd ihr erquickt, von mir habt ihr das Leben.“ Ja, Paul Rittsteuer ist bekennender Katholik. Sein Verhältnis zur Amtskirche verpackt er jedoch ironisch: Gott hat uns das Paradies versprochen und uns die Kirche geschenkt. – Als Mensch und Politiker ist Paul Rittsteuer nach all den Jahren zu dem Schluss gekommen: „Die Zehn Gebote sind die beste Realverfassung. Wenn du die einhältst, brauchst du keine Verfassung.“

Franz Schlögl

„Aus meiner Sicht gibt es zwei Pionierphasen. Zuerst, bis weit in die 1980er-Jahre hinein, war die rein bäuerliche Phase, wo die Praktiker untereinander ihr Wissen weitergegeben haben und ab 1989 eine zweite, die dadurch gekennzeichnet ist, dass es die ersten professionellen Berater gegeben hat. Diese waren hauptamtlich tätig, das waren auch Nicht-Bauern.“ Mit dieser zeitlichen Staffelung markiert Franz Schlögl einen Entwicklungsschritt innerhalb der Biobewegung in Österreich und zugleich den Zeitpunkt, an dem er selbst auf den Plan getreten ist. DI Franz Schlögl ist der Pionier der zweiten Phase und hat mit seinem Beratungs- und Umstellungskonzept dem Biolandbau im Burgenland den entscheidenden Kick gegeben, um als agrarische Alternative relevant zu werden. Diese Katalysator-Wirkung hatte er in der Folge auch für weitere, recht verschiedene Projekte im ländlichen Raum.

Franz Schlögl

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Zielstrebig, gleich nach der Matura, begann Schlögl 1976 sein Studium an der Hochschule für Bodenkultur in Wien. Er stammt aus Draßmarkt im Mittelburgenland, wo die Schlögls eine ansehnliche Sippschaft darstellten. Das familiäre Umfeld bilden die Eltern, die ein Gemischtwaren-Einzelhandelsgeschäft betreiben, und drei jüngere Geschwister bzw. in der näheren Verwandtschaft aufstrebende 100-Hektar-Betriebe mit intensiver Tierhaltung. Mit dieser Ausgangsbasis hatte der Student vor, ein großer Agrarmanager zu werden - das nicht einmal 40 Kilometer entfernte Unternehmen Felix Austria in Mattersburg bot hier die besten Aussichten und drei Praktika während des Studiums waren die ersten Schritte auf diesem Weg. Aus den Augenwinkeln hatte der aufmerksame Student im ersten Semester sehr wohl das Symposium „Der Regenwurm“ von Gerhard Plakolm über biologischen Landbau registriert. Aber es war für ihn inhaltlich weit weg. Nach Beendigung des Studiums 1985 holte ihn sein früheres Engagement als Vorsitzender der Katholischen Jugend Land Burgenland, zuletzt auch von ganz Österreich, ein. Rückblickend filtert Schlögl aus dieser Zeit vor allem den Erfahrungsgewinn heraus, sich in Diskussionen zu positionieren, Gruppen zu führen und Sitzungen zu leiten. Es ging weniger um religiöse Inhalte als um eine gesellschafts- und hierarchiekritische Haltung oder auch 3. Welt-Themen. Bei einem dreimonatigen Kurs für Wirtschaft, Politik und Sozialethik an der Katholischen Sozialakademie Österreichs wurde Schlögl zusätzlich in Teilnehmer orientierter Bildungsarbeit geschult. Parallel dazu kristallisierte sich auch seine handlungsorientierte Lebenseinstellung heraus, denn „nichts verändert sich von selbst“. Ein ehemaliger Kollege aus dieser Zeit, Ambros Pree, war bis Mitte der 1980er-Jahre Geschäftsführer der Österreichischen Bergbauern Vereinigung – kurz ÖBV, nunmehr Via Campesina – und holte sich kurz entschlossen den frisch diplomierten Franz Schlögl als Nachfolger. In der von Bruno Kreisky als Gegenpol zum Bauernbund positionierten ÖBV wurden verschiedene alternative Konzepte entwickelt und in Form von Direktvermarktung, Festen und Erzeuger-Verbraucher-Initiativen umgesetzt. Der nahtlose Übergang von der Universität in diese leitende Position, auch wenn das Team nur aus drei Personen bestand, war für den jungen Akademiker Schlögl dann doch eine Herausforderung. Er hatte wohl in seiner Diplomarbeit agrarpolitische Fragen behandelt, nämlich die „Volkswirtschaftliche Rentabilität des Ölsaatenanbaus in Österreich“ (Raps oder Sonnenblumen anstelle des Getreideanbaues), die ÖBV hatte doch wesentlich andere Grundthemen. Franz Schlögl sieht eine Analogie im Höhenunterschied: „Für mich als Burgenländer – das hat nicht wirklich gestimmt, die Bergbauern zu vertreten.“ Dieser Job zog ihn aber in ein spezifisches Netzwerk und eines Tages landete die Broschüre über eine Ausbildung für Agrarabsolventen zum professionellen Berater für Umstellung auf Biolandbau auf seinem Schreibtisch. Inzwischen war Biolandbau für ihn als agrarpolitische (nicht ideologische!) Alternative in denkbare Nähe gerückt. Dauer des Kurses war ein Jahr, wobei zwei Monate Kursprogramm und zehn Monate Praxis vorgesehen waren. „Das ist es!“ Für Schlögl waren die Weichen gestellt. Sein Antrag auf Kostenersatz für diesen Kurs im Landwirtschafts-Ministerium, bei Minister Josef Riegler und seinem Sekretär Willy Molterer, ging glatt durch, die 50.000 Schilling wurden genehmigt. Aus der Perspektive der neu propagierten Ökosozialen Marktwirt-

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schaft bzw. Landwirtschaft passte biologischer Landbau zum System und eine fundierte Beratung machte absolut Sinn. In Zeiten der Überschussproduktion und enormen Exportstützungsgeldern konnte man auch die Ertragsrückgänge, mit denen man ohne Agrarchemie rechnen musste, instrumentalisieren. Jänner bis Dezember 1988. Die zwei großen Bioverbände Deutschlands, Bioland und Demeterbund, veranstalteten gemeinsam den Berater-Kurs. Start war in Flotow, nahe Bielefeld, wo ein erster Teil des theoretischen Wissens vermittelt wurde. Schlögl war unter den 20 Teilnehmern der einzige aus Österreich. Für die Absolvierung des praktischen Teiles fand er einen Hof in Bayern, ein Milchviehbetrieb mit 40 Kühen. Die glückliche Konstellation dort war, dass er nicht nur den bäuerlichen Betriebsablauf kennen lernte, sondern mit einem Berater, nur wenig älter als er selbst, einmal im Monat dessen Umstellungsgespräche bei anderen Bauern begleiten konnte. Auch dies war in doppelter Hinsicht positiv. Einerseits konnte er die theoretischen Ansätze vom Kurs in der Praxis überprüfen, etwa den methodischen Leitfaden zur Umstellung auf biologischen Landbau, den der Pionier auf diesem Gebiet Dr. Bernd Freyer vorgestellt hatte. Andererseits bot jeder Bauernhof eine andere Ausgangssituation, für die ein Szenario entworfen werden sollte. Schlögl wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es oft nur um kleine, aber elementare Gesten ging, nämlich die Partnerin oder die Großmutter in das Gespräch einzubeziehen, oder es ging darum herauszufinden, wessen Wunsch die Umstellung ist, wo die Entscheidungskompetenz liegt, ob sich die Familie überhaupt einig ist bezüglich der Umstellung? – Wie grundlegend eine Umstellung die gesamte Einstellung zum Beruf als Bauer positiv beeinflussen kann, zeigt die Geschichte eines Landwirtes, der viel lieber Tischler geworden wäre. Erst als er den Umlauf-Stall selbst mit viel Liebe gezimmert hatte, bekam er einen Bezug zur Stallarbeit und zu den Sauen. Mit Ende des Jahres 1988, zugleich Abschluss dieser Ausbildung, hatte Franz Schlögl seinen Beruf gefunden: Umstellungsberater für biologischen Landbau – der erste und einzige zertifizierte in Österreich – und ein perfektes Aushängeschild für das Ministerium. Als Einsatzgebiet wählte Schlögl – nahe liegend – das Burgenland. Er wusste, dass es einen Rückstau an Umstellungswilligen gab, die nicht aufs Geratewohl diesen Schritt wagen wollten. Dieses Potential wollte er aufgreifen. Die Krux war, dass es sich z. T. um große, reine Ackerbaubetriebe handelte, Biolandbau bislang ohne Viehwirtschaft unmöglich, ja undenkbar war. In Deutschland hatte Schlögl aber gesehen, dass es sich mit dem passenden Konzept machen lässt. Jetzt wollte er dies auch in Österreich beweisen. Nachdem Franz Schlögl die Anti-Bio-Einstellung in der Kammer kannte, wurde er direkt bei Landesrat Paul Rittsteuer mit seiner Idee vorstellig. Dessen Urteil war niederschmetternd, weil er vom Biolandbau überhaupt nichts hielt. Dennoch gab er „Grünes Licht“, denn er sah darin eine Strategie zur Umsetzung seiner mehr auf Ökologie ausgerichteten agrarpolitischen Ziele. Rittsteuer war spontan bereit, Gelder zu lukrieren, wenn ihm ein entsprechend aufbereitetes Projekt vorliegt. Der Ball war wieder bei Schlögl, der das gemeinsam grob skizzierte Konzept ausarbeitete. Bei der Abfassung des Projektantrages konnte Schlögl mit neuesten Darstellungsmethoden bezüglich Projektmanagement und Projektstrukturierung brillieren. Bestechend Franz Schlögl

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neu für die Auftraggeber war auch der Aspekt, dass die Einstellung bzw. Reaktionen der Projekt-Umwelten, d.h. sämtliche direkt und indirekt Betroffenen wie die Landwirtschaftskammer, Biobauernverbände, die Medien, bereits bestehende Biobetriebe, andere Bioberater, Käufer bzw. der Markt etc., von vornherein als für den Erfolg der Projektarbeit entscheidend angesehen wurden. DI Franz Schlögl machte sich selbständig, löste den Gewerbeschein als Berater für Biolandbau und bekam gegen Ende 1989 die Zusage zur Finanzierung für das Projekt „Ökologische Landwirtschaft Burgenland“. Es war auf drei Jahre anberaumt und zu Projektende sollte es 100 Biobauern landesweit geben. Für den Finanzierungsplan einigte man sich darauf, dass drei Viertel von Bund und Land getragen werden und ein Viertel sollte von den Bauern als Abgeltung für die Beratung beigesteuert werden. – Der seit acht Jahren bestehende Biobauernverband zeigte sich sehr offen, die kaum mehr als zwanzig Mitglieder konnten Zuwachs und neue Impulse gut gebrauchen. Nach kurzen Verhandlungsgesprächen wurde Schlögl in den Vorstand kooptiert, es wurden ihm diverse Beratungs-Aufgaben für den Verband übertragen und die Adresse seines Projektbüros in Oberpullendorf wurde gleichfalls Verbandsanschrift. Auch die Beratungstätigkeit von Ing. Stefan Ibeschitz von der Kammer wurde mit Schlögl koordiniert. Ab dem Jahr 1989 lässt sich feststellen, dass sich die Beratertätigkeit zu einer hauptberuflichen Aufgabe entwickelt, denn auch in Niederösterreich übernahm der frisch eingesetzte Geschäftsführer des Ernteverbandes Engelbert Sperl volle Beratungsfunktion und in der Steiermark wurde Josef Renner als Bioberater in der Landwirtschaftskammer angestellt. Zudem gab es ab 1990 die Ökowirt-Ausbildung, die von Wolfgang Pirklhuber erstmals in Österreich angeboten wurde und bei der Schlögl als Referent für sein Spezialgebiet Umstellungskonzept eingeladen wurde. Aus den Absolventinnen des ersten Jahrgangs pickte sich Franz Schlögl die Burgenländerin Christa Größ heraus und holte sie in sein Projekt. Sie bewährte sich bestens, spezialisierte sich auf die Beratung für biologischen Weinbau und leitet inzwischen in der BioAustria die gesamte Abteilung Landwirtschaft. Schon ab 1990/91 gab es unter den Beratern das Anliegen, den Erfahrungsaustausch voranzutreiben und eigene Beratertreffen zu organisieren. Für Schlögl zeichnete sich hier schon deutlich der Unterschied zwischen dem Erfahrungswissen der Alten Garde an Beratern und einer jungen Generation ab, die nun völlig andere Tools zur Verfügung hatten, um auf die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Umstellungsbetriebe eingehen zu können. Zurück zum Umstellungsprojekt. Schlögl wandte sich bereits im Jänner 1990 mit einer Aussendung an die Bauern, zeigte bei Informationsveranstaltungen auch Dias aus Deutschland und erläuterte den Umstellungsleitfaden. Bei allem konnte er feststellen, dass es sehr positiv und interessiert aufgenommen wurde. Das Projekt entfaltete sich prächtig, ja es schlug richtig ein: Bereits im ersten Jahr war das Plansoll von hundert Biobetrieben erfüllt. Die Realität hatte die Erwartungen weit übertroffen. Das wurde auch von den Medien begeistert aufgegriffen. Wie seine Arbeit im Einzelnen aussah, umreißt Franz Schlögl folgendermaßen: „Ich bin zu den Bauern hingegangen und habe für ein Jahr einen Beratungsvertrag gemacht. Jede Beratungsstunde habe ich protokolliert und dem Betreffenden

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zugeschickt. Mit dieser Dokumentation hatte er etwas in der Hand. Am Ende des Protokolls stand dann der neue Termin mit Inhalten: Wann machen wir Bodendiagnose mit der Firma Lübke bzw. die Spatenprobe nach Preuschen. Zwischendurch konnte jeder auch anrufen und sagen ‚Komm vorbei‘.“ Während der Umstellungsperiode waren zwei bis vier Beratungen am Hof eingeplant, dafür wurden durchschnittlich 5.000 Schilling berechnet. Es wurde überlegt, wo es Veränderungen in der Bodenbearbeitung bedarf, ob die Fruchtfolge passt, ob neue Geräte gebraucht werden, ob der angehende Biobauer in der Beurteilung des Bodens sattelfest ist – da kam viel neues Wissen auf den Einzelnen zu. Zusätzlich gab es noch spezielle Vorträge und Gruppentreffen mit Felderbegehungen. „Der Boden war ein heißes und leidenschaftliches Thema. Da waren wir sowohl von Beratungsseite als auch die Bauern mit Eifer dabei. Wie geht das mit Gründüngung, mit Kleeanbau, von den Sorten, von den Mischungen, von der Technik her. Das waren sehr schöne Erlebnisse – auch für die Bauern, wenn sie gesehen haben, wie der Perserklee kommt – wie der riecht!“ Franz Schlögl kommt ins Schwärmen bei den Erinnerungen und dann fällt ihm noch etwas ein: „Ich hab da auch so ein kleines Hefterl konzipiert und im Eigenverlag publiziert: ‚Begrünungsmischungen fürs Trockengebiet’ Zehn Seiten mit den verschiedenen Mischungen.“ Seine Stärke war die Beratung für viehlose Betriebe und sein Prinzip war, die Tiere im Boden, die Bodenlebewesen zu füttern. Bis 1993 kamen nur mehr einzelne neue Betriebsumstellungen dazu und die Zahl der Biobauern stieg auf etwa 150 an. Hier hatte sich das Projektteam nach dem anfänglichen Boom total verkalkuliert. Trotzdem wurde ihnen die Zeit nicht lang. Schlögl war mit dem Projekt auch als Gegenstrategie zur Kammer angetreten. Gemeinsam mit Christa Größ war ihm Kundenorientierung, rascher Service, Innovation und Flexibilität statt schwerfälliger Bürokratie wichtig. Einen mutigen Schritt in Richtung Vermarktung wagte Schlögl 1992 mit der Gründung der Firma Öko Ernte GmbH, ein Zusammenschluss der sechs größten Biobauern. Aufgabe war es, die Ware zu bündeln, um an Großabnehmer verlässlich liefern zu können. In mehreren Lagerhäusern wurden Silozellen gemietet und die Bauern konnten den Weizen dorthin liefern. Öko Ernte organisierte diese Lager bzw. die Reinigung des Getreides und den Vertrieb an die Mühlen oder andere Abnehmer. Aber – sie hatten zwei Jahre zu früh gestartet. Die hervorragende Qualität des burgenländischen Weizens aufgrund des höheren Klebergehalts hatte grundsätzlich gute Chancen, aber selbst auf den weiter entwickelten Biomärkten von Deutschland und in der Schweiz konnte nicht genug abgesetzt werden. Fazit: 3 Millionen Minus. Bis 1998 wurde die Bilanz ausgeglichen und Öko Ernte GmbH ging in Ökoland GmbH, die Handelsfirma des Ernteverbandes, über. Inzwischen war Billa als Abnehmer für Getreide relevant geworden und auch Gradwohl, der Biobäcker aus Weppersdorf. Schlögl hat gegen Mitte der 90er-Jahre persönlich einen Wandel in Bezug auf bio erlebt, den er mit dem Einzug von Bioprodukten in die Billa-Regale in Zusammenhang bringt: Bio war salonfähig geworden. Es hatte sich ein Imagewandel beim Konsumenten vollzogen und auch ein Imagewandel in der Landwirtschaft, weg von der Etikettierung als Spinner. Ein Bioapfel war schön, ein Biobauer hatte saubere Felder ohne Unkrautwucher Franz Schlögl

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und die Politik gewährte erste Umstellungsförderungen. Und er erinnert sich an die erste parlamentarische Enquette über Biolandbau, die Minister Fischler 1993/94 veranstalten ließ. Neben mehreren Biobauern referierte Schlögl als Beratungs-Experte – das Interesse der Politiker war groß. Innovation und Flexibilität kennzeichnen auch den Werdegang von DI Franz Schlögl selbst. Nach dem Projekt Ökologische Landwirtschaft und der Firma Öko Ernte GmbH übernahm er Aufgaben in der Regionalentwicklung. Im Rahmen der beiden EU-Förderprogramme LEADER II und LEADER+ koordinierte Schlögl ab 1995 über 100 Projekte im Burgenland. Von 2004 bis 2006 war er als Regionalmanager im Waldviertel im Einsatz. Jetzt, mit 50 Jahren und einem großen Koffer an Erfahrung, entscheidet er noch einmal, wo sein Weg weiter gehen wird. Wohl wissend, dass gemäß dem Karriere-Konzept Malik Management Zentrum St. Gallen die 50er-Jahre andere Aufgaben lösen als die 40er und die 30er. Auch innerlich beschreitet Franz Schlögl neue Wege, die an sich sehr alt sind. Seine Suche nach den immer präsenten Lebensfragen: Wer bin ich? Wohin gehe ich? führte ihn zu Willigis Jäger, dem Benediktinerpater, der auch Zen-Meister wurde und nun ein Kloster nahe Würzburg leitet. Durch diese Begegnung vor einigen Jahren entdeckte Schlögl Zen als seinen spirituellen Weg. Ist Biolandbau für Schlögl ein längst vergangenes Kapitel und völlig außer Sicht geraten? Sein letztes Projekt war nach 2006, wo er mit 20 sehr gut situierten Biobauern in seinem Heimatbezirk die Genussregion Dinkel aufgebaut hat. Im Zuge diverser Gespräche in diesem Umfeld wurde klar, dass es im Bereich der Weiterbildung für Biobauern neue Ideen geben muss, die auch langjährigen Verbandsmitgliedern spannende Perspektiven bieten. Das könnte auch in Richtung Persönlichkeitsbildung, Philosophie gehen. Schlögl sieht hier ein fatales Manko und spielt sogar mit dem Gedanken, da vielleicht selbst mit Kursen einzuhaken. Ebenso müssten seiner Erfahrung künftig Vieh haltende Betriebe Kooperationen eingehen, damit die junge Generation auch die Möglichkeit hat, zwei Wochen auf Urlaub zu gehen und auch eine wechselweise Wochenenddienst-Regelung vorsieht. Der Biolandbau, das Leben von Biobauern hat in jedem Fall Entwicklungspotential.

Alois Posch

Im Lebensministerium, dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Abteilung II 8 – Biologische Landwirtschaft und Agrarumweltprogramme Stubenring 1, 1012 Wien – dort findet man Ministerialrat Dipl. Ing. Alois Posch. 1989, als diese Aufgabe neu geschaffen wurde, war er die erste und einzige Ansprechperson innerhalb des Ministeriums für alle agrar-politisch relevanten Belange der biologischen Landwirtschaft. Inzwischen plant und koordiniert er mit seinem Team sämtliche Agenden des ÖPUL (Österreichisches Programm zur Förderung einer umweltgerechten Landwirtschaft), das 1995 eingeführt wurde und in dessen Rahmen die biologische Landwirtschaft

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eine spezifische Maßnahme ist. Im Zuge dessen laufen auch sämtliche Förderungsgelder des Agrarumweltprogramms über seinen Tisch – die anfänglichen zwei Millionen (Schilling) für die Biologische Landwirtschaft haben noch zwei Nullen (in Euro) bekommen. Alois Posch kennt das bäuerliche Dasein und Wirtschaften von der Pike auf. Er wuchs auf einem kleinen Bauernhof in der Südoststeiermark auf. Nachdem er die landwirtschaftlichen Schulbildungen durchlaufen hatte – Berufs- und Fachschule, Höhere Bundeslehranstalt für Landwirtschaft in Raumberg –, entschied er sich 1971 für das Studium an der Universität für Bodenkultur. Als gegen Ende seines Studiums dort biologischer Landbau ein heißes Thema wurde, nahm er es zur Kenntnis, blieb aber inhaltlich unbeeindruckt. Seiner Meinung nach lag die Zukunft der Landwirtschaft in modernen Strategien, die es zu forcieren galt. – Seine private Zukunft hatte schon klarere Konturen angenommen, nachdem er glücklich seine künftige Frau Irene gefunden hatte und sie beide beschlossen, in Wien zu bleiben. Sein erster und dauerhafter Arbeitsplatz war im Landwirtschaftsministerium. 1978 trat der Jungakademiker unter Minister Günter Haiden (1976 – 1986) eine Stelle in der sog. Koordinationsstelle, auch (politische) Grundsatzabteilung bzw. Pressestelle an. Es war die Zeit der SPÖ-Alleinregierung und so kam er in ein „rotes“ Landwirtschaftsministerium – was sich aber mit seiner politischen Grundhaltung ohnehin deckte. Die erste Sektionschefin im Landwirtschaftsressort, Frau Dr. Gertrude Worel, wurde gleichsam zu Poschs Mentorin. Er schätzte ihre politische Entscheidungskraft wie auch ihre ungewöhnliche Offenheit. Dieser ist es auch zu verdanken, dass den ersten Biobauernvertretern Gehör geschenkt wurde, allen voran Ing. Josef Willi. Als dieser ca. 1982 eine Exkursion zu den vorbildlichen Biobauern in die Schweiz anbot, wurde Alois Posch dazu auserkoren, mitzufahren. Diesmal war er von biologischer Landwirtschaft unvergleichlich beeindruckter und konnte sich davon überzeugen, dass dieser Weg in der Praxis gangbar ist. Spontan schrieb er einen Artikel über das Gesehene für die „Agrarwelt“, (diese Zeitschrift wurde vom Ministerium herausgegeben und an alle Bauern geschickt), doch dieser wurde abgelehnt. – Der Kontakt zu den Vertretern der Biolandwirtschaft wurde aber intensiver. Schließlich wurden auch dem Chef der ARGE Biolandbau, Ing. Starmann, erste Förderungen genehmigt. Politisch gesehen war „bio“ in einer heiklen Situation. So sehr es die Sache schon verdient hätte, untermauert Posch das zurückhaltende Kalkül Haidens: „Er wollte nicht Widerspruch erwecken. Haiden war nicht gegen bio, er wusste aber genau, wenn er das Thema aufs Tapet bringt, bekommt er nur Gegenwind aus den Reihen der anderen Partei. Damals war die Agrarszene eindeutig gegen bio eingestellt. Ich bin heute noch Minister Haiden dankbar, dass er das Thema Bio nicht in den Vordergrund gerückt hat, – damit hat sein Nachfolger Riegler die Möglichkeit gehabt, stärker darauf zu setzen ohne quasi eine SPÖ-Initiative in die Hand nehmen zu müssen.“ Womit auch schon das Stichwort für die nächste und für Biolandbau bedeutsame Regierungsperiode gefallen ist. Nach dem Regierungswechsel 1986 besetzte wieder die ÖVP die Spitze des Agrarsektors. Die Handschrift von Landwirtschaftsminister Josef Riegler (Jänner 1987 bis April 1989) spürte Alois Posch insofern sogleich, als dieser seine Abteilung auflöste. Gleichzeitig Alois Posch

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wurden in Diskussionen mit Bauern und Funktionären die neuen Ziele der Agrarpolitik herauskristallisiert, um die drängenden Probleme in den Griff zu bekommen, nämlich Überproduktion, Preisverfall und Umweltfragen. In diesem Prozess, in dem sich Sektionschef Dr. Klasz verdient machte, kam heraus, dass biologische Landwirtschaft weitgehend den neu festgelegten Strategien entspricht. So war es nur mehr ein kurzer Weg, Bio zu einem Förderungsschwerpunkt zu machen: Anfang 1989 gab es in Form der „Bio“Abteilung eine eigene Zuständigkeit für den Biolandbau im Ministerium und ein eigenes Budget. „Bio“ sollte nicht den einzelnen Abteilungen – Pflanzenbau, Tierzucht etc. – aufgesplittert angehängt werden, sondern eindeutig erkennbar sein. Minister Riegler, der ja auch das Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft entwickelt hatte, konnte noch genau gegen Ende seiner Amtszeit diesen Akzent setzen. Alois Posch hatte als Abteilungsleiter eine neue konkrete Aufgabe erhalten, mit der er sich voll identifizieren konnte. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich sonst niemand wirklich im Ministerium für bio interessiert hatte. Originalton Posch: „Ich bin Riegler sehr dankbar, dass er mich auserwählt hat, für diese Aufgabe zuständig zu sein und habe es immer als Gnade empfunden, weil es wirklich eine schöne Aufgabe ist. – Ich hab damals mit zwei Millionen Schilling angefangen. Unser Ministerium ist ja bekanntlich „nur“ ein FörderungsMinisterium, weil für die rechtlichen Belange das Gesundheitsministerium zuständig ist.“ Somit sind wir auch schon mitten in den Sachfragen des Aufgabenbereichs, den ihm Riegler anvertraut hatte, weil er ihn als loyalen Beamten schätzte, trotz der anderen politischen Färbung. Die ab dem Jahr 1983 festgelegten Regeln zur Produktion von biologischen Lebensmitteln (als Erlässe des Gesundheitsministeriums herausgegeben) wurden 1989 in Zusammenarbeit mit der Codex-Unterkommission Bio Teil des Codex Alimentarius Austriacus (Österreichisches Lebensmittelbuch); Gesetz wurden sie erst mit der Aufnahme Österreichs in den EWR Juli 1994. Parallel dazu wurde in der Abteilung an einem Fördermodell für die Biolandwirtschaft gefeilt. Zu diesem Zeitpunkt (1990) gab es etwa 1.600 Biobauern, die in 14 Vereinen zusammengeschlossen waren. Diese waren in ihren Inhalten, aber auch von ihrer regionalen Reichweite und Mitgliederzahl sehr verschieden. Die Zuteilung von Subventionen und die Koordination ihrer individuellen Anliegen bedurften folglich des menschlichen und politischen Geschicks von Alois Posch. Gleiches galt, wenn er „seine“ Biobauern nach außen hin, etwa bei parlamentarischen Anfragen, ins rechte Licht setzen musste oder gegen Vorurteile verteidigen musste. Zu sehr kursierte noch die Meinung, dass sich in der Landwirtschaft jeder seinen Weg aussuchen kann. Wenn die Biobauern meinen, sie wollen just keine chemischen Hilfsmittel verwenden, dann sollen sie sich eben mit Unkraut, Schädlingen und niedrigen Erträgen herumschlagen. Diese Spintisiererei gestand man ihnen ja zu, solange sie in ihrer unbedeutenden Nische blieben. Aber genau dieser Punkt änderte sich dann rapide – nicht zuletzt durch Poschs vorgeschlagene Maßnahmen. Bereits 1990 wurde ein Pilotprojekt für Direktzahlungen an Biobetriebe gestartet: Alle in diesem Jahr zu einem anerkannten Bioverband gehörenden Umstellungsbetriebe bekamen eine Förderung als Ausgleich für Ernteeinbußen und Mehraufwand für händische Arbeit. Das Ministerium kooperierte mit den einzelnen Verbänden, die in Eigen-

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verantwortung Anmeldung, Kontrolle und Auszahlung abwickelten. Aus den Rückmeldungen, die diesbezüglich kamen, und aus intensiv geführten Diskussionen mit Biobauern destillierte man für 1992 ein solides, einzelbetriebliches Förderungsmodell, das in der Grundstruktur bis heute Gültigkeit hat. Jeder Biobauer erhielt einen Sockelbetrag in Höhe von 8.000 Schilling Betrieb- und flächenbezogene Prämien und das ohne zeitliche Begrenzung. Das war zu Poschs Erstaunen großzügiger, als er damals zu hoffen wagte, nämlich dass alle anerkannten Biobauern für ihren gesamten Produktionszeitraum Anspruch auf Förderung haben. Spannende Details am Rande geben Einblick in die Motivationen dahinter. Zum einen wurde durch dieses Fördermodell die spezielle Leistung des Biolandbaus Abb. 92: Der Bio-Wegweiser wurde von der Helpals Gesamtheit honoriert. Zum andeRedaktion des ORF/Hörfunk seit ca 1980 zusammengestellt. Bei der 6. Ausgabe (1987) ist das Bundesren war es den verhandelnden Biobauministerium für Land- und Forstwirtschaft erstmals ern wichtig, dass Umstellungsbetriebe Mitherausgeber des ORF. finanziell gleich behandelt werden wie fix anerkannte Betriebe, obwohl in der Umstellungsperiode von zwei Jahren die massivsten Ertragsrückgänge zu verzeichnen und auch durchwegs Investitionen zu tätigen sind oder sprunghaft steigender Arbeitskrafteinsatz gefordert wird. Man war der Meinung, es solle nicht allein eine hohe Förderung der Anreiz zur Umstellung auf biologische Landwirtschaft sein, sondern eine gewisse Hürde solle bestehen bleiben als Garant für echte Überzeugung und ernsthafte Einsatzbereitschaft. Noch ein Aspekt war virulent: Der Begriff „anerkannter Biotrieb“ wurde imagemäßig gern aufgewertet zu „vom Ministerium anerkannter Biobetrieb“. Leicht verständlich, hatten doch Biobauern seit über 20 Jahren um offizielle Anerkennung gerungen. Der Beschluss zu dieser Regelung fiel schon in die Amtszeit von Landwirtschaftsminister Franz Fischler (1989 bis 1994), der spätere Agrarkommissär der Europäischen Union. Unter großem Protest der Biobauern senkte er kurz darauf den Sockelbetrag merklich, bis er schließlich nach dem EU-Beitritt dem rein leistungbezogenen Förderungsmodell weichen musste. Doch der Zug war schon ins Rollen gekommen, immer mehr Umstellungswillige wurden registriert, der Fördertopf wurde immer größer – und Alois Posch spann große Zukunftspläne: „Die Beträge sind dann sehr schnell gestiegen, als ab 1992 für alle Biobauern gezahlt wurde. Es waren Alois Posch

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1989 2 Mio. Schilling 1990 6 Mio. S 1991 15 Mio. S 1992 56 Mio. S 1993 121 Mio. S 1994 214 Mio. S. Damals, also in den ersten Jahren, war es mein Wunschtraum – in Schilling natürlich – so wie die Bergbauern-Milliarde auch die Biobauern-Milliarde zu erreichen. Die Träume haben sich relativ bald erfüllt, wir sind natürlich jetzt schon sehr weit darüber.“ Lachend fügt er hinzu: „Was mir natürlich sehr große Freude macht.“ Mit den eingeleiteten Maßnahmen konnte die Zahl der Biobauern in nur fünf Jahren mehr als verzehnfacht werden und erreichte Mitte der 1990er Jahre bereits annähernd den Stand von 18 bis 20.000 Betrieben, wo er sich seit nunmehr 15 Jahren eingependelt hat. Das war damals Aufsehen erregend und Alois Posch wurde von Beobachtern und ausländischen Kollegen gefragt, was das Erfolgsrezept dahinter sei. Da weiß er, dass mehrere Faktoren günstig zusammenspielten: „Unsere Arbeit in Form der Förderungen gehört sicher dazu. Abgesehen von der Arbeit der Biopioniere selbst haben in den 80er-Jahren auch TV und Radio, die Printmedien und die Umweltberatung wesentliche Informationen an die Konsumenten herangetragen. Von unserer Seite wurde Rechtssicherheit und somit eine Vertrauensbasis durch die Produktionsvorschriften gegeben, sodass es eigentlich schon zu einer Überproduktion an biologischen Lebensmitteln gekommen ist. Aber als dann Billa 1994 mit der Bio-Marke eingestiegen ist, wurde auch der Absatz angekurbelt, die Verfügbarkeit war praktisch für jeden, der wollte, gegeben. Es ergab sich ein richtiger Push-Pull-Effekt.“ Ab 1993/94 wurden auch die durch den EU-Beitritt aktuell gewordenen Umweltprogramme der Abteilung für Biologische Landwirtschaft zur Vorbereitung zugeteilt, was ja auch passte. Dementsprechend wurde 1995 den österreichischen Landwirten das erste Mal das ÖPUL-Konzept mit einer Laufzeit bis zum Jahr 1999 angeboten (ÖPUL = Österreichisches Programm zur Förderung einer umweltgerechten Landwirtschaft). In diesem ÖPUL-Rahmen mit seinen diversen Maßnahmen und Teilmaßnahmen – etwa Verzicht auf oder Reduktion von Ertrag steigernden Betriebsmitteln, Verzicht auf Herbizide, Erosionsschutz, Anbau seltener Kulturpflanzen, Gewässerschutz – ist nun auch an oberster Stelle der Förderungspunkt Biologische Wirtschaftsweise enthalten. Zurzeit läuft das 4. Umweltprogramm ÖPUL 2007, das als Teil des Österreichischen Programms für die Ländliche Entwicklung 2007–2013 ausgearbeitet wurde und von der Europäischen Union genehmigt werden musste. Ein prekäres Thema, mit dem sich Alois Posch öfter konfrontiert sah, war die Frage, ob biologische Produkte besser seien als konventionelle. Allein durch den Umstand, dass die Bezeichnung dafür garantierte, dass sie ohne giftige Spritzmittel und ohne Kunstdünger hergestellt wurden, nahmen die Konsumenten als eine bessere, zu bevorzugende Qualität wahr. Hier als Ministerium, das für alle bäuerlichen Betriebe Identifikation und Unterstützung bieten muss, keine Spaltung zu provozieren, war und ist die besondere Kunst. Und so ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass von ministerieller Seite diesbezüglich keine

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Abb. 93: Bio-Akademie in Lednice 2005

Wertung vorgenommen wird. Ein geschriebenes Gesetz ist es jedoch, dass keinesfalls das Attribut „gesund“ im Zusammenhang mit biologischen Lebensmitteln gebraucht werden darf, sonst würden sie dem Heilmittelgesetz unterliegen. Eindeutige Studien – weder zum Thema „besser“ noch zum Thema „gesund“ – sind sehr rar oder werden offiziell noch nicht anerkannt und so überlässt man das Glauben und Dafürhalten den Konsumenten. Neben dem fachlichen, verwalterischen Teil gibt es natürlich auch noch den politischen bzw. parteipolitischen Teil seiner Arbeit. Es geht um die Frage, was und in welcher Höhe etwas oder jemand gefördert wird. Wie das ÖPUL zeigt, zielen nicht alle Maßnahmen auf die Produktion von Lebensmitteln ab, sondern dienen dem Umweltschutz, der Erhaltung einer vielfältigen und schönen Landschaft. Hierzu berichtet Alois Posch: „Politisch gibt es da kein Problem, alle Parlamentsparteien sind vom Prinzip her damit einverstanden, dass Umweltleistungen vom Staat abgegolten werden sollen und der Konsument durch den höheren Preis das Lebensmittel erhält, das er sich qualitativ durch die spezielle biologische Produktion erwartet.“ Ebenso ist man sich quer durch die politischen Fraktionen darüber einig, dass nicht mehr biologische Lebensmittel produziert werden sollen, als vom Markt aufgenommen werden kann, sprich, dass nicht mehr durch Förderungen angereizt wird als der Konsument bereit ist, durch den höheren Preis zu ko-finanzieren. Dahinter liegt auch die folgende Erfahrung: „Im Prinzip kann man sagen, wo die Nachfrage mit einem höheren Preis für Bioprodukte funktioniert, da steigt kein Biobauer aus.“ Weiß auch der Kunde, welche Rolle er spielt? Posch lässt die Frage nicht offen: Um diesen wichtigen Partner der biologischen Alois Posch

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Landwirtschaft stärker für sich zu gewinnen, wurden brandaktuell Lehrmittel und Informationskampagnen ausgearbeitet, womit wir aber aus der Pionierzeit in der Gegenwart angekommen sind. Die mid-term-Evaluierung von ÖPUL 4 als Weichenstellung für die Zeit nach 2013 ist im Gange. Der Blick muss in die Zukunft gerichtet sein, die bisherigen Erfahrungen werden bestmöglich einfließen. Und doch wird er nicht verhindern können, dass wieder ein Biobauer den Antrag zu spät abgibt oder unvollständig oder überhaupt vergisst, einzureichen – und dann aus der Förderung heraus fällt, was Posch jedes Mal persönlich bedauert. Er hat auch aufgehört, zu glauben, dass es 100prozentige und für alle gleichermaßen richtige ökologische Maßnahmen gibt. Vielmehr lernte er „Den Fluch der guten Tat“ kennen, wie er es nennt. Die langjährige Arbeit hat auch gezeigt, dass es zwar relativ leicht möglich ist, Gebote und Verbote in der Landwirtschaft auszusprechen und auch zu kontrollieren und ggf. zu sanktionieren. Aber es ist verwaltungstechnisch sehr schwierig, vorbeugende Maßnahmen oder zu vermeidende Praktiken zu erfassen. Und noch ein Unding strapaziert bisweilen seine Nerven, wenn jemand in Bezug auf Förderungen pauschalierend und somit unkorrekt argumentiert: „In der Politik dürfte das Zusammenschmeißen von Marktordnungs-Zahlungen, Agrar-Umwelt-Zahlungen und anderen Zahlungen nicht passieren. Es muss immer die Art und das Ziel der Zahlung beachtet werden, ungleiche Zahlungen dürfen nicht einfach zusammengezählt werden. Eine Abgeltung für eine bestellte Leistung ist nun einmal etwas grundsätzlich anderes als ein Ausgleich für Preisverluste. – Ich kann mit Umweltleistungs-Abgeltungen kein soziales Ziel ausgleichen. Soziale Leistungen werden auch von der EU genau begutachtet. Nur zu zahlen, weil Betriebe klein sind oder weil es Bauern sind, wird nicht genehmigt, es ist Wettbewerb verzerrend gegenüber anderen Branchen mit vergleichbar schwierigen wirtschaftlichen Situationen.“ – Hingegen ist er viel toleranter den verschiedenen biologischen Richtungen gegenüber. Auch wenn in der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise nach gängiger Lehrmeinung nicht alles eindeutig erklärbar ist, unterstützt Posch z. B. ein Bildungsprojekt dafür. Er kommt selbst von einer naturwissenschaftlichen Ausbildung, ist zugleich aber auch Wünschelrutengeher. Daher weiß er, dass die Wissenschaft einfach nicht alles erklären kann. Für inzwischen sechs Landwirtschaftsminister – Haiden, Riegler, Fischler, Molterer, Pröll und nun Berlakovich – war und ist Alois Posch ein zuverlässiger, strategisch denkender, unverzichtbarer Mitarbeiter. Für die Biobauern war und ist er der Mann, der den biologischen Landbau im zuständigen Ministerium mit Überzeugung und Einfühlungsvermögen pionierhaft etabliert hat. Welche Werte stecken da persönlich dahinter, welches spezifische Geschick gehört dazu? Die Werte eines Sozialdemokraten und eines gläubigen Christen verbunden mit dem Selbstverständnis, als Beamter immer das zu sagen, was er in der Sache für richtig hält, aber auch zu akzeptieren, dass politisch anders entschieden wird. Als persönliche Note kommt noch dazu: „Mit den richtigen Leuten zum richtigen Zeitpunkt zu reden und so wenig Streit wie möglich aufkommen zu lassen.“ Mit dieser Mentalität wird er auch weiterhin versuchen, der biologischen Landwirtschaft den Weg zu ebnen.

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Josef Riegler

Zwischen Säen und Ernten liegt manchmal mehr als ein Sommer. Die Saat, die DI Josef Riegler 1987 als österreichischer Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft ausstreute, war die Konzeption einer Ökosozialen Agrarpolitik, die er als Bundesparteiobmann der ÖVP 1989 zur Ökosozialen Marktwirtschaft ausbaute. Mehr als zwanzig Jahre später kann er erfreut beobachten, wie noch immer neue Pflanzen aufkeimen und in den verschiedensten Regionen auch außerhalb des Landes sich entwickeln und Früchte tragen. Im Zuge seiner Ökologisierungsbestrebungen der LandAbb. 94: wirtschaft positionierte er die biologische Landwirtschaft – gleichsam als Königsdisziplin – offiziell in einer eigenen Abteilung des Ministeriums und ist somit ein Biopionier auf höchster politischer Ebene. Für das Studium an der Universität für Bodenkultur verließ Josef Riegler seine steirische Heimat, die Bergbauerngegend um Judenburg. Nach dem erfolgreichen Abschluss 1965 unterrichtete er als Landwirtschaftslehrer an den Fachschulen Grottenhof-Hardt und Silberberg. 1971 wurde er zum Direktor der landwirtschaftlichen Fachschule Stainz in der Weststeiermark bestellt. Schon damals stellte sich Frage, welchen Weg man in Österreich agrarpolitisch gehen solle, welche Zukunftsperspektiven man den angehenden Bauern eröffnen konnte. Sicco Mansholt propagierte seit 1968 in der Europäischen Gemeinschaft sein Konzept der Modernisierung, d.h. Technisierung, Spezialisierung und Rationalisierung der Landwirtschaft, die auf eine Konzentration der Agroindustrie in Gunstlagen abzielte. – Dem gegenüber standen im Frühjahr 1972 die aufrüttelnden Prognosen des 1. Berichts des Club of Rome: Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht. Dies würde dann zu gravierenden, existentiellen Zusammenbrüchen der Lebensgrundlagen und des menschlichen Lebens führen, es könne aber auch noch gegengesteuert werden. Als Josef Riegler Direktor des Steirischen Bauernbundes wurde, organisierte er bereits 1973 eine große Konferenz zum Thema Landwirtschaft und Umweltschutz, was erste kontroversielle Diskussionen auslöste. 1977 musste er miterleben, wie bei einer großen öffentlichen Veranstaltung der Biobauern in der Fachschule Haidegg bei Graz die unterschiedlichen Auffassungen über agrarische Zukunftsszenarien noch vehementer aufeinander prallten. Es kam zu regelrechten Verbalattacken. Riegler selbst bemühte sich in der Folge immer mehr um eine ganzheitliche Sicht der Landwirtschaft und ihre vielschichtigen Josef Riegler

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Funktionen, die über die reine Nahrungsmittel- und Rohstoffproduktion hinausgehen. Er machte sich auch alsbald auf der gesamtösterreichischen politischen Ebene mit seinen Überlegungen bemerkbar, thematisierte Grundsatzfragen und bot Lösungsstrategien an. 1975 wurde Josef Riegler in den Nationalrat gewählt und war in der Zeit von 1976 bis 1983 als Agrarsprecher der erste Repräsentant der ÖVP-Fraktion für Themen der Landwirtschaft. Für seine Einstiegs-Pressekonferenz griff er die Inhalte des brandaktuell verfassten Villacher Manifests – „Der ländliche Raum Lebensgrundlage der Industriegesellschaft“ – Autor Bernd Lötsch - des Österreichischen Naturschutzbundes auf. Darin wird eine den österreichischen Verhältnissen angemessene landwirtschaftliche Praxis (Natur schonende Bewirtschaftung, biologischer Landbau, klein strukturierte Landwirtschaftsbetriebe, behutsame Gestaltung der Kulturlandschaft auch in den Gebirgsregionen) den EG-Vorgaben für einen tief greifenden Strukturwandel gegenübergestellt. Riegler musste zur Kenntnis nehmen, dass die Medien fürs erste diese Thematik ignorierten, was aber seinen Kurs nicht änderte. Massive Unterstützung bekam er indes durch die Österreichische Gesellschaft für Land- und Forstwirtschaftspolitik unter deren Geschäftsführer Ernst Scheiber. Immer wieder präsentierten sie Themen in der Öffentlichkeit, etwa den Bereich „Energie aus nachwachsenden Rohstoffen“, den man von gegnerischer Seite als „Schnapsidee“ abqualifizierte. Das war im Jahr 1979, offenbar zu früh für ein breites Verständnis. 1978 konnte nach schwierigen Verhandlungen über die agrarischen Marktordnungsgesetze eine entscheidende Weichenstellung in Form von Bestandesbegrenzungen für Schweine und Geflügel in der Tierhaltung erwirkt werden. Ebenso wurden Richtmengen als Mengenbegrenzung in der Milchproduktion sowie eine Düngemittelabgabe als „Produktionsbremse“ und Finanzierungsinstrument für Getreideexporte eingeführt. Der Zwang zur 2/3-Mehrheit bei den Marktordnungsgesetzen schuf eine „gleiche Augenhöhe“ zwischen Landwirtschaftsminister DI Günter Haiden und Agrarsprecher Riegler. Im selben Zeitraum – Ende der 1970er Jahre – wurde es auch in der Bioszene in Österreich virulenter. Aufgegriffen wurde das Thema vom Film-Team Helmut Voitl/Elisabeth Guggenberger, die auch in der Steiermark für ihre TV-Sendung Dreharbeiten machten. In diesem Kontext wurde Franz Kappel ein wichtiger öffentlicher Vertreter des Biolandbaues. Dank des Verständnisses von Kammeramtsdirektor Heinz Kopetz und Kammerpräsident Simon Koiner konnte Franz Kappel ab 1. 1. 1980 in der Steirischen Landeslandwirtschaftskammer als Berater für Biolandbau seine Arbeit aufnehmen. Dies war ein beachtlicher Schritt und ein klares Zeichen innerhalb der bäuerlichen Interessensvertretung und war einmalig in Österreich. Ab 1980 war Josef Riegler nicht mehr Direktor des Steirischen Bauernbundes, sondern fungierte bis 1983 als Direktor des Österreichischen Bauernbundes und – wie schon bei seiner Bestellung zum Agrarsprecher – hatte er gleich zu Beginn etwas ins Auge gefasst: „Meine Eigenheit war immer: Wenn ich eine neue Funktion übernommen habe, habe ich versucht, eine Mehrjahreskonzeption zurechtzulegen – nicht nur schnell aufzufallen, sondern ein inhaltliches Programm zu machen. Anfang 1981 war mein Projekt ‚Lebenschancen im ländlichen Raum’. Eine sehr breit aufgestellte geistige Mobilisierung war das. Es ging darin von Finanzausgleich über Bildung und Kultur bis hin zu allen Themen, die mit Landwirtschaft

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4. Biografieteil

zu tun haben, bis zur Entwicklungshilfe sogar.“ In der 1982 erschienenen Publikation dazu finden sich Inhaltsschwerpunkte wie Umweltschutz, Forschung, Grenzlandpolitik, Bäuerinnen und bäuerliche Familie, Nebenerwerbsbauern u.a. In seiner nächsten beruflichen Etappe, als Umweltlandesrat der Steiermärkischen Landesregierung in den Jahren 1984 bis 1987, konnte und musste Riegler sein Augenmerk auf drängende Fragen der Ökologie richten. Auf der einen Seite wurden in Zusammenarbeit mit lokalen Industriefirmen und Gemeinden schönste Erfolge erzielt: Mur und Raab wurden wieder saubere Flüsse, die Wassergüte konnte von Stufe 4 auf Stufe 2 verbessert werden. Es gab auch Abb. 95: Aufsehen erregte diese Schautafel auf der Einzelfälle besonderer Art: „Eines Tages, das Grünen Woche Berlin und auf der Rieder Messe war etwa 1984, kam ein sehr alternativ aus1989, die mittels eines beweglichen Räderwerkes sehender Mann namens Peter Kopeinig, ein Fruchtfolgen „berechnete“. gebürtiger Kärntner Lehrer in Gleisdorf, ein Aussteigertyp. Er hatte die Idee, ein Projekt zu starten, bei dem es um die Bodengesundheit geht. Kopeinig meinte, die jungen Bauern sitzen auf ihren riesigen Traktoren und haben keine Verbindung mehr mit dem Boden unter ihnen, sie kennen ihre Existenzgrundlage nicht mehr. Die Initiative STIFÖL – Steirische Initiative für ökologischen Landbau – hatte er auf seinen kleinen Bauernhof schon eingerichtet. Es war mir möglich, im Zusammenwirken mit Kammeramtsdirektor Dr. Heinz Kopetz als dem offiziellen Interessensvertreter und dem Verantwortlichen für das Schulwesen DI Hermann Schaller, eine Seminarreihe zu starten, wo man den Bauern gezeigt hat, wieder auf ihren Boden zu schauen, mit Spatenprobe usw.“ – Der Gedanke der Bodenfruchtbarkeit im Zusammenhang mit ökologischen Grundsätzen wurde in dieser Zeit auch verstärkt in den Landesversuchsanlagen in der Steiermark aufgegriffen. Und Riegler selbst wurde einmal zu einem frappierenden Vergleich von Bodenqualitäten eingeladen. Es ging um zwei benachbarte Maisfelder. Das nach konventioneller Methode bearbeitete bot den Eindruck eines wie Beton verdichteten Bodens, wohingegen das biologisch bewirtschaftete Feld daneben eine Kleeuntersaat hatte, fein durchwurzelt war und lockeren, lebendigen Boden aufwies. Auf der anderen Seite prallten seine Umweltschutzanliegen, etwa unverzichtbare Sanierungsmaßnahmen, mit den betriebswirtschaftlichen Interessen großer Industrieunternehmen und der Energiewirtschaft aufs Heftigste zusammen. Diese Diskrepanzen wurden zur Herausforderung, deren Lösung später Ökosoziale Marktwirtschaft heißen sollte. „Versöhnung mit der Natur“ war Headline eines Plakates im steirischen Landtagswahlkampf Josef Riegler

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Mitte der 80er. Geistige Grundlage dafür war das „Weiß-Grüne-Manifest“, welches Riegler als Umweltlandesrat mit einer Reihe von jungen Wissenschaftlern und Engagierten der Ökobewegung entwickelt hatte. In seiner Antrittsrede als Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft im Jänner 1987 formulierte Josef Riegler bereits die Grundpfeiler seines Modells, das eine Balance schaffen will zwischen Ökonomie (Leistungsfähigkeit der bäuerlichen Betriebe) – Ökologie (Verantwortung der Industrie aber auch der Land- und Forstwirtschaft selbst in Umweltfragen) und dem Sozialen (Fairness gegenüber kleineren Betrieben bzw. Ungunstlagen). In einem engen Team wurde auf dieses Ziel hin ein Konzept ausgearbeitet und der Begriff „Ökosoziale Agrarpolitik“ geprägt. Maßgeblich beteiligt waren dabei Dr. Walter Labuda, Mag. Wilhelm Molterer, Dr. Ernst Strasser und Claus Reitan als Referenten im Ministerbüro sowie als unverzichtbare Wegbegleiter Dkfm. Ernst Scheiber, Dr. Heinz Kopetz und Mag. Helmut Eiselsberg. Später kam noch der Biotechnologe Univ. Prof. Dr. Anton Moser dazu. Aus der Beamtenschaft des Ministeriums sind weiters Dr. Walter Klasz und Dr. Gerhard Poschacher als „Ideenbringer“ besonders zu erwähnen. In dieser ersten Aufbruchstimmung wurden schlagwortartig drei Leitmotive geschmiedet: • Lasst uns den Markt die Umwelt schützen. • Die Preise müssen die Wahrheit sagen. • Je früher wir beginnen, umso eher gelingt ein nachhaltiger Kurs. Einige Neuerungen des Ministeriums sind aus Sicht des biologischen Landbaues besonders hervorzuheben. Nach nur zwei Monaten wurde der AbHof-Verkauf von Milch legalisiert. Das bis dahin bestehende Verbot war ein enormes Risiko für die Biobauern, denn sie mussten den Verlust ihres kompletten Milchlieferrechtes befürchten, also existentielle wirtschaftliche Einbussen, wenn sie ihre Milch direkt an Kunden abgaben. Auf einer anderen Ebene unterstützte das Ministerium den Ab-Hof-Verkauf, indem es sich an der Herausgabe der 6. Auflage des „Bio-Wegweisers“, einer begehrten Liste von Biobauern in allen Bundesländer beteiligte. Die ORF-Konsumentenredaktion unter Wolfgang Hingst diese Idee entwickelt und mit einfachen Mitteln (ursprünglich getippte und kopierte Listen) an Interessenten gratis verschickt. Minister Josef Riegler befand auch die Österreichische Düngerberatungsstelle als in seiner auf Ökologie ausgerichteten Agrarpolitik nicht mehr Ziel führend und löste sie noch 1987 auf. Ergänzend zu der bereits 1978 eingeführten Düngemittelabgabe wurde auch eine Saatmaisabgabe eingeführt, was Riegler den Zorn vieler Bauern im „steirischen Maisgürtel“ bescherte. Nach dem EU-Beitritt 1995 mussten alle Mengenbegrenzungen und „Mengenbremsen“ – wie etwa die Düngemittelabgabe – abgeschafft werden. Sehr wohl konnten Einzelinitiativen ministerielles Gehör finden, wenn sie in die ökologisch richtige Richtung wiesen. Das zeigte das Projekt von Hermann Schultes, Initiator und Obmann des im Jänner 1987 gegründeten Distelvereines, der im Gebiet des Marchfeldes beheimatet war. Riegler lobt diesen Ansatz: „Es war ein ernster Versuch, Ökologie in die Landwirtschaft zurückzuholen. Das Marchfeld war die erste österreichische Kulturlandschaft, die man komplett ausgeräumt hatte. In dieser Gegend die Feldraine neben den Windschutzgürteln

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4. Biografieteil

bewusst wieder als Biotop zu nützen – das war ein Punkt, den wir auch in unsere Förderungsaktivitäten hereingenommen haben. Später ist daraus das Ökowert-Punktesystem entstanden.“ Genau genommen waren alle ökologischen Akzente in dieser Zeit Einzelinitiativen von Personen oder Gruppen. Die Zahl der Biobauern belief sich damals, zweite Hälfte der 1980er Jahre, auf 600 Biobetriebe von insgesamt 300.000 landwirtschaftlichen Betrieben in Österreich. Kein Wunder, dass man sie aus ministerieller Sicht eher als „Sekte“ empfand, die ihr neues Credo mit der Zähigkeit der Überzeugung verfocht. Demgegenüber galt es auch gravierende Probleme zu bewältigen, die die Gesamtheit der Bauern betraf. Da mussten etwa die Exporte von Abb. 96: Zahlreiche Schautafeln erläuterten die ProRindern, Rindfleisch und Milchprodukbleme und die Ziele. Ing. Stefan Ibeschitz arbeitete ten in die Europäische Gemeinschaft am Kapitel über Alternativen in der Pflanzenproduk(EG) auf eine solide Basis gestellt werden, tion (Raps, Sonnenblumen, Sojabohnen, Körnererbsen, Ackerbohnen, Kleinalternativen) mit. Aus: diese waren bislang nicht offiziell ausgeFörderungsdienst 10s/89 handelt, sondern vielmehr mit „Subventionstricks“ von österreichischer Seite ermöglicht worden. Ganz dringend musste die ungebremst steigende Überproduktion in mehreren Sparten eingedämmt werden, denn längst verschlangen die Exportstützungen für Getreide, Milch und Rinder unverantwortlich hohe Summen an Steuer- und Bauerngeldern. Dem wurde nun mit Förderungen von pflanzlichen Produktionsalternativen gegengesteuert – Raps, Sonnenblumen, Soja statt permanenter Weizenanbau, Verstärkung von Fruchtfolgen und die Einführung von Ökoflächen (die Jahre später im ÖPUL weiter ausgebaut und definiert wurden: Raine, Hecken, Baumreihen, Streuobstwiesen, Ufergehölze, Brachen, Flächen zum Schutz von Wildkräutern u. a.). Weiters wurde im Budget 1987/88 erstmals ein Betrag zur Förderung der Biobauernverbände eingeplant. Wenn auch zunächst mit kleinen Summen, so wurde doch ihre Arbeit erleichtert. Wichtiger war das Signal: Erstmals in Europa wurde der biologische Landbau von der offiziellen Agrarpolitik anerkannt und unterstützt. Dazu musste aber erst Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit im eigenen Haus geleistet werden, um den neuen Kurs in die Köpfe und Gemüter der Mitarbeiter zu bringen. Denn sie waren seit Jahren und Jahrzehnten darauf getrimmt, die Produktionssteigerung mit allen Mitteln voranzutreiben. Josef Riegler nennt namentlich Sektionschef Dr. Walter Klasz, der nun den Auftrag hatte, die Beratung neu zu strukturieren und die aktuell geforderten Josef Riegler

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Inhalte einzubauen und auch finanzielle Anreize zu bieten. Dazu muss man wissen, dass Josef Riegler vor allem aus der Zeit als Umweltlandesrat für sich erkannt hat, dass man das, was man ökologisch erreichen will, wirtschaftlich attraktiv machen muss. Das Ergebnis war erstaunlich, sagt Josef Riegler: „Zwischen 1987 und 1989 sind wir in den Erwartungen immer übertroffen worden, von der Geschwindigkeit, mit der Bauern Neuerungen aufgegriffen haben. Der entscheidende Schlüssel liegt darin: Die Einkommenskomponente, also Erzeugerpreis plus Prämienausgleichszahlungen, muss stimmen und die Sicherheit des Absatzes muss gegeben sein. Wenn also die Option durch eine Veränderung attraktiver ist als die derzeitige Situation, dann sind die Bauern sehr flexibel. Das hat mich immer wieder Abb. 97: Auf dem Kongreß „AGRO 90 Der ökosoziüberrascht, wie schnell Bauern auf neue Sigale Weg in der Praxis“ 14. November 1988, Bundesnale reagieren.“ minister Josef Riegler und SL MR Walter Klasz: „Der technokratische Kurs in der EG muss nicht als Schicksal Und noch ein ganz anders Zukunftshingenommen werden.“ Aus: Förderungsdienst 10s/89 szenario lauerte über der österreichischen Landwirtschaft und musste vorgedacht werden: In der Vranitzky-Mock-Regierung ab 1987 wurde der EU-Beitritt verstärkt überlegt, was für Landwirtschaftsminister Josef Riegler für sein Ressort eine prekäre Situation bedeutete. Er wollte sich absichern: „Ich habe den Agrarexperten des Instituts für Wirtschaftsforschung, Dr. Matthias Schneider, beauftragt, eine Studie zu erstellen, was die Übernahme der Gemeinsamen Agrarpolitik für die österreichische Bauernschaft bedeutet. Ich hab diese Studie im November 1988 präsentiert. Schneider hat damals errechnet, dass für die österreichische Landwirtschaft ein Verlust von 3,8 Milliarden Schilling eintreten würde, wenn wir uns in der EU befinden. Darüber war Bundeskanzler Vranitzky ziemlich böse.“ Die Erinnerung an diese Szene in „grauer Vergangenheit“ entlockt Riegler ein kurzes, entspanntes Lachen. „Diese Zahl ist ständig valorisiert worden, die Summe ist immer größer geworden. Das war dann die Verhandlungsbasis für die Maßnahmen zum EU-Beitritt 1995. Es gab dann die degressiven Ausgleichszahlungen, d.h. die EU war bereit, einen relativ hohen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, um den ‚Sprung ins kalte Wasser‘ zu mildern. Andererseits war es innerösterreichisch auch die Grundlage für das ÖPUL und die Bergbauern-Ausgleichszahlungen.“ Indes ging Josef Riegler seinen Ökosozialen Weg als Landwirtschaftsminister ungeachtet der EG-Grenzen weiter und trug seine Idee hinaus in andere Länder. Er referierte u. a. an der Wirtschaftshochschule St. Gallen, vor der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft in Stockholm, beim Agrarsalon in Paris, vor der Deutschen Gesellschaft für Umweltschutz

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4. Biografieteil

(Bonn) sowie vor dem Europarat in Straßburg. Unbedingt zu erwähnen sind dabei auch der Kongress AGRO 90 „Der ökosoziale Weg in der Praxis“ Mitte November 1988 und die Präsentation der Ökosozialen Agrarpolitik auf der Berliner Grünen Messe 1989. Anhand zahlreicher Schautafeln – entwickelt unter der „Regie“ von Mag. Helmut Eiselsberg – wurde die Bedeutung einer ökologisch orientierten Landwirtschaft aufgezeigt, wobei vor allem die „Weltmaschine“ Aufsehen erregte: Durch eine mechanisch bewegliche Vorrichtung wurde die Logik verschiedener gelungener Fruchtfolgen vor Augen geführt. Und dann war da noch etwas Organisatorisches, das Josef Riegler zu Jahresbeginn 1989 entschied, die Gründung einer neuen Abteilung. Nachdem sie den Namen „Biologischer Landbau“ erhielt, muss man dieses Ereignis wohl als den Big Bang der Biobewegung bezeichnen, nämlich ihre offizielle Existenzberechtigung. Auch wenn der Initiator selbst es pragmatischer sieht: „Für mich war Biolandbau nicht das alleinige Thema. Ich wollte eine breite Unterstützung der ökologischen Ausrichtung in der Landwirtschaft. In meinem Verständnis ist allerdings der biologische Landbau die Speerspitze in dieser Orientierung. Daher musste es eine eigene Abteilung sein, die sich auf diesen Bereich konzentrieren kann. Sonst ist es ein sechstes Rad am Wagen, das war mir klar.“ Für Josef Riegler waren es eigentlich nur drei kurze Jahre als Landwirtschaftsminister, in denen er den Paradigmenwechsel vollzog. Der Durchbruch für die „Ökosoziale Marktwirtschaft“ gelang ihm nach seiner Wahl zum Bundesparteiobmann der ÖVP im Mai 1989. Ende November gleichen Jahres lag das erste komplett ausformulierte Konzept der Ökosozialen Marktwirtschaft zur Beschlussfassung am Parteitag vor – und wurde angenommen. Nachdem er im Jahr 1991 aus der Parteipolitik ausschied, bildete Josef Riegler nach entsprechenden Vorarbeiten im Juni 1992 gemeinsam mit Ernst Scheiber aus der Österreichischen Gesellschaft für Land- und Forstwirtschaftspolitik das „Ökosoziale Forum Österreich“, dessen Ehrenpräsident Vizekanzler a. D. DI Josef Riegler inzwischen ist. Neben dem nunmehrigen Präsident Dr. Franz Fischler, der sich als erster österreichischer Agrarkommissär nach dem EU-Beitritt ins Gedächtnis eingeschrieben hat, ist Mag. Klemens Riegler als Geschäftsführer ein engagierter Vertreter und Verbreiter der Ideen seines Vaters. Dieser ist aber selbst auch noch höchst aktiv und schildert nicht ohne Ironie die letzten Entwicklungen: „Ab 1995 war es mein starkes Bestreben, Einfluss zu nehmen auf den Weg der europäischen Politik. Wir sind als kleines Ökosoziales Forum wie David gegen Goliath gegen den Mainstream der europäischen Entwicklung angetreten. Dabei hatten wir mit Franz Fischler und auch durch Willi Molterer als Landwirtschaftsminister eine wertvolle Unterstützung. Jedenfalls bin ich stolz darauf, dass der Agrarministerrat 1997 das „Europäische Modell der Landwirtschaft“ dahingehend definiert hat, dass es ‚multifunktional, nachhaltig, flächendeckend ist, Naturschutz, Umweltschutz, Tierschutz berücksichtigt und Sicherheit und Qualität für Konsumenten bietet‘ – also das Programm des Ökosozialen Forums widerspiegelt. – Einziger Kompromiss war ‚wettbewerbsfähig‘.“ Das ist allerdings ein mächtiger Gegenspieler, der schon so manchen ökologischen Aspekt zu Fall brachte. Doch der nächste große Sprung bahnte sich an. Das Projekt Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft mit Prof. Franz Josef Radermacher läuft seit dem Jahr 2003. Josef Riegler

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So ist es inzwischen ein ständiger Prozess des Säens und Erntens – und wieder neu Aussäen. Auf diese Weise lebt Josef Riegler auch gemäß seiner tiefen Prägung und Motivation durch die Christliche Soziallehre, deren vier Grundprinzipien er für das 21. Jahrhundert adaptiert wissen will. 1. Personalität, d.h. der Respekt vor der Würde des (anderen) Menschen, was aber auch beinhaltet, dass jeder an sich arbeitet. 2. Solidarität, d. h. die gegenseitige Unterstützung der Gemeinschaft (Familie, Staat, globale Ebene) gegenüber dem Einzelnen, dieser wiederum ist gefordert, sich zum Gemeinwohl in der Gesellschaft einzubringen. 3. Subsidiarität – Soweit jeder Mensch in der Lage ist, soll er sein Leben selbst realisieren, wo es notwendig ist, sollen größere, übergeordnete Strukturen regelnde bzw. unterstützende Funktion übernehmen. Schließlich 4. Schöpfungsverantwortung – Bei einer Erdbevölkerung, die auf die sieben Milliarden Menschen zusteuert, wobei dies eine Errungenschaft des abendländischen Denkens ist, sieht Josef Riegler es als dringende Notwendigkeit, dass ein Bewusstseinswandel in der Menschheit als Ganzes stattfinden muss, wenn wir überlebensfähig bleiben wollen. – Und da ist er wieder ganz Politiker, stellt an die Politik – auch an sich selbst - die Forderung, diese Brisanz den Menschen nahe zu bringen: „Es ist jeder vor seinem Gewissen gefordert, wenn er kann, etwas beizutragen, dass das der nächsten und übernächsten Generation erspart bleibt, was bereits im 1. Bericht des Club of Rome vorgezeichnet wurde, wenn wir den Kurs so weiterfahren!“

Abb. 98:

266 I

4. Biografieteil

Zeittafel

Diese Übersicht gibt einige wesentliche Ereignisdaten wider, die in Beziehung mit der Biobewegung stehen, also sowohl die Entwicklungen innerhalb der Bioszene als auch externe Vorkommnisse, die den Biolandbau flankierten, unterstützten, vorantrieben. Dazwischen sind die Umstellungsdaten der im Buch geschilderten Einzelbiografien eingeflochten (B_xy). Es sei noch einmal darauf hingewiesen und um Verständnis gebeten, dass es sich natürlich um eine Auswahl handelt, die getroffen werden musste, nichtsdestoweniger authentische Anhaltspunkte für die Gesamtsituation bieten soll. 1924

1927

1928 1932

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1941 Nach 1945

Dr. Rudolf Steiners Vortragsreihe „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“ in Koberwitz, Basis für die biologischdynamische Wirtschaftsweise. Der „Versuchsring anthroposophischer Landwirte“ erprobt umgehend die Angaben in der landwirtschaftlichen Praxis. – Salzburg: Dr. Hans Müller, später der Begründer der organisch-biologischen Wirtschaftweise (in Zusammenarbeit mit Dr. Hans Peter Rusch), gibt Anleitungen zur Süßmosterzeugung. Die Landwirtschaftslehrerin Minna Schnürer ist unter den Zuhörern. Die „Verwertungsgenossenschaft für Produkte der Biologisch-Dynamischen Wirtschaftsmethode“ wird in Deutschland gegründet. B_Wurzerhof (K) wird bio-dyn-Betrieb. wird das Demeter-Warenzeichen eingeführt. Dr. Hans Müller und Maria Müller begründen eine private Bäuerinnenschule und ein Bildungszentrum für Bauern auf dem Möschberg (Kanton Bern). Lili Kolisko und Ehrenfried Pfeiffer entwickeln die Kupferchlorid-Kristallisation als bildschaffende Methode zur Qualitätserfassung von Lebensmitteln. – Landwirtschaftskammer Berlin und Brandenburg: Positive Ergebnisse der ersten Versuche mit biologisch-dynamischen Präparaten. werden bereits 1000 Höfe (überwiegend in Deutschland) biologisch-dynamisch bewirtschaftet. Gut Farrach in Maria Rojach im Lavanttal, Kärnten. Wilhelm Rath erwirbt den Hof, den er biologisch-dynamisch bewirtschaftet. Sein Sohn Marianus Rath (1933 – 2005) begründet eine Demeterbewegung in Österreich. Verbot aller Demeter-Organisationen und der Monatsschrift „Demeter“ in Deutschland durch die NSDAP. Initiativkreis zur Förderung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft Zeittafel

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1946 1951

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durch das Ehepaar Röthy. Es entstehen einige bio-dyn Betriebe in Österreich, die von Dipl.Landwirt Georg Merckens von Deutschland aus betreut werden. Gründung des Forschungsringes für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Darmstadt als Nachfolgeorganisation des Versuchsringes. Dr. Hans Müller gewinnt Dr. Hans Peter Rusch zur Zusammenarbeit. Die organisch-biologische Wirtschaftsweise wird wissenschaftlich fundiert ausgearbeitet. B_Wagner (OÖ) Umstellung des Linzer Gartenamtes auf biologische Bewirtschaftung. Gründung der Österreichischen Düngerberatungsstelle. Einführung von Düngersubventionen, um den Verbrauch an mineralischen Pflanzennährstoffen, der hinter anderen Ländern stark nachhinkt, zu steigern – Dezember: Vortrag Are Waerlands in Salzburg. konstituiert sich in Deutschland der Demeter-Bund. Vier Jahre später folgt die „Arbeitsgemeinschaft für Verarbeitung und Vertrieb von Demeter-Erzeugnissen“ (AVV). Gründung des ersten österreichischen Waerlandvereines in Graz. Gründung des „Verein zur Forschung und Förderung biologischer Heilverfahren und einer gesunden Lebensweise“ in Salzburg. 1960: Umbenennung auf „Verein natürlichen Lebens“ (Sitz: St. Veith an der Glan, Leitung: Ignaz Schlifni, Mitarbeit: Annemarie Lorbeer, Klagenfurt. Seit 1982: VNL-Zentrale in Wörgl. – Das Buch „Der Tanz mit dem Teufel“ von Günther Schwab erscheint. Die „Förderungsgemeinschaft für bäuerliches Siedlungswesen“ wird in Oberösterreich gegründet. Ab 1965: „Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum“. Günther Schwab gründet den „Weltbund zum Schutze des Lebens“ (WSL) in Salzburg. Vereinszeitschrift wird „Lebensschutz“, die er seit 1949 publiziert. – Beginn der „Grünen Revolution“ – massiver Einsatz von Agrartechnik im Hinblick auf weltweite Ernährungssicherheit. – „Verein natürlichen Lebens“ übersiedelt von Salzburg nach St. Veith an der Glan. Minna Schnürer stellt den Kontakt zwischen der Förderungsgemeinschaft und Dr. Müller her. Später jährlich regelmäßig ein Vortrag Müllers im Gasthof Höllbräu in Salzburg. – Vortrag von Dr. Hans Peter Rusch in Graz im Waerlandverein. B_Ganitzer (S) stellt seinen Pachtgarten auf organisch-biologisch um. B_Steinhauser (S/NÖ) Die Landwirtschaftslehrerin setzt sich für Biolandbau ein. B_Franz Kappel (St.) Grazer Waerlandisten drängen zur Umstellung auf Biolandbau.

Zeittafel

1963

1964 1966

1968

1969 1970

Vortragsreise von Dr. Hans Peter Rusch über die Ordnung des Lebendigen in Wien, Graz, Klagenfurt, Salzburg, Linz. – Maria Thun veröffentlicht erstmals ihren Aussaatkalender, der seither jedes Jahr erscheint. B_Haitzmann (S) Saalfeldner Waerland-Anhänger brachte Dr. Müller auf den Hof, worauf Michael Haitzmann umstellt. B_Eiböck (S) Umstellung des Hofes in Leogang auf organisch-biologischen Landbau. B_Forsthuber (S) Ein Urlaubsgast gibt Hinweise zur bio-dyn Landwirtschaft und zum Steinmehl. B_Froschhauser (St.) Umstellung auf organisch-biologische Wirtschaftsweise, gehört zur St. Mareiner Gruppe. Sicco Mansholt legt seinen Plan zur gemeinsamen Agrarpolitik in der EU vor, die einen radikalen Strukturwandel beinhaltet. B_Schuster (NÖ) Schwere Erkrankung in der Familie ist der Anlass zum Umdenken, Biolandbau und Baubiologie als Ausweg. B_Brandner (OÖ) Tierkrankheiten zwingen zur Umstellung auf Biolandbau. Gründung des Österreichischen Demeterbundes. Obmann: Marianus Rath. B_Steindl (B) Erster Biowinzer des Burgenlandes in Purbach. B_Wach (T) Umstellung des Hofes in Arzl, nahe Innsbruck, erster Landesobmann im Biobauernverband. B_Kappel Josef (St.) In Wuschan folgt die Umstellung des Hofes auf Anraten des Bruders Franz Kappel (vgl. 1962). Statistik: 342.169 landwirtschaftliche Betriebe in Östereich *)

1971

B_Prasser (K) Nach einem Kurs auf dem Möschberg abrupte Umstellung. B_Plakolm (OÖ) Durch die Praxis bei Fritz Dähler (CH) wird die Begeisterung für Biolandbau geweckt. Diese kommt 1976 an der BOKU Wien im wissenschaftlichen Bereich zum Tragen. B_Vetter (V) Erste Kenntnisse von über bio-dyn Landwirtschaft werden umgesetzt. 1972 Anfang April: Baubeginn des Atomkraftwerkes in Zwentendorf. Im November 1978 wird die Inbetriebnahme durch eine Volksabstimmung abgelehnt. – Veröffentlichung der Studie des Club of Rome: Die Grenzen des Wachstums (engl. Originaltitel: The Limits to Growth) – Erstmals gibt es ein Umweltministerium in Österreich. 1972–87 Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz 1987–94 Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie 1995–96 Bundesministerium für Umwelt 1996–2000 wieder Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie seit 2000 Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Landwirtschaftsministerium, „Lebensministerium“) Zeittafel

I 269

B_Löschenkohl (K) Orientiert sich schon während der Fachschulzeit insgeheim am Biolandbau. B_Conrad (St.) Zwei benachbarte Demeterbetriebe im Murtal entwickeln sich. Erste, folgenreichste Ölkrise und Ölpreisschock, allgemeine Energiekrise. Ernst Friedrich Schumacher: Small is Beautiful. Economics As If People Mattered (Deutsch ab 1977) B_Prenninger (S) Gut Erentrudishof vom Stift Nonnberg wird organischbiologisch. B_Fill (T/V) Die Landwirtschaftliche Fachschule in Hohenems bekommt Unterrichtseinheiten zur biologischen Landwirtschaft. Wintertagung im Audi Max – biologischer Landbau wird öffentlich diskutiert. – Gründung der Österreichischen Bergbauern Vereinigung (ÖBV) / Via Campesina Austria B_Willi (T) Überzeugt sich als Leiter der Ausbildungsstelle der Tiroler Landeslandwirtschaftskammer von der Effizienz des Biolandbaues. B_Stelzl (St.) Umstellung auf Biolandbau auf 1.200 m Seehöhe.

1973

1974

Statistik: Schätzungsweise 30 – 35 bekannte Biobauern in Österreich. ab 1975

1970/80 1976

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Zehnteilige Lehrbrief-Reihe zum biologischen Landbau, Hrg. Josef Willi (T) B_Beilschmidt (B) Umstellung auf biologischen Weinbau in Rust. B_Brader (NÖ) Persönliche schwere Krankheit führt zur Umstellung auf organisch-biologische Landwirtschaft in St. Leonhard/Forst. B_Heissenberger (NÖ) Beginn der intensiven Einsatzes für Biolandbau, auf dem eigenen Hof, später als Landesobmann und in der Landwirtschaftskammer Niederösterreich. B_Riser (T) Umstellung des Betriebes mit Direktvermarktung in Obsteig. Waldsterben und Saurer Regen als Umweltthemen. Juli, Seveso-Unglück: Bei ICMESA, Tochter des Chemiekonzerns Hoffmann-La Roche, entweicht hochgiftiges Dioxin, TCDD (2,3,7,8-Tetrachlor-p-Dibenzo-Dioxin): 640 Menschen leiden akut an Chlorakne und Hautverätzungen, 3.300 Tieren verenden, bis 1978 werden 77.000 Tiere notgeschlachtet, Rund 200.000 Kubikmeter dioxinverseuchter Erde (46 Hektar) wurden in einem Sonderlager deponiert. – Gründung des Dachverbands für ökologische Lebenssicherung und zukunftsorientierte Umwelt (Graz). Präsident: Prof. Gerhardt Preuschen, Mitarbeit: Renate Gortner. – 8. bis 10. Oktober: Auf der Tagung des Österreichischen Naturschutzbundes wird das „Villacher Manifest“ (ländlicher Raum als Lebensgrundlage für die Industriegesellschaft) von Dr. Bernd Lötsch und DI Werner Gamerith bekannt gegeben. – 12. und 13. November: Erste Tagung zum Thema bio-

Zeittafel

1977

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1979

1980

logische Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur „Was der Regenwurm kann und was er nicht kann“, veranstaltet von Gerhard Plakolm. B_Kainberger (OÖ) Krankheitsfall in der Familie regte zum Umdenken an, Umstellung auf organisch-biologische Landwirtschaft; Hans Kainberger ist erster Landesobmann des Biobauernverbandes. B_Zöchling (B) Aus eigener Überzeugung nach Krankheitsfall Verbreitung von Informationen zum Biolandbau. B_Ertl (K) Über den Biolandbau zur Lebensleistungszucht gefunden, Spittal/Drau. B_Nagiller (T) Lieber selbst erzeugen als im Reformhaus kaufen – Bioprodukte ab Hof. 4. Oktober: Die beiden TV-Sendungen „Bodenkultur“ und „PlanquadratLändlicher Raum“ über biologischen Landbau werden ausgestrahlt, großes Publikumsecho. Helmut Voitl und Elisabeth Guggenberger waren zuvor auf mehreren Biohöfen für die Dreharbeiten. – SPIEGEL-Titel Nr. 44, 1978: „Vergiften uns die Bauern? Chemie in der Landwirtschaft B_Wimmer(B) Mehrfachpionier und erster Landesobmann im Bioverband. B_Ibeschitz (B) Vertritt innerhalb der Kammer einen Pro-Bio-Kurs. B_Falkinger (OÖ) Erst umstellen, dann als Landesobmann des Bioverbandes den Umweltschutzpreis des Landes Oberösterreich erhalten (1988). B_Gahleitner (OÖ) Vorreiter der Agrarchemie, Alternativer Umstrukturierer, Gründer des Bioverbandes „Erde & Saat“, Züchter von biologischem Saatgut. Buch zur TV-Sendung erscheint, enthält „Produktionsvorschriften für die organisch-biologische Landwirtschaft“ – Gründung des Verbandes organisch-biologisch wirtschaftender Bauern Österreichs, später auch kurz ERNTE-Verband genannt. Gründung des Ludwig Boltzmann Instituts für Biologischen Landbau. – Die Codexkommission (zuständig für das österreichische Lebensmittelgesetz) erhält eine Unterkommission „Bio“. – Erster Berater für Biolandbau in einer Landwirtschaftskammer (Franz Kappel, St.).

Statistik: Schätzungsweise 180 – 200 Biobauern in Österreich. Statistik: 318.085 landwirtschaftliche Betriebe in Östereich *) 1981

24. Juni: Medienwirksame Greenpeace-Aktion beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim, um einen Produktionsstop von HCH (Lindan) und 2,4,5-T (enthalten in Herbiziden) zu bewirken. Bei der Chemie Linz AG wurde noch Jahre später 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure hergestellt. – Olivenöl-Skandal in Spanien (750 Tote) – Erste Markenzeichen für Produkte aus biologischem Landbau. – Referat für Biologischen Landbau an der landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalt/Linz. Zeittafel

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1982

1983

1984

– Freifach „Einführung in die Ökologische Landwirtschaft“ an der BOKU. – Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften Bersta (Berg-Stadt / NÖ) und Müli (Mühlviertel-Linz) richten Geschäfte ein, später auch EVI-Läden (Erzeuger-Verbraucher-Initiativen). Gründung der „ÖBIOGEN“ zur Förderung des Absatzes von Bioprodukten. – ORBI Bauernläden in Linz und Umgebung werden eröffnet. B_Loidl (St.) Stellt als erster Obstbauer auf biologische Landwirtschaft um. B_Amann (V) Kombination von Logotherapie Viktor Frankls und Biobauernhof, Gründung der KOPRA (Konsumenten-Produzenten Arbeitsgemeinschaft) Der Codex Alimentarius Austriacus (Österreichischer Lebensmittelcodex), Kapitel A.8, „Landwirtschaftliche Produkte aus biologischem Landbau und daraus hergestellte Folgeprodukte“ gilt als staatliche Regelung für die biologische Landwirtschaft in Österreich Damit besaß Österreich als erstes Land der Welt Richtlinien für die biologische Landwirtschaft. Ab 1994 traten die EUGesetze für Biolandbau in Kraft. Die Regelungen bezogen sich auf pflanzliche Produkte. – Mackwitz/Köszegi: Zeitbombe Chemie – Strategien zur Entgiftung unserer Welt. Ausweg aus der Krise – der ökologische Landbau (S. 41) Gründung des Dachverbandes ARGE Biolandbau als Zusammenschluss von Wissenschaftern, Händlern, Verarbeitern und Biobauern. – Die Firma „Engelbert Perlinger Naturprodukte“ errichtet zahlreiche Franchise-Filialen in den Bundesländern und bietet biologische Lebensmittel an. – Dezember: Aubesetzung von Hainburg – gegen den Bau eines Staukraftwerkes.

Statistik: Schätzungsweise 300 Biobauern in Österreich. 1986

6. April: Super-Gau im Kernkraftwerk Tschernobyl. – 23. November: Die Grüne Alternative mit Spitzenkandidatin Freda Meissner-Blau schafft erstmals den Einzug in den Nationalrat. – 26. November: die Umweltberatung NÖ nimmt in Amstetten und Zwettl die Arbeit auf. B_Weissenbach Fachlehrer für Biolandbau, eigener Biobetrieb ab 1995, Bio-Markenentwickler (Brot, Fleisch). 1987 Gründung des Bio-Vereins Erde & Saat (OÖ). Gründung des Verein Biolandwirtschaft Ennstal, Gründung des Vereins Organisch-biologischer Landbau – Weinviertel. Gründung des Distelvereins im Marchfeld Öko Soziale Marktwirtschaft als Modell von Landwirtschaftsminister Josef Riegler propagiert. Auflösung der Österreichischen Düngerberatungsstelle. 1988 In Nordseefischen wird hoher Schadstoff-Gehalt festgestellt (Cadmium, Pestizide DDT, Lindan, Dieldrin) B_Schlögl Erster professioneller Bioberater. Projekt „100 Biobauern im Burgenland“.

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Zeittafel

Statistik: Ca. 600 Biobauern in Österreich. 1989

1990 ab 1990

Im Landwirtschaftsministerium wird eine Abteilung für biologischen Landbau geschaffen, Leitung DI Alois Posch. Budget 2 Mio Schilling. – Gründung des Vereins Biolandwirtschaft Ennstal. B_Rittsteuer Ermöglicht als Landesrat das Projekt „100 Biobauern im Burgenland“. Gründung von Dinatur – Verein für fortschrittlich kontrolliert biologische Landwirtschaft. Einzelbetriebliche Umstellungsförderung für Biobetriebe, die in Verbänden organisiert waren, durch das BMLF.

Statistik: Ca. 1.540 Biobauern in Österreich. Statistik: 281.910 landwirtschaftliche Betriebe in Östereich *) 1991

1992

Gründung der KOPRA, Konsumenten-Produzenten-Arbeitsgemeinschaft, (V). – Im österreichischen Lebensmittelbuch werden Richtlinien für landwirtschaftliche Produkte tierischer Herkunft mit dem Bezeichnungselement „biologisch“ geregelt (Teilkapitel B). – Aufgrund der EU-Bio-Verordnung 2092/91 müssen alle Bio-Produkte generell gentechnikfrei sein, das gilt auch für die Futtermittel der Tiere. – BMLF fördert alle Umstellungsbetriebe (auch ohne Mitgliedschaft in einem Bioverband). BMLF startet komplettes Fördermodell für alle Biobauern solange sie kontrolliert biologisch wirtschaften.

Statistik: Ca. 6.000 Biobauern in Österreich. 1993

1994

Die Austria Bio Garantie (ABG) – Gesellschaft zur Kontrolle der Echtheit biologischer Produkte G.m.b.H. – wird als erste Bio-Kontrollstelle Österreichs gegründet. – Gründung der SLK – Salzburger Landwirtschaftliche Kontrolle (auf Betreiben Walter Eiböck) Seit dem Beitritt Österreichs zum EWR am 1.7.1994 gilt die EU-Verordnung 2092/91 „über den biologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel“ (kurz: EU-VO 2092/91) als rechtliche Grundlage und Mindestanforderung für die biologische Landwirtschaft. – Österreichische Lebensmittel-Handelsketten vermarkten Bioprodukte.

Statistik: 13.321 registrierte Biobauern in Österreich.

Zeittafel

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1995

Förderung der Biobetriebe im Rahmen des ÖPUL (Österreichisches Programm zur Förderung einer umweltgerechten Landwirtschaft) – Einrichtung des Ordinariates für Ökologischen Landbau an der BOKU. – Im Lebensmittelkodex-Bio wird der Tiergerechtigkeitsindex (TGI) nach Bartussek verankert. – Landwirtschaftsminister Franz Fischler geht als EUAgrarkommissär nach Brüssel (bis 2004)

Statistik: 15.917 geförderte Biobauern in Österreich (Grüner Bericht) Statistik: 263.522 landwirtschaftliche Betriebe in Östereich *) Mitte/Ende 1990er Jahre Mobilfunk gewinnt rasant an Bedeutung. 1996 – Statistik: 18.542 registrierte Biobauern in Österreich. 1997

Anti-Gentechnik-Bewegung gipfelt in Österreich in einem Volksbegehren.

Statistik: 252.110 landwirtschaftliche Betriebe in Östereich. 1998 – Statistik: 20.316 Biobauern in Österreich. – bio hat ca. 8 % Flächenanteil, somit Spitzenposition im internationalen Vergleich. 2000

2001

2004

Biofleisch-Absatz und Bioprodukt-Export wird ausgebaut. In den Berggebieten vereinzelte Rückumstellungen, doch der Anteil an Ackerbaubetrieben nimmt zu. – Universität für Bodenkultur: Einführung in den ökologischen Landbau (VO) wird Pflichtfach. – BSE-Skandal – Paprika aus Spanien hochgradig belastet mit Fungiziden und Pestiziden. 1. Bio-Aktionsprogramm des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft als konkrete politische Willenserklärung, die Biologische Landwirtschaft und ihre Erzeugnisse zu fördern Gründung von Bio Austria – die Organisation der österreichischen BioBauern, in Zusammenarbeit mit Handel, Verarbeitern, Politikern, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien.

2007 – Statistik: Österreich: 142.401 landwirtschaftliche Betriebe, davon 19.829 Biobetriebe (13,92%) *) 2008

Oktober: der Rat der Agrarminister beauftragt die Europäische Kommission den EU-Bio-Aktionsplan umzusetzen, der 21 Maßnahmen enthält.

*) Grüner Bericht 1999 und 2008

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