Bruder Philipps 'Marienleben' im Norden: Eine Fallstudie zur Überlieferung mittelniederdeutscher Literatur 9783110676402, 9783110676822, 9783110676839, 2019956107

The study examines Brother Philipps’ 'Life of the Virgin Mary', the most extensively transmitted couplet poem

207 19 1MB

German Pages 339 [342] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Bruder Philipps ‚Marienleben‘
2. Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand
3. Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘
4. Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘
5. Maria im Norden – Ergebnisse und Perspektiven
6. Anhang
6.4 Register
Recommend Papers

Bruder Philipps 'Marienleben' im Norden: Eine Fallstudie zur Überlieferung mittelniederdeutscher Literatur
 9783110676402, 9783110676822, 9783110676839, 2019956107

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Christina Ostermann Bruder Philipps ‚Marienleben‘ im Norden

Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte

Band 157

Christina Ostermann

Bruder Philipps ‚Marienleben‘ im Norden Eine Fallstudie zur Überlieferung mittelniederdeutscher Literatur

ISBN 978-3-11-067640-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-067682-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-067683-9 ISSN 0083-4564 Library of Congress Control Number: 2019956107 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2019 von der Sprach- und literaturwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Mein ausgesprochener Dank gilt meinem Betreuer Prof. Dr. Andreas Kraß und meiner Betreuerin Prof. Dr. Henrike Lähnemann: Danke für allerhand Anregungen, Ratschläge, Kritik, unterstütze Forschungsaufenthalte und die Möglichkeit, in Berlin und Oxford Teil der mediävistischen Forschungsgemeinschaft zu sein. Ein besonderer Dank gebührt auch Prof. Dr. Kurt Gärtner. Von unserer regelmäßigen Korrespondenz und den Treffen in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit Prof. Dr. Martin Schubert hat diese Arbeit in unschätzbarem Maße profitiert. Ebenso danke ich Prof. Dr. Nigel Palmer, der mir während meiner Zeit an der University of Oxford ein wichtiger Gesprächspartner wurde. Von unseren Treffen bleibt mir ein Stapel Notizzettel erhalten, der mich aus jeder gedanklichen Sackgasse führen konnte. Das Berliner Doktorandenkolloquium und das Medieval German Graduate Seminar haben mein Projekt von der ersten Idee über die Recherche- und letztlich die Schreibphase begleitet und mir zu jedem Zeitpunkt mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Herzlich gedankt sei daher Dr. Linus Ubl, Dr. Edmund Wareham, Aysha Strachan, Dr. Lea Braun und Pavlina Kulagina. Ohne die enge Zusammenarbeit mit zahlreichen Bibliotheken wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Für die Bereitstellung von Handschriften, Digitalisaten und die Beantwortung jeder noch so speziellen Detailfrage danke ich Dr. Bertram Lesser (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel), Kurt Heydeck und Dr. Falk Eisermann (Staatsbibliothek zu Berlin), Britta Lukow (Stadtbibliothek Lübeck) und Jill Hughes (Taylor Institution Library, University of Oxford). Der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und der University of Chicago Library seien zudem für die freundliche Gewährung großzügiger Stipendien gedankt, die mir Forschungsarbeiten vor Ort ermöglichten. Meine Promotion wurde finanziell und ideell unterstützt von der Studienstiftung des deutschen Volkes. Der Stiftung verdanke ich drei Forschungsjahre voller Freiraum – stellvertretend gedankt sei daher an dieser Stelle Dr. Thomas Ludwig und Claudia Mund. Auch außerhalb der Wissenschaft haben zahlreiche Personen zum Abschluss dieser Arbeit beigetragen. Ich danke Mira Oetzmann und Lisa Wierichs für ihre Freundschaft seit Schultagen; Jonas Harnau und Mark Goodhand für eine unvergessliche Studienzeit in Großbritannien; Laura Benning und Anja Schwarz, die ich in meiner Wahlheimat kennenlernen durfte; Lennard Ostendorf und Familie,

https://doi.org/10.1515/9783110676822-202

VI

Vorwort

die mir ein zweites Zuhause waren; Klara-Marie Peters, die mit mir zu unzähligen Veranstaltungen der Studienstiftung gereist ist; meinen Freunden aus der Neuen Welt, allen voran Magdalena Grazewicz. Danke für gemeinsames Spazieren und Spinnen, Kaffeetrinken und Kochen, Pläne schmieden und Pläne verwerfen. Ihr habt mir gezeigt, wie schön das Promovieren und Leben in Berlin und Oxford ist. Abschließend danke ich Mai-Britt Wiechmann, Amelie Ostermann und Dr. Agnes Ostermann, die mit aller Mühe, viel Energie und in einem beeindruckenden Tempo das Korrektorat übernommen haben. Eure Hilfe auf den letzten Metern dieser Arbeit war für mich unbeschreiblich wertvoll. Auch Dr. Rembert Ostermann sei an dieser Stelle gedankt, der das Korrektorat zwar freundlich dankend ablehnte, aber anfeuernd mit am Zieleinlauf stand. Zu guter Letzt danke ich Dr. Jacob Klingner und Maria Zucker vom De Gruyter Verlag für all ihre Unterstützung – ohne sie würde es dieses Buch nicht geben.

Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.4 2 2.1 2.2 3

Bruder Philipps ‚Marienleben‘ 1 Autor und Werk 3 Die Vorlage: ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘ 7 Das ‚Marienleben‘ als Bearbeitung der ‚Vita‘ 13 Der Aufbau des ‚Marienleben‘ 16 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand 22 Die Forschungsgeschichte 24 Das Handschriftenkorpus 39

Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘ 59 3.1 Materialität: Format, Einband, Beschreibstoff, Textlayout 59 3.1.1 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 937 Helmst. [W] 59 3.1.2 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 894 Helmst. [Wo] 61 3.1.3 Lübeck, Stadtbibliothek, Ms. theol. germ. 4° 23 [Lü] 63 3.1.4 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 760 [Be] 64 3.1.5 Oxford, Taylor Institution Library, MS 8° G.2. [O] 66 3.1.6 Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek, 67 Hs. 1500,25 [Nr. 110] 3.1.7 Privatbesitz Hans Müller-Brauel, Haus Sachsenheim bei Zeven, 68 Nr. 42 [Nr. 35] 3.1.8 Privatbesitz Sigurd Wandel, Kopenhagen, Cod. 29 [Nr. 118] 69 3.1.9 Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 102a [Nr. 115] 69 3.1.10 Textzeugenübergreifende Gemeinsamkeiten 70 3.2 Textgemeinschaften 71 3.2.1 Die niederdeutsche Sammelhandschrift Wo 71 3.2.2 Die Autoritätensammlung in Be 78 3.2.3 Das Predigtfragment in Nr. 35 80 3.2.4 Textzeugenübergreifende Gemeinsamkeiten 82 3.3 Provenienz und Weitergabe 82 3.3.1 Der Helmstedter Handschriftenfonds 83 3.3.1.1 Vom Konvent in die Bibliothek I: Die Handschrift W 88 3.3.1.2 Vom Konvent in die Bibliothek II: Die Handschrift Wo 92

VIII

3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.3.9

Inhaltsverzeichnis

Eine Abschrift im Druckzeitalter: Die Handschrift Lü 96 105 Ein Mischband des 16. Jahrhunderts: Die Handschrift Be Herkunft: unbekannt? Die Geschichte der Handschrift O 111 Niederdeutsch statt westmitteldeutsch: Das frühe Fragment 120 Nr. 110 Das verschollene Fragment I: Der älteste Textzeuge Nr. 35 121 Das verschollene Fragment II: Der Inkunabel-Einband Nr. 118 123 Das ‚Marienleben‘ als Einbandmakulatur: Das Fragment 126 Nr. 115 Textzeugenübergreifende Gemeinsamkeiten 128

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘ 4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften 134 4.1.1 W 135 4.1.1.1 Übersicht des Versbestands 135 4.1.1.2 Analyse 139 4.1.1.3 Die textkritische Bedeutung 141 4.1.2 Wo 143 4.1.2.1 Übersicht des Versbestands 143 4.1.2.2 Analyse 148 4.1.2.3 Die gekürzten Klagereden 149 4.1.3 Lü 153 4.1.3.1 Übersicht des Versbestands 153 4.1.3.2 Analyse 159 4.1.3.3 Der nachlässige Schreiber 162 4.1.4 Be 167 4.1.4.1 Übersicht des Versbestands 167 4.1.4.2 Analyse 172 4.1.4.3 Die Vernachlässigung des Reimpaarverses 176 4.1.4.4 Der korrigierte Text 178 4.1.5 O 181 4.1.5.1 Übersicht des Versbestands 181 4.1.5.2 Analyse 184 4.1.5.3 Der reine Reim 187 4.2 Gruppenbildung 189 4.2.1 Die Gruppe Wo Lü 189 4.2.2 Der Vorlagenwechsel von Be 196 4.2.2.1 Gemeinsamkeiten von Be mit Wo Lü 200 4.2.2.2 Gemeinsamkeiten von Be mit O 203

130

Inhaltsverzeichnis

4.3 4.3.1 4.3.1.1 4.3.1.2 4.3.1.3 4.3.1.4 4.3.1.5 4.3.1.6 4.4 4.4.1 4.4.1.1 4.4.1.2 4.4.1.3 4.4.2 4.4.2.1 4.4.2.2 4.4.3 4.4.3.1 4.4.3.2 4.4.4 4.4.4.1 4.4.4.2 4.5 5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7

Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü 208 Die Heilige Familie bei den Räubern 209 Die apokryphen Kindheitsevangelien 220 Die griechischen ‚Acta Pilati‘ 224 Die Räuberepisode als proleptische Passion 230 Die Räuberepisode in der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters 233 Die erzählerische Funktion der Räuberepisode in Lü Einordnung der Ergebnisse 248 Einzelanalysen der Fragmente 250 Nr. 110 250 Übersicht des Versbestands 250 Transkription 250 Textkritische Relevanz 252 Nr. 35 254 Übersicht des Versbestands 254 Zuordnung zur Gruppe Wo Lü 255 Nr. 118 257 Übersicht des Versbestands 257 Zuordnung zur Gruppe Wo Lü 258 Nr. 115 263 Übersicht des Versbestands 263 Eine niederdeutsche *V-Bearbeitung 268 Zusammenfassung der Ergebnisse 270

IX

244

Maria im Norden – Ergebnisse und Perspektiven 272 Kontinuität 272 Singularität 274 Einband, mise en page, Textbestand: W als Unikum 274 Maria als mediatrix: Die Textgemeinschaften der Sammelhandschrift Wo 275 Eine optische Täuschung? Die späte Abschrift in Lü 276 Devotio moderna, Heilkunde, Wissenschaft: Die Rezeptionskontexte von Be 278 Objekt- und Bibliotheksbiographien: Die Provenienz von O als Aufgabe 279 Die textgeschichtliche Relevanz eines Fragments: Die 26 Verse von Nr. 110 281 Die überlieferungsgeschichtliche Relevanz eines Fragments: Nr. 35 vom Jahr 1324 281

X

5.2.8 5.2.9 5.3 6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.6 6.2.7 6.2.8 6.3 6.4

Inhaltsverzeichnis

Ein früher Vertreter der Gruppe Wo Lü: Das Pergamentdoppelblatt Nr. 118 282 Kritische Rezeption im Norden: Die *V-Bearbeitung in 283 Nr. 115 Kontinuität und Singularität 283 Anhang 285 Transkriptionsrichtlinien 285 Handschriften- und Druckverzeichnis 285 Bruder Philipp: ‚Marienleben‘ 285 Heinrich von München: ‚Weltchronik‘ mit Bruder Philipps ‚Marienleben‘ 286 ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘ 286 Walther von Rheinau: ‚Marienleben‘ 287 Wernher der Schweizer: ‚Marienleben‘ 287 Weitere mittelalterliche Handschriften und Fragmente 287 Nicht-mittelalterliche, handschriftliche Quellen 288 Drucke 288 Literaturverzeichnis 289 Register 320

Abkürzungsverzeichnis Generelle Abkürzungen Anm. Bd. / Bde. bes. Bl. / Bll. bzw. ca. dems. dens. ders. d. h. Diss. f. / ff. gest. Hg. / Hgg. hg. Jh. Kap. N. F. Nr. o. A. o. J. o. O. sog. u. a. u. ö. V. vgl. v. J. Z. z. B. z. T.  



















Anmerkung Band / Bände besonders Blatt / Blätter beziehungsweise circa demselben denselben derselben das heißt Dissertation folgende gestorben Herausgeber (Sg. / Pl.) herausgegeben Jahrhundert Kapitel Neue Folge Nummer ohne Autor ohne Jahr ohne Ort sogenannt unter anderem, und andere und öfter Vers vergleiche vom Jahr Zeile zum Beispiel zum Teil

Handbücher und Nachschlagewerke CANT: BBKL:

BHG:

Clavis Apocryphorum Novi Testamenti, hg. von Maurits Geerard, Turnhout 1992. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. 39. Bde., begründet und hg. von Friedrich Wilhelm Bautz, fortgeführt von Traugott Bautz, Hamm / Herzberg / Nordhausen 1975–2018. Bibliotheca hagiographica graeca. 3 Bde., hg. von François Halkin, Brüssel 1957 (Subsidia Hagiographica 8a).

https://doi.org/10.1515/9783110676822-204

XII

BHL:

DWB: EM:

Abkürzungsverzeichnis

Bibliotheca hagiographica graeca. Auctarium, hg. von François Halkin, Brüssel 1969 (Subsidia Hagiographica 47). Bibliothecae hagiographicae graecae. Novum auctarium, hg. von François Halkin, Brüssel 1984 (Subsidia Hagiographica 65). Bibliotheca hagiographica latina antiquae et mediae aetatis. 2 Bde., hg. von der Société des Bollandistes, Brüssel 1898–1901 (Subsidia Hagiographica 6). Bibliotheca hagiographica latina antiquae et mediae aetatis. Novum Supplementum, hg. von Henryk Fros, Brüssel 1986 (Subsidia Hagiographica 70). Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden, Leipzig 1854–1961, Quellenverzeichnis Leipzig 1971. Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. 15 Bde., hg. von Kurt Ranke u. a., Berlin 1977–2015. Gesamtkatalog der Wiegendrucke, hg. von der Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Kindlers neues Literatur-Lexikon. 20 Bde., hg. von Walter Jens, München 1988–1992. Lexikon des Mittelalters. 9 Bde., hg. von Robert-Henri Bautier u. a., München / Zürich 1977–1998. Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch. 4 Bde., begründet von Wilhelm Kosch. 2., vollständig neubearbeitete und stark erweiterte Auflage, Bern 1949–1958. Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. 36 Bde., begründet von Wilhelm Kosch. 3., völlig neu bearbeitete Auflage, Bern u. a. 1968– 2017. Lexikon für Theologie und Kirche. 11 Bde., begründet von Michael Buchberger, hg. von Walter Kasper. 3., völlig neu bearbeitete Auflage, Freiburg i.Br. u. a. 1993–2001. Patrologiae cursus completus, Series graeca. 161 Bde., hg. von Jacques Paul Migne, Paris 1857–1866. Patrologiae cursus completus, Series latina. 221 Bde., hg. von Jacques Paul Migne, Paris 1841–1864. Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, begründet von Otto Schmitt, ab Bd. 6 hg. vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München / Stuttgart 1937ff. Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 8 Bde., hg. von Hans Dieter Betz u. a. 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Tübingen 1998–2005. Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. 4 Bde., hg. von Paul Merker und Wolfgang Stammler, Berlin 1926–1931. Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. 5 Bde., begründet von Paul Merker und Wolfgang Stammler, hg. von Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr. 2. Auflage, Berlin 1958–1988. Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. 3 Bde., hg. von Klaus Weimar, Harald Fricke und Jan-Dirk Müller. 3. Auflage, Berlin / New York 2007. Theologische Realenzyklopädie. 36 Bde, hg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller, Berlin / New York 1977–2004. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 5 Bde., hg. von Karl Langosch, Berlin 1933–1955.  

GW: Kindler: LexMA: 2

LL:

3

LL:





3

LThK:



PG: PL: RDK: 4

RGG:



RL: 2

RL:

RLW:

TRE: VL:

Abkürzungsverzeichnis

2

VL:

Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 14 Bde., hg. von Kurt Ruh u. a. 2., völlig neu bearbeitete Auflage, Berlin / New York 1978–2008.  

Zeitschriften, Jahrbücher DVjs: GRM: NdJb: PBB: ZfdA: ZfdPh:

XIII

Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Germanisch-Romanische Monatsschrift Niederdeutsches Jahrbuch. Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für deutsche Philologie

1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘ ‚Die Bedeutung der mittelniederdeutschen Literatur in der deutschen Geistesgeschichte‘ – Mit einem Vortrag unter diesem Titel tritt Wolfgang Stammler im Jahr 1924 vor die Mitglieder des ‚Vereins für niederdeutsche Sprachforschung‘. In seinen Ausführungen widmet er sich der verbreiteten Annahme, dass Literatur im deutschsprachigen Norden vor allem eine „rezeptive Tätigkeit ausgeübt“1 habe. Er versteht diese These als Kritik und versucht sie zu entkräften, indem er „eine quantitativ gleiche Menge von originalen Schriftdenkmälern“2 identifiziert und der niederdeutschen Literatur des Mittelalters so Relevanz verleiht. Bevor er zu diesem Unterfangen ansetzt, verweist Stammler in wenigen kurzen Sätzen auch auf Bruder Philipps ‚Marienleben‘:3 Dieses Werk entstamme zwar keineswegs dem niederdeutschen Norden, liege aber bemerkenswerterweise auch in unterschiedlichen Fassungen in niederdeutscher Schreibsprache vor. Stammlers kurzer Hinweis verdient eine ausführlichere Beschäftigung. Denn Philipps Dichtung ist nicht nur irgendeine Dichtung unter vielen: Sie ist die erfolgreichste deutschsprachige Übertragung der ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘ und die meistüberlieferte Reimpaardichtung des Mittelalters. Die Forschung zu diesem literaturhistorisch signifikanten religiösen Epos hat in den vergangenen Jahren zwar an Fahrt aufgenommen, den niederdeutschen Handschriften und Fragmenten wurde aber weiterhin kaum Beachtung geschenkt. Das von Stammler genannte Vorurteil gegen diesen Sprachraum – mehrheitlich rezeptive, kaum produktive Auseinandersetzung mit Literatur – stand einer wissenschaftlichen Untersuchung des niederdeutschen Überlieferungszweigs stets im Weg. Doch lediglich der Befund, dass eine Dichtung auch in niederdeutscher Sprache vorliegt, schließt keinen differenzierten Umgang mit ihr aus. Denn erstens ist niederdeutsche Literatur nicht per se ausgenommen von Bernard Cerquiglinis bekanntem Postulat „Or l’écriture médiévale ne produit pas de variantes, elle est variance“4. Und zweitens lässt auch eine mehrheitlich rezeptive, nicht nur eine produktive Auseinandersetzung mit Literatur Rückschlüsse auf einen Sprachraum als Literaturraum zu. Es ist Anliegen der vorliegenden Studie, das Vorurteil einer bloßen Wiederholungsarbeit im deutschsprachigen Norden zu hinterfragen und am Beispiel von Philipps religiösem Epos ein detailliertes Bild der Rezeption und Weitertradierung 1 2 3 4

Stammler 1925, S. 438. Stammler 1925, S. 438. Vgl. Stammler 1925, S. 432. Cerquiglini 1989, S. 111.

https://doi.org/10.1515/9783110676822-001

2

1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘

von Literatur in niederdeutscher Sprache zu zeichnen.5 Ausgangspunkt der Analyse sind diejenigen Textzeugen, die das ‚Marienleben‘ in niederdeutscher Schreibsprache erhalten. Sie dienen nicht als bloße ‚Mittel zum Zweck‘, um die Person des Autors besser zu greifen oder eine autornahe Textfassung zu rekonstruieren, sondern – im Sinne der ‚New Philology‘ und in den Worten Karl Stackmanns – als Text- und Bedeutungsträger mit „Eigenwert“6. Ich verstehe die mittelalterliche Handschrift als zweigeteilte Einheit, als Objekt und als Medium:7 Als Objekt rückt ihre Überlieferungsgeschichte in den Vordergrund, die sich über ihre Materialität, aber auch über ihre Reise vom Zeitpunkt und Ort der Abfassung bis zu ihrem jetzigen Aufbewahrungsort rekonstruieren lässt. Als Medium steht ihre Textgeschichte im Fokus, d. h. die jeweilige Fassung, in der ein Werk erhalten ist. Die Kategorien ‚Objekt‘ und ‚Medium‘ sind nicht strikt voneinander zu trennen, denn: „Materiality may be intimately bound to the ideas it expresses and carries.“8 Indem die Ergebnisse der Überlieferungs- und Textgeschichte miteinander in Beziehung gesetzt werden, geben sich die einzelnen Handschriften als „cultural agents“9 zu erkennen, die eine „construction and reconstruction of culture“10 ermöglichen. Zu diesem Zweck soll die niederdeutsche Überlieferung nicht in strenger Opposition zur mittel- und oberdeutschen Überlieferung gesehen werden, um so in einem Vergleich ‚typisch niederdeutsche‘ Elemente der Literaturrezeption zu ermitteln. Ein derartiger Ansatz ist zwar auch denkbar, angesichts des Forschungsstandes zur Rezeption des ‚Marienleben‘ im ober- und mitteldeutschen Raum derzeit aber noch nicht zu leisten. Stattdessen wird die niederdeutsche Überlieferung für sich in den Blick genommen, um auf diese Weise einen Beitrag zur Erforschung  

5 Ein vergleichbares Vorhaben führt Klein 1987 für die Verbreitung mittelhochdeutscher Lyrik im niederdeutschen Sprachraum durch. 6 Stackmann 1994, S. 405. Zur ‚New Philology‘ vgl. auch Nichols 1990, Wenzel 1990, Stackmann 1993, Stackmann 1997, Wenzel / Tervooren 1997, Stackmann 1998, und Bein 2011, S. 90–92. Neben ‚New Philology‘ ist auch die Bezeichnung ‚Material Philology‘ geläufig: „Material philology takes as its point of departure the premise that one should study or theorize medieval literature by reinserting it directly into the vif of its historical context by privileging the material artifact(s) that convey this literature to us: the manuscript. This view sees the manuscript not as a passive record, but as an historical document thrusting itself into history and whose very materiality makes it a medieval event, a cultural drama.“ (Nichols 1997, S. 10 f.). 7 In der Verwendung der Begriffe ‚Objekt‘ und ‚Medium‘ folge ich der Terminologie, die Evanghelia Stead im Vorwort des 2018 erschienenen Sammelbandes ‚Reading Books and Prints as Cultural Objects‘ entwickelt, vgl. Stead 2018. 8 Stead 2018, S. 12. 9 Stead 2018, S. 10. 10 Stead 2018, S. 2. Zur Verbindung von Überlieferungs- und Textgeschichte zu diesem Zweck vgl. Grubmüller u. a. 1973, S. 160–163, Ruh 1985 und Steer 1985, bes. S. 5–14, 33–36.  



1.1 Autor und Werk

3

des niederdeutschen Sprachraums als Literaturraum zu leisten.11 Es soll gezeigt werden, dass eine rezeptive Tätigkeit keineswegs eine produktive Tätigkeit ausschließt und nicht im Sinne einer bloßen Replik gedacht werden darf: Neun distinkte Textzeugen geben eine vielfältige Beschäftigung mit Philipps Werk zu erkennen und erlauben Rückschlüsse auf die Rezeption und Weitertradierung dieses mittelalterlichen Überlieferungsschlagers in niederdeutscher Schreibsprache.

1.1 Autor und Werk Auch wenn der Autor in Anschluss an Karl Stackmann im Folgenden nicht als „sinnstiftende Instanz für d[en] ihm zugeschriebenen Text[]“ verstanden wird, so gilt dennoch, „daß wir über Namen und biographische Daten von mittelalterlichen Autor-Individuen unterrichtet sein“, in diesem Fall sogar „den Autor eines Werkes als historische Person identifizieren können“12. Wer war Bruder Philipp und welche Informationen über sein Leben und Wirken sind bekannt? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, ist der Text des ‚Marienleben‘ zu bemühen, „[d]enn ein Autor wird für uns erst durch die Überlieferung konstituiert“13. Zunächst lohnt ein Blick in den Epilog. Hier macht Bruder Philipp Angaben zu seiner Person und nennt den Abfassungsort seiner Dichtung: brůder Philip bin ih genant, got ist mir leider wenich erkant. in dem oͤ rden von Kartus geschriben han in dem huͣ s ze Seitz ditz selbe buͤ chelin (V. 10122–10126)14

Philipp gibt sich demnach als Kartäusermönch zu erkennen.15 Die explizite Nennung der Kartause ze Seitz (V. 10126) ist nur in drei von insgesamt über einhundert

11 Für eine Beispieluntersuchung der österreichischen ‚Marienleben‘-Handschriften vgl. Gailit 1935. 12 Alle drei direkten Zitate: Stackmann 1993, S. 8. 13 Wachinger 1991, S. 1. 14 Ich zitiere hier und im Folgenden, wenn nicht anders angegeben, die noch unveröffentlichte Neuedition des ‚Marienleben‘ durch Kurt Gärtner und Martin Schubert. Die Verszahlen beziehen sich auf die Verszählung der Erstedition (Rückert 1853), die auch bei Gärtner und Schubert verzeichnet ist, um eine Vergleichbarkeit mit bisherigen Forschungsarbeiten zu gewährleisten. Für die Bereitstellung der Neuausgabe noch vor Publikation sei den Herausgebern an dieser Stelle herzlich gedankt. 15 Zum Kartäuserorden vgl. insbesondere Hogg 1985, Hogg 1988, Hogg 2001 und den umfangreichen Sammelband von Zadnikar / Wienand 1983.

4

1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘

Handschriften erhalten: in der Leithandschrift der hier zitierten Edition, Pommersfelden, Gräflich Schönbornsche Schloßbibliothek, Cod. 46 (2797) [Sigle P]; in Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 525 [Sigle He] und in Prag, Archiv der Prager Burg / Bibliothek des Metropolitankapitels, Cod. G 49 [Sigle Pr].16 Dass Philipp dennoch in das Kartäuserkloster Seitz in der Steiermark verortet wird, ist Pater Menardus Ilge, Archivar der Kartause Farneta, zu verdanken. Er brachte die in der Charta des Generalkapitels des Kartäuserordens für das Jahr 1346 geführte Nachricht über einen verstorbenen donnus Philippus monachus aus der Kartause Mauerbach, für den ein tricenarium – d. h. an dreißig aufeinanderfolgenden Tagen je eine ihm gewidmete Heilige Messe – im gesamten Orden verordnet wurde, mit dem Dichter Bruder Philipp in Verbindung.17 Die Kartause Mauerbach wurde 1316 gegründet, die ersten Brüder kamen im selben Jahr aus der nah gelegenen Kartause Seitz.18 Es wird daher angenommen, dass Philipp sein ‚Marienleben‘ vor 1316 in der Seitzer Kartause verfasste, im Jahr 1316 nach Mauerbach übersiedelte und vor der Zusammenkunft des Generalkapitels im Jahr 1346 verstarb.19 Dem Selbstzeugnis des Autors im Epilog geht eine dreifache Widmung voraus, die stets mit der Konstruktion ich sende bzw. sende ich (vgl. V. 10067, 10078, 10089) eingeleitet wird. Zunächst widmet Philipp seinen Text Vrowe Maria (V. 10066), dann al der cristenheit gemeine (V. 10080) und schließlich den brůdern von dem dæutschen huͣ s (V. 10090). Im Anschluss an die einzelnen Nennungen folgt jeweils eine nähere Begründung: Der Dichter wählt Maria, um im Gegenzug für dieses Werk ihre Gnade zu erhalten (vgl. V. 10068–10077); die gesamte Christenheit wird angesprochen, um sie über daz reine | Marien leben (V. 10081f.) in Kenntnis zu setzen; die Deutschordensritter werden hervorgehoben, um sie in ihrer Verehrung der Gottesmutter und ihrer Verbreitung des christlichen Glaubens zu bestärken und sie dafür zu belohnen (vgl. V. 10092f.).20  

16 Im Rahmen dieser Arbeit werden die Handschriftensignaturen bei ihrer ersten Nennung ausgeschrieben und mit einer Sigle versehen. Danach wird lediglich die Sigle verwendet. Eine Auflösung aller Siglen findet sich im Anhang in Kap. 6.2. 17 Der Hinweis auf Philipp von Seitz findet sich im Nekrolog für die Jahre 1323–1768, ediert bei Hogg 2013b, S. 87. Vgl. auch Gärtner 1981, S. 118 und Gärtner 1989, Sp. 588. 18 Vgl. Hogg 2013a, S. 6. Zur Geschichte der Kartause Mauerbach vgl. Hantschk 1972, bes. S. 16– 26. 19 Für Kurzvorstellungen von Bruder Philipp vgl. u. a. Beissel 1909, S. 583f.; Krüger 1914, S. 334; Reissenberger 1916, Denecke 1943, Sp. 880f.; Denecke 1955, Sp. 894; Kosch 1956, Philipp 1969, Fahringer 1984, Gärtner 1989, Gärtner 1994a, Neudeck 1999, Gärtner 2001a, Wiener / Drescher 2005, Gärtner 2010. 20 Zur Marienverehrung im Deutschen Orden vgl. Goenner 1944 und Dygo 1989. Zu Philipps ‚Marienleben‘ im Kontext der im Deutschen Orden nachweislich rezipierten Literatur vgl. u. a. Mentzel-Reuters 2007, S. 142 f.; Mentzel-Reuters 2014, S. 31–33; Jähnig 2014, S. 6.  





1.1 Autor und Werk

5

Die besondere Signifikanz des Deutschen Ordens wird bereits im Prolog deutlich:21 ditz puͤ chelin han ih gesant den brůdern, die da sint genant von dem tæutschem haus und sint Marien riͤtter, deu ein chint von dem heiligen geist gewan magt wesend ane man. ditz půch heizet sand Marien lebn, deu muͤ ze uns ewige vreude gebn. (V. 22,1–8)22

Für diese Prologverse ist auch eine Alternativfassung bekannt, die in der Form einer „Copyright-Version“23 die Übersendung an die Deutschordensritter bezeugt:24 Ein buch habent die tevtschen herren daz wart in gesant von verren Dar ab wart geschriben ditze got geb allen den selde vnd witze Die ez horen vnde lesen auch muzzen si sælich wesen Hie hebt sich an sand Marien leben die muz vns ewich vrevde geben.25

21 Gärtner 1978, S. 282 hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch die anderen beiden im Epilog genannten Adressatengruppen bereits im Prolog hervorgehoben werden: Der Erzähler beginnt seine Dichtung mit einer Ansprache an Maria (vgl. V. 1), in der er seine Absicht erklärt, al der werld (V. 15) von ihr zu erzählen. Gärtners Habilitationsschrift ist online zugänglich: http://www. handschriftencensus.de/forschungsliteratur/pdf/558.pdf (12. Oktober 2019). Ich arbeite hier und im Folgenden anhand einer aktualisierten Version aus dem Jahr 2012, die Kurt Gärtner mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Für eine bessere Nachprüfbarkeit vermerke ich stets die Seitenzahlen der online einsehbaren Erstversion. Wenn die aktualisierte Version sich aufgrund von Korrekturen oder Ergänzungen von der Erstversion unterscheidet, dann ist dieser Umstand vermerkt. 22 Nachkommastellen in der Verszählung verweisen auf Verse, die Rückerts Edition fehlen. Hierbei handelt es sich demnach um acht Verse, die zwischen Rückerts V. 22 und V. 23 stehen. 23 Gärtner 1978, S. 340 u. ö. 24 Der Hauptsitz des Deutschen Ordens war ab 1309 die Marienburg im Preußenland, vgl. Päsler 2013, S. 388 und Päsler 2014, S. 61, 70. 25 Hier zitiert nach dem Apparat der Neuedition. Der Vermerk begegnet bereits in der frühen, auf 1338 datierten Handschrift Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Cod. 1242, vgl. Gärtner 1981, S. 122. Ausführlicher zu dieser Prologfassung vgl. bes. Gärtner 2014.  

6

1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘

Die beiden Schlussverse des Prologs, insbesondere in ihrer ursprünglichen Fassung,26 zeigen auch, dass der Autor seinem Werk explizit einen Titel zuordnet: sand Marien lebn (V. 22,7). Aus neuzeitlicher Perspektive schwingt bei dieser Bezeichnung auch die gleichnamige Untergattung der Marienepik mit, die das Reallexikon wie folgt definiert: Marienleben stellen die Vita Marias in ihrem Gesamtverlauf von der Verkündigung ihrer Geburt bis zu ihrer Himmelfahrt dar. Es sind meist selbständige Texte, sie können aber auch als klar abgrenzbare Erzählkomplexe eingebettet sein in die auf biblischen Grundlagen beruhenden hochmittelalterlichen Weltchroniken und Historienbibeln.27

Wie Priester Wernher, der als Begründer dieser Texttradition im deutschsprachigen Raum gilt (‚Driu liet von der maget‘, 1172),28 setzt sich Philipp in der Volkssprache mit dem Leben der Gottesmutter auseinander. Sein ‚Marienleben‘ ist heutzutage in über einhundert Handschriften und Fragmenten erhalten. Keine andere deutsche Reimpaardichtung des Mittelalters weist eine vergleichbare Überlieferungsstärke auf.29 Wird in der Forschung auf das ‚Marienleben‘ verwiesen, dann ist der Superlativ nicht weit. Es sei die „erfolgreichste[] und wirkungsmächtigste[] deutsche Reimpaardichtung des Mittelalters“30, „eine der meistgelesenen deutschen Dichtungen nicht nur des 14. und 15. Jahrhunderts, sondern wohl überhaupt des Mittelalters“31 und eines „der am weitesten verbreiteten und meistgelesenen dt. Bücher des späten MA“32. Die so formulierte Signifikanz stützt sich nicht nur auf die Zahl der erhaltenen Textzeugen, sondern auch auf seine geographische Verbreitung: Bruder Philipps ‚Marienleben‘ war im gesamten deutschen Sprachgebiet des Mittelalters verbreitet. 26 Rückert hält die zweite Version für die ursprüngliche; Gärtner 1978, S. 284 kann ihn widerlegen. 27 Gärtner 2007, S. 538. Zwei weitere Untergattungen der Marienepik sind die Marienlegenden und die Marienmirakel. Das Reallexikon definiert diese wie folgt: „Die Marienlegenden, die die gleichen apokryphen Quellen benutzen wie die Marienleben, unterscheiden sich von diesen darin, daß sie nur einzelne, meist in der Liturgie der Marienfeste verankerte Abschnitte des Lebens der Maria (vor allem Geburt und Himmelfahrt) darstellen. Von den Viten und Legenden sind die Marienmirakel zu trennen. Sie behandeln nicht das irdische Leben Marias, sondern ihr wunderbares Wirken und Eingreifen ins irdische Geschehen nach ihrer Aufnahme in den Himmel (miracula post mortem)“ (Gärtner 2007, S. 538). Zur Mariendichtung siehe auch Küsters 2002. 28 Zu Priester Wernher vgl. Steinhäuser 1890, Wesle / Fromm 1969 und Gärtner 1999c. 29 Für einen aktuellen Stand aller bekannten Handschriften und Fragmente vgl. den entsprechenden Eintrag zu Philipps Werk im Handschriftencensus: http://www.handschriftencensus. de/werke/495 (12. Oktober 2019). 30 Gärtner 1994b, S. 33. 31 Masser 1987, S. 145. 32 Masser 1992, S. 50.

1.2 Die Vorlage: ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘

7

Auch wenn die Forschung diese außergewöhnliche Überlieferungssituation wahrnimmt, begegnet sie dem ‚Marienleben‘ seit jeher mit Kritik, insbesondere an Philipps dichterischem Können. Heinrich Rückert, der Herausgeber der Erstausgabe aus dem Jahr 1853, sieht in Philipp „ein[en] verhältnissmässig nicht sehr begabte[n] Autor“33, dessen „Verhalten im gewissen Sinne als Prinzip für den Durchschnitt der literarischen Thätigkeit der Zeit anzusehen“34 sei. Besondere Geringschätzung erfährt Philipps Reimtechnik: Rückert bemängelt eine „übergrosse Fülle anomaler Erscheinungen“35, der Germanist Edward Schröder die „sorglosigkeit der reimbindung“36. Auch Karl Helm und Walther Ziesemer finden in ihrer Studie zur Literatur des Deutschen Ordens wenig freundliche Worte: Philipps biblisches Epos sei „kein großes Kunstwerk geworden, auch nicht formal: der Ton bleibt trocken, die Sprache oft ungeschickt, die Reimkunst liegt im Argen, und nicht alle Unreime erklären sich aus dem Dialekt oder als Fehler der Überlieferung”37. Die jüngste kritische Äußerung stammt von dem germanistischen Mediävisten Wolfgang Beck, der geringfügig diplomatischer von einer „formal und stilistisch nicht den höchsten Ansprüchen genügenden Dichtung“38 spricht. Die vorliegende Arbeit wird nicht versuchen, diese Negativurteile mit Gegenbeispielen zu entkräften, sondern gerade die große Varianz in der Überlieferung hervorheben: Sie wird als zentrales Charakteristikum von Philipps ‚Marienleben‘ verstanden, das Rückschlüsse auf Prozesse der Literaturproduktion und -rezeption erlaubt.

1.2 Die Vorlage: ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘ Das ‚Marienleben‘ ist – ganz im Einklang mit dem mittelalterlichen Dichterideal – nicht Philipps Invention. Seine Vorlage ist die ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘, eine 8032 mittellateinische Vagantenzeilen umfassende Lebensschilderung der Gottesmutter.39 Ebenso wie für Philipps ‚Marienleben‘

33 Rückert 1853, S. IV. 34 Rückert 1853, S. IV. 35 Rückert 1853, S. IVf. 36 Schröder 1931, S. 245. 37 Helm / Ziesemer 1951, S. 43. 38 Beck 2017, S. 112. 39 Philipp selbst nennt seine Quelle nicht. Auf den Zusammenhang von ‚Marienleben‘ und ‚Vita‘ macht erstmals Bernhard Joseph Docen im Jahr 1806 aufmerksam, vgl. Docen 1806a, S. 189. Ihm folgt zwanzig Jahre später Hans Ferdinand Maßmann, vgl. Maßmann 1826, S. 1183 f. Rückert 1853,  

8

1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘

wird auch für seine Quelle der Superlativ verwendet und gleichzeitig Kritik an ihrem künstlerischen Wert geübt: Kurt Gärtner nennt sie „die erfolgreichste lateinische Marienlebendichtung des Mittelalters“40, während Monika HaibachReinisch von einem „oft plumpen und unkünstlerischen Werk[]“41 spricht. Die bisherige Forschung datiert die ‚Vita‘ auf die Zeit um 1250, kann diese zeitliche Verortung jedoch nicht hinreichend begründen.42 Der Terminus post quem wird in der Regel anhand einer Glosse der ‚Vita‘-Handschrift München, Staatsbibliothek, Clm 12518 bestimmt, die zu V. 5886 f. einen Verweis auf Jacques de Vitry in seiner 1216 bis 1228 ausgeübten Funktion als Erzbischof von Akkon enthält.43 Diese Glosse liegt jedoch bislang nur in dieser Handschrift vor und könnte erst später ergänzt worden sein.44 Für einen Terminus ante quem wird auf die erste deutschsprachige Übersetzung verwiesen, das ‚Marienleben‘ Walthers von Rheinau aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts.45 Berücksichtigt man die Überlieferung der ‚Vita‘, so handelt es sich derzeit bei dem eben genannten, auf das späte 13. Jahrhundert zu datierenden Clm 12518 um die älteste bekannte ‚Vita‘-Abschrift.46 Aus der Überlieferung ergeben sich daher keine Gründe, die Abfassung der ‚Vita‘ nicht auch in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts anzusetzen und lediglich den durch Walther von Rheinau begründeten Terminus ante quem beizubehalten.47 Für eine fundierte Datierung der ‚Vita‘ müssten neben ihrer Überlieferung auch textinhärente religiöse Positionen herangezogen werden. In Ansätzen versucht dies zum einen Stephen Mossman, wenn er Philipps ‚Marienleben‘ eine stärkere Berücksichtigung der Passion als der ‚Vita‘ attestiert  

S. VIII kennt Docens Notiz nicht und hält Maßmanns Hinweis für den frühesten. Für einen konzisen Überblick zu Überlieferung, Inhalt, Sprache, Quellen und Wirkungsgeschichte der ‚Vita‘ vgl. Gärtner 1999a. 40 Gärtner 1981, S. 124. Zur Überlieferungslage vgl. Gärtner 1999a, Sp. 437. Gärtner verzeichnet hier 54 vollständige Textzeugen der Dichtung, zwei Prosaauflösungen und 29 Auszüge. 41 Haibach-Reinisch 1962, S. 301. 42 Auf eine Entstehung der ‚Vita‘ um die Jahrhundertmitte verweisen u. a. Hübner 1926/28, S. 332; Masser 1969, S. 47; Wyss 1986, S. 297; Schmolinsky 1993, S. 83; Gärtner 1999a, Sp. 436; Fasbender 2007, Gay-Canton 2009, S. 45; Schubert 2009, S. 143; Mossman 2010, S. 249; Lechtermann 2016, S. 335. Kritik äußern Kemper 2006, S. 76 f. und Hamburger / Palmer 2015, S. 427 Anm. 39. Mlinarič 1977, S. 195 nennt das Jahr 1230, das zuweilen ebenfalls in der Forschungsliteratur begegnet, vgl. Gärtner 1981, S. 123; Hoffmann 1994, S. 644; Kunze 1996, S. 229. 43 Die Glosse wurde erstmals durch Päpke 1913, S. 26 Anm. 2, 156 bekannt gemacht. 44 Vgl. Masser 1969, S. 47 Anm. 3. 45 Vgl. Gärtner 1999b, Sp. 657. Siehe auch Mlinarič 1988, S. 34 und Mlinarič 1977, S. 191–195. 46 Vgl. die Beschreibung bei Hernad 2000, S. 102. 47 Für diesen Terminus ante quem ließe sich auch auf das ‚Passional‘ (Ende 13. Jahrhundert) verweisen, dessen Verfasser die ‚Vita‘ augenscheinlich kannte, vgl. Haase / Schubert / Wolf 2013, S. CCXXXIX–CCXLI.  



1.2 Die Vorlage: ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘

9

und diese Beobachtung mit Entwicklungen in der Frömmigkeit des späten 13. Jahrhunderts in Verbindung bringt,48 und zum anderen Martina Wehrli-Johns, die ihre Datierung „nicht vor 1270“49 mit dem Marienbild der Beginen begründet, das sie in der ‚Vita‘ wiederfindet. Darüber hinaus sollte die ‚Vita‘ auch im Vergleich mit zeitgenössischen mittellateinischen apokryphen Schriften untersucht werden. Erste Überlegungen liefert ebenfalls Mossman, wenn er die Quelle der zwei Pseudo-Ignatiusbriefe, von denen die ‚Vita‘ Gebrauch macht, auf 1245 datiert.50 Während die Entstehungszeit der ‚Vita‘ ungenau bleiben muss, ist der Schwerpunkt ihrer Weitertradierung definitiv für das 14. Jahrhundert zu veranschlagen.51 Jože Mlinaričs Untersuchungen zur Text- und Überlieferungsgeschichte legen eine Abfassung durch einen bayerischen Benediktiner- oder Zisterziensermönch nahe.52 Als Verwendungsbereich wird das Kloster angenommen, beispielsweise zur Tischlesung.53 Die von Hugo von Trimberg in Auftrag gegebene und um einen einundsechzig Verse umfassenden Epilog ergänzte ‚Vi-

48 Vgl. Mossman 2010, S. 252. 49 Wehrli-Johns 1986, S. 360. Gärtner 1999a, Sp. 440 bezeichnet diese These als „unwahrscheinlich“. 50 Vgl. Mossman 2010, hier S. 253 f. 51 Vgl. Mlinarič 1988, S. 35. 52 Für eine Lokalisierung sind die erhaltenen Textzeugen ausschlaggebend: Die frühen Handschriften weisen auf ein Überlieferungszentrum im bayerischen Raum, vgl. Päpke 1913, S. 26 Anm. 3; Mlinarič 1977, S. 196–200; Mlinarič 1988, S. 34 und Gärtner 1999a, Sp. 439. Beispielhaft sei hier erneut der Clm 12518 genannt, der aus dem Zisterzienserkloster Raitenhaslach stammt, vgl. Hernad 2000, S. 102. Bereits im Jahr 1931 argumentiert Edward Schröder nach einer Analyse von Reim, Wortschatz und Inhalt für einen Autor aus einem monastischen Kontext „im deutschen südosten“, vgl. Schröder 1931, S. 244–248, hier S. 247. Masser nennt als weiteres Argument für einen deutschsprachigen Autor die häufigen Abweichungen von der strengen Vagantenzeile insbesondere in Auftakt und Kadenz, die mit einer Kenntnis des höfischen Reimpaarverses zu erklären seien, vgl. Masser 1969, S. 48. Konträr hierzu spricht sich Wehrli-Johns 1986, S. 360 dafür aus, dass die ‚Vita‘ „sehr wahrscheinlich aus Franziskanerkreisen stammt“. Sie begründet die Ordenszuordnung mit der in der Dichtung beschriebenen Kleidung der Gottesmutter, vgl. WehrliJohns 1986, S. 366 Anm. 53. Auch diese abweichende These Wehrli-Johns’ nennt Gärtner 1999a, Sp. 440 unter Verweis auf die Überlieferung der ‚Vita‘ „unwahrscheinlich“. 53 Für das Benediktinerkloster Tegernsee sind drei ‚Vita‘-Handschriften bezeugt, „von denen eine für die Tischlesung an den Marienfesten verwendet wurde“ (Gärtner 1981, S. 124): München, Staatsbibliothek, Clm 18842. Der Verwendungshinweis findet sich auf Bl. 1r: Ist ditz puchil hinzt vnnser frawen puchil vnd man list darin zu tissch in der heiligenn dreyn kunig wochen vnd in annvnciacione sancte marie vnd in vnnser frawen wochen assumpcionis (zitiert bei Gärtner 1981, S. 124 Anm. 27, Hinweis erstmals bei Päpke 1913, S. 29 f. Anm. 1).  



10

1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘

ta‘-Abschrift weist zudem auf eine Verwendung zu schulischen Zwecken.54 Anton Jäcklein vermutet im Jahr 1901 eine Autorschaft Hugos von Trimberg für das Gesamtwerk;55 seine These wird bereits vier Jahre später von Wilhelm Meyer widerlegt. Meyer betont, dass im Epilog deutlich zwischen Hugo von Trimberg als Auftraggeber und dem Verfasser unterschieden wird: Hugo habe lediglich eine Ausschmückung vorgenommen (illuminauit, V. 1) und eine Abschrift veranlasst (scribi procurauit, V. 2).56 Meyer wiederum hält Bruder Philipp aufgrund metrischer Gemeinsamkeiten für den Autor, auch dieser These wird kurz darauf widersprochen.57 Der Verfasser gilt seitdem als unbekannt. Die ‚Vita‘ schmückt das kanonische Wissen um Maria aus und schreibt es fort – nicht, wie der Erzähler wiederholt betont, um zu dogmatisieren (non intendo […] dogmatizare, V. 8002), sondern um die Gottesmutter zu loben (laudare, V. 8003).58 Die Erzählung setzt vor Marias Geburt ein und endet mit ihrer Himmel54 Vgl. Langosch 1942, S. 259–268; Gärtner 1981, S. 124; Mlinarič 1988, S. 35; Hoffmann 1994, S. 646 und Weigand 2000, S. 334. Die einundsechzig Zusatzverse sind überliefert in Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Hist. 156; München, Staatsbibliothek, Clm 28841 (früher München, Nationalmuseum, Cod. 3601); Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 30.12 Aug. 4°; Mainz, Stadtbibliothek, Hs. I 200 und Oxford, Bodleian Library, MS. Add. A. 286. Zu diesem Rezeptionskontext vermerkt Gärtner 1981, S. 124 f.: „Für die Schule empfahl sich das Werk durch seinen rhetorischen Stil, der am aufdringlichsten in den Beschreibungen der körperlichen Schönheit Marias und Jesu zum Ausdruck kommt.“ 55 Vgl. Jäcklein 1901, S. 20–47. Vor Jäckleins ausführlicher Auseinandersetzung mit Trimbergs vermeintlicher Autorschaft hatte bereits Friedrich Leitschuh in seinem Handschriftenkatalog der Königlichen Bibliothek zu Bamberg die ‚Vita‘ Hugo von Trimberg zugeschrieben, vgl. seine Beschreibung der Handschrift Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Hist. 156 in Leitschuh 1897, S. 256. Ihnen folgt Lehmann 1916, S. 50 f. in seiner Beschreibung von München, Staatsbibliothek, Clm 28841. 56 Ein Abdruck des Epilogs nach Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Hist. 156 findet sich bei Jäcklein 1901, S. 31–33. Zur Argumentation gegen eine Autorschaft Hugos von Trimberg vgl. Meyer 1905, S. 254–259 sowie später Langosch 1942, S. 259–262 und Schweikle 1983, Sp. 280f. 57 Vgl. Meyer 1905, S. 258 f., erster Versuch der Widerlegung bei Päpke 1913, S. 30–43. Schröder 1931, S. 246 bemerkt hierzu kritisch: „Den gegenbeweis, dass Philipp die Vita nicht verfasst haben kann, hat Päpke eigentlich nicht geführt: er hat nur gezeigt, dass Philipps werk eine ganz andere tendenz aufweist als die Vita und dieser vor allem mit der auswahl und anordnung des stoffes weit ferner steht, als etwa Walther von Rheinau“. Doch bleibt auch für Schröder Philipp als Verfasser ausgeschlossen. Er begründet seinen Standpunkt mit inhaltlichen Differenzen, die für ein Missverstehen der Vorlage durch Philipp sprechen, vgl. Schröder 1931, S. 246–248. 58 Sämtliche Verszahlen und Zitate der ‚Vita‘ beziehen sich auf die bislang einzige Ausgabe durch Adolf Vögtlin, vgl. Vögtlin 1888. Vögtlins Ausgabe zählt V. 966 fälschlicherweise als V. 965 und korrigiert den Fehler in den folgenden Versen nicht. Das Werk umfasst demnach nicht 8031 Verse (entsprechend der Verszahl des letzten Verses), sondern 8032 Verse. Wesentliche Korrekturen geben Päpke 1913, S. 158–168 und Schröder 1931, S. 248. Eine Neuausgabe der ‚Vita‘ unter Berücksichtigung ihrer Gesamtüberlieferung bleibt ein Forschungsdesiderat.  





1.2 Die Vorlage: ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘

11

fahrt nach ihrem irdischen Tod. Als inhaltliches Strukturmittel dienen vier Bücher, die jeweils mit einem Prolog eröffnet werden und in zahlreiche Einzelkapitel unterteilt je einen größeren Lebensabschnitt umfassen. Das erste Buch (V. 1–1477) beginnt nach einem kurzen Prolog des Erzählers (V. 1–46) kurz vor Marias Geburt mit ihren Eltern Anna und Joachim, berichtet von ihren Jugendjahren und schließt mit ihrer Heirat mit Joseph. Das zweite Buch (V. 1478–3621) beginnt kurz vor Jesu Geburt und fokussiert die Kindheit des Gottessohns. Schwerpunkt des dritten Buchs (V. 3622–6061) ist die Passion, während das vierte und letzte Buch (V. 6062–8031) die Zeit von der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu bis zur Himmelfahrt Mariens und ihrer Krönung zur Himmelskönigin umspannt. Es schließt mit einem dreigeteilten Epilog des Erzählers (V. 7972–7993, 7994–8013, 8014–8031). Trotz ihrer inhaltlichen Kohärenz kennzeichnet die Erzählung ein ausgesprochener Episodencharakter: „Die Kapitel sind vielfach bloß aneinandergereiht und redaktionell kaum verfugt.“59 Päpke spricht von einer „Mosaikarbeit“60, bei der der Verfasser streng schematisch vorgeht, zuweilen aber Verbindungselemente vergisst: Beispielsweise fehlt nach der Heimsuchungsszene Marias Rückkehr nach Nazareth.61 Während Päpke an der Erzählweise deutliche Kritik übt – „Die Erzählung ist meist wenig geschickt, ermüdend weitschweifig und dann wieder katalogartig dürr“62 –, lobt er den formalen Duktus in strengen Vagantenzeilen.63 In ihrer Ausführlichkeit ist die ‚Vita‘ ein „Sammelbecken von apokryphem Material“64. Der Erzähler selbst beschreibt seine dichterische Tätigkeit im Prolog zum ersten Buch mit den Verben collegi (V. 23) und compilavi (V. 31). Er gibt an, den Großteil seiner Erzählung ex evangeliis (V. 23) genommen zu haben, verweist aber auch explizit auf einzelne Autoritäten: Epiphanius von Salamis (V. 1f.), Ignatius von Antiochien (V. 3), Apostel Johannes (V. 4), Johannes von Damaskus (V. 5), Pseudo-Dionysius Areopagita (V. 25), Juvenal von Jerusalem (V. 27), Kosmas von Jerusalem (V. 28) und Theophilus, Bischof von Antiochia (V. 28).65 Weitere Quellen summiert der Erzähler in diesem ersten Prolog unter doctores plurimi (V. 29). Zusätzliche Namensnennungen folgen in den Prologen zu den Büchern zwei bis vier. Als zweiter Hinweis auf mögliche Vorlagen dienen die zahlreichen

59 60 61 62 63 64 65

Gärtner 1999a, Sp. 439. Päpke 1913, S. 29. Vgl. Päpke 1913, S. 29 bzw. den Kapitelübergang von V. 1637 zu V. 1638 in der ‚Vita‘. Päpke 1913, S. 29. Vgl. Päpke 1913, S. 29. Fromm 1965, S. 274. Ausführlicher zu den hier aufgeführten Autoritäten bei Jäcklein 1901, S. 29 f.  

12

1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘

Glossen einiger ‚Vita‘-Handschriften,66 mit der bislang knapp dreißig weitere mögliche Quellen identifiziert werden konnten.67 Achim Masser mahnt an, „sich nicht von den oft durch alle vier Bücher laufenden Autorenangaben täuschen [zu] lassen“68, da der anonyme ‚Vita‘-Dichter seine Autoritäten vermutlich sekundär, das heißt aus den Verweisen einzelner weniger Vorlagen, entnommen habe. Er schlägt vor, eine Quellenkritik stattdessen vom Erzähltext ausgehen zu lassen.69 Als Fundament der Handlung muss dann die lateinische Fassung von Epiphanius Monachus’ griechischem Marienleben gelten.70 Daneben wird von der Verwendung diverser neutestamentlicher Apokryphen ausgegangen: des ‚Pseudo-Matthäusevangeliums‘, des ‚Evangelium Nicodemi‘, des ‚Transitus Mariae‘ des Pseudo-Melito, der ‚Historia scholastica‘ des Petrus Comestor, einer Evangelienharmonie, der ‚Kindheitserzählung des Thomas‘ und des ‚Nazaräerevangeliums‘.71 Die ‚Vita‘ macht damit Gebrauch von einer Texttradition, die biblische Leerstellen zum Leben Mariens füllt – denn, wie der Theologe Oscar Cullmann mit Blick auf die im Mittelalter stark rezipierten apokryphen Kindheitsevangelien bemerkt: Überall, wo historische Lebensbeschreibungen Lücken aufweisen, pflegt die Legende anzusetzen, falls keine ergänzenden Nachrichten zur Verfügung stehen, um sie auszufüllen.72

Neuartig ist in diesem Fall der Umfang: Die ‚Vita‘ ist die erste vollständige Lebensschilderung der Gottesmutter, die auch Marias Leben nach Jesu Auferstehung berücksichtigt.73

66 Vögtlin verzichtet in seiner ‚Vita‘-Ausgabe auf eine Wiedergabe der Glossen. Für einen Abdruck vgl. Päpke 1913, S. 121–151, 153–157 sowie für einen Abdruck mit Identifizierung der anzitierten Vorlagen Mlinarič 1977, S. 139–181. Die Ursprünglichkeit der Glossen ist umstritten, vgl. Mlinarič 1977, S. 128–138 und Mossman 2010, S. 254. 67 Vgl. Gärtner 1999a, Sp. 441 und Masser 1969, S. 49, 54–56. 68 Masser 1969, S. 54. 69 Vgl. Masser 1969, S. 54. 70 Vgl. Päpke 1913, S. 26 und Mlinarič 1988, S. 31. Für eine Edition des griechischen Werks vgl. PG 120, Sp. 185–216. Epiphanius’ Marienleben wurde im 12. Jahrhundert von Paschalis Romanus in die lateinische Sprache übersetzt, vgl. Mossman 2010, S. 248 f. 71 Vgl. Gärtner 1999a, Sp. 440 f. Ausführlicher zur Verwendung der ‚Historia scholastica‘ bei Masser 1969, S. 50–57, zur Verwendung einer lateinischen Evangelienharmonie bei van den Broek 1974. Kritisch zur Verwendung des ‚Nazaräerevangeliums‘ Masser 1969, S. 53. Für eine ausführliche Analyse zur Komposition der ‚Vita‘ vgl. Mlinarič 1977, S. 226–317. Für eine knappe Übersicht vgl. Mlinarič 1988, S. 31 f. und Hoffmann 1994, S. 645. 72 Cullmann 1987, S. 330. 73 Vgl. Mossman 2010, S. 249.  





1.3 Das ‚Marienleben‘ als Bearbeitung der ‚Vita‘

13

Für das verstärkte Aufkommen deutschsprachiger Marienleben im Spätmittelalter spielt die ‚Vita‘ eine entscheidende Rolle. Während frühe deutschsprachige Marienleben vor allem auf dem ‚Pseudo-Matthäusevangelium‘ fußen,74 können die deutschsprachigen Marienleben des 13. bis 15. Jahrhunderts mehrheitlich als Bearbeitung oder Übersetzung entweder des Gesamtwerks oder einzelner Auszüge auf diese Dichtung zurückgeführt werden.75 Eine vollständige Übersetzung in die deutsche Sprache leistet zuerst Walther von Rheinau gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Bruder Philipp nimmt sich zwischen 1300 und 1316 der ‚Vita‘ an, ihm folgt in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts Wernher der Schweizer.76 Blickt man auf die Überlieferung, so kann weder Walthers noch Wernhers ‚Marienleben‘ mit Philipps über einhundert Überlieferungsträgern aus dem gesamten deutschsprachigen Gebiet mithalten: Von Walthers Fassung sind lediglich vier alemannische Textzeugen erhalten,77 Wernhers ist unikal und ebenfalls im Alemannischen überliefert.78

1.3 Das ‚Marienleben‘ als Bearbeitung der ‚Vita‘ Im Vorwort zu seiner Edition von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ ging Rückert Mitte des 19. Jahrhunderts noch davon aus, „dass sich dieser deutsche Dichter wie andere seines Gleichen möglichst enge an das Gerippe des Thatsächlichen in seiner

74 Hierzu zählen u. a. Priester Wernhers ‚Driu liet von der maget‘ (1172), Konrads von Fußesbrunnen ‚Kindheit Jesu‘ (Ende 12. Jahrhundert) und das ‚Passional‘ (Ende 13. Jahrhundert), vgl. Gärtner 1981, S. 122. 75 Vgl. Gärtner 2007, S. 539. Zu den Teilbearbeitungen in Versform gehören Heinrichs von Neustadt ‚Von Gottes Zukunft‘, das ‚Grazer Marienleben‘, die ‚Mittelrheinische Marien Himmelfahrt‘ und Andreas Kurzmanns Übertragung des ‚Soliloquium‘ der ‚Vita‘; zu den Teilbearbeitungen in Prosaform zählt u. a. das ‚Evangelienwerk‘ des Österreichischen Bibelübersetzers (1. Hälfte 14. Jahrhundert), vgl. Gärtner 1999a, Sp. 441, hier noch unter dem Titel: ‚Klosterneuburger Evangelienwerk‘. Neben den deutschen Bearbeitungen sind auch zwei irische überliefert, vgl. McNamara 1975, S. 123–125. Italienische Prosabearbeitungen der ‚Vita‘ sind der Forschung erst seit Kurzem bekannt, vgl. Costiner 2017. 76 Zur Datierung von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ vgl. die Ausführungen in Kap. 1.1. Zur Datierung von Wernhers ‚Marienleben‘ vgl. Gärtner 1999d, Sp. 953. 77 Walthers ‚Marienleben‘ ist überliefert in Innsbruck, Landesmuseum Ferdinandeum, Cod. FB 1519/VI; Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 35; Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 8° 144 und Zürich, Zentralbibliothek, Ms. C 79c, Bll. 7–8. Für eine Edition vgl. Perjus 1949. Gärtner 1978, S. 201 f. begründet mit der früheren Verbreitung von Walthers ‚Vita‘-Übertragung im alemannischen Raum die spärliche Überlieferung von Philipps Bearbeitung in dieser Region. 78 Bei dem einzigen derzeit bekannten Textzeugen von Wernhers ‚Marienleben‘ handelt es sich um Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 372. Für eine Edition vgl. Päpke / Hübner 1920.  





1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘

14

Quelle gehalten hat“79. Anschließende Forschungsarbeiten haben das Gegenteil erwiesen. Bereits Päpke erkennt im Jahr 1913 Philipp als „frei Nachschaffende[n]“80 und unterscheidet ihn so von Walther von Rheinau und Wernher dem Schweizer, die beide vielmehr eine Übersetzung denn eine Bearbeitung der ‚Vita‘ vorlegen.81 Philipps Sonderstellung in dieser Bearbeitungshistorie zeigt sich bereits bei einem Blick auf den Umfang seiner Dichtung im Vergleich mit seiner Vorlage und den anderen beiden deutschsprachigen Übertragungen: Die ‚Vita‘ umfasst 8032 siebenhebige Vagantenzeilen, d. h. 56.224 Hebungen. Bei Walther von Rheinau umfasst das ‚Marienleben‘ 16.623 meist vierhebige Reimpaarverse, d. h. ca. 66.500 Hebungen, und bei Wernher dem Schweizer 14.914 meist vierhebige Reimpaarverse, d. h. ca. 59.700 Hebungen. Die beiden verdoppeln demnach ungefähr die Zahl der ‚Vita‘-Verse und erhöhen die Zahl der Hebungen moderat. Philipps Adaptation hingegen endet – in der Edition durch Rückert – nach 10133 meist vierhebigen Reimpaarversen, d. h. nach ca. 40.500 Hebungen. Sein ‚Marienleben‘ übersetzt den Inhalt der ‚Vita‘ demnach in weniger Versen als sein Vorgänger bzw. sein Nachfolger – die Zahl der Hebungen liegt zudem unter der seiner Vorlage. Philipps ‚Marienleben‘ ist als kreative Adaptation zu verstehen.82 Er greift strukturierend, ergänzend und kürzend in das Werk ein und schafft aus den Einzelepisoden der ‚Vita‘ einen geschlossenen Erzählzusammenhang.83 So wer 







79 Rückert 1853, S. IV. 80 Päpke 1913, S. 43. Päpke identifiziert im Vergleich mit der ‚Vita‘ ein besonderes Interesse Philipps an der Kindheit Jesu, dem Alltag der Heiligen Familie und dem Familienleben, vgl. Päpke 1913, S. 34–41. 81 Vgl. Päpke 1913, S. 43. Für eine Untersuchung von Walthers von Rheinau und Wernhers des Schweizer Übersetzungsarbeit der ‚Vita‘ im Kontrast mit Philipps Bearbeitung vgl. Päpke 1913, S. 43–60. Für eine Untersuchung von Walthers und Wernhers Umgang mit der ‚Vita‘ vgl. Masser 1969, S. 58–69. 82 Für einen kurzen Überblick zu Philipps Vorgehen als Bearbeiter der ‚Vita‘ vgl. Masser 1969, S. 264. Diverse Forschungsarbeiten veranschaulichen Philipps Vorgehen: Für eine Gegenüberstellung der ‚Marienregel‘ in der ‚Vita‘ und Philipps ‚Marienleben‘ vgl. Gärtner 1984b. Rapp 1998, S. 305–309 vergleicht die Darstellung der Empfängnis Mariens in der ‚Vita‘ mit den deutschsprachigen Bearbeitungen, während Gay-Canton 2009 Unterschiede in den poetologischen Reflexionen der Erzähler in Bezug auf ihr apokryphes Material feststellt. Im Rahmen dieser Arbeit erfolgt ein weiterer derartiger Vergleich von ‚Vita‘ und ‚Marienleben‘ in Kap. 4.3.1. 83 Die Forschung geht davon aus, dass Philipp eine glossierte ‚Vita‘-Handschrift vorlag; zahlreiche seiner Zusätze können nur mit einer Kenntnis dieser Randbemerkungen erklärt werden, vgl. Päpke 1913, S. 13 f. An dieser Stelle sei beispielhaft auf ein Argument hingewiesen, das Päpke 1913, S. 14 anführt: Philipp ergänzt die ‚Vita‘ um den Vermerk, dass Joseph von Beruf Zimmermann und nicht Schmied gewesen sei. Hierfür findet sich keine Parallele in der ‚Vita‘, wohl aber in einer Glosse, die u. a. in München, Staatsbibliothek, Clm 12518, Bl. 19r überliefert ist. Päpke 1913, S. 13–  



1.3 Das ‚Marienleben‘ als Bearbeitung der ‚Vita‘

15

den bei Philipp beispielsweise aus der ersten Hälfte von V. 2765 der ‚Vita‘ – Joseph carpentarius fuit [...] – insgesamt acht Verse: Die waren půch uns sagent daz ein zimmerman her Josep was. er hiez faber lignarius: ein zimerman der hiez alsus. dar umb ih daz geschribn han, wand vil leute hant den wan, daz ein smid her Josep wære. die sint betrogen dar an sere. (V. 4268–4275)

Er belässt es also nicht bei einer kurzen Nennung von Josephs Beruf, sondern nutzt die Gelegenheit, um auf kursierende Fehlzuschreibungen zu verweisen und diese zu entkräften. Andere Abschnitte, so besonders eindrücklich die ausführlichen Engelgesänge bei Marias Himmelfahrt, kondensiert er hingegen deutlich.84 Ferner verzichtet Philipp im Unterschied zu seiner Vorlage weitgehend auf die wiederholte Legitimierung mittels Referenznennungen; den apokryphen Charakter einzelner Erzählungen – dessen der ‚Vita‘-Verfasser sich äußerst bewusst ist (vgl. ‚Vita‘, V. 33f.) – verschleiert er, indem er die Geschehnisse unmittelbar vor Marias Geburt dem Alten Testament zuordnet (vgl. ‚Marienleben‘, V. 23).85 Auch auf struktureller Ebene weicht er ab: Philipp übernimmt die Einteilung der ‚Vita‘ in vier Bücher nicht.86 Häufiger Kritikpunkt ist seine Vernachlässigung der formalen Strenge der ‚Vita‘, insbesondere die Verwendung zahlreicher unreiner Reime. Den Erfolg von Philipps Bearbeitung sieht Masser vor allem in der von der Vorlage abweichenden Figurengestaltung: Die Geschichten der Vita rhythmica sind steif, ihre Personen von typisierender Farblosigkeit. Philipp hat die Szenerie belebt, hat den handelnden Personen individuelle Züge verliehen.

17 zeigt darüber hinaus, dass auch Wernher dem Schweizer eine glossierte ‚Vita‘-Handschrift vorlag, während bei Walther von Rheinau nicht davon auszugehen ist. 84 Für eine detaillierte Analyse von Philipps Bearbeitungstechnik in den Himmelfahrt-Episoden vgl. Ostermann 2019. 85 Zum unterschiedlichen Umgang mit apokryphem Material in der ‚Vita‘ und ihren deutschen Bearbeitungen vgl. Gay-Canton 2009. Textzeugen der sog. thüringischen Rezension des ‚Marienleben‘ ergänzen den Text erneut um die Autoritäten der ‚Vita‘, vgl. Gärtner 1978, S. 376, 382 u. ö. 86 Die Handschrift P weist eine Referenz an dieses Strukturmittel auf: Mit einem Einschub nach V. 4761 lässt der Erzähler mit der Kindheit Jesu das erste Buch enden und beginnt das zweite mit einem eingeschobenen Prolog, vgl. Gärtner 1978, S. 287 f. sowie Kap. 1.4 der vorliegenden Arbeit. Die sog. thüringische Rezension, die unter Rückgriff auf die ‚Vita‘ bearbeitet wurde, nimmt die ursprüngliche Einteilung wieder vor, vgl. Gärtner 1978, aktualisierte Version 2012, S. 280 f.  





16

1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘

Joseph, Maria und Jesus – bei ihm gewinnen sie an Gestalt, bilden sie wirklich eine sancta familia. Er vermag sich in die wechselvollen Situationen, in die die heilige Familie auf ihrer weiten Reise gerät, hineinzudenken, und auf diesem Einfühlungsvermögen beruht die Anschaulichkeit seiner Darstellung. Zuweilen genügen wenige Verse, ein einziges treffendes Wort, um die jeweiligen Vorgänge plastisch werden zu lassen. Manchmal erdichtet Philipp auch ausführliche Gespräche; immer aber gelingt ihm das gleiche: eine warmherzige, lebendige Schilderung mit liebevoller Ausmalung des Details.87

Philipps Verdienst besteht also darin, die erste Gesamtschilderung des Lebens der Gottesmutter in die Volkssprache übertragen und ihr Leben eingehaucht zu haben. Er lässt die Heilige Familie nahbar werden und verleiht seiner Vorlage Kohärenz. Viele Jahrhunderte nach Philipp setzt sich Rainer Maria Rilke literarisch mit der Gottesmutter auseinander. In einem 1912 veröffentlichten Gedichtzyklus fasst er ihre Lebensgeschichte in Verse und schreibt sich so in eine Tradition der deutschsprachigen Literatur ein, die 1172 mit Priester Wernhers ‚Driu liet von der maget‘ ihren Anfang nimmt und zwischen 1300 und 1316 mit Bruder Philipps ‚Marienleben‘ eine Popularität erreicht, die für mittelalterliche Reimpaardichtungen unübertroffen ist. Wie Rilke unternimmt Philipp den Versuch „zu begreifen, wie sie damals war“88, und trifft damit einen Nerv der Zeit. Sein ‚Marienleben‘ zeigt, dass der Erfolg eines Werks keineswegs von seinem Inhalt oder Stil abgeleitet werden kann – ein Phänomen, das dem modernen Literaturbetrieb nicht unbekannt ist. Selbst wenn das ‚Marienleben‘ sogar zeitgenössische dichterische Maßstäbe nicht erfüllt, so wurde es doch abgeschrieben, rezipiert und bewahrt – und zwar so häufig wie keine andere Reimpaardichtung und im gesamten deutschsprachigen Gebiet. Die Bedeutung des ‚Marienleben‘ für die volkssprachliche Literatur des Mittelalters kann damit nicht geleugnet werden. Als mittelalterlicher Überlieferungsschlager verdient es, aller kritischen Forschungsstimmen ungeachtet, eine ausführliche wissenschaftliche Auseinandersetzung.

1.4 Der Aufbau des ‚Marienleben‘ Als Vergleichsgrundlage für die spätere Analyse der niederdeutschen Textzeugen wird hier eine Gliederung präsentiert, die die Einzelepisoden des ‚Marienleben‘ aufführt und zu größeren Abschnitten zusammenfasst. Da die Kapitelstruktur in der handschriftlichen Überlieferung nicht einheitlich ist, erfolgt diese Systematisierung auf Grundlage der von Kurt Gärtner und Martin Schubert vorbereiteten,

87 Masser 1969, S. 264. 88 Rilke 1912, S. 8.

1.4 Der Aufbau des ‚Marienleben‘

17

noch nicht publizierten Neuedition, die im Unterschied zu Rückerts Edition eine Kapiteleinteilung unter Berücksichtigung der Rubriken vornimmt.89 Die angegebenen Verszahlen beziehen sich dennoch auf Rückerts Edition. Diese Zählung wird in der Neuedition ebenfalls geführt und ermöglicht so eine bessere Vergleichbarkeit. Da in der handschriftlichen Überlieferung auch der Wortlaut der Rubriken variiert, werden neuhochdeutsche Überschriften gewählt, die sich an den Kolumnentiteln der Neuedition orientieren. (I) Prolog (V. 1–22,8) A

Anna und Joachim 1. Kinderlosigkeit (V. 23–78) 2. Joachims Vertreibung aus dem Tempel (V. 79–180) 3. Raphael bei Joachim: Verheißung der Geburt Mariens (V. 181–224) 4. Raphael bei Anna: Verheißung der Geburt Mariens (V. 225–264) 5. Wiedersehen an der Goldenen Pforte (V. 265–326) 6. Annas Schwangerschaft (V. 327–368)

B

Maria 1. Geburt (V. 369–392) 2. Darbringung im Tempel (V. 393–412) 3. Maria beginnt zu sprechen (V. 413–424) 4. Maria im Alter von drei bis sieben Jahren (V. 425–498) 5. Aufnahme in den Kreis der Tempeljungfrauen (V. 499–557) 6. Maria als Tempeljungfrau (V. 558–693) 7. Losentscheidung: Maria als Königin (V. 696–785 [V. 694 f. fehlt]) 8. Marias Frömmigkeit (V. 786–813) 9. Marias Schönheit (V. 814–887) 10. Aufforderung der Priester zur Heirat (V. 888–1015) 11. Die Priester wenden sich an Maria (V. 1016–1035) 12. Marias Antwort (V. 1036–1039) 13. Die Antwort der Priester (V. 1040–1043) 14. Marias Antwort (V. 1044–1049) 15. Die Priester beratschlagen sich (V. 1050–1061) 16. Ein Jude hilft Maria, Entscheidung über Gottesurteil (V. 1062–1175)  

C

Maria und Joseph 1. Vorstellung Josephs (V. 1176–1231) 2. Gottesurteil: Entscheidung für Joseph (V. 1232–1271) 3. Die Priester übergeben Maria an Joseph (V. 1272–1283) 4. Josephs Ablehnung (V. 1284–1317) 5. Ein Engel erscheint Joseph (V. 1318–1375)

89 Die Neuedition wird auch die jeweils entsprechenden Passagen in der ‚Vita‘ verzeichnen. Auf eine Konkordanz wird daher an dieser Stelle verzichtet.

1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘

18

6. Marias Gebet (V. 1376–1437) 7. Ein Engel erscheint Maria (V. 1438–1493) 8. Vermählung (V. 1494–1615) D

Verkündigung und Jesu Geburt 1. Erzengel Gabriel bei Maria: Verkündigung (V. 1616–1691) 2. Empfängnis und Besuch bei Elisabeth (V. 1692–1791) 3. Josephs Reaktion auf Marias Schwangerschaft (V. 1792–1919) 4. Reise nach Bethlehem (V. 1920–1999) 5. Jesu Geburt, während Joseph zwei Hebammen holt (V. 2000–2055) 6. Rückkehr Josephs (V. 2056–2091) 7. Zwei Hebammen (V. 2092–2187) 8. Verkündigung an die und Anbetung durch die Hirten (V. 2188–2231) 9. Unterkunft in Bethlehem (V. 2232–2235) 10. Zeichen bei Jesu Geburt: Stern von Bethlehem (V. 2236–2247) 11. Zeichen bei Jesu Geburt: Ölbrunnen (V. 2248–2257) 12. Sibylles Weissagung an Kaiser Augustus (V. 2258–2307) 13. Zeichen bei Jesu Geburt: Einsturz des Friedenstempels (V. 2308–2359) 14. Zeichen bei Jesu Geburt: Goldene Krone über Rom (V. 2360–2369) 15. Zeichen bei Jesu Geburt: Honigregen (V. 2370–2377) 16. Zeichen bei Jesu Geburt: Wasserstillstand (V. 2378–2385) 17. Zeichen bei Jesu Geburt: Tod der Sünder (V. 2386–2415) 18. Zeichen bei Jesu Geburt: Drei Sonnen und drei Monde (V. 2416–2429) 19. Jesu Beschneidung (V. 2430–2435) 20. Die Heiligen Drei Könige (V. 2436–2667) 21. Darstellung im Tempel: Simeon (V. 2668–2733)

E

Die Heilige Familie in Ägypten 1. Kindermord in Bethlehem, Flucht nach Ägypten (V. 2734–2785) 2. Auf der Flucht: Brunnen- und Palmbaumwunder (V. 2786–2865) 3. Auf der Flucht: Anbetung Jesu durch die Flora (V. 2866–2879) 4. Auf der Flucht: Anbetung Jesu durch Drachen (V. 2880–2907) 5. Auf der Flucht: Anbetung Jesu durch wilde Tiere (V. 2908–2929) 6. Auf der Flucht: Anbetung Jesu durch Vögel (V. 2930–2937) 7. Auf der Flucht: Gefangennahme durch Räuber (V. 2938–3095) 8. Auf der Flucht: Wegplanung und Mühsal (V. 3096–3211) 9. Auf der Flucht: Wunder der Wegkürzung (V. 3212–3225) 10. Auf der Flucht: Vertreibung des Regens (V. 3226–3239) 11. Auf der Flucht: Vertreibung von Teufeln aus einem Baum (V. 3240–3275) 12. Ankunft in Ägypten: Sturz der Abgötter (V. 3276–3363) 13. Trauer der Ägypter (V. 3364–3391) 14. Herzog Eufrodisius (V. 3392–3423) 15. Zusammenfassung der bisherigen Handlung durch Eufrodisius und Joseph, siebenjähriger Aufenthalt in Ägypten (V. 3424–3637) 16. Marias selbstgemachter Rock für Jesus (V. 3638–3673) 17. Jesu erste Schritte und Worte (V. 3674–3707) 18. Jesus unter seinen Spielkameraden (Jesus als König) (V. 3708–3745)

1.4 Der Aufbau des ‚Marienleben‘

19

19. Heilung eines Beinbruchs (V. 3746–3761) 20. Nach sieben Jahren: Erscheinung eines Engels, Aufruf zur Rückkehr (V. 3762–3823) 21. Beschwerliche Rückreise (V. 3824–3851) 22. Überquerung eines Baches (V. 3852–3877) F

Jesu Kindheit in Nazareth 1. Ankunft in Nazareth, Empfang von Anna und Kleophas (V. 3878–3901) 2. Hausbau (V. 3902–3911) 3. Jesus als Kind (V. 3912–3973) 4. Jesus unter seinen Spielkameraden (Jesus als König) (V. 3974–3985) 5. Jesus in der Schule (V. 3986–4051) 6. Auferweckung eines toten Mannes namens Joseph (V. 4052–4109) 7. Jesus formt Vögel aus Lehm (V. 4110–4175) 8. Besuch von Zacharias, Elisabeth und Johannes (V. 4176–4267) 9. Joseph als Zimmermann (V. 4268–4275) 10. Wunder vom verlängerten Holz (V. 4276–4333) 11. Auferweckung eines toten Kindes namens Zenon (V. 4334–4417) 12. Der zerbrochene Krug (V. 4418–4453) 13. Jesus transportiert Wasser in seinem Schoß (V. 4454–4467) 14. Jesus sät Korn (V. 4468–4487) 15. Fischfang am Sabbat (V. 4488–4627) 16. Jesus bei den Löwen (V. 4628–4747) 17. Jesu Spielgesellen (V. 4748–4761)

(II) Übergangskapitel vom ersten zum zweiten Buch (V. 4761,1–4761,8) G

Jesu Jugend und öffentliches Wirken 1. Der zwölfjährige Jesus im Tempel in Jerusalem (V. 4762–4895) 2. Jesus bei Johannes in der Wüste (V. 4896–4983) 3. Jesu tugendhaftes Leben (V. 4984–5003) 4. Jesu Schönheit (V. 5004–5081) 5. Dialog zwischen Maria und Jesus (V. 5082–5359) 6. Taufe Jesu im Jordan (V. 5360–5371) 7. Erwählung der zwölf Apostel (V. 5372–5389) 8. Hochzeit zu Kana (V. 5390–5431) 9. Maria in Kafarnaum (V. 5432–5453) 10. Wirken Jesu: Heilungswunder (V. 5454–5519) 11. Auferweckung des Jünglings von Nain (V. 5520–5549) 12. Heilung eines vom Teufel Besessenen (V. 5550–5595) 13. Maria in Nazareth (V. 5596–5615) 14. Josephs Tod und Marias Klage (V. 5616–5719) 15. Auferweckung der Tochter des Jairus (V. 5720–5747) 16. Heilung der blutflüssigen Frau (Martha) (V. 5748–5823) 17. Speisung der Fünftausend (V. 5824–5883) 18. Speisung der Viertausend (V. 5884–5939) 19. Zahlung der Tempelsteuer (V. 5940–5971) 20. Jesus und die Ehebrecherin (fehlt Rückert)90

1 Bruder Philipps ‚Marienleben‘

20

21. Gleichnis vom reichen Kornbauern (fehlt Rückert) 22. Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner (fehlt Rückert) 23. Warnung vor falschen Propheten (fehlt Rückert) H

Passion 1. Auferweckung des Lazarus, Mordpläne der Pharisäer (V. 5972–6069) 2. Maria in Bethanien (V. 6070–6129) 3. Einzug Jesu in Jerusalem (V. 6130–6161) 4. Tempelreinigung (V. 6162–6183) 5. Warnung vor den Schriftgelehrten und Pharisäern (V. 6184–6291) 6. Zorn der Schriftgelehrten und Pharisäer (V. 6292–6321) 7. Judas’ Verrat (V. 6322–6345) 8. Letztes Abendmahl (V. 6346–6387) 9. Ankündigung: Verleugnung durch Petrus, Auferstehung (V. 6388–6443) 10. Gebet im Garten Gethsemane (V. 6444–6499) 11. Gefangennahme (V. 6500–6567) 12. Jesus vor dem Hohen Rat (V. 6568–6661) 13. Verleugnung durch Petrus (V. 6662–6699) 14. Jesus bei Pilatus und Herodes (V. 6700–6809) 15. Geißelung (V. 6810–6877) 16. Jesus bei Pilatus: Urteil (V. 6878–6993) 17. Marias Reaktion auf Jesu Verurteilung (Klage) (V. 6994–7181) 18. Kreuzweg und Kreuzigung (V. 7182–7253) 19. Marias Reaktion auf Jesu Kreuzigung (Klage) (V. 7254–7347) 20. Jesus am Kreuz, Marias Klage (V. 7348–7509) 21. Jesus tröstet Maria (V. 7510–7523) 22. Jesus gibt Maria in die Obhut des Apostels Johannes (V. 7524–7559) 23. Jesu Tod (V. 7560–7589) 24. Marias Reaktion auf Jesu Tod (Klage) (V. 7590–7689) 25. Longinus sticht Jesus einen Speer in die Seite (V. 7690–7715) 26. Zeichen bei Jesu Tod (V. 7716–7751) 27. Jesus wird vom Kreuz genommen (V. 7752–7785) 28. Begräbnis (V. 7786–7813) 29. Petrus’ Klage (V. 7814–7887) 30. Maria Magdalenas Klage (V. 7888–7943) 31. Maria beim Apostel Johannes in Jerusalem (V. 7944–7949) 32. Höllenfahrt (V. 7950–7961)

I

Jesu Auferstehung und Himmelfahrt 1. Auferstehung (V. 7962–7973) 2. Jesus erscheint Maria (V. 7974–8027)

90 G20–23 sind bislang nur in der Leithandschrift der Neuedition bezeugt. Sie erweitern die ‚Vita‘ unter Rückgriff auf Joh. 8,1–11 (G20), Lk 12,16–21 (G21), Lk 18,9–14 (G22) und Mt 7,15 f. sowie Mk 12,38 f. (G23). Gärtner 1978, S. 289 f., 293 argumentiert anhand der Reimsprache für eine Echtheit der Episoden.  





1.4 Der Aufbau des ‚Marienleben‘

3. Jesus erscheint Joseph von Arimathäa (V. 8028–8051) 4. Jesus erscheint Jakobus (V. 8052–8057) 5. Jesus erscheint Petrus (V. 8058–8061) 6. Jesus erscheint den drei Marien (V. 8062–8129) 7. Jesus erscheint seinen Jüngern (V. 8130–8155) 8. Aufruf zur Missionierung (V. 8156–8189) 9. Vor Jesu Himmelfahrt: Jesus tröstet Maria (V. 8190–8283) 10. Jesu Himmelfahrt (V. 8284–8313) 11. Ausgießung des Heiligen Geistes (V. 8314–8343) 12. Missionstätigkeit der Jünger (V. 8344–8415) J

Marias Leben nach Jesu Himmelfahrt 1. Marias Missionstätigkeit (V. 8416–8447) 2. Marias Frömmigkeit (V. 8448–8497) 3. Marienregel (V. 8498–8847) 4. Paulus bei Maria (V. 8848–8869) 5. Missionstätigkeit: Maria Magdalena, Martha und zwei Jünger (V. 8870–8883) 6. Dyonisius bei Maria (V. 8884–8929) 7. Bekehrte Christen bei Maria (V. 8930–8949) 8. Missionstätigkeit des Apostels Johannes (V. 8950–8991) 9. Marias Wundertätigkeit (V. 8992–9055) 10. Ignatius bittet Johannes um einen Besuch bei Maria (V. 9056–9085) 11. Ignatius’ Brief an Maria (V. 9086–9133,2) 12. Marias Antwortbrief an Ignatius (V. 9134–9195)

K

Himmelfahrt 1. Marias irdischer Tod und leibliche Aufnahme in den Himmel (V. 9196–9585) 2. Maria vor dem Himmelstor (V. 9586–9611) 3. Erster Chor: Angeli (V. 9612–9629,2) 4. Zweiter Chor: Archangeli (V. 9630–9653) 5. Dritter Chor: Principatus (V. 9654–9671) 6. Vierter Chor: Potestates (V. 9672–9687) 7. Fünfter Chor: Virtutes (V. 9688–9715) 8. Sechster Chor: Dominationes (V. 9716–9739) 9. Siebter Chor: Throni (V. 9740–9765) 10. Achter Chor: Cherubin (V. 9766–9793) 11. Neunter Chor: Seraphin (V. 9794–9833) 12. Empfang durch alle Heiligen (V. 9834–9877) 13. Empfang durch Johannes den Täufer (V. 9878–9895) 14. Empfang durch Joachim und Anna (V. 9896–9917) 15. Empfang durch Joseph (V. 9918–9949) 16. Maria vor Gottes Thron (V. 9950–9975) 17. Empfang durch Gott (V. 9976–9989) 18. Empfang durch Jesus (V. 9990–10027) 19. Empfang durch den Heiligen Geist (V. 10028–10065)

(III) Epilog (V. 10066–10133)

21

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand Wenn die Forschung sich in der Vergangenheit mit dem ‚Marienleben‘ auseinandergesetzt hat, dann in erster Linie, um anhand seiner Reimsprache die Herkunft des Autors aus einer bestimmten Region nachzuweisen.1 Wenngleich derzeit eine Herkunft Philipps aus dem mitteldeutsch-niederdeutschen Grenzgebiet angenommen wird,2 verfolgt diese Arbeit nicht die Absicht, auf der Grundlage der niederdeutschen Handschriften den Dialekt des Autors zu erruieren. Die Wahl des niederdeutschen Überlieferungszweiges ist nicht durch den Autor, sondern vielmehr durch die Geschichte seines Werks und den bisherigen Forschungsstand zu dessen Rezeption und Weitertradierung im niederdeutschen Sprachraum motiviert. Dieser Forschungsstand soll im Folgenden dargestellt werden. Bei dem ältesten derzeit bekannten datierten Textzeugen der gesamten deutschsprachigen ‚Marienleben‘-Überlieferung handelt es sich um das leider verschollene niederdeutsche Fragment Privatbesitz Hans Müller-Brauel, Haus Sachsenheim bei Zeven, Nr. 42 [Sigle Nr. 35]. Ein Kolophon nennt das Jahr 1324 als Zeitpunkt der Abschrift und bezeugt somit, dass Philipps Werk bereits kurz nach seiner Fertigstellung zwischen ca. 1300 und 1316 und noch zu Lebzeiten des Autors im niederdeutschen Raum zirkulierte. Neben diesem Fragment spricht auch die auf niederdeutscher Vorlage basierende ostmitteldeutsche Handschrift Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 865 [Sigle Bn] aus dem 14. Jahrhundert für eine frühe Verbreitung des ‚Marienleben‘ im niederdeutschen Sprachgebiet.3 Da für diese Handschrift zudem ein Besitz durch die Königsberger Deutschordensritter nachgewiesen werden kann, bezeugt sie auch die Übersendung an den Deutschen Orden.4 In Kombination mit dem frühen Fragment steht sie für

1 Vgl. u. a. Haupt 1871, Juvet 1904 und Schröder 1924a, S. 4; de Boor 1965, S. 460 sowie die Ausführungen in Kap. 2.1 der vorliegenden Arbeit. Für Kritik an diesem Vorgehen vgl. Stackmann 1997, S. 13. 2 Vgl. Gärtner 1981, S. 120; Gärtner 1989, Sp. 589; Hoffmann 1993, S. 197; Ott 1993, Sp. 2077. 3 Vgl. die Beschreibung dieser Handschrift bei Gärtner 1978, S. 73 f. 4 Zur Sprache des Deutschen Ordens: „Der Deutsche Orden verwendet zwei Schreibsprachen. Der livländische Zweig schreibt mnd., der preußische Zweig omd. Auch die preußischen Hansestädte Kulm, Thorn, Königsberg und Braunsberg schreiben omd. Bei Kulm und Thorn stimmt die geschriebene Sprache mit der Mundart der Umgebung überein, nicht jedoch im Falle von Braunsberg und Königsberg, deren Umgebung nd. spricht. Die Kanzlei der Stadt Elbing ist zweisprachig, nd. und omd. Die Danziger Ordenskanzlei schreibt omd., die Ratskanzlei mnd. im inneren wie im hansischen Verkehr, aber an den Orden omd. An die obersten Behörden des Ordensstaates, die ihren Sitz in Preußen haben, besonders an den Hochmeister in der Marienburg, später in Königs 



https://doi.org/10.1515/9783110676822-002

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

23

einen vom nd. Norden ausgehenden Traditionsstrom und macht das am entgegengesetzten Ende im äußersten Süden des deutschen Sprachgebiets gelegene Seitz immer unwahrscheinlicher als den Ort, von dem allein sich die Überlieferung allmählich ausbreitete.5

In der Folge attestiert Gärtner der Gesamtüberlieferung „ein Nord-Süd-Gefälle [...] und nicht die umgekehrte Richtung, wie eigentlich zu erwarten wäre im Hinblick auf ihren Ausgangspunkt in der Kartause Seitz“6. Der jüngste datierte niederdeutsche Textzeuge, Lübeck, Stadtbibliothek, Ms. theol. germ. 4° 23 [Sigle Lü], vermerkt das Jahr 1489. Die niederdeutsche Überlieferung setzt damit nicht nur kurz nach Abfassung des Werks ein, sondern umfasst auch den ganzen Zeitraum der mittelalterlichen Weitertradierung im gesamten deutschsprachigen Gebiet. Wichtig ist an dieser Stelle, wie über diesen Zeitraum im niederdeutschen Sprachraum mit dem Text umgegangen wird. Auf der Grundlage von Gärtners im Jahr 1978 fertiggestellten Untersuchung der Überlieferungsgeschichte wird derzeit davon ausgegangen, dass die niederdeutsche Überlieferung ausnahmslos an einer autornahen Textform festhält und eine produktive Auseinandersetzung mit der Erzählung – sei es in Bezug auf ihre Form oder ihren Inhalt – nicht stattfindet.7 Laut aktuellem Forschungsstand kennzeichnet die niederdeutsche Überlieferung somit ein konservativer Umgang mit dem Text, der in deutlichem Kontrast zu seinen Rezeptionsformen im mittel- und süddeutschen Raum steht.8 Dort wird das ‚Marienleben‘ ab ca. 1400 in Prosa aufgelöst, in Weltchroniken und Historienbibeln integriert, um Einzelerzählungen aus anderen Erzählungen erweitert und unter Rückgriff auf die ‚Vita‘ neu bearbeitet.9 Die bisher bekannten niederdeutschen Handschriften hingegen halten am Reimpaarvers fest, überliefern Philipps geistliches Epos fast ausschließlich eigenständig und ohne Interpolationen. Aus diesem starren Festhalten an einer autornahen Textfassung leitet Gärtner eine besondere textkritische Relevanz der niederdeutschen Überlieferung ab. In seiner Untersuchung kann er

berg, schreibt auch der livländische Zweig gewöhnlich omd.“ (Peters 2000a, S. 1416). Vgl. hierzu auch Päsler 2007, S. 163. 5 Gärtner 1978, S. 74. 6 Gärtner 1981, S. 127. Siehe auch Williams-Krapp 2006, S. 65 zu der Bedeutung eines solchen Nord-Süd-Gefälles: „Der Literaturfluß von Norden nach Süden ist im 14. und 15. Jahrhundert nur ein Rinnsal“. 7 Vgl. Gärtner 1978, S. 319 sowie die Zusammenfassung von Gärtners Untersuchungsergebnissen zu Beginn von Kap. 4 der vorliegenden Arbeit. 8 Vgl. Gärtner 1978, S. 373 f., 379 u. ö. 9 Zur Prosaauflösung von Philipps ‚Marienleben‘ in den Historienbibeln IIa und Ib vgl. Rapp 1994 und Rapp 1998. Zur Verbindung mit der Weltchronik Heinrichs von München vgl. Gärtner 1984a. Zu der Bearbeitungstechnik der sog. thüringischen Rezension vgl. Gärtner 2008.  



24

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

zeigen, wie Veränderungen in späteren Bearbeitungen anhand der in den niederdeutschen Handschriften konservierten Textfassung erklärt werden können. Daneben weisen auch die niederdeutschen Wortformen der autornächsten Handschrift P auf eine textkritische Relevanz der niederdeutschen Überlieferung.10 Die vorliegende Studie nimmt ihren Ausgang vom aktuellen Forschungsstand und hinterfragt ihn. Insbesondere anhand der niederdeutschen Wieder- und Neufunde soll das bisherige Bild der niederdeutschen Texttradition – starres Festhalten an einer nahe an die Entstehungszeit heranreichenden Textfassung; nur rezeptiver, kein produktiver Umgang bei der Abschrift – überprüft und aktualisiert werden. Diese Arbeit versteht sich dabei auch als Ergänzung der Neuedition: Als Sonderuntersuchung eines einzelnen Überlieferungszweiges kann sie helfen, den Text in seiner Entwicklung und regional bedingten Rezeption zu verstehen. Dies gilt ausdrücklich für solche Überlieferungszweige, die eine überlieferungshistorische und textkritische Relevanz aufweisen.

2.1 Die Forschungsgeschichte Die bisherige wissenschaftliche Beschäftigung mit der niederdeutschen ‚Marienleben‘-Überlieferung ist von vernachlässigten Forschungsaufrufen und wiederholten Irrtümern geprägt. Ein Überblick über die Berücksichtigung der niederdeutschen Textzeugen in der Forschung, wie er an dieser Stelle folgt, reicht bis in die Zeit vor der Begründung der Germanistik als eigenständige und institutionalisierte Wissenschaft zurück. Johann Friedrich August Kinderling Bereits im Jahr 1783 macht Johann Friedrich August Kinderling, zu diesem Zeitpunkt Diakon in Calbe an der Saale, in Johann Christoph Adelungs ‚Magazin für die deutsche Sprache‘ auf eine niederdeutsche Handschrift von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ aufmerksam, die sich seit dreizehn Jahren in seinem Besitz befindet.11 Kinderling ist nicht nur unter den ersten neuzeitlichen Gelehrten, die sich des ‚Marienleben‘ annehmen, sondern zugleich auch unter den ersten – es sollen eine Vielzahl folgen –, die dessen literarische Qualität infrage stellen. Er lehnt die grundsätzliche Beschäftigung mit dem ‚Marienleben‘ dennoch nicht gänzlich ab, sondern sieht einen Mehrwert in linguistischen, speziell sprachhistorischen Ana10 Zu den niederdeutschen Wortformen der Handschrift P vgl. Gärtner 1978, S. 163. 11 Vgl. Kinderling 1783, S. 63–71. Zu Kinderling selbst vgl. Bertheau 1882. Kinderlings Besitz der Handschrift ab dem Jahr 1770 ist rekonstruierbar aus einem späteren Aufsatz, vgl. Kinderling 1788b, S. 341.

2.1 Die Forschungsgeschichte

25

lysen: „So unerheblich dies Gedicht vielleicht in Absicht der Poesie seyn möchte, so wird doch der Sprachforscher nicht ganz leer ausgehen, wenn ers durchlieset.“12 Wichtige Basisdaten des Textes fehlen ihm, da seine Handschrift den Prolog und den Epilog nicht überliefert, sondern erst mit der Verkündigung von Marias Geburt durch den Engel Raphael einsetzt und mitten in der Schilderung des himmlischen Empfangskomitees für Maria abbricht. Er nennt daher weder den Autor noch den vom Autor vergebenen Werktitel und bezeichnet die Dichtung als „eine[] Deutsche [] gereimte[] Lebensgeschichte der heil. Jungfrau Maria“13. Den fehlenden Anfang bemerkt er nicht: „Dieses Gedicht besitze ich ganz, außer daß ein einziges Blat zur Hälfte ausgerissen ist.“14 Auf der Grundlage der knappen Handschriftenbeschreibung und der beiden exemplarischen Textabdrucke, die Kinderling ebenfalls liefert, lässt sich die Handschrift in seinem Besitz eindeutig identifizieren als Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 760 [Sigle Be].15 Bereits ein Jahr nach dieser Bekanntmachung folgt ein umfangreicherer Textabdruck, erneut im ‚Magazin für die deutsche Sprache‘.16 Die Signifikanz des Schriftstücks wird abermals aus linguistischer Perspektive betont: Es handele sich um ein literarisches Werk, das „um deswillen Aufmerksamkeit verdienet, weil es in Niedersächsischer Mundart abgefaßt ist, von welcher wir weit weniger gereimte Überbleibsel im Drucke aufzuweisen haben, als aus den Oberdeutschen Mundarten“.17 Die Bedeutung sieht Kinderling demnach in dem Ausnahmecharakter der Schreibsprache. Doch auch dieses Mal stößt er auf taube Ohren. Vier Jahre später widmet er sich im ‚Deutschen Museum‘ wieder selbst diesem „nicht ganz unwichtigen Denkmaale der ältesten deutschen Poesie“ und äußert sein Bedauern darüber, dass seine „Hofnung, daß andere Gelehrte angereizt werden solten, ähnliche und vielleicht ältere Abschriften oder Rezensionen dieses Gedichts ans Licht zu bringen“18, bisher nicht erfüllt worden ist. Die einzige Ausnahme stellt ein Briefwechsel mit

12 Kinderling 1783, S. 67. Es folgen einige Beobachtungen zu Formen der Verneinung sowie einzelne Vokabelangaben, vgl. Kinderling 1783, S. 67–70. Kinderlings Fokus auf den ausschließlich linguistischen Wert von Philipps Werk wird von der Forschung laufend wiederholt, vgl. z. B. Juvet 1904, S. 174: „Philipp gehört ganz und gar zu derjenigen klasse von dichtern, die nur um ihrer sprache willen beachtung verdienen.“ 13 Kinderling 1783, S. 63. 14 Kinderling 1783, S. 63 – es wird der Originalschreibung gefolgt. 15 Kinderling 1783, S. 63–65 liefert einen Abdruck der ersten fünfunddreißig Verse des Berliner ‚Marienleben‘: V. 181–216 (V. 214 fehlt). Es folgt ein Abdruck von V. 9929–9949, vgl. Kinderling 1783, S. 66 f. 16 Hier wiedergegeben sind die V. 181–1049, vgl. Kinderling 1784, S. 122–157. 17 Kinderling 1784, S. 121. 18 Beide direkten Zitate: Kinderling 1788b, S. 340 – es wird der Originalschreibung gefolgt.  



26

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

dem Braunschweiger Konsistorialrat Konrad Arnold Schmid dar, der ihn über einen Helmstedter Textzeugen in Kenntnis setzen konnte.19 Gemeint ist die heute mit Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 894 Helmst. [Sigle Wo] bezeichnete Handschrift,20 für die Schmid aber keine Signatur nennt.21 Kinderling gibt daher nicht auf, sondern schlussfolgert: „Ich muß also meine gelehrte Waare wol noch einmal anzeigen, und versuchen, ob ich mehrere Aufmerksamkeit erwecken kan.“22 Er beginnt mit einer erneuten Beschreibung der niederdeutschen Handschrift und kann an dieser Stelle eine Änderung zur letzten Bekanntmachung vermelden: Das nur fragmentarisch erhaltene Blatt habe er aus der Wolfenbütteler Handschrift ergänzt.23 Kinderling wendet sich im nächsten Schritt der überlieferten Geschichte zu, um noch einmal zu betonen, dass die Dichtung gerade nicht wegen ihrer größtenteils apokryphen Handlung Beachtung verdiene, sondern „über die alten deutschen Mundarten mehr Licht verbreiten würde“, wenn – es folgt ein Seitenhieb auf die schweigsame Forschungsgemeinde – „man die verschiedenen Rezensionen desselben mit einander vergleichen wolte“24. Eine erste derartige Gegenüberstellung leistet er selbst: Er vergleicht Passagen aus der 1697 durch Wilhelm Ernst Tentzel bekannt gemachten bairischen ‚Marienleben‘-Handschrift Gotha, Forschungsbibliothek, Cod. Memb. II 37 [Sigle G] mit der ihm vorliegen-

19 Vgl. Kinderling 1788b, S. 340 f. Ein Schreiben Kinderlings an Schmid ist ebenfalls abgedruckt im ‚Deutschen Museum‘, vgl. Kinderling 1788a. Kinderling nimmt hier Bezug auf die durch Schmid 1788 mitgeteilten Fragmente eines – nicht Philipps! – Mariengedichts und druckt zum Vergleich die folgenden Verse seiner Marienleben-Handschrift ab: V. 9468–9471 mit zwei zusätzlichen Versen nach V. 9469 (vgl. Kinderling1788a, S. 134), V. 9472–9523 (vgl. Kinderling 1788a, S. 135 f.) sowie V. 9580–9585 (vgl. Kinderling 1788a, S. 136) und V. 9356–9363 (vgl. Kinderling 1788a, S. 138). 20 In der Forschung wurde zuweilen angenommen, dass es sich bei dieser Helmstedter Handschrift um Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 937 Helmst. handelt, vgl. Goebel 1905, S. 36 Anm. 3; Denecke 1943, Sp. 891 (Nr. 66) und Gärtner 1978, S. 8. Ein Vergleich von Kinderlings exemplarischen Textabdrucken mit den Wolfenbütteler Textzeugen kann jedoch eindeutig zeigen, dass es sich bei der Kinderling bekannt gemachten Handschrift um Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 894 Helmst. handeln muss. Dieser Befund wird bereits anhand der einleitenden Rubrik deutlich, die einzig in Wo überliefert wird: Dit bok het sunte Marien leuent (Bl. 95r). 21 Der Handschrift wird bereits in Christoph Schraders Katalog der Helmstedter Universitätsbibliothek (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, Bl. 17r) von 1644 eine Signatur zugeordnet: Theologici in quarto 88. Vgl. hierzu auch die Beschreibung der Handschrift Wo in Kap. 2.2. 22 Kinderling 1788b, S. 341 – es wird der Originalschreibung gefolgt. 23 Vgl. Kinderling 1788b, S. 342. Es handelt sich hierbei um S. 135 f. der Handschrift, vgl. die Analyse der Kinderlingschen Eingriffe in Kap. 4.1.4.4 der vorliegenden Arbeit. 24 Beide direkten Zitate: Kinderling 1788b, S. 343 – es wird der Originalschreibung gefolgt.  





2.1 Die Forschungsgeschichte

27

den.25 Anschließend zieht er auch die Helmstedter Handschrift zurate und druckt den Prolog sowie Epilog ab, der seiner Handschrift fehlt.26 Kinderling äußert Zweifel daran, dass der dort genannte Philipp der ursprüngliche Autor des Werks sei, und vermutet stattdessen, dass es sich um einen späteren Schreiber handele, der die Dichtung an seine Mundart anpasse und um eine Vor- wie Nachrede ergänze.27 Für die jeweils verwendete Schreibsprache konstatiert er „eine gewisse Verschiedenheit der Mundart, die ich fast nicht wage näher zu bestimmen“28. Kinderling nimmt daher die sog. Uffenbachsche Handschrift, Hamburg, Staatsund Universitätsbibliothek, Cod. 146 in scrin. [Sigle Ha], hinzu und druckt auch hier den Prolog ab.29 Im Anschluss vergleicht er die Rubriken seiner Handschrift mit der Uffenbachschen.30 In seinem Fazit erwägt er bereits die Möglichkeit, das ‚Marienleben‘ in einer Druckfassung herauszubringen und betont – ohne Angabe von Gründen – die textkritische Relevanz seiner Handschrift: Solte also jemand es wagen wollen, diese Legende drucken zu lassen, so würde er meine Handschrift nicht wohl entbehren können, wenn er nicht etwa andere hätte, die noch besser und vollständiger wären.31

Kinderlings Zweifel an Philipps Autorschaft bleiben Zeit seines Lebens bestehen, ebenso wie sein Festhalten an dem ausschließlich linguistischen Wert der niederdeutschen Fassung, die er für das Original hält. In seiner im Jahr 1800 erschienenen Monographie ‚Geschichte der niedersächsischen oder sogenannten plattdeutschen Sprache vornehmlich bis auf Luthers Zeiten, nebst einer Musterung der vornehmsten Denkmale dieser Mundart‘ berücksichtigt er das ‚Marienleben‘ zwar, verzeichnet es aber weiterhin mit einem selbstgewählten, beschreibenden Titel und ohne Autornennung: „Die gereimte Lebensbeschreibung der heil. Jungfrau Maria und der Jugendgeschichte Jesu“32.

25 Vgl. Kinderling 1788b, S. 345–347 sowie Tentzel 1697. 26 Vgl. Kinderling 1788b, S. 347–351. 27 Vgl. Kinderling 1788b, S. 352–354. 28 Kinderling 1788b, S. 347. 29 Vgl. Kinderling 1788b, S. 353. In der Folge wurde die Sprache dieser Handschrift von der Forschung für niederdeutsch gehalten. Erst Gärtner 1978, S. 89 korrigiert diesen Fehler und bestimmt den Textzeugen als ostmitteldeutsch. Beck 2017, S. 114 spezifiziert Gärtners Schreibsprachenbestimmung: „Angesichts der Senkung /u/>/o/ (togenden, gebort), /i/>/e/ (getreben) und n-loser Infinitive (vorkere, gewynne, falle) wird man die Schreibsprache als thüringisch bestimmen dürfen.“ 30 Vgl. Kinderling 1788b, S. 354–366. 31 Kinderling 1788b, S. 367 – es wird der Originalschreibung gefolgt. 32 Kinderling 1800, S. 342. Auf S. 343 f. bietet Kinderling einen Abdruck von V. 829–867 (V. 835 fehlt, zwei Zusatzverse nach V. 855).  

28

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

Unermüdlich betont Kinderling in den Jahren 1783 bis 1800 in Aufsätzen, Briefen und Monographien die Notwendigkeit, dem ‚Marienleben‘ im Allgemeinen und der niederdeutschen Überlieferung im Besonderen Beachtung zu schenken. Zu seinen Lebzeiten findet er nur wenig Gehör für sein Anliegen. Erst unmittelbar nach seinem Tod im Jahr 1807 zeigt sein nachdrückliches Pochen auf eine nähere Untersuchung des Werks Wirkung. Bernhard Joseph Docen Zu Beginn des 19. Jahrhunderts berücksichtigt der Germanist Bernhard Joseph Docen die beiden von Kinderling bekannt gemachten niederdeutschen Textzeugen von Philipps ‚Marienleben‘ in seinen ‚Miscellaneen zur Geschichte der teutschen Literatur‘.33 Im ersten Band geht er davon aus, dass es sich bei der Dichtung um die niederdeutsche Übersetzung einer lateinischen Marienvita handelt.34 Im zweiten Band kritisiert er das bisherige Schwerpunktinteresse an der niederdeutschen Überlieferung35 und argumentiert für eine Textausgabe auf der Grundlage von Jena, Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. Bos. q. 8 [Sigle J], einer bairischen Handschrift aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts.36 Er entfernt sich auch von Kinderlings Forderung, das ‚Marienleben‘ nur auf linguistische Fragestellungen hin zu untersuchen, und widmet sich dem Inhalt, den er anhand von J wiedergibt.37 In einer Handschriftenübersicht nennt Docen insgesamt zehn Textzeugen des ‚Marienleben‘.38 Den bei Kinderling geführten niederdeutschen Handschriften fügt er keine weitere hinzu. Der Beitrag Docens zeigt bereits wenige Jahre nach Kinderlings letztem Forschungsaufruf eine deutliche Abwendung von der niederdeutschen Überlieferung. Friedrich Heinrich von der Hagen, Johann Gustav Büsching Friedrich Heinrich von der Hagen und Johann Gustav Büsching wiederholen fünf Jahre später die von Docen genannten ‚Marienleben‘-Handschriften in ihrem ‚Literarischen Grundriß zur Geschichte der deutschen Poesie von der ältesten Zeit

33 Vgl. Docen 1807a und Docen 1807b. 34 Vgl. Docen 1807a, S. 75. 35 Vgl. Docen 1807b, S. 68. 36 Vgl. Docen 1807b, S. 94 f. Für eine Beschreibung der Jenaer Handschrift vgl. Gärtner 1978, S. 96–99. 37 Vgl. Docen 1807b, S. 70–95. 38 Vgl. Docen 1807b, S. 95 f. Seine Übersicht zur handschriftlichen Überlieferung von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ hatte Docen bereits ein Jahr zuvor im ‚Neuen Literarischen Anzeiger‘ veröffentlicht, vgl. Docen 1806b.  



2.1 Die Forschungsgeschichte

29

bis in das sechzehnte Jahrhundert‘.39 Wenngleich sie damit keine neuen Textzeugen beitragen, so weiten sie mit ihrer Arbeit das von Kinderling sehr eng formulierte Forschungsinteresse aus: Nachdem Docen eine frühe bairische Handschrift in den Blick genommen hat, fokussieren von der Hagen und Büsching einen mitteldeutschen Textzeugen aus dem Jahr 1454: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 13 [Sigle B].40 Diese neue Schwerpunktsetzung gewinnt an Bedeutung, wenn man berücksichtigt, dass von der Hagen selbst zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Besitz der Kinderlingschen Handschrift Be war.41 Eine ausführlichere Berücksichtigung dieser Handschrift hätte sich für den ‚Grundriß‘ demnach angeboten. Die Entscheidung für B bedeutet ein weiteres Abrücken von der niederdeutschen Überlieferung, bezeugt aber zugleich auch ein wachsendes Verständnis für die überregionale Bedeutung von Philipps Dichtung. Heinrich Rückert In den folgenden Jahren steigt die Zahl bekannter ‚Marienleben‘-Textzeugen weiter an, während die Zahl der bekannten niederdeutschen ‚Marienleben‘-Textzeugen stagniert. Im Jahr 1853 veröffentlicht Heinrich Rückert die erste und bislang einzige Edition von Philipps ‚Marienleben‘.42 Seiner Textausgabe legt er – wie von Docen empfohlen – den bairischen Textzeugen J zugrunde. Zu seinen drei weiteren Haupthandschriften zählen die bairischen Handschriften P und G sowie die westmitteldeutsche Handschrift Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 394 [Sigle H].43 Die beiden zu dem Zeitpunkt identifizierten niederdeutschen Textzeugen berücksichtigt Rückert nicht. In seiner Auflistung der ihm bekannten Überlieferungsträger weist er kurz auf beide hin und gesteht, sie nicht eingesehen zu haben. Für eine nähere Berücksichtigung der dort überlieferten Textfassungen sieht er keinen Bedarf, denn auf der Basis von Kinderlings Transkriptionen habe er bereits erkannt, „dass sie nur wörtliche Übersetzungen oder vielmehr paraphrasirende Bearbeitungen des Hochdeutschen“44 seien. Dennoch bemerkt auch Rückert in seinen nicht-niederdeutschen Handschriften „viele Einwirkungen niederdeutscher Elemente“45. Er führt diese auf Philipps Widmung an den Deutschen Orden zurück

39 Vgl. von der Hagen / Büsching 1812, S. 251–260. 40 Vgl. von der Hagen / Büsching 1812, S. 252–256. 41 Vgl. von der Hagen / Büsching 1812, S. 257. Zu den Vorbesitzern der Handschrift Be siehe auch die Ausführungen in Kap. 3.3.3 der vorliegenden Arbeit. 42 Vgl. Rückert 1853. 43 Zu den weiteren Rückert bekannten Handschriften vgl. Rückert 1853, S. 275–285. 44 Rückert 1853, S. 285 – es wird der Originalschreibung gefolgt. 45 Rückert 1853, S. VI.

30

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

und hält sie für sekundäre Erscheinungen, die keiner weiteren Auseinandersetzung bedürfen.46 Bereits kurz nach Veröffentlichung erfährt Rückerts Edition starke Kritik.47 Die Forschung stößt sich u. a. an den normalisierenden Eingriffen in die Schreibsprache und plädiert für eine stärkere Berücksichtigung des Mitteldeutschen.48 Für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der niederdeutschen Überlieferung von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ bedeutet die Erstedition einen entscheidenden Wendepunkt: Rückerts prominent platziertes, vernichtendes Urteil hat wesentlich dazu beigetragen, dass den niederdeutschen Handschriften bis zu Gärtners ausführlicher Untersuchung der Überlieferungsgeschichte im Jahr 1978 jegliche Relevanz abgesprochen wurde.  

Joseph Haupt In der Folge von Rückerts Edition setzen in der Forschung zahlreiche Versuche ein, die Herkunft des Autors näher zu bestimmen.49 Rückert selbst vermutet eine „südostdeutsche Heimat“50 Philipps – in den folgenden einhundertfünfzig Jahren wird fast jedes weitere Dialektgebiet des deutschsprachigen Raums als Philipps Herkunftsgebiet beansprucht. Im Rahmen dieses Überblicks soll einzig Joseph Haupts in diesem Kontext geäußerte These näher berücksichtigt werden, denn er vermutet Philipps Heimat in den Niederlanden. Streng genommen gehört er damit nicht in diesen wissenschaftsgeschichtlichen Überblick zur niederdeutschen Überlieferung. Da er jedoch mit seiner Annahme den Blick der Forschung wieder Richtung Norden lenkt, wird seine Position hier in ihren Grundzügen erklärt.

46 Vgl. Rückert 1853, S. VI. 47 Auch Bobertag weist auf die Schwächen der Rückertschen Ausgabe hin, nimmt jedoch aus Mangel an Alternativen einen Auszug (V. 1–3095) in seinen Band ‚Erzählende Dichtungen des späteren Mittelalters‘ auf, vgl. Bobertag 1886a und Bobertag 1886b. Sein Fall zeigt beispielhaft, dass auch die bemerkten Schwachstellen der Edition ihre Verwendung nicht verhindern konnten. So legt beispielsweise Wilhelm Sommer die Ausgabe dennoch seiner neuhochdeutschen Bearbeitung von Philipps ‚Marienleben‘ zugrunde, vgl. Sommer 1859. 48 Für Kritik an Rückerts ‚Marienleben‘-Edition unmittelbar nach Erscheinen vgl. u. a. Pfeiffer 1854, S. XV; Koppitz 1969, S. 41 sowie Schade 1869, S. 8c. Für Kritik an Rückerts editorischen Fähigkeiten vgl. auch Bartsch 1858. 49 An dieser Stelle sei auf die folgenden Arbeiten hingewiesen, die sich der Herkunftsfrage des Autors in der Folge von Rückerts Edition annehmen: Haupt 1871, Schröder 1888, Zwierzina 1901, Juvet 1904, Strauch 1910, Gailit 1935, Asseburg 1964. Vor dem Erscheinen von Rückerts Edition hatten bereits Wilhelm Grimm (Mitteldeutschland) und Wilhelm Wackernagel (Preußen) Vermutungen geäußert, vgl. Rückert 1853, S. VI. 50 Rückert 1853, S. V.  

2.1 Die Forschungsgeschichte

31

Zum Zeitpunkt von Haupts Veröffentlichung im Jahr 1871 ist die Zahl der bekannten ‚Marienleben‘-Textzeugen auf dreißig gestiegen,51 unter den Neufunden findet sich keine niederdeutsche Handschrift.52 Auch Haupt übt starke Kritik an Rückerts Edition: Die Fülle von Reimen, die laut gegen jede mhd. Mundart schreien, hat er zwar nicht überhört, sie aber als österreichische zu rechtfertigen gesucht. In allen Fällen, wo ihm dies unmöglich war, musste entweder der Archaismus herhalten oder die Verwilderung der Sprache im XIV. Jahrhundert Schuld tragen.53

Diese offensichtlichen Mängel erklärt Haupt nicht aus der Überlieferung, sondern aus der Edition heraus: In seiner Untersuchung stellt er „sämmtliche von dem streng mhd. und md. Gebrauche abweichenden Reime Philipps“54 aus Rückerts Edition zusammen und leitet daraus sieben „Reimgesetze“55 ab, die er als Belege dafür anführt, dass Philipp ursprünglich mittelniederländisch oder niederrheinisch dichtete.56 Er geht sogar noch einen Schritt weiter und vermutet als Abfassungsort nicht mehr die Kartause Seitz in der Steiermark, sondern die Kartause Zelem in Flandern.57 Haupts Unterfangen ist von Beginn an zum Scheitern verurteilt: Aus der Arbeit mit einer Edition, der durch zahlreiche Eingriffe des Herausgebers jede historische Grundlage fehlt, können keinen belastbaren ‚Reimgesetze‘ abgeleitet werden. Erschwerend kommt auch hinzu, dass bis heute kein niederländischer Textzeuge von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ vorliegt. Haupt nimmt daher an, dass das niederländische Original verloren ist, und argumentiert in Konsequenz für die textkritische Relevanz der beiden bekannten niederdeutschen Textzeugen.58

51 Vgl. Haupt 1871, S. 157. 52 Die stagnierende Zahl von zwei niederdeutschen Handschriften bezeugt zudem Oesterley 1871. Er nennt unter den ‚Marienleben‘-Handschriften auch die Fragmente, die Schmid 1788 im ‚Deutschen Museum‘ bekannt gemacht hat, bei denen es sich jedoch nicht – und das bemerkte schon Kinderling – um Philipps ‚Marienleben‘ handelt. 53 Haupt 1871, S. 157. 54 Haupt 1871, S. 158 – es wird der Originalschreibung gefolgt. Die Übersicht der Reime findet sich bei Haupt 1871, S. 159–173. 55 Haupt 1871, S. 173. 56 Vgl. Haupt 1871, S. 174. 57 Vgl. Haupt 1871, S. 175. Haupt stützt seine These auf die Lesart zů Seles im Epilog der schwäbisch-bairischen Handschrift Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 88, vgl. Gärtner 1978, S. 15. 58 Vgl. Haupt 1871, S. 218.

32

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

Haupts These wurde schnell verworfen,59 sie ist aus zwei Gründen dennoch hier relevant. Erstens zeigt sie, dass Rückerts Versuch, niederdeutsche Einsprengsel in seinen Handschriften mit der Widmung an den Deutschen Orden zu erklären, nicht überzeugen konnte. Zweitens fordert Haupt als zweiter nach Kinderling zum ausführlicheren Studium der niederdeutschen Textzeugen auf. Dass er diese Forschungsfrage im Kontext einer Untersuchung formuliert, die wissenschaftlich höchst zweifelhaft ist, hat der niederdeutschen Überlieferung in der Forschung mehr geschadet als genutzt. Karl Friedrich Ludwig Goedeke Der Literaturhistoriker Karl Friedrich Ludwig Goedeke beschäftigt sich um dieselbe Zeit wie Haupt mit Philipps ‚Marienleben‘ und nimmt in seinem Sammelwerk ‚Deutsche Dichtung im Mittelalter‘ eine irrige Ergänzung der niederdeutschen Textzeugen vor.60 Die Unvereinbarkeit des Abfassungsorts Seitz mit den niederdeutschen Elementen der Überlieferung erklärt auch er als sekundäre Erscheinung, die „auf rechnung der abschreiber, nicht auf die des dichters selbst“61 gehe. Er nennt die niederdeutschen Handschriften in seinem Gesamtüberblick der ‚Marienleben‘-Textzeugen daher nicht und führt sie stattdessen im Anschluss in einer gesonderten Rubrik unter der Überschrift „Niederdeutsche übersetzungen“62. Neben den beiden seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bekannten Handschriften Be und Wo listet er auch München, Staatsbibliothek, Cgm 441 [Sigle Mü]. Goedeke beruft sich auf die Bekanntmachung und Sprachbestimmung dieser Handschrift durch Karl Roth aus dem Jahr 1845,63 der weder von Rückert noch von Haupt Beachtung geschenkt wurde. Bei dieser Handschrift handelt es sich jedoch keineswegs um eine niederdeutsche, sondern um eine ostmitteldeutsche Fassung.64 Goedeke bemerkt den Fehler nicht und wiederholt ihn in seinem ‚Grundrisz zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen‘.65 Die weitere Forschung wird es ihm für fast einhundert Jahre gleichtun. Bei Goedeke zeigt sich deutlich, dass der Forschung keine Signatur für die bei Kinderling genannte Wolfenbütteler ‚Marienleben‘-Handschrift bekannt war. In

59 Zu den wenigen Verfechtern von Haupts These zählt Felix Bobertag, der Rückerts Arbeit mithilfe von Haupts These kritisiert, vgl. Bobertag 1886a. 60 Vgl. Goedeke 1854 (1. Auflage) und Goedeke 1871 (2. Auflage), in beiden Ausgaben S. 128–132 (Nr. 45). 61 Goedeke 1871, S. 128 (Nr. 45). 62 Goedeke 1871, S. 130. 63 Vgl. Roth 1845, S. VI. 64 Vgl. Gärtner 1978, S. 141 und Beck 2017, S. 115. 65 Vgl. Goedeke 1884, S. 229, 470.

2.1 Die Forschungsgeschichte

33

einer Übersicht zur niederdeutschen Literatur listet er die „Hs. WolfenbüttelHelmstädt. XV. Jh.“66 unter den Textzeugen von Bruder Philipps ‚Marienleben‘, nennt aber nur einen Eintrag zuvor dieselbe Handschrift mit ihrer Signatur „Nr. 894“ unter den Textzeugen eines Werks, das er mit der handschrifteneigenen Überschrift Dit bok het sunte marien leuent betitelt.67 Unter diesem Titel ist auch die Handschrift Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 937 Helmst. [Sigle W] vermerkt. Die zweite Wolfenbütteler Handschrift war demnach im Jahr 1884 schon bekannt, ebenso war der Zusammenhang von Wo mit W bereits hergestellt. Dennoch fehlt bei Goedeke noch die genaue Identifizierung des Textes. Dieses Versäumnis wird umso weniger erklärbar, wenn man bedenkt, dass Kinderling das genannte Incipit schon als ‚Marienleben‘-Überschrift vermerkt und August Lübben bereits im Jahr 1880 beide Handschriften als niederdeutsche ‚Marienleben‘-Handschriften führt.68 Lübben hatte vom ‚Verein für niederdeutsche Sprachforschung‘ den Auftrag erhalten, im Bestand der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel nach unentdeckten niederdeutschen Textzeugen zu suchen. Dass er Wo unter diesen Neuentdeckungen führt, zeigt ebenfalls, dass der Zusammenhang zwischen dieser Handschrift und der seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannten ‚Marienleben‘-Handschrift auch von ihm nicht erkannt wurde. Conrad Borchling In den Jahren 1899 bis 1902 veröffentlicht Conrad Borchling drei Bibliotheksreiseberichte, in denen er von ihm in Norddeutschland und angrenzenden Ländern gesichtete niederdeutsche Handschriften verzeichnet und kurz beschreibt. In seinen Aufzeichnungen vermerkt er nur einen einzigen niederdeutschen Textzeugen der ‚Marienleben‘-Überlieferung, und zwar das Fragment Nr. 35, auf dessen Existenz ihn Fritz Goebel hingewiesen hat.69 Im Rahmen seiner zweiten Bibliotheksreise sichtet Borchling Handschriftenbestände in Schleswig-Holstein, verzichtet aber auf einen Besuch der Lübecker Stadtbibliothek und kann folglich nicht auf die ‚Marienleben‘-Handschrift stoßen, die sich seit 1806 im dortigen Bestand befindet.70 Gleichermaßen kurios erscheint es, dass er auf seiner dritten

66 Goedeke 1884, S. 470 (Nr. 3). 67 Vgl. Goedeke 1884, S. 470 (Nr. 2). 68 Vgl. Kinderling 1788b, S. 347; Lübben 1880, S. 70. Daneben vermerkt Lübben auch die ostschwäbische ‚Marienleben‘-Handschrift Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 18.21.1 Aug. 4°. 69 Vgl. Borchling 1899, S. 236 f. Im Jahr 1905 veröffentlicht Goebel selbst eine ausführlichere Beschreibung mit Abdruck des ‚Marienleben‘-Fragments, vgl. Goebel 1905. 70 Vgl. Borchling 1900.  

34

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

Reise einen Schwerpunkt auf den Bestand der Wolfenbütteler Herzog August Bibliothek legt, die beiden dortigen ‚Marienleben‘-Abschriften aber nicht berücksichtigt. Der Sammelhandschrift Wo widmet er zwei Seiten, beschäftigt sich jedoch ausschließlich mit den das ‚Marienleben‘ rahmenden Texten.71 Die Handschrift W findet keine Erwähnung. Paul Hagen Der eben genannte Lübecker ‚Marienleben‘-Textzeuge wird erst einhundert Jahre nach seinem Eingang in die Stadtbibliothek identifiziert: Für das Handschriftenarchiv bei der Deutschen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften fertigt Paul Hagen im Jahr 1909 handschriftliche Beschreibungen ausgewählter Objekte der Lübecker Stadtbibliothek an, darunter auch von Lü.72 Drei Jahre später wiederholt er diese Aufgabe für bibliotheksinterne Zwecke. Seine in diesem Rahmen verfasste Kurzbeschreibung wird in den 1922 gedruckten Katalog der Ms. theol. germ.-Handschriftengruppe aufgenommen.73 Diesen Katalog mit dem Titel ‚Die deutschen theologischen Handschriften der Lübeckischen Stadtbibliothek‘ stellt Edward Schröder in den ‚Literaturnotizen‘ aus dem Jahr 1924 vor und hebt dabei den ‚Marienleben‘-Textzeugen besonders hervor: Von den 152 handschriften welche Hagen beschreibt und mit vortrefflichen registern erschliesst, gehören 96 der vorreformatorischen zeit an, aber keine scheint über 1400 hinaufzureichen; die meisten sind natürlich niederdeutsch, auch eine hs. von Philipps Marienleben (1489) befindet sich darunter (nr 23).74

Bei dieser Notiz handelt es sich um den ersten Hinweis auf die Lübecker ‚Marienleben‘-Handschrift, der sich nach Hagens Katalogisierung in der Forschung findet. Aber auch Schröders prominente Platzierung konnte nicht zu ihrer Erforschung beitragen. Wolfgang Stammler Im Jahr 1924 hält Wolfgang Stammler auf der 50. Jahresversammlung des ‚Vereins für niederdeutsche Sprachforschung‘ den eingangs bereits zitierten Vortrag ‚Die Bedeutung der mittelniederdeutschen Literatur in der deutschen Geistesgeschichte‘. Er kombiniert – ganz in der Tradition Kinderlings – die Darlegung seines Forschungsgegenstands mit „einer Klage über das geringe Interesse, welches immer noch die zünftige deutsche Wissenschaft den Problemen der mndd. Litera71 72 73 74

Vgl. Borchling 1902, S. 18 f. Vgl. Hagen 1909. Vgl. Hagen 1922, S. 17. Schröder 1924b, S. 28.  

2.1 Die Forschungsgeschichte

35

tur entgegenbringt“ und formuliert „einen Appell zur Mitarbeit“75. Als Beispiel eines bisher vernachlässigten Forschungsinteresses führt er Philipps ‚Marienleben‘ an: Aber es gibt doch zu denken, wenn wir das ‚Marienleben‘ des Bruders Philipp gleich in sechs verschiedenen ndd. Fassungen, die noch nicht genauer auf ihre Verwandtschaft befragt sind, wieder finden.76

Unter den sechs von Stammler als niederdeutsch bezeichneten ‚Marienleben‘Handschriften sind nur vier tatsächlich in niederdeutscher Schreibsprache verfasst, und zwar die bereits genannten Handschriften W, Wo und Lü sowie das Fragment Nr. 35.77 Auffällig ist, dass Stammler die Kinderlingsche Handschrift Be, das heißt die erste der Forschung bekannte niederdeutsche Handschrift, nicht nennt. Bei den sprachlich falsch eingeordneten Handschriften handelt es sich um zwei oben bereits genannte: die ostmitteldeutschen Handschriften Ha und Mü. Ludwig Denecke In der ersten Auflage des Verfasserlexikons präsentiert Ludwig Denecke eine Übersicht aller im Jahr 1943 bekannten Textzeugen des ‚Marienleben‘.78 Er belässt es jedoch nicht bei einer alphabetischen Auflistung der Handschriften, sondern unternimmt auch den Versuch einer Gruppierung. Er unterscheidet zwischen „Fassungen des vollständigen Gedichts“79 und „Auszüge[n] und Verarbeitungen“80. Für die vollständigen Textfassungen listet er fünf, für die fragmentarischen bzw. bearbeiteten sechs Gruppen. Deneckes Gliederung ist äußerst fehlerhaft – nicht zuletzt, da die Zuordnung „ohne vollständige Durchsicht der Originale“81 erfolgte, so der Verfasser selbst. Sie wurde durch Gärtners Untersuchung der Überlieferungsgeschichte im Jahr 1978 korrigiert.82 Für ein tieferes Verständnis der Geschichte der niederdeutschen Überlieferung in der Forschung ist Deneckes Zusammenstellung dennoch nicht zu vernachlässigen.

75 Beide direkten Zitate: Stammler 1925, S. 423. 76 Stammler 1925, S. 432. 77 Vgl. die Auflistung bei Stammler 1925, S. 432 Anm. 1. 78 Denecke 1943, Sp. 887–891. 79 Denecke 1943, Sp. 883. 80 Denecke 1943, Sp. 885. 81 Denecke 1943, Sp. 883. 82 Für eine ausführliche Besprechung sämtlicher Gruppen nach Denecke sowie deren Korrektur vgl. Gärtner 1978, S. 21–26.

36

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

Denecke fasst die niederdeutschen Textzeugen als letzte Gruppe unter den vollständigen Fassungen zusammen (Gruppe e) und bemerkt zu dieser Entscheidung: Die niederdeutschen Hss. sind bisher weder vollständig verzeichnet noch näher untersucht worden. Jedenfalls ist diese Gruppe keineswegs in sich einheitlich. Bemerkenswert ist das frühe Datum 1324 der aus Lüneburg stammenden Bruchstücke (35).83

Der desolate Forschungsstand zur niederdeutschen Überlieferung ist ihm bewusst, ebenso die außergewöhnlich früh einsetzende Tradierung. Dennoch hindert ihn sein Wissen um deutliche Differenzen innerhalb der niederdeutschen Textfassungen nicht daran, diese aufgrund ihrer Sprache zu einer Überlieferungsgruppe zusammenzufassen. Er kennt fünf niederdeutsche Überlieferungsträger und versieht sie mit einer Nummer: Be (9), Lü (33), Nr. 35 (35), Wo (65) und W (66). Die Handschriften Ha und Mü ordnet er wie Stammler fälschlicherweise den niederdeutschen Textzeugen zu. Denecke übernimmt damit den Forschungsstand bei Stammler mitsamt seinen Fehlern und ergänzt ihn um die Kinderlingsche Handschrift. Daneben verweist er auch auf eine verschollene Handschrift, für die weder der Textbestand noch die Schreibsprache gesichert seien: Die Grafen v. Hoya-Bruchhausen besaßen im 15. Jh. Unses Hern Gades Kintheit, up poppir screven (Schriften d. Oldenburger Vereins f. Alttskde. u. Ldsgesch. 9 [1893] S. 55). Wahrscheinlich das Ml. (niederdt.?).84

Werner Fechter vermutet hinter dieser Beschreibung Konrads von Fußesbrunnen ‚Kindheit Jesu‘, Hartmut Beckers argumentiert für Philipps ‚Marienleben‘.85 Eine sichere Identifizierung des Textes ist jedoch auf Grundlage der kurzen Notiz im „litteraturgeschichtlich merkwürdige[n] Bibliothekskatalog der Brüder Otto VII. (1434–1494) und Friedrich II. (1434–1503), Grafen von Hoya“86, auf den Denecke sich bezieht, nicht möglich. Kurt Gärtner Mit seiner 1978 vorgelegten Habilitationsschrift zur Überlieferungsgeschichte des ‚Marienleben‘ korrigiert Kurt Gärtner Deneckes Verzeichnis bekannter ‚Marienleben‘-Textzeugen.87 Das Korpus der niederdeutschen Textzeugen ergänzt er nach

83 Denecke 1943, Sp. 884f. 84 Denecke 1943, Sp. 889. 85 Vgl. Fechter 1935, S. 90; Beckers 1976, S. 135 f. sowie zusammenfassend Gärtner 1978, S. 278. 86 Oncken 1893, S. 53 – es wird der Originalschreibung gefolgt. Eine Edition des Bibliothekskatalogs findet sich bei Oncken 1893, S. 54–56. 87 Vgl. Gärtner 1978, S. 21–26, 45.  

2.1 Die Forschungsgeschichte

37

einem Hinweis des Oxforder Professors Peter Ganz um die Handschrift Oxford, Taylor Institution Library, MS 8° G.2. [Sigle O].88 Für jeden Textzeugen erstellt er eine katalogartige Handschriftenbeschreibung und verfasst eine kurze Begründung für die Zuordnung zu einer bestimmten Überlieferungsgruppe. Seine Beschreibungen sind knappgehalten und verzichten mehrheitlich auf eine eindringlichere Untersuchung der Sprache des Überlieferungsträgers. Gärtner begründet die Kürze in den kodikologischen und paläographischen Beschreibungsteilen mit der Unmöglichkeit, in allen Fällen mit der Originalhandschrift zu arbeiten.89 Sein Interesse gilt in erster Linie textkritisch-überlieferungsgeschichtlichen Fragestellungen mit dem Ziel, die Handschriftenverhältnisse zu klären und die Basishandschriften für die Edition eines autornahen Textes zu identifizieren.90 In seiner Arbeit unterzieht Gärtner auch die Rückertsche Edition erstmals einer ausführlichen Überprüfung und bezeichnet sie in der Folge als „unhistorisch, unkritisch, unzuverlässig und für wissenschaftliche Zwecke unbrauchbar“91. Er kann zeigen, dass Rückert zu stark auf die Jenaer Handschrift vertraut und dabei auch offensichtliche Fehler übersieht, die er mithilfe seiner drei angegebenen Kontrollhandschriften eigentlich hätte korrigieren können. Daneben stellt Gärtner auch dar, wie Rückert selbst in den Textbestand eingreift und seine Edition so ihre historische Basis verliert. Die Notwendigkeit einer Neuedition zeigt sich deutlich. Im Anschluss an diese Untersuchung kündigt Gärtner selbst eine solche an, für die er die bereits von Rückert in Ansätzen berücksichtigte oberdeutsche Handschrift P, die er als autornächste Handschrift ermittelt, als Leithandschrift bestimmt.92 Seine Neuedition wird die Rückertsche Ausgabe ersetzen. Seiner Untersuchung schickt Gärtner explizit das Versprechen voraus, sich von dem bislang in der Forschung vorherrschenden Vorurteil gegen die niederdeutsche Überlieferung zu lösen.93 Er ordnet die ihm bekannten niederdeutschen Textzeugen ausnahmslos den von ihm so genannten ‚x-Handschriften‘ zu und kann deren Nähe zur ‚autornahen‘ Fassung in seinem Handschriftenstemma zeigen.94 In der Konsequenz nimmt er mit den Handschriften Alba Julia / Karls-

88 Vgl. Gärtner 1978, S. 220. 89 Für Gärtners Begründung für dieses Vorgehen vgl. Gärtner 1978, S. 46. 90 Vgl. Gärtner 1978, S. 46. 91 Gärtner 1978, S. 14. Die Analyse der Rückertschen Edition findet sich bei Gärtner 1978, S. 6– 14. 92 Zur Ankündigung der Neuausgabe vgl. Gärtner 1994b. 93 Vgl. Gärtner 1978, S. 40. 94 Vgl. Gärtner 1978, S. 294. Gärtners Handschriftengruppen und insbesondere die Zusammensetzung der x-Gruppe werden zu Beginn von Kap. 4 der vorliegenden Arbeit ausführlich vorgestellt und diskutiert.

38

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

burg, Biblioteca Bátthyáneum, Cod. R II 104 (Kat.-Nr. 263) [Sigle A, bairischösterreichisch] und Prag, Archiv der Prager Burg / Bibliothek des Metropolitankapitels, Cod. G 49 [Sigle Pr, ostmitteldeutsch] zwei Textzeugen der x-Gruppe als Kontrollhandschriften in seine Neuedition auf, mit denen die niederdeutschen Handschriften vertreten werden sollen.95 Gärtner betont dennoch die textkritische Relevanz des niederdeutschen Überlieferungszweiges und schlägt in der Folge auch eine Edition des niederdeutschen Textes vor.96 Nach 1978 Seit Kurt Gärtners Untersuchung aus dem Jahr 1978 sind drei weitere niederdeutsche Fragmente bekannt geworden. In seinem 2001 erschienenen Katalog ‚Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Rostock‘ meldet Kurt Heydeck einen niederdeutschen Neufund: Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 102a [Sigle Nr. 115].97 Ein Jahr später folgt Hans-Jochen Schiewer, der mit Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek, Hs. 1500,25 [Sigle Nr. 110] ein niederdeutsches ‚Marienleben‘-Fragment aus der Sammlung Leuchte vorstellt, die Schreibsprache aber unzutreffend als westmitteldeutsch bestimmt.98 Bei dem dritten Neufund handelt es sich um Privatbesitz Sigurd Wandel, Kopenhagen, Cod. 29 [Sigle Nr. 118]. Das momentan verschollene Fragment ist zwar bereits seit Konrad Mylord-Möllers im Jahr 1923 erschienenen Beitrag im ‚Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung‘ bekannt, wurde aber erst im Jahr 2015 von Kurt Gärtner als ‚Marienleben‘-Fragment erkannt.99 Nach Abschluss dieser Arbeit identifizierte Ulrich Seelbach im Landesarchiv Münster ein Fragment, das aus derselben Handschrift wie Nr. 110 stammt: Münster, Landesarchiv NordrheinWestfalen, Abteilung Westfalen, V 073 (früher Dep 49): Nachlass Josef Prinz, Nr. 14. Eine gemeinsame Publikation zu diesem Neufund erscheint in der ‚Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur‘.100 Abschließend lässt sich festhalten: Die Existenz einer niederdeutschen Überlieferung von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ ist der Forschung dank Kinderlings

95 Vgl. Gärtner 1978, aktualisierte Version 2012, S. 244. 96 Vgl. Gärtner 1978, S. 197. 97 Vgl. Heydeck 2001, S. 133 f. 98 Vgl. Schiewer 2002, S. 344 (Nr. 25). 99 Vgl. Mylord-Möller 1923 bzw. den Hinweis im Handschriftencensus: www.handschriftencensus.de/19050 (12. Oktober 2019). 100 Vgl. Ostermann / Seelbach 2020. Der Neufund unterstützt die Ergebnisse, zu denen die vorliegende Studie anhand des Fragments Nr. 110 kommt. Sofern anhand der Münsterschen Fragmente neue Erkenntnisse möglich werden, so sind diese im Folgenden an entsprechender Stelle vermerkt.  

39

2.2 Das Handschriftenkorpus

frühem Textabdruck seit dem späten 18. Jahrhundert bekannt. Spätere Arbeiten nehmen stets auf sie Bezug, verlieren jedoch zunehmend das Interesse an ihr. Spätestens mit Rückerts Beurteilung der niederdeutschen Handschriften als textkritisch irrelevant geraten sie vollkommen aus dem Blickfeld der Forschung. Erst Gärtner lenkt die Aufmerksamkeit wieder auf sie. Die erste bekannte niederdeutsche Abschrift ist die Kinderlingsche Handschrift Be. Ihr folgt, ebenfalls noch im 18. Jahrhundert, Wo. Am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert wird der Hinweis auf ein niederdeutsches Fragment, Nr. 35, aus dem Jahr 1324 öffentlich gemacht, das bis heute als ältester datierter Textzeuge der gesamten deutschsprachigen Überlieferung gilt. Der Zusammenhang der beiden Wolfenbütteler Handschriften Wo und W wird zwar früh erkannt, doch führt die Forschung W erst im frühen 20. Jahrhundert unter den ‚Marienleben‘Textzeugen. Um diese Zeit wird auch Lü als niederdeutscher ‚Marienleben‘-Textzeuge erkannt. Mit Gärtners umfassender Untersuchung der Überlieferungsgeschichte aus dem Jahr 1978 tritt die Handschrift O hinzu. Für die Zeit nach 1978 bis heute sind drei Neufunde zu verzeichnen: Nr. 118, Nr. 110 und Nr. 115.

2.2 Das Handschriftenkorpus Die niederdeutsche Überlieferung von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ umfasst insgesamt neun Handschriften und Fragmente. Sie sind hier in der Reihenfolge genannt, in der sie im Verlauf dieser Arbeit untersucht werden: W: Wo: Lü: Be: O: Nr. 110: Nr. 35: Nr. 118: Nr. 115:

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 937 Helmst. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 894 Helmst. Lübeck, Stadtbibliothek, Ms. theol. germ. 4° 23 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 760 Oxford, Taylor Institution Library, MS 8° G.2. Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek, Hs. 1500,25 Privatbesitz Hans Müller-Brauel, Haus Sachsenheim bei Zeven, Nr. 42 Privatbesitz Sigurd Wandel, Kopenhagen, Cod. 29 Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 102a

Handschriften, die vereinzelt niederdeutsche Formen aufweisen, so u. a. P, und solche, die nach niederdeutscher Vorlage in eine andere Mundart übertragen wurden, z. B. Bn, sind im Korpus nicht berücksichtigt.101  



101 Zu den niederdeutschen Elementen der Pommersfeldener Handschrift vgl. Gärtner 1978, S. 163. Zu der Handschrift Bn vgl. Asseburg 1964, S. 51; Gärtner 1978, S. 73 f.  

40

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

An dieser Stelle folgen Handschriftenbeschreibungen, die einen Überblick über die Überlieferungslage geben sollen. Den einzelnen Handschriftensignaturen ist in eckigen Klammern eine Buchstabensigle nach Gärtner (1978) und eine Zahlensigle nach Denecke (1943) zugeordnet, sofern sie in den jeweiligen Arbeiten berücksichtigt werden. Die Fragmente erhalten nur eine Zahlensigle, auch hier nach Gärtner und Denecke. Überlieferungsträger, für die eine wissenschaftliche Beschreibung bislang fehlte, werden ausführlicher vorgestellt als solche, für die wissenschaftliche Beschreibungen vorliegen. Die Kurzbeschreibungen orientieren sich an den Richtlinien zur Handschriftenkatalogisierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.102

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 937 Helmst.103 [W/66] Papier ⋅ 110 Bll. ⋅ 21 × 14,5 cm ⋅ Südostniedersachsen ⋅ 1390–1400 Altsignaturen: Z 113; N 747

Beschreibung des Äußeren Beschreibstoff:

Papier.

Wasserzeichen:

1.: Ochsenkopf mit Augen, Maul, einkonturiger Stange mit Stern (PiccardOnline Nr. 78748, 78743, 78856); 2.: Anker (nicht nachweisbar).

Lagen:

13 IV (104) + IV–2 (110). Lagenzählung in römischen Zahlen (I–XIII) auf dem Fußsteg der ersten Rectoseite jeder Lage mit Ausnahme der letzten. Lagenmitten mit Pergamentfalz verstärkt.

Foliierung:

Bll. 1–109: moderne Bleistiftfoliierung, das letzte Blatt ungezählt. Auf dem Fußsteg von Bl. 28, 36, 40, 59, 62, 67, 68, 73, 82, 89, 94, 98 und 103 eine zusätzliche Foliierung des 19. Jahrhunderts.

Schriftraum:

16,5 × 11–11,5 cm.

Spaltenzahl:

2 Spalten, Verse fortlaufend geschrieben. Spaltenbreite unregelmäßig: 4,5–5,5 cm.

Zeilenzahl:

30–35 Zeilen bzw. 20–26 Verse je Spalte.

Schrift:

Haupttext: Jüngere gotische Kursive von einer Hand, mit Reimpunkten, Versanfänge großgeschrieben. Überschriften: Textura.

Schreiber:

Unbekannt.

102 Vgl. DFG 1992, S. 9–14. 103 Die Handschrift ist online einsehbar unter: http://diglib.hab.de/mss/937-helmst/start.htm (12. Oktober 2019). Die Online-Handschriftendatenbank der Herzog August Bibliothek enthält eine ausführliche Beschreibung durch Bertram Lesser (vgl. Lesser 937), an der ich mich im Folgenden orientiere. Bertram Lesser sei an dieser Stelle herzlich für die vorgezogene Berücksichtigung von W in der Neukatalogisierung des Helmstedter Bestands gedankt.

2.2 Das Handschriftenkorpus

41

Überschriften:

179 Überschriften, 16 fehlende Überschriften (Kapitelanfänge über Rubrizierungen kenntlich gemacht).

Rubrizierungen:

Kapitelanfänge mit roten vergrößerten Lombarden markiert, zumeist zweizeilig, bis fünfzehnzeilig (vgl. Bl. 86rb); Kapitelüberschriften rot unterbzw. durchgestrichen, z. T. mit rotem Alineazeichen markiert; hinter den Kapitelüberschriften und am Kapitelende rote Zierlinien; Versanfänge rubriziert.  

Einband:

Geschichte 1390–1400:

Gotischer Koperteinband (Kalbspergament), starke Schäden. Äußere Rückenverstärkung: graubraune Hornplatte (beschädigt), Teil einer Kordel (Knopf-Wickelverschluss) an der Umschlagklappe erhalten. Titelvermerke auf dem Vorderdeckel (15. Jh.): Dat leue Maryen. Dat leue vnses heren vnde Marien; Vermerk auf dem vorderen Spiegel (19. Jh.): „Dieses Marienleben des Meisters Philipp* ist nochmals enthalten in dem August. Manuscr. N. 18.21.1, was aber nicht mit fol. 1um (hier) beginnt. *(s. Hagen Grundriss 251, 2).“ Eintrag von gleicher Hand auf dem vorderen Spiegel der oberdeutschen ‚Marienleben‘-Handschrift Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 18.21.1 Aug. 4°. Der Schreiber konnte mithilfe der Benutzerbücher der Bibliothek nicht identifiziert werden.

Entstehung in Südostniedersachsen, anschließend im Besitz eines der Frauenklöster um Helmstedt (Heiningen oder Marienberg bei Helmstedt).

1572: 1614:

Überführung in die Wolfenbütteler Bibliotheca Julia. Vermerk im Gesamtkatalog von Liborius Otho (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. A Extrav., S. 305 [300])104 unter den Papalia Miscellanea als Historia Mariæ et Jesu filii eius Deutsch ein Mariale (vgl. Titelvermerk Bl. 1r); Altsignatur: Z 113.

1618:

Überführung in die Universitätsbibliothek Helmstedt.

1644:

Nachweis in Christoph Schraders Katalog der Helmstedter Universitätsbibliothek (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, Bl. 17r);105 dort als Historia Mariæ virginis et Jesu filii eius, rithmis Saxonicis unter den Theologici MSSti in quarto geführt.

1797:

Vermerk in Paul Jakob Bruns’ Handschriftenverzeichnis der Universitätsbibliothek Helmstedt von 1797 (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, BA III, 52) unter Nr. 747.

1810:

Aufhebung der Universität Helmstedt am 1. Mai, Überführung der Helmstedter Handschriften in die Universitätsbibliothek Göttingen.

1815:

Rückkehr der Helmstedter Handschriften nach Wolfenbüttel.

104 Der Katalog ist online einsehbar unter: http://diglib.hab.de/mss/a-extrav/start.htm (12. Oktober 2019). 105 Der Katalog ist online einsehbar unter: http://diglib.hab.de/mss/27-2-aug-2f/start.htm (12. Oktober 2019).

42

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

1828:

Abschrift durch Karl F. A. Scheller (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 705 Novi).

Mundart:

Ostfälisch.

Literatur Denecke 1943, Sp. 891 (Nr. 66). Gärtner 1978, S. 196 f. Gärtner 1989, Sp. 590. Goebel 1905, S. 36 Anm. 3 (Nr. 3). Henrici 1910b. Jellinghaus 1925, S. 6 Anm. 6. Lesser 937. Lübben 1880, S. 70. Scheller 1826, S. 51 (Nr. 250). von Heinemann 1886, S. 311 (Nr. 1039).  

Handschriftencensus: Nr. 17153. Inhalt Bll. 1ra–109rb: Bruder Philipp: ‚Marienleben‘ (9975 Verse). Incipit: MAria moter koninginne | Alder werlt eyn loserinne106 Explicit: Marien leuen geyt hir vtz | Nu help vns or son Jesus. Amen. Amen Bl. 110v: Federproben.

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 894 Helmst.107 [Wo/65] Papier ⋅ 258 Bll. ⋅ 21 × 14,5 cm ⋅ Raum Braunschweig ⋅ 1445–1450 Altsignaturen: Theologici in quarto 88; N 431 Zusammengesetzte Handschrift, drei Faszikel: I: Bll. 1r–94v – Entstehung um 1445. II: Bll. 95r–210v – Entstehung 1445–1450. III: Bll. 211r–258v – Entstehung 1449. Beschreibung des Äußeren (Gesamthandschrift) Beschreibstoff: Papier.

106 Sofern nicht anders vermerkt, folgen alle Transkriptionen dieser Arbeit den in Kap. 6.1 festgelegten Transkriptionsrichtlinien. 107 Die Handschrift ist online einsehbar unter: http://diglib.hab.de/mss/894-helmst/start.htm (12. Oktober 2019). Auch für diese Wolfenbütteler Handschrift enthält die Online-Handschriftendatenbank der Herzog August Bibliothek eine ausführliche Beschreibung durch Bertram Lesser, die den folgenden Ausführungen zugrunde liegt, vgl. Lesser 894.

2.2 Das Handschriftenkorpus

Lagen:

43

VI+1 (13) + 6 VI (85) + V–1 (94) + 9 VI (202) + IV (210) + 4 VI (258). Lagenzählung z. T. am linken oberen Blattrand in arabischen Zahlen vermerkt (Bl. 119r, 131r, 143r, 179r, 191r, 203r). Tintenfoliierung: Bll. 1–257.  

Foliierung: Einband:

„Spätgotischer Holzdeckelband, mit rötlich gefärbtem Schafsleder überzogen. Streicheisenlinien. Einzelstempel Rosette, ein Blattkranz, fünfblättrig: EBDB s007696. Rosette, ein Blattkranz, sechsblättrig: EBDB s007097. Stern, sechsstrahlig: EBDB s008822. Wirbelstern: EBDB s009054. Sämtlich der bislang mit Notnamen geführten Werkstatt ‚Wolfenbüttel 894 Helmst.*‘ (EBDB w002004) zugeschrieben. 3 Doppelbünde, sämtlich im Gelenk gebrochen. Zwei Riemenschließen mit schlichten dreieckigen Fensterlagern, Schließenriemen und -haken verloren, nur noch Gegenbleche mit Riemenresten erhalten.“108 Verwendung der Einbandstempel im Raum Braunschweig bezeugt.

Beschreibung des Äußeren (I) Wasserzeichen: Ochsenkopf mit Augen, zweikonturige Stange mit Blume (Piccard-Online Nr. 69437, 69832, 69833, 69982). Schriftraum:

17 × 7,5 cm.

Spaltenzahl: Zeilenzahl:

Einspaltig, Verse abgesetzt. 29–33 Zeilen je Seite.

Schrift:

Jüngere gotische Kursive: 1. Hand: Bll. 2r–89r, 2. Hand: Bll. 91v–93v. Nachtrag: Schlaufenlose Bastarda, 3. Hand: Bll. 89v–91r.

Schreiber: Rubrizierungen:

Unbekannt. Keine.

Beschreibung des Äußeren (II) Wasserzeichen:

1.: Turm mit Zinnen (WZIS Nr. DE4860-Rep_V_16_56); 2.: Ochsenkopf mit Augen, Kreuz, zweikonturiger Stange mit Blume (Piccard-Online Nr. 70324).

Schriftraum:

16–16,5 × 8,5–9 cm.

Spaltenzahl:

Einspaltig, Verse abgesetzt.

Zeilenzahl: Schrift:

34–42 Zeilen je Seite. Jüngere gotische Kursive von einer Hand (4. Hand).

Schreiber:

Unbekannt.

Überschriften:

173 Überschriften, 7 fehlende Überschriften (Kapitelanfänge über Einrückung des ersten Verspaares und der ausgesparten Initiale markiert).

Rubrizierungen:

Eine rubrizierte Initiale auf Bl. 149r, rote Farbspuren auf Bl. 145r.

Beschreibung des Äußeren (III) Wasserzeichen: Traube mit zweikonturigem Stiel (Piccard-Online Nr. 129078, 129079). Schriftraum:

16–16,5 × 9,5–10 cm.

Spaltenzahl:

Einspaltig, Text fortlaufend geschrieben.

108 Lesser 894.

44

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

Zeilenzahl:

29–32 Zeilen je Seite.

Schrift:

Jüngere gotische Kursive von einer Hand (5. Hand).

Schreiber:

Heinrich von Hanstein (vgl. Bl. 257v).

Rubrizierungen:

Rote Lombarden (zwei- bis dreizeilig), Überschriften, Verzierungen bei Versbeginn, Invokationen und Schlussformeln.

Geschichte um 1445–1450:

Entstehung im Braunschweiger Raum, anschließend im Besitz eines der Frauenklöster um Helmstedt (Heiningen oder Marienberg bei Helmstedt).

1572:

Überführung in die Wolfenbütteler Bibliotheca Julia.

1618:

Überführung in die Universitätsbibliothek Helmstedt.

1644:

Nachweis in Christoph Schraders Katalog der Helmstedter Universitätsbibliothek (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, Bl. 17r);109 dort als De virtutibus et vitiis carmen, linguâ Saxonicâ. Vita Mariæ virginis, carmine Saxonico. Passionale S. Elisabethæ idiomate Saxonico unter den Theologici MSSti in quarto beschrieben. Altsignatur: Theologici in quarto 88 (vermerkt auf dem vorderen Spiegel: T. 4to 88).

1797:

Vermerk in Paul Jakob Bruns’ Handschriftenverzeichnis der Universitätsbibliothek Helmstedt von 1797 (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, BA III, 52) unter Nr. 431.

1810:

Aufhebung der Universität Helmstedt am 1. Mai, Überführung der Helmstedter Handschriften in die Universitätsbibliothek Göttingen.

1815:

Rückkehr der Helmstedter Handschriften nach Wolfenbüttel.

Mundart: I:

Ostfälisch (mit mittelhochdeutschen Merkmalen).

II:

Ostfälisch (mit westfälischen und nordniederdeutschen Merkmalen).

III:

Ostfälisch (mit mitteldeutschen und westfälischen Merkmalen).

Literatur110 Bergmann 1986, S. 465 f. (M 139). Calaresu 2016, S. 488–494. Denecke 1943, Sp. 891 (Nr. 65). Docen 1806b, Sp. 168 (Nr. 6). Docen 1807b, S. 95 (Nr. 6). Gärtner 1978, S. 193–195. Goebel 1905, S. 36 Anm. 3 (Nr. 2).  

109 Der Katalog ist online einsehbar unter: http://diglib.hab.de/mss/27-2-aug-2f/start.htm (12. Oktober 2019). 110 An dieser Stelle sind lediglich diejenigen Titel aufgeführt, die das ‚Marienleben‘ berücksichtigen. Literatur zu den darüber hinaus enthaltenen Texten ist in der ausführlichen Handschriftenbeschreibung durch Lesser 894 verzeichnet.

2.2 Das Handschriftenkorpus

45

Goedeke 1871, S. 130. Goedeke 1884, S. 228, 458, 470. Haupt 1871, S. 218. Henrici 1910a. Jellinghaus 1925, S. 6 Anm. 6. Kinderling 1788b, S. 347–351. Koch 1795, S. 127 (Nr. 27). Lübben 1880, S. 70. Oesterley 1871, S. 11 f. Rückert 1853, S. 285. von der Hagen / Büsching 1812, S. 256. von Heinemann 1886, S. 287–289 (Nr. 996).  

Handschriftencensus: Nr. 6718. Inhalt I: Bll. 1r–94v Bl. 1r: Unbeschrieben. Bl. 1v: Inhaltsbeschreibung der Gesamthandschrift (Schriftart: „Bastarda, spätes 15. oder frühes 16. Jh“111): Van den dogheden vnde van der kyntheit vnses heren vnde van sunte Ilseben leuent. Bll. 2r–55v: ‚Der Sünden Widerstreit‘ (3330 Verse). Bll. 56r–60v: ‚Der Tisch im Himmelreich‘ (296 Verse). Bll. 60v–73r: Heiligenlegende ‚Maria Magdalena‘ (800 Verse). Bll. 73r–89r: ‚Unser vrouwen klage‘ (1034 Verse). Bll. 89v–91r: ‚Die Töchter der sieben Hauptsünden und der sieben Tugenden‘ (Auflistung). Bll. 91v–93v: ‚Die sieben Gaben des Heiligen Geistes‘ (Prosa). Bll. 94r–v: Unbeschrieben. II: Bll. 95r–210v Bll. 95r–209v: Bruder Philipp: ‚Marienleben‘ (9000 Verse) Überschrift: Dit bok het sunte Marien leuent Incipit: [M]Aria moter koninginne | Alter werlde loserinne Explicit: Marien leuent gheyt hir vs | Nu helpe vs dat kynt Jhesus amen Bll. 210r–v: Unbeschrieben. III: Bll. 211r–258v Bll. 211r–254r: Dietrich von Apolda: ‚Vita S. Elisabeth‘ (Reimprosafassung). Bll. 254r–257v: ‚Großer Seelentrost‘ (Auszug). Kolophon: Et sic est finis. Anno domini m° quadringentesimo quadragesimo nono post festum sancti Mathie in carnispriuio hora xiia per me Hinricum de Hansteyn. Biddet ok vor den scriuer etc. Bll. 258r–v: Unbeschrieben.

111 Lesser 894.

46

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

Lübeck, Stadtbibliothek, Ms. theol. germ. 4° 23112 [Lü/33] Papier ⋅ I + 188 + III Bll. ⋅ 22 × 15,5 cm ⋅ Lübeck oder Wismar? ⋅ 1489 Altsignaturen: LXXXXVII; 521; 22891 Beschreibung des Äußeren Beschreibstoff: Papier. Wasserzeichen: Lagen:

Foliierung:

Dreiberg mit zweikonturiger Stange und zweikonturigem Kreuz (nicht nachweisbar). 16 VI (192). Lagenzählung erst in arabischen Buchstaben, dann in römischen Zahlen oben und unten auf der letzten Versoseite einer Lage und der ersten Rectoseite einer neuen Lage: Bl. 1r: a; Bl. 11v: b; Bl. 12r: c; Bl. 23v: d; Bl. 24r: e etc. Letzte Lagenbezeichnung auf Bl. 179v: ix; Bezeichnung des letzten Lagenbeginns fehlt. Moderne Bleistiftfoliierung durch Paul Hagen,113 setzt erst auf Bl. 2 mit Textbeginn ein und endet mit dem letzten beschriebenen Blatt: Bll. 1–188. Es folgen drei unbeschriebene Blätter.

Schriftraum:

15,7 × 11,5 cm.

Spaltenzahl:

Einspaltig, Verse abgesetzt.

Zeilenzahl:

24–26 Zeilen je Seite.

Schrift:

Schlaufenlose Bastarda von einer Hand.

Schreiber: Überschriften:

Hans Stortekare (Bl. 188r). 190 Überschriften.

Rubrizierungen:

Überschriften in roter Schrift, Kapitelanfänge mit roten Initialen markiert, zumeist einzeilig, z. T. vergrößert (bis fünfzeilig, vgl. Bl. 166r); rote Zierlinien am Versende, rote vertikale Strichelungen am Versanfang.  

Einband:

Mit braunem Leder überzogener Holzdeckelband mit zwei Messingschließen. Auf dem Buchrücken befindet sich im zweiten Bund ein aufgeklebter Papierzettel mit der Altsignatur LXXXXVII, im dritten Bund ein weiterer, jüngerer Papierzettel mit der aktuellen Signatur.114 Auf dem oberen Buchdeckel wurden weitere Signaturen vermerkt: 521 (grüne Schrift, durchgestrichen): nicht zuordenbar; 22891 (Bleistift): Russische Kistennummer. Die Einbandstempel konnten in der Einbanddatenbank nicht nachgewiesen werden und werden daher ausführlich beschrieben:

112 Die Handschrift ist digitalisiert und online einsehbar auf der Homepage der Lübecker Stadtbibliothek: http://digital.stadtbibliothek.luebeck.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:48-1803720 (12. Oktober 2019). 113 Vgl. Hagen 1909, Bl. 1. 114 Hagen 1909, Bl. 1 verweist auch auf einen losen, über der Altsignatur angebrachten Papierzettel mit der Aufschrift: Sunte marigen | leuent | ling. Lat. inf. | chart. Dieser Zettel ist nicht mehr erhalten.

2.2 Das Handschriftenkorpus

47

Vorderdeckel: Über horizontale und vertikale Streicheisenlinien in neun Segmente eingeteilt. Äußere Randbegrenzung über drei Streicheisenlinien, innere Begrenzungen über zwei Streicheisenlinien. Vierzehn Rosetten in den Randsegmenten, jeweils vier Blütenblätter um eine Rosette, wobei sich vier Rosetten jeweils zwei Blütenblätter teilen, insgesamt demnach vierundvierzig sechsblättrige Blütenblätter. Zehn Agnus Dei im Mittelsegment, in fünf Zweierpaaren angeordnet, über dem ersten und unter dem letzten Paar ein Blütenblatt, unter dem ersten bis vierten Paar jeweils drei Blütenblätter. Rosette, zwei Blattkränze, fünfblättrig, mit zweikonturiger Umrandung: Durchmesser 25 mm. Agnus Dei, mit Kelch, stehend, Kreuzstab schräg, mit zweikonturiger Umrandung: Durchmesser 20 mm. Blütenblatt, sechsblättrig, ohne Umrandung: Durchmesser 9 mm. Hinterdeckel: Über horizontale und vertikale Streicheisenlinien in acht Segmente eingeteilt. Äußere Randbegrenzung über drei Streicheisenlinien, innere Begrenzungen über zwei Streicheisenlinien, Ausnahme: drei horizontale Streicheisenlinien teilen den Hinterdeckel in zwei Bereiche: Die Einbandstempel der oberen Hälfte werden in der unteren Hälfte gespiegelt. Obere Hälfte: Drei vertikal angeordnete Lilien am linken und rechten Rand, die oberste und untere Lilie gerahmt von je vier Blütenblättern, insgesamt demnach acht Blütenblätter pro Seite, sechzehn insgesamt. Drei horizontal angeordnete Adler am oberen Rand, die beiden äußeren Adler gerahmt von jeweils vier Blütenblättern, insgesamt demnach acht Blütenblätter. Vier Heiligenfiguren im Mittelteil, durch zwei diagonale einkonturige Streicheisenlinien voneinander getrennt, jeweils von zwei Blütenblättern gerahmt, insgesamt demnach acht Blütenblätter. Lilie, in zweikonturiger Raute: horizontal 21 mm, vertikal 26 mm. Außenkanten 18 mm. Blütenblatt, sechsblättrig, ohne Umrandung: Durchmesser 8 mm. Adler, in zweikonturiger Raute: horizontal 21 mm, vertikal 25 mm. Außenkanten 17 mm. Heiligenfigur, in zweikonturiger Raute: horizontal: 21 mm, vertikal 26 mm. Außenkanten 18 mm. Der Hinterdeckel ist stärker abgerieben als der Vorderdeckel, die Einbandstempel sind daher schlechter erkennbar.

48

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

Geschichte 1489: 1500:

Abschrift durch den Schreiber Hans Stortekare. Weitergabe an eine zweite, nicht identifizierbare Person (vgl. Bl. 188r).

1501:

Weitergabe infolge eines Testaments (vgl. vorderer Spiegel).

1501–1577:

Aufnahme in die Bibliothek des Lübecker Michaeliskonvents; Altsignatur: LXXXXVII.

1806:

Aufnahme in die Lübecker Stadtbibliothek.

1942:

Kriegsbedingte Auslagerung in ein Bergwerk bei Bernburg.

1946:

Abtransport durch die Rote Armee. Zwischenhalt in Berlin, dann Aufbewahrung in der Russischen Nationalbibliothek in Leningrad/ St. Petersburg, anschließend Aufbewahrung im Zentralen Staatlichen Historischen Archiv der Alten Akten in Moskau.

1990:

Rückführung in die Lübecker Stadtbibliothek.

Mundart:

Nordniederdeutsch.

Literatur Denecke 1943, Sp. 889 (Nr. 33). Fligge / Mielke / Schweitzer 2001, S. 188. Gärtner 1978, S. 128 f. Hagen 1909. Hagen 1922, S. 17. Schröder 1924b, S. 28. Schweitzer 1992a, S. 271. Schweitzer 1992b, S. 6.  

Handschriftencensus: Nr. 16151. Inhalt Vorderer Spiegel: anno xvc vnde en do wort dit boch ghegeiwen in de ere gades dat en edder vrame man syck syck schal hyr in offen in gades medelydynghe vnde sal syck de tit nicht vordreten laten alletjt jo en afte ii voylie lejsen vnde dan vppe enen anderen dach jo mere Bleistiftnotizen: 274 (oben links), Signatur (unterhalb der zeitgenössischen Notiz): Manuscr. theol germ 4° 23. Pergamentfragment: Matthäus von Vendôme, ‚Paraphrasis metrica in librum Tobiae‘ (V. 1718, 1662). Bll. 1r–188r: Bruder Philipp: ‚Marienleben‘ (9223 Verse). Überschrift: Hir beginnet zik dit bock vnde het sunte Marigen leuend vnde ere bort Incipit: Maria moder konyngynne | alder werlde lozerynne Explicit: Marien leuend geid hir vs | nu helppe vns er leue cind Yezus | Amen Amen Kolophon, Bl. 188r: Et sic est finis huius opus tuli deo laus pax viuid reqem defunctum. Anno dominy M cccc lxxxix do ward dit bock gescreuen van enem genomet Hans Stortekare

2.2 Das Handschriftenkorpus

49

Nachtrag, Bl. 188r: vnde dat liesse [:] holen van em anno xvc Hinterer Spiegel: Pergamentfragment: Matthäus von Vendôme, ‚Paraphrasis metrica in librum Tobiae‘, glossiert (V. 1554–1556, 1778–1779).

Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 760 [Be/9] Papier ⋅ I + 282 Seiten ⋅ 20 × 14 cm ⋅ Ostwestfalen (?) ⋅ 1470er-Jahre Altsignaturen: / Beschreibung des Äußeren Beschreibstoff: Papier. Wasserzeichen:

1.: Ochsenkopf mit Augen, zweikonturiger Stange mit Blume und Schaft mit Sparrenkopf (ähnlich Piccard-Online Nr. 70115, 70117); 2.: Waage im Kreis mit runden Waagschalen und Aufhängung an einer Öse (ähnlich PiccardOnline Nr. 116810, 116848).

Lagen:

3 VI (70) + V (90) + VI (114) + V (134) + VI (158) + 2 V (198) + VI (222) + 2 V (262) + VI–2 (282).115

Foliierung:

Neuzeitliche Seitenzählung, vorgenommen durch den Vorbesitzer Kinderling. Erstes Blatt der ersten Lage (Titelblatt) ohne Seitenzählung; Beginn der Seitenzählung ab Beginn des ‚Marienleben‘ auf dem zweiten Blatt mit ‚1‘ in Tinte am oberen Seitenrand; nach S. 59 nur noch auf den ungeraden Seiten (S. 61, 63, 65 etc.).

Schriftraum:

ca. 15 × 10 cm.

Spaltenzahl:

Einspaltig, Verse abgesetzt.

Zeilenzahl:

‚Marienleben‘: 22–30 Zeilen je Seite. Autoritätensammlung: 26–27 Zeilen je Seite, auf der letzten Seite nur 15 Zeilen.

Schrift:

Bastarda mit gelegentlichen Schlaufen von einer Hand.

Schreiber:

Unbekannt.

Überschriften:

‚Marienleben‘: 89 Überschriften, 52 fehlende Überschriften. Vorhandene Überschriften sind nicht ausgezeichnet und auf den ersten Blick nicht von den Versen zu unterscheiden, z. T. wurden sie von Kinderling über Unterstreichung hervorgehoben. Kapitelanfänge mit fehlender Kapitelüberschrift sind ausschließlich anhand der zweizeiligen rubrizierten Anfangsinitiale zu erkennen. Autoritätensammlung: Die einzelnen Autoritäten fungieren als Überschriften, insgesamt 26 zentrierte Überschriften.  

115 Zum Verständnis der Lagenformel ist der nachfolgende Vermerk unter ‚Foliierung‘ zentral: Die Seitenzählung der Handschrift beginnt erst nach dem ersten Blatt der ersten Lage (Titelblatt), d. h. auf der eigentlichen S. 3. Da die Seitenzahlen der Lagenformel auf die Seitenzählung der Handschrift verweisen, endet die dritte Sexternio-Lage auf S. 70.  

50

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

‚Marienleben‘: Zweizeilige rote Lombarden zu Kapitelbeginn; nach jeder Zeile, d. h. jedem Vers und jeder Überschrift, kurze rote Querstriche; Versanfänge rubriziert; Korrekturen am Blattrand mit roter Einkästelung markiert, gelegentlich auch einzelne Wörter oder ganze Zeilen rot durchgestrichen, z. T. rote Zirkumflexe als Markierung für nachträgliche Ergänzungen. Autoritätensammlung: Keine Rubrizierungen.

Rubrizierungen:





Halbledereinband (Schweinsleder) des 16. Jahrhunderts (1520–1550). Auf der Vorder- und Rückseite je ein 4 cm breiter Streifen des Lederüberzugs erhalten, über den Buchrücken verbunden. Vertikale und horizontale Streicheisenlinien und jeweils vier fünfblättrige Rosetten auf der Vorder- und Rückseite sichtbar. Auf dem freigelegten Holzdeckel ist der Abdruck vertikaler Streicheisenlinien zu erkennen. Als Schließmechanismus wurde ein Einhakverschluss verwendet: Metallschließe nur am oberen Buchdeckel erhalten, Schließband verloren. Vier Bünde.

Einband:

Geschichte 1470er-Jahre: vor 1770:

Entstehung im ostwestfälischen Raum. Im Besitz von Gerhard Friedrich von Einem (1698–1781).

1770–1807:

Im Besitz von Johann Friedrich August Kinderling.

1794:

Abschrift durch Kinderling als Geschenk für Johann Christoph Adelung (Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 7).

1807–1856:

Im Besitz von Friedrich Heinrich von der Hagen, erworben aus Kinderlings Nachlass.

1856:

Erwerb durch die Staatsbibliothek zu Berlin aus dem Nachlass von der Hagens, Akzessionsnummer 4743.

Mundart:

Ostwestfälisch (Minden?).

Literatur Degering 1926, S. 135. Denecke 1943, Sp. 888 (Nr. 9). Dienstkatalog, Nr. 760. Docen 1806b, Sp. 168 (Nr. 4). Docen 1807b, S. 95 (Nr. 4). Gärtner 1978, S. 70–72. Goebel 1905, S. 36 f. Anm. 3. Goedeke 1871, S. 130. Goedeke 1884, S. 229, 470. Haupt 1871, S. 218. Heiser 2006, S. 32 (Be3). Heymann 1908. Jellinghaus 1925, S. 6 Anm. 6. Kinderling 1783, S. 63–71. Kinderling 1784. Kinderling 1788a, S. 126–138.  

2.2 Das Handschriftenkorpus

51

Kinderling 1788b. Kinderling 1800, S. 342–344 (Nr. 191). Koch 1795, S. 127 (Nr. 27). Oesterley 1871, S. 12 f. Rückert 1853, S. 285. Schmid 1788, S. 68 f. von der Hagen / Büsching 1812, S. 257–260.  



Handschriftencensus: Nr. 6920. Inhalt Vorderer Spiegel (eingeklebtes Blatt Papier mit diversen Einträgen): Signatur: Ms. Germ. 4. 760 Lateinischer Eintrag (Tinte verblasst, kaum lesbar): [:] est posser [:] libri qu[:] | [:] dyjabi[:] | [:] Inhaltsangabe und Akzessionsnummer: NB | dis buch ist eine platteütschen Übersetzung | des Thomae Kempis Von der Nach- | folge Christi. | (MS. 4743) Besitzvermerk: GFVE Unter dem Papierspiegel: Ein Pergamentblatt, lateinischer Text in einer Textualis des 14. Jahrhunderts, 39 Zeilen, rubriziert. Vorgebundene Drucke: Bll. 1r–107r: Thomas a Kempis: ‚Van der navolginghe Jesu Cristi‘, Magdeburg: Moritz Brandis, 1501. Erstes Blatt fehlt. Zwischen Bl. 17v und Bl. 18r: eingelegter Papierzettel als Lesezeichen, ca. 3,4 × 7,4 cm. Fünf Zeilen tintengeschriebener Text in Kurrentschrift (Testamententwurf?): [:]pfangenden schaden hatten | [:] erwachsen mochten Ihnen | [:]tigen vnnd gentzlich schadeloß | [:]e alle meiner haab vnnd | [:] nichts dauon außbescheiden. Bll. 108r–150v: ‚Spegel der sielen‘, Köln: Peter Quentel, 1520. Anfang fehlt, Ansätze von vier herausgerissenen Seiten noch sichtbar. Bl. Ir (ungezähltes Titelblatt): Obere rechte Ecke ausgerissen, mit Textverlust im ersten Eintrag. Datierung (rote Tinte): Dit bock ys van vnser leuen vr[:] | gheschreuen in den iaren do m[:] | schreff dusent iiij hundert vnde v[:] | vnde seuentich Weiterer Eintrag: Item [:] | [:] Rezept: Item den perden van si schoruede synd | Item nym lorbern spuns gron quecksuluer old ve[:] | menge to sammede Signatur: Ms. Germ. 4. 760. S. 1–276: Bruder Philipp: ‚Marienleben‘ (7200 Verse). Überschrift: Van vnser leuen frowen Incipit: [fehlt] Text beginnt mit V. 181f.: Raphael eyn engel heyt | der sende god vnde em dat heyt Explicit: [fehlt] Text endet mit V. 9948f.: hebben getogen mynnichlich | de wel vns maken vroudenrich S. 277–282: Autoritätensammlung, u. a. Freidank.  

52

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

S. 282: Rezept für Augenwasser: eyn gud ogenwater | j del ruden ij del huflack [:] | [t]o samede vnde mere[:] myt reynem | [w]ater vnde do das in brenden all in Hinterer Spiegel: Eingeklebtes Blatt Papier. Johannes de Sacrobosco: ‚De sphaera mundi‘ (Fragment, 17 Zeilen). Unter dem Papierspiegel: Ein Pergamentblatt, lateinischer Text in einer Textualis des 14. Jahrhunderts, 39 Zeilen, rubriziert.

Oxford, Taylor Institution Library, MS 8° G.2. [O/78] Papier ⋅ 171 Bll. ⋅ 14,5 × 10,8 cm ⋅ Herkunft unbekannt ⋅ Mitte bis 3. Viertel 15. Jahrhundert Altsignaturen: 110. e. 3.; 110. c. 3.; Arch. II. a. 1. Beschreibung des Äußeren Beschreibstoff: Papier. Wasserzeichen: Lagen:

Ochsenkopf mit Augen, Nasenlöchern, Stange mit einkonturigem Stern (ähnlich Piccard-Online Nr. 74418). II (4) + 9 VI (112) + V (122) + 3 VI (158) + (VII–1) (171). Kustoden am rechten unteren Blattrand eines jeden Lagenendes. Kustode auf Bl. 171v weist auf den Verlust einer weiteren Lage.

Foliierung:

Bleistiftfoliierung alle zehn Seiten. Beginn auf Bl. 1r: ‚1‘, fehlerhafte Zählung zwischen Bl. 21r und Bl. 31r.: Bl. 32r foliiert als ‚31‘. Fehler durchgängig alle zehn Seiten. Letzte Zählung auf dem letzten Blatt, Bl. 171, ebenfalls fehlerhaft: ‚170‘. Nur auf Bl. 136r eine zeitgenössische Foliierung: ‚2‘.

Schriftraum:

Erste Lage abweichend: Bll. 1r–4r: ca. 11 × 9 cm; Bl. 4v: ca. 12,3 × 9 cm; Bll. 5r–171v: ca. 11 × 7,5 cm.

Spaltenzahl:

Einspaltig, Verse abgesetzt.

Zeilenzahl:

19–27 Zeilen je Seite.

Schrift: Schreiber:

Bastarda mit Schlaufen von einer Hand. Unbekannt.

Überschriften:

152 Überschriften, 4 fehlende Überschriften. Kapitelanfänge dann über Rubrizierungen kenntlich gemacht.

Rubrizierungen:

Kapitelanfänge mit roten Lombarden markiert, zumeist zweizeilig, z. T. vergrößert (bis sechszeilig, vgl. Bl. 170r); Kapitelüberschriften rot unterstrichen, nach den Kapitelüberschriften und nach dem Kapitelende rote Zierlinien; Versanfänge rubriziert. Korrekturen ebenfalls rot markiert (rote Durchstreichungen, Ergänzungen rot eingekastelt).

Einband:

Holzeinband überzogen mit braunem Schweineleder. Auf dem oberen Buchdeckel zwei Metallschließen, nur der obere Gegenpart auf der Rückseite erhalten (herzförmig). Am oberen Gegenpart ein kurzes Stück des ledernen Schließbandes erhalten. Zahlreiche Einkerbungen und Schnitte im Einband.



2.2 Das Handschriftenkorpus

53

Geschichte 1861:

Eingang in die Taylor Institution Library, Oxford am 5. März. Erwerb über den Buchhändler Parker’s, Oxford zu einem Preis von £ 1.7.0 (1 Pfund, 7 Schilling, 0 Pence).

Mundart:

Nordniederdeutsch.

Literatur Gärtner 1978, S. 220. Gärtner / Ostermann 2017. Ker 2002, S. 24 (Nr. 293). Ostermann 2015a. Oxford, Taylor Institution Library, Handlist [ohne Signatur], Bd. 103–149, unter ‚110. c.‘ und ‚110. e.‘. Oxford, Taylor Institution Library, Bibliothekskatalog (handschriftlich, ab 1870) [ohne Signatur], Bd. 2, unter ‚M‘. Handschriftencensus: Nr. 21342. Inhalt Vorderer Spiegel: Lateinisches Pergamentfragment, vermutlich Johannes Capreolus: ‚Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis‘ (28 Zeilen, z. T. vom Exlibris überklebt). Gegenstück sichtbar zwischen dem Ende der ersten und dem Beginn der zweiten Lage (Bll. 4v–5r).  

Bll. 1r–171v: Bruder Philipp: ‚Marienleben‘ (7850 Verse). Incipit: MAria moder koninghinne | Alle de werlde en loserrinne Explicit: [fehlt] Text endet mit V. 9995f.: dar sines suluens stoel stunt harde by | Jhesus sprak moder hir scholtu jummer bliuen Hinterer Spiegel: Lateinisches Pergamentfragment, vermutlich Johannes Capreolus ‚Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis‘ (34 Zeilen).

Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek, Hs. 1500,25116 [110] Pergament ⋅ 2 Streifen ⋅ I: 2–2,5 × 5 cm; II: 3–3,8 × 5,5 cm ⋅ Herkunft unbekannt ⋅ 2. Viertel 14. Jahrhundert Altsignaturen: Hohenholte, Privatbesitz Hartmut Beckers; Berlin, Sammlung Leuchte, Ms. XXV Beschreibung des Äußeren Beschreibstoff: Pergament. Lagen:

/.

Foliierung:

/.

116 Das Fragment ist online einsehbar unter: http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/hs1500-25 (12. Oktober 2019).

54

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

Schriftraum:

Ursprünglich ca. 6,5 cm.

Spaltenzahl:

Einspaltig, Verse abgesetzt.

Zeilenzahl:

Unbekannt.

Schrift: Schreiber:

Textualis von einer Hand. Unbekannt.

Überschriften:

/.

Rubrizierungen:

Versanfänge rubriziert.

Einband:

/.

Geschichte ?–1996:

Privatbesitz Hartmut Beckers.

1997:

Hans-Jörg Leuchte erwirbt das Fragment aus Beckers Nachlass.

2003–2006:

Aufbewahrung in der Universitätsbibliothek Freiburg.

2006:

Erwerb durch die Universitätsbibliothek Freiburg.

Mundart:

Nordniederdeutsch oder westfälisch.

Literatur Gärtner 2001b, S. 141 f. Anm. 4. Schiewer 2002, S. 344 (Nr. 25). Schiewer 2007.  

Handschriftencensus: Nr. 7594. Inhalt Bll. 1r–2v: Bruder Philipp: ‚Marienleben‘ (26 Verse). Incipit: [fehlt] Text beginnt mit V. 8559f.: Wat Iesus [:]et vnde [:] | Wart [:] sul ge[:] Explicit: [fehlt] Text endet mit V. 8722f.: [:]wder mach men da[:] | [:] d[:]

Privatbesitz Hans Müller-Brauel, Haus Sachsenheim bei Zeven, Nr. 42 [35] – verschollen Pergament ⋅ 2 Bll. ⋅ 13 × 19 cm ⋅ Herkunft unbekannt ⋅ 1324 Altsignaturen: / Beschreibung des Äußeren Beschreibstoff: Pergament. Lagen:

Ein Doppelblatt.

Foliierung:

Unbekannt.

Schriftraum:

Unbekannt, Linienschema mit Tinte markiert.

Spaltenzahl:

Einspaltig, Verse abgesetzt. Bl. 2r: fortlaufend geschrieben.

2.2 Das Handschriftenkorpus

Zeilenzahl:

55

Schrift:

Bll. 1r–v: 22 Zeilen. Bll. 2r: 11 abgesetzte Verse. Das anschließende Kolophon ist fortlaufend geschrieben, die Zeilenzahl ist unbekannt. Der darauffolgende Anfang einer Adventspredigt ist in fortlaufenden Zeilen geschrieben. Eine Hand, Schriftart unbekannt.

Schreiber:

Unbekannt.

Überschriften:

Keine Überschriften.

Rubrizierungen:

Bl. 1r: eine rote Initiale mit Randleiste; Schlussformel und Kolophon in roter Tinte.

Einband:

Nicht erhalten. Das Fragment wurde aus einem Buchdeckel herausgelöst.

Geschichte 10. Juni 1324:

Fertigstellung der Abschrift.

vor 1897/1898:

Erwerb durch Hans Müller-Brauel in einem Lüneburger Antiquariat.

bis 1940:

Im Besitz von Hans Müller-Brauel.

Mundart:

Nordniederdeutsch.

Literatur Borchling 1899, S. 236 f. Denecke 1943, Sp. 889 (Nr. 35). Gärtner 1978, S. 132–134. Gärtner 1989, Sp. 590. Goebel 1905. Jellinghaus 1925, S. 6 Anm. 6. Kienhorst 2005, S. 378 (D82).  

Handschriftencensus: Nr. 19049. Inhalt Bll. 1r–2r: Bruder Philipp: ‚Marienleben‘ (55 Verse). Incipit: [fehlt] Text beginnt mit V. 9495f.:117 De in allen vroude gaf | My(t) eynen breyten steyne do Explicit: Marien leuent geyt hir uz | Nun help uns er leue kynt ihesus | Am ...... E ........ N Schlussformel: Ut sit solamen dicatur ab omnib[us] AmeN Kolophon: Dit buch is geschreuen na godes bort dusent iar. dre hundert iar. In deme verentwinteghesten iare. In deme daghe der heylighen driualdicheyt Bl. 2v: Beginn der hochdeutschen Adventspredigt ‚De adventu domini‘. Edition: Schönbach 1886, S. 180–182 (Nr. 91), hier S. 180.

117 Hier zitiert nach Goebel 1905, S. 37 f.  

56

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

Privatbesitz Sigurd Wandel, Kopenhagen, Cod. 29 [118] – verschollen Pergament ⋅ 2 Bll. ⋅ Maße unbekannt ⋅ Herkunft unbekannt ⋅ ca. 1400 Altsignaturen: / Beschreibung des Äußeren Beschreibstoff: Pergament. Lagen:

Ein Doppelblatt.

Foliierung:

Unbekannt.

Schriftraum:

Unbekannt.

Spaltenzahl:

2 Spalten, Verse abgesetzt. Spaltenbreite unbekannt.

Zeilenzahl:

Bl. 1r, 2v: 34 Zeilen je Spalte. Bl. 1v, 2r: 35 Zeilen je Spalte.

Schrift:

Unbekannt.

Schreiber:

Unbekannt.

Überschriften: Rubrizierungen:

Keine Überschriften. Unbekannt.

Einband:

Nicht erhalten. Das Fragment wurde aus dem Deckel einer Inkunabel herausgelöst.

Geschichte vor 1923: 1923:

Erwerb durch Sigurd Wandel über den Antiquar Lentner, Dresden (?). Versteigerung am 6. Februar in Kopenhagen, erworben von Victor Petersen zu einem Kaufpreis von 20 Dänischen Kronen.

Mundart:

Nordniederdeutsch.

Literatur Mylord-Möller 1923. Handschriftencensus: Nr. 19050. Inhalt Bll. 1ra–2vb: Bruder Philipp: ‚Marienleben‘ (275 Verse). Incipit: [fehlt] Text beginnt mit V. 7821f.: [:] li[:]n nv minen her | [:] ich g[:]o w[:]118 Explicit: [fehlt] Text endet mit V. 8098f.: vn̄ de doke och dar vunden | do [:]

118 Hier zitiert nach Mylord-Möller 1923, S. 45, 48.

2.2 Das Handschriftenkorpus

57

Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 102a [115] Papier ⋅ 63 Bll. ⋅ 20,5 × 14 cm ⋅ Ostfalen ⋅ Mitte 15. Jahrhundert Altsignaturen: / Beschreibung des Äußeren Beschreibstoff: Wasserzeichen:

Papier. Ochsenkopf mit Augen, Nasenlöchern, einkonturiger Stange mit einkonturigem Stern (ähnlich Piccard-Typ I,322).

Lagen:

36 vollständige Blätter, 27 beschnittene Reste; Lagenformel für die vollständig erhaltenen Blätter (Bll. 1–36): III+1 (7) + II (11) + IV+1 (20) + II (24) + I (26) + IV (34) + I (36).

Foliierung:

Moderne Bleistiftfoliierung.

Schriftraum:

16 × 7–8 cm.

Spaltenzahl:

Einspaltig.

Zeilenzahl:

29–40 Zeilen je Seite.119

Schrift:

Bastarda mit Schlaufen von einer Hand.

Schreiber: Überschriften:

Unbekannt. 1 Überschrift (vgl. Bl. 1r); 78 Kapitelanfänge können anhand von vergrößerten roten Initialen eindeutig bestimmt werden.

Rubrizierungen:

Kapitelanfänge mit dreizeiligen roten Lombarden markiert, Versanfänge rot gestrichelt, z. T. auch der zweite Buchstabe des Eröffnungsverses in roter Tinte. Eine Überschrift in roter Farbe (vgl. Bl. 1r).  

Einband:

Geschichte 16. Jahrhundert:

Nicht erhalten.

Zu Makulaturzwecken zerschnitten, für den Einband eines Bandes von Herzogs Johann Albrecht I. von Mecklenburg aus dem Jahr 1572 verwendet.

2001:

Von Kurt Heydeck identifiziert und beschrieben.

Mundart:

Ostfälisch.

Literatur Heydeck 2001, S. 133 f.  

Handschriftencensus: Nr. 3136.

119 Diese Angaben beziehen sich auf die in der Höhe vollständig erhaltenen Blätter. Die nur als Ausschnitt erhaltenen Bll. 50r–51v umfassen nur vier bis fünf Zeilen.

58

2 Die niederdeutsche Überlieferung als Untersuchungsgegenstand

Inhalt Bruder Philipp: ‚Marienleben‘. Bis einschließlich Bl. 54v: ca. 3280 Verse.120 – Blattreihenfolge weicht von der Foliierung ab. Incipit (Bl. 37r): [:]r konni[:]gynne | […] werde [:] Explicit: [fehlt] Text endet mit V. 9866, 9868 (Bl. 36v): Melchysedech [:] | Vrauden sik [:] was

120 Die Angabe ‚ca.‘ wurde hier ergänzt, da auch unter den Blättern bis Bl. 54v zahlreiche Fragmente so stark zerschnitten sind, dass eine exakte Verszahl nicht mehr bestimmt werden kann.

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘ Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen Textzeugen wird im Folgenden über die Materialität, Textgemeinschaften sowie Provenienz und Weitergabe der einzelnen Handschriften und Fragmente untersucht. Zu diesem Zweck wurden sämtliche Vollhandschriften vor Ort eingesehen, die Analyse erfolgte demnach am Objekt selbst. Für die verschollenen Fragmente Nr. 35 und Nr. 118 kann nur anhand der Sekundärliteratur gearbeitet werden, die Fragmente Nr. 110 und Nr. 115 sind aufgrund ihres Erhaltungszustands nur als Digitalisate zugänglich.

3.1 Materialität: Format, Einband, Beschreibstoff, Textlayout Für die Materialitätsanalyse sind all jene visuell wahrnehmbaren Aspekte einer Handschrift oder eines Fragments relevant, die den enthaltenen Text rahmen oder gestalten. Von Interesse sind das Format, die Einbandgestaltung, der Beschreibstoff und das Textlayout. An dieser Stelle finden spätere Eingriffe in die Gestaltung noch keine Berücksichtigung, stattdessen nimmt die Untersuchung die mittelalterliche Konzeption des Textträgers in den Blick.

3.1.1 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 937 Helmst. [W] Die Handschrift W konserviert das ‚Marienleben‘ in einem Kopertband, der in einem äußerst fragilen Zustand ist: Das Pergament löst sich vom Buchblock, ist stark geknittert, durchlöchert und eingerissen. Vom ursprünglichen Schließmechanismus – zwei Knöpfe auf der Rückenplatte und zwei Kordeln – ist lediglich ein Teil der oberen Kordel am hinteren Buchdeckel erhalten. Der Kopertband galt in der Forschung lange als „einfachere Form des Bucheinbands“1, der „weniger widerstandsfähig als ein Holzdeckeleinband“2 ist und daher vor allem für Schrifttum verwendet wurde, das nicht auf dauerhaften Erhalt angelegt war. Wie Agnes Scholla in ihrer 2002 vorgelegten Dissertation zeigen konnte, darf die Verwendung eines Kopertband keineswegs als ‚unterlegene‘ Einbandtechnik verstanden werden und lässt keine direkten Rückschlüsse auf die Qualität der in ihm überlieferten

1 Schneider 2014, S. 175. 2 Helwig 1970, S. 41.

https://doi.org/10.1515/9783110676822-003

60

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Texte zu.3 Stattdessen kann die Wahl eines Kopertbandes aus finanzieller Sicht begründet werden: Auch wenn über die Kosten für die Herstellung eines Koperts keine Aufzeichnungen bekannt sind, kann aber doch aus dem Aufwand für das Material und die Arbeitszeit, die für seine Anfertigung benötigt wird, geschlossen werden, daß ein Kopert sehr wahrscheinlich preiswerter als ein Holzdeckeleinband herzustellen war.4

Für die Textabschrift in W wurde Papier im Quartformat verwendet, auch dieses weist deutliche Schäden auf. Das erste Blatt ist ebenso wie der vordere Buchdeckel stark durchlöchert, die rechte untere Ecke der Rectoseite ist ausgerissen, was zu Textverlust führt. Schäden dieser Art finden sich in der gesamten Handschrift, insbesondere Blattecken sind wiederholt gewellt oder umgeknickt. Textverlust ist jedoch nur für das erste Blatt zu verzeichnen. Der Text ist zweispaltig erfasst, die Verse sind fortlaufend geschrieben. Innerhalb der gesamten deutschsprachigen ‚Marienleben‘-Überlieferung finden sich nur drei weitere Beispiele für ein derartiges Layout im Quartformat: erstens ein bairisches Fragment mit mitteldeutschen Einsprengseln aus der Mitte des 14. Jahrhunderts (Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 1493 [Sigle Nr. 11]), zweitens die bereits genannte bairische Handschrift G aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts und drittens das erst im Jahr 2017 von Werner J. Hoffmann identifizierte bairische Fragment Leipzig, Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Klemm-Sammlung I,8 [Sigle Nr. 119] aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts.5 Bei diesen drei Textzeugen handelt es sich bei dem Beschreibstoff um Pergament. Die Handschrift W ist mit ihrer Kombination aus Texteinrichtung und Materialwahl daher in der Gesamtüberlieferung des ‚Marienleben‘ ein Unikum. Die Wahl des Beschreibstoffs Papier und die Entscheidung für ein zweispaltiges Textlayout mit fortlaufenden Versen bei wenig unbeschriebenem Blattraum weisen auf eine platzsparende, kostengünstige Abschrift und stehen somit im Einklang mit der Einbandgestaltung. Die Lagenzusammensetzung legt eine genau geplante Konzeption der Handschrift nahe. Sie besteht durchgängig aus Quaternionen, wobei der letzten Lage zwei vermutlich unbeschriebene Blätter der zweiten Lagenhälfte fehlen. Auf den letzten ‚Marienleben‘-Vers auf Bl. 109r folgen mit Bl. 109v und Bl. 110r zwei leere

3 Vgl. Scholla 2002. Scholla untersucht auch Koperte aus dem Helmstedter Bestand der Herzog August Bibliothek, berücksichtigt die Handschrift W aber nicht. 4 Scholla 2002, S. 276 f. Zum Kopert als einfache, kostengünstige Alternative zum Holzdeckelband vgl. auch Petersen 1975, S. 68; Mazal 1997, S. 20; Rautenberg 2015, S. 289. 5 Zu Nr. 11 und G vgl. Gärtner 1978, S. 75, 81–83. Eine Publikation zu dem Leipziger Neufund wird von Werner J. Hoffmann vorbereitet.  

3.1 Materialität: Format, Einband, Beschreibstoff, Textlayout

61

Blätter sowie mit Bl. 110v noch ein Blatt mit Federproben. Die Lagenzählung ist in römischen Ziffern jeweils bei Lagenbeginn mittig am unteren Blattrand vermerkt (vgl. Bll. 1r, 9r, 17r, 25r, 33r, 41r, 49r, 57r, 65r, 73r, 81r, 89r, 97r), einzig dem letzten Lagenbeginn auf Bl. 105r fehlt die Zählung. Zur Verstärkung finden sich durchgängig Pergamentfalze in der Lagenmitte. Für eine sorgfältige Herstellung spricht zudem der Umgang mit einem Riss im Papier des ersten Blattes, der mit einer Fadenbindung repariert und am Rand an das zweite Blatt angebunden wurde. Der Text des ‚Marienleben‘ ist von einer Hand geschrieben. Versanfänge sind über rote Strichelungen, Versenden über Verspunkte markiert. Der regelmäßige Wechsel zur Textura als Auszeichnungsschrift der Überschriften bezeugt ein durchdachtes Layout. Die Rubriken sind rot unterstrichen und zuweilen zusätzlich mit einem Alineazeichen markiert (vgl. z. B. Bll. 3vb, 16vb, 78va). Wenn die Überschrift kürzer ist als die Spalte breit, folgen rote Zierlinien (vgl. z. B. Bl. 3rb). Bei fehlenden Überschriften deutet einzig das Alineazeichen auf einen neuen Episodenbeginn hin (vgl. z. B. Bl. 35vb). Auf Kapitelenden folgen in der Regel rote Zierlinien (vgl. z. B. Bl. 15ra), es sei denn der letzte Vers endet mit dem Ende des eingezeichneten Schriftraums (vgl. z. B. Bl. 83va). Der erste Vers eines Kapitels beginnt mit einer zumeist zweizeiligen roten Lombarde; in Tinte geschriebene Repräsentanten, die als Hinweise für den Rubrikator fungierten, bleiben sichtbar. Die Gesamtgestaltung weist W demnach als konzeptionell durchdachte, gleichförmig gestaltete und sowohl platz- als auch kostensparende Abschrift aus, für die es in der gesamten deutschsprachigen ‚Marienleben‘-Überlieferung keine Parallele gibt.  









3.1.2 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 894 Helmst. [Wo] Auch bei der zweiten Handschrift aus dem Helmstedter Bestand der Wolfenbütteler Herzog August Bibliothek handelt es sich um eine Papierhandschrift im Quartformat, für die jedoch im Unterschied zu W eine stabilere und aufwändigere Einbandform gewählt wurde. Der zeitgenössische, mit rötlichem Leder überzogene und mit Einbandstempeln verzierte Holzdeckel konserviert den Buchblock in deutlich besserem Zustand. Es lassen sich vier unterschiedliche Einzelstempel unterscheiden, die insbesondere auf dem Vorderdeckel, weniger auf dem stark abgeriebenen Hinterdeckel zu erkennen sind: eine Rosette mit fünfblättrigem Blattkranz (EBDB s007696), eine Rosette mit sechsblättrigen Blattkranz (EBDB s007097), ein sechsstrahliger Stern (EBDB s008822) und ein Wirbelstern (EBDB s009054).6 Der Ein-

6 Vgl. Lesser 894.

62

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

band ist inzwischen am Gelenk gebrochen und die Schließenriemen fehlen, die Schäden haben jedoch keine Auswirkungen auf das enthaltene Schriftgut. Der Buchblock umfasst 258 Blätter und besteht aus drei Faszikeln, die sich über ihre Schrift, Gestaltung und die Verwendung einer jeweils anderen Papiersorte deutlich als eigenständige Einheiten der Gesamthandschrift zu erkennen geben. Darüber hinaus ist die Trennung der Faszikel stets über ein unbeschriebenes Blatt markiert (vgl. Bll. 94r–v, 210r–v, 258r–v). Das ‚Marienleben‘ stellt den zweiten Faszikel (Bll. 95r–210v); es umfasst 116 Blätter und macht somit ca. 45 % des Textbestandes aus. Das Papier zeigt nur wenige Schäden: Auf Bl. 110r begegnen beispielsweise Wasserflecken, die drei Versenden unlesbar machen, die aber bereits vom Schreiber selbst nachgetragen wurden. Auf Bl. 135 und Bl. 136 lässt sich eine zeitgenössische Reparatur des Beschreibstoffs erkennen, beide Blätter weisen am unteren Blattrand eine Naht auf. Der ‚Marienleben‘-Faszikel besteht in seiner Lagenzusammensetzung aus neun Sexternionen und einem Quaternio. Die Lagennummerierung ist am linken oberen Blattrand in arabischen Zahlen vermerkt, aber nur in der Hälfte der Fälle noch erhalten: Bll. 119r (‚3‘), 131r (‚4‘), 143r (‚5‘), 179r (‚8‘), 191r (‚9‘). Auch für die übrigen Lagenanfänge ist eine ursprünglich vermerkte Zählung anzunehmen, die mit der Einbindung des Buchblocks unlesbar wurde.7 Der Text ist durchgängig von einer Hand, einspaltig, in engen, abgesetzten Versen erfasst und auffallend schmucklos. Das ‚Marienleben‘ ist mit Tinte geschrieben, weist keinerlei Verzierungen und nur wenige gestalterische Maßnahmen auf. So sind die Kapitelüberschriften zum Teil in zwei horizontale Tintenlinien eingerahmt (vgl. z. B. Bl. 96r) oder am linken Rand über zwei vertikale Striche hervorgehoben (vgl. z. B. Bl. 191v). Die Überschrift ist zusammen mit dem ersten Verspaar nach rechts eingerückt und schafft so Raum für eine vergrößerte Initiale.8 In unregelmäßigen Abständen sind in diesem Freiraum Repräsentanten vermerkt (vgl. z. B. Bl. 99r: d, Bl. 120r: v), die als Hinweise auf eine ursprünglich intendierte, aber nur einmal umgesetzte Gestaltungsmaßnahme gedeutet werden können. Diese Ausnahme begegnet auf Bl. 149r in Form einer roten, dreizeiligen Initiale und vermittelt einen Eindruck von dem vermutlich für die gesamte Abschrift angedachten Textlayout. Auf Bl. 143r finden sich zudem rote Farbspuren, Tinte in dieser Farbe war demnach durchaus zur Hand. Die vorwiegend einfarbige und wenig aufwändige Gestaltung unterscheidet das ‚Marienleben‘ von dem vor 





7 Auf Bl. 203r sind Ansätze einer Zahl zu erkennen, vermutlich ‚10‘. 8 Sieben Überschriften fehlen (jeweils eine auf Bll. 163r, 163v, 164r, 171v, 208v und zwei auf Bl. 207v). In diesen Fällen ist ein neuer Abschnitt lediglich über die Einrückung markiert.

63

3.1 Materialität: Format, Einband, Beschreibstoff, Textlayout

hergehenden und dem folgenden Faszikel, die beide Gebrauch von Verzierungen und Rubrizierungen machen.9 Wo unterscheidet sich vom Typ der Gebrauchshandschrift, wie sie mit W vorliegt. Während W deutliche Gebrauchsspuren aufweist und ein Bemühen um eine Kostensenkung in der Herstellung zu erkennen gibt, erscheint das ‚Marienleben‘ in Wo ohne Benutzerspuren und deutlich weniger kostensparend. Die Kombination mit anderen Texten unterschiedlicher Schreiber gibt Anlass zu der These, dass hier eher die Zusammenstellung einer bestimmten Textsammlung als ihre tatsächliche Benutzung im Vordergrund stand. Der Handschrift würde damit am ehesten eine kompilatorische Funktion zukommen. Diese aus der Materialität abgeleitete These soll in Kapitel 3.2.1 überprüft werden.

3.1.3 Lübeck, Stadtbibliothek, Ms. theol. germ. 4° 23 [Lü] Von allen niederdeutschen Abschriften des ‚Marienleben‘ ist die Lübecker Handschrift am besten erhalten. Wie im Fall von Wo ist der Buchblock in einen stabilen Holzdeckeleinband eingefasst, dessen Lederüberzug jedoch mit deutlich mehr und zahlreichen unterschiedlichen Einbandstempeln aufwändig verziert ist.10 In Übereinstimmung mit den bereits beschriebenen Wolfenbütteler Exemplaren wurde für die Abschrift Papier im Quartformat verwendet. Der Beschreibstoff weist nur wenige Schäden auf, beispielsweise auf Bl. 61, auf dem ein Loch im Papier einen Textverlust weniger Worte verantwortet. Das ‚Marienleben‘ ist aus sechzehn Sexternionen zusammengesetzt. Lediglich das erste Blatt der ersten und die letzten drei Blätter der letzten Lage sind unbeschrieben. Für eine sorgsam geplante Zusammensetzung der Lagen spricht die vollständig erhaltene historische Lagenkennzeichnung, die zunächst in arabischen Buchstaben, dann in römischen Zahlen oben und unten auf der letzten Versoseite einer Lage und der ersten Rectoseite einer neuen Lage vermerkt ist. Sie erscheint erstmalig auf dem ersten beschriebenen Blatt (Bl. 1r: a), wenngleich die Lage bereits auf dem vorausgehenden unbeschriebenen Blatt beginnt. Das Lagenende ist korrekt auf Bl. 11v (b) vermerkt. Ab Bl. 12r (c) erscheint die Zählung in regelmäßigen Abständen von zwölf Blättern, das heißt jeweils zum korrekten

9 Vgl. z. B. die kunstvoll gestaltete Initiale auf Bl. 2r und Bl. 73r, die Federzeichnung eines Herzens auf Bl. 2r, die eingekastelten Randnotizen auf Bll. 8r–9v, 11r, 12v, 13v–14v u. ö. und die regelmäßige Verwendung von roter Tinte im dritten Faszikel. 10 Für eine Beschreibung der Einbandstempel vgl. den Eintrag zu Lü in Kap. 2.2.  



64

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Lagenende und -beginn (vgl. Bl. 12r: c; Bl. 23v: d; Bl. 24r: e bis Bl. 120: x, danach mit römischer Zählung weiter: Bl. 131v: i; Bl. 132r: ii etc.). Die letzte Lagenbezeichnung steht auf Bl. 179v (ix), eine Bezeichnung des letzten Lagenbeginns fehlt. Die Abschrift wirkt aufgrund ihres einheitlichen Layouts sehr sorgfältig. Die Handschrift ist durchgängig von einer Hand, einspaltig und in abgesetzten Versen geschrieben. Der Schreiber Hans Stortekare, der seinen Namen in einem Kolophon auf dem letzten beschriebenen Blatt (Bl. 188r) nennt, verwendet eine in die Breite gezogene, schlaufenlose Bastarda mit wenigen Abkürzungen und erreicht so eine einfache Erkennbarkeit der Einzelbuchstaben. Der Haupttext erscheint in schwarzer, die Rubriken in roter Tinte. Versanfänge sind vertikal in roter Tinte durchgestrichen, Versenden um rote geschwungene Zierlinien ergänzt. Kapitelanfänge werden über vergrößerte rote Initialen hervorgehoben, für die gelegentlich – ebenfalls in roter Tinte – Platzhalter zu erkennen sind (vgl. z. B. Bl. 91r). Eine auffallend große, kreuzförmige Initiale auf Bl. 147r hebt das Wort Ihesus hervor. Diese Gestaltungsmaßnahme könnte durchaus an den Inhalt des Textes angelehnt sein: Der Vers eröffnet das 21. Kapitel im Passionsblock H, das von den Worten erzählt, die Jesus am Kreuz an seine Mutter richtet. Zuweilen ist nicht nur die kapiteleröffnende Initiale, sondern das gesamte erste Wort in roter Tinte geschrieben, so auch das erste Wort des ‚Marienleben‘ auf Bl. 1r: Maria (vgl. z. B. Bl. 16r: Do, Bl. 25r: Nu, Bl. 32v: Enes, Bl. 41v: Jozep etc.). Korrigierende Eingriffe in den Text erscheinen sowohl in roter als auch in schwarzer Tinte (vgl. z. B. Bll. 5r, 46v, 113v). Da die gesamte Handschrift nur eine Schrift aufweist – sei es im Haupttext, in den Rubriken, in schwarzer oder roter Tinte oder in den Vermerken zur Lagenzusammensetzung –, können Hans Stortekare die Rollen des Schreibens, Rubrizierens und Konzipierens der Handschrift zugeordnet werden. Der Buchblock von Lü ist damit das Gesamtwerk eines Einzelnen, das in seiner einfachen, regelmäßigen Gestaltung auf Einheitlichkeit angelegt ist, was in einer guten Lesbarkeit resultiert.  





3.1.4 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 760 [Be] Auch die Handschrift Be überliefert ein ‚Marienleben‘ auf Papier im Quartformat. Sie erhält Philipps Dichtung als einzige im Korpus der niederdeutschen Vollhandschriften in einem späteren, nicht zeitgenössischen Einband. Dieser verbindet die ‚Marienleben‘-Abschrift mit zwei Drucken aus den Jahren 1501 und 1520. Mit dem Publikationsjahr des zweiten Drucks ist ein definitiver Terminus post quem für die Zusammensetzung des Sammelwerks bekannt. Da die Schließe des Einbands, ein sogenannter Einhakverschluss, nur bis Mitte des 16. Jahrhunderts belegt ist,

3.1 Materialität: Format, Einband, Beschreibstoff, Textlayout

65

dürfte die Zusammenstellung im Zeitraum 1520 bis 1550 erfolgt sein.11 Es handelt sich insgesamt um einen Halbledereinband, für den die Holzdeckel wiederverwertet wurden. Für diese Hypothese sprechen die ein Rautenmuster ergebenden Abdrucke von Streicheisenlinien, die noch deutlich auf dem Holz zu erkennen sind. Das Leder, vermutlich Schweinsleder, zeigt ebenfalls noch Verzierungen durch Blindprägung. Das Motiv – eine Wellenranke mit Blüten – ist für eine exakte Identifizierung nicht mehr gut genug zu erkennen.12 Für die neue Einbindung wurde das Papier der einzelnen Faszikel beschnitten. Im Fall des ‚Marienleben‘ ist der Rand um den Schriftraum in der Folge unterschiedlich breit bzw. hoch. Besonders deutlich zeigt sich diese Anpassung auf den Versoseiten, bei denen zuweilen kein unbeschriebener Blattraum links des Schriftspiegels bleibt (vgl. z. B. S. 118, 264 u. ö.). Da die Blattkanten dunkler gefärbt sowie gewellt sind und Wasserflecken aufweisen (vgl. insbesondere S. 151–154, 227–239), liegt die Vermutung nahe, dass der Buchblock eine Zeit lang nicht oder nur schlecht eingebunden war. Darüber hinaus weist der Beschreibstoff weitere Schäden auf, so beispielsweise Risse im Papier (vgl. z. B. S. 131/132, 133/134 – ohne Textverlust). S. 135 ist fast vollständig herausgerissen, so dass nur noch vierzehn ursprüngliche Versanfänge zu erkennen sind. Der Vorbesitzer Kinderling korrigierte den so entstandenen Textverlust mit einem neuen Papier, auf dem er selbst die unvollständigen und die fehlenden Verse aus der Handschrift Wo ergänzte.13 Der Buchblock setzt sich aus sich unregelmäßig abwechselnden Sexternionen und Quinternionen zusammen, auf dem Papier sind keine Hinweise für die Lagenzusammensetzung erhalten. Das ‚Marienleben‘ endet in der letzten Lage auf S. 276; auf S. 277 bis S. 282 folgt eine Autoritäten-Sammlung. Der Text des ‚Marienleben‘ ist einspaltig erfasst, die Verse sind abgesetzt. Die Versanfänge sind rot gestrichelt, dem Versende folgen rote Querstriche. Korrekturmaßnamen erscheinen in roter Tinte (vgl. z. B. S. 48, 91, 181, 195, 249). Das Schriftbild wirkt hastig und insbesondere im Vergleich mit Lü sehr ungleichmäßig. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die vom Schreiber verwendete Bastarda, bei der die Schlaufen an den Oberschäften von b, d, h, k und l teilweise vorhanden sind und teilweise fehlen. Die für das ‚Marienleben‘ typischen Ru 







11 Ich danke Andreas Wittenberg, Referatsleiter der Abteilung Historische Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin, für seine Hilfe bei der Beschreibung und Datierung des Einbandes (E-Mail vom 26. April 2018). Eine ausführliche Darstellung des hier genannten Schließmechanismus samt Beispielabbildungen gibt Adler 2010, S. 83–85. 12 Ein vergleichbares Motiv findet sich in der Einbanddatenbank unter der Zitiernummer EBDB r000676. 13 Zu Kinderlings umfassenden Eingriffen in den Textbestand und die Gestaltung der Handschrift vgl. Kap. 4.1.4.4.

66

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

briken sind nur sporadisch vermerkt, so zunächst nur auf S. 4, dann erst wieder auf S. 29, dann auf S. 43 etc. Wenn die Überschrift fehlt, ist der Kapitelbeginn durch eine zweizeilige rote Lombarde markiert. Auch wenn die Überschrift vorhanden ist, wird sie nicht wie in W über einen Schriftartwechsel, wie in Wo über Einrückung bzw. Randmarkierung oder wie in Lü über einen Farbwechsel hervorgehoben, sondern stimmt in ihrer Gestaltung mit den Einzelversen überein. In der Folge lässt sich mancherorts auf den ersten Blick nicht zwischen Rubrik und Versbestand unterscheiden (vgl. z. B. S. 262). Das Ergebnis dieser Gesamtdarstellung ist eine unübersichtliche Abschrift, die der Rezipientin oder dem Rezipienten den Zugang zum Text über die gewählten Gestaltungsmaßnahmen erschwert. Die Autoritäten folgen zwar von gleicher Hand geschrieben, unterscheiden sich aber aufgrund ihres Layouts deutlich vom ‚Marienleben‘: Der Schreiber verwendet ausschließlich schwarze Tinte und hebt die Rubriken durch Zentrierung hervor. Rote Farbabdrücke auf S. 277 zeigen, dass die Autoritäten bereits bei der Rubrizierung des ‚Marienleben‘ notiert waren. Da diese Versdichtungen auf einer gesonderten Lage erfasst wurden, können sie nicht als ‚Lückenfüller‘ verstanden, sondern müssen als gewollte Ergänzung bewertet werden.  

3.1.5 Oxford, Taylor Institution Library, MS 8° G.2. [O] Stellt man die Handschrift O vor dem inneren Auge hochkant neben die bereits untersuchten Handschriften, so sticht sie aufgrund der geringeren Größe heraus: Sie überliefert das ‚Marienleben‘ als Oktavhandschrift in einem handlichen Taschenformat von nur 14,5 × 10,8 cm. Dieser Befund spricht für einen intendierten Einsatz als mobiles Objekt, das einfach zu transportieren war und gegebenenfalls auch auf Reisen mitgenommen werden konnte. Der Zustand der Handschrift gibt in der Tat deutliche Gebrauchsspuren zu erkennen, beispielsweise Wasserflecken und zahlreiche eingerissene Blätter. Da die erste Lage des Buchblocks eine besondere Schmutzbelastung aufweist, erfolgte die Einbindung offenbar erst mit zeitlichem Abstand. Die unregelmäßige Lagenzusammensetzung lässt vermuten, dass der benötigte Papierbedarf im Vorhinein nicht kalkuliert wurde. Die erste Lage umfasst lediglich vier Blätter, ab der zweiten Lage folgen Sexternionen, die in der elften Lage durch einen Quinternio abgelöst werden. Im weiteren Verlauf schließen drei Sexternionen an, der erhaltene Lagenbestand endet mit einem Septernio, bei dem zwischen Bl. 166 und Bl. 167 ein Blatt herausgeschnitten wurde. Die Initialen der ersten acht Verse sind auf dem entfernten Blatt noch sichtbar und stimmen mit den ersten acht Initialen auf Bl. 167 überein. Der Eingriff spricht demnach für die Entfernung eines verdorbenen Blattes während der Herstellung. Hinweise auf die

3.1 Materialität: Format, Einband, Beschreibstoff, Textlayout

67

Lagenzusammensetzung fehlen mit einer Ausnahme: Lediglich Bl. 136r, das zweite Blatt der siebzehnten Lage, trägt die zeitgenössische Foliierung ‚2‘. Die ‚Marienleben‘-Abschrift endet mit V. 9996 auf Bl. 171v, am unteren rechten Rand dieses letzten erhaltenen Blattes steht die Kustode Mit. Da die Rückertsche Edition insgesamt 10133 Verse umfasst, fehlen demnach 137 Verse.14 Bei einer durchschnittlichen Zahl von 22 Versen pro Seite müssten demnach noch ca. sechs Seiten angeschlossen haben, das heißt drei jeweils auf Verso und Recto beschriebene Blätter. Ob O demnach ursprünglich mit einem Ternio endete oder nicht nur am Anfang, sondern auch am Ende ein Quaternio – dort jedoch mit zwei unbeschriebenen Seiten – stand, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. In beiden Fällen bleibt die unregelmäßige Lagenzusammensetzung ein Kennzeichen der Handschrift. Der Text des ‚Marienleben‘ ist einspaltig erfasst.15 In Bezug auf das Seitenlayout lassen sich Gemeinsamkeiten mit dem Lübecker und dem Berliner Textzeugen erkennen: Kapitel öffnen mit einer meist zweizeiligen roten Lombarde, Versanfänge sind rot gestrichelt und Versenden um rote Zierlinien ergänzt. Der Einsatz von roter Tinte findet sich darüber hinaus für die Überschriften, die über einfache rote Unterstreichungen hervorgehoben sind. Korrekturen innerhalb eines Verses (vgl. z. B. Bl. 18r) und Ergänzungen in den Marginalien sind ebenfalls mit roter Tinte vorgenommen oder markiert (vgl. z. B. Bl. 4r). Aufgrund ihres Erhaltungszustands ist O am ehesten mit Be zu vergleichen. Beide Handschriften tragen deutliche Spuren ihrer Verwendung und somit ihrer Geschichte. Sie geben zu erkennen, dass diese Handschriften nicht nur als ‚Gebrauchshandschriften‘ konzipiert, sondern auch als solche eingesetzt wurden.  



3.1.6 Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek, Hs. 1500,25 [Nr. 110] Das Freiburger Fragment Nr. 110 umfasst nur zwei Pergamentstreifen, die insgesamt sechsundzwanzig unvollständige Verse des ‚Marienleben‘ konservieren. Der Text ist abgesetzt und von einer Hand erfasst. In Übereinstimmung mit den bisher beschriebenen Textzeugen sind auch hier die Versanfänge rubriziert. Der erste Streifen misst ca. 2–2,5 × 5 cm und der zweite ca. 3–3,8 × 5,5 cm.16 Auf dieser Breite von ca. 5 cm ist kein Vers vollständig erhalten, die ursprüngliche Schrif-

14 Es wurde die Gesamtverszahl der Rückertschen Edition zugrunde gelegt, da die umfangreichsten Zusatzverse aus der Neuedition (G20–23) bislang nur in der Handschrift P belegt sind. 15 Vgl. die Abbildung bei Gärtner / Ostermann 2017, S. 251. 16 An dieser Stelle sei Regina D. Schiewer für die Zusendung ihrer unveröffentlichten Beschreibung dieses Fragments gedankt (E-Mail vom 6. August 2018), vgl. Schiewer 2007.

68

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

traumbreite wird etwa 6,5 cm betragen haben. Damit handelt es sich entweder um eine äußerst schmale Texterfassung oder, und das scheint bei den Maßen wahrscheinlicher, um eine zweispaltige Textgestaltung.

3.1.7 Privatbesitz Hans Müller-Brauel, Haus Sachsenheim bei Zeven, Nr. 42 [Nr. 35] Das Fragment Nr. 35 gilt in der Forschung als verschollen, Aussagen über seine Materialität können daher nur anhand der Sekundärliteratur getroffen werden. Zwei Publikationen geben Auskunft über die Beschaffenheit dieses Textzeugen: die 1899 erschienene Kurzvorstellung des Fragments von Conrad Borchling im Rahmen seiner Reiseberichte und die 1905 im ‚Jahrbuch für niederdeutsche Sprachforschung‘ erschienene Beschreibung samt Transkription des Lehrers und späteren Bibliothekars Fritz Goebel.17 Bei dem Fragment handelt es sich laut Borchling und Goebel um ein Pergamentdoppelblatt. Die angegebenen Maße für das gesamte Fragment (13 × 19 cm) erinnern an die Handschrift O (14,5 × 10,8 cm) und sprechen für ein vergleichbares „Taschenformat“18. Wie in den niederdeutschen Vollhandschriften außer W ist der Text einspaltig und von einer Hand geschrieben, die Verse sind abgesetzt. Die Schrift wird nicht näher bestimmt, Goebel bezeichnet sie lediglich als „schön und deutlich“19. Ein mit Tinte markiertes Linienschema bleibt sichtbar. Rubrizierungen begegnen laut Borchling auf dem ersten Blatt und auf der Rectoseite des zweiten Blattes. Für Bl. 1r vermerkt Borchling „eine einfache rote Initiale mit Randleiste“20, für das zweite Blatt ein in roter Tinte verfasstes Kolophon. Das erste Blatt überliefert auf seiner Recto- und Versoseite jeweils zweiundzwanzig Verse des ‚Marienleben‘, während auf Bl. 2r die letzten elf Verse des ‚Marienleben‘ niedergeschrieben sind. Der Text bleibt trotz der Verwendung des Fragments als Bucheinband so gut lesbar, dass Borchling und Goebel eine lückenlose Transkription geben können. Lediglich für die anschließende Adventspredigt ist Textverlust zu verzeichnen.

17 Vgl. Borchling 1899, S. 236 f. sowie Goebel 1905. Zu Borchlings Reiseberichten vgl. auch Kap. 2.1 der vorliegenden Arbeit. 18 Gärtner 1978, S. 220. 19 Goebel 1905, S. 37. 20 Borchling 1899, S. 236.  

3.1 Materialität: Format, Einband, Beschreibstoff, Textlayout

69

3.1.8 Privatbesitz Sigurd Wandel, Kopenhagen, Cod. 29 [Nr. 118] Im Fall des verschollenen Fragments Nr. 118 beschränkt sich die Sekundärliteratur auf eine Beschreibung von Konrad Mylord-Möller, die er im Jahr 1923 im ‚Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung‘ publiziert.21 Seinem Beitrag sind folgende Informationen zu entnehmen: Es handelt sich um ein Pergamentdoppelblatt mit zweispaltigem Text und abgesetzten Versen. MylordMöller zählt für Bl. 1r und Bl. 2v je vierunddreißig Verse, für Bl. 1v und Bl. 2r je fünfunddreißig Verse, macht aber keine Angaben zur Blattgröße oder zum Schriftraum. Aufgrund der hohen Verszahl je Seite ist ein Quartformat möglich, dann aber mit so eng geschriebenem Text wie in Wo (34–42 Zeilen bzw. Verse je Seite) und nicht in der Raum einnehmenden Schrift von Lü (24–26 Zeilen bzw. Verse je Seite) oder Be (22–30 Zeilen bzw. Verse je Seite). Rubrizierungen erwähnt MylordMöller nicht. Da das Fragment als Einband einer Inkunabel diente, ist der Text nur noch schwer lesbar, insbesondere auf der Blattseite, die nach Außen zeigte (Bll. 1r, 2v). Mylord-Möllers Transkription weist daher einige Lücken auf.

3.1.9 Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 102a [Nr. 115] Das Rostocker Fragment Nr. 115 umfasst 63 Blätter, die derzeit in einem modernen Faltkarton verwahrt werden. Während Bll. 37–63 nur noch in Bruchstücken erhalten sind, können Bll. 1–36 vollständig rekonstruiert werden. Die Blattgröße beträgt hier ca. 20,5 × 14 cm. Da diese Maße ungefähr mit denen der Vollhandschriften außer O übereinstimmen, wird es sich auch bei Nr. 115 um ein Quartformat gehandelt haben.22 Das Papier trägt deutliche Spuren seiner Verwendung als Einbandmakulatur: Es weist zahlreiche Flecken, Klebespuren und Einschnitte auf. Ein Großteil der vollständig erhaltenen Blätter wurde aus Einzelteilen wieder zusammengesetzt, auch hier findet sich Textverlust an den Schnittgrenzen. Der Text des ‚Marienleben‘ ist einspaltig erfasst, die Verse sind abgesetzt. Versanfänge erscheinen einzeln rot gestrichelt, gelegentlich werden sie in einem Zug über eine durchgängige rote Linie gekennzeichnet und so miteinander verbunden (vgl. z. B. Bl. 16r). Die Kapitelstruktur ist im Textlayout über in der Regel dreizeilige rote Initialen wiedergegeben. Zumeist erscheint auch der zweite Buch 

21 Vgl. Mylord-Möller 1923, bes. S. 48. 22 Das Fragment konnte aufgrund seines fragilen Zustands nur als Digitalisat eingesehen werden. Eine Untersuchung am Objekt würde anhand des im Papier erkennbaren Wasserzeichens und der Bindedrähte Aufschluss über das Format geben.

70

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

stabe eines Eröffnungsverses als Majuskel und rubriziert. Kapitelanfänge sind mit einer Ausnahme nur über diese Gestaltungsmaßnahme zu erkennen, denn das gesamte Fragment weist nur eine einzige Rubrik auf. Diese steht in roter Farbe auf Bl. 1r und überschreibt V. 129–146, d. h. einen Auszug aus A2, mit: Also Ioachym toch in de wostenige. Wenngleich das Fragment Nr. 115 in seinem Format und seiner Verwendung von roter Tinte an Lü und Be erinnert, so hebt es sich in seiner Gesamtgestaltung doch von diesen ab, beispielsweise über die fehlenden roten Zierlinien am Versende. Ebenso wie in Be fehlt auch der Großteil der Rubriken, im Unterschied zu Be wird die Kapitelstruktur dennoch nicht aufgelöst, sondern optisch hervorgehoben.  

3.1.10 Textzeugenübergreifende Gemeinsamkeiten Die Untersuchungen der materiellen Zusammensetzung der niederdeutschen ‚Marienleben‘-Handschriften und -Fragmente lassen einige Gemeinsamkeiten erkennen: Die erhaltenen Vollhandschriften verwenden durchgängig Papier als Beschreibstoff, während für drei der vier Fragmente Pergament gewählt wurde. Dieser Befund ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Pergament sich wegen seiner Beschaffenheit besonders für Buchmakulatur eignete. Das Papier der Vollhandschriften erscheint mit einer Ausnahme (O) im Quartformat und ist mit einer Ausnahme (W) in einen Holzdeckel eingebunden. Das bevorzugte Textlayout ist eine einspaltige Texterfassung mit abgesetzten Versen, von dieser Gestaltung weichen nur W (zweispaltig, fortlaufende Verse), das verschollene Fragment Nr. 118 (zweispaltig, abgesetzte Verse) und das Fragment Nr. 110 (zweispaltig, abgesetzte Verse) ab. Die Verwendung von roter Tinte zur Verzierung von Versen oder zur Hervorhebung der Rubriken oder Kapitelanfänge lässt sich für alle Handschriften und Fragmente mit Ausnahme von Wo und eventuell dem verschollenen Fragment Nr. 118 konstatieren.23 Alle Textzeugen sind durchgängig von einer Hand und in einer Schriftart erfasst, nur in W findet ein Schriftartenwechsel zur Kennzeichnung der Rubriken statt. Für keine Handschrift lässt sich ein repräsentativer Anspruch erkennen, insofern ein solcher über Miniaturen, die Verwendung unterschiedlicher Farben und Pergament als hochwertigem Material konstatiert werden kann. Dennoch greift eine Subsummierung aller Vollhandschriften unter dem von der Forschung

23 In seiner Beschreibung des Fragments Nr. 118 nennt Mylord-Möller keine Rubrizierungen, dieser Umstand könnte jedoch auch der Kürze seiner Beschreibung geschuldet sein.

3.2 Textgemeinschaften

71

gerne verwendeten Gegenpol ‚Gebrauchshandschriften‘ nicht weit genug und verschleiert Unterschiede in ihrer Konzeption.24 Die Gestaltung von W lässt eine deutlich ökonomische Schwerpunktsetzung erkennen, während O sich über eine handliche, also mobile wie funktionale, Beschaffenheit von den anderen Vollhandschriften abhebt. Die Handschrift Lü wiederum kann aufgrund ihrer sorgsamen Textgestaltung und des ordentlichen Schriftbildes als konservative Handschrift bezeichnet werden, weil sie den Text in besonderem Maße ‚konserviert‘ und in den gewählten Gestaltungsmaßnahmen leicht zugänglich macht. Im Fall von Wo und Be sollte von kompilatorischen Handschriften gesprochen werden, da sie zwei bestimmte Textgemeinschaften erhalten.

3.2 Textgemeinschaften Neben der optischen Gestaltung des ‚Marienleben‘ beeinflussen auch die gemeinsam mit ihm überlieferten Texte seine Rezeption.25 Diese sollen im Folgenden in den Blick genommen werden. Die Untersuchung gilt der ursprünglichen Textrahmung, wie sie in Wo, Be und Nr. 35 vorliegt. Später hergestellte Textgemeinschaften, wie sie ebenfalls in Be, aber auch in Nr. 115 begegnen, werden erst in Kapitel 3.3 berücksichtigt.

3.2.1 Die niederdeutsche Sammelhandschrift Wo Auf der Versoseite des ersten Blattes von Wo wurde im späten 15. oder frühen 16. Jahrhundert eine Inhaltsangabe ergänzt, die jeweils einen Text pro Faszikel nennt:26 Van den dogheden vnde van der kyntheyt vnses heren vnde van sunte Ilseben leuent. Diese knappe Zusammenfassung zeigt, dass die zusammengesetzte Handschrift Wo zu diesem Zeitpunkt als Einheit wahrgenommen wurde. Ein möglicher Zusammenhang zwischen den drei unterschiedlichen Faszikeln soll nun anhand von Einzelanalysen zu Inhalt und Überlieferung der enthaltenen Texte untersucht und so ein Gesamtprofil der Handschrift in Bezug auf ihre Textgemeinschaften erstellt werden.

24 Zur Verwendung der Opposition von Pracht- und Gebrauchshandschrift vgl. u. a. Gärtner 1978, S. 4 sowie Stackmann 1994, S. 407. 25 Eine derartige Untersuchung nimmt beispielsweise Wegener 2019 vor, wenn sie eine deutschsprachige Übertragung der lateinischen ‚Salve regina‘-Antiphon im Kontext der sie rahmenden Texte liest und ihre gegenseitige Beeinflussung aufzeigt. 26 In der Datierung der Schrift folge ich Lesser 894.  

72

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Die Handschrift öffnet mit dem geistlich-allegorischen Streitgedicht ‚Der Sünden Widerstreit‘ (Bll. 2r–55v), dessen Entstehung auf das Ende des 13. Jahrhundert datiert und in den thüringischen Raum lokalisiert wird.27 Der Wolfenbütteler Textzeuge war lange nicht bekannt und ist daher noch nicht ausführlich untersucht. Als einzige niederdeutsche Version der Dichtung ergänzt er ein Korpus von bislang drei Vollhandschriften und zwei Fragmenten aus dem ober- und mitteldeutschen Raum vom Ende des 13. bis in das frühe 15. Jahrhundert.28 Das Gedicht thematisiert eine allegorische Auseinandersetzung zwischen dem Heer der Laster, angeführt durch die Sünde, und dem Heer der Tugenden, angeführt durch die Minne. Der vom Erzähler selbst vergebene Titel stellt die Konfrontation der beiden Gruppen in den Vordergrund, die kämpferische Auseinandersetzung wird jedoch in der Dichtung nicht vorrangig behandelt. Stattdessen thematisiert sie mit der Gottesritterschaft einen religiösen Aspekt, der sich in dem ebenfalls vom Erzähler vorgeschlagenen Alternativtitel des lîben Cristes bûchelîn (V. 3430) niederschlägt.29 Im Fall von Wo ist diese Bedeutung des Gottessohns für das Gesamtverständnis des Textes deutlich hervorgehoben: Am rechten Blattrand von Bl. 2r wurde ein Herz mit der Inschrift De leue Christi gezeichnet. Es folgen drei sich reimende Verse: De schal syn | Ghesloten in | Des herten schryn. Der letzte Vers verweist zurück auf die Herzzeichnung und ist ebenso wie die dortige Inschrift kunstvoll verziert eingekastelt. Die Marginalie wiederholt und verstärkt damit die Hinwendung zu Jesus Christus, wie sie in der allegorischen Dichtung formuliert wird. ‚Der Sünden Widerstreit‘ endet im zweiten Drittel von Bl. 55v; ‚Der Tisch im Himmelreich‘ (Bll. 56r–60v) setzt auf dem nächsten Blatt ein. Auch hier handelt es sich um den jüngsten Textzeugen einer in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandenen Dichtung und zudem um die einzige bekannte niederdeutsche Fassung.30 Der Text nimmt Bezug auf das biblische Versprechen Jesu, dass seine Jünger als Belohnung für ihre Treue gemeinsam mit ihm im himmlischen Reich an einem Tisch sitzen werden (vgl. Lk 22,30),31 und ermahnt dazu,

27 ‚Der Sünden Widerstreit‘ liegt bislang nur in der Edition von Zeidler 1892 vor (ohne Berücksichtigung von Wo). Für einen konzisen Überblick zu Überlieferung und Inhalt der Dichtung, ebenfalls ohne Kenntnis von Wo, vgl. Schmidtke 1995 und Glier 1987, S. 109. Für einen Vergleich von ‚Der Sünden Widerstreit‘ mit dem ‚Geistlichen Streit‘ vgl. Naser 1995, S. 128–137. 28 Für die einzige Überlieferungsübersicht, die Wo berücksichtigt, vgl. den Eintrag im Handschriftencensus: http://www.handschriftencensus.de/werke/371 (12. Oktober 2019). 29 Vgl. hierzu auch Bumke 1990, S. 410. 30 Vgl. Beckers 1995b, Sp. 940. Eine Edition der Textfassung in Wo gibt Baesecke 1907. Zu Baeseckes Beschäftigung mit Wo vgl. Milde 1987, S. 1526. Für eine aktuelle Übersicht zur Überlieferung vgl. den entsprechenden Eintrag im Handschriftencensus: http://www.handschriftencensus.de/werke/3219 (12. Oktober 2019). 31 Im Rahmen dieser Arbeit verweisen alle direkten wie indirekten Bibelzitate auf Weber 1984.

3.2 Textgemeinschaften

73

sich selbst mit einem gottgefälligen Leben einen Platz an diesem Tisch zu sichern. Das Werk prägt damit ein deutlich appellativer Charakter: Es fordert ein vorbildliches Leben ein. Unmittelbar im Anschluss folgt auf Bll. 60v–73r eine niederdeutsche Maria Magdalena-Legende, die unikal in Wo überliefert ist.32 Sie umfasst 800 Verse und fokussiert das sogenannte ‚Mirakel von Marseille‘, d. h. die Bekehrung der Marseiller zum Christentum in der Folge von Maria Magdalenas Wunderwirken.33 Als Vorlage gilt die lateinische Dichtung ‚Postquam Dominus‘ (BHL 5457). Antonella Calaresu zeigt in ihrer Untersuchung dieser Legende, dass zwischen der niederdeutschen Fassung und der lateinischen Quelle eine verlorene mitteldeutsche Zwischenstufe existiert haben muss.34 Die Vorlage der Wolfenbütteler Abschrift kann Calaresu auf der Grundlage einer linguistischen Analyse in den Hildesheimer Raum lokalisieren und ihre Abfassung in das ausgehende 14. Jahrhundert datieren.35 Als vierter und letzter Text dieses Schreibers folgt auf Bll. 73r–89r die Reimpaardichtung ‚Unser vrouwen klage‘. Der Titel bezeichnet die erste von zwei bekannten Redaktionen einer verlorenen ‚Marienklage‘, deren Entstehung auf die Mitte des 13. Jahrhunderts datiert und im alemannischen Sprachraum verortet wird.36 Als lateinische Vorlage diente der sogenannte ‚Bernhardstraktat‘, einer der „zentrale[n] Texte der spätmittelalterlichen Passionsliteratur“37. Im Zentrum der Erzählung stehen Marias Klagen zu Jesu Kreuzigung und Begräbnis.38 Der Forschung sind – Wo miteingerechnet – acht Vollhandschriften und zwei Fragmente bekannt.39 Darüber hinaus konnten drei Handschriften identifiziert werden, die Auszüge aus ‚Unser vrouwen klage‘ enthalten, und drei weitere, die  

32 Die Dichtung ist ediert bei Eggert 1902, S. 191–211 (Kritik an dieser Edition bei Borchling 1904) und Boxler 1996, S. 416–423 (Nr. 8.17). Für einen konzisen Überblick zu dieser Textfassung vgl. Williams-Krapp 1985, Sp. 1260. 33 Für eine knappe Zusammenfassung der Handlung vgl. Calaresu 2016, S. 485 f. Anm. 7. 34 Calaresu 2016, S. 489–504 bietet eine ausführliche Untersuchung der Beziehung zwischen lateinischer Vorlage und niederdeutscher Maria Magdalena-Legende. 35 Vgl. Calaresu 2016, S. 504. Damit widerlegt sie Johannes Franck, der anhand des Versbaus und der Reimtechnik einen mitteldeutschen Dichter annimmt, vgl. Franck 1903. 36 Vgl. Büttner 2017, S. IX. Die zweite Redaktion ist unter dem Titel ‚Der Spiegel‘ bekannt. Ausführlicher zu beiden Redaktionen, der von ihnen ableitbaren ‚Urklage‘ und ihrem Verhältnis zur lateinischen Vorlage bei Büttner 2017, S. IX–XVIII. Eine synoptische Edition von ‚Unser vrouwen klage‘ und ‚Der Spiegel‘ gibt Büttner 2017, S. 1–182. Diese ersetzt Milchsack 1878, S. 193– 281. Zu ‚Unser vrouwen klage‘ im Kontext mittelalterlicher Marienklagen vgl. Kraß 2007. 37 Büttner 2017, S. IX. 38 Für eine Inhaltszusammenfassung vgl. Ziegeler 1999, Sp. 92–94. 39 Eine Übersicht zur Überlieferung von ‚Unser vrouwen klage‘ findet sich bei Büttner 2017, S. XIX–XXVI.  

74

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

lediglich vom sogenannten ‚Schlussgebet‘ dieser Redaktion Gebrauch machen.40 Unter den Handschriften der ersten Gruppe befindet sich mit Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 52 [Sigle Ko] ein rheinfränkischer Textzeuge von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der um neunundneunzig Verse aus ‚Unser vrouwen klage‘ angereichert ist.41 Drei sogenannte ‚Schlussgebethandschriften‘ überliefern ebenfalls Philipps ‚Marienleben‘: die bereits genannte Handschrift G (bairisch, 2. Viertel 14. Jahrhundert), Uppsala, Landesarchiv, Depositio Schytteana I E 2 [Sigle U] (ostmitteldeutsch, 2. Drittel 15. Jahrhundert) und Breslau, Universitätsbibliothek, Cod. I Q 326 [Sigle Nr. 71] (ostmitteldeutsch, Anfang 15. Jahrhundert). Innerhalb dieser Gesamtüberlieferung handelt es sich bei Wo um den einzigen niederdeutschen Textzeugen, dialektale Merkmale sprechen für eine Vorlage in ober- oder mitteldeutscher Schreibsprache.42 Nach vier niederdeutschen Reimpaardichtungen notiert ein anderer Schreiber einen in niederdeutscher Prosa verfassten Text über die sieben Gaben des Heiligen Geistes (vgl. Bll. 91v–93v), für den mit Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1189 Helmst. aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Parallelüberlieferung bekannt ist.43 Inhaltlich besteht zwischen den ‚Sieben Gaben‘ und dem vorhergehenden Verzeichnis ein „stoffliche[r] zusammenhang []“44, insofern die hier angeführten Gaben die vorab angeführten sieben Tugenden wiederholen und ergänzen. Zwischen diesen Dichtungen zweier unterschiedlicher Schreiber steht ein Nachtrag jüngerer Hand. Dieser Schreiber notiert ein unikal in Wo überliefertes niederdeutsches Verzeichnis der sieben Hauptsünden sowie eines der sieben Tugenden unter Berücksichtigung ihrer als ‚Töchter‘ bezeichneten Merkmalseigenschaften (Bll. 89v–91r).45 Beide Auflistungen sind symmetrisch angelegt: Auf den Versoseiten stehen vier, auf den Rectoseiten drei Laster bzw. Tugenden, von denen Verbindungsstriche zu ihren jeweils sechs bis sieben ‚Töchtern‘ füh-

40 Für eine Übersicht vgl. Büttner 2017, S. XXXI–XXXIV. 41 Darüber hinaus findet sich hier eine Interpolation aus der ‚Augsburger Marienklage‘. Büttner 2017, S. XXXII bemerkt, dass der Kompilator damit eine Intensivierung des bereits im ‚Marienleben‘ angelegten Klagemotivs erzielt. Zur Datierung der Handschrift vgl. Büttner 2017, S. XXXII. Büttner 1987, S. 10 zieht in Erwägung, dass dem Schreiber von Ko eine Handschrift vorgelegen haben könnte, die wie Wo Philipps ‚Marienleben‘ mit ‚Unser vrouwen klage‘ verbindet. 42 Vgl. Büttner 1987, S. 116, auch Anm. 2. Bergmann 1986 führt Wo auf S. 465 f. (M 139). 43 Vgl. die Beschreibung von Cod. Guelf. 1189 Helmst. in der Online-Handschriftendatenbank der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: http://diglib.hab.de/?db=mss&list=ms&id=1189helmst&catalog=vanderLoop (12. Oktober 2019). Der Text ist noch unediert. 44 Fritz 1909, S. 44. 45 Eine Edition bietet Fritz 1909, S. 45.  

75

3.2 Textgemeinschaften

ren. Die schematische Darstellung unterscheidet dieses Textzeugnis deutlich von seinem Überlieferungsumfeld, fügt sich aber mit seiner Unterscheidung von richtigem und falschem Verhalten in den Kontext der bisher besprochenen Dichtungen ein. Der zweite Faszikel, das ‚Marienleben‘, setzt nach dem unbeschriebenen Bl. 94 ein und ist von einem vierten Schreiber verfasst. Die Handschrift endet mit dem daran anschließenden dritten Faszikel, der zwei von derselben Hand geschriebene Texte vereint. An erster Stelle steht ein Elisabethleben (Bll. 211r–254r), genauer ein niederdeutscher Textzeuge einer in Reimprosa gehaltenen Übersetzung sowie Bearbeitung der Reinhardsbrunner Rezension von Dietrichs von Apolda ‚Vita S. Elisabeth‘.46 Der Dominikanerbruder Dietrich von Apolda verfasst die lateinische Vita im Kloster Erfurt im Zeitraum von 1289 bis 1294, d. h. ca. sechzig Jahre nach Elisabeths von Thüringen Tod im Jahr 1231.47 Um 1293/1294 nimmt ein Reinhardsbrunner Benediktinermönch eine lateinische Bearbeitung und Erweiterung der Vita vor.48 Um 1400 folgt eine Übersetzung dieser Reinhardsbrunner Fassung, vermutlich in ihrer Rezension c,49 bei der vor allem solche Passagen gestrichen werden, die nicht direkt Elisabeths Leben betreffen.50 Es fand also eine Konzentration auf die Heilige und insbesondere auf ihr Wunderwirken statt.51 Das Ende des ‚Elisabethleben‘ ist in Wo mit einer kurzen, in roter Tinte geschriebenen und eingerahmten Schlussformel markiert: Hir endet sek sunte Elisabeten passie des sy god gelouet nu vnde iumber mere amen (Bl. 254r).  

46 Zu Dietrich von Apolda und seiner lateinischen Elisabeth-Vita vgl. Lomnitzer 1980, Sp. 103f. 47 Vgl. Schubert 2008a, S. 276. 48 Vgl. Schubert 2008a, S. 276. 49 Vgl. Stannat 1959, S. 17*; Fromm 1967, S. 21. 50 Werner Stannat lokalisiert die Übersetzung in den westfälischen Sprachraum und hält Wo für „die dem Archetyp am nächsten kommende Fassung“ (Stannat 1959, S. 97*). Neben Wo sind zwei weitere niederdeutsche Abschriften – Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1136 Helmst. (Ende 15. Jahrhundert) und Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek, Ms. XX 1173 (v.J. 1474) – sowie ein oberdeutscher (Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. fol. 1396, 1. Hälfte 15. Jahrhundert), ein ripuarischer (Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. fol. 1428, v.J. 1462) und ein thüringischer Textzeuge (Gotha, Forschungsbibliothek, Cod. Chart. B 180, v.J. 1487) bekannt. Die Edition bei Stannat 1959, S. 1–121 fußt auf den drei niederdeutschen Handschriften. Als Leithandschrift wählt er den Hannoveraner Textzeugen (Sigle C), Lesarten aus den beiden Wolfenbütteler Handschriften (Wo: Sigle A, Cod. Guelf. 1136 Helmst.: Sigle B) sind im Apparat vermerkt. Anhand des thüringischen Textzeugens der Gothaer Forschungsbibliothek kann Martin Schubert Stannats Argumente für einen westfälischen Archetyp entkräften und zeigen, dass eine ursprünglich mitteldeutsche Übertragung aus dem Lateinischen ebenso wahrscheinlich ist, vgl. Schubert 2008b, bes. S. 135–145. 51 Vgl. Stannat 1959, S. 25*, 97*; Honemann 2007, S. 425 f. sowie Schubert 2008a, S. 287 f.  



3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

76

Im Anschluss folgt mit geringem Abstand und von derselben Hand ein Tagzeitengedicht (Bll. 254r–257v), das mit einer ähnlich gehaltenen Rubrik überschrieben ist: Hir gat an de seuen dagetide des leth gerne alle dage (Bl. 254r). Bei der nun einsetzenden Dichtung handelt es sich um sieben der acht in Kapitel III,29 des ‚Großen Seelentrost‘ geführten Gebete zu Jesu Leidensweg in einer an die Chronologie der Passion angepassten Reihenfolge.52 In dieser Form ist das Gedicht nur noch in Cod. Guelf. 1189 Helmst. überliefert.53 Nach dieser Vorstellung der in Wo versammelten Texte stellt sich nun die Frage nach dem Zusammenwirken der drei Faszikel. Bisherige faszikelübergreifende Beschreibungen der Handschrift nennen das Offensichtliche: Die in Wo versammelten Schriften werden als „religiöse Texte“54, „geistliche[] Dichtungen“55 oder „geistliche[] und religiös-didaktische[] Stücke“56 zusammengefasst. Zu diesen Offensichtlichkeiten zählt auch die Schreibsprache, denn das zentrale Bindeglied ist das Niederdeutsche. In drei Fällen enthält Wo die einzige niederdeutsche Fassung eines breiter überlieferten Textes (‚Der Sünden Widerstreit‘, ‚Der Tisch im Himmelreich‘, ‚Unser vrouwen klage‘), in zwei Fällen ist die mit ihr überlieferte niederdeutsche Version hier unikal bezeugt (Maria Magdalena-Legende, ‚Die Töchter der sieben Hauptsünden und der sieben Tugenden‘), zwei sind nur noch in Cod. Guelf. 1189 Helmst. belegt (‚Die sieben Gaben des Heiligen Geistes‘, Tagzeitengedicht). Lediglich zwei Dichtungen weisen eine breitere Überlieferung im gesamten deutschsprachigen Gebiet auf (‚Marienleben‘, ‚Elisabethleben‘). In der Tat erscheinen die drei Faszikel auf den ersten Blick nicht nur in Bezug auf ihre Gestaltung – wie in Kapitel 3.1.2 dargelegt –, sondern auch auf ihren Inhalt eher als geschlossene Einheit als die zusammengesetzte Handschrift. Für den ersten Faszikel konnte Antonella Calaresu bereits die Bedeutung der Zahl Sieben herausarbeiten:57 ‚Der Sünden Widerstreit‘ stellt die sieben Tugenden den sieben Lastern gegenüber, ‚Die Töchter der sieben Hauptsünden und der sieben Tugenden‘ und ‚Die sieben Gaben des Heiligen Geistes‘ tragen die Bedeu52 Eine Edition des ‚Großen Seelentrost‘ liefert Schmitt 1959, der hier relevante Auszug findet sich auf S. 83–91. Palmer weist an zweifacher Stelle (vgl. Palmer 1992, Sp. 1033 f. sowie Palmer 1995, Sp. 582 f. (Nr. 6)) auf einen Bezug zum ‚Speculum humanae salvationis‘ in einer deutschsprachigen Versübersetzung (vgl. Stork / Wachinger 1995, S. 58 f.), den Kornrumpf 2004, Sp. 1476 f. konkretisiert. 53 Vgl. Lesser 894. Sowohl der erste als auch der dritte Faszikel enden demnach mit einem Text mit einer Parallelüberlieferung in Cod. Guelf. 1189 Helmst. 54 Bergmann 1986, S. 465 (M 139). 55 Gärtner 1978, S. 194. 56 Büttner 1987, S. 116. 57 Vgl. Calaresu 2016, S. 492 f.  









3.2 Textgemeinschaften

77

tung der Zahl in ihren neuhochdeutschen Titeln. Im Fall der Maria MagdalenaLegende kann die Zahl auf die Heilige selbst bezogen werden, da Jesus sie von sieben Dämonen befreit (vgl. Lk 8,2; Mk 16,9) und sie in der Folge als Personifikation der sieben Hauptsünden verstanden wird.58 Im weiteren Verlauf der Handschrift spielt diese Zahl nur noch in dem Tagzeitengedicht des dritten Faszikels eine Rolle. Davon abgesehen thematisieren die Texte des ersten Faszikels in erster Linie die Frage nach der Gestaltung eines vorbildlichen Lebens: ‚Der Sünden Widerstreit‘ und das schematische Verzeichnis der sieben Sünden und Tugenden versuchen dies in der Form einer Gegenüberstellung von Ideal- und Negativbeispielen. ‚Der Tisch im Himmelreich‘ fordert ein vorbildliches Leben explizit unter dem Versprechen einer Belohnung ein und bewegt sich dabei in einem Bildbereich, der an das ‚Marienleben‘, genauer an Marias Schilderung des himmlischen Reiches in B10, erinnert: myn brudegam dar de hilghen spiset | de selen to deme dische wiset (Bl. 108v, V. 990f.). Die Maria Magdalena-Legende exemplifiziert das vorbildliche Leben und Wirken einer bekehrten Sünderin. Für den zweiten Faszikel stellt sich die Frage nach dem inhaltlichen Zusammenhang nicht, da hier mit dem ‚Marienleben‘ nur ein einziger Text eines einzigen Schreibers überliefert ist. Für den dritten Faszikel bezeichnet Calaresu den „thematische[n] Zusammenhang zwischen den Texten“ als „offensichtlich“59. Sie beruft sich auf die Rubrik auf Bl. 254r, in der das Elisabethleben als passie ausgewiesen wird und sich so zu dem Tagzeitengedicht stellt, dass Jesu Passion fokussiert. Die vorliegende Untersuchung möchte dennoch versuchen, die Sammelhandschrift als Gesamtwerk zu lesen, d. h. eine „Interpretation des Ensembles“60 zu wagen.61 Da die Rezeption des ‚Marienleben‘ in dieser Arbeit im Vordergrund steht, soll vom ‚Marienleben‘ als im wahrsten Sinne des Wortes zentraler Dichtung der Handschrift ausgegangen werden. Die Fragestellung lautet: Wie wirkt sich die Lektüre des ersten und dritten Faszikels auf die Lektüre des ‚Marienleben‘ aus? Zunächst fällt auf, dass das ‚Marienleben‘ von zwei Heiligenlegenden gerahmt wird.62 Vorangestellt ist eine Legende, die mit Maria Magdalena ein „menschlich-sündiges Gegenbild zur Muttergottes“63, aber auch eine Zeitgenos 

58 Vgl. Calaresu 2016, S. 493 Anm. 41. 59 Beide direkten Zitate: Calaresu 2016, S. 494. 60 Grubmüller 2002, S. 16. 61 Zu diesem Vorgehen vgl. Stackmann 1994, S. 405–407 unter Verweis auf Cerquiglini 1989. 62 Zu Maria als „Vorbild aller Heiligen“ bzw. Motivparallelen in Marienleben und Heiligenlegenden vgl. Schubert 2009, S. 144 f. 63 Boxler Klopfenstein 2010, S. 689.  

78

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

sin Marias in den Mittelpunkt stellt. Dem ‚Marienleben‘ folgt mit der Elisabethlegende eine Dichtung, die mit Elisabeth von Thüringen zwar ebenso eine weibliche Heilige fokussiert, die aber im Unterschied zu Maria Magdalena nicht der biblischen Zeit, sondern dem Mittelalter entstammt, also gewissermaßen noch als Zeitgenossin der Rezipientinnen und Rezipienten verstanden werden kann.64 In dieser Umgebung erfährt das ‚Marienleben‘ eine doppelte Verankerung: Über den ersten Faszikel wird es an biblische Zeiten zurückgebunden, über den dritten in die Nähe der Rezeptionsgegenwart gerückt. Maria, als Mittlerin zwischen den Zeiten, steht im Zentrum. Zweitens können die rahmenden Texte als Anleitungen für ein gottgefälliges Leben gelesen werden. Diese Beobachtung gewinnt an Bedeutung, wenn man sie in Verbindung mit der in Wo überlieferten Textfassung bringt. So fehlt Wo – wie in Kapitel 4.1.2 noch ausführlich gezeigt wird – zum einen die sogenannte ‚Marienregel‘, zum anderen sind Marias Klagereden während der Passion deutlich gekürzt. Die ‚Marienregel‘ beschreibt Marias Leben nach Jesu Himmelfahrt, das sie wie eine Ordensfrau an den sieben Tagzeiten ausrichtet und in den einzelnen Horen den Leidensweg ihres Sohnes nachvollzieht. Das im dritten Faszikel enthaltene Tagzeitengedicht füllt diese Lücke in Wo. Die verkürzten Klagereden wiederum finden eine Ausweitung in ‚Unser vrouwen klage‘ im ersten Faszikel. Man könnte also von einer Vervollständigung der in Wo überlieferten Textfassung sprechen. Es soll hier selbstverständlich keine kompilatorische Intention festgestellt werden – stattdessen ist der textuelle Effekt zentral: Der erste und der dritte Faszikel ergänzen die in Wo überlieferte Fassung des ‚Marienleben‘ um die Passagen, die ihr fehlen: Klagen und Regel. Diese beiden Punkte zusammenfassend erscheint Wo als Sammlung von Texten, die zwei Aspekte des ‚Marienleben‘ aufgreifen und mit der Rezeptionsgegenwart verbinden: ein vorbildhaftes Leben und ein vorbildhaftes (Mit-)Leiden, wie es in Philipps Dichtung von Maria perfektioniert wird.

3.2.2 Die Autoritätensammlung in Be Für die Handschrift Be müssen zwei Formen von Textgemeinschaft unterschieden werden: Zum einen folgt auf das ‚Marienleben‘ eine Autoritätensammlung, zum 64 Elisabeth gilt als zentrale „deutsche Heiligengestalt des Mittelalters“ (Stannat 1959, S. 13*), zu ihrer Popularität vgl. Honemann 2007, hier bes. S. 421, zu ihrer Verehrung in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters Schubert 2008a. Böse 2008 untersucht Elisabeth als „Identifikationsfigur in spätmittelalterlichen Frauenklöstern“ (so der Titel ihrer Studie) in Niedersachsen anhand von erhaltenen Bildteppichen, vgl. hierzu auch Kap. 3.3.1.2.

3.2 Textgemeinschaften

79

anderen sind ihm zwei Drucke des 16. Jahrhunderts vorgebunden. Da nur die Kombination mit den Autoritäten ursprünglich ist, soll auch nur diese hier berücksichtigt werden. Die später angebundenen Drucke werden in Kapitel 3.3.3 näher betrachtet, da sie keine Hinweise auf die ursprüngliche Konzeption des ‚Marienleben‘ enthalten, sondern stattdessen Rückschlüsse auf spätere Rezeptionskontexte ermöglichen. Unter der Überschrift Hir na volget maniger leye lere (S. 277) stehen sechsundzwanzig Reimpaarsprüche, die anerkannten Autoritäten zugeordnet werden.65 Genannt werden Salomo, Hieronymus, Gregor der Große, Freidank, Augustinus, Paulus, der Prophet Daniel, Judas Makkabäus, Christus, Aristoteles und Bernhard von Clairvaux, aber auch Personifikationen wie Moralis und Veritas.66 Die ersten zweiundzwanzig Autoritätensprüche umfassen durchgängig vier Verse, danach folgen zwei mit sechs, einer mit vierzehn und ein finaler mit sechs Versen.67 Thematischer Schwerpunkt ist die Gestaltung eines vorbildlichen irdischen Lebens, um vor dem Jüngsten Gericht zu bestehen und im Jenseits in Gottes Nähe zu gelangen. Zu diesem Zweck werden verschiedene Handlungsanweisungen formuliert (vgl. z. B. S. 277: Salemon, S. 278: Augustinus), aber auch unterschiedliche Tugenden und Laster hervorgehoben (vgl. z. B. S. 278 f.: Daniel, S. 282: Veritas) und abschreckende Beispiele anhand von bestimmten Personen- und Berufsgruppen (vgl. S. 281 f.: Jtem) gegeben. Incipit und Explicit des Faszikels fassen diese „jenseitig-individualistische“68 Grundbotschaft gut zusammen: Der erste Sinnspruch beginnt mit einem Aufruf zur Gottesbekenntnis: Aller wisheit fundament | Js dat me god in leue bekent (Salomo zugeordnet); der letzte malt in Form einer Drohbotschaft die Konsequenz für ein Fehlverhalten auf Erden aus: des de sele mot liden grot | mit deme liue den ewigen dot (Veritas zugeordnet).  







65 Für Auszüge dieser Sammlung ist eine breitere Parallelüberlieferung bezeugt, für eine Übersicht vgl. Holtorf / Gärtner 1978, Sp. 558 (Nr. 3). 66 Besondere Aufmerksamkeit hat die Forschung bislang den Freidank zugeordneten Sprüchen dieser Sammlung gewidmet. Heiser 2006, S. 32 (Sigle Be3) kann sechs der insgesamt sechsundzwanzig Sprüche Freidank zuordnen: „FRA 2 (Nr. 4, unter Vrydanck); FRA 8 (Nr. 24; unter Vrydanck); FRA 9 (Nr. 25; unter Vrydanck); FRA 10 (Nr. 26 (unter Vrydanck); FR 106, 12–15 (Nr. 23; unter Vrydanck) FR 40, 5–8 (Nr. 18; unter Aristotiles)“. Mit FR verweist Heiser auf Bezzenberger 1872, mit FRA werden Nachträge zu Bezzenberger 1872 bezeichnet. Zu Freidank vgl. Neumann 1980. 67 Eine Transkription findet sich online im Repertorium der mittelalterlichen Autoritäten: http:// www.uni-bielefeld.de/lili/forschung/projekte/bra/Be3.html (12. Oktober 2019). Einen ersten Abdruck einiger Auszüge liefert bereits Kinderling 1783, S. 70 f. 68 Holtorf / Gärtner 1978, Sp. 559.  

80

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Philipps Dichtung liegt in Be nicht vollständig vor, sondern schließt mit K15, d. h. zu dem Zeitpunkt, an dem Maria von Joseph im himmlischen Reich begrüßt wird. Es fehlen die Episoden K16 bis K19, in denen Maria vor Gottes Thron tritt und im Anschluss von Gott selbst, seinem Sohn und dem Heiligen Geist willkommen geheißen wird. Das ‚Marienleben‘ endet demnach im Himmelreich, unmittelbar bevor Maria Gott gegenübertritt. Eine ähnliche Situation wird auch bei den anschließenden Autoritäten heraufbeschworen, indem die Gläubigen im Diesseits für das Jenseits sensibilisiert werden. Während „Maria schon auf Erden den für alle Menschen erstrebenswerten Zustand der Freiheit von Sünde innehat“ und somit „keiner Läuterung mehr [bedarf, C.O.]“69, wird den Rezipientinnen und Rezipienten nahegelegt, bereits zu Lebzeiten ein tugendhaftes Leben zu führen – man könnte ergänzen: so wie Maria es getan hat –, um vor dem Jüngsten Gericht zu bestehen. Ebenso wie Maria könnten die Gläubigen dann in das himmlische Reich gelangen. Als Fürsprecherin der Gläubigen geht Maria im ‚Marienleben‘ den Weg, der ihnen noch bevorsteht. Über die Verbindung von verkürztem ‚Marienleben‘ mit Autoritätensprüchen gewinnt damit der Zusammenhang von Verhalten und Lohn bzw. Strafe sowie Marias Vorbildcharakter an Bedeutung.70 Eine derartige Kombination aus ‚Marienleben‘ mit einer Spruchsammlung ist im gesamten deutschsprachigen ‚Marienleben‘-Korpus einmalig. Mit ihrer thematischen Ausrichtung ließe sie sich dennoch mit der Sammelhandschrift Wo vergleichen, die, wie bereits dargelegt, ebenfalls die Modalitäten eines vorbildhaften Lebens diskutiert.  

3.2.3 Das Predigtfragment in Nr. 35 Das ‚Marienleben‘ endet in Nr. 35 wie üblich mit einem finalen ‚Amen‘, im Anschluss folgen von derselben Hand eine lateinische Schlussformel, ein niederdeutsches Kolophon und der Beginn einer oberdeutschen Adventspredigt. Mit seiner Dreisprachigkeit ist das Fragment Nr. 35 ein Unikum im Korpus der niederdeutschen ‚Marienleben‘-Textzeugen. Es bezeugt, dass der Schreiber kompetent zwischen den Sprachen wechseln konnte und auch den zukünftigen Rezipientinnen und Rezipienten diese Fähigkeit zutraute.71 Als niederdeutsche Bearbeitung

69 Beide direkten Zitate: Schubert 2009, S. 145. 70 Diesen Vorbildcharakter hebt Philipp insbesondere in seiner Bearbeitung der lateinischen ‚Marienregel‘ der ‚Vita‘ hervor, vgl. Schmolinsky 1993, S. 86. 71 Für ein Bewusstsein sprachlicher Unterschiede zwischen dem Ober- und Niederdeutschen finden sich bereits ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert Belege, vgl. Schneider, A. 2014, S. 450– 452. Schneider arbeitet am Beispiel von Bertholds von Regensburg Predigt ‚Von dem Niderlande

3.2 Textgemeinschaften

81

einer in der Steiermark übersetzten lateinischen Dichtung findet sich das ‚Marienleben‘ im Spannungsfeld seiner eigenen Sprachgeschichte wieder. Der mehrfache Sprachenwechsel markiert die anschließenden Niederschriften zwar deutlich als eigene Einheiten, diese können dennoch aufeinander bezogen werden. So schließt die Schlussformel in lateinischer Sprache an das ‚Amen‘ des ‚Marienleben‘ an, indem sie die Rezipientin oder den Rezipienten dazu auffordert, selbst das Ende der Erzählung mit einem erneuten ‚Amen‘ zu bekräftigen: Ut sit solamen dicatur ab omnib[us] AmeN.72 Danach steht der Beginn der hochdeutschen Predigt ‚De adventu domini‘: S( )nte paulus mine lieben der spricht vns zu vn̄ quid. wesit gheduldich vnde geuesteget uwer herze. wande die zukunft vnsers herrin die ist irgangin. daz was do er in disse werlt wolde komen etc.73

Die in Nr. 35 überlieferte Weihnachtspredigt fokussiert die Wiederkehr Christi am Jüngsten Tag. Es kann demnach ein Bezug zum ‚Marienleben‘ festgemacht werden, der den Textgemeinschaften der Handschriften Wo und Be ähnelt: Während das ‚Marienleben‘ mit Marias Aufnahme im himmlischen Reich endet, antizipiert die Predigt die Ankunft der Gläubigen im himmlischen Reich. Die Predigt als „[a]ppellative Textsorte“ bzw. „Genre persuasiver Rede“74 fordert die Gläubigen zu einem vorbildhaften Leben im Diesseits auf, um im Jenseits in Gottes Gesellschaft zu sein: Dise andere zukunft unsers herrin die wirt harte engistlich, als ich uch nu habe gesagt, zu der sult ir uch bereiten mit den besten werken daz ir kůnnet und můgt die wile daz ir lebt, mit vastene, mit wachene, mit kirchgange, mit gebete, mit opphere, mit almusen und mit allen den dingen die gote lib sin.75

Mit derart expliziten Handlungsanweisungen endet die Predigt, von der in Nr. 35 lediglich der Anfang erhalten ist. Für diese dritte Textgemeinschaft kann somit ebenfalls eine thematische Ausrichtung auf ein gottgefälliges Wirken auf Erden konstatiert werden.

unde von dem Oberlande‘, vgl. Pfeiffer 1862, S. 249–263. Williams-Krapp 1986, S. 1 betont, dass unter dem niderlant „die gesamte Landschaft, die sich aus dem niederländischen, niederdeutschen und mittelfränkischen Sprachraum zusammensetzt“ verstanden werden muss. 72 Goebel 1905, S. 38 73 Hier zitiert nach Borchling 1899, S. 237. Die Predigt ist vollständig abgedruckt bei Schönbach 1886, S. 180–182. 74 Beide direkten Zitate: Hasebrink / Schiewer 2007, S. 151. 75 Schönbach 1886, S. 181 f.  

82

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

3.2.4 Textzeugenübergreifende Gemeinsamkeiten Das niederdeutsche ‚Marienleben‘ ist in der Regel als Einzelausgabe konzipiert, zwei Vollhandschriften (Wo, Be) und ein Fragment (Nr. 35) überliefern jedoch Textgemeinschaften. Die Untersuchung der dortigen Überlieferungszusammenhänge gibt eine signifikante Gemeinsamkeit zu erkennen: Die rahmenden Texte fokussieren das Jüngste Gericht bzw. die Vorbereitung auf das Jenseits im Diesseits. Da sie von den Menschen explizit ein vorbildhaftes Leben mit Blick auf das Jüngste Gericht einfordern, integrieren sie diese in das Geschehen des ‚Marienleben‘, das ja gerade mit Marias himmlischer Aufnahme endet. Marias Vorbildfunktion wird auf diese Weise hervorgehoben. Das Ende von Philipps Erzählung wird zu einer „Orientierung für alle anderen Menschen, die im Bewusstsein ihrer Sterblichkeit nach transzendenter Hoffnung suchen“76.

3.3 Provenienz und Weitergabe In der folgenden Untersuchung werden zwei unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Zum einen gilt es, die ‚Provenienz‘, d. h. den Entstehungszeitpunkt, -ort und -kontext eines Überlieferungsträgers, zu ermitteln. Zum anderen soll die ‚Weitergabe‘, d. h. seine zum Zeitpunkt der Abfassung beginnende Reise bis zum heutigen Aufbewahrungsort, nachvollzogen werden. Auf diese Weise wird eine Erschließung der Handschriften und Fragmente „as cultural objects throughout their life“77 angestrebt, die ihre sich wandelnden Funktionen „as objects of devotional, antiquarian and scholarly interest“78 herausarbeitet. Sofern ein Textzeuge nicht datiert ist, wird eine zeitliche Annäherung über den Beschreibstoff und die Schriftart angestrebt. Wenn es sich bei dem Beschreibstoff um Papier handelt, wird das Wasserzeichen mit den Einträgen bei PiccardOnline und im Wasserzeichen-Informationssystem [WZIS] abgeglichen.79 Die Bestimmung sowie Bezeichnung der Schriftarten orientieren sich an der Nomenklatur von Karin Schneider und Albert Derolez.80 Eine räumliche Einordnung der Abschrift erfolgt über eine Analyse der Schreibsprache, die sich neben Agathe Laschs ‚Mittelniederdeutscher Grammatik‘ insbesondere auf Robert Peters’ ‚Katalog sprachlicher Merkmale zur variablenlinguistischen Erforschung des Mittel 



76 77 78 79 80

Schubert 2009, S. 145. Lähnemann 2018, S. 34. Lähnemann 2016b, S. 124. Vgl. Piccard-Online und WZIS. Vgl. Schneider 2014, S. 13–102 und Derolez 2003.

3.3 Provenienz und Weitergabe

83

niederdeutschen‘, seinen Beitrag ‚Die Diagliederung des Mittelniederdeutschen‘ im ‚Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung‘ und auf den jüngst von ihm herausgegebenen ‚Atlas spätmittelalterlicher Schreibsprachen des niederdeutschen Altlandes und angrenzender Gebiete (ASnA)‘ stützt.81 Materialgrundlage für die Schreibsprachenbestimmung sind vollständige XML-Transkriptionen der einzelnen Textzeugen. Die im folgenden genannten Belege sind eben diesen Transkriptionen entnommen. Entstehungs- und Gebrauchskontexte werden anhand von handschrifteneigenen Hinweisen, wie z. B. Nachträgen, sowie anhand von nicht handschrifteneigenen Hinweisen, wie z. B. Bibliothekssignaturen oder Auktionskatalogen, erschlossen. Das materielle Objekt ist für dieses Kapitel damit sowohl Gegenstand der Untersuchung als auch Ausgangspunkt weiterführender Recherchen.  



3.3.1 Der Helmstedter Handschriftenfonds Die Handschriften W und Wo befinden sich im Besitz der Herzog August Bibliothek und gehören dort zum Helmstedter Fonds, dessen Grundbestand bis in die Anfänge der Wolfenbütteler Bibliothek als ‚Bibliotheca Julia‘ zurückreicht. Da sie somit eine gemeinsame Geschichte verbindet, wird diese Sammlung in ihrer Entstehung und Zusammensetzung vorgestellt, bevor die Handschriften einzeln auf ihre jeweilige Provenienz untersucht werden.82 Die heute unter dem Namen Herzog August Bibliothek bekannte Forschungsbibliothek hat ihren Ursprung in einer fürstlichen Büchersammlung. Ein definitives Gründungsdatum fehlt, doch kann ihre Entstehung anhand von Einzeldaten

81 Vgl. Lasch 1914, Peters 1987, Peters 1988, Peters 1990, Peters 2000b sowie Peters 2017a/b/c. Für eine Karte der mittelalterlichen deutschen Dialekte um 1400 vgl. auch Andersen / Lähnemann / Simon 2014, S. 17. Zur Schreibsprachenbestimmung mittels Sprachatlanten vgl. Seelbach 2013, hier bes. S. 547 f. 82 Die nun folgenden Ausführungen zur Geschichte der Herzog August Bibliothek stützen sich maßgeblich auf Lesser 2012. Dieser bibliothekshistorische Überblick schließt eine lange bemängelte Forschungslücke, die im Jahr 1970 von Wolfgang Milde, dem damaligen Leiter der Handschriftenabteilung, ausdrücklich formuliert worden ist. Milde kritisiert, dass man „vergeblich Ausschau halten [muss; C.O.] nach einer überschauenden, die zahlreichen Einzelergebnisse zusammenfassenden und einer modernen bibliotheksgeschichtlichen Konzeption Rechnung tragenden Darstellung dieser Frühzeit. Das gleiche gilt auch für die späteren Perioden“ (Milde 1970, S. 73). Er äußert seine Hoffnung, jemand möge „eines Tages die Geschichte der Wolfenbütteler Bibliothek aus den Quellen [...] erarbeiten und eine ausführliche Darstellung [...] wagen“ (Milde 1970, S. 74). Den von Milde kritisierten, unzureichenden Forschungsstand fasst Raabe 1971 zusammen. Erst Lesser 2012 nimmt sich des Forschungsdesiderats an.  

84

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

des 16. Jahrhunderts nachvollzogen werden.83 Ihre Existenz ist dem bibliophilen Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg (1528–1589) zu verdanken, der noch vor seinem Amtsantritt im Jahr 1568 mit dem Erwerb von Büchern beginnt. Während er sich in dieser Frühphase besonders auf zeitgenössische französische Romane konzentriert, ändert sich der Schwerpunkt seiner Sammlung mit Übernahme der Landesherrschaft.84 Bemüht um eine erfolgreiche Einführung der lutherischen Reformation lässt er die Klöster und Stifte in seinem Herzogtum visitieren und solche Handschriften, Inkunabeln und Drucke identifizieren, die mit ihrem Schriftgut den reformatorischen Glaubensgrundsätzen nicht entsprechen.85 Die so ermittelten „papistischen und abergläubischen Bücher“86 aus den visitierten Frauenklöstern werden nach Wolfenbüttel gebracht.87 Die ersten Handschriften kommen am 14. März 1572 aus dem Zisterzienserinnenkloster Wöltingerode nach Wolfenbüttel, am 18. März folgen Bestände des Augustiner-Chorfrauenstifts Steterburg, am 10. April eine Bücherauswahl aus dem Benediktinerinnenkloster Lamspringe, am 12. April Exemplare aus den AugustinerChorfrauenstiften Heiningen und Dorstadt, am 15. April Bücher aus dem Augustiner-Chorfrauenstift Marienberg bei Helmstedt und am 24. April Codices aus dem Benediktinerinnenkloster Brunshausen.88 Mit Ausnahme der Bestände aus den Klöstern Heiningen und Marienberg bei Helmstedt werden die Bücher bei Ankunft in Wolfenbüttel um einen handschriftlichen Eingangsvermerk ergänzt.89 Eben diese Exemplare, die innerhalb weniger Wochen im Frühjahr 1572 nach Wolfenbüttel kommen, bilden den Grundstock der ‚Bibliotheca Julia‘, die über eine auf den 5. April 1572 datierte ‚Liberey-Ordnung‘ bereits als solche ausgewiesen wird.90 Die heute als ‚Codices Helmstadienses‘ bezeichnete Sammlung wird in den folgenden Jahren über weitere Schenkungen und Erwerbungen erweitert. Derzeit befinden sich in Wolfenbüttel 1431 Helmstedter Signaturnummern, von

83 Vgl. Milde 1970, S. 74. 84 Vgl. Milde 1970, S. 74–77. 85 Ohainski 1995, S. 330 zieht in Betracht, dass Herzog Julius dieses Vorhaben „keineswegs aus religiösen Motiven, sondern vielmehr im Rahmen des Aufbaues der fürstlichen Büchersammlung“ anstößt. 86 Akte Niedersächsisches Landesarchiv – Staatsarchiv Wolfenbüttel, 1 Alt Gr. 9, Nr. 339, Bll. 4r–v, zitiert bei Ohainski 1995, S. 331 und Lesser 2012, S. XIII. 87 Lesser 2012, S. XV nimmt an, dass die Bestände der Männerklöster an ihrem Standort bleiben konnten, da diese fortan als Lateinschulen genutzt wurden und somit auf einen umfassenden Buchbesitz angewiesen waren. 88 In den hier genannten Daten folge ich Lesser 2012, S. XIIIf. 89 Vgl. Lesser 937, Calaresu 2016, S. 492 Anm. 38 sowie Kruse / Lesser 2010, S. 105. Eine Abbildung eines derartigen Eingangsvermerks gibt Kruse 2016, S. 6 Abb. 3 (hier für Steterburg). 90 Die ‚Liberey-Ordnung‘ ist abgedruckt bei Milde 1972, S. 137–139.

3.3 Provenienz und Weitergabe

85

denen 1017 mittelalterliche Handschriften beschreiben.91 Dieser Handschriftenfonds stellt damit die „größte Gruppe mittelalterlicher Handschriften der Herzog August Bibliothek“92. Die Helmstedter Handschriften sind demnach schon früh an ihrem heutigen Standort, jedoch keineswegs durchgängig seit 1572. Bereits im Jahr 1618 vermacht Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Lüneburg die Bibliothek seines Großvaters der Universität Helmstedt, von wo aus sie nach Aufhebung der Universität zum 1. Mai 1810 an die Universitätsbibliothek Göttingen weitergegeben wird. Erst im August 1815 kehren die Handschriften zurück nach Wolfenbüttel, wo sie die Bezeichnung als Helmstadienses erhalten, in der noch heute gültigen Ordnung nach ihrer Größe aufgestellt und dementsprechend mit einer Numerus-currensSignatur versehen werden.93 Über den genauen Bestand der Bibliothek zu den unterschiedlichen Zeitpunkten bzw. an den unterschiedlichen Standorten geben diverse Kataloge Aufschluss. Der Bibliothekar Liborius Otho vervollständigt 1614 einen ersten Katalog, legt seinen Schwerpunkt allerdings auf protestantische Werke und behandelt vorreformatorische nur summarisch.94 Othos Nachfolger Christoph Schrader erstellt zwei weitere Kataloge, von denen der erste, ein Gesamtkatalog aus dem Jahr 1641, verloren, der zweite, ein Handschriftenkatalog aus dem Jahr 1644, jedoch erhalten ist.95 Paul Jakob Bruns beginnt als letzter Bibliothekar der Universität Helmstedt im Jahr 1797 auf der Grundlage von Schraders Katalog eine aktualisierte Version des Helmstedter Handschriftenbestands, den er 1809 um Neuerwerbungen ergänzt.96 Theodor Thies fertigt im Jahr 1843 eine Abschrift von Bruns’ Katalog an, ersetzt die Signaturen aber durch die nun gültigen Numerus-currensSignaturen.97 Otto von Heinemann veröffentlicht schließlich zwischen 1884 und 1888 drei Katalogbände zu den Helmstedter Handschriften, die bis in das 21. Jahrhundert hinein als Standardreferenzwerk gelten.98 Seit 2001 werden die Helm-

91 Vgl. Lesser 2012, S. XII. 92 Lesser 2012, S. XII. 93 Vgl. Lesser 2012, S. XII, LXVI. 94 Vgl. Lesser 2012, S. XXV. Der Katalog befindet sich im Bestand der Herzog August Bibliothek unter der Signatur Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. A Extrav. Er ist online einsehbar: http://diglib.hab.de/mss/a-extrav/start.htm (12. Oktober 2019). 95 Vgl. Lesser 2012, S. XXIX. Schraders Handschriftenkatalog von 1644 trägt die Signatur Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2° und ist ebenfalls online einsehbar: http://diglib.hab.de/mss/27-2-aug-2f/start.htm (12. Oktober 2019). 96 Vgl. Lesser 2012, S. XLIXf. 97 Vgl. Lesser 2012, S. LXXIII. 98 Vgl. von Heinemann 1884, von Heinemann 1886 und von Heinemann 1888.

86

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

stedter Handschriften im Rahmen eines DFG-Forschungsprojektes neu beschrieben.99 Zu keinem Zeitpunkt in der Bibliotheksgeschichte des 16. bis 20. Jahrhunderts spielt die Provenienz der Handschriften eine entscheidende Rolle, sei es in der Systematik ihrer Aufbewahrung oder in ihrer Katalogbeschreibung. Aus diesem Umstand ergibt sich die Schwierigkeit, einzelne Helmstedter Handschriften einem bestimmten Kloster zuzuordnen. Eine Zugehörigkeit kann nur über die Beschaffenheit des materiellen Objekts, insbesondere seines Einbands, oder anhand von Besitz- und gegebenenfalls Eingangsvermerken vorgenommen werden. Dieses Vorhaben wurde im Rahmen des von 2008 bis 2013 geförderten Projekts ‚Rekonstruktion und Erforschung niedersächsischer Klosterbibliotheken des späten Mittelalters‘ am Zentrum für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung der Georg-August-Universität Göttingen und an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel für verschiedene der oben genannten Frauenklöster bereits vorgenommen. Britta-Juliane Kruse konnte für siebenunddreißig Handschriften aus dem Helmstedter Fonds eine Provenienz aus dem Stift Steterburg, für siebenundvierzig weitere eine Herkunft aus Heiningen nachweisen.100 Achtzehn Handschriften verortete Kerstin Schnabel nach Dorstadt,101 Jessica Kreutz nahm sich des Zisterzienserinnenklosters Wöltingerode an und ordnete ihm achtundneunzig Helmstedter Handschriften in Wolfenbütteler Besitz zu.102 Für die Handschriften W und Wo wurde in keiner dieser Arbeiten eine definitive Provenienz aus einer der untersuchten Klosterbibliotheken ermittelt. Dennoch können per Ausschlussverfahren hier einige Überlegungen angestellt werden, die für beide Handschriften Gültigkeit besitzen: W ist zum ersten Mal in

99 Ausführlicher zum Wolfenbütteler Forschungsprojekt ‚Katalogisierung der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften‘ unter http://diglib.hab.de/?link=036 (12. Oktober 2019). Im Rahmen der Neubeschreibung ist bisher der erste Band (Cod. Guelf. 1 Helmst. bis Cod Guelf. 276 Helmst.) erschienen (vgl. Härtel u. a. 2012), der zweite Band (bis Cod. Guelf. 370 Helmst.) folgt in Kürze. Die hier zentralen Handschriften W und Wo folgen voraussichtlich im fünften Band. Bereits fertig gestellte Katalogisate können schon vor der Buchveröffentlichung in der Online-Handschriftendatenbank der Bibliothek eingesehen werden: http://diglib.hab.de/?db=mss (12. Oktober 2019). 100 Vgl. die Übersichten bei Kruse 2016, S. 419–425 (Steterburg), 427–433 (Heiningen). Kruse führt hier auch Steterburger bzw. Heininger Handschriften an, die sich nicht in Wolfenbüttel, sondern in anderen Institutionen befinden, und verzeichnet ebenso Mischbände sowie Drucke. Da es sich aber bei W und Wo um Handschriften handelt, werden hier und im Folgenden nur die Handschriften berücksichtigt. Mit Steterburg im Speziellen befassen sich auch Kruse 2011 und Kruse 2014; einen Überblick zu Heiningen und Steterburg (in Vorbereitung auf Kruse 2016) liefern Kruse / Lesser 2010. 101 Vgl. Schnabel 2013, S. 142 Anm. 16. 102 Vgl. Kreutz 2014, S. 191–196. Vgl. hierzu auch die kritische Rezension von Roolfs 2015.  

3.3 Provenienz und Weitergabe

87

Othos Katalog aus dem Jahr 1614 belegt,103 Wo, die als Sammelhandschrift nicht eigenständig bei Otho vermerkt wird, zum ersten Mal in Schraders Katalog aus dem Jahr 1644.104 Beide Handschriften lassen sich demnach schon früh unter den Codices Helmstadienses nachweisen. Da zudem weder für W noch für Wo eine Schenkung oder ein Erwerb zwischen 1572 und 1614 bzw. 1644 nachgewiesen werden kann, muss angenommen werden, dass auch diese beiden Handschriften im Frühjahr 1572 aus einem umliegenden Frauenkloster oder aus zwei unterschiedlichen umliegenden Frauenklöstern nach Wolfenbüttel kamen. Beiden Handschriften fehlt ein Eingangsvermerk aus dem Jahr 1572, weshalb eine Herkunft aus den beiden Stiften wahrscheinlich ist, für die die Kanzleibeamten von Herzog Julius auf einen solchen Eintrag verzichteten: Heiningen und Marienberg bei Helmstedt.105 Heiningen wurde um das Jahr 1000 im gleichnamigen Ort südlich von Wolfenbüttel als Kanonissenstift gegründet, 1126 erfolgte die Umwandlung in ein Augustiner-Chorfrauenstift und Mitte des 15. Jahrhunderts die Reform nach Windesheimer Vorbild.106 Marienberg bei Helmstedt wurde deutlich später, Ende des 12. Jahrhunderts, an einer Handelsstraße gegründet, die von Köln nach Magdeburg führt, und befindet sich dort auf halber Strecke zwischen Braunschweig und Magdeburg.107 Im Unterschied zu Heiningen galt in Marienberg die Augustinerregel von Beginn an, da es mit Konventualinnen aus dem bereits 1142 in ein Augustiner-Chorfrauenstift umgewandelten Steterburg besiedelt worden war.108 Auch Marienberg wurde Mitte des 15. Jahrhunderts von der Windesheimer Reform erfasst.109 Beide Stifte verbindet zudem das für Kanonissenstifte typische Marienpatrozinium, das seit ihrer jeweiligen Gründung besteht.110 103 W trägt hier die Signatur Z 113, vgl. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. A Extrav., S. 305 [300]. 104 Wo trägt hier die Signatur Theologici in quart 88. Diese ist auch auf dem vorderen Spiegel vermerkt, hierbei handelt es sich aber um eine Ergänzung aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Zu den nachgetragenen Schraderschen Signaturnummern aus dieser Zeit vgl. Lesser 2012, S. XLVII. 105 Rüthing 1994, S. 196 Anm. 44 ist ausdrücklich zu widersprechen, wenn er Wo nach Wöltingerode verortet. Da er seine Einschätzung auf der Grundlage von Otto von Heinemanns Katalogisat vornimmt und mit nicht näher definierten „innere[n] und/oder äußere[n] Merkmale[n]“ begründet, fehlt seinem Argument jede wissenschaftliche Grundlage. 106 Zur Geschichte Heiningens vgl. Taddey 1966, hier bes. S. 27, 51, 95–105. Zur Windesheimer Reform „als Zweig der Devotio moderna“ vgl. Kohl 1989, hier S. 104. 107 Zur Geschichte Marienbergs vgl. Strauß 1983, hier bes. S. 25 sowie Strauß zusammenfassend Jarck 1998 und Jarck 2011. 108 Vgl. Strauß 1983, S. 49 f. 109 Zur Windesheimer Reform in Marienberg vgl. Strauß 1983, S. 93–99. 110 Vgl. Taddey 1966, S. 26; Taddey 1977, S. 494.  

88

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Dass die Handschriften im Jahr 1572 aus Heiningen oder Marienberg gekommen sein könnten, heißt keineswegs, dass sie dort entstanden sein müssen. In den folgenden Einzeluntersuchungen gilt es, diesen Befund anhand des materiellen Objekts zu konkretisieren, d. h. Aussagen zu dem möglichen Zeitpunkt, Ort und Kontext seiner Entstehung zu formulieren.  

3.3.1.1 Vom Konvent in die Bibliothek I: Die Handschrift W Die Abschrift in W ist nicht datiert, eine zeitliche Verortung kann mithilfe einer Papieranalyse versucht werden. Als Wasserzeichen ist erstens ein Ochsenkopf mit Augen, Maul sowie einkonturiger Stange mit Stern und zweitens ein Anker zu erkennen. Während für den Anker keine Parallelen nachgewiesen werden konnten, entspricht der Ochsenkopf drei bei Piccard-Online verzeichneten Wasserzeichen: Nr. 78748 (Montfort, 1398–1399), Nr. 78743 (Braunschweig, 1395) und Nr. 78856 (ohne Ort, 1395).111 Dieser Befund spricht für eine Datierung in die neunziger Jahre des 14. Jahrhunderts. Die in W gewählten Schriftarten widersprechen einer derartigen Frühdatierung nicht. Bei der Schrift des Haupttexts handelt es sich um eine jüngere gotische Kursive, die in deutschsprachigen Handschriften erstmals gegen Ende der sechziger Jahre des 14. Jahrhunderts begegnet und ab Ende desselben Jahrhunderts als „allgemein gebräuchlich“112 gilt. Kennzeichen dieser Schrift, die auch in W vorliegen, sind das einstöckige a, das offene g mit nach links verlängertem Unterbogen und runde Schlaufen an den Oberschäften von b, d, h, k und l. Gemeinsamkeiten mit der älteren Kursive sind die unter die Zeile reichenden Schäfte von f und Schaft-s, das v-förmige r, das schleifenförmige x und die mit einer Schlaufe verzierten Buchstaben v und w im Anlaut. Im Unterschied zum Haupttext sind die Rubriken in einer Textura hervorgehoben. Ihre Kennzeichen in W sind das doppelstöckige a, das geschlossene g, die fehlenden Schlaufen an den Oberschäften von b, d, h, k und l sowie an anlautendem w und v und die auf der Zeile endenden Schäfte von Schaft-s sowie f. Auch die zweispaltige Textgestaltung mit fortlaufenden Versen unterstützt die über die Papieranalyse vorgenommene Datierung. Die in Kapitel 3.1.1 bereits genannten bairischen Vergleichshandschriften G, Nr. 11 und Nr. 119 stammen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. W knüpft demnach mit seinem Layout an frühere Gestaltungsprinzipien desselben Jahrhunderts an.

111 Vgl. Lesser 937 sowie Piccard-Online. 112 Schneider 2014, S. 63. Ausführlich zur jüngeren gotischen Kursive Schneider 2014, S. 63–65.

3.3 Provenienz und Weitergabe

89

Mithilfe der Schreibsprache kann eine räumliche Lokalisierung versucht werden. Die Abschrift in W weist überwiegend ostfälische Merkmale auf. So findet sich -ocht- für -ucht-, beispielsweise bei vrocht bzw. vrochten sowie sochten,113 ausschließlich die ostfälische Form dridde für ‚dritte‘, ane für ‚ohne‘, komparativisches wen für ‚als‘ und iuk für ‚euch‘. Der Umlaut von /a/ ist über die Zwischenstufe /e/ mehrheitlich weiter zu /i/ gehoben, beispielsweise bei scipper für ‚Schöpfer‘, in lediglich zwei Fällen begegnet scepper.114 Für ‚wo‘ wird hauptsächlich wur verwendet,115 nur zweimalig wa; für ‚Opfer‘ steht mehrheitlich opper, nur zweimal offer. Rundung in den Personalpronomen liegt ebenfalls vor: Während für ‚es‘ öfter et (26 Belege) als ot (15 Belege) begegnet, überwiegen für ‚ihm‘ und ‚ihn‘ die gerundeten Formen:116 ome (97 Belege) bzw. om (77 Belege), eme (5 Belege) bzw. em (3 Elemente); one (3 Belege) bzw. on (212 Belege), ene (30 Belege). Für ‚ihr‘ findet ausschließlich ore (25 Belege) bzw. or (220 Belege) Verwendung. Auffallend und vom Ostfälischen abweichend ist jedoch, dass ok (134 Belege) und och (156 Belege) für ‚auch‘ zu fast gleichen Anteilen Verwendung finden. Zudem erscheint das Personalpronomen der ersten Person Singular in der Regel in der Form ich (468 Belege), deutlich häufiger als in den Formen ek (77 Belege) oder ik (4 Belege). Ebenso findet sich in der Regel mich (153 Belege) statt ostfälisch mek (4 Belege) oder mik (1 Beleg).117 Der Befund könnte Anlass zu der Vermutung geben, dass hier eine oberdeutsche Vorlage durchscheint. Der ‚Atlas spätmittelalterlicher Schreibsprachen des niederdeutschen Altlandes und angrenzender Gebiete‘ (ASnA) bezeugt diese Formen aber auch für den östlichen ostfälischen Ortspunkt Braunschweig sowie den elbostfälischen Ortspunkt Magdeburg im ausgehenden 14. Jahrhundert.118 Darüber hinaus weist W eine für das Ostfälische untypisch häufige Verwendung des Belegtyps alde (10 Belege) zusätzlich zu olde (2 Belege) sowie von licht (6 Belege) zusätzlich zu lucht (2 Belege) auf. Auch hier legt der ‚ASnA‘ einen Einfluss aus Magdeburg nahe.119 Wie in Kapitel 3.3.1 dargelegt, kam der Codex im Jahr 1572 aus Heiningen oder Marienberg bei Helmstedt nach Wolfenbüttel. Da Marienberg bei Helmstedt an einer wichtigen Handelsstraße auf halbem Weg zwischen der ostfälischen Stadt Braunschweig und der elbostfälischen Stadt Magdeburg liegt, könnte der Codex in der Tat von einer in diesem Raum zu verortenden Person geschrieben worden sein.

113 114 115 116 117 118 119

Vgl. u. a. Peters 1988, S. 86. Vgl. Peters 1987, S. 63; Peters 1988, S. 85. Vgl. Peters 1990, S. 1. Vgl. hierzu u. a. Peters 1988, S. 94 f. Vgl. Peters 1988, S. 92. Vgl. Peters 2017a, S. 81, 151, 153. Vgl. Peters 2017a, S. 48, 127.  





90

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Ob die Abschrift auch im Stift erfolgte, lässt sich nicht mehr nachweisen. Zeitgenössische Nachträge in der Handschrift geben jedoch Hinweise auf den vom konkreten geografischen Ort unabhängigen Verwendungskontext. So weist Bl. 110v einige Federproben auf, die Lesser in das 15. Jahrhundert datiert.120 Unter einem vertikal in der Mitte des Blattes vermerkten Alphabet steht – um 180 Grad gedreht – von deutlich unbeholfener Hand der Anfang des englischen Grußes: Aue Maria grasia blena dominus tecum bedicta tu in. Unter einem zweiten, nun horizontal vermerktem Alphabet im linken Blattdrittel findet sich in senkrechter Ausrichtung ein drei Distichen umfassender Auszug aus dem ‚Cornutus‘ von Johannes de Garlandia.121 All diese Nachträge sprechen deutlich für einen Schulkontext, in dem sich die Handschrift im 15. Jahrhundert befunden haben muss: Die Alphabete erscheinen als Schreibübung, der englische Gruß lässt noch deutlichen Übungsbedarf erkennen und die Distichen fanden insbesondere zu Lehrzwecken in Schulen Verwendung.122 Ob die Handschrift sich vor oder nach ihrem Eingang in eines der Helmstedter Frauenklöster in diesem Umfeld befunden hat, kann nicht mehr rekonstruiert werden. Jüngere handschriftliche Ergänzungen bezeugen die frühe Überführung der Handschrift in den Kontext einer Bibliothekssammlung. So begegnet auf Bl. 1r am oberen Blattrand ein Titelvermerk, der eine Entsprechung im Gesamtkatalog von Liborius Otho aus dem Jahr 1614 hat: Historia Mariæ et Jesu filii eius Deutsch ein Mariale ist sowohl hier als auch in Othos Katalog unter den Papalia Miscellanea zu lesen.123 Die im 19. Jahrhundert einsetzende wissenschaftliche Beschäftigung mit W lässt sich an diversen späteren Zusätzen erkennen. Bereits auf dem vorderen Spiegel steht ein Hinweis, der einen Bezug zum weiteren Wolfenbütteler Bibliotheksbestand herstellt: „Dieses Marienleben des Meisters Philipp* ist nochmals enthalten in dem August. Manuscr. N. 18.21.1, was aber nicht mit fol. 1um (hier) beginnt. *(s. Hagen Grundriss 251, 2).“ Die hier gemeinte Handschrift ist die ostschwäbische ‚Marienleben‘-Abschrift Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 18.21.1 Aug. 4° [Sigle Wf], die in der Tat erst mit V. 79 des ‚Marienleben‘ einsetzt. Im vorderen Spiegel von Wf findet sich eine Notiz derselben Hand, die wiederum auf die niederdeutsche ‚Marienleben‘-Handschrift in W verweist

120 Vgl. Lesser 937. 121 Eine Edition des lateinischen Cornutus gibt Habel 1908, S. 23–28. Bei den in W notierten Distichen handelt es sich um die Nummern I, 14 und 4, vgl. auch hier Lesser 937. 122 Vgl. Habel 1908, S. 7 f. 123 Vgl. Lesser 937 sowie Othos Katalog Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. A Extrav., p. 305 [300]. Im Katalog der Helmstedter Universitätsbibliothek (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°) ist die Handschrift auf Bl. 17r unter dem Titel Historia Mariæ virginis et Jesu filii eius, rithmis Saxonicis den theologischen Handschriften zugeordnet.  

3.3 Provenienz und Weitergabe

91

sowie auf die ostmitteldeutsche Handschrift B.124 Für die Wolfenbütteler Handschrift wird an dieser Stelle die alte Helmstedter Universitätssignatur 747 verwendet, die erst im Jahr 1843 mit Theodor Thies’ neuem Helmstedter Katalog ungültig wird. Da beide handschriftlichen Einträge auch Friedrich Heinrich von der Hagens und Johann Gustav Büschings 1812 erschienenen ‚Literarischen Grundriß zur Geschichte der deutschen Poesie von der ältesten Zeit bis in das sechzehnte Jahrhundert‘ nennen, muss die handschriftliche Ergänzung nach 1812 und vor 1843 vorgenommen worden sein.125 Die Handschrift der beiden Notizen konnte keinem Mitarbeiter der Bibliothek in diesem Zeitraum zugeordnet werden, auch die Benutzer- und Registraturbücher zeigen keine Entsprechung. Die Herzog August Bibliothek besitzt mit Cod. Guelf. 705 Novi eine handschriftliche Gesamtabschrift von W, die der Braunschweiger Mediziner Karl F. A. Scheller im Jahr 1828 anfertigt. Sie gelangt 1859 aus seinem Nachlass in den Bestand der Bibliothek. Das Titelblatt nennt das dreihundertvierundsechzigseitige Werk Dat Levend Marien unde ores kindes Jesus gerimed dorg Mäster Filip und verweist auf die Vorlage, die jedoch mit gebäterder Schryvwise wiedergegeben werde. Daneben nimmt Scheller weitere Eingriffe vor: Er setzt die Verse ab, schreibt einspaltig, markiert die Überschriften durch Unterstreichungen, ergänzt eine Interpunktion, kennzeichnet Vokallängen, löst Abkürzungen stillschweigend auf und hebt Passagen durch Unterstreichungen hervor, so z. B. Philipps Selbstnennung im Epilog. Zusammenfassend lässt sich festhalten: W entstand Ende des 14. Jahrhunderts im an das elbostfälische Gebiet grenzenden Ostfalen, eventuell in der Region um das Stift Marienberg bei Helmstedt. Ob die Abschrift auch dort erfolgte oder von einer Konventualin aus dem Umland bei Klostereintritt mitgebracht wurde, lässt sich nicht mehr ermitteln. Zeitgenössische Federproben weisen darauf hin, dass die Handschrift noch im 15. Jahrhundert in einem Schulkontext Verwendung fand. Spätere Nachträge bezeugen die frühe Überführung der Handschrift in einen Bibliothekskontext.  

124 Zu der Handschrift B vgl. Ostermann 2015b. 125 Gärtner 1978, S. 198 vermutet für den Eintrag auf dem vorderen Spiegel von Wf den Vorbesitzer Wilhelm Gmelin aus Gärtringen als Verfasser und datiert die Notiz demnach in das 16. Jahrhundert. Diese Zuweisung kann wegen der genannten Helmstedter Universitätssignatur und des Verweises auf von der Hagens und Büschings 1812 erschienenen ‚Literarischen Grundriß‘ nicht stimmen.

92

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

3.3.1.2 Vom Konvent in die Bibliothek II: Die Handschrift Wo Die Handschrift Wo endet auf Bl. 257 mit einem Kolophon, das eine Zeitangabe und einen Schreiber nennt:126 Et sic est finis Anno domini m° quadringentesimo quadragesimo nono post festum sancti Mathie in carnispriuio hora xiia per me Hinricum de Hansteyn Biddet ok vor den scriuer etc.

Hier verewigt sich ein Schreiber namens Heinrich von Hanstein, der angibt, seine Abschrift in der zwölften Stunde des 24. Februars im Jahr 1449 fertiggestellt zu haben.127 Für dieses Jahr kommen zwei Familienmitglieder des im Eichsfeld ansässigen Adelsgeschlecht der ‚von Hansteins‘ mit dem Vornamen ‚Heinrich‘ in Frage:128 Für Heinrich, Sohn des Ditmar, aus der sog. ‚Lippolds Linie‘ des Geschlechts ist nur eine namentliche Erwähnung aus dem Jahr 1442 belegt. Heinrich der Jüngere (gest. 1464) aus der sog. ‚Dittmars Linie‘ hingegen ist gut dokumentiert.129 Er schrieb sich in die Geschichte seines Geschlechts ein, indem er zahlreiche Stiftungen von Seelenmessen für sich und seine Familie veranlasste. Er stand mit dem nahgelegenen Kloster Mariengarten und dem Wilhelmitenkloster in engem Kontakt. Dieses Bemühen um das eigene Seelenheil passt auch zu dem Kolophon der Handschrift Wo, mit dem Heinrich von Hanstein explizit Gebete für seine Person einfordert. Werner Stannat hält Heinrich von Hanstein für den Schreiber der gesamten Handschrift, in der Folge nennt die Forschung wiederholt 1449 als Entstehungsjahr von Wo.130 Deutliche Unterschiede in den Schriftarten der drei Faszikel zeigen jedoch auf den ersten Blick, dass es sich um fünf unterschiedliche Hände handelt und Heinrich von Hanstein nur den dritten Faszikel verantwortet.131

126 Das Kolophon folgt hier nach den für diese Arbeit festgelegten Transkriptionsregeln. Es ist auch aufgenommen bei Bouveret 1967, S. 381 (Nr. 6601), und zwar als einziges Kolophon, das Bouveret für einen Schreiber namens ‚Heinrich von Hanstein‘ führt. 127 Für einen Kalender für das Jahr 1449 vgl. Grotefend 1982, S. 188 f. 128 Vgl. hierzu die Tafeln 3 und 9 im Anhang bei von Hanstein 1856/57. 129 Zu diesem Heinrich von Hanstein vgl. von Hanstein 1856/57, bes. S. 429, 609, 639 f., 645–651. 130 Vgl. Stannat 1959, S. 55*, 97*, 99* u. ö. Zuletzt datiert Büttner 2017, S. XXV die gesamte Handschrift Wo auf das Jahr der Abschrift durch Heinrich von Hanstein. 131 Die Unterscheidung von fünf Händen nimmt bereits Fritz 1909, S. 44 vor: „Hinzufügen möchte ich, dass in der hs. 5 schreiber sich unterscheiden lassen. I. schrieb bl. 2–89a. II. 89b–91a. III. 91b bis 93b. (94 ab leer). IV. 95a–209b. (210 ab leer). V. 211a–257b. Für Heinrich von Hansteyn als schreiber kommt nur V. (sunte Elizabeten passie) in betracht“. Um nur einige Beispiele für die von Heinrich zu unterscheidenden Hände zu nennen: Im Unterschied zum ersten und zweiten Schreiber verziert er die Buchstaben b, d, h, k, l und w mit einer Schleife an der Oberlänge. Der  





3.3 Provenienz und Weitergabe

93

Stannats Untersuchung zum Schreiber und seiner Schreibsprache können daher nur für die von seiner Hand verfassten Textabschriften (‚Elisabethleben‘, Tagzeitengedicht) herangezogen werden.132 Da jedoch ein zeitgenössischer Einband die drei Faszikel verbindet, können die über Heinrich von Hanstein gewonnenen Erkenntnisse dennoch für eine Datierung wie Lokalisierung des ‚Marienleben‘Faszikels herangezogen werden. In einem ersten Schritt soll jedoch der zweite Faszikel für sich genommen betrachtet werden. Erst im Anschluss werden die so gewonnenen Erkenntnisse in einen Zusammenhang mit der Gesamthandschrift gebracht. Das Papier des ‚Marienleben‘-Faszikels weist zwei Wasserzeichen auf: einen Turm mit Zinnen sowie einen Ochsenkopf mit Augen, Kreuz, zweikonturiger Stange und Blume. Vergleichbare Wasserzeichen datieren in die Jahre 1448 bzw. 1449.133 Der Schreiber verwendet wie in W eine jüngere gotische Kursive, die sich auszeichnet durch das einstöckige a, das offene g mit nach links verlängertem Unterbogen und Schlaufen an den Oberschäften von b, d, h, k und l, die unter die Zeile reichenden Schäfte von f und Schaft-s, das v-förmige r, das schleifenförmige x und gelegentlich auch über die mit einer Schlaufe versehenen Buchstaben v und w im Anlaut. Die jüngere gotische Kursive war, wie im vorherigen Kapitel erläutert, Mitte des 15. Jahrhunderts bereits etabliert. Sprachlich ist auch die zweite Wolfenbütteler Abschrift in das ostfälische Gebiet zu verorten. So findet sich -ocht- für -ucht- bei vrocht bzw. vorcht sowie sochten, die ostfälische Form dridde für ‚dritte‘, ane für ‚ohne‘, komparativisches wen für ‚als‘, wur für ‚wo‘ und ok für ‚auch‘. Die typisch ostfälische Kürzung tonlanger Vokale vor Konsonant + -el, -er, -en und -ich hat stattgefunden, beispielsweise bei eddel, hemmel, nedder, leddich und honnich.134 Für das Personalpronomen der ersten Person Singular wird mehrheitlich ik (333 Belege) verwendet, dann erst ek (96 Belege) und ich (21 Belege). Ebenso begegnet in der Regel mik (88 Belege), nur in Ausnahmefällen mich (26 Belege), mek (22 Belege) und my

dritte und der vierte Schreiber führen zwar auch Schleifen an den Oberlängen von b, d, h, k und l, bei dem Buchstaben w allerdings nur unregelmäßig. Im direkten Vergleich des von Heinrich abgeschriebenen dritten Faszikels mit dem das ‚Marienleben‘ umfassenden zweiten Faszikel des vierten Schreibers zeigt sich ein deutlicher Unterschied in der Schrift auch dadurch, dass der Schreiber des ‚Marienleben‘ gedrängter, Heinrich hingegen runder und raumeinnehmender schreibt. Heinrich füllt neunundzwanzig bis zweiunddreißig Zeilen je Seite, der Schreiber des ‚Marienleben‘ bringt auf der gleichen Blatthöhe vierunddreißig bis zweiundvierzig Zeilen unter. 132 Für eine Analyse zum Lautstand der Abschrift vgl. Stannat 1959, S. 27*–70*. 133 Lesser 894 verweist für den Turm auf WZIS Nr. DE4860-Rep_V_16_56, ein 1448/1449 auf Papier aus Leipzig verwendetes Wasserzeichen, und für den Ochsenkopf auf Piccard-Online Nr. 70324 aus Beuren v.J. 1448. 134 Vgl. Peters 1987, S. 67 f.  

94

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

(4 Belege).135 Auffällig ist, dass sich offer statt opper für ‚Opfer‘ findet und die Personalpronomen größtenteils in der ungerundeten Form Verwendung finden.136 Diese Merkmale deuten in den nordwestlichen Raum, in die Richtung des westfälischen Sprachgebiets.137 Die das ‚Marienleben‘ rahmenden Faszikel wurden in der Forschung bereits auf ihre Schreibsprache hin untersucht und ebenfalls in den ostfälischen Sprachraum verortet. Antonella Calaresu argumentiert für eine Entstehung der im ersten Faszikel überlieferten Maria Magdalena-Legende im Hildesheimer Raum, eventuell im Umkreis des Mitte des 15. Jahrhunderts besonders einflussreichen Hildesheimer Magdalenerinnenklosters.138 Der von Heinrich von Hanstein geschriebene dritte Faszikel weist, wie Werner Stannat herausarbeiten konnte, neben mehrheitlich ostfälischen Merkmalen sowohl westfälische als auch mitteldeutsche Merkmale auf, die zum einen der westfälischen Vorlage geschuldet sind und zum anderen mit der Herkunft des Schreibers aus dem niederdeutsch-mitteldeutschen Grenzgebiet erklärt werden können.139 Vergleicht man den Einband der Handschrift Wo mit weiteren Exemplaren im Wolfenbütteler Bestand, so zeigt sich in der Verwendung der Einbandstempel eine Ähnlichkeit mit Cod. Guelf. 1291 Helmst. und Cod. Guelf. 56.2 Aug. 4°.140 Bei der ersten Vergleichshandschrift handelt es sich um eine auf das Jahr 1453 datierte Oktavhandschrift, deren kleineres Format sich auf die Gestaltung des Einbands auswirkt: Es finden weniger Rosettenstempel als auf dem Einband der Quarthandschrift Wo Platz. Bei Cod. Guelf. 56.2 Aug. 4° handelt es sich um eine Quarthandschrift aus dem 14. Jahrhundert, die mit den Maßen 18,75 x 13 cm nur unwesentlich kleiner ist als Wo (21 x 14,5 cm). Die Verwendung der Einbandstempel ist in diesem Fall aufgrund desselben Formates noch ähnlicher, die Holz-

135 Vgl. Peters 1988, S. 92. 136 So gilt „im Ostfälischen weiterhin das Wort der Kirchenprovinz Mainz, das nach lat. operari gebildete opper (opperen). Im westlichen und nördlichen Mnd. herrscht dagegen das Wort der Kirchenprovinz Köln, offer (offeren), das auf lat. offere zurückgeht“ (Peters 1988, S. 85). 137 Vgl. Peters 2000b, S. 1479 sowie Peters 2017a, S. 157–159. 138 Vgl. Calaresu 2016, S. 489–491. 139 Vgl. Stannat 1959, S. 55*–70*. 140 Vgl. Lesser 894. Lesser nennt als dritten Vergleichseinband auch Halberstadt, Historisches Stadtarchiv, Ohne Signatur 1. Diese Handschrift war mir nicht zugänglich. Sie wird ebenso wie Wo auf die Mitte des 15. Jahrhunderts datiert und kann anhand des mit ihr überlieferten Kalendars dem Braunschweiger Kloster St. Aegidii zugeordnet werden, vgl. Calaresu 2016, S. 492 Anm. 37. Für die beiden von mir eingesehenen Vergleichshandschriften liegen derzeit nur Beschreibungen von Otto von Heinemann vor, vgl. von Heinemann 1888, S. 147 (Cod. Guelf. 1291 Helmst.) sowie von Heinemann 1903, S. 75 (Cod. Guelf. 56.2 Aug. 4°). Die Einbanddatenbank führt die Werkstatt von Wo trotz bekannter Vergleichshandschriften unter ‚Wolfenbüttel 894‘, vgl. EBDB w002004.

3.3 Provenienz und Weitergabe

95

deckel wurden aber um jeweils fünf Metallbuckel ergänzt. Beide Handschriften weisen einen Bezug zu Braunschweig auf: Cod. Guelf. 1291 Helmst. aufgrund der dort überlieferten Braunschweiger Textfassung einer Hoheliedauslegung,141 Cod. Guelf. 56.2 Aug. 4° aufgrund ihrer Herkunft aus dem Braunschweiger Kollegiatstift St. Blasius.142 Ein zeitgenössisches Rezeptionszeugnis liegt mit der Inhaltsangabe auf Bl. 1v vor: Van den dogheden vnde van der kyntheyt vnses heren vnde van sunte Ilseben leuent. Sie bezeugt, dass die Sammelhandschrift Wo bereits früh als Einheit wahrgenommen wurde.143 Ein in der Handschrift erhaltener, als Lesezeichen verwendeter Schnipsel aus dem Helmstedter Bibliothekskatalog legt zudem nahe, dass die Handschrift zwischen 1618 und 1810 an der Universität Helmstedt eingesehen wurde. Dieser Befund ist durchaus ungewöhnlich, denn „[i]m Gegensatz zur Erwerbsgeschichte ist die Nutzung des Handschriftenbestandes der Academia Julia in Lehre und Forschung eher sporadisch belegt“144. Bisherige Untersuchungen, insbesondere anhand der Steterburger Exemplare, konnten zeigen, dass die Handschriften während ihrer Abwesenheit von Wolfenbüttel keine Verwendung fanden. Britta-Juliane Kruse begründet diese ausbleibende Rezeption mit dem Aufbewahrungsort der Codices in Helmstedt: „dass diese dort nicht in Regalen aufgestellt waren, sondern in Truhen aufbewahrt wurden“, nennt sie „ein System, das den Zugriff nicht gerade begünstigte“145. Eine spätere Ergänzung bezeugt die Überführung in einen Bibliothekskontext: Auf dem vorderen Spiegel wurde die Altsignatur T. 4to 88 ergänzt, die auf Schraders Katalog von 1644 verweist.146 Wenngleich die Unterschiede in den Schriften der drei Faszikel für fünf unterschiedliche Schreiber sprechen, so weisen die ermittelbaren Wasserzeichen alle in die Mitte des 15. Jahrhunderts und die verwendeten Schreibsprachen – trotz vorhandener Unterschiede – alle auf die Region des Ostfälischen.147 Die Analyse gibt Wo somit als ostfälische Sammelhandschrift zu erkennen, die Abschriften von ca. 1450 vereint. Wie bereits in Kapitel 3.3.1 aufgezeigt, ist aufgrund des fehlenden Einkunftsvermerks eine Herkunft aus Marienberg bei Helmstedt oder Heiningen wahrscheinlich. Für Heiningen spricht insbesondere der Einband, der mit Braun-

141 Zur Bestimmung der in Cod. Guelf. 1291 Helmst. überlieferten Hoheliedauslegung als Braunschweiger Textfassung vgl. Lürßen 1917, S. 151–171, bes. S. 170; zusammenfassend auch Ruh 1983, Sp. 85. 142 Vgl. Haucap-Nass 1995, S. 217 Nr. 51. 143 Vgl. Kap. 3.2.1. 144 Lesser 2012, S. XXXIV. 145 Kruse 2011, S. 99. 146 Vgl. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, Bl. 17r. 147 Für eine Beschreibung der Wasserzeichen des ersten und dritten Faszikels vgl. Kap. 2.2.

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

96

schweig in Verbindung gebracht werden kann, da für Heiningen enge personelle Verbindungen nach Braunschweig belegt sind.148 Den Heininger Stiftsfrauen wird darüber hinaus ein um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstandener Bildteppich zugeschrieben, der das Leben der heiligen Elisabeth veranschaulicht und so eine aktive Elisabethverehrung bezeugt – die sich auch in der in Wo überlieferten ‚Elisabethlegende‘ zeigt.149 Die einzelnen Faszikel der Handschrift könnten demnach aus südlicher bzw. westlicher Richtung nach Braunschweig gekommen, dort eingebunden und von dort von einer Nonne in das Stift mitgebracht worden sein.

3.3.2 Eine Abschrift im Druckzeitalter: Die Handschrift Lü Unter den niederdeutschen ‚Marienleben‘-Textzeugen gibt die Lübecker Handschrift am meisten Informationen zu ihrem Entstehungskontext preis. Über ein Kolophon auf dem letzten Blatt der Handschrift ist der Zeitpunkt der Abschrift und der Name des Schreibers bekannt: Anno dominy M cccc lxxxix do ward dit bock gescreuen van enem genomet Hans Stortekare (Bl. 188r). Die vom Schreiber verwendete schlaufenlose Bastarda passt in das Ende des 15. Jahrhunderts,150 ihre in einer deutlichen Erkennbarkeit resultierenden kantigen Einzelbuchstaben geben den Einfluss des 1489 bereits florierenden Buchdrucks zu erkennen. Einem Schreiber namens ‚Hans Stortekare‘ konnte bislang keine weitere Handschrift zugeordnet werden. Für eine historische Person mit diesem Namen lässt sich jedoch in einer Hamburger Bursprake aus dem Jahr 1482 ein weiterer Beleg finden,151 genauer in der folgenden Verklarung, mit der Ame auende Nicolai LXXXII, d. h. am 5. Dezember, von einem Schiffunfall berichtet wird:152  

148 Vgl. Lesser 894. Dieser Einschätzung folgt auch Calaresu 2016, S. 491 f. Zu den personellen Verbindungen zwischen Heiningen und Braunschweig vgl. Taddey 1966, S. 87, 89 f. 149 Vgl. Böse 2008, bes. S. 231–239. Eine Abbildung des Teppichs findet sich bei Böse 2008, S. 230. Der Bildteppich befindet sich derzeit in Marienberg bei Helmstedt, der genaue Zeitpunkt der Weitergabe ist ungewiss, vgl. Böse 2008, S. 232 Anm. 5. 150 Eine bekannte schlaufenlose Bastarda ist die sogenannte ‚Devotenbastarda‘, vgl. Bischoff 1986, S. 192; Oeser 1992, S. 266–269. Diese liegt nicht in Lü vor. 151 Eine Definition des Begriffs ‚Bursprake‘ gibt Bolland 1956, S. 116: „Sie war Bürgerversammlung und gleichzeitig Sammlung derjenigen Verordnungen und Bekanntmachungen, die in diesen Zusammenkünften an bestimmten Tagen sowie darüber hinaus nach Bedarf vom Rat – im Rahmen der städtischen Autonomierechte und unter Berücksichtigung bürgerlicher Mitbestimmungsbefugnisse – erstmals oder zur Einschärfung erneut abgekündigt wurden.“ In ihrer Niederschrift gleicht sie damit dem heutigen Amtsblatt, vgl. Bolland 1960a, S. 6. 152 Da der nächste Termin einer ordentlichen Bursprake für Hamburg erst der 21. Dezember (Thomastag) gewesen wäre, müsste es sich hierbei um eine außerordentliche Bursprake handeln,  



3.3 Provenienz und Weitergabe

97

Sybrand Tomessen van Amstelredam, sturman, secht by sineme eede, wo dat he na rade vnde medeweten der anderen schepesvolke hebben vor dat beste erkand, alse dat plichtangker brak entwy vnde dreuen an steuen enen schipher van Hamborg, de sin anker let slippen, dat se de mast houwen; anders hedden sy dat schip vnde gud nicht mogen bergen. Hans Stortekare, borger tor Wismar, houetboßman, tuget bij sineme eede na der vorscreuen wise. Hinrik Swelebeke, een timmerman in deme erbenomeden schepe – so he sede –, tugede na der vorbenomede wise. Hans Sweder, anders genomet Olde Hans, een schipman in deme vorbenomeden schepe – so he sede –, tugede na der suluen wise. Anders Peterß, een bosman – so he sede – in deme schepe, tugede na der vorberorden wise. Hinrik Petersen, een kok in deme vorscreuen schepe, tugede na dersuluen wise vorgetekent.153

In der Form einer Versicherung an Eides statt wird ein Bericht des Amsterdamer Steuermanns Sybrand Thomessen wiedergegeben: Er habe nach Bruch des Notankers veranlasst, den Schiffsmast zu kappen. An diesem Ereignis war ein Wismarer Bürger namens Hans Stortekare als Hauptbootsmann beteiligt. Diese Position an Bord ist erst ab dem 15. Jahrhundert belegt, zu ihren Aufgaben zählt „die Aufsicht über die Takelage und alle Decksarbeiten“154. Über die Konsequenzen des Vorfalls geben die Hamburger Burspraken keine weitere Auskunft. Erst sieben Jahre später tritt ein ‚Hans Stortekare‘ ein zweites und letztes Mal in Erscheinung, dieses Mal als Schreiber der ‚Marienleben‘-Handschrift. Mit dem Nachnamen ‚Stortekare‘ lassen sich für das späte 15. Jahrhundert nur noch Personen aus Hamburg nachweisen:155 So stammt der Kaufmann und Flandernfahrer Syvert Stortekare aus dieser Stadt, seine Kinder tragen die Namen

vgl. Bolland 1956, S. 105; Bolland 1960a, S. 8. Ob diese Bursprake jedoch überhaupt verlesen wurde, lässt sich nicht rekonstruieren. Es könnte sich auch um Notizen eines Schreibers handeln, vgl. Bolland 1960a, S. 11. 153 Bolland 1960b, S. 166 (Nr. 74). 154 Brück 2014. Unter ‚Takelage‘ kann mit Duden online die „Gesamtheit der Vorrichtungen, die die Segel eines Schiffs tragen (besonders Masten, Spieren, Taue)“ verstanden werden: https:// www.duden.de/rechtschreibung/Takelage (12. Oktober 2019). 155 Für das späte 13. und frühe 14. Jahrhundert ist auch eine Familie Stortekare in Greifswald bezeugt: Johannes Stortekare und seine Frau Christine, vgl. Poeck 2000, S. 7 (Nr. 46), sowie Ecard Stortekare, vgl. Poeck 2000, S. 41 (Nr. 304) und Nüske 1929, S. 86. Danach verliert sich die Spur: Karsten Igels Studie zu ‚Stadtgestalt, Grundbesitz und Sozialstruktur im spätmittelalterlichen Greifswald‘, die u. a. auf der Grundlage von Greifswalder Stadtbüchern erarbeitet wurde, kennt keine Person dieses Nachnamens, vgl. Igel 2010. Die älteste Bürgermatrikel Greifswalds gibt ein Personenverzeichnis für den Zeitraum 1530–1711, auch hier ist keine Person mit Nachnamen ‚Stortekare‘ genannt. Ebenso wenig lässt sich eine Person dieses Namens in der Namenskartei der Hausbesitzer für die Chronik der Grundstücke in der Greifswalder Altstadt nachweisen. Ich danke Petra Sockolowsky, Dipl.-Archivarin am Greifswalder Stadtarchiv, für diese Auskunft (E-Mail vom 5. Dezember 2018).  

98

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Joachim, Cecilia, Conrad, Richard und Margarete.156 Joachim Stortekare ist ab dem Wintersemester 1474/75 an der Universität Rostock immatrikuliert und Ende des 15. Jahrhunderts als Diakon in Bremen bezeugt.157 Ebenfalls aus Hamburg stammen der Kaufmann Kord Stortekare, der in einer Pfundgeldliste aus dem Jahr 1485 genannt wird,158 und Simon Stortekare, der im Jahr 1475 als Mitglied der Brüderschaft des Heiligen Leichnams im St. Johanniskloster Hamburg geführt wird.159 Auch die Schreibsprache von Lü spricht für eine Herkunft des Schreibers aus dem Norden des niederdeutschen Sprachgebiets.160 So begegnet mehrheitlich die nordniederdeutsche Form my, nur fünfzehnmal wird die ostfälische Form mick bzw. myck verwendet. Analog dazu erscheint di bzw. dy (257 Belege) entschieden häufiger als dyck (15 Belege). Dieser Befund könnte auch für den westfälischen Sprachraum sprechen, ebenso wie die ausschließliche Verwendung des ungerundeten Pronomen em, eme, ene, en und er-. Eindeutig nordniederdeutsch sind hingegen die Formen wor für ‚wo‘, wo für ‚wie‘ und yewelk für ‚jeder‘.161 Die Schreibung von a für tonlanges o wie beispielsweise bei auer (60 Belege) neben ouer (5 Belege) oder gades (102 Belege) neben godes (10 Belege) spricht insbesondere für die „mnd. Schriftsprache lübischer Prägung“162, die ab der Mitte des 15. Jahrhunderts im gesamten nordniederdeutschen Raum vertreten ist.163 Ob die Abschrift auch tatsächlich in Wismar, der mutmaßlichen Heimat des Schreibers, stattfand, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.164 Neben Wismar gilt auch Lübeck als Schreibzentrum des Nordniederdeutschen – eine Stadt, die bereits ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nachweislich „über eine leistungsfähige Schriftproduktion und mit der Entwicklung der Schullandschaft […] auch bald über eine breite Schicht lesefähiger und wirtschaftlich hochpotenter Laien verfügte“165. Lübecks Rolle als „hub of the Hanse, disseminating ideas, selling manuscripts, and thus promoting literature through trade“ wurde von der Forschung in letzter Zeit nicht nur für die

156 Vgl. Gabrielsson 2007, S. 171 sowie Gabrielsson 2006, S. 48. 157 Vgl. http://purl.uni-rostock.de/matrikel/100011080 (12. Oktober 2019) und Schmugge 2012, S. 365 (Nr. 2685). 158 Vgl. Hormuth / Jahnke / Loebert 2006, S. 59, 75. 159 Vgl. Staphorst 1731, S. 172. 160 Für die folgende Schreibsprachenanalyse wurden neben der zu Beginn von Kap. 3.3 genannten Literatur auch Poppenborg 1998 und Rösler 2001 berücksichtigt. 161 Vgl. Peters 1990, S. 1; Peters 1988, S. 104. 162 Peters 1987, S. 66. Vgl. hierzu auch Peters 2000c, S. 1500. 163 Vgl. Peters 1987, S. 66. Für eine Karte zum tonlangen o im Niederdeutschen am Beispiel von ‚Gott‘ (Gen. Sg.) und ‚über‘ vgl. Peters 2017a, S. 59 bzw. 61 (Ortspunkt Lübeck). 164 Der ‚ASnA‘ führt lediglich einen Ortspunkt zu Lübeck und keinen zu Wismar. 165 Theiß / Wolf 2013, S. 299.

3.3 Provenienz und Weitergabe

99

sogenannte „pragmatische Schriftlichkeit“166, sondern auch für literarische Texte hervorgehoben.167 Für eine genauere Lokalisierung kann eine Analyse des Papiers und des Einbands hilfreich sein. Für das Wasserzeichen, einen Dreiberg mit zweikonturiger Stange und zweikonturigem Kreuz, findet sich jedoch bei Piccard und im Wasserzeichen-Informationssystem keine Entsprechung.168 Paul Hagens Wasserzeichenkartei aller Ms. theol. germ.-Handschriften führt sieben vergleichbare Wasserzeichen, auch hier ist keine exakte Übereinstimmung mit dem Wasserzeichen von Lü zu finden.169 Der Einband wiederum trägt sowohl auf dem Vorderdeckel als auch auf dem Hinterdeckel drei verschiedene Stempel,170 für die sich ebenfalls keine Entsprechungen in der Einbanddatenbank finden lassen.171 Über das Entstehungsumfeld der Handschrift können dennoch Annahmen formuliert werden. So befinden sich im vorderen und hinteren Spiegel der Hand-

166 Beide direkten Zitate: Lähnemann 2016a, S. 608. 167 Vgl. neben Lähnemann 2016a und Theiß / Wolf 2013, S. 294–301 auch Andersen / Lähnemann / Simon 2014, hier bes. S. 5 f.: „In the creation of wealth, trade establishes and fosters contacts and networks that facilitate not only economic but also cultural exchange. The printing of Birgitta of Sweden’s Revelationes in Lübeck and the translation/adaptation of them into Low German are illustrative of the channels of transmission and influence which the trading networks of the Hanseatic League opened up in northern Germany and Scandinavia.“ Konträr dazu noch Wernicke 1998, S. 147: „Der hansische Kaufmann war nicht der Mann für Belletristik, und die Hansestadt und das Hansekontor waren nicht die Orte für eine literarische Landschaft. In einer solchen Atmosphäre entwickelten sich keine günstigen Rahmenbedingungen für eine umfangreiche literarische Rezeption.“ 168 Der Dreiberg (ohne Stange) ist gut sichtbar auf dem unbeschriebenen Vorsatzblatt. Er befindet sich hier um neunzig Grad gedreht zwischen dem zweiten und dritten horizontalen Bindedraht von insgesamt fünf Bindedrähten. Er ist 2,3 cm breit und 3 cm hoch. Die Stange mit Kreuz ist gut sichtbar auf Bl. 4. Sie befindet sich um neunzig Grad gedreht im Zwischenraum vom dritten zum vierten Bindedraht. Sie ist 4,8 cm lang, das angebrachte Kreuz ist 1,7 cm breit. Der Abstand der Bindedrähte beträgt jeweils 4 cm. 169 Die Wasserzeichenkartei (vgl. Hagen o.J.) war von 1978 bis 1994 als Teil von Hagens Nachlass in das Lübecker Stadtarchiv ausgelagert, befindet sich jedoch seit 1994 wieder in der Lübecker Stadtbibliothek. In der Sekundärliteratur, so auch bei Schweitzer 1992a, S. 80, wird noch das Stadtarchiv als besitzende Institution genannt. Ich danke Dominik Kuhn vom Lübecker Stadtarchiv für diese Auskunft (E-Mail vom 17. Januar 2018). 170 Für eine ausführliche Beschreibung der verwendeten Einbandstempel vgl. den Eintrag zu Lü in Kap. 2.2. 171 Vgl. EBDB bzw. Schunke 1979. Für die Schunke 1996, S. 161–168 bekannten Lübecker Werkstätten sind die auf dem Einband von Lü verwendeten Stempel nicht belegt. Die Stadtbibliothek war zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Besitz eines umfangreichen Einbandverzeichnisses, das der Bibliothekar Franz Webers im Jahr 1911 erstellt hatte. Dieses gilt derzeit als verschollen. Für diese Auskunft danke ich Britta Lukow (E-Mail vom 4. Januar 2018).  

100

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

schrift zwei lateinische Pergamentfragmente, die erst eingeklebt und dann mit unbeschriebenem Papier überklebt wurden. Es handelt sich um zwei Doppelblätter, die auf jeweils einer Verso- und einer Rectoseite Auszüge aus der ‚Paraphrasis metrica in librum Tobiae‘ des Matthäus von Vendôme erhalten.172 Die Schrift beider Fragmente ist identisch und auch die Textgestaltung stimmt überein: Der erste Buchstabe eines jeden Verses wird über eine Ausrückung nach links hervorgehoben. Auf dem Fragment des vorderen Spiegels ist lediglich ein Vers je Seite sichtbar. Im Folgenden gebe ich meine Transkription der Fragmente mit ihrer Entsprechung in der Edition des Textes durch Franco Munari wieder:173 Vorderer Spiegel, verso: Res umbre cineri flamma lucerna luto = Res umbre, cineri flamma, lucerna luto (V. 1718) Vorderer Spiegel, recto: [:]tificat cecum lumine p[:] [:]em = Letificat, cecum lumine, prole patrem (V. 1622) Hinterer Spiegel, verso: cess[:] habund[:] amor = Esse studete, scelus cesset, habundet amor (V. 1778) Sit domini timor in uobis castoque timori = Sit Domini timor in vobis castoque timori (V. 1779) Im Zeilenzwischenraum wird amor wiederholt. Am rechten Rand erscheint ein stark abgekürzter lateinischer Kommentar: [:] amore [:] [:] et [:]. Es handelt sich demnach um eine glossierte Fassung der ‚Paraphrasis metrica‘. Hinterer Spiegel, recto: Insinuat caud[:] mobili[:]e [:]oquens = Insinuat caude mobilitate loquens (V. 1554) Tobie canis euentum prenosticat exit = Tobie canis adventum prenosticat: exit (V. 1555) […] inde senex = Currit uterque parens, hinc anus, inde senex (V. 1556) Auch hier begegnet eine Glosse im Zeilenraum: prelignat [:]dit.

Für eine korrekte Anordnung dieser vier Textauszüge gemäß der Edition müssten sie in folgender Reihenfolge genannt werden: Fragment hinterer Spiegel, recto (V. 1554–1556) Fragment vorderer Spiegel, recto (V. 1622) Fragment vorderer Spiegel, verso (V. 1718) Fragment hinterer Spiegel, verso (V. 1778–1779)

172 Zur ‚Paraphrasis metrica in librum Tobiae‘ vgl. Zelzer 1990 und Weiler 1995, S. 188 f. Für eine edierte Fassung des Textes vgl. PL 205, Sp. 927–980 und Munari 1982. Zu Matthäus von Vendôme vgl. Peppermüller 1993. 173 Vgl. Munari 1982.  

3.3 Provenienz und Weitergabe

101

Da zwischen den einzelnen Passagen nur wenige Verse (65, 95, 60 Verse) fehlen, ist davon auszugehen, dass diese Doppelblätter ursprünglich ineinandergelegt waren und somit unmittelbar aufeinander folgten. Zusammen ergeben sie einen Auszug weniger Verse aus dem Versraum V. 1554–1779 der ‚Paraphrasis metrica‘. Sie scheinen demnach erst für die Verarbeitung in dieser Handschrift auseinander genommen worden zu sein. Matthäus’ um 1185 entstandenes Bibelepos ist breit überliefert. Die zahlreichen erhaltenen Handschriften bezeugen das im Mittelalter lebendige Interesse an diesem Werk,174 das den biblischen Bericht von Tobias erweitert und mit seinem formalen Aufbau (Distichen) ein Paradebeispiel für einen Versbau bietet, wie Matthäus ihn zuvor in seiner Poetik ‚Ars versificatoria‘ ausführlich behandelt hat.175 Unter den Textzeugen, die Munari für seine Edition verwendet, findet sich mit Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek, Ms I 17b auch eine fragmentarisch erhaltene Pergamenthandschrift aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die kurz vor dem in Lübeck einsetzenden Text endet und auffallende Ähnlichkeiten mit den in der Lübecker ‚Marienleben‘-Handschrift verarbeiteten Pergamentfragmenten aufweist.176 Neben dem Beschreibstoff entspricht die Schrift, eine „Textualis Gothica currens“177, dem Lübecker Fragment. Darüber hinaus wird in der Textgestaltung auch hier der erste Buchstabe jedes abgesetzten Verses nach links ausgerückt. Die rote Zierstrichelung der Versinitialen, die den Lübecker Fragmenten fehlt, endet mit dem letzten erhaltenen Versoblatt (Bl. 23v). Die einzelnen Zeilen sind gleichermaßen 4,5 cm (ohne ausgerückte Versinitiale) lang und 0,5 cm hoch, zwischen den Zeilen stehen gelegentlich lateinische Interlinearglossen. Das Fragment der Niedersächsischen Landesbibliothek endet auf Bl. 23v mit V. 1511, der erste im Lübecker Fragment lesbare Vers ist V. 1554. Da eine Recto- oder Versoseite im Schnitt 36 bis 37 Verse umfasst, ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die in Lübeck erhaltenen Doppelblätter hier anschlossen. Das Hannoveraner Fragment aus dem 13. Jahrhundert kann daher lediglich als Ver-

174 Vgl. Zelzer 1990. 175 Zur ‚Ars versificatoria‘ vgl. Schickel 1990. 176 Leider ist über die Provenienz dieses Fragments nichts bekannt: Der Leibniz Bibliothek fehlt ein Einkunftsvermerk. Die Handschrift muss jedoch zwischen 1716 und 1867 nach Hannover gekommen sein, da der Bibliothek vor 1716 dank Gottfried Wilhelm Leibniz ausführliche Bestandsnachweise vorliegen und die Handschriften im Jahr 1867 erstmals katalogisiert wurden, darunter auch Ms I 17b, vgl. Bodemann 1867, S. 4. Für den Hinweis danke ich Anja Fleck von der Niedersächsischen Landesbibliothek (E-Mail vom 12. April 2018). 177 Härtel / Ekowski 1989, S. 36.

102

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

gleichsgrundlage für die Gestaltung des Fragments dienen und einen Anhaltspunkt für die Datierung geben. Zwei handschriftliche Nachträge in der Handschrift Lü bezeugen ihre zweimalige Weitergabe im frühen 16. Jahrhundert, d. h. nur kurz nach ihrer Fertigstellung. So steht auf Bl. 188r, unterhalb von Hans Stortekares Kolophon in krakeliger Schrift, schwarzer Tinte und von anderer Hand: vnde dat liesse [:] holen van em anno xvc. Das Pronomen em wird sich auf den kurz davor genannten Schreiber Hans Stortekare beziehen, der Name der abholenden Person ist nicht mehr zu entziffern. Von gleicher Hand findet sich auch im oberen Spiegel eine Notiz:  

anno xvc vnde en do wort dit boch ghegeiwen in de ere gades dat en edder vrame man syck syck schal hyr in offen in gades medelydynghe vnde sal syck de tit nicht vordreten laten alletjt jo en afte ii voylie lejsen vnde dan vppe enen anderen dach jo mere

Die Formulierung, etwas ‚in die Ehre Gottes‘ zu geben, weist auf die Vererbung dieser Handschrift auf der Basis eines Testaments. Von wem der Nachlass kam und an wen er ging, wird aus der Notiz nicht deutlich. Da der Vermerk auf Bl. 188r aber bereits für das Jahr 1500 von der Weitergabe der Handschrift an eine zweite Person spricht, kann es im Jahr 1501 nicht der Schreiber selbst gewesen sein, der gemeint ist. Deutlich genannt ist die intendierte Rezeption im Rahmen einer Lektüre zum Zeitpunkt der Vigil (voylie), als inhaltlicher Schwerpunkt erscheint das Mitleiden mit der Passion (gades medelydinghe).178 Die Altsignatur ‚LXXXXVII‘ auf dem Buchrücken bezeugt, dass die Handschrift im Besitz des Lübecker Michaeliskonvents gewesen sein muss. Diese Provenienz hat sie mit den meisten Handschriften der Signaturengruppe Ms. theol. germ. der Lübecker Stadtbibliothek gemein.179 Der Michaeliskonvent wurde 1451 als Konvent der Schwestern vom gemeinsamen Leben gegründet, bestand als solcher aber keine hundert Jahre.180 Mit der Einführung der Reformation in Lübeck im Jahr 1530 wurde der Konvent zunächst als Altenstift für die Konventualinnen genutzt und im Jahr 1557 auf Beschluss des Rates der Stadt in ein Waisen-

178 Zur Vigil vgl. Gärtner 1978, S. 128 und Stroppel 1927, S. 10. 179 So Hagen 1922, S. 91: „Die weitaus meisten der älteren Hss. stammen, wie sich aus Angaben in den Hss. […] und den älteren römischen Zahlensignaturen (vgl. Register I) ergibt, aus dem Michaeliskonvent“. Die Ms. theol. germ.-Gruppe der Lübecker Stadtbibliothek vereint mittelniederdeutsche geistliche Handschriften aus religiösen Einrichtungen in Lübeck. Neben dem Michaeliskonvent zählen auch das St. Johannis-Kloster, der Johannishof und das St. Annen-Kloster dazu, vgl. Hagen 1922, S. VI. 180 Neben ‚Michaeliskonvent‘ ist auch die Bezeichnung ‚Segebergkonvent‘ üblich. Diese geht auf den Kaufmann Bertold Segeberg zurück, der das Gebäude 1397 erwarb und als Einrichtung für mittellose Frauen nutzen ließ, vgl. Derendorf / Schulte 1995, S. 985. Ausführlicher zur Geschichte des Konvents auch Feismann 1994, S. 5–11.

3.3 Provenienz und Weitergabe

103

haus umgewandelt. Die devoten Schwestern besaßen eine umfangreiche Büchersammlung, die bis in das frühe 19. Jahrhundert an ihrem angestammten Platz blieb.181 Für die Existenz eines spätmittelalterlichen Katalogs gibt es keine Anhaltspunkte und auch die beiden Memorienbücher des Konvents aus den Jahren 1463 und 1498 liefern keine Informationen zur Konventsbibliothek.182 Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgte eine Bestandsaufnahme der Konventsbibliothek durch Christian Nicolaus Carstens, seiner Zeit Prokurator am Niedergericht, doch sein Verzeichnis gilt derzeit als verschollen.183 Die Altsignatur bleibt demnach die einzige Möglichkeit, die Lübecker ‚Marienleben‘-Handschrift dem Michaeliskonvent zuzuordnen. Wann genau die Handschrift in die Bibliothek des Michaeliskonvents gelangte, lässt sich nicht feststellen. Da der Nachtrag im vorderen Buchdeckel jedoch von einem Mann spricht, wird die Handschrift nicht direkt in den Besitz der devoten Schwestern gelangt sein. Als Terminus post quem für den Eingang der Handschrift in die Konventsbibliothek muss dennoch das Jahr 1501 gelten. Da der Konvent 1557 aufgelöst wurde, ergibt sich für eine Übernahme in die Konventsbibliothek der Zeitraum von 1501 bis 1557.

181 Vgl. Hagen 1926, S. 63. Eine derart beachtliche Büchersammlung ist unüblich für ein Schwesternhaus der Devotio moderna und lässt sich am ehesten mit dem Fehlen eines Fraterhauses in Lübeck erklären. In der Regel waren es die Brüder vom gemeinsamen Leben, die nicht nur zahlreiche Schriften besaßen, sondern auch selbst produzierten. Ein Lübecker Fraterkloster wurde in den Jahren 1453 bis 1470 angedacht, aber nie umgesetzt, vgl. Derendorf / Schulte 1995, S. 985. Ob auch die Lübecker Schwestern in der Buchproduktion aktiv waren und so selbst zur Entstehung und Ausweitung ihrer Konventsbibliothek beitrugen, ist in der Forschung kontrovers diskutiert worden, zuletzt bei Fligge / Mielke / Schweitzer 2001, S. 231 f. In Anschluss an Julius Hartwig wurde zeitweise die Buchproduktion als Einnahmequelle des Konvents angenommen, vgl. u. a. Hartwig 1908, S. 88 und Bayerschmidt 1934, S. XIV, kritisch dazu Feismann 1994, S. 11 sowie Derendorf / Schulte 1995, S. 986. Diese These lässt sich anhand der historischen Quellen nicht ausreichend stützen, denn mit Ausnahme des Kolophons in Ms. theol. germ. 8° 34 liegt kein Beweis für eine Schreibtätigkeit der Schwestern vor. Als Schreiberin nennt sich hier ene arme suster yn deme closter sancte mychelis (zitiert bei Derendorf / Schulte 1995, S. 986). Auch ein Zusammenhang der Schwestern mit der Lübecker Mohnkopfdruckerei wurde zeitweise vermutet. Durch die Zuordnung des Signets dieser Druckerei mit der Familie Hans van Ghetelens ist die These widerlegt, vgl. Derendorf / Schulte 1995, S. 986. 182 Für eine Untersuchung der beiden Memorienbücher samt Edition vgl. Feismann 1994. Angeheftet an das jüngere Memorienbuch ist ein Doppelblatt aus dem Jahr 1507, das einen Ausschnitt der Konventsbibliothek erfasst. Da es sich hierbei vermutlich um die Beschreibung der Handbibliothek eines Predigers handelt, ist das Fehlen des ‚Marienleben‘ nicht weiter verwunderlich, vgl. Derendorf / Schulte 1995, S. 988. Für eine Edition des Verzeichnisses vgl. Derendorf /  Schulte 1995, S. 989–992. 183 Carstens’ verschollenes Verzeichnis trägt die Signatur Ms. Lub. 4° 580 und findet sich dort auf Bll. 3r–55v. Näheres zu Beschaffenheit und Inhalt lässt sich lediglich aus Hagens handschriftlichem Katalog der Lubecensien erschließen, vgl. Hagen 1936, Bll. 334r, 335r sowie Karstedt 1937.  



104

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Im Jahr 1806 kamen auf Senatsbeschluss knapp einhundert niederdeutsche Handschriften aus diesem Konvent in die als ‚Öffentliche Bibliothek‘ gegründete Lübecker Stadtbibliothek.184 Ein Nachweis für Lü begegnet erst im frühen 20. Jahrhundert: Für das Handschriftenarchiv bei der Deutschen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften beschreibt Paul Hagen ausgewählte Objekte der Stadtbibliothek, darunter auch Lü.185 Im Anschluss fertigt er im Auftrag des Lübecker Bibliotheksdirektors Carl Curtius handschriftliche Kurzbeschreibungen für interne Zwecke an. Er schließt diese Arbeit im Jahr 1912 ab und veröffentlicht sie im Jahr 1922 in gedruckter Form.186 Genau zwanzig Jahre lang wäre dann eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Handschrift möglich gewesen, bevor sie kriegsbedingt zur Unmöglichkeit wurde: Im Jahr 1942 lagerte die Stadtbibliothek ihre wertvollsten Handschriften und Inkunabeln, darunter auch die ‚Marienleben‘-Handschrift, in ein Salzbergwerk der Wintershall AG in Bernburg, Sachsen-Anhalt aus, um einer Zerstörung in einem Bombenangriff vorzubeugen.187 Diese Bestände wurden im März 1946 von der Sowjetischen Militäradministration nach Berlin transportiert, dort „auf dem Gelände der Azeta-Zellstoff-Fabrik in Rummelsburg“188 zwischengelagert und dann in die Sowjetunion gebracht. Lü war unter denjenigen Objekten, die zunächst in die Russische Nationalbibliothek nach Leningrad/St. Petersburg, dann in das Zentrale Staatliche Historische Archiv der Alten Akten in Moskau gelangten. Die Kistennummer ‚22891‘ ist nach wie vor auf dem Buchdeckel der Handschrift vermerkt.189 Die Rückführung der Kriegsgüter begann 1989 im Austausch mit dem im Bundesarchiv Koblenz aufbewahrten Revaler Stadtarchiv. Sie ist bis heute nicht abgeschlossen.190 Die ‚Marienleben‘-Handschrift kam im Jahr 1990 zusammen mit knapp 600 weiteren Handschriften zurück nach Lübeck, doch auch danach fand keine wissenschaftliche Auseinan-

184 Vgl. Hagen 1926, S. 63; Hagen 1922, S. VI sowie Pieth 1926, S. 18 f. Ausführlicher zur Geschichte der Bibliothek: Pieth 1922 und Karstedt 1971, S. 54–58. 185 Vgl. Hagen 1909. 186 Für Hagens Klage über die ihm vorgeschriebene Kürze der Beiträge vgl. Hagen 1922, S. IV. 187 Vgl. Schweitzer 1992a, S. 85. Zur Geschichte des Lübecker Bestandes vgl. auch Schweitzer 1992b sowie Derendorf / Schulte 1995, S. 987. 188 Schweitzer 1992a, S. 86. 189 Ich danke Britta Lukow, Bibliothekarin der Lübecker Stadtbibliothek, für diese Auskunft (EMail vom 6. November 2017). 190 Zum Revaler Stadtarchiv als Tauschobjekt in der Rückführung der Lübecker Handschriften vgl. Schweitzer 1992a, S. 96.  

3.3 Provenienz und Weitergabe

105

dersetzung mit diesem Textzeugen statt.191 Eine einzige ausführlichere Beschäftigung seit Hagen stellt Kurt Gärtners Einordnung in die Überlieferungsgeschichte von Philipps Werk dar.192 Diese erfolgte jedoch vor Rückgabe der Handschrift an die Lübecker Stadtbibliothek (1978) und daher nicht am Objekt, sondern anhand von Hagens Beschreibungen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Bei der Lübecker Handschrift handelt es sich also um einen sehr jungen Textzeugen im Korpus. Es gibt keine Hinweise für eine Entstehung in einem klösterlichen Umfeld, stattdessen lässt sich für den Namen des Schreibers ein Hauptbootsmann nachweisen, dessen Herkunftsort, Wismar, mit der Schreibsprache, nordniederdeutsch, korrespondiert. Das materielle Objekt vermerkt Etappen seiner Weitergabe: die Abholung durch eine nicht identifizierbare Person, die Weitergabe im Rahmen eines Testaments, den Eingang in einen Frauenkonvent. Auch jüngere Spuren bezeugen weitere Reiseetappen von Lübeck nach Russland und wieder zurück. Über die Rezeptionskontexte der Handschrift gibt der Nachtrag auf dem vorderen Buchdeckel Aufschluss: Sie war als Lektüre zum Zeitpunkt der Vigil gedacht, im Zentrum der Rezeption stand die Passion.

3.3.3 Ein Mischband des 16. Jahrhunderts: Die Handschrift Be In der Handschrift Be ist das Jahr der Abschrift auf dem Titelblatt des ‚Marienleben‘ notiert. Der Vermerk ist allerdings nicht mehr vollständig lesbar, da die Tinte z. T. verblasst ist und das Blatt am rechten Rand beschnitten wurde: Dit bock ys van vnser leuen vr[:] | gheschreuen in den iaren do m[:] | schreff dusent iiij hundert vnde v[:] | vnde seuentich (Bl. Ir). Die Zahl vor dem dritten Zeilenumbruch ist entweder die römische Zahl ‚v‘, ‚vi‘, ‚vii‘ bzw. ‚viii‘ oder der Anfang einer ausformulierten Zahl. Johann Friedrich August Kinderling liest an dieser Stelle die Zahl ‚vier‘ und datiert Be demnach in das Jahr 1474.193 Johann Gustav Büsching und Friedrich Heinrich von der Hagen plädieren für die römische Zahl ‚v‘ und  

191 Für eine Übersicht der Lübecker Ms. theol. germ.-Handschriften, ggf. mit Zeitpunkt der Rückführung vgl. Fligge / Mielke / Schweitzer 2001, S. 186–191. 192 Gärtner 1978, S. 128 f. Bemerkenswerterweise fehlt die Lübecker ‚Marienleben‘-Abschrift trotz ihrer Altsignatur in Krämers Auflistung der Handschriften aus dem Bestand des Lübecker Michaeliskonvents, vgl. Krämer 1989, S. 503 sowie Krämer / Bernhard 1990, S. 307. Dieses Fehlen lässt sich nur damit erklären, dass Lü im Jahr 1989 noch als verschollen galt. 193 Kinderling 1783, S. 63 transkribiert den Titelvermerk wie folgt: Dit bock ys van vnser leuen vrowe geſchreuen in den iaren do man ſchreff duſent iiii hundert vnde vier vnde ſeuentich. Seiner Datierung folgen Koch 1795, S. 127 (Nr. 27); Goedeke 1854, S. 130; Oesterley 1871, S. 12; Goebel 1905, S. 36 f. Anm. 3; Denecke 1943, Sp. 888 (Nr. 9) und Gärtner 1978, S. 70.  



106

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

nennen somit das Entstehungsjahr 1475.194 Die in den beiden Zeilen oberhalb dieser Zahl stehenden Wortanfänge vr[:] und m[:] können zu vrowe bzw. man ergänzt werden. Demnach erscheint es durchaus wahrscheinlich, dass auch hinter dem v noch Buchstaben folgten. Die Auflösung von v könnte jedoch sowohl ‚vier‘ (ver in der Schreibweise der Abschrift, vgl. S. 172, V. 4910 u. ö.) als auch ‚fünf‘ (vif in der Schreibweise der Abschrift, vgl. S. 18, V. 593 u. ö.) ergeben bzw. bei Verwendung einer römischen Zahl auch ‚vi‘, ‚vii‘ oder ‚viii‘. Da dieser Titelvermerk im 18. Jahrhundert unter Umständen noch besser lesbar gewesen sein könnte als im 19. Jahrhundert, wird Kinderlings Datierung wahrscheinlicher als Büschings und von der Hagens. In allen Fällen ist die Abschrift in die 1470erJahre zu datieren.195 Würde der Titelvermerk fehlen, dann sprächen auch die Wasserzeichen für das 15. Jahrhundert. Das Papier weist zwei unterschiedliche Wasserzeichen auf: erstens einen Ochsenkopf mit im Gesicht zentrierten Augen und zweikonturiger Stange mit sechsblättriger Blume sowie einem unterhalb ergänzten Schaft mit Sparrenkopf; zweitens eine Waage im Kreis mit runden Waagschalen und einer Aufhängung an einer Öse.196 Eine genaue Übereinstimmung konnte bei Piccard und im WZIS nicht nachgewiesen werden. Vergleichbare Wasserzeichen für den Ochsenkopf datieren in den Übergang von den 1460er- zu den 1470er-Jahren, so beispielsweise Piccard-Online Nr. 70115 (o.O., 1468) und Nr. 70117 (o.O., 1470). Die der Waage am ähnlichsten gestalteten Exemplare stammen aus den frühen 1470er-Jahren, und zwar Piccard-Online Nr. 116810 (Brescia, 1473) und Nr. 116848 (Küstrin, 1474). Die Schriftart, eine Bastarda mit gelegentlichen Schlaufen an den Oberschäften von b, d, h, k und l spricht ebenfalls für eine Datierung in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die im Anschluss an das ‚Marienleben‘ notierten Autoritäten wurden im Rahmen des Forschungsprojekts ‚Repertorium der mittelalterlichen Autoritäten‘ bereits anhand des ‚ASnA‘ einer Schreibsprachenbestimmung unterzogen und an den Ortspunkt Minden, d. h. in den ostwestfälischen Sprachraum lokalisiert.197 Merkmale, die aufgrund ihres gemeinsamen Vorkommens für diese Verortung sprechen sind: don für ‚tun‘, synt für ‚sind‘, al für ‚ganz‘, ick für ‚ich‘, wy für ‚wir‘, dusse für ‚diese‘, sulve für ‚der-, die-, dasselbe‘, lecht für ‚Licht‘ und neyn für  





194 Vgl. von der Hagen / Büsching 1812, S. 257. Ihnen folgt Degering 1926, S. 135. 195 Heiser 2006, S. 32 (Be3) umgeht das Problem des unvollständigen Jahresvermerks und nennt lediglich das 15. Jahrhundert als Abfassungszeitpunkt. 196 Eine Zeichnung beider Wasserzeichen findet sich bei Heymann 1908, Bl. 1. 197 Vgl. http://www.uni-bielefeld.de/lili/forschung/projekte/bra/Be3.html (12. Oktober 2019). Das ‚Repertorium‘ gibt keine Beispiele für die sprachliche Lokalisierung nach Minden. Diese werden im Abgleich mit dem ‚ASnA‘ hier ergänzt.

3.3 Provenienz und Weitergabe

107

‚kein‘. Auch die ‚Marienleben‘-Abschrift desselben Schreibers weist die hier genannten Formen auf. Darüber hinaus finden sich auch die ostwestfälische Form bringen statt brengen,198 schal für ‚soll‘, vrunt für ‚Freund‘ und wult für die 2. Person Singular Präsens von ‚wollen‘.199 Formen wie dridde für ‚dritte‘, or- für ‚ihr-‘ und mynsche für ‚Mensch‘ zeigen Einflüsse aus dem Ostfälischen und Nordniederdeutschen und legen damit in der Tat das in diesem Grenzgebiet liegende Minden nahe.200 Mögliche Überlieferungskontexte von Be können über zeitgenössische Nachträge erschlossen werden. Auf dem Titelblatt des ‚Marienleben‘ finden sich zwei handschriftliche Ergänzungen. Die erste lässt sich bis auf das Anfangswort ‚Item‘ nicht mehr entziffern, bei der zweiten handelt es sich um ein Rezept für erkrankte Pferde: Item den perden van si schoruede synd | Item nym lorbern spuns gron quecksuluer old ve[:] | menge to sammede.201 Ein weiterer heilkundlicher Nachtrag von derselben Hand begegnet auf S. 282 unterhalb des finalen Autoritäten-Verses: eyn gud ogenwater | j del ruden ij del huflack [:] | [t]o samede vnde mere[:] myt reynem | [w]ater vnde do das in brenden all in.202 Anhand der Schrift können beide Nachträge noch in das späte Mittelalter datiert werden, die ‚Marienleben‘-Abschrift muss sich demnach schon früh, vermutlich vor ihrer Neueinbindung, an einem Ort befunden haben, an dem medizinisches Wissen weitergegeben wurde. Wie Bernhard Schnell aufzeigt, kommen als Rezipientinnen und Rezipienten volkssprachlicher Medizinliteratur theoretisch, sofern sie lesen und schreiben konnten, verschiedene Personengruppen infrage: Der Kreis reicht von unausgebildeten Heilern (z. B. eine erfahrene Frau bzw. Mann), der sich und seine Angehörigen bzw. Untergebenen durch ‚Erste Hilfe‘-Maßnahmen oder mit Hausmitteln medizinisch versorgt, über gelegentlich in der Heilkunde praktizierende Personen wie den Badern, Hebammen, Siechschwestern und Barbieren, bis hin zum professionellen medicus, der sich, sei es als Apotheker, Wundarzt oder als studierter Mediziner, durch medizinische Tätigkeit seinen Lebensunterhalt verdient.203  

198 bringen kann auch nordniederdeutsch sein, vgl. Peters 1987, S. 77. 199 Zu ‚wollen‘ vgl. Peters 1987, S. 80. 200 Vgl. Peters 1988, S. 78, 92; Peters 2000b, S. 1481. 201 Das Rezept konnte nicht identifiziert werden. Es stammt nicht wie zunächst angenommen aus Meister Albrants ‚Roßarzneibuch‘, vgl. den Abdruck bei Eis 1960, S. 15–21. Ich danke Timo Bülters für seine hilfreichen Auskünfte zu mittelalterlichen Rezeptbüchern. 202 Dieses Rezept für Augenwasser sieht vor, ein Rautengewächs mit Huflattich zu vermengen, in Wasser einzuweichen und anschließend zu destillieren. Ich danke Britta-Juliane Kruse für ihre Hilfe bei der Entzifferung und Übersetzung (E-Mail vom 25. Oktober 2018). Das Rezept konnte nicht nachgewiesen werden. Es ist nicht Teil der unter den bei Gabriel von Lebensteins ‚Von den gebrannten Wässern‘ verzeichneten Augenwasser, vgl. Eis / Vermeer 1965, S. 28–77. 203 Schnell 1997, S. 136 f.  

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

108

Näher kann dieser Rezeptionsort von Be nur auf Basis der beiden kurzen Rezepte daher nicht beschrieben werden. Darüber hinaus finden sich in Be einige Schriftstücke, die das ‚Marienleben‘ erst seit der Neueinbindung im 16. Jahrhundert ergänzen. So klebt in beiden Spiegeln der Handschrift ein Blatt Papier, unter dem jeweils ein Pergamentblatt zu erkennen ist, das lateinischen Text in einer Textualis des 14. Jahrhunderts erhält. Von diesem Text sind nur noch wenige Einzelbuchstaben sichtbar, weshalb eine Textidentifizierung nicht möglich ist. Das eingeklebte Blatt Papier des hinteren Spiegels überliefert hingegen einen gut lesbaren, siebzehn Zeilen umfassenden Auszug aus dem zweiten Kapitel von Johannes de Sacroboscos ‚De sphaera mundi‘.204 Dieser im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts verfasste Traktat gilt als „Standardwerk der astronomischen Artesstudien“205 und fand bis in die Frühe Neuzeit hinein als Lehrbuch („Einstiegslektüre“206) an Universitäten und (Kloster-)Schulen Verwendung.207 Mit der Neueinbindung wurden dem ‚Marienleben‘-Faszikel auch zwei Drucke vorgebunden. Der erste Druck stammt aus Magdeburg, der zweite aus Köln. Wo genau der ‚Marienleben‘-Faszikel mit diesen Drucken kombiniert wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, denn die Einbandform, insbesondere die Methode des Einhakverschlusses, ist im 15. Jahrhundert so weit verbreitet, dass hieraus keine Eingrenzungen zur Verortung der Einbandherstellung abgeleitet werden können. Es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Zusammenbindung der Drucke mit dem ‚Marienleben‘ zufällig erfolgte. Dennoch lohnt es sich zu fragen, welche Hinweise diese im 16. Jahrhundert geschaffene Textgemeinschaft auf mögliche Rezeptionskontexte geben kann. Bei dem ersten Druck, Thomas a Kempis ‚Van der navolginghe Jesu Cristi‘, handelt es sich um eine niederdeutsche Gesamtübersetzung der lateinischen ‚Imitatio Christi‘ und somit um einen zentralen Text der Devotio moderna,208 der als Erbauungsbuch der geistlichen Unterweisung diente.209 Werner Williams-Krapp konnte für den süddeutschen Raum zeigen, dass die ‚Imitatio Christi‘ zumeist gemeinsam mit wei204 Das zweite Kapitel ist abgedruckt bei Brévart 1980, S. 68–74. Bei dem im Fragment überlieferten Auszug handelt es sich u. a. um S. 69, Z. 6–28 und S. 70, Z. 25–32. 205 Hamel 2014, S. 11. 206 Hamel 2014, S. 10. 207 Vgl. Hamel 2014, S. 10 f. sowie Brévart / Folkerts 1983, Sp. 732f. 208 Staubach 2003, S. 21 nennt die ‚Imitatio Christi‘ „das prominenteste Literaturerzeugnis der devoten Bewegung“. 209 Zur Textfassung vgl. Geest / Bauer / Wachinger 1995, Sp. 877 f. (Nr. 2). Kinderling 1800, S. 377 f. weist bereits auf diesen Magdeburger Druck hin. Vgl. auch https://www.ustc.ac.uk/index. php/record/628204 (12. Oktober 2019) und http://gateway-bayern.de/VD16+ZV+17808 (12. Oktober 2019). Ein Digitalisat eines zweiten in der Berliner Staatsbibliothek befindlichen Exemplars ist  







3.3 Provenienz und Weitergabe

109

teren Texten überliefert wird, die entweder die Passion Christi thematisieren, Anweisungen zum Klosterleben geben oder der Devotio moderna zugerechnet werden.210 Mit Blick auf den zweiten Druck ist für Be der zweite Fall hervorzuheben: Der ‚Spegel der sielen‘ wird im Kolophon auf Bl. 150r ausgewiesen als eyn seer nuitzberlich boich. die ewyge salicheit tzo erlangen und beschäftigt sich mit der Vorbereitung auf den Tod, u. a. unter Rückgriff auf Gebete, die zehn Gebote sowie insbesondere eine den Text abschließende, ausführliche Schilderung von Jesu Passion (Bll. 144r–150r).211 Beide Drucke sind unvollständig erhalten: Dem ersten fehlt das erste Blatt (Titelblatt, Anfang des Inhaltsverzeichnisses), dem zweiten fehlten die ersten fünf Blätter. Der erste Druck weist im ersten Sechstel Lektürespuren in der Form von Autoritätenvermerken am Blattrand und Unterstreichungen auf. Der zweite Druck ist stark in Mitleidenschaft gezogen worden, zahlreiche Blätter sind eingerissen, oftmals fehlen Blattecken (vgl. insbesondere Bll. 122r–125v). Beide Drucke sind mit Holzschnitten versehen und schalten dem ‚Marienleben‘ damit nicht nur Text- sondern auch Bildmaterial vor. Der erste Druck öffnet nach dem Inhaltsverzeichnis mit einem Holzschnitt (Bl. 4r), der das Jesuskind in den Armen von Maria zeigt. Im zweiten Druck dominieren ganzseitige Holzschnitte, die Sterbeszenarien veranschaulichen (u. a. Bll. 117v, 125v, 150v u. ö.). Die Handschrift gibt auch Hinweise auf Besitzer nach Ende des Mittelalters: Auf dem vorderen Spiegel der Handschrift und auf dem ansonsten unbeschriebenen Bl. 3v des ersten vorgebundenen Druckes begegnet die Buchstabenfolge ‚GFVE‘, die auf Bl. 4r teilweise aufgelöst wird zu ‚GFvEinem‘. Die Abkürzung ‚vEinem‘ steht vermutlich für das niedersächsische Adelsgeschlecht ‚von Einem‘, die Initialen ‚GF‘ sind vor 1770, d. h. vor dem Jahr, in dem sich die Handschrift schon nachweislich in Kinderlings Besitz befindet, nur für den Einbecker Arzt Gerhard Friedrich von Einem (1698–1781) belegt.212 Wie Kinderling im Jahr 1770 in den Besitz dieser Handschrift kommt, ist nicht überliefert. Vierzehn Jahre später macht er die Handschrift einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, indem er rund 1000 Verse im ‚Magazin für Deutsche Sprache‘  







abrufbar unter http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001908400000000 (12. Oktober 2019). 210 Vgl. Williams-Krapp 2006, S. 75. 211 Zu diesem Druck vgl. https://www.ustc.ac.uk/index.php/record/640840 (12. Oktober 2019). Im VD16 ist dieser Druck unter der Normnummer D 2079 verzeichnet, vgl. http://gateway-bayern. de/VD16+D+2079 (12. Oktober 2019). Kinderling 1800, S. 383 f. behandelt den Druck kurz und bestimmt die Schreibsprache als ripuarisch. 212 Zu dem Adelsgeschlecht von Einem vgl. Gotha 1922, S. 198–209; zu Gerhard Friedrich von Einem vgl. Gotha 1922, S. 203.  

110

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

abdrucken lässt.213 Seine intensive Beschäftigung mit Be in den darauffolgenden Jahren resultiert in zahlreichen Publikationen.214 Darüber hinaus begegnen Spuren seiner Arbeit auch in der Handschrift selbst: Unter Rückgriff auf die ‚Marienleben‘-Handschriften Wo, Ha und G verbessert er in Tinte das Reimschema und ergänzt ausgelassene Rubriken sowie Episoden.215 Kinderling fertigt auch zwei Abschriften von Be an, die sich nun ebenso wie die mittelalterliche Handschrift im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin befinden: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 7 und Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 8.216 Bei Ms. germ. qu. 7 handelt es sich um eine vollständige handschriftliche Kopie des ‚Marienleben‘ aus dem Jahr 1794, die mit der in roter Tinte geschriebenen Überschrift auf Bl. I beginnt und auch die anschließende Autoritätensammlung wiedergibt. Es fehlen die beiden vorgebundenen Drucke und die Nachträge auf Bl. I und S. 282. Auf der Titelseite verweist Kinderling explizit auf die Handschrift Wo,217 die er als Vergleichshandschrift für die Korrektur verwendet habe, und widmet seine Abschrift Johann Christoph Adelung. Kinderling löst Abkürzungen auf und berücksichtigt auch die Korrekturen, die er selbst bereits mit Tinte in der mittelalterlichen Handschrift vorgenommen hat – hierzu zählen u. a. die Überschriften, die er am Textrand von Be ergänzt und in Ms. germ. qu. 7 vor die Kapitelanfänge platziert –, liefert aber ansonsten eine sehr genaue Abschrift. Am Ende fügt er zwei nachträglich eingebundene Blätter als Specimen scriptura codicis (S. 313) an, die er seiner Abschrift Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 8 entnommen hat. Hier ahmt er die Schrift des mittelalterlichen Schreibers nach, behält die Abkürzungen sowie die Verszahl pro Seite bei und ergänzt die fehlenden Initialen zu Kapitelanfang nicht. Ms. germ. qu. 8 ist keine vollständige Abschrift der Handschrift, sie endet mit S. 54, die eben dieser Seite in der mittelalterlichen Handschrift entspricht.218 Nach Kinderlings Tod im Jahr 1807 geht die Handschrift an Friedrich Heinrich von der Hagen.219 Von der Hagens Nachlass wiederum wird im Jahr 1856 von der  

213 Vgl. den Abdruck von V. 181–1049 bei Kinderling 1784, S. 122–157 sowie die Ausführungen in Kap. 2.1 der vorliegenden Arbeit. 214 Vgl. Kinderling 1784, Kinderling 1788a/b und Kinderling 1800. 215 Für eine ausführliche Untersuchung von Kinderlings Ergänzungen vgl. Kap. 4.1.4.4. 216 Für knappe Beschreibungen beider Abschriften des 18. Jahrhunderts vgl. Degering 1926, S. 1. 217 Kinderling nennt die Handschrift nicht mit ihrer aktuellen Signatur, sondern unter der Beschreibung „cod. ms. Helmstadiensi“. Zur Identifizierung dieser Handschrift mit Wo vgl. Kap. 2.1. 218 Die folgenden Seiten 55–58 wurden in Ms. germ. qu. 7 als Schriftbeispiel eingebunden. 219 Darüber hinaus erwarb von der Hagen weitere Objekte aus Kinderlings Nachlass, vgl. von der Hagen / Büsching 1812, S. 44, 154, 350 f., 373, 397, 399.  

3.3 Provenienz und Weitergabe

111

Königlichen Bibliothek zu Berlin erworben.220 Den Kontext eines Testaments bezeugt auch ein in der Handschrift befindlicher Papierzettel, der einen Testamententwurf überliefert und vermutlich als Lesezeichen verwendet wurde.221 Im Unterschied zur Handschrift Be gingen Kinderlings Abschriften erst an Johann Christoph Adelung und aus dessen Nachlass bereits im Jahr 1816 in den Besitz der Königlichen Bibliothek.222 Abschließend lässt sich festhalten: Innerhalb des niederdeutschen Korpus enthält Be die zweitjüngste datierte Abschrift nach Lü. Sie ist nach Ostwestfalen zu verorten, eventuell an den Ortspunkt Minden. Über die nachträglich angehängten Drucke ergibt sich eine Überlieferungsgemeinschaft, die an die aus drei Faszikeln zusammengesetzte Handschrift Wo erinnert: Das ‚Marienleben‘ wird mit Texten verbunden, die erstens eine Hinwendung zu Gott auf Erden exemplifizieren bzw. einfordern und zweitens die Dringlichkeit eines gottgefälligen Lebens über die Vergänglichkeit des irdischen Lebens und die Unausweichlichkeit des Jüngsten Gerichts verdeutlichen. Im Fall von Be erfolgt dies mithilfe von Erbauungs- und Spiegelliteratur. Vergleichbar ist an dieser Stelle auch, dass der in Be überlieferte Textbestand über die neue Überlieferungsgemeinschaft komplementiert wird. Wie im vierten Kapitel noch gezeigt wird, fehlt der in Be überlieferten Fassung Jesu Passion. Diese findet über die im zweiten Druck enthaltene Passionsschilderung eine Ergänzung, die über die Ars-moriendi-Thematik des gesamten Drucks an die Rezipientinnen und Rezipienten zurückgebunden wird.

3.3.4 Herkunft: unbekannt? Die Geschichte der Handschrift O Unter den niederdeutschen ‚Marienleben‘-Handschriften gibt der Oxforder Textzeuge das größte Rätsel um seine Vergangenheit auf. Die Handschrift selbst enthält keine expliziten Hinweise auf Entstehungszeit und -ort, ihre Provenienz ist selbst der besitzenden Bibliothek unbekannt. Handschrifteneigene Merkmale geben jedoch Anhaltspunkte für die Entstehungsumstände der Handschrift und ihre Reise bis nach Oxford. Eine zeitliche Einordnung kann anhand der Schrift und des Wasserzeichens versucht werden. Bei der Schrift handelt es sich um eine schwungvoll geschriebe-

220 Vgl. Berlin, Staatsbibliothek, Acta KB III B 48. 221 Für eine Transkription des Zettels vgl. Kap. 2.1. 222 Vgl. den Eintrag zu Adelungs Nachlass im Kalliope-Verbundkatalog: http://kalliope-verbund.info/DE-611-BF-413 (12. Oktober 2019). Vgl. auch den Dienstkatalog der Quarto-Handschriften der Königlichen Bibliothek.

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

112

ne Bastarda mit den folgenden Merkmalen: einstöckiges a, Schlaufen an den Oberlängen von b, d, h, k und l, aber nur unregelmäßig an v und w, unter die Grundlinie reichende Schäfte von f und Schaft-s, eine wieder an die Grundlinie anschließende Unterlänge beim g, eine nach rechts abgeknickte Unterlänge beim y, ein v-förmiges r und ein brezelförmiges Schluss-s. Die Bastarda ist im 15. Jahrhundert die am häufigsten verwendete Schriftart,223 eine Eingrenzung innerhalb dieses Jahrhunderts kann daher nur über das Wasserzeichen erfolgen. Dieses Wasserzeichen zeigt einen Ochsenkopf mit Augen und Nasenlöchern sowie einer Stange mit einkonturigem, sechsstrahligem Stern mit geraden Enden. Es weist Ähnlichkeiten mit einem bei Piccard-Online unter der Nr. 74418 verzeichneten Wasserzeichen auf, das in Hildesheim im Jahr 1473 durch den Bischof von Hildesheim ausgestellt wurde. Das WZIS vermerkt für diesen Typus einen Verwendungsschwerpunkt ab der Mitte bis in das dritte Viertel des 15. Jahrhunderts. Die Schreibsprache von O wird von nordniederdeutschen Merkmalen bestimmt: Die Kürzung tonlanger Vokale vor Konsonant + -el, -er hat stattgefunden, nicht aber vor Konsonant + -en, wie anhand der Formen hemmel, nedder, wedder und edder bzw. weten, heten und eten deutlich wird.224 ‚Soll‘ erscheint in der Form schal, ‚Mensch‘ ausschließlich als mynsche bzw. minsche und ‚Silber‘ als sulver.225 Für das Personalpronomen der ersten Person Singular wird ik bzw. my verwendet, die Personalpronomen der dritten Person begegnen in ungerundeter Form (em, eme, ene, en, er-).226 Die Form drudde für ‚dritte‘ könnte neben nordniederdeutsch auch ostfälisch sein,227 die Zahl ‚sechs‘ ist jedoch als sos wiedergegeben (bzw. soste als Ordinalzahl) und somit eindeutig nordniederdeutsch.228 Über die Entstehung und Rezeption der Handschrift können anhand des Objekts nur wenige Aussagen getroffen werden. Die in den Spiegeln eingeklebten Pergamentfragmente mit eng geschriebenem, stark abgekürztem lateinischem Text deuten auf einen gelehrten Kontext.229 Das Fragment stimmt z. T. im Wortlaut mit Passagen aus den ‚Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis‘ des französischen Dominikaners Johannes Capreolus (ca. 1380–1444) überein, genauer mit einem Auszug aus Tomus II, Distinctiones XLIII et XLIV, Quaestio 1, Articulus II.230 Hier referiert Johannes Capreolus Argumente des englischen Franziskaners  

223 224 225 226 227 228 229 230

Vgl. Schneider 2014, S. 68. Vgl. Peters 2000b, S. 1481. Vgl. Peters 2000b, S. 1481; Peters 1988, S. 87. Vgl. Peters 1988, S. 92. Vgl. u. a. Peters 1988, S. 92. Zu dem Zahlwort ‚sechs‘ im Niederdeutschen vgl. u. a. Peters 1988, S. 90. Vgl. Gärtner / Ostermann 2017, S. 248 f. (mit Abbildung). Vgl. Paban / Pègues 1900, hier S. 547 f.  







3.3 Provenienz und Weitergabe

113

Adam Wodehams (1298–1358), die sich mit „der Fähigkeit Gottes [beschäftigen; C.O.] etwas aktual Unendliches zu schaffen“231, um sie im Anschluss zu widerlegen.232 Der vordere Spiegel zeigt unterhalb des Exlibris einen Auszug aus dem dritten Argument Adams. Der hintere Spiegel beginnt mit dem zehnten Argument, entfernt sich dann aber von Capreolus’ Wortlaut. Ob es sich demnach tatsächlich um Capreolus’ Traktat handelt, lässt sich aufgrund des begrenzten Textumfangs und der eingeschränkten Lesbarkeit – die nicht zuletzt dem aufgeklebten Exlibris geschuldet ist – nicht mehr feststellen. Der Zustand der Handschrift spricht dafür, dass die in Kapitel 3.1.5 bereits dargelegte Konzeption als handliche Gebrauchshandschrift in die Tat umgesetzt wurde: In der Gesamthandschrift begegnen Wasserflecken,233 eingerissene Blätter und fehlende Blattecken, am oberen Blattrand von Bll. 74–76 ist auch ein Einstichloch zu erkennen. Auf dem Buchdeckel finden sich vorne wie hinten tiefe Einkerbungen und Schnitte. Die Handschrift könnte zu einem nicht mehr bestimmbaren Zeitpunkt als Unterlage oder zum Schleifen eines Messers genutzt worden sein. Diese Gebrauchsspuren sind als Zeichen für eine tatsächlich stattgefundene, häufige Verwendung der Handschrift zu werten, bei der kaum Rücksicht auf ihren nachlassenden Zustand genommen wurde. Verschiedene Stationen der nachmittelalterlichen Weitergabe von O sind über nachträgliche Ergänzungen rekonstruierbar. Schlägt man die Handschrift auf, so begegnet auf dem vorderen Spiegel prominent platziert ein Exlibris, das das erste Wappen der Taylor Institution Library zeigt und den Eingang der Handschrift in den Bestand dieser Oxforder Zweigbibliothek für ‚Medieval and Modern Languages‘ für das Jahr 1861 vermerkt.234 Die Handschrift wurde somit während der Amtszeit des ersten Bibliothekars, John Macray (1847–1871), und des zweiten Professors für Modern European Languages, Friedrich Max Müller (1854–1868), erworben.235 Auch wenn die Handschrift erst zwölf Jahre nach Eröffnung der

231 Stefan Kirschner, Professor für Geschichte der Naturwissenschaften an der Universität Hamburg, E-Mail vom 14. Dezember 2018. 232 Ich danke Stefan Kirschner für seine Hilfe bei der Identifizierung und Einordnung des Fragments (E-Mail vom 14. Dezember 2018). 233 Bl. 163v zeigt besonders deutliche Wasserflecken. Hier wiederholt der Schreiber die unleserlich gewordenen letzten zwei bzw. drei Buchstaben von V. 9589–9591. Die Hand ist identisch, die Tinte hingegen tiefer schwarz. Es handelt sich demnach um einen zeitgenössischen Schaden und eine kurz darauf erfolgte Korrektur. 234 Dieses Wappen setzt sich aus dem Wappen der Oxford University und dem Wappen des Stifters der Taylor Institution Library, Sir Robert Taylor, zusammen. 235 Macray wurde bereits zwei Jahre vor Eröffnung der Bibliothek im Jahr 1849 eingestellt. Für das Jahr 1848 sind die ersten Erwerbungen für den Bibliotheksbestand bezeugt. Müller unterrichtete seit 1848 in Oxford und wurde 1854 der Nachfolger des ersten Professors für ‚Modern

114

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Taylor Institution Library im Jahr 1849 in deren Besitz kommt, gehört sie dennoch zu den frühesten Erwerbungen. Da in der Frühphase der Bibliothek noch Kosten für den Gebäudebau beglichen werden müssen, leistet man sich zunächst nur wenige Neuanschaffungen.236 Der erste gedruckte Katalog der Taylor Institution Library aus dem Jahr 1861 umfasst rund 6000 Titel und muss unmittelbar vor Eingang der ‚Marienleben‘-Handschrift verfasst worden sein, da er diese nicht führt.237 Erst der zweite handschriftliche Bibliothekskatalog, der 1870 von Macray begonnen wurde, vermerkt die Handschrift.238 Größere Erwerbungen finden in den folgenden Jahren unter Macrays Nachfolger Heinrich Krebs (1871–1921) statt, insbesondere angeregt von Müller. Erwähnenswert sind die beiden deutschsprachigen Sondersammlungen, die im 19. Jahrhundert Eingang in die Bibliothek finden: eine Inkunabelsammlung und eine umfassende Sammlung Reformationspamphlete. Mittelalterliche Handschriften waren – und sind bis heute – kein Sammlungsfokus der Bibliothek.239 Seit ihrer Gründung versteht sie sich als Lehrbibliothek und erwirbt in erster Linie Lehrmaterial. Da zu Müllers Schwerpunkten in der Lehre auch die deutsche Sprachgeschichte zählte,240 ist ein Einsatz der – damals noch nicht identifizierten – ‚Marienleben‘-Handschrift für die Lehre prinzipiell denkbar, aber nicht mehr nachweisbar. Der genaue Erwerbszeitpunkt der Handschrift lässt sich mithilfe des im Archiv der Universität aufbewahrten Registerbuchs ‚New Books added to the Library‘ näher bestimmen: Für den 5. März 1861 ist die Handschrift unter dem

European Languages‘, Francis Henry Trithen. Die Professur wurde 1868 in eine Professur für ‚Comparative Philology‘ umgewandelt, vgl. Firth 1929, S. 34–36. Für eine Geschichte der Taylor Institution Library vgl. neben Firth 1929 auch Hughes 2000. Meine folgenden Ausführungen stützen sich auf die dortigen Angaben. 236 Stattdessen wurden ältere Sammlungen übernommen: zum einen die Architekturbuchsammlung des Stifters Sir Robert Taylor und zum anderen eine umfangreiche Sammlung von Büchern und Kunstwerken, die der Universität von Robert Finch vermacht worden war, vgl. Hughes 2000, S. 310. 237 Vgl. Taylor 1861. Für einen gesonderten Katalog der ‚Finch Collection‘ vgl. Parker 1874. 238 Im ersten handschriftlichen Katalog ab 1847 fehlt die Handschrift. Der zweite handschriftliche Katalog besteht aus zwei Bänden und führt die Handschrift im zweiten Band unter ‚M‘ für ‚Manuscript‘. Sie ist hier fälschlicherweise als Quarthandschrift vermerkt. Sowohl der erste als auch der zweite handschriftliche Katalog der Taylor Institution Library befinden sich heute noch im Besitz der Bibliothek. Sie tragen keine Signatur. 239 In diesem Punkt unterscheidet sich die Taylor Institution Library von der Hauptbibliothek der Universität Oxford, der Bodleian Library. Mittelalterliche deutschsprachige Handschriften stellen zwar auch hier keinen Sammlungsschwerpunkt dar, sind aber in weitaus größerer Zahl und in der Konsequenz diverser Sammlungsschenkungen bereits seit den 1630er-Jahren vertreten. Für einen Überblick über den derzeitigen Bestand und seine Geschichte vgl. Palmer 2017. 240 Vgl. Firth 1929, S. 34.

3.3 Provenienz und Weitergabe

115

Kurztitel „Ms. in Low German, Poem in honour of the Virgin“241 notiert. Zwei Tage später führt ein Rechnungsbuch der Taylor Institution Library eine Zahlung in Höhe von £1.7.0 an „J. H. & J. Parker“242 in Oxford.243 Die Handschrift wurde demnach über den Oxforder Buchhändler John Henry & John Parker erworben, der vor allem ausländische Literatur vertrieb und der – so warb er auf den Titelseiten seiner Kataloge selbst – wöchentlich Bücherpakete aus Leipzig und Paris zum Weiterverkauf erhielt.244 Im ‚Allgemeinen Adreßbuch für den deutschen Buchhandel, den Antiquar-, Colportage-, Kunst-, Landkarten- und Musikalien-Handel sowie verwandte Geschäftszweige‘ der Jahre 1860 und 1861 bittet die Buchhandlung ausdrücklich um die Zusendung von Neuerscheinungen aus den Bereichen Archäologie, Astronomie, Biographie, Enzyklopädie, kirchliche Flugschriften, Geographie, Geschichte, Kunstliteratur, Literaturwissenschaft, Mathematik, Münzwesen, klassische/moderne/orientalische Philologie, Philosophie, Physik, protestantische Theologie, Antiquariatskataloge und Auktionskataloge.245 Für das Jahr 1861 ist unter dem Eintrag zu „Parker, J. H. & J.“ folgender Zusatz vermerkt: „Verbitten sich Einsendung von Gebet- und Erbauungsbüchern, Kinderschriften, Elementar-Schulbüchern und Kunstsachen“246. Mittelalterliche Handschriften sind daher ebenso wenig ein Verkaufsschwerpunkt von Parker’s wie ein Erwerbsschwerpunkt der Taylor Institution Library. In den späten 1850er-Jahren erwirbt die Bodleian Library über Parker’s, Oxford, zahlreiche Inkunabeln des Leipziger Buchhändlers Theodor Oswald Weigel.247 Für eine enge Verbindung der Taylor Institution Library zu Weigel über Parker’s legt ein heute noch in der Bibliothek erhaltener Katalog zur Versteigerung von Carl Ritters Bibliothek im Jahr 1861 Zeugnis ab, der sowohl einen Stempel von Parker’s als auch einen Besitzvermerk der Taylor Institution Library trägt.248 Diese Auktion fand im Mai und Juni des Jahres 1861 statt, zu einem Zeitpunkt, zu dem O

241 Oxford, Oxford University Archives, TL 3/2/1. Das Registerbuch vermerkt die Bucheingänge in die Taylor Institution Library für die Jahre 1849 bis 1871. Analog hierzu vermerkt das Protokollbuch des ‚Library Committee‘ für den 5. März 1861 die Bewilligung für diesen Kauf, vgl. Oxford, Oxford University Archives, TL 1/6/1. 242 Oxford, Oxford University Archives, TL 2/15/1. 243 £1.7.0: Ein Pfund, sieben Schilling, null Pence. In das Dezimalsystem umgerechnet entspricht dieser Betrag £1.35. 244 Vgl. Parker 185?. Der zuständige Kommissionsbuchhändler war der Leipziger Carl Friedrich Fleischer, vgl. Schulz 1860, S. 157 sowie Schulz 1861, S. 166. 245 Vgl. Schulz 1860, S. 157 sowie Schulz 1861, S. 166. 246 Schulz 1861, S. 166. 247 Vgl. Bodleian 2005, S. 2931. Zu Theodor Oswald Weigel vgl. Olbrich 1937. 248 Vgl. Ritter 1861. Die Stempel finden sich in der Ausgabe dieses Katalogs im Besitz der Taylor Institution Library.

116

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

bereits im Besitz der Taylor Institution Library war. Ein Erwerb von Weigel über Parker’s zu einem früheren Zeitpunkt bleibt denkbar, kann aber mit keinem der erhaltenen Weigelschen Auktionskataloge belegt werden.249 Für den 7. März 1861 ist die ‚Marienleben‘-Handschrift auf dem Zahlungsbeleg nach dem fünfzehn Bände umfassenden ‚Bulletin de la Classe historico-philologique de l’Académie impériale des sciences de St.-Pétersbourg‘ (£6) der zweitteuerste Kauf der Taylor Institution Library, dicht gefolgt von einer weiteren Handschrift, die unter dem Kurztitel „Mss of the 13 or 14 Cent. cont.: Flosculus dictionum etc.“ genannt wird und zu einem Preis von £1.1.0, das heißt einer sogenannten Guinee, erworben wurde.250 In der Tat erscheint die ‚Marienleben‘-Handschrift O in den Archivunterlagen der Bibliothek stets im Zusammenhang mit dieser zweiten mittelalterlichen Handschrift. Auch das Registerbuch vermerkt für den 5. März 1861 unmittelbar nachfolgend „Another Ms. various pieces in Low German & Latin”251. Hierbei handelt es sich um die heute unter der Signatur Oxford, Taylor Institution Library, MS 8° G.1. geführte lateinisch-deutsche Sammelhandschrift des 15. Jahrhunderts aus dem Erfurter Kartäuserkloster St. Salvatorberg.252 Bei einem vergleichenden Blick auf die beiden vorderen Spiegel der Handschriften MS 8° G.1. und O werden zahlreiche Gemeinsamkeiten deutlich. Beide Handschriften tragen an dieser Stelle das Wappen der Taylor Institution Library mit der Jahreszahl 1861. In beiden Fällen ist das Exlibris handschriftlich um Signaturen ergänzt, die nach Verlust ihrer Gültigkeit durchgestrichen wurden. Für MS 8° G.1. sind dies die Altsignaturen 110. e. 2., Arch. I. d. 35 und Arch. II. e. 24.253 Analog dazu trägt O die Altsignaturen 110. e. 3., 110. c. 3. und Arch. II. a. 1. Unterhalb des Wappens der Taylor Institution steht in beiden Fällen die aktuelle Signatur in Bleistift. Da beide Handschriften im zweiten handschriftlichen Katalog der Bibliothek noch keine Signatur tragen und der Bibliothekar Heinrich Krebs sich in seiner Amtszeit einer ausführlichen Neukatalogisierung des Bestan-

249 Vgl. SCIPIO. 250 Ein Pfund, ein Schilling, null Pence. In das Dezimalsystem umgerechnet entspricht dieser Betrag £1.05. Auch wenn die Guinee seit 1816 nicht mehr im Umlauf war, war diese Bezeichnung für £1.1.0 noch geläufig. Von 1858 bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden etwa £250 jährlich für den Erwerb von Büchern ausgegeben, vgl. Hughes 2000, S. 310. 251 Oxford, Oxford University Archives, TL 3/2/1. 252 Vgl. http://www.handschriftencensus.de/21345 (12. Oktober 2019). 253 Ein in MS 8° G.1. eingelegter Notizzettel zeigt unter der Signatur 110. e. 2 und der Überschrift Contenta hic eine Auflistung der in der Handschrift enthaltenen Einzeltexte. Als Verfasser lässt sich anhand der Schrift Heinrich Krebs identifizieren. Der Schriftabgleich erfolgte auf der Basis des Archivkonvoluts Oxford, Oxford University Archives, TL 3/55/1, das Briefe der Bibliothekare der Taylor Institution an Verlage und Buchhändler versammelt.

3.3 Provenienz und Weitergabe

117

des annimmt,254 wird es sich bei den 110-er Signaturen um die ältesten nach Krebs handeln, die sich wie folgt zusammensetzen: Die Zahl 110 verweist auf das Bücherregal unter dieser Nummer, das sich in der Taylor Institution Library auch heute noch auf der Galerie befindet. Die Regalbretter tragen von oben nach unten die Buchstaben ‚a‘ bis ‚h‘. Die beiden deutschsprachigen mittelalterlichen Handschriften standen gemäß ihren Signaturen auf dem gut zu erreichenden vierten Regalbrett von unten, ‚e‘. Die letzte Zahl der Signatur verweist auf die Position der Handschrift innerhalb der Regalbrettreihe: MS 8° G.1. stand an zweiter, O an dritter Stelle. Für O ist eine Umsortierung auf das Regalbrett ‚c‘ vermerkt.255 Die „Arch.“-Signaturen wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts eingeführt und für diejenigen Bibliotheksbestände verwendet, die in alten Sakristeischränken auf der Galerie standen.256 MS 8° G.1. stand zunächst im ersten dieser Sakristeischränke, muss jedoch – wie anhand der Signaturen zu erkennen ist – im Laufe des 20. Jahrhunderts zu O in den zweiten umgestellt worden sein. In diesem Sakristeischrank stand O auf dem obersten Regalbrett an erster Stelle, MS 8° G.1. auf dem fünften Regalbrett an vierundzwanzigster Stelle. Die heute gültigen MSSignaturen wurden durch den Bibliothekar Giles Barber (1970–1996) vergeben.257 Eine weitere Gemeinsamkeit in den jüngeren Zusätzen der beiden Handschriften MS 8° G.1. und O zeigt sich am linken Rand des vorderen Spiegels. In beiden Handschriften ist ein um 90° nach links gedrehter Ausschnitt eines Auktionskataloges eingeklebt. MS 8° G.1.: Manuscript auf Papier aus dem 13. od. 14. Jhrh. Enth.: Flosculus dictionum; De concept. b. virg. Mariae; Vulgarizationes theutonistae Evangell. Glossae theutonistae (Niederdeutsch) etc. Hymnen mit musikal. Noten 253 Bl. 4 Im MS 8° G.2.: Manuscript auf Papier aus dem Ende des 14. Jahrh.258 Deutsches Gedicht zu Ehren der hl. Jungfrau (circa 8000 Verse.) 163 Bl. in kl. 8. Beg.: Maria moder Konighinne – Alle de werlde erloserinne.259

254 Vgl. Morgan 1980, S. 199. 255 Diese Umsortierung lässt sich auch anhand der ‚Handlist‘ der Bibliothek nachvollziehen, die zu Krebs’ Amtszeit und vermutlich vom Bibliothekar George Parker erstellt wurde. Diese Dokumente befinden sich auch heute noch im Besitz der Taylor Institution Library, tragen jedoch keine Signatur. Ich danke Jill Hughes für diese Auskunft. Vgl. Oxford, Taylor Institution Library, Handlists [ohne Signatur], Bd. 103–149, unter ‚110. c.‘ und ‚110. e.‘ 256 „Arch.“ ist die Abkürzung für ‚Archives‘. 257 Der Signaturpart „8°“ ist irreführend: O ist in der Tat eine Oktavhandschrift, MS 8° G.1. hingegen eine Quarthandschrift. 258 Bei der Datierung in das 14. Jahrhundert könnte es sich um einen absichtlichen Eingriff zur Wertsteigerung handeln, der für die Auktion vorgenommen wurde. 259 In beide Ausschnitte hat Krebs korrigierend mit Bleistift eingegriffen: In MS 8° G.1. strich er die Blattzahl „253“ durch und ersetzte sie am linken Rand durch „260“. In O spezifizierte Krebs die

118

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Beide Schnipsel zeigen eine identische Gestaltung: Das erste Wort – in beiden Fällen „Manuscript“ – erscheint in Halbfettdruck und ist 1,4 cm lang, das initiale ‚M‘ ist 0,2 cm hoch und ebenso breit. Beide Ausschnitte haben eine Länge von 9 cm und weisen demnach auf einen schmalen Auktionskatalog hin. Die Einträge umfassen jeweils vier Zeilen mit einer Höhe von 1,1 cm, die zweite bis vierte Zeile beginnt um 0,3 cm nach rechts eingerückt. Der zweite handschriftliche Katalog der Bibliothek führt die beiden Handschriften unter dem Incipit dieser Auktionskatalogeinträge, sie müssen demnach bereits 1870 Teil der Handschrift gewesen sein. Nach Auskunft von Jill Hughes, Bibliothekarin der Taylor Institution Library von 1970 bis 2013, war das Einkleben von Auktionsbucheinträgen auch im 19. Jahrhundert keine gängige Praxis der Bibliothek, weshalb anzunehmen ist, dass die Einträge bereits bei dem Verkauf durch den Antiquar auf dem vorderen Spiegel angebracht waren.260 Der passende Katalog konnte nicht ermittelt werden, die Textgestaltung ähnelt jedoch eindeutig den Katalogen der Berliner Buchhandlung Friedländer & Sohn.261 Auch die Zahlenfolgen, vermutlich Inventarnummern, die im vorderen Spiegel sowohl mit Bleistift als auch in farbiger Schrift ergänzt wurden, sind vergleichbar. MS 8° G.1. trägt die mit Bleistift geschriebene Nummer 8162 am oberen linken Rand des vorderen Spiegels. Diese Zahlenfolge erscheint auch auf Bl. 1r, ebenfalls in der oberen linken Ecke. O führt in der oberen linken Ecke des vorderen Spiegels die mit Bleistift geschriebenen Nummern ‚271‘ und ‚16014‘. Eine dritte Zahlenfolge erscheint unterhalb des Exlibris der Taylor Institution in schwarzer Tinte: ‚2542‘. In beiden Handschriften ist die falsche Blattzahl aus dem Auktionskatalog direkt auf dem vorderen Spiegel in farbiger Schrift vermerkt: ‚253‘ (gelb) in MS 8° G.1. und ‚163 bll.‘ (orange) in O. Im Gegensatz zu O gilt die Provenienz von MS 8° G.1. als gesichert: Die mittelalterliche Bibliothekssignatur ‚H 118‘ auf dem oberen Buchdeckel sowie die unterhalb angebrachte Inhaltsbeschreibung Flosculus dictionum vulgarizatio euangeliorum dominicalium Historia de concepcione b. Marie virginis pro officio domino Theutonicalis glosa misse bezeugen die Herkunft der Handschrift aus dem Erfurter Kartäuserkloster St. Salvatorberg, dessen Ende des 15. Jahrhunderts von

Schreibsprachenbestimmung zu „Nieder- oder Platt-[Deutsch]“ und änderte die Seitenzahl zu „170“. Von einer Korrektur kann in Bezug auf die Blattzahl in beiden Fällen nicht die Rede sein: MS 8° G.1. umfasst 261 statt 260, O 171 statt 170 Blätter. 260 An dieser Stelle sei Jill Hughes herzlich für ihre Auskünfte zur Geschichte der Taylor Institution Library am 8. November 2017 gedankt. 261 Ein in Oxford befindliches Verzeichnis von Friedländer & Sohn aus dem Jahr 1867 (Signatur: 2594 e. 378) trägt auf dem Deckblatt einen Stempel von John Parker Oxford. Parker’s bezog demnach zumindest die Kataloge dieses Berliner Buchhändlers.

3.3 Provenienz und Weitergabe

119

Jacobus Volradi erstellter Katalog unter eben dieser Signatur eine Handschrift mit diesem Inhalt führt.262 Ein nächster Vermerk der Handschrift erscheint erst in Georg Heinrich Schäffers Auktionskatalog der ‚Bibliotheca Büloviana‘ aus dem Jahr 1836.263 Die Handschrift war damit Teil der umfassenden Bibliothek von Friedrich Gottlieb Julius von Bülow, Stiftungsregierungsrats in Beyernaumburg bei Sangershausen, die am 10. Oktober 1836 in Eisleben zum Verkauf angeboten wurde. Zwei weitere Besitzer sind auf Bl. 1r mit Bibliotheksstempeln vermerkt:264 Neben dem Besitzstempel des Musikwissenschaftlers Franz Commer (1813– 1887),265 findet sich ein deutlich verblasster Besitzstempel eines Vorbesitzers. Der Stempel entspricht keinem bekannten historischen Bibliotheksstempel und wird demnach einer Privatperson zuzuordnen sein.266 Der mittelalterliche Bibliothekskatalog des Kartäuserklosters St. Salvatorberg erwähnt im Kontext einer „Einleitung in die Bibelwissenschaft“267 auch eine volkssprachliche, apokryphe Marienvita.268 Gärtner vermutet dahinter die ‚Marienleben‘-Handschrift P.269 Seiner These kann mit den Ergebnissen dieses Kapitels nicht widersprochen werden, denn dem Einband von O fehlt eine Signatur im Stil der Erfurter Kartäuserbibliothek. Stattdessen kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass MS 8° G.1. sich schon vor ihrer Aufnahme in die Oxforder Taylor Institution in einer Sammlungsgemeinschaft mit einem ‚Marienleben‘ befand. Wie die Analyse gezeigt hat, können für die Handschrift O hauptsächlich Aussagen über ihre nachmittelalterliche Verwendung getroffen werden. Entstanden um die Mitte des 15. Jahrhunderts als Gebrauchshandschrift im Taschenbuchformat gelangt sie erst im 19. Jahrhundert in einen Bibliothekskontext, in dem jedoch weder ihre Texte noch ihre Herkunft untersucht werden.

262 Zu Jacobus Volradis Katalog vgl. u. a. Röckelein 2014, S. 128 f. 263 Vgl. Schäffer 1836, S. 34 (Nr. 401). 264 Auf Bl. 1v befindet sich ein Bibliotheksstempel der Taylor Institution Library. 265 Zu Commer vgl. Fellerer 1957. 266 Es ließ sich kein vergleichbarer Stempel bei Jammers 1998 finden. 267 Lehmann 1928, S. 270. 268 Vgl. Lehmann 1928, S. 276: Ephiphanius episcopus de infancia Christi et beate virginis, apocrifum est, eciam habetur Q. in vulgari. Lehmann weist in einer Fußnote darauf hin, dass eine Zahl hinter dem Buchstaben ‚Q‘ für die vollständige Signatur fehlt. Zur Erfurter Kartäuserbibliothek vgl. auch Kleineidamm 1983. 269 Vgl. Gärtner 1978, S. 161. Der Pommersfeldener Bibliotheksbestand war zunächst im Schloss Gaibach untergebracht, wo die Pommersfeldener ‚Marienleben‘-Handschrift gemäß ihrer Signatur neben einer ‚Vita‘-Abschrift gestanden haben muss. Da belegt ist, dass der Erzbischof von Mainz, Graf Lothar Franz von Schönborn (1655–1729), Handschriften des Erfurter Kartäuserklosters erwarb, geht Gärtner davon aus, dass er ‚Vita‘ und ‚Marienleben‘ gemeinsam aus dem Kloster St. Salvatorberg nach Gaibach brachte.  



120

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

3.3.5 Niederdeutsch statt westmitteldeutsch: Das frühe Fragment Nr. 110 Da das Fragment Nr. 110 aus Pergament ist, kann eine zeitliche Einordnung nicht wie in den vorherigen Fällen anhand des Wasserzeichens erfolgen, sondern nur über eine Schriftanalyse versucht werden. Es handelt sich um eine Textualis, d. h. um eine Schriftart, die ab der Mitte des 13. bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts Verwendung fand.270 Das zweistöckige, weit über die Mittelzone hinaus erhöhte a und das achtförmige auf die Mittelzone hochgezogene g sprechen für das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts.271 Das Fragment umfasst nur sechsundzwanzig unvollständige Verse. Dieser geringe Umfang erschwert die Schreibsprachenanalyse. Schiewer bestimmte den Text ohne weitere Angaben als westmitteldeutsch.272 Er orientiert sich dabei vermutlich an den Formen, bei denen k postvokalisch zu ch bzw. p zu f verschoben ist: mach[ete] (Bl. 2r, Z. 7 = V. 8589); manichualt (Bl. 1v, Z. 5 = V. 8696); drūch (Bl. 2v, Z. 3 = V. 8718); iunch (Bl. 2v, Z. 4 = V. 8719); minnichlich (Bl. 2v, Z. 5 = V. 8720); mach (Bl. 2v, Z. 7 = V. 8722); ſtaf (Bl. 2r, Z. 1 = V. 8582).273 Ein Vergleich mit den Parallelstellen in den Handschriften W, O und Be – die Passage fehlt in Lü und Wo – zeigt jedoch, dass diese Formen auch in niederdeutschen Abschriften vorkommen. W führt für V. 8589 ebenfalls machte (O: makede, Vers fehlt in Be), alle drei Handschriften haben man(n)ichualt in V. 8696 und mynnelich (W) bzw. minnichlich (O/Be) in V. 8720. O führt in V. 8722 ebenfalls mach (W/Be: maket) und sowohl in W als auch in O begegnet staf in V. 8582 (Vers fehlt in Be). Lediglich die Formen drūch und iunch in V. 8718 f. sind nicht bezeugt: Hier haben W, O und Be drunk, während iunch in W fehlt und iunk in O und Be steht. Mit ſprakē (Bl. 2r, Z. 6 = V. 8587) und Vp (Bl. 2r, Z. 5 = V. 8586) weist Nr. 110 jedoch auch zwei Formen auf, bei denen keine Verschiebung stattgefunden hat. Die Verwendung von dat (u. a. Bl. 1r, Z. 3 = V. 8561) kann ebenso westmittel- wie niederdeutsch sein und auch die ungerundeten Personalpronomen ere und ene (Bl. 2r, Z. 4 = V. 8585) können sowohl für den niederdeutschen (westfälischen/nordniederdeutschen) als auch für den westmitteldeutschen Sprachraum sprechen.274 Eindeutig niederdeutsch sind hingegen die Formen nūber (Bl. 2v, Z. 2 = V. 8717) und iūber (Bl. 2v, Z. 4 = V. 8719) „mit etymologisch unberechtigtem b“275. Die westmitteldeutsche ‚Marienleben‘Handschrift H aus der Mitte des 14. Jahrhunderts hat vmmer bzw. nvmmer, wäh 





270 271 272 273 274 275

Vgl. Schneider 2014, S. 39. Vgl. Schneider 2014, S. 46. Vgl. Schiewer 2002, S. 344 (Nr. 25). Für eine Transkription des Fragments vgl. Kap. 4.4.1. Vgl. Stannat 1959, S. 65*. Lasch 1914, S. 145 (§ 267).

3.3 Provenienz und Weitergabe

121

rend die frühe niederdeutsche Handschrift W an dieser Stelle ebenfalls number und iumber führt. Innerhalb des niederdeutschen Sprachraums lässt sich das Fragment jedoch aufgrund seines äußerst knappen Versumfangs nicht mehr eindeutig einer bestimmten niederdeutschen Schreibsprache zuordnen. Lediglich das Ostfälische kann aufgrund der ungerundeten Pronomen ausgeschlossen werden.276 Über die Herkunft des Textzeugen ist wenig bekannt: Der erste nachweisbare Besitzer ist der Mediävist Hartmut Beckers.277 Sein Sammlungsinteresse galt insbesondere ripuarischen Textzeugen,278 auch er verortete das Fragment demnach vermutlich nicht im niederdeutschen Sprachraum. Nach seinem Tod im Jahr 1996 erwirbt der Handschriftensammler Hans-Jörg Leuchte es aus seinem Nachlass.279 Seit 2003 wird die sogenannte ‚Sammlung Leuchte‘ in der Universitätsbibliothek Freiburg verwahrt, seit 2006 gehört sie auch in ihren Besitz.280

3.3.6 Das verschollene Fragment I: Der älteste Textzeuge Nr. 35 Das Fragment Nr. 35 ist dank eines Kolophons genau datierbar: Dit buch is geschreuen na godes bort dusent iar. dre hundert iar. In deme verentwinteghesten iare. In deme daghe der heyligen driualdicheyt.281 Die Abschrift wurde demnach am 10. Juni 1324 fertiggestellt, nur acht Jahre nach dem Terminus ante quem für die Abfassung des ‚Marienleben‘ durch Bruder Philipp.282 Aufgrund dieser Frühdatierung ist Nr. 35 sowohl für die Gesamtüberlieferung von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ als auch für das Niederdeutsche von besonderer Bedeutung. Zum einen handelt es sich hierbei um den frühesten datierten Textzeugen der gesamten ‚Marienleben‘-Überlieferung, zum anderen um ein äußerst frühes Textzeugnis für eine literarische Verwendung des Niederdeutschen.283

276 Ulrich Seelbachs eingangs (vgl. S. 38) erwähnter Neufund im Landesarchiv Münster lässt an dieser Stelle eine Spezifizierung zu: Die Fragmente sind im westlichen Westfalen zu verorten. Für eine ausführliche Schreibsprachenbstimmung vgl. Ostermann / Seelbach 2020. 277 Über den Erwerb des Fragments durch Beckers ist nichts bekannt, diesbezügliche Unterlagen liegen der Universitätsbibliothek Freiburg nicht vor. Für diese Auskunft danke ich Axel Vogt (E-Mail vom 7. Dezember 2018). 278 Für diese Auskunft danke ich Gunhild Roth (E-Mail vom 25. November 2018). 279 Mit Beckers Nachlass hat sich zuletzt Roth 2018 am Beispiel der nun in Berlin verwahrten Fragmente auseinandergesetzt. 280 Ich danke Regina D. Schiewer für ihre ausführlichen Informationen zur Erwerbsgeschichte von Nr. 110 (E-Mail vom 7. August 2018). 281 Zitiert nach Goebel 1905, S. 38. 282 Für einen Kalender zum Jahr 1324 vgl. Grotefend 1982, S. 192 f. 283 Vgl. Peters 2000a, S. 1413.  

122

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Im Anschluss an das ‚Marienleben‘ folgt erst eine niederdeutsche Subscriptio, dann eine oberdeutsche Adventspredigt. Diese Sprachkombination zeigt, dass es sich um einen niederdeutschen Schreiber handelt, der beider Schreibsprachen mächtig ist: Vermutlich schrieb er eine oberdeutsche Predigt von einer oberdeutschen Vorlage, ein niederdeutsches ‚Marienleben‘ von einer niederdeutschen Vorlage ab und ergänzte eben diese um einen Nachtrag in der ihm geläufigen Schreibsprache.284 Da somit bereits die Vorlage von Nr. 35 niederdeutsch gewesen sein muss, rückt der Beginn der niederdeutschen ‚Marienleben‘-Überlieferung noch näher an den Terminus ante quem. Für die Schreibsprache des ‚Marienleben‘-Fragments sind folgende Auffälligkeiten festzuhalten: Es finden ausschließlich die ungerundeten Personalpronomen Verwendung: en für ‚ihnen‘, em für ‚ihm‘, eren für ‚ihren‘ und er für ‚ihr‘. Damit kommt nur der westfälische oder nordniederdeutsche, nicht aber der ostfälische Sprachraum in Betracht.285 Unterstützt wird diese Eingrenzung über die Form godes für den Genitiv Singular von ‚Gott‘, die laut ‚ASnA‘ ebenfalls im Westfälischen und Nordniederdeutschen dominiert.286 Spezifisch nordniederdeutsch und nicht westfälisch sind die Pronomen uns, dit und de sulue.287 Die an das ‚Marienleben‘ anschließende Predigt bringt Philipps Werk in einen Zusammenhang mit der Vorweihnachtszeit. In der Tat geben verschiedene Aspekte der gesamten deutschsprachigen Überlieferung Anlass zu der Vermutung, dass das ‚Marienleben‘ zu dieser Zeit im Kirchenjahr besonders intensiv rezipiert wurde. So überliefert beispielsweise die Handschrift Panschwitz-Kuckau, Kloster St. Marienstern, Cod. B 1716-717 Oct. 11 [Sigle Nr. 34] einen Auszug aus Philipps ‚Marienleben‘ (V. 9204–10115, d. h. fast den vollständigen Episodenblock K und den Großteil des Epilogs) gerahmt von weiteren liturgischen Schriften, die den Ereignissen um Christi Geburt zuzuordnen sind, u. a. die lateinische ‚Missa de nativitate‘, eine deutschsprachige Weihnachtspredigt und eine lateinische Dichtung über die elf Zeichen bei Jesu Geburt.288 Die Abschrift Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. poet. et phil. 4° 8 [Sigle St] wiederum wurde zu Weihnachten begonnen und in der Nachweihnachtszeit fertiggestellt.289 Vor dem Hintergrund dieses Befunds vermutet Gärtner in seiner Untersuchung der Überlieferungsgeschichte,  



284 Vgl. hierzu Gärtner 1978, S. 133, 374. 285 Vgl. Peters 1988, S. 94 f. 286 Vgl. die Karte zum Genitiv Singular von ‚Gott‘ bei Peters 2017a, S. 59. Im Ostfälischen überwiegt goddes. 287 Vgl. Peters 2000b, S. 1481. 288 Ausführlicher zu Nr. 34 bei Sieber 1883, Gärtner 1978, S. 130 f. sowie insbesondere bei Ochsenbein 2003. 289 Vgl. Bl. 2r sowie Gärtner 1978, S. 168.  



3.3 Provenienz und Weitergabe

123

dass das ‚Marienleben‘ „gerade in der Weihnachtszeit hervorgeholt, gelesen und abgeschrieben“290 wurde. Der erste bekannte Besitzer von Nr. 35 ist der Heimatforscher Hans MüllerBrauel aus dem niedersächsischen Zeven, der das Fragment zu einem unbekannten Zeitpunkt in einem Lüneburger Antiquariat erwirbt.291 Der Kauf muss vor oder in den Jahren 1897–1898 erfolgt sein, denn in diesem Zeitraum sieht Conrad Borchling das Fragment bei Müller-Brauel ein und liefert eine kurze Beschreibung, in der er es als Einbandmakulatur identifiziert.292 Nach Müller-Brauels Tod im Jahr 1940 ging sein Nachlass an verschiedene Familienmitglieder und Institutionen, unter anderem an das Museum Kloster Zeven und das Beethoven-Haus in Bonn.293 Die deutschsprachigen Fragmente aus Müller-Brauels Besitz, darunter das ‚Marienleben‘-Fragment, gelten seitdem als verschollen.294

3.3.7 Das verschollene Fragment II: Der Inkunabel-Einband Nr. 118 In seiner Beschreibung datiert Konrad Mylord-Möller das Fragment Nr. 118 auf ca. 1400 und belegt diese zeitliche Einordnung mit vergleichbaren, nicht näher benannten Handschriften aus dem Besitz der Dänischen Königlichen Bibliothek.295 Seine Datierung kann, solange das Fragment als verschollen gilt, nicht überprüft werden. Die Schreibsprache kann hingegen anhand von Mylord-Möllers Transkription näher bestimmt werden: Die Personalpronomen der dritten Person begegnen ausschließlich in der ungerundeten Form (em, eme, en, ene, er-), womit das ostfälische Sprachgebiet ausgeschlossen werden kann.296 Die Kürzung tonlanger Vokale vor Konsonant + -er hat stattgefunden (z. B. wedder, nummer), nicht aber vor Konsonant + -en (z. B. laten, komen, gripen, lepen, vormeten).297 Dieser Befund spricht ebenso für das Nordniederdeutsche wie scal für ‚soll‘, wor für ‚wo‘ und minsche für ‚Mensch‘.298  



290 Gärtner 1978, S. 169. 291 Vgl. Goebel 1905, S. 37. 292 Vgl. Borchling 1899, S. 80, 236. 293 Für diese Auskunft danke ich Kurt Gärtner. Neben ihm hat auch der Hamburger Antiquar Jörn Günther in den vergangenen Jahren leider erfolgslos versucht, den Verbleib von Nr. 35 in Auskunft zu bringen, vgl. Gärtner 1978, aktualisierte Version 2012, S. 119 Anm. 72. 294 Vgl. die vier Einträge zum Privatbesitz Müller-Brauel im Handschriftencensus: http://www. handschriftencensus.de/hss/Privat (12. Oktober 2019). 295 Vgl. Mylord-Möller 1923, S. 48. 296 Vgl. Peters 1988, S. 94 f. 297 Vgl. Peters 2000b, S. 1481. Für wedder vgl. auch die Karte bei Peters 2017a, S. 62. 298 Vgl. Peters 2000b, S. 1481.  

124

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Das nun verschollene Fragment war Anfang des 20. Jahrhunderts nachweislich im Besitz von Sigurd Wandel (1875–1947),299 einem Kopenhagener Kunstprofessor, Künstler und Büchersammler, dessen Interesse vor allem dem Buch als (Kunst-)Objekt und weniger dem mit ihm überlieferten Text galt.300 Laut Konrad Mylord-Möller erwarb Wandel das Fragment bei einem Dresdner Antiquar namens Lentner, „dessen Geschäft jetzt nicht mehr besteht“301, ein Antiquariat unter diesem Namen lässt sich für Dresden jedoch nicht mehr nachweisen. Die Lentnersche Buchhandlung in München erlangte im frühen 20. Jahrhundert zwar eine überregionale Bekanntheit, hielt jedoch nie eine Dependance in Dresden.302 Wandel selbst berichtet, dass er seine Sammlertätigkeit bereits im Alter von siebzehn Jahren aufnahm – „Uvidende var jeg som et Paaskelam og samlede paa Instinkt“303 –, aber erst auf späteren Auslandsreisen ein Sammlungsprinzip entwickelte. Eine dieser Auslandsreisen wird sein Besuch in Dresden gewesen sein. Sein Interesse galt zu diesem Zeitpunkt in erster Linie historischen Bucheinbänden und mit Holzschnitten illustrierten Büchern aus dem 15. und 16. Jahrhundert.304 Das Kopenhagener Fragment diente vor seiner Herauslösung als Einband einer Inkunabel und entspricht demnach diesem Sammlungsschwerpunkt. Sigurd Wandels Büchersammlung wurde Anfang Februar 1923 über das Auktionshaus Chr. Hee’s Efterf. [Efterfølger] versteigert,305 das ‚Marienleben‘-Fragment gilt seitdem als verschollen. Im Auktionskatalog, der von Wandel selbst zusammengestellt wurde,306 sind im Unterkapitel „Fragmenter af middelalderlige Manuskripter“307 einhundertachtzehn Fragmente gelistet. Bei dem Kopenhagener ‚Marienleben‘-Fragment handelt es sich vermutlich um den folgenden Eintrag: 147. Versificeret tysk Passionshistorie. c. 1450. To Blade. – Indb.308

299 Vgl. Mylord-Möller 1923, S. 48. 300 Wandel 1923, S. 38 beschreibt seine Beschäftigung mit seiner Sammlung als „Opdagelsesrejse i Materialet“ – eine Entdeckungsreise im Material. Zu Wandel als Büchersammler vgl. auch Pedersen 2012. 301 Mylord-Möller 1923, S. 48. 302 Ich danke Pia Selmayr und der Buchhandlung Lentner für diese Auskunft. 303 Wandel 1923, S. 37. In Übersetzung: „Unwissend war ich wie ein Osterlamm und sammelte nach Instinkt“. 304 Vgl. Wandel 1923, S. 38. Auch der Auktionskatalog, Hee’s Efterf. 1923, bezeugt diesen Sammlungsschwerpunkt. 305 Vgl. Hee’s Efterf. 1923. Als Kommissionäre werden die Kopenhagener Antiquariate Hermann H. J. Lynge und das Skandinavisk Antiquariat genannt. 306 Vgl. Lynge 1923, S. 39 Anm. 1. 307 Hee’s Efterf. 1923, S. 9. 308 Hee’s Efterf. 1923, S. 9.

3.3 Provenienz und Weitergabe

125

Nach der im selben Jahr von Mylord-Möller verfassten Beschreibung umfasst das Fragment in Wandels Besitz ein Doppelblatt („To Blade“ – zwei Blätter; „Indb.“ – gebunden) und ist in das 15. Jahrhundert zu datieren.309 Der von ihm transkribierte Textbestand entstammt dem Passionsteil des ‚Marienleben‘.310 Auf der Grundlage der Materialität, der Datierung und des Umfangs erscheint die Identifizierung des Fragments mit Nr. 147 des Auktionskatalogs als äußerst wahrscheinlich. Neben diesem Eintrag könnten theoretisch nur noch zwei weitere Fragmentkonvolute in Frage kommen: 171–78. 8 forskellige Fragmenter af Manuskripter med tysk Tekst. 15–16. Aarh. Fol., 4° og 8°. – Indb. 190–262. Samling af 73 forskellige Manuskriptfragmenter fra 10–15. Aarh. Fol., 4° og 8°. – Indb.311

Diese beiden Konvolute wurden jedoch, wie ein annotiertes Exemplar des Auktionskatalogs der Dänischen Königlichen Bibliothek belegt, vom dänischen Reeder und Büchersammler Hugo Marx-Nielsen ersteigert.312 Die acht explizit als deutschsprachig geführten Fragmente verkaufte Marx-Nielsen zwei Jahre später über den Chicagoer Buchhändler Walter M. Hill an die University of Chicago Library. Diese erwarb darüber hinaus auch sechzig Fragmente des zweiten Konvoluts.313 Zwölf der übrigen dreizehn Fragmente in Marx-Nielsens Besitz gingen im selben Jahr an K.A. Jacobsen, über den Verbleib des übrigen Fragments ist nichts bekannt.314

309 Vgl. Mylord-Möller 1923, S. 48. 310 Vgl. Mylord-Möller 1923, S. 45–48. 311 Hee’s Efterf. 1923, S. 10. 312 Für diesen Hinweis und die freundliche Bereitstellung eines Scans des Katalogexemplars danke ich Erik Petersen von der Dänischen Königlichen Bibliothek (E-Mail vom 16. August 2018). Die Dänische Königliche Bibliothek beteiligte sich ebenfalls an der Auktion, erwarb das ‚Marienleben‘-Fragment aber nicht. Bei ihren Erwerbungen handelt sich um die Auktionskatalognummern 145 (Petrus Lombardus: ‚Glossa in psalmos‘), 267 (Thomas Clitau: ‚Philalethe‘) und 278 (syrisches Bibelfragment). Der handschriftliche Katalog der Königlichen Bibliothek führt zwei weitere Erwerbungen mit Verweis auf Wandels Auktion. Diese konnten jedoch bisher keinem Eintrag im Auktionskatalog zugeordnet werden: ‚Brudstykker af did. Digt‘ (Fragmente eines didaktischen Gedichts) und einen Druck von 1571 (‚Calendarium historicum‘). 313 Vgl. Chicago Magazine 1926, S. 342; Hanson 1926, S. 3; de Ricci 1935, S. 592; Rosenthal 1958, S. 14 f. und Clement 1987, S. 62. Die ‚Wandel Collection of Medieval and Renaissance Manuscript Fragments‘ konnte dank einer Geldschenkung der Alumna Shirley Farr erworben werden, vgl. Raney 1930, S. 28. Sie befindet sich weiterhin, nun unter der Signatur MS 686, im Besitz der University of Chicago Library. Bernhard Bischoff sah die Fragmentsammlung im Jahr 1959 ein, aber publizierte seine Untersuchungsergebnisse nicht, vgl. Weinrich 1990, S. 48 Anm. 6. 314 Vgl. Jacobsen 1985, S. 115, 125.  

126

3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Nr. 147 hingegen wurde laut annotiertem Auktionskatalog für einen Preis von 20 kr an „V. Petersen“ verkauft.315 Es könnte sich hierbei um ‚Victor Petersen‘ handeln, den damaligen Archivar des Universitätsarchivs Kopenhagen.316 Das Universitätsarchiv besaß in der Tat eine Sammlung mittelalterlicher Pergamentfragmente,317 die nach Petersens Tod im Jahr 1936 zunächst an das Reichsarchiv Kopenhagen,318 dann an die Dänische Königliche Bibliothek gingen.319 Die Dänische Königliche Bibliothek besitzt jedoch kein Fragment, das auf die Beschreibung von Mylord-Möller passt.320 Auf der Suche nach dem verlorenen Fragment konnte demnach zwar der Name des Käufers und der Kaufpreis ermittelt werden, eine genaue Lokalisation war aber nicht möglich. Eine Einsicht der Wandelschen Fragmente im Besitz der University of Chicago Library hat zudem gezeigt, dass diese ausnahmslos in künstlerisch gestalteten Einbänden gefasst wurden, auf deren vorderen Spiegeln ein Exlibris von Sigurd Wandel und seiner Frau Gudrun Wandel klebt.321 Eine derartige Gestaltung ist demnach auch für das weiterhin verschollene ‚Marienleben‘-Fragment Nr. 118 anzunehmen.

3.3.8 Das ‚Marienleben‘ als Einbandmakulatur: Das Fragment Nr. 115 Das Fragment Nr. 115 kann anhand seines Beschreibstoffs und in Abgleich der Schriftart auf die Mitte des 15. Jahrhunderts datiert werden. Das Papier weist zwei

315 Dieser Preis ist vergleichsweise gering. Lynge 1923, S. 43–51 listet für ausgewählte Beispiele aus Wandels Katalog Käufer und Verkaufspreise, die sich zumeist im dreistelligen Bereich befinden. Die gesamte Auktion (1808 Nummern) erwirtschaftete 51632 kr, vgl. Lynge 1924, S. 179. 316 Petersen veröffentlichte drei Jahre vor der Auktion in einem Sammelband eine Bestandsübersicht des Universitätsarchivs und wird dort im Inhaltsverzeichnis als Bibliothekar ausgewiesen, vgl. Petersen 1920. Bender 1978, S. 513 und Clausager 1978, S. 214 nennen ihn Universitätsarchivar. 317 Vgl. Bender 1978, S. 527. 318 Vgl. Bender 1978, S. 514 sowie Clausager 1978, S. 214. Für eine Übersicht über die Sammlungsschwerpunkte des Universitätsarchivs Kopenhagen vgl. Bender 1978, S. 528 f. 319 Für diese Auskunft danke ich Michael H. Gelting, Archivar am Rigsarkivet (E-Mail vom 17. September 2018). 320 Für eine Übersicht der mittelalterlichen Fragmente im Bestand der Dänischen Königlichen Bibliothek vgl. Andersen / Raasted 1983. Zum Fragmentbestand in dänischen Instituten vgl. auch Tortzen 1999. 321 Auf diesen Einband verweist die Abkürzung ‚Indb.‘ [Indbundet] in den oben zitierten Auktionskatalogeinträgen.  

3.3 Provenienz und Weitergabe

127

unterschiedliche Wasserzeichen auf:322 erstens eine nach oben offene Krone ohne Bügel, ohne Beizeichen, mit blattförmigen Enden und dreikonturigem Reif, die Ähnlichkeiten mit dem bei Piccard als Typ I,322 verzeichneten, im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts weit verbreiteten Kronen-Wasserzeichen aufweist.323 Zweitens zeigt das Papier einen Ochsenkopf mit Augen und Nasenlöchern sowie einer einkonturigen Stange mit einkonturigem Stern, der an Briquet-Nr. 15045 (Genf, 1420 und 1455) erinnert.324 Die Schrift ist, wie für das 15. Jahrhundert typisch, eine regelmäßige Bastarda, die gekennzeichnet ist durch ein einstöckiges a, Schlaufen an den Oberlängen von b, d, h, k und l, weit unter die Grundlinie reichende Schäfte von Schaft-s und f, einen nach links verlängerten Bogen des offenen g und ein kantiges k. Anhand der Schreibsprache lässt sich die Abschrift von Nr. 115 in Ostfalen verorten. Zu den zahlreichen ostfälischen Kennzeichen gehören die gerundeten Personalpronomen (om, ome, one, on, or-, ot), die Kürzung tonlanger Vokale vor Konsonant + -el, -er, -en und -ich (z. B. eddel, nedder, wedder, wetten, hymmel), -ocht- statt -ucht- (z. B. vrochte, rochte, sochte), auw statt ouw (z. B. vrauwe, schauwen, hauwen), schullen für ‚sollen‘, dridde für ‚dritte‘, wu für ‚wie‘ und dusse für ‚dieser‘.325 Für das Personalpronomen der ersten Person Singular wird ek (98 Belege) häufiger als ik (50 Belege) verwendet, äußerst selten begegnet auch ich (4 Belege), in der Hälfte der Fälle als Reimwort.326 Die Häufigkeit von ek spricht für das östliche Ostfalen.327 Nr. 115 wurde im 16. Jahrhundert zu Makulaturzwecken zerschnitten und als „Einbandpappe eines Bandes aus der Bibliothek des Herzogs Johann Albrecht I. von Mecklenburg von 1572“328 verwendet. Deutliche Kleisterspuren auf dem Fragment (vgl. z. B. Bl. 10r), die z. T. Textverlust verantworten, legen hierfür Zeugnis ab. Bruno Claussen löste die Fragmente in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts aus diesem Band heraus, gemeinsam mit dem nun unter der Signatur Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 86a verwahrten Fragment. Hierbei handelt es sich um einen drei Blätter umfassenden Auszug aus Stephans von  









322 Die hier formulierten Erkenntnisse zur materiellen Beschaffenheit von Nr. 115 stützen sich auf Heydeck 2001, S. 133 f. Eine Arbeit am Original war aufgrund des fragilen Zustands des Fragments nicht möglich. 323 Vgl. neben Piccard-Online auch Piccard 1961, S. 16 f., 34, 61. 324 Vgl. Briquet 1923, S. 755 (Nr. 15045). 325 Vgl. u. a. Peters 1987, S. 67 f., 71; Peters 1990, S. 1 f.; Peters 2000b, S. 1480 f. 326 Vgl. hierzu auch Heydeck 2001, S. 134: „der Schreiber nimmt sich außerdem vom Dialekt abweichende Freiheiten im Reim“. 327 Vgl. Bischoff / Peters 2000, S. 1492 f. 328 Heydeck 2001, S. 128.  













3 Die Überlieferungsgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

128

Dorpat Lehrbuch ‚Cato‘ in ostfälischer Schreibsprache, der ebenfalls in das 15. Jahrhundert datiert werden kann.329 Claussen nimmt einen Gebrauch dieser Abschrift als Schulbuch an, da auf dem Papier neben dem Haupttext auch Schreibübungen begegnen.330 Die zeitliche und sprachliche Nähe beider Fragmente sowie ihre gemeinsame Verwendung als Einbandmakulatur legen eine gemeinsame Vergangenheit nahe. Auch hier rückt das ‚Marienleben‘, wie in W, in die Nähe eines Schulkontexts in Ostfalen.

3.3.9 Textzeugenübergreifende Gemeinsamkeiten Das niederdeutsche Korpus umspannt den gesamten Zeitraum der Weitertradierung von Philipps ‚Marienleben‘. Der älteste datierte Textzeuge stammt aus dem Jahr 1324 (Nr. 35), der jüngste datierte Textzeuge aus dem Jahr 1489 (Lü). Die undatierten Textzeugen können im gleichen Zeitraum verortet werden: vom zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts (Nr. 110) bis in das dritte Viertel des 15. Jahrhunderts (O). Ein geografischer Schwerpunkt der ‚Marienleben‘-Abschriften liegt im Norden und Osten des niederdeutschen Sprachraums: Zwei Handschriften (Lü, O) und zwei Fragmente (Nr. 35, Nr. 118) sind nordniederdeutsch, zwei Handschriften (W, Wo) und ein Fragment (Nr. 115) ostfälisch und eine Handschrift (Be) ostwestfälisch. Von Nr. 110 ist zu wenig Versbestand erhalten, um es eindeutig dem westfälischen oder nordniederdeutschen Gebiet zuzuordnen. W, Wo und Lü befanden sich nachweislich in Frauenkonventen. Für alle drei zuzüglich Be lässt sich ein zwar nicht ursprünglicher, aber im Laufe ihrer Geschichte entstandener Bezug zur Devotio moderna konstatieren:331 W und Wo waren im Besitz des Augustinerchorfrauenstifts Heiningen bzw. Marienberg bei Helmstedt, die Mitte des 15. Jahrhunderts, d. h. nach Fertigstellung der beiden ‚Marienleben‘-Abschriften, von der Windesheimer Reform erfasst wurden. Lü wurde Anfang des 16. Jahrhunderts in einen Konvent der Schwestern vom ge 

329 Für eine Beschreibung von Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 86a vgl. Heydeck 2001, S. 127 f. sowie Baldzuhn 2009, S. 942 f.; eine Abbildung bietet Claussen 1955/56, S. 220. Zu Stephans von Dorpat ‚Cato‘ vgl. Beckers 1995a, Sp. 292 (unter Berücksichtigung dieses Fragments). 330 Vgl. Claussen 1955/56, S. 225. Baldzuhn 2009, S. 170 folgt ihm und spricht von dem Rostocker Fragment als „Unterrichtshandschrift“. 331 Zu dieser bereits im ausgehenden 14. Jahrhundert von Geert Groote gegründeten Reformund Frömmigkeitsbewegung, die sich von Deventer aus auch im niederdeutschen Sprachraum ausbreitete, vgl. Kohl 1989, van Dijk 1991, Staubach 2003, Schlusemann 2014.  



3.3 Provenienz und Weitergabe

129

meinsamen Leben gegeben und dort weit über die Auflösung des Konvents hinaus verwahrt. In Be ist ein Bezug zur Devotio moderna über die vorgebundenen Drucke, insbesondere über Thomas a Kempis ‚Van der navolginghe Jesu Cristi‘, einem zentralen Text dieser Frömmigkeitsbewegung, nachträglich geschaffen worden. Die auf dem letzten Blatt von W notierten, zeitgenössischen Federproben sind Schreibübungen eines noch lernenden Schülers. In weiteren Handschriften sind Textfragmente verarbeitet, die in erster Linie an Schulen und Universitäten Verwendung fanden: ‚De sphaera mundi‘ von Johannes de Sacrobosco (Be), ‚Paraphrasis metrica in librum Tobiae‘ von Matthias von Vendôme (Lü) und ‚Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis‘ von Johannes Capreolus (O). Nr. 115 wurde im 16. Jahrhundert gemeinsam mit einer ostfälischen Fassung des ‚Cato‘ von Stephan von Dorpat als Einbandmakulatur verwendet. Die Analyse lässt so für Rezeption, Produktion und Weiterverwendung der ‚Marienleben‘-Abschriften eine Nähe zum Schul- bzw. Universitätskontext erkennen. Singulär belegte Hinweise auf das Rezeptionsumfeld der jeweiligen ‚Marienleben‘-Abschrift sind die heilkundlichen Nachträge in Be und die Adventspredigt in Nr. 35. Die Vollhandschriften W und Wo werden bereits seit 1572 in einer Bibliothek verwahrt, Lü, Be und O erst ab dem 19. Jahrhundert. Die früheste wissenschaftliche Auseinandersetzung lässt sich für die Abschrift in Be konstatieren, die sich im ausgehenden 18. Jahrhundert in Kinderlings Besitz befindet und von ihm untersucht wird. Für W und Be liegen in den jeweiligen Bibliotheken handschriftliche Kopien der mittelalterlichen Handschriften aus dem späten 18. bzw. frühen 19. Jahrhundert vor. Nr. 115 und Nr. 118 wurden als Einbandmakulatur wiederverwertet. Wenn man alle drei Untersuchungsebenen gemeinsam betrachtet – Entstehungszeit, -ort, -umfeld –, dann sticht die Handschrift Lü hervor: Bei ihr handelt es sich erstens um die jüngste Abschrift, zweitens um die einzige, für die der Schreiber bekannt ist, und drittens um die einzige, für die der früheste Produktions- bzw. Rezeptionskontext nachweislich keine religiöse Gemeinschaft darstellt. Hervorzuheben ist insbesondere, dass der Schreiber vor seiner Schreibtätigkeit im Umfeld der Hanse verortet gewesen sein könnte und dass seine Abschrift, wie ein zeitgenössischer Eintrag in der Handschrift selbst belegt, für den privaten Nachvollzug von Jesu Passion während des Stundengebets vorgesehen war.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘ Im Anschluss an die Überlieferungsgeschichte folgt nun die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘. Für jede Handschrift und jedes Fragment wurden vollständige Transkriptionen erstellt, die nun als Grundlage der Analysen dienen. Meine Überlegungen nehmen ihren Ausgangspunkt in den Thesen, die Kurt Gärtner in seiner Arbeit zur gesamten deutschsprachigen Überlieferung von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ aufgestellt hat.1 Diese seien daher vorab kurz zusammengefasst. Mit seiner Untersuchung verfolgt Gärtner zwei Ziele:2 Er will die autornächste Handschrift bzw. Handschriftengruppe ermitteln und die Veränderungen im Textbestand über diverse Vorstufen bis zu den erhaltenen Textzeugen nachvollziehen. Zu diesem Zweck untersucht er alle ihm bekannten Handschriften und Fragmente zunächst einzeln und fasst sie dann zu Gruppen zusammen. Die Gruppenbildung erfolgt anhand von ausgewählten sekundären Merkmalen, die er im Abgleich mit der lateinischen Vorlage und anhand von inhaltlichen wie formalen Kriterien der Reimpaardichtung ermittelt.3 Als ‚autornächste‘ Handschrift identifiziert er die Handschrift P.4 Diese setzt er in Opposition zu allen anderen Handschriften, die er gesammelt als α-Gruppe bezeichnet. Innerhalb der α-Gruppe bildet er drei Untergruppen: x, y und z, hier in absteigender Reihenfolge ihrer textkritischen Relevanz genannt.5 Die Handschriften der x-Gruppe „bezeugen zusammen mit der Hs. P, mit der sie aber nicht verwandt sind, in der Regel einen autornahen Text“6 und stellen somit die „textkritisch wichtigste Gruppe nach P“7 dar. Alle Handschriften außer P und den xHandschriften werden zunächst den y-Handschriften zugeordnet.8 Während der Überlieferungsschwerpunkt der x-Handschriften im Nieder- und Mitteldeutschen liegt, sind die y-Handschriften in das Mittel- und Oberdeutsche zu verorten.9 Auf

1 Vgl. Gärtner 1978. 2 Vgl. Gärtner 1978, S. 5, 43. 3 Vgl. Gärtner 1978, S. 279 f. 4 Für eine ausführliche Untersuchung der Handschrift P vgl. Gärtner 1978, S. 285–293. 5 Vgl. Gärtner 1978, S. 293, 370. 6 Gärtner 1978, S. 47. 7 Gärtner 1978, S. 294. Eine Untersuchung der x-Gruppe und ihrer Untergruppen folgt bei Gärtner 1978, S. 294–319. 8 Vgl. Gärtner 1978, S. 294. 9 Vgl. Gärtner 1978, S. 367.  

https://doi.org/10.1515/9783110676822-004

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

131

der Grundlage seines Korpus geht Gärtner davon aus, dass diese Textfassung „nie in den nd. Norden gelangt“10. Die y-Handschriften sind zwar häufiger erhalten als die x-Handschriften, stellen aber eine textkritisch weniger relevante „Vulgatfassung des ML“11 dar. Aus den y-Handschriften gliedert Gärtner die z-Handschriften aus. Hierbei handelt es sich um die y-Handschriften mit Ausnahme der Handschrift München, Staatsbibliothek, Cgm 279 [Sigle Nr. 95] und der Heinrich von MünchenHandschriften München, Staatsbibliothek, Cgm 7330 [Sigle Nr. 93] (sowie deren Abschrift Graz, Universitätsbibliothek, Cod. 470 [Sigle Nr. 92]) und Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1.16 Aug. 2° [Sigle Nr. 97]: „Diese Gruppe läßt sich genealogisch bestimmen durch zahlreiche gemeinsame sekundäre Varianten an solchen Stellen, wo P, x und Hs. 95 mit den HvM-Hss. 93.97 das Ursprüngliche bieten“12. Von den z-Handschriften sind die Bearbeitungen *J und *V abgeleitet.13 Kennzeichen der *J-Bearbeitung sind die Widmungsverse V. 22,1–8, die hier in der Form einer „Copyright-Fassung des Deutschen Ordens“14 erscheinen und damit einen Ursprung der *J-Fassung beim Deutschen Orden nahelegen.15 Die *V-Bearbeitung geht textgeschichtlich auf einen Vertreter der *J-Bearbeitung zurück.16 Innerhalb der *V-Bearbeitung konnte Gärtner drei chronologisch aufeinanderfolgende Fassungen herausarbeiten, die den Reimpaarvers zunehmend verbessern.17 Diese reimverbesserte Textfassung wurde „die erfolgreichste Ausgabe des ML“18. Nicht jeder Textzeuge von Philipps ‚Marienleben‘ lässt sich eindeutig einer Gruppe zuordnen, denn Vorlagenwechsel bestimmen das Überlieferungsgeschehen.19 Alle zum Zeitpunkt der Untersuchung bekannten niederdeutschen Handschriften erkennt Gärtner jedoch eindeutig als x-Handschriften. Er geht in der Folge davon aus, dass „im Norden immer nur der autornahe Text überliefert“20 wurde, die x-Fassung also „die im Norden von Anfang dominierende und aus-

10 Gärtner 1978, S. 367. 11 Gärtner 1978, aktualisierte Version 2012, S. 288. 12 Gärtner 1978, S. 329. 13 Vgl. Gärtner 1978, S. 47. 14 Gärtner 1978, S. 351. 15 Vgl. hierzu auch Gärtner 1978, S. 281–285; Gärtner 2014 und die Transkription der Widmungsverse in Kap. 1.1 der vorliegenden Arbeit. 16 Vgl. Gärtner 1978, S. 352, 361–364. 17 Vgl. Gärtner 1978, S. 355 f. 18 Gärtner 1978, S. 356. 19 Vgl. Gärtner 1978, S. 280, 377. 20 Gärtner 1981, S. 126.  

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

132

schließliche Textfassung war“21. Ihre textkritische Relevanz ergibt sich für ihn aus ihrer Nähe zu der autornächsten Handschrift P: Die stemmatisch zusammengehörenden niederdeutschen Handschriften repräsentieren eine gemeinsame Vorstufe, die nur wenige Abweichungen von der Pommersfeldener Handschrift P aufweist.22

Die Gruppe der x-Handschriften setzt sich nicht ausschließlich aus niederdeutschen Textzeugen zusammen. Gärtner unterscheidet die folgenden fünf Untergruppen, von denen nur die ersten drei durch niederdeutsche Textzeugen vertreten sind:23 Untergruppe I [Wo, Be (bis V. 3401)24]: B: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 13 (ab V. 7452) – ostmitteldeutsch U: Uppsala, Landesarchiv, Depositio Schytteana I E 2 (1. Teil, Verszahlen nicht näher bestimmt) – ostmitteldeutsch Untergruppe II [W]: A: Alba Julia / Karlsburg, Biblioteca Bátthyáneum, Cod. R II 104 (Kat.-Nr. 263) – bairischösterreichisch Ka: Kassel, Universitätsbibliothek − Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, 2° Ms. theol. 4 (V. 6070–8027) – bairisch N: Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Cod. 1242 (ab V. 3112) – bairisch-österreichisch Pr: Prag, Archiv der Prager Burg / Bibliothek des Metropolitankapitels, Cod. G 49 – ostmitteldeutsch Untergruppe III [O, Be (V. 3428–7451)]: Bn: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 865 – ostmitteldeutsch nach niederdeutscher Vorlage

Die niederdeutsche Vollhandschrift Lü lag Gärtner im Jahr 1978 nicht vor. Auf der Basis von Paul Hagens Handschriftenbeschreibung, die auch die Transkription weniger Verse beinhaltet, vermutet er zum einen eine Verwandtschaft mit der

21 Gärtner 1978, S. 107. 22 Gärtner 1981, S. 126. 23 Vgl. Gärtner 1978, S. 294, 299. An dieser Stelle werden nur die Vollhandschriften berücksichtigt. Für Gärtners Zuordnung einzelner Fragmente zu den x-Handschriften vgl. Gärtner 1978, S. 306 f., 314–317; Bok / Gärtner 1989, S. 86 und Gärtner 2004, S. 62. 24 Zum Vorlagenwechsel von Be vgl. Kap. 4.2.2.  

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

133

Handschrift O der Untergruppe III, verweist zum anderen aber auch auf Gemeinsamkeiten mit den Vertretern der Untergruppe I.25 Für die letzten beiden Untergruppen kennt Gärtner keine niederdeutschen Textzeugen: Untergruppe IV: Ko: Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 52 (Passion, Verszahlen nicht näher bestimmt) – rheinfränkisch26 Untergruppe V [= sog. thüringische Rezension]:27 G: Gotha, Forschungsbibliothek, Memb. II 37 (ab ca. V. 1000) – bairisch Go: Gotha, Forschungsbibliothek, Cod. Chart. B 174a – ostmitteldeutsch (bis ca. V. 8027) Ha: Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. 146 in scrin. (ab V. 181) – ostmitteldeutsch K: Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 20 – westmitteldeutsch L: London, British Library, Add MS 10432 – bairisch nach mitteldeutscher Vorlage U: Uppsala, Landesarchiv, Depositio Schytteana I E 2 (2. Teil, Verszahlen nicht näher bestimmt) – ostmitteldeutsch

Vor dem Hintergrund dieser Gruppenzusammensetzungen spricht Gärtner von einem „Verbreitungsschwerpunkt im nd. und md. Raum“28 und hebt hervor, dass es sich bei der bairisch-österreichischen Handschrift A um „die einzige nicht-nd. bzw. nicht-md. Hs. mit einem vollständigen x-Text“29 handelt. Um die x-Handschriften auch in seiner Neuedition zu berücksichtigen, wählt er A und Pr als Kontrollhandschriften für seine Ausgabe aus. Er nimmt an, dass diese beide Textzeugen „die md. und nd. Handschriften der Gruppe vertreten können“30. Die von Gärtner postulierte Einheitlichkeit der niederdeutschen Überlieferung soll im Folgenden überprüft werden. In einigen Fällen weichen alle niederdeutschen Vollhandschriften auf die gleiche Art und Weise von Rückerts Edition ab. Diese werden daher in den folgenden Analysen nicht diskutiert, sondern hier kurz genannt: Wie in der

25 Vgl. Gärtner 1978, S. 294, 302. Eine Analyse des Versbestands in Lü und ein anschließender Vergleich mit den weiteren niederdeutschen Vollhandschriften zeigt, dass Lü der Untergruppe I zuzuordnen ist, vgl. Kap. 4.1.3 und Kap. 4.2.1. 26 Die Gruppenzuordnung von Ko ist umstritten, vgl. hierzu ausführlich Gärtner 1978, S. 318. 27 Drei wesentliche Merkmale der thüringischen Rezension sind der Rückgriff auf die ‚Vita‘ (Ergänzung von Autorenangaben), eine Interpolation aus Heinrich von Heslers ‚Evangelium Nicodemi‘ sowie jeweils zwei Zusatzverse nach V. 6145 und V. 7449, vgl. Gärtner 1978, S. 307–314 und insbesondere Gärtner 2008. 28 Gärtner 1978, aktualisierte Version 2012, S. 249. 29 Gärtner 1978, S. 229. 30 Gärtner 1978, aktualisierte Version 2012, S. 244.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

134

Neuedition durch Gärtner und Schubert, dort jedoch nicht gekennzeichnet, sind in allen niederdeutschen Vollhandschriften V. 4432 und V. 4435 (Gärtner / Schubert: V. 4435) sowie V. 4433 und V. 4434 (Gärtner / Schubert: V. 4434) zu einem Vers kombiniert. Verspaare, die in allen Vollhandschriften (sofern die Verse dort vorhanden sind) und in der Neuedition in von Rückert abweichender Reihenfolge begegnen, sind: V. 2649 vor V. 2648, V. 3025 vor V. 3024, V. 3113 vor V. 3112, V. 3281 vor V. 3280, V. 3333 vor V. 3332, V. 4013 vor V. 4012, V. 7687 vor V. 7686, V. 8637 vor V. 8636, V. 8793 vor V. 8792, V. 9747 vor V. 9746, V. 9961 vor V. 9960. V. 537 steht in allen niederdeutschen Vollhandschriften vor V. 536, diese Versumstellung findet sich nicht im Haupttext der Neuedition. Ferner liegen die folgenden Verse, die nicht in Rückerts Edition enthalten sind, in allen niederdeutschen Vollhandschriften vor: V. 432,1f., V. 438,1f., V. 446,1f., V. 490,1–6, V. 496,1f., V. 535,1f., V. 577,1f., V. 791,1–6, V. 855,1f., V. 2729,1f., V. 4839,1f., V. 5621,1f., V. 9133,1 f. (Lü: V. 9131,1f.), V. 9469,1f., V. 9629,1f., V. 9685,1.f.  

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften Auf der Grundlage der für diese Arbeit erstellten Transkriptionen wird für jeden niederdeutschen Textzeugen des ‚Marienleben‘ zunächst eine Übersicht des jeweiligen Textbestandes unter Angabe der Rückertschen Verszahlen präsentiert. Es erfolgt an dieser Stelle kein inhaltlicher Vergleich, der auf Einzelversebene Abweichungen von den Editionen durch Rückert oder Gärtner und Schubert vermerkt. Vielmehr geht es darum, den Versbestand auf der Makroebene abzubilden, d. h. die vorhandenen Verse ungeachtet ihres exakten Wortlautes zu verzeichnen. Als Zusatzverse werden daher keine Verse gezählt, die im Wortlaut von Rückerts Edition abweichen, sondern solche, die zwischen zwei bei Rückert aufeinanderfolgenden Versen stehen. Für ein Beispiel sei auf die acht zusätzlichen Widmungsverse verwiesen, die sich sowohl bei Gärtner und Schubert als auch mehrheitlich in der niederdeutschen Überlieferung zwischen V. 22 und V. 23 befinden. Diese Zusatzverse werden als V. 22,1 bis V. 22,8 über eine Kommazählung als solche markiert. Zusatzverse können entweder Fehlauslassungen Rückerts (und damit ursprünglich) oder sekundäre Ergänzungen sein. Die genannten V. 22,1–8 sind ein Beispiel ersten Typs. Zusätze dieser Art werden in den Übersichtung mit einem Asterisk gekennzeichnet. Da sie ursprünglich sind, werden sie in der Neuedition geführt und in den folgenden Untersuchungen nicht analysiert. Stattdessen werden solche Verse unter die Lupe genommen, die sowohl bei Rückert als auch in der Neuedition fehlen und demnach nicht ursprünglich sind. Fälschliche Doppelungen ganzer Verse sind nicht in die Gesamtübersicht mit aufgenommen, sondern im Anschluss aufgeführt. Sofern der Wortlaut  

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

135

eines Verses in seiner Wiederholung abweicht, wird sowohl eine Transkription des eigentlichen Verses als auch seiner Wiederholung gegeben. Bereits vom Schreiber durchgestrichene Versdoppelungen sind nicht Teil der Übersicht. Im Anschluss an jede Übersicht steht eine kurze Beschreibung des Befunds, die einer Profilerstellung der Handschrift in Bezug auf den mit ihr überlieferten Text dient. Es finden nur diejenigen Merkmale Berücksichtigung, die ausschließlich für den zu untersuchenden Textzeugen Gültigkeit haben. Für jeden Überlieferungsträger wird danach mindestens ein Hauptmerkmal herausgegriffen und analysiert.

4.1.1 W 4.1.1.1 Übersicht des Versbestands Insgesamt: 9975 Verse 1–22, 8 Zusatzverse*: Dyt bokelin han ek gesant Den broderen de dar sint genant Van dem theuschen hus vnde sint Marien ritter dy eyn kint Van dem hylgen geyste gewan Maget wesen ane man Dit bok hetet sůnte Marien leuen De moͤ te vns de ewigen vrouwede geuen (V. 22,1–8) 23–72, 74, 73, 75–240, 242, 241, 243–302, 304, 303, 305–432, 2 Zusatzverse*: Moste vf stigen de dar wolde vf gen Jn daz tempel vnde daz sen (V. 432,1f.) 433–438, 2 Zusatzverse*: Alleyne gink vp dat kindelin Ane de hulpe der moter sin (V. 438,1f.) 439–446, 2 Zusatzverse*: Sin houet ot dem alter negede Den lůten al da ertzeighede (V. 446,1f.) 447–470, 2 Zusatzverse*: Mit vlite wart des kindes geplogen To aller doget wart it getogen (V. 470,1f.) 471–490, 6 Zusatzverse*:

136

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Dat se were gut vnde milde Vnde allen luden gude bilde Vore mit sconen tůchten droge Vnde were besceden vnde voge Se lerte so dat se gerne bete Vnde an or gebet gut andacht hette (V. 490,1–6) 491–496, 2 Zusatzverse*: Vnde ir beyder sote lere De let it sich nich vmmere (V. 496,1f.) 497–531, 1 Zusatzvers*: Jn dem tempel de opper vatz (V. 531,1) 532–535, 2 Zusatzverse*: Datz neiten vnde dat scone bereiten Vf de alter datz se iz leiten (V. 535,1f.) 537, 536, 538–577, 2 Zusatzverse*:31 Dorch ore kůsch vnde otmodicheyt Dorch andacht vnde reynicheit (V. 577,1f.) 578–630, 632–791, 6 Zusatzverse*: Elysabeth Marien můme Hern Sacharias koͤ ne De besetzin in der stat To Jerusalem icht wenne se bat Marien dat se to ir ginge Vnde ouch mit eyn ander trost gevinge (V. 791,1–6) 792–832, 834–855, 2 Zusatzverse*: Witz scone vnde gar reyne Ghelich dem elpenbeyne (V. 855,1f.) 856–1197, 1200–1528, 1530–1531, 1529, 1532–1546, 1548–1579, 1582–1765, 1770–1903, 1907, 1906, 1908–2186, 2188–2225, 2231–2235, 2248–2276, 2278–2322, 2324–2325, 2327, 2326, 2328– 2429, 2436–2583, 2586–2587, 2590–2597, 2599, 2598, 2600–2647, 2649, 2648, 2650–2729, 2 Zusatzverse*: Jn deme lande to Galile

31 In der Neuedition folgen auf V. 577 vier Zusatzverse. Bei den beiden Zusatzversen von W handelt es sich um V. 577,3 f. der Neuedition in umgekehrter Reihenfolge.  

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

137

Dar se gewesen hadde e (V. 2729,1f.) 2730–3023, 3025, 3024, 3026–3111, 3113, 3112, 3114–3127, 3132–3207, 3210–3261, 3262 und 3264 als 1 Vers, 3263, 3266–3279, 3281, 3280, 3282–3331, 3333, 3332, 3334–3437, 3439, 3438, 3441, 3440, 3442–3472, 3474–3673, 3708–3729, 3732–4011, 4013, 4012, 4014–4173, 4176– 4271, 4273, 4272, 4274–4306, 4308, 4307, 4309–4341, 4344–4431, 4432 und 4435 als 1 Vers, 4433 und 4434 als 1 Vers, 4436–4666, 4669–4746, 4762–4839, 2 Zusatzverse*:32 Menge rede se ane vingen Do se vp dem wege gingen (V. 4839,1f.) 4840–4895, 4748–4761, 4896–4974, 4976–5029, 5032–5198, 5200–5321, 5323, 5322, 5324– 5521, 5523–5543, 5546–5594, 5596–5621, 2 Zusatzverse*: Van Iosepes dode Marien clage De horet gerne ich de sage (V. 5621,1f.) 5622–5659, 5662–5667, 5669–5678, 5680–5808, 5810–5811, 5809, 5812–5883, 5940–5949, 5952–6022, 6031–6115, 2 Zusatzverse*: To sinen iungeren sprach Jesus Do se quamen vt dem hus (V. 6115,1f.) 6116–6121, 6123–6220, 6221 und 6222 als 1 Vers, 6223–6326, 6328–6430, 6432–7121, 2 Zusatzverse*: Owe myn leues kint Jesu Vp dynem růcke wat dregestu (V. 7121,1f.) 7122–7161, 7164–7335, 7340–7459, 7462–7477, 7479, 7478, 7480–7555, 7557–7685, 7687, 7686, 7688–7925, 2 Zusatzverse*: Owe wer sol mich lere geuen Vmme myn vil sůndiges leuen (V. 7925,1f.) 7927, 7926, 2 Zusatzverse*:33 Owe sin vil grotze truwe De maket mynem herten ruwe (V. 7926,1f.) 7928–7936, 7938–8013, 8015–8097, 8102–8151, 8153, 8152, 8154–8161, 8163, 8162, 8164– 8337, 8340–8635, 8637, 8636, 8638–8791, 8793, 8792, 8794–8814, 8816–8817, 1 Zusatzvers: Beide nacht vnde dach (V. 8817,1) 8818–9015, 2 Zusatzverse*:

32 Die Neuedition führt diese Zusatzverse in umgekehrter Reihenfolge. 33 Die Leithandschrift der Neuedition stellt V. 7926 und V. 7927 nicht um, weshalb die beiden Zusatzverse von Gärtner und Schubert als V. 7927,1 f. vermerkt werden.  

138

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Der van dem watere was geswollen Dem halp Maria vnbewollen (V. 9015,1f.) 9016–9023, 9028–9029, 9034–9123, 9126–9133, 2 Zusatzverse*: Sculle we kommen oder bliuen Des bidde wy enen bref dek scriuen (V. 9133,1f.) 9134–9218, 9220, 9219, 9221–9286, 9288–9289, 9287, 9290–9410, 9412–9463, 9466–9469, 2 Zusatzverse*: De stummen vnde de douen Wolden se an Crist gelouen (V. 9469,1f.) 9470–9474, 9476–9485, 9487, 9486, 9488–9629, 2 Zusatzverse*: Du bist de stunde vnvorbarnt An dem wart Moyse erkant (V. 9629,1f.) 9630–9685, 2 Zusatzverse*: Du bist de lilie by dem dorne Gewassen ist wentu vterkorne (V. 9685,1f.) 9686–9745, 9747, 9746, 9748–9752, 9754 und 9755 als 1 Vers, 9753, 9754 und 9755 als 1 Vers, 9756–9847, 9850–9853, 9854 und 9856 als 1 Vers, 9856 und 9857 als 1 Vers, 9858–9883, 9886–9901, 9904–9907, 2 Zusatzverse*: Wol vns dat tu iů geworde Vrowe von vnses liues geborde (V. 9907,1f.) 9910–9928, 1 Zusatzvers*:34 Wilkomme he du vroude myn (V. 9928,1) 9929, 1 Zusatzvers*:35 Wilkomme myner ougen schin (V. 9929,1) 9930–9959, 2 Zusatzverse*: De engele myt den sůluen sůngen De sele myt den engelen sprůngen (V. 9959,1f.) 9961, 9960, 9962–10007, 10010–10098, 10100, 10102–10133. Versdoppelungen: Nach V. 1260: Wiederholung von V. 1256f.

34 In der Neuedition folgt dieser Zusatzvers erst auf V. 9929. 35 In der Neuedition reimt sich dieser Vers als zweiter von zwei Zusatzversen auf V. 9929.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

139

Nach V. 1379: Wiederholung von V. 1384. Nach V. 3139: Wiederholung von V. 3124. Nach V. 6473: Wiederholung von V. 6475 (vorgezogen, früher abgebrochen). Nach V. 8361: Wiederholung von V. 8356f. Nach V. 10097: Wiederholung von V. 10098 (früher abgebrochen).

4.1.1.2 Analyse Die Handschrift W überliefert mit 9975 Versen die umfangreichste niederdeutsche Textfassung. Im Vergleich mit Rückerts Edition finden sich an neunundzwanzig Stellen zusätzliche Verse (insgesamt achtundsechzig Zusatzverse), die bis auf eine Ausnahme auch in die Neuedition aufgenommen sind. Diese Ausnahme stellt der Zusatzvers V. 8817,1 dar, der mit dem ausgelassenen V. 8815 und dem veränderten, d. h. an V. 8814 angepassten, Reimwort von V. 8816 begründet werden kann:  

W: [Bl. 93va] 8814 Dar vp eyn koterin gelecht 8816 Eyn kůssen to dem hobete gelecht 8817 Dar vp de maget to wonnende plach 8817,1 Beide nacht vnde dach Gärtner / Schubert (gleichlautend bei Rückert 1853): 8814 8815 8816 8817

dar uf ein culterlin geleit, liͤlachn wiz dar uf gebreit. ein kusse zů dem haubte lach, dar uf diu magt ze růwen phlach.

Nur in W vorhandene Versauslassungen sind vergleichsweise selten, es sind zumeist – wohl versehentlich – übersprungene Einzelverse. Es fehlen V. 631, V. 833, V. 2187, V. 2277, V. 2323, V. 4747, V. 4975, V. 5199, V. 5522, V. 5595, V. 5668, V. 5679, V. 6122, V. 6327, V. 6431, V. 7556, V. 7937, V. 8014, V. 8815,36 V. 9411, V. 9475, V. 10099,37 V. 10101. Auch fehlende Verspaare sind nicht häufig. Eine derartige Auslassung ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, da das Reimschema nicht gestört wird. Es fehlen V. 1198f., V. 1580 f. (Homoioteleuton), V. 1904f., V. 2588f., V. 3730f., V. 4342f., V. 4667f., V. 5544f., V. 5660f., V. 7162 f.  



36 Be und O fehlt das Verspaar V. 8814f. 37 Wo und Lü fehlt das Verspaar V. 10098f.

140

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

(Homoioteleuton), V. 7460f., V. 8338f., V. 9464f., V. 9848f.,38 V. 9884f., V. 9902f., V. 9908f., V. 10008 f. (Homoioteleuton). Größere Versauslassungen innerhalb eines Kapitels, die nur W aufweist, begegnen noch seltener. Vier von sechs Fälle sind über Homoioteleuta zu erklären: So fehlen V. 1766–1769, V. 2226–2230 (Homoioteleuton), V. 3128–3131 (Homoioteleuton), V. 6023–6030 (Homoioteleuton), V. 8098–8101 (Homoioteleuton),39 V. 9024–9027.40 Darüber hinaus fehlen vier vollständige Kapitel: Unter den acht Kapiteln zu den Zeichen bei Jesu Geburt (D10–11, D13–18) fehlt das erste (D10). Die Überlieferungslücke ist leicht damit erklärt, dass sowohl D10 als auch D11 mit einem identischen Vers beginnen: Do got geboren werden wolde (V. 2236, 2248). Ferner verzichtet W auf eine Wiedergabe des nur sechs Verse umfassenden Abschnitts zu Jesu Beschneidung (D19), einer längeren Episode zu Jesu ersten Sprech- und Gehversuchen (E17) und des Kapitels zur Speisung der Viertausend (G18). Diese drei Auslassungen lassen sich nicht über Versähnlichkeiten erklären und dürften also auf redaktionelle Eingriffe zurückgehen. Von der Beschneidung Jesu wird zwar nicht in einer eigenständigen Episode erzählt, Maria berichtet aber rückblickend in ihrer Klagerede zu Josephs Tod von dem Ereignis: Du scopest dat ot wart besneden | Nach der e mit sconen seden (V. 5662f.). Das Überspringen der Speisung der Viertausend, das als zweites Speisungswunder auf die Speisung der Fünftausend (G17) folgt, könnte als Wiederholungsreduktion verstanden werden.41 Neben Versergänzungen wie -auslassungen finden sich gelegentlich auch Verszusammenfassungen, die vermutlich Augensprüngen des Schreibers geschuldet sind. Nur in W ist V. 3262 mit V. 3264, V. 6221 mit V. 6222 und V. 9754 mit V. 9755 zusammengefasst, wobei letztere Verszusammenfassung einmal vor und einmal nach V. 9753 steht. W weist weitere Versumstellungen auf, von denen der Großteil nur in W bezeugt ist: V. 74 vor V. 73, V. 242 vor V. 241, V. 304 vor V. 303, V. 1529 nach V. 1531, V. 1907 vor V. 1906, V. 2327 vor V. 2326, V. 2599 vor V. 2598, V. 3439 vor V. 3438, V. 3441 vor V. 3440, V. 4308 vor V. 4307, V. 5323 vor V. 5322, V. 5809  

38 Wo und Lü fehlt auch das vorausgehende Verspaar: V. 9846–9849. 39 In diesem Abschnitt begegnen auch in drei weiteren niederdeutschen Textzeugen Abweichungen, wahrscheinlich durch das Homoioteleuton bedingt: Wo fehlt V. 8100f., O fehlt V. 8012–8111 und Be fehlt V. 8098 und V. 8100f. 40 In Wo fehlt nur V. 9026f. 41 Das zweite Speisungswunder fehlt auch in der Handschrift N, die der thüringischen Rezension zugeordnet wird. Dieser Befund stützt Gärtners These, dass die thüringische Rezension „der nd. Hs. W näher als irgendeiner der übrigen x-Hss stand“ (Gärtner 1978, S. 307).

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

141

nach V. 5811, V. 7927 vor V. 7926, V. 8153 vor V. 8152, V. 8163 vor V. 8162, V. 9220 vor V. 9219, V. 9287 nach V. 9289,42 V. 9487 vor V. 9486. Im Vergleich mit den vorhandenen Editionen weicht W einmalig in der Episodenreihenfolge ab: Der Besuch des zwölfjährigen Jesu im Jerusalemer Tempel (G1) geht den Erläuterungen zu Jesu Spielgesellen (F17) voraus. Diese Umstellung ist signifikant, da mit ihnen die Grenze zwischen dem ersten und dem zweiten Buch verschwimmt, wie sie die Leithandschrift der Neuedition zwischen diesen beiden Kapiteln in ihrer ursprünglichen Reihenfolge über einen Einschub (V. 4761,1–4761,8) zieht. Auf den Beginn von Jesu öffentlichem Wirken folgt ein Rückverweis in seine Kindheit. Gärtner hält diese Umstrukturierung für eine „durchaus sinnvolle Umstellung“ und vermutet „eine gewisse Absicht“43. Gegen diese These spricht, dass die Rubriken in der ursprünglichen Reihenfolge erscheinen und sie demnach nicht zu den ihnen folgenden Versen passen: Die Passage zu Jesu Tempelbesuch ist überschrieben mit Wat Jesus spel were, die Passage zu seinen Spielgesellen mit Dat Jesus to Bethleem in dem tempel blef vnde las. Die Vertauschung findet demnach nur auf Versebene statt und betrifft nicht die Textstruktur. Es handelt sich demnach nicht um Absicht, sondern um ein Versehen, vermutlich des Rubrikators. Die fälschlichen Versdoppelungen können fast ausschließlich über identische Reimwörter erklärt werden: Die Wiederholung von V. 1256 f. nach V. 1260 wird dadurch begünstigt, dass das Reimwort von V. 1260 mit dem Reimwort von V. 1255 (gelich) übereinstimmt. Derselbe Vorgang ist anzunehmen für den bereits auf V. 1379 folgenden V. 1384 (Reimwort V. 1379, V. 1383: neme), die Wiederholung von V. 3124 nach V. 3139 (Reimwort V. 3123, V. 3139: doͤ t), die Wiederholung des Verspaars V. 8356 f. nach V. 8361 (Reimwort V. 8355, V. 8361: waren). Im Fall von V. 6475 überspringt der Schreiber zunächst V. 6474 und schließt mit V. 6475 an V. 6473 an, holt dann jedoch V. 6474 nach und schließt auch hier V. 6475 an. Bei der Doppelung von V. 10097 handelt es sich um einen unvollständigen Versuch und eine direkt anschließende korrekte Umsetzung desselben Verses.  



4.1.1.3 Die textkritische Bedeutung In seiner Untersuchung der Überlieferungsgeschichte des ‚Marienleben‘ plädiert Gärtner für eine Edition des niederdeutschen Überlieferungszweiges auf der

42 Die Umstellung von V. 9287 nach V. 9289 begegnet auch in Lü und Wo, dort unterscheidet sich jedoch der Wortlaut von V. 9287. 43 Beide direkten Zitate: Gärtner 1978, S. 197.

142

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Grundlage der Handschrift W.44 Diese sei „eine der wenigen vollständigen und unversehrten ML-Hss., die nur das ML ohne jede Interpolation und ohne jeden Appendix enthalten“45 und stehe, abgesehen von P, „der ursprünglichen Fassung des Autors näher […] als fast die gesamte obd. Überlieferung“46. In seiner eigenen Neuedition berücksichtigt Gärtner W jedoch nur unregelmäßig. Stattdessen wählt er A und Pr als Kontrollhandschriften aus, um Lesarten der Untergruppe II der xHandschriften, zu der auch W zählt, in seinen Apparat zu integrieren.47 Ein Vergleich von W mit der Neuedition nach P unter Berücksichtigung des Lesartenapparats (A, Pr, J) zeigt auf der Makroebene die meisten Übereinstimmungen von W mit Pr, seltener auch mit A. Pr ist auf das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts datiert und somit älter als W. W und Pr weisen die folgenden Gemeinsamkeiten auf: Beide überliefern den Zusatzvers V. 8817,1 (Pr: Beide nacht vnd tag), beiden fehlen die Verse V. 1198f., V. 1766–1769, V. 2584f., V. 2588f., V. 4342f., V. 4667f., V. 5660f., V. 7162f., V. 7460f., V. 8815, V. 9855 (fehlt auch in A), V. 9884f., V. 10008f., V. 10099. In zwei Verszusammenfassungen stimmen W und Pr ebenfalls überein: V. 9854/9856 und V. 9856/9857 (auch in A). Unter den Versumstellungen gibt es vier Entsprechungen: V. 537 vor V. 536 (auch in A), V. 2327 vor V. 2326, V. 4273 vor V. 4272 (auch in A), V. 7927 vor V. 7926 (auch in A). Auf der Mikroebene zeigt sich ein weniger einheitliches Bild. Dies sei kurz am Beispiel des Prologs und Epilogs verdeutlicht. Von den in diesen beiden Versabschnitten für Pr und A verzeichneten vierundfünfzig Lesarten teilt W lediglich acht: fünf nur mit Pr (V. 10078, V. 10098–10100, V. 10112), zwei mit A und Pr (V. 10, V. 10069) und eine nur mit A (V. 2). Aufgrund der fehlenden Berücksichtigung von W fehlen im Apparat signifikante Lesarten: Prolog: V. 6: da von ich din genade gewinne – dyne gode W. V. 8: des hilf mir weiseu meisterinne – werde W. V. 13: waz ich gehoͤ ret han und gelesen – g[e]seen W. V. 19: reineu Maria, nu pitte ich dich – maget W. Epilog: V. 10110f.: wer doch wil daz buͤ chelin | bezzern mit dem sinne sin. – Wer auer dit bůchelin | Wil betzeren myt dem sinne sin W. V. 10126: ze Seitz ditz selbe buͤ chelin – So sette ich dit buchelin W.

44 Vgl. Gärtner 1978, S. 197, 372. 45 Gärtner 1978, S. 196. Als Beispiel für die Vollständigkeit von W sei beispielhaft auf den Abschnitt V. 3660–3663 verwiesen, der innerhalb des niederdeutschen Korpus ausschließlich in W bezeugt ist. 46 Gärtner 1978, S. 197. 47 Vgl. die Gruppenzuordnung zu Beginn von Kap. 4.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

143

Dieser Befund zeigt, dass A und Pr die Handschrift W nicht ausreichend vertreten können, und legt in der Folge durchaus eine Edition auf der Grundlage – oder zumindest unter Berücksichtigung – von W als nahezu vollständigem wie frühem Vertreter der x-Handschriften nahe.

4.1.2 Wo 4.1.2.1 Übersicht des Versbestands Insgesamt: 9000 Verse 1–4, 6–22, 8 Zusatzverse*: Dyt boukelin han ik ghesant Den broderen de dar myt ghenant Van deme dudeschen hus vnde synt Marien riddere de eyn kynt Van dem hilghen geyste ghewan Maghet ghewesen ane man Dat buk het sunte Marien leuent De moute vns ewighe vroude gheuen (V. 22,1–8) 23–140, 143–221, 223–373, 375–410, 412, 411, 413–432, 2 Zusatzverse*: Muste vp stighen de scholde gen Jn den tempel vnde den besen (V. 432,1f.) 433–438, 2 Zusatzverse*: Alleyne ghink et vp dat kyndelin Ane de hulpe der muter syn (V. 438,1f.) 439–446, 2 Zusatzverse*: Syn houet ok it to dem altar negede Den luden allen dar mitte erzeghete (V. 446,1f.) 447–470, 2 Zusatzverse*: Des kindes wart myt vlite ploghen To aller tucht wart it ghetoghen (V. 470,1f.) 471–490, 6 Zusatzverse*: Vnde dat se gud were vnde milde Vnde allen luden reyne bilde Vor mit schonen tuchten truge Vnde were bescheden vnde ghevuge

144

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Se lerde dat se gherne bede An irme ghebede andacht hedde (V. 490,1–6) 491–496, 2 Zusatzverse*: Vnde na ir beyder sute lere De was deme kynde nycht vnmere (V. 496,1f.) 497–525, 527–535, 2 Zusatzverse*: dat neyten vnde schone bereiten Vnde ok de altarlaken vp breyten (V. 535,1f.) 537, 536, 538–546, 548–577, 2 Zusatzverse*:48 Dor ere kusche vnde othmodicheyt Dor de andacht vnde dor or reincheyt (V. 577,1f.) 579, 578, 580–791, 6 Zusatzverse*: Elizabeth Marien moder was Syn wif heren Zacharias de was gheseten in der stad to Iherusalem etswenne se bat Marien dat se to er ghenge Vnde trost van or entfenge (V. 791,1–6) 792–855, 2 Zusatzverse*: Wit schone vnde gar reyne Ghelik deme witten elpenbeyne (V. 855,1f.) 856–872, 873 und 874 als 1 Vers, 875–906, 1 Zusatzvers: Du ne west sunde neyne (V. 906,1) 907, 1 Zusatzvers: ghedan to aller gude lere (V. 907,1) 908–927, 929, 928, 930–952, 1 Zusatzvers: dar ne is wer hitte noch vrost (V. 952,1) 953, 1 Zusatzvers: dar belachtet neyn dor den dummen (V. 953,1)

48 In der Neuedition folgen auf V. 577 vier Zusatzverse. Bei den beiden Zusatzversen von Wo handelt es sich um V. 577,3 f. in umgekehrter Reihenfolge.  

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

145

954–1005, 1008–1034, 1036–1070, 1072–1114, 1116–1126, 1115, 1127–1146, 1147 und 1149 als 1 Vers, 1150–1223, 1226 und 1227 als 1 Vers, 1228–1293, 1295–1354, 1356–1397, 1400–1409, 1412–1435, 1438–1443, 1444 und 1445 als 1 Vers, 1446–1554, 1555 und 1559 als 1 Vers, 1560– 1626, 1627 und 1628 als 1 Vers, 1629–1672, 1674–1705, 1708–1709, 1706–1707, 1710–1736, 1738–2045, 2048–2053, 2056–2131, 2132 und 2133 als 1 Vers, 2134–2206, 2208, 2210–2445, 2446 und 2447 als 1 Vers, 2448–2462, 2464–2472, 2474–2518, 2519 und 2520 als 1 Vers, 2521– 2583, 2586–2624, 2625 und 2626 als 1 Vers, 2627–2641, 2644–2647, 2649, 2648, 2650–2654, 2656–2657, 2666–2729, 2 Zusatzverse*: Jn deme lande to Galilee dar se hadden ghewesen e (V. 2729,1f.) 2730–3023, 3025, 3024, 3026–3073, 3076–3105, 3108–3110, 3111 und 3112 als 1 Vers, 3113, 3112, 3114–3193, 3196–3207, 3210–3279, 3281, 3280, 3282–3317, 3354–3361, 3364–3368, 3370– 3376, 3378–3442, 3444, 3446 und 3450 als 1 Vers, 3451–3603, 3604 und 3605 als 1 Vers, 3606–3645, 3648–3653, 3656–3659, 3664–3723, 3726–3866, 3868–3965, 3966 und 3969 als 1 Vers, 3970–4011, 4013, 4012, 4014–4073, 4074 und 4075 als 1 Vers, 4076–4085, 2 Zusatzverse: Machstu em helpen wedder syn lif dar mede vse leyt vortref (V. 4085,1f.) 4086–4191, 4194–4357, 4361, 4360, 4362–4431, 4432 und 4435 als 1 Vers, 4433 und 4434 als 1 Vers, 4436–4629, 4631, 4630, 4632–4663, 4664 und 4642 als 1 Vers, 4643, 2 Zusatzverse: do quamen vt der stat gheghan Juden de dat wunder saen (V. 4664,1f.)49 4670, 4669, 4672–4726, 4728–4839, 2 Zusatzverse*: do se vp dem weghe ghengen Mangede rede se anne vengen (V. 4839,1f.) 4840–4893, 4896–4980, 4982–4993, 4995, 4994, 4996–5007, 5008 und 5009 als 1 Vers, 5010–5029, 5032–5035, 5038–5039, 5052–5269, 5272–5310, 5312–5349, 5351, 5350, 5352– 5368, 5370, 5369, 5371–5377, 5378 und 5379 als 1 Vers, 5380–5383, 1 Zusatzvers: Matheus ok dar was vnde Mathias (V. 5383,1) 5384–5409, 5411, 1 Zusatzvers: des is bedruwet sin here sere (V. 5411,1) 5412–5441, 5454–5461, 5474–5477, 5506–5509, 5514–5515, 5518–5621, 2 Zusatzverse*:

49 Das Verspaar schließt zwar an V. 4643 an, da V. 4642 f. aber an falscher Stelle nachgeholt wird, füge ich das hier eingefügte Verspaar in der Zählung an V. 4664 an.  

146

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

An Iosepes dode Marien claghe we hort de gherne de wil ek saghen (V. 5621,1f.) 5622–5625, 5628–5631, 5636–5639, 5642–5643, 5646–5653, 5656–5671, 5682–5808, 1 Zusatzvers: Al na Jesu deme reynen (V. 5808,1) 5809–5819, 5822–5849, 5851, 5850, 5852–5869, 5874–5903, 5906–5912, 5913 und 5914 als 1 Vers, 5915–5939, 5972–6035, 6038–6087, 6094–6115, 2 Zusatzverse*: To synen iungeren sprak Ihesus do se quamen vt dem hus (V. 6115,1f.) 6116–6287, 6292–6325, 6328–6431, 6434–6447, 6449–6567, 4 Zusatzverse: de sulue man het Malchius Jn deme dat teyken dede Jesus he sprak so mik god late de gokeler hat mir myn ore wedder gheuen (V. 6567,1–4) 6568–6581, 6588–6653, 6656–6680, 6681 und 6682 als 1 Vers, 6683–6787, 6794–6839, 6844–6847, 6858–6890, 6892–6918, 6919 und 6920 als 1 Vers, 6921–6945, 6948–6967, 6974–7027, 7034–7037, 7042–7043, 7048–7053, 7058–7065, 7072–7073, 7076–7081, 7084– 7095, 7100–7101, 2 Zusatzverse: de lude quamen alle mit groteme scalle (V. 7101,1f.) 7105, 7104, 7106–7109, 2 Zusatzverse: Se spraken alle set wo he gheyt Wu wol dat em syn crone steyt (V. 7109,1f.) 7112–7115, 2 Zusatzverse: Wen he dicke hat ghesaghet We syn muter wen eyn maghet (V. 7115,1f.) 7116–7117, 7120–7121, 2 Zusatzverse*: owe myn leue kynt Jesu Vp dime rugghe wat dreghestu (V. 7121,1f.) 7122–7145, 7148–7153, 7154 und 7155 als 1 Vers, 2 Zusatzverse: Se sprak owi kynt vnde here des doghestu so grote swere (V. 7155,1f.) 7156–7160, 2 Zusatzverse:

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

147

owe mir der groten leyden Scal ik dus nu van dir scheyden (V. 7160,1f.) 7162–7255, 7258–7267, 7276–7287, 7292–7309, 7312–7329, 7334–7335, 7340–7365, 7368–7381, 7386–7415, 7430–7447, 7452–7463, 7466–7485, 7488–7625, 7628–7671, 7676–7685, 7687, 7686, 7688–7707, 7710–7721, 7724–7727, 7730–7733, 7736–7771, 7774–7781, 7784–7791, 7793–7803, 7806–7823, 7826–7831, 7838–7849, 7852–7859, 7864–7879, 7884–7893, 7896, 7900–7911, 7918–7921, 2 Zusatzverse*:50 Owi we scal my leue here gheuen Vmme myn suntlike leuen (V. 7921,1f.) 7926–7931, 7934–7939, 7944–7971, 7974–8025, 8028–8031, 8036–8041, 8044–8099, 8102– 8125, 8128–8131, 8134–8143, 8148–8151, 8156–8178, 8180–8185, 8188–8259, 8268–8275, 8278–8320, 8324–8333, 8338–8361, 8368–8385, 8390–8391, 8394–8397, 8400–8403, 8406– 8417, 8420–8423, 8436–8440, 8443–8450, 8456–8457, 8460–8461, 8464–8466, 8471, 8468– 8470, 8467, 8474–8479, 8484–8485, 8487–8490, 8493–8497, 8848–8903, 8906–8961, 8970–8973, 8976–9003, 9016–9019, 9022–9025, 9028–9029, 9034–9043, 9050–9051, 9054– 9063, 9066–9071, 9078–9099, 9106–9111, 9126–9133, 2 Zusatzverse*: Sculle wi komen oder bliuen des bidde wi dik eynen bref schriuen (V. 9133,1f.) 9134–9139, 9142–9149, 9152–9155, 9158–9161, 9166–9228, 9230–9286, 9288–9289, 9287, 9290–9301, 9303, 9302, 9304–9412, 9414–9443, 9446–9469, 2 Zusatzverse*: ok de stummen vnde de doren Wolden se an Christum louen (V. 9469,1f.) 9470–9625, 9627, 9626, 9628–9629, 2 Zusatzverse*: du bist ok de busch vnvorbrant dar got Moyse wart an bekant (V. 9629,1f.) 9630–9639, 9642–9685, 2 Zusatzverse*: du bist de lilie de by deme dorne ghewassen is wente vterkorne (V. 9685,1f.) 9686–9701, 9704–9705, 9716–9725, 9736–9745, 9747, 9746, 9748–9749, 9762–9771, 9774– 9786, 9787 und 9788 als 1 Vers, 9789, 9794–9805, 9812–9817, 9822–9825, 9834–9845, 9850– 9853, 9862–9873, 9976–10005, 10020–10037, 10039, 10038, 10040–10049, 10052–10097, 10100–10133. Versdoppelungen: Nach V. 2613: Wiederholung von V. 2604–2613.

50 In der Neuedition folgen diese beiden Zusatzverse erst auf V. 7925. In Wo fehlen V. 7922–9725, die Zusatzverse schließen daher schon an V. 7921 an.

148

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Nach V. 2750: Wiederholung von 2745f. Nach V. 3656: Wiederholung von V. 3657 und V. 3652 als 1 Vers, 3653, 3654. V. 3652: mit dren neten vp der hant. V. 3657: Van dem houede bet vp den vus. Wiederholung von V. 3657 und V. 3652 als 1 Vers: Van dem houede her vp der hant. Nach V. 4443: Wiederholung von V. 4443 (beim Blattwechsel, nur Versbeginn). Nach V. 7647: Wiederholung von V. 7644f. Nach V. 9159: Wiederholung von V. 9158 (beim Blattwechsel).

4.1.2.2 Analyse In der Versübersicht zu Wo fällt die hohe Zahl an Zusatzversen auf, die nicht in der Neuedition berücksichtigt sind. Von diesen sind mit einer Ausnahme (V. 5383,1) alle auch in Lü bezeugt. Die Notwendigkeit für einen zusätzlichen Vers nach V. 5383, d. h. mitten in der Vorstellung der zwölf Apostel, ergibt sich aus der vorhergehenden Zusammenfassung des Verspaars V. 5378 f. Statt Sin broder Iacob vnde Matheus | Symon Iacob vnde Philipus (W, gleichlautend in O und Be) hat Wo: Syn broder Iacob vnde Philippus (gleichlautend in Lü). Über die Zusammenfassung, die auf die in beiden Versen vorhandene Namensnennung Iacob zurückzuführen ist, fehlen die Apostel Matthäus, Simon Kananäus und Jakobus der Jüngere. Ersterer wird nur in Wo, nicht jedoch in Lü, gemeinsam mit Matthias mit dem Zusatzvers V. 5383,1 nachgetragen: Matheus ok dar was vnde Mathias. Damit ergibt sich eine Gesamtzahl von elf Aposteln in diesem Abschnitt, auf die Nennung von Simon Kananäus und Jakobus des Jüngeren wird verzichtet.51 Wo ist innerhalb des Korpus die einzige Handschrift, die an dieser Stelle Matthias führt und somit einen Heiligen ergänzt, der nicht zu den ursprünglichen zwölf Aposteln zählt, sondern erst nach Jesu Himmelfahrt und für Judas Iskariot aufgenommen wird.52 Bei den nur in Wo übersprungenen Einzelversen handelt es sich um V. 5, V. 222, V. 526, V. 1035, V. 1115, V. 1294, V. 1355, V. 1673, V. 1737, V. 2207, V. 2209, V. 2463, V. 2655, V. 3377, V. 3867, V. 4727, V. 4981, V. 6448, V. 6891, V. 7161, V. 7792, V. 8179, V. 9229, V. 9413.  



51 Dass die Vorstellung der zwölf Apostel besonders fehleranfällig ist, zeigt ein Vergleich mit den weiteren niederdeutschen Vollhandschriften. Die Auflistung in der Reihenfolge Petrus, Andreas, Johannes, Jakobus der Ältere, Matthäus, Simon Kananäus, Jakobus der Jüngere, Philippus, Judas Thaddäus, Bartholomäus, Thomas und Judas Iskariot ist nur in O und Be vollständig überliefert. In W fehlt Thomas, an der Stelle steht erneut Johannes. In Lü steht Jesus an der Stelle von Johannes und es fehlen Matthäus, Simon Kananäus und Jakobus der Jüngere. 52 Vgl. die Nachwahl des zwölften Apostels in Apg 1,15–26 sowie Stadler / Ginal 1875, S. 321– 323.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

149

Auslassungen im Umfang von einem Verspaar sind entschieden häufiger, nur wenige Einzelfälle können über Homoioteleuta erklärt werden: V. 3967f., V. 6036f., V. 6432f., V. 7082f., V. 7102f., V. 7110f., V. 7118f., V. 7146 f. , V. 7256f., V. 7310f., V. 7366f., V. 7464f., V. 7486f., V. 7626f., V. 7708f., V. 7722f., V. 7728f., V. 7734f., V. 7772f., V. 7782f., V. 7804f., V. 7824f., V. 7850f., V. 7894 f. , V. 7932f., V. 7972 f. (Homoioteleuton), V. 8042f., V. 8100 f. (Homoioteleuton), V. 8126f., V. 8132f., V. 8276f., V. 8392f., V. 8398f., V. 8404f., V. 8418f., V. 8424f., V. 8458f., V. 8472f., V. 8904f., V. 8974f., V. 9020f., V. 9026f., V. 9052f., V. 9064f., V. 9140f., V. 9150f., V. 9156f. Auch Kürzungen im Umfang von mindestens drei Versen sind zahlreich vertreten und nehmen zum Textende hin zu: V. 2658–2665 (Homoioteleuton), V. 7028–7033, V. 7038–7041, V. 7044–7047, V. 7054–7057, V. 7066–7071, V. 7096–7099, V. 7268–7275, V. 7288–7291, V. 7330–7333, V. 7336–7339, V. 7382– 7385, V. 7416–7429, V. 7448–7451, V. 7672–7675, V. 7832–7837, V. 7860–7863, V. 7880–7883 (Homoioteleuton), V. 7897–7899, V. 7912–7917, V. 7922–7925, V. 8032–8035, V. 8144–8147, V. 8260–8267, V. 8321–8323, V. 8334–8337, V. 8451–8455 (Homoioteleuton), V. 8962–8969, V. 9004–9015, V. 9112–9125, V. 9162–9165 fehlen. Lediglich G19 (Zahlung der Tempelsteuer) ist vollständig ausgefallen. Bei Wo handelt es sich zudem um die Abschrift mit den meisten Verszusammenfassungen, d. h. mit den meisten Augensprüngen des Schreibers: V. 1226 und V. 1227, V. 1627 und V. 1628, V. 2132 und V. 2133, V. 2446 und V. 2447, V. 2519 und V. 2520, V. 2625 und V. 2626, V. 3604 und V. 3605, V. 3966 und V. 3969, V. 4074 und V. 4075, V. 5913 und V. 5914, V. 6919 und V. 6920, V. 7154 und V. 7155, V. 9787 und V. 9788 sind nur in Wo zu einem Vers zusammengefasst. Versumstellungen, die nur in Wo bezeugt sind, erscheinen vergleichsweise selten: V. 1115 erst nach V. 1126, V. 4631 vor V. 4630, V. 4995 vor V. 4994, V. 5351 vor V. 5350, V. 5370 vor V. 5369.  









4.1.2.3 Die gekürzten Klagereden Kennzeichnend für die Abschrift in Wo ist das vergleichsweise seltene Überspringen von Einzelversen. Stattdessen verantworten zahlreiche Auslassungen einzelner Verspaare und umfangreicher Versabschnitte den geringeren Textumfang. Eine signifikante Kürzung ist die Auslassung von J3, der Marienregel. Da dieser Befund ein gemeinsames Kennzeichen der Handschriften Wo und Lü darstellt, wird er erst in Kapitel 4.2.1 näher analysiert. An dieser Stelle sollen diejenigen Kürzungen in den Fokus genommen werden, die ausschließlich in Wo vorliegen. Sie betreffen in erster Linie die diversen Klagereden während der Passion, das heißt den Episodenblock H, und hier insbesondere die Marienklagen, in denen

150

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

sich in den vollständigen Textfassungen die „in der Identifikation mit der mitleidenden Gottesmutter einen affektiven Heilsweg suchende[] Compassio-Frömmigkeit“53 deutlich zeigt. In allen sechs Kapiteln, die Klagereden beinhalten – H17, H19, H20, H24, H29 und H30 –, begegnen in Wo Auslassungen, die sowohl zu einer Verdichtung des Geschehens als auch zu seiner Verankerung in der erzählerischen Gegenwart beitragen. Diese beiden Effekte werden im Folgenden anhand von H17 detailliert erläutert und im Anschluss für die weiteren fünf Episoden aufgezeigt. H17: Marias Reaktion auf Jesu Verurteilung (Klage) (V. 6994–7181) Die Abschrift in Wo kürzt das erste Klagereden-Kapitel im Passionsblock H von hundertneunzig Versen (inklusive zwei von Rückert übergangene Verse in der Neuedition) auf hundertachtundfünfzig Verse. Sowohl in Wo als auch in den beiden Editionen beginnt es mit einer knappen Zustandsbeschreibung von Marias Aufenthalt bei Martha und Maria Magdalena in Bethanien und lässt die Handlung mit der Ankunft eines Boten beginnen, der um Jesu Verurteilung und baldige Ermordung weiß. Die Beschreibung von Marias Reaktion (Ohnmacht) und ihre erste Klagerede im Umfang von zehn Versen (V. 7012–7021) bleiben unangetastet, die Kürzungen setzen erst mit der zweiten Klagerede (V. 7028–7075) ein, die statt achtundvierzig Verse nur zweiundzwanzig Verse umfasst. Bei den ausgelassenen Versen handelt es sich zunächst um solche, die nicht zum weiteren Handlungsverlauf beitragen. Dazu gehören V. 7028–7033, in denen Maria über Weh-Rufe ihre Notlage und deren Aussichtslosigkeit zum Ausdruck bringt. Es lässt sich eine Konzentration auf handlungsvorantreibendes Klagen erkennen, die auch erklären kann, warum die erste Klagerede unverändert bleibt: Sie ist keine Klage um der Klage willen, sondern um der Handlung willen: Maria thematisiert zwar ihr Leid in kurzen Ausrufen (z. B. V. 7017: We mir we der iammer not), verliert sich aber nicht in ihm. Stattdessen adressiert sie den Boten, fragt nach ihrem Sohn und beschließt den eigenen Aufbruch nach Jerusalem. Darüber hinaus verzichtet Wo in der zweiten Klagerede auf V. 7038–7041, d. h. den Abschnitt, in dem Maria alternative, aber nun unmögliche Handlungsoptionen für die Vergangenheit aufzeigt. Diese Auslassung steht im Einklang mit dem späteren Wortbeitrag Maria Magdalenas in V. 7091–7099, der um vier Verse gekürzt wird, die die bisherigen Ereignisse zusammenfassen (V. 7096–7099), und sich so ausschließlich auf den Jetzt-Zustand (V. 7091–7095) beschränkt: Gerade in diesem Moment leidet Jesus große Schmerzen und steht schwer verwundet vor Pilatus. Die Betonung der  



53 Kraß 2007, S. 476. Zur Compassio-Frömmigkeit in den Marienleben vgl. Kraß 1998, S. 217–224.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

151

Gegenwart ist sprachlich mit der zweifachen Verwendung des Adverbs iuetu (V. 7093f.) – in Übersetzung: „jetzt, zur Zeit“54 – markiert. Ferner handelt es sich bei den Versauslassungen um inhaltliche wie wörtliche Wiederholungen. So belässt es diese Abschrift in der zweiten Klagerede bei dem Verspaar leyder mir is nu gheschen | des ik mik langh han vorseen (V. 7042f.) und überspringt die anschließenden vier Verse, die den Inhalt dieses Verspaares, d. h. Marias Vorahnung, erneut aufgreifen. In gleicher Weise verzichtet Wo auf zwölf Verse, die lediglich den Beschluss zum Aufbruch nach Jerusalem bekräftigen (V. 7054–7057; V. 7066–7071; V. 7074f.), auf ein Verspaar (V. 7102f.), das wie das vorausgehende von der Ankunft Schaulustiger berichtet, sowie auf ein weiteres Verspaar (V. 7146f.), mit dem Jesus seinen bereits zuvor geäußerten Wunsch (V. 7144f.), nicht um ihn zu weinen, wiederholt. Im weiteren Verlauf des Kapitels werden vor allem die einleitenden Verse für die wörtlichen Reden gekürzt: Marias dritter Klagerede (V. 7084–7089) geht nur ein Halbvers – Se sprak (V. 7084) – statt ein Verspaar (V. 7082f.) voraus, während ihre vierte Klagerede (V. 7120–7132) ganz ohne einleitendes Verspaar auskommt (V. 7118f.). Damit erfolgt über die Auslassung eine Angleichung an die anderen Klagereden dieses Kapitels, denen ebenfalls nur eine kurze Inquit-Formel vorangestellt ist (V. 7011, V. 7090, V. 7160). Die vermittelnde Instanz tritt also für die direkten Reden in Wo in den Hintergrund.  

H19: Marias Reaktion auf Jesu Kreuzigung (Klage) (V. 7254–7347) In dem zweiten Kapitel, das mehrheitlich aus Marienklagen besteht, fehlen vierundzwanzig der insgesamt vierundneunzig Verse der beiden Editionen. Die Auslassungen betreffen sowohl die direkte Rede, d. h. die Verbalisierung von Marias Leid, als auch ihre physische Reaktion. Die Klagereden wurden erneut um Wehrufe (V. 7273f., V. 7332f.) sowie variierte Wiederholungen von bereits Erzähltem (V. 7310f., V. 7330f.) reduziert. Ferner fehlen acht Verse, mit denen die bereits vorhandene Beschreibung von Marias wiederholtem Bewusstseinsverlust variiert wird (V. 7288–7291, V. 7336–7339).  

H20: Jesus am Kreuz, Marias Klage (V. 7348–7509) Die umfangreichste Kürzung in diesem Kapitel begegnet in Marias Klagerede unterm Kreuz und betrifft eine vierzehn Verse umfassende Passage (V. 7416– 7429), in der Maria der Reihe nach Jesu Füße, Hände, Rücken, Seiten, Wangen, Kopf und Augen adressiert und die Schmerzen eines jeden Körperteils beweint. Wo verzichtet zwar auf diesen ausführlichen Körperteilkatalog, bewahrt aber

54 Lasch / Borchling 1956ff., Bd. 2,1, Sp. 471.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

152

weiterhin die darauffolgende Zusammenfassung, die von Jesu Leid zu Marias Not überleitet: [Bl. 184r] 7430 7431 7432 7433

Owi myn vil leue kynt Alle dyne reynen leyde sint van ein ander sere gherecket vnde an dat cruce hir ghestrecket

Auch hier lässt Wo Marias Klagereden demnach nicht ausufern und nimmt über vier bereits vorhandene Verse eine Abkürzung. H24: Marias Reaktion auf Jesu Tod (Klage) (V. 7590–7689) Auf Marias Klagen vor, während und nach Jesu Kreuzigung folgt mit H24 eine letzte Marienklage, mit der die Gottesmutter den Tod ihres Sohnes beweint. Interessanterweise behält die Abschrift in Wo hier einen ausführlichen Rückblick auf Jesu Leben bei und lässt auf diese Weise einen Ausflug in die Vergangenheit zu. Die Kürzungen in dieser Episode sind von deutlich geringerem Umfang als in den bisherigen Kapiteln und betreffen in erster Linie Paraphrasierungen von in unmittelbar vorausgehenden oder unmittelbar folgenden Versen bereits Gesagtem (V. 7626f., V. 7672–7675). H29: Petrus’ Klage (V. 7814–7887) Nach Maria kommen Petrus und Maria Magdalena zu Wort. Petrus’ Klage (achtundsechzig Verse in den Editionen) fehlen achtzehn Verse. Die Rede verzichtet insbesondere auf diejenigen Passagen, die einen Blick zurück auf Jesu Prophezeiung von Petrus’ Verrat werfen (V. 7860–7863, V. 7880–7833). Auch Petrus’ Klagerede bleibt damit, wie der Großteil der Marienklagen, der erzählerischen Gegenwart verpflichtet. H30: Maria Magdalenas Klage (V. 7888–7943) Maria Magdalenas Klagerede umfasst in Wo lediglich fünfunddreißig der zweiundfünfzig in der Neuedition geführten Versen. Erneut sind die Auslassungen hauptsächlich Passagen, die entweder vorausgehende oder folgende Verse variierend wiederholen. So fehlt das Verspaar V. 7894f., das den Vorgang des Erschlagens aus V. 7893 (Jrsclaghen is myn leue here) aufgreift und um einen Wehruf ergänzt, sowie Maria Magdalenas Selbstthematisierung ihrer Erlösung in V. 7897–7899, die sich in den anschließenden – in Wo erhaltenen – drei Versen wiederholt. Ebenso fehlen in diesem Kapitel die abschließenden vier Verse, in denen der Erzähler kurz auf die Klagen weiterer Frauen verweist. Damit tritt erneut die vermittelnde Instanz in den Hintergrund.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

153

Zusammengefasst bewirken die Versauslassungen demnach eine Konzentration auf die Ereignisabfolge im Hier und Jetzt mittels Verzicht auf nicht handlungsrelevante Passagen sowie auf Variationen von bereits Gesagtem unter Zurücktreten einer vermittelnden Instanz. Dieser Befund wurde anhand von H17 ausführlich dargelegt und mit den Kürzungen der folgenden fünf KlageredenKapitel bestätigt. So konnte herausgearbeitet werden, dass sich die analysierten Muster nicht auf die Klagen der Gottesmutter beschränken, sondern auch für Klagen weiterer biblischer Personen gelten.

4.1.3 Lü 4.1.3.1 Übersicht des Versbestands Insgesamt: 9223 Verse 1–11, 13–18, 20–22, 8 Zusatzverse*: dyt bockelin han ik gezand den broderen de dar sint ghenand van deme dudescen hus vnde sint vnde zint Marie ridder vn ey cynt van deme hilgen geiste wan maget wezende ane man dat bock het zunte Marigen leuent de mote vns ewyge vroude geuen (V. 22,1–8) 23–67, 69, 68, 70–91, 93–140, 143–339, 341–364, 365 und 366 als 1 Vers, 367–373, 375–410, 412, 411, 413–432, 1 Zusatzvers*:55 moste vpp stigen de scolde ghen (V. 432,1) 433–438, 2 Zusatzverse*: alleine gink it vpp dat cindelin ane de hulppe der moder zin (V. 438,1f.) 439, 441–446, 2 Zusatzverse*: zin houet to dem altare negede den luden alle dar mede weren (V. 446,1f.) 447–470, 2 Zusatzverse*:

55 In der Neuedition folgen hier zwei Zusatzverse. Der in Lü enthaltene entspricht V. 432,1.

154

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

des cyndes vort myt vlite plegen to aller tvcht ward er getogen (V. 470,1f.) 471–475, 477, 479–490, 5 Zusatzverse*:56 dat ze were gud vnde mylde vnde allen luden reyne bylde vor myt scone tuchten tenghe se lerde dat ze gerne bede an er bede ock vndoget were (V. 490,1–3, 5f.) 491–496, 2 Zusatzverse*: vnde er beide sotte rede de was ock nycht vnmere (V. 496,1f.) 497–508, 510–531, 1 Zusatzvers*: an deme temppel dat offer was (V. 531,1) 532–535, 2 Zusatzverse*: dat neygeden vnde wol berigeden vnde ock de altore laken vpp breiden (V. 535,1f.) 537, 536, 538–561, 563–577, 2 Zusatzverse*:57 dorch ere cussche otmodicheid dor de andacht vnde ere reynicheit (V. 577,1f.) 579, 578, 580–607, 609, 608, 610–643, 645–791, 6 Zusatzverse*: Elizabet Marien modder was zin wiff her Sacharias de was gezetten in der stat to Yerusalem wente zee batt Marien dat ze to er gingen vnde trost van er entfinge (V. 791,1–6) 792–829, 831, 830, 832–850, 852–855, 2 Zusatzverse*: wit scone vnde gar reyn gelick deme witten elppenbeine (V. 855,1f.) 856–872, 873 und 874 als 1 Vers, 875–906, 1 Zusatzvers:

56 In der Neuedition folgen hier sechs Zusatzverse. In Lü fehlt V. 490,4. 57 In der Neuedition folgen hier vier Zusatzverse. Bei den beiden Zusatzversen von Lü handelt es sich um V. 577,3 f. der Neuedition in umgekehrter Reihenfolge.  

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

155

wentu nu west zunde eyne (V. 906,1) 907, 1 Zusatzvers: gedan to aller gnaden lere (V. 907,1) 908–927, 929, 928, 930–952, 1 Zusatzvers: dar is ne weder kulde noch vrost (V. 952,1) 953, 1 Zusatzvers: dar belachet nicht de dore den dummen (V. 953,1) 954–997, 999–1005, 1008–1112, 1114–1146, 1147 und 1149 als 1 Vers, 1150–1221, 1223, 1226– 1244, 1246–1397, 1400–1409, 1412–1435, 1438–1443, 1444 und 1445 als 1 Vers, 1446–1453, 1455–1456, 1454, 1457–1481, 1483, 1482, 1484–1546, 1548–1554, 1555 und 1559 als 1 Vers, 1560–1703, 1705, 1708–1709, 1706–1707, 1710–1800, 1802–1955, 1957–2045, 2048–2053, 2056–2080, 2082–2124, 2126–2178, 2180–2196, 2198–2294, 2296–2432, 2434–2472, 2474–2532, 2534–2583, 2586–2608, 2610–2639, 2641, 2644–2647, 2649, 2648, 2650–2692, 1 Zusatzvers: vnde dat ick den dach (V. 2692,1) 2693–2729, 2 Zusatzverse*: yn deme lande to Galile dar ze hadden wezen ere (V. 2729,1f.) 2730–2882, 2884–2912, 2913 und 2914 als 1 Vers, 2915–2982, 3007–3023, 13 Zusatzverse: de zulue vrouwe hade en kind dat was boze also de vttsetescen zind myt deme hadde ze vngemak beyde dach vnde nacht do Yesus vtte deme bade qwam de zulue vrouwe dat cynd nam vnde sette dat an dat vetelin tohand vor gink em de suke zin ze dankeden Yezum al tohant dat zin gnade was em becand vnde hadde em dar scyn an de an deme suluen water zin siner gnaden hulppe scin (V. 3023,1–13) 3025, 3024, 3026–3073, 3076–3105, 3108–3110, 3111 und 3112 als 1 Vers, 3113, 3112, 3114– 3193, 3196–3207, 3210–3279, 3281, 3280, 3282–3298, 1 Zusatzvers: vnde ze myt den anderen leppen (V. 3298,1)

156

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

3299–3317, 3354–3361, 3364–3442, 3444, 3446 und 3450 als 1 Vers, 3451–3474, 3477 und 3478 als 1 Vers, 3479–3628, 3630–3645, 3648–3653, 3656–3659, 3664–3723, 3726–3846, 3848–3913, 3914 und 3915 als 1 Vers, 3916–3928, 3930, 3932–4011, 4013, 4012, 4014–4078, 4080–4085, 2 Zusatzverse: mochtest wedder em helppen zin liff dar mede vnze leid vordriff (V. 4085,1f.) 4086–4123, 4131–4132, 4134–4173, 4176–4187, 4190–4191, 4194–4283, 4286–4357, 4361, 4360, 4362–4431, 4432 und 4435 als 1 Vers, 4433 und 4434 als 1 Vers, 4436–4441, 4444– 4478, 4480–4484, 4486–4511, 4513–4529, 4532–4537, 4540–4545, 4548–4553, 4555–4559, 4562–4565, 4568–4596, 4598–4606, 4608–4629, 4632–4641, 4644–4663, 4664 und 4642 als 1 Vers, 4643, 2 Zusatzverse: do qwem vt der stat gan de yoden de dat wunder zegen an (V. 4664,1f.)58 4670, 4669, 4672–4690, 4692–4715, 4718–4757, 4759–4839, 2 Zusatzverse*: do ze vppe dem wege gingen menge rede ze anvyngen (V. 4839,1f.) 4840–4885, 4888–4893, 4896–5007, 5008 und 5009 als 1 Vers, 5010–5029, 5032–5035, 5038–5039, 5052–5066, 5068–5191, 1 Zusatzvers: beide arm vnde rick rik (V. 5191,1) 5192–5269, 5272–5377, 5378 und 5379 als 1 Vers, 5380–5409, 5411, 1 Zusatzvers: des is bedrouet zin herte zere (V. 5411,1) 5412–5426, 5428–5441, 5454–5461, 5474–5477, 5506–5509, 5514–5515, 5518–5621, 2 Zusatzverse*: an Yozeppes dode Marien clage we hord de gerne de wil ick zagen (V. 5621,1f.) 5622–5625, 5628–5631, 5636–5639, 5642–5643, 5646–5653, 5656–5671, 5682–5763, 5765– 5784, 5786–5803, 5805–5808, 1 Zusatzvers: na Yezum deme vil reynen (V. 5808,1) 5809–5819, 5822–5849, 5851, 5850, 5852–5869, 5874–5903, 5906–5981, 5983–6087, 6094– 6115, 2 Zusatzverse*: to zinen yungeren sprak Yezus do ze quemen vt deme hus (V. 6115,1f.)

58 Zur Bezeichnung dieses Verspaars vgl. die Übersicht in Kap. 4.1.2.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

157

6116–6131, 6132 und 6133 als 1 Vers, 6134–6146, 6148–6196, 6198–6220, 6222–6269, 6271, 6270, 6272–6287, 6292–6314, 6316–6325, 6328–6539, 6541–6567, 4 Zusatzverse: de suluem hete Malkus an deme dat teken dede Yesus he sprak zo got my late leuen desse gokelere hefft my my ore wedder geuen (V. 6567,1–4) 6568–6581, 6588–6653, 6656–6787, 6794–6839, 6844–6847, 6858–6894, 6896–6945, 6948– 6967, 6974–6998, 7000–7055, 7057, 7056, 7058–7073, 7076–7093, 7095–7103, 2 Zusatzverse: de yoden cuemen alle myt enem graten scalle (V. 7103,1f.) 7105, 7104, 7106–7111, 2 Zusatzverse: ze spreken alle wo dat he geid wo em zin kruse steid (V. 7111,1f.) 7112–7115, 2 Zusatzverse: wente he dicke dat zaget dat zin muder were en maget (V. 7115,1f.) 7116–7121, 2 Zusatzverse*: owe myn leue cind Yezus vppe deme rugge wat dregestu (V. 7121,1f.) 7122–7155, 2 Zusatzverse: ze sprak owe cyn myn here wo listu zo grote swere (V. 7155,1f.) 7156–7161, 2 Zusatzverse: o we my der groten leiden scal ick nu van di sceiden (V. 7161,1f.) 7162–7423, 7426–7432, 7434–7439, 7442–7609, 7612–7685, 7687, 7686, 7688–7925, 2 Zusatzverse*: owy we scal my lere geuen vmme myn sundelike leuend (V. 7925,1f.) 7926, 2 Zusatzverse*:59

59 In der Neuedition sind die beiden Zusatzverse als V. 7927,1 f. vermerkt.  

158

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

o wy zine vil grote truwe maket myneme herten ruwe (V. 7926,1f.) 7928–7939, 7944–8025, 8028–8086, 8088–8151, 8156–8281, 8284–8361, 8368–8385, 8390– 8425, 8436–8440, 8443–8456, 8458–8464, 8466, 8471, 8468–8470, 8467, 8472–8479, 8484– 8485, 8487–8490, 8493–8497, 8848–8906, 8908–8973, 8975, 8974, 8976–9013, 9016–9043, 9050–9071, 9078–9099, 9106–9123, 9126–9131, 2 Zusatzverse*:60 scolle wy camen edder bliuen des bidde wy dy einen breff scriuen (V. 9131,1f.) 9132–9169, 9170 und 9171 als 1 Vers, 9172–9286, 9288–9289, 9287, 9290–9301, 9303, 9302, 9304–9377, 9379–9380, 9378, 9381–9443, 9446–9469, 2 Zusatzverse*: de stummen vnde de douen wolden ze an Cristum louen (V. 9469,1f.) 9470–9528, 9530–9625, 9627, 9626, 9628–9629, 2 Zusatzverse*: du bist de busk al vnvorbrand dar gat Mogize wart ane becand (V. 9629,1f.) 9630–9639, 9642–9685, 2 Zusatzverse*: du bist de ligge de by deme dorne wassen is wente vttercarne (V. 9685,1f.) 9686–9701, 9704–9705, 9716–9725, 9736–9745, 9747, 9746, 9748–9749, 9762–9771, 9774– 9789, 9794–9805, 9812–9817, 9822–9825, 9834–9845, 9850–9853, 9862–9873, 9976–9992, 9994–10005, 10020–10037, 10039, 10038, 10040–10049, 10052–10088, 10090–10097, 10100–10133. Versdoppelungen: Nach V. 526: Wiederholung von V. 524. Nach V. 672: Wiederholung von V. 672. Nach der Rubrik zu B16: Wiederholung der Rubrik: Dat Maria yn yhode er word sprak. Wiederholung: Eyn yode Maryen word sprak. Nach V. 1737: Wiederholung von V. 1737 (beim Blattwechsel). Nach V. 2222: Wiederholung von V. 2221f. Nach V. 2313: Wiederholung von V. 2313 (beim Blattwechsel). Nach V. 2456: Wiederholung von V. 2456 (beim Blattwechsel). Nach V. 3083: Wiederholung von V. 3083: se wolden vpp den wech ten. Wiederholung: se woldent vppe den wech ghyn. Nach V. 3669: Wiederholung von V. 3668: vnvledich dink dar an qwam. Wiederholung: ny vnvledich dink dar an qum. Nach V. 4164: Wiederholung von V. 4164 (beim Blattwechsel).

60 In der Neuedition folgen die beiden Zusatzverse erst auf V. 9133.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

159

Nach V. 4330: Wiederholung von V. 4331 und V. 4330 als 1 Vers. V. 4330f.: se sprak wat deistu leue cynd | Yhesus sprak de holter zind. Wiederholung: Yezus sprk vyl leue kynd. Nach V. 4444: Wiederholung von V. 4444. Nach V. 4698: Wiederholung von V. 4699 und V. 4698 als 1 Vers. V. 4698f.: dis Yosep de zin vader is | de leuet ane valsche list. Wiederholung: de leuet de zin wader is. Nach V. 4864: Wiederholung von V. 4860: dar vme han ick vele myt em. Wiederholung: dar vmme han ick vele myt en icht. Nach V. 5207: Wiederholung von V. 5203–5207, identisch bis auf V. 5204: o wig wo scal is yrgan. Wiederholung: o wy wo scal id dat began. Nach der Rubrik zu G9: Wiederholung der Rubrik. Nach V. 5969: Wiederholung von V. 5969 f. als 1 Vers: brak in der suluen stund | twe pennynge dar inne vand. Wiederholung: tw penge in der zuluen stund. Nach V. 6481: Wiederholung von V. 6480: nach dinen willen it alle sche. Wiederholung: alle din wille an my besce. Nach V. 6549: Wiederholung von V. 6549 (beim Blattwechsel). Nach V. 6575: Wiederholung von V. 6575: also einen morder togen en. Wiederholung: vpp deme wege togen en. Nach V. 6588: Wiederholung von V. 6588: an zin harte vn antlat mynnichlick. Wiederholung: an zin antlat mynnichlick. Nach V. 6773: Wiederholung von V. 6773: al an eyne cruse laten sten. Wiederholung: an eyn cruse latten slan. Nach V. 7461: Wiederholung von V. 7461. Nach V. 7996: Wiederholung von V. 7996 (beim Blattwechsel). Nach der Rubrik zu I10: Wiederholung der Rubrik. Nach der Rubrik zu K11: Wiederholung der Rubrik.  

4.1.3.2 Analyse Lü überliefert ein ‚Marienleben‘ im Umfang von 9223 Versen. Das zentrale Alleinstellungsmerkmal dieser Handschrift sind die dreizehn Zusatzverse, die auf V. 3023 folgen und in der gesamtdeutschsprachigen Philipp-Überlieferung bisher singulär hier bezeugt sind. Diese Interpolation wird in Kapitel 4.3.1 ausführlich auf ihre möglichen Quellen und ihre Funktion innerhalb der Erzählung hin untersucht. Der Lübecker Textzeuge weist zwar nur diesen einen episodenartigen Einschub auf, verwendet aber gelegentlich einzelne Zusatzverse. Die meisten von diesen hat Lü mit Wo gemein, lediglich drei Einfügungen sind ausschließlich in Lü vorhanden. Erstmalig findet sich ein derartiger Zusatzvers nach V. 2692: [Bl. 55v] 2690 de ho Yezum dat cynd zach 2691 drade gink he to em vnde sprak [Bl. 56r] 2692 wol my dat ick yhe gezach

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

160

2692,1 2693

vnde dat ick den dach myt mynen ogen yhe gezach

V. 2692 f. lautet in der verwandten Handschrift Wo: Wol mik wart dat ik den dach | Myt mynen oghen ie ghesach. Der Lübecker Textzeuge führt demnach für V. 2692 das Reimwort von V. 2693 und überspringt damit das eigentliche Reimwort von V. 2692. Dieses wird mit einem Zusatzvers ergänzt, wodurch sich ein unreiner Fünfreim in diesem Absatz ergibt: zach – sprak – zach – dach – zach. Im weiteren Textverlauf steht ein Zusatzvers, der in der Konsequenz einer syntaktischen Verschiebung notwendig wird:  

[Bl. 68r] 3296 3297 3298 3298,1 3299 3300 3301

de done de was mychel vnde grod vnde ouer de stat do wente de duel alle reppen vnde ze myt den anderen leppen myt eneme vnngenemen salle we vns we vns der leyden mere hir is gecamen vnze here

In V. 3298 müsste reppen vor alle stehen, um den Reim mit V. 3299 salle zu garantieren. Durch die syntaktische Umstellung fehlt ein Reim auf reppen, der in V. 9298,1 mit leppen gefunden wird. Für V. 3299 wird in der Folge ein neuer Reim notwendig, hier findet sich jedoch keine Ergänzung. In einem dritten und letzten Fall ergibt sich aus der Einfügung eines zusätzlichen Verses ein Dreireim: [Bl. 103v] 5186 Yezus sprak dar vmme de duuel 5187 nicht hefft an my doch he wil 5188 myt vnmechte an grippen my 5189 vnde wil vnder wynden sick 5190 vnde wil ock vorraden myck 5191 dat de yoden alle gelick 5191,1 beide arm vnde rick rik [Bl. 104r] 5192 scollen staden alle mynen dod 5193 vnde bringen my an grote nad

Das Reimwort in V. 5188 lautet in Wo mik und ergibt dort einen reinen Reim mit sik in V. 5189. Der Reim von V. 5188 (my) und V. 5189 (sick) ist in der Lübecker Handschrift nicht mehr offenkundig. Es ist somit anzunehmen, dass der Schreiber V. 5190 für den passenden Reim auf V. 5189 hielt und daher nach V. 5191 einen

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

161

Spaltenreim ergänzte.61 Hierfür nutzte er den ihm bereits bekannten V. 480: beyde erm vnde ricke. Bei den Auslassungen der Lübecker Abschrift handelt es sich zumeist um übergangene Einzelverse, die eine Aufweichung des Reimpaarschemas zur Folge haben. Nur in dieser Handschrift fehlen die Einzelverse V. 12, V. 19, V. 92, V. 340, V. 440, V. 476, V. 478, V. 490,4, V. 509, V. 562, V. 644, V. 851, V. 998, V. 1113, V. 1245, V. 1704, V. 1956, V. 2081, V. 2125, V. 2179, V. 2197, V. 2295, V. 2433, V. 2533, V. 2640, V. 2883, V. 3629, V. 3847, V. 3929, V. 3931, V. 4079, V. 4133, V. 4479, V. 4485, V. 4512, V. 4554, V. 4597, V. 4607, V. 4691, V. 4758, V. 5067, V. 5427, V. 5764, V. 5785, V. 5804, V. 5982, V. 6147, V. 6197, V. 6221, V. 6315, V. 6540, V. 6895,62 V. 6999, V. 7094, V. 7433, V. 7927, V. 8087, V. 8457, V. 8465, V. 9529, V. 9993, V. 10089. Nur in Lü ausgefallene Verspaare sind deutlich seltener: V. 3475f., V. 4188f., V. 4284f., V. 4442f., V. 4530f., V. 4538 f. (Homoioteleuton), V. 4546f., V. 4560f., V. 4566f., V. 4630f., V. 4642f., V. 4716f., V. 4886 f. (Homoioteleuton), V. 7424f., V. 7440f., V. 7610f., V. 8282 f. Ebenso sind nur zwei größere Auslassungen zu verzeichnen, die unikal in Lü vorliegen: Die Passage V. 2983–3006 betrifft die Einkehr der Heiligen Familie bei den Räubern auf der Flucht nach Ägypten (E7) und wird im Rahmen dieser Arbeit in der Analyse der kurz darauffolgenden dreizehn Lübecker Zusatzverse besprochen (vgl. Kapitel 4.3.1). Darüber hinaus fehlen auch V. 4124–4130, d. h. sieben Verse aus F7: Jesus formt Vögel aus Lehm. Die Auslassung hat nur geringfügige Auswirkungen auf die Erzählung: Mit ihnen fehlt die Zahl der Vogelbilder, die Jesus aus Lehm formt (sieben) und die Nachahmung durch die anderen Kinder. Der Kern der Geschichte, der Zorn eines vorbeikommenden Juden und die Erweckung der Lehmvögel zum Leben, bleiben unangetastet. Versumstellungen sind ebenso vorhanden, aber überschaubar: V. 69 steht vor V. 68, V. 609 vor V. 608, V. 831 vor V. 830, V. 1454 nach V. 1456, V. 1483 vor V. 1482, V. 6271 vor V. 6270, V. 7057 vor V. 7056, V. 8975 vor V. 8974, V. 9378 nach V. 9380. Auch die Zahl der Verszusammenfassungen fällt kaum ins Gewicht: V. 365 und V. 366, V. 3477 und V. 3478, V. 3914 und V. 3915, V. 6132 und V. 6133, V. 9170 und V. 9171 sind jeweils zu einem Vers zusammengefasst. Auffällig sind die zahlreichen Versdoppelungen, die in der Regel direkt im Anschluss an den durch sie wiederholten Vers stehen und häufig mit einem Blattwechsel einhergehen.  







61 Vgl. zum Phänomen des Spaltenreims Gärtner 2000. 62 In diesem Fall könnte der Schreiber versucht haben, eine vermeintliche Wiederholung seiner Vorlage zu korrigieren, da das Verspaar V. 6894 f. aus zwei identischen Versen besteht: tolle tolle crucifige | tolle tolle crucifige (hier nach Wo, identisch in W, Passage fehlt in O und Be).  

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

162

4.1.3.3 Der nachlässige Schreiber Die Handschrift gibt sich aufgrund ihrer hohen Fehlerhäufigkeit – die bereits auf den ersten Blick in den zahlreichen ausgefallenen und verdoppelten Einzelversen deutlich wird – als wenig professionelle Abschrift zu erkennen. An dieser Stelle ist bewusst der Begriff ‚Fehler‘ und nicht ‚Änderung‘ oder ‚Variante‘ gewählt, da derartige Auffälligkeiten der Abschrift in den Blick genommen werden sollen, die den formalen Aufbau oder die inhaltliche Kohärenz des Werks stören und somit nicht in der Weise funktional verstanden werden können wie die bereits besprochenen sekundären Ergänzungen.63 Diese offenkundigen Fehler werden nach Typen geordnet und, sofern möglich, um eine Erklärung ergänzt. Auf diese Weise soll ein Profil des Schreibers Hans Stortekare erstellt und seine Tätigkeit als spätmittelalterlicher Schreiber nachvollzogen werden.64 Eine wesentliche Fehlerquelle für Stortekare sind Versumbrüche. Sie betreffen die gesamte Abschrift und lassen keinen Schwerpunkt in einem bestimmten Textabschnitt erkennen. Als Beispiel kann V. 6130 f. auf Bl. 120v dienen, denn hier steht der Versanfang von V. 6131 (qwam) am Versende von V. 6130: Da Yezus to Yerusalem qwam | vnde de yungere alle myt em. Das Zeilenende wurde somit an einer syntaktisch logischen und nicht an einer formal logischen Stelle gesetzt. Zu früh oder zu spät gesetzte Versumbrüche begegnen außerdem in V. 2366f., V. 3716f.; V. 4176f., V. 4223f., V. 4277f., V. 4486f., V. 4697f., V. 5974f., V. 7150f., V. 7544f., V. 7822f., V. 8034f., V. 8376f., V. 8854f., V. 8868f., V. 9196 f. und V. 9385 f. In dreizehn zusätzlichen Fällen bemerkt Stortekare einen zu frühen Versumbruch und fügt ein Pluszeichen nach dem eigentlichen Reimwort ein. Das erste Mal erscheint dieses Vorgehen in V. 113:  





[Bl. 3r] 111 [Bl. 3v] 112 113 114

he vorscrack der rede vyl zere vnde entfenck dar van vil grote swere + dat he wart to zulken scanden vor alle de enne becanden

63 Zu dieser Begrifflichkeit vgl. Schubert 2002, S. 127 f. Ähnlich argumentiert auch Stackmann 1994, S 420 f., hier S. 420: „Keinen Streit sollte es darüber geben, daß da, wo eine Handschrift Unverständliches überliefert, von ‚Fehler‘ gesprochen werden darf“. Stackmann 1997, S. 15 definiert ‚Textkritik‘ als „Lehre von den Fehlern“. 64 Mein Vorgehen setzt damit bei dem folgenden, durch Paul Gerhard Schmidt für mittellateinische Texte formulierten Forschungsdesiderat an: „Es fehlen bisher Untersuchungen einzelner Schreiberpersönlichkeiten, die Aufschluß darüber geben, wie oft sich ein Schreiber verschreibt, für welchen Fehlertypus er anfällig ist und wie oft er sich selbst korrigierte“ (Schmidt 1994, S. 177).  



4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

163

Hier ist der fehlerhafte Versumbruch durch den Blattwechsel begünstigt, da das Reimwort auf dem vorherigen Blatt steht. Dieser Umstand ist nur noch in V. 544 auf Bll. 12r–v der Fall und liegt in den elf weiteren Fällen nicht vor: V. 626, V. 1314, V. 2976, V. 3418, V. 3557, V. 4183, V. 6928, V. 7128, V. 7605, V. 7828, V. 9795. Sechsmal ist auch ein Versbeginn mit einem Pluszeichen an die vorherige Zeile angehängt. Hierbei ist zu unterscheiden, ob der Versbeginn nachträglich ergänzt oder ein zu spät gesetzter Versumbruch über ein Pluszeichen korrigiert wurde. In der Regel ist das Pluszeichen in schwarzer Tinte geschrieben, in V. 2026 auf Bl. 42v steht jedoch ein rotes Pluszeichen zwischen dem letzten Wort von V. 2026 und dem ersten Wort von V. 2027. Aufgrund des Farbwechsels von der Tinte des Haupttextes zu der Tinte der Verzierungen ist eine nachträgliche Korrektur zu vermuten, die eventuell gleichzeitig mit der Anfügung roter Zierlinien am Zeilenende erfolgte. Neben diesen Unterschieden in der Tintenfarbe kann ein geringer Wortabstand zwischen Versende und -beginn für eine nachträgliche Ergänzung sprechen. So steht ein Pluszeichen in dem äußerst geringen Wortabstand zwischen dem Reimwort von V. 2734 und dem Versbeginn von V. 2735 auf B. 56v und deutet so auf eine nachträgliche Korrektur hin.65 In V. 3787 (Bl. 77r), V. 4003 (Bl. 81r) und V. 5763 (Bl. 113v) hingegen legt der auffallend große Abstand zwischen Reimwort und nächstem Versbeginn ein nachträgliches Anhängen des nächsten Versbeginns nahe. Ein komplexerer Fall ist V. 9442f., da hier ein falscher Versumbruch mit einer Syntaxumstellung verbunden ist. Auf Bl. 177v erscheint das Verspaar wie folgt: dar vmme wrowe varnbarme dy nu | auer my + vnde dor dinen magetdom. Im Vergleich mit der weiteren Überlieferung zeigt sich, dass V. 9442 eigentlich schon nach dy enden und auer my am Versende von V. 9443 stehen sollte: Dar vmme vrowe irbarme dich | Dorch dynen magetom ouer mich (W). Das Pluszeichen, üblicherweise eingesetzt zur Korrektur, erfüllt seinen Zweck demnach nicht. Als eingefügtes Sonderzeichen macht es dennoch einen Fehler der Abschrift im Textlayout sichtbar. An zwei Stellen steht ein vollständiges Verspaar in einer Zeile und wird gleichermaßen über ein Pluszeichen unterschieden. In V. 6136 f. auf Bl. 120v spricht das in einen geringen Zwischenraum eingeschobene Pluszeichen für eine nachträgliche Korrektur, in V. 7141 f. auf Bl. 139v deutet sowohl der große Abstand zwischen beiden Versen als auch der mit rotem Unterstrich als Einschub markierte V. 7142 auf eine nachträgliche Ergänzung. Der umgekehrte Fall liegt  



65 Ein identischer Fall liegt in V. 2930 auf Bl. 60v vor.

164

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

häufiger vor, d. h. die Schreibung eines einzigen Verses in zwei Zeilen wie in V. 1791 auf Bl. 37v: vnde alle de dar camen sint | van zineme stamme. Gleichermaßen wird mit V. 3508, V. 5033, V. 6302, V. 6679, V. 6878, V. 7118, V. 7218, V. 7452, V. 7614, V. 7974, V. 8191, V. 9063 und V. 9787 verfahren. Die Markierung über das Pluszeichen ist nur eine Art und Weise, mit der Stortekare Versumbrüche korrigiert. Zum Teil schreibt er über ein Versende hinaus, lässt den nächsten Vers aber dennoch korrekt beginnen, so z. B. auf Bl. 173v: de palme eyn teken ist dat du en re | dat du ein reine magest bist (V. 9236f.). Sich auf diese Weise ergebende Doppelungen finden sich auch in V. 691f., V. 1232f., V. 1881f., V. 2220f., V. 2970f., V. 3023,11f., V. 3699f., V. 3757f., V. 3770f., V. 4328f., V. 6375f., V. 6388f., V. 7552f., V. 8167f., V. 9134f., V. 9339f. In der Folge derartiger Verstrennungen wie -zusammenschreibungen verschwindet das Schema des regelmäßigen Reimpaarverses im Textlayout. In der Lübecker Abschrift wird dieses formale Prinzip zuweilen nicht nur versteckt, sondern regelrecht verworfen. Dies geschieht in erster Linie über den Verzicht auf das Reimwort. So fehlen beispielsweise in den folgenden Versen mindestens das jeweilige Reimwort, das hier in Klammern nach Wo ergänzt wird: V. 3105 (vunden), V. 3898 (vro), V. 4049 (nid), V. 5307 (my), V. 5824 (nam), V. 6395 (ynne), V. 6478 (mich), V. 6604 (vraghen), V. 7998 (here), V. 9500 (heim), V. 9695 (vur). Neben dem Verzicht auf den Versschluss führen syntaktische Umstellungen innerhalb eines Verses zum Verlust des Reimschemas. Als Beispiel kann V. 4142 f. auf Bl. 84r angeführt werden: Yhezum dat makestu alleyne | dat de cynder gemeyne nu. Für einen Paarreim dürfte in V. 4142 das Personalpronomen du nicht an das Verb angehängt werden, sondern müsste – in Einklang mit der Überlieferung in W, Wo, O – am Versende stehen. Durch den Eingriff ergibt sich eine stärkere Orientierung an der Prosawortfolge. Interessanterweise stimmt V. 4142 in dieser Form mit Be überein, auch hier ist das Personalpronomen an das Verb angehängt. In Be bleibt jedoch das Reimschema bestehen, da der folgende Vers angepasst wird: dat de kynder algemeyne (V. 4143). Mitunter bemerkt Stortekare Fehler in der Syntax und markiert die richtige Wortstellung über Tintenlinien oder schwarze Zierlinien. So steht für V. 2232 auf Bl. 46v eigentlich: Jozepp selige man de vil. Über eine schwarze Tintenlinie ist die richtige Position von de vil angedeutet: Jozepp de vil selige man. Weitere Syntaxkorrekturen finden sich beispielsweise in V. 208, V. 2392, V. 3468, V. 3560, V. 3904, V. 5538, V. 5910, V. 6143, V. 6328, V. 7405, V. 7887, V. 8135. Innerhalb einzelner Verse stehen in regelmäßigen Abständen Mehrfachschreibungen, so wie in V. 2075: wol deme deme deme du werst becant. Dittographien finden sich in V. 2144 (ze begude de maget maget Marien), V. 2938 (Se voren wald veld veld vnde heide), V. 3712 (gerne dede dede dat cindelin), V. 4274 (dat ieyn smyt eyn smit Yozep were), V. 5314 (dick myt myt mynen ogen an zen), V. 5816 (wente dat  





4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

165

crud an dat dat gewand), V. 6042 (van Yerusalem was was dar), V. 6696 (vtte deme huze huze he drade gink), V. 6742 (des landes landes conynk was Erodas), V. 6878 (Mit sinem sinem sidenem wande ze ene do clededen), V. 6952 (he sprak reyne vnde vnde vnsculdich), V. 7039 (dar hen hen he ward gevangen), V. 7122 (owe wor wor scoltu nu henne gen), V. 7274 (o we myn myn mynnichlike kind), V. 7376 (wente wente henk er alto hoe), V. 7379 (dat myt myt ermen vmme vink), V. 7695 (eren ende vnde vnde to deme dode comen), V. 7760 (Mara balde lepp lepp dar to), V. 7986 (dar vor ge ge hat van zineme dode), V. 8191 (gan vppe den den berch tohand vnde de dar is genand), V. 8950 (Do sunte sunte Yohannes dat vornam), V. 8986 (vnde vor in dat dat lant dat Asua), V. 9605 (ze scal nu vnse vrouwe vrouwe werden). Es fällt auf, dass die Dittographien vor allem dann vorkommen, wenn das wiederholte Wort mit dem bzw. den ersten Buchstaben des folgenden Wortes beginnt: V. 2075: deme – du, V. 2144: maget – Marien, V. 2938: veld – vnde, V. 3712: dede – dat, V. 5314: myt – mynen, V. 6696: huze – he, V. 6878: sinem – sidenem, V. 6952: vnde – vnsculdich, V. 7039: hen – he, V. 7274: myn – mynnichlike. In weiteren acht Versen wird das Reimwort wiederholt: V. 79 (Im eyner groten hochtid hochtid), V. 3426 (he zach vt offt yement were were), V. 5191,1 (beide arm vnde rick rik), V. 6834 (dat alle zines liues hud hud), V. 6986 (eyn cruse wort gemaket do do), V. 7676 (o wy der vrouwede de ik hadde do do), V. 7939 (vmme sine grote merter nod nod), V. 9055 (alle gerne denen dy dy). Weitere Wortdoppelungen stehen in den Überschriften für E17 (Dat Yesus gink vnde spprekendes begunde gun), E20 (Dat de engel Yoseppe heym het hette varen wedder in zin lant), H32 (Dat Yezus sele to der helle vor vnde to brak to brak) und I9 (Van van vnses heren hemmelvard). Eine weitere Beobachtung, die den Wortlaut des Reimwortes betrifft, ist an dieser Stelle erwähnenswert: V. 10104 lässt eine zeitgenössische Kirchenkritik vermuten. So richtet der Erzähler hier einen Einwand nicht an den vnghelerden vnde den affen (Wo, gleichlautend in W, Passage fehlt in O und Be), sondern an den vngelerden vnde den pappen. Eine zusätzliche Fehlerquelle der Abschrift sind lateinische Ausdrücke. Sie sind häufig verfremdet und legen eine fehlende Lateinkenntnis des Schreibers nahe. In der Parallelhandschrift Wo lauten die V. 1998f.: dat hol heft dat ewangelium | Gheheten diuersorum. Lü verwendet an der Stelle von diversorum das Wort amsorm, mit Nasalstrich vor dem ersten und nach dem zweiten ‚m‘. In V. 4489 wird mare Galile bis zur Unkenntlichkeit verändert: Dat by Nazoret steid en se | de het maen galde. Auch die Wiedergabe von lateinischen Gesängen zeigt eine fehlende Latinizität Stortekares: ze sungen alle galiam gloria | in exseles esanna (V. 6148f.). Darüber hinaus sind Eigennamen besonders fehleranfällig. So steht Iserheil (V. 6151) bzw. Yseraheil (V. 9380) für ‚Israel‘, Joachim wird zu Yoayin (Rubrik zu A2), Herodes zu here ock (V. 2754) bzw. Erodas (V. 6742), Jairus zu

166

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Arias (V. 5720), Caiphas zu Cagipas (V. 6314), Pilatus zu Pilitus (V. 6748), Epiphanius zu Epypharyus (V. 8416) und Simon zu Sygan (V. 8448). Für Jesu Namen finden sich beachtlich viele Varianten, so u. a. Usyu (V. 3517), Yiun (V. 3733), Yttem (V. 5440) und Sezum (V. 6766). Häufig schreibt Stortekare auch ‚Jesus‘, wenn eigentlich einer der drei Johannes gemeint ist. In V. 2482 identifiziert er Johannes Chrysostomus als here heyt Ihezus guldine mund anstelle von Johannes Goldmund. In G7, d. h. im Rahmen der Vorstellung von Jesu zwölf Aposteln, führt Lü an dritter Stelle Sunte Yezus (V. 5377) statt den Apostel Johannes. Die Verwechslung findet auch in F8 statt: Die Erklärung des Erzählers, dass Johannes und Jesus sich bereits lange vor der Jordantaufe kannten, wird mit der Verwendung von Jesu Namen für beide Beteiligten ad absurdum geführt. Derselbe Fehler liegt auch gegen Ende der Erzählung vor, wenn Jesus bereits längst in den Himmel aufgefahren ist: In J10 wendet sich Ignatius an Johannes, um mit Maria in Kontakt zu treten, und auch hier nennt Stortekare durchgängig Jesus an der Stelle von Johannes: Ynnacyus de bat do das | zin sinen meyster Yezus (V. 9066f.); Yezus em dat orloff do | gerne gaff vnde doch alle also (V. 9078f.). Einmalig bemerkt Stortekare seinen Fehler: In K1, d. h. ebenfalls nach Jesu Himmelfahrt, steht in V. 9246 zwar Yohus als Kürzung für ‚Johannes‘, die ursprüngliche Schreibung Yezus bleibt aber sichtbar. Diese Korrektur kann als Hinweis dafür gedeutet werden, dass Stortekare Schwierigkeiten bei der Auflösung der Abkürzungen hatte, die ihm seine Vorlage bot. Hans Stortekare hat – wie in Kapitel 3.1.3 herausgearbeitet – die Abschrift nicht nur verfasst, sondern auch rubriziert und konzipiert. Im Unterschied zur regelmäßigen Gestaltung und Zusammensetzung der Handschrift wird der Text des ‚Marienleben‘, wie das vorliegende Kapitel zeigen konnte, von Fehlern bestimmt. Die fehlende Korrektur dieser Fehler unterstützt die These, dass Lü das Werk eines Einzelnen gewesen sein dürfte. Die Fehler an sich wiederum können helfen, den Schreiber genauer zu fassen:  





Lohnschreiber, schlecht ausgebildete und desinteressierte Kopisten produzieren unter Zeitdruck erfahrungsgemäß eher minderwertige Ware mit hohem Mängelgrad als mit der Tradition eines monastischen Skriptoriums vertraute Abschreiber, die eine möglichst wertvolle und repräsentative Kopie erstellen wollten, möglicherweise sogar auf mehrere Textvorlagen zurückgreifen konnten und nach Abschluß ihrer Arbeit den geschriebenen Text selbst korrigierten.66

Hans Stortekare gibt sich in der Abschrift als wenig geübter und bzw. oder wenig aufmerksamer Schreiber zu erkennen, der des Lateinischen unkundig war. Ein

66 Schmidt 1994, S. 177.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

167

klösterlicher Hintergrund ist somit kaum denkbar – die in Kapitel 3.3.2 vorgeschlagene Identifizierung mit dem Wismarer Bürger Hans Stortekare wird hingegen wahrscheinlicher.

4.1.4 Be 4.1.4.1 Übersicht des Versbestands Insgesamt: 7200 Verse 181–213, 215–255, 257–303, 305–339, 341–373, 375–410, 412, 411, 413–419, 421–432, 2 Zusatzverse*: moste vp stygen vnde gan in den tempel vnde den besen (V. 432,1f.) 433–438, 2 Zusatzverse*: Al gynck id vp dat kyndelin Ane hulpe der moder syn (V. 438,1f.) 439–446, 2 Zusatzverse*: Syn houet id to dem altar negede den luden alle id dar mede dogende (V. 446,1f.) 447–470, 2 Zusatzverse*: des kyndes wart mit vlite plegen To aller tucht wart id getogen (V. 470,1f.) 471–490, 6 Zusatzverse*: vnde dat se were gud vnde milde Allen luden geue gud gebilde vort mit schonen tuchten droge vnde were bescheiden vnde voge Se lerde se dat se gerne bedede An erem bede andachliken leuede (V. 490,1–6) 491–496, 2 Zusatzverse*: vnde orer beyde sote lere de ne was dem reynen kynde nicht vere (V. 496,1f.)

168

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

497–535, 2 Zusatzverse*: dat megeden se vnde schone bereyden vnde de altarlaken vp de altar spreyde (V. 535,1f.) 537, 536, 538–546, 548–553, 555–577, 1 Zusatzvers*:67 vmme ere tuchte vnde otmodicheit (V. 577,1) 579, 578, 580–710, 712–737, 740–785, 2 Zusatzverse: dat nu creatur so edele ne wart Men alleyne Jesus Christus des vaders son (V. 785,1f.) 786–791, 6 Zusatzverse*: Elesabet de Marien moder was Syn wif heren Sacharias de was geseten in der stat To Iherusalem ychtes wanne dat Sagede Marien dat se to er gynge vnde trost van er entfenge (V. 791,1–6) 792–834, 836–855, 2 Zusatzverse*: Wyt schone vnde gar reyne Gelick dem witten elpenbene (V. 855,1f.) 856–872, 873 und 874 als 1 Vers, 875–906, 1 Zusatzvers: Wente du en west sunde nicht eyne (V. 906,1) 907, 1 Zusatzvers: Gedan to aller guden lere (V. 907,1) 908–927, 929, 928, 930–931, 932 und 933 als 1 Vers, 934–952, 1 Zusatzvers: dar en ys kulde noch vrorst (V. 952,1) 953, 1 Zusatzvers: dar belachet nyn man den anderen (V. 953,1) 956–985, 990–1000, 1002–1005, 1008–1070, 1073–1074, 1076–1146, 1147 und 1149 als 1 Vers, 1150–1159, 1162–1223, 1226–1266, 1268–1271, 1328–1337, 1339–1395, 1396 und 1397 als 1 Vers, 1400–1409, 1414–1435, 1438–1444, 1446–1448, 1450–1477, 1480–1505, 1510–1536,

67 In der Neuedition folgen auf V. 577 vier Zusatzverse. Bei dem Zusatzvers von Be handelt es sich entsprechend um V. 577,4.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

169

1538–1546, 1548–1555, 1560–1616, 1618–1646, 1648–1695, 1696 und 1697 als 1 Vers, 1698– 1704, 1708–1709, 1706–1707, 1710–1714, 1716–1736, 1 Zusatzvers: Scholde vnde were worden (V. 1736,1) 1737–1759, 1762–1766, 1768–1782, 1 Zusatzvers: dat en hat anders nicht gedan (V. 1782,1) 1783, 1 Zusatzvers: de hat he so rechte mildichliken (V. 1783,1) 1784–1791, 3 Zusatzverse: dat wil he nu lesten vnde mit dy betalen vnde iummer lof gesaget (V. 1791,1–3) 1792–1800, 1802–1826, 1 Zusatzvers: vnde swech so hemelike (V. 1826,1) 1827–1853, 1854 und 1855 als 1 Vers, 1856–1922, 1924–2021, 2070–2123, 2 Zusatzverse: van den vrowen twen Jch jv dat sagen wyl (V. 2123,1f.) 2160–2177, 2180–2219, 1 Zusatzvers: DE herden to dem kynde quemen (V. 2219,1) 2220–2333, 2335–2583, 2586–2608, 2610–2624, 2625 und 2626 als 1 Vers, 2627–2641, 2644– 2647, 2649, 2648, 2650–2662, 2664–2684, 2686–2695, 2 Zusatzverse: Got vnde mynsche an se den mot ick openbar ghen (V. 2695,1f.) 2696–2729, 2 Zusatzverse*: in dem lande to Galile dar se hadden gewesen er (V. 2729,1f.) 2730–2765, 2768–2779, 2782–2869, 1 Zusatzvers: dat he was de war loser (V. 2869,1) 2870–2887, 2890–2912, 2913 und 2914 als 1 Vers, 2915–2975, 2980–3006, 3008–3023, 3025, 3024, 3026–3049, 3054–3065, 3068–3073, 3076, 3078–3094, 3096–3105, 3108–3110, 3111 und 3112 als 1 Vers, 3113, 3112, 3114–3171, 3172 und 3174 als 1 Vers, 3175–3193, 3196–3207, 3210–3264, 3266–3277, 3280, 3282–3295, 3298–3317, 3354–3361, 3364–3375, 3380–3386, 3388–3401, 3428–3443, 3445, 3444, 3446–3472, 3474–3591, 3593, 3592, 3594–3620, 3622–

170

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

3649, 3651–3652, 3654–3659, 3664–3699, 3705–3801, 3802 und 3803 als 1 Vers, 3804–3807, 1 Zusatzvers: dar schole gy iu alle to keren (V. 3807,1) 3808–3840, 3842–3909, 3911, 3910, 3912–3946, 3960–3961, 3966–3967, 3983–4011, 4013, 4012, 4014–4037, 4040–4095, 4098–4099, 4101, 4100, 4102–4183, 1 Zusatzvers: Allent haluen an de ende (V. 4183,1) 4184–4188, 4190–4228, 4230–4271, 4273, 4272, 4274–4303, 4305, 4304, 4306–4328, 4330– 4397, 4399, 4398, 4400–4431, 4432 und 4435 als 1 Vers, 4433 und 4434 als 1 Vers, 4436– 4514, 1 Zusatzvers: Jhesus vnde den kinderen gehat (V. 4514,1) 4515, 1 Zusatzvers: de sulue yode ouel stalt (V. 4515,1) 4516–4693, 4695, 4694, 4696–4702, 4704–4705, 1 Zusatzvers: vnde deden dat he en heyt (V. 4705,1) 4706–4732, 4734–4839, 2 Zusatzverse*:68 manige rede se anevengen do se vp dem wege gyngen (V. 4839,1f.) 4840–4845, 4847, 4846, 4848–4977, 5432–5453, 4978–4980, 4982–5026, 5030–5031, 1 Zusatzvers: Se hat ock soten anevanck (V. 5031,1) 5028, 5032–5077, 1 Zusatzvers: Also de sede ys yo noch (V. 5077,1) 5078–5099, 5101, 5100, 5102–5115, 5117–5128, 5130–5175, 5182–5189, 5191, 5190, 5192–5293, 5296–5332, 5334–5394, 5396–5431, 5454–5488, 5490–5534, 1 Zusatzvers: dat se weynede vnde karmede (V. 5534,1) 5535–5574, 5576–5621, 2 Zusatzverse*: van Yosepes dode Marien clagede de horet gerne de ick iv sagede (V. 5621,1f.)

68 Die Neuedition führt diese Zusatzverse in umgekehrter Reihenfolge.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

171

5622–5770, 5772–5899, 5904–5922, 5924–5949, 5952–5971, 7962–8011, 8014–8097, 8099, 8102–8104, 8106–8128, 8130–8131, 8133, 8132, 8134–8235, 8237, 8236, 8238–8384, 8386– 8441, 8443–8447, 8486, 8658, 8660–8720, 8722–8791, 8793, 8792, 8794–8813, 8816–8890, 8895–8906, 8908–9007, 9009, 9008, 9010–9015, 2 Zusatzverse*: de van deme water was geswollen deme halp de maget vnbevolen (V. 9015,1f.) 9016–9084, 9086–9133, 2 Zusatzverse*: Schole wy komen eder bliuen des bidde wy dy eynnen bref schriuen (V. 9133,1f.) 9134–9211, 9213, 9212, 9214–9282, 9283 und 9284 als 1 Vers, 9285–9390, 9392–9457, 9468– 9469, 2 Zusatzverse*: Ock stummen vnde douen wolden se an Christum louen (V. 9469,1f.) 9470–9629, 2 Zusatzverse*: du bist de kusch vnvorbrant An deme got Moyses irkant (V. 9629,1f.) 9630–9685, 2 Zusatzverse*: Du bist de lilie by dem dorne Gewassen yst vtirkorne (V. 9685,1f.) 9686–9709, 9712–9725, 9727, 9726, 9728–9745, 9747, 9746, 9748–9752, 9755–9853, 9854 und 9856 als 1 Vers, 9856 und 9857 als 1 Vers, 9858–9907, 2 Zusatzverse*: wol vns dat du jv geworde vrowe van vnses liues geborde (V. 9907,1f.) 9908–9927, 9929, 2 Zusatzverse*: wilkome sistu vrowe myn wilkome miner ogen schyn (V. 9929,1f.) 9930–9949. Versdoppelungen: Nach V. 1578: Wiederholung von V. 1580. Nach V. 3534: Wiederholung von V. 3535 mit dem Reimwort von V. 3534. Nach V. 4553: Wiederholung von V. 4553 (beim Blattwechsel).

172

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

4.1.4.2 Analyse In der Handschrift Be setzt die Textüberlieferung erst mit V. 181 ein und endet bereits mit V. 9949. Im Unterschied zur Oxforder Handschrift sprechen keine Hinweise dafür, dass ursprünglich eine weitere Lage anschloss, stattdessen folgt auf derselben Lage eine Autoritätensammlung. Dieser Fassung des ‚Marienleben‘ fehlen somit der Prolog, A1–2, K16–19 und der Epilog. Der Text setzt mit A3 ein, d. h. mit der Verheißung der Geburt Mariens, und endet in K15 mit ihrem Empfang im Himmel durch Joseph. Gärtner spricht in diesem Zusammenhang von einem „absichtliche[n] Weglassen des Anfangs und Endes“69. Eine derartige Intention kann nicht mehr nachgewiesen werden. Es kann allerdings festgestellt werden, dass ein Verzicht auf A1 und A2 eine stärkere Konzentration auf die Gottesmutter bedingt, da zwei Kapitel fehlen, die in der Zeit vor der Verheißung ihrer Geburt spielen. Dieser Befund passt zu einer späteren Auslassung: Be verzichtet ebenso wie O auf die Passion und somit auf einen weiteren Episodenblock, in dem Maria in den Hintergrund des Geschehens tritt. Die geringe Gesamtverszahl resultiert nicht nur aus dem fehlenden Anfang und Ende der Erzählung, sondern ist auch das Ergebnis zahlreicher Auslassungen von einzelnen Versen und umfangreichen Passagen. Bei den nur in Be ausgelassenen Einzelversen handelt es sich um: V. 214, V. 256, V. 304, V. 420, V. 554, V. 711, V. 835, V. 1001, V. 1075, V. 1267, V. 1338, V. 1445, V. 1449, V. 1537, V. 1559, V. 1617, V. 1647, V. 1715, V. 1767, V. 1923, V. 2334, V. 2663, V. 2685, V. 3007, V. 3077, V. 3095, V. 3173, V. 3281, V. 3387, V. 3841, V. 4189, V. 4229, V. 4329, V. 4733, V. 5029, V. 5116, V. 5129, V. 5333, V. 5395, V. 5489, V. 5575, V. 5771, V. 5923, V. 8105, V. 8129, V. 8659, V. 8721, V. 9085, V. 9391, V. 9928. Nur in Be ausgefallene Verspaare sind: V. 738f., V. 954f., V. 1071f., V. 1160f., V. 1478f., V. 1760f., V. 2178f., V. 2766f., V. 2780 f. (Homoioteleuton), V. 2888f., V. 3066f., V. 3278f., V. 3296f., V. 5294f., V. 8012 f. (Homoioteleuton). Neben den Streichungen am Anfang und Ende der Erzählung sind auch die folgenden größeren Auslassungen zu verzeichnen: V. 986–989, V. 1410–1413, V. 1506–1509 (Homoioteleuton), V. 2022–2069, V. 2124–2159, V. 2976–2979, V. 3050–3053, V. 3376–3379, V. 3402–3427, V. 3947–3959 (Blattverlust), V. 3962– 3965 (Blattverlust), V. 3968–3982 (Blattverlust), V. 8448–8485, V. 8487–8657, V. 8891–8894 (Homoioteleuton), V. 9458–9467 (Homoioteleuton). Vollständig ausgefallene Episoden sind C3 (Die Priester übergeben Maria an Joseph) und C4 (Josephs Ablehnung). Die ersten zehn Verse von C5 (Ein Engel erscheint Joseph) fehlen ebenfalls, der Text setzt erst mit V. 1328, d. h. mitten in der Rede des Engels an Joseph, wieder ein. An dieser Stelle verliert die Abschrift  







69 Gärtner 1978, S. 72.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

173

über die Auslassung ihre inhaltliche Kohärenz, es wird sich bei den insgesamt sechsundfünfzig ausgelassenen Versen daher um ein übersprungenes Blatt der Vorlage handeln und damit um ein Versehen. Auch die Auslassung von V. 2022– 2069 kann derart begründet werden, denn auch hier geht ein inhaltlicher Bezug verloren:70 Auf Dar na wart vnse her geboren | den god to enem sone hadde koren (V. 2020f.) folgt vroliken he to dem kinde ginck | an sine hande he et fenck (V. 2070f.). Das Bezugswort für he bleibt offen, da auf eine Nennung von Joseph in den Zwischenversen verzichtet wird. Diese beiden Auslassungen ziehen sich zudem über Kapitelgrenzen (D5/6) und heben so die Episodenstruktur auf. Dies ist auch der Fall in den Ausfällen von V. 3402–3427 (E14/15) und V. 8487–8657 (J2/3).71 An zweiundvierzig Stellen sind zwar zusätzliche Verse eingefügt (insgesamt vierundsiebzig Zusatzverse), diese können die Verslücken jedoch nicht kompensieren. Von ihnen sind vierzehn Einfügungen im Umfang von insgesamt neunzehn Versen nicht in den Editionen bzw. in den übrigen niederdeutschen Handschriften bezeugt: V. 785,1f., V. 1736,1, V. 1782,1, V. 1783,1, V. 1791,1–3, V. 1826,1, V. 2123,1f., V. 2219,1, V. 2695,1f., V. 2869,1 V. 4183,1, V. 4514,1, V. 4515,1, V. 5534,1. Diese Hinzufügungen können auf unterschiedliche Weise erklärt werden. Zunächst gibt es solche Zusätze, die als Korrektur des Reimschemas zu verstehen sind, da im vorausgehenden Vers das Reimwort fehlt oder falsch abgesetzt wurde: I.) [S. 57] 1734 1735 1736 1736,1 1737

doch wolde Maria dat beseen Ofte id were also beschen Ofte er modder swanger were Scholde vnde were worden Also van des engels worden

Das eigentlich zu V. 1736 gehörige Reimwort worden fehlt und wird in den Zusatzvers ausgelagert. Dadurch ergibt sich zwar ein identischer Reim mit V. 1737, V. 1736 steht jedoch allein. Inhaltlich bringt der Zusatzvers keine neuen Informationen und dient nur als formales Füllmaterial.

70 Vgl. hierzu Gärtner 1978, S. 72. 71 Gärtner 1978, S. 72 nimmt auch für die Auslassung von V. 8448–8659 „Blattverlust in der Vorlage“ an, übersieht dabei aber, dass die Handschrift sehr wohl zwei Verse in diesem Zwischenraum (V. 8486, V. 8658) überliefert.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

174

II.) [S. 90] 2694 2695 2695,1 2695,2

dat god mynsche worden ys Den ick nu an disser vrist Got vnde mynsche an se den mot ick openbar ghen

Die Zusatzverse V. 2695,1 f. sind notwendig, da V. 2695 über das Reimwort hinaus fehlerhaft wiedergegeben ist: Es wird zum einen auf das Verb se verzichtet und zum anderen das falsche Reimwort gewählt: an disser vrist statt got vnde crist (W, O) bzw. goddes crist (Wo, Lü). V. 2695,1 korrigiert diesen Fehler über die Ergänzung eines Verbs und eines Bezugsworts für Den. V. 2695,2 wiederum dient als notwendige Ergänzung für das (unreine) Reimpaarschema.  

III.) [S. 97] 2866 2867 2868 2869 2869,1 2870 2871

Do se voren vor den walt dar wart getoget walt Tegen deme kynde de boome negen vnde negen ome dar mede sick Togeden dat he was de war loser vnde dat kynt or schipper were vnde ere aller creaturen eyn here

Der Versschluss von V. 2869 (Togeden) ist falsch abgesetzt und erscheint erst eine Zeile später. Statt direkt V. 2870 anzuhängen, wird hier ein Zusatzvers ergänzt, der mit eben diesem Reimwort beginnt. IV.) [S. 157] 4512 4513 4514 4514,1 4515 4515,1 4516 4517

Jd was der ioden saterdach do dat sulue spel geschach do quam eyn iode de was Jhesus vnde den kinderen gehat de kynder mit grotem torne schalt de sulue yode ouel stalt he sprack wat do gy bosen wicht war vmme vire gy hude nicht

In V. 4514 fehlt das Reimwort alt, wodurch der Reim zu schalt in V. 4515 verloren geht und zwei neue Verse ergänzt werden. V. 4514,1 spricht deutlich dafür, dass diese Vervollständigung nicht im Niederdeutschen entstanden ist, da sich was nicht auf hat, sehr wohl aber auf has reimt.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

175

V.) [S. 195] 5534 5534,1 5535

Ouer de moder irbarmede dat se weynede vnde karmede Jhesus gynck tho dem liche

Der Zusatzvers V. 5534,1 wird notwendig, weil in V. 5534 das Reimwort sich fehlt. Einen Sonderfall stellt Marias Magnificat-Gesang dar: [S. 58] 1776 1777f. 1779 1780 1781 1782 1782,1 [S. 59] 1783 1783,1 1784 1785

Anima mea magnificat dominum myn seyle heft tho louende gode van hemelrich wente he heft geneget sich mit siner gotliken mynne To my armen denerynne dorch mines herten otmodicheit dat en hat anders nicht gedan mer sine grote barmherticheit de hat he so rechte mildichliken Gheneget tho my vnde sine groten gude to my

Der Reim von V. 1782 und V. 1783 (otmodicheit – barmherticheit) geht über die Einfügung von V. 1782,1 und V. 1783,1 verloren: otmodicheit – gedan – barmherticheit – mildichliken. Die Ergänzungen fallen in diesem Umfeld dennoch nicht auf, denn das Reimschema ist über vergessene Reimwörter und falsche Versumbrüche bereits stark aufgeweicht. So müsste beispielsweise die Passage V. 1776–1779 korrekt lauten: Anima mea magnificat | dominum myn sele heft [hat]) | tho louende gode van hemelrich | wente he heft geneget sich. Die Zusatzverse verstärken damit nur die Tendenz zur Prosa, die der Passage bereits innewohnt. In den folgenden beiden Fällen wurde ein Reimpaar vermutlich nicht als solches erkannt und daher eine Ergänzung vorgenommen. Die Konsequenz sind unreine Dreireime: I.) [S. 60] 1826 1826,1 1827

he troch se dogentlike vnde swech so hemelike Syn vngemach vnde hode sick

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

176

II.) [S. 144] 4182 4183 4183,1

Maria de maget mit erem kynde vt Egipten lande elende Allent haluen an de ende

Es sind auch solche Fälle auszumachen, in denen die Zusatzverse zusätzliche Informationen in den Text bringen, die über eine formale Fehlerkorrektur hinausgehen. So erweitert das Verspaar V. 785,1 f. die Episode B7 um zwei die Gottesmutter preisende Schlussverse, die sie in einen Vergleich mit ihrem noch ungeborenen Sohn setzen: dat nu creatur so edele ne wart | Men alleyne Jesus Christus des vaders son. Mit dem Zusatzvers V. 2219,1 wiederum wird V. 2220 in zwei Verse aufgespalten: DE herden to dem kynde quemen | vnde des nicht en leten. V. 2220 müsste lauten: De herden nicht en leten – stattdessen wird eine zusätzliche Information, nämlich eine Richtungsangabe, das Ziel der Hirten, mit to dem kynde ergänzt. Umgekehrt dienen die Zusatzverse V. 2123,1 f. als Abkürzung, mit denen V. 2124–2159 übersprungen werden. Statt wie in dieser Passage von der Hebamme Salome zu erzählen, deren Hand nach der Berührung der Gottesmutter erlahmt und von Jesus wieder geheilt wird, überspringen die Zusatzverse das Geschehen mit einem kurzen Erzählerkommentar: van den vrowen twen | Jch jv dat sagen wyl. Im Anschluss folgen die Namensnennung der beiden Hebammen und die direkte Rede, mit der sie Marias jungfräuliche Geburt bezeugen (vgl. V. 2160–2187). Nur in Be kombinierte Verse liegen ebenso vor, aber weitaus seltener: V. 932 und V. 933, V. 1396 und V. 1397, V. 1696 und V. 1697, V. 1854 und V. 1855, V. 9283 und V. 9284 sind zu einem Vers zusammengefasst. Versumstellungen, die nur in Be begegnen, sind V. 3445 vor V. 3444, V. 4695 vor V. 4694, V. 9009 vor V. 9008, V. 9213 vor V. 9212. Eine größere Umstellung betrifft das Kapitel G9 (Maria in Kafarnaum), das in G2 (Jesus bei Johannes in der Wüste) zwischen V. 4977 und V. 4978, d. h. nach Jesu Rückkehr nach Nazareth und somit an einen inhaltlich vollkommen unpassenden Ort platziert ist. Die so entstandene inhaltliche Inkongruenz scheint nach der Analyse des Versbestands als symptomatisch für die Abschrift in Be.  





4.1.4.3 Die Vernachlässigung des Reimpaarverses Betrachtet man nun die gesamte Abschrift in Be im Wortlaut, so bestätigt sich die bereits im vorherigen Kapitel beobachtete Tendenz zur Aufhebung des Reimpaarverses. Im Folgenden soll dieser Hang zur Prosa an weiteren Textbeispielen näher untersucht werden. Zunächst lässt der Schreiber das Reimpaarschema selbst bei vorhandenen Reimwörtern über falsch gesetzte Versumbrüche im Layout verschwinden. An dieser Stelle sei als Beispiel die Passage V. 327–342 auf S. 7 angeführt:

177

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

[S. 7] Dat en stunt nicht lange vrowe Anna wart Marien do al so lange dat hillige wiff gedragen hadde des kindes liff dat em god Eyne sele geuen scholde dar van heuet Sick syn leuent do make god van hemelricke eyn sele dogentlike vnde sande se an des kyndes liff des moder was dat hillige wiff de sele de god dem kyndelin geschop dem gaf he de gnade syn mit manich voldiger doget he gaf sinen hilligen geist mit seuen gauen mest

Korrekt wäre: 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341 342

Dat en stunt nicht lange vrowe Anna wart Marien [swanger] do al so lange dat hillige wiff gedragen hadde des kindes liff dat em god Eyne sele geuen scholde dar van heuet Sick syn leuent do make god van hemelricke eyn sele dogentlike vnde sande se an des kyndes liff des moder was dat hillige wiff de sele de god dem kyndelin geschop dem gaf he de gnade syn mit manichvoldiger doget [Vers fehlt] he gaf sinen hilligen geist mit seuen gauen mest

Weitere, aber zumeist nur ein bis zwei Verse betreffende fehlerhafte Umbrüche finden sich auf S. 8 f., S. 11 f., S. 17 f., S. 34, S. 38, S. 57 f., S. 60, S. 65, S. 68, S. 76, S. 80 f., S. 85, S. 88, S. 90–93, S. 96–99, S. 101 f., S. 104, S. 106–110, S. 112–114, S. 123, S. 144, S. 154, S. 166. Auf S. 250 bemerkt der Rubrikator, der unter Umständen identisch mit dem Schreiber ist, einen derartigen Fehler. Ursprünglich endete die Seite mit dem Verspaar: de iungeren war se in dem lande weren | waren al to samen sande (V. 9260f.). Der falsche Versumbruch wurde jedoch über eine rote Durchstreichung von weren korrigiert. Darüber hinaus sind viele Verse unvollständig. In den meisten Fällen geht dies mit einem Verlust des Reimschemas einher, da gerade der Versschluss fehlt, z. B. in V. 1739, V. 1837, V. 1958f., V. 2072, V. 2555, V. 3786, V. 5122 und V. 8755. Ausfälle  













178

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

im Versinneren ohne Verlust des Reimschemas wiederum stören die Textlogik: dat heft eyn [wip] vns gesaget allen (V. 2351) und Jck vrochte dat se em [leyt] don (V. 4585). Eine Aufhebung des Reimschemas findet sich auch in der Folge von Wortumstellungen innerhalb eines Verses: V. 2404, V. 2478, V. 5204, V. 9139, V. 9228. An diversen Stellen lässt sich sogar eine Tendenz zur Prosa feststellen, so z. B. für V. 4104f.: Tohant de dode leuendich wart | do her Ioseph dusse wort sprack. Im Sinne des Reimschemas müsste dusse wort in V. 4105 an das Versende gestellt werden. Insgesamt stellt Be damit eine deutlich fehler- wie lückenhafte Abschrift dar. Im Unterschied zu Lü korrespondieren die zahlreichen Auslassungen und Umstellungen mit der unübersichtlichen Gestaltung des Textes, wie sie in Kapitel 3.1.4 herausgearbeitet wurde.  

4.1.4.4 Der korrigierte Text Die philologische Auseinandersetzung mit dem Textbestand von Be beginnt bereits im späten 18. Jahrhundert, ihre Spuren sind in der Form von Tintennotizen des Vorbesitzers Johann Friedrich August Kinderling erhalten. Seine Eingriffe lassen – lange vor Beginn der germanistischen Textkritik – den Versuch erkennen, die fehlerhafte Abschrift zu korrigieren und die Handschrift selbst zu einer Edition werden zu lassen. Kinderling bereitet die Handschrift erstens für eine wissenschaftliche Untersuchung auf, greift zweitens korrigierend in den Textbestand ein, ergänzt drittens Lesarten aus anderen ihm bekannten Handschriften und fügt viertens Erklärungen für schwer verständliche Vokabeln an. Diese vier Bearbeitungstechniken werden im Folgenden anhand von ausgewählten Beispielen veranschaulicht und erläutert. (I) Die Aufbereitung der Handschrift zu einem Arbeitsinstrument gibt sich zunächst in der am rechten (ungerade Seitenzahlen) bzw. linken (gerade Seitenzahlen) Blattrand vermerkten Seitenzählung zu erkennen.72 Auch auf Fehler in der Blattreihenfolge macht er aufmerksam, so am unteren Blattrand von S. 42: Hier můß folgen p. 45 und am unteren Blattrand von S. 44 Seq. p. 47. Zudem fügt Kinderling ab dem vierzigsten Vers seiner Handschrift, d. h. ab V. 221 nach Rückerts Zählung, eine Verszählung in Zehnerschritten am linken Rand des Schriftraums an. Da er von S. 9 auf S. 10 zweimal die Verszahl 210 einträgt, muss ab dann für die korrekte Verszahl plus zehn Verse gerechnet werden. Wenn Kinderling im weiteren Verlauf auf S. 11 einen falsch abgesetzten Vers übersieht,  

72 Ab S. 59 erfolgt die Zählung nur noch für die ungeraden Seitenzahlen.

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

179

stimmt seine Zeilenzählung nicht mehr mit der Verszählung (plus zehn Verse) überein. Weitere Eingriffe dieser Art betreffen die Textgestaltung: Indem er Kapitelanfänge nummeriert und Rubriken (sofern vorhanden) unterstreicht, macht er die Textstruktur im Layout sichtbar.73 (II) Kinderlings Korrekturen des Textbestands sind umfassend: Sie betreffen den formalen Aufbau und inhaltliche Aspekte des ‚Marienleben‘: Zum Teil erkennt er falsch abgesetzte Verse und korrigiert diese mit vertikalen Tintenstrichen (vgl. S. 7). Gelegentlich greift er auch in die Syntax ein: In der Rubrik für J12 auf S. 246 stellt er die einzelnen Wörter mittels oberhalb der Zeile ergänzten arabischen Zahlen um und korrigiert die Rubrik so von Ignasius bref tho Marien zu Marien bref tho Ignasius. Über syntaktische Korrekturen bemüht sich Kinderling, den Reimpaarvers wiederherzustellen: V. 5498 erscheint auf S. 193 im folgenden Wortlaut: de seck van dem blode weren. Kinderling markiert auch hier eine Wortumstellung mit arabischen Zahlen oberhalb der Zeile und verändert die Wortfolge so zu de seck weren van dem blode, wodurch der Reim mit V. 5499: deme halp Jesu de vil gude wiederhergestellt ist. Weitere Korrekturen des Reimschemas werden über Buchstaben- oder Worteinfügungen erreicht. Auf S. 222 ergänzt er das Reimwort von V. 8264 scheden um ein ‚i‘ und generiert so einen Paarreim mit V. 8265 beyden. Auf S. 223 schreibt er hinter das Reimwort gebeyde (V. 8312) gebede und ermöglicht so einen reineren Reim mit dem darauffolgenden Versschluss hedde (V. 8313). Derartige Korrekturen finden sich auch im Versinneren, dort jedoch wie in den Rubriken zur Korrektur der Semantik: Für V. 8919 ergänzt er auf S. 238 über dem ‚t‘ von smat ein ‚k‘ und korrigiert die Vokabel so zu smak. In V. 8931 auf derselben Seite verändert er to allen landen sinnverbessernd zu vt allen landen: Jesu Jünger senden bekehrte Christen aus (vt) verschiedenen Ländern zu Maria. Als letztes Beispiel sei auf V. 9526 auf S. 260 verwiesen: Hier ist fälschlicherweise Johannes als derjenige Apostel genannt, der Marias Himmelfahrt bezeugt. Kinderling streicht diese falsche Namensnennung durch und nennt mit Thomas die richtige. (III) Kinderling kannte drei weitere ‚Marienleben‘-Handschriften: neben der niederdeutschen Abschrift Wo auch die bairische Abschrift G und die lange in der Forschung für niederdeutsch gehaltene ostmitteldeutsche Abschrift Ha.74 Unter Rückgriff auf und im Vergleich mit diesen drei Handschriften fügt Kinderling Lesarten an, so beispielsweise deneryn für derne in V. 1613 auf S. 52. Auch die häufig fehlenden Rubriken ergänzt er aus der weiteren ihm bekannten Überlieferung, wie 73 Hierbei entstehen auch Fehler: Der Abschrift fehlt auf S. 6 der Reimpaarvers zu V. 303, weshalb Kinderling diesen Vers für eine Überschrift hält und ihn über eine Unterstreichung als solche markiert. 74 Vgl. Gärtner 1978, S. 71 sowie die Ausführungen in Kap. 2.1 der vorliegenden Arbeit.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

180

beispielsweise aus der Hamburger Handschrift für B2: Als Maria in dem tempel was geoppert (S. 9). Zum Teil fügt er auch vollständige Verse ein, so auf S. 237, der V. 8907 fehlt, und auf S. 257, wo er am unteren Blattrand zehn Verse (V. 9458– 9467) aus Wo notiert. Die umfangreichste Ergänzung findet sich auf S. 135 f., dessen ausgerissene untere Blatthälfte Kinderling repariert und mit dem an dieser Stelle in Wo überlieferten Text vervollständigt. Da einzelne Wortbestandteile noch auf dem ursprünglichen Blatt erhalten sind, erkennt Kinderling bereits, dass Wo im Wortlaut von Be abweicht: Hic codex Helmst. lacunam habet (S. 136). In der Tat fasst Wo V. 3966 und V. 3969 zusammen und überspringt so V. 3967 f. Versauslassungen im Textbestand von Be fallen ihm im Vergleich mit den weiteren ihm bekannten Textzeugen zuweilen ebenfalls auf. Ist dies der Fall, dann markiert er die Überlieferungslücke über zwei Querstriche am Blattrand, so z. B. auf S. 228 (V. 8448–8485 fehlen). Auf S. 210 fügt er eine knappe Schreiberkritik ein: Hic scriptor cod. vel multa festinabundus transiliit, vel quod vere similius videtur mutilum cod. transcripsit. Auch textkritische Auffälligkeiten markiert Kinderling: Auf S. 241 vermerkt er mit den Worten In Uffenb. deficit eine Abweichung in der Hamburger Handschrift, auf S. 251 fügt er eine ihm aus Wo bekannte alternative Fassung von V. 9287 an. Die drei singulär in Be bezeugten Zusatzverse nach V. 1791, d. h. am Ende von D2, verändert und vervollständigt Kinderling am Blattrand:  







[S. 59] Be: 1791,1 1791,2 1791,3

dat wil he nu lesten vnde mit dy betalen vnde iummer lof gesaget

Kinderling: 1791,1 [dat wil he nu lesten] vnd halen 1791,2 vnd mit gnaden al betalen 1791,3 So hed id siner gnade behaget 1791,4 Ohm sy iummer lof gesaget

In den Handschriften G, Ha und Wo folgen auf V. 1791 keine Zusatzverse. Kinderling ist demnach an dieser Stelle selbst zum Dichter geworden, um seine Handschrift zu verbessern. (IV) Schwer verständliche Wörter ergänzt Kinderling um eine Vokabelangabe am Blattrand. So erklärt er beispielsweise auf S. 153 tyen mit beschuldigen, auf S. 237 gadem mit Zimmer und auf S. 195 karmede unter Angabe des Infinitivs karmen mit grämen. Nicht jede Vokabel kann er erklären: wuterlike auf S. 261 annotiert er mit einem Fragezeichen. Kinderlings Annotationen sind demnach als Versuch zu werten, seine Abschrift in einen übersichtlichen, vollständigen, lesbaren und verständlichen Text

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

181

zu verwandeln. Dieses Unterfangen konnte – wenn man die zahlreichen in der Analyse offen gelegten Ungereimtheiten bedenkt – nur bedingt gelingen. 4.1.5 O 4.1.5.1 Übersicht des Versbestands Insgesamt: 7850 Verse 1–22, 7 Zusatzverse*:75 Vnde dyt bok hebbe ik ghesant den brodere de dar sint bekant Van dem dudesschen hus vnde sint Marien riddere vnde ok ere eghen kint den Maria van dem hilghen gheiste ghewan vnde maghet wesende bliuende sunder man Dyt bok hetet Marien leuent (V. 22,1–7) 23–125, 127–140, 143–278, 281–282, 279–280, 283–432, 2 Zusatzverse*: Moste stighen de wolde ghen Jn den tempel vnde wolde sen (V. 432,1f.) 433–438, 2 Zusatzverse*: Alleyne ghink vp dat kindelin Ane de helpe der moder sin (V. 438,1f.) 439–446, 2 Zusatzverse*: Sin houet to deme alter neghete den luden alle dar mede irtzeghete (V. 446,1f.) 447–470, 473–490, 6 Zusatzverse*: dat se were gut vnde milde Vnde allen luden reyne bilde Vor mit schonen tuchten troghe Vnde were bescheden vnde ghevoghe Se lerde dat se gherne berede An erme ghebede andacht hete (V. 490,1–6) 491–496, 2 Zusatzverse*:

75 Die Neuedition verzeichnet acht Zusatzverse. Der Oxforder Handschrift fehlt der letzte Vers (V. 22,8).

182

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Vnde er beyder sote lere dat let id sich nicht wesen swere (V. 496,1f.) 497–531, 1 Zusatzvers*: Vnde in deme tempel offert was (V. 531,1) 532–535, 2 Zusatzverse*: dat neyden vnde schone berichten ok de alterdoke se vprichten (V. 535,1f.) 537, 536, 538–577, 2 Zusatzverse*:76 dorch ere kusche muticheyt dorch andach vnde ere reynicheyt (V. 577,1f.) 578–754, 756 und 757 als 1 Vers, 757 und 758 als 1 Vers, 759–769, 770 und 772 als 1 Vers, 773– 791, 6 Zusatzverse*: Ellibeth Marien mome hern Zacharias kone de was gheseten in der stat to Iherusalem ttzwanne bat Marien dat se to er ghinghe Vnde van en ander trost gheuinghe (V. 791,1–6) 792–855, 2 Zusatzverse*: Wyt schone vnde gar reyne ghelich deme witten elpenbeyne (V. 855,1f.) 856–898, 900–935, 940–999, 1004–1221, 1224–1254, 1256, 1258–1311, 1314–1528, 1530–1704, 1706, 1708–1872, 1874–1949, 1951, 1950, 1952–1958, 1960–1961, 1 Zusatzvers: des bin ik nicht to las (V. 1961,1) 1962–1982, 1984–2049, 2051, 2050, 2052–2329, 2331, 2330, 2332–2379, 2 Zusatzverse: Er dan drudden haluen dach want got dat wol vormach (V. 2379,1f.) 2380–2411, 2414–2447, 2450–2454, 2456, 2458–2529, 2532–2608, 2610–2647, 2649, 2648, 2650–2729, 2 Zusatzverse*: Jn deme lande to Galilee dar se ghewesen waren ee (V. 2729,1f.)

76 In der Neuedition folgen auf V. 577 vier Zusatzverse. Bei den beiden Zusatzversen von O handelt es sich um V. 577,3 f. der Neuedition in umgekehrter Reihenfolge.  

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

183

2730–2771, 2774–2889, 2894–2919, 2921, 2920, 2922–2967, 2970–3023, 3025, 3024, 3026–3111, 3113, 3112, 3114–3205, 3208–3279, 3281, 3280, 3282–3315, 3318–3331, 3333, 3332, 3334–3342, 3344–3349, 3352–3366, 3367 und 3368 als 1 Vers, 3370–3408, 3410–3411, 1 Zusatzvers: Alzo hir in deme lande myn (V. 3411,1) 3412–3591, 3593, 3592, 3594–3620, 3622–3649, 3651–3652, 3654–3659, 3664–3699, 3705– 3801, 3802 und 3803 als 1 Vers, 3804–3807, 1 Zusatzvers: dar schole gy iu alle to keren (V. 3807,1) 3808–3909, 3911, 3910, 3912–3997, 4000–4011, 4013, 4012, 4014–4037, 4040–4095, 4098– 4099, 4101, 4100, 4102–4271, 4273, 4272, 4274–4303, 4305, 4304, 4306–4397, 4399, 4398, 4400–4431, 4432 und 4435 als 1 Vers, 4433 und 4434 als 1 Vers, 4436–4476, 4478–4702, 4704–4705, 1 Zusatzvers: vnde deden dat he en het (V. 4705,1) 4706–4839, 2 Zusatzverse*:77 Manighe rede se anevinghen do se vp deme weghe ghinghen (V. 4839,1f.) 4840–4845, 4847, 4846, 4848–5026, 5030–5031, 1 Zusatzvers: vnde hat ok soten anevank (V. 5031,1) 5028–5029, 5032–5075, 5077, 1 Zusatzvers: Alzo de sede is io nuch (V. 5077,1) 5078–5099, 5101, 5100, 5102–5175, 5182–5189, 5191, 5190, 5192–5259, 5262–5310, 5312–5500, 5502–5514, 5516–5537, 5540–5621, 2 Zusatzverse*: van Iosepes dode Marien claghe de horet gherne de ik iu saghe (V. 5621,1f.) 5622–5899, 5904–5949, 5952–5971, 7962–8004, 8006–8011, 8112–8131, 8133, 8132, 8134– 8235, 8237, 8236, 8238–8383, 8386–8635, 8637, 8636, 8638–8648, 8650, 8652–8657, 8659, 8658, 8660–8791, 8793, 8792, 8794–8813, 8816–9015, 2 Zusatzverse*: de van den water was gheswollen deme halp de maghet vmbevollen (V. 9015,1f.) 9016–9118, 9120–9129, 9131–9133, 2 Zusatzverse*: Schole wy komen eder bliuen des bidde wy enen bref dy scriuen (V. 9133,1f.)

77 Die Neuedition führt diese Zusatzverse in umgekehrter Reihenfolge.

184

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

9134–9469, 2 Zusatzverse*: Ok de stummen vnde de douen wolden se an Jesum Christum louen (V. 9469,1f.) 9470–9629, 2 Zusatzverse*: du bist de busch vnvorbrant An deme got Moyse irkant (V. 9629,1f.) 9630–9685, 2 Zusatzverse*: du bist de lilie by deme dorne Ghewassen is vat vur korne (V. 9685,1f.) 9686–9699, 9702–9709, 9712–9725, 9727, 9726, 9728–9745, 9747, 9746, 9748–9752, 9755– 9853, 9854 und 9856 als 1 Vers, 9856 und 9857 als 1 Vers, 9858–9907, 2 Zusatzverse*: wol vns dat du gy gheworde vrowe van vnses liues borde (V. 9907,1f.) 9908–9929, 2 Zusatzverse*: Willekome sistu vrowe myn Willekome miner oghen schin (V. 9929,1f.) 9930–9959, 9961, 9960, 9962–9996. Versdoppelungen: Keine.

4.1.5.2 Analyse Die Handschrift O überliefert Philipps ‚Marienleben‘ im Umfang von 7850 Versen. Die Textüberlieferung setzt mit V. 1 ein, bricht aber bereits mit V. 9996 ab. Eine Kustode am unteren rechten Rand des letzten erhaltenen Blattes bezeugt, dass ursprünglich mindestens eine weitere Lage folgte. Bei der Kustode handelt es sich um die Präposition Mit. Der letzte erhaltene Vers, V. 9996, ist gemeinsam mit seinem Reimpaarvers unter den Vollhandschriften des niederdeutschen Korpus auch in W, Wo und Lü überliefert: V. 9996f. O: Jhesus sprak moder hir scholtu jummer bliuen | [Mit] W: He sprach hir soltu moter sitten | Hir wil ich dir ghetzen Wo: he sprak hir scaltu vmmer bliuen | hir wil ik van de triuen Lü: he sprak hir scoltu yummer bliuen | hir wil ick vrouwede van dy driuen

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

185

Keiner dieser Versionen von V. 9997 beginnt mit der Oxforder Kustode. O variiert also entweder V. 9997 oder überspringt zahlreiche Verse. Der nächste Versanfang mit der Präposition mit steht in der weiteren niederdeutschen Überlieferung erst in V. 10036. Beide Editionen verzeichnen nach V. 9996 weitere hundertsiebenunddreißig Verse. Gesetzt den Fall, dass die fehlende Lage mit V. 9997 begann und alle in den beiden Editionen verzeichneten Verse überlieferte, so fehlen dem Oxforder Textzeugen eben diese hundertsiebenunddreißig Verse. Bei durchschnittlich sechsundvierzig Versen pro Blatt (recto und verso) fehlen drei Seiten. Es ist demnach anzunehmen, dass die Oxforder Handschrift nicht nur zu Beginn, sondern auch zum Schluss ein Binio aufwies. Die ursprüngliche Lagenformel könnte demnach wie folgt ausgesehen haben: II (4) + 9 VI (112) + V (122) + 3 VI (158) + (VII-1) (171) + II (175). Der ursprüngliche Blattumfang müsste demnach bei hundertfünfundsiebzig Blättern gelegen haben, die ‚Marienleben‘-Abschrift endete dann auf dem vorletzten Blatt der letzten Lage. Im Vergleich mit der Edition durch Rückert sind an achtundzwanzig Stellen zusätzliche Verse eingefügt (insgesamt zweiundsechzig Zusatzverse). Im Prolog fehlt der letzte Vers, V. 22,8. Stattdessen erscheint V. 22,7 wie ein Kapitelbeginn mit einer roten Majuskel hervorgehoben. Da für eine vollständige Kennzeichnung als Überschrift die für diese Handschrift typische rote Unterstreichung fehlt, fasse ich den Vers als unvollständigen Reimpaarvers und nicht als Überschrift auf. Sieben Einfügungen sind nicht in der Neuedition verzeichnet (insgesamt acht Verse). Von diesen liegen vier ausschließlich in O vor: V. 1961,1, V. 2379,1f.; V. 3411,1. Die Notwendigkeit eines an V. 1961 anschließenden Zusatzverses ergibt sich aus dem Ausfall von V. 1959: [Bl. 46r] 1958 1960 1961 1961,1

vnde vro was de jodeschas Josep sprach ne wiste was vrowe beteken moghe das des bin ik nicht to las

In der weiteren niederdeutschen Überlieferung reimt sich V. 1958 nicht auf V. 1960: iodescap – daz (W), iudescaft – wat (Wo), yodescopp – wat (Lü), yoden – wat (Be). Die Veränderung des Reimwortes von V. 1958 begünstigt in O den Ausfall von V. 1959. Gleichermaßen resultiert der Zusatz von V. 3411,1 aus dem Fehlen von V. 3409: [Bl. 77v] 3408 her is en teken grot gheschen 3410 Wo mach de got so starker sen

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

186

3411 3411,1

des ghewalt so grot nu sin Alzo hir in deme lande myn

Auch hier wird der Versausfall von V. 3409 dadurch vertuscht, dass sich das Reimwort von V. 3410 in dieser Abschrift auf V. 3408 reimt. Das ist für V. 3408– 3411 in W, Lü und Wo nicht der Fall: schen – gen – sin – sin (W), schen – ghen – syn – sin (Wo), scen – scen – zin – zin (Lü).78 Das nach V. 2379 eingefügte Verspaar ergibt sich aus einem veränderten V. 2379 in D16, d. h. in der Episode, die von dem sechsten von insgesamt acht Wundern bei Jesu Geburt berichtet:  

[Bl. 55v] 2378 2379 2379,1 2379,2 2380 2381 2382 2383 2384 2385

Alle water stille stunden vnde to vleten ny beghunden Er dan drudden haluen dach want got dat wol vormach dat se to dale nicht en runnen Vnde boden ere deme ewighen brunnen Van deme se alle weren komen Vnde en ortsprunk al ghenomen do he scholde gheboren werden Van siner moder vp der erden

In den weiteren niederdeutschen Vollhandschriften lautet V. 2379: Mer denne dridde halue stunde (W, gleichlautend in Wo, Lü, Be). Die Zeitangabe ist in O von Stunden zu Tagen ausgeweitet und in den ersten Zusatzvers verschoben. So wird der Reim verbessert und variiert: stunden – beghunden (O) statt stunden – stunde (W, Wo, Lü, Be). Dieser reimverbessernde Eingriff ist durchaus im Einklang mit der Abschrift in O, wie im weiteren Verlauf der Analyse noch erörtert wird. Bei den nur in O ausgefallenen Einzelversen handelt es sich um: V. 126, V. 755, V. 771, V. 899, V. 1255, V. 1257, V. 1529, V. 1707, V. 1873, V. 1959, V. 1983, V. 2455, V. 2457, V. 3343, V. 3409, V. 4477, V. 5076, V. 5501, V. 5515, V. 8005, V. 8384, V. 8649, V. 8651, V. 9119, V. 9130. Verspaare, die bislang ebenfalls nur in O fehlen, sind: V. 471f., V. 1222f., V. 1312f., V. 2412f., V. 2448f., V. 2530f., V. 2772f., V. 2968f., V. 3206f., V. 3316f., V. 3350f., V. 3998f., V. 5260f., V. 5538f., V. 9700f. Nur in O bezeugte größere Versauslassungen sind: V. 936–939 (Homoioteleuton), V. 1000–1003, V. 2890–2893 und V. 8012–8111. Für letztere Auslassung ist aufgrund ihres Umfangs (einhundert Verse) das Überspringen von zwei beidseitig beschriebenen Blättern der Vorlage anzunehmen. Dadurch fehlen die Episoden

78 Die Verse V. 3402–3427 fehlen in Be.

187

4.1 Einzelanalysen der Vollhandschriften

I3–5, in denen Jesus nach seiner Auferstehung Joseph von Arimathäa, Jakobus und Petrus erscheint, und Auszüge aus den Episoden I2 sowie I6, in denen Jesus Maria bzw. den drei Marien erscheint. Über den Verlust der letzten Lage fehlen der Großteil von H18 (Empfang durch Jesus), die gesamte Episode H19 (Empfang durch den Heiligen Geist) und der Epilog. Nur in O bezeugte Versumstellungen betreffen lediglich das erste Drittel des erhaltenen Textes: V. 281 f. vor V. 279f., V. 1951 vor V. 1950, V. 2051 vor V. 2050, V. 2331 vor V. 2330, V. 2921 vor V. 2920. Ebenso sind nur in O vorgenommene Verszusammenfassungen ausschließlich zu Beginn der Textüberlieferung belegt: V. 756 und V. 757, V. 757 und V. 758, V. 770 und V. 772 sowie V. 3367 und V. 3368 sind zu jeweils einem Vers kombiniert. Die Abschrift weist keine Veränderungen in der Episodenreihenfolge und keine fälschlichen Versdoppelungen auf.  

4.1.5.3 Der reine Reim Die Oxforder Handschrift lässt ein Bemühen um die Einhaltung bzw. Schaffung eines reinen Reimpaarverses erkennen.79 Zu diesem Ziel erfolgt in der Regel kein Eingriff in die Syntax oder Lexik eines Verses oder mehrerer Verse. Stattdessen werden die Reimwörter in ihrer Schreibung angeglichen. Dieses Vorgehen wird in erster Linie angewendet, wenn ein biblischer Name das Reimwort stellt. An folgenden beispielhaft ausgewählten Verspaaren lässt sich diese Technik exemplifizieren: Anna – manna: de vrowe was gheheten Anna | de wart ghegheuen dem suluen manna (V. 41f.) de sulue erlik vrowe Anna | de leuede rechte wol mit erme manna (V. 51f.) Maria moter vrowe Anna | Mit Ioachim erem manna (V. 9896f.) Zum Vergleich: Anne – manne: was sin bruder den vrowe Anne | Na Jachimes dode to manne (V. 1180f.) Maria – scria de salighe vnde de reyne Maria | To gode begunde to scria (V. 1380f.) nu saghe myn sote trut Maria | wat dut din weynent vnde din scria (V. 3154f.) Zum Vergleich: scrien – Marien de man begunde vaste scrien | vp de reynen maghet Marien (V. 9436f.) Maria – vria: Dit is de reghele nach der Maria | de reyne maghet wandels vria (V. 8844f.) Se is de reyne maghet Maria | Jesus moder wandels vria (V. 9602f.)

79 Vgl. die ersten Überlegungen zu dieser Beobachtung bei Gärtner / Ostermann 2017, S. 252 f.  

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

188

Se sprak willekome kint Maria | Willekome dochter maghet vria (V. 9900f.) Magdalena – twena: Dar nach Maria Magdalena | Marta vnde Jesus iunghere twena (V. 8870f.) deo – ero: gloria in excelsis deo | got van hemmelrich haue ero (V. 2216f.) Christo – wisto: do de vrowe horde van Cristo | dat he er dink so wol wisto (V. 5784f.) dat was nicht vorborghen Christo | Al eren willen he wol wisto (V. 5880f.)

Das erste Beispiel für den Reim Christo – wisto ist für diese Analyse besonders interessant, weil sich dort die Korrektur noch im Schriftbild erkennen lässt: Auf Bl. 128v wurde das finale e von wiste zu einem o verändert. Derartige reimverbessernde Eingriffe sind in der Handschrift häufig an unterschiedlichen Tintenfarben zu erkennen. So lautet beispielsweise das Reimwort in V. 5864 f. auf Bl. 130v ursprünglich saten, das a wurde jedoch durch einen unten angehängten Bogen zu einem e korrigiert, um einen Reim mit dem folgenden Vers zu generieren: Alle de lude nider seten | dat brot vnde de vische eten (V. 5864f.). Gelegentlich ergeben sich aus derartigen Anpassungen auch Fehler: In V. 8533 auf Bl. 142r ist das Reimwort vals nachträglich um ein ‚k‘ ergänzt worden. Das korrigierte Versende reimt sich nun nicht mehr mit V. 8532 hals. V. 8533 geht jedoch dem Reimpaarvers fink – gink (V. 8534f.) voraus – die Ergänzung von vals um ein finales ‚k‘ erfolgte also mit Blick auf die Schreibung des darauffolgenden Verses. Dieses Bemühen um eine Anpassung der Versenden zeigt sich auch dann in der Schreibung, wenn mit ihr kein lautlicher Unterschied einhergeht. Die mehrheitliche Schreibung für ‚frei‘ ist vri, im Reim auf ierarchie (V. 9969) auf Bl. 171r steht jedoch vrie (V. 9968). Weitere Beispiele sind die Schreibung der Reimwörter Nazareth und meth statt mit in V. 5600 f. auf Bl. 125r und hey statt hir im Reim auf bey in V. 3002 f. auf Bl. 69r. Das Festhalten an reinen Reimpaaren mit identischer Schreibung geht soweit, dass sogar Sinnveränderungen bzw. Sinnentstellungen in Kauf genommen werden. Im Kontext der Marienregel rekapituliert der Erzähler das Passionsgeschehen und berichtet über das Leiden Christi: Se houen en vp in eren spot | vnde toghen em an enen rot (V. 8548f., Bl. 142v). Korrekt wäre im Vergleich mit der weiteren Überlieferung als zweites Reimwort das Substantiv rok. Gelegentlich werden nicht nur Einzelbuchstaben angepasst, sondern auch Versenden ergänzt. So müsste V. 2830 auf Bl. 65r in Einklang mit den Editionen und den weiteren niederdeutschen Vollhandschriften eigentlich bereits nach vp enden, O ergänzt jedoch einen reinen Reim zu V. 2831: Maria sach vp in de lucht | vnde sach an de sulue vrucht (V. 2830f.). Ebenso verhält es sich bei dem Verspaar V. 223 f. auf Bl. 5v, das eigentlich schon nach Jerusalem respektive heym enden  







4.2 Gruppenbildung

189

sollte: Jachim do to Jerusalem vor | Vnde dar na heym dat is war (V. 223f.). Der Schreiber schien einen Reim von vor und war dem Reim von -lem und heym vorzuziehen. O weist somit deutliche Normalisierungstendenzen in der Schreibung auf, die durchaus mit der einheitlichen Gestaltung der Handschrift korrespondieren. Ein derartiges Verfahren lässt eine für das Korpus überdurchschnittliche Sorgfalt erkennen, mit der die Abschrift erstellt wurde. Diese zeigt sich auch in den wenigen Zusatzversen, die ausschließlich zu Korrekturzwecken eingesetzt wurden, und in dem Fehlen jeglicher Versdoppelungen.

4.2 Gruppenbildung Vergleicht man die soeben analysierten Versübersichten der Vollhandschriften miteinander, so lassen sich Nahbeziehungen zwischen einzelnen Textzeugen erkennen. Ausgehend von diesen Parallelen, die sich in Form von gemeinsamen Versausfällen, Versergänzungen, Verszusammenfassungen und Versumstellungen zeigen, sollen im Folgenden Handschriftengruppen innerhalb des niederdeutschen Korpus identifiziert werden.

4.2.1 Die Gruppe Wo Lü Die Handschriften Wo und Lü haben zahlreiche Abweichungen gemeinsam, die sie nicht nur von den Editionen, sondern auch von den weiteren niederdeutschen Handschriften unterscheiden.80 So fassen beide Abschriften dieselben fünf Verspaare zu einem Vers zusammen (V. 1444 und V. 1445, V. 1555 und V. 1559, V. 3446 und V. 3450, V. 5008 und V. 5009, V. 5378 und V. 5379) und stellen dieselben Verse um (V. 4361 vor V. 4360, V. 4670 vor V. 4669, V. 4839,2 vor V. 4839,1, V. 5851 vor V. 5850, V. 7105 vor V. 7104, V. 8467 und V. 8471 vertauscht, V. 9287 nach V. 9289, V. 9303 vor V. 9302, V. 9627 vor V. 9626, V. 10039 vor V. 10038). Besonders auffällig sind die in beiden Handschriften eingefügten Verse: V. 4085,1f.,

80 Gärtner 1978, S. 301 f. zeigt Gemeinsamkeiten von Wo mit der ostmitteldeutschen Handschrift B auf. Alle Parallelen gelten auch für Lü. Da Gärtner Lü nur aus Hagens Beschreibung kannte, konnte er keine Zuordnung der Handschrift vornehmen. Er vermutete korrekterweise einen xText, stellte die Handschrift jedoch fälschlicherweise aufgrund eines Fehlers in Hagens Transkription (Verzicht auf V. 22,8) in die Nähe von O, vgl. Gärtner 1978, S. 302. Die hier und im Folgenden untersuchten Gemeinsamkeiten betreffen ausschließlich Wo und Lü. Gemeinsamkeiten, die diese beiden Abschriften mit Be teilen, werden in Kap. 4.2.2.1 behandelt.  

190

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

V. 4664,1f., V. 5411,1, V. 5808,1, V. 6567,1–4, V. 7101,1 f. (Lü: V. 7103,1f.), V. 7109,1f., (Lü: V. 7111,1f.), V. 7115,1f., V. 7155,1f., V. 7160,1 f. (Lü: V. 7161,1f.). Von diesen Zusatzversen sind nur zwei als Korrektur zu verstehen: Sie kaschieren einen Fehler, indem sie das Reimschema wiederherstellen. V. 5411,1 wird ergänzt, weil V. 5410 (W: Jesu son vnde leuer here, gleichlautend in O, Be) fehlt:  



Wo [Bl. 162r] 5408 do Maria dat ghesach 5409 to erme sone Jesu se sprach 5411 Wines hat de wert nicht mere 5411,1 des is bedruwet sin here sere ________________________________ 5411 hat] en had Lü. 5411,1 herte Lü.

V. 5808,1 wiederum wird ergänzt, weil in V. 5808 das Versende (W: howen, gleichlautend in O, Be) fehlt und der Reim mit V. 5809 so verloren geht. In der Konsequenz wird V. 5809–5811 zu einem Dreireim: Wo [Bl. 166r] 5808 Eyn belde dat was steynen 5808,1 Al na Jesu deme reynen 5809 dat wart ghesat der suluen vrowen 5810 Jn eren gharden dat se schowen 5811 Jesum mochten mit gantzen truwen _____________________________________ 5808,1 Al] fehlt Lü; vil reynen Lü.

In den restlichen Fällen handelt es sich um zusätzlich eingefügte Reimpaare, die nicht der Fehlerkorrektur dienen, sondern neue Informationen bieten. Bis auf zwei betreffen alle Ergänzungen den Passionsblock H, der innerhalb des niederdeutschen Korpus nur noch in W überliefert ist. Diese Ausnahmen sind erstens das Verspaar V. 4085,1 f. in F6, das Josephs Bitte an Jesus, einen Toten wieder zum Leben zu erwecken, erweitert und dadurch verstärkt – Machstu em helpen wedder syn lif | dar mede vse leyt vortref (Wo) bzw. mochtest wedder em helppen zin liff | dar mede vnze leid vordriff (Lü) – und zweitens das Verspaar V. 4664,1 f. in F16, mit dem die Schaulustigen bei einem von Jesu Wundern näher bestimmt werden: do quamen vt der stat gheghan | Juden de dat wunder saen (Wo) bzw. do qwem vt der stat gan | de yoden de dat wunder zegen an (Lü). Von den sechs Ergänzungen während der Passion steht die erste am Ende von H11. Dieses  



4.2 Gruppenbildung

191

Kapitel beschreibt Jesu Gefangennahme im Garten Gethsemane, bei der Petrus einem Mann ein Ohr abschlägt. Während W mit der Heilung dieses Mannes durch Jesus gemäß Lk 22,51 endet, ergänzen Wo und Lü erst seinen Namen gemäß Joh 18,10 (Malchus) und dann eine nicht-biblische direkte Rede: Wo [Bl. 174v] 6567,1 de sulue man het Malchius [Bl. 175r] 6567,2 Jn deme dat teyken dede Jesus 6567,3 he sprak so mik god late [leuen] 6567,4 de gokeler hat mir myn ore wedder gheuen ____________________________________________ 6567,1 man] fehlt Lü; Malkus Lü. 6567,3 got my late Lü; Reimwort ergänzt aus Lü. 6567,4 desse Lü.

Alle übrigen Zusatzverse finden sich in H17. Sie ergänzen die einleitende Beschreibung der Szene (V. 7101,1 f. (Lü: 7103,1f.), die direkte Rede des Publikums (V. 7109,1 f. (Lü: 7111,1f.), V. 7115,1f.) und Marias Klage (V. 7155,1f., V. 7160,1 f. (Lü: V. 7161,1f.)):  



Wo [Bl. 180v] 7101,1 de lude quamen alle 7101,2 mit groteme scalle __________________________________ 7101,1 yoden Lü. 7101,2 enem graten Lü. [Bl. 180v] 7109,1 Se spraken alle set wo he gheyt 7109,2 Wu wol dat em syn crone steyt __________________________________ 7109,1 set] fehlt Lü; wo dat Lü. 7109,2 wol dat] fehlt Lü; crone] kruse Lü. [Bl. 181r] 7115,1 Wen he dicke hat ghesaghet 7115,2 We syn muter wen eyn maghet __________________________________ 7115,1 hat] dat Lü. 7115,2 We] dat Lü. [Bl. 181v] 7155,1 Se sprak owi kynt vnde here



192

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

7155,2 des doghestu so grote swere __________________________________ 7155,1 vnde] myn Lü. 7155,2 des doghestu] wo listu Lü. [Bl. 181v] 7160,1 owe mir der groten leyden 7160,2 Scal ik dus nu van dir scheyden __________________________________ 7160,2 dus] fehlt Lü.

Diesen zusätzlich ergänzten Versen stehen die zahlreichen Versauslassungen der beiden Abschriften gegenüber. Fehlende Einzelverse sind selten, verteilen sich aber über die gesamte Erzählung: V. 374, V. 2473, V. 3443, V. 3445, V. 4671, V. 5410, V. 8486. Die meisten Gemeinsamkeiten betreffen die ausgelassenen Passagen ab zwei Versen. Sowohl Wo als auch Lü fehlen die Verspaare V. 2046f., V. 2054f., V. 3646f., V. 3654f., V. 3724f., V. 4192f., V. 4358f., V. 4894f., V. 5036f., V. 5270f., V. 5516f., V. 5626f., V. 5640f., V. 5644f., V. 5654f., V. 5820f., V. 5904f., V. 6326f.,81 V. 6654f., V. 6946f., V. 7074f., V. 8026f., V. 8441f., V. 8491 f. (Homoioteleuton), V. 9014f.,82 V. 9124f.,83 V. 9444f., V. 9640f., V. 9702f., V. 9772f., V. 10050f., V. 10098f.84 Die gemeinsamen Versauslassungen von mehr als zwei Versen dominieren in der zweiten Texthälfte: V. 3447–3449, V. 4665–V. 4668, V. 5040–5051, V. 5442–5453, V. 5462–5473, V. 5478–5505, V. 5510–5513, V. 5632–5635, V. 5672– 5681, V. 5870–5873, V. 6088–6093 (Homoioteleuton), V. 6288–6291, V. 6582–6587, V. 6788–6793, V. 6840–6843, V. 6848–6857, V. 6968–6973, V. 7940–7943, V. 8152–8155, V. 8362–8367, V. 8386–8389, V. 8426–8435,85 V. 8480–8483, V. 8498–8847, V. 9044–9049, V. 9072–9077, V. 9100–9105, V. 9706–9715, V. 9726–9735, V. 9750–9761, V. 9790–9793, V. 9806–9811, V. 9818–9821, V. 9826– 9833, V. 9846–9849,86 V. 9854–9861, V. 9874–9975, V. 10006–10019. Diese umfangreichen Auslassungen finden sich in erster Linie in den Kapitelblöcken G, H, J und K. Die größte Textlücke stellt die Marienregel J3 dar, wodurch eine Beschreibung von Marias Tagesablauf als Ordensfrau nach Jesu Tod fehlt.87 Diese Auslassung ist bereits über kleinere Auslassungen in den vorausgehenden zwei Kapiteln angelegt: In den Episoden J1 und J2, die sich mit Marias Missionstätig 

81 82 83 84 85 86 87

W fehlt nur V. 6327. Wo fehlt V. 9004–9015. In Wo fehlen in diesem Abschnitt mehr Verse als in Lü: V. 9112–9125. W fehlt nur V. 10099. Wo fehlt auch V. 8424f. W fehlt nur V. 9848f. Für eine Analyse dieses Kapitels unter Berücksichtigung der Vorlage vgl. Gärtner 1984b.

193

4.2 Gruppenbildung

keit respektive ihrer Frömmigkeit beschäftigen, fehlen Passagen, mit denen Aspekte der Marienregel bereits vorweggenommen werden: J1 ist um einen zehn Verse umfassenden Abschnitt gekürzt, der Marias tugendhaften Lebensstil als nachahmungswürdig charakterisiert (vgl. V. 8426–8435). Auf der Prämisse von Marias Idealcharakter basiert die zwei Kapitel weiter eigentlich folgende Marienregel. In J2 betreffen die Auslassungen diverse Spezifikationen von Marias vorbildhaftem Lebensstil: Es fehlen V. 8480–8483, die Marias Höflichkeit wie Zurückhaltung exemplifizieren, und das Verspaar V. 8491f., das Marias häufiges Schweigen aufgreift. Wo geht in diesem Kapitel noch einen Schritt weiter als Lü: Es fehlen mit V. 8472 f. zwei weitere Verse, die Marias Abwendung von der Welt über das seltene Verlassen ihres Hauses veranschaulichen. Marias Wortkargheit gegenüber ihren Mitmenschen – nicht jedoch gegenüber Gott – wird in der Marienregel ausführlich thematisiert (vgl. V. 8818–8840). Ihre Abgeschiedenheit von der Welt mit Ausnahme der Tempelbesuche ergibt sich aus ihrem nach den Tagzeiten strukturieren Tagesablauf. Doch die Auslassung der Marienregel bedeutet nicht nur den Verzicht auf eine Schilderung des regulierten Tagesablaufs der Gottesmutter. Sie bedeutet auch den Verzicht auf ein erneutes, meditatives Durchleben der Passion, wie Maria dies ausführlich in der ersten Andacht nach Mitternacht (vgl. V. 8510–8657) tut, sowie auf eine Vorfreude schürende Schilderung der zu erwartenden Himmelsfreuden (vgl. V. 8662–8727), wie Maria sie in der Andacht nach der Prim vorträgt. Diese Auslassungen stehen im Einklang mit den für Wo bereits beobachteten verkürzten Klagen: Es entfallen Passagen, die die emotionale Einbindung der Rezipierenden bemühen. Über das Überspringen dieser auf Mitgefühl angelegten Versabschnitte ergibt sich eine stärkere Konzentration auf das narrative Element des jeweiligen Kapitels. Auch dem Episodenblock G zu Jesu Jugend und öffentlichem Wirken fehlen in Wo und Lü zahlreiche Verse. Das Kapitel G10, das Jesu Heilungswunder an Einzelbeispielen exemplifiziert, ist von sechsundsechzig auf zwanzig Verse gekürzt. Generelle Aussagen wie grote tekeyne he beghink | do he de prediken anevink (Wo, V. 5474f.; gleichlautend in Lü) bleiben bestehen, während der Großteil der spezifischen Krankheitsnennungen wegfällt (vgl. V. 5462–5473, V. 5478–5505: Besessenheit, Wassersucht, Epilepsie, Fieber, Aussatz, Räude, Blut- und Gehirnerkrankungen). Lediglich das Verspaar zur Heilung von Blinden und Lahmen bleibt erhalten (vgl. V. 5476f.). Weitere umfangreiche Auslassungen im selben Episodenblock finden sich in G14 (Josephs Tod und Marias Klage). Versausfälle sind ausschließlich in der direkten Rede Mariens, d. h. ihrer Klage, zu verzeichnen und betreffen in erster Linie die Rollen, die Maria ihrem Mann zuschreibt, und nicht die Zusammenfassung ihres gemeinsamen Lebens. Während die Bezeichnung als here vnde leuer man (Wo, V. 5628; gleichlautend in Lü), myn leue brudegam (Wo, V. 5636; gleichlautend in Lü) erhalten bleiben, werden Adressie 



194

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

rungen als myn vater vnde myn here | Min knecht vnde ok myn denere (W, V. 5626f.) sowie Mines magedomes kamerere (W, V. 5640) und Rollenbeschreibungen als An bademomen stat du were (W, V. 5654) übergangen. Für den anschließenden Passionsabschnitt H lässt sich zunächst eine Reduktion von Gewaltschilderungen beobachten, die das mögliche Mitleiden der Rezipientinnen und Rezipienten reduziert. In der Beschreibung von Jesu Geißelung in H15 fehlen mit V. 6840–6843 und V. 6848–6857 zwei Abschnitte, die sich der bildhaften Gewaltschilderung widmen. Sie lauten in W wie folgt: W [Bl. 71vb] 6840 6841 6842 6843 […] 6848 6849 6850 6851 6852 6853 6854 6855 6856 6857

An sineme liue mynnelich Eyn islich slach och sůnderlich Sinen lichamen machte gar Van blůde rot vnde wete var He also vaste geslagen wart Dat sin hut wart gar vorkart Van den geislen rimen grot Ouch dat blot de sůlle begot Vnde beyde sine witten siden Worden rot swart vnde witen Sin sculderen vnde sin rughe Van slegen menge lůcke Sin arm mengen roten [Bl. 72ra] strimen Hadden van den geislen remen

Nur knapp formulierte Gewaltdarstellungen bleiben in Wo und Lü bestehen, beispielsweise in der Form von vt synem liue ran dat blut | van bloude wart de erde rot (Wo, V. 6846f.; gleichlautend in Lü). Im weiteren Verlauf von Jesu Prozess vor Pilatus fällt eine größere Auslassung auf, mittels derer die Rolle von Pilatus’ Frau an Signifikanz verliert. In H16 fehlt die Begründung von Pilatus’ Frau für ihr Gnadengesuch für Jesus. In Wo und Lü versucht sie ihren Mann wie folgt zu überzeugen: Wo [Bl. 179v] 6966 Offenbare ir her to mir komen 6967 Vnde ik han vil van im vornomen 6974 darvmme schaltu en laten gan 6975 Went he is eyn hilgher man _____________________________________ 6966 ir] is Lü. 6967 ik] fehlt Lü.

4.2 Gruppenbildung

195

In W, der einzigen anderen niederdeutschen Handschrift, die die Passion überliefert, ist ihre Begründung deutlich ausführlicher: W [Bl. 73ra] 6966 6967 6968 6969 6970 6971 6972 6973 6974 6975

Homelich ist he to myr gekomen Vnde han vil van om vornommen Gescen ist myr grotze gnade Van om irlost bin drade Van dem sechdome bin ich genesen Jn desser nacht de de ist gewesen An mynem liue mengen tach Van dem ich hatte grotz vngemach Dar vmme soltu oͤ n laten gan Went he ist eyn heiliger man

Mit der Kürzung von Wo und Lü fehlt also Jesu Heilungswunder an Pilatus’ Frau. Diese Beobachtung fügt sich ein in die bereits beobachteten Kürzungen von Jesu Wunderwirken. Wesentliche Auslassungen sind auch während der Himmelfahrt Mariens, d. h. im Episodenblock K, zu verzeichnen. So erscheint zunächst Marias Begrüßung durch die neun Engelchöre deutlich kondensiert. Nach einem ersten ausgefallenen Verspaar, V. 9640f., in der Begrüßung durch den zweiten Chor (K4), setzen umfangreichere Auslassungen erst mit dem fünften Chor (K7) ein und begegnen dann durchgängig in den Episoden K8 bis K11, die sich jeweils einem weiteren Chor widmen. Die fehlenden Verse sind in aller Regel nicht die einführenden Worte des Erzählers, sondern die Engelgesänge selbst. Der Gesang des fünften Engelchors wird von achtzehn auf sechs Verse gekürzt, des sechsten von sechzehn auf sechs, des siebten von zwanzig auf acht, des achten von sechzehn auf zehn und des neunten von zweiundzwanzig auf zehn.88 Diese Auslassungen bewirken vor allem eine Reduktion der Marienbilder, mit denen die Engel Maria adressieren.89 Es fehlen die Preisung als Stab Moses (K7: V. 9706–9715), als Arche Noah (K8: V. 9732–9735), als Wurzel Jesse (K9: V. 9750–9753) bzw. ihres Sohns als Reis aus der Wurzel Jesse (K9: V. 9754–9761), als Himmelsbrot (K10: V. 9790–  

88 Vergleichsgrundlage sind hier weiterhin die vorhandenen Editionen durch Rückert sowie Gärtner und Schubert, die an dieser Stelle im Versbestand übereinstimmen. 89 Für eine ausführliche Analyse der von Philipp verwendeten Marienbilder während der Himmelfahrt und den ihnen zugrundeliegenden Gesängen vgl. Ostermann 2019. Zur Symbolik der Beiworte Mariens vgl. Salzer 1967.

196

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

9793) und als Wolke (K11: V. 9826–9829) bzw. Wolkensäule (K11: V. 9830–9833). Sofern Auslassungen den einleitenden Erzählerkommentar betreffen, handelt es sich um Passagen, die den Gesang und die Musik beschreiben (K10: V. 9772f., K11: V. 9806–9811). Dies ist noch ausführlicher im an die Engelchöre anschließenden Empfang durch die Heiligen zu beobachten (K12: V. 9846–9849, V. 9854–9861). Auch diese Kürzung der Musik, insbesondere der zum Teil auf lateinischen liturgischen Gesängen beruhenden Passagen, bedeutet eine weitere Reduktion des Beteiligungspotentials der Rezipierenden.90 Die anschließenden Kapitel K13 bis K15, das heißt der Empfang der Gottesmutter durch Johannes den Täufer, Joachim und Anna sowie Joseph fehlen vollständig. Ebenso fehlt die Episode K16, die den himmlischen Empfang durch den dreifaltigen Gott vorbereitet. Marias Empfangskomitee beschränkt sich demnach auf die Heiligen (K12), Gott (K17), Jesus (K18) und den Heiligen Geist (K19). Ebenso wie der Empfang durch die Heiligen wird auch der Empfang durch Jesus deutlich gekürzt. Die Kürzung betrifft hier eine Passage, die die Blumenkrone beschreibt, mit der Maria zur Himmelskönigin gekrönt wird (vgl. V. 10006–10019). Es fehlt somit ein Absatz, der nicht zum weiteren Handlungsverlauf beiträgt. Abschließend können für die mit Wo und Lü überlieferten gemeinsamen sekundären Ergänzungen wie Auslassungen folgende Beobachtungen formuliert werden: Die Methode des Zusatzverses wird nur selten genutzt, um Fehler im Reimpaarschema auszugleichen. Stattdessen wird sie eingesetzt, um zusätzliche Informationen und direkte Reden zu ergänzen. Darüber hinaus ist ein Verzicht auf solche Passagen zu beobachten, die die Involvierung des Publikums befördern und bzw. oder Zustände beschreiben und somit den weiteren Handlungsverlauf verlangsamen würden. Da die Ergänzungen insgesamt weniger zahlreich sind als die Auslassungen, ändern sie an dieser Tendenz nichts.

4.2.2 Der Vorlagenwechsel von Be Die Handschrift Be überliefert, wie Gärtner bereits festhält, „einen aus zwei verschiedenen nd. Textstufen zusammengesetzten Text“91. In einem Vergleich der Versübersichten zeigen sich diese unterschiedlichen Textstufen insbesondere anhand der in Be überlieferten Zusatzverse. Von den acht in Be bezeugten Verseinfügungen, die nicht in der Neuedition geführt werden, sind vier auch in Wo

90 Zu den liturgischen Gesängen der Engelchöre vgl. Ostermann 2019. 91 Gärtner 1978, S. 72.

4.2 Gruppenbildung

197

und Lü, vier weitere auch in O überliefert. Diejenigen Zusätze, die auch in Wo und Lü vorliegen, stehen zu Textbeginn: V. 906,1, V. 907,1, V. 952,1, V. 953,1. Die gemeinsam mit O bezeugten Zusatzverse betreffen das zweite Textdrittel: V. 3807,1, V. 4705,1, V. 5031,1, V. 5077,1. In seiner Analyse nennt Gärtner das Verspaar V. 3444 f. als erste Gemeinsamkeit von O und Be.92 Um den Unterschied in dieser Passage zu Wo und Lü deutlich zu machen, muss das Versumfeld herangezogen werden:  

Be [S. 115] 3442 3443 3445 3444 3446 3447 3448 3449 3450 3451 O [Bl. 78r] 3442 3443 3444 3445 [Bl. 78v] 3446 3447 3448 3449 3450 3451 Wo [Bl. 138r] 3442 3444 3446/50 3451

he vragede van welckem lande se weren vnde war se henne wolden keren de iunge vrowe mit erem manne vnde war se henne wolden dannen dat sin wy versprack Yoseph van yodeschen lande komen her de here begonde sick to vorsten dat dat teken were geschen van dem kynde vnde van den gesten Ock vor war dat wal wusten

he vraghede van welkem lande se weren vnde wor se henne wolden keren Vnde wor se henne wolden danne de junghe vrowe myt erem manne Josep sprak dar sy wy vore van Jodeschen lande komen were de here beghunde sich do vorsten dat dat steken were gheschen Van deme kinde vnde van den ghesten Ok vor war dat wol westen

he vraghede van welkem lande se waren vnde wor se henne wolden varen Joseph sprak wi sint here geste vor war dat de here wol wuste

92 Vgl. Gärtner 1978, S. 300.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

198

Lü [Bl. 70r] 3442 3444 3446/50 3451

he vragede van wat lande dat he were vnde wor he wolde henne varen Yozepp sprak wy zind here geste vor ware de here dat wol wuste

Hier zeigt sich auf den ersten Blick, dass Wo mit Lü übereinstimmt: Beide überspringen V. 3443 und lassen V. 3444 stattdessen auf V. 3442 reimen. Dann überspringen sie V. 3445 und fassen V. 3446 mit V. 3450 zu einem Vers zusammen, der sich wiederum auf V. 3451 reimt. Be folgt diesem Vorgehen nicht, die Abschrift stimmt demnach an diesem Punkt schon nicht mehr mit Wo und Lü überein. Be ist deutlich näher an O, unterscheidet sich aber in drei Punkten: Be stellt V. 3444 f. um, verlagert die Inquit-Formel in V. 3446 an das Versende und verwendet für V. 3447 das Reimwort her statt were. Dieser Abschnitt ist keineswegs der früheste Beleg für den Wechsel der Textstufen in Be. Vergleicht man den Wortlaut der vier Handschriften, so begegnet die erste Gemeinsamkeit von Be mit O, die in Opposition zu Wo und Lü steht, bereits in V. 3441:  

V. 3441 Be: mit soten grote se entfenck O: Mit soten gruten he se vntfink Wo: myt suten reden he se vntfink Lü: myt zoten reden he ze vntfinck

Die Wahl des Substantivs grote unterscheidet die Handschrift Be von der Textfassung in Wo und Lü. An dieser Stelle hat der Vorlagenwechsel demnach bereits stattgefunden. Da in Be die umfangreiche Passage V. 3402–3427 fehlt und Be, O, Wo sowie Lü in V. 3428–3440 übereinstimmen, bestimmt Gärtner das Ende der Gemeinschaft von Wo (Lü) Be bei V. 3401, den Anfang von O Be bei V. 3428.93 Eine Überprüfung dieser Hypothese anhand eines erneuten Vergleichs zeigt allerdings, dass Be in V. 3401 – sowie bereits im vorausgehenden Vers – einen eigenen Weg wählt: V. 3400f. Be: Grote sorge on vmme venck | do he horde dusse dinck

93 Vgl. Gärtner 1978, S. 300, 305.

4.2 Gruppenbildung

199

O: Grote sorghe he ghevinch | Balde to deme tempel ghink Wo: grote sorghe he ghevink | drade to dem tempel ghink Lü: grote zorge he do gevink | drade to deme tempel he do gink

In V. 3428–3440 stimmen Be, O, Wo und Lü in der Tat mit nur minimalen Abweichungen überein: Be [S. 114] 3428 he sach sitten vp eynem steyn 3429 Marien de soten vnde de reynen 3430 Or kynt in erem schote lach 3431 Ock de sulue hertege sach 3432 den saligen vnde den hilligen man 3433 Josepe by Marien stan 3434 Jn sinem herten he irschrach [S. 115] 3435 do he de vromede geste sach 3436 de iungen vrowen so wal getan 3437 den olden man so louesam 3438 dat schone kynt so mynnichlick 3439 vnde so rechte suuerlick 3440 drade he en bute ge ginck ___________________________________________ 3431 hertoge] here Lü. 3432 vnde ock Lü. 3434 he sere Wo. 3438 so fehlt Wo; iungelik Wo. 3439 wunnichlich O Wo Lü. 3440 en bute ge] do henne O, to en do Wo, to em Lü.

Da die erste Gemeinsamkeit von O und Be, wie soeben dargelegt, V. 3441 betrifft, kann der Beginn der neuen Textstufe ebenso dort verortet werden. Die letzte Gemeinsamkeit von Be mit Wo und Lü, die in Opposition zu O steht, begegnet wiederum in V. 3388: Be: o wy dat se vns nicht wolden sagen Wo: owe dat se vns nicht wolden saghen Lü: o we dat ze vns nycht wolden zagen O: O We se wolden vns nicht saghen

V. 3389–3399 stimmen mit wenigen Unterschieden in allen vier Handschriften überein:

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

200

Be [S. 114] 3389 3390 3391

dat wille wy nu vnde iummer clagen wy hadden se vt erer not Gehulpen wente an den dot

Van dem hertegen Eufradisius 3392 DE hertege Eufradisius 3393 de here hetet aldus 3394 do he horde den groten schal 3395 de in der stat oueral 3396 dat geschrey vnde ock den rop 3397 de sick an dem lande hof 3398 he heyt vragen wat dar were 3399 do he horde de rechten mere _______________________________________________ 3389 wille] fehlt Wo, Lü, mote O; nummer Wo Lü. 3390 se] en Wo O. 3391 Se hulpen Wo; an den] in vsen Wo, an dessen O. 3393 stad here Wo, states here O. 3395 was oueral Wo Lü O. 3397 an dem lande] in der stad Lü. 3398 heyt] let Wo Lü, leyt O.

Wie die Beispiele verdeutlichen, ist ein genauer Vers als Grenze der Textstufen nicht zu bestimmen, da alle vier Handschriften in signifikanten Abschnitten übereinstimmen. Die Analyse konnte dennoch zeigen, dass der Vorlagenwechsel in Be nach V. 3388 und vor V. 3441 stattgefunden haben muss.

4.2.2.1 Gemeinsamkeiten von Be mit Wo Lü Übereinstimmungen von Be mit Wo und Lü betreffen ausschließlich das erste Textdrittel. Die vier bereits erwähnten, nur in diesen drei Handschriften verzeichneten Zusatzverse sind V. 906,1, V. 907,1, V. 952,1 und V. 953,1. Die Ergänzungen nach V. 906 und V. 907 ergeben sich aus einem veränderten Reimwort: Statt here (W, O) steht in Wo, Lü und Be reyne, wodurch der Reim mit ere in V. 907 verloren geht. Wo und Lü ergänzen daher sowohl nach V. 906 als auch nach V. 907 jeweils einen Vers: Wo [Bl. 107r] 906 Se spraken Maria maghet reyne [Bl. 107v] 906,1 Du ne west sunde neyne

201

4.2 Gruppenbildung

907 god de hat di grote ere 907,1 ghedan to aller gude lere ____________________________________________________ 906,1 Du] wentu Lü, Wente du Be; neyne] eyne Lü, nicht eyne Be. 907 God heft diner Be. 907,1 gude] gnaden Lü.

Die Zusatzverse V. 952,1 und V. 953,1 lassen sich auf ähnliche Art und Weise erklären: In Wo, Lü und Be ist die Syntax von V. 952 umgestellt. Statt Da lidet neman dorst noch hunger (W, gleichlautend in O) steht hier dar lit neyn man hunger noch dorst (Wo). Über die Vertauschung von ‚Durst‘ und ‚Hunger‘ geht der Reim mit V. 953: Da spottet den alden nicht der iunger (W, gleichlautend in O) verloren. Zwei zusätzliche Verse werden notwendig: Wo [Bl. 108r] 952 dar lit neyn man hunger noch dorst 952,1 dar ne is wer hitte noch vrost 953 dar spot de olde nicht den iungen 953,1 dar belachtet neyn dor den dummen __________________________________________________________________________ 952 noch] edder Lü, eder Be. 952,1 ne is wer] is ne weder Lü, en ys Be; hitte] kulde Lü Be. 953 spot de olde nicht] spottet nicht de olde Lü, vrowet sick de olde mit Be. 907,1 neyn dor den dummen] nicht de dore den dummen Lü, nyn man den anderen Be.

Darüber hinaus teilen Be, Wo und Lü die folgenden Versauslassungen im Umfang von einem Vers bis vier Versen: V. 374, V. 1006f., V. 1148, V. 1224f., V. 1398f., V. 1410f., V. 1436f., V. 1556–1558,94 V. 2584 f. (Homoioteleuton), V. 2642f., V. 3074f., V. 3106f., V. 3194f., V. 3208 f. (Homoioteleuton),95 V. 3362 f. Mit V. 3318–3353 ist nur eine umfangreichere Versauslassung in allen drei Handschriften bezeugt. Über diese Kürzung fehlen E12 diverse Reaktionen der Ägypter auf den Sturz ihrer Götter bei Ankunft der Heiligen Familie. Da hier vor allem wiederholende Wehrufe fehlen, kommt die Kürzung einer Raffung gleich. Die Erzähllogik wird nicht gestört, weil V. 3354 inhaltlich an V. 3317 anschließt:  



Wo [Bl. 137r] 3316 Vse afgodde sint gheuallen 3317 Vorstort synt se albetallen

94 Be fehlt auch V. 1559. 95 Das Verspaar fehlt auch in W.



4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

202

3354 To broken enne was de rucke 3355 de andere ghehacket an cleyne stucke _______________________________________________________ 3354 do to braken was em zin Lü, To broken was eme syn Be.

Gemein sind dieser Handschriftengruppe auch die Versumstellungen V. 412 vor V. 411, V. 579 vor V. 578, V. 929 vor V. 928, V. 1708 f. vor V. 1706f., V. 2649 vor V. 264896 sowie die Verszusammenfassungen von V. 873 und V. 874, V. 1147 und V. 1149, V. 3111 und V. 3112. Auf Einzelversebene können die folgenden beiden Beispiele angeführt werden, um eine Nähe von Be zu Wo und Lü bzw. eine Differenz von Be zu W und O zu veranschaulichen:  

V. 619: W: O:

An liue vnde an sele leyt An liue vnde an sele leyt

Wo: Lü: Be:

Drughe an syneme herten breyt dragede an sinem herten breyd der ock an synem herten breyt

V. 1221: W: O:

An aller hande sůnde meile An aller slachte sunde mele

Wo: Lü: Be:

An ander allehande wunden mele an aller hande wunden mele Ane aller hande wunder vele

In der Kapitelstruktur zeigt sich eine noch engere Beziehung zwischen Be und Lü als zwischen Be und Wo. Unterschiede von Lü und Wo begegnen erstmalig nach V. 108: Nach diesem Vers setzt Lü ein neues Kapitel, Wo hingegen nicht. Ein Vergleich mit Be ist an dieser Stelle noch nicht möglich, da diese Abschrift erst mit V. 181 einsetzt. Wenn es danach Unterschiede in der Episodeneinteilung von Wo und Lü gibt, dann stimmt Be mit Lü überein. So setzen Lü und Be im Unterschied zu Wo ein neues Kapitel nach V. 597, V. 713, V. 785,2 (bzw. in Be: V. 785,2), V. 1523 und V. 1543. Ferner hat Be drei Gemeinsamkeiten ausschließlich mit Lü (Versauslassungen: V. 1801, V. 8907; Verszusammenfassung: V. 2913f.), aber nur eine ausschließlich mit Wo (Versauslassung: V. 547).

96 Diese Vertauschung liegt auch in O vor.

4.2 Gruppenbildung

203

4.2.2.2 Gemeinsamkeiten von Be mit O Nach dem ersten Textdrittel stimmt Be häufiger mit O als mit Wo und Lü überein. Die Parallelen zeigen sich erneut in gemeinsamen Versergänzungen, Versauslassungen, Verszusammenfassungen und Versumstellungen sowie im Wortlaut von Einzelversen. Zunächst sei auf die vier zusätzlichen Verseinfügungen verwiesen, die O mit Be teilt: V. 3807,1, V. 4705,1, V. 5031,1, V. 5077,1. Sie dienen alle einer Korrektur des Reimpaarschemas. Während die Zusatzverse, die Be mit Wo und Lü gemein hat, auf syntaktische Varianten zurückgeführt werden können, stehen die diejenigen, die Be mit O gemein hat, alle in der Konsequenz eines Versausfalls. V. 3807,1 folgt aus der Kombination von V. 3802 f. zu einem Vers und korrigiert das gestörte Reimpaarschema, das vermutlich einem Augensprung des Schreibers geschuldet ist:  

Be [S. 129] 3800 Joseph gaf en eyne lere 3801 Dat se sick nicht scholden keren 3802/03 An afgode vngewere97 3804 Se scholden nummer mere 3805 niner slachte beden eren 3806 he sprack gy scholt nu alle keren 3807 vnde louen in eynen heren 3807,1 dar schole gy iu alle to keren ___________________________________ 3804 scholden en ok O. 3805 Mit nener O. 3807 gi louen O.

V. 4705,1 ergibt sich aus dem fehlenden V. 4703 (Wo: Wedder keren he se het, gleichlautend in Lü; W: Weder keren vnde se leiz). Be (gleichlautend in O) [S. 164] 4702 Jhesus do den lowen heit 4704 dat se deden neman leyt 4705 den luden dar van Nazareth 4705,1 vnde deden dat he en heyt

97 In W, Wo und Lü lautet V. 3802f.: An de afgode went de weren | Vngetruwe vnde vngewere (W).

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

204

V. 5031,1 ist die Folge eines Versausfalls sowie einer Versumstellung: V. 5027 fehlt in beiden Handschriften, stattdessen reimt sich V. 5030 mit V. 5026. Dadurch verliert V. 5031 seinen Reimpaarvers, der mit V. 5031,1 ergänzt wird.98 Be [S. 177] 5026 lecht vnde schone vnde wal getan 5030 Ock syn nese moste ome wal stan 5031 noch to kort noch to lanck 5031,1 Se hat ock soten ane vanck 5028 Se weren reyne vnde wunnichlich 5029 [vnde an to sende wunnichlich] 5032 Jhesus sote mundelin 5033 was wunnichlich de lippen syn ____________________________________ 5031,1 Se] vnde O. 5028 mynnichlich O. 5029 Vers fehlt in Be, daher ergänzt aus O.

Die Verwendung von V. 5077,1 unterscheidet sich in den Abschriften. In O ergänzt dieser Zusatzvers den fehlenden V. 5076: O [Bl. 114r] 5074 5075 5077 5077,1

Sin ghewant ok dat he druch Stedes reyn vnde schone ghenuch dar ouer enen mantel druch Alzo de sede is io nuch

Im Unterschied zu O ist V. 5076 in Be vorhanden, hier wird allerdings fälschlicherweise V. 5075 wiederholt. V. 5077,1 korrigiert also ebenso einen Fehler im Reimpaarschema: Be [S. 178] 5074 5075 5076 5075 5077 [S. 179] 5077,1

Ock syn gewant dat he droch was stede reyne vnde schone genoch Syn gewant dat was eyn rock Stedes reyne vnde schone genoch dar ouer eynen mantel droch Also de sede ys yo noch

98 W, Wo und Lü stellen in diesem Absatz keine Verse um und verzichten auf V. 5030f.

4.2 Gruppenbildung

205

Signifikant ist der Wortlaut des wiederholten V. 5075. In der ersten Fassung stimmt der Vers im Wortlaut mit Wo und Lü überein, in der zweiten mit O. Diese Beobachtung gibt Anlass zu der Vermutung, dass bei der Entstehung dieser aus zwei Textstufen kombinierten Fassung von Be dem Schreiber beide Vorlagen während des Abschreibevorgangs zugänglich waren. Neben diesen Zusatzversen teilen O und Be auch einige Versauslassungen: V. 1705, V. 2609, V. 3621, V. 3650, V. 3653, V. 3700–3704 (Homoioteleuton), V. 4038f., V. 4096f., V. 4703, V. 5027, V. 5176–5181 (Homoioteleuton), V. 5900– 5903 (Homoioteleuton), V. 5950 f. (Homoioteleuton),99 V. 8385, V. 8814f.,100 V. 9710f., V. 9753 f. (Homoioteleuton), V. 9855.101 Besonders deutlich wird die Abhängigkeit der beiden Handschriften in ihrem Verzicht auf eine Wiedergabe des gesamten Episodenblocks H, das heißt des zweiunddreißig Kapitel umfassenden Passionsberichts. Mit dieser Auslassung nehmen Be und O nicht nur innerhalb des niederdeutschen Korpus eine Sonderrolle ein: Sie sind auch innerhalb der gesamten deutschsprachigen ‚Marienleben‘-Überlieferung die einzigen Handschriften, die auf eine Wiedergabe der Passion Christi verzichten.102 Gärtner zufolge wird Philipps Werk so „aus seiner biblischen Verankerung gelöst zugunsten einer legendenhaften Marienvita, wie sie im Mittelalter aus den Legendaren vertraut war“103. Be und O verzichten also auf einen umfangreichen Handlungsabschnitt, in dem Maria ihre Rolle als zentrale Figur der Erzählung verliert. Ab der Umstellung von V. 3593 vor V. 3592 sind alle Versumstellungen von O auch in Be belegt:104 V. 3911 vor V. 3910, V. 4101 vor V. 4100, V. 4273 vor V. 4272,105 V. 4305 vor V. 4304, V. 4399 vor V. 4398, V. 4847 vor V. 4846, V. 5030 f. vor V. 5028f.,106 V. 5101 vor V. 5100, V. 5191 vor V. 5190, V. 8133 vor V. 8132, V. 8237 vor V. 8236, V. 9727 vor V. 9726.  





99 W und Wo lassen dieses Verspaar ebenfalls aus. In Wo ist die Überlieferungslücke größer: V. 5940–5971. 100 W fehlt nur V. 8815, während Wo und Lü mit der gesamten Marienregel eine umfangreiche Passage fehlt: V. 8498–8847. 101 V. 9855 fehlt auch in W. Wo und Lü fehlt an dieser Stelle ein größerer Versabschnitt: V. 9854–9861. 102 Vgl. Gärtner 1978, S. 85. Gärtner 1978, S. 305 gruppiert auch Bn zu O und Be. Bn weist in der Tat einige Gemeinsamkeiten mit beiden Handschriften auf, überliefert jedoch im Unterschied zu ihnen die Passion. Gärtner schließt daraus, dass die Passion in der Vorstufe *Bn O Be noch vorhanden war. 103 Gärtner 1978, S. 220. 104 Die einzige Ausnahme stellt die Umstellung von V. 8659 vor V. 8658 dar. Diese ist in Be nicht belegt, da V. 8659 fehlt. 105 Die Umstellung liegt auch in W vor. 106 Be fehlt V. 5029.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

206

Die Verszusammenfassungen, die O und Be beide führen, finden sich ab der Kombination von V. 3802 und V. 3803. Zwei weitere Parallelen sind die Verszusammenfassungen von V. 9854 und V. 9856 sowie von V. 9856 und V. 9857.107 Auch im Wortlaut der Rubriken lässt sich diese Nahbeziehung erkennen. In Be fehlen zahlreiche Kapiteleinteilungen und -überschriften, jedoch vornehmlich im ersten Textdrittel. Von den einundsiebzig Rubriken, die danach folgen, stimmen siebenundvierzig im Wortlaut exakt mit Be überein. Dieser Befund ist signifikant, da die Kapitelüberschriften in der Überlieferung äußerst variabel sind. Auch bei nachweislich miteinander verwandten Abschriften wie Wo und Lü stimmen die Rubriken selten überein. Zu guter Letzt seien einige Beispiele angeführt, die die Opposition von Wo und Lü mit O und Be ab dem zweiten Textdrittel veranschaulichen. Diese Gruppenbildung zeigt sich u. a. in den verwendeten Zahlen. O und Be unterscheiden sich stets von Wo und Lü, die wiederum mit einer Ausnahme im Wortlaut mit W übereinstimmen:  

V. 4308: Drei oder vier Hölzer? O: Be:

Dat de holte al dri dat de holter alle dre

W:

Dar de holtzer alle ver

Wo: Lü:

dat de holt alle vere dat dæ holdte alle vere

V. 4928: Jesu Alter – 15, 29 oder 24 Jahre? O: Be:

were vifteyn iar were vifteyn yar

W:

Were negen vnde twintich iar

Wo: Lü:

wen ver vnde twintich iar wen ver vnde twintich yar

V. 5361: 25 oder 29 Jahre? O: Be:

do Jesus vif vnde twintich iar do Ihesus vif vnde twyntich yar

W: Wo: Lü:

Do Jesus negen vnde twintich iar do Ihesus neghentwintich iar do Yesus negen vnde tuyntich yar

107 Diese beiden Verszusammenfassungen teilen O und Be mit W.

4.2 Gruppenbildung

207

Häufiger sind Verse, in denen O und Be mit W übereinstimmen und in Opposition zu Wo und Lü stehen: V. 3659 W: O: Be:

Was lanngh genoch vnde vullen wit was langhe nuch vnde vullen wijt was lanck Genoch vnde vullen wyt

Wo: Lü:

Was lank nuch vnde wol wit was lank genoch vnde wel wit

V. 3868f. W: O: Be:

He sprak moter volge myr | Wol ouer kommen scolle wir he sprak moder volghet mir | Wol ouer komen schole wir he sprack moder volge my | Ouer wal komen schole wy

Wo: Lü:

Jk sprach moter volghe my | Jk wil nu leyden dy ick sprak moder volge my | yk wyl nu leiden dy

V. 4227 W: O: Be:

Marien Jesus moter bat Marien Ihesus moder beth Marien Ihesus moder bat

Wo: Lü:

dat se Marien to hus bet dat he Marien to hus lette

V. 4624f. W: O: Be:

He stunt tohant vp vnde sprak | Vnde des openbare iach he stunt vp vnde sprach | vnde des openbare iach he stunt tohant vp vnde sprack | vnde des openbar yach

Wo: Lü:

he stunt vp vnde sprack tohant | he iu swech nicht alto lank he stund vpp vnde sprak tohand | he en swech dar na nycht lank

V. 4664 W: O: Be:

De lawen volgeten by de stat de louwen volgheden vor de stat de lowen volgeden vor de stat

Wo: Lü:

De lowen alghemeyne de louwen algemeyne

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

208

V. 5297 W: O: Be:

Diner swester sonne Iohanne diner suster son Iohanne diner suster vnde sunte Iohanne

Wo: Lü:

dyner medderen sone Iohanne diner modder sone Yohanne

V. 5702f. W: O: Be:

Lonen van deme himele got | Owe mir nů legestu dot lonen van deme hemmele got | Owe mir nu lichstu dot lonen van dem hemel god | O wy mir nu lichstu dot

Wo: Lü:

Lonen god van hemmelrik | Wen du werest doghentrik lonen got van hemelrik | wente du werest dogendrik

V. 9626 W: O: Be:

Mit diner scone wunnelich Mit diner schone wunnichlike mit diner schone wunnichlike

Wo: Lü:

dar scholtu bliuen ewilike dar scaltu bliuen ewichliken

Diese Beispiele zeigen eine engere Nahbeziehung von W mit O und Be (ab dem zweiten Textdrittel) als mit Wo und Lü.

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü Wie die bisherigen Analysen zeigen konnten, bestimmen sekundäre Auslassungen die niederdeutsche Überlieferung. Die einzige umfangreiche sekundäre Ergänzung im Korpus findet sich in der Handschrift Lü. Diese soll im Folgenden ausführlich auf ihre möglichen literarischen Quellen und narrativen Effekte untersucht werden.

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

209

4.3.1 Die Heilige Familie bei den Räubern108 Die Lübecker Handschrift weist in E7, d. h. während der Flucht nach Ägypten, dreizehn Zusatzverse auf, für die es in der gesamten deutschsprachigen ‚Marienleben‘-Überlieferung keine Parallele gibt. Die Verse folgen auf V. 3023 und erweitern die Einkehr der Heiligen Familie bei den Räubern um eine kurze Erzählung. Bis zur Interpolation verläuft die Handlung in der Lübecker Handschrift wie folgt:109  

[Bl. 61r] Van den scekeren de Yoseppe vnde Marien vengen 2938 2940

2945

2950

2955

Se voren wald veld vnde heide vnde ock menge wostenyge breyde do qwemen ze in eren yn eynen walt dar weren ynne sceker bald de rouendes vnde mordendes plegen do ze dat gezinde segen dor den groten walt to camende se hoppeden dat it were er vrame ze hadden eren zin gezettet al vppe gewyn ze spreken wy zind nu beraden enttegen em se wolden treden do ze do zegen an Yozepp dat de olde man vorde myt sick also eyne y[un]ge vrouwen se begunden alle to scouwe[n] wente ze was alzo wol geten ze sprecen desse olde man had desse sconen vrouwen vorstalen vnde entforet hat he ze vorhalen wy wilt ene to dode slan

108 Eine Zusammenfassung dieses Kapitels habe ich im März 2019 zur Publikation eingereicht. Der Aufsatz erscheint unter dem Titel ‚Verse verfolgen. Überlegungen zu einer Zusatzepisode in der Lübecker Handschrift von Bruder Philipps ‚Marienleben‘‘ im Sammelband ‚Artus in Stade. Prozesse der Konstruktion und Transformation regionaler Identität im norddeutschen Raum‘, der von Martin Baisch, Almut Schneider, Malena Ratzke, Regina Toepfer und Julia Weitbrecht im Böhlau-Verlag herausgegeben wird. 109 Der Apparat verzeichnet Varianten aus der stemmatischen Untergruppe von Lü: Wo, Bll. 132v–133v; Be, S. 99–102.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

210

[Bl. 61v] 2960

2965

2970

2975

2980

3007 [Bl. 62r]

de anderen wille wy alle van de yungen vrouwen myt erme cynde vnde ock dat ander gezinde drade ze en vnttegen gingen ze alle myt en ander vengen eyn older sceker by em was de in deme suluen wolde sat he hadde maket en hus vorhalen deme zuluen worden ze beualen dat he de wile ze holden scolde wente ze den roff delen wolden de olde scekker zik tohand der vangenen zik vnderwand he nam Yosepp vnde Marien vnde ere geverden alle dre vnde vorde ze myt zik an zin hus vnde helt ze dat ze nicht quemen dar vtt de zote Yozepp vnde de reyne ere sorge en was nicht cleyne vmme da[t le]ue kindelyn vnde vmme de reynen muder zin de zulue sceker hadde en wiff de was em leff alzo zin liff do ze dat gezinde sach ere vee yn eynen stal se sloch

se gaff em voder vnde stro des weren ze alle vro 3010 des scekers wiff makede en bad vnde des was Marien to bat dar se dat leue cyndelin baden wolden vnde wasken sin sin scone witte reyne liff 3015 dat was der sconen Marien lef vor gut ze gerne alle dat nam wat erme cynde to heile qwam ze sette dat leue cyndelin an ein badevetelin 3020 vnde bade zin reine witte lif dar to halpp des scekers wif eyn scone bedde ze beredde 3023 dat scone cynd dar vpp ze lede ______________________________________________________________________ Die Rubrik fehlt Be. 2938 veld veld Lü (Dittographie).

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

2939 2940 2941 2945 2946 2947 2948 2949 2950 2951 2952 2954 2957 2958 2961 2965 2968 2969 2970f. 2971 2973 2975 2978 3007 3008 3009 3010 3011 3012 3013 3014 3015 3016 3017 3020 3023

211

ock fehlt Be; wostenyge] valde Wo; breyde] beide Be. in eren fehlt Wo Be. ynne weren Be. it] fehlt Wo, se Be. ze] he Be; al eren Wo, alle eren Be. gezettet al] gar ghesat Wo, Gar gesat Be. nu] ane nu Wo, alle Be. Gegen en se balde traden Wo, vnde tegen se alle traden Be. zegen an] ghesaghen were Wo. dat Ioseph Be. y[un]ge] An dieser Stelle befindet sich ein Loch im Papier, vgl. auch V. 2953, V. 2978; vurde also iunk eyn vrowen Wo, so iungen vrouwen Be. alzo] so Wo, fehlt Be. hat se uth ghevort Wo, heft se vort Be. slan fehlt Wo. ock fehlt Be. sat] was Be. se de wile Wo Be. wente dat Be. der | der Lü (Dittographie). sik fehlt Wo Be. vnde dre er geverden Be. helt ze] bewarde Wo, behodde se Be; ze] se dar Be; quemen | dar vtt + Lü. V. 2976–2979 fehlen Be. da[t le]ue kindelyn] An dieser Stelle befindet sich ein Loch im Papier, vgl. V. 2952 f. Hier ergänzt aus Wo. se] he Wo; V. 3007 fehlt Be. se] he Wo Be. worden se do Wo Be. en eyn bat Be. vnde Maria de muter des bat Wo, vnde Marien de moder des bat Be. dar] dat Wo Be. wasken] plegen Be. Schone reyne witte Wo, Sine schone melck witte Be. reynen Marien Wo, reyne maget Be. allit das Wo, dat alle Be. wat] dat Be; leuen kynde Be; heile] hulpe Be. badede em syn reyne lif Wo, badede em sin reyne sarte lif Be. leue kynt dar vppe se Wo, leue kynt se dar vp Be.  

Bis hierhin entspricht der Handlungsverlauf des Lübecker Textzeugen weitgehend der gängigen Überlieferung: Maria, Joseph und Jesus werden in einem Wald von einer Räuberbande überfallen, gefangengenommen und in das Haus eines alten Räubers gebracht. Dort empfängt die Räuberfrau die Familie, veranlasst die Versorgung ihrer Tiere, badet Jesus und bringt ihn zu Bett. Die einzige Besonderheit in diesem Abschnitt besteht darin, dass vierundzwanzig

212

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Verse, V. 2983–3006, fehlen.110 Diese lauten in der Parallelüberlieferung in Wo:111 [Bl. 133r] 2983 sere dar van se erscrach myt vlite beghunden se scowen 2985 de schon vnde ok de iungen vrowen Marien vnde er kindelin dat luchte so de sunnen schyn vrolik se ene vntieghen ghink Se alle myt ein ander vntfenk 2990 do grote se en inwentliken ok beghunde do vntwiken den alden scheker syn ghemute dat wart ghekart in eyn gute he sprak to Iosepe leuer man 2995 du schalt wesen sorghen an Ju en schal nicht leyde ghescheyn Jk wil alleyne dat vndersteyn Ju vnghemak ik wil bewaren myt vrede schol ie van hinne varen 3000 Jk schoppe iu allen gut ghemach hude vnde morne al den dach de schult eyne wile rasten he vnde latet ok rasten iuwe ve heit dat se nedder seten 3005 Beyde drunken vnde eten 3006 des gaf he en allen ghenuk _________________________________ 2983 se dar van Be. 2984 se] so do Be. 2985 ok fehlt Be. 2986 er leue Be. 2987 de] eyn Be. 2990 Se grote se alle mynnichliken Be. 2997 dat alleyne Be. 2998 dat wil ick Be. 3002 Gy scholen eyne wyle rowen Be. 3003 rasten] rowen Be. 3004 he het se dat Be.

110 Innerhalb der niederdeutschen Überlieferung fehlt nur dem Lübecker Textzeugen diese Passage. 111 Varianten aus der Handschrift Be, S. 101 f. sind im Apparat vermerkt.  

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

213

Die Räuberfrau erkennt in dem fehlenden Abschnitt die Heiligkeit der Gefangenen anhand der Schönheit der Gottesmutter und der strahlenden Erscheinung des Jesuskindes. Erst in der Folge ihrer freundlichen Aufnahme der Familie zeigt sich auch der Räuber gastfreundlich. Die anschließenden zwei Verse, V. 3007f., erzählen in der Wolfenbütteler Handschrift vom weiteren Handeln des Räubers: Er ve in eynen stal he scluk | He gaf en voder vnde stro.112 Der Lübecker Textzeuge lässt V. 2982 do ze dat gezinde sach auf V. 3007 ere vee yn eynen stal se sloch reimen. Über die Veränderung des Personalpronomens zur femininen Form wird ein reibungsloser Anschluss an V. 2982 garantiert. In der Lübecker Version fehlt durch diese Auslassung eine Begründung für das Verhalten der Räuberfrau und den Sinneswandel des Räubers. Es ist die Räuberfrau, die hier als aktiv Handelnde in den Vordergrund tritt.113 Im weiteren Verlauf erzählt das ‚Marienleben‘, wie Jesu Badewasser die Wunden der von einer Auseinandersetzung mit Kaufleuten verletzt heimkehrenden Räuber heilt. Zwischen der Badeszene und der Rückkehr der verletzten Räuber schiebt der Lübecker Textzeuge nach V. 3023 eine dreizehn Verse umfassende Episode ein, die ebenfalls das Badewasser als Heilmittel fokussiert: [Bl. 62r] 3023,1 de zulue vrouwe hade en kind dat was boze also de vttsetescen zind myt deme hadde ze vngemak beyde dach vnde nacht 3023,5 do Yesus vtte deme bade qwam de zulue vrouwe dat cynd nam vnde sette dat an dat vetelin tohand vorgink em de suke zin ze dankeden Yezum al tohant [Bl. 62v] 3023,10 dat zin gnade was em becand vnde hadde em dar scyn an deme suluen water zin 3023,13 siner gnaden hulppe scin

112 Be fehlt V. 3007, der Wortlaut von V. 3008 ist identisch mit Wo. 113 Der veränderte Erzählfokus verstärkt den Eindruck, dass die Räuberfamilie als Kontrafaktur der Heiligen Familie zu lesen ist. Maria und die Räuberfrau, Joseph und der alte Schächer sowie Jesus und das im weiteren Handlungsverlauf eingeführte Räuberkind können spiegelbildlich gelesen werden. Ebenso wie Maria im ‚Marienleben‘ im Zentrum steht, übernimmt die Räuberfrau diese Rolle in der Lübecker Räuberepisode. Noch deutlicher als in der weiteren Überlieferung zeigt der Lübecker Textzeuge damit eine Spiegelung der Heiligen Familie in der Sphäre der Unheiligkeit.

214

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Der Passus führt ein Räuberkind in die Handlung ein, das boze (krank) wie die Aussätzigen ist und von seiner Mutter im Anschluss an Jesus gebadet wird.114 Das Badewasser kann das Kind heilen und die Eltern danken Jesus für seine Gnade, die ihnen mit diesem Wunder offenbart worden ist. Die ungerade Verszahl der interpolierten Binnenepisode ergibt sich aus einem fehlenden Reimpaarvers innerhalb von V. 3023,11–3023,13. Aus syntaktischen Gründen ist ein fehlender Vers nach V. 3023,13 zu vermuten. Da die Lübecker Abschrift aber äußerst fehlerhaft ist,115 könnte es sich bei diesen drei Schlussversen auch um ursprünglich zwei Verse handeln, zumal das Reimwort des elften Zusatzverses mit dem Reimwort des letzten Zusatzverses übereinstimmt. Das ursprüngliche Episodenende könnte dann gelautet haben: vnde hadde an deme suluen water zin | siner gnaden hulppe em dar scyn. In dem Fall hätte der Schreiber den vorletzten und letzten Vers versehentlich verbunden, den Fehler bemerkt und über einen zusätzlichen Vers ‚korrigiert‘. Die ursprüngliche Episode muss demnach entweder zwölf oder vierzehn Verse umfasst haben. Innerhalb der Ereignisabfolge machen sich die Zusatzverse als Interpolation bemerkbar, da mit ihnen, insbesondere mit dem fünften Vers, die Chronologie der Ereignisse gestört wird. V. 3022 f. berichtet bereits, dass Jesus schlafen gelegt wird. In V. 3023,5 wird der Zeitpunkt der zweiten Heilung jedoch auf do Yesus vtte deme bade qwam gelegt. Sprachlich fügt sich das zweite Heilungswunder hingegen nahtlos ein. Das erste Verspaar erinnert im Wortlaut an die zwei Verse, mit denen die Räuberfrau in die Erzählung eingeführt wird, und bindet die Episode so zurück an den bisherigen Handlungsverlauf: de zulue sceker hadde en wiff | de was em leff alzo zin liff (V. 2980f.). Optisch sticht die Interpolation auf Bll. 62r–v kaum hervor, lediglich dem ersten Zusatzvers fehlt eine rote Zierlinie am Zeilenende. Eine derartige Unregelmäßigkeit lässt sich jedoch häufiger in der Handschrift beobachten. Der Schreiber führt in diesen Versen seine Abschrift in gewohnter Gleichmäßigkeit fort und es ist demnach davon auszugehen, dass sie schon in seiner Vorlage vorhanden war.116 Die Parallelüberlieferungen in Wo und Be führen die Ergänzung nicht, die Textgestaltung weist in beiden Handschriften (Wo: Bl. 133v, Be: S. 102) keine Unregelmäßigkeit auf, die für eine dort vorgenom 

114 Zur Bedeutung von mittelniederdeutsch bôs(e) vgl. Lasch / Borchling 1956ff., Bd. 1, Sp. 331, hier ‚krank‘. 115 Zur Fehleranfälligkeit der Lübecker Abschrift vgl. die Ausführungen in Kap. 4.1.3.3. 116 An dieser Stelle ist es wichtig, genau zwischen der Produktions- und Rezeptionsebene zu unterscheiden. Der Lübecker Textzeuge bewahrt zwar als einziger Textzeuge diesen Passus, es lässt sich dennoch nicht mit aller Sicherheit sagen, dass die Interpolation auch in dieser Abschrift erfolgte. Fest steht lediglich, dass eine Rezeption dieser Erzählung im nordniederdeutschen Sprachraum stattfand.

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

215

mene Auslassung sprechen könnte.117 In der Lübecker Handschrift folgt die Handlung nach dem letzten Zusatzvers wieder der gängigen Überlieferung der Episode:118 [Bl. 62v] 3025 do qwemen yn dat hus gegangen 3024 de sceker de ze hadden gevangen 3026 dat weren in der zuluen stund vyfe in den dat gewund van coppluden de wolden van wolden vnde berouen vnde dot slan 3030 wente ze hadden zik gewerd vnde myt en delet dat zwerd ze weren alle van blode rod vnde alle gewunt bette an den dot eyn to deme water trad 3035 dar dat cynd hadde inne badet vnde wolde zik in deme water wasken dar dat cind hadde inne setten zine wunden hadde do bogaten vnde dat zulue water vlod 3040 auer alle zine wunden ze worden an den zuluen stunden alle zund vnde wol heyl dat was em eyn grot heil [Bl. 63r] des nemen se grot wunder 3045 eynen yewelcen bezunder we zine wunden ock alzo dwoch de worden gelick alle vro ze worden algemeyne zund de de dar weren vorwund 3050 wente do ze zik myt deme water wusscen de wunden wedder to zamende wussen vnde worden heyl vnde bereyd dat quam van Yezus hillicheid do de sceker dat bevunden 3055 dat hel weren alle ere wunden

117 Auch die mit Lü verwandten Handschriften U und B (siehe hierzu die einleitenden Ausführungen zu Kap. 4 und Kap. 4.2.1) überliefern die Interpolation nicht. B zeigt keine Auffälligkeit im Textlayout, die für eine Auslassung sprechen könnte (vgl. Bl. 41r). U verzichtet vollständig auf eine Wiedergabe der Räuberepisode in der Darstellung der Flucht nach Ägypten (vgl. Bll. 61r– 68v). 118 Lesarten aus Wo, Bll. 133v–134r und Be, S. 102–105 sind im Apparat vermerkt.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

216

3060

3065

van Yezum deme cyndelin vnde van der reynen moter zin se villen alle nedder drade vnde beden ze vmme ere gnade dat ze vorgeuen em dat leyt dat ze en hadden an geleyt de werd to hus zik tohand des zuluen waters vndewan he helt dat vlitelicken vnde ward dar aff al rike grot gud he dar med erwan vnde wart dar mede en rike man wente weme we was an sime luue

[Bl. 63v] 3070

3073 3076

3080

3085

3090

to em vnde to zinem wife myt grotem gude dar quam des waters van em nam wor he dat water hennne strek alle zine suke van em sleck her Yosepp do nicht lenger beyde vnde vppe den wech he zik bereyd dat gescach an deme drudden dage dar van quem grote clage van deme werde vnde zinem wyfe se beden ze noch lenger to bliuen dat en mochte nicht scen se wolden vpp den wech ten zo vnder stund em mede geuen cost vnde dat ze scolden leuen vppe den wech he ze spizede vnde gink myt en dat he ze wisede den wech den he scolde varen vnde bat ze vlitlicken got bewaren des werdes [wif] dat cyndelin grut vnde bot der moder zin dat ze wedder camen wolden also wen ze wedder vmme varen wolden dat ze des nicht en letete

[Bl. 64r] 3095 weynende se do van en scedde ______________________________________________________________________ 3024 de fehlt Be. 3026 dat] de Wo Be. 3027 viue wen in dat en ghewunt Wo, Viue an den dot gewunt Be. 3028f. de se van | Wolden Wo. 3029 vnde fehlt Wo Be. 3031 de swert Wo.

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

3033 3034 3036 3038 3041 3042 3044 3045 3046 3047 3049 3050 3052 3058 3059 3060 3061 3062 3063 3065

alle] sere Wo Be; bette] went Wo, fehlt Be. water] vate Wo Be. in] mit Wo. he do begot Wo Be. ze] De Wo. wol fehlt Be. des nam se alle michel Wo, Se des nemen alle michel Be. eynen yewelcen] Er iowelk do Wo, Eyn iuwelick do Be. we] Wusch Wo, wosch Be. des worden se alle ghelike Wo, do worden se alle gelike Be. de dar Wo Be; vorwund] er ghewunt Wo, ghewunt Be. zik fehlt Wo. V. 3050–3053 fehlen Be. wol bereyt Wo. se] vnde Be. se alle Be. en vorgheuen Wo, en vorgeuen Be. an fehlt Be. des huses Wo Be. vnderwant Wo Be. aff al] van sin vil Wo, na Be. V. 3066 f. fehlen Be. mede en rike] van riker Wo. drade to eme vnde to syme wiue Wo, Drade he vor to sinem liue Be. se dar quemen Be. suluen waters Wo Be; nemen Be. wor] vnde war Be. sleck] weck Be. V. 3074 f. fehlen Lü, Wo und Be. W: Al sin we do gar vorginc | De dat water anefinch (gleichlautend in O). lenger] en Be. vnde fehlt Wo; V. 3077 fehlt Be. quem] huf sik Wo, hof sick Be. zinem] van dem Wo Be. ne mochte Wo, mochte en Be. Lü wiederholt V. 8083 im Anschluss noch einmal mit verändertem Reimwort: se woldent vppe den wech ghyn. Die Wiederholung wurde hier gestrichen. ten] gen Wo Be. zo vnder stund] de wert let Wo, de wert het Be. do he Wo. se scholden Wo Be. god se vlitliken Wo. wif ergänzt aus Wo und Be. grut] droch Wo Be. Alse to lande varen scholde Wo Be. en lete nicht Wo, leten nicht Be. van en do Wo; V. 3095 fehlt Be.  

3067 3069 3070 3071 3072 3073



3076 3077 3079 3080 3082 3083

3084 3086 3088 3089 3090 3091 3093 3094 3095

217

218

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Von den verletzt heimkehrenden Räubern der Bande wird erst ein einzelner geheilt, dann folgen alle anderen. Sie knien vor dem Gottessohn und seiner Mutter nieder und bitten um Vergebung. Der Wirt hebt das Badewasser auf und wird so künftig zu großem Reichtum kommen. Am dritten Tag bricht die Heilige Familie wieder auf, der Räuber und seine Frau begleiten sie ein Stück des Weges und bitten um einen weiteren Besuch bei der Heimreise. Betrachtet man die Position der Zusatzverse in der Gesamthandlung des ‚Marienleben‘, so sind sie vor dem Hintergrund der ihr vorausgehenden und nachfolgenden Wundererzählungen zu lesen, die Jesus auf der Flucht nach Ägypten vollbringt: Auf der Flucht (E2–11): E2: Brunnen- und Palmbaumwunder (V. 2786–2865) E3: Anbetung Jesu durch die Flora (V. 2866–2879)119 E4: Anbetung Jesu durch Drachen (V. 2880–2907) E5: Anbetung Jesu durch wilde Tiere (V. 2908–2929) E6: Anbetung Jesu durch Vögel (V. 2930–2937) E7: Gefangennahme durch Räuber (V. 2938–3095) E8: Wegplanung und Mühsal (V. 3096–3211) E9: Wunder der Wegkürzung (V. 3212–3225) E10: Vertreibung des Regens (V. 3226–3239) E11: Vertreibung von Teufeln aus einem Baum (V. 3240–3275)120

Für die Lübecker Ergänzung gibt es in der Vorlage des ‚Marienleben‘ keine Entsprechung. Die sie rahmende Handlung läuft jedoch parallel zur ‚Vita‘ (vgl. V. 2234–2267):121 Auf der Flucht nach Ägypten findet eine Begegnung mit einer Räuberbande statt, bei der die Gefahr schnell gebannt ist, da einer der Räuber Mitleid mit der Heiligen Familie zeigt und sie zu sich nach Hause einlädt, dort bewirtet und ihr Vieh versorgt. Die Frau des Hausherrn bereitet ein Bad vor, in dem Jesus von seiner Mutter gewaschen wird. Das Badewasser heilt kurz darauf erst einen, dann mehrere verletzt heimkehrende Räuber. Die Räuberfamilie hebt das Wundermittel auf und setzt es weiterhin zur Wundheilung ein. Als Joseph den Aufbruch der Heiligen Familie beschließt, führt der Räuber sie auf den richtigen Weg und bittet beim Abschied um eine erneute Einkehr.

119 Die Lübecker Handschrift ist die einzige in der niederdeutschen Überlieferung, die diese Episode mit dem vorhergehenden Kapitel unter einer Überschrift zusammenfasst. 120 Auch anhand dieser Ereignisfolge wird deutlich, dass Philipp nicht als Übersetzer, sondern als Bearbeiter seiner Vorlage agiert. Von den dreizehn Episoden der ‚Vita‘ wählt er acht aus, bringt sie in eine neue Reihenfolge und erweitert sie inhaltlich. Mit E8 und E10 ergänzt er zwei Kapitel, die seiner Vorlage fehlen, vgl. die Ereignisabfolge der ‚Vita‘ in Kap. 4.3.1.4. 121 Die Verszahlen beziehen sich auf die einzige Edition der ‚Vita‘, Vögtlin 1888.

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

219

In einem Vergleich der lateinischen Quellen mit dem mittelhochdeutschen Text, wie er in den Editionen durch Rückert bzw. Gärtner und Schubert vorliegt, zeigt sich Philipps Bearbeitungstechnik deutlich:122 Er weitet die in der ‚Vita‘ vierunddreißig Vagantenverse umfassende Episode auf hundertachtundfünfzig Reimpaarverse (V. 2938–3095) aus und legt – wie durchaus typisch für seine Adaptation – einen Schwerpunkt auf die zusätzliche Motivierung des Handlungsverlaufs. Er begründet den Überfall der Räuber mit deren Annahme, dass es sich um eine Entführung handelt, auf die sie ihrerseits mit einer Entführung reagieren. Der Ort der Gefangennahme – das Haus eines in die Jahre gekommenen Räubers – wird damit erklärt, dass es sich in der Nähe des Überfalls befindet. Bei Philipp ist es die Frau dieses Räubers, die die Außergewöhnlichkeit der Heiligen Familie erkennt und sie daher nicht als Gefangene, sondern als Gäste empfängt. Erst dann folgt der Sinneswandel des Wirtes selbst. Philipp weitet die Episode auch zeitlich aus, indem er die Heilige Familie erst nach drei Tagen weiterreisen lässt. In der weiteren bisher bekannten Überlieferung von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ findet das Kind der Schächerfamilie keine Erwähnung. Somit muss eine andere Quelle für diesen Passus der Lübecker Handschrift gefunden werden. Da die Bibel sämtliche Details der Flucht nach Ägypten ausspart,123 macht die ‚Vita‘ – und in der Folge auch Philipps ‚Marienleben‘ – ausführlichen Gebrauch von apokryphen Schriften, insbesondere von den im Mittelalter äußerst beliebten sogenannten apokryphen Kindheitsevangelien.124 Unter dem Begriff werden

122 Abgesehen vom Lübecker Sonderweg stimmen die niederdeutschen Handschriften in dieser Episode mit nur minimalen Abweichungen im Versbestand mit dem mittelhochdeutschen Text überein. 123 Vgl. Mt 2,13–15. Markus- und Johannesevangelium sparen Erzählungen zu Jesu Geburt und Kindheit vollständig aus. Das Lukasevangelium fasst sein Aufwachsen in einem einzigen Satz zusammen (Lk 2,40) und berichtet im Anschluss direkt vom Besuch des zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2,41–52). Das Matthäusevangelium bietet damit den einzigen hier relevanten Vergleichstext. 124 Die Verwendung des Begriffs ‚Evangelium‘ für diese Texte wird in der Forschung kritisiert, so u. a. von Kaiser 2010, S. 253–256. Alternativen sind ‚Kindheitslegende‘ oder ‚Kindheitserzählung‘, vgl. Petkanova 1993. Pellegrini 2012a, S. 887 erläutert die Problematik: „Die sogenannten Kindheitsevangelien lassen sich jedoch nur bedingt der Gattung ‚Evangelium‘ zuordnen: Die Gattung ‚Evangelium‘ ist die narrative Verschriftlichung des Kerygma, d. h. der Verkündigung von Kreuzestod und Auferstehung Jesu. Im Kerygma – und dementsprechend auch in der Gattungsbezeichnung ‚Evangelium‘ – bildeten die Geburt und die Jugendzeit Jesu nie den Schwerpunkt. Korrekterweise sollte man daher diese Texte als Kindheitserzählungen bzw. Kindheitsgeschichten bezeichnen.“ Doch auch Pellegrini sowie die gesamte siebte Auflage der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, der dieses Zitat entstammt, bleiben bei der Bezeichnung ‚Kindheitsevangelien‘ oder ‚sogenannte Kindheitsevangelien‘. Für Kritik an dem allgemeineren Begriff ‚neutestamentliche  



220

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

nicht-kanonische („extrakanonische[]“125) Erzählungen verstanden, die Jesu Kindheit zum Gegenstand haben und so eine biblische Leerstelle füllen.126 Sie sind als „historische Dokumente der Geschichte der Christen, nicht des Christus“127 zu lesen. Im Folgenden sollen zunächst diejenigen unter dieser Bezeichnung fassbaren Texte näher untersucht werden, die die Flucht nach Ägypten zum Gegenstand haben, in diesem Kontext von der Begegnung mit Räubern erzählen und dabei auch das heilende Badewasser berücksichtigen.128

4.3.1.1 Die apokryphen Kindheitsevangelien Das ‚Pseudo-Matthäusevangelium‘ (CANT 51) schildert die Flucht nach Ägypten in den Kapiteln 18 bis 22, im Zentrum stehen Jesu Wundertaten:129 Das 18. Kapitel erzählt, wie der Gottessohn Drachen zähmt, das 19. Kapitel wiederholt das Szena-

Apokryphen‘ und der Unmöglichkeit eines unter dieser Bezeichnung versammelten festen Textkorpus vgl. Elliott 2016a, S. xi–xiv. 125 Pellegrini 2012a, S. 901. 126 Vgl. Pellegrini 2012a, S. 895. 127 Pellegrini 2012a, S. 895. 128 Überprüft und ausgeschlossen wurden das ‚Protevangelium des Jakobus‘ (CANT 50) und die ‚Kindheitserzählung des Thomas‘ (CANT 57) (beide ca. 2. Jahrhundert) sowie ‚Die Geschichte von Joseph dem Zimmermann‘ (CANT 60) (Grundbestand ca. Ende des 4. Jahrhunderts) nach den Editionen bzw. Übersetzungen von Tischendorf 1876, Cullmann 1987, Schneider 1995, Kaiser 2012, Kaiser / Tropper 2012 und Pellegrini 2012b. Daneben wurde auch das ‚Armenische Kindheitsevangelium‘ (CANT 59) (Grundbestand ca. Ende des 6. Jahrhunderts) nach Peeters 1914 eingesehen. Zur Datierung der apokryphen Kindheitsevangelien vgl. Cullmann 1987, S. 334; Schneider 1995, S. 7–93 und Pellegrini 2012a, S. 891–895. An dieser Stelle sei ein kurzer Überblick ergänzt: Das ‚Protevangelium des Jakobus‘ berichtet vom Kindermord durch Herodes, konzentriert sich dann aber auf Elisabeth und ihren Versuch, Johannes in Sicherheit zu bringen (vgl. Kapitel 22– 24). Das Thomasevangelium erzählt ausschließlich in der lateinischen Überlieferung im Codex Vaticanus (vgl. Schneider 1995, S. 148 f. bzw. Tischendorf 1876, S. 164) von der Flucht nach Ägypten, jedoch nur in wenigen Sätzen und ohne jegliche Details. Die Geschichte von Joseph dem Zimmermann fasst die Flucht nach Ägypten in wenigen Sätzen zusammen und spart Einzelheiten gleichermaßen aus. Das 15. Kapitel des ‚Armenischen Kindheitsevangeliums‘ erzählt zwar von der Flucht nach Ägypten, erwähnt jedoch keine Begegnung mit Räubern. 129 Vgl. Gijsel 1997, S. 446–481. Gijsels Edition ersetzt Tischendorf 1876, S. 51–112. Bei dem 1869 durch Oskar Schade auf der Grundlage von Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 8° 57 herausgegebenen ‚Liber de infantia Mariae et Christi salvatoris‘ handelt es sich um eine Paraphrase des ‚Pseudo-Matthäusevangeliums‘, vgl. Gijsel 1981, S. 9, 259 und Pellegrini 2012a, S. 888 Anm. 9. Der erste Teil des ‚Pseudo-Matthäusevangeliums‘ ist eine erweiterte und ergänzte Version des griechischen ‚Protevangelium des Jakobus‘, vgl. Fromm 1985, Sp. 173. Gijsel 1997, S. 458–469 vermutet das 7. Jahrhundert als Entstehungszeit, Pellegrini 2012a, S. 888 spricht vom 8. bis 9. Jahrhundert. Für eine deutsche Übersetzung der Kap. 18–22 vgl. Cullmann 1987, S. 367–369 und Ehlen 2012b, S. 999–1001; für eine englische Übersetzung vgl. Elliott 2016b, S. 158–160.  

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

221

rio mit wilden Tieren. Das darauffolgende Kapitel hat das sogenannte Palmbaumwunder zum Gegenstand, das im 21. Kapitel fortgesetzt wird, wenn Jesus einen Palmzweig von einem Engel ins Paradies bringen lässt. Das 22. Kapitel berichtet von Jesu wundersamer Wegkürzung und endet mit der Ankunft in der ägyptischen Stadt Sotinen. Bis auf das Wunder des 21. Kapitels finden sich diese Erzählungen auch bei Philipp bzw. in seiner Vorlage, wenn auch in veränderter Reihenfolge und mit Ergänzungen.130 In der ursprünglichen Version des ‚Pseudo-Matthäusevangeliums‘ fehlt der Bericht über das Aufeinandertreffen mit Räubern. In den zahlreichen Bearbeitungen, Auszügen und Kompilationen des ‚Pseudo-Matthäusevangeliums‘ wird mehrmals die Räubergeschichte in verschiedenen Fassungen eingefügt. Zwei derartige Pseudo-Matthäus-Handschriften sind besonders aufschlussreich für die weitere Untersuchung des Zusatzes in der Lübecker Handschrift: London, British Library, Harley MS 3199, Bll. 95r–126v und Rom (Vatikanstadt), Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 6300, Bll. 87r–127r, zwei Handschriften des 15. Jahrhunderts, überliefern ein Exzerpt des ‚Pseudo-Matthäusevangeliums‘ mit Interpolation der Räuberepisode, die zwischen Kapitel 17 und 18 (London: Bll. 104v–106r, Vatikanstadt: Bll. 118r–119r) – das heißt unmittelbar zu Beginn der Flucht nach Ägypten – begegnet (CANT 78/3):131 Sie erzählt von einem Räuber, dem von seiner Bande aufgetragen wurde, ein Waldstück zu bewachen und jeden Durchreisenden zu überfallen, zu töten, auszurauben und die gewonnene Beute im Anschluss an die anderen Räuber zu übergeben. Als die Heilige Familie auf ihrer Flucht in eben dieses Waldstück gelangt, gerät der Räuber in eine Konfliktsituation, denn eigentlich will er keinen Mord begehen. Stattdessen beschließt er, seine Bande zu hintergehen und die Flüchtenden heimlich in sein Haus zu führen. Im Räuberhaus bereitet die Frau des Räubers gerade ein Bad für ihren Sohn vor, der als quasi leprosus […] vel scabiosus (London, Bl. 105r) in die Erzählung eingeführt wird. Sie lässt sich von ihrem Mann überzeugen, Maria mit ihrem Kind den Vortritt zu geben und wäscht ihren kranken Sohn erst danach. Sobald das Räuberkind in Kontakt mit Jesu Badewasser kommt, wird es geheilt. Die Räuberfrau erkennt anhand des Wunders Jesu Göttlichkeit und

130 Vgl. die Übersicht in Kap. 4.3.1.4. 131 Beide Handschriften sind vollständig digitalisiert und online einsehbar. London, British Library, Harley MS 3199: http://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Harley_MS_3199 (12. Oktober 2019). Für eine Beschreibung der Handschrift vgl. auch http://searcharchives.bl.uk/ IAMS_VU2:IAMS041-001779748 (12. Oktober 2019). Rom (Vatikanstadt), Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 6300: https://digi.vatlib.it/view/MSS_Vat.lat.6300 (12. Oktober 2019). Zu dieser Handschrift vgl. auch Bilby 2017. Einen Abdruck der Interpolation im Harleyanus bietet Geerard 1997, S. 86 f.  

222

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

betet ihn an. Am nächsten Tag reist die Heilige Familie wieder ab, doch der Räuber lässt es sich nicht nehmen, sie ein Stück des Weges zu begleiten. Bis hierhin bestehen deutliche Gemeinsamkeiten mit der Lübecker Fassung bzw. Philipps Bericht. Es fällt jedoch auf, dass der Auftritt der Räuberbande und ihre Heilung fehlen. Zudem endet diese Erzählung nicht mit der Abreise der Heiligen Familie: Als sie nämlich an einen Brunnen kommen, wäscht Maria Jesu Kleider und wringt diese in ein kleines Gefäß aus. Das Wasser verwandelt sich in eine wohlriechende Salbe, die Maria dem Räuber zum Dank für seine Gastfreundschaft schenkt. Das Ende der Episode wirft einen Blick in die Zukunft: Der Räuber bewahrt die Salbe solange auf, bis er in Geldnot gerät und sie an Maria Magdalena verkauft. Maria Magdalena verwendet die Salbe zunächst selbst, setzt sie aber später für die Salbung von Jesu Füßen ein. Die Erzählung endet mit der Erklärung, dass eben dieser friedfertige Räuber gemeinsam mit Jesus gekreuzigt werden wird. Er werde ihn am Kreuz bitten, seiner im Jenseits zu gedenken: memento mei domine dum ueneris in regnum tuum (London, Bl. 106r). Über dieses Zitat von Lk 23,42 wird die Geschichte an die kanonischen Evangelien zurückgebunden. Das ‚Lateinische Kindheitsevangelium‘ (CANT 53) zeigt in seiner Darstellung der Flucht nach Ägypten eine deutliche Orientierung am ‚Pseudo-Matthäusevangelium‘.132 Auch hier begegnet die Räuberepisode nicht im Grundbestand der Erzählung, sondern ausschließlich in einer Interpolation (CANT 78/1), die mit zwei Textzeugen – London, British Library, Arundel MS 404 (14. Jahrhundert) und Trier, Stadtbibliothek, Hs. 550 (1538) (Ende 14. Jahrhundert) – vorliegt.133 Dass es sich tatsächlich um eine Interpolation handelt, lässt sich deutlich daran erkennen, dass die Episode an einem chronologisch falschen Zeitpunkt – nach der Rückkehr nach Nazareth – eingefügt ist und die sie eigentlich rahmenden Episoden anzitiert, um die korrekte Verortung im Geschehen zu markieren.134 Die Interpolation erzählt

132 Der Entstehungszeitpunkt des ‚Lateinischen Kindheitsevangeliums‘ wird im Zeitraum vom 7. bis 9. Jahrhundert angesetzt, vgl. Pellegrini 2012a, S. 889. Diese Kindheitserzählung wurde erstmals im Jahr 1927 durch einen Abdruck der beiden damals bekannten Textzeugen Hereford, Cathedral Library, 0.3.9, ms H und London, British Library, Arundel MS 404 bekannt gemacht, vgl. James 1927. Schneider 1995, S. 197–211 gibt eine deutsche Übersetzung. Übersetzungen von Auszügen (ohne die Fluchterzählungen) finden sich auch bei Cullmann 1987, S. 370 und Ehlen 2012a, S. 1005–1012. Für eine Beschreibung der Arundel-Handschrift vgl. den Eintrag im Online-Katalog der British Library: http://searcharchives.bl.uk/IAMS_VU2:IAMS040-002039687 (12. Oktober 2019). 133 Für einen Abdruck der Episode in der Londoner Handschrift vgl. James 1927, S. 121–126. Eine neuere Edition dieses Zusatzes findet sich bei McNamara u. a. 2001, S. 863–871. McNamara kennt die Parallelüberlieferung in Trier, Stadtbibliothek, Hs. 550 (1538) und vermerkt die Varianten im Apparat. 134 Zum „intrusive character“ der Räuberepisode vgl. James 1927, S. 120 und Masser 1969, S. 84.  

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

223

von einer in zwei Begegnungen geteilten Räuberepisode: Das erste Aufeinandertreffen findet auf der Flucht nach Ägypten statt und steht an vierter Stelle in der Reihenfolge der Fluchtepisoden. Es folgt dem Palmbaumwunder, der Anbetung der Heiligen Familie durch wilde Tiere sowie durch Drachen und geht dem Wunder der Wegabkürzung voraus. Die erste Räuberepisode des ‚Lateinischen Kindheitsevangeliums‘ berichtet von dem Überfall einer Räuberbande auf die Heilige Familie, bei dem Jesu Lächeln in einem der Mitglieder Mitleid auslöst und er sie daraufhin in sein Haus aufnimmt. Der Gottessohn wird gebadet und die Räuberfrau bewahrt den wohlriechenden Badeschaum in weiser Voraussicht auf. Die zweite Räuberepisode findet auf der Rückreise von Ägypten statt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Räuberfamilie dank des Badeschaums bereits zu Reichtum gelangt. Dessen heilbringende Wirkung hat sich in Abwesenheit der Heiligen Familie an dem Räuber selbst gezeigt, als er seine Wunden nach einem Überfall damit heilte. Die restlichen Mitglieder seiner Bande wollten das Mittel daraufhin verkaufen, die Räuberfrau konnte sich aber erfolgreich weigern und den Badeschaum stattdessen umsonst als Heilmittel für Verletzte verwenden. Der Reichtum der Familie gründet auf den Geschenken, die die Geheilten der Familie zum Dank machten. Dann schlägt die Erzählung eine Brücke zur Passion: Der Räuber werde fortan nur gute Werke begehen, so dass ihm am Ende seines Lebens, bei einer gemeinsamen Kreuzigung mit Jesus, seine Sünden vom Gottessohn selbst vergeben werden. Das ‚Lateinische Kindheitsevangelium‘ kennt demnach kein geheiltes Räuberkind. Das Erzählumfeld der ersten Räuberepisode und die Heilung eines verletzten Räubers in der zweiten lassen dennoch eine Nähe zu der Lübecker Textfassung erkennen, jedoch ausschließlich zu der die Zusatzverse rahmenden Handlung. Das ‚Arabische Kindheitsevangelium‘ (CANT 58) erzählt an mehr als einer Stelle von Begegnungen der Heiligen Familie mit Räubern und von der Heilung Leprakranker durch Jesu Badewasser, jedoch stets isoliert voneinander und nie im Umfeld der Fluchtgeschichte.135 Zwei Aufeinandertreffen mit Räubern finden während der Zeit in Ägypten statt: Im 13. Kapitel flieht eine Räuberbande bei Heran-

135 Für eine lateinische Edition des ‚Arabischen Kindheitsevangeliums‘ vgl. Tischendorf 1876, S. 181–209. Für eine Übersicht zum Handlungsverlauf vgl. James 1924, S. 80–82 und Pellegrini 2012a, S. 893 f. Für die Kompilation des ‚Arabischen Kindheitsevangeliums‘ ist laut Schneider 1995, S. 55 „kaum ein Datum vor dem 6. Jahrhundert wahrscheinlich“. Der Ursprung des Werkes liegt, so Pellegrini 2012a, S. 891, im 4. bis 5. Jahrhundert. Viele der enthaltenen Erzählungen deuten auf eine Abhängigkeit von der syrischen ‚Vita Virginis Nestoriana‘ (CANT 94), die bisher nur in der Ausgabe durch Budge 1899 vorliegt. Im Folgenden wird jedoch das ‚Arabische Kindheitsevangelium‘ näher analysiert, da dieses nach derzeitigem Forschungsstand für die Verbreitung und Bekanntheit der Einzelerzählungen verantwortlich ist, vgl. Burke 2017a.  

224

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

nahen der Heiligen Familie von einem bis dahin erfolgreichen Überfall.136 Im 23. Kapitel kann der gute Räuber Titus die gefangen genommene Heilige Familie vom schlechten Räuber Dumachus freikaufen, woraufhin Jesus eine Prophezeiung ausspricht: Beide werden mit ihm gekreuzigt werden, Titus zu seiner Rechten, Dumachus zu seiner Linken und nur Titus werde ins Paradies gelangen. Eine Einkehr in einem Räuberhaus findet nicht statt.137 Erzählungen von einer Aussatzheilung durch Jesu Badewasser begegnen in den Kapiteln 17, 18, 31 und 32.138 Die ersten beiden Episoden spielen in Ägypten, die letzten beiden nach der Rückkehr nach Nazareth. In Ägypten werden ein leprakrankes Mädchen (Kapitel 17) und ein leprakranker Junge (Kapitel 18) mithilfe von Wasser, mit dem zuvor der Gottessohn gewaschen wurde, geheilt. Zu den Wundergeschichten in Nazareth gehören die Heilung einer leprakranken Frau (Kapitel 31) und einer leprakranken Braut (Kapitel 32).

4.3.1.2 Die griechischen ‚Acta Pilati‘139 Lenkt man den Blick von den apokryphen Kindheitsevangelien auf apokryphes Material zum gesamten Leben Jesu, so findet sich ein direkter Beleg für die Heilung eines leprakranken Räuberkindes durch Jesu Badewasser in BHG 2119y, einer Interpolation, die ausschließlich in der mittelalterlichen Bearbeitung der ‚Acta Pilati‘ (CANT 62.II, BHG 779u) in griechischer Sprache begegnet.140 Die Episode wird im zehnten Kapitel zum Zeitpunkt der Kreuzigung als Rückblende eingesetzt. Bevor

136 Kap. 13 ist abgedruckt bei Tischendorf 1876, S. 186 f. und übersetzt bei Josua / Eißler 2012, S. 969. 137 Kap. 23 ist abgedruckt bei Tischendorf 1876, S. 192 f., übersetzt bei Josua / Eißler 2012, S. 972 sowie abgedruckt und übersetzt bei Cullmann 1987, S. 365 f. und Schneider 1995, S. 180–183. 138 Vgl. Kap. 17, 18, 31 und 32 des ‚Arabischen Kindheitsevangeliums‘, abgedruckt bei Tischendorf 1876, S. 188–190, 196–198, übersetzt bei Josua / Eißler 2012, S. 969 f., 974 f. Für einen Auszug aus Kap. 17 findet sich eine deutsche Übersetzung bei Cullmann 1987, S. 365. 139 In meiner Wahl der Terminologie orientiere ich mich an Izydorczyk 1997b, Gounelle 1992/ 2003/2008 und Schärtl 2012: Unter ‚Acta Pilati‘ verstehe ich den ersten Teil (Kap. 1–12) des ‚Evangelium Nicodemi‘, unter ‚Descensus Christi ad inferos‘ den zweiten (Kap. 13–27), ungeachtet der Textsprache. Es sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass die Forschung unter ‚Evangelium Nicodemi‘ in der Regel nur das lateinische Gesamtwerk fasst, vgl. z. B. Izydorczyk 1997b, S. 2. Um Verwechslung zu vermeiden, werde ich ‚byzantinisch‘ bzw. ‚lateinisch‘ ergänzen. 140 Während das lateinische ‚Evangelium Nicodemi‘ und die frühe Rezension der griechischen ‚Acta Pilati‘ in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden – Koptisch, Syrisch, Aramäisch, Palästinensisch-Arabisch, Armenisch und Georgisch, vgl. Gounelle 2008, S. 7 – fand für die mittelalterlichen Bearbeitungen des byzantinischen ‚Evangelium Nicodemi‘ nie eine Übertragung in eine andere Sprache statt, vgl. Izydorczyk / Dubois 1997, S. 29. Die Fassungen des lateinischen ‚Evangelium Nicodemi‘ kennen die Interpolation ebenso wenig wie deren mittelalterliche deutschsprachige  











225

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

der inhaltliche Aufbau dieser Erzählung näher untersucht wird, sei ein Überblick über ihre Überlieferung und Berücksichtigung in der Forschung vorgeschoben. Diese Fassung der griechischen ‚Acta Pilati‘ wurde erstmals Anfang des 19. Jahrhunderts herausgegeben, zunächst durch Andreas Birch (1804), dann durch Johann Karl Thilo (1832).141 Beide Ausgaben führen den hier zu untersuchenden Zusatz nicht. Erst Ende desselben Jahrhunderts vermerkt Tischendorf dessen Vorkommen in seinen ‚Evangelia apocrypha‘, genauer in einer Fußnote zum zehnten Kapitel seiner griechischen Rezension B der ‚Acta Pilati‘, die er für eine spätmittelalterliche Bearbeitung der ebenfalls von ihm herausgegebenen griechischen Rezension A hält.142 Tischendorf ediert die Fassung auf der Basis von drei Handschriften, von denen lediglich seine Handschrift C (Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, gr. app. II,87 (olim Nanianus CIX)) die in die Kreuzigung integrierte Rückblende überliefert. Tischendorf nimmt diesen – in seinen Augen fehlerhaften und verdorbenen – Passus nicht in den Haupttext auf: Iam sequitur in codice c narratio de Iesu infante cum parentibus in praedonem Dysmam incidente, tam ieiuna illa quidem tamque vitiose et corrupte scripta ut paucis eam excerpere quam totam exscribere praestet.143

Stattdessen vermerkt er ihn mit einer kurzen lateinischen Inhaltszusammenfassung und ausgewählten griechischen Zitaten in einer Fußnote.144 Als Frederic Huidekoper drei Jahre später eine Transkription des Textzeugen Paris, Biblio-

Übertragungen, vgl. Masser 1978, Masser / Siller 1987, Hoffmann 1997a und Hoffmann 1997b. Für den Zusatz ist demnach keine Übersetzung bekannt. 141 Vgl. Birch 1804 und Thilo 1832. Siehe auch die kritische Auseinandersetzung mit beiden Editionen bei Gounelle 1992, S. 275–277. 142 Tischendorf 1876 ediert insgesamt sechs Rezensionen: zwei griechische der ‚Acta Pilati‘ (Rezension A: S. 210–286; Rezension B: S. 287–322), eine griechische des ‚Descensus Christi ad inferos‘ (S. 323–332), eine lateinische der ‚Acta Pilati‘, die er ‚Gesta Pilati‘ nennt (S. 333–388), und zwei lateinische des ‚Descensus‘ (Rezension A: S. 389–416; Rezension B: S. 417–432). Eine Übersetzung der ‚Acta Pilati‘ aus der griechischen Rezension A bietet Scheidweiler 1987, S. 399–414. Für Kritik an Tischendorfs Edition vgl. Geerard 1993, S. 355 und Gounelle 1992, S. 277–280. Für Kritik an Tischendorfs Terminologie bzw. den dadurch ermöglichten Forschungsirrtümern vgl. Gounelle 1992, S. 273 Anm. 2 und Gounelle 2003, S. 247 Anm. 30. Gounelle 2008, S. 51 kann zeigen, dass dem byzantinischen ‚Evangelium Nicodemi‘ keineswegs eine altgriechische Fassung, sondern ein Text der lateinischen Rezension A zugrunde liegt. Die ältere griechische Rezension wird auf das erste bis dritte Viertel des 4. Jahrhunderts datiert (vgl. Gounelle 2008, S. 7) und ist noch nicht um den ‚Descensus Christi ad inferos‘ ergänzt, vgl. Scheidweiler 1987, S. 397 f. 143 Tischendorf 1876, S. 308 Anm. 6. 144 Vgl. Tischendorf 1876, S. 308 f. Anm. 6. Eine englische Übersetzung der griechischen Rezension B bietet Cowper 1867, S. 267–298. Cowper legt seiner Übersetzung Tischendorfs Haupttext zugrunde und verzichtet daher auf eine Übersetzung der Interpolation im zehnten Kapitel.  



226

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

thèque Nationale, Ms. gr. 808 (olim Regius 23422) ins Englische übersetzt, folgt er Tischendorfs Vorgehen: Er verzichtet auf einen Abdruck bzw. eine Übersetzung der in dieser Handschrift enthaltenen Episode und fasst die in seinen Augen „monkish interpolation“145 nur in einer Fußnote knapp zusammen. Als er kurz darauf die zugrundeliegende Transkription seiner Übersetzung veröffentlicht, nimmt er die Interpolation zwar auf, setzt sie aber durch die Verwendung einer kleineren Schriftgröße vom Haupttext ab.146 Sie findet in der Folge ihrer Veröffentlichung von der Forschung keine Beachtung. Keine dieser Ausgaben des 19. Jahrhunderts genügt wissenschaftlichen Maßstäben: Sie berücksichtigen nur einzelne Textzeugen und verzichten auf eine vorherige Untersuchung der Überlieferungslage.147 Über einhundert Jahre später nimmt sich Rémi Gounelle der bis dahin unter der Bezeichnung ‚Rezension B‘ bekannten Textfassung an. Er kann zeigen, dass es sich nicht um eine einzige mittelalterliche Bearbeitung der griechischen ‚Acta Pilati‘ handelt, sondern vielmehr um drei unterschiedliche, aber voneinander abhängige Bearbeitungen der Rezension A des lateinischen ‚Evangelium Nicodemi‘ in griechischer Sprache. Er versieht alle drei mit der Sigle M für ‚médiévale‘, nummeriert sie in der Reihenfolge ihrer Entstehungszeit und veröffentlicht eine kritische Edition der drei Textfassungen.148 Überprüft man die drei Rezensionen auf das Vorkommen der Interpolation, so ergibt sich folgendes Bild: Unter den Textzeugen von M1, der frühesten Fassung des byzantinischen ‚Evangelium Nicodemi‘ (9. bis 10. Jahrhundert), findet sich kein Beleg.149 Die Interpolation begegnet erstmals in zwei Handschriften der „recension intermédiaire“150 M2 (zweite Hälfte des 12. bis 14./15. Jahr145 Huidekoper 1879, S. 132 Anm. 63. An dieser Stelle findet sich auch die kurze Zusammenfassung der Interpolation. 146 Vgl. Huidekoper 1881, S. 24 f. 147 Eine Auflistung aller zurzeit bekannten Textzeugen findet sich bei Gounelle 2008, S. 16 f. 148 In seiner ersten Beschäftigung mit diesen Rezensionen schlägt Gounelle in Anlehnung an Tischendorf eine Abkürzung mit der Sigle B vor, vgl. Gounelle 1992, S. 284–286. Diese Siglen sind nicht mehr gültig, vgl. Gounelle 2008, S. 8. B1 entspricht M1, B2 entspricht M3 und B3 entspricht M2. 149 Eine detaillierte Beschreibung von M1 findet sich bei Gounelle 2008, S. 31–73, 130–134. In seiner späteren Arbeit identifiziert Gounelle auch eine Rezension M4, eine späte Bearbeitung der Kapitel 12–27 der Rezension M1, die in vier Handschriften des 19. Jahrhunderts erhalten ist, vgl. Gounelle 2008, S. 8. Er nimmt diese Rezension nicht in seine Edition der M-Rezensionen auf, da die sie überliefernden Handschriften aufgrund ihres Aufbewahrungsorts (Athosklöster) schwer zugänglich sind. Die Rezension M4 kann demnach nicht auf die Interpolation überprüft werden. Da M4 jedoch von M1 abhängt und erst mit Kap. 12 einsetzt, ist ein Vorkommen wenig wahrscheinlich. Für eine Edition der ersten drei Rezensionen vgl. Gounelle 2008, S. 171–321. 150 Gounelle 2003, S. 247.  



4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

227

hundert):151 Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. gr. 808 (olim Regius 23422), Bll. 270rb–271ra [Sigle B] und Rom (Vatikanstadt), Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Ottob. gr. 411, Bll. 152v–153v [Sigle Tb].152 Gounelle zählt die Episode aufgrund ihres seltenen Vorkommens in M2 nicht zum Grundbestand der Rezension. Als jüngste Textfassung der ‚Acta Pilati‘ folgen die Handschriften der Gruppe M3 (14. bis 15. Jahrhundert),153 die mit nur zwei Ausnahmen die Episode überliefern:154 C D I L P X Y

Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, gr. app. II,87 (olim Nanianus CIX), Bll. 244r– 246v (16. Jh.) Oxford, Bodleian Library, Holkham gr. 24 (olim 90), Bll. 270v–272r (14.–15. Jh.) Athos, Kloster Iviron, 692, Bll. 113r–114v (16. Jh.) Athos, Kloster Megisti Lavra, H 31, Bll. 78v–80v (18.–19. Jh.) Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. Suppl. gr. 1169, Bll. 18r–19v (v.J. 1685) Athos, Kloster des Hl. Pantaleon, 742, Bll. 11v–13r (19. Jh.) Athos, Kloster des Hl. Pantaleon, 744, Bll. 89v–90v (19. Jh.)155

Gounelle datiert die Interpolation auf den Zeitraum zwischen der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, d. h. dem Entstehungszeitpunkt von M2, und dem 14./ 15. Jahrhundert, d. h. dem Entstehungszeitpunkt von M3.156 Da sechs der insgesamt neun Textzeugen die Interpolation unter einer gesonderten Überschrift  



151 Für eine Untersuchung von M2 vgl. Gounelle 2008, S. 75–94, 135–145. 152 Beide Handschriften werden auf den Beginn des 15. Jahrhunderts datiert, vgl. Gounelle 2003, S. 249 f. 153 Eine ausführliche Analyse der Rezension M3 findet sich bei Gounelle 2008, S. 95–100, 146– 161. 154 Für eine Kurzbeschreibung derjenigen Handschriften der Rezensionen M2 und M3, die die Interpolation überliefern, vgl. Gounelle 2003, S. 249–251. Eine ausführlichere Beschreibung aller Textzeugen des byzantinischen ‚Evangelium Nicodemi‘ liefert Gounelle 2008, S. 109–129. Bei dem ersten Textzeugen von M3, der die Interpolation nicht überliefert, handelt es sich um Oxford, Bodleian Library, Holkham gr. 9 (olim 93), Bll. 66r–105r (Sigle O, 16. Jahrhundert). Das Fehlen der Interpolation lässt sich einfach erklären: Der hier überlieferte Text weist die größte Übereinstimmung mit I auf, deren gemeinsame Vorlage die Interpolation an das Textende verschiebt. In O bricht die Abschrift vor dem Textende ab, vgl. Gounelle 2003, S. 248 Anm. 32. Die zweite M3Handschrift, der die Interpolation fehlt, ist Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, gr. app. II,97 (Sigle M, 16. Jahrhundert). Hier setzt der überlieferte Text erst im zwölften Kapitel ein, vgl. Gounelle 2008, S. 126. 155 Nach Erscheinen der Gesamtedition (Gounelle 2008) ist mit St. Petersburg, Bibliothek der Russischen Akademie der Wissenschaften, RAIK 166 (datiert 1760–1770) ein weiterer Textzeuge bekannt geworden, der die Interpolation überliefert. Diese Handschrift wurde bisher noch nicht näher untersucht und einer M-Rezension zugeordnet, vgl. Gounelle 2008, S. 9. 156 Vgl. Gounelle 2003, S. 247. Zur Datierung vgl. auch Bilby 2016, S. 44 f.  



228

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

führen (BDILPTb), vermutet Gounelle, dass die Episode zunächst frei zirkulierte, bevor sie in die ‚Acta Pilati‘ aufgenommen wurde.157 Die Rückblende ist – mit Ausnahme der Handschrift I – zum Zeitpunkt von Jesu Kreuzigung mit den beiden Räubern eingeschoben. Sie verweist zurück in Jesu Kindheit und berichtet vom Aufenthalt der Heiligen Familie in Ägypten.158 Die Episode versetzt das Geschehen um dreiunddreißig Jahre in die Vergangenheit und beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung der Ausgangssituation: Ein Engel sei Joseph erschienen und habe ihn vor Herodes’ geplanten Gräueltaten gewarnt, woraufhin die Heilige Familie von Jerusalem nach Ägypten geflohen sei. Eine detaillierte Schilderung der Flucht fehlt, stattdessen wird die Zeit während ihres Aufenthalts in Ägypten unter Berücksichtigung zweier besonderer Begebenheiten erzählt. Bei der ersten handelt es sich um das Palmbaumwunder, das in einem knappen Absatz wiedergegeben wird: Als die Heilige Familie Hunger verspürt, bittet Maria einen Palmbaum, sich mit seinen Früchten zu ihnen zu neigen. Gestärkt und vom Hunger befreit, ziehen sie weiter. In der Folge setzt das zweite erzählenswerte Vorkommnis ein: Die Heilige Familie trifft auf einen Räuber namens Dysmas, der sie, überwältigt von Marias Schönheit, anspricht und ihre Identität zunächst zwar nicht erkennt, aber korrekt vermutet: Hätte Gott eine Mutter, so müsse sie eben diese sein. Dysmas lädt die Familie in sein Haus ein, übergibt sie in die Obhut seiner Frau und geht auf die Jagd. Sobald der Räuber die Szenerie verlassen hat, wird sein Kind in die Erzählung eingeführt: Dieses sei von Geburt an leprakrank und würde ununterbrochen weinen. Die Räuberfrau bereitet ein Bad vor, mit dem zuerst Jesus und dann ihr eigenes Kind gewaschen wird. Jesu Badewasser zeigt seine Wirkung unmittelbar: Das Räuberkind wird von seiner Krankheit geheilt und hört auf zu weinen. Als der Räuber heimkehrt, setzen sich beide Familien mit Ausnahme des genesenen Kindes gemeinsam zu Tisch. Dysmas bemerkt das Fehlen seines Sohns, woraufhin seine Frau zunächst von dessen wundersamer Heilung berichtet und ihm dann sein gesundes Kind präsentiert. Beide Elternteile danken Maria für das Wunder. Dysmas kniet vor ihr nieder und beschließt, nicht von ihrer Seite zu weichen, solange sie in Ägypten weilt. Als die Heilige Familie ihre Rückreise nach Judäa antritt, führt er sie auf den richtigen Weg und bittet zum Abschied um eine erneute Einkehr, die Maria mit einer Prophezeiung beantwortet: Sein Verhalten gegenüber der Heiligen Familie werde

157 Vgl. Gounelle 2003, S. 251. 158 Gounelle 2003, S. 262–270 ediert zwei Fassungen der Interpolation: eine anhand von D und B (mit französischer Übersetzung) sowie eine auf der Grundlage der M2-Handschrift Tb. Im Jahr 2008 folgt eine kritische Gesamtedition aller M-Rezensionen mit französischer Übersetzung, bei denen nur die Edition von M3 die Interpolation führt, vgl. Kap. 10.2.2a–10.2.2i bei Gounelle 2008, S. 247–251. Bilby 2016, S. 47–51 übersetzt die Passage ins Englische.

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

229

ihm künftig gelohnt werden. Mit dem letzten Absatz endet die Episode wieder in der erzählerischen Gegenwart, zum Zeitpunkt der Kreuzigung, und Marias Worte bewahrheiten sich: Eben dieser Räuber Dysmas bittet Jesus am Kreuz, in seinem Reich an ihn zu denken, und Jesus antwortet mit dem biblischen Versprechen, ihn noch am selben Tag im Paradies zu empfangen.159 Betrachtet man zunächst das narrative Umfeld dieser Episode, so ist anzumerken, dass sie im Unterschied zu den Lübecker Zusatzversen nicht auf der Flucht nach, sondern bereits in Ägypten stattfindet. In beiden Fällen geht das Palmbaumwunder voraus: in den ‚Acta Pilati‘ direkt, im ‚Marienleben‘ bereits vier Kapitel zuvor, das heißt zu Beginn der Flucht, und in aller Ausführlichkeit. In Bezug auf den narrativen Aufbau kann zunächst festgestellt werden, dass sich die Episode auf einen einzigen Räuber beschränkt, dem sämtliche Eigenschaften eines Räubers zu fehlen scheinen: Es ist weder von einem Raubüberfall noch von einer Entführung der Heilige Familie die Rede.160 Während die Lübecker Fassung den Sinneswandel des Räubers auf den Zeitpunkt nach der Heilung seines Sohns verschiebt, kann die hier untersuchte Interpolation auf eine solche verzichten, da der Räuber der Familie zu keiner Zeit feindlich gesinnt ist. Dennoch ist auffällig, dass sein überschwänglicher Dank für die Heilung nicht dem Christuskind, sondern der Gottesmutter gilt. Maria steht in dieser Fassung von Anfang an im Zentrum: Bereits in der Erzählung des Palmbaumwunders ist sie es, die dem Baum erfolgreich befielt, sich mit seinen Früchten zu ihr zu neigen – und nicht ihr Sohn wie in ‚Pseudo-Matthäusevangelium‘, ‚Vita‘ und ‚Marienleben‘. Ebenso ist es in der anschließenden Räuberepisode ihre Schönheit, mit der die Gewogenheit des Räubers begründet wird.161 Weitere Unterschiede sind die Abwesenheit des Räubers während der Heilung, die Schilderung eines gemeinsamen Mahls sowie die späte Inkenntnissetzung des Räubers über das vollbrachte Wunder. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist die Positionierung des Geschehens zum Zeitpunkt der Passion. Die Episode wird hier gerade nicht von zahlreichen Wundertaten des Gottessohns gerahmt, sondern als ausgewähltes Wunder kurz vor dem Ende seines irdischen Lebens erzählt.

159 Bilby 2016, S. 39 schlägt die Bezeichnung ‚Hospitality of Dysmas‘ für diese Interpolation vor, um sie von anderen Erzählungen, die von Begegnungen zwischen Jesus und Räubern erzählen, zu unterscheiden. Ich verwende Bilbys Titel nicht, da er für meine Zwecke nicht den Kern der Episode trifft. Nicht die Gastfreundschaft des Räubers, sondern die Heilung seines Sohnes ist für mich in dieser Erzählung zentral. 160 Ausführlicher hierzu auch Gounelle 2003, S. 242. 161 Lü verweist als einzige niederdeutsche Fassung in dieser Erzählung auf Marias Schönheit, vgl. V. 3015 der auf S. 210 abgedruckten Transkription.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

230

Wenngleich die das Heilungswunder rahmenden Ereignisse sich in mehreren Punkten unterscheiden, verlaufen die Wundererzählungen parallel: In beiden Erzählungen wird das Räuberkind zunächst vorgestellt und dadurch charakterisiert, dass es nicht nur aussätzig ist, sondern seiner Familie auch Ungemach bereitet. Während das ‚Marienleben‘ bei dieser vagen Formulierung bleibt, veranschaulichen die ‚Acta Pilati‘ das Verhalten des Kindes durch dauerhaftes Weinen. In beiden Fällen ist es die Räuberfrau, die das Bad vorbereitet, mit dem in beiden Fällen erst Jesus und dann das Räuberkind gebadet wird. In beiden Versionen der Geschichte folgt auf die Heilung unmittelbarer Dank für die zuteilgewordene Gnade.

4.3.1.3 Die Räuberepisode als proleptische Passion Der Bezug zur Kreuzigung, der in den Pilatusakten über die Position der Episode innerhalb der Erzählung hergestellt wird, findet sich auch in den bisher untersuchten apokryphen Kindheitsevangelien. Das Heilungswunder steht dort zwar im Kontext der Wundertaten des Jesuskindes auf der Flucht nach oder in Ägypten, ist aber mittels einer Prophezeiung mit der Passion verbunden. Für die bisher untersuchten Apokrypha gilt demnach, dass sie die Räuberepisode zu Jesu Kindheit entweder über das Mittel der Vorausdeutung oder der Verschiebung mit der Kreuzigungsepisode narrativ verbinden. Auch die mittelalterliche Literatur macht, wenn sie von einer Begegnung zwischen der Heiligen Familie und den Räubern erzählt, von diesem Einsatz der Erzählung im Dienst einer ‚proleptischen Passion‘ Gebrauch.162 Das Heilungswunder ist in der Mehrheit der Texte kein Bestandteil des Narrativs. So erzählt Aelred von Rievaulx in ‚De institutione inclusarum‘ (1160–1162), wie die Heilige Familie auf ihrer Flucht nach Ägypten auf eine Räuberbande trifft, der Sohn eines Räubers Jesu Heiligkeit erkennt und einen Überfall verhindert.163 Dieser Sohn wird als derjenige Räuber identifiziert, der zu Jesu Rechten gekreuzigt werden wird. Aelreds Darstellung wird in der Folge wiederholt aufgegriffen. Sie findet sich beispielsweise im anglonormannischen ‚Holkham Bible Picture Book‘

162 Dzon 2014, S. 191 definiert „proleptic passion“ als „a term used to refer to the device of foreshadowing Jesus’s Passion, through subtle (or not-so-subtle) hints, in artistic and literary treatments of his infancy.“ 163 Für eine Edition von ‚De institutione inclusarum‘ vgl. Hoste / Talbot 1971, S. 635–682, hier bes. S. 664. Für einen Abdruck der Episode samt englischer Übersetzung vgl. McNamara u. a. 2001, S. 281 f. Die lateinische Episode liegt ebenfalls vor in PL 32, Sp. 1466, wird hier jedoch noch Augustinus zugeschrieben. Eine ausführliche Analyse der Erzählung gibt Dzon 2014, S. 160–179.  



231

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

(ca. 1327–1335),164 in der ‚Vita Christi‘ Ludolfs von Sachsen (ca. 1348–1368)165 und in dem unter dem Titel ‚Leabhar Breac‘ (ca. 1408–1411) bekannten irischen Kindheitsapokryphon.166 Weitere Beispiele für die Verbindung von Raubüberfall und Prophezeiung ohne Heilungswunder finden sich im ‚Arabischen Johannesevangelium‘ (CANT 44),167 in der unter dem Titel ‚Wunder Jesu‘ (CANT 45) bekannten äthiopischen Bearbeitung dieses Apokryphons,168 in der ‚Vision des Theophilius‘ (CANT 56)169 und in einer Homilie, die Timotheos II. von Alexandria zugeschrie-

164 Vgl. London, British Library, Add MS 47682, Bl. 14r. Die Handschrift ist digitalisiert und online einsehbar: http://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=add_ms_47682_fs001r (12. Oktober 2019). Für eine Edition des Textes samt Kommentar vgl. Pickering 1971, S. 23 f., 87. Für eine Untersuchung der hier relevanten Szene vgl. Dzon 2014, S. 179–181. 165 Vgl. Mabile 1865, S. 66; Conway 1976. Zur Datierung vgl. Baier / Ruh 1985, Sp. 969. Ludolf schreibt die Episode fälschlicherweise Anselm von Canterbury zu, vgl. Dzon 2014, S. 161 Anm. 29. 166 Vgl. Dublin, Royal Irish Academy, 23 P 16 (1230). Die Flucht nach Ägypten wird in Kap. 121– 133 ausgeführt, vgl. die Edition samt englischer Übersetzung bei McNamara u. a. 2001, S 297–439 (Kap. 121–133: S. 396–406) sowie die Kontextualisierung dieser Episode bei McNamara u. a. 2001, S. 280–283. Kap. 131 und 132 erzählen, wie die Heilige Familie auf dem Berg Sinai auf einen Räuber und seinen jungen Sohn trifft und der Sohn, überwältigt von seiner Liebe für Jesus, seinen Vater von seinem geplanten Überfall abhalten kann. Dieser Sohn, hier Dismus genannt, wird als einer der zwei Räuber identifiziert, die gemeinsam mit Jesus gekreuzigt werden. 167 Das arabische Johannesevangelium ist in einer Handschrift aus dem Jahr 1342 überliefert: Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Cod. E 96 sup., vgl. Kim 2014, S. 129. Eine Übersetzung ins Lateinische findet sich bei Galbiati 1957, für die Räubererzählung vgl. Kap. 10, hier S. 52–54. Die Begegnung mit zwei Räubern findet auf der Rückreise von Ägypten statt: Einer der beiden, Titus, soll die Reisenden überfallen, erfährt jedoch beim Anblick des Gottessohns einen Sinneswandel und begleitet die Familie stattdessen ein Stück auf ihrem Weg. Als er stolpert und sein Schwert zerbricht, repariert Jesus dieses auf wundersame Weise. Beim Abschied prophezeit der Gottessohn ein Wiedersehen im Paradies. Der zweite Räuber, Daksar, macht sich über Jesus lustig – wie solle ein Räuber je ins Paradies gelangen können? Jesus prophezeit ihm daraufhin, dass das Paradies ihm nach seinem irdischen Tod versperrt sein werde. 168 Die ‚Wunder Jesu‘ werden auf das 13. bis 14. Jahrhundert datiert, vgl. Gounelle 2003, S. 244. Eine Edition samt französischer Übersetzung findet sich bei Grébaut 1919, die Räuberbegegnung wird in Kap. 7 (S. 618–625) erzählt. Aufgrund eines Übersetzungsfehlers ist hier von drei und nicht von zwei Räubern die Rede, vgl. Witakowski 1995, S. 288 Anm. 51. 169 Die ‚Vision des Theophilius‘ wird auf das 11. Jahrhundert datiert und liegt in einer syrischen, arabischen, koptischen und äthiopischen Version vor, vgl. Gounelle 2003, S. 244, bes. Anm. 10 sowie Burke 2017b. Für eine Edition des syrischen Textes vgl. Mingana 1929, hier S. 401 f., 408– 411. Für eine konzise Handlungszusammenfassung siehe Gounelle 2003, S. 244. Hier erzählt Maria selbst, wie ihre Familie auf der Flucht vor Herodes von einem ägyptischen und einem syrischen Räuber ausgeraubt wird, der Ägypter jedoch im Nachhinein ein starkes Licht bemerkt, das von der Familie ausgeht, so deren Außergewöhnlichkeit erkennt und den Syrer bittet, ihre Beute zurückzugeben. An dieser Stelle folgt Jesu Prophezeiung, gemeinsam mit beiden Räubern gekreuzigt zu werden.  







4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

232

ben wird.170 Eine Einkehr bei den Räubern findet in keiner dieser Erzählungen statt. Während die im vorherigen Unterkapitel untersuchten Texte die Verbindung von Jesu Kindheit und Tod unter Berücksichtigung einer Wundertat herstellen, nutzen diese Erzählungen die Räuberepisode ausschließlich, um einen narrativen Bogen zwischen dem Beginn und dem Ende seines Lebens zu spannen und Jesu Paradiesverheißung am Kreuz zu erklären. Sie sind somit, auch wenn sie von einer Begegnung mit Räubern erzählen, nur schwerlich mit Philipps ‚Marienleben‘ bzw. den Lübecker Zusatzversen zu vergleichen. Alle drei Elemente – Räuber, Heilung, Prophezeiung – sind zwar bereits im Arabischen Kindheitsevangelium angelegt, dort aber unabhängig voneinander umgesetzt. In der lateinischen Literatur des Mittelalters findet sich für die Kombination aller drei Elemente ein einziger Beleg: Der venezianische Hagiograph Petrus de Natalibus nimmt den guten Schächer Dismas in seinen zwischen 1369 und 1370 entstandenen Heiligenkalender ‚Catalogus sanctorum et gestorum eorum‘ auf.171 Im 228. Kapitel des dritten Buchs erzählt Petrus unter der Überschrift De sancto Disma confessore vom guten Räuber.172 Bevor er die eigentliche Legende wiedergibt, stellt er den Bezug zur Passion her: Dismas sei derjenige Räuber, der zu Jesu Rechten gekreuzigt wurde und dem Jesus einen Platz im Paradies versprochen habe. Erst dann erfolgt die Erzählung von der ersten Begegnung zwischen Räuber und Gottessohn: Dismas habe die Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten zunächst überfallen wollen, bei Anblick der Gottesmutter aber Mitleid empfunden und die Familie stattdessen bei sich aufgenommen. An dieser Stelle setzt das Heilungswunder ein: Habebat autem uxorem et filium tot ulceribus plenum ut leprosus uideretur. Cum autem uxor Disme puero Iesu balneum preparasset, et uirgo Christum balneasset, latronis coniunx

170 Die Autorzuschreibung an Timotheos (gest. 477) ist umstritten, vgl. Kim 2014, S. 63 Anm. 162 und Boud’hors / Boutros 2001, S. 6 f. Für eine Edition und französische Übersetzung der äthiopischen Version vgl. Colin 2001, hier bes. S. 248–251. Für eine Edition und französische Übersetzung der koptischen und arabischen Version vgl. Boud’hors / Boutros 2001, hier bes. S. 38 f., 132–137. Die Homilie erzählt sowohl in der koptischen und arabischen (§ 31) als auch in der äthiopischen (Kap. 17) Version von einem Überfall auf die Heilige Familie durch zwei Räuber mit Entführung des Gottessohns. Jesus kann in einem der beiden Mitleid erregen, so dass er freigelassen wird und die Heilige Familie gemeinsam weiterziehen kann. Jesus verspricht diesem guten Räuber einen Platz im Paradies. Im darauffolgenden Kapitel kommt Maria in allen drei Versionen an einen Ort, an dem sie Utensilien für ein Bad ihres Sohnes vorfindet, vgl. Boud’hors / Boutros 2001, S. 44 f. (koptisch), S. 136 f. (arabisch) und S. 252 f. (äthiopisch). 171 Izydorczyk 1997a, S. 95 nennt das lateinische ‚Evangelium Nicodemi‘ als grundlegende Quelle für Petrus’ Dismas-Legende, bemerkt jedoch nicht, dass die hier zentrale Episode dem lateinischen ‚Evangelium Nicodemi‘ fehlt. 172 Ein Teilabdruck der Episode findet sich bei Moser 1973, S. 303.  









4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

233

quasi diuino instinctu puerum suum in eadem aqua balneauit, sperans quodammodo ex quadam latente uirtute quam in filio uirginis esse cogitabat, filium suum ulcerosum posse sanitatem suscipe, quod et factum est. Mox enim ut puerum ulcerosum aqua illa tetigit, sine ulla macula confestim de balneo mundatus ascendit, quod uidens Dismas, puerum Iesum cum matre ut deos adorauit, et eosdem usque ad ciuitatem cum securo comitatu associauit.173

Die Erzählung endet wieder mit der Passion: Neben Dismas wird mit Gestas ein zweiter Räuber gekreuzigt, der Jesus verhöhnt und dessen Seele, im Gegensatz zu Dismas’ Seele, nicht gerettet wird. Bei diesem Beispiel handelt es sich jedoch um einen Einzelfall. Die Verbindung von Räuberepisode und Prophezeiung bleibt mit deutlich mehr Textbeispielen belegt als die Verbindung von Räuberepisode, Prophezeiung und Heilung. Für die Lübecker Verbindung von Räuberepisode und Heilung unter Verzicht auf den prophetischen Charakter ist, wie im Folgenden gezeigt wird, nur ein weiteres Textbeispiel bekannt.

4.3.1.4 Die Räuberepisode in der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters Nun sollen volkssprachliche Texte des Mittelalters untersucht werden, die eine Einkehr bei Räubern mit dem Heilungswunder verbinden und deren frühester Beleg zeitlich vor der Lübecker Abschrift, das heißt vor dem Jahr 1489, anzusetzen ist. Auch hier erfolgt eine Analyse unter den Aspekten der Rahmung und des Erzählaufbaus. In der deutschsprachigen Dichtung vor Philipps ‚Vita‘-Bearbeitung finden sich zwar Belege für die Räubererzählung und das heilende Badewasser, aber keine für das hier relevante spezifische Heilungswunder. Konrad von Fußesbrunnen folgt in seiner Reimpaardichtung ‚Kindheit Jesu‘ (Ende 12. Jahrhundert) der Version der Geschichte, wie sie in Prosaform in der oben diskutierten Interpolation des Lateinischen Kindheitsevangeliums überliefert ist.174 Er widmet der Einkehr bei den Räubern zwar größeren Raum, indem er sie um einen weiteren

173 Das Werk ging im Jahr 1493 erstmals in den Druck, eingesehen wurde das Exemplar London, British Library, IB.31854 (GW M25858). Der Druck ist nicht paginiert. Die Interpunktion wurde beibehalten, ansonsten gelten weiterhin die für diese Arbeit festgelegten Transkriptionsrichtlinien, vgl. Kap. 6.1. 174 Auf die Parallelen zwischen der ‚Kindheit Jesu‘ und der Interpolation in der Arundel-Handschrift hat erstmals Masser 1969, S. 85–87 aufmerksam gemacht und damit Kochendörffer 1881, S. 40 widerlegt, der von einer Abhängigkeit von der ‚Vita‘ ausgeht. Masser vermutet, dass sowohl Konrad als auch dem Interpolator der Arundel-Handschrift eine um eine zweigeteilte Räuberepisode ergänzte Handschrift des ‚Pseudo-Matthäusevangeliums‘ vorgelegen hat.

234

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Besuch auf der Rückreise von Ägypten ergänzt, fügt jedoch die Kindesheilung weder auf der Flucht noch auf der Heimkehr ein.175 Die Heilung eines einzelnen Räubers durch den Badeschaum von Jesu Badewasser erfolgt erst nach der Abreise der Heiligen Familie, das heißt zwischen dem ersten und dem zweiten Besuch.176 Die zweite Einkehr bei den Räubern endet wie in der lateinischen Vorlage mit einem Blick in die Zukunft: Eben dieser gute Schächer werde gemeinsam mit Jesus gekreuzigt werden und ihn am Kreuz um sein Erbarmen bitten (vgl. V. 2499–2530). Sowohl das ‚Passional‘ (Ende 13. Jahrhundert) als auch das ‚Evangelienwerk‘ des Österreichischen Bibelübersetzers (1. Hälfte 14. Jahrhundert) übernehmen Konrads zweigeteilte Schilderung der Räuberepisode mitsamt der Prophezeiung.177 Im Unterschied zu Konrad geben beide dem guten Räuber einen Namen: Jesmas (‚Passional‘) bzw. Dismas (‚Evangelienwerk‘). Auch die anderen beiden deutschsprachigen Bearbeitungen der ‚Vita‘ kennen das erweiterte Heilungswunder nicht. Doch während Walther von Rheinau sich als erster Übersetzer streng an seine Vorlage hält (vgl. V. 4328–4405), nimmt Wernher der Schweizer in seiner zeitlich auf Philipps ‚Marienleben‘ folgenden ‚Vita‘-Bearbeitung eine Ergänzung vor (vgl. V. 3801–3892).178 Am Episodenende, als die Räuberfamilie um einen zukünftigen Besuch bittet, folgt bei ihm ein dreizehn Verse umfassender Passus, mit dem er eine zweifache Vorwegnahme zukünftiger Ereignisse vornimmt: Erstens werde die Heilige Familie erneut bei dem gastfreundlichen Räuber einkehren und zweitens werde dieser gemeinsam mit Jesus gekreuzigt werden:179

175 Die Räuberepisode umfasst bei Konrad insgesamt rund 850 von 3027 Versen, das entspricht über einem Viertel des Gesamtwerkes. Für einen Überblick zu Autor und Werk vgl. Fromm 1985, für eine Edition vgl. Fromm / Grubmüller 1973, hier bes. V. 1503–1926 (erste Einkehr) und V. 2105–2530 (Wunderheilung und zweite Einkehr). Masser 1969, S. 257 f.; Moser 1973, S. 264 f. und Moser 1974, S. 10 f. geben einen Überblick über den Handlungsverlauf. Eine ausführliche Untersuchung der Räubererzählung in Konrads Werk im Vergleich mit dessen Vorlage und Adaptationen unter besonderer Berücksichtigung höfischer Erzählelemente gibt Ukena-Best 2002. 176 Vgl. Fromm / Grubmüller 1973, V. 2172–2222. 177 Zum ‚Passional‘ vgl. Richert 1989 sowie die Edition durch Haase / Schubert / Wolf 2013, hier bes. V. 2753–3336 (erste Einkehr), V. 3575–3862 (Wunderheilung) und V. 4245–4378 (zweite Einkehr). Zur Räuberepisode im Werk des Österreichischen Bibelübersetzers vgl. Gärtner 2017. Zur Prophezeiung des ‚Passional‘ vgl. auch die Ausführungen zur ‚Weltchronik‘ Heinrichs von München im weiteren Verlauf dieses Kapitels. 178 Die genannten Verszahlen beziehen sich auf die Editionen durch Perjus 1949 (Walther von Rheinau) und Päpke / Hübner 1920 (Wernher der Schweizer). 179 Vgl. hierzu auch Schubert 2009, S. 148.  





4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

235

Als sú och tatend dar nach sider, Do sú ze lande fůrent wider. Vil wol es in erbotten wart Aber uf der selben vart, Und wil es etwer da fúr han Es wær der selbe schach man Den andem crúce Got behielt, Wan er mit geloͮ be rúwe hielt. (V. 3885–3892)

Als einziger deutschsprachiger ‚Vita‘-Bearbeiter nutzt Walther das Potential der Episode, sie mit der Passion zu verbinden. Er identifiziert den guten Räuber nicht namentlich, sondern verzichtet wie in der biblischen Darstellung in Lk 23,32–43 auf eine Namensnennung der beiden mit Jesus verurteilten Räuber. Während die deutschsprachigen Bearbeitungen kein Heilungswunder kennen, nimmt die italienische Prosaauflösung der ‚Vita‘, die der Forschung erst seit der im Jahr 2017 abgeschlossenen Dissertation von Lisander Costiner bekannt ist, dieses in zwei Zusatzkapiteln auf.180 Da eine Edition noch aussteht, arbeite ich im Folgenden mit dem ältesten erhaltenen Textzeugen: Oxford, Bodleian Library, MS. Canon. Ital. 280 (Venetien, Ende 14. Jahrhundert). Die italienische Prosafassung hält sich in der Fluchtschilderung zwar eng an ihre Vorlage, ergänzt deren Räuberepisode aber um eine zweite. Die erste Begegnung der Heiligen Familie mit Räubern findet in Kapitel 94 (Bll. 60vb–62rb) statt und berichtet ebenso wie die Vorlage und die deutschsprachigen Versübertragungen von der Heilung erst eines einzelnen verletzten Räubers und dann seiner ebenfalls verwundeten Bande durch Jesu Badewasser. Die Heilige Familie trifft jedoch kurz darauf (Kapitel 97: Bll. 63rb–65ra) – und immer noch auf ihrer Flucht – erneut auf zwei Räuber. Die Handlung sei hier kurz zusammengefasst: Als diese beiden Räuber, Dismas und Gestas genannt, die herannahende Familie wahrnehmen, erfasst sie große Furcht: Die wilden Tiere, die die Familie auf ihrer Flucht begleiten, jagen ihnen Angst ein und sie springen auf einen Baum. Maria geht zu diesem Baum und bittet die Räuber hinabzusteigen. Sie bräuchten keine Angst zu haben, ihr Sohn Jesus sei als Retter der Menschheit geboren. Die Tiere würden Jesus nicht begleiten, um andere zu erschrecken, sondern um die Heilige Familie zu beschützen. Im Gegensatz zu Gestas steigt Dismas daraufhin vom Baum herab, betet Jesus als seinen Schöpfer an und lädt die Heilige Familie zu sich nach Hause ein. Bei Dismas angekommen bereitet seine Frau gerade ein Bad für ihr leprakrankes Kind vor.

180 Vgl. Costiner 2017. Ich danke Lisander Costiner für den Hinweis auf das Vorkommen dieser Episode in der italienischen Prosaüberlieferung der ‚Vita‘ und Irene Ceccherini für ihre Hilfe bei der Transkription.

236

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Als sie Jesus erblickt, bietet sie Maria und ihrem Kind den Vortritt an – ein Angebot, das Maria erst höflich ablehnt, dann aber doch annimmt. Als das aussätzige Kind danach in Jesu Badewasser gebadet wird, wird es geheilt. Der Räuber und seine Frau preisen Jesus und bitten die Familie, eine Nacht bei ihnen zu bleiben. Die Heilige Familie willigt ein und zieht erst am nächsten Tag weiter.181 Das darauffolgende Kapitel (Kapitel 98: Bll. 65ra–b) dient einer Erklärung und Positionierung der Erzählung im Leben Jesu. Unter Verweis auf Santo Bernardo wird mit diesem Nachsatz eine Prophezeiung erläutert:182 Die beiden Räuber werden gemeinsam mit Jesus gekreuzigt werden; Gestas zu seiner Linken, Dismas zu seiner Rechten. Einzig Dismas’ Seele könne gerettet werden, da er Jesu Heiligkeit rechtzeitig erkannt habe.183 Erst dann wird die Fluchterzählung fortgesetzt. Die italienische Prosaauflösung der ‚Vita‘ beinhaltet mit den Kapiteln 94 und 97/98 demnach zwei Episoden, die zwei unterschiedliche Begegnungen mit zwei unterschiedlichen Räuberbanden thematisieren. Mit den Lübecker Zusatzversen gemein ist ihnen zum einen ihr narratives Umfeld und zum anderen die zentrale Stellung der heilbringenden Wirkung von Jesu Badewasser. Die ‚Vita‘ beschreibt die Flucht nach Ägypten mit einer Aneinanderreihung von Wundergeschichten, der die italienische Prosafassung fast getreu folgt. Zur besseren Verständlichkeit sei ein kurzer Überblick über die Ereignisabfolge in der ‚Vita‘ eingeschoben: ‚Vita‘ a) Beginn der gefährlichen Flucht (V. 2136–2153) b) Beschwerlicher Weg (V. 2154–2171) c) Drachen (V. 2172–2181) d) Wilde Tiere (V. 2182–2191) e) Palmbaum-/Brunnenwunder (V. 2192–2217) f) Verpflegung mit Brot durch einen Engel Gottes (V. 2218–2221) g) Wilde Tiere II (V. 2222–2225)

181 Auf Bl. 64v findet sich eine Miniatur, die den Moment der Heilung des leprakranken Kindes veranschaulicht. Am linken Bildrand steht Dismas, der die Hände wie zum Gebet zusammenhält, rechts neben ihm ist seine Frau zu erkennen, die ihr geheiltes Kind gerade aus dem Badewasser zieht. Rechts davon befindet sich die Heilige Familie und wieder einen Schritt weiter in die Leserichtung ist Gestas zu sehen, der auf einem Baum sitzt, der von fünf wilden Tieren belagert wird. 182 Die genaue Autorität bleibt ungewiss. Es ist zu vermuten, dass der Erzähler sich auf Bernhard von Clairvaux beruft, der sich in seinem 77. Brief an Hugo von St. Viktor mit dem guten Räuber auseinandersetzt, vgl. Winkler 1992, S. 608–641, hier bes. S. 618–621. Bernhard nennt aber im Unterschied zu diesem Kapitel der italienischen Prosaüberlieferung keine Namen der Räuber. 183 Die Episode, von der hier prophezeiend berichtet wird, ist Gegenstand von Kap. 241 (Bll. 157vb–158rb) und findet ihre Entsprechung in der ‚Vita‘ in V. 5296–5305.

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

h) i) j) k) l) m)

237

Bäume, Blumen und Kräuter (V. 2226–2233) Räuber (V. 2234–2267) Wolke spendet Schatten (V. 2268–2281) Vögel (V. 2282–2291) Wegkürzung (V. 2292–2321) Teufel im Baum (V. 2322–2243)

Die italienische Prosaauflösung fasst a) bis d) im ersten Kapitel der Fluchtschilderung, Kapitel 89, zusammen. In ihrer Schilderung von e) ergänzt sie die ‚Vita‘ um das 21. Kapitel des ‚Pseudo-Matthäusevangeliums‘, wenn sie von dem Zweig des Palmbaums berichtet, den ein Engel auf Jesu Geheiß ins Paradies trägt. Sie zieht die Episode h) vor und lässt sie auf e) folgen. Die zweite Räuberepisode wird zwischen k) und l) eingefügt. Nach diesem Einschub wird die Chronologie der Ereignisse der ‚Vita‘ wieder aufgenommen: Italienische Prosaauflösung der ‚Vita‘184 Kapitel 89 Kapitel 90 Kapitel 91 Kapitel 92 Kapitel 93 Kapitel 94 Kapitel 95 Kapitel 96 Kapitel 97 Kapitel 98 Kapitel 99 Kapitel 100

a–d e (ergänzt um ‚Pseudo-Matthäusevangelium‘, Kapitel 21) h f g i j k Ergänzung: Räuberepisode II Ergänzung: Prophezeiung zur Räuberepisode II l m

Während in der italienischen Prosafassung Jesu Badewasser erst eine Räuberbande und dann das Kind eines weiteren Räubers heilen kann, sind beide Heilungswunder in der Lübecker Handschrift zu einer Episode verbunden, die nur eine Räuberbande berücksichtigt. Die Heilung des leprakranken Räubersohnes findet in der Lübecker Handschrift zudem vor der Heilung weiterer Räuber statt und wird nicht annähernd so ausführlich vor- und nachbereitet. Trotz dieser Abweichungen kann eine Parallele zwischen den Zusatzversen und der italienischen Prosafassung nicht geleugnet werden.

184 Im Unterschied zur italienischen Prosaauflösung weicht Philipp stark von der Chronologie der ‚Vita‘ ab: e, h, c, d, k, i, l, m. Nach i und nach l ergänzt er jeweils ein Kapitel. Er verzichtet auf eine Wiedergabe von a, b, f, g, j.

238

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Darüber hinaus konnten auch von der ‚Vita‘ unabhängige Parallelstellen in der europäischen Literatur des Mittelalters ermittelt werden. Die kastilische Kindheitserzählung ‚Libro de la infancia y de la muerte de Jesús‘ aus dem 13. Jahrhundert weist in ihrer Erzählung von der Flucht nach Ägypten auffällige Gemeinsamkeiten mit den Zusatzversen auf.185 Das ‚Libro‘ umfasst nur 244 Verse und erzählt von der Anbetung des Jesuskindes durch die Heiligen Drei Könige und der anschließenden Flucht vor Herodes. Die Fluchterzählung kennt nur das Heilungswunder bei den Räubern, weitere Wundererzählungen fehlen. Die Episode verläuft wie folgt: Auf ihrem Weg nach Ägypten wird die Heilige Familie von zwei Räubern, einem guten und einem bösen, überfallen. Der böse Räuber will Jesus töten, kann aber vom guten Räuber von seinem Vorhaben abgehalten werden. Bei diesem guten Räuber kehrt die Familie ein, wird herzlich von seiner Frau empfangen und bewirtet. Auch in dieser Erzählung wird Jesus gebadet. Als Maria von dem leprakranken Sohn der Räuberfamilie erfährt, wäscht sie das Kind mit Jesu Badewasser und kann es so von seinem Aussatz befreien. Danach springt die Erzählung zum Zeitpunkt der Passion: Die Söhne der beiden Räuber werden gemeinsam mit Jesus gekreuzigt. Nur Dismas, dem Sohn des guten Räubers, sagt Jesus ein Wiedersehen im Paradies voraus. Gestas, der Sohn des bösen Räubers, werde nach seinem Tod in die Hölle gelangen. Ein französisches Gedicht aus dem 13. Jahrhundert berichtet ebenfalls vom Heilungswunder. In der ältesten bekannten Handschrift (Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. fr. 1533) steht es unter der Überschrift Comance la vie nostre dame et la passion de nostre seigneur.186 Die Begegnung der Heiligen Familie mit dem Räuber Dismas findet auf der Flucht nach Ägypten statt. Das Heilungswunder erfolgt in Dismas’ Garten und betrifft nicht seinen Sohn, sondern seine seit sieben Jahren kranke Frau. Auch zeigt Jesu Badewasser seine Wirkung noch auf eine andere Art und Weise: Als es auf den Boden tropft, wachsen zahlreiche Blumen, die Maria pflückt und zu einer Salbe verarbeitet. Diese Salbe überlässt sie der Räuberfamilie bei ihrer Abreise. Die Familie verkauft das Gastgeschenk in einer

185 Die Erzählung ist unikal überliefert in San Lorenzo de El Escorial, Real Biblioteca del Monasterio, Ms. K-III-4, Bll. 82v–85r. Die Handschrift wird auf das Ende des 14. Jahrhunderts datiert, die drei enthaltenen Erzählungen auf das frühe 13. Jahrhundert, vgl. Zubillaga 2017, S. 26 sowie Zubillaga 2012, S. 12. Eine Edition des Textes bietet Alvar 1965. Alvar führt auch den heute gängigen Titel ein, zuvor war der Titel ‚Libre dels tres reys d’Orient‘ geläufig. Weiterführende Literatur findet sich bei Reinsch 1879, S. 103 f.; Chaplin 1967 und Zubilaga 2017, bes. S. 39. 186 Reinsch 1879, S. 42 nennt vier bekannte Textzeugen und stützt seinen Abdruck (S. 42–74) auf Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. fr. 1533, Bll. 1ra–36ra. Ein Schwarz-weiß-Digitalisat der Handschrift ist online einsehbar: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b9009683f (12. Oktober 2019). Die Räuberepisode findet sich in der Handschrift auf Bll. 10vb–12ra, bei Reinsch auf S. 54– 60. Chaplin 1967, S. 91 nennt dieses Gedicht ‚Poème sur la vie de Marie et de Jésus‘.  

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

239

finanziellen Notlage an Maria Magdalena, die damit später Jesu Füße salben wird. Nach diesem Ausblick, der deutlich an die eingangs diskutierte Interpolation im ‚Pseudo-Matthäusevangelium‘ erinnert, kehrt die Geschichte wieder in die erzählerische Gegenwart zurück und führt ein Räuberkind in die Erzählung ein, das seit seiner Geburt weint und nicht isst. Maria stillt das Kind und es wird so geheilt. Eine 3456 Verse umfassende mittelenglische Erzählung von Marias und Jesu Leben – irreführenderweise ediert unter dem Titel ‚The Life of Saint Anne‘ – berichtet ebenso wie die französische von der Heilung eines kranken Räubersohns und einer Salbenherstellung mit anschließendem Verkauf.187 Der Überfall durch eine Räuberbande findet auf der Rückkehr aus Ägypten statt. Der Räuber, dem an diesem Tag die Beute zusteht, führt die Heilige Familie in sein Haus, wo er von seiner Frau überzeugt wird, die Gefangenen wie Gäste zu behandeln. Jesus wird auf Marias Wunsch in ein Bad gesetzt, das ursprünglich für das stumme, blinde Räuberkind, dem überdies beide Füße fehlen, gedacht war. Jesu Badewasser zeigt danach seine heilbringende Wirkung an dem Kind und die Eltern erkennen in Jesus den Erlöser. Als Jesus schläft, bemerkt die Räuberfamilie einen wohlriechenden Schweiß, der von seinem Gesicht perlt, und fängt diesen in einem Behältnis auf. Kurz darauf tritt die Heilige Familie ihre Abreise an und der Räuber und seine Frau begleiten sie. In einer Stadt verkaufen sie den zu einer Salbe gewordenen göttlichen Schweiß an Maria Magdalena, die dadurch von ihren Sünden gereinigt wird. Auffällig ist, dass weder über Maria Magdalena, noch über den Räuber oder sein Kind ein Bezug zur Kreuzigung hergestellt wird. In der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters finden sich zwei Parallelen, die textgeschichtlich voneinander abhängen. So begegnet die Erzählung von der wundersamen Heilung eines krummen und buckeligen Räuberkindes durch Jesu Badewasser in Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1.16 Aug. 2°, einer im Jahr 1399 von Heinz Sentlinger geschriebenen Handschrift, die Heinrichs von München ‚Weltchronik‘ in der β-Redaktion überliefert.188 Heinrichs von München ‚Weltchronik‘ macht im neutestamentlichen Teil ausführlichen Gebrauch von Philipps ‚Marienleben‘. Die Räuberepisode auf der Flucht nach Ägypten ist jedoch aus dem ‚Passional‘ übernommen, das sich wiederum auf

187 Die Erzählung ist unikal in Minneapolis (Minnesota), University Library, MS Z822 N81 (15. Jahrhundert) überliefert. Die einzige Edition des Textes findet sich bei Parker 1928, S. 1–89, hier bes. S. 50–54. Dzon 2014, S. 218 vermutet für die mittelenglische Fassung eine dem Harleyanus ähnliche, lateinische Vorlage. 188 Die Neuedition von Heinrichs von München ‚Weltchronik‘ (Shaw / Fournier / Gärtner 2008) berücksichtigt diesen Wolfenbütteler Textzeugen nicht. Die hier diskutierte Episode ist daher nicht in der Ausgabe vertreten. Zu Heinz Sentlinger vgl. Kornrumpf 1992.

240

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Konrads von Fußesbrunnen ‚Kindheit Jesu‘ stützt.189 Nicht aus dem ‚Passional‘ stammen die im Folgenden abgedruckten vierundzwanzig Zusatzverse, die zwischen V. 3202 und 3203 des ‚Passional‘ eingefügt und bisher nur in der Sentlinger-Handschrift bezeugt sind. Sie knüpfen nahtlos an die bisherige Erzählung an, indem sie die soeben erfolgte Schilderung von Jesu Schlafgemach um einen weiteren Vers ergänzen und dann mit einem zweiten Zusatzvers zum Heilungswunder überleiten:190 [Bl. 139rb] Dar an legt si ez liepleich do nu sagt vnz die schrift etzwo Daz die fraw hiet ein chind als die mar ze wizzen sind Daz waz chrump vnd hofrat vnd an dem leib do vil mat Daz nam die fraw do ez waz vnd satzt ez in daz paduaz Do Jesus [:]in gesezzen het [Bl. 139va] zehant an der selben stet Wart vil frisch der selb chnecht hofer vnd pain ward im do sleht Dez frawt die můter vnd vater sich daz pad behielt do fleizziklich Die fraw zu dem schewm vil gar die schrift sagt vnz auch fur war Daz ditz selb chint do war her nach diser schachar Der got an den zeiten hie ze der rechten seiten An seiner marter fron alz ich her nach sag da von

189 Vgl. Ott 1981, Sp. 830 und Gärtner 1982, S. 16 sowie die Edition des ‚Passional‘ durch Haase / Schubert / Wolf 2013, S. 80–96, 103–111, 121–125. 190 Von den acht bei Shaw / Fournier / Gärtner 2008, S. XXVf. genannten Handschriften der βRedaktion konnte ich neben der Sentlinger-Handschrift die folgenden fünf einsehen: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. fol. 1107; Gotha, Forschungsbibliothek, Cod. Chart. A 3; München, Staatsbibliothek, Cgm 7377; München, Staatsbibliothek, Cgm 7330 und München Staatsbibliothek, Cgm 7364. Sie führen die Zusatzepisode nicht. Nicht zugänglich waren mir Graz, Universitätsbibliothek, Cod. 470 und Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2768. Bei der Grazer Handschrift handelt es sich um eine äußerst genaue Abschrift des Cgm 7330 (vgl. Gärtner 1978, S. 258; Shaw / Fournier / Gärtner 2008, S. XV), bei der Wiener Handschrift vermutlich um die Vorlage der Berliner Handschrift (vgl. Gärtner 1978, S. 267). In beiden Fällen ist demnach nicht mit den Zusatzversen zu rechnen.

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

241

So mich daz mar da hin treit alz sein ze sagen wirt nu zeit

Zum Zeitpunkt der zweiten Einkehr bei der Räuberfamilie auf der Rückreise von Ägypten wird der Verweis auf die Passion im Wortlaut des ‚Passional‘ (V. 4363– 4378) wiederholt, nun ist es jedoch wie im ‚Passional‘ der Vater und nicht der Sohn, der als guter Räuber identifiziert wird: [Bl. 147va] Ok vns sagt daz mar daz diser schachar Geheizzen war Jesmas vnd der zwaie ainer waz Die ze paiden seiten in der marter zeiten Pei Christus chrautz hiengen vnd irn lon enpfiengen Nach ir paider andacht ainer wart gen himel pracht Der do hiez Jesmas man sagt vnz daz er diser waz Dem Christ sein nachtseld galt vil mer dann tausentualt An got lazz wir disew geschiht ob er ez war oder nicht

Während der Passion folgt unter Rückverweis auf die Flucht nach Ägypten der biblische Dialog zwischen dem guten Räuber und Jesus: [Bl. 189vb] Auch sagt vnz daz mar daz diser gerecht schachar Geheizzen waz Jesmas der vnsers herren wirt do waz Do er zoch in daz lant daz Egipto ist genant Jesus im sein nachtseld galt vil mehr dann tausentualt In got lazz wir die geschiht ob er ez war oder niht Jedoch han ich ez gelesen daz im also sei gewesen

Auch hier ist somit der Räubervater und nicht der in den Zusatzversen genannte Räubersohn mit dem guten Schächer gleichgesetzt. Die Erzählung von der Hei-

242

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

lung des Räuberkindes während der ersten Einkehr wird somit deutlich als Interpolation erkennbar. In der 1394 von Heinz Sentlinger geschriebenen sogenannten ‚Runkelsteiner Handschrift‘ (München, Staatsbibliothek, Cgm 7330) fehlen die vierundzwanzig Zusatzverse der Wolfenbütteler Sentlinger-Handschrift.191 In der Forschung wird davon ausgegangen, dass eine gemeinsame Vorlage der Wolfenbütteler und Münchener Handschrift als Vorlage für die neutestamentliche Historienbibel ‚Neue Ee‘ gedient hat,192 die Wolfenbütteler Handschrift dieser Vorlage aber am nächsten kommt.193 Die nur in der Wolfenbütteler Handschrift überlieferten Zusatzverse haben Eingang in die ‚Neue Ee‘ gefunden. In Hans Vollmers Edition dieser Prosabearbeitung des neutestamentlichen Teils der ‚Weltchronik‘ Heinrichs von München lauten sie: Nu het die frau ein kind, das was krumb und hoffrat und ungestalt; das nam die frau und setzt es in das pad, da Jesus in gesessen was: das ward schon und slecht, als het es nie meil gewunnen. Die frau behielt das pad fleissigleichen und den scheim und dankt got seiner genaden. – Uns sagt die geschrift, das das kind der schacher wer, der neben Jesus zu der rechten seiten an dem kreuz hieng.194

Der Verweis auf die Passion wird wie in der ‚Weltchronik‘ am Ende der zweiten Räubereinkehr wiederholt: Nu han ich auch gelesen, das der selb schacher Jesmas hiess und der zweier einer was, der bei Christo an dem kreuz hieng; dem vergalt got sein nachtsald tausendfeltigleich, das er gen himel kom.195

Vollmer stützt seine Edition auf drei oberdeutsche Handschriften aus dem 15. Jahrhundert (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2862;196 Mün-

191 Zu den Unterschieden der beiden Handschriften desselben Schreibers zählt unter anderem, dass der ältere Münchener Textzeuge das Neue Testament stark kürzt, während der Wolfenbütteler Textzeuge es in den Mittelpunkt rückt, vgl. hierzu ausführlicher Gärtner 1982, S. 16. 192 Zur ‚Neuen Ee‘ vgl. Gärtner 1987. 193 Vgl. Gärtner 1982, bes. S. 16 f. Den Begriff ‚Historienbibel‘ verwende ich mit Vollmer 1912, S. 5 für „Prosatexte, die in freier Bearbeitung den biblischen Erzählungsstoff, möglichst vollständig, erweitert durch apokryphe und profangeschichtliche Zutaten und unter Ausschluß oder doch Zurückdrängung der erbaulichen Glosse darbieten, ganz gleichgültig, ob dabei gereimte Quellen oder die Vulgata, Historia scholastica, das Speculum historiale oder sonstige die heilige in Verbindung mit profaner Geschichte behandelnde Texte als Vorlage dienten“. 194 Zitiert nach Vollmer 1929, S. 52 f. 195 Vollmer 1929, S. 63. 196 Der erste Handschriftenteil ist auf 1434 datierbar, der zweite ist um das Jahr 1470 entstanden, vgl. Menhardt 1960, S. 484.  



4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

243

chen, Staatsbibliothek, Cgm 370;197 München, Staatsbibliothek, Cgm 522198) sowie auf drei Drucke: den ersten oberdeutschen Druck der ‚Neuen Ee‘ von 1476 (gedruckt in Augsburg bei Anton Sorg) und zwei niederdeutsche Drucke aus den Jahren 1478 bzw. 1482.199 Beide niederdeutsche Inkunabeln stammen aus Lübecker Druckereien: Die Ausgabe von 1478 wurde vermutlich bei Lukas Brandis, diejenige von 1482 vermutlich beim Drucker des Calderinus gedruckt.200 Beide Drucke führen die Passage, im älteren Lübecker Druck lautet sie:201 Nu hadde de werdynne en kint dat was schorffdich seek vnde vnghestalt vnde de sulue vruwe nam ere kint vnde settede id in dat water dar Jhesus hadde ynne gebadet do wart dat kint heel vnde slicht an syneme lyue als effte em nee wat hadde geschelt vnde wart sunt vnde wol to passe De vruwe bewarde dat water vlytliken vnde dankede gade vnde deme kinde vnde Marien vor de woldaet de got by en beweesen hadde Vnde men secht als etlike lerer willen vnde seggen dat id de scheker gewest sy de noch by vnsen heren Jhesum quam to hengende to der vorderen syde vnder dat kruce dar vnse leue here Cristus Jhesus an

197 Schneider 1973, S. 74 datiert die Handschrift auf die Mitte des 15. Jahrhunderts. 198 Datiert auf das Jahr 1470, vgl. Schneider 1978, S. 54–56, hier S. 54. 199 Vgl. Gärtner 1982, S. 12 f. sowie den Eintrag im Gesamtkatalog der Wiegendrucke unter der Nr. GW09249. 200 Im Jahr 2016 wurde ein dritter niederdeutscher Druck bekannt, der um 1495 wahrscheinlich bei Matthäus Brandis gedruckt wurde und sich derzeit in der Russischen Staatsbibliothek in Moskau befindet, vgl. Rumyantsev 2017. Dmitry Rumyantsev, Falk Eisermann und Oliver Duntze sei an dieser Stelle herzlich für die Bereitstellung von Digitalisaten gedankt. Die Episode wird mit nur geringfügigen sprachlichen Abweichungen erzählt: Nu hadde de werdynne eyn kynt dat was schorfdich kranck vnde iamerlik gheschapen Se nam ere kynt vnde sette dat in dat water dar Ihesus in ghebadet hadde Do wart dat kynt heyl vnde slicht an syneme liue gherade ift em ne wat gheschadet hadde vnde was ghesunt vnde wol to passe De vrowe bewarede dat water myt vlyte vnde danckede gode vnde deme kinde Ihesu vnde Marien vor de woldaet de got by se bewyset hadde Vnde men secht alse etlyke doctor willen vnde spreken dat id de scheker ghewest sy de noch by vnsen heren Ihesum quam to hangende to der vorderen syden vnder deme cruce dar Cristus vnse leue here an gheslagen vnde ghehenghet wart dat he synen gheyst an vp gaf vnde starf vmme vns to vorlosende van deme ewyghen dode. Der Druck ist nicht paginiert. 201 Eingesehen wurde das Londoner Exemplar dieses Drucks: London, British Library, IA.9823. Die hier zitierte Stelle findet sich auf Bl. 40b. Der zweite Lübecker Druck aus dem Jahr 1482 weicht nur geringfügig ab. So lautet die Passage im Wolfenbütteler Exemplar auf Bl. 28b: Nu hadde de werdinne ein kint dat was schorffdich krank vnde iamerlik gheschapen se nam ere kint vnde sette dat in dat water dar Ihesus in ghebadet hadde Do ward dat kint heil vnde slicht an syneme liue gherade ifft em ne wat gheschaet hadde vnde was ghesunt vnde wol to passe. De vrouwe bewarde dat water mit vlite vnde dankede gode vnde deme kinde Ihesu vnde Marien vor de woldaet de got by se bewiset hadde Vnde men secht als etlike doctor willen vnde spreken dat id de scheker ghewest sy de noch by vnsen heren Ihesum quam to hanghende to der vorderen side vnder deme kruce dar Christus Ihesus vnse leue here an gheslaghen vnde gehenghet wart dar he synen gheist an upgaff vnde starff vmme vns to vorlosende van deme ewighen dode. Ich danke Bertram Lesser für die Einsicht des Wolfenbütteler Exemplars.  

244

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

geslagen vnde gehenget wart dar he synen geest ane up gaff vnde starff vns to verlosende van deme ewighen dode

Die Prosafassung dieser Episode war damit zum Zeitpunkt der ‚Marienleben‘Abschrift im Jahr 1489 bereits in Lübeck im Umlauf.

4.3.1.5 Die erzählerische Funktion der Räuberepisode in Lü Mit nur einer Ausnahme weisen die ermittelten und untersuchten Vergleichstexte eine Gemeinsamkeit auf, die dem Lübecker Textzeugen fehlt: Sie setzen die wundersame Heilung des Räuberkindes durch Jesu Badewasser in Bezug zur Passion. Wie bisherige Arbeiten – zuletzt sehr ausführlich Mary Dzon – zeigen konnten, charakterisieren diese Erzählungen zum einen den Gottessohn als puer senex und geben zum anderen die Unausweichlichkeit von Jesu irdischem Tod früh im Narrativ zu erkennen.202 Sie sind aber auch als Teil des mittelalterlichen Diskurses um die Identität des zu Jesu Rechten gekreuzigten Schächers zu verstehen, insbesondere als Antworten auf zwei Fragen, die sich aus der entsprechenden Stelle im Lukasevangelium ergeben: Wieso erkennt nur einer der beiden Räuber den Gottessohn? Und: Wieso kann ein ungetaufter Verbrecher in das Paradies gelangen?203 Die erste Frage wird beantwortet, indem die Erzählung eine frühere Begegnung von Gottessohn und (Räuber-)Kind inszeniert: Wer sich schon einmal gesehen hat, der kann sich wiedererkennen. Die zweite Frage wird in einem Teil der Texte ebenfalls adressiert, und zwar in denjenigen, die im Räuberkind und nicht in seinem Vater den mit Jesus gekreuzigten Schächer sehen. Hier kann das Bad des leprakranken Räuberkindes in Jesu Badewasser als Sakrament der Taufe verstanden werden. Diese Lesart wird möglich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Aussatz im Mittelalter als äußere Erscheinungsform von sündhaftem Verhalten gewertet wurde, das entweder selbst begangen oder vererbt wurde – die Parallele zur Erbsünde zeigt sich deutlich.204 Das Wasser, das zuvor in Berührung mit dem Gottessohn war, befreit also nicht nur von Aussatz,

202 Vgl. Dzon 2014, bes. S. 189. 203 Mit dieser Frage beschäftigen sich bereits Cyprian von Karthago im 3. Jahrhundert und Augustinus am Übergang vom 4. zum 5. Jahrhundert. Im Mittelalter setzen insbesondere Bernhard von Clairvaux und Thomas von Aquin die Debatte fort. Für einen Überblick der vertretenen Positionen vgl. Dzon 2014, S. 231–234. 204 Auf diese Deutung hat erstmals Chaplin 1967, S. 93 f. mit Blick auf das ‚Libro de la infancia y de la muerte de Jesús‘ aufmerksam gemacht. In dieser Kindheitserzählung wird das mittelalterliche Verständnis von Aussatz besonders deutlich: Die Räuberfrau begründet die Krankheit ihres Sohns mit ihrer eigenen Sündhaftigkeit. Zu Lepra im Mittelalter vgl. auch Dzon 2014, S. 224 f.  



4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

245

sondern auch von Schuld. Die Begegnung mit Jesus zu Kindheitstagen wird für das Räuberkind zur notwendigen Voraussetzung, um in das Paradies zu gelangen. Den Lübecker Zusatzversen und dem mittelenglischen ‚Life of Saint Anne‘ fehlt ein Zusammenhang mit der Passion. Das Bad bereitet hier mit seiner heilenden Wirkung nicht auf die Kreuzigung vor, sondern bewirkt – ebenfalls ganz im Sinne einer Taufe – eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Die beiden Erzählungen geben die Identität des Räubers oder seines Kindes nicht explizit preis, verweilen mit der Geschichte aber dennoch nicht in der erzählerischen Gegenwart. In der Lübecker Handschrift wird auf den zukünftigen Reichtum der Räuberfamilie verwiesen, die mittelenglische Erzählung schildert den Verkauf der aus Jesu Schweiß gewonnenen Salbe an Maria Magdalena. Der Verweis in die Zukunft erfolgt also in beiden Fällen mit Blick auf das Badewasser und nicht mit Blick auf das geheilte Kind. In Bezug auf die Lübecker Textfassung lässt sich der Verzicht auf das prophetische Potential begründen, wenn man die Erzählung vor dem Hintergrund des gesamten ‚Marienleben‘ untersucht. Denn während die ‚Vita‘ den biblischen Dialog am Kreuz analog zum Lukasevangelium wiedergibt,205 verzichtet Philipp auf eine Umsetzung dieses Gesprächs und erwähnt die beiden Räuber nur noch in vier Versen (vgl. V. 7692–7695), wenn ihnen, bevor Longinus Jesus seinen Speer durch die Seite stößt, die Beine gebrochen werden (vgl. Joh 19,32). Der Bezug zwischen Einkehr und Passion ist zwar nicht Gegenstand der Vorlage, aber dort noch theoretisch möglich. Durch Philipps spezifische Bearbeitung wird der Brückenschlag unmöglich. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass ein mittelalterliches Publikum sich der Identität des Räubers oder seines Kindes dennoch bewusst war.206 Wesentlich ist an dieser Stelle allerdings, dass die Lübecker Handschrift das erzählerische Potential einer proleptischen Passion ungenutzt lässt. Stattdessen reiht sich das Heilungswunder in eine Kette an Wundererzählungen ein, die Jesus bereits als Kleinkind auf der Reise nach Ägypten begeht. Im Unterschied zu den herangezogenen Vergleichstexten charakterisiert die Episode damit nicht den Räuber oder sein Kind, sondern Jesus und hat eine christologische Funktion. Auch unter Verzicht auf den Passionsbezug weist die interpolierte Binnenepisode eine strukturelle Funktion in der Gesamthandlung des ‚Marienleben‘ auf, denn über den Einschub wird eine Parallelisierung von Jesu- und Marienleben

205 Das Kapitel (V. 5296–5305) steht unter der Überschrift De latronibus qui pendebant cum Jesu und hält sich eng an Lk 23,39–43. 206 Vgl. Dzon 2014, S. 160.

246

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

erreicht. Für diesen narrativen Effekt sind die Zusatzverse mit Blick auf die Gottesmutter zu lesen, die in J9, d. h. nach Jesu Tod, die Wundertaten ihres Sohns übernimmt. Die Passage lautet in Lü:207  

[Bl. 169r] 8998 van allen landen lude cemen to Marien vnde van ere nemen 9000 hulppe rad lere edder trost ok mennych mynsche ward vorlozet van Marien van groteme sceydome wan he mochte to er camen wente ze grote tekene dede 9005 de wille ze was vppe der erden stede vtzetesch makede ze zund mynt ernen walden in meger stunt [Bl. 169v] de blinden makede se wol sende de lamen makede ze rechte gand 9010 we doff was vnde nicht en holdede deme halpp Maria myt eren worden de stummen de nicht reden conden 9013 de makede se sprekende in mengen stunden 9016 eyn bock vnde vor ware dat zaget dat Maria de reine maget dre doden leuendich ze makede to zundeme liue se brachte 9020 we to Marien qwam ganse hulppe he van er nam de myt deme duuel was behaft deme halpp ze myt erer crafft de diuel mosten alle vtt varen 9025 do de in den luden wereren _____________________________________________________________________________ 9000 edder] vnde Wo. 9003 wan] Als Wo. V. 9004–9015 fehlen Wo. 9006 ze] he Lü, Eingriff analog zu V. 9004f. V. 9014 f. fehlen Lü Wo. Das Verspaar ist in W O Be vorhanden und thematisiert die Heilung Gichtkranker durch Maria. 9016 vnde vor ware] vs warliken Wo. 9018 ze fehlt Wo.  

207 Lesarten aus der Parallelüberlieferung in Wo, Bl. 198r sind im Apparat vermerkt. Varianten aus Be werden in diesem Fall nicht berücksichtigt, da die Handschrift in diesem Part der Erzählung nicht mehr mit Lü und Wo, sondern mit O übereinstimmt, vgl. hierzu Kap. 4.2.2.

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

247

V. 9020 f. fehlt Wo. was h be haft Lü. Der Schreiber setzt in diesem Vers zu früh zum Reimwort an. ze] Maria Wo. de do Wo.  

9022 9023 9025

Maria heilt Aussätzige, Blinde, Lahme, Taube, Stumme sowie vom Teufel Besessene und erweckt drei Tote zum Leben. Für zwei der in diesen Versen genannten sieben Wunder gibt es in der Lübecker Handschrift eine Entsprechung in einem Absatz in G10, der Jesu Wirken zusammenfasst: de blinden makede he rechte zende | de lamen makede he rechte gande (V. 5476f.). Der Wortlaut entspricht dem oben transkribierten Verspaar V. 9008 f. Zwei weiteren Wundern werden ganze Kapitel gewidmet. So erweckt Jesus drei Tote zum Leben (G11, G15, H1) und heilt einen Besessenen (G12). Die Heilung Tauber und Stummer kommt nicht explizit zur Sprache,208 ebenso wenig wie die Heilung Aussätziger. Letztere fehlt jedoch nur in der Lübecker Handschrift und ihrer Wolfenbütteler Parallelüberlieferung. Diese beiden Abschriften verzichten in G10 auf zwei Passagen zu Jesu Wunderwirken, nämlich auf V. 5478–5505 und V. 5510–5513, in denen auch eine Lepraheilung thematisiert wird. So nennen die übrigen niederdeutschen Handschriften in V. 5494 explizit De vtseteschen vnde de maselsuchtich (W), de spettelsch vnde suchtich (Be) bzw. de spetelisch vnde ghelsuchtich (O).209 Selbstverständlich wird dem Publikum des 15. Jahrhunderts die Heilung Aussätziger durch Jesus aus dem Neuen Testament dennoch bekannt gewesen sein.210 Auf der Ebene der Erzählung hingegen bringen die Lübecker Zusatzverse das Leben von Gottessohn und Gottesmutter wieder in ein Gleichgewicht. Wenn Maria nach Jesu Tod Leprakranke heilen kann, so muss Jesus dies ebenfalls zu Lebzeiten getan haben. Während sich in der Lübecker Handschrift diese Parallelität über die interpolierte Binnenepisode ergibt, verzichtet Wo ganz auf sie, indem mit der Auslassung von V. 9006–9015 in J9 die Heilung von u. a. Aussätzigen durch Maria fehlt. In der Parallelhandschrift Wo wird die Parallele demnach aufgehoben, während sie in  



208 Eine Heilung Tauber und Stummer findet nach Marias irdischem Tod statt, und zwar mithilfe des Palmzweigs, den Jesus seiner Mutter kurz vor dem Ende ihres irdischen Lebens von einem Engel bringen lässt, vgl. V. 9469,1 f. Die beiden Zusatzverse finden sich in allen niederdeutschen Vollhandschriften und sind auch in der Neuedition verzeichnet. 209 Darüber hinaus erzählt die Vorlage in Form einer knappen Zusammenfassung von Jesu Wirken von der Heilung Leprakranker durch den erwachsenen Gottessohn (vgl. V. 4192–4213, hier bes. V. 4205: Plurimorum leprosorum corpora mundavit). Philipp verzichtet auf eine Umsetzung dieses Kapitels. 210 Das Neue Testament kennt zwei Erzählungen einer Lepraheilung: Mt 8,1–4 (bzw. Mk 1,40– 45; Lk 5,12–16) berichtet von der Heilung eines einzelnen Aussätzigen, Lk 17,11–19 von der Heilung von zehn Aussätzigen.  

248

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Lü wiederhergestellt wird. Es soll hiermit selbstredend keine Intention aufgedeckt, sondern vielmehr ein textueller Effekt beobachtet werden. Während die Zusatzepisode in der ‚Neuen Ee‘ in Widerspruch mit der weiteren Handlung steht, fügt sie sich passgenau in das durchgängig mit typologischen Mustern arbeitende ‚Marienleben‘ ein. Ebenso wie die in diesem Kapitel diskutierten Parallelstellen schlagen die Zusatzverse eine Brücke zwischen den Zeiten – nicht zwischen Jesu Kindheit und Kreuzestod, sondern zwischen Jesu Kindheit und Marias Leben nach Jesu Kreuzestod. Eine Szene, die sonst zur näheren Identifizierung des guten Räubers eingesetzt wird, erscheint als weiteres Wunder Jesu, das seine Entsprechung in einem späteren Wunder seiner Mutter findet.

4.3.1.6 Einordnung der Ergebnisse Im Zentrum des Exkurses stand die Erzählung von der Heilung des leprakranken Räubersohns durch Jesu Badewasser. Wie gezeigt werden konnte, handelt es sich bei den Lübecker Zusatzversen um ein Narrativ, das in Orient und Okzident bereits in den apokryphen Kindheitsevangelien angelegt ist und für das sich in der europäischen Literatur des Mittelalters Parallelen aufzeigen lassen. Wie sind die Zusatzverse der Lübecker Handschrift abschließend einzuordnen? Die Lübecker Handschrift ist der einzige Textzeuge für eine Episode, die in der übrigen ‚Marienleben‘-Überlieferung fehlt, aber in der Wolfenbütteler Heinrich von München-Handschrift belegt ist. Charakteristisch für die Heinrich von München-Überlieferung ist die Aufschwellung der ‚Weltchronik‘ durch Rückgriff auf Darstellungen des Marien- und Jesuslebens, die kompiliert werden. Die beiden Sentlinger Handschriften zeigen, wie unterschiedlich beim Kompilieren verfahren werden kann. Die Wolfenbütteler Handschrift, welche der Vorlage für die Prosa der ‚Neuen Ee‘ am nächsten steht, dürfte die Quelle für Lü gewesen sein. Auch die Lübecker Zusatzverse stellen also eine Interpolation dar, die in den Text des ‚Marienleben‘ eingefügt wurde. Dafür spricht die gestörte Chronologie im Handlungsverlauf und außerdem das literarische Leben in Lübeck zum Entstehungszeitpunkt der Lübecker Handschrift: Mindestens zwei Drucke der ‚Neuen Ee‘ waren in Lübeck im Umlauf. Daneben ist auch eine Abschrift (Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, fondo Palatino, Ms. 125) der italienischen Prosavita bekannt, die 1432 durch den Florentiner Gherardo Bueri (gest. 1449) in Lübeck angefertigt wurde.211 Die Erzählung von der Heilung des leprakranken Räuberkindes durch Jesu Badewasser war also in diesen beiden Fassungen im Lübeck der Zeit durchaus vertreten.

211 Zu Bueri vgl. de Roover 1963, S. 63 f. und Fouquet 1998.  

4.3 Exkurs: Eine sekundäre Ergänzung in Lü

249

Trotz ermittelter Parallelstellen kann die genaue Entlehnungsrichtung nicht eindeutig bestimmt werden. Stattdessen konnte die vergleichende Analyse deutlich machen, dass die Lübecker Handschrift besonders aufgrund ihrer spezifischen Verwendung der Episode Aufmerksamkeit verdient. In seiner Aufnahme der dreizehn Zusatzverse macht der Schreiber bzw. Kompilator zwar von einer im Spätmittelalter beliebt werdenden Episode Gebrauch, bringt diese aber gerade nicht in Zusammenhang mit dem aufkommenden Kult um den guten Räuber Dismas.212 Der Einschub dient als weiteres Wunder in einer Kette von Ereignissen, die Jesu Wunderwirken herausstellen, und nicht der Charakterisierung des guten Räubers. Daneben steht er ganz im Zeichen des ‚Marienleben‘, indem er eine über Versauslassungen entstandene Inkongruenz zwischen Jesu- und Marienleben wieder aufhebt und die Handlung auf Maria fokussiert. Wenn die Erzählung in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts wieder aufgegriffen wird, dann in der prophetischen Funktion, wie sie die untersuchten Vergleichstexte bezeugen. Martin von Cochem berücksichtigt die Episode in seinem 1712 erschienenen Werk ‚Das Grosse Leben Christi/ Oder Außführliche/ Andächtige/ Bewegliche Und gantz Vollkommene Beschreibung Deß Allerheiligsten Lebens und bittern Leydens Unsers Herrn Jesu Christi/ Und seiner Glorwürdigsten Lieben Mutter Mariä […]‘. Bei ihm ist der Vater des geheilten Räuberkindes der zu Jesu Rechten gekreuzigte Schächer.213 Nach ihm integriert Clemens Brentano die Zusatzepisode in seine Aufzeichnungen der Visionen der Augustinerschwester Anna Katharina Emmerick (1774–1824).214 In ‚Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi‘ (1833) schiebt er während Jesu Kreuzigung eine Rückblende ein, mit der er die Vorgeschichte der beiden mitgekreuzigten Räuber Dismas und Gesmas in Jesu Leben verortet.215 Im ‚Leben Mariä‘ (1852) erzählt er diese Episode ausführlicher.216 Der Bezug zur Passion wird über die Ich-Erzählerin hergestellt. Ihr erscheint beim Abschied der Heiligen Familie von der Räuberfamilie ein Bild der Kreuzigung, bei dem der Räuber zu Jesu Rechten die Worte des guten Räubers auf dem Weg nach Ägypten wiederholt.

212 Zur Dismasverehrung vgl. Kretzenbacher 1951, S. 125 f., Zoepfl 1955 und Wimmer 1981, Sp. 698. 213 Vgl. von Cochem 1712, S. 393; Sammer 2017, S. 458. 214 Martin von Cochems Erbauungsbücher werden zu den Hauptquellen für Brentanos religiöse Werke gezählt, vgl. Gajek / Schmidbauer 1995, S. 94 f. und Sammer 2017, S. 20; für eine ausführlichere Quellenanalyse vgl. Gajek / Schmidbauer 1995, S. 93–112. 215 Vgl. Gajek 1980, S. 323: „Sie waren beide von jenem Räuberhaufen an der ägyptischen Grenze, in dessen Herberge die heilige Familie mit dem Kinde Jesu auf der Flucht nach Aegypten übernachtet hatte, und Dismas war jener aussätzige Knabe, der in dem Badewasser des Jesukindes von seiner Mutter auf Anrathen Maria’s gewaschen, und augenblicklich heil geworden war.“ 216 Vgl. Barth 2016, S. 394–397.  



250

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

Doch nicht nur in der Literatur, auch in der mittelalterlichen Kunst lebt das Heilungswunder fort: In der elsässischen Kleinstadt Thann bezeugt ein Tympanonrelief im Westportal des gotischen Münsters St. Theobald die Episode bis heute.217 Es wird auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert und zeigt in drei Darstellungen, wie ein Räuber die Heilige Familie auf ihrer Flucht nach Ägypten aufhält, wie er sie zu seinem Haus führt und dann wie Jesus und das Räuberkind gemeinsam von ihren Müttern gebadet werden. In der letzten Abbildung wird die Chronologie der Ereignisse dadurch verdeutlicht, dass Jesus links vom Räuberkind sitzt, das heißt in Leserichtung zuerst abgebildet ist. Der Gottessohn lächelt, während das aussätzige Kind die Hände zum Gebet faltet. Das Relief zeigt somit den Augenblick vor der Heilung. Ebenso wie den Lübecker Zusatzversen fehlt an dieser Stelle ein Bezug zur Passion und ebenso wie in den Lübecker Zusatzversen ist ein derartiger Bezug unmöglich: Auch das Relief ist ganz auf die Gottesmutter fokussiert und nimmt die Kreuzigung nicht in sein Bildprogramm auf.

4.4 Einzelanalysen der Fragmente In einem nächsten Schritt werden die vier niederdeutschen ‚Marienleben‘-Fragmente näher untersucht. In Analogie zu den Vollhandschriften wird zunächst für jedes Fragment eine Versübersicht erstellt. Im Anschluss soll dann eine Zuordnung zu den in den vorherigen Kapiteln analysierten Handschriften bzw. ermittelten Gruppen versucht werden.

4.4.1 Nr. 110 4.4.1.1 Übersicht des Versbestands Insgesamt: 26 Verse 8559–8563, 8582–8587, 8589, 8692–8697, 8716–8723.

4.4.1.2 Transkription Aufgrund des knappen Umfangs kann der Textbestand von Nr. 110 vollständig wiedergegeben werden. Um das Fragment möglichst genau abzubilden, werden

217 Vgl. Augustyn 2001, Sp. 1422; Klapisch-Zuber 2015, S. 190. Abbildungen finden sich bei Katzenellenbogen 1935, Sp. 789 Abb. 5 sowie bei Schmitt 1940, bes. S. 47 Abb. 3 und S. 52 f. Abb. 10f.  

4.4 Einzelanalysen der Fragmente

251

die Transkriptionsrichtlinien dieser Arbeit angepasst:218 Die Positionierung der einzelnen Wörter entspricht dem Fragment. Eigennamen werden nicht großgeschrieben und Worttrennungen beibehalten. Abkürzungen werden nicht aufgelöst, zur Darstellung einer er-Kürzung wird s verwendet. Es erfolgt eine genaue Unterscheidung zwischen Schaft-s und Rund-s. Nur teilweise lesbare Buchstaben sind kursiviert. Die fehlenden Reime der beiden Rectoseiten werden in eckigen Klammern und kursiviert aus den niederdeutschen Vollhandschriften ergänzt. Wenn das Versende nicht mehr erschlossen werden kann, so ist dieser Umstand mit [?] gekennzeichnet. Fehlende Versanfänge sind durch Punkte markiert. [Bl. 1r] 8559 8560 8561 8562 8563

Wāt iesus naket vn̄ [blot] Wart [an eyne] ſul ge[bunden] So vaſte dat de ha[nde be gonden] Swellē vō der pine [?] Vt ſinē nagelē gin[?]

[Bl. 2r] 8582 8583 8584 8585 8586 8587 8589

Eynē ror ſtaf in ſin [hant] Geuē vn̄ nemē dē to [hant] An ſin houet dar m[it ſlogen] V̄ me ere ſpot ene v̄ m[e togen] Vp er kne ſe negedē [ſich] Vn̄ ſprakē konīg wi [groten dich] Dat mach[ete ?]

[Bl. 1v] 8692 8693 8694 8695 8696 8697

[da]chte m[aria de reyne] [hil]gen al ge meyne to diſke ſeczet [sot]er ſpise heczet ſint dar manichualt [ſpi]ſe is ſo ge ſtalt

[Bl. 2v] 8716 8717 8718 8719 8720 8721 8722 8723

claret is al ſo nūber wert vn vro drinket eynē drūch t iūber mere iunch [v]n̄ minnichlich [ſū]nē vn̄ der manē lich [vre]wds mach mē dar [drenken] . . . . . . . . . . . . . . . d. . . . . . . . . .

218 Vgl. Kap. 6.1.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

252

4.4.1.3 Textkritische Relevanz Das Fragment Nr. 110 überliefert einen Auszug aus J3, der Marienregel. Für einen Vergleich mit der weiteren niederdeutschen Überlieferung kommen daher nur W, O und Be in Betracht. Der auf den beiden Rectoseiten überlieferte Textbestand liegt lediglich in W und O vor,219 der auf den Versoseiten überlieferte Text ist in allen drei Handschriften erhalten. Die in Nr. 110 fragmentarisch überlieferte Passage lautet in W:220 [Bl. 90va] 8559 Went Jesus nacket vnde blotz 8560 Wart do an de sůle gebunden 8561 So harde dat de hende begonden 8562 Swillen vnde de hende scrůnden 8563 Dat blot vtz den negelen twungen [Bl. 90vb] 8582 Eyn roren staf an sine hant 8583 Gauen vnde den tůcten tohant 8584 An sin houet damyt slogen 8585 An or spot se on vmme togen 8586 Vp or kny do negeten sich 8587 Vnde sprachen konningh wir grotzen dich 8588 Vnde begonden vp on spyen 8589 Dat machte grote ruwe Marien [Bl. 92ra] 8692 8693 8694 8695 8696 8697

Ouch so dachte an datz de reyne Datz de hilgen algemeyne Jr soͤ n Jesus to dische settet Vnde se myt sůtzer spyse letzet De gerichte sint mannichualt Ouch de spise ist also gestalt

[Bl. 92rb] 8716 Der sůlue clareit ist also 8717 Dat he number wert vnro 8718 Der sin gedrinket eynen drunk 8719 De ist iumber [Bl. 92va] stark vnde gesunt 8720 He ist scone vnde mynnelich 8721 Der sunnen vnde dem mane gelich 8722 So grote vroude maket dat drinken 8723 Dat nummer herte mach gedenken ________________________________________________________

219 Be fehlt V. 8487–8657, d. h. ein Auszug aus J2 und J3. 220 Lesarten aus O, Bll. 142v, 143r, 145r–146r und Be, S. 229–231 sind im Apparat vermerkt.  

4.4 Einzelanalysen der Fragmente

8560 8562 8563 8583 8584 8585 8692 8693 8695 8697 8718 8719 8720 8721 8722 8723

253

do an de sůle] an eyne sul O. vinghere O. Dat fehlt O. den tůcten] setten den O. en dar mede O. An or spot se on] Jn spotte en do O. so fehlt O Be; dar an O Be; Maria de reyne O, Maria reyne Be. ghemeyne O. vnde myt soter spise betzet O, vnde de soten spise etet Be. Ouch fehlt O Be. sin] des O Be. de bliuet iummer mer al iunk O, gleichlautend in Be. de Be. den manen O; V. 8721 fehlt Be. mach dat crenken O, maket dat drenck Be. iummer O; herte] mynsche O Be.

Der Wortlaut von Nr. 110 ist nah genug an den drei Vollhandschriften, um das Fragment ebenfalls den x-Handschriften zuzuordnen. An folgenden Stellen zeigen sich dennoch signifikante Unterschiede: V. 8561: harde] vaſte. V. 8562: vnde de hende (vinghere O)] vō der pine. V. 8563: Dat (fehlt O) blot vtz den negelen twungen] Vt ſinē nagelē gin[?]. V. 8583: V. 8585: V. 8586: V. 8588:

den tůcten (setten den O)] nemē dē. An or spot se on (Jn spotte en do O)] V̄ me ere ſpot ene. do] ſe. fehlt.

V. 8695: letzet (betzet O, etet Be)] heczet. V. 8696: mannichualt] dar manichualt. V. 8719: De ist iumber stark vnde gesunt (de bliuet iummer mer al iunk O Be)] . . . . . t iūber mere iunch

Drei Varianten stechen hervor: Erstens stimmt Nr. 110 in V. 8719 eher mit O und Be als mit W überein: mere iunch ist näher an mer al iunk (O, gleichlautend in Be) als an stark vnde gesunt (W). Zweitens fällt die große Varianz im Reimpaar von V. 8694 f. auf:  

settet : letzet (W) settet : etet (Be) setzet : betzet (O) ſeczet: heczet (Nr. 110)

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

254

W behält das oberdeutsche Verb letzen bei, das auch in beiden Editionen geführt wird.221 Die Variante von Be ist in der Neuedition für die Handschrift A (ettzet) verzeichnet. Syntaktisch sind beide Varianten möglich. Die Varianten in O und Nr. 110 sind hingegen als Entfremdungen zu verstehen: weder betzet (beten: ‚beizen‘)222 noch heczet (heten: ‚(be)nennen‘, ‚heißen‘, ‚anordnen‘)223 kann sinnvoll an die zuvor genannte ‚süße Speise‘ anschließen. Drittens geht Nr. 110 im Verspaar V. 8562 f. einen in der niederdeutschen Überlieferung nicht bezeugten Sonderweg. Swellē vō der pine [?] | Vt ſinē nagelē gin[?] statt Swillen vnde de hende (vinghere O) scrůnden | Dat (fehlt O) blot vtz den negelen twungen. Eine genaue Zuordnung zu einer der drei niederdeutschen Vollhandschriften ist somit nicht möglich.224 Dieser Befund legt die These nahe, dass das Freiburger Fragment eine von den anderen niederdeutschen x-Handschriften unabhängige niederdeutsche Version des ‚Marienleben‘ überliefert. Ein Abgleich mit den ober- und mitteldeutschen Handschriften der x-Gruppe hat ergeben, dass die Variante auch im gesamten deutschsprachigen Korpus für die x-Handschriften einmalig ist.225  

4.4.2 Nr. 35 4.4.2.1 Übersicht des Versbestands Insgesamt: 55 Verse 9495–9538, 10123–10133.

221 Vgl. den Artikel ‚letzen‘ im DWB (Bd. 12, Sp. 802–807, bes. Sp. 805). Im Zusammenhang mit einer Speise ist ‚letzen‘ im Sinne von ‚verabreichen‘ zu verstehen. 222 Vgl. Lasch / Borchling 1956ff., Bd. 1, Sp. 257. 223 Vgl. Lasch / Borchling 1956ff., Bd. 2,1, Sp. 302. 224 Seelbachs Neufund im Landesarchiv Münster (vgl. S. 38) liefert weitere singuläre Varianten – gibt aber auch Gemeinsamkeiten mit den Handschriften O und Be zu erkennen. Die Münsterschen Fragmente überliefern jedoch Versabschnitte des Passionsblock H, der in O und Be vollständig ausgefallen. Für eine vollständige Transkription des Neufundes und eine ausführliche Analyse des Versbestands vgl. Ostermann / Seelbach 2020. 225 Der Abgleich erfolgte für alle fünf Untergruppen der x-Handschriften, vgl. die einleitenden Ausführungen zu Kap. 4. Die erste und die vierte Untergruppe konnte ausgeschlossen werden, da die Marienregel in diesen Handschriften fehlt. Für die zweite Untergruppe wurde Nr. 110 mit der Neuedition verglichen, die Varianten aus A und Pr sind im Apparat vermerkt. Die Handschrift Bn, die einzige nicht-niederdeutsche Handschrift der dritten Untergruppe, stimmt in diesem Verspaar mit den beiden niederdeutschen Vertretern ihrer Gruppe (O und Be) überein. Für die fünfte Untergruppe, die sog. thüringische Rezension, konnten G, Go und Ha eingesehen werden. Das Verspaar fehlt in Ha und Go, in G stimmt es mit W und O überein.

4.4 Einzelanalysen der Fragmente

255

4.4.2.2 Zuordnung zur Gruppe Wo Lü Das Fragment Nr. 35 überliefert einen fünfundfünfzig Verse umfassenden Auszug aus K1 und dem Epilog. Beide Passagen liegen in allen Vollhandschriften des niederdeutschen Korpus vor. Nr. 35 enthält keine Zusatzverse oder Versumstellungen, die eine Zuordnung zu einer der bisher definierten Handschriftengruppen erleichtern könnten.226 Die auf dem ersten Blatt erhaltenen Verse kennzeichnet eine hohe Übereinstimmung mit Lü, Ausnahmen lassen sich als typische Fehler von Lü erklären.227 Die Nähe der beiden Textzeugen zeigt sich beispielsweise in V. 9497: V. 9497 Nr. 35: Lü:

Dat graf si bouene deckeden to228 dat graft ze bauen decken to

W:

Dat graf se decten ouene to

Wo:

dat graf bouene se deckenden to

O: Be:

dat graf bedeckeden bouen to dat graf bedeckenden bouen tho

Da für die Handschrift Lü in der bisherigen Analyse bereits eine Verwandtschaft mit Wo ermittelt werden konnte, überrascht auch die Nähe von Wo zu Nr. 35 nicht. Die Opposition von Lü, Wo, Nr. 35 und W, O, Be lässt sich anhand von V. 9499 und V. 9502 verdeutlichen: V. 9499 Nr. 35: Lü: Wo:

Reysen up dat godes schrin Zisen vppe dat gades scrin Risen vppe dat goddes scrin

W: O:

Kommen vp den gotes scrin komen vp dat godes scrin

226 Gärtner 1978, S. 302 f. nimmt bereits eine erste Zuordnung des Fragments vor, die ich mit diesem Unterkapitel ergänze. 227 An dieser Stelle seien zwei Beispiele genannt: In V. 9500 unterscheiden sich Lü und Nr. 35 darin, dass Lü das Reimwort heym fehlt. Auch in V. 9513 stimmen beide überein, außer dass Lü die Ergänzung sele zu Marien im Versinneren fehlt. Beide Fehler sind charakteristisch für Lü, vgl. Kap. 4.1.3.3. 228 Da das Fragment verschollen ist, sind sämtliche Transkriptionen Goebel 1905, S. 37 f. entnommen.  



4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

256

Be:

komen vp dat godes schryn

V. 9502 Nr. 35: Lü: Wo:

De iunger worden nicht ghesceyden de yungern worden nicht gesceiden de iungeren worden nicht ghescheiden

W: O: Be:

De iungeren wolden nicht do sceyden de iunghere wolden nicht do scheyden de iungeren wolden do nicht scheden

Auch das noch zu untersuchende Rostocker Fragment Nr. 115 überliefert die in Nr. 35 erhaltenen Verse. In einem Vergleich zeigen sich zwar durchaus Parallelen (vgl. V. 9520, 9522, 9526–9530, 9534, 9536), signifikante Abweichungen in Syntax und Reim sprechen jedoch gegen eine engere Verwandtschaft. Besonders offenkundig sind die Unterschiede im Engelgesang: Nr. 115 adressiert Maria direkt, während Nr. 35 – in Übereinstimmung mit W, Wo, Lü, O und Be – von der Gottesmutter in der dritten Person spricht. Nr. 35: [Bl. 1v] 9523 9524 9525

Gelouet si nv maria de reyne Gelouet sy got de se erkorn Hat. vn̄ is van yr geborn

Nr. 115: [Bl. 35r] 9523 Ghelouet sistu Maria reyne 9524 Ghelouet si god de dy vt[:] 9525 Het vnde is van dy gheborn

Das zweite Blatt überliefert die letzten elf Verse des ‚Marienleben‘, die innerhalb des niederdeutschen Korpus nur noch in W, Wo und Lü erhalten sind.229 Ein Vergleich der drei Handschriften mit Nr. 35 offenbart erneut eine engere Verwandtschaft des Fragments zu Lü und Wo als zu W:

229 O fehlt die letzte Lage, weshalb der erhaltene Textbestand mit V. 9996 abbricht. Die Abschrift in Be endet bereits mit V. 9949.

4.4 Einzelanalysen der Fragmente

257

V. 10126 Nr. 35: Wo: Lü:

Tu selden dit sulue bůkelyn to selden dyt sulue bukelin to selden dit zulue bockelyn

W:

So sette ich dit buchelin

V. 10133 Nr. 35: Wo: Lü:

Nun help uns er leue kynt ihesus Nu helpe vs dat kynt Jhesus nu helppe vns er leue cind Yezus

W:

Nu help vns or son Jesus

Gärtner begründet mit V. 10126, dass Nr. 35 einen x-Text überliefert.230 Das Possessivpronomen er und das Adjektiv leue in V. 10133 sprechen abermals für eine engere Verbindung zu Lü. Der älteste und der jüngste niederdeutsche Textzeuge des ‚Marienleben‘ stehen sich damit am nächsten.

4.4.3 Nr. 118 4.4.3.1 Übersicht des Versbestands Insgesamt: 275 Verse 7821–7823, 7825–7925, 2 Zusatzverse*: owi we ſcal mi lere geuen vm̄ e min ſundige leuen (V. 7925,1f.)231 7926–7927, 2 Zusatzverse*: owi ſin vil grote truwe maket minem herten ruwe (V. 7927,1f.) 7928–7939, 7944–8025, 8028–8036, 8038–8099.

230 Vgl. Gärtner 1978, S. 303. 231 Da das Fragment verschollen ist, folgen die Transkriptionen Mylord-Möller 1923.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

258

4.4.3.2 Zuordnung zur Gruppe Wo Lü Das Kopenhagener Fragment überliefert einen Auszug aus der Passion und der Auferstehung Jesu. Es setzt mit dem achten Vers von H29 ein und endet dreißig Verse vor dem Ende von I6. Es umfasst damit die folgenden Episoden: H Passion 29. Petrus’ Klage (V. 7814–7887) 30. Maria Magdalenas Klage (V. 7888–7943) 31. Maria beim Apostel Johannes in Jerusalem (V. 7944–7949) 32. Höllenfahrt (V. 7950–7961) I Jesu Auferstehung und Himmelfahrt 1. Auferstehung (V. 7962–7973) 2. Jesus erscheint Maria (V. 7974–8027) 3. Jesus erscheint Joseph von Arimathäa (V. 8028–8051) 4. Jesus erscheint Jakobus (V. 8052–8057) 5. Jesus erscheint Petrus (V. 8058–8061) 6. Jesus erscheint den drei Marien (V. 8062–8129)

Auffällig an Mylord-Möllers Transkription ist, dass sie keine Rubriken enthält oder Übergänge zwischen Einzelepisoden vermerkt. In diesem Punkt unterscheidet sich Nr. 118 von allen niederdeutschen Vollhandschriften, die in ihrer Kapiteleinteilung durchweg – sofern sie die jeweiligen Verse überliefern – dem oben genannten Schema folgen. Da der Passionsblock H in O und Be fehlt, kann der gesamte Textbestand von Nr. 118 nur mit W, Wo und Lü verglichen werden. Für V. 7962–8011 ist auch ein Vergleich mit O, für V. 7962–8128 auch ein Vergleich mit Be möglich. O und Be überliefern in diesen Versräumen jedoch Varianten, mittels derer sich Nr. 118 stets von dieser Gruppe abgrenzen und Wo und Lü zuordnen lässt, während W z. T. mit Wo und Lü, z. T. mit O und Be übereinstimmt. Dieser erste Befund lässt sich an folgenden Beispielen verdeutlichen:  



V. 7981 Nr. 118: Wo: Lü: W:

do ſe ere leue kint gheſach do se er leue kynt ghesach do ze ere leue cynd sach Do se or libes kint gesach

O: Be:

Er leue kint do se ghesach Or leue kynt do se gesach

4.4 Einzelanalysen der Fragmente

259

V. 7993f. Nr. 118: Wo: Lü:

dat ich dich nv geſeen | leuendich mit minē ogen han dat ik dik nu ghesen | leuennich mit mynen oghen han de ick nu sen | leuendich myt mynen ogen an

O: Be: W:

dat ik myn leue kint ghesen | Nu myt mynen oghen han dat ick myn leue kynt gesen | nu mit minen ogen han Dat ich myn leuen kint gesen | Nu myt mynen ougen han

V. 8010 Nr. 118: Wo: Lü: W:

ich bidde di kint vn̄ here min Jk bidde dik kynt vnde here myn ik bidde dy cind vnde here myn Jch bidde dich kint vnde here myn

O: Be:

Jk bidde dy here vnde kint myn Jck bidde dy here vnde kynt myn

V. 8041 Nr. 118: Wo: Lü:

In einen kerker vaſte geſprach Jn eynen kerkere vaste ghespart yn eynen cerkenere vaste gespard

W:

Jn enen carcer vast gespart

Be:

Jn enen kerkener worpen wart

V. 8049 Nr. 118: Wo: Lü: W:

to deme kerker quamen do To dem kerker quemen do to deme cerkenere qwemen do To dem carcer quamen do

Be:

Quemen to den kerkener do

Die Nähe von Nr. 118 zu W, Wo und Lü lässt sich darüber hinaus an den Zusatzversen veranschaulichen: Das erste zusätzliche Verspaar ist auch in W, Wo (hier V. 7921,1f.) und Lü bezeugt, das zweite nur in W (hier V. 7926,1f.) und Lü (hier V. 7926,1f.). Im gesamten Versbestand weicht W jedoch vielerorts von Lü, Wo und Nr. 118 ab:232

232 Zu den Unterschieden zwischen W und Wo sowie Lü vgl. auch die Beispiele in Kap. 4.2.2.2.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

260

V. 7908 Nr. 118: Wo: Lü:

he leit mich waſchen ſine vote He let mik waschen syne vote he let my wasscen zine votte

W:

Waschen mich leit sine voͦ tze

V. 7951 Nr. 118: Wo: Lü:

de ſele mit groter not de zele myt groter not de zele myt groter nodde

W:

De sele myt groter marter not

V. 7967 Nr. 118: Wo: Lü:

vt deme graue leuendich ging Vth dem graue leuenich ghink vtte deme graue leuendich gink

W:

To dem graue leuendich gink

V. 8009 Nr. 118: Wo: Lü:

vader got vn̄ ewige criſt vader god vnde ewige crist vader got vnde ewyge crist

W:

Ware got vnde ewich crist

V. 8046 Nr. 118: Wo: Lü:

in ſin hus en wedder ſande Jn syn hus en wedder sande yn zin hus ene wedder sande

W:

Jn sin hus ok heym sante

Mit Wo und Lü hat Nr. 118 zudem den Ausfall der Versabschnitte V. 7940–7943 und V. 8026 f. gemein, die beide in W vorliegen. In W fehlt wiederum das Verspaar V. 8098f., das in Wo, Lü und Nr. 118 erhalten ist. Wo fehlen darüber hinaus zahlreiche weitere Verse, die in Nr. 118, W und Lü vorliegen: V. 7832–7837, V. 7850f., V. 7860–7863, V. 7880–7883, V. 7894f., V. 7897–7899, V. 7912–7917, V. 7922–7925, V. 7932f., V. 7972 f. Auch an diesen Stellen geht Nr. 118 dann mit Lü zusammen und nicht mit W:  



4.4 Einzelanalysen der Fragmente

261

V. 7923 Nr. 118: Lü:

wor ſcal ich nv mer vrūt gewȳnen wor scal ik nu mer vrund gewynnen

W:

Wur sol ek nů soken mynne

V. 7973 Nr. 118: Lü:

do van deme dode got wolde erſtandē do got van dode wolde vpp standen

W:

Do van deme tode got was irstanden

Die bisher angeführten Beispiele legen folgende These nahe: Nr. 118 überliefert eine Textfassung, die der Gruppe von Wo und Lü zuzuordnen ist. Da die in Wo ausgefallenen Verse in Nr. 118 noch erhalten sind, überliefert Nr. 118 wie Lü eine vollständigere Fassung. Lü wurde bereits als äußerst fehleranfällige Abschrift identifiziert. Diese späteren Veränderungen von Lü führt Nr. 118 nicht. Das Fragment stellt somit einen Textzeugen dar, der zwar zur Gruppe von Wo und Lü gehört, aber vollständiger und ursprünglicher ist. Die Ursprünglichkeit der Textfassung sei abschließend an einigen Beispielen veranschaulicht, in denen Nr. 118 eine in Lü enthaltene Abweichung nicht führt und stattdessen mit Wo übereinstimmt. Die Ursprünglichkeit der in Wo und Nr. 118 überlieferten Fassung wird durch ihre Übereinstimmung mit dem frühen Textzeugen W belegt: Fehler: Numerus V. 7918f. Nr. 118: Wo: W:

owe mir vil armen wive | dat ich nv allene blive O We mir vil armen wiue | dat ik nu alleyne bliue Owe myn vil armen wiue | Dat ich nů alleyne bliue

Lü:

o we vns vil ermen wyuen | dar wy nu alleine bliuen

Fehler: ganzes Wort V. 7961 Nr. 118: Wo: W:

dat ſe dar leueden ewichlich dat se dar leuede ewichlik Dat se dar leueten ewelich

Lü:

dat ze dar bleuen ewichlick

V. 7983 Nr. 118: Wo:

mit rechen vrouden ſe vor gas mit rechten vroiden se vorghan

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

262

W:

Mit rechten vrouden se vogatz

Lü:

myt rechten worden ze vorgas

Fehler: Personalpronomen V. 7957 Nr. 118: Wo: W:

de hilligen alle ſe233 dar vant de heilighe alle se dar vant De hilgen alle de se do vant

Lü:

de hiligen alle he dar vand

V. 7985 Nr. 118: Wo: W:

dat ſe234 hadde an erme herten de se hadde an erme herten De se hatte an orem hertzen

Lü:

also he hadde yn erme herten

Fehler: Falscher Buchstabe V. 7954 Nr. 118: Wo: W:

de ſele vor ouer to der hellen de sele vor auer to der hellen De sele vor to der helle

Lü:

de zele vor ouer to der lellen

V. 8024 Nr. 118: Wo: W:

horen gripen vnde ſen horn gripen vnde seen Horen gripen vnde sen

Lü:

boren grippen vnde zen

Wenn also die Handschrift, zu der das Fragment Nr. 118 gehört, die Textfassung von Wo und Lü enthält, so ist davon auszugehen, dass auch dieser Textzeuge in seiner vollständigen Version auf eine Wiedergabe der Marienregel verzichtet. Das ‚Marienleben‘ umfasst in Wo 9000 Verse, in Lü 9223 Verse. Da Nr. 118 in Wo ausgefallene Verse überliefert, wird ihr Versbestand eher bei Lü liegen. Dem 233 Das feminine Personalpronomen der dritten Person Singular ist an dieser Stelle korrekt. Es bezieht sich auf die in V. 7954 genannte Seele. 234 Auch hier ist die feminine Form korrekt, da das Personalpronomen sich auf die in V. 7980 genannte Gottesmutter bezieht.

4.4 Einzelanalysen der Fragmente

263

ursprünglichen Text, aus dem das Fragment stammt, würden demnach knapp 9000 Verse gefehlt haben.

4.4.4 Nr. 115 Das Rostocker Fragment Nr. 115 besteht aus dreiundsechzig beidseitig beschriebenen Papierstreifen. Bis einschließlich Bl. 36 sind vollständige Einzelblätter erhalten, ab Bl. 37 nur Bruchstücke. Kurt Heydeck identifiziert in seiner Beschreibung die auf Bll. 1–53 überlieferten Verse.235 In einer erneuten Untersuchung des Fragments konnten auch Versabschnitte auf weiteren Blättern identifiziert werden. Daher ist nun eine Korrektur der von Heydeck vorgeschlagenen Blattreihenfolge nötig. Diese aktualisierte Übersicht des Versbestands wird im Folgenden präsentiert. Ein Punkt am Ende einer Versaufzählung markiert eine Überlieferungslücke am Übergang zum nächsten Blatt.

4.4.4.1 Übersicht des Versbestands Insgesamt: ca. 3280 Verse (bis einschließlich Bl. 54v)236 Bll. 37r/v:

1–14, 17, 19–52, 55–60, 63–64.

Bll. 38r/v:

70–123,

Bll. 1r/v:

124–129, 131–138, 141–172, 173 und 175 als 1 Vers, 176, 179–188,

Bll. 39r/v:

189–211, 2 Zusatzverse: De reyne maghet eyn kint [:] De wy de [:] de vor [:] (V. 211,1f.) 213, 215–251,

Bll. 2r/v:

252–314,

Bll. 3r/v:

315–356, 357 und 358 als 1 Vers, 359–377,

Bll. 4r/v:

378–390, 393–420, 422, 421, 423–440, 446, 445,

235 Vgl. Heydeck 2001, S. 134. 236 Für alle Blätter nach Bl. 54 ist eine exakte Zählung der überlieferten Verse nicht mehr möglich, da zu wenige Einzelbuchstaben und Wörter lesbar bzw. erhalten sind. Es können lediglich Ausschnitte identifiziert werden. Vgl. hierzu auch die Beschreibung von Nr. 115 in Kap. 2.2.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

264

Bll. 5r/v:

447–480, 482, 484, 483, 485–510.

Bll. 54v/r:

535–541, 544–548, 1 Zusatzvers: D[:] (V. 548,1) – vermutlich eine Versverdoppelung 549–571,

Bll. 6r/v:

572–581, 584–616, 1 Zusatzvers: Dar leuede se sik gode mede (V. 616,1) 617, 1 Zusatzvers: Liden not vnde vnghemach (V. 617,1) 618–619, 621, 620, 623, 622, 624–633,

Bll. 7r/v:

634–683, 686–696,

Bll. 40v/r:

697–750, 2 Zusatzverse: Deme [:] Se sprek [:] (V. 750,1f.) 752, 754–758, 2 Zusatzverse: Sus vor [:] Se leuede [:] (V. 758,1f.).

Bll. 41r/v:

893–925, 928–937, 940–944, 946, 945, 947–963,

Bll. 8r/v:

964–982, 984–990, 3 nicht identifizierbare Verse, 996–997, 1004–1006, 2 Zusatzverse: Vnde dar to lignum olee De smak deyt wol vnde we (V. 1006,1f.) 1008–1035,

Bll. 9r/v:

1036–1071, 1 Zusatzvers: Wen he des ersten [:] (V. 1071,1) 1072, 1074–1075, 1082–1097, 3 Zusatzverse: Dat god on des w[:] teken geuen Se vasteden vnde des [:] leten Alghemeyne se god [:]en (V. 1097,1–3) 1102–1105,

4.4 Einzelanalysen der Fragmente

Bll. 10r/v:

1106–1127, 1130–1180,

Bll. 11r/v:

1181–1229, 1232–1254, 1256–1257, 1255, 1258.

265

Bll. 42r/v:237 1616–1627, 1630–1655, 1656 oder 1657 (Zuordnung nicht möglich), 1658–1680. Bll. 43r/v:

2341–2395, 2397, 2396, 2399.

Bll. 12r/v:

2459–2473, 2476–2481, 2484–2489, 2492–2519, 2521–2522, 2524–2532,

Bll. 13r/v:

2533–2578, 1 Zusatzvers: Deme kinde se [:]lghelich (V. 2578,1) 2579, 1 Zusatzvers: Dar mede se des [:]chten (V. 2579,1) 2580–2581, 2590–2600,

Bll. 14r/v:

2601–2605, 2610–2641, 2644–2659, 2662–2671,

Bll. 15r/v:

2672–2721, 2725, 2724, 2728–2735, 2737, 2736, 2738–2740,

Bll. 16r/v:

2741–2777, 2779, 2778, 2780–2805,

Bll. 17r/v:

2806–2849, 2851, 2850, 2852–2868,

Bll. 18r/v:

2869–2930,

Bll. 19r/v:

2931–2991,

Bll. 20r/v:

2992–3025, 3027, 3026, 3028–3035, 3038–3049, 3052–3059,

Bll. 44r/v:

3060–3063, 3067, 3066, 3068–3105, 3108–3128.

Bll. 45v/r:

4071–4091, 4093, 4092, 4094–4099, 4101–4103, 4105, 4104, 4106–4123, 4128– 4134,

Bll. 46r/v:

4135–4141, 4146–4157, 4164–4160, 4171–4172, 4174–4193, 4196–4199, 4201, 4200, 4202–4207.

[Bll. 55r/v:

ca. 70 Verse um V. 5004/5082]238

237 Bl. 42 besteht aus zwei Fragmenten, die bei der Foliierung bereits als zusammengehörig erkannt und dementsprechend mit ‚42a‘ und ‚42b‘ gekennzeichnet wurden. 238 Auf Bl. 55r ist mittig eine rote, mehrzeilige A-Initiale erkennbar, auf die bis zum unteren Blattrand ca. sechzehn Verse folgen. Im Vergleich mit den weiteren niederdeutschen Textzeugen konnten drei Kapitel identifiziert werden, die mit diesem Buchstaben beginnen: Die Kapitel ab V. 5004, V. 5082 und V. 7962. Das Kapitel ab V. 7962 umfasst jedoch lediglich zwölf Verse und

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

266

Bll. 21r/v:

5598–5621, 2 Zusatzverse*: Vmme Iosephes dot Marien claghe We de gherne hort deme wil ek se saghen (V. 5621,1f.) 5622–5645, 5647–5661.

Bll. 47r/v:

5791–5808, 5810, 5812, 5814–5849, 5852–5855, 5864.

Bll. 22r/v:

5937–5964, 5966–5971, 5972 und 5973 als 1 Vers, 5973 und 5974 als 1 Vers, 5976, 5974 und 5975 als 1 Vers, 5977, 1 Zusatzvers: Mit eynvaldigheme mute (V. 5977,1) 5978–5998,

Bll. 23r/v:

5999–6016, 6018–6035, 6038–6039, 6042–6051, 6057–6069.

Bll. 56r/v; 61v/r:

6268–6285, 6292–6309, Zwischenraum für ca. 4 Verse frei (nicht identifizierbar), 6318–6323, 6325–6327, 1 Zusatzvers: Dat h [:] (V. 6327,1) 6328–6333,

Bll. 24r/v:

6334–6361, 6363, 6362, 6364–6394,

Bll. 25r/v:

6395–6401, 6404–6429, 6431, 6430, 6432–6459, 6461, 6463–6464.

Bll. 26r/v:

7164–7173, 7176–7179, 2 Zusatzverse: Dat sch[:]etten [:]oder myn Dar d[:]n wen[:] syn (V. 7179,1f.) 7180–7182, 7185–7186, 7189–7235.

Bll. 27r/v:

7373–7389, 7392–7414, 7416–7427, 7430–7439,

Bll. 28r/v:

7440–7449, 7451, 7450, 7452–7459, 7462–7463, 7466–7477, 7479, 7478, 7480– 7481, 7483, 7482, 7488–7509,

Bll. 29r/v:

7510–7535, 7537–7570.

Bll. 30r/v:

7572–7600, 7602–7631.

Bll. 31r/v:

7633–7655, 7657, 7656, 2 Zusatzverse:

beginnt in der Lübecker Fassung mit einem ‚I‘. Es ist daher wahrscheinlicher, dass Bll. 55r/v ca. siebzig Verse um V. 5004 oder V. 5082 überliefern.

4.4 Einzelanalysen der Fragmente

267

An dy kint scholde ergan Des mot ek mi[:] truren [:]an (V. 7656,1f.) 7658–7660, 7663–7671, 7673–7694, Bll. 32r/v:

7695–7699, 7701–7703, 1 Zusatzvers: Dat dede we orem herten (V. 7703,1) 7704–7721, 7723, 7722, 7724–7760,

Bll. 33r/v:

7761–7789, 7792–7819, 7822–7828,

Bll. 34r/v:

7829–7867, 7872–7896.

Bll. 48r/v; Bll. 59r/v:

8037–8068, 8073–8099, 8102–8103.

Bll. 49r/v; Bll. 58r/v:239 8105, 8104, 8106–8133, 8135–8166. Bll. 50v/r:240 8320–8324, 8353–8357. Bll. 51r/v:

8901–8906, 8935–8939.

Bll. 52r/v; Bll. 60v/r:

9243–9286, 9288–9289, 9287, 9290–9301, 9303, 9302, 9304–9310.

Bll. 35r/v:

9516–9518, 9520–9585,

Bll. 53r/v; Bll. 57v/r:

9586–9603, 2 Zusatzverse: Alle louede[:] Dat mar[:] (V. 9603,1f.) 9604–9629, 2 Zusatzverse*:

239 Bl. 49 besteht aus zwei Fragmenten, die bei der Foliierung bereits als einander zugehörig erkannt wurden (‚49a‘ und ‚49b‘). Bl. 58 überliefert einige Versenden der auf Bl. 49 erhaltenen Verse. Die Fragmente wurden unterschiedlich beschnitten (Bl. 49 am oberen, Bl. 58 am unteren Blattrand), weshalb ihre Zugehörigkeit nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist und sie sich nicht passgenau ergänzen. 240 Bei Bll. 50r/v, 51r/v handelt es sich um die einzigen zwei Blätter, die stärker horizontal als vertikal beschnitten wurden, weshalb sie lediglich fünf bis sechs Verse pro Seite überliefern.

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

268

Du [:]rbrant Den [:]ch vant (V. 9629,1f.) 9630–9639, 9642–9655. Bll. 36r/v:

9749, 9762–9771, 9774–9786, 9788–9789, 9794–9805, 9812–9817, 9822–9825, 9834–9845, 9850–9853, 9862–9866, 9868.

Versdoppelungen: Nach V. 2824: Wiederholung von V. 2824. Zwei Versionen für V. 2938f.: Se voren ane gheleyde | Dorch menghe woste heyde und Se voren sunder leyde | Beyde velt vnd heyde.

4.4.4.2 Eine niederdeutsche *V-Bearbeitung Besonders auffällig im Textbestand des Rostocker Fragments ist der direkte Übergang von V. 22 auf V. 23 und somit der Verzicht auf die acht zusätzlichen Widmungsverse, die in den meisten ‚Marienleben‘-Handschriften entweder in ihrer ursprünglichen Fassung oder in der „Copyright-Version des Deutschen Ordens“241 vorliegen. Das Fehlen dieser acht Verse ist ein Kennzeichen der sogenannten *V-Bearbeitung.242 Es liegt also nahe, diese Fassung auch für das Rostocker Fragment zu vermuten. In der Tat kann eine Zuordnung zu den bisher untersuchten x-Handschriften für Nr. 115 ausgeschlossen werden: Es fehlen zahlreiche Verse, die Gärtner für ursprünglich hält, da sie nicht nur von den x-Handschriften, sondern auch von der Handschrift P und der ‚Vita‘ bezeugt werden: z. B. V. 432,1f.; V. 438,1f.; V. 470,1 f. und V. 535,1 f. Ebenso fehlen V. 490,1–6, V. 496,1f., V. 577,1f., V. 2729,1 f. Dieser Befund spricht nach Gärtners Analyse für eine Zuordnung zu den z- statt zu den x-Handschriften.243 Bei der *V-Bearbeitung handelt es sich um eine Untergruppe der z-Handschriften. Die These von der Zuordnung von Nr. 115 zu *V kann überprüft werden, indem man solche Verse genauer analysiert, die innerhalb der z-Handschriften divergieren. So fällt V. 6324 in allen z-Handschriften aus, die verschiedenen Untergruppen gehen aber unterschiedlich mit dem Versausfall um. Im Rostocker Fragment wird nach V. 6327 ein Zusatzvers ergänzt, von dem lediglich der Anfang erhalten ist: Dat h[:]. Dieses Vorgehen entspricht einigen Handschriften der  







241 Gärtner 1978, S. 340 u. ö. Vgl. auch Gärtner 1978, S. 281–285, Gärtner 2014 und Kap. 1.1. 242 Eine Ausnahme stellt das Fragment Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 102 [Sigle Nr. 62] dar, das der *V-Bearbeitung zuordenbar ist und die acht Verse zwischen V. 22 und V. 23 überliefert, vgl. Gärtner 1978, S. 187, 360. 243 Vgl. Gärtner 1978, S. 330 f.  



4.4 Einzelanalysen der Fragmente

269

*V-Bearbeitung, die nach V. 6327 den folgenden Zusatzvers einfügen: Daz er wer besunder sam (= V1V3Mü90).244 Gemeinsam mit den Handschriften der *V-Bearbeitung ist Rostock auch die Umformulierung von V. 683. Während die niederdeutschen Vollhandschriften eine Version aufweisen, die ähnlich in P und den Handschriftengruppen x und y vorkommen (Neuedition nach P: al der werlt begund si leuhten), führt Rostock: Wol vns der konnigliker [:]ucht. Dieser Vers stimmt mit *V (= V1V3NIMüD 90.91.89.96) überein: Wol vns der chunicleichen (ediln Mü) vruht.245 Einen weiteren Beleg für eine Zuordnung des Rostocker Fragments zu der *V-Bearbeitung liefert das Verspaar V. 980f.246 Die niederdeutschen Vollhandschriften stimmen alle mit der nach Gärtner ursprünglichen Fassung überein, die in der Neuedition nach P lautet: min breutegan fuͤ rt den reien da, | die heiligen tanzent alle nah. Gärtner zeigt auf, wie sich dieses Verspaar schrittweise in den einzelnen Überlieferungsschritten verändert, bis es in der Bearbeitung *V die folgende Gestalt annimmt: Mein vriedel fuert den rayen vor | In seinem hohsten vreuden chor.247 Dieses Verspaar begegnet so auch in Rostock: Myn vredel vort den r[:]yen [:]o[:] | Jn sines hoghesten vrauden kor. Bei den *V-Handschriften, die diese Variante überliefern, handelt es sich um V1NIMü sowie die Heinrich von München-Handschriften Nr. 89, 90, 91, 96.248 Auch V. 1167 f. bestätigt die Zuordnung zu der Bearbeitung *V. Hier stimmt Rostock mit V1V3NIMü (Der ist noch niht chomen her | Noch der selbe guͤ te man)249 überein: He is noch nicht komen here | Noch de sulue gude man. Darüber hinaus fehlen Rostock das Verspaar V. 1128 f. und die beiden sekundären Zusatzverse nach V. 1129, die in den meisten z-Hss. vorliegen. Diese vier Verse fehlen ebenfalls in V1V3NIMü 90.91.250 Eine weitere Gemeinsamkeit mit dieser Untergruppe von *V ist das Fehlen von V. 926f.251 Es zeigt sich, dass Rostock innerhalb der *V-Bearbeitung die meisten Übereinstimmungen mit der Gruppe V1V3NIMü, d. h. der „Endstufe der Bearbeitung“252 aufweist. Bisher waren neben diesen Vollhandschriften nur die Fragmente Nr. 11 und Nr. 34 bekannt. Weil N auf das Jahr 1338 datiert ist, muss diese Fassung –  





244 Vgl. Gärtner 1978, S. 332. 245 Abgedruckt bei Gärtner 1978, S. 352. 246 Zu V. 980 f. vgl. Gärtner 1978, S. 322 f. 247 Zitiert nach Gärtner 1978, S. 323. 248 Die Handschrift N überliefert nur im ersten Drittel einen *V-Text, vgl. Gärtner 1978, S. 106 f. 249 Zitiert nach Gärtner 1978, S. 325. 250 Vgl. Gärtner 1978, S. 333–335. 251 Zu V. 926 f. vgl. Gärtner 1978, S. 336. 252 Gärtner 1978, S. 355. Gailit 1935 untersucht drei Handschriften dieser Gruppe: V1, V3 und N.  







270

4 Die Textgeschichte der niederdeutschen ‚Marienleben‘

zumindest im ersten Textdrittel, denn N überliefert nur bis V. 3012 einen *VText – bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Umlauf gewesen sein.253 Das Rostocker Fragment steht somit für einen weniger konservativen Umgang mit dem Text als bisher für die niederdeutsche Überlieferung angenommen. Es beweist, dass auch in niederdeutscher Sprache mindestens eine von der x-Gruppe abweichende Textfassung kursierte. Dass es sich hierbei um eine *V-Bearbeitung handelt, der „erfolgreichsten Version des ML“254, ist von besonderem Belang, denn: „Die Bearbeitung *V bietet […] das interessanteste Beispiel für die Wirksamkeit ästhetischer Maßstäbe (reiner Reim und elaborierter Stil) in der Tradition des ML“ und ist somit laut Gärtner „das beste Beispiel für die kritische Rezeption des ML im md. und obd. Sprachgebiet im 14. Jh.“255 Fragment Nr. 115 zeigt, dass diese kritische Rezeption auch im niederdeutschen Sprachgebiet stattgefunden hat. Da Mitteldeutschland als Entstehungsort und „frühe[s] Überlieferungszentrum“256 dieser Fassung gilt, ist eine Übernahme in das benachbarte niederdeutsche Gebiet nur wenig verwunderlich. Gärtners Vermutung, dass von den xFassungen abweichende Textfassungen „auf den md. und obd. Raum beschränkt und nach Ausweis der erhaltenen Hss. nie in den nd. Norden gelangt“257 seien, muss demnach widersprochen werden.

4.5 Zusammenfassung der Ergebnisse Der Vergleich der einzelnen Versübersichten hat zu folgenden Ergebnissen geführt: Wo und Lü weisen die meisten gemeinsamen Versausfälle, -ergänzungen und -umstellungen auf, die im ersten Textdrittel z. T. auch in Be bezeugt sind. Bei der von Gärtner nicht untersuchten Handschrift Lü handelt es sich demnach ebenfalls um eine x-Handschrift. Ab dem zweiten Textdrittel geht Be mit O zusammen. Den Vorlagenwechsel von Be hatte bereits Gärtner bemerkt, der Übergangsbereich konnte genauer bestimmt werden. Nr. 110 ist zwar eindeutig den xHandschriften zuzuordnen, bezeugt aber auch bislang singulär hier belegte Varianten. Das älteste Fragment, Nr. 35, konnte der jüngsten Handschrift, Lü, zugeordnet werden. Lü bezeugt damit zumindest in dem Abschnitt, der in Nr. 35 erhalten ist, eine Textfassung des frühen 14. Jahrhunderts. Die im ersten Textdrittel interpolierte Binnenepisode in Lü konnte hingegen als späte Interpolation  

253 254 255 256 257

Vgl. Gärtner 1978, S. 356. Gärtner 1978, S. 364. Beide direkten Zitate: Gärtner 1978, S. 378. Gärtner 1978, S. 364. Gärtner 1978, S. 367.

4.5 Zusammenfassung der Ergebnisse

271

identifiziert werden. Nr. 118 weist die meisten Gemeinsamkeiten mit der Gruppe von Wo und Lü auf, ist im Versbestand jedoch vollständiger als Wo und weniger fehleranfällig als Lü. Nr. 115 bezeugt als einziger niederdeutscher Textzeuge keinen x-Text, sondern eine *V-Bearbeitung.

5 Maria im Norden – Ergebnisse und Perspektiven Ziel dieser Arbeit war es, am Beispiel von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ ein differenziertes Bild des niederdeutschen Literaturraums zu zeichnen. Die Untersuchung sollte nicht wie bisherige Arbeiten primär textkritisch ausgerichtet sein und die Eruierung einer autornahen Fassung als Hauptziel haben, sondern alle erhaltenen Textzeugen als eigenständige ‚Zeitzeugen‘ in den Mittelpunkt stellen. Die mittelalterlichen Handschriften wurden als Bedeutungs- und Textträger, d. h. als materielle Objekte und als textuelle Medien, gelesen und gedeutet, um die vielfältigen Formen der Rezeption und Weitertradierung von Philipps religiösem Epos im niederdeutschen Sprachraum greifbar zu machen. Im Folgenden fasse ich unter der Überschrift ‚Kontinuität‘ gemeinsame, d. h. einzelne Textzeugen übergreifende Tendenzen der Überlieferung zusammen. Danach erstelle ich unter der Überschrift ‚Singularität‘ für jede Handschrift und für jedes Fragment ein Profil, das die Untersuchungsergebnisse dieser Studie miteinander verbindet, Alleinstellungsmerkmale hervorhebt und Perspektiven aufzeigt.  



5.1 Kontinuität Die einzelnen Textzeugen kennzeichnen zwar unterschiedliche Gestaltungsprinzipien, die ökonomische (W), mobile (O), kompilatorische (Wo, Be) und konservative (Lü) Schwerpunktsetzungen erkennen lassen, sie sind aber ausnahmslos als Gebrauchshandschriften konzipiert. Die Handschriften bewahren nahezu vollständige Textfassungen, die sich über die Auslassungen einzelner Kapitel bzw. Episodenblöcke unterscheiden. Es konnte keine niederdeutsche Teilüberlieferung des ‚Marienleben‘, beispielsweise ausschließlich von der Himmelfahrt Mariens oder der Marienregel, ausfindig gemacht werden. Alle Textzeugen erhalten den Reimpaarvers, eine niederdeutsche Prosaauflösung ist nach wie vor nicht bekannt. Mit einer Ausnahme, dem Fragment Nr. 115, bezeugen alle Handschriften und Fragmente eine autornahe x-Fassung des ‚Marienleben‘. Die Weitertradierung des Gesamttextes korrespondiert mit der mehrheitlich bezeugten Überlieferungsform des niederdeutschen ‚Marienleben‘ als Einzelausgabe. Sofern Philipps Werk nicht allein, sondern wie im Fall von Wo, Be und Nr. 35 in einer Textgemeinschaft überliefert ist, konnten thematische Anschlüsse an das ‚Marienleben‘ herausgearbeitet werden, die den Vorbildcharakter der Gottesmutter unterstreichen, indem sie ihn auf die Rezipientinnen und Rezipienten beziehen. Diese als Ermahnungen zu einem gottgefälligen Leben zu verstehenden Texte arbeiten unter Rückgriff auf das Jüngste Gericht.

https://doi.org/10.1515/9783110676822-005

5.1 Kontinuität

273

Die niederdeutschen Textzeugen umspannen den gesamten Zeitraum der mittelalterlichen Weitertradierung von Philipps religiösem Epos im deutschsprachigen Raum, vom Jahr 1324 (Nr. 35) bis zum Jahr 1489 (Lü). Das ‚Marienleben‘ kennt im niederdeutschen Sprachraum keine Überlieferungszentren: Seine Rezeption ist sowohl im Ostfälischen (W, Wo, Nr. 115) als auch im Westfälischen (Be) und im Nordniederdeutschen (Lü, O, Nr. 35, Nr. 118) bezeugt. Für die Frühphase konnte der Gebrauch der Handschriften für drei der fünf Vollhandschriften bestimmt werden: W und Wo wurden in Frauenklöstern verortet. Die Abschrift von Lü findet zwar außerhalb eines solchen statt, gelangt aber nur wenige Jahre nach ihrer Fertigstellung in einen Konvent. Im weiteren historischen Verlauf erweist sich das ‚Marienleben‘ als anschlussfähig für die Devotio moderna: Es befindet sich in entsprechenden Konventsbibliotheken (Heiningen, Marienberg bei Helmstedt, Lübecker Michaeliskonvent) und wird mit zentralen Texten dieser Frömmigkeitsbewegung verbunden (Thomas a Kempis: ‚Van der navolginghe Jesu Cristi‘). Der hervorgehobene Vorbildcharakter Mariens kann ein Grund gewesen sein, weshalb das Werk gerade für die Devotio moderna als eine um „Rückbesinnung auf die monastischen Ideale“1 fokussierte Frömmigkeitsbewegung relevant wurde. Denn, wie Sönke Lorenz betont: „Kartause und Devotio moderna hatten in ihrer geistigen Inspiration die gleichen Ziele und verfolgten mit ihren Schriften und Methoden den gleichen Weg“2. Geert Groote selbst gilt mit seiner Kritik an innerkirchlichen Missständen wie überbordendem Privatbesitz, Karrierestreben und Sittenverstößen als „vom Kartäusergeist geprägt[]“3; die Windesheimer wiederum orientierten sich in ihren Statuten an den Kartäusern.4 Im niederdeutschen Sprachraum findet sich das Werk eines Kartäusermönchs somit über die nachträgliche Anbindung an die Devotio moderna in einem mit dem Ausgangsumfeld vergleichbaren Frömmigkeitskontext wieder. Es wird ein geistlicher Literaturraum greifbar, der gerade auch von Frauen geprägt wird.

1 Böse 2008, S. 249. 2 Lorenz 2002, S. 15 f. 3 Van Dijk 1991, S. 114. Vgl. auch van Dijk 1991, S. 115–120. 4 Vgl. van Dijk 1991, S. 115. Zur kartusianischen Prägung der Windesheimer vgl. Rüthing 1989, bes. S. 57.  

274

5 Maria im Norden – Ergebnisse und Perspektiven

5.2 Singularität 5.2.1 Einband, mise en page, Textbestand: W als Unikum W weist einige Alleinstellungsmerkmale auf, die auf eine Realisierung der Abschrift unter besonderer Berücksichtigung ökonomischer Kriterien schließen lassen: Erstens ist W die einzige Handschrift im Korpus, die Philipps Werk nicht zwischen zwei Holzdeckeln, sondern im preiswerten Kopertband enthält. Zweitens ist der Text nur hier zweispaltig und in fortlaufenden Versen erfasst, wodurch die benötigte Papiermenge und in der Konsequenz die Kosten stark reduziert werden. Auf einem Blatt Papier, recto und verso, finden im Schnitt neunzig Verse Platz.5 Zum Vergleich: Die gleichformatige, aber deutlich kleiner und enger geschriebene Handschrift Wo überliefert durchschnittlich achtzig Verse je Blatt, während die Quarthandschriften Lü und Be auf nur durchschnittlich fünfzig respektive zweiundfünfzig Verse, die Oktavhandschrift O auf nur durchschnittlich sechsundvierzig Verse je Blatt kommen. Ein Layout, wie es in W begegnet, ist bislang nur für ‚Marienleben‘-Handschriften des frühen 14. Jahrhunderts bekannt, die Handschrift knüpft demnach an vergangene Gestaltungsprinzipien an. Auch der Rückgriff auf die Textura als Schriftart der Rubriken legt eine solche Rückbindung an vergangene Zeiten nahe. W ist die älteste als vollständige Handschrift erhaltene ‚Marienleben‘-Abschrift in niederdeutscher Schreibsprache. Das Wasserzeichen legt eine Datierung in das letzte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts nahe. Die Untersuchung der Schreibsprache ergab eine Entstehung im ostfälischen Sprachraum, wahrscheinlich an der Grenze zu Magdeburg. Als Bestandteil der sogenannten ‚Helmstedter Handschriften‘ muss die Handschrift aus einem der umliegenden Frauenklöster in die Herzog August Bibliothek gekommen sein. In Verbindung mit der Schreibsprache kommt insbesondere das Augustiner-Chorfrauenstift Marienberg bei Helmstedt in Betracht. Zeitgenössische Federproben bezeugen eine frühe Verwendung im Schulkontext. Die gleichförmige Lagen- wie Textkonzeption ließ eine saubere Abschrift vermuten, die sich in der Analyse des Textbestands bestätigte. W ist die vollständigste niederdeutsche ‚Marienleben‘-Handschrift. Nur hier sind sowohl die Passion (H1–32) als auch die Marienregel (J3) erhalten. Darüber hinaus sind Versausfälle geringeren Umfangs sowie fälschliche Versdoppelungen äußerst

5 Die Wahl des Beschreibstoffs Papier bedeutet zwar ebenso eine Entscheidung für die kostengünstigere Alternative zum Beschreibstoff Pergament, stellt aber im Korpus der Vollhandschriften keine Ausnahme, sondern den Regelfall dar.

5.2 Singularität

275

selten. Nur an einer Stelle begegnet ein in den Editionen nicht bezeugter Vers, der einen übersprungenen Vers ersetzt und somit als Korrekturmaßnahme zu interpretieren ist. Gärtner betont die textkritische Bedeutung dieser Handschrift als Vertreter der x-Gruppe, nimmt sie aber nicht durchgängig in den Apparat seiner Neuedition auf. Wie gezeigt werden konnte, fehlen in der Folge signifikante Lesarten eines frühen Textzeugen einer textkritisch relevanten Überlieferungsgruppe. Auch im Vergleich mit den niederdeutschen x-Handschriften konnten zahlreiche singulär hier belegte Varianten herausgearbeitet werden. W ist damit in der niederdeutschen Überlieferung auf vielen Ebenen ein Unikum: in der Wahl des Einbands, der Textgestaltung, des Versbestands und der Varianten. Folgt man also Gärtners Vorschlag, das niederdeutsche ‚Marienleben‘ anhand dieser Handschrift zu edieren, so ist – wie die nun folgenden Handschriftenprofile zeigen – eine Textausgabe die Folge, die die Ausnahme und nicht die Regel im niederdeutschen Korpus abbildet.

5.2.2 Maria als mediatrix: Die Textgemeinschaften der Sammelhandschrift Wo Die Handschrift Wo ist die einzige Sammelhandschrift im Korpus. Genau genommen handelt es sich um eine aus drei unterschiedlichen Faszikeln zusammengesetzte Handschrift, die alle um die Mitte des 15. Jahrhunderts datieren. Alleinstellungsmerkmal ist darüber hinaus das einfarbige wie schmucklose Textlayout des ‚Marienleben‘-Faszikels. Ausgesparte Initialen lassen darauf schließen, dass eine aufwändigere Gestaltung ursprünglich angedacht war. Das Kolophon des dritten Faszikels nennt den Festtag des Heiligen Matthias, den 24. Februar, des Jahres 1449 als Zeitpunkt der Abschrift. Die Textbestandsanalyse ergab eine einzige, unikal in Wo überlieferte Versergänzung, die ebenfalls diesen Heiligen betrifft. Die Aufzählung der zwölf Apostel ist in Wo um den Heiligen Matthias ergänzt (vgl. V. 5383,1). Der Befund spricht für eine besondere Verbindung zu diesem Heiligen, z. B. als Eigenapostel des Schreibers. Denkbar wäre auch eine ausgeprägte Matthiasverehrung in der Entstehungsregion der Abschrift. Die Schreibsprache der Abschrift deutet auf das ostfälische Sprachgebiet, insbesondere auf den nordwestlichen Raum. Der Heilige Matthias ist Patron diverser Städte im Ostfälischen, u. a. der Schreibzentren Goslar, Hannover und Hildesheim.6 Hildesheim sticht als plausible Möglichkeit hervor, da auch die Maria Magdalena-Legende des ersten Faszikels hierhin verortet wird. Die Zusam 



6 Vgl. Krumwiede 1960, S. 309 sowie Krumwiede 1988, S. 184 f.  

5 Maria im Norden – Ergebnisse und Perspektiven

276

menbindung mit dem aus dem südostfälischen Gebiet stammenden dritten Faszikel hat vermutlich andernorts stattgefunden, der Einband legt eine Verbindung zu Braunschweig nahe. Da für Wo ebenso wie für W als ‚Helmstedter Handschrift‘ eine Herkunft aus den Helmstedter Frauenklöstern gesichert ist, kommt das Augustiner-Chorfrauenstift Heiningen in Betracht, das eng mit Braunschweig verbunden war. Die in Wo erhaltene Textfassung des ‚Marienleben‘ weist die meisten Gemeinsamkeiten mit Lü auf. Deutliches Erkennungsmerkmal der Gruppe ist der Verzicht auf J3, d. h. auf die sogenannte Marienregel: Beiden Handschriften fehlt die Darstellung von Marias Leben als Ordensfrau nach Jesu Tod. Wo unterscheidet sich von Lü über eine deutliche Reduktion der Klagereden im Passionsblock H, die eine Verdichtung der Handlung und Verankerung der Erzählung in der erzählerischen Gegenwart zur Folge haben. Das ‚Marienleben‘ ist in Wo von Texten umgeben, die diese Lücken in der Erzählung schließen können: ‚Unser vrouwen klage‘ ergänzt die gekürzten Marienklagen um eine weitere. Der Auszug aus dem ‚Großen Seelentrost‘ fügt Philipps Werk eine in Tagzeiten strukturierte Passionsschilderung an, wie sie eigentlich in der Marienregel formuliert wird. ‚Der Sünden Widerstreit‘, ‚Der Tisch im Himmelreich‘ und ‚Die sieben Gaben des Heiligen Geistes ‘ thematisieren mit der Marienregel vergleichbare Verhaltensweisen, die in dem Verzeichnis ‚Die Töchter der sieben Hauptsünden und der sieben Tugenden‘ schematisch dargestellt und in den Heiligenlegenden zu Maria Magdalena und Elisabeth veranschaulicht werden. Der Vorbildcharakter dieser beiden Heiligen gewinnt durch ihre Position in der Handschrift an Bedeutung: Die Handschrift beginnt mit der Schilderung eines Lebensausschnitts von Maria Magdalena, einer Zeitgenossin der Gottesmutter. Darauf folgt das ‚Marienleben‘. Im Anschluss steht mit dem ‚Elisabethleben‘ die Legende einer mittelalterlichen Heiligen. Das ‚Marienleben‘ als zentrale Erzählung wird auf diese Weise an die biblische Zeit zurückgebunden und mit dem Mittelalter verbunden. Maria ist auch hier mediatrix, Mittlerin zwischen den Zeiten, die für Vergangenheit und Gegenwart ein Identifikationsangebot bietet. Ob diese narrative Funktionalisierung des ‚Marienleben‘ Parallelen kennt, müssen nun Analysen der ober- und mitteldeutschen Überlieferungsgemeinschaften zeigen.  

5.2.3 Eine optische Täuschung? Die späte Abschrift in Lü Die Analyse der Handschrift Lü veranschaulicht, wie sehr die Optik einer Handschrift täuschen kann. Solange man nur dem Objekt, nicht aber dem mit ihm überlieferten Text Beachtung schenkt, wirkt Lü wie eine überaus penible Abschrift, die in ihrer sorgsamen Gestaltung durchaus in Konkurrenz mit dem

5.2 Singularität

277

gedruckten Buch treten kann. Über die Verwendung einer schlaufenlosen, in die Länge gezogenen Bastarda mit wenigen Abkürzungen wird eine einfache Lesbarkeit erreicht und die gleichförmigen Buchstaben erscheinen wie gedruckt. In der Tat war die handschriftliche Vervielfältigung eines Textes im ausgehenden 15. Jahrhundert „no longer the default form of text production“7. Henrike Lähnemann stellt für die sogenannten Medinger Handschriften eine Hypothese auf, die sich in diesem Zusammenhang auch auf Lü anwenden lässt: Im Zeitalter des Buchdrucks gewinnt die Materialität einer Handschrift, d. h. die Modalitäten ihrer Gestaltung, an Signifikanz.8 Diese Bedeutung zeigt sich in Lü in der gleichförmigen Gestaltung in roter sowie schwarzer Tinte und in der sorgsamen Lagenmarkierung. Sobald man jedoch den Textbestand genauer untersucht, zeigt sich ein anderes Bild: Der Text des ‚Marienleben‘ ist von Fehlern bestimmt, die die Kohärenz der Erzählung stören und den Sinn einzelner Verse verfremden. Dieser Umstand schmälert keineswegs die Signifikanz der Handschrift für die Fragestellung dieser Arbeit. Vielmehr konnten die zahlreichen Fehler helfen, Erkenntnisse über den Schreiber Hans Stortekare zu gewinnen. Sie legen eine fehlende Ausbildung oder Übung nahe und geben mangelnde Lateinkenntnisse zu erkennen. Für den Namen des Schreibers ist für das ausgehende 15. Jahrhundert nur ein Wismarer Hauptbootsmann belegt. Die als nordniederdeutsch bestimmte Schreibsprache und die fehlerhafte Abschrift stützen die Hypothese, dass es sich bei eben diesem um den Schreiber handeln könnte. Die Textbestandanalyse konnte nicht nur den ersten Eindruck der Handschrift korrigieren, sondern auch eine bislang in der gesamten deutschsprachigen ‚Marienleben‘-Überlieferung unbekannte Binnenepisode zu Tage fördern. Die Ergänzung betrifft die Begegnung der Heiligen Familie mit Räubern auf der Flucht nach Ägypten und rekurriert auf eine Episode, die in zahlreichen apokryphen Erzählungen aus Orient und Okzident begegnet, im deutschsprachigen Raum aber bislang nur über die Wolfenbütteler Heinrich von München-Handschrift und ihre Prosabearbeitung, die ‚Neue Ee‘, bekannt war. Wie gezeigt werden konnte, liegt in Lü eine späte Interpolation vor, die einen signifikanten narrativen Effekt nach sich zieht: Auf der Handlungsebene macht sie eine über Auslassungen entstandene Inkongruenz rückgängig: Lü kennt die Heilung Leprakranker durch Maria, nicht aber durch Jesus. Über die Ergänzung der Binnenerzählung, die von Jesu Heilung eines leprakranken Räuberkinds erzählt, wird die für Philipps ‚Ma 

7 Lähnemann 2016b, S. 122. 8 Vgl. Lähnemann 2016b, bes. S. 122.

278

5 Maria im Norden – Ergebnisse und Perspektiven

rienleben‘ charakteristische Parallelität zwischen Gottesmutter und Gottessohn wiederhergestellt. Auf der Grundlage des Schreiberprofils ist von einer bereits kompilierten Vorlage auszugehen. Stortekares Abschrift bezeugt dennoch, dass auch im niederdeutschen Sprachraum erweiterte Textfassungen zirkulierten, d. h. dass eine kreative Auseinandersetzung mit dem Text im Norden stattfindet und nicht per se ausgeschlossen werden kann. Die Zusatzverse belegen, dass die bislang nur für ober- und mitteldeutsche Handschriften bezeugte „überlieferungstypische Offenheit des ML für die Interpolation thematisch verwandter Dichtungen“9 auch für die niederdeutsche Überlieferung gilt. Die Untersuchung von Lü unterstreicht demnach die Notwendigkeit, jedem einzelnen Textzeugen einer Erzählung – auch den späten Abschriften – Aufmerksamkeit zu schenken, um ihre Textgeschichte umfassend zu begreifen.  

5.2.4 Devotio moderna, Heilkunde, Wissenschaft: Die Rezeptionskontexte von Be Zentrales Merkmal von Be ist die Rahmung des ‚Marienleben‘: Zum einen folgt unmittelbar im Anschluss eine zusätzliche beschriebene Lage desselben Papiers, zum anderen wurden Drucke des 16. Jahrhunderts vorgebunden. Als Mischband bietet Be so eine Möglichkeit, die Handschrift im ausgehenden 15. Jahrhundert mit Drucken im frühen 16. Jahrhundert zu vergleichen. Sämtliche Unterschiede in der Gestaltung, die in der Handschrift Lü vom Jahr 1489 verschleiert werden, treten hier noch deutlich zutage: Die Abschrift macht einen unruhigen und hastigen Eindruck, der die Lesbarkeit erschwert. Fehlende Sorgfalt wird auch in den zahlreichen übersprungenen Versen und Rubriken deutlich. Die unmittelbar an das ‚Marienleben‘ anschließenden einprägsamen Weisheiten geben Anweisungen für ein gottgefälliges Leben. Deren Dringlichkeit wird über sich stetig wiederholende Bezugnahmen auf das Jüngste Gericht verstärkt. Ebenso wie für Wo lässt sich die Ergänzung weiterer Texte in Be mit einer Auslassung in dieser speziellen ‚Marienleben‘-Fassung verbinden: Philipps Dichtung bricht in Be ab, kurz bevor Maria im himmlischen Reich vor Gottes Thron tritt. An geeigneter Stelle werden die Rezipientinnen und Rezipienten an den Zusammenhang von vorbildlichem Verhalten im Diesseits und entsprechendem Lohn im Jenseits bzw. an den Zusammenhang von sündhaftem Verhalten im Diesseits und entsprechender Strafe im Jenseits erinnert. Auch sie werden wie

9 Gärtner 1978, S. 383.

5.2 Singularität

279

Maria vor Gott treten müssen. Über den Zusatz findet somit auch eine Einbindung der Adressatinnen und Adressaten in das Erzählgeschehen statt. Die erst nachträglich angebundenen Drucke wurden in der vorliegenden Arbeit als Hinweise auf mögliche Rezeptionskontexte gelesen. Das Erbauungsbuch ‚Van der navolginghe Jesu Cristi‘ von Thomas a Kempis legt einen Zusammenhang mit der Devotio moderna nahe. Der ‚Spiegel der Seelen‘ wiederum fokussiert mit seiner Ars-moriendi-Thematik die Passion Christi. Wie die anschließende Textbestandsanalyse zeigen konnte, fehlt Be der gesamte Passionsblock H. Über den zweiten vorgebundenen Druck wird somit auch hier eine erzählerische Lücke gefüllt. Die Abschrift behält den Reimpaarvers zwar größtenteils bei, lässt den formalen Aufbau der Dichtung aber im Layout verschwinden. Die Untersuchung des Textbestands bestätigte den von Gärtner bereits genannten Vorlagenwechsel: Im ersten Drittel stimmt Be eindeutig mit Wo überein, im zweiten mit O. Die Parallele zur Handschrift Lü konnte für das erste Textdrittel ergänzt, der Übergangsraum des Vorlagenwechsels korrigiert werden. Das ‚Marienleben‘ der Handschrift Be wurde in den 1470er-Jahren fertiggestellt. Deutliche Gebrauchsspuren sprechen dafür, dass die Abschrift lange nicht oder nur schlecht eingebunden war. Unter den zeitgenössischen Nachträgen begegnen Rezepte, die auf ein heilkundliches Umfeld schließen lassen. Dieses Umfeld ist auch zu einem späteren Zeitpunkt von Belang: Im 18. Jahrhundert ist der Einbecker Arzt Gerhard Friedrich von Einem im Besitz der Handschrift. Im späten 18. Jahrhundert geht Be dann an den Diakon Johann Friedrich August Kinderling, der sie als Abschrift von Philipps ‚Marienleben‘ identifiziert. Nach Kinderlings Tod erwirbt Friedrich Heinrich von der Hagen die Handschrift und berücksichtigt sie sporadisch in seinen Arbeiten. Da sein Nachlass an die Staatsbibliothek zu Berlin geht, gelangt Be bereits früh in eine Bibliothekssammlung. Doch auch die frühe Aufnahme in ein forschungsnahes Umfeld konnte nicht zu der Erforschung dieser Handschrift verleiten. Eine eingehende Untersuchung wurde erstmals mit der vorliegenden Arbeit geleistet.

5.2.5 Objekt- und Bibliotheksbiographien: Die Provenienz von O als Aufgabe Alleinstellungsmerkmal der Handschrift O ist ihr Format: Nur hier ist das niederdeutsche ‚Marienleben‘ im Oktavformat erhalten. Eine derart handliche Abschrift deutet auf eine Konzeption als mobiler Textträger hin. O weist in der Tat einige Gebrauchsspuren auf, die für eine ausführliche Lektüre sprechen. Zu den größten Schäden zählt der Verlust der letzten Lage, wodurch der Text bereits in K18 abbricht.

280

5 Maria im Norden – Ergebnisse und Perspektiven

Der Handschrift selbst konnten kaum Hinweise auf ihre Provenienz entnommen werden, auch der besitzenden Institution war ihre Herkunft vor Abschluss dieser Arbeit unbekannt. Die vorliegende Studie konnte mehr Klarheit schaffen: Das Wasserzeichen und die Schrift legen eine Datierung in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts nahe. Die Schreibsprache weist in den nordniederdeutschen Raum. Für die Herstellung in einem gelehrten Kontext sprechen die Fragmente von Johannes Capreolus’ ‚Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis‘ im vorderen und hinteren Spiegel. Die in O überlieferte Textfassung ist in der vollständigen Version nur in dieser Handschrift bezeugt. Für die letzten zwei Drittel liegen zahlreiche Übereinstimmungen mit Be vor. Kennzeichen beider Handschriften ist ein Verzicht auf die Passion (H1–32) und somit eine drastische Textkürzung, die das ‚Marienleben‘ gänzlich auf das Leben der Gottesmutter konzentriert. Die Handschrift O lässt in ihrer Schreibung ein deutliches Bemühen um Einheitlichkeit erkennen und nimmt dafür auch Sinnentfremdungen in Kauf. Derartige Normierungstendenzen sind seit dem späten 14. Jahrhundert insbesondere für den nordniederdeutschen Raum belegt und unterstützen die Lokalisierung der Abschrift in diesen Raum.10 Eine Recherche im Archiv der Universität Oxford ergab, dass die Handschrift im März 1861 für £1.7.0 Pfund erworben wurde und zwar gemeinsam mit einer Handschrift aus dem Kartäuserkloster Erfurt, deren vorderer Spiegel in gleicher Weise wie O um Papierausschnitte – u. a. um einen Ausschnitt aus einem Auktionskatalog – ergänzt wurde. Wie lange die beiden Handschriften bereits gemeinsam weitergegeben bzw. -verkauft wurden, ließ sich nicht rekonstruieren. Die verhältnismäßig späte Aufnahme der Handschrift in einen Bibliothekskontext unterscheidet O von den bisher untersuchten Handschriften, die entweder im Zuge des Einzugs einer Klosterbibliothek (W, Wo, Lü) in eine Bibliothek kamen oder bereits früh im Besitz eines Wissenschaftlers waren (Be). Auch für O gilt jedoch, dass aus der Aufnahme in einen forschungsnahen Kontext keineswegs eine Erforschung resultiert. Die Analyse der Handschrift O ist beispielhaft dafür, dass auch unscheinbar wirkende, sekundär ergänzte Notizen und Schriftstücke genutzt werden können, um Leerstellen in der ‚Biographie‘ eines Objektes zu schließen. Auf diese Weise wird die Weitergabe einer Handschrift schrittweise zurückverfolgt, um so nah wie möglich an ihren Entstehungskontext zu gelangen. Diese Methode kann jedoch nur dann gewinnbringend eingesetzt werden, wenn ausreichend Informationen über Auktionen und Bibliothekssystematiken gesichert sind. Der Fall der Oxfor 

10 Vgl. Bischoff / Peters 2000, S. 1491.

5.2 Singularität

281

der Handschrift zeigt: Um ‚Objektbiographien‘ zu schreiben, sind ‚Bibliotheksbiographien‘ unabdingbar.

5.2.6 Die textgeschichtliche Relevanz eines Fragments: Die 26 Verse von Nr. 110 Das Fragment Nr. 110 überliefert ein nur sechsundzwanzig unvollständige Verse umfassendes Stück aus J3. Anhand der Maße der erhaltenen Bruchstücke und der rekonstruierten Länge eines Einzelverses ist von einem zweispaltigen Layout auszugehen. Eine derartige Gestaltung galt bislang in Verbindung mit dem Beschreibstoff Pergament als charakteristisch für frühe Handschriften aus dem mitteldeutschen Raum.11 Neben der zweispaltigen Texterfassung auf Pergament spricht auch die Schriftart für eine frühe Abschrift. Die verwendete Textualis legt das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts nahe. Anhand der Schreibsprache konnte das Fragment zwar eindeutig dem niederdeutschen Raum zugeordnet werden, eine genaue Lokalisierung war wegen des knappen Textumfangs nicht möglich. Lediglich das Ostfälische ist aufgrund der Verwendung ungerundeter Pronomen auszuschließen. Da Wo und Lü auf eine Wiedergabe der Marienregel (J3) verzichten, konnten für einen Vergleich nur die Vollhandschriften W, Be und O herangezogen werden. Dieser ergab zahlreiche Gemeinsamkeiten, auf deren Grundlage Nr. 110 eindeutig den x-Handschriften zugeordnet werden konnte. Das Fragment erhält jedoch auch drei signifikante, bisher für die gesamte deutschsprachige x-Gruppe unbekannte Varianten und gewinnt so an textgeschichtlicher Relevanz.

5.2.7 Die überlieferungsgeschichtliche Relevanz eines Fragments: Nr. 35 vom Jahr 1324 Das Fragment Nr. 35 ist im Prozess der Nachlassverwaltung seines letzten bekannten Besitzers, des Heimatforschers Hans Müller-Brauel (gest. 1940), verloren gegangen. Sämtliche Aussagen über seine Materialität und seinen Textbestand stützen sich daher auf Beschreibungen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die dort angegebenen Maße des Pergamentdoppelblattes lassen auf ein mit der Oktavhandschrift O vergleichbares Format schließen. Wie in der Mehrheit der Vollhandschriften sind auch hier die Verse einspaltig und abgesetzt erfasst. Das

11 Vgl. Gärtner 1978, S. 154 sowie u. a. die mitteldeutschen Handschriften Nr. 4, Pa, und Pr.  

282

5 Maria im Norden – Ergebnisse und Perspektiven

Fragment enthält einen Auszug aus K1 und die letzten elf Verse des Epilogs. Im Anschluss an den letzten Vers von Philipps Werk steht ein lateinisches Kolophon, mit dem die Abschrift auf das Jahr 1324 datiert wird. Es handelt sich damit um den ältesten Textzeugen innerhalb des niederdeutschen Textkorpus und um den ältesten datierten Textzeugen der gesamten deutschsprachigen ‚Marienleben‘Überlieferung. Die Abschrift enthält überwiegend nordniederdeutsche Merkmale und zeigt so, wie früh Philipps ‚Marienleben‘ bereits im nördlichen niederdeutschen Sprachgebiet verbreitet war. Ein Vergleich des Textbestands mit den Vollhandschriften ergab die meisten Gemeinsamkeiten mit der ebenfalls nordniederdeutschen Abschrift Lü. Der älteste und der jüngste Textzeuge im Korpus sind demnach miteinander verwandt. Diese Nahbeziehung stützt die für Lü gewählte Bezeichnung als ‚konservative Handschrift‘. An das ‚Marienleben‘ schließt eine oberdeutsche Adventspredigt von gleicher Hand an. Das mit einem lateinischen Kolophon versehene ‚Marienleben‘ wird demnach um eine weitere Schreibsprache ergänzt und findet sich so – als niederdeutsche Fassung einer in der Steiermark entstandenen Übertragung einer lateinischen Dichtung – im Spannungsfeld seiner Sprachgeschichte wieder. Der Bezug zur Vorweihnachtszeit ist über ober- und mitteldeutsche Handschriften bekannt. Auch hier schließt, wie im Fall von Wo und Be, der folgende Text thematisch an das ‚Marienleben‘ an, da auch er die Bedingungen eines gottgefälligen Lebens mit Blick auf das Jüngste Gericht diskutiert.

5.2.8 Ein früher Vertreter der Gruppe Wo Lü: Das Pergamentdoppelblatt Nr. 118 Das Fragment Nr. 118 ist ebenfalls verschollen, Grundlage der Untersuchung war daher eine Beschreibung aus dem frühen 20. Jahrhundert. Der letzte bekannte Besitzer ist der Kopenhagener Kunstprofessor Sigurd Wandel, der das ‚Marienleben‘ als Bestandteil seiner Sammlung historischer Bucheinbände im Jahr 1923 versteigern ließ. Als Käufer konnte Victor Petersen ermittelt werden, der seiner Zeit Archivar am Universitätsarchiv Kopenhagen war. Der Besitz dieses Archivs ist inzwischen in den Bestand der Dänischen Königlichen Bibliothek übergegangen; Bemühungen, es dort wiederzufinden, waren erfolglos. Das Fragment verbindet Gestaltungsprinzipien der bisher untersuchten Fragmente: Es handelt sich ebenso wie bei Nr. 35 um ein Pergamentdoppelblatt, der Text ist ebenso wie bei Nr. 110 in zwei Spalten und abgesetzten Versen erfasst. Die Datierung der Beschreibung, ca. 1400, konnte nicht überprüft, die Schreibsprache anhand der Transkription aber als nordniederdeutsch bestimmt werden. Nr. 118 überliefert einen Auszug aus dem Ende des Passionsblock H und den daran anschließenden Episoden I1–6. Ein Vergleich der Transkription von Nr. 118

5.3 Kontinuität und Singularität

283

mit den niederdeutschen Vollhandschriften ergab eine Zuordnung zur Gruppe von Wo und Lü. Die in Wo ausgefallenen Verse liegen in dem Fragment vor, die in Lü fehlerhaften Verse sind in dem Fragment korrekt erfasst. Nr. 118 stellt damit einen frühen Vertreter der Gruppe von Wo und Lü dar, der den Text vollständiger und ursprünglicher erhält.

5.2.9 Kritische Rezeption im Norden: Die *V-Bearbeitung in Nr. 115 Nr. 115 ist mit 63 Blättern das umfangreichste niederdeutsche Fragment. Es ist zudem das einzige Fragment, das wie die Vollhandschriften den Beschreibstoff Papier und nicht Pergament aufweist. Auch das Textlayout erinnert an die vollständig erhaltenen Handschriften: Der Text ist einspaltig und in abgesetzten Versen erfasst und nach einem einheitlichen Gestaltungsprinzip mit roter Tinte verziert. Auf der Grundlage von Material und Schrift kann Nr. 115 in die Mitte des 15. Jahrhunderts datiert werden. Die Schreibsprache ist eindeutig ostfälisch. Das Fragment wurde gemeinsam mit einem ostfälischen Auszug aus Stephans von Dorpat ‚Cato‘ als Einbandmakulatur verwendet. Auch hier erscheint ein ‚Marienleben‘-Textzeuge demnach in einem Zusammenhang mit mittelalterlicher Lehrliteratur, wie er für Ostfalen bereits für W konstatiert wurde. Das Rostocker Fragment liefert den Beweis dafür, dass in niederdeutscher Schreibsprache nicht nur die x-Fassung von Philipps ‚Marienleben‘ zirkulierte: Der Text ist der sogenannten *V-Bearbeitung zuzuordnen. Diese Fassung des ‚Marienleben‘ ist von zahlreichen Eingriffen in das Reimschema geprägt, die eine stilistische Verbesserung bezwecken. *V war bislang nur im mittel- und oberdeutschen Sprachraum bezeugt und dort überaus weit verbreitet. Nr. 115 zeigt, dass auch im niederdeutschen Norden eine Rezeption der hochdeutschen „kritische[n] Rezeption“12 des ‚Marienleben‘ stattgefunden hat.

5.3 Kontinuität und Singularität Schon Gärtner hatte in seiner Untersuchung der Überlieferungsgeschichte die Bedeutung jedes einzelnen Textzeugen betont und dabei auf Friedrich Neumann verwiesen:

12 Gärtner 1978, S. 378.

284

5 Maria im Norden – Ergebnisse und Perspektiven

Jede Handschrift, auch die schlechteste, ist bei aller Abhängigkeit ein geschichtliches Individuum, eine durch den geschichtlichen Standort des Schreibers festgelegte Sonderausgabe eines Werkes.13

Wie die soeben präsentierten Handschriftenprofile darlegen, sind auch die niederdeutschen Handschriften und Fragmente, ebenfalls im Sinne Neumanns, „geschichtliche Zeugen eigener Aussage“14. Die Analyse ihrer Überlieferungs- und Textgeschichte konnte mit zahlreichen in der Forschung bislang vorherrschenden Vorurteilen aufräumen und den niederdeutschen Sprachraum als abwechslungsreiche, aber auch von Beständigkeit geprägte Literaturlandschaft zu erkennen geben. Sie zeigt, wie ergiebig nicht nur die Untersuchung originär niederdeutscher, sondern auch mittelhochdeutscher Literatur im niederdeutschen Sprachraum ist.

13 Neumann 1964, S. 648, zitiert bei Gärtner 1978, S. 38. Vgl. hierzu auch Becker 1977, S. 12. 14 Neumann 1964, S. 688.

6 Anhang 6.1 Transkriptionsrichtlinien Sofern nicht anders angegeben, folgen alle Transkriptionen dieser Arbeit den folgenden Richtlinien: Abkürzungen werden stillschweigend aufgelöst, Schaft-s wird als Rund-s dargestellt, es findet kein u/v-, i/j/y-Ausgleich statt. Ergänzungen stehen in eckigen Klammern, für unlesbare Buchstaben wird [:] verwendet. Die Groß- und Kleinschreibung entspricht der jeweiligen Handschrift, nur bei Eigennamen und Rubriken wird der Anfangsbuchstabe großgeschrieben. Spatien zwischen zusammengehörenden Wörtern werden aufgehoben, fälschlicherweise zusammengefasste Wörter getrennt. Historische Korrekturen werden in die Transkription integriert. Es wird keine Interpunktion ergänzt.

6.2 Handschriften- und Druckverzeichnis 6.2.1 Bruder Philipp: ‚Marienleben‘

1

A/80: Alba Julia / Karlsburg, Biblioteca Bátthyáneum, Cod. R II 104 (Kat.-Nr. 263) B/6: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 13 Be/9: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 760 Bn/10: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 865 D/86: Dessau, Landesbücherei, Hs. Georg. 18.4° G/15: Gotha, Forschungsbibliothek, Cod. Memb. II 37 Go/16: Gotha, Forschungsbibliothek, Cod. Chart. B 174a H/19: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 394 Ha/18: Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. 146 in scrin. He/20: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 525 J/21: Jena, Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. Bos. q. 8 K/26: Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 20 Ka/82: Kassel, Universitätsbibliothek − Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, 2° Ms. theol. 4 Ko/27: Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 52 Kr/22: Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 88 L/32: London, British Library, Add MS 10432

1 Es folgt eine Auflistung aller in dieser Arbeit berücksichtigten ‚Marienleben‘-Handschriften, -Fragmente und -Auszüge mit ihren Buchstaben- und Zahlensiglen, vgl. die einleitenden Bemerkungen zu Kap. 2.2. Für eine vollständige Auflistung aller bekannten Textzeugen vgl. Gärtner 1978 und den laufend aktualisierten Eintrag im Handschriftencensus: http://www.handschriftencensus.de/werke/495 (12. Oktober 2019).

https://doi.org/10.1515/9783110676822-006

286

6 Anhang

Lü/33: Lübeck, Stadtbibliothek, Ms. theol. germ. 4° 23 Mü/39: München, Staatsbibliothek, Cgm 441 N/24: Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Cod. 1242 O/78: Oxford, Taylor Institution Library, MS 8° G.2. P/48: Pommersfelden, Gräflich Schönbornsche Schloßbibliothek, Cod. 46 (2797) Pa/47: Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. allem. 206 Pr/103: Prag, Archiv der Prager Burg / Bibliothek des Metropolitankapitels, Cod. G 49 St/52: Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. poet. et phil. 4° 8 U/56: Uppsala, Landesarchiv, Depositio Schytteana I E 2 V1/59: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2709 V3/60: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2735 W/66: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 937 Helmst. Wf/67: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 18.21.1 Aug. 4° Wo/65: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 894 Helmst. [keine Buchstabensigle/]4: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. fol. 757, Bll. 6–7 [keine Buchstabensigle/]11: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 1493 [keine Buchstabensigle/]34: Panschwitz-Kuckau, Kloster St. Marienstern, Cod. B 1716-717 Oct. 11 [keine Buchstabensigle/]35: Privatbesitz Hans Müller-Brauel, Haus Sachsenheim bei Zeven, Nr. 42 [keine Buchstabensigle/]62: Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 102 [keine Buchstabensigle/]71: Breslau, Universitätsbibliothek, Cod. I Q 326 [keine Buchstabensigle/]95: München, Staatsbibliothek, Cgm 279 [keine Buchstabensigle/]110: Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek, Hs. 1500,25 [keine Buchstabensigle/]115: Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 102a [keine Buchstabensigle/]118: Privatbesitz Sigurd Wandel, Kopenhagen, Cod. 29 [keine Buchstabensigle/]119: Leipzig, Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Klemm-Sammlung I,8

6.2.2 Heinrich von München: ‚Weltchronik‘ mit Bruder Philipps ‚Marienleben‘ 89: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. fol. 1107 90: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. fol. 1416 91: Gotha, Forschungsbibliothek, Cod. Chart. A 3 92: Graz, Universitätsbibliothek, Cod. 470 93: München, Staatsbibliothek, Cgm 7330 94: München, Staatsbibliothek, Cgm 7377 96: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2768 97: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1.16 Aug. 2° 100: München, Staatsbibliothek, Cgm 7364

6.2.3 ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘ Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Hist. 156 Mainz, Stadtbibliothek, Hs. I 200

6.2 Handschriften- und Druckverzeichnis

München, Staatsbibliothek, Clm 12518 München, Staatsbibliothek, Clm 18842 München, Staatsbibliothek, Clm 28841 Oxford, Bodleian Library, MS. Add. A. 286 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 30.12 Aug. 4°

6.2.4 Walther von Rheinau: ‚Marienleben‘ Innsbruck, Landesmuseum Ferdinandeum, Cod. FB 1519/VI Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 35 Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 8° 144 Zürich, Zentralbibliothek, Ms. C 79c, Bll. 7–8

6.2.5 Wernher der Schweizer: ‚Marienleben‘ Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 372

6.2.6 Weitere mittelalterliche Handschriften und Fragmente Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. fol. 1396 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. fol. 1428 Chicago, University of Chicago Library, MS 686 Dublin, Royal Irish Academy, 23 P 16 (1230) Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, fondo Palatino, Ms. 125 Gotha, Forschungsbibliothek, Cod. Chart. B 180 Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek, Ms. XX 1173 Hereford, Cathedral Library, 0.3.9, ms H London, British Library, Add MS 47682 London, British Library, Arundel MS 404 London, British Library, Harley MS 3199 Lübeck, Stadtbibliothek, Ms. theol. germ. 8° 34 Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Cod. E 96 sup. Minneapolis (Minnesota), University Library, MS Z822 N81 München, Staatsbibliothek, Cgm 370 München, Staatsbibliothek, Cgm 522 Oxford, Bodleian Library, Holkham gr. 9 (olim 93) Oxford, Bodleian Library, Holkham gr. 24 (olim 90) Oxford, Bodleian Library, MS. Canon. Ital. 280 Oxford, Taylor Institution Library, MS 8° G.1. Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. gr. 808 (olim Regius 23422) Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. fr. 1533

287

288

6 Anhang

Rom (Vatikanstadt), Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Ottob. gr. 411 Rom (Vatikanstadt), Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 6300 Rostock, Universitätsbibliothek, Mss. philol. 86a San Lorenzo de El Escorial, Real Biblioteca del Monasterio, Ms. K-III-4 Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 8° 57 Trier, Stadtbibliothek, Hs. 550 (1538) Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, gr. app. II,87 (olim Nanianus CIX) Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, gr. app. II,97 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2862 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 56.2 Aug. 4° Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1136 Helmst. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1189 Helmst. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1291 Helmst.

6.2.7 Nicht-mittelalterliche, handschriftliche Quellen Athos, Kloster des Hl. Pantaleon, 742 Athos, Kloster des Hl. Pantaleon, 744 Athos, Kloster Iviron, 692 Athos, Kloster Megisti Lavra, H 31 Berlin, Staatsbibliothek, Acta KB III B 48 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 7 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 8 Oxford, Oxford University Archives, TL 1/6/1 Oxford, Oxford University Archives, TL 2/15/1 Oxford, Oxford University Archives, TL 3/2/1 Oxford, Oxford University Archives, TL 3/55/1 Oxford, Taylor Institution Library, Bibliothekskatalog (ab 1847) [ohne Signatur] Oxford, Taylor Institution Library, Bibliothekskatalog (ab 1870), 2 Bde. [ohne Signatur] Oxford, Taylor Institution Library, Handlists [ohne Signatur] Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. Suppl. gr. 1169 St. Petersburg, Bibliothek der Russischen Akademie der Wissenschaften, RAIK 166 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, BA III, 52 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2° Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 705 Novi Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. A Extrav.

6.2.8 Drucke GW 09253: Die Neue Ehe. Daran: Johannes de Hildesheim: Historia beatissimorum trium regum, niederdeutsch. Lübeck: [Lukas Brandis], 20.VIII.1478. 4°. – Londoner Exemplar eingesehen (London, British Library, IA.9823).

6.3 Literaturverzeichnis

289

GW 09254 Die Neue Ehe. Daran: Johannes de Hildesheim: Historia beatissimorum trium regum, niederdeutsch. Lübeck: [Drucker des Calderinus (GW 5897)], 20.XI.1482. 4°. – Wolfenbütteler Exemplar eingesehen. GW 0925450N: Die Neue Ehe. Daran: Johannes de Hildesheim: Historia beatissimorum trium regum, niederdeutsch. [Lübeck: Matthäus Brandis, um 1495]. 4°. – Moskauer Exemplar eingesehen. GW M25858 Natalibus, Petrus de: Catalogus sanctorum. Mit Beig. von Antonius Verlus. Vicenza: Rigo di Ca Zeno, 12.XII.1493. 2°. Londoner Exemplar eingesehen (London, British Library, IB.31854).

6.3 Literaturverzeichnis Adler 2010: Georg Adler, Handbuch Buchverschluss und Buchbeschlag. Terminologie und Geschichte im deutschsprachigen Raum, in den Niederlanden und Italien vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart, Wiesbaden 2010. Alvar 1965: Libro de la infancia y muerte de Jesús (Libre dels tres reys d’Orient), hg. von Manuel Alvar, Madrid 1965 (Clásicos hispánicos 2, Ediciones críticas 8). Andersen / Lähnemann / Simon 2014: Elizabeth Andersen, Henrike Lähnemann und Anne Simon, Introduction: Mysticism and Devotion in Northern Germany. In: A Companion to Mysticism and Devotion in Northern Germany in the Late Middle Ages, hg. von dens., Leiden / Boston 2014, (Brill’s Companions to the Christian Tradition 44) S. 1–19. Andersen / Raasted 1983: Merete Geert Andersen und Jørgen Raasted, Inventar over Det kongelige Biblioteks Fragmentsamling, Kopenhagen 1983. Asseburg 1964: Günter Asseburg, Bruder Philipps Marienleben. Bd. 1: Philologische Untersuchungen. Bd. 2: Literarhistorische Untersuchungen, Diss. Hamburg 1964. Asseburg 2008: Günter Asseburg, Bruder Philipps Marienleben – Das erste Buch im Spiegel seiner Nebenquellen. In: Liber Amicorum James Hogg. Kartäuserforschung 1970–2006. Internationale Tagung Kartause Aggsbach 28.8.–1.9.2006 Kartause Mauerbach. Bd. 5, hg. von Meta Niederkorn-Bruck, Salzburg 2008, (Analecta Cartusiana 210) S. 3–79. Asseburg 2015: Günter Asseburg, Bruder Philipps Marienleben. Zum Verständnis des zweiten Buches, Wedel, Holstein 2015. Augustyn 2001: Wolfgang Augustyn, Die Flucht nach Ägypten. In: RDK, 9, 2001, Sp. 1352–1432. Baesecke 1907: Georg Baesecke, Der Tisch im Himmelreich. In: NdJb, 33, 1907, S. 129–135. Baier / Ruh 1985: Walter Baier und Kurt Ruh, Ludolf von Sachsen. In: 2VL, 5, 1985, Sp. 967–977. Baldzuhn 2009: Michael Baldzuhn, Schulbücher im Trivium des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Die Verschriftlichung von Unterricht in der Text- und Überlieferungsgeschichte der ‚Fabulae‘ Avians und der deutschen ‚Disticha Catonis‘. 2 Bde, Berlin 2009 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 44). Barth 2016: Clemens Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 23,1. Religiöse Werke 2,1: Leben Mariä, hg. von Johannes Barth, Stuttgart 2016 (Frankfurter Brentano-Ausgabe). Bartsch 1858: Karl Bartsch, Rezension zu: Lohengrin. Zum erstenmale kritisch herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Dr. Heinr. Rückert, Prof. extraord. zu Breslau. Quedlinburg und Leipzig, G. Basse. 1858. VI. u. 292 Seiten 8° (1 1/2 Thlr.). In: Germania, 3, 1858, S. 244–251.

290

6 Anhang

Bayerschmidt 1934: Carl F. Bayerschmidt, A Middle Low German Book of Kings. From a Manuscript in the Lübeck Municipal Library, New York 1934. Beck 2017: Wolfgang Beck, Deutsche Literatur des Mittelalters in Thüringen. Eine Überlieferungsgeschichte, Stuttgart 2017 (ZfdA, Beiheft 26). Becker 1977: Peter Jörg Becker, Handschriften und Frühdrucke mittelhochdeutscher Epen. Eneide, Tristrant, Tristan, Erec, Iwein, Parzival, Willehalm, Jüngerer Titurel, Nibelungenlied und ihre Reproduktion und Rezeption im späteren Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1977. Beckers 1976: Hartmut Beckers, Desse boke de horn den greve van der hoien vnde sint altomale dudesk. Ein Versuch zur literarhistorischen Identifizierung des Handschriftenbestandes einer niedersächsischen Adelsbibliothek des späten 15. Jahrhunderts. In: Niederdeutsches Wort, 16, 1976, S. 126–143. Beckers 1995a: Hartmut Beckers, Stephan von Dorpat. In: 2VL, 9, 1995, Sp. 290–293. Beckers 1995b: Hartmut Beckers, ‚Der Tisch im Himmelreich‘. In: 2VL, 9, 1995, Sp. 940f. Bein 2011: Thomas Bein, Textkritik. Eine Einführung in Grundlagen germanistisch-mediävistischer Editionswissenschaft. Lehrbuch mit Übungsteil. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Frankfurt a. M. u. a. 2011. Beissel 1909: Stephan Beissel, Geschichte der Verehrung Marias in Deutschland während des Mittelalters. Ein Beitrag zur Religionswissenschaft und Kunstgeschichte, Freiburg 1909. Bender 1978: Susanne Krogh Bender, Københavns Universitets arkiv som kilde til kultur- og lokalhistorie. In: Fortid og Nutid, 27, 1978, S. 513–529. Bergmann 1986: Rolf Bergmann, Katalog der deutschsprachigen geistlichen Spiele und Marienklagen des Mittelalters, München 1986 (Veröffentlichungen der Kommission für Deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften). Bertheau 1882: Carl Bertheau, Johann Friedrich August Kinderling. In: Allgemeine Deutsche Biographie, 15, 1882, S. 754. Bezzenberger 1872: Heinrich Ernst Bezzenberger, Fridankes Bescheidenheit, Halle 1872. Online: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11014023-5 (12. Oktober 2019). Bilby 2016: Mark Glen Bilby, The Hospitality of Dysmas. A new translation and introduction. In: New Testament Apocrypha. More Noncanonical Scriptures. Bd. 1, hg. von Tony Burke und Brent Landau, Grand Rapids, Michigan 2016, S. 39–51. Bilby 2017: Mark Glen Bilby, Hospitality and Perfume of the Bandit. In: e-Clavis, Christian Apocrypha, 2017. Online: http://www.nasscal.com/e-clavis-christian-apocrypha/hospitality-and-perfume-of-the-bandit/ (12. Oktober 2019). Birch 1804: Auctarium Codicis apocryphi N. T. Fabriciani. Bd. 1, hg. von Andreas Birch, Kopenhagen 1804. Bischoff 1986: Bernhard Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters. 2., überarbeitete Auflage, Berlin 1986 (Grundlagen der Germanistik 24). Bischoff / Peters 2000: Karl Bischoff und Robert Peters, XI. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstufen IV: Das Mittelniederdeutsche. 107. Reflexe gesprochener Sprache im Mittelniederdeutschen. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Bd. 2,2, hg. von Werner Besch u. a. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Berlin / New York 2000, (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2) S. 1491–1495. Bobertag 1886a: Felix Bobertag, Bruder Philipps des Kartäusers Marienleben. Einleitung. In: Erzählende Dichtungen des späteren Mittelalters, hg. von dems., Berlin / Stuttgart 1886, (Deutsche National-Litteratur. Historisch kritische Ausgabe 10) S. 3–6.  





291

6.3 Literaturverzeichnis

Bobertag 1886b: Bruder Philipps des Kartäusers Marienleben (V. 1–3095), hg. von Felix Bobertag. In: Erzählende Dichtungen des späteren Mittelalters, hg. von dems., Berlin / Stuttgart 1886, (Deutsche National-Litteratur. Historisch kritische Ausgabe 10) S. 7–92. Bodemann 1867: Die Handschriften der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, hg. von Eduard Bodemann, Hannover 1867. Online: https://archive.org/details/diehandschrifte00landgoog (12. Oktober 2019). Bodleian 2005: Bodleian Incunable Catalogue. Bd. 6, Oxford 2005.Online : https://www.bodleian.ox.ac.uk/weston/finding-resources/guides/rarebooks/bodleian_incunable_catalogue. (12. Oktober 2019). Bok / Gärtner 1989: Václav Bok und Kurt Gärtner, Ein neues Fragment von Philipps ‚Marienleben‘ in Brünn. In: PBB, 111, 1989, S. 81–92. Bolland 1956: Jürgen Bolland, Zur städtischen „Bursprake“ im hansischen Raum. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde, 36, 1956, S. 96–118. Bolland 1960a: Hamburgische Burspraken. 1346 bis 1594. Mit Nachträgen bis 1699. Bd. 1: Einleitung und Register, hg. von Jürgen Bolland, Hamburg 1960 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg 6,1). Bolland 1960b: Hamburgische Burspraken. 1346 bis 1594. Mit Nachträgen bis 1699. Bd. 2: Bursprakentexte, hg. von Jürgen Bolland, Hamburg 1960 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg 6,2). Borchling 1899: Conrad Borchling, Mittelniederdeutsche Handschriften in Norddeutschland und den Niederlanden. Erster Reisebericht. In: Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Geschäftliche Mittheilungen aus dem Jahre 1898, Göttingen 1899, S. 79–316. Online: https://archive.org/details/bub_gb_T0s0AQAAMAAJ (12. Oktober 2019). Borchling 1900: Conrad Borchling, Mittelniederdeutsche Handschriften in Skandinavien, Schleswig-Holstein, Mecklenburg und Vorpommern. Zweiter Reisebericht, Göttingen 1900 (Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-historische Klasse 1900 (Beiheft)). Online: http://www.archive.org/stream/ nachrichtenkniglgesellschaftgoett1900goog (12. Oktober 2019). Borchling 1902: Conrad Borchling, Mittelniederdeutsche Handschriften in Wolfenbüttel und einigen benachbarten Bibliotheken. Dritter Reisebericht, Göttingen 1902 (Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-historische Klasse 1902 (Beiheft)). Online: http://diglib.hab.de/drucke/ln-67/start.htm (12. Oktober 2019). Borchling 1904: Conrad Borchling, Rezension zu: The middle low german version of the legend of Mary Magdalen by Carl Edgar Eggert. Chicagoer diss. The journal of germanic philology press 1902, Bloomington Ind. [= The journal of germ. phil. vol. 4 no. 2, p. 132–215.] 8°. In: ZfdA, N.F. 35 = 47, 1904, S. 234–238. Böse 2008: Kristin Böse, Elisabeth von Thüringen als Identifikationsfigur in spätmittelalterlichen Frauenklöstern. Die Teppiche in Wienhausen und Helmstedt. In: Elisabeth von Thüringen und die neue Frömmigkeit in Europa, hg. von Christa Bertelsmeier-Kierst, Frankfurt a. M. u. a. 2008, (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 1) S. 230–250. Boud’hors / Boutros 2001: L’homélie sur l’église du Rocher attribuée à Timothée Ælure. Texte copte et traduction par Anne Boud’hors. Deux textes arabes et traductions par Ramez Boutros, Turnhout 2001 (Patrologia Orientalis 49,1). Bouveret 1967: Bénédictins du Bouveret, Colophons de manuscrits occidentaux des origines au XVIe siècle. Bd. 2: Colophons signés E–H (3562–7391), Fribourg/Schweiz 1967 (Spicilegii Friburgensis subsidia 3).  



292

6 Anhang

Boxler 1996: Madeleine Boxler, „ich bin ein predigerin und appostlorin“. Die deutschen Maria Magdalena-Legenden des Mittelalters (1300–1550). Untersuchungen und Texte, Bern u. a. 1996 (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700 22). Boxler Klopfenstein 2010: Madeleine Boxler Klopfenstein, Maria Magdalena. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Bd. 7, hg. von Wilhelm Kühlmann. 2., vollständig überarbeitete Auflage, Berlin / New York 2010, Sp. 689–691. Brévart 1980: Konrad von Megenberg, Die Deutsche Sphaera, hg. von Francis B. Brévart, Tübingen 1980 (Altdeutsche Textbibliothek 90). Brévart / Folkerts 1983: Francis B. Brévart und Menso Folkerts, Johannes de Sacrobosco. In: 2VL, 4, 1983, Sp. 731–736. Briquet 1923: Charles-Moïse Briquet, Les filigranes. Dictionnaire historique des marques du papier dès leur apparition vers 1282 jusqu’en 1600 avec 39 figures dans le texte et 16,112 fac-similés de filigranes. Bd. 4. 2. Auflage, Leipzig 1923. Brück 2014: Thomas Brück, Art. Seeleute. In: HanseLexikon, hg. vom Hansischen Geschichtsverein, 2014. Online: https://www.hansischergeschichtsverein.de/lexikon?suche=seeleute (12. Oktober 2019). Budge 1899: The History of the Blessed Virgin Mary and The History of the Likeness of Christ, hg. von Ernest A. Wallis Budge, London 1899 (Luzac’s Semitic Text and Translation Series 5). Bumke 1990: Joachim Bumke, Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter, München 1990 (dtv 4552). Burke 2017a: Tony Burke, History of the Virgin (East Syriac). In: e-Clavis, Christian Apocrypha, 2017. Online: http://www.nasscal.com/e-clavis-christian-apocrypha/history-of-the-virgineast-syriac/ (12. Oktober 2019). Burke 2017b: Tony Burke, Vision of Theophilus. In: e-Clavis, Christian Apocrypha, 2017. Online: http://www.nasscal.com/e-clavis-christian-apocrypha/vision-of-theophilus/ (12. Oktober 2019). Büttner 1987: Edgar Büttner, Die Überlieferung von ‚Unser vrouwen klage‘ und des ‚Spiegel‘, Erlangen 1987 (Erlanger Studien 74). Büttner 2017: Unser vrouwen klage / Der Spiegel, hg. von Edgar Büttner, Berlin / Boston 2017 (Altdeutsche Textbibliothek 124). Calaresu 2016: Antonella Calaresu, Die ‚Maria Magdalena-Legende‘ aus dem Codex Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., Cod. 894 Helmst. In: ZfdA, 145, 2016, S. 484–505. Cerquiglini 1989: Bernard Cerquiglini, Éloge de la variante. Histoire critique de la philologie, Paris 1989 (Des travaux). Chaplin 1967: Margaret Chaplin, The Episode of the Robbers in the Libre dels tres Reys d’Orient. In: Bulletin of Hispanic Studies 44,2, 1967, S. 88–95. Chicago Magazine 1926: o.A., Recent Notable Library Acquisitions. In: The University of Chicago Magazine, 18,7, 1926, S. 342. Online: http://pi.lib.uchicago.edu/1001/dig/campub/mvol0002-0018-0007/28 (12. Oktober 2019). Clausager 1978: Jørgen Peder Clausager, Rezension zu: Vejledende Arkivregistraturer XXI: Københavns Universitets Arkiv 1479–ca. 1910. Udgivet af Rigsarkivet. København, 1978. XXVI + 467 s. 80 kr. + moms. In: Personalhistorisk Tidsskrift, 98, 1978, S. 213–215. Claussen 1955/56: Bruno Claussen, Die Rostocker Bruchstücke des mittelniederdeutschen Cato. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, 5, 1955/56, S. 217–227. Clement 1987: Richard W. Clement, Joseph Regenstein Library, University of Chicago. In: The Library Quarterly, 57, 1987, S. 61–69.  

6.3 Literaturverzeichnis

293

Colin 2001: L’homélie sur l’église du Rocher attribuée à Timothée Ælure. Texte éthiopien et traduction, hg. von Gérard Colin, Turnhout 2001 (Patrologia Orientalis 49,2). Conway 1976: Charles Abbott Conway, The Vita Christi of Ludolph of Saxony and late medieval devotion centred on the incarnation. A descriptive analysis, Salzburg 1976 (Analecta Cartusiana 34). Costiner 2017: Lisander Costiner, La vita della beata Vergine Maria e di Cristo. The production, circulation and illustration of the Italian vernacular version of the Vita Rhythmica in the fourteenth and fifteenth centuries, Diss. Oxford 2017. Cowper 1867: The Apocryphal Gospels and Other Documents Relating to the History of Christ. Translated from the Originals in Greek, Latin, Syriac, etc. With Notes, Scriptural References and Prolegomena, hg. von B. Harris Cowper, London / Edinburgh 1867. Cullmann 1987: Oscar Cullmann, Kindheitsevangelien. In: Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien, hg. von Wilhelm Schneemelcher. 5. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten Sammlung, Tübingen 1987, S. 330–372. de Boor 1965: Bruder Philipp der Karthäuser. Aus dem ‚Marienleben‘: Mariae Himmelfahrt, hg. von Helmut de Boor. In: Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse. Bd. 1,1: Mittelalter. Texte und Zeugnisse, hg. von dems., München 1965, S. 454–460. de Ricci 1935: Seymour de Ricci, Census of Medieval and Renaissance Manuscripts in the United States and Canada. Bd. 1, New York 1935, Nachdruck New York 1961. de Roover 1963: Raymond de Roover, The Rise and Decline of the Medici Bank. 1397–1494, Cambridge, Massachusetts 1963 (Harvard Studies in Business History 21). Degering 1926: Hermann Degering, Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preußischen Staatsbibliothek. Bd. 2: Die Handschriften in Quartformat, Leipzig 1926 (Mitteilungen aus der Preußischen Staatsbibliothek 8). Online: http://bilder.manuscripta-mediaevalia.de/hs/kataloge/HSK0603b.htm (12. Oktober 2019). Denecke 1943: Ludwig Denecke, Philipp, Bruder. In: VL, 3, 1943, Sp. 880–891. Denecke 1955: Ludwig Denecke, Philipp, Bruder (Nachtrag). In: VL, 5, 1955, Sp. 894f. Derendorf / Schulte 1995: Brigitte Derendorf und Brigitte Schulte, Das Bücherverzeichnis im Memorienbuch des Lübecker Michaeliskonvents. In: Lingua Theodisca. Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft. Jan Goossens zum 65. Geburtstag, hg. von José Cajor, Ludger Kremer und Hermann Niebaum, Münster 1995 (Niederlande-Studien 16,2), S. 985–1010. Derolez 2003: Albert Derolez, The Palaeography of Gothic Manuscript Books. From the Twelfth to the Early Sixteenth Century, Cambridge 2003 (Cambridge Studies in Palaegraphy and Codicology 9). DFG 1992: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Unterausschuß für Handschriftenkatalogisierung, Richtlinien Handschriftenkatalogisierung. 5. erw. Auflage, Bonn 1992. Online: http://bilder. manuscripta-mediaevalia.de/hs//kataloge/HSKRICH.htm. (12. Oktober 2019). Dienstkatalog: Handschriftenkataloge der Königlichen Bibliothek und Preussischen Staatsbibliothek Berlin. Dienstkataloge in Kopien 10 (Original: Cat. A 557, 10). Bd. 2: Codices manuscripti germanici in quarto (Mss. germ. quart.), Berlin o.J. Docen 1806a: Bernhard Joseph Docen, Miscellaneen zur Geschichte der teutschen Sprache und Poesie. In: Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek zu München. Bd. 6, hg. von Johann Christoph von Aretin, München 1806, S. 113–224. Docen 1806b: Bernhard Joseph Docen, Zur Literatur einer altteutschen Marien-Legende in Reimen, aus dem XIII. Jahrhundert. In: Neuer Literarischer Anzeiger, 11, 1806, S. 167–169.

294

6 Anhang

Docen 1807a: Miscellaneen zur Geschichte der teutschen Literatur, neu-aufgefundene Denkmäler der Sprache, Poesie und Philosophie unsrer Vorfahren enthaltend. Bd. 1, hg. von Bernhard Josef Docen, München 1807. Docen 1807b: Miscellaneen zur Geschichte der teutschen Literatur, neu-aufgefundene Denkmäler der Sprache, Poesie und Philosophie unsrer Vorfahren enthaltend. Bd. 2, hg. von Bernhard Josef Docen, München 1807. Duden online: Dudenredaktion, Duden online: www.duden.de (12. Oktober 2019). Dygo 1989: Marian Dygo, The political role of the cult of the Virgin Mary in Teutonic Prussia in the fourteenth and fifteenth centuries. In: Journal of Medieval History, 15, 1989, S. 63–80. Dzon 2014: Mary Dzon, Out of Egypt, Into England. Tales of the Good Thief for Medieval English Audiences. In: Devotional Culture in Late Medieval England and Europe. Diverse Imaginations of Christ’s Life, hg. von Stephen Kelly und Ryan Perry, Turnhout 2014, (Medieval Church Studies 31) S. 147–241. EBDB: Einbanddatenbank, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Online: http://www.hist-einband.de (12. Oktober 2019). Eggert 1902: Carl E. Eggert, The Middle Low German Version of the Legend of Mary Magdalen. In: The Journal of Germanic Philology, 4, 1902, S. 132–214. Ehlen 2012a: Oliver Ehlen, Das Evangelium der Arundel Handschrift (London, British Library, Arundel 404). In: Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien und Verwandtes, hg. von Christoph Markschies und Jens Schröter. 7. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, S. 1003–1012. Ehlen 2012b: Oliver Ehlen, Das Pseudo-Matthäusevangelium. In: Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien und Verwandtes, hg. von Christoph Markschies und Jens Schröter. 7. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, S. 983–1002. Eis 1960: Gerhard Eis, Meister Albrants Roßarzneibuch. Verzeichnis der Handschriften. Text der ältesten Fassung. Literaturverzeichnis, Konstanz 1960. Eis / Vermeer 1965: Gabriel von Lebensteins Büchlein „Von den gebrannten Wässern“, hg. von Gerhard Eis und Hans J. Vermeer, Stuttgart 1965 (Veröffentlichungen der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie e.V. N.F. 27). Eisermann 2009: Falk Eisermann, Katalog der deutschsprachigen mittelalterlichen Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha. Vorläufige Beschreibung zu Gotha, Forschungsbibl., Cod. Memb. II 37, o.O. 2009. Online: http://bilder.manuscripta-mediaevalia.de/hs//projekt_ gotha.htm (12. Oktober 2019). Elliott 1993: James Keith Elliott, The Apocryphal New Testament. A Collection of Apocryphal Christian Literature in an English Translation, Oxford 1993. Elliott 2016a: James Keith Elliott, Foreword: The Endurance of the Christian Apocrypha. In: New Testament Apocrypha. More Noncanonical Scriptures. Bd. 1, hg. von Tony Burke und Brent Landau, Grand Rapids, Michigan 2016, S. xi–xvii. Elliott 2016b: James Keith Elliott, A Synopsis of the Apocryphal Nativity and Infancy Narratives. 2. Auflage, Leiden / Boston 2016 (New Testament Tools, Studies and Documents 51). Fahringer 1984: Karl Fahringer, Beststellerautor starb in Mauerbach (Bruder Philipp und sein ‚Marienleben‘). In: Mauerbach und die Kartäuser. Symposium über die Kartäusergeschichte und -spiritualität, hg. von Sigurd Meixner und James Hogg, Salzburg 1984, (Analecta Cartusiana 110) S. 67–82.

295

6.3 Literaturverzeichnis

Fasbender 2007: Christoph Fasbender, Mariendichtung. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, hg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender und Burkhard Moennighoff. 3., völlig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart / Weimar 2007, S. 475. Fechter 1935: Werner Fechter, Das Publikum der mittelhochdeutschen Dichtung, Frankfurt a. M. 1935 (Deutsche Forschungen 28). Feismann 1994: Rafael Feismann, Das Memorienbuch des St. Michaelis-Konventes zu Lübeck. Zwei Handschriften aus den Jahren 1463 und 1498, Lübeck 1994 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck 24). Fellerer 1957: Karl Gustav Fellerer, Commer, Franz. In: Neue Deutsche Biographie, 3, 1957, S. 334. Online: https://www.deutsche-biographie.de/gnd118676687.html#ndbcontent (12. Oktober 2019). Firth 1929: Charles Firth, Modern Languages at Oxford. 1724–1929, London 1929. Fligge / Mielke / Schweitzer 2001: Jörg Fligge, Andrea Mielke und Robert Schweitzer, Die niederdeutschen Handschriften der Stadtbibliothek Lübeck nach der Rückkehr aus kriegsbedingter Auslagerung: Forschungsbilanz nach einem Jahrzehnt (mit einer Liste aller niederdeutschen Handschriften). In: Vulpis Adolatio. Festschrift für Hubertus Menke zum 60. Geburtstag, hg. von Robert Peters, Horst P. Pütz und Ulrich Weber, Heidelberg 2001, (Germanistische Bibliothek 11) S. 183–237. Fouquet 1998: Gerhard Fouquet, Ein Italiener in Lübeck: Der Florentiner Gherardo Bueri (gest. 1449). In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde, 78, 1998, S. 187–220. Franck 1903: Johannes Franck, Zur mittelniederdeutschen Maria-Magdalenalegende. In: NdJb, 29, 1903, S. 31–35. Fritz 1909: Joseph Fritz, Ein Sündenverzeichnis des 15. Jh. In: NdJb, 35, 1909, S. 44 f. Fromm 1965: Hans Fromm, Mariendichtung. In: 2RL, 2, 1965, S. 271–291. Fromm 1967: Hans Fromm, Eine mittelhochdeutsche Übersetzung von Dietrichs von Apolda lateinischer Vita der Elisabeth von Thüringen. In: ZfdPh, 86, Sonderheft, 1967, S. 20–45. Fromm 1985: Hans Fromm, Konrad von Fußesbrunnen. In: 2VL, 5, 1985, Sp. 172–175. Fromm / Grubmüller 1973: Konrad von Fussesbrunnen, Die Kindheit Jesu, hg. von Hans Fromm und Klaus Grubmüller, Berlin / New York 1973. Gabrielsson 2006: Peter Gabrielsson, Die Gesellschaft der Schonenfahrer in Hamburg im 15. Jahrhundert. In: Wirtschaft – Gesellschaft – Mentalitäten im Mittelalter. Festschrift zum 75. Geburtstag von Rolf Sprandel, hg. von Hans-Peter Baum, Rainer Leng und Joachim Schneider, Stuttgart 2006, (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 107) S. 41–62. Gabrielsson 2007: Peter Gabrielsson, Bertram Veltberg – Richard Rodenborg – Peter Sommerland. Drei Hamburger Schonenfahrer in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts. In: Der Blick auf sich und die anderen. Selbst- und Fremdbild von Frauen und Männern in Mittelalter und früher Neuzeit. Festschrift für Klaus Arnold. Mit 34 Abbildungen, hg. von Sünje Prühlen, Lucie Kuhse und Jürgen Sarnowsky, Göttingen 2007, (Nova Mediaevalia. Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter 2) S. 149–189. Gailit 1935: Lydia Gailit, Philipps Marienleben nach den Wiener Handschriften 2709 und 2735 sowie nach der Klosterneuburger Handschrift 1242, Diss. München 1934, Riga 1935. Gajek 1980: Clemens Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 26. Religiöse Werke 5: Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi, hg. von Bernhard Gajek, Stuttgart u. a. 1980 (Frankfurter Brentano-Ausgabe). Gajek / Schmidbauer 1995: Clemens Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 27,2. Religiöse Werke 5,2: Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi. Lesarten und Erläuterungen, hg. von  





296

6 Anhang

Bernhard Gajek und Irmengard Schmidbauer, Stuttgart u. a. 1995 (Frankfurter BrentanoAusgabe). Galbiati 1957: Iohannis Evangelium apocryphum arabice, hg. von Johannes Galbiati, Mailand 1957. Gärtner 1978: Kurt Gärtner, Die Überlieferungsgeschichte von Bruder Philipps Marienleben. Habilitationsschrift, Marburg 1978, überarbeitete und ergänzte Fassung Marburg 2012. Gärtner 1981: Kurt Gärtner, Philipp von Seitz: Marienleben. In: Die Kartäuser in Österreich. Bd. 2, hg. von James Hogg, Salzburg 1981, (Analecta Cartusiana 83) S. 117–129. Gärtner 1982: Kurt Gärtner, Die Reimvorlage der ‚Neuen Ee‘. Zur Vorgeschichte der neutestamentlichen deutschen Historienbibel. In: Was Dolmetschen fur Kunst und Erbeit sey. Beiträge zur Geschichte der deutschen Bibelübersetzung, hg. von Heimo Reinitzer, Hamburg 1982, (Vestigia bibliae. Jahrbuch des Deutschen Bibel-Archivs Hamburg 4) S. 12–22. Gärtner 1984a: Kurt Gärtner, Philipps ‚Marienleben‘ und die ‚Weltchronik‘ Heinrichs von München. In: Wolfram-Studien, 8, 1984, S. 199–218. Gärtner 1984b: Kurt Gärtner, Regulierter Tagesablauf im ‚Marienleben‘ Philipps von Seitz. In: Kartäuserregel und Kartäuserleben. Internationaler Kongress vom 30. Mai bis 3. Juni 1984, Stift Heiligenkreuz, hg. von James Hogg, Salzburg 1984, (Analecta Cartusiana 113,1) S. 47–60. Gärtner 1987: Kurt Gärtner, ‚Die Neue Ee‘. In: 2VL, 6, 1987, Sp. 907–909. Gärtner 1989: Kurt Gärtner, Bruder Philipp OCart, In: 2VL, 7, 1989, Sp. 588–597. Gärtner 1994a: Kurt Gärtner, Philipp von Seitz, OCart. In: BBKL, 7, 1994, Sp. 485–487. Gärtner 1994b: Kurt Gärtner, Zur Neuausgabe von Bruder Philipps „Marienleben“ (ATB). In: Editionsberichte zur mittelalterlichen deutschen Literatur. Beiträge der Bamberger Tagung ‚Methoden und Probleme der Edition mittelalterlicher deutscher Texte‘. 26.–29. Juli 1991, hg. von Anton Schwob, Göppingen 1994, (Litterae. Göppinger Beiträge zur Textgeschichte 117) S. 33–41. Gärtner 1999a: Kurt Gärtner, ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘. In: 2VL, 10, 1999, Sp. 436–443. Gärtner 1999b: Kurt Gärtner, Walther von Rheinau. In: 2VL, 10, 1999, Sp. 657–660. Gärtner 1999c: Kurt Gärtner, Priester Wernher. In: 2VL, 10, 1999, Sp. 903–915. Gärtner 1999d: Kurt Gärtner, Wernher der Schweizer. In: 2VL, 10, 1999, Sp. 953–957. Gärtner 2000: Kurt Gärtner, Spaltenreime in der Überlieferung des ‚Armen Heinrich‘ Hartmanns von Aue. In: Septuaginta quinque. FS Heinz Mettke, hg. von Jens Haustein, Eckhard Meineke und Norbert Richard Wolf, Heidelberg 2000, (Jenaer germanistische Forschungen N.F. 5) S. 103–110. Gärtner 2001a: Kurt Gärtner, Philipp von Seitz. In: Neue Deutsche Biographie, 20, 2001, S. 389 f. Gärtner 2001b: Kurt Gärtner, Die Prager Handschrift von Bruder Philipps ‚Marienleben‘ (Prag, Metropolitan-Kapitel, Cod. G 49). In: Deutsche Literatur des Mittelalters in Böhmen und über Böhmen. Vorträge der internationalen Tagung, České Budějovice, 8. bis 11. September 1999, hg. von Dominique Fliegler und Václav Bok, Wien 2001, S. 141–167. Gärtner 2004: Kurt Gärtner, Das Olmützer Fragment von Bruder Philipps ‚Marienleben‘. In: Deutsch-böhmische Literaturbeziehungen Germano-Bohemica. FS Václav Bok, hg. von Hans-Joachim Behr, Igor Lisový und Werner Williams-Krapp, Hamburg 2004, (Studien zur Germanistik 7) S. 58–67. Gärtner 2007: Kurt Gärtner, Mariendichtung. In: RLW, 2, 2007, S. 538–541. Gärtner 2008: Kurt Gärtner, Die thüringische Rezension von Bruder Philipps ‚Marienleben‘. In: Mittelalterliche Sprache und Literatur in Eisenach und Erfurt. Tagung anlässlich des 70.  



6.3 Literaturverzeichnis

297

Geburtstags von Rudolf Bentzinger am 22.8.2006, hg. von Martin Schubert, Jürgen Wolf und Annegret Haase, Frankfurt a. M. u. a. 2008, (Kultur, Wissenschaft, Literatur. Beiträge zur Mittelalterforschung 18) S. 178–187. Gärtner 2010: Kurt Gärtner, Bruder Philipp. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Bd. 9, hg. von Wilhelm Kühlmann. 2., vollständig überarbeitete Auflage, Berlin / New York 2010, S. 209 f. Gärtner 2014: Kurt Gärtner, Prologversionen zu Philipps ‚Marienleben‘. In: Neue Studien zur Literatur im Deutschen Orden, hg. von Bernhart Jähnig und Arno Mentzel-Reuters, Stuttgart 2014, (ZfdA, Beiheft 19) S. 137–146. Gärtner 2017: Kurt Gärtner, Die Heilige Familie unter den Räubern. Zur Symbiose von Bibel und Apokryphen im Werk des Österreichischen Bibelübersetzers. In: Akademie Aktuell. Zeitschrift der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 62,3, 2017, S. 44–50. Gärtner / Ostermann 2017: Kurt Gärtner und Christina Ostermann, Oxford, Taylor Institution Library, MS. 8° G.2. A Low German Version of Bruder Philipp’s Marienleben. In: Oxford German Studies, 46,2, 2017, S. 248–255. Gay-Canton 2009: Réjane Gay-Canton, Zwischen Zensur und Selbstzensur. Verbesserungsappelle in der ‚Vita beate Marie et Salvatoris Rhythmica‘ und ihren mittelhochdeutschen Bearbeitungen. In: Kulturtopographie des deutschsprachigen Südwestens im späteren Mittelalter. Studien und Texte, hg. von Barbara Fleith und René Wetzel, Berlin / New York 2009, (Kulturtopographie des alemannischen Raums 1) S. 41–60. Geerard 1993: Maurits Geerard, Le bon larron. Un Apocryphe inédit. In: Philologia sacra. Biblische und patristische Studien für Hermann J. Frede und Walther Thiele zu ihrem siebzigsten Geburtstag. Bd. 2: Apokryphen, Kirchenväter, Verschiedenes, hg. von Roger Gryson, Freiburg 1993, (Vetus Latina 24,2) S. 355–363. Geerard 1997: Maurits Geerard, Der gute Schächer. Ein neues unediertes Apokryphon. In: La spiritualité de l’univers byzantin dans le verbe et l’image. Hommages offerts à Edmond Voordeckers à l’occasion de son éméritat, hg. von Kristoffel Demoen und Jeannine Vereecken, Turnhout 1997, (Instrumenta Patristica 30) S. 85–89. Geest / Bauer / Wachinger 1995: Paul van Geest, Erika Bauer und Burghart Wachinger, Thomas Hemerken von Kempen. In: 2VL, 9, 1995, Sp. 862–882. Gijsel 1981: Jan Gijsel, Die unmittelbare Textüberlieferung des sog. Pseudo-Matthäus, Brüssel 1981 (Verhandelingen van de Koninklijke Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van België. Klasse der Letteren. Jaargang 43, Nr. 96). Gijsel 1997: Libri de nativitate Mariae. Pseudo-Matthaei Evangelium. Textus et commentarius, hg. von Jan Gijsel, Turnhout 1997 (Corpus Christianorum. Series Apocryphorum 9). Glier 1987: Ingeborg Glier, Kleine Reimpaargedichte und verwandte Großformen. In: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250–1370. Zweiter Teil: Reimpaargedichte, Drama, Prosa, hg. von ders., München 1987, (Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart 3,2) S. 18–141. Goebel 1905: Fritz Goebel, Bruchstücke von Bruder Philipps Marienleben aus dem Jahre 1324. In: NdJb, 31, 1905, S. 36–38. Goedeke 1854: Karl Goedeke, Deutsche Dichtung im Mittelalter, Hannover 1854. Online: http:// mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10732694-2 (12. Oktober 2019). Goedeke 1871: Karl Goedeke, Deutsche Dichtung im Mittelalter. 2. Ausgabe, vermehrt um Buch 12: Niederdeutsche Dichtung von Hermann Oesterley. Nebst einem vollständigen Sachregister, Dresden 1871.  





298

6 Anhang

Goedeke 1884: Karl Goedeke, Grundrisz zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. Bd. 1: Das Mittelalter. 2., ganz neu bearbeitete Auflage, Dresden 1884. Goenner 1944: Mary Ellen Goenner, Mary-Verse of the Teutonic Knights, New York 1944 (The Catholic University of America. Studies in German 19). Gotha 1922: Gothaisches genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser. Alter Adel und Briefadel. 16. Jahrgang, Gotha 1922. Gounelle 1992: Rémi Gounelle, Acta Pilati grecs B (BHG 779 u–w). Traditions textuelles. In: Recherches augustiniennes, 26, 1992, S. 273–294. Gounelle 2003: Rémi Gounelle, Une légende apocryphe relatant la rencontre du bon larron et de la Sainte Famille en Égypte (BHG 2119y). In: Analecta Bollandiana, 121, 2003, S. 241–272. Gounelle 2008: Les recensions byzantines de l’Évangile de Nicodème, hg. von Rémi Gounelle, Turnhout 2008 (Corpus Christianorum. Series Apocryphorum. Instrumenta 3). Grébaut 1919: Les Miracles de Jésus. Texte éthiopien publié et traduit, hg. von Sylvain Grébaut, Paris 1919 (Patrologia Orientalis 12,4). Grotefend 1982: Hermann Grotefend, Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. 12. Auflage, Hannover 1982. Grubmüller 2002: Klaus Grubmüller, Überlieferung – Text – Autor. Zum Literaturverständnis des Mittelalters. In: Die Präsenz des Mittelalters in seinen Handschriften. Ergebnisse der Berliner Tagung in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 6.–8. April 2000, hg. von Hans-Jochen Schiewer und Karl Stackmann, Tübingen 2002, S. 5–17. Grubmüller u. a. 1973: Klaus Grubmüller u. a., Spätmittelalterliche Prosaforschung. DFG-Forschergruppe-Programm am Seminar für deutsche Philologie der Universität Würzburg. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik, 5, 1973, S. 156–176. Haase / Schubert / Wolf 2013: Passional. Buch I: Marienleben, hg. von Annegret Haase, Martin Schubert und Jürgen Wolf, Berlin 2013 (Deutsche Texte des Mittelalters 91,1). Habel 1908: Der Deutsche Cornutus. Bd. 1: Der Cornutus des Johannes de Garlandia, ein Schulbuch des 13. Jahrhunderts. In den deutschen Übersetzungen des Mittelalters, hg. von Edwin Habel, Berlin 1908. Hagen 1909: Paul Hagen, Archivbeschreibung: Lübeck, Stadtbibliothek, Theol. germ. quart 23 (6 Bll.), Berlin 1909. Online: http://www.bbaw.de/forschung/dtm/HSA/Luebeck_700382300000.html (12. Oktober 2019). Hagen 1922: Paul Hagen, Die deutschen theologischen Handschriften der Lübeckischen Stadtbibliothek, Lübeck 1922 (Veröffentlichungen der Stadtbibliothek der Freien und Hansestadt Lübeck 1,2). Hagen 1926: Paul Hagen, Die Handschriftensammlung. In: Bücherei und Gemeinsinn. Das öffentliche Bibliothekswesen der Freien und Hansestadt Lübeck, hg. von Willy Pieth, Lübeck 1926, S. 62–73. Hagen 1936: Paul Hagen, Handschriftenkatalog der Lubecensien [handschriftlich], Lübeck 1936. Online: http://digital.stadtbibliothek.luebeck.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:481-957909 (12. Oktober 2019). Hagen o.J.: Paul Hagen, Wasserzeichenkartei (41–43) [Dauerleihgabe an die St[adt]B[ibliothek] aus dem Nachlaß Paul Hagen], Lübeck o.J. Haibach-Reinisch 1962: Monika Haibach-Reinisch, Ein neuer „Transitus Mariae“ des PseudoMelito. Textkritische Ausgabe und Darlegung der Bedeutung dieser urspruenglicheren Fassung fuer Apokryphenforschung und lateinische und deutsche Dichtung des Mittelalters, Rom 1962 (Bibliotheca assumptionis B. Virginis Mariae 5).  



6.3 Literaturverzeichnis

299

Hamburger / Palmer 2015: Jeffrey F. Hamburger und Nigel F. Palmer, The Prayer Book of Ursula Begerin. Bd. 1: Art-Historical and Literary Introduction. With a Conservation Report by Ulrike Bürger, Dietikon-Zürich 2015. Hamel 2014: Jürgen Hamel, Studien zur „Sphaera“ des Johannes de Sacrobosco, Leipzig 2014 (Acta historica astronomiae 51). Handschriftencensus: Handschriftencensus. Eine Bestandsaufnahme der handschriftlichen Überlieferung deutschsprachiger Texte des Mittelalters, Marburg. Online: http://www. handschriftencensus.de. (12. Oktober 2019). Hanson 1926: James C. M. Hanson, Report of the Director of the University Libraries 1925–1926, Chicago 1926. Hantschk 1972: Rolanda Hantschk, Die Geschichte der Kartause Mauerbach, Salzburg 1972 (Analecta Cartusiana 7). Härtel / Ekowski 1989: Helmar Härtel und Felix Ekowski, Handschriften der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover: Bd. 1: Ms I 1–Ms I 174, Wiesbaden 1989. Online: http://bilder. manuscripta-mediaevalia.de/hs//kataloge/HSK0235.htm (12. Oktober 2019). Härtel u. a. 2012: Helmar Härtel u. a., Katalog der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften. Bd. 1: Cod. Guelf. 1 bis 276 Helmst., Wiesbaden 2012. Hartwig 1908: Julius Hartwig, Die Frauenfrage im mittelalterlichen Lübeck. In: Hansische Geschichtsblätter, 14, 1908, S. 35–94. Hasebrink / Schiewer 2007: Burkhard Hasebrink und Hans-Jochen Schiewer, Predigt. In: RLW, 3, 2007, S. 151–156. Haucap-Nass 1995: Anette Haucap-Nass, Die Stiftsbibliothek von St. Blasius in Braunschweig. Ein Überblick mit einer Handliste der nachweisbaren Handschriften und Drucke aus dem Blasiusstift. In: Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter, hg. von Bernd Schneidmüller, Wiesbaden 1995, (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 7) S. 205–225. Haupt 1871: Joseph Haupt, Bruder Philipps Marienleben. In: Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Klasse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, 68, 1871, S. 157–218. Hee’s Efterf. 1923: Auktionskatalog over Prof. Sigurd Wandel’s samling af middelalderlige manuskripter og bog tryk fra Gutenbergs tid indtil ca. 1850, franske kobberstikbøger fra 18. aarhundrede, danske og udenlandske første udgaver, kunstfærdige gamle bogbind. Auktionen afholdes Niels Juelsgade 6, tirsdag den 6. März 1923 og de følgende dage fra klokken 10 formiddag, kommissioner modtages af Herman Lynge, Løvstraede 7, København og Skandinavisk Antiquariat, Bredgade 35, hg. von Chr. Hee’s Efterf., Kopenhagen 1923. Heiser 2006: Ines Heiser, Autorität Freidank. Studien zur Rezeption eines Spruchdichters im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Tübingen 2006 (Hermaea N.F. 110). Helm / Ziesemer 1951: Karl Helm und Walther Ziesemer, Die Literatur des Deutschen Ritterordens, Gießen 1951 (Gießener Beiträge zur deutschen Philologie 94). Helwig 1970: Hellmuth Helwig, Einführung in die Einbandkunde. Mit 15 Abbildungen im Text, Stuttgart 1970. Henrici 1910a: Emil Henrici, Archivbeschreibung: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 894 Helmst. (6 Bll.), Berlin 1910. Online: http://www.bbaw.de/forschung/dtm/HSA/ Wolfenbuettel_700467220000.html (12. Oktober 2019). Henrici 1910b: Emil Henrici, Archivbeschreibung: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 937 Helmst. (3 Bll.), Berlin 1910. Online: http://www.bbaw.de/forschung/dtm/HSA/ Wolfenbuettel_700467390000.html (12. Oktober 2019).  



300

6 Anhang

Hernad 2000: Béatrice Hernad, Die gotischen Handschriften deutscher Herkunft in der Bayerischen Staatsbibliothek. Bd. 1: Vom späten 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, Wiesbaden 2000 (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München 5,1). Online: http://bilder.manuscripta-mediaevalia.de/hs//kataloge/HSK0535. htm (12. Oktober 2019). Heydeck 2001: Kurt Heydeck, Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Rostock, Wiesbaden 2001 (Kataloge der Universitätsbibliothek Rostock 1). Online: http:// www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/kataloge/HSK0544.htm (12. Oktober 2019). Heymann 1908: Paul Heymann, Archivbeschreibung: Berlin, Staatsbibliothek, Mgq 760 (5 Bll.), Berlin 1908. Online: http://www.bbaw.de/forschung/dtm/HSA/Berlin_700285650000. html (12. Oktober 2019). Hoffmann 1993: Werner J. Hoffmann, Philipp v. Seitz (Bruder Philipp). In: Marienlexikon. Bd. 5, hg. von Remigius Bäumer und Leo Scheffczyk, St. Ottilien 1993, S. 197 f. Hoffmann 1994: Werner J. Hoffmann, „Vita beate virginis Marie et Salvatoris rhythmica“. In: Marienlexikon. Bd. 6, hg. von Remigius Bäumer und Leo Scheffczyk, St. Ottilien 1994, S. 644–646. Hoffmann 1997a: Werner J. Hoffmann, The Gospel of Nicodemus in Dutch and Low German Literatures of the Middle Ages. In: The Medieval Gospel of Nicodemus. Texts, Intertexts, and Contexts in Western Europe, hg. von Zbigniew Izydorczyk, Tempe, Arizona 1997, (Medieval & Renaissance Texts & Studies 158) S. 337–360. Hoffmann 1997b: Werner J. Hoffmann, The Gospel of Nicodemus in High German Literature of the Middle Ages. In: The Medieval Gospel of Nicodemus. Texts, Intertexts, and Contexts in Western Europe, hg. von Zbigniew Izydorczyk, Tempe, Arizona 1997, (Medieval & Renaissance Texts & Studies 158) S. 287–336. Hogg 1985: Kartäuserregel und Kartäuserleben. Internationaler Kongress vom 30. Mai bis 3. Juni 1984, Stift Heiligenkreuz, hg. von James Hogg, Salzburg 1985 (Analecta Cartusiana 113,3). Hogg 1988: James Hogg, Kartäuser. In: TRE, 17, 1988, S. 666–673. Hogg 2001: James Hogg, Kartäuser/Kartäuserinnen. In: 4RGG, 4, 2001, Sp. 831f. Hogg 2013a: The Charterhouse of Mauerbach, Vallis Omnium Sanctorum, as seen in the Chartæ of the Carthusian General Chapter. Bd. 1: 1321–1556, hg. von James Hogg, Salzburg 2013 (Analecta Cartusiana 100,64). Hogg 2013b: The Charterhouse of Mauerbach, Vallis Omnium Sanctorum, as seen in the Chartæ of the Carthusian General Chapter. Bd. 3: Ordinations, Dispositions etc. 1557–1772. Necrology 1323–1768, hg. von James Hogg, Salzburg 2013 (Analecta Cartusiana 100,64). Holtorf / Gärtner 1978: Arne Holtorf und Kurt Gärtner, ‚Autoritäten‘ (gereimt). In: 2VL, 1, 1978, Sp. 557–560. Honemann 2007: Volker Honemann, Die „Vita Sanctae Elisabeth“ des Dietrich von Apolda und die deutschsprachigen „Elisabethleben“ des Mittelalters. In: Elisabeth von Thüringen – eine europäische Heilige. Aufsätze, hg. von Dieter Blume und Matthias Werner, Petersberg 2007, S. 421–430. Hormuth / Jahnke / Loebert 2006: Die Hamburgisch-Lübischen Pfundgeldlisten 1485–1486, hg. von Dennis Hormuth, Carsten Jahnke und Sönke Loebert, Hamburg 2006 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg 21). Hoste / Talbot 1971: Aelredi Rievallensis. Opera Omnia, hg. von Anselm Hoste und Charles H. Talbot, Turnhout 1971 (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 1). Hübner 1926/28: Arthur Hübner, Mariendichtung. In: RL, 2, 1926/28, S. 332–335.  

6.3 Literaturverzeichnis

301

Hughes 2000: Jill Hughes, Taylor Institution Library. In: Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Bd. 10, hg. von Graham Jefcoate, William A. Kelly und Karen Kloth, Hildesheim / Zürich / New York 2000, S. 309–318. Huidekoper 1879: Frederic Huidekoper, Indirect Testimony of History to the Genuineness of the Gospels, New York 1879. Huidekoper 1881: Acts of Pilate from a Transcript of the Codex designated by Thilo as Paris D, hg. von Frederic Huidekoper, Cambridge 1881. Igel 2010: Karsten Igel, Zwischen Bürgerhaus und Frauenhaus. Stadtgestalt, Grundbesitz und Sozialstruktur im spätmittelalterlichen Greifswald, Köln / Weimar / Wien 2010 (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster. Reihe A: Darstellungen 71). Izydorczyk 1997a: Zbigniew Izydorczyk, The Evangelium Nicodemi in the Latin Middle Ages. In: The Medieval Gospel of Nicodemus. Texts, Intertexts, and Contexts in Western Europe, hg. von Zbigniew Izydorczyk, Tempe, Arizona 1997, (Medieval & Renaissance Texts & Studies 158) S. 43–101. Izydorczyk 1997b: Zbigniew Izydorczyk, Introduction. In: The Medieval Gospel of Nicodemus. Texts, Intertexts, and Contexts in Western Europe, hg. von Zbigniew Izydorczyk, Tempe, Arizona 1997, (Medieval & Renaissance Texts & Studies 158) S. 1–19. Izydorczyk / Dubois 1997: Zbigniew Izydorczyk und Jean-Daniel Dubois, Nicodemus’s Gospel before and beyond the Medieval West. In: The Medieval Gospel of Nicodemus. Texts, Intertexts, and Contexts in Western Europe, hg. von Zbigniew Izydorczyk, Tempe, Arizona 1997, (Medieval & Renaissance Texts & Studies 158) S. 21–41. Jäcklein 1901: Anton Jäcklein, Hugo von Trimberg. Verfasser einer „Vita Mariæ rhythmica“, Bamberg 1901 (Programm des K. Neuen Gymnasiums in Bamberg für das Schuljahr 1900/1901). Jacobsen 1985: Ole Lars Jacobsen, Fragment d’un manuscrit du IXe siècle de Excerpta ex operibus sancti Augustini, par Eugippius. In: Le livre et l’estampe, 123, 1985, S. 115–125. Jähnig 2014: Bernhart Jähnig, Der Deutsche Orden 1250–1350 (anstelle einer Einleitung). In: Neue Studien zur Literatur im Deutschen Orden, hg. von dems. und Arno Mentzel-Reuters, Stuttgart 2014, (ZfdA, Beiheft 19) S. 1–8. James 1924: Montague Rhodes James, The Apocryphal New Testament being the Apocryphal Gospels, Acts, Epistles, and Apocalypses with other narratives and fragments, Oxford 1924. James 1927: Latin infancy gospels. A new text, with a parallel version from Irish, hg. von Montague Rhodes James, Cambridge 1927. Jammers 1998: Bibliotheksstempel. Besitzvermerke von Bibliotheken in der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Antonius Jammers, Wiesbaden 1998 (Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 6). Jarck 1998: Urkundenbuch des Augustinerchorfrauenstiftes Marienberg bei Helmstedt, hg. von Horst-Rüdiger Jarck, Hannover 1998 (Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte 32). Jarck 2011: Horst-Rüdiger Jarck, Auf dem Weg vom Mittelalter zur Neuzeit – zur Geschichte des Stifts. In: Der unendliche Faden. Kloster St. Marienberg in Helmstedt, hg. von Tobias Henkel, Braunschweig 2011, (Schriftenreihe der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz) S. 10–26. Jellinghaus 1925: Hermann Jellinghaus, Geschichte der mittelniederdeutschen Literatur. 3., verbesserte Auflage, Berlin / Leipzig 1925 (Grundriss der germanischen Philologie 7). Josua / Eißler 2012: Maria Josua und Friedemann Eißler, Das arabische Kindheitsevangelium. In: Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien und Verwand-

302

6 Anhang

tes, hg. von Christoph Markschies und Jens Schröter. 7. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, S. 963–982. Juvet 1904: Alfred Juvet, Über den Reimgebrauch in Bruder Philipps Marienleben. In: PBB, 29, 1904, S. 127–174. Kaiser 2010: Ursula Ulrike Kaiser, Jesus als Kind. Neuere Forschungen zur Jesusüberlieferung in den apokryphen ‚Kindheitsevangelien‘. In: Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen, hg. von Jörg Frey und Jens Schröter, Tübingen 2010, (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 254) S. 253–269. Kaiser 2012: Ursula Ulrike Kaiser, Die Geschichte von Joseph dem Zimmermann. In: Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien und Verwandtes, hg. von Christoph Markschies und Jens Schröter. 7. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, S. 308–342. Kaiser / Tropper 2012: Ursula Ulrike Kaiser und Josef Tropper, Die Kindheitserzählung des Thomas. In: Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien und Verwandtes, hg. von Christoph Markschies und Jens Schröter. 7. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, S. 930–959. Karstedt 1937: Peter Karstedt, Archivbeschreibung: Lübeck, Stadtbibliothek, Ms. Lub. 4° 580 (3 Bll.), Berlin 1937. Karstedt 1971: Peter Karstedt, Lübeck, Bibliothek der Hansestadt Lübeck. In: Regionalbibliotheken in der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Wilhelm Totok und Karl-Heinz Weimann, Frankfurt a. M. 1971, (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderheft 11) S. 53–64. Katzenellenbogen 1935: Adolf Katzenellenbogen, Apokryphen. In: RDK, 1, 1935, Sp. 781–801. Online: http://www.rdklabor.de/w/?oldid=89637 (12. Oktober 2019). Kemper 2006: Tobias A. Kemper, Die Kreuzigung Christi. Motivgeschichtliche Studien zu lateinischen und deutschen Passionstraktaten des Spätmittelalters, Tübingen 2006 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 131). Kerl 2002: Neil R. Kerl, Medieval Manuscripts in British Libraries. Bd. 5: Indexes and Addenda, hg. von I. C. Cunningham und A. G. Watson, Oxford 2002. Kienhorst 2005: Hans Kienhorst, Lering en stichting op klein formaat. Middelnederlandse rijmteksten in eenkolomsboekjes van perkament. Bd. 2: Handschriften, Leuven 2005 (Miscellanea Neerlandica 32). Kim 2014: Eun-Kyoung Kim, Die Fluchterzählungen über Jesus aus außerkanonischen Schriften in Bezug auf Mt. 2,13–23, Diss. Tübingen 2014. Kinderling 1783: Johann Friedrich August Kinderling, Beytrag zur Deutschen Sprachkunde, durch Fragmente aus alten Deutschen Handschriften und seltenen gedruckten Büchern. In: Magazin für die deutsche Sprache von Johann Christoph Adelung, 2,1, 1783, S. 32–99. Kinderling 1784: Johann Friedrich August Kinderling, Geschichte der Jungfrau Maria aus dem 15ten Jahrhundert. In: Magazin für die deutsche Sprache von Johann Christoph Adelung, 2,3, 1784, S. 121–157. Kinderling 1788a: Johann Friedrich August Kinderling, Sendschreiben des Herrn Kinderling an den Herausgeber der Fragmente. In: Deutsches Museum, 1, 1788, S. 126–152. Online: http://ds.ub.uni-bielefeld.de/viewer/image/1923976_025/134/ (12. Oktober 2019).  

6.3 Literaturverzeichnis

303

Kinderling 1788b: Johann Friedrich August Kinderling, Bemerkungen über ein altdeutsches Gedicht von dem Leben der heil. Jungfrau Maria. In: Deutsches Museum, 2, 1788, S. 340–368. Online: http://ds.ub.uni-bielefeld.de/viewer/image/1923976_026/352/ (12. Oktober 2019). Kinderling 1800: Johann Friedrich August Kinderling, Geschichte der Niedersächsischen oder sogenannten Plattdeutschen Sprache vornehmlich bis auf Luthers Zeiten, nebst einer Musterung der vornehmsten Denkmahle dieser Mundart, Magdeburg 1800. Klapisch-Zuber 2015: Christiane Klapisch-Zuber, Le voleur de paradis. Le bon larron dans l’art et la société (XIVe–XVIe siècles), Paris 2015. Klein 1987: Thomas Klein, Zur Verbreitung mittelhochdeutscher Lyrik in Norddeutschland (Walther, Neidhart, Frauenlob). In: ZfdPh, 106, 1987, S. 72–112. Kleineidamm 1983: Erich Kleineidamm, Die Spiritualität der Kartäuser im Spiegel der Erfurter Kartäuser-Bibliothek. In: Die Kartäuser. Der Orden der schweigenden Mönche, hg. von Marijan Zadnikar und Adam Wienand, Köln 1983, S. 185–202. Koch 1795: Compendium der Deutschen Literaturgeschichte, hg. von Erduin Julius Koch, 2., umgearbeitete und sehr vermehrte Ausgabe, Berlin 1795. Kochendörffer 1881: Die Kindheit Jesu von Konrad von Fussesbrunnen, hg. von Karl Kochendörffer, Straßburg 1881 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker 43). Kohl 1989: Wilhelm Kohl, Die Windesheimer Kongregation. In: Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, hg. von Kaspar Elm, Berlin 1989, (Berliner historische Studien 14, Ordensstudien 6) S. 83–106. Koppitz 1969: Franz Pfeiffer und Karl Bartsch, Briefwechsel. Mit unveröffentlichten Briefen der Gebrüder Grimm und weiteren Dokumenten zur Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts, hg. von Hans-Joachim Koppitz, Köln 1969. Kornrumpf 1992: Gisela Kornrumpf, Sentlinger, Heinz. In: 2VL, 8, 1992, Sp. 1102–1105. Kornrumpf 2004: Gisela Kornrumpf, Tagzeitengedichte [Korr./Nachtr.]. In: 2VL, 11, 2004, Sp. 1476–1488. Kosch 1956: Wilhelm Kosch, Philipp, Bruder. In: 2LL, 3, 1956, S. 2046. Krämer 1989: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1: Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters. Teil 2: Köln–Zyfflich, hg. von Sigrid Krämer, München 1989. Krämer / Bernhard 1990: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1: Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters. Teil 3: HandschriftenRegister, hg. von Sigrid Krämer und Michael Bernhard, München 1990. Kraß 1998: Andreas Kraß, Stabat mater dolorosa. Lateinische Überlieferung und volkssprachliche Übertragungen im deutschen Mittelalter, München 1998. Kraß 2007: Andreas Kraß, Marienklage. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, hg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender und Burkhard Moennighoff. 3., völlig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart / Weimar 2007, S. 475 f. Kretzenbacher 1951: Leopold Kretzenbacher, St. Dismas, der rechte Schächer. Legenden, Kultstätten und Verehrungsformen in Innerösterreich. In: Zeitschrift des historischen Vereines für Steiermark, 42, 1951, S. 119–139. Kreutz 2014: Jessica Kreutz, Die Buchbestände von Wöltingerode. Ein Zisterzienserinnenkloster im Kontext der spätmittelalterlichen Reformbewegungen, Wiesbaden 2014 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 26). Krüger 1914: Herman Anders Krüger, Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch mit Motivübersichten und Quellennachweisen, München 1914.  

304

6 Anhang

Krumwiede 1960: Die mittelalterlichen Kirchen- und Altarpatrozinien Niedersachsens. Begonnen von Edgar Hennecke, hg. von Hans-Walter Krumwiede, Göttingen 1960 (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens 11). Krumwiede 1988: Die mittelalterlichen Kirchen- und Altarpatrozinien Niedersachsens. Begonnen von Edgar Hennecke. Ergänzungsband, hg. von Hans-Walter Krumwiede, Göttingen 1988 (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens 11,2). Kruse 2011: Britta-Juliane Kruse, Erhaltenes Wissen, vergangene Pracht. Der Transfer von Klosterbibliotheken und Kirchenschätzen im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel (1572/73). In: Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg (1510–1558). Herrschaft – Konfession – Kultur. Beiträge des wissenschaftlichen Symposiums der Klosterkammer Hannover vom 24.–26. März 2010 im Historischen Museum Hannover, hg. von Eva Schlotheuber u. a., Hannover 2011, (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 132) S. 94–108. Kruse 2014: Britta-Juliane Kruse, Der verschwundene Schatz der Chorfrauen. Eine Rekonstruktion der materiellen Kultur im Augustiner-Chorfrauenstift Steterburg anhand des Inventars von 1572. In: Schriftkultur und religiöse Zentren im norddeutschen Raum, hg. von Patrizia Carmassi, Eva Schlotheuber und Almut Breitenbach, Wiesbaden 2014, (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 24) S. 355–411. Kruse 2016: Britta-Juliane Kruse, Stiftsbibliotheken und Kirchenschätze. Materielle Kultur in den Augustiner-Chorfrauenstiften Steterburg und Heiningen, Wiesbaden 2016 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 28). Kruse / Lesser 2010: Britta-Juliane Kruse und Bertram Lesser, Virtuelle und erhaltene Büchersammlungen aus den Augustiner-Chorfrauenstiften Steterburg und Heiningen. In: Sammler und Bibliotheken im Wandel der Zeiten. Kongress in Hamburg am 20. und 21. Mai 2010, hg. von Sabine Graef, Sünje Prühlen und Hans-Walter Stork, Frankfurt a. M. 2010, (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband 100) S. 97–115. Kunze 1996: Konrad Kunze, Deutschsprachige Hagiographie von den Anfängen bis 1350. In: Hagiographies. Internationale Geschichte der lateinischen und einheimischen hagiographischen Literatur im Abendland von den Anfängen bis 1550. Bd. 2, hg. von Guy Philippart, Turnhout 1996, (Corpus Christianorum 2) S. 211–238. Küsters 2002: Urban Küsters, Mariendichtung. In: 4RGG, 5, 2002, Sp. 814–818. Lähnemann 2016a: Henrike Lähnemann, Lübeck. In: Europe. A Literary History. 1348–1418. Bd. 1, hg. von David Wallace, Oxford 2016, S. 596–610. Lähnemann 2016b: Henrike Lähnemann, The Materiality of Medieval Manuscripts. In: Oxford German Studies, 45,2, 2016, S. 121–141. Lähnemann 2018: Henrike Lähnemann, From Devotional Aids to Antiquarian Objects: The Prayer Books of Medingen. In: Reading Books and Prints as Cultural Objects, hg. von Evanghelia Stead, Cham 2018, (New Directions in Book History) S. 33–55. Langosch 1942: Karl Langosch, Das „Registrum Multorum Auctorum“ des Hugo von Trimberg. Untersuchungen und kommentierte Textausgabe, Berlin 1942 (Germanische Studien 235). Lasch 1914: Agathe Lasch, Mittelniederdeutsche Grammatik, Halle 1914 (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte 9). Lasch / Borchling 1956ff.: Agathe Lasch und Conrad Borchling, Mittelniederdeutsches Handwörterbuch, Neumünster 1956ff. Lechtermann 2016: Christina Lechtermann, Textherstellung in den Marienleben Philipps von Seitz, Walthers von Rheinau und Wernhers des Schweizer. In: Metatexte. Erzählungen von schrifttragenden Artefakten in der alttestamentlichen und mittelalterlichen Literatur, hg.  



305

6.3 Literaturverzeichnis

von Friedrich-Emanuel Focken und Michael R. Ott, Berlin / Boston 2016, (Materiale Textkulturen. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 933 15) S. 335–365. Lehmann 1916: Paul Lehmann, Mittelalterliche Handschriften des K. B. Nationalmuseums zu München, München 1916 (Sitzungsberichte der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-philologische und historische Klasse). Lehmann 1928: Paul Lehmann, Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Bd. 2: Bistum Mainz, Erfurt, hg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München, München 1928. Leitschuh 1897: Friedrich Leitschuh, Katalog der Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Bamberg. Bd. 1,2,2: Historische Handschriften (Msc. Hist.), Bamberg 1897, revidierter Nachdruck Wiesbaden 1966. Online: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/kataloge/ HSK0600.htm (12. Oktober 2019) Lesser 894: Bertram Lesser, Beschreibung von Cod. Guelf. 894 Helmst. In: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Bd. 5 – in Vorbereitung. Online: http://diglib.hab.de/?db=mss&list=ms&id=894-helmst&catalog=Lesser (12. Oktober 2019). Lesser 937: Bertram Lesser, Beschreibung von Cod. Guelf. 937 Helmst. In: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Bd. 5 – in Vorbereitung. Online: http://diglib.hab.de/?db=mss&list=ms&id=937-helmst&catalog=Lesser (12. Oktober 2019). Lesser 2012: Bertram Lesser, Einleitung. In: Katalog der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften. Bd. 1: Cod. Guelf. 1 bis 276 Helmst., beschrieben von Helmar Härtel u. a., Wiesbaden 2012, S. XI–XCVIII. Lomnitzer 1980: Helmut Lomnitzer, Dietrich von Apolda. In: 2VL, 2, 1980, Sp. 103–110. Lorenz 2002: Sönke Lorenz, Ausbreitung und Studium der Kartäuser in Mitteleuropa. In: Bücher, Bibliotheken und Schriftkultur der Kartäuser. Festgabe zum 65. Geburtstag von Edward Potkowski, hg. von Sönke Lorenz, Stuttgart 2002, (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 59) S. 1–19. Lübben 1880: August Lübben, Die niederdeutschen, noch nicht weiter bekannten Handschriften der Bibliothek zu Wolfenbüttel. In: NdJb, 6, 1880, S. 68–74. Lürßen 1917: Johanna Lürßen, Eine mittelniederdeutsche Paraphrase des Hohenliedes, Breslau 1917 (Germanistische Abhandlungen 49). Lynge 1923: Herman Lynge, Auktionen over Sigurd Wandels Bibliotek. In: Aarbog for Bogvenner, 7, 1923, S. 38–51. Lynge 1924: Herman Lynge, Danske bogauktioner i 1923. En oversigt. In: Aarbog for Bogvenner, 8, 1924, S. 179–221. Mabile 1865: Vita Jesu Christi e quatuor evangeliis et scriptoribus orthodoxis concinnata per Ludolphum de Saxonia ex ordine Carthusianorum, hg. von Jean-Pierre Mabile, Paris / Rom 1865, Nachdruck Salzburg 2006 (Analecta Cartusiana 241). Masser 1969: Achim Masser, Bibel, Apokryphen und Legenden. Geburt und Kindheit Jesu in der religiösen Epik des deutschen Mittelalters, Berlin 1969. Masser 1976: Achim Masser, Bibel- und Legendenepik des deutschen Mittelalters, Berlin 1976 (Grundlagen der Germanistik 19). Masser 1978: Dat ewangelium Nicodemi van deme lidende vnses heren Ihesu Christi. Zwei mittelniederdeutsche Fassungen, hg. von Achim Masser, Berlin 1978 (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 29). Masser 1987: Achim Masser, Marien- und Leben-Jesu-Dichtung. In: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250–1370. Zweiter Teil: Reimpaargedichte, Drama, Prosa, hg. von In 

306

6 Anhang

geborg Glier, München 1987, (Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart 3,2) S. 142–152. Masser 1992: Achim Masser, Leben. 1. Deutsche Marienleben des MA. In: Marienlexikon. Bd. 4, hg. von Remigius Bäumer und Leo Scheffczyk, St. Ottilien 1992, S. 49–51. Masser / Siller 1987: Das Evangelium Nicodemi in spätmittelalterlicher deutscher Prosa. Texte, hg. von Achim Masser und Max Siller, Heidelberg 1987. Maßmann 1826: Hans Ferdinand Maßmann, Rezension zu: Diutiska. Denkmäler deutscher Sprache und Literatur. Aus alten Handschriften zum ersten Male theils herausgegeben, theils nachgewiesen und beschrieben. Den Freunden deutscher Vorzeit gewidmet von E. G. Graff. Erster Band. Drei Hefte. Stuttgard und Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1826. 1827. gr. 8. In: Heidelberger Jahrbücher der Literatur, 19,2, 1826, S. 1163–1217. Mazal 1997: Otto Mazal, Einbandkunde. Die Geschichte des Bucheinbandes, Wiesbaden 1997 (Elemente des Buch- und Bibliothekswesens 16). McNamara 1975: Martin McNamara, The Apocrypha in the Irish Church, Dublin 1975. McNamara u. a. 2001: Apocrypha Hiberniae. Bd. 1: Evangelia Infantiae, hg. von Martin McNamara u. a., Turnhout 2001 (Corpus Christianorum. Series Apocryphorum 13). Menhardt 1960: Hermann Menhardt, Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der österreichischen Nationalbibliothek. Bd. 1, Berlin 1960 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin – Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 13). Online: http://bilder.manuscripta-mediaevalia.de/hs//kataloge/HSK0750a.htm (12. Oktober 2019). Mentzel-Reuters 2007: Arno Mentzel-Reuters, „Gote, Marîen und dem meistir“. Der Deutsche Orden und die Anfänge der preußischen Literaturgeschichte. In: Ostpreußen – Westpreußen – Danzig. Eine historische Literaturlandschaft, hg. von Jens Stüben, München 2007, (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 30) S. 137–154. Mentzel-Reuters 2014: Arno Mentzel-Reuters, Leseprogramme und individuelle Lektüre im Deutschen Orden. In: Neue Studien zur Literatur im Deutschen Orden, Stuttgart 2014, (ZfdA, Beiheft 19) S. 9–58. Meyer 1905: Wilhelm Meyer, Gesammelte Abhandlungen zur mittellateinischen Rythmik. Bd. 1, Berlin 1905. Milchsack 1878: Gustav Milchsack, Unser vrouwen klage. In: PBB, 5, 1878, S. 193–357. Milde 1970: Wolfgang Milde, Zur Frühgeschichte der Bibliothek zu Wolfenbüttel. In: Braunschweigisches Jahrbuch, 51, 1970, S. 73–83. Milde 1972: Wolfgang Milde, Die Wolfenbütteler „Liberey-Ordnung“ des Herzogs Julius von 1572. In: Wolfenbütteler Beiträge, 1, 1972, S. 121–139. Milde 1987: Wolfgang Milde, Georg Baeseckes biographisch-bibliographische Aufzeichnungen aus dem Jahre 1936. Mit zwei Abbildungen. In: Althochdeutsch. Bd. 2: Wörter und Namen. Forschungsgeschichte, hg. von Rolf Bergmann, Heinrich Tiefenbach und Lothar Voetz, Heidelberg 1987, (Germanische Bibliothek N.F. 3) S. 1521–1541. Mingana 1929: Vision of Theophilus or the Book of the Flight of the Holy Family into Egypt, hg. von Alphonse Mingana. In: Bulletin of the John Rylands Library, 13, 1929, S. 383–474. Mlinarič 1977: Jože Mlinarič, Srednjeveški latinski epos ‚Vita Mariae metrica‘. Tekstnokritičnahistoriografska in literarna analiza, Diss. Ljubljana 1977. Mlinarič 1988: Jože Mlinarič, Das Epos „Vita Mariae metrica“ als Unterlage für das Marienlied des Karthäusers Philipp von Seitz. In: Kartäuserliturgie und Kartäuserschrifttum. Internationaler  



6.3 Literaturverzeichnis

307

Kongreß vom 2. bis 5. September 1987. Bd. 2, hg. von James Hogg, Salzburg 1988, (Analecta Cartusiana 116,2) S. 29–39. Morgan 1980: Paul Morgan, Taylor Institution. In: Oxford Libraries Outside the Bodleian. A Guide, hg. von dems. 2. Auflage, Oxford 1980, S. 191–199. Moser 1973: Dietz-Rüdiger Moser, Die Hl. Familie auf der Flucht. Apokryphe Motive in volkstümlichen Legendenliedern. Mit einem Beitrag zur Formel „Bie vrie ischt aüf“ im Liedgut der Gottschee. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde, 21, 1973, S. 255–328. Moser 1974: Dietz-Rüdiger Moser, Herbergsuche in Bethlehem. Zur Ursprungsfrage eines volkstümlichen Schauspiel-, Lied- und Brauchmotivs und zum Problem der Episodenreihung im späten Mittelalter. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 70, 1974, S. 1–25. Mossman 2010: Stephen Mossman, Marquard von Lindau and the Challenges of Religious Life in Late Medieval Germany. The Passion, the Eucharist, the Virgin Mary, Oxford / New York 2010 (Oxford Modern Languages and Literature Monographs). Munari 1982: Tobias, hg. von Franco Munari. In: Mathei Vindocinesis. Opera. Bd. 2: Piramus et Tisbe, Milo, Epistule, Tobias, Rom 1982, (Storia e letteratura. Reccolta di studi e testi 152) S. 159–255. Mylord-Möller 1923: Konrad Mylord-Möller, Bruchstück eines Auferstehungsgedichtes. In: NdJb, 49, 1923, S. 45–48. Naser 1995: Christian Naser, „Der geistliche Streit“. Synoptischer Abdruck der Fassungen A, C, B und D. Kommentar und Motivgeschichte, Würzburg 1995 (Text und Wissen 2). Neudeck 1999: Otto Neudeck, Philipp der Kartäuser. In: 3LThK, 8, 1999, Sp. 235. Neumann 1964: Friedrich Neumann, Überlieferungsgeschichte der altdeutschen Literatur. In: Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur. Bd. 2: Überlieferungsgeschichte der mittelalterlichen Literatur, hg. von Karl Langosch u. a., Zürich 1964, S. 641–702. Neumann 1980: Friedrich Neumann, Freidank. In: 2VL, 2, 1980, Sp. 897–903. Nichols 1990: Stephen G. Nichols, Introduction: Philology in a Manuscript Culture. In: Speculum, 65, 1990, S. 1–10. Nichols 1997: Stephen G. Nichols, Why Material Philology? Some Thoughts. In: ZfdPh, 116 (Sonderheft), 1997, S. 10–30. Nüske 1929: Hugo Nüske, Die Greifswalder Familiennamen des 13. und 14. Jahrhunderts (1250– 1400). Ein Beitrag zur niederdeutschen Namengeschichte, Diss. Greifswald 1929. Ochsenbein 2003: Peter Ochsenbein, Fragment oder doch Handschrift? Zu einer bislang unbekannten Handschrift mit dem letzten Teil von Bruder Philipps ‚Marienleben‘. In: Magister et amicus. Festschrift für Kurt Gärtner zum 65. Geburtstag, hg. von Václav Bok und Frank Shaw, Wien 2003, S. 125–130. Oeser 1992: Wolfgang Oeser, Beobachtungen zur Entstehung und Verbreitung schlaufenloser Bastarden. Eine Studie zur Geschichte der Buchschrift im ausgehenden Mittelalter. In: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde, 38, 1992, S. 235–343. Oesterley 1871: Hermann Oesterley, Niederdeutsche Dichtung im Mittelalter. Als zwölftes Buch der deutschen Dichtung im Mittelalter von Karl Goedeke, Dresden 1871. Ohainski 1995: Uwe Ohainski, Der Bücherkauf für die Klöster des Herzogtums BraunschweigWolfenbüttel im Sommer 1572. In: Hildesheimer Jahrbuch für Stadt und Stift Hildesheim, 67, 1995, S. 329–336. Olbrich 1937: Wilhelm Olbrich, Weigel, Theodor Oswald. In: Lexikon des gesamten Buchwesens. Bd. 3, hg. von Karl Löffler und Joachim Kirchner, Leipzig 1937, S. 561.  

308

6 Anhang

Oncken 1893: Die ältesten Lehnsregister der Grafen von Oldenburg und Oldenburg-Bruchhausen, hg. von Hermann Oncken, Oldenburg 1893 (Schriften des Oldenburger Vereins für Altertumskunde und Landesgeschichte 9). Online: https://digital.lb-oldenburg.de/ihd/content/ pageview/811571 (12. Oktober 2019). Ostermann 2015a: Christina Ostermann, Oxford, Taylor Institution, MS 8° G.2. A Description, Oxford 2015 – unveröffentlichte Studienarbeit. Ostermann 2015b: Christina Ostermann, Untersuchungen zu Berlin, Staatsbibliothek, mgq 13, Oxford 2015 – unveröffentlichte Masterarbeit. Ostermann 2019: Christina Ostermann, Cum iubilationibus et dulci symphonia. Die Darstellung der Himmelfahrt Mariens in Bruder Philipps ‚Marienleben‘. In: ZfdA, 148, 2019, S. 85– 101. Ostermann / Seelbach 2020: Christina Ostermann und Ulrich Seelbach, Mittelniederdeutsche Fragmente von Philipps ‚Marienleben‘ und von einer Margarethen-Legende im Landesarchiv Münster. In: ZfdA 2020 – im Erscheinen. Ott 1981: Norbert H. Ott, Heinrich von München. In: 2VL, 3, 1981, Sp. 827–837. Ott 1993: Norbert H. Ott, Philipp der Kartäuser. In: LexMa, 6, 1993, Sp. 2077f. Paban / Pègues 1900: Johannis Capreoli. Defensiones theologiæ divi Thomæ Aquinatis. Bd. 2, hg. von Ceslaus Paban und Thomas Pègues, Tours 1900. Palmer 1992: Nigel F. Palmer, ‚Seelentrost‘. In: 2VL, 8, 1992, Sp. 1030–1040. Palmer 1995: Nigel F. Palmer, Tagzeitengedichte. In: 2VL, 9, 1995, Sp. 577–588. Palmer 2017: Nigel F. Palmer, Medieval German Manuscripts in Oxford Libraries. In: Oxford German Studies, 46,2, 2017, S. 126–140. Päpke 1913: Max Päpke, Das Marienleben des Schweizers Wernher. Mit Nachträgen zu Vögtlins Ausgabe der Vita Marie Rhythmica, Berlin 1913 (Palaestra 81). Päpke / Hübner 1920: Das Marienleben des Schweizers Wernher. Aus der Heidelberger Handschrift, hg. von Max Päpke und Arthur Hübner, Berlin 1920 (Deutsche Texte des Mittelalters 27). Online: http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/content/titleinfo/291132 (12. Oktober 2019). Parker 185?: Catalogue of popular and elementary foreign books, imported and sold by John Henry Parker, Oxford; and 377, Strand, London; Who continues to receive parcels from Paris and Leipsic, weekly. Oxford 185?. Parker 1874: A Catalogue of the Books in the Finch Collection Oxford, hg. von George Parker, Oxford 1874. Parker 1928: The Middle English Stanzaic Versions of the Life of Saint Anne, hg. von Roscoe E. Parker, London 1928. Päsler 2007: Ralf G. Päsler, Zwischen Deutschem Orden und Hanse. Zu den Anfängen literarischen Lebens im spätmittelalterlichen Preußenland. In: Ostpreußen – Westpreußen – Danzig. Eine historische Literaturlandschaft, hg. von Jens Stüben, München 2007, (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 30) S. 155–173. Päsler 2013: Ralf G. Päsler, Marienburg und das Preußenland. In: Schreiborte des deutschen Mittelalters. Skriptorien – Werke – Mäzene, hg. von Martin Schubert, Berlin / Boston 2013, S. 387–398. Päsler 2014: Ralf G. Päsler, Bedingungen für Literatur. Literaturförderung durch Mitglieder des Deutschen Ordens im Preußenland im historischen Prozess. In: Neue Studien zur Literatur im Deutschen Orden, hg. von Bernhart Jähnig und Arno Mentzel-Reuters, Stuttgart 2014, (ZfdA, Beiheft 19) S. 59–78.

6.3 Literaturverzeichnis

309

Pedersen 2012: Flemming E. Pedersen, Den første danske inkunabelsamler. Sigurd Wandel 1875–1947. In: Danske bogsamlere i det 20. århundrede. Bd. 1: Essays, hg. von Christian Sørensen, Kopenhagen 2012, S. 349–355. Peeters 1914: Évangiles apocryphes. Bd. 2: L’Évangile de l’Enfance. Rédactions Syriaques, Arabe et Arméniennes, hg. von Paul Peeters, Paris 1914. Pellegrini 2012a: Silvia Pellegrini, Kindheitsevangelien. In: Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien und Verwandtes, hg. von Christoph Markschies und Jens Schröter. 7. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, S. 886–902. Pellegrini 2012b: Silvia Pellegrini, Das Protevangelium des Jakobus. In: Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien und Verwandtes, hg. von Christoph Markschies und Jens Schröter. 7. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, S. 903–929. Peppermüller 1993: Rolf Peppermüller, Matthäus von Vendôme. In: LexMA, 6, 1993, Sp. 400. Perjus 1949: Das Marienleben Walthers von Rheinau, hg. von Edit Perjus, 2. vermehrte Auflage, Åbo 1949 (Acta Academiae Aboensis, Humaniora 17,1). Peters 1987: Robert Peters, Katalog sprachlicher Merkmale zur variablenlinguistischen Erforschung des Mittelniederdeutschen. Teil I. In: Niederdeutsches Wort, 27, 1987, S. 61–93. Peters 1988: Robert Peters, Katalog sprachlicher Merkmale zur variablenlinguistischen Erforschung des Mittelniederdeutschen. Teil II. In: Niederdeutsches Wort, 28, 1988, S. 75–106. Peters 1990: Robert Peters, Katalog sprachlicher Merkmale zur variablenlinguistischen Erforschung des Mittelniederdeutschen. Teil III. In: Niederdeutsches Wort, 30, 1990, S. 1–17. Peters 2000a: Robert Peters, XI. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstufen IV: Das Mittelniederdeutsche. 99. Soziokulturelle Voraussetzungen und Sprachraum des Mittelniederdeutschen. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Bd. 2,2, hg. von Werner Besch u. a. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Berlin / New York 2000, (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2) S. 1409–1422. Peters 2000b: Robert Peters, XI. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstufen IV: Das Mittelniederdeutsche. 106. Die Diagliederung des Mittelniederdeutschen. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Bd. 2,2, hg. von Werner Besch u. a. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Berlin / New York 2000, (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2) S. 1478–1490. Peters 2000c: Robert Peters, XI. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstufen IV: Das Mittelniederdeutsche. 108. Die Rolle der Hanse und Lübecks in der mittelniederdeutschen Sprachgeschichte. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Bd. 2,2, hg. von Werner Besch u. a. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin / New York 2000, (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2) S. 1496–1505. Peters 2017a: Robert Peters, Atlas spätmittelalterlicher Schreibsprachen des niederdeutschen Altlandes und angrenzender Gebiete (ASnA). Bd. 1: Einleitung, Karten, Berlin / Boston 2017. Peters 2017b: Robert Peters, Atlas spätmittelalterlicher Schreibsprachen des niederdeutschen Altlandes und angrenzender Gebiete (ASnA). Bd. 2: Verzeichnis der Belegtypen, Berlin / Boston 2017.  





310

6 Anhang

Peters 2017c: Robert Peters, Atlas spätmittelalterlicher Schreibsprachen des niederdeutschen Altlandes und angrenzender Gebiete (ASnA). Bd. 3: Verzeichnis der Schreibformen und der Textzeugen (Ortspunktdokumentation), Berlin / Boston 2017. Petersen 1920: Victor Petersen, Universitetets Arkiv gennem tiderne. In: Ex Bibliotheca Universitatis Hafniensis, Kopenhagen 1920, S. 65–118. Petersen 1975: Dag-Ernst Petersen, Mittelalterliche Bucheinbände der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel 1975 (Kleine Schriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 5). Petkanova 1993: Donka Petkanova, Kindheitslegenden Jesu. In: EM, 7, 1993, Sp. 1355–1361. Pfeiffer 1854: Franz Pfeiffer, Nicolaus von Jeroschin. Die Deutschordenschronik. Ein Beitrag zur Geschichte der mitteldeutschen Sprache und Literatur, Stuttgart 1854, Nachdruck Hildesheim 1966. Pfeiffer 1862: Berthold von Regensburg. Vollständige Ausgabe seiner Predigten mit Anmerkungen und Wörterbuch. Bd. 1, hg. von Franz Pfeiffer, Wien 1862. Philipp 1969: o.A., Bruder Philipp. In: 3LL, 2, 1969, Sp. 133f. Piccard 1961: Gerhard Piccard, Die Kronen-Wasserzeichen. Findbuch 1 der Wasserzeichenkartei Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Stuttgart 1961 (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg. Sonderreihe. Die Wasserzeichenkartei Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Findbuch 1). Piccard-Online: Gerhard Piccard, Digitale Publikation der Wasserzeichensammlung Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Wasserzeichendatenbank Piccard-Online, Stuttgart 2006. Online: http://www.piccard-online.de (12. Oktober 2019). Pickering 1971: The Anglo-Norman Text of the Holkham Bible Picture Book, hg. von Frederick P. Pickering, Oxford 1971 (Anglo-Norman Texts 23). Pieth 1922: Mitteilungen über die Lübeckische Stadtbibliothek 1616 (1622) – 1922, hg. von Willy Pieth, Lübeck 1922 (Veröffentlichungen der Stadtbibliothek der Freien und Hansestadt Lübeck 1,1/2). Pieth 1926: Willy Pieth, Der Aufbau der Lübecker Stadtbibliothek und die kulturelle Bedeutung unserer Büchereien. In: Bücherei und Gemeinsinn. Das öffentliche Bibliothekswesen der Freien und Hansestadt Lübeck, hg. von dems., Lübeck 1926, S. 15–51. Poeck 2000: Das älteste Greifswalder Stadtbuch (1291–1332), hg. von Dietrich W. Poeck, Köln /  Weimar / Wien 2000 (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Pommern. Reihe 4: Quellen zur Pommerschen Geschichte 14). Poppenborg 1998: Annette Poppenborg, Zur Lübecker Überlieferung der Legende Katharinas von Siena. Paralleledition von Stadtbibliothek Lübeck, Ms. theol. germ. 20, 45r-62r und ‚Der Heiligen Leben‘. Lübeck: Steffen Arndes 1492, y5vb-z2ra. In: Niederdeutsches Wort, 38, 1998, S. 77–116. Raabe 1971: Paul Raabe, Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek. In: Regionalbibliotheken in der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Wilhelm Totok und Karl-Heinz Weimann, Frankfurt a. M. 1971, (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderheft 11) S. 97–104. Raney 1930: M. Llewellyn Raney, Report of the Director of the University Libraries 1929–1930, Chicago 1930. Rapp 1994: Andrea Rapp, Textkritische Probleme bei der Ausgabe der Prosaauflösung von Philipps „Marienleben“. In: Editionsberichte zur mittelalterlichen deutschen Literatur. Beiträge der Bamberger Tagung „Methoden und Probleme der Edition mittelalterlicher deutscher Texte“, 26.–29. Juli 1991, hg. von Anton Schwob, Göppingen 1994, (Litterae. Göppinger Beiträge zur Textgeschichte 117) S. 219–224.  

6.3 Literaturverzeichnis

311

Rapp 1998: Andrea Rapp, bücher gar húbsch gemolt. Studien zur Werkstatt Diebold Laubers am Beispiel der Prosabearbeitung von Bruder Philipps „Marienleben“ in den Historienbibeln IIa und Ib, Bern u. a. 1998 (Vestigia bibliae. Jahrbuch des Deutschen Bibel-Archivs Hamburg 18). Rautenberg 2015: Ursula Rautenberg, Das Buch in der Codexform und einblättrige Lesemedien. In: Lesen. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von ders. und Ute Schneider, Berlin / Boston 2015, S. 279–336. Reinsch 1879: Die Pseudo-Evangelien von Jesu und Maria’s Kindheit in der romanischen und germanischen Literatur, hg. von Robert Reinsch, Halle 1879. Reissenberger 1916: Karl Reissenberger, Zu Bruder Philipp von Seitz. In: PBB, 41, 1916, S. 184–187. Richert 1989: Hans-Georg Richert, ‚Passional‘. In: 2VL, 7, 1989, Sp. 332–340. Rilke 1912: Rainer Maria Rilke, Das Marien-Leben, Leipzig 1912. Ritter 1861: Verzeichniss der Bibliothek und Kartensammlung des Professors, Ritters etc. etc. Dr. Carl Ritter in Berlin, welche am 6. Mai 1861 in T. O. Weigel’s Auktions-Local zu Leipzig durch den verpflichteten Proclamator Herrn Heinrich Engel gegen baare Zahlung versteigert werden soll. Bd. 1: Bibliothek, Leipzig 1861. Röckelein 2014: Hedwig Röckelein, Schriftlandschaften – Bildungslandschaften – religiöse Landschaften in Norddeutschland. In: Schriftkultur und religiöse Zentren im norddeutschen Raum, hg. von Patrizia Carmassi, Eva Schlotheuber und Almut Breitenbach, Wiesbaden 2014, (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 24) S. 19–139. Roolfs 2015: Friedel Helga Roolfs, Rezension: Jessica Kreutz: Die Buchbestände von Wöltingerode. Ein Zisterzienserinnenkloster im Kontext der spätmittelalterlichen Reformbewegungen (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 26). Wiesbaden 2014. 312 S., 7 Farbabb. und 7 sw-Abb. In: NdJb, 138, 2015, S. 154–159. Rosenthal 1958: Robert Rosenthal, MSS: Living Past. University Library Special Collections. In: The University of Chicago Magazine, 50, 1958, S. 12–18. Online: http://pi.lib.uchicago.edu/ 1001/dig/campub/mvol-0002-0050-0006/14 (12. Oktober 2019). Rösler 2001: Irmtraud Rösler, Die Wismarer mittelniederdeutsche Sprache des 15. Jahrhunderts und die Sprache des Redentiner Osterspiels. Ein Vergleich. In: Leuvense bijdragen, 90, 2001, S. 11–27. Roth 1845: Dichtungen des deutschen Mittelalters, hg. von Karl Roth, Stadtamhof 1845. Online: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10117399-5 (12. Oktober 2019). Roth 2018: Gunhild Roth, Neue Fragmente aus dem Nachlass von Hartmut Beckers (gest. 1996). In: ZfdA, 147, 2018, S. 303–307. Rückert 1853: Bruder Philipps des Carthäusers Marienleben, hg. von Henrich Rückert, Quedlinburg / Leipzig 1853 (Bibliothek deutschen National-Literatur 34). Ruh 1983: Kurt Ruh, ‚Hoheliedauslegung An Hymmel vnde an erden‘. In: 2VL, 4, 1983, Sp. 84–87. Ruh 1985: Kurt Ruh, Überlieferungsgeschichte mittelalterlicher Texte als methodischer Ansatz zu einer erweiterten Konzeption von Literaturgeschichte. In: Überlieferungsgeschichtliche Prosaforschung. Beiträge der Würzburger Forschergruppe zur Methode und Auswertung, hg. von dems., Tübingen 1985, (Texte und Textgeschichte. Würzburger Forschungen 19) S. 262–272. Rumyantsev 2017: Dmitry Sergeyevich Rumyantsev, Die Neue Ehe in Low German in the Incunabula Collection of the Russian State Library. In: The Rumyantsev Readings – 2017. The 500th Anniversary of Publication of the First Slavonic Bible by Francysk Skaryna: The Formation  

312

6 Anhang

and Development of Printing Culture. Proceedings of the International Scientific and Practical Conference (April 18–19, 2017). Bd. 2, hg. von Elena Aleksandrovna Ivanova und Viktor Vladimirovič Fedorov, Moskau 2017, S. 106–109 [in russischer Sprache]. Rüthing 1989: Heinrich Rüthing, Die Kartäuser und die spätmittelalterlichen Ordensreformen. In: Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, hg. von Kaspar Elm, Berlin 1989, (Berliner historische Studien 14, Ordensstudien 6) S. 35–58. Rüthing 1994: Heinrich Rüthing, Die mittelalterliche Bibliothek des Zisterzienserinnenklosters Wöltingerode. In: Zisterziensische Spiritualität. Theologische Grundlagen, funktionale Voraussetzungen und bildhafte Ausprägungen im Mittelalter, hg. von Clemens Kasper OCist. und Klaus Schreiner, St. Ottilien 1994, (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 34) S. 189–216. Salzer 1967: Anselm Salzer, Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters. Mit Berücksichtigung der patristischen Literatur. Eine literar-historische Studie, Darmstadt 1967. Sammer 2017: Clemens Brentano. Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 27,1. Religiöse Werke 2,3: Leben Mariä. Erläuterungen, hg. von Marianne Sammer, Stuttgart 2017 (Frankfurter Brentano-Ausgabe). Schade 1869: Liber de infantia Mariae et Christi salvatoris, hg. von Oscar Schade, Halle 1869. Schade 1870: Narrationes de vita et conversatione Beatae Mariae Virginis et de pueritia et adolescentia salvatoris. Ex codice Gissensi, hg. von Oscar Schade, Halle 1870. Online: http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schade1870/0001 (12. Oktober 2019). Schäffer 1836: Georg Heinrich Schäffer, Bibliotheca Büloviana, d.i. systematisches Verzeichniß der zum Nachlasse des verstorbenen Herrn Stiftungsregierungsraths Friedr. Gottl. Jul. v. Bülow zu Beyernaumburg bei Sangerhausen gehörigen, eben so zahlreichen als werthvollen Sammlung von Büchern und Handschriften aus allen Fächern der Wissenschaften. Dritter Theil (Handschriften) welcher den 10. October 1836 und folgende Tage Vormittags von 9–12 und Nachmittags von 2–5 Uhr zu Eisleben im preußischen Herzogthum Sachsen öffentlich und meistbietend gegen gleich baare Bezahlung versteigert werden wird, Sangerhausen 1836. Online: http://archiv.ub.uni-marburg.de/eb/2016/0115 (12. Oktober 2019). Schärtl 2012: Monika Schärtl, Das Nikodemusevangelium, die Pilatusakten und die ‚Höllenfahrt Christi‘. In: Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien und Verwandtes, hg. von Christoph Markschies und Jens Schröter. 7. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, S. 231–261. Scheidweiler 1987: Felix Scheidweiler, Nikodemusevangelium. Pilatusakten und Höllenfahrt Christi. In: Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien, hg. von Wilhelm Schneemelcher. 5. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten Sammlung, Tübingen 1987, S. 395–424. Scheller 1826: Karl Friedrich Arend Scheller, Bücherkunde der Sassisch-Niederdeutschen Sprache hauptsächlich nach den Schriftdenkmälern der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel, Braunschweig 1826. Schickel 1990: Joachim Schickel, Matthäus von Vendôme. Ars versificatoria. In: Kindler, 11, 1990, S. 340. Schiewer 2002: Hans-Jochen Schiewer, Die Sammlung Leuchte. Eine Berliner Privatbibliothek mittelalterlicher deutschsprachiger Handschriften. In: Die Präsenz des Mittelalters in seinen Handschriften. Ergebnisse der Berliner Tagung in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußi-

6.3 Literaturverzeichnis

313

scher Kulturbesitz, 6.–8. April 2000, hg. von Hans-Jochen Schiewer und Karl Stackmann, Tübingen 2002, S. 337–349. Schiewer 2007: Regina D. Schiewer, Wissenschaftliche Beschreibung der Hs. 1500,25 (unveröffentlicht), o.O. 2007. Schlusemann 2014: Rita Schlusemann, Volkssprachlicher Kulturtransfer bei der Devotio moderna. In: Schriftkultur und religiöse Zentren im norddeutschen Raum, hg. von Patrizia Carmassi, Eva Schlotheuber und Almut Breitenbach, Wiesbaden 2014, (Wolfenbütteler MittelalterStudien 24) S. 465–493. Schmid 1788: Konrad Arnold Schmid, Zwei Fragmente eines alten Gedichts von der heil. Maria. In: Deutsches Museum, 1, 1788, S. 61–83, 112–125. Online: http://ds.ub.uni-bielefeld.de/ viewer/image/1923976_025/67/ (12. Oktober 2019). Schmidt 1994: Paul Gerhard Schmidt, Probleme der Schreiber – Der Schreiber als Problem, Stuttgart 1994 (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 31,5). Schmidtke 1995: Dietrich Schmidtke, ‚Der Sünden Widerstreit‘. In: 2VL, 9, 1995, Sp. 527–530. Schmitt 1940: Otto Schmitt, Das Marienleben am Thanner Westportal. In: Oberrheinische Kunst. Jahrbuch der oberrheinischen Museen, 9, 1940, S. 45–62. Schmitt 1959: Der Große Seelentrost. Ein niederdeutsches Erbauungsbuch des vierzehnten Jahrhunderts, hg. von Margarete Schmitt, Köln / Graz 1959 (Niederdeutsche Studien 5). Schmolinsky 1993: Sabine Schmolinsky, Imagination vorbildlicher Weiblichkeit. Zur Konstitution einer exemplarischen Biographie in mittelalterlichen lateinischen und deutschen Marienleben. In: Maria in der Welt. Marienverehrung im Kontext der Sozialgeschichte. 10.–18. Jahrhundert, hg. von Claudia Opitz u. a., Zürich 1993, (Clio Lucernensis 2) S. 81–93. Schmugge 2012: Verzeichnis der in den Supplikenregistem der Pönitentiarie Alexanders VI. vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches 1492–1503. Bd. 1: Text, hg. von Ludwig Schmugge, Berlin / Boston 2012 (Repertorium poenitentiariae Germanicum 8). Schnabel 2013: Kerstin Schnabel, Ein Zeugnis der Marienfrömmigkeit im 14. Jahrhundert. Das Dorstädter Mariale Cod. Guelf. 617 Helmst. In: Rosenkränze und Seelengärten. Bildung und Frömmigkeit in niedersächsischen Frauenklöstern, hg. von Britta-Juliane Kruse, Wolfenbüttel 2013, (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 96) S. 137–146. Schneider 1973: Karin Schneider, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Cgm 351–500, Wiesbaden 1973 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis 5,3). Online: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/kataloge/ HSK0044.htm (12. Oktober 2019). Schneider 1978: Karin Schneider, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Cgm 501–690, Wiesbaden 1978 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis 5,4). Online: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/kataloge/ HSK0045.htm (12. Oktober 2019). Schneider 1995: Evangelia infantiae apocrypha. Apokryphe Kindheitsevangelien, hg. von Gerhard Schneider, Freiburg u. a. 1995 (Fontes Christiani 18). Schneider 2014: Karin Schneider, Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten. Eine Einführung. 3., durchgesehene Auflage, Berlin / Boston 2014 (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte B, Ergänzungsreihe 8). Schneider, A. 2014: Almut Schneider, Differenz und Eigenwert. Sprachenvielfalt und regionale Identität in Texten des deutschen Mittelalters. In: Schriftkultur und religiöse Zentren im  



314

6 Anhang

norddeutschen Raum, hg. von Patrizia Carmassi, Eva Schlotheuber und Almut Breitenbach, Wiesbaden 2014, (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 24) S. 447–464. Schnell 1997: Bernhard Schnell, Die volkssprachliche Medizinliteratur des Mittelalters – Wissen für wen? In: Laienlektüre und Buchmarkt im späten Mittelalter, hg. von Thomas Kock und Rita Schlusemann, Frankfurt a. M. u. a. 1997, (Gesellschaft, Kultur und Schrift. Mediävistische Beiträge 5) S. 129–145. Scholla 2002: Agnes Scholla, Libri sine asseribus. Zur Einbandtechnik, Form und Inhalt mitteleuropäischer Koperte des 8. bis 14. Jahrhunderts, Diss. Leiden 2002. Schönbach 1886: Altdeutsche Predigten. Bd. 1: Texte, hg. von Anton E. Schönbach, Graz 1886, Nachdruck Darmstadt 1964. Schröder 1888: Edward Schröder, Philipp. In: Allgemeine Deutsche Biographie, 26, 1888, S. 71 f. Online: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00008384/image_73 (12. Oktober 2019). Schröder 1924a: Edward Schröder, Der Dichter des deutschen Eraclius. Ein Beitrag zur altbayerischen Literaturgeschichte, München 1924 (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-philologische und historische Klasse). Schröder 1924b: Edward Schröder, Literaturnotizen. In: ZfdA, 61, 1924, S. 25–32. Schröder 1931: Edward Schröder, Von der Vita B. Mariae rhythmica. In: ZfdA, N.F. 56 = 68, 1931, S. 243–248. Schubert 2002: Martin Schubert, Versuch einer Typologie von Schreibereingriffen. In: Das Mittelalter, 7, 2002, S. 125–144. Schubert 2008a: Martin Schubert, Das Leben der heiligen Elisabeth im Spiegel der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Elisabeth von Thüringen und die neue Frömmigkeit in Europa, hg. von Christa Bertelsmeier-Kierst, Frankfurt a. M. u. a. 2008, (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 1) S. 275–294. Schubert 2008b: Martin Schubert, Ein Missing link der Elisabethforschung. Die mittelniederdeutsche Reimprosa in einem mitteldeutschen Zeugnis. In: Mittelalterliche Sprache und Literatur in Eisenach und Erfurt. Tagung anlässlich des 70. Geburtstags von Rudolf Bentzinger am 22.8.2006, hg. von dems., Jürgen Wolf und Annegret Haase, Frankfurt a. M. u. a. 2008, (Kultur, Wissenschaft, Literatur. Beiträge zur Mittelalterforschung 18) S. 131–161. Schubert 2009: Martin Schubert, Die heilige Familie im Wust der Apokryphen. Fortschreibung als Methode mittelalterlicher Legendenüberlieferung. In: Historia vero testis temporum. Festschrift für Václav Bok zum 70. Geburtstag, hg. von Hana Andrášová, Peter Ernst und Libuše Spáčilová, Wien 2009, (Schriften zur diachronen Sprachwissenschaft 20) S. 133–157. Schubert 2013: Martin Schubert, Einleitung. In: Schreiborte des deutschen Mittelalters. Skriptorien – Werke – Mäzene, hg. von dems., Berlin / Boston 2013, S. 1–40. Schulz 1860: Otto August Schulz, Allgemeines Adressbuch für den Deutschen Buchhandel, den Antiquar-, Musikalien-, Kunst- und Landkarten-Handel und verwandte Geschäftszweige, Leipzig 1860. Online: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/4015617/ft/bsb10528661? page=7 (12. Oktober 2019). Schulz 1861: Otto August Schulz, Allgemeines Adressbuch für den Deutschen Buchhandel, den Antiquar-, Colportage-, Kunst-, Landkarten- und Musikalien-Handel sowie verwandte Geschäftszweige, Leipzig 1861. Online: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/4015618/ft/ bsb10528662?page=7 (12. Oktober 2019). Schunke 1979: Ilse Schunke, Die Schwenke-Sammlung gotischer Stempel- und Einbanddurchreibungen nach Motiven geordnet und nach Werkstätten bestimmt und beschrieben. Bd. 1: Einzelstempel, Berlin 1979 (Beiträge zur Inkunabelkunde 3,7).  













6.3 Literaturverzeichnis

315

Schunke 1996: Ilse Schunke, Die Schwenke-Sammlung gotischer Stempel- und Einbanddurchreibungen nach Motiven geordnet und nach Werkstätten bestimmt und beschrieben. Bd. 2: Werkstätten, Berlin 1996 (Beiträge zur Inkunabelkunde 3,10). Schweikle 1983: Günther Schweikle, Hugo von Trimberg. In: 2VL, 4, 1983, Sp. 268–282. Schweitzer 1992a: Robert Schweitzer, Die alten und wertvollen Bestände der Stadtbibliothek. Entstehung der Sammlung, Geschichte der Auslagerung, Bedeutung der Rückkehr. In: Der Wagen. Ein lübeckisches Jahrbuch 1992, S. 73–105, 269–278. Schweitzer 1992b: Robert Schweitzer, Niederdeutsche Handschriften der Stadtbibliothek Lübeck zu zwei Dritteln aus der Sowjetunion zurückgekehrt. In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, 99, 1992, S. 4–7. SCIPIO: Online Computer Library Center, SCIPIO. Art and rare books sales/auction catalogs, Dublin, Ohio o.J. Seelbach 2013: Ulrich Seelbach, Die Lokalisierung mittelalterlicher Handschriften mit historischen Sprachatlanten. In: Grundlagen. Forschungen, Editionen und Materialien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von Rudolf Bentzinger, Ulrich-Dieter Oppitz und Jürgen Wolf, Stuttgart 2013, (ZfdA, Beiheft 18) S. 535–550. Shaw / Fournier / Gärtner 2008: Die Weltchronik Heinrichs von München. Neue Ee, hg. von Frank Shaw, Johannes Fournier und Kurt Gärtner, Berlin 2008 (Deutsche Texte des Mittelalters 88). Sieber 1883: Josef Sieber, Mitteldeutsche Bruchstücke. In: Jahres-Bericht des k.k. Staats-OberGymnasiums zu Leitmeritz in Böhmen für das Schuljahr 1883, Leitmeritz 1883, S. 3–27. Sommer 1859: Wilhelm Sommer, Bruder Philipp’s, des Karthäusers, Marienleben, Münster 1859. Stackmann 1993: Karl Stackmann, Die Edition – Königsweg der Philologie? In: Methoden und Probleme der Edition mittelalterlicher deutscher Texte. Bamberger Fachtagung 26.–29. Juni 1991. Plenumsreferate, hg. von Rolf Bergmann und Kurt Gärtner, Tübingen 1993, S. 1–18. Stackmann 1994: Karl Stackmann, Neue Philologie? In: Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche, Frankfurt a. M. / Leipzig 1994, (insel taschenbuch 2513) S. 398–427. Stackmann 1997: Karl Stackmann, Mittelalterliche Texte als Aufgabe. In: Karl Stackmann. Mittelalterliche Texte als Aufgabe. Kleine Schriften 1, hg. von Jens Haustein, Göttingen 1997, S. 1–25. Stackmann 1998: Karl Stackmann, Autor – Überlieferung – Editor. In: Das Mittelalter und die Germanisten. Zur neueren Methodengeschichte der Germanischen Philologie. Freiburger Colloquium 1997, hg. von Eckart Conrad Lutz, Freiburg/Schweiz 1998, (Scrinium Friburgense 11) S. 11–32. Stadler / Ginal 1875: Vollständiges Heiligen-Lexikon. Bd. 4: M–P, hg. von Johann Evangelist Stadler und Johann Nepomuk Ginal, Augsburg 1875, Nachdruck Hildesheim / Zürich / New York 1996. Stammler 1925: Wolfgang Stammler, Die Bedeutung der mittelniederdeutschen Literatur in der deutschen Geistesgeschichte. In: GRM, 13, 1925, S. 422–450. Stannat 1959: Werner Stannat, Das Leben der heiligen Elisabeth in drei mittelniederdeutschen Handschriften aus Wolfenbüttel und Hannover, Neumünster 1959 (Niederdeutsche Denkmäler 9). Staphorst 1731: Nicolaus Staphorst, Hamburgische Kirchen-Geschichte. Bd. 1,4, Hamburg 1731. Stark 1982: Verena Stark, Das Marienleben des Bruder Philipp von Seitz. Handschriftliche Überlieferung und auszugsweise Graphematik des CVP 2709, Diss Wien 1982.  

316

6 Anhang

Staubach 2003: Nikolaus Staubach, Die Devotio moderna als Textgemeinschaft. In: Schnittpunkte. Deutsch-Niederländische Literaturbeziehungen im späten Mittelalter, hg. von Angelika Lehmann-Benz, Ulrike Zellmann und Urban Küsters, Münster u. a. 2003, (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 5) S. 19–40. Stead 2018: Evanghelia Stead, Introduction. In: Reading Books and Prints as Cultural Objects, hg. von ders., Cham 2018, (New Directions in Book History) S. 1–30. Steer 1985: Georg Steer, Gebrauchsfunktionale Text- und Überlieferungsanalyse. In: Überlieferungsgeschichtliche Prosaforschung. Beiträge der Würzburger Forschergruppe zur Methode und Auswertung, hg. von Kurt Ruh, Tübingen 1985, (Texte und Textgeschichte. Würzburger Forschungen 19) S. 5–36. Steinhäuser 1890: Paul Steinhäuser, Wernhers Marienleben in seinem Verhältnisse zum ‚Liber de infantia sanctae Mariae et Christi salvatoris‘ nebst einem metrischen Anhange, Diss. Rostock, Berlin 1890. Stork / Wachinger 1995: Hans-Walter Stork und Burghart Wachinger, ‚Speculum humanae salvationis‘. In: 2VL, 9, 1995, Sp. 52–65. Strauch 1910: Philipp Strauch, Die Deutschordensliteratur des Mittelalters. Rede zur Feier des Geburtstages S. Majestät des Kaisers am 27. Januar 1910, Halle 1910. Strauß 1983: Ulrike Strauß, Das ehemalige Augustinerchorfrauenstift Marienberg bei Helmstedt. Beiträge zu seiner Geschichte bis zur Reformation, Braunschweig 1983 (Beihefte zum Braunschweigischen Jahrbuch 1). Stroppel 1927: Robert Stroppel, Liturgie und geistliche Dichtung zwischen 1050 und 1300. Mit besonderer Berücksichtigung der Meß- und Tagzeitenliturgie, Frankfurt a. M. 1927, Nachdruck Hildesheim 1973 (Deutsche Forschungen 17). Taddey 1966: Gerhard Taddey, Das Kloster Heiningen von der Gründung bis zur Aufhebung, Göttingen 1966 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 14, Studien zur Germania Sacra 4). Taddey 1977: Gerhard Taddey, Domus sancti Petri apostoli in Heiningen. In: Monasticon Windeshemense. Bd. 2: Deutsches Sprachgebiet, hg. von Wilhelm Kohl, Ernest Persoons und Anton G. Weiler, Brüssel 1977, (Archives et bibliothèques de Belgique 16) S. 491–499. Taylor 1861: Catalogue of the Library of the Taylor Institution, Oxford 1861. Tentzel 1697: Wilhelm Ernst Tentzel, Monatliche Unterredungen einiger guten Freunde von allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten, Leipzig 1697. Online: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10540706-1 (12. Oktober 2019). Theiß / Wolf 2013: Alissa Theiß und Jürgen Wolf, Lübeck. In: Schreiborte des deutschen Mittelalters. Skriptorien – Werke – Mäzene, hg. von Martin Schubert, Berlin / Boston 2013, S. 283–305. Thilo 1832: Codex Apocryphus Novi Testamenti. E libris editis et manuscriptis, maxime gallicanis, germanicis et italicis, collectus, recensitus notisque et prolegomenis illustratus. Bd. 1, hg. von Johann Karl Thilo, Leipzig 1832. Tischendorf 1876: Evangelia apocrypha. Adhibitis plurimis codicibus graecis et latinis maximam partem nunc primum consultis atque ineditorum copia insignibus, hg. von Konstantin Tischendorf. 2. Auflage, Leipzig 1876. Tortzen 1999: Christian Gorm Tortzen, Medieval Manuscript Fragments in Denmark. In: Living Words & Luminous Pictures. Medieval book culture in Denmark. Essays, hg. von Erik Petersen, Kopenhagen 1999, S. 163–173. Ukena-Best 2002: Elke Ukena-Best, Domine, memento mei – herre, nû erbarme dich. Die Lebensgeschichte des rechten Schächers in Konrads von Fußesbrunnen Kindheit Jesu  



6.3 Literaturverzeichnis

317

zwischen lateinischer Quelle, lateinischer Adaptation und deutscher Prosaauflösung. In: Scripturus vitam. Lateinische Biographie von der Antike bis in die Gegenwart. Festgabe für Walter Berschin zum 65. Geburtstag, hg. von Dorothea Walz, Heidelberg 2002, S. 185–206. van den Broek 1974: Roelof van den Broek, A Latin Diatessaron in the ‚Vita beate virginis Marie et salvatoris rhythmica‘. In: New Testament Studies, 21, 1974, S. 109–132. van Dijk 1991: Rudolf Th. M. van Dijk, Geert Grote im Lichte seiner kartäusischen Beziehungen. In: Die Geschichte des Kartäuserordens. Bd. 1, hg. von James Hogg, Salzburg 1991, (Analecta Cartusiana 125) S. 113–127. Vögtlin 1888: Vita beate virginis Marie et salvatoris rhythmica, hg. von Adolf Vögtlin, Tübingen 1888 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 180). Vollmer 1912: Hans Vollmer, Ober- und mitteldeutsche Historienbibeln, Berlin 1912 (Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde des Mittelalters 1,1). Vollmer 1929: Die Neue Ee, eine neutestamentliche Historienbibel, hg. von Hans Vollmer, Berlin 1929 (Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde des Mittelalters 4). von Cochem 1712: Martin von Cochem, Das Grosse Leben Christi/ Oder Außführliche/ Andächtige/ Bewegliche Und gantz Vollkommene Beschreibung Deß Allerheiligsten Lebens und bittern Leydens Unsers HErrn JEsu Christi/ Und seiner Glorwürdigsten Lieben Mutter Mariä (...). Mit grossem Fleiß abermal durchlesen/ verbessert und vermehrt (...), Mainz / Frankfurt a. M. 1712. Online: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV005573558 (12. Oktober 2019). von der Hagen / Büsching 1812: Friedrich Heinrich von der Hagen und Johann Gustav Büsching, Literarischer Grundriß zur Geschichte der deutschen Poesie von der ältesten Zeit bis in das sechzehnte Jahrhundert, Berlin 1812. von Hanstein 1856/57: Carl Philipp Emil von Hanstein, Urkundliche Geschichte des Geschlechts der von Hanstein in dem Eichsfeld in Preußen (Provinz Sachsen) nebst Urkundenbuch und Geschlechts-Tafeln. Erster und zweiter Teil in einem Band mit 15 Familienstammtafeln und einem Vorwort von Josef Keppler, Kassel 1856/57, Nachdruck Duderstadt 2007. von Heinemann 1884: Otto von Heinemann, Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Erste Abtheilung: Die Helmstedter Handschriften. Bd. 1, Wolfenbüttel 1884. Online: http://diglib.hab.de/drucke/15-4f-10-1b-1/start.htm (12. Oktober 2019). von Heinemann 1886: Otto von Heinemann, Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Erste Abtheilung: Die Helmstedter Handschriften. Bd. 2, Wolfenbüttel 1886. Online: http://diglib.hab.de/drucke/15-4f-10-1b-2/start.htm (12. Oktober 2019). von Heinemann 1888: Otto von Heinemann, Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Erste Abtheilung: Die Helmstedter Handschriften. Bd. 3, Wolfenbüttel 1888. Online: http://diglib.hab.de/drucke/15-4f-10-1b-3/start.htm (12. Oktober 2019). von Heinemann 1903: Otto von Heinemann, Die Augusteischen Handschriften. Bd. 5: Codex Guelferbytanus 34.1 Aug. 4° bis 117 Augusteus 4°, Wolfenbüttel 1903, Nachdruck Frankfurt a. M. 1966 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel 8,5). Online: http://diglib. hab.de/drucke/f4f-539-8/start.htm?image=00001 (12. Oktober 2019). Wachinger 1991: Burghart Wachinger, Autorschaft und Überlieferung. In: Autorentypen, hg. von Walter Haug und dems., Tübingen 1991, (Fortuna vitrea 6) S. 1–28. Wandel 1923: Sigurd Wandel:Sigurd Wandels Bibliothek. Indledning. In: Aarbog for Bogvenner, 7, 1923, S. 37 f. Weber 1984: Vulgata = Biblia sacra iuxta vulgatam versionem, hg. von Robert Weber OSB, 3. verbesserte Auflage, Stuttgart 1984.  







318

6 Anhang

Wegener 2019: Lydia Wegener, Aneignungsformen der Antiphon Salve regina in spätmittelalterlichen Gebet- und Andachtsbüchern. In: Hymnus, Sequenz, Antiphon. Fallstudien zur volkssprachlichen Aneignung liturgischer Lieder im deutschen Mittelalter, hg. von Andreas Kraß und Christina Ostermann, Berlin / Boston 2019, (Liturgie und Volkssprache. Studien zur Rezeption und Produktion geistlicher Lieder in Mittelalter und Früher Neuzeit 3) S. 225–248. Wehrli-Johns 1986: Martina Wehrli-Johns, Maria und Martha in der religiösen Frauenbewegung. In: Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984, hg. von Kurt Ruh, Stuttgart 1986, (Germanistische Symposien. Berichtsbände 7) S. 354–367. Weigand 2000: Rudolf Kilian Weigand, Der ‚Renner‘ des Hugo von Trimberg. Überlieferung, Quellenabhängigkeit und Struktur einer spätmittelalterlichen Lehrdichtung, Wiesbaden 2000 (Wissensliteratur im Mittelalter 35). Weiler 1995: Antonius Gerardus Weiler, Christelijke identiteit, morele vorming en laat-middeleeuws onderwijs. In: Geloof, moraal en intellect in de middeleeuwen, hg. von Petty Bange, Nijmegen 1995, (Middeleeuwse Studies 10) S. 177–198. Weinrich 1990: Lorenz Weinrich, Zwei Brieffragmente des Rather von Verona in Chicago. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, 46, 1990, S. 48–59. Wenzel 1990: Siegfried Wenzel, Reflections on (New) Philology. In: Speculum, 65, 1990, S. 11–18. Wenzel / Tervooren 1997: Helmut Tervooren und Horst Wenzel, Einleitung. In: ZfdPh, 116 (Sonderheft), 1997, S. 1–9. Wernicke 1998: Horst Wernicke, Literarische Rezeptionsbedingungen im Hanseraum aus historischer Sicht. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters im europäischen Kontext. Tagung Greifswald, 11.–15. September 1995, hg. von Rolf Bräuer, Göppingen 1998, (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 651) S. 135–147. Wesle / Fromm 1969: Priester Wernher. Maria. Bruchstücke und Umarbeitungen, hg. von Carl Wesle und Hans Fromm. 2. Auflage, Tübingen 1969 (Altdeutsche Textbibliothek 26). Wiener / Drescher 2005: Claudia Wiener und Georg Drescher, Marienleben im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit. 1. Bruder Philipp. In: Andachtsliteratur als Künstlerbuch. Dürers Marienleben. Eine Ausstellung der Bibliothek Otto Schäfer zu einem Buchprojekt des Nürnberger Humanismus, hg. von Georg Drescher, Schweinfurt 2005, (Bibliothek Otto Schäfer. Ausstellungskatalog 21) S. 60 f. Williams-Krapp 1985: Werner Williams-Krapp, ‚Maria Magdalena‘. In: 2VL, 5, 1985, Sp. 1258–1264. Williams-Krapp 1986: Werner Williams-Krapp, Literaturlandschaften im späten Mittelalter. In: Niederdeutsches Wort, 26, 1986, S. 1–7. Williams-Krapp 2006: Werner Williams-Krapp, Die süddeutschen Übersetzungen der ‚Imitatio Christi‘. Zur Rezeption der Devotio moderna im oberlant. In: Aus dem Winkel in die Welt. Die Bücher des Thomas von Kempen und ihre Schicksale, hg. von Ulrike Bodemann und Nikolaus Staubach, Frankfurt a. M. 2006, (Tradition – Reform – Innovation 11) S. 65–79. Wimmer 1981: Erich Wimmer, Dismas der rechte Schächer. In: EM, 3, 1981, Sp. 697–701. Winkler 1992: Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke lateinisch/deutsch. Bd. 2, hg. von Gerhard B. Winkler, Innsbruck 1992. Witakowski 1995: Witold Witakowski, The Miracles of Jesus. An Ethiopian Apocryphal Gospel. In: Apocrypha, 6, 1995, S. 279–298. Wyss 1986: Ulrich Wyss, Religiöse Epik im österreichischen Spätmittelalter. In: Die Österreichische Literatur. Ihr Profil von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (1050– 1750). Bd. 1, hg. von Herbert Zeman, Graz 1986, S. 295–309. WZIS: Landesarchiv Baden-Württemberg u. a., Wasserzeichen-Informationssystem, o.J. Online: http://www.wasserzeichen-online.de (12. Oktober 2019).  





6.3 Literaturverzeichnis

319

Zadnikar / Wienand 1983: Die Kartäuser. Der Orden der schweigenden Mönche, hg. von Marijan Zadnikar und Adam Wienand, Köln 1983. Zeidler 1892: Der Sünden Widerstreit. Eine geistliche Dichtung des 13. Jahrhunderts, hg. von Victor Zeidler, Zürich 1892. Zelzer 1990: Michaela Zelzer, Matthäus von Vendôme. Tobias. In: Kindler, 11, 1990, S. 341. Ziegeler 1999: Hans-Joachim Ziegeler, ‚Unser vrouwen klage‘. In: 2VL, 10, 1999, Sp. 90–96. Zoepfl 1955: Friedrich Zoepfl, Dismas und Gestas. In: RDK, 4, 1955, Sp. 83–87. Zubillaga 2012: Carina Zubillaga, Vestimentas compartidas y otros cuidados: las formas de la generosidad en el Ms. K-III-4 (Libro de Apolonio, Vida de Santa María Egipciaca, Libre dels tres reys d’Orient). In: Olivar, 13,17, 2012, S. 11–32. Zubillaga 2017: Carina Zubillaga, El llanto como medida de la sensibilidad medieval en el contexto del Ms. Esc. K-III-4 (Libro de Apolonio, Vida de Santa María Egipciaca, Libro de los tres reyes de Oriente). In: Bulletin of Spanish Studies, 94,1, 2017, S. 25–40. Zwierzina 1901: Konrad Zwierzina, Mittelhochdeutsche Studien. 10. Doppelformen und Synonyma. In: ZfdA, N.F. 33 = 45, 1901, S. 19–100.

6.4 Register Das Register verzeichnet Personen, Orte, Werke, Handschriften und Drucke.

‚Acta Pilati‘ 224–230 Adelung, Johann Christoph 24, 50, 110–111 Aelred von Rievaulx – ‚De institutione inclusarum‘ 230 Ägypten 18, 161, 176, 209, 215 Anm. 117, 218–224, 228–232, 234, 236, 238–239, 241, 245, 249–250, 277 Alba Julia / Karlsburg, Biblioteca Bátthyáneum – Cod. R II 104 (Kat.-Nr. 263) [Sigle A] 37–38, 132–133, 142–143, 254 Amsterdam 97 Andreas (Apostel) 148 Anm. 51 Anna 11, 17, 19, 21, 177, 187, 196 Anselm von Canterbury 231 Anm. 165 ‚Arabisches Johannesevangelium‘ 231 ‚Arabisches Kindheitsevangelium‘ 223–224, 232 Aristoteles 79 ‚Armenisches Kindheitsevangelium‘ 220 Anm. 128 Athos, Kloster des Hl. Pantaleon – 742 227 – 744 227 Athos, Kloster Iviron – 692 227 Athos, Kloster Megisti Lavra – H 31 227 Augsburg 243 ‚Augsburger Marienklage‘ 74 Anm. 41 Augustinus 79, 230 Anm. 163, 244 Anm. 203 Augustus 18 Bamberg, Staatsbibliothek – Msc. Hist. 156 10 Anm. 54–56 Barber, Giles 117 Bartholomäus (Apostel) 148 Anm. 51 Beckers, Hartmut 36, 53–54, 121 Berlin 48, 104, 121 Anm. 279 Berlin, Staatsbibliothek – Acta KB III B 48 111 Anm. 220

https://doi.org/10.1515/9783110676822-007

– Ms. germ. fol. 757, Bll. 6–7 [Sigle Nr. 4] 281 Anm. 11 – Ms. germ. fol. 1107 [Sigle Nr. 89] 240 Anm. 190, 269 – Ms. germ. fol. 1396 75 Anm. 50 – Ms. germ. fol. 1416 [Sigle Nr. 90] 269 – Ms. germ. fol. 1428 75 Anm. 50 – Ms. germ. qu. 7 50, 110 – Ms. germ. qu. 8 110 – Ms. germ. qu. 13 [Sigle B] 29, 91, 132, 189 Anm. 80, 215 Anm. 117 – Ms. germ. qu. 760 [Sigle Be] 25, 29, 32, 35–36, 39, 64–67, 69–71, 78–82, 105– 111, 120, 128–129, 132, 139–140, 148, 161, 164, 167–181, 185–186, 189–190, 196–208, 209 Anm. 109, 210–212, 213 Anm. 112, 214, 215 Anm. 117, 216–217, 246, 252–256, 258–259, 270, 272–274, 278–282 – Ms. germ. qu. 865 [Sigle Bn] 22, 39, 132, 205 Anm. 102, 254 Anm. 225 – Ms. germ. qu. 1493 [Sigle Nr. 11] 60, 88, 269 Bernburg 48, 104 Bernhard von Clairvaux 79, 236 Anm. 236, 244 Anm. 203 ‚Bernhardstraktat‘ 73 Berthold von Regensburg – ‚Von dem Niderlande unde von dem Oberlande‘ 80 Anm. 71 Bethanien 20, 150 Bethlehem 18, 141 Beuren 93 Anm. 133 Beyernaumburg 119 Birgitta von Schweden – ‚Revelationes‘ 99 Anm. 167 Bonn, Beethoven-Haus 123 Brandis – Lukas 243 – Matthäus 243 Anm. 200 – Moritz 51 Braunsberg 22 Anm. 4

6.4 Register

Braunschweig 42–44, 87–89, 95–96, 276 Braunschweig, St. Aegidii 94 Anm. 140 Braunschweig, St. Blasius 95 Bremen 98 Brentano, Clemens 249 – ‚Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi‘ 249 – ‚Leben Mariä‘ 249 Brescia 106 Breslau, Universitätsbibliothek – Cod. I Q 326 [Sigle Nr. 71] 74 Bruns, Paul Jakob 41, 44, 85 Brunshausen (Benediktinerinnenkloster) 84 Bueri, Gherardo 248 Caiphas 166 Carstens, Christian Nicolaus 103 Chicago, University of Chicago Library 125–126 – MS 686 125 Anm. 313 Commer, Franz 119 Cyprian von Karthago 244 Anm. 203 Daksar 231 Anm. 167 Daniel 79 Danzig 22 Anm. 4 ‚De adventu domini‘ 55, 81 ‚Der geistliche Streit‘ 72 Anm. 27 ‚Der Spiegel‘ 73 Anm. 36 ‚Der Sünden Widerstreit‘ 45, 72, 76–77, 276 ‚Der Tisch im Himmelreich‘ 45, 72, 76–77, 276 ‚Descensus Christi ad inferos‘ 224 Anm. 139, 225 Anm. 142 Dessau, Landesbücherei – Hs. Georg. 18.4° [Sigle D] 269 Deutscher Orden 4–5, 7, 22, 29, 32, 131, 135, 143, 153, 181, 268 Deventer 128 Anm. 331 ‚Die Geschichte von Joseph dem Zimmermann‘ 220 Anm. 128 ‚Die sieben Gaben des Heiligen Geistes‘ 45, 74, 76, 276 ‚Die Töchter der sieben Hauptsünden und der sieben Tugenden‘ 45, 74, 76–77, 276 Dietrich von Apolda 75 – ‚Vita S. Elisabeth‘ 44–45, 71, 75–78, 92 Anm. 131, 93, 95–96, 276

321

Dismas 225, 228–229, 232–236, 238, 249 Dorstadt (Augustiner-Chorfrauenstift) 84, 86 Dresden 56, 124 Drucker des Calderinus 243 Dublin, Royal Irish Academy – 23 P 16 (1230) 231 Anm. 166 Dumachus 224 Dyonisius 21 Einbeck 109, 279 Eisleben 119 Elbing 22 Anm. 4 Elisabeth 18–19, 136, 144, 154, 168, 182, 220 Anm. 128 Elisabeth von Thüringen 75, 78, 96 Emmerick, Anna Katharina 249 Epiphanius Monachus 12, 166 Epiphanius von Salamis 11 Erfurt 75 Erfurt, St. Salvatorberg (Kartause) 116, 118–119, 280 Eufrodisius 18, 200 ‚Evangelium Nicodemi‘ 12, 224 Anm. 139–140, 225 Anm. 142, 226, 227 Anm. 154, 232 Anm. 171 Farneta (Kartause) 4 Farr, Shirley 125 Anm. 313 Finch, Robert 114 Anm. 236–237 Fleischer, Carl Friedrich 115 Anm. 244 Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, fondo Palatino – Ms. 125 248 Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek 54, 121 – Hs. 1500, 25 [Sigle Nr. 110] 38–39, 53–54, 59, 67–68, 70, 120–121, 128, 250–254, 270, 281–282 Freidank 51, 79 Friedrich II. (Graf von Hoya) 36 Gabriel (Engel) 18 Gabriel von Lebenstein – ‚Von den gebrannten Wässern‘ 107 Anm. 202 Gaibach 119 Anm. 269

322

6 Anhang

Genf 127 Gestas 233, 235–236, 238, 249 Gethsemane 20, 191 Gmelin, Wilhelm 91 Anm. 125 Goslar 275 Gotha, Forschungsbibliothek – Cod. Chart. A 3 [Sigle Nr. 91] 240 Anm. 190, 269 – Cod. Chart. B 174a [Sigle Go] 133, 254 Anm. 225 – Cod. Chart. B 180 75 Anm. 50 – Cod. Memb. II 37 [Sigle G] 26, 29, 60, 74, 88, 110, 133, 179–180, 254 Anm. 225 Göttingen, Georg-August-Universität 86 Göttingen, Universitätsbibliothek 41, 44, 85 Graz, Universitätsbibliothek – Cod. 470 [Sigle Nr. 92] 131, 240 Anm. 190 ‚Grazer Marienleben‘ 13 Anm. 75 Gregor der Große 79 Greifswald 97 Anm. 155 Groote, Geert 128 Anm. 331, 273 ‚Großer Seelentrost‘ 45, 76, 276 GW 09253 243 GW 09254 243 GW 0925450N 243 Anm. 200 GW M25858 233 Anm. 173 Halberstadt, Historisches Stadtarchiv – Ohne Signatur 1 94 Anm. 140 Hamburg 96–98 Hamburg, St. Johanniskloster 98 Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek – Cod. 146 in scrin. [Sigle Ha] 27, 35–36, 110, 133, 179–180, 254 Anm. 225 Hannover 275 Anm. 176 Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek – Ms I 17b 101 – Ms. XX 1173 75 Anm. 50 Heidelberg, Universitätsbibliothek – Cpg 372 13 Anm. 78 – Cpg 394 [Sigle H] 29, 120 – Cpg 525 [Sigle He] 4 Heiningen (Augustiner-Chorfrauenstift) 41, 44, 84, 86–89, 95–96, 128, 273, 276 Heinrich von Hesler – ‚Evangelium Nicodemi‘ 133 Anm. 27

Heinrich von München – ‚Weltchronik‘ 23 Anm. 9, 234 Anm. 177, 239, 242, 248, 269, 277 Heinrich von Neustadt – ‚Von Gottes Zukunft‘ 13 Anm. 75 Helmstedt, Universität 41, 44, 85, 95 Helmstedt, Universitätsbibliothek 41, 44, 95 Hereford, Cathedral Library – 0.3.9, ms H 222 Anm. 132 Herodes 20, 165, 220 Anm. 128, 228, 231 Anm. 169, 238 Hieronymus 79 Hildesheim 73, 94, 112, 275 Hildesheim (Magdalenerinnenkloster) 94 Hill, Walter M. (Buchhändler) 125 Hl. Drei Könige 18, 238 ‚Holkham Bible Picture Book‘ 230 Hugo von St. Viktor 236 Anm. 182 Hugo von Trimberg 9–10 Ignatius 11, 21, 166, 179 Innsbruck, Landesmuseum Ferdinandeum – Cod. FB 1519/VI 13 Anm. 77 Israel 165 Jacobsen, K. A. 125 Jacques de Vitry 8 Jairus 19, 165 Jakobus der Ältere 148 Anm. 51 Jakobus der Gerechte 21, 258 Jakobus der Jüngere 148, 187 Jena, Universitäts- und Landesbibliothek – Ms. Bos. q. 8 [Sigle J] 28–29, 37, 142 Jerusalem 19–20, 136, 141, 144, 150–151, 154, 162, 165, 168, 182, 188–189, 228, 258 Jesmas 234, 241–242 Jesse 195 Jesus 10 Anm. 54, 11–12, 14 Anm. 80, 15 Anm. 86, 16, 18–21, 27, 41–42, 45, 48, 53–55, 64, 72–73, 76–78, 90–91, 109, 111, 122, 129, 137, 140–141, 146, 148, 150–152, 155–157, 159–162, 164–166, 168, 170, 174–176, 179, 184, 186–188, 190–196, 203–204, 206–207, 211, 213– 216, 218, 219 Anm. 123–124, 220–225, 228–252, 257–258, 276–277  

6.4 Register

Joachim 11, 17, 21, 70, 165, 187, 189, 196 Johann Albrecht I. von Mecklenburg 57, 127 Johannes (Apostel) 11, 20–21, 148 Anm. 51, 165–166, 179, 258 Johannes Capreolus 112–113 – ‚Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis‘ 53, 112–113, 129, 280 Johannes Chrysostomus 166 Johannes de Garlandia – ‚Cornutus‘ 90 Johannes de Sacrobosco – ‚De sphaera mundi‘ 52, 108, 129 Johannes der Täufer 19, 21, 166, 176, 196, 208, 220 Anm. 128 Johannes von Damaskus 11 Joseph von Arimathäa 21, 187, 258 Joseph von Nazareth 11, 14 Anm. 83, 15–19, 21, 64, 80, 137, 140, 146, 156, 159, 164– 165, 170, 172–173, 178, 183, 185, 190, 193, 196–199, 203, 209–213, 216, 218, 228, 266 Judäa 228 Judas Iskariot 20, 79, 148 Juvenal von Jerusalem 11 Kafarnaum 19, 176 Kana 19 Karlsruhe, Landesbibliothek – Cod. St. Georgen 35 13 Anm. 77 – Cod. St. Georgen 88 [Sigle Kr] 31 Anm. 57 Kassel, Universitätsbibliothek − Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel – 2° Ms. theol. 4 [Sigle Ka] 132 Kinderling, Johann Friedrich August 24–29, 31 Anm. 52, 32–34, 38, 49–50, 65, 105–106, 109–111, 129, 178–180, 279 ‚Kindheitserzählung des Thomas‘ 12, 220 Anm. 128 Kleophas 19 Klosterneuburg, Stiftsbibliothek – Cod. 1242 [Sigle N] 5 Anm. 25, 132, 140 Anm. 41, 269–270 Koblenz, Bundesarchiv 104 Köln 51, 87, 94 Anm. 136, 108

323

Köln, Historisches Archiv der Stadt – Best. 7020 (W*) 20 [Sigle K] 133 – Best. 7020 (W*) 52 [Sigle Ko] 74, 133 Königsberg 22 Konrad von Fußesbrunnen – ‚Kindheit Jesu‘ 13 Anm. 74, 36, 233–234 Kopenhagen 56, 282 Kopenhagen, Dänische Königliche Bibliothek 123, 125 Anm. 312, 126, 282 Kopenhagen, Reichsarchiv 126 Kopenhagen, Universitätsarchiv 126, 282 Kosmas von Jerusalem 11 Krebs, Heinrich 114, 116–117 Kulm 22 Anm. 4 Kurzmann, Andreas – ‚Soliloquium‘ 13 Anm. 75 Küstrin 106 Lamspringe (Benediktinerinnenkloster) 84 ‚Lateinisches Kindheitsevangelium‘ 222– 223 Lazarus von Bethanien 20 ‚Leabhar Breac‘ 231 Leibniz, Gottfried Wilhelm 101 Anm. 176 Leipzig 93 Anm. 133, 115 Leipzig, Deutsche Nationalbibliothek – Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Klemm-Sammlung I,8 [Sigle Nr. 119] 60, 88 Lentner (Antiquariat?) 56, 124 Lentner (Buchhändler) 124 Leuchte, Hans-Jörg 54, 121 ‚Libro de la infancia y de la muerte de Jesús‘ 238, 244 Anm. 204 London, British Library – Add MS 10432 [Sigle L] 133 – Add MS 47682 231 Anm. 164 – Arundel MS 404 222, 233 Anm. 174 – Harley MS 3199 221, 239 Anm. 187 – IA.9823 243 Anm. 201 – IB.31854 233 Anm. 173 Longinus 20, 245 Lübeck 46, 98–99, 102–105, 243–244, 248 Lübeck, Johannishof 102 Anm. 179 Lübeck, Michaeliskonvent 48, 102–103, 105 Anm. 192, 273 Lübeck, St. Annen-Kloster 102 Anm. 179

324

6 Anhang

Lübeck, St. Johannis-Kloster 102 Anm. 179 Lübeck, Stadtarchiv 99 Anm. 169 Lübeck, Stadtbbliothek 33–34, 48, 99 Anm. 169, 99 Anm. 171, 102, 104–105 – Ms. Lub. 4° 580 103 Anm. 183 – Ms. theol. germ. 4° 23 [Sigle Lü] 23, 34–36, 39, 46–49, 63–66, 69–71, 96–105, 111, 120, 128–129, 132–134, 139 Anm. 37, 140 Anm. 38, 141 Anm. 42, 148–149, 153–167, 174, 178, 184–186, 189–203, 204 Anm. 98, 205–250, 255–262, 265 Anm. 238, 270–274, 276–283 – Ms. theol. germ. 8° 34 103 Anm. 181 Ludolf von Sachsen 231 Anm. 165 – ‚Vita Christi‘ 231 Lüneburg 36, 55, 123 Lynge, Hermann H. J. (Antiquariat) 124 Anm. 305 Macray, John 113–114 Magdeburg 51, 87, 89, 108, 274 Mailand, Biblioteca Ambrosiana – Cod. E 96 sup. 231 Anm. 167 Mainz 94 Anm. 136 Mainz, Stadtbibliothek – Hs. I 200 10 Anm. 54 Makkabäus 79 Malchus 146, 157, 191 Maria 4–6, 9–12, 14 Anm. 82, 15–21, 25, 27, 41–42, 44–45, 48, 53, 55, 64, 73, 77–78, 80–82, 90–91, 109, 117–118, 135–138, 140, 142–144, 146, 150–154, 156, 158, 164–166, 168, 170, 172–173, 175–177, 179–183, 187–188, 190–193, 195–196, 199–200, 205, 207, 209–212, 213 Anm. 113, 221–222, 228–229, 231 Anm. 169, 232 Anm. 170, 235–236, 238–239, 243, 246–249, 251–253, 255 Anm. 227, 256, 258, 266, 272–273, 275–279 Maria Magdalena 20–21, 73, 77–78, 150, 152, 188, 222, 239, 245, 258, 276 ‚Maria Magdalena‘ (Heiligenlegende) 45, 73, 76–77, 94, 275 Marienberg bei Helmstedt (Augustiner-Chorfrauenstift) 41, 44, 84, 87–89, 91, 95, 96 Anm. 149, 128, 273–274

Marienburg 5 Anm. 24, 22 Anm. 4 Mariengarten (Zisterzienserinnenkloster) 92 Martha von Bethanien 19, 21, 150, 188 Marx-Nielsen, Hugo 125 Matthäus (Apostel) 145, 148 Matthäus von Vendôme 100–101 – ‚Ars versificatoria‘ 101 – ‚Paraphrasis metrica in librum Tobiae‘ 48–49, 100–101, 129 Matthias (Apostel) 45, 92, 145, 148, 275 Mauerbach (Kartause) 4 Meister Albrant – ‚Roßarzneibuch‘ 107 Anm. 201 Melchisedek 58 Minden 50, 106–107, 111 Minneapolis (Minnesota), University Library – MS Z822 N81 239 Anm. 187 ‚Missa de nativitate‘ 122 ‚Mittelrheinische Marien Himmelfahrt‘ 13 Anm. 75 Montfort 88 Mose 138, 147, 158, 171, 184, 195 Moskau, Russische Staatsbibliothek 243 Anm. 200 Moskau, Zentrales Staatliches Historisches Archiv der Alten Akten 48, 104 Müller, Friedrich Max 113–114 Müller-Brauel, Hans 55, 123, 281 München 124 München Staatsbibliothek – Cgm 279 [Sigle Nr. 95] 131 – Cgm 370 243 – Cgm 441 [Sigle Mü] 32, 35–36, 269 – Cgm 522 243 – Cgm 7330 [Sigle Nr. 93] 131, 240 Anm. 190, 242 – Cgm 7364 [Sigle Nr. 100] 240 Anm. 190 – Cgm 7377 [Sigle Nr. 94] 240 Anm. 190 – Clm 12518 8, 9 Anm. 52, 14 Anm. 83 – Clm 18842 9 Anm. 53 – Clm 28841 10 Anm. 54–55 Münster, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen – V 073 (früher Dep 49): Nachlass Josef Prinz, Nr. 14 38, 121 Anm. 276, 254 Anm. 224

6.4 Register

‚Nazaräerevangelium‘ 12 Nazareth 11, 19, 165, 176, 188, 203, 222, 224 ‚Neue Ee‘ 242–243, 248, 277 Noah 195 Österreichischer Bibelübersetzer – ‚Evangelienwerk‘ 13 Anm. 75, 234 Otho, Liborius 41, 85, 87, 90 Otto VII. (Graf von Hoya) 36 Oxford, Bodleian Library 114 Anm. 239, 115 – Holkham gr. 9 227 Anm. 154 – Holkham gr. 24 227 – MS. Add. A. 286 10 Anm. 54 – MS. Canon. Ital. 280 235 Oxford, Taylor Institution Library 53, 113–119 – Handlists [ohne Signatur] 117 Anm. 255 – MS 8° G.1. 116–119 – MS 8° G.2. [Sigle O] 37, 39, 52–53, 66–68, 70–71, 119–120, 128–129, 132–133, 139 Anm. 36, 140 Anm. 39, 148, 161 Anm. 62, 164, 172, 174, 181–190, 197–208, 217, 246 Anm. 207, 247, 252– 256, 258–259, 270, 272–274, 279–281 Oxford, University 113 Anm. 234 Oxford, University Archives – TL 1/6/1 115 Anm. 241 – TL 2/15/1 115 Anm. 242 – TL 3/2/1 115 Anm. 241, 116 Anm. 251 – TL 3/55/1 116 Anm. 253 Panschwitz-Kuckau, Kloster St. Marienstern – Cod. B 1716-717 Oct. 11 [Sigle Nr. 34] 122, 269 Paris 115 Paris, Bibliothèque Nationale – Ms. allem. 206 [Sigle Pa] 281 Anm. 11 – Ms. fr. 1533 238 – Ms. gr. 808 226–227 – Ms. Suppl. gr. 1169 227 Parker, George 117 Anm. 255 Parker’s, Oxford (Buchhändler) 53, 115–116, 118 Anm. 261 Paschalis Romanus 12 Anm. 70 ‚Passional‘ 8 Anm. 47, 13 Anm. 74, 234, 239– 241 Paulus 21, 79, 81

325

Peterß, Anders 97 Petersen, Hinrik 97 Petersen, Victor 56, 126, 282 Petrus 20–21, 148 Anm. 51, 152, 187, 191, 258 Petrus Comestor – ‚Historia scholastica‘ 12, 242 Anm. 193 Petrus de Natalibus 232 – ‚Catalogus sanctorum et gestorum eorum‘ 232 Petrus Lombardus – ‚Glossa in psalmos‘ 125 Anm. 312 Philippus (Apostel) 148 Pilatus 20, 150, 166, 194–195 Pommersfelden, Gräflich Schönbornsche Schloßbibliothek – Cod. 46 (2797) [Sigle P] 4, 15 Anm. 86, 24, 29, 37, 39, 67 Anm. 14, 119, 130–132, 142, 268–269 ‚Postquam Dominus‘ 73 Prag, Archiv der Prager Burg / Bibliothek des Metropolitankapitels – Cod. G 49 [Sigle Pr] 4, 38, 132–133, 142–143, 254 Anm. 225, 281 Anm. 11 Priester Wernher 6 – ‚Driu liet von der maget‘ 6, 13 Anm. 74, 16 Privatbesitz Hans Müller-Brauel, Haus Sachsenheim bei Zeven 123 – Nr. 42 [Sigle Nr. 35] 22, 33, 35–36, 39, 54– 55, 59, 68, 71, 80–82, 121–123, 128–129, 254–257, 270, 272–273, 281–282 Privatbesitz Sigurd Wandel, Kopenhagen – Cod. 29 [Sigle Nr. 118] 38–39, 56, 59, 69– 70, 123–126, 128–129, 257–263, 271, 273, 282–283 ‚Protevangelium des Jakobus‘ 220 Anm. 128– 129 Pseudo-Dionysius Areopagita 11 ‚Pseudo-Matthäusevangelium‘ 12–13, 220–222, 229, 233 Anm. 174, 237, 239 Pseudo-Melito – ‚Transitus Mariae‘ 12 Quentel, Peter 51 Raitenhaslach (Zisterzienserkloster) 9 Anm. 52 Raphael (Engel) 17, 25, 51

326

6 Anhang

Rilke, Rainer Maria 16 – ‚Das Marien-Leben‘ 16 Ritter, Carl 115 Rom 18 Rom (Vatikanstadt), Biblioteca Apostolica Vaticana – Cod. Ottob. gr. 411 227 – Cod. Vat. Lat. 6300 221 Rostock, Universität 98 Rostock, Universitätsbibliothek – Mss. philol. 86a 127–128 – Mss. philol. 102 [Sigle Nr. 62] 268 Anm. 242 – Mss. philol. 102a [Sigle Nr. 115] 38–39, 57–59, 69–71, 126–129, 256, 263–273, 283 Salome 176 Salomo 79 ‚Salve regina‘ 71 Anm. 25 San Lorenzo de El Escorial, Real Biblioteca del Monasterio – Ms. K-III-4 238 Anm. 185 Scheller, Karl F. A. 42, 91 Schmid, Konrad Arnold 26, 31 Anm. 52 Schrader, Christoph 26 Anm. 21, 41, 44, 85, 87, 95 Segeberg, Bertold 102 Anm. 180 Seitz (Kartause) 3–4, 23, 31–32, 142 Sentlinger, Heinz 239, 242 Sibylle 18 Simeon 18 Simon Kananäus 148 Sorg, Anton 243 Sotinen 221 ‚Speculum humanae salvationis‘ 76 Anm. 52 ‚Spiegel der Seelen‘ 51, 109, 279 St. Petersburg, Bibliothek der Russischen Akademie der Wissenschaften – RAIK 166 227 Anm. 155 St. Petersburg, Russische Nationalbibliothek 48, 104 Stephan von Dorpat – ‚Cato‘ 128–129, 283 Steterburg (Augustiner-Chorfrauenstift) 84, 86–87, 95

Stortekare – Cecilia 98 – Christine 97 Anm. 155 – Conrad 98 – Ecard 97 Anm. 155 – Hans 46, 48, 64, 96–97, 102, 162–167, 277–278 – Joachim 98 – Johannes 97 Anm. 155 – Kord 98 – Margarete 98 – Richard 98 – Simon 98 – Syvert 97 Stuttgart, Landesbibliothek – Cod. poet. et phil. 4° 8 [Sigle St] 122 – Cod. theol. et phil. 8° 57 220 Anm. 129 – Cod. theol. et phil. 8° 144 13 Anm. 77 Sweder, Hans 97 Swelebeke, Hinrik 97 Taylor, Robert 113 Anm. 234, 114 Anm. 236 Tegernsee (Benediktinerkloster) 9 Anm. 53 Tentzel, Wilhelm Ernst 26 Thaddäus (Apostel) 148 Anm. 51 Thann, St. Theobald 250 ‚The Life of Saint Anne‘ 239, 245 Theophilus 11 Thies, Theodor 85, 91 Thomas (Apostel) 148 Anm. 51, 179 Thomas a Kempis – ‚Imitatio Christi‘ 108 – ‚Van der navolginghe Jesu Cristi‘ 51, 108, 129, 273, 279 Thomas von Aquin 244 Anm. 203 Thomessen, Sybrand 97 Thorn 22 Anm. 4 Timotheos II. von Alexandria 231, 232 Anm. 170 Titus 224, 231 Anm. 167 Trier, Stadtbibliothek – Hs. 550 (1538) 222 ‚Unser vrouwen klage‘ 45, 73–74, 76, 78, 276 Uppsala, Landesarchiv – Depositio Schytteana I E 2 [Sigle U] 74, 132–133, 215 Anm. 117

6.4 Register

van Ghetelen, Hans 103 Anm. 181 Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana – gr. app. II,87 225, 227 – gr. app. II,97 227 Anm. 154 ‚Vision des Theophilius‘ 231 ‚Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica‘ 1, 7–15, 17 Anm. 89, 20 Anm. 90, 23, 29, 80 Anm. 70, 119 Anm. 269, 133 Anm. 27, 218–219, 229, 233–238, 245, 268 ‚Vita Virginis Nestoriana‘ 223 Anm. 135 Volradi, Jacobus 119 von Braunschweig-Lüneburg – Friedrich Ulrich 85 – Julius 84, 87 von Bülow, Friedrich Gottlieb Julius 119 von Cochem, Martin 249 – ‚Das Grosse Leben Christi […]‘ 249 von der Hagen, Friedrich Heinrich 28–29, 50, 91, 105–106, 110, 279 von Einem – Gerhard Friedrich 50, 109, 279 von Hanstein, Heinrich 44–45, 92–94 von Schönborn, Lothar Franz 119 Anm. 269 Walther von Rheinau 8, 10 Anm. 57, 13–14, 15 Anm. 17, 234–235 – ‚Marienleben‘ 8, 13–14, 234 Wandel – Gudrun 126 – Sigurd 56, 124–126, 282 Weigel, Theodor Oswald 115–116 Wernher der Schweizer 13–14, 15 Anm. 17, 29, 234 – ‚Marienleben‘ 13–14, 234 Wien, Österreichische Nationalbibliothek – Cod. 2768 [Sigle Nr. 96] 240 Anm. 190, 269 – Cod. 2709 [Sigle V1] 269 – Cod. 2735 [Sigle V3] 269 – Cod. 2862 242 Wismar 46, 97–98, 105, 167, 277 Wodeham, Adam 113 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek 33–34, 83–86, 274 – BA III, 52 41, 44

327

– Cod. Guelf. A Extrav. 41, 85 Anm. 94, 87 Anm. 103, 90 Anm. 123 – Cod. Guelf. 1.16 Aug. 2° [Sigle Nr. 97] 131, 239, 242, 248 – Cod. Guelf. 18.21.1 Aug. 4° [Sigle Wf] 33 Anm. 68, 41, 90, 91 Anm. 125 – Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2° 26 Anm. 21, 41, 44, 85 Anm. 95, 90 Anm. 123, 95 Anm. 146 – Cod. Guelf. 30.12 Aug. 4° 10 Anm. 54 – Cod. Guelf. 56.2 Aug. 4° 94–95 – Cod. Guelf. 705 Novi 42, 91 – Cod. Guelf. 894 Helmst. [Sigle Wo] 26, 32–36, 39, 42–45, 61–63, 65–66, 69–78, 80–88, 92–96, 110–111, 120, 128–129, 132, 139 Anm. 37, 140 Anm. 38–40, 141 Anm. 42, 143–153, 159–160, 161 Anm. 62, 164–165, 174, 179–180, 184–186, 189–203, 204 Anm. 98, 205–208, 209 Anm. 109, 211–214, 215 Anm. 118, 216–217, 246–247, 255– 262, 270–276, 278–283 – Cod. Guelf. 937 Helmst. [Sigle W] 26 Anm. 20, 33–36, 39–42, 59–61, 63, 66, 68, 70–71, 83–91, 93, 120–121, 128–129, 132, 135–143, 148, 161 Anm. 62, 163–164, 174, 184–186, 190–191, 192 Anm. 81, 192 Anm. 84, 192 Anm. 86, 194–195, 200–203, 204 Anm. 98, 205 Anm. 99–101, 205 Anm. 105, 206– 208, 217, 246–247, 252–262, 272–276, 280–281, 283 – Cod. Guelf. 1136 Helmst. 75 Anm. 50 – Cod. Guelf. 1189 Helmst. 74, 76 – Cod. Guelf. 1291 Helmst. 94–95 Wöltingerode (Zisterzienserinnenkloster) 84, 86, 87 Anm. 105 ‚Wunder Jesu‘ 231 Zacharias 19, 136, 144, 154, 168, 182 Zelem (Kartause) 31 Zenon 19 Zeven 123 Zürich, Zentralbibliothek – Ms. C 79c 13 Anm. 77