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German Pages 266
Betriebspädagogik Grundfragen der Bildungsarbeit der Betriebe und der Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft
Von
Karl Abraham
Duncker & Humblot . Berlin
Karl Abraham / Betriebspädagogik
BETRIEBSPÄDAGOGIK Grundfragen der B i l d u n g s a r b e i t der Betriebe u n d der Selbstverwaltungsorgane der W i r t s c h a f t
Von Dr. rer. pol. K a r l Abraham em. ord. Professor der Wirtschaftspädagogik an der Universität Frankfurt a. M .
DUNCKER
&
H U M B L O T /
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 3 428 04182 8
Vorwort Die Notwendigkeit und die Berechtigung dieses Buches beruhen darauf, daß das Bildungswesen der Wirtschaft i n den letzten 50 Jahren sehr intensiv ausgebaut worden ist. Die Bildungsarbeit der Betriebe, Kammern und Fachverbände hat einen solchen Umfang angenommen, daß dadurch das Gesamtbild des pädagogischen Geschehens i n unserem Lande wesentlich verändert worden ist. Es sind neue Erziehungs- und Bildungsfragen entstanden, für deren Beantwortung die wissenschaftliche Pädagogik neue Verfahren bereits entwickelt hat u n d noch mehr entwickeln muß. Die dafür zuständige Spezialdisziplin ist die W i r t schaftspädagogik und i n ihr besonders der Teilbereich Betriebspädagogik; dort erfolgt die Untersuchung der pädagogischen Probleme des modernen Wirtschaftsbetriebes. A n dieser Entwicklung der Wirtschaftspädagogik und dabei speziell der Betriebspädagogik habe ich durch meine wissenschaftliche Arbeit mitgewirkt. Mein erstes, i m Jahre 1930 erschienenes Buch m i t dem Titel „Die Grundlagen einer Berufsschulpolitik unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse i n Preußen" 1 hat sich m i t der beruflichen Bildungspolitik des Staates und daher m i t Schulfragen beschäftigt und hat deshalb noch nicht die Frage gestellt, was unter einer beruflichen Bildungspolitik der Wirtschaft zu verstehen ist. I n der Sache hat es sich allerdings bereits m i t dem neuen Forschungsobjekt „wirtschaftliche Erziehung" befaßt. Meine wissenschaftliche Entwicklung hat mich dann dazu geführt, mich immer intensiver m i t der Grundeinheit der W i r t schaft, dem Betrieb, zu beschäftigen. Mein Lebensweg hat bewirkt, daß ich gelernt habe, den Betrieb sowohl unter pädagogischen als auch unter ökonomischen und soziologischen Gesichtspunkten zu betrachten; nach meiner Ansicht w i r d die Betriebsforschung durch das Zusammenwirken von Betriebspädagogik, Betriebswirtschaftslehre und Betriebssoziologie geleistet. Diese Sichtweise hat ihren Niederschlag in mehreren Büchern und i n Aufsätzen gefunden. Ein besonders starkes Echo hat mein Buch „Der Betrieb als Erziehungsfaktor" 2 gehabt. I n i h m habe ich die funktionale Erziehung durch den modernen wirtschaftlichen Betrieb untersucht. Es ist daher seit Jahren meine Absicht gewesen, auch die intentionale, d. h. die bewußte und planmäßige Bildungsarbeit ι Köln 1930. 2 Freiburg i. Br. 2. Aufl. 1957.
VI
Vorwort
der Betriebe systematisch zu beschreiben und zu analysieren. Die Belastung durch die Verpflichtungen als Lehrstuhlinhaber und als Direktor des Wirtschaftspädagogischen Seminars und durch meine Mitarbeit i n Selbstverwaltungsgremien der Universität Frankfurt ist jedoch i n dem letzten Jahrzehnt meiner Lehrtätigkeit infolge der verfehlten „Universitätsreform" so groß gewesen, daß ich erst seit meiner Emeritierung wieder K r a f t und Zeit für fruchtbare wissenschaftliche Arbeit habe; es fehlen m i r jedoch jetzt die personellen und sachlichen Hilfen, die m i r vorher zur Verfügung gestanden haben. Diese Umstände sind daran schuld, daß ich erst jetzt diese „Betriebspädagogik" vorlegen kann. I n dieser neuen Arbeit habe ich versucht, die drei Prinzipien zu verwirklichen, die nach meiner Auffassung für betriebspädagogische Untersuchungen maßgebend sein sollten. Das erste verlangt von dem Verfasser einer solchen Arbeit, daß er dem Leser möglichst klar sagt, welchen Inhalt die von i h m verwendeten Begriffe haben, in welchem Zusammenhang diese untereinander stehen und somit Teile eines größeren theoretischen Systemgefüges sind und auf welchen philosophischen und theologischen Denkvoraussetzungen sie beruhen. Da die Betriebspädagogik zu der Gruppe der Wissenschaften von dem Menschen gehört, muß diese Information über die Prämissen vor allem eine Aussage darüber enthalten, wie der Verfasser über den Menschen denkt. Ich habe deshalb dargelegt, daß ich den Menschen als das m i t Geist ausgestattete Wesen ansehe; die auch seinen Körper umfassende Einheit seiner Person w i r d durch seine Geistigkeit bewirkt. Diese A n sicht beruht auf der christlichen Auffassung von der Beschaffenheit des Menschen. Aus dieser vorwissenschaftlichen Grundeinstellung ergeben sich die philosophischen Begriffe und Prinzipien, die das Fundament meines erziehungswissenschaftlichen Denkens bilden. Ich habe auf kritische Argumentationen und auf Literaturhinweise verzichtet. Es liegt m i r vielmehr daran, den Leser darüber zu unterrichten, zu welchen Auffassungen ich i n den fünf Jahrzehnten meiner wissenschaftlichen Arbeit gelangt bin, w e i l die Kenntnis dieser Grundvorstellungen für das Verständnis des Buches wesentlich ist. Ich hoffe, daß meine K r i t i k e r m i r glauben, daß ich m i r die Beschäftigung m i t anderen Meinungen nicht leicht gemacht habe. Dies gilt besonders für meine A b lehnung des Neomarxismus und des Neopositivismus und für meine Bedenken gegen die theoretisch meist nicht genau bestimmbaren Lehrmeinungen i n der „emanzipatorischen" und „progressiven" Pädagogik. Es konnte nicht die Aufgabe dieses Buches sein, eine Auseinandersetzung m i t diesen Ansichten durchzuführen. Ich mußte mich vielmehr darauf beschränken, möglichst klar meine eigene Grundhaltung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen sichtbar zu machen.
Vorwort
VII
Das zweite Hauptprinzip der betriebspädagogischen Forschung ist der Grundsatz, daß man sich bemühen muß, die geschichtlichen Hintergründe der aktuellen betriebspädagogischen Probleme zu durchschauen. Die ökonomischen, technologischen und soziologischen Rahmenbedingungen des Bildungswesens der Wirtschaft sind so kompliziert, daß es äußerst schwierig ist, sie zu erkennen und die Interdependenzen zwischen den einzelnen Faktoren zu verstehen. Man muß dazu geschichtliche Kenntnisse besitzen, die es erlauben, den Verlauf der Entstehung der heutigen Verhältnisse zu überblicken, denn alles, was heute ist, geht auf Handlungen oder Unterlassungen früherer Generationen zurück. Die Fruchtbarkeit der betriebspädagogischen Forschung hängt wesentlich von dem Besitz solcher Einblicke i n die historischen Prozesse ab, die die heutige Wirtschaft und damit auch die Sozialstrukturen der Betriebe geschaffen haben. Ich habe dies dadurch erfahren, daß ich die amtliche preußische Statistik aus der Zeit u m 1800 und aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Material i n Lehrbüchern der Kameralwissenschaften aus dem gleichen Zeitraum für die wirtschaftspädagogische Forschung erschlossen und aufbereitet habe®. Ich weiß seitdem, daß es aus der Zeit der Entstehung des Industrialismus i n Deutschland, d. h. aus der Zeit zwischen 1750 und 1860, noch eine Fülle von nicht ausgewertetem Material zur Geschichte des Bildungswesens der Wirtschaft gibt. Eigentlich sollte eine solche historische Forschung aber wesentlich weiter zurück gehen, denn die Entstehung des Industrialismus und der m i t i h m verbundenen neuen Erziehungs- und B i l dungsfragen haben ihre Wurzeln i n der seit dem Hochmittelalter erfolgten Wandlung der europäischen K u l t u r . Ich habe i n dem vorliegenden Buch das von m i r vertretene Prinzip dadurch verwirklicht, daß ich ein Kapitel über die geschichtlichen Hintergründe der heutigen betriebspädagogischen Probleme geschrieben habe. Es würde mich sehr befriedigen, wenn das darin mitgeteilte Material von Fachkollegen ergänzt und unter zusätzlichen Aspekten erweitert würde. Das dritte Leitprinzip der betriebspädagogischen Forschung ist dasjenige der Betriebsnähe. Der Betriebspädagoge muß einen Sinn für die heutige wirtschaftliche Wirklichkeit besitzen und ständig darum bemüht sein, Einblicke i n die Beschaffenheit moderner Betriebe zu erhalten. Dabei besteht eine große Schwierigkeit darin, daß es zwischen den Wirtschaftszweigen typische Unterschiede i n den Grundstrukturen der Betriebe gibt und daß außerdem auch innerhalb eines Wirtschaftszweiges i n der Regel eine große Verschiedenartigkeit des individuellen Charakters der einzelnen Betriebe vorhanden ist. Der Betriebspädagoge 3 Der Strukturwandel im Handwerk in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und seine Bedeutung für die Berufserziehung, Schriftenreihe des Handwerksinstituts an der Universität Köln, Heft 9, Köln 2. Aufl. 1963.
Vili
Vorwort
muß daher eine gute wirtschaftswissenschaftliche und dabei vor allem betriebswirtschaftliche Ausbildung besitzen, um Typisches und Wesentliches von Nebensächlichem unterscheiden zu können. Wenn er einen Betrieb besucht, dann sollte er sich außerdem zuerst dafür interessieren, welche Güter oder Dienstleistungen dieser produziert und wie i n ihm industriell, handwerklich oder kaufmännisch gearbeitet wird. Vor den der Berufsbildung dienenden Einrichtungen sollte er die Werkstätten und sonstigen Räume besichtigen, wo sich die tägliche Arbeit der A n gestellten und Arbeiter ereignet. Erst dann, wenn er eine Vorstellung von der ökonomischen und technologischen Beschaffenheit eines Betriebes und von dessen sozialer Struktur hat, kann er sich m i t der Frage beschäftigen, welche Bildungsmaßnahmen i n diesem konkreten Falle „betriebsnotwendig" sind. Eine solche Kenntnis der gegebenen Tatbestände und damit auch der Probleme, denen die Betriebsleitung gegenüber steht, ist die Voraussetzung für eine sachgerechte Beurteilung der Bildungsarbeit, die i n dem einzelnen Betriebe geleistet wird. Dieser Realismus bedeutet nicht den Verzicht auf K r i t i k an den unbefriedigenden pädagogischen Verhältnissen i n manchen Betrieben; er macht vielmehr eine solche K r i t i k überhaupt erst möglich und verschafft ihr Gewicht. Ich habe mich i n meiner wissenschaftlichen Tätigkeit immer bemüht, das Prinzip der Betriebsnähe zu verwirklichen, und habe daher viel K r a f t und Zeit für Betriebsbesichtigungen und für Besuche bei K a m mern und Verbänden aufgewendet. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, daß sich die Anstrengungen stets gelohnt haben und zwar nicht nur durch das Material, das ich erhalten habe, sondern noch mehr durch die vielen fruchtbaren und oft weit i n die Tiefe gehenden Gespräche m i t den Angehörigen der Führungsschicht, die die Verantwortung für den langfristigen Bestand der Betriebe und damit auch für das private und das berufliche Schicksal der m i t ihnen verbundenen Menschen trägt. A u f diesen Kontakten zu Betrieben, Kammern und Verbänden beruht das Material, das ich i n dem Teil C zur Charakterisierung der gegenwärtigen betriebspädagogischen Wirklichkeit dargelegt habe. Da m i r als Emeritus kein wissenschaftlicher Hilfsapparat zur Verfügung steht, konnte ich keine umfassenden Erhebungen durchführen, sondern mußte mich m i t dem Material begnügen, das ich m i r durch meine persönlichen Beziehungen beschaffen konnte. Ich bin m i r darüber klar, daß es daher viele Betriebe und Institutionen der Wirtschaft gibt, deren Unterlagen ebenfalls sehr aufschlußreich sind und vielleicht manche Zusammenhänge noch deutlicher als das mitgeteilte Material erhellt hätten. Daß ich sie nicht berücksichtigt habe, liegt nur daran, daß eine solche Ausweitung mein Leistungsvermögen überfordert hätte. Ich muß aber darauf hinweisen, daß die von m i r behandelten Betriebe und Institutionen
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Vorwort
sich dadurch auszeichnen, daß i n ihnen die Bildungspolitik sehr ernst genommen und systematisch durchgeführt wird. Die i n dem Teil C m i t geteilten Daten besitzen daher einen hohen Aussagewert und sind dazu geeignet, eine Vorstellung von den betriebspädagogischen Problemen zu vermitteln, vor denen heute die Wirtschaft steht. Meine Erfahrungen bei den Gesprächen m i t den Praktikern haben wesentlich dazu beigetragen, daß ich mich dazu entschlossen habe, dieses Buch zu schreiben. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß die heutige Lage der deutschen Wirtschaft den Ausbau der Betriebspädagogik zwingend verlangt. Es besteht für die Wirtschaft die dringende Notwendigkeit der systematischen Infrastrukturpolitik zur Sicherung des langfristigen Bestandes der Betriebe, und i m Rahmen dieser Betriebspolitik kommt der betrieblichen Bildungspolitik eine große Bedeutung zu. Ich hoffe, daß mein Buch zu der Vertiefung dieser Einsicht beiträgt und dadurch Theorie und Praxis der Betriebspädagogik fördert. Die Abfassung dieser Arbeit ist nur möglich gewesen, weil m i r viele geholfen haben, und es ist m i r ein tiefes Bedürfnis, ihnen allen zu danken. I n der Rückschau auf die letzten Jahre kann ich sagen, daß es ein großes Erlebnis gewesen ist, so vielen Menschen zu begegnen, die bereit gewesen sind, m i r zu helfen, w e i l auch sie die menschlichen Probleme der modernen Wirtschaft sehr ernst nehmen. Dies hat mich nicht nur erfreut, sondern auch ermutigt, und dafür danke ich ganz besonders. Kronberg, i m Juni 1978
Karl
Abraham
Inhaltsverzeichnis Einleitung Das Bildungswesen der Wirtschaft als ein selbständiger Bereich des deutschen Bildungswesens
1
A. Grundaussagen über den wissenschaftlichen Charakter der Betriebspädagogik I. Die drei Hauptanliegen der modernen Erziehungswissenschaft: die Grundlegende Erziehung, die Erziehung zur Wissenschaftsfähigkeit und die Erziehung zur Wirtschaftsfähigkeit
3
I I . Die Veränderung des Gedankensystems der Erziehungswissenschaft durch den Industrialismus
7
1. Die Entstehung des Betriebes als Teil des Kulturprozesses in der neuesten Zeit
7
2. Die philosophischen Denkvoraussetzungen der für die betriebspädagogische Forschung nötigen kulturtheoretischen Begriffe
11
3. Der Betrieb als Besitzer von primären Erziehungsrechten und Erziehungspflichten
14
I I I . Die Systematik der für die betriebspädagogische Forschung benötigten erziehungswissenschaftlichen Begriffe 19 1. Der Erziehungsbegriff und seine Unterbegriffe 19 2. Die Sonderproblematik des Bildungsbegriffes 26 3. Die Sonderproblematik des Begriffes Lernen und seiner Unterbegriffe IV. Der wissenschaftliche Standort der Betriebspädagogik
28 33
1. Die Wirtschaftspädagogik als die dem Kulturbereich Wirtschaft zugewandte Spezialdisziplin der Erziehungswissenschaft
33
2. Die Stellung der Betriebspädagogik in dem Gesamtsystem der Wirtschaftspädagogik
36
3. Der Doppelcharakter der Betriebspädagogik als eine Spezialdisziplin innerhalb der Erziehungswissenschaft und als ein Teilbereich der Betriebsforschung
37
V. Die Notwendigkeit und die Schwierigkeit der internationalen betriebspädagogischen Forschung
39
V I . Zusammenfassung der dargelegten Gedanken
40
XII
Inhaltsverzeichnis
Β. Die geschichtlichen Hintergründe der heutigen betriebspädagogischen Probleme I. Der Betrieb als der neue Typ der wirtschaftlichen Arbeitsstätte in der Kulturepoche des Industrialismus
42
1. Die Fabrikanstalt des 18. Jahrhunderts als Vorläufer des Betriebes
42
2. Entstehung, Gegenstand und Gliederung der Betriebsforschung .. 3. Die Aufspaltung der früheren Großfamilie in die heutige Kleinfamilie und den Betrieb
43 46
4. Das Streben des modernen Staates nach Verstärkung seiner Macht sowohl in dem familiären als auch in dem betrieblichen Bereich ..
47
5. Das Hecht der Europäischen Gemeinschaft zum Erlaß von grundsätzlichen Vorschriften für die Gestaltung der nationalen beruflichen Bildungssysteme
50
6. Die Veränderung des menschlichen Lebensraumes durch die Entstehung der durch das Bild der Betriebe geprägten modernen Industrielandschaften
51
I I . Material der Bevölkerungsstatistik zur Geschichte des Betriebes
52
1. Die Entwicklung der Einwohnerzahlen von Deutschland vom 13. bis zum 18. Jahrhundert
52
2. Die Entwicklung der Einwohnerzahlen der europäischen Städte vom 13. bis zum 18. Jahrhundert
56
3. Die Bedeutung der dargelegten Zahlen für die Geschichte des Betriebes
62
4. Statistisches Material über die Arbeitskräfte im Handwerk und in den Fabriken am Beginn des 19. Jahrhunderts
63
5. Die Entwicklung der Einwohnerzahlen in den deutschen Städten im 19. und 20. Jahrhundert 64 I I I . Rechtshistorisches Material zur Geschichte des Betriebes
69
1. Die Bedeutung von Aussagen der Rechtsgeschichte für das Verständnis der Entstehungsgeschichte des Betriebes
69
2. Betrachtung der Handwerksgesetze des alten Deutschen Reiches von 1672, 1731, 1771 und 1772
71
IV. Der Anteil der Bildungspolitik der Betriebe an dem Aufbau des industriellen Wirtschaftssystems
77
1. Die Notwendigkeit von Bildungsmaßnahmen der Wirtschaft wegen des Fehlens der Wirtschaftsfähigkeit der in die Fabriken eintretenden Arbeitskräfte 77 2. Die europäische Problematik der betrieblichen Bildungspolitik infolge der Unterschiede der Betriebsstrukturen in den einzelnen Ländern
82
3. Die Bejahung der „harmonisation" und die Ablehnung der „égalisation" als Grundprinzip sowohl der internationalen als auch der nationalen Koordinierung der Bildungspolitik der Betriebe
85
V. Der geistesgeschichtliche Standort der Betriebspädagogik
87
Inhaltsverzeichnis
XIII
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit I. Material der Sachverständigenkommission „Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung" und anderer amtlicher Stellen I I . Material einiger Betriebe
89 102
1. Allgemeine Bemerkungen zu diesem Material
102
2. Material der Siemens A G
104
3. Material der Daimler-Benz A G
113
4. Material der Bayer A G
125
5. Material der Hoesch A G
138
6. Material der Dresdner Bank
153
7. Material der Deutschen Bank
171
I I I . Material überbetrieblicher pädagogischer Institutionen einiger Wirtschaftszweige 180 1. Das Berufsbildungswerk der Versicherungswirtschaft
180
2. Das Bildungszentrum des Bayerischen Handels
193
IV. Material von Industrie- und Handelskammern
202
1. Material des Deutschen Industrie- und Handelstages
202
2. Material der Industrie- und Handelskammer Frankfurt a. M. .. 209 3. Material der Industrie- und Handelskammer Ludwigshafen am Rhein
für
die Pfalz
in
213
V. Die Antwort der Wirtschaft auf die Bedrohung des Kammerprinzips durch die staatliche Berufsbildungsgesetzgebung 220
D. Folgerungen aus dem vorgelegten Material I. Die Notwendigkeit der betrieblichen Bildungspolitik
225
1. Betriebspädagogische Maßnahmen als Mittel zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der Betriebsmitglieder 225 2. Die betriebliche Bildungspolitik als Teil der Infrastrukturpolitik des Betriebes 226 II. Der innere Zusammenhang zwischen dem Bildungswesen der Wirtschaft und ihrem Selbstverwaltungssystem 229 I I I . Die geistige Grundstruktur des Bildungswesens der Wirtschaft
232
IV. Massenbildung und Elitebildung als die beiden Leitprinzipien in dem Bildungswesen der Wirtschaft 236 Literaturverzeichnis
241
Veröffentlichungen des Verfassers
249
Liste der Tabellen Tab. 1. Die Einwohnerzahlen von Deutschland vom 13. - 18. Jahrhundert
53
Tab. 2. Die Zahl der Städte in Deutschland vom 11. - 15. Jahrhundert ..
57
Tab. 3. Die Verteilung der deutschen Städte auf Größenklassen im 15. Jahrhundert 57 Tab. 4. Die Entwicklung der Einwohnerzahlen von Städten in Italien . . 59 Tab. 5. Die Einwohnerzahlen von Paris im Mittelalter und in der Neuzeit
59
Tab. 6. Die Einwohnerzahlen von London im Mittelalter und in der Neuzeit . . . .
59
Tab. 7. Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern
60
Tab. 8. Die wichtigeren mitteleuropäischen Städte 1790
60
Tab. 9. Die Bevölkerungszunahme in Deutschland von 1816 - 1939
65
Tab. 10. Das Wachstum der deutschen Industriestädte von 1800 - 1910 ..
65
Tab. 11. Das Wachstum deutscher Großstädte von 1925 - 1939
66
Tab. 12. Erlangung der Ausbildereigenschaft gemäß AEVO
92
Tab. 13. Lehrer in den wirtschaftsberuflichen Schulen 1974
92
Tab. 14. Kosten des wirtschaftsberuflichen Schulwesens 1972
95
Tab. 15. Gesamtkosten
der
außerschulischen
beruflichen
Ausbildung
1971/72
97
Tab. 16. Ausbildungskosten je Auszubildenden und Jahr (1972)
100
Tab. 17. Der Bildungsaufwand der Siemens A G
107
Tab. 18. Die Entwicklung der Zahl der Auszubildenden in der Siemens A G 110 Tab. 19. Kennzahlen zum Aufwand für Berufsausbildung der Siemens A G 1975/76 113 Tab. 20. Die technische Berufsausbildung in der Daimler-Benz-Gruppe Inland i m Jahre 1975 116 Tab. 21. Die kaufmännische Berufsausbildung in der Daimler-BenzGruppe Inland im Jahre 1975 117 Tab. 22. Fachliche Weiterbildung und Führungskräfte-Fortbildung der DB A G 1975
in
Tab. 23. Die Auszubildenden in der Bayer A G im Jahre 1974
122 131
Tab. 24. Die Kosten der Berufsbildung in der Bayer A G i m Jahre 1974 .. 132 Tab. 25. Kaufmännische Berufsausbildung in den Werken der Bayer A G Tab. 26. Hauptamtliche Ausbilder in der Bayer A G Tab. 27. Kaufmännisch und technisch Auszubildende des Hoesch-Konzerns Stand 31. Dezember 1975 Tab. 28. Die schulische Vorbildung der technisch Auszubildenden im Hoesch-Konzern außer Hoesch Hüttenwerke A G 1975
136 137 147 148
Liste der Tabellen
XV
Tab. 29. Die schulische Vorbildung der 1973 bis 1975 neu eingestellten technisch Auszubildenden der Hoesch Hüttenwerke A G 148 Tab. 30. Wandel in der Vorbildung der kaufmännisch Auszubildenden im Hoesch-Konzern von 1971 bis 1975 149 Tab. 31. Bewerbungen und Einstellungen der kaufmännisch Auszubildenden i m Hoesch-Konzern 1975 150 Tab. 32. Innerbetriebliche Fortbildung i m Hoesch-Konzern 1975
151
Tab. 33. Außerbetriebliche Fortbildung im Hoesch-Konzern 1975
152
Tab. 34. Auszubildende in der Dresdner Bank i m Herbst 1974
159
Tab. 35. Die Zahlen der Mitarbeiter und der Auszubildenden in der Dresdner Bank von 1965 bis 1975
160
Tab. 36. Die Zahl der Ausbilder in der Dresdner Bank am 31.12.1975 . . 163 Tab. 37. Die Entwicklung der Kosten pro Auszubildenden in der Dresdner Bank von 1965 bis 1975 164 Tab. 38. Die Entwicklung der monatlichen Vergütungen an Auszubildende in der Dresdner Bank von 1965 bis 1976 (Durchschnittsbeträge) 165 Tab. 39. Funktionale Gliederung des Gesamtpersonals der Deutschen Bank am 1.1.1975 171 Tab. 40. Funktionsstufen und Ausbildungsstufen in der Deutschen Bank 173 Tab. 41. Die Verteilung der Ausbildungsinhalte auf die Ausbildungsstufen in der Deutschen Bank 175 Tab. 42. Die Auszubildenden in der Deutschen Bank Tab. 43. Teilnehmer am Bildungsangebot des Berufsbildungswerks der Versicherungswirtschaft (1949-1974) Tab. 44. Die Bildungsstufen in der Versicherungswirtschaft Tab. 45. Versicherungsfachklassen an Berufsschulen Tab. 46. Das Arbeitsprogramm des Münchener Bildungszentrums des Bayerischen Handels für das 1. Halbjahr 1976 Tab. 47. Lehrgangsstatistik 1975 des Bildungszentrums des Bayerischen Handels Tab. 48. Berufsausbildungsstatistik 1974/75 des D I H T Tab. 49. Die zehn zahlenmäßig am stärksten besetzten kaufmännischen Ausbildungsberufe Tab. 50. Fortbildungsprüfungen der Industrie- und Handelskammern 1973 bis 1975 Tab. 51. Die AusbildungsVerhältnisse im Kammerbezirk Ludwigshafen am 31.12.1976 Tab. 52. Statistik der Ausbildungsstätten im Kammerbezirk Ludwigshafen am 31.12.1976 Tab. 53. Lehrabschlußprüfungen im Bezirk der I H K Ludwigshafen im Jahre 1976
179 183 184 186 194 197 203 205 207 214 215 216
Tab. 54. Fortbildungsprüfungen bei der Kammer Ludwigshafen im Jahre 1976 217 Tab. 55. Durchführung des Modellversuches „contrôle contenu" in der Pfalz 219 Tab. 56. Die für die Berufsbildung „zuständigen Stellen" gemäß Berufsbildungsgesetz in den einzelnen Berufsbereichen 222
Einleitung. Das Bildungswesen der Wirtschaft als ein selbständiger Bereich des deutschen Bildungswesens Auf Grund der ungeschriebenen, aber faktisch gültigen Kulturverfassung der Bundesrepublik Deutschland besteht deren Bildungswesen aus den folgenden Teilen: 1. dem Bildungswesen des Staates, 2. dem Bildungswesen der Gemeinden, 3. dem Bildungswesen der Kirchen, 4. dem Bildungswesen der Wirtschaft, 5. dem Bildungswesen der freien Berufe, 6. dem Bildungswesen gemeinnütziger Vereinigungen, 7. dem von Privatpersonen geschaffenen sonstigen Bildungswesen. Der Staat hat zwar das Recht und die Pflicht, i m Rahmen seiner Sorge für die öffentliche Ordnung auch für die Beachtung bestimmter Grundnormen i m Bildungswesen zu sorgen. Er besitzt aber nicht ein Bildungsmonopol. Das in dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 enthaltene Prinzip „Schulen und Universitäten sind Veranstaltungen des Staates" gilt heute nicht mehr. I n i h m hatte der absolute Staat kurz vor seinem Ende seinen Anspruch auf die Herrschaft über das gesamte Bildungswesen i n einer klassischen Weise formuliert. Seitdem ist er aber an der Wende vom 18. und 19. Jahrhundert zerbrochen, und es ist i m 19. und 20. Jahrhundert die Idee der Demokratie zu dem Grundprinzip der gesamten öffentlichen Ordnung geworden. M i t i h m ist die Vorstellung von einem Bildungsmonopol des Staates nicht vereinbar. Dieser bleibt zwar auch weiterhin einer der Träger von B i l dungseinrichtungen; er muß sich aber damit abfinden, daß es neben ihm auch andere derartige Träger gibt. I n der Demokratie ist der Staat einerseits der Inhaber der obersten gesellschaftlichen Macht und hat daher zum Nutzen des allgemeinen Wohles auch dadurch für die öffentliche Ordnung zu sorgen, daß er allgemein verbindliche Normen für die Gestaltung des Bildungswesens aufstellt. Er ist andererseits einer der Anbieter, die Bildungseinrichtungen schaffen, von denen die Bürger nach freier Wahl Gebrauch machen können. Der Staat steht dabei i n Wettbewerb m i t den anderen Trägern von Bildungseinrichtungen, und
2
Einleitung
er darf seine Machtmittel nicht dazu benutzen, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Ein erheblicher Teil der heutigen kulturpolitischen Probleme und darunter auch des Streites u m das Berufsbildungsrecht beruht darauf, daß die zu einem neuen Absolutismus tendierenden politischen Gruppen den Versuch machen, diesen Wettbewerb zugunsten des Staates aufzuheben. Die Erhaltung der Demokratie i n der Bundesrepublik Deutschland verlangt aber, daß an dem Prinzip des gleichberechtigten Nebeneinanders der sieben Teile des deutschen Bildungswesens festgehalten wird. Die folgende Untersuchung befaßt sich m i t dem Bildungswesen der Wirtschaft und damit m i t einem bestimmten Teilgebiet des deutschen Bildungswesens. Es muß aber an dem Beginn dieser Arbeit darauf Wert gelegt werden, daß der Blick für den Gesamtzusammenhang nicht verloren gehen darf. Das Bildungswesen der Wirtschaft besitzt zwar eine gewisse Eigengesetzlichkeit. Seine Fragen sind aber trotzdem nur dann verständlich, wenn man sie als Teilfragen i n dem Rahmen der großen Kulturprobleme ansieht, die für die jetzige Epoche kennzeichnend sind. Die moderne K u l t u r w i r d so stark von dem Industrialismus bestimmt, daß dieser Zusammenhang von K u l t u r und Wirtschaft eine besonders deutliche Ausprägung i n dem Bildungswesen der Wirtschaft gefunden hat. Ihre wissenschaftliche Verdichtung zu einem bestimmten Forschungsbereich hat diese Problematik i n der Wirtschaftspädagogik und dabei besonders i n deren Teilgebiet Betriebspädagogik erlangt. Diese Fachwissenschaft ist zwar i n der Systematik der Wissenschaften nur ein Spezialbereich innerhalb der Erziehungswissenschaft. Die Betriebspädagogik ist heute jedoch faktisch ein Zentralgebiet der modernen Pädagogik und darüber hinaus der modernen Kulturanalyse. Die Untersuchung ihrer Fragen muß daher von einer Betrachtung der allgemeinen Kulturlage ausgehen.
Α. Grundaussagen über den wissenschaftlichen Charakter der Betriebspädagogik I. Die drei Hauptanliegen der modernen Erziehungswissenschaft: die Grundlegende Erziehung, die Erziehung zur Wissenschaftsfähigkeit und die Erziehung zur Wirtschaftsfähigkeit Das deutsche Volk hat ebenso wie die meisten anderen europäischen Völker i n den letzten 60 Jahren eine Reihe von schweren Katastrophen erlebt, die es tief erschüttert haben, und es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Unruhe und Bedrohung auch i n den nächsten Jahrzehnten andauern wird. Dieser Zustand zwingt zu Überlegungen darüber, was getan werden kann, u m die Lage langfristig zu ändern. Sie ist nur zu einem Teil darauf zurückzuführen, daß der allgemeine Trend der weltpolitischen Entwicklung die Stellung Europas i n der Welt wesentlich verschlechtert hat. Der zweite Grund für den heutigen Zustand liegt darin, daß die geistigen Fundamente, auf denen die europäische K u l t u r i m Laufe der Jahrhunderte aufgebaut worden ist, den Belastungen i n der neuesten Zeit nicht gewachsen zu sein scheinen und daher wahrscheinlich brüchig geworden sind. Ihre Tragfähigkeit ist zu einer offenen Frage geworden, die geklärt werden muß, denn alle weiteren Entscheidungen darüber, was zu der Uberwindung der heutigen kritischen Lage getan werden kann, hängen von dem Ergebnis dieser Untersuchung der Fundamente ab. Aus dieser Analyse des geistesgeschichtlichen Zustandes ergibt sich eine Verpflichtung der Wissenschaft. Sie muß sich von der übermäßigen Inanspruchnahme durch die i m Einzelfall oft sehr interessanten Tagesprobleme frei machen und dafür ihre K r a f t vor allem für die Untersuchung der Fundamentalprobleme einsetzen. Die heutige geistige Lage Europas ist eine Herausforderung an den Theoretiker, denn seine Fähigkeit, die großen Zusammenhänge zu erkennen und die ihnen immanente Ordnung systematisch darzustellen, muß die Voraussetzungen für die Maßnahmen schaffen, die auf weite Sicht die Gefahr eines weiteren Abgleitens i n ein Chaos verhindern und statt dessen eine allgemeine Besserung bewirken können. Diese Feststellungen gelten auch für den Bereich der Erziehungswissenschaft; auch i n ihr geht es heute u m eine neue Fundamentalpädagogik. Die theoretischen Grundvorstellungen, auf denen die deut-
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik
sehe Erziehungswissenschaft vor 1914 beruhte und die noch i n der Reichsschulkonferenz von 1920 die gemeinsame Denkgrundlage bildeten, sind seitdem so fragwürdig geworden, daß sie nicht mehr als die selbstverständlichen Grundvorstellungen für die Untersuchung der heute gegebenen Erziehungsprobleme verwendet werden können. Dies w i r d besonders klar an dem Beispiel der damaligen Begriffe der Allgemeinbildung, der akademischen Bildung und der Berufsbildung; an diesen drei Begriffen zeigt sich deutlich, was sich i n den letzten Jahrzehnten ereignet hat. Sie sind früher wesentliche Fundamentalbegriffe gewesen und sind heute Ausdrücke, die so unklar und vieldeutig sind, daß sie nur noch einen geringen wissenschaftlichen Wert haben. Die heutige Erziehungswissenschaft befindet sich i n der schwierigen Lage, daß die Kulturentwicklung ihren früheren Begriffsapparat entwertet hat, ohne daß er schon durch ein gleichwertiges neues Instrumentarium der pädagogischen Begriffe ersetzt worden ist. Es ist notwendig, Überlegungen darüber anzustellen, wie dieser Mangel überwunden werden kann. Sie müssen davon ausgehen, daß die drei genannten Begriffe zwar veraltet sind, aber doch irgendwie drei Problemkreise charakterisieren, deren Klärung eine Grundaufgabe der Erziehungswissenschaft bleibt. Es handelt sich daher darum, den Inhalt dieser Sachbereiche genauer und besser zu erfassen, als es die bisherige Terminologie getan hat. Die drei Begriffe sind die Worte, m i t denen i n der vom 19. Jahrhundert geprägten Epoche des erziehungswissenschaftlichen Denkens die ihr gemäßen Aussagen über die gemeinten Grundphänomene des Pädagogischen gemacht worden sind, und es kommt jetzt darauf an, ein erziehungswissenschaftliches Denksystem zu entwickeln, das der heutigen Kulturepoche angemessen ist. U m dies zu erreichen, muß sich die Erziehungswissenschaft bemühen, die folgenden drei Fragen zu beantworten: 1. Was gehört zu dem unabdingbaren Inhalt der „Grundlegenden Erziehung"? 2. Was ist unter „Erziehung zur Wissenschaftsfähigkeit" zu verstehen? 3. Was ist unter „Erziehung zur Wirtschaftsfähigkeit" zu verstehen? A u f diese drei Fragen sollen hier Antworten gegeben werden, die zwar nicht erschöpfend sind, die aber doch veranschaulichen, worum es geht. Die Grundlegende Erziehung soll dem Menschen jene geistige M i n destausstattung vermitteln, die er braucht, um i n der heutigen Welt sein Leben aufbauen zu können. Sie erfolgt vor allem i m Kindes- und Jugendlichenalter; es kann sich aber i m Erwachsenenalter als notwendig erweisen, durch eine erneute Grundlegende Erziehung die Basis für die persönliche Lebensgestaltung zu verbreitern oder zu festigen. Es w i r d von der Grundlegenden Erziehung nicht verlangt, daß sie durch
I. Die drei Hauptanliegen der modernen Erziehungswissenschaft
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eine „allgemeine Menschenbildung" die „Persönlichkeit" zur Entfaltung bringt, denn die Skepsis des modernen Erziehungstheoretikers richtet sich gerade gegen diese Ausdrücke, die typische Beispiele des pädagogischen Denkens i m 19. Jahrhundert sind. Die Aufgabe der Grundlegenden Erziehung besteht vielmehr darin, den Menschen m i t denjenigen geistigen Kräften auszurüsten, die er am Anfang seines bewußt von ihm gestalteten Lebens braucht, um m i t den auf ihn zukommenden Problemen fertig zu werden. Die Erziehung zur Wissenschaftsfähigkeit soll den Menschen dazu qualifizieren, m i t wissenschaftlichem Material sachgerecht umzugehen und es für die Lösung bestimmter Aufgaben auszuwerten. Diese Fähigkeit müssen heute fast alle Personen auf der Stufe des Facharbeiters und des mittleren Angestellten oder Beamten besitzen, denn fast überall, wo Güter erzeugt oder Dienstleistungen erbracht werden, werden wissenschaftliche Erkenntnisse angewandt. Ein wesentlich höherer Grad der Wissenschaftsfähigkeit muß von denjenigen verlangt werden, die einen Beruf ausüben wollen, der ein abgeschlossenes Universitätsstudium voraussetzt. Sie müssen bereits am Beginn dieses Studiums die „Studierfähigkeit" besitzen, und diese Qualifikation muß i m Laufe des Studiums so vertieft und ausgeweitet werden, daß von ihnen durch das Bestehen des akademischen Schlußexamens der Nachweis des Besitzes einer ausgereiften Wissenschaftsfähigkeit erbracht werden kann. Das Problem der Studierfähigkeit hat i n den ersten Jahren nach 1946 i n der Diskussion über die Gestaltung des Gymnasiums eine große Rolle gespielt. Seitdem ist jedoch die Untersuchung dieses Komplexes so sehr vertieft worden, daß der Ausdruck Studierfähigkeit nicht mehr eine angemessene Bezeichnung für diese Problematik ist. Sie betrifft wesentlich mehr als nur die Frage der rechten Vorbereitung des Gymnasiasten auf ein Universitätsstudium. Es geht i n ihr ζ. B. auch darum, wie einem Industriekaufmannslehrling dazu verholfen werden kann, in der Betriebsbuchhaltung die m i t abstrakten Symbolen durchgeführte Darstellung der i m Betrieb geschehenden Produktionsvorgänge zu erkennen, oder wie einem Elektrikerlehrling das Verständnis für die Tatsache eröffnet werden kann, daß der elektrische Strom als solcher überhaupt nicht sinnlich wahrnehmbar ist und daß daher das Wissen über seine Eigenschaften und damit auch über seine Verwendbarkeit ausschließlich auf der wissenschaftlichen Forschung beruht. Sowohl die Ausbildung zu einem Industriekaufmann als auch diejenige zu einem Elektrofachmann setzt ein Grundverständnis für wissenschaftliche Denkweisen voraus. I n beiden Fällen muß eine Wissenschaftsfähigkeit erreicht werden, wenn die Ausbildung Erfolg haben soll. Das ist i m Grunde der gleiche Tatbestand wie bei dem Studium i n einer Universität. I n der heutigen K u l t u r w i r d nicht nur von den Akademikern, sondern auch von den
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik
meisten Angehörigen der mittleren Berufe eine Befähigung zu abstraktem Denken verlangt. Die Erziehung zur Wissenschaftsfähigkeit ist daher eine sehr dringliche Aufgabe der modernen Pädagogik. Ferner wurde gesagt, daß sich die pädagogische Forschung m i t der Frage befassen muß, was Erziehung zur Wirtschaftsfähigkeit bedeutet. Die meisten Berufe haben den Charakter von Wirtschaftsberufen, da es sich bei ihnen um die Ausübung von kaufmännischen, handwerklichen, industriellen, hauswirtschaftlichen oder landwirtschaftlichen Tätigkeiten handelt. Außerdem verlangen fast alle sonstigen Berufe von ihren Trägern ein hohes Maß von Vertrautheit m i t den Wirtschaftsfragen der Gegenwart, und i n einem weiteren Sinne sind daher auch sie W i r t schaftsberufe. Die Erziehung zur Wirtschaftsfähigkeit betrifft daher faktisch einen wichtigen Teil des Lebens aller heutigen Menschen. Es handelt sich bei i h r u m einen Fragenkreis der Erziehungswissenschaft, dessen Untersuchung sehr dringend ist, denn angesichts der überragenden Bedeutung, die gegenwärtig die Wirtschaft für den Zustand der K u l t u r hat, ist es eine der großen aktuellen Aufgaben der Erziehung, den modernen Menschen dazu fähig zu machen, seine Geistigkeit auch i n der Wirtschaft zu verwirklichen. Die Erziehung zur Wirtschaftsfähigkeit ist daher ein so wichtiger Sachbereich, daß sich die Erziehungswissenschaft systematisch m i t der Frage befassen muß, was i m einzelnen darunter zu verstehen ist. Der Aufgabenkreis der heutigen theoretischen Erziehungswissenschaft w i r d also durch die drei Begriffe „Grundlegende Erziehung", „Erziehung zur Wissenschaftsfähigkeit" und „Erziehung zur W i r t schaftsfähigkeit" umschrieben. Dies ist ein anspruchsvolles Forschungsprogramm, und es bedarf vieler Einzeluntersuchungen, u m es durchzuführen. Eine von ihnen ist die vorliegende Arbeit. Sie befaßt sich m i t einer Teilproblematik des dritten Bereiches, nämlich m i t der Erziehung zu einem sinnvollen Leben i n einem wirtschaftlichen Betrieb, d. h. m i t der Betriebspädagogik. Wer einen wirtschaftlichen Beruf ausüben w i l l , der muß dazu bereit sein, Mitglied eines Betriebes zu werden und dort m i t den anderen Betriebsmitgliedern vernünftig und sinnvoll zusammen zu arbeiten und zusammen zu leben. Der Erwerb bestimmter Kenntnisse und Fertigkeiten ist eine notwendige Voraussetzung für die Erlangung der Wirtschaftsfähigkeit; er reicht jedoch nicht aus. Es muß noch eine weitere Qualifikation hinzukommen, die immer wichtiger wird, je komplizierter das Wirtschaftssystem wird. Dies ist die Fähigkeit, sich i n den Wirtschaftsapparat an der Stelle einzuordnen, welche die meisten Chancen für die Erfüllung der persönlichen Berufswünsche bietet, oder die ganz einfach unter den gegebenen Umständen der nächstliegende Ort ist, wo eine Erwerbsmöglichkeit besteht. Es kommt i n der Praxis nur sehr selten vor, daß jemand einen Betrieb
I I . Die Bedeutung des Industrialismus für die Pädagogik
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findet, der vollständig seinen Berufswünschen entspricht. Relativ häufiger ist der andere Grenzfall, daß jemand ganz auf die Verwirklichung seiner Wünsche verzichten muß, weil es für ihn nur eine einzige Möglichkeit des Geldverdienens gibt. Die berufliche Wirklichkeit der meisten Menschen liegt irgendwo zwischen diesen Grenzfällen und enthält Elemente von beiden. Die Erziehung zu der Fähigkeit, sich i n einen Wirtschaftsbetrieb einzufügen und dort zusammen m i t Menschen, die man sich nicht selbst ausgewählt hat, einen erheblichen Teil des Lebens i n einer befriedigenden Weise zu verbringen, umfaßt m i t h i n eine breite Fülle von sehr verschiedenartigen und oft sehr schwierigen Teilaufgaben. Unter den Problemen der Erziehung zur Wirtschaftsfähigkeit nehmen daher diejenigen der Betriebspädagogik einen wichtigen Platz ein. I I . Die Veränderung des Gedankensystems der Erziehungswissenschaft durch den Industrialismus 1. Die Entstehung des Betriebes als Teil des Kulturprozesses in der neuesten Zeit Die Lösung der Aufgaben, die heute i n dem Gebiet der Erziehung und Bildung vorhanden sind, setzt die Kenntnis der Tatsachen voraus, durch die sich die gegenwärtige Kulturepoche von den vorhergehenden unterscheidet. Z u diesen Fakten gehört auch die Entstehung des Betriebes i n den letzten 150 bis 200 Jahren; dieser Vorgang ist sogar eines der wichtigsten Phänomene der europäischen Kulturgeschichte der jüngsten Zeit. Seitdem es den Betrieb als selbständige ökonomische und soziale Einheit gibt, können die i m Spätmittelalter entstandenen und bis zu der Mitte des 19. Jahrhunderts gültig gewesenen Vorstellungen von der Familie, von der Wirtschaft, von dem Staat und von dem Gesamtsystem der Gesellschaft nur noch unter Vorbehalt als Denkmodelle verwendet werden, die sich für die Beschreibung und die Interpretation der heutigen Verhältnisse eignen. Dies gilt auch für die von der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts entwickelten Bildungsund Sozialideen. Der historische Prozeß, der seit dem 17. Jahrhundert den europäischen Industrialismus herbeigeführt und dabei die Entstehung des Betriebes bewirkt hat, hat die europäische K u l t u r so sehr verändert, daß es notwendig ist, viele der bis dahin verwendeten Begriffe unter dem Gesichtspunkt zu überprüfen, ob sie auch in der jetzigen Kulturepoche des Industrialismus weiter gebraucht werden dürfen. Damit entsteht zugleich die Aufgabe, neue Gedankensysteme aufzubauen, durch welche die heutige Wirklichkeit angemessen erfaßt wird. Der wirtschaftliche Betrieb ist eine Realität, die es vor dem Industrialismus nicht gegeben hat. Es ist daher selbstverständlich, daß
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik
er i n den früheren philosophischen, soziologischen und pädagogischen Gedankensystemen nicht vorgekommen ist. Es ist ebenso selbstverständlich, daß moderne Ideen dieser A r t nur Anspruch auf Gültigkeit haben, wenn sie der Tatsache Rechnung tragen, daß der heutige europäische Mensch i n einer Kulturepoche lebt, für die das Sozialgebilde Betrieb kennzeichnend ist. I n dieser realistischen Weise muß die Pädagogik das Gedankengut neu durchdenken, das sie bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit benutzt. Ein großer Teil der heute i n Gebrauch befindlichen pädagogischen Ideen stammt aus der vorindustriellen Zeit. Es ist damit nicht ohne weiteres gesagt, daß sie veraltet sind, denn es gibt pädagogische Aussagen, die zeitlos gültig sind. Es gibt daneben aber auch andere, die nur unter bestimmten Kulturbedingungen richtig sind und daher ihre Gültigkeit verlieren, wenn diese infolge des Ganges der Geschichte nicht mehr bestehen. Die Pädagogik muß daher ständig den K u l t u r prozeß beobachten, damit sie aus den Veränderungen, die er bewirkt, rechtzeitig für ihren Bereich die notwendigen Folgerungen ziehen kann. Für die heutige Erziehungswissenschaft bedeutet dies besonders, daß sie sich fragen muß, was die Entstehung des wirtschaftlichen Betriebes für i h r theoretisches Denksystem und für die pädagogische Praxis bedeutet. Es ist notwendig, Klarheit darüber zu gewinnen, was die Worte Erziehung und Bildung i n der jetzigen Kulturepoche besagen, die sich dadurch von der früheren unterscheidet, daß der Betrieb für die Mehrheit der Bevölkerung ein fast ebenso wichtiger Lebensraum wie die Familie ist. U m die volle Tragweite dieser Aussage erfassen zu können, muß man sich daran erinnern, daß sich die Erziehungswissenschaft von jeher intensiv m i t der Frage befaßt hat, welche Bedeutung die Familie für die Erziehung hat. I n einer ähnlichen Weise muß sie heute auch den Betrieb zum Gegenstand ihrer Überlegung machen. Indem sie dies tut, zieht sie für ihre Arbeit eine unaufschiebbar gewordene Folgerung aus dem geschichtlichen Prozeß, der die europäische K u l t u r in der neuesten Zeit verändert hat. Durch den Aufbau der Betriebspädagogik gibt die Erziehungswissenschaft die A n t w o r t auf die pädagogischen Fragen, die durch die Entstehung des Betriebes verursacht worden sind. Die Analyse der i n den letzten 150 Jahren zur Entfaltung gelangten pädagogischen Qualität des Betriebes ist eine dringende Forschungsaufgabe der heutigen Erziehungswissenschaft. Gegen diesen Gedankengang w i r d eingewendet werden, daß durch i h n die Bedeutung des Faktischen zu hoch eingeschätzt werde. Dieser Einwand ist jedoch unbegründet, denn er beruht auf einer unzureichenden geschichtsphilosophischen Reflexion über das Wesen der jetzt und hier vorhandenen Wirklichkeit. Der heutige Zustand der K u l t u r ist das Ergebnis von historischen Prozessen, welche die Vergangenheit m i t der
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Zukunft verbinden und damit zugleich der Gegenwart einen bestimmten Platz i n der Geschichte zuweisen. Der gegenwärtige Zustand ist die Folge des ständig i m Gange befindlichen Kulturprozesses, der laufend die K u l t u r verändert, ohne jedoch ihre Kontinuität zu unterbrechen. Es hat in der uns bekannten Weltgeschichte wahrscheinlich nur sehr wenige Fälle gegeben, bei denen der völlige Untergang einer K u l t u r als Folge einer Naturkatastrophe eingetreten ist. Die Auflösung des weströmischen Reiches i m 5. Jahrhundert ist nicht ein solcher Katastrophenfall gewesen, und die weströmische K u l t u r ist dabei nicht untergegangen. Die Zeit der Merowinger und der Karolinger, d. h. die frühmittelalterliche Zeit der gallischen und germanischen Provinzen des ehemaligen römischen Reiches, ist nur verständlich als eine Epoche, i n der die weströmische K u l t u r als das Fundament weiter bestand, jedoch durch den fränkischen Einfluß umgewandelt wurde. Die Kontinuität der K u l t u r ist allerdings nicht immer so offenkundig wie i n dem soeben genannten Fall. Man hat beispielsweise bis vor wenigen Jahrzehnten von der K u l t u r der Etrusker behauptet, daß sie völlig untergegangen sei, weil man nur noch sehr wenig von ihr wußte. Unterdessen hat aber die Erforschung von etruskischen Bauten, Malereien und Skulpturen sehr große Fortschritte gemacht, und man weiß heute, daß die römische Kunst von ihrem Beginn an sehr stark von der etruskischen beeinflußt worden ist. Dieser über Jahrtausende reichende Kulturzusammenhang w i r d sehr lebendig durch die Kapitolinische Wölfin veranschaulicht, denn diese etruskische Bronzeplastik ist schon i n der Frühzeit der Stadt Rom von deren Bewohnern verehrt worden und befindet sich auch heute noch auf dem Kapitol. Diese Hinweise haben den Zweck, die These zu erhärten, daß der historische Prozeß zwar ständig den Zustand der K u l t u r verändert, daß er aber nicht ihre Kontinuität unterbricht. M i t dem Wort Kontinuität w i r d die Tatsache bezeichnet, daß das früher Gewesene i n dem Kulturprozeß nicht verloren geht. Es kann zwar sein, daß es so sehr von dem Neuen überdeckt wird, daß es fast unsichtbar w i r d ; es gehört aber trotzdem weiter zu dem Grundbestand der K u l t u r und bleibt wirksam. Obwohl sich die europäische K u l t u r i m Laufe der Jahrtausende erheblich gewandelt hat, hat sie den Zusammenhang m i t ihren früheren Epochen nicht verloren. Das, was heute ist, kann daher nur dann sachgerecht erfaßt und interpretiert werden, wenn es als das Produkt seiner Geschichte begriffen wird. Der gegenwärtige Zustand der K u l t u r ist nicht die Folge von irgendwelchen Zufällen, sondern das Ergebnis des Kulturprozesses und damit eines m i t Sinn erfüllten Geschehens. Diese Einsicht ist entscheidend für das Verständnis der großen Veränderung, die die europäische K u l t u r durch die Entstehung des Indu-
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strialismus erfahren hat. Das heutige Europa unterscheidet sich von dem Europa der früheren Geschichtsepochen sehr erheblich, und es kann der Eindruck entstehen, daß der Aufbau der modernen Wirtschaft m i t der Zerstörung der i n Antike und Mittelalter erwachsenen europäischen K u l t u r bezahlt worden sei. Wer so denkt, der neigt dazu, i n dem modernen Betrieb ein Sozialgebilde zu sehen, das gerade deswegen, w e i l es die Eigenart der jetzigen Epoche besonders typisch repräsentiert, für den Verlust der Kulturwerte verantwortlich sei, der als Folge der Entfaltung von Technik und Wirtschaft i n der neuesten Zeit eingetreten sei. Diese Meinung ist aber ein Indiz dafür, daß demjenigen, der sie vertritt, die Kenntnis der großen historischen Zusammenhänge fehlt. Die moderne europäische Wirtschaftsverfassung könnte nicht so sein, wie sie ist, wenn nicht das europäische Denken i n einer mehr als 2000jährigen Geistesgeschichte bestimmte Grundvorstellungen von der Würde und der Freiheit des Menschen und von den Grundnormen des Zusammenlebens erarbeitet hätte. Der moderne W i r t schaftsbetrieb wäre nicht ein sozialer Raum m i t bestimmten allgemein anerkannten Regeln für die Kooperation vieler für gemeinsame Zwecke, wenn nicht die Problematik der zwischenmenschlichen Beziehungen von der Zeit der antiken Philosophie an immer wieder neu durchdacht worden wäre. Die Idee der Solidarität aller Mitglieder eines Betriebes und die daraus erwachsene Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfeleistung ist eine säkularisierte Form der Idee der christlichen Nächstenliebe. Die Entwicklung der Rechtsbeziehungen zwischen den Tarifparteien ist heute i n Deutschland so weit fortgeschritten, daß es für sie eine Friedenspflicht gibt und daß sie Kampfmaßnahmen nur unter bestimmten Voraussetzungen ergreifen dürfen. Diese Regelung ist nur möglich, w e i l i n einem sehr langen und mühevollen Prozeß die Idee der Rechtsgleichheit aller am Wirtschaftsprozeß Beteiligten und damit zugleich das Prinzip der Regelung der Arbeitsbeziehungen durch Vertrag entwickelt worden sind; auch dieser Teil der europäischen Geistesgeschichte gehört zu dem Kulturgut, das heute i n dem Betrieb realisiert wird. Bei den Diskussionen über die Rationalisierung der Betriebe ist immer wieder deutlich geworden, daß dabei neben den ökonomischen und den technologischen Erwägungen auch noch eine weitere Gruppe von Uberlegungen wichtig ist, die sich aus allgemeinen europäischen Grundvorstellungen von dem Wesen des Menschen ergeben. Es ist heute ein weitgehendes Einverständnis darüber vorhanden, daß sie auch i n der Arbeitswelt zur Verwirklichung kommen müssen. Es gehört zu den Besonderheiten der europäischen K u l t u r , daß sie in ihrer langen Geschichte stets dazu fähig gewesen ist, die wesentlichen Bestandteile des Alten dadurch zu bewahren, daß sie als Fundamente für den Aufbau von Gebilden verwendet wurden, denen ihre Verbundenheit m i t der
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europäischen Tradition oft zunächst nur schwer anzusehen ist. Ein solches Gebilde ist auch der Betrieb. I n seiner äußeren Erscheinung ist er fast traditionslos. Wenn man i h n aber näher betrachtet, dann erkennt man, daß er ein typisch europäisches Kulturgebilde ist, dessen Problematik nur dann verständlich ist, wenn man ihn als ein Produkt der europäischen Geschichte begreift. Auch er ist so, wie er ist, nicht ein Ergebnis des Zusammentreffens von Zufällen. Die Kontinuität des europäischen Kulturprozesses hat vielmehr i n ihm eine jetzt und hier gültige Ausprägung gefunden; seine Beschaffenheit hat historischen Sinn. 2. Die philosophischen Denkvoraussetzungen der für die betriebspädagogische Forschung nötigen kulturtheoretischen Begriffe Die i m vorigen Abschnitt dargelegte Auffassung setzt die Geltung bestimmter philosophischer Prämissen voraus. Es w i r d von einem Sinn des Kulturprozesses gesprochen, w e i l dessen Verlauf von dem Geist bestimmt wird. Dieser ist eine objektive Realität, die logisch vor dem Menschen existiert. Jeder Mensch ist von Natur aus m i t Geist ausgestattet und besitzt somit subjektiven Geist als seinen persönlichen Anteil an dem objektiven Geist. Er w i r k t durch ihn an der Gestaltung der Geschichte m i t 1 . Die Geschichte ist daher ein m i t Sinn erfülltes Geschehen. Die Gültigkeit dieser Aussage w i r d nicht dadurch aufgehoben, daß es für den Menschen sehr schwer ist, den Sinn zu erkennen, denn dies liegt an der Begrenztheit seines geistigen Vermögens und ist daher kein Argument gegen die Richtigkeit der Feststellung, daß die Geschichte ein Wirkungsbereich des Geistes ist. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß Geschichte primär immer Geistesgeschichte ist. Erst sekundär ist sie Geschichte der Kunst, der Politik, der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Technik oder eines anderen Teilbereiches des Lebens. Eine Sonderstellung haben die Geschichte der Religion und die Geschichte der Philosophie, denn sie sind die Geschichte der Selbstbesinnung des Menschen darüber, daß i n i h m Geist wirksam ist; es kommt ihnen eine Vorrangstellung zu. Sie haben Schlüsselfunktionen, denn sie analysieren die geistigen Grundtatbestände, auf denen die Vorgänge i n den einzelnen Teilgebieten beruhen. Da zwischen den reli1 Der Verfasser ist sich darüber klar, daß diese Aussagen eigentlich einer philosophischen und theologischen Vertiefung bedürfen, die jedoch im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich ist. Er weist daher darauf hin, daß die hier vertretenen Gedanken auf der christlichen Anschauung beruhen, daß Gott der Herr der Geschichte ist und deren Gang lenkt, daß er jedoch dem Menschen die Freiheit des Gebrauches seiner geistigen Kräfte und damit auch des Irrtums und des Mißbrauches seiner Vernunft läßt, und daß der Verlauf des Geschichtsprozesses daher durch das Verhalten des Menschen beeinflußt wird.
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giösen und den philosophischen geistigen Akten ein Unterschied besteht, ist es notwendig, sie gesondert zu untersuchen. Diese Verschiedenartigkeit hebt aber nicht die Tatsache auf, daß es i n beiden Bereichen i m Prinzip um das Gleiche geht, nämlich um die Geschichte der Geistigkeit des Menschen. Die Begriffe des Geistes und der Geschichte werden ergänzt durch den Begriff der K u l t u r . Darunter ist die i m wesentlichen gleichbleibende Erscheinungsform des Geistes i n einer bestimmten Region der Erde während eines größeren Zeitraumes zu verstehen. Aus dieser Definition ergibt sich zweierlei. Die K u l t u r ist eine überindividuelle Gemeinsamkeit vieler Menschen, die jedem einzelnen eine bestimmte Grundbeschaffenheit verleiht, ohne seine i h m eigentümliche Individualität aufzuheben. Ferner w i r d m i t dem Wort K u l t u r eine geistige W i r k lichkeit bezeichnet, die eine historische, d. h. durch Raum und Zeit bedingte Eigenart besitzt. Es gibt daher nicht die K u l t u r schlechthin, sondern Kulturen, die nebeneinander und nacheinander entstehen, längere Zeit andauern und dann vergehen. Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte ihrer Kulturen, und der Ablauf der Geschichte w i r d sichtbar i n dem Kulturprozeß. Auch dieser Begriff gehört zu den Prämissen, auf denen diese Untersuchung beruht. Es wurde bereits früher gesagt, daß ein wesentliches Merkmal dieses Prozesses seine Kontinuität ist. Damit w i r d die Tatsache gemeint, daß jede spätere K u l t u r die Erbin der vorhergehenden ist und wesentliche Teile ihrer Inhalte übernimmt und bewahrt. I n der hier dargelegten Theorie der Geschichte stehen der Begriff des Sinnes der Geschichte und der Begriff der Kulturkontinuität in einem notwendigen Zusammenhang, denn die Sinnhaftigkeit des Geschichtsverlaufes w i r d realisiert durch die Kontinuität des Kulturprozesses. Die beiden Begriffe bedingen einander; es wäre unlogisch, den einen zu bejahen und den anderen zu verneinen. Die Grundlage des gesamten Begriffssystems ist die Idee des Geistes. Aus ihr ergeben sich folgerichtig die Idee der Geschichte und die Idee der K u l t u r und damit auch die Feststellung, daß der Ablauf der Geschichte m i t Sinn erfüllt ist und daß der Kulturprozeß Kontinuität besitzt. Eine solche Klarheit über die philosophischen Prämissen ist bei der vorliegenden Untersuchung deswegen i n einem besonders hohen Maße notwendig, w e i l sie sich m i t einem äußerst wichtigen historischen Phänomen befaßt. Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß der Betrieb ein Sozialgebilde ist, das es erst seit etwa 200 Jahren gibt; seine Entstehung ist ein Teil des Geschichtsprozesses, der Europa in den letzten Jahrhunderten umgewandelt und die Kulturepoche des Industrialismus heraufgeführt hat. Bei dem Versuch, diesen Vorgang zu erklären, ist davon auszugehen, daß die primäre Tatsache der um-
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fassende geistige Wandel ist, den Europa etwa seit dem 15. Jahrhundert durchgemacht hat und durch den Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft andere Inhalte und Formen erhalten haben und durch den der gesamte Lebensstil des europäischen Menschen verändert worden ist. Eine der Auswirkungen dieses Wandels ist die Entstehung des modernen Staates; dieses Phänomen w i r d i n dieser Untersuchung jedoch nicht behandelt. Eine andere Auswirkung ist die Entstehung des Industrialismus. Dieser Prozeß hat einen sichtbaren Ausdruck i n der Entstehung der modernen Technik und in der Entstehung des modernen Betriebes gefunden. Auch die Tatsache, daß es seit rund 200 Jahren Betriebe gibt, ist somit eine Folge der Veränderung der Geistigkeit des europäischen Menschen i n den letzten 500 Jahren. Die A r t des Nachdenkens des Menschen über die Natur und über die Verwendung ihrer Stoffe für menschliche Zwecke hat sich geändert, und daraus hat sich die moderne Technik entwickelt. Ebenso hat sich die A r t des Nachdenkens des Menschen über die gemeinsame Verwendung der menschlichen Arbeitskraft für wirtschaftliche Zwecke geändert, und dies hat zu der Entstehung des Betriebes geführt. A m Anfang hat aber immer eine Veränderung des geistigen Verhaltens bei der Suche nach Antworten auf die Fragen des Lebens gestanden. Damit hat eine neue Epoche der europäischen Geistesgeschichte begonnen, und der Industrialismus und m i t ihm die moderne Technik und der moderne Betrieb sind besonders wichtige Ausdrucksformen dieser neuen europäischen Geistigkeit. Für alle weiteren Überlegungen ist die Feststellung entscheidend, daß der Mensch Geist besitzt und daß daher i n seiner Individualität eine objektive K r a f t wirksam ist. Sie macht ihn zu A k t e n des Erkennens, des Wertens und des Wollens fähig; er besitzt ein Gewissen. Damit w i r d allerdings das Phänomen der Geistigkeit des Menschen nicht erschöpfend beschrieben; es kann in dieser Untersuchung jedoch darauf verzichtet werden, mehr darüber zu sagen. Welcher A r t die Akte des Erkennens, des Wertens und des Wollens des heutigen Menschen sind, hängt i n einem hohen Maße davon ab, wozu er durch sein Leben i n der heutigen Familie, i n dem heutigen Staat, i n der heutigen Kirche und i n den irrational oder rational motivierten heutigen sozialen Beziehungen herausgefordert wird. Zu diesen Lebensmächten, die den Menschen jetzt und hier formen, ist i n der neuesten Zeit der Betrieb hinzugekommen, und er hat sich i n kurzer Frist zu einem so wichtigen Teil der modernen sozialen Wirklichkeit entwickelt, daß die von ihm ausgehenden Wirkungen besonders intensiv sind. Die geistige Beschaffenheit der Menschen, die Tag für Tag unter dem Einfluß eines Betriebes stehen, w i r d dadurch in einem sehr hohen Maße bestimmt. I n dieser Lage befindet sich die Mehrheit der Bevölkerung. Außerdem werden
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aber auch diejenigen, die nicht als Unternehmer, Angestellte oder Arbeiter i n einem Betriebe tätig sind, indirekt von diesen Wirkungen erreicht. Wer den Versuch macht, sich ein realistisches B i l d von der Existenzweise der i n europäischen Industriestaaten lebenden Menschen zu verschaffen, der muß sich daher fragen, wie deren geistige Beschaffenheit durch den Betrieb geprägt wird. Ebenso wie es einen Sinn hat zu fragen, was i n Europa die Familie, die Kirche oder der Staat für den geistigen Zustand der heute in diesem Kulturbereich lebenden Menschen bedeuten, ist es berechtigt und notwendig, diese Frage auch auf den Betrieb auszudehnen. Es w i r d hier aber m i t Absicht eine Beschränkung auf die europäischen Länder vorgenommen, zu denen jedoch auch die USA, Kanada und Australien zu rechnen sind. I n anderen Teilen der Welt haben die Begriffe Familie, Kirche und Staat nicht genau dieselben Inhalte wie i n Europa, oder es fehlen überhaupt vergleichbare soziale Institutionen. Es ist wahrscheinlich, daß auch der Begriff des Betriebes i n anderen Teilen der Welt nicht den gleichen Inhalt wie i n Europa hat, und es ist daher notwendig, die vorliegende Untersuchung über Erziehung und Bildung i m Betrieb auf den europäischen Raum zu beschränken.
primären
3. Der Betrieb als Besitzer von Erziehungsrechten und Erziehungspflichten
Der Ausgangspunkt für die Beschäftigung der Erziehungswissenschaft m i t dem Betrieb bildet die Tatsache, daß dieser ein originäres Erziehungsrecht besitzt, das ihm von niemand gegeben worden ist und von niemand genommen werden kann; ihm entspricht eine originäre Erziehungspflicht. Der Betrieb ist eine Gruppe von Menschen, die zusammen arbeiten, um gemeinsam bestimmte ökonomische Absichten zu verwirklichen. Dies ist nur möglich, wenn jeder der Beteiligten diejenige geistige Qualifikation besitzt, die seiner A r t der M i t w i r k u n g an der Durchführung der Leistungserstellung entspricht. Es ist notwendig, daß er über diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten verfügt, die die Grundlage seiner Leistungsfähigkeit bilden, und der Betrieb hat das Recht und die Pflicht, sich darum zu kümmern, daß dieses Leistungsvermögen ständig ergänzt und erneuert wird. Z u dieser Ausrüstung m i t Wissen und Können müssen jedoch noch weitere Befähigungen hinzutreten. Jedes Mitglied des Betriebes muß dazu bereit sein, m i t den Kollegen zusammen zu arbeiten und dabei deren individuelle Beschaffenheit zu respektieren, denn ohne eine solche Toleranz wäre das Zusammenleben von Menschen, die einander oft fremd sind und bleiben, i n dem engen Raum des Betriebes unerträglich. Ferner w i r d ein Sinn für Kameradschaft erwartet. Die gegenseitige Unterstützung in den kleinen Dingen des betrieblichen Alltags und die geistige und
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materielle Hilfe der Arbeitskameraden i n Fällen der Not tragen wesentlich dazu bei, dem Zusammenleben i n einem Betrieb etwas Wärme zu geben, und dies ist als Gegengewicht gegen die Kälte der technologisch bedingten sachlichen Notwendigkeiten sehr wichtig. Dabei kommt es vor allem darauf an, daß die Glaubwürdigkeit des guten Willens durch das persönliche Beispiel bewiesen wird. Ob jemand dazu fähig ist, hängt von der allgemeinen Beschaffenheit seiner Geistigkeit ab. Wer durch Krankheit, familiäre Sorgen oder anderes Leid übermäßig belastet oder aus sonstigen Gründen m i t seinem Leben unzufrieden ist, dem fehlt oft die Kraft, um sich i m Betrieb auf die Probleme der anderen einstellen zu können. Es entsteht daher die Frage, was von Seiten des Betriebes getan werden kann, um i h m zu helfen. Dies ist sowohl aus praktischen als besonders auch aus theoretischen Gründen eine schwierige Angelegenheit, denn bei einer solchen Anteilnahme an dem Privatleben muß das Prinzip beachtet werden, daß sich der Betrieb nur aus sehr triftigen Gründen u m Dinge kümmern darf, die zu der Private sphäre des Mitarbeiters gehören. Es bedarf einer großen Sachkenntnis und vieler Lebenserfahrung, um i n solchen Fällen das Richtige zu tun. A u f der anderen Seite würde der Betrieb seine Fürsorgepflicht gegen den betroffenen Mitarbeiter und gegen dessen Kollegen verletzen, wenn er nicht versuchen würde, den Gründen für die Störungen des Zusammenlebens nachzugehen und deren Ursachen zu beseitigen. I m Rahmen der Versuche, solche Schwierigkeiten zu überwinden, entsteht auch die Frage, ob eine Hilfe darin bestehen kann, daß dem Betroffenen durch die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen Anregungen verschafft werden, die seinen geistigen Zustand positiv beeinflussen. Diese Funktion können i m Regelfall nur Vorträge, Kurse und Freizeiten erfüllen, die keinen Berufsbildungscharakter haben; es gehören dazu auch musische Veranstaltungen, w e i l sie i n besonders intensiver Weise eine Stabilisierung der Gemütsverfassung bewirken können. Die meisten Betriebe werden i n solchen Fällen die Hilfe von außerbetrieblichen Einrichtungen i n Anspruch nehmen, vor allem der Volkshochschulen und der Bildungswerke der Kirchen. Auch in diesen Fällen tragen jedoch die Betriebe die Gesamtverantwortung, da die bildungspolitische Initiative von ihnen ausgeht. Ein weiteres immer wichtiger werdendes Gebiet der betrieblichen Bildungspolitik ist die Vorbereitung der Führungskräfte auf ihren Umgang m i t der Macht, die sie i n dem Betrieb auf Grund der sachlich notwendigen Ordnungsstrukturen besitzen. Der Betrieb ist ein Sozialgebilde, dessen Funktionsfähigkeit davon abhängt, daß i n ihm Anweisungen erteilt und ausgeführt werden. Es kommt daher darauf an, daß die Vorgesetzten die Fähigkeit besitzen, i n einer Weise zu befehlen, die nicht die persönliche Würde der Untergebenen verletzt, sondern i m Gegenteil deren Bereitwilligkeit zur Mitarbeit
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motiviert. Diese Kunst der Menschenführung setzt zwar eine angeborene Begabung voraus; sie kann jedoch erst durch eine systematische Unterweisung i n den Führungstechniken zur vollen Entfaltung kommen. Bildungsmaßnahmen für die Führungskräfte gehören daher heute zu den Kerngebieten der betrieblichen Bildungspolitik. Diese Beispiele für die Aufgabengebiete der betrieblichen Bildungsarbeit zeigen, daß es sich dabei um sehr verschiedenartige Angelegenheiten handelt, und es muß daher die Frage beantwortet werden, w o r i n die Gemeinsamkeit besteht, die ihnen einen betriebspädagogischen Charakter verleiht. Dies ist die Tatsache ihrer Betriebsnotwendigkeit. I n allen beschriebenen Fällen ist es für die Verwirklichung des Betriebszwecks notwendig, daß eine solche Bildungsarbeit geschieht; sie w i r d durchgeführt, w e i l sonst die Gefahr entstehen würde, daß der Bestand des Betriebes i n dieser oder jener Weise bedroht würde. Da i n den letzten Jahrzehnten die Analyse der Probleme der Wirtschaft immer mehr zu der Einsicht geführt hat, daß die Betriebspolitik vor allem auf die langfristige Erhaltung des Bestandes des Betriebes und erst i n zweiter Linie auf kurzfristige Erfolge gerichtet sein sollte, hat sich die Aufmerksamkeit immer mehr der Frage zugewendet, wodurch die Sicherung einer langen Lebensdauer eines Betriebes erreicht werden kann. Die A n t w o r t nennt eine ganze Reihe von Punkten. Einer der besonders wichtigen ist der Hinweis darauf, daß zu einer modernen Betriebspolitik auch eine moderne betriebliche Bildungspolitik gehört. Wenn ein Betrieb die mannigfachen von innen und von außen kommenden Bedrohungen, denen er laufend ausgesetzt ist, überleben w i l l , dann ist es notwendig, daß er dafür sorgt, daß die zu i h m gehörenden Menschen ständig voll leistungsfähig sind und bleiben. Es ist das Kennzeichen dieser A r t von Bildungspolitik, daß sie betriebsnotwendig ist; sie beruht auf dem Wesen des Betriebes. Aus den dargelegten Gedanken ergibt sich, daß das Erziehungsrecht des Betriebes originäres Recht ist und kein Recht, das dem Betrieb von einem anderen Rechtsträger überlassen worden ist. Die Familie kann zwar einen Teil ihrer Erziehungsrechte an den Betrieb dadurch delegieren, daß die Eltern einen unter ihrer Erziehungsgewalt stehenden Jugendlichen dem Betrieb zur Ausbildung übergeben. Ebenso kann der Staat Teile seines Rechtes an den Betrieb delegieren und damit den Betrieb m i t der Ausübung staatlichen Erziehungsrechtes beauftragen. Diese Ubertragungsakte fügen dem bereits vorher bestehenden originären Erziehungsrecht des Betriebes weiteres Recht hinzu, so daß als Ergebnis das Erziehungsrecht des Betriebes aus drei Teilen besteht, nämlich a) aus originärem Recht, b) aus delegiertem Elternrecht und c) aus delegiertem staatlichen Recht. Das unter a) genannte originäre Recht besitzt dabei grundsätzlich eine Vorrangstellung.
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Das Kernstück dieser Problematik ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Betrieb und Staat. Es ist für ihre Beantwortung notwendig, sich i n das Gedächtnis zu rufen, daß die Erziehungswissenschaft bereits vor ähnlichen Problemen bei den Diskussionen über das Verhältnis zwischen Familie und Staat und über dasjenige zwischen Kirche und Staat gestanden hat. I m Prinzip sind die heutigen Kontroversen über das Recht des Staates auf Beeinflussung der pädagogischen Arbeit des Betriebes eine Wiederholung früherer Auseinandersetzungen darüber, welche Rechte der Staat i m Bereich der Erziehung gegenüber der Familie und der Kirche hat und wo die Macht des Staates ihre Grenzen findet. Die europäische Erziehungsgeschichte der neuesten Zeit ist i n einem hohen Maße durch die Abwehrkämpfe der Kirche gegen die übermäßigen Ansprüche des Staates ausgefüllt worden, und i n ähnlicher Weise geht es auch heute darum, das Recht des Betriebes auf pädagogische Freiheit gegen den wiedererwachten staatlichen Absolutismus zu verteidigen. Die europäische Geistesgeschichte der Neuzeit lehrt zwar deutlich, daß die Epoche eines solchen Absolutismus grundsätzlich vorbei ist und daß geistige Strömungen, durch die das totalitäre Denken eine Wiederbelebung erfährt, nur Zwischenphasen sind, die den Kulturprozeß zwar vorübergehend hemmen, aber nicht aufhalten können. Aus dieser historischen Sicht sind auch die gegenwärtigen Vorschläge zu beurteilen, die eine Verstaatlichung der Bildungsarbeit der Betriebe anstreben. Sie stehen i m Widerspruch zu den Leitideen der jetzigen Kulturepoche und werden sich daher auf lange Sicht nicht durchsetzen können. Diese Beurteilung der geistesgeschichtlichen Gesamtlage macht es aber nicht überflüssig, sich u m die Analyse der theoretischen Probleme zu bemühen, die sich aus der Tatsache ergeben, daß der Betrieb originäre Erziehungsrechte und originäre Erziehungspflichten besitzt. Die vorliegende Untersuchung w i r d daher diesem Fragenkreis ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden. U m bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und bei der Erfüllung ihrer Pflichten sachgerecht verfahren und um sich dabei i n der Gesellschaft durchsetzen zu können, haben sich die Betriebe 2 zu Selbstverwaltungsinstitutionen zusammengeschlossen. Diese haben teils öffentlich-rechtlichen Charakter (Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern) und teils privatrechtlichen Charakter (Fachverbände, Gemeinschaftseinrichtungen für bestimmte Zwecke, Arbeitgeberverbände). Die i n diesen Institutionen organisierte Gesamtheit der Betriebe w i r d durch 2 Es muß an dieser Stelle erwähnt werden, daß in den Wirtschaftswissenschaften neben dem Begriff Betrieb auch der Begriff der Unternehmung bzw. des Unternehmens verwendet wird, um die konkrete Wirtschaftseinheit zu bezeichnen. Es wird dabei besonders an die juristische Gestalt dieser Einheit gedacht. Die Diskussion über den Wert dieser Unterscheidung ist offen. I n der vorliegenden Untersuchung wird vorwiegend das Wort Betrieb verwendet.
2 Abraham
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sie zu der „Wirtschaft" und damit zu einer gesellschaftlichen Einheit, die dazu fähig ist, ihre Eigenständigkeit gegenüber anderen gesellschaftlichen Mächten und besonders gegenüber dem Staat zu behaupten. Z u dem Kreis der Angelegenheiten, die dadurch zu Selbstverwaltungsangelegenheiten der Wirtschaft geworden sind, gehört auch die Tätigkeit der Betriebe auf dem Gebiet der Erziehung und Bildung. Außerdem hat der Staat durch die Gesetzgebung über die Rechte und Pflichten der Kammern, Innungen und Verbände diesen Institutionen betriebspädagogische Aufgaben übertragen; diese Gesetzgebung ist i m einzelnen sehr kompliziert. Diese zusätzliche Ausstattung m i t staatlichem Recht hat den Selbstverwaltungscharakter der genannten Institutionen nicht aufgehoben. Sie sind dadurch jedoch i n eine Doppelrolle gedrängt worden, und es ist manchmal schwer, i m konkreten Fall genau zu sagen, ob sie auf Grund ihres ursprünglichen Rechtes als Selbstverwaltungsorgane oder ob sie auf Grund des ihnen übertragenen staatlichen Rechtes handeln. Diese Unklarheit ist die Folge davon, daß dieser Fragenkomplex zu den noch nicht befriedigend ausdiskutierten Streitfragen der Beziehungen zwischen Wirtschaft und Staat gehört. Der Staat darf verlangen, daß eine allgemeine Koordinierung der B i l dungspolitik der Wirtschaft m i t seiner eigenen Bildungspolitik und m i t seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik erfolgt. Damit w i r d aber die Bildungsarbeit der Betriebe nicht zu einer Sache, die die Betriebe i m Auftrag des Staates durchführen, und die Kammern und Verbände handeln nicht als Organe des Staates, wenn sie sich darum bemühen, die betriebliche Berufsbildung zu normieren und die Einhaltung der Normen zu kontrollieren. Die betriebspädagogische Tätigkeit der Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft beruht vielmehr trotz dieser Koordinierung m i t den Aktivitäten des Staates darauf, daß die Betriebe einen Teil ihrer originären Erziehungsrechte und Erziehungspflichten an die von ihnen geschaffenen und getragenen Gemeinschaftseinrichtungen delegiert haben. Es geht daher bei den jetzigen Diskussionen über die Regelung der betrieblichen Berufsbildung u m wesentlich mehr als nur um die Schaffung einer vernünftigen und praktikablen Ordnung. Es handelt sich darum, ob die bisherige prinzipielle Konzeption weiter gelten soll, wonach die Betriebe und damit auch die Kammern und Verbände ein eigenständiges Erziehungs- und Bildungsrecht besitzen, oder ob diese Konzeption aufgehoben werden soll, so daß die Wirtschaft i n Zukunft ihre berufspädagogischen Maßnahmen i m Dienste des Staates durchführt.
I I I . Allgemeine Grundbegriffe der betriebspädagogischen Forschung
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I I I . Die Systematik der für die betriebspädagogische Forschung benötigten erziehungswissenschaftlichen Begriffe 1. Der Erziehungsbegriff
und seine Unterbegriffe
Diese Fragen sind bisher i n der Erziehungswissenschaft nur i n einer unzureichenden Weise untersucht worden. Der Hauptgrund für diese Unterlassung liegt darin, daß es sich u m Probleme handelt, die neben dem pädagogischen Gehalt auch ökonomische, soziologische und j u r i stische Inhalte haben und daher schwer zu analysieren sind. I n einem solchen Fall können nur dann befriedigende Ergebnisse erzielt werden, wenn jeder der beteiligten Fachleute i n seinem Gebiet m i t einer klaren Begriffssystematik arbeitet, die außerdem so beschaffen ist, daß auch die Fachleute der Nachbargebiete sie verstehen können. Je komplexer die Probleme sind, die zu untersuchen sind, u m so präziser muß die Systematik sein, nach der jeder der mitwirkenden Sachverständigen auf seinem Gebiet verfährt. Dieses allgemeine Prinzip gilt i n einem besonders hohen Maße für die Betriebspädagogik, denn es gibt bei ihr nicht eine einzige Frage, die ausschließlich pädagogischer Natur ist. Sie hat es vielmehr stets m i t Angelegenheiten zu tun, für die außer dem Erziehungswissenschaftler zugleich der Wirtschaftswissenschaftler, der Soziologe und der Jurist zuständig sind. Dies verlangt eine wissenschaftliche Kooperation, i n der sich der Pädagoge nur dann zu behaupten vermag, wenn er einen Begriffsapparat besitzt, der es i h m ermöglicht, seine Probleme aus dem allgemeinen Bündel der Fragen herauszulösen. Wer sich an der betriebspädagogischen Forschung beteiligen w i l l , der muß über ein genau durchdachtes Instrumentarium von pädagogischen Begriffen verfügen, weil er sich sonst i n der Fülle der Phänomene verliert, m i t denen er sich beschäftigen muß. Da die Intensivierung der betriebspädagogischen Forschung aus vielen Gründen ein wichtiges A n liegen ist, muß der Erarbeitung eines umfassenden Systems von pädagogischen Begriffen eine größere Bedeutung zugemessen werden, als dies i n den letzten Jahren geschehen ist. Es handelt sich dabei u m zwei Teilaufgaben. Die erste ist die Bestimmung des Begriffes der Erziehung und seine Aufgliederung i n Unterbegriffe. Die zweite Aufgabe besteht darin, eine Gliederung der Erziehungswissenschaft i n Spezialdisziplinen aufzustellen und dabei der Betriebspädagogik ihren Platz i n diesem System zuzuweisen. Die Lösung der ersten Aufgabe ist die notwendige Voraussetzung für die Lösung der zweiten, denn es hat keinen Zweck, über die Gliederung der Wissenschaft von der Erziehung zu sprechen, solange nicht klar ist, was m i t dem Wort Erziehung gemeint wird. Den Ausgangspunkt für den Versuch, den Begriff Erziehung zu definieren, bildet die Tatsache, daß der Mensch das m i t Geist ausgestattete 2*
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik
Wesen ist. Diese Geistigkeit ist unverlierbar und unverzichtbar. Sie ist jedoch bei der Geburt nur als Anlage vorhanden und bedarf eines Reifungsprozesses, u m zur Entfaltung zu gelangen. Dieser Vorgang der Reifung der Geistigkeit w i r d durch die Erziehung bewirkt; der Mensch ist erziehungsbedürftig und erziehungsfähig. Dieser Prozeß findet erst m i t dem Tode seinen Abschluß, denn kein Mensch erreicht während seines Lebens einen Zustand der absoluten Reife. Es gibt jedoch eine relative Reife, die kurz vor oder nach dem 20. Lebensjahr erreicht w i r d ; dieser geistige Zustand w i r d als Mündigkeit bezeichnet. Der Eint r i t t der Mündigkeit w i r d dadurch charakterisiert, daß der Mensch von nun an i n einem ausreichenden Umfange zu der Selbsterziehung fähig ist und daher nur noch i n besonderen Fällen der Fremderziehung bedarf; über diese beiden Begriffe w i r d später Näheres gesagt. Da die Geistigkeit des Menschen dadurch verursacht wird, daß i n i h m objektiver Geist wirksam ist, besitzt der Mensch eine angeborene Befähigung zu rationalem Denken, ein angeborenes Grundwissen von den objektiven Werten und einen angeborenen Willen zu geistig motiviertem Handeln. Es sind i n i h m die Anlagen zu der Unterscheidung zwischen dem logisch Richtigen und dem logisch Falschen, zu der Unterscheidung zwischen dem sittlich Guten und dem sittlich Bösen und zu der Unterscheidung zwischen dem m i t Berechtigung Gewollten und dem aus W i l l k ü r Angestrebtem vorhanden. Jeder Mensch besitzt als Anlage die geistige Kraft, diese Akte der Unterscheidung zu vollziehen. Diese Anlagen bedürfen der Erziehung, u m zu der Entfaltung zu kommen. A u f Grund dieser Überlegungen ist der Begriff der Erziehung i n folgender Weise zu definieren: Unter Erziehung ist die Förderung des Reifungsprozesses zu verstehen, der die i n dem Menschen von Geburt an vorhandene Geistigkeit zur Entfaltung bringt; das Ziel der Erziehung ist die der Individualität des einzelnen gemäße Reife seiner Geistigkeit, die ihn zu A k t e n des Erkennens, des Wertens und des Wollens befähigt 3 . Die volle Entfaltung der Geistigkeit des Menschen w i r d dadurch erreicht, daß dem Menschen die Realität des Vorhandenseins des objektiven Geistes durch die Begegnung m i t den objektiven K u l t u r gütern bewußt gemacht w i r d und daß er durch dieses Erleben des Objektiven zu der Besinnung über sich selbst und seine Stellung i n der Welt veranlaßt wird. Dies ist die Sache der Erziehung. 3 Es werden in dieser Untersuchung die geistigen Akte, die auf Intuition oder auf religiöser Erfahrung beruhen, nicht berücksichtigt; es soll daher hier nur auf sie hingewiesen werden. I n einer speziell der Theorie der Erziehung gewidmeten und daher weiter ausgreifenden Untersuchung müssen auch sie in die Überlegungen einbezogen werden; die vorliegende Arbeit hat jedoch nur einen begrenzten Zweck und kann daher auf ihre Behandlung verzichten.
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Sie bewirkt, daß i n der subjektiven Geistigkeit des i n dem Reifungsprozeß stehenden Menschen jene Anteilhabe an dem objektiven Geist verwirklicht wird, die das Wesen des Menschen ausmacht. Der Grad dieser Anteilhabe ist individuell verschieden und hängt sowohl von der angeborenen Begabung als auch von der Qualität der erhaltenen Erziehung ab. Der Mensch ist mehr als nur ein biologisch und psychologisch einwandfrei funktionierendes Lebewesen. Durch das Wirken des Geistes erhält er vielmehr eine Beschaffenheit, die ihn wesenhaft von den Tieren und den unbelebten Sachen unterscheidet. Diese Durchgeistigung w i r d durch die Erziehung bewirkt. Die physiologischen und die psychologischen Anlagen des Menschen sind dabei ein Grundmaterial, das von der Erziehung bewußt und planmäßig benutzt wird. Die A u f gabe der Erziehung besteht aber nicht nur darin, diese Anlagen zur Entfaltung zu bringen. Sie t u t dies vielmehr, u m den ihr gestellten Hauptauftrag zu erfüllen, die Durchgeistigung des Menschen so zu fördern, daß er den i h m individuell möglichen Grad der Geistigkeit erlangt. Für die Entfaltung der Geistigkeit des Menschen ist ferner wichtig, daß er sowohl ein individuales als auch ein soziales Wesen ist. Er erlangt die ihm mögliche persönliche Reife dadurch, daß er von Kindheit an i n den verschiedensten Weisen i n sozialer Verbundenheit m i t anderen Menschen steht. Sein Lebensweg beginnt i m Normalfall i n dem sozialen Raum der Familie und führt von dort schrittweise i n andere gesellschaftliche Einheiten, i n die er teils durch freie Entscheidungen und teils durch die Sachgesetzlichkeiten der Kulturbedingungen hineinwächst; er w i r d dadurch ein Mitglied der Gesellschaft. Er bleibt dabei aber trotzdem ein einzelner, der sich von allen anderen durch seine unverwechselbare Individualität unterscheidet. Der Erziehungsvorgang ist stets ein sozialer Prozeß und geschieht immer i n einem bestimmten sozialen Raum. Dieser Sachverhalt w i r d nicht ausreichend beschrieben, wenn gesagt wird, daß die Erziehung i n einem hohen Maße von U m weltbedingungen abhängt, denn es handelt sich dabei u m wesentlich mehr als nur u m eine Anpassung an die Umwelt oder nur u m eine Reaktion auf die von der Gesellschaft ausgehenden Einflüsse. Der Zusammenhang ist viel tiefer gegründet. Da der Mensch von Natur aus ein gesellschaftliches Wesen ist, muß der Reifungsprozeß seiner Geistigkeit auch diese Anlage umfassen. Wenn seine Beziehungen zu den i n seiner Nachbarschaft lebenden Mitmenschen und darüber hinaus zu den größeren sozialen Einheiten und zu der Gesellschaft i n ihrer Gesamtheit unentwickelt und p r i m i t i v bleiben, dann fehlt i n seiner geistigen Beschaffenheit ein wesentliches Element. Die Pädagogik muß sich daher fragen, welche Folgerungen sich für die Theorie der Erziehung aus der Tatsache ergeben, daß der Mensch auch ein gesellschaftliches Wesen ist.
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I n dem vorhergehenden Satz kommt dem Worte „auch" eine entscheidende Bedeutung zu, denn es weist darauf hin, daß der Mensch zugleich stets auch ein einzelner ist und bleibt. Würde das Wort „auch" fehlen, dann könnte dieser Satz völlig falsch verstanden werden, denn er könnte dann so ausgelegt werden, als ob behauptet würde, daß der Mensch nur ein gesellschaftliches Wesen sei. Diese Auffassung ist prinzipiell falsch, denn sie ist m i t den oben dargelegten Grundauffassungen von dem Menschen nicht vereinbar. Diese Überlegungen führen i n einen Fragenkomplex hinein, der die europäische Philosophie bereits seit der Antike immer wieder beschäftigt hat. Dabei ist besonders von der christlichen Philosophie des Hochmittelalters die realistische Anschauung herausgearbeitet worden, daß der Mensch sowohl ein individuales als auch ein soziales Wesen ist. I m Gegensatz dazu sind immer wieder Meinungen vertreten worden, die entweder die individuale oder die soziale Anlage als das alleinige Kennzeichen des Menschen angesehen haben. A u f einer solchen Einseitigkeit hat der Individualismus des 18. und besonders des 19. Jahrhunderts beruht, und die entgegengesetzte Einseitigkeit w i r d von dem Kollektivismus vertreten. I n der jüngsten Zeit ist die deutsche Erziehungswissenschaft zuerst i n der Gestalt des Nationalsozialismus und danach i n derjenigen des Neomarxismus von kollektivistischen Wellen überflutet worden. Wer m i t der Geschichte des philosophischen Denkens vertraut ist, der weiß, daß auf solche Einseitigkeiten stets Rückschläge gefolgt sind. Es ist aber die Aufgabe der Wissenschaft, sich von solchen Schwankungen möglichst frei zu halten und sich u m die Gewinnung einer Anschauungsweise zu bemühen, die auf den bleibenden Einsichten der abendländischen Geistesgeschichte beruht. Z u diesem gesicherten Bestand des Wissens gehört auch die Erkenntnis, daß der Mensch ein einzelner ist und gleichzeitig auch i n Verbundenheit m i t anderen lebt; er besitzt i n seiner Natur sowohl das individuale als auch das soziale Element. Die Erziehung darf daher weder individualistisch noch kollektivistisch sein; sie muß sich vielmehr darum bemühen, beide Elemente zur Entfaltung zu bringen. Dieser Fragenkomplex ist jedoch von der Erziehungswissenschaft des 20. Jahrhunderts noch nicht i m Hinblick auf die heutige Kultursituation i n einer ausreichenden Weise aufgearbeitet worden. Dieser Mangel w i r d besonders dann spürbar, wenn man sich m i t den sehr schwierigen Fragen der für die moderne Gesellschaft typischen neuen Sozialgebilde befaßt; zu diesen gehört auch der Betrieb. Es ist für die Arbeit der Betriebspädagogik wichtig, daß sich die moderne Allgemeine Theorie der Erziehung intensiver als bisher damit beschäftigt, welche Folgerungen sich heute für die Erziehung aus der Tatsache des Vorhandenseins der beiden Anlagen i n der Natur des Menschen ergeben. Die Erziehung kann entweder i n der Form der Selbsterziehung oder i n derjenigen der Fremderziehung erfolgen; diese beiden Unterbegriffe
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müssen daher präzisiert werden. Die Möglichkeit der Selbsterziehung beruht darauf, daß der zu relativer Reife gelangte Mensch dazu fähig ist, sich selbst zu beurteilen und seinen Willen darauf zu richten, sich zu ändern. Er vermag, sich i n einem geistigen Spiegel zu betrachten, seinen Zustand kritisch zu bewerten und die als notwendig erkannte Änderung zu wollen. Diese Befähigung ist eine Begabung des Menschen, die für sein Person-Werden eine entscheidende Bedeutung hat. Gerade deswegen, weil sie so wichtig ist, muß aber auch gesehen werden, daß sie durch schwerwiegende Ereignisse vorübergehend eingeschränkt oder ganz ausgeschaltet werden kann. Es ist unrealistisch zu unterstellen, daß sich der erwachsene Mensch ständig i n dem Zustand der vollen Befähigung zur Selbsterziehung befindet; es ist vielmehr wahrscheinlich, daß sie oft durch irgendwelche Umstände gehemmt wird. Daraus ergeben sich viele Fragen, die neben der Erziehungswissenschaft auch die Psychologie und die Medizin angehen. Für die Pädagogik entsteht besonders das Problem, wie die Fremderziehung dazu eingesetzt werden kann, den Zustand der vollen Befähigung zur Selbsterziehung herzustellen. Dies ist ein Fragenkreis, der auch für die Betriebspädagogik und gerade für sie i n besonderer Weise wichtig ist. Da die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse i n einem Betrieb meistens i n erster Linie von technologischen Fakten bestimmt wird, müssen oft Arbeitsbedingungen hingenommen werden, welche die davon betroffenen Menschen belasten. Dies kann deren Befähigung zur Selbsterziehung beeinträchtigen. Es muß daher überlegt werden, wie diese Wirkung durch Fremderziehung verringert werden kann. Dieser Gedankengang leitet zu der Betrachtung des Problemkreises der Fremderziehung über. Der Begriff der Fremderziehung hat als Gegenbegriff zu demjenigen der Selbsterziehung zunächst einen negativen Charakter, denn er meint alle pädagogischen Prozesse, die sich i n einem Menschen ereignen, ohne daß dieser sie gewollt hat. Der betreffende Mensch ist bei der Fremderziehung nur das Objekt und nicht zugleich wie bei der Selbsterziehung auch das bewirkende Subjekt des erzieherischen Geschehens. Damit entsteht folgerichtig die Frage, wodurch die Fremderziehung veranlaßt werden kann. Es gibt dabei grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Sie kann durch andere Menschen bewirkt werden, die sich bewußt und planmäßig das Ziel setzen, den Betreffenden zu erziehen; dieser Teil der Fremderziehung w i r d als intentionale Erziehung bezeichnet. Die Fremderziehung kann aber auch dadurch zustande kommen, daß der Betreffende durch den Verlauf seines Lebens i n den Wirkungsbereich von relativ festen Ordnungsgefügen gerät und dadurch geistig geprägt w i r d ; dieser Teil der Fremderziehung w i r d als funktionale Erziehung bezeichnet. Dabei sind wiederum zwei Arten zu unterscheiden. Es handelt sich bei der ersten u m die Ordnung von
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik
zwischenmenschlichen Beziehungen, i n die der Mensch hineinwächst; die beiden wichtigsten Fälle dieser A r t sind die Familie und der Betrieb. Diese funktionale Erziehung durch die Einfügung i n ein Sozialgebilde kann auch Sozialisation genannt werden. Die zweite A r t der funktionalen Erziehung entsteht dadurch, daß der Mensch die von den Sachen ausgehende Ordnung erlebt; eine besondere Bedeutung haben dabei die Werkstoffe und die Geräte, m i t denen er i n dem Betriebe arbeitet. I n beiden Fällen w i r d von dem Menschen verlangt, daß er sich i n eine gegebene Ordnung einfügt. Dieser Prozeß der Einfügung muß von der Erziehungswissenschaft sorgfältig beobachtet und analysiert werden, denn die A r t und Weise, wie er abläuft, bestimmt die Wirkung der funktionalen Erziehung. Der Vorgang w i r d simplifiziert, wenn dabei nur die auch erfolgende Anpassung gesehen wird. Es ist vielmehr wichtig, den Blick auch darauf zu richten, ob und wie der Betreffende einen Widerstand leistet; es muß dabei beachtet werden, daß die Leistung von Widerstand i n anthropologischer Sicht als der Normalfall anzusehen ist und daß die Unterlassung eines solchen Widerstandes ein Indiz für einen Mangel i n der Persönlichkeitsstruktur des Betreffenden sein kann. Der Widerstand kann bei beiden Arten der funktionalen Erziehung darauf beruhen, daß der Betreffende die i h m gegenüberstehende Ordnung nicht als sachlich richtig ansieht. Zusätzlich kann er bei der ersten A r t der funktionalen Erziehung, der Sozialisation, auch deswegen Widerstand leisten, weil er die Sozialordnung, i n die er sich einfügen soll, als ungerecht ansieht. Eine große Schwierigkeit besteht darin, daß es i m konkreten Fall oft nicht leicht ist zu entscheiden, ob eine bestehende Ordnung auf einer Sachgesetzlichkeit beruht, gegen die subjektive Einwände sinnlos sind, oder ob sie auf einer Abwägung von Gründen der Gerechtigkeit beruht, deren Richtigkeit bezweifelt werden kann. Es ist bei jungen Menschen häufig eine Überforderung ihres geistigen Vermögens, wenn man von ihnen eine solche Einsicht i n die Zusammenhänge verlangt. Andererseits ist es pädagogisch sehr wichtig, daß die heranwachsende Generation diesen komplexen Charakter der bestehenden Ordnung zu begreifen lernt; es w i r d auf diese Weise ihr Verständnis für die Sachgesetzlichkeit des Faktischen gefördert und gleichzeitig ihr kritisches Denken herausgefordert. Ein Teilproblem ergibt sich aus der Tatsache, daß i n vielen H i n sichten die Sachgesetzlichkeit des Faktischen das Ergebnis einer historischen Entwicklung ist und daß sie daher nur dann v o l l erfaßt werden kann, wenn man ein Mindestmaß an historischen Kenntnissen besitzt. Da i n dem gegenwärtigen deutschen Schulwesen der Geschichtsunterricht sehr vernachlässigt wird, ist es realistisch zu vermuten, daß die jetzt heranwachsende Generation nicht über diejenige historische M i n destbildung verfügt, die für das Verständnis des heutigen Zustandes der
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Welt i m allgemeinen und der deutschen Wirtschaft i m besonderen erforderlich ist. Die funktionale Erziehung zu Geschichtsbewußtsein, die an sich m i t dem Erleben der Sachgesetzlichkeit des Faktischen verbunden ist, kommt daher heute bei vielen Menschen nur i n einem unzureichenden Maße zustande. Die Hauptwirkung der funktionalen Erziehung ist daher gegenwärtig die Erziehung zu Ordnungsbewußtsein. Es ist allerdings individuell sehr verschieden, i n welchem Grade tatsächlich klare Ordnungsvorstellungen i n dem Bewußtsein des Betreffenden entstehen. I n vielen Fällen bleibt es bei einer unreflektierten Übernahme der erlebten Ordnungsprinzipien i n das eigene Denken. Diese A r t der funktionalen Erziehung hat i n der Lebenswirklichkeit eine große positive Bedeutung. Es ist bei jedem Menschen so, daß i h m viele Normen, die er übernommen hat und nach denen er sich richtet, nicht bewußt sind. Es wäre eine Überforderung der geistigen Kräfte, wenn i n jedem einzelnen Falle ein bewußter A k t der Vernunft erfolgen müßte, und man kann sagen, daß durch diese funktionale Erziehung zur Ordnung das Leben erleichtert wird. Sie kann aber auch zu gefährlichen Fehlentwicklungen führen, wenn zugelassen wird, daß Ordnungsvorstellungen, die dem allgemeinen Sittengesetz oder den Grundnormen des kodifizierten Rechtes widersprechen, einen derartigen funktionalen Einfluß ausüben. Vor allem i n dem Bereich der Jugenderziehung ist daher eine wachsame Kontrolle aller Umweltbedingungen geboten, die sich derartig negativ auswirken können. Diese Überlegungen haben für die Betriebspädagogik eine große Bedeutung. Es muß sehr sorgsam geprüft werden, wie es m i t der funktionalen Erziehungswirkung des Betriebes steht. Leider w i r d dieser Fragenkreis gegenwärtig von der Betriebspädagogik nur unzureichend bearbeitet; die betriebspädagogischen Untersuchungen befassen sich meistens nur m i t den Problemen der intentionalen Erziehung i m Betrieb. Es w i r d i n ihnen oft übersehen, daß die bewußt geplanten Bildungsmaßnahmen nur dann i n der beabsichtigten Weise zur Wirkung kommen, wenn sie auf einer genauen Kenntnis der funktionalen Erziehungsvorgänge i n dem Betrieb aufbauen. Der Grad der Effektivität der intentionalen betriebspädagogischen Arbeit hängt von deren Verhältnis zu der funktionalen Erziehung ab. A u f Grund der Darlegungen i n den letzten Abschnitten kann die Systematik der erziehungswissenschaftlichen Begriffe durch die Zeichnung auf S. 26 veranschaulicht werden. I n der oben dargestellten Gliederung des Erziehungsbegriffes ist das Unterscheidungskriterium die Frage nach dem die Erziehung bewirkenden Subjekt. Daneben gibt es ferner die Möglichkeit einer Gliederung auf Grund der prinzipiellen Unterschiede zwischen den Inhalten der
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik Erziehung
Selbsterziehung
Fremderziehung
intentionale Erz.
funktionale Erz.
f. E. durch Sozialgebilde (Sozialisation)
f. E. durch Sachen
Erziehung. Friedrich Schlieper hat zu dieser Problematik einen wesentlichen Beitrag dadurch geleistet, daß er die Unterscheidung zwischen Bildung, Pflege und Zucht herausgearbeitet hat 4 . Er hat dabei m i t Recht darauf hingewiesen, daß sich die moderne Erziehungswissenschaft einseitig m i t dem Problemkreis Bildung beschäftigt und die Untersuchung der Problemkreise Pflege und Zucht vernachlässigt hat. Es ist dies i n der Tat eine Unterlassung, die sich heute sehr negativ auswirkt. Die moderne Erziehungswissenschaft steht der Lage, i n der sich die heutige Jugend befindet, ziemlich ratlos gegenüber. Sie weiß nur wenig dazu zu sagen, wie unter den gegenwärtigen Lebensbedingungen die „Pflege" der Jugend beschaffen sein sollte. Noch ratloser ist sie angesichts der Tatsache, daß ein großer Teil der heutigen Jugend ohne „Zucht" ist. Dieses Wort ist i n der Erziehungswissenschaft heute verpönt, ohne daß man sich dessen bewußt ist, daß i n der mehr als zweitausendjährigen Geschichte des europäischen Erziehungsdenkens dieser Begriff eine große Rolle gespielt hat und immer wieder von neuem durchdacht worden ist. 2. Die Sonderproblematik
des Bildungsbegriffes
I n der Fachsprache der deutschen Erziehungswissenschaft w i r d neben dem Wort Erziehung auch das Wort Bildung als ein Ausdruck m i t umfassender Bedeutung gebraucht, und es kommt vor, daß der Begriff Bildung als der allgemeine Oberbegriff angesehen wird, dem der Begriff Erziehung untergeordnet wird. Der Verfasser verzichtet darauf, hier der Frage nachzugehen, seit wann diese beiden Worte i n der wissenschaftlichen Pädagogik verwendet werden und wie dabei ihr Sinn 4 Friedrich Schlieper, Allgemeine Berufspädagogik, Freiburg 1963, S. 46 bis 104. — Es mindert nicht die Leistung von Schlieper, wenn darauf hingewiesen wird, daß er an antikes und mittelalterliches Gedankengut angeknüpft hat.
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interpretiert worden ist, denn das würde eine besondere Abhandlung erfordern. I n der vorliegenden Untersuchung w i r d das Wort Erziehung dort verwendet, wo es u m die Klärung der allgemeinen pädagogischen Probleme und u m den Aufbau einer diesem Zweck dienenden Begriffssystematik geht; i n den vorhergehenden Abschnitten ist darüber Näheres gesagt worden. Das Wort Bildung w i r d dagegen dann verwendet, wenn es sich u m die Erziehung des reifenden Menschen durch die objektiven Kulturgüter handelt. Dieser Vorgang enthält eine äußerst wichtige und schwierige Problematik, und daher kommt dem Begriff Bildung eine sehr große Bedeutung zu. I m Rahmen der Systematik ist er aber als einer der Unterbegriffe des Erziehungsbegriffes anzusehen. Neben i h m stehen als gleichrangige Unterbegriffe derjenige der Pflege und derjenige der Zucht. Wenn man von der bereits dargestellten systematischen Gliederung der pädagogischen Begriffe ausgeht, dann erscheint es zunächst so, als sei der Begriff Bildung dem Begriff Fremderziehung zuzuordnen, da die objektiven Kulturgüter dem i n der Reifung befindlichen Menschen als etwas Fremdes gegenübertreten, das auf i h n einwirkt. Diese Ansicht ist jedoch nicht voll befriedigend. Es ist denkbar, daß jemand seine Selbsterziehung dadurch bewirkt, daß er sich aus eigenem Entschluß einem Kulturgut, ζ. B. einem Kunstwerk, zuwendet und sich dadurch selbst bildet. Der i m Erziehungsprozeß Stehende begegnet den Kulturgütern zwar i n den meisten Fällen als Folge von Umständen, die andere für ihn geplant haben (intentionale Fremderziehung), oder die sich sonstwie ergeben haben (funktionale Fremderziehung); es kann aber auch, wie soeben dargestellt, Selbsterziehung vorliegen. Der Bildungsbegriff hat daher eine Sonderstellung und läßt sich nur schwer i n ein allgemeines Schema einfügen. Das, was m i t i h m gemeint wird, w i r d sichtbar, wenn man i h n den benachbarten Begriffen Pflege und Zucht gegenüberstellt. Bei diesen handelt es sich u m das aus der Liebe zum Nächsten erwachsene mitmenschliche Element i n der Erziehung, während das Wort Bildung das Objektive meint, das dem Menschen i n sehr verschiedenen Weisen gegenübertritt. Durch diese Überlegungen w i r d auch sichtbar, daß es durchaus vernünftig ist, m i t dem Worte B i l dung sowohl den Prozeß des Gebildet-Werdens als auch den Zustand des Gebildet-Seins zu bezeichnen. Dieser Zustand w i r d von keinem Menschen voll erreicht; deswegen ist ständig der Prozeß i m Gange. Es wäre unklug, m i t dem Wort Bildung nur das eine oder das andere zu benennen, denn das würde der Eigenart des Menschen widersprechen, der stets ein Unvollendeter bleibt und trotzdem i n der Hoffnung auf Vollendung lebt. Da i m Verlaufe dieser Untersuchung beide Worte verwendet werden, kann die kritische Frage gestellt werden, ob dies richtig sei, wenn der
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Begriff Erziehung der Oberbegriff ist. Dieser Einwand ist berechtigt. Es w i r d aber trotzdem so verfahren, weil es Bildungsprozesse gibt, bei denen es fraglich ist, ob es angemessen ist, bei ihnen von Erziehung zu sprechen. Dies gilt besonders für große Teile der beruflichen Erwachsenenbildung. Wenn in beruflichen Fortbildungs- oder Umschulungskursen Fachwissen vermittelt wird, dann ist es kaum adäquat, dabei von Erziehung zu sprechen. Für diese Lernprozesse w i r d vielmehr das Wort Berufsbildung verwendet. Dieser Sprachgebrauch macht auf eine Problematik aufmerksam, die bisher i n der pädagogischen Theorie nicht ausreichend berücksichtigt wird. Sie w i r d vor allem bei dem Worte Ausbildung sichtbar. Es ist unbestritten, daß die Berufsausbildung eines Jugendlichen auf Grund eines Ausbildungsvertrages ein Vorgang ist, der als Erziehung anzusehen ist; es kann hier auch der Ausdruck Berufserziehung verwendet werden. Wenn es sich jedoch u m die Ausbildung eines Erwachsenen handelt, dann entstehen i n dem sprachlichen Empfinden Hemmungen, hier noch von Erziehung zu sprechen; das Wort Bildung ist dann angemessener. Der Ausdruck Bildung hat m i t h i n einen eigenständigen Sinngehalt, der i n dem Ausdruck Erziehung nicht enthalten ist, und insofern sind die Worte Erziehung und Bildung zwei gleich geordnete Begriffe. Für das theoretische Denken ist diese Aussage zwar nicht befriedigend; da jedoch die erziehungswissenschaftliche Theorie bisher keine bessere Lösung gefunden hat, muß dieser Dualismus hingenommen werden. Daher w i r d i n dieser Untersuchung zwar grundsätzlich der Begriff Erziehung als der alles pädagogische Geschehen umfassende Oberbegriff angesehen; bei den hier zu untersuchenden Problemen ist jedoch die Verwendung des Wortes Bildung meistens angemessener. 3. Die Sonderproblematik des Begriffes und seiner Unterbegriffe
Lernen
Es ist zu prüfen, ob die i n dem letzten Jahrzehnt erfolgte Abwendung vieler Pädagogen von den Begriffen Erziehung und Bildung und deren Vorliebe für die Ausdrücke Lernen, Lernprozeß, Lernort und Sozialisation diesen Mangel der bisherigen erziehungswissenschaftlichen Terminologie überwindet und daher ein Fortschritt i n dem Aufbau einer modernen pädagogischen Theorie ist. Das Wort Sozialisation kann auf Grund seiner sprachlichen Herkunft (socius = Genösse) nur pädagogische Vorgänge meinen, die durch zwischenmenschliche Beziehungen ausgelöst werden. Der ganze Bereich der Selbsterziehung w i r d dadurch nicht erfaßt. Daher kann das Wort Sozialisation nicht der alles umfassende Oberbegriff sein. Es ist aber auch nicht gleichbedeutend m i t funktionale Fremderziehung. Wie oben dargelegt wurde, kann diese durch die Begegnung des Menschen sowohl m i t der Ordnung von
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Sozialgebilden als auch m i t der Ordnung von Sachmitteln erfolgen. Die Wirkung, die von Sachmitteln ausgeht, kann nicht als Sozialisation bezeichnet werden, denn dieses Wort kann nur für Prozesse verwendet werden, die auf zwischenmenschlichen Beziehungen beruhen. Es darf daher nur derjenige Teil der funktionalen Erziehung, der durch soziale Prozesse verursacht wird, als Sozialisation bezeichnet werden. Leider w i r d diese Begrenzung nicht immer beachtet. M i t dem Wort Sozialisation w i r d heute vielmehr ein wesentlich weiter reichender und oft nicht klar abgegrenzter Inhalt verbunden. Die Einführung dieses ursprünglich soziologischen Begriffes i n die pädagogische Fachsprache hat daher die pädagogische Terminologie nicht klarer, sondern i m Gegenteil ungenauer gemacht. Es ist generell zu fragen, ob durch die moderne Bevorzugung der Worte Lernen und Lernprozeß eine Verbesserung der terminologischen Klarheit i n der Erziehungswissenschaft erreicht worden ist. Eigentlich ist Lernprozeß eine inkonsequente Wortbildung, denn das Lernen ist stets ein Prozeß. Während das Wort Bildung sowohl einen geistigen Prozeß als auch einen geistigen Zustand bezeichnet, fehlt dem Worte Lernen diese Doppelbedeutung. Wenn es als der allgemeine pädagogische Oberbegriff verwendet wird, dann bedeutet dies, daß die Erziehungswissenschaftler, welche dies tun, prinzipiell darauf verzichten, es als die Aufgabe der Erziehungswissenschaft anzusehen, Überlegungen über den bisher m i t dem Worte Bildung bezeichneten geistigen Zustand anzustellen. Eine solche Haltung verlangt eine Begründung, die aus Grundaussagen der philosophischen Anthropologie abgeleitet werden müßte; die daraus erwachsende Diskussion könnte der Verfeinerung der pädagogischen Begriffsbildung dienen. Der Verfasser hat jedoch den Eindruck, daß die Vorliebe für das Wort Lernen nur selten auf solchen anthropologischen Prämissen, sondern meistens auf einer Abneigung gegen Diskussionen über Bildungsfragen beruht. Diese Haltung ist bis zu einem gewissen Grade verständlich, denn bis vor wenigen Jahrzehnten ist i n der deutschen Philosophie und Pädagogik über Bildung oft i n einer Weise gesprochen worden, die den Widerspruch derjenigen Wissenschaftler herausgefordert hat, die sich m i t den ökonomischen und den sozialen Fragen der Gegenwart beschäftigt haben. Der Verfasser gehört zu denjenigen, die diese Situation intensiv empfunden haben, und seine Bejahung des Bildungsbegriffes bedeutet durchaus nicht eine Befürwortung der Wiederholung von veralteten Bildungsdiskussionen, die i n der jetzigen Kulturepoche des Industrialismus von vornherein unfruchtbar wären. Unabhängig von diesen zeitbedingten Nebenproblemen bleibt aber die Hauptfrage bestehen, ob die Ersetzung der Begriffe Erziehung und Bildung durch den Begriff Lernen ein terminologischer Fortschritt ist.
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Es scheint zunächst tatsächlich so, als erleichtere die Verwendung des Wortes Lernen das Gespräch über pädagogische Fragen. Die oben beschriebene Schwierigkeit, daß es Bildungsvorgänge gibt, bei denen kaum von Erziehung gesprochen werden kann, löst sich auf, wenn nur noch von Lernprozessen gesprochen wird, denn diese Bezeichnung eignet sich sowohl für das, was sich i n der Erziehung von Kindern und Jugendlichen ereignet, als auch für das, was i n der beruflichen Erwachsenenbildung geschieht. Wenn sowohl der Betrieb als auch die Schule als Lernorte bezeichnet werden, dann w i r d dadurch eine Gemeinsamkeit herausgestellt, die es erleichtert, Vergleiche anzustellen und beide Sozialgebilde i n ein System einzuordnen und sie nebeneinander i n dem gleichen Gesetz zu behandeln. Dies ist ein technischer Vorteil, der besonders bei Planungen von Bedeutung ist. Er w i r d jedoch durch Nachteile erkauft, die wesentlich größer sind. Der entscheidende Punkt ist die Tatsache, daß die Interpretierung aller pädagogischen Prozesse als Lernprozesse nur dadurch erreicht werden kann, daß die Mannigfaltigkeit des Erziehungsgeschehens gewaltsam i n ein viel zu enges Denkschema gepreßt wird. Niemand w i r d die Bedeutung des Lernens für die geistige Reifung eines Menschen bestreiten; es ist jedoch abwegig zu behaupten, daß diese nur durch Lernen bewirkt wird. Dem w i r d allerdings entgegengehalten, daß der jetzige pädagogische Begriff des Lernens einen viel weiteren Inhalt habe als der Begriff des Lernens i n der früheren Pädagogik. Er enthalte zusätzlich auch die Gewinnung von Erkenntnissen durch Erlebnisse und Erfahrungen und durch Selbstbesinnung und darüber hinaus ferner den Aufbau von religiösen und ethischen Uberzeugungen. Wenn aber der Begriff des Lernens so weit gefaßt wird, dann muß kritisch gefragt werden, ob seine Verwendung überhaupt einen Wert hat, denn er ist dann eine Sammelbezeichnung für eine große Zahl von Sachverhalten, die u m der Klarheit willen voneinander unterschieden werden sollten. Als Ergebnis der Überlegungen ist daher festzustellen, daß durch seinen Gebrauch keine Verbesserung der erziehungswissenschaftlichen Terminologie erreicht w i r d ; sie w i r d i m Gegenteil nur simplifiziert. Aus der Sicht der Betriebspädagogik muß m i t Nachdruck betont werden, daß es unmöglich ist, ihre Probleme adäquat zu erfassen, wenn man alle pädagogischen Phänomene des Betriebes als Lernvorgänge ansieht. Dies zeigt sich bei der näheren Betrachtung des Ausdruckes „Lernort Betrieb". Die geistige Prägung, die ein Mensch durch das Miterleben des Betriebsgeschehens erhält, ist wesentlich mehr als nur ein Vorgang des Erlernens von Kenntnissen und Fertigkeiten und von Verhaltensweisen. Gerade auf diese geistige Prägung richtet aber die moderne Betriebspädagogik ihren Blick, denn die Untersuchung dieser Formung der Gesamtbeschaffenheit eines Menschen durch seine M i t -
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gliedschaft i n einem Betrieb ist ihr besonderer wissenschaftlicher Auftrag. Das Sozialgebilde Betrieb ist eine so komplizierte Einheit, daß auch seine pädagogische Qualität einen sehr differenzierten Charakter hat. Es ist daher eine Primitivierung, wenn diese schwierige Problematik m i t dem Ausdruck Lernort Betrieb beschrieben wird. Es behält jedoch seine Verwendbarkeit, wenn durch i h n nur das ausgesagt werden soll, was das Wort Lernen i n seinem ursprünglichen Sinne meint, nämlich die Betonung der Tatsache, daß das Lernen ein wesentlicher Teil des pädagogischen Geschehens i m Betrieb ist. Dies ist aber nichts Neues. Für die Betriebspädagogik ist daher die Ersetzung der Worte Erziehung und Bildung durch das Wort Lernen und die Bezeichnung des Betriebes als Lernort keine Verfahrensweise, die die Forschung wirklich fördert; es besteht i m Gegenteil die Gefahr, daß diese eingeengt und gehemmt wird. Die Bevorzugung des Wortes Lernen erfolgt außerdem oft deswegen, weil es wertindifferent ist. Wer diesen Begriff verwendet, der hat die Möglichkeit, über pädagogische Fragen zu diskutieren, ohne zu Wertproblemen Stellung nehmen zu müssen. Die Worte Erziehung und Bildung enthalten dagegen stets einen Wertbezug. Wer sie gebraucht, der muß Auskunft darüber geben, wie er über die Geltung von Werten denkt. Es ist nicht möglich, über Erziehung sprechen zu wollen und dabei von vornherein zu erklären, daß dieses Vorhaben durchgeführt werden solle, ohne daß dabei irgendwie gesagt wird, welche werterfüllten Ziele die Erziehung hat. Man kann zwar Begriffe wie gut, gerecht, wahr und schön sehr verschieden definieren und dadurch zugleich der Erziehung verschieden geartete Ziele setzen. Man kann aber nicht behaupten, daß ein Gespräch über Erziehung auch dann noch sinnvoll sein könne, wenn dabei die Einbeziehung der Wertproblematik prinzipiell abgelehnt wird. Dagegen ist eine solche Haltung möglich, wenn der Forschungsauftrag der Pädagogik nur darin gesehen wird, das Phänomen zu untersuchen, daß das Lernen-Können und das LernenMüssen zu den Grundtatbeständen der Beschaffenheit des Menschen gehören. Es ist für die Untersuchung dieses Phänomens unwesentlich, welchen materiellen Inhalt das Lernen hat. Die Frage des Inhalts hat nur insofern eine Bedeutung, als ein Lernen ohne einen Gegenstand, der zu erlernen ist, nicht vorstellbar ist. Dazu eignet sich aber jeder Inhalt, der denkbar ist; es besteht keine notwendige Beziehung der Lernobjekte zu Werten. Man kann daher Lernprobleme erörtern, ohne dabei irgendwie zu Wertproblemen Stellung zu nehmen. Dieser Tatbestand w i r d von manchen Pädagogen als eine erwünschte Entlastung von philosophischen Verpflichtungen empfunden, denn sie meinen, daß sie dadurch die Möglichkeit erhalten, an den Gesprächen über wissenschaftliche Fragen der Pädagogik teilnehmen zu können, ohne daß sie
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik
ein philosophisches Grundwissen besitzen, das eine Besinnung über das Wertproblem einschließt. I n Wirklichkeit täuschen sie sich, denn die Erziehungswissenschaft ist eine Wissenschaft vom Menschen, die nicht nur einen Teilbereich seiner Geistigkeit, nämlich seine Befähigung zum Lernen, sondern vielmehr die ganze Fülle seiner geistigen Anlagen vor Augen hat und die daher gar nicht darauf verzichten kann, sich die Frage zu stellen, wie auch das Wertbewußtsein zur Entfaltung gebracht werden kann. Es ist zwar dringend notwendig, daß sich die Pädagogik m i t dem Problem befaßt, daß der Mensch lernen muß, u m reif zu werden. Wenn aber Vertreter der Lerntheorie meinen, daß sich der wissenschaftliche Auftrag der Pädagogik darauf beschränke, dann reduzieren sie die Aufgabe dieser Wissenschaft auf ein Teilgebiet, das zwar wichtig ist, aber doch für sich allein keine wesentliche Bedeutung hat. Das Lernen hat keinen Selbstzweck, sondern erhält seinen Sinn dadurch, daß es i n den Dienst der Durchgeistigung des Menschen gestellt wird. Der Mensch lernt nicht u m des Lernens willen, sondern weil er dadurch fähig wird, die Welt zu verstehen und seine eigene Stellung i n ihr zu erkennen; damit führt das Lernen den Menschen auch zu der Einsicht i n die Geltung der objektiven Werte. Diese Überlegungen müssen noch durch den folgenden Hinweis ergänzt werden. Der Verzicht auf den Gebrauch der Worte Erziehung und Bildung und deren Ersetzung durch das Wort Lernen beruht bei Neomarxisten psychologisch weitgehend auf dem Wunsch, sich von der als bürgerlich angesehenen bisherigen Erziehungswissenschaft zu distanzieren und sich durch die Wahl neuer Termini zu einer progressiven Pädagogik zu bekennen. Solche Reaktionen auf Überlieferungen haben sich i n der Geschichte der Wissenschaft bereits öfters ereignet und verdienen an sich nicht, daß sie besonders beachtet werden. Es ist aber doch wichtig, sich klar zu machen, daß Vieles, das i n den letzten Jahren i n Büchern und Zeitschriften über erziehungswissenschaftliche Fragen geschrieben worden ist, nur als Anpassung an den neomarxistischen Trend zu verstehen ist. Die Diskussion über die theoretischen Grundfragen der Erziehungswissenschaft ist infolgedessen i n der jüngsten Zeit durch eine Schicht von derartigem Gedankengut überlagert worden, und es ist schwer, die unabhängig davon weitergegangene Entwicklung der pädagogischen Theorie zu erkennen. Dies hat sich auch i m Bereich der Betriebspädagogik ereignet. Es ist daher die Notwendigkeit vorhanden, eine Sichtung zu vollziehen, die die politisch bedingten Darstellungen ausschaltet, damit die freie wissenschaftliche Arbeit fortgesetzt werden kann.
. Der wissenschaftliche
a r t der Betriebspädagogik
IV. Der wissenschaftliche Standort der Betriebspädagogik 1. Die Wirtschaftspädagogik als die dem Kulturbereich Wirtschaft zugewandte Spezialdisziplin der Erziehungswissenschaft Es wurde oben gesagt, daß die Aufgabe der Schaffung einer klar geordneten erziehungswissenschaftlichen Systematik i n zwei Teilaufgaben zerfällt. Die erste ist die Bestimmung des Inhaltes des Erziehungsbegriffes und dessen sich daraus ergebende Aufgliederung i n Unterbegriffe; darüber ist i n den vorangegangenen Darlegungen ausführlich gesprochen worden. Die zweite Teilaufgabe ist die systematische Gliederung der Erziehungswissenschaft i n Spezialdisziplinen; dabei ist die Einordnung der Betriebspädagogik i n dieses System das besondere Anliegen dieser Untersuchung. M i t diesem zweiten Fragenkomplex werden sich die folgenden Überlegungen beschäftigen. Die Gliederung einer Wissenschaft i n Teilbereiche geschieht zu dem Zweck, eine möglichst sachgerechte und daher auf bestimmte Anliegen konzentrierte Forschung zu ermöglichen. Wenn man unter diesem Gesichtspunkt die Erziehungswissenschaft zu gliedern versucht, dann zeigt sich sofort, daß es eine Spezialdisziplin geben muß, die sich m i t der pädagogischen Grundlagenforschung beschäftigt; sie ist als A l l gemeine Theorie der Erziehung zu bezeichnen. Neben dieser Grundlagenforschung steht die Tatsachenforschung, die von der jetzt und hier i n den einzelnen Lebensbereichen des Menschen vorhandenen pädagogischen Wirklichkeit ausgeht. U m schrittweise von dem Allgemeinen zu dem Besonderen zu kommen, muß der Umfang dieser Lebensbereiche zunächst möglichst weit gefaßt werden. Solche Bereiche sind z.B. die Kunst, der Staat, die Religion und die Wirtschaft. Es gibt dementsprechend die wissenschaftlichen Spezialdisziplinen Kunstpädagogik, politische Pädagogik, Religionspädagogik und Wirtschaftspädagogik. Jedes dieser Gebiete ist aber so umfassend, daß eine weitere Aufgliederung erfolgen muß. Die Gliederung i n die Hauptbereiche und deren anschließende Untergliederung sollte auf der Grundlage einer Theorie der K u l t u r und der sich daraus ergebenden Unterscheidung von K u l turbereichen erfolgen; der obigen Einteilung liegt dieser Gedanke zugrunde. Es besteht jedoch die Schwierigkeit, daß die Auffassungen über die Kriterien für die Aufstellung einer Kulturtheorie und für die Differenzierung der K u l t u r i n Bereiche i m Fluß sind; bis vor kurzem haben sogar manche Kulturtheoretiker es abgelehnt, die Wirtschaft als einen Kulturbereich anzuerkennen. Die Gliederung der Erziehungswissenschaft kann jedoch nicht laufend diesen Veränderungen angepaßt werden, sondern muß über längere Zeiträume hinweg gleichbleiben, damit die Funktionsfähigkeit erhalten bleibt. Die Aufteilung der Pädagogik i n Spezialdisziplinen ist daher stets ein Kompromiß zwischen einer 3 Abraham
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik
Systematik, die dem gegenwärtigen Stand der Kultur-Theorie entspricht, und der seit längerer Zeit bestehenden Ordnung, die nur aus schwerwiegenden Gründen geändert werden darf. Außerdem ist zu beachten, daß eine neue Spezialdisziplin erst dann entsteht, wenn sich Wissenschaftler m i t einer Problemgruppe befassen, die bisher nicht bearbeitet worden ist. Es kann daher vorkommen, daß ein Teilgebiet, das an sich sehr wichtig ist, unbearbeitet bleibt, während i n einem anderen, das weniger wichtig ist und nicht so schwierige Fragen enthält, längst Spezialuntersuchungen durchgeführt worden sind. Die Wirtschaftspädagogik ist der klassische Fall einer pädagogischen Spezialdisziplin, die gerade deswegen, weil sie sich m i t sehr komplzierten Problemen befassen muß, m i t einer gewissen Verspätung entstanden ist. I n der Industriepädagogik des 18. Jahrhunderts und in dem pädagogischen Realismus jener Zeit war zwar bereits eine Begegnung der Erziehungswissenschaft m i t dem aufkommenden Industrialismus erfolgt, und seitdem hat eine kleine Zahl von Pädagogen immer wieder versucht, Antworten auf die Frage zu finden, wie sich die Erziehungswirklichkeit durch den Industrialismus geändert hat und welche Folgerungen daraus zu ziehen sind. Es gibt daher eine Vorgeschichte der Wirtschaftspädagogik, die bis zu Comenius zurückreicht; auch Pestalozzi ist hier zu nennen. Wenn man die Literatur dieser Jahrhunderte durchsieht, dann stößt man auf sehr tiefe Analysen des geistigen Umbruchs, der i n dem Industrialismus sichtbar wurde, und die Frage, was bei dieser neuen Geistigkeit Erziehung bedeutet, ist schon früh gestellt worden. Es waren daher am Beginn des 19. Jahrhunderts Voraussetzungen dafür vorhanden, daß parallel zu der Entfaltung der Industriewirtschaft auch eine Entfaltung der wirtschaftspädagogischen Forschung stattfinden konnte. Es ist nicht dazu gekommen, da die deutsche Erziehungswissenschaft des 19. Jahrhunderts wirtschaftsfremd und teilweise sogar wirtschaftsfeindlich gewesen ist. Dies ist eine W i r k u n g des Neuhumanismus. Seine Entstehung am Beginn des 19. Jahrhunderts hat einen Bruch i n der Entwicklungsgeschichte der deutschen Pädagogik bewirkt. Die Industriepädagogik und der pädagogische Realismus des 18. Jahrhunderts sind i n dem 19. nicht weiter entwickelt worden, sondern zur Bedeutungslosigkeit abgesunken, w e i l die deutsche Erziehungswissenschaft durch die Neuhumanisten in eine völlig andere Richtung gelenkt worden ist. Diese haben die ursprünglich für eine kleine und elitäre Oberschicht gedachte neuhumanistische Bildung i n eine Massenbildung umgedeutet, die für die Arbeit sämtlicher Schulen richtunggebend sein sollte. Es ist hier nicht der Ort, um der Frage nachzugehen, warum dies geschehen ist; an dieser Stelle interessiert vielmehr nur die Tatsache dieses grundsätzlichen Kurswechsels der deutschen Pädagogik. Er hat große negative Folgen gehabt, und heute noch
IV. Der wissenschaftliche Standort der Betriebspädagogik
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leidet das deutsche Bildungswesen darunter, daß die deutsche Erziehungswissenschaft ausgerechnet i n der Zeit, i n der die Industrialisierung Deutschlands einsetzte, sich dafür entschied, die antiökonomische Bildungsidee des Neuhumanismus zu dem Leitgedanken der pädagogischen Theorie und Praxis zu machen. Selbst heute fällt es manchen Bildungsplanern noch schwer, i n ihre Vorstellungen vom Leben die Tatsache aufzunehmen, daß die Gedanken, Gefühle und Wünsche des modernen Menschen weitgehend von seinen Erlebnissen i n der W i r t schaft bestimmt werden. Es hat trotzdem auch i n der neuhumanistischen Epoche Pädagogen gegeben, die einen offenen Blick für die ökonomischen und sozialen Fragen ihrer Zeit besessen und daher die Frage nach einer wirtschaftsnahen Erziehung gestellt haben. Als Beispiel sei hier Kerschensteiner genannt. Eine prinzipielle Veränderung des erziehungstheoretischen Denkens ist aber erst als eine Folge des ersten Weltkrieges eingetreten, denn der militärische und politische Zusammenbruch gab Anlaß zu der kritischen Überlegung, ob das deutsche Bildungswesen noch zeitgemäß sei oder ob es i n wichtigen Hinsichten nicht mehr der ökonomischen und sozialen Wirklichkeit entspreche. Die Reflexion über die Frage, was unter den jetzt und hier gegebenen Bedingungen Erziehung bedeuten könne und müsse, ist besonders i n der Reichsschulkonferenz von 1920 vollzogen worden. Es sind von ihr wichtige Impulse ausgegangen, und sie hat auch dazu geführt, daß die Untersuchung des Zusammenhanges zwischen Erziehung und Wirtschaft von nun an systematisch i n Angriff genommen worden ist. I n den letzten 50 Jahren ist immer wieder die Frage gestellt worden, was die Erziehung zu t u n hat, damit der junge Mensch wirtschaftsfähig w i r d und der ältere Mensch wirtschaftsfähig bleibt. Die innere Beschaffenheit der Betriebe hat sich i n dieser Zeit erheblich verändert. Es sei hier nur daran erinnert, daß seit etwa 1920 die Arbeitsabläufe durch die planmäßige Rationalisierung so sehr umgewandelt worden sind, daß seitdem die systematische Vorbereitung der Arbeitskräfte nach anderen Prinzipien als vorher erfolgen muß. Es sei ferner als ein Beispiel aus der jüngsten Zeit auf die Wirkungen hingewiesen, die durch die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung verursacht worden sind. Diese Prozesse haben neue betriebswirtschaftliche Tatbestände geschaffen, die von der Betriebspädagogik neue Zielsetzungen und neue Methoden verlangen. Die Wirtschaftsfähigkeit des Menschen ist unter den modernen ökonomischen, technologischen und soziologischen Bedingungen ein sehr schwieriges Problem geworden, und es ist außerdem zu beachten, daß diese Bedingungen einem ständigen Wandel unterworten sind, der offensichtlich immer schneller wird. 3*
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik
Wenn man i n die Kulturgeschichte zurückblickt, dann sieht man, daß bereits sehr früh die Frage gestellt worden ist, was die Erziehung zu t u n hat, um die Menschen wirtschaftsfähig zu machen. Sie hat i n der schon weit entwickelten mittelalterlichen Wirtschaft eine erhebliche Rolle gespielt, und sie ist damals nicht nur praktisch durch die Zunftordnung gelöst, sondern auch theoretisch i n wissenschaftlichen Werken, den „theologischen Summen", bei der Behandlung der ständischen Erziehung untersucht worden. Die Erziehung zur Wirtschaftsfähigkeit war aber i n jener Zeit eine Sache, die so selbstverständlich i n das Gesamtsystem der Gestaltung der Lebensordnung eingefügt war, daß sie nicht als ein selbständiger pädagogischer Bereich empfunden wurde. Dies hat sich entscheidend gewandelt, seitdem der Industrialismus das ganze Leben des europäischen Menschen verändert hat. Heute muß erneut überdacht werden, wie das System der wirtschaftlichen Erziehung beschaffen sein muß, damit es seine Aufgabe erfüllt. Die Zukunft Europas hängt i n einem hohen Maße davon ab, daß die i n diesem Erdteil lebende Bevölkerung einen möglichst hohen Grad der Wirtschaftsfähigkeit besitzt. Es ist deshalb ein wichtiges Anliegen der Erziehungswissenschaft zu untersuchen, von welchen Bedingungen die Erreichung dieses Zieles abhängt. Die Durchführung dieses Auftrages ist die Sache der Wirtschaftspädagogik; ihr Forschungsobjekt ist die Wirtschaftsfähigkeit des Menschen. 2. Die Stellung der Betriebspädagogik in dem Gesamtsystem der Wirtschaftspädagogik Es hat mehrere Jahrzehnte gedauert, bis Klarheit über diese Problematik erreicht worden ist. Die Gesamtkonzeption der Wirtschaftspädagogik steht heute fest; es ist aber möglich, daß durch den Fortschritt der Forschung deren Gliederung nicht nur verfeinert, sondern auch noch durch die Hinzufügung neuer Spezialgebiete erweitert wird. Das heutige B i l d der Wirtschaftspädadogik sieht folgendermaßen aus. Es hat sich während der ganzen Entwicklungszeit und vor allem auch i n dem letzten Jahrzehnt gezeigt, daß es dringend notwendig ist, der allgemeinen Theorie der wirtschaftlichen Erziehung große Aufmerksamkeit zu widmen. Die Mannigfaltigkeit der wirtschaftspädagogischen Einzelfragen ist so groß, daß die dadurch bedingte Aufsplitterung der Forschung i n relativ kleine Felder allzu leicht zu dem Verlust des Verständnisses für die großen Zusammenhänge führen kann, wenn nicht die Allgemeine Theorie der wirtschaftlichen Erziehung diese Einheit sichert. Außerdem ist diese Allgemeine Wirtschaftspädagogik derjenige Forschungsbereich, von dem die Impulse für die Einbeziehung neuer, bisher nicht beachteter Problemgruppen i n den Kreis der von der Wirtschaftspädagogik zu untersuchenden Fragen ausgehen. Dieser Allgemeinen Wirtschafts-
. Der wissenschaftliche
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der Betriebspädagogik
Pädagogik stehen unter der Gesamtbezeichnung Spezielle Wirtschaftspädagogik die Spezialgebiete gegenüber, deren Entstehung durch den bisherigen Entwicklungsgang der wirtschaftspädagogischen Forschung bewirkt worden ist: die Arbeitspädagogik, die Berufspädagogik, die Betriebspädagogik, die wirtschaftsberufliche Schulpädagogik, die berufliche Erwachsenenbildung, die Didaktik der Wirtschaftswissenschaften, die historische Wirtschaftspädagogik, die vergleichende Wirtschaftspädagogik und die wissenschaftliche Berufsbildungspolitik. Die Betriebspädagogik ist also ein Teil der speziellen Wirtschaftspädagogik und steht dadurch i n einer engen Verbindung m i t anderen Spezialdisziplinen, deren Arbeiten sie ständig beachten muß. Eine nahe Beziehung ist vor allem zu der wirtschaftsberuflichen Schulpädagogik vorhanden, denn der Betrieb und die wirtschaftsberufliche Schule sind die beiden Hauptorte, an denen wirtschaftliche Erziehung geschieht. Ferner besteht ein besonders enger Kontakt zu dem Spezialgebiet berufliche Erwachsenenbildung, denn die betriebspädagogischen Maßnahmen dienen i n der Regel der Fortbildung von Erwachsenen. Aber auch die Erkenntnisse, die i n den anderen Bereichen erarbeitet werden, haben für die Betriebspädagogik eine große Bedeutung. Deren Eingefügtsein i n den großen Rahmen der Wirtschaftspädagogik ist ein Tatbestand, der für das Verständnis der vorliegenden Untersuchung sehr wichtig ist. Die Betriebspädagogik hat nicht die Aufgabe, alle Probleme zu behandeln, die sich heute bei der Analyse der Beziehungen zwischen Erziehung und Wirtschaft ergeben. Sie befaßt sich vielmehr nur m i t denjenigen, die dadurch verursacht werden, daß das Wirtschaften i n Betrieben erfolgt, und überläßt die weiteren Probleme den anderen Spezialgebieten der Wirtschaftspädagogik. Die Betriebspädagogik untersucht die Problematik der Wirtschaftsfähigkeit unter dem besonderen Aspekt der Befähigung des Menschen zur Mitarbeit i n einem Betrieb. 3. Der Doppelcharakter der Betriebspädagogik als eine Spezialdisziplin innerhalb der Erziehungswissenschaft und als ein Teilbereich der Betriebsforschung A u f die Frage, wo in dem System der Wissenschaften die betriebspädagogische Forschung einzuordnen ist, sind zwei Antworten zu geben. Die erste ist soeben erörtert worden; sie besagt, daß die Betriebspädagogik als Teilgebiet der Wirtschaftspädagogik eine Erziehungswissenschaft ist. Es gibt aber außerdem noch eine zweite Antwort, die ebenso wichtig ist. Diese besagt, daß sich die Betriebspädagogik neben der Betriebswirtschaftslehre und der Betriebssoziologie m i t der Erforschung des Betriebes befaßt. Diese zweite Aussage ist eine Ergänzung der ersten, denn sie nennt den Forschungsbereich der Betriebspädago-
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik
gik. Sie hat aber außerdem einen darüber hinausgehenden Charakter, da sie feststellt, daß es eine Gemeinsamkeit zwischen der Betriebspädagogik, der Betriebswirtschaftslehre und der Betriebssoziologie gibt, denn diese drei Disziplinen haben das gleiche Forschungsobjekt, den Betrieb. Diese enge Beziehung sowohl zu einer Wirtschaftswissenschaft als auch zu einer Sozialwissenschaft ist eine Besonderheit, die die Betriebspädagogik erheblich von anderen Erziehungswissenschaften unterscheidet. Man kann diesen Tatbestand auch so beschreiben, daß man von der Betriebspädagogik sagt, daß sie primär eine Erziehungswissenschaft, sekundär aber auch eine Wirtschaftswissenschaft und tertiär auch eine Sozialwissenschaft ist. Wer auf dem Gebiete der Betriebspädagogik tätig sein w i l l , der muß daher dazu i n der Lage sein, auch die Verfahren zu verstehen, m i t denen der Betriebswirt und der Soziologe bei ihren Arbeiten vorgehen. Es handelt sich aber nicht nur um die persönliche Qualifikation dieser Gruppe von Wissenschaftlern, sondern u m eine allgemeine Problematik der modernen Wissenschaft. A u f der einen Seite bleibt die Tatsache bestehen, daß Forschung nur als relativ eng begrenzte Spezialforschung möglich ist. A u f der anderen Seite zeigt sich, daß diese Forschung nur dann dazu verhilft, die heutige Welt besser zu verstehen, wenn sie i m Verbund durchgeführt wird. Da die konkrete Wirklichkeit stets komplex ist, muß auch die Forschung komplex sein. Die Umsetzung dieser Einsicht i n die Praxis der wissenschaftlichen Arbeit ist aber schwierig; die Ausführungen über die Eigenart der Betriebspädagogik haben dies gezeigt. Es ist jedoch für die Fruchtbarkeit der weiteren Entwicklung wesentlich, daß generell geprüft wird, m i t welchen anderen Sachgebieten die einzelnen Spezialdisziplinen i n einem Verbund stehen, der eine Kooperation verlangt. Optimale Arbeitsbedingungen sind für die Wissenschaft dann vorhanden, wenn einerseits optimale Bedingungen für die Spezialforschung und andererseits gleichzeitig optimale Bedingungen für die Kooperation mehrerer Fachwissenschaften bei der Untersuchung gemeinsamer Forschungsobjekte vorhanden sind. Das Beispiel der Betriebspädagogik zeigt dabei, daß es sich bei den anderen Disziplinen, m i t denen ein Verbund besteht, durchaus nicht nur um Nachbardisziplinen aus dem gleichen Hauptbereich handeln muß, denn weder die Betriebswirtschaftslehre noch die Betriebssoziologie gehören zu dem Hauptbereich Erziehungswissenschaften. Der hier gemeinte Verbund kann vielmehr weit über den eigenen Hauptbereich hinausgreifen und eine Kooperation m i t Fachwissenschaften notwendig machen, die an einer ganz anderen Stelle i n der Systematik der Wissenschaften stehen. Wenn die Betriebspädagogik charakterisiert werden soll, dann genügt es daher nicht, darauf hinzuweisen, daß sie als Teilgebiet der Wirtschaftspädagogik eine Erziehungswissenschaft ist. Dies
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betriebspädagogischen Forschung
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ist richtig, aber unvollständig. Es muß hinzugefügt werden, daß sie zusammen m i t der Betriebswirtschaftslehre und der Betriebssoziologie ein gemeinsames Forschungsobjekt besitzt, nämlich den Betrieb. Sie ist eine der Wissenschaften von dem wirtschaftlichen Betrieb und zwar diejenige, die dessen pädagogische Qualität untersucht. V. Die Notwendigkeit und die Schwierigkeit der internationalen betriebspädagogischen Forschung Es ist in den letzten Abschnitten versucht worden, die dem heutigen Stand der pädagogischen Forschung i n Deutschland entsprechende Systematik der Begriffe und die sich daraus ergebende Gliederung der Erziehungswissenschaft darzustellen. Da die Wissenschaft prinzipiell international ist, besteht die Verpflichtung, über die Grenzen des eigenen Landes hinaus zu blicken und zu fragen, welche Wege in den Nachbarländern die entsprechende Forschung geht und wie groß das Maß der Gemeinsamkeit ist. Dabei liegt die Überlegung nahe, ob durch eine Betrachtung der erziehungswissenschaftlichen Terminologie und Systematik i n den anderen europäischen Ländern Anregungen für die Verfeinerung und die Vertiefung der deutschen Begriffsbildung gewonnen werden können. Ein solcher Versuch ist jedoch nur wenig ergiebig. Trotz der gemeinsamen Zugehörigkeit zu dem europäischen Kulturraum besteht eine so große Verschiedenartigkeit der pädagogischen Denkweisen, daß es für einen Deutschen schwer ist, genau zu erfassen, was ζ. B. i n England oder Frankreich m i t den dort gebräuchlichen pädagogischen Begriffen gemeint wird. Für englische oder französische Pädagogen ist es ebenso schwer, die deutsche Fachsprache ganz zu verstehen. Es ist eine nicht voll lösbare Aufgabe, die deutschen Worte Erziehung, Bildung, Berufsbildung, Berufsausbildung und ähnliche so i n andere Sprachen zu übersetzen, daß die Inhalte richtig zum Ausdruck kommen. Der Verfasser kennt diese Schwierigkeiten, weil ein Teil seiner Veröffentlichungen i n fremde Sprachen übersetzt worden ist und weil er bei internationalen Konferenzen diese sprachlichen Probleme als ein großes Hindernis für das gegenseitige Verstehen erlebt hat. Die englischen Worte education und training entsprechen durchaus nicht dem deutschen Begriffspaar Erziehung und Bildung, und für die französische Unterscheidung zwischen éducation, enseignement, formation und promotion sind ganz andere Gesichtspunkte maßgebend als diejenigen, auf denen die deutsche Terminologie beruht. Wenn man die weiteren europäischen Länder i n den Vergleich einbezieht, w i r d das B i l d noch verworrener. Es w i r d hoffentlich bald zu einer einigermaßen einheitlichen europäischen pädagogischen Fachsprache durch die mehrsprachlichen Publikationen der Europäischen Gemeinschaft und des Europarates kommen; diese Vereinheitlichung w i r d aber vorläufig nur
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Α. Der wissenschaftliche Charakter der Betriebspädagogik
solche Fachausdrücke betreffen, die bei gemeinsamen praktischen Regelungen gebraucht werden. Da es sich dabei oft u m Fragen der w i r t schaftlichen Erziehung handelt, kommt die Europäisierung der Fachsprache i n diesem Bereich schneller als i n anderen voran. Dazu trägt auch die Tatsache bei, daß die multinationalen Konzerne aus einer ganzen Reihe von Gründen mehr als früher dazu genötigt sind, die qualifizierten Nachwuchskräfte so auszubilden, daß sie über die Staatsgrenzen hinweg i m ganzen Konzern einsatzfähig sind. I n einem besonders starken Maße gilt das für die Fortbildung der m i t t leren und oberen Führungskräfte. Man ist daher dazu gezwungen, i n dem konzerneigenen Bildungswesen m i t Ausdrücken zu arbeiten, die trotz der Unterschiede der nationalen Herkunft von allen mittleren und oberen Mitarbeitern eindeutig i n der gleichen Weise verstanden werden. Die Berufsbildung befindet sich beinahe i n der gleichen Lage wie die Luftfahrt, denn das Funktionieren des internationalen L u f t verkehrssystems beruht darauf, daß alle Beteiligten eine gemeinsame Fachsprache benutzen. Bei der Berufsbildung ist jedoch die Problematik deswegen schwieriger, w e i l es sich dabei nicht wie bei dem Luftverkehr um eine naturwissenschaftliche, sondern um eine geisteswissenschaftliche Terminologie handelt. Es ist in den Naturwissenschaften viel leichter als i n den Geisteswissenschaften, sich international über den Inhalt eines Begriffes zu einigen und ihn sprachlich so zu präzisieren, daß er in allen modernen Ländern von den Fachleuten i n der gleichen Weise verstanden wird. Ein so hoher Grad der Präzision ist i n der Erziehungswissenschaft nicht erreichbar. Man muß aber trotzdem danach streben, Schritt für Schritt wenigstens für den europäischen K u l t u r r a u m eine gemeinsame pädagogische Fachsprache zu schaffen. Eine solche konstruktive Kooperation ist i n der Betriebspädagogik leichter möglich als i n manchen anderen Teilgebieten der Erziehungswissenschaft, w e i l die Erörterung von betriebspädagogischen Problemen stets auf der Grundlage der genauen Kenntnis der i n dem Betrieb vorhandenen technologischen und ökonomischen Verhältnisse geschehen muß. Es besteht i n der Betriebspädagogik ein durch die Sache gegebener Zwang zu einem Realismus, der für das internationale Gespräch sehr hilfreich ist. VI. Zusammenfassung der dargelegten Gedanken Es ist zweckmäßig, sich am Ende dieses Hauptteiles noch einmal die in ihm behandelten Gedanken zu vergegenwärtigen. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildete die Feststellung, daß die kritische geistige Lage, i n der sich Europa befindet, die Intensivierung der theoretischen Grundlagenforschung notwendig macht, u m dadurch die Fundamente der europäischen K u l t u r zu verstärken und zu verbreitern.
V I . Zusammenfassung der dargelegten Gedanken
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Diese Forderung bedeutet für die Erziehungswissenschaft, daß sie sich intensiver als gegenwärtig m i t den theoretischen Grundfragen der Erziehung befassen sollte. Sie sollte dabei ihre Arbeit auf die folgenden drei Hauptfragen konzentrieren: 1. Was gehört zu dem unabdingbaren Inhalt der Grundlegenden Erziehung? 2. Was ist unter Erziehung zur Wissenschaftsfähigkeit zu verstehen? 3. Was ist unter Erziehung zur Wirtschaftsfähigkeit zu verstehen? Bei dem Versuch, die dritte Frage zu beantworten, ergibt sich, daß ein wesentlicher Bestandteil der W i r t schaftsfähigkeit die Fähigkeit ist, m i t anderen zusammen i n einem Betriebe zu arbeiten und zu leben. Die Erziehung zu diesem Teil der Wirtschaftsfähigkeit w i r d von der Betriebspädagogik untersucht. Da es wirtschaftliche Betriebe erst gibt, seitdem Wirtschaft und Gesellschaft i n den letzten Jahrhunderten durch den Industrialismus sehr erheblich umgewandelt worden sind, hat es die Betriebspädagogik m i t einem typisch modernen Problemkreis zu tun. Die betriebspädagogische Forschung ist daher nur möglich auf der Grundlage der Kenntnis der Eigenart der jetzigen Kulturepoche und dabei besonders der philosophischen Probleme, die hinter den Tagesfragen stehen. Der Verfasser hat i n diesem Zusammenhang dargelegt, daß für ihn der Begriff des Geistes der Zentralbegriff seiner Kulturtheorie ist. Je mehr die Forschung zu Grundproblemen vordringen w i l l , um so klarer muß der Begriffsapparat sein, m i t dem dabei gearbeitet wird. Dies gilt auch für die Erziehungswissenschaft. Daher wurden i n den weiteren Ausführungen Aussagen über die Begriffe gemacht, die i n dieser Arbeit verwendet werden, und es wurde die systematische Gliederung der Erziehungswissenschaft dargestellt. Es wurde dabei gezeigt, daß die Betriebspädagogik ein Teilgebiet der Wirtschaftspädagogik ist. Daraus ergibt sich, daß die betriebspädagogische Forschung engen Kontakt m i t der Arbeit halten muß, die i n den anderen Teilgebieten der Wirtschaftspädagogik geleistet wird. Die Betriebspädagogik muß gleichzeitig aber auch m i t der Betriebswirtschaftslehre und der Betriebssoziologie zusammen arbeiten, denn zwischen diesen drei Disziplinen besteht eine Gemeinsamkeit dadurch, daß sie sich um die Erforschung des Betriebes bemühen. Dieser Doppelcharakter ist für die Eigenart der Betriebspädagogik kennzeichnend. A m Ende wurde schließlich darauf hingewiesen, daß die betriebspädagogische Forschung eigentlich einen über den nationalen deutschen Rahmen hinausgehenden europäischen Charakter haben sollte. Die Verwirklichung dieses Gedankens w i r d aber dadurch erschwert, daß es keine internationale pädagogische Fachsprache gibt. Die über die Landesgrenzen reichende Verflechtung der Wirtschaft zwingt jedoch immer stärker dazu, vor allem i n dem Bereich der Betriebspädagogik eine Terminologie zu entwickeln, die i n allen europäischen Industriestaaten i n der gleichen Weise verstanden und angewendet wird.
Β. Die geschichtlichen Hintergründe der heutigen betriebspädagogischen Probleme I. Der Betrieb als der neue Typ der wirtschaftlichen Arbeitsstätte in der Kulturepoche des Industrialismus 1. Die Fabrikanstalt als Vorläufer
des 18. Jahrhunderts des Betriebes
Die vorliegende Untersuchung geht von der Tatsache aus, daß die Wirtschaftseinheit Betrieb erst i n der neuesten Zeit entstanden ist. Während der Antike und des Mittelalters und auch noch in der Neuzeit bis etwa zu der Mitte des 18. Jahrhunderts hat es i n Deutschland zwar die Arbeitsstätten der Handwerker und Kaufleute, aber noch keine Betriebe gegeben. Der Betrieb ist ein spezifisch modernes Gebilde, das durch den Industrialismus verursacht worden ist. Die Kenntnis dieser Tatsache ist eine wesentliche Voraussetzung für das Verständnis der Probleme der Betriebspädagogik. Gegen die Behauptung, daß es Betriebe erst seit dem Beginn der industriellen Kulturepoche gibt, kann eingewendet werden, daß das Wort Betrieb i n der wissenschaftlichen Literatur auch bei der Beschreibung der wirtschaftlichen Zustände i n der Antike und i m Mittelalter verwendet worden ist. Dieser Sprachgebrauch stammt aus dem 19. Jahrhundert, als sich die historische Schule der Nationalökonomie m i t dem Wirtschaftsleben i n früheren Epochen befaßte. Damals war die w i r t schafts- und sozialwissenschaftliche Terminologie noch nicht präzisiert, und Ausdrücke wie das Wort Betrieb wurden ohne bewußte Reflexion über ihre Bedeutung gebraucht; es wurde verwendet, um jede A r t von wirtschaftlichen Arbeitsstätten zu bezeichnen. Es gab zu jener Zeit noch nicht eine planmäßige Betriebsforschung, die sich systematisch m i t der Eigenart des neuen ökonomischen Sozialgebildes befaßte, das seine Entstehung dem Industrialismus verdankt. I n der „industriepädagogischen" 1 Literatur des 18. Jahrhunderts finden sich aber schon H i n weise darauf, daß die damals entstehenden „Fabrikanstalten" etwas anderes als die Werkstätten der Handwerker waren. Ebenso sind solche Feststellungen i n den am Beginn des 19. Jahrhunderts erschienenen ι Die damalige „Industriepädagogik" befaßte sich mit der Erziehung zu „Gewerbefleiß" gleich „industria" und hatte daher einen ganz anderen Charakter als die moderne Industriepädagogik.
I. Der Betrieb als der neue Typ der industriellen Arbeitsstätte
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kameralistischen Lehrbüchern enthalten. So hat beispielsweise Leopold Krug, der Begründer des 1805 geschaffenen staatlichen Statistischen Bureaus i n Berlin, i n seinem zweibändigen Werke „Betrachtungen über den National-Reichthum des preußischen Staats und über den Wohlstand seiner Bewohner" (Berlin 1805) auf den Seiten 219 bis 381 des 2. Bandes eine umfangreiche „Übersicht der Fabriken i m preußischen Staat vom Jahre 1802" gegeben; seine Angaben beruhen nach seiner Mitteilung auf S. 378 auf dem statistischen Material des „Fabrikendepartements" der Berliner Staatsregierung. A u f der gleichen Seite befindet sich der interessante Hinweis, daß damals i n den Erhebungstabellen zwischen „ouvriers" und „Hülfsarbeitern, welche i n einer Fabrik nur auf einige Zeit eingestellt waren", unterschieden wurde; die preußische Statistik hat leider später diese Differenzierung aufgegeben. Dies ist wahrscheinlich das erste Mal, daß in einer wissenschaftlichen Arbeit zwischen „Facharbeitern" und „Hilfsarbeitern" unterschieden worden ist. Eine solche Unterscheidung zeigt, daß man sich bereits um 1800 dessen bewußt war, daß eine Fabrik etwas wesentlich anderes als eine handwerkliche Arbeitsstätte war. Es ist äußerst interessant, die A r t und Weise, wie K r u g die Probleme des Fabrikwesens behandelt hat, m i t derjenigen zu vergleichen, die 50 Jahre später bei dem „Congrès international de Bienfaisance" 2 i n Frankfurt am Main i m Jahre 1857 sichtbar wird. A m deutlichsten ist dies erkennbar bei dem Beitrag von Lette: „Ueber den Zustand der Arbeiter- und der Armen-Bevölkerung i m Preußischen Staate und die Gesetzgebung zur Verbesserung dieses Zustandes 3 ." Der gleiche Band enthält ferner auf den Seiten 252 bis 258 ein für den Betriebspädagogen wichtiges Gutachten von Kaiisch: „ I n Sachen der Fabrikschulen." Aus den i n dem Kongreßbericht mitgeteilten Informationen ergibt sich ferner, daß es damals bereits eine umfangreiche Zeitschriftenliteratur über die Probleme der inneren Struktur der Fabrikbetriebe gab. 2. Entstehung, Gegenstand und Gliederung der Betriebsforschung Es waren daher i m 19. Jahrhundert schon viele Voraussetzungen für den Aufbau einer systematischen Betriebsforschung gegeben. Es ist jedoch trotzdem nicht dazu gekommen. Die Gründe dafür liegen sowohl i n dem Historismus, der das Interesse der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler auf die Erforschung des Mittelalters und der Antike gelenkt hat, als auch darin, daß i n jenen Jahrzehnten die Probleme der 2 Der Bericht umfaßt zwei Teile in einem Band und ist 1858 erschienen bei Verlagen in Frankfurt, Brüssel, Paris, London und Genf. » Teil 2, S. 80 -151. Dr. A. Lette war Präsident des Revisions-Collegiums für Landes-Cultursachen und Mitglied des Abgeordnetenhauses, ferner Vorsitzender des Central-Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen.
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
Fabrik eng m i t den politischen Tagesfragen verknüpft waren. Ein Gelehrter, der sich m i t ihnen befaßte, setzte sich der Gefahr aus, als ein Anhänger von Ideen verdächtigt zu werden, die der konservativen Staatsführung unsympathisch waren. Die Bezeichnung der i n dem Verein für Socialpolitik tätigen Professoren als Kathedersozialisten ist dafür ein Beispiel. Man darf vermuten, daß der Aufschwung der w i r t schaftshistorischen Forschung i m 19. Jahrhundert auch darauf zurückzuführen ist, daß diese Forschungsrichtung dem wissenschaftlichen Nachwuchs die Möglichkeit bot, die fachliche Qualifikation zu beweisen und Lehrstühle zu erhalten, ohne sich politisch unbeliebt zu machen. Wenn man dies bedenkt, dann versteht man, warum i n der Zeit zwischen 1850 und 1914 der eigentlich fällige Aufbau einer Betriebsforschung unterblieben ist; das geistige K l i m a jener Epoche war dafür ungünstig. Trotzdem sind i n diesen Jahrzehnten sehr wertvolle Untersuchungen über die Fragen der Fabrikarbeit publiziert worden; es ist hier vor allem auf die von dem Verein für Socialpolitik veranlaßten Arbeiten hinzuweisen 4 . Ebenso ist hier die frühzeitige Entstehung der Handelsbetriebslehre als Vorläuferin der Betriebswirtschaftslehre zu erwähnen. Für eine umfassende planmäßige Betriebsforschung war die Zeit aber erst nach 1920 reif; zu ihrer vollen und nicht durch politische Umstände gehemmten Entfaltung ist es jedoch erst nach 1945 gekommen. Die auf die ökonomischen Probleme des Betriebes gerichtete Betriebswirtschaftslehre hat dabei bis heute einen zeitlichen Vorsprung behalten und ist bereits voll ausgebaut, während die Betriebssoziologie und die Betriebspädagogik noch in der Aufbauphase stehen. Das Gesamtbild der Betriebsforschung ist jedoch bereits klar: sie besteht aus den drei genannten Teilbereichen, die sich m i t der ökonomischen, der soziologischen und der pädagogischen Qualität des Betriebes befassen. Diese Betriebsforschung beschäftigt sich aber nur m i t den wirtschaftlichen Arbeitsstätten und nicht auch m i t solchen Sozialgebilden wie ζ. B. einem Krankenhaus oder einer Behörde. Diese werden nicht primär aus ökonomischen Gründen geschaffen und unterhalten, und infolgedessen ist bei ihnen die soziologische und die pädagogische Struktur anders als bei Einheiten, bei denen der ökonomische Zweck das Hauptmotiv für alle Entscheidungen ist. Gemäß dem allgemein üblichen und auch i n der Gesetzgebung verwendeten Sprachgebrauch werden daher i n dieser Untersuchung unter Betrieben nur solche Arbeitsstätten verstanden, die zu dem Bereich der Wirtschaft gehören. Um Mißverständnisse auszuschalten, muß dabei gesagt werden, daß hier die gesamte Wirtschaft gemeint wird, also nicht nur die Industrie und das Handwerk, sondern auch der Handel, die Banken, die Ver4 Besonders auf B a n d X der Schriften des Vereins: Die Reform des Lehrlingswesens, sechszehn Gutachten und Berichte, Leipzig 1875.
I. Der Betrieb als der neue Typ der industriellen A r b e i t s s t ä t t e 4 5
Sicherungen und die sonstigen Dienstleistungsbereiche, ferner m i t Einschränkung auch die Landwirtschaft. Alle diese Wirtschaftszweige gehören zu der modernen „industriellen Wirtschaft". Der Begriff Betrieb ist also ein Unterbegriff des Begriffes Arbeitsstätte und w i r d i n zweifacher Weise eingegrenzt. Wie oben gesagt wurde, werden damit nur ökonomische Arbeitsstätten gemeint. Ferner w i r d das Wort Betrieb nur für die Bezeichnung solcher ökonomischen Arbeitsstätten verwendet, die i n einem von dem Industrialismus geprägten Wirtschaftssystem vorhanden sind. Der Betrieb ist die Grundeinheit der industriellen Wirtschaft. Sowohl i n der Antike als auch i m Mittelalter hat es Arbeitsstätten für die Erzeugung und die Verteilung von wirtschaftlichen Gütern gegeben. Sie haben jedoch einen anderen ökonomischen und soziologischen Grundcharakter als die Betriebe der industriellen Kulturepoche gehabt, und bei ihrer Erforschung ergeben sich daher wesentlich andere wissenschaftliche Probleme als bei der Untersuchung der Betriebe. Es sei nur daran erinnert, daß i n der W i r t schaft der Antike die Sklavenarbeit eine sehr große Rolle gespielt hat und daß die Wirtschaft des Mittelalters ein Teil des damaligen ständischen Gesellschaftssystems gewesen ist. Es ist sicher eine wichtige Forschungsaufgabe, die Beschaffenheit der antiken und der mittelalterlichen Arbeitsstätten zu untersuchen, denn dadurch werden wichtige Einblicke i n die Besonderheiten jener Epochen gewonnen. Wer sich m i t den Arbeitsstätten der Kulturepoche des Industrialismus, d. h. also mit den Betrieben, befaßt, steht jedoch vor einer Problematik, die anders beschaffen ist als die Fragenkomplexe, die für die früheren Zeiten charakteristisch sind. Die Analyse der spezifischen Eigenart der Betriebe muß daher anders erfolgen als die Untersuchung des besonderen Charakters der antiken oder mittelalterlichen Wirtschaftseinheiten. Die Beschränkung des Betriebsbegriffes auf die ökonomischen Arbeitsstätten der industriellen Kulturepoche und die daraus sich ergebende Beschränkung der Betriebsforschung ist daher eine Maßnahme, die dazu dient, die Präzision der wissenschaftlichen Arbeit zu fördern 5 . Diese Überlegungen können i n den folgenden Feststellungen zusammengefaßt werden. Die Entstehung des Industrialismus i n den letzten drei Jahrhunderten hat eine Veränderung des Wirtschaftsgefüges be5 Zu dem Betriebsbegriff siehe folgende Artikel in dem Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre: Rudolf Seyffert, Betrieb (3. Aufl. 1956, Bd. 1, Sp. 736 - 740) ; Erwin Grochla, Betrieb, Betriebswirtschaft und Unternehmung (4. Aufl. 1974, Bd. 1, Sp. 541 -557); Günter Büschkes u. Peter Lütke-Bornfeld, Betriebssoziologie (4. Aufl. 1974, Bd. 1, Sp. 628 - 636). — Die von dem Verfasser vorgenommene Verwendung des Wortes Arbeitsstätte als Oberbegriff und des Wortes Betrieb als Unterbegriff wird in den genannten Artikeln nicht praktiziert, obwohl auch in ihnen faktisch unter Betrieben nur die durch den Industrialismus geprägten Arbeitsstätten verstanden werden.
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
w i r k t und dabei einen neuen Typ der Grundeinheiten der Wirtschaft hervorgebracht; dieser neue Typ w i r d Betrieb genannt. M i t ihm beschäftigt sich die Betriebsforschung. Da der Betrieb stets ökonomischen Zwecken dient, befaßt sich die Betriebswirtschaftslehre m i t dem ökonomischen Teil seines Wesens. Da i n i h m stets zwischenmenschliche Beziehungen entstehen, w e i l in i h m immer mehrere Personen zusammen arbeiten, befaßt sich die Betriebssoziologie m i t dem sozialen Teil seines Wesens. Da i n ihm schließlich stets Erziehung geschieht, w e i l die ökonomische und soziale Verbundenheit einerseits ohne pädagogische Prozesse nicht zustande kommt und andererseits selbst solche Prozesse bewirkt, befaßt sich die Betriebspädagogik m i t dem pädagogischen Teil seines Wesens. Diese Aufgliederung ermöglicht es, bei der Untersuchung des Betriebsproblems von mehreren Seiten aus vorzugehen und dadurch umfassende Einblicke zu gewinnen. 3. Die Aufspaltung der früheren Großfamilie in die heutige Kleinfamilie und den Betrieb Da der Betrieb ein junges Gebilde ist, dessen Geschichte nicht weiter als etwa 200 bis 300 Jahre i n die Vergangenheit zurückreicht, ist die Betriebspädagogik ebenso wie ihre beiden Nachbardisziplinen daran interessiert, Näheres über den historischen Prozeß der Entstehung des Betriebes zu erfahren. U m i h n zu begreifen, muß man sich vergegenwärtigen, daß die i n dem Mittelalter vorhandenen Arbeitsstätten, nämlich die Werkstätten der Handwerker und die Kontore und Läden der Kaufleute, Teile der Haushalte der Handwerker oder Kaufleute und nicht davon räumlich und organisatorisch getrennte Einrichtungen waren. Ferner war die Zahl der Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge so klein, daß diese selbstverständlich zu der Familie des Arbeitgebers oder Lehrherrn gehörten. Der Begriff der Familie hatte damals einen anderen Inhalt als heute, denn sie bestand nicht nur aus den durch Blutsverwandtschaft oder Heirat miteinander verbundenen Personen. Sie umfaßte vielmehr auch alle Arbeitskräfte, die der Autorität des Familienvaters und seiner Frau unterstanden, d.h. die Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Knechte und Mägde. Diese Großfamilie w a r eine soziale Einheit, i n der sich sowohl diejenigen Lebensvorgänge ereigneten, die i n der heutigen Terminologie zu dem Bereich der Familie, d. h. der jetzigen Kleinfamilie, gerechnet werden, als auch diejenigen, die i n dem modernen Sprachgebrauch zu dem Bereich der Wirtschaft gehören. Die Herstellung und der Vertrieb von wirtschaftlichen Gütern waren i n der vorindustriellen Gesellschaft Aufgaben der damaligen Großfamilie. Die moderne Kleinfamilie hat dagegen nicht mehr diese gesellschaftliche Funktion; diese ist vielmehr auf den Betrieb übergegangen. Der Kulturprozeß hat dazu geführt, daß die frühere Groß-
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familie eine Aufspaltung i n die Kleinfamilie und i n den Betrieb erfahren hat. Diese sind die beiden modernen Lebensbereiche, die zusammen dem früheren ungeteilten Lebensbereich Großfamilie entsprechen. Das, was heute die i n einem Betriebe arbeitenden Menschen tun, ist i m Prinzip das Gleiche wie das, was ihre Vorfahren i n einer Großfamilie getan haben, denn es dient der Versorgung der Mitmenschen m i t wirtschaftlichen Gütern und Dienstleistungen. Daß sie dabei teilweise andere Grundstoffe verwenden und daß sie m i t anderen technologischen Verfahren arbeiten und daher Dinge herstellen können, die man früher nicht machen konnte, ist dabei nicht das Entscheidende. Der wesentliche Unterschied gegenüber der vorindustriellen Zeit liegt darin, daß dies nicht mehr in dem gesellschaftlichen Raum der Familie geschieht, sondern i n einem anderen, nämlich i n dem neu entstandenen Lebensbereich Betrieb. Wer heute einen wirtschaftlichen Beruf hat, dessen Leben steht von vornherein unter der Gesetzmäßigkeit eines Dualismus, denn er muß die Tatsache hinnehmen, daß sein Leben aufgespalten ist einerseits in die Zugehörigkeit zu seiner Familie und andererseits i n die Zugehörigkeit zu seinem Betrieb. Dies gilt für alle Rangstufen der innerbetrieblichen Hierarchie. Wenn mehrere Mitglieder einer Familie berufstätig sind, dann arbeiten sie i m Regelfall i n verschiedenen Betrieben. Die Aufspaltung des Lebens geht dann oft so weit, daß das einzelne Familienmitglied nicht weiß, m i t wem die anderen i n deren Betrieb umgehen und dabei nicht nur zusammen arbeiten, sondern auch miteinander diskutieren und oft gemeinsam essen. Dies bewirkt häufig eine erhebliche Verringerung der Festigkeit der Familie. Einen solchen Dualismus hat es i n dem Leben des mittelalterlichen Menschen nicht gegeben. Es wäre zwar sicher unrealistisch, wenn man annehmen würde, daß es i n der damaligen Großfamilie keine Spannungen zwischen den Ehegatten, zwischen den Eltern und den Kindern und zwischen den Verwandten und den Arbeitskräften gegeben habe. Sie änderten aber nichts daran, daß man täglich i n einer Gemeinschaft zusammen lebte, die dem persönlichen Leben Einheit gab. Der K u l t u r prozeß hat m i t der Entfaltung des Industrialismus diese Einheit beseitigt, und diese geschichtliche Entwicklung hat bewirkt, daß heute die Familie und der Betrieb nebeneinander stehen. Beide teilen sich in die gesellschaftlichen Funktionen, die früher von der Großfamilie erfüllt worden sind. 4. Das Streben des modernen Staates nach Verstärkung seiner Macht sowohl in dem familiären als auch in dem betrieblichen Bereich Es ist jedoch eine Komplizierung dadurch eingetreten, daß zu der gleichen Zeit, als diese Auflösung der Großfamilie erfolgte, der Gesamt-
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rahmen der gesellschaftlichen Ordnung durch die Entstehung des modernen Staates verändert worden ist 6 . I m Unterschied zu den mittelalterlichen Territorialherrschaften strebten die auf dem Gebiet des Deutschen Reiches gelegenen Länder von dem 17. Jahrhundert an nach Souveränität und Omnipotenz. Sie versuchten, ihre Macht auch dadurch zu vergrößern, daß sie es als ihre Aufgabe erklärten, sich um die Erziehung der Jugend zu kümmern. Der moderne Staat geriet dadurch in Konflikte m i t den Kirchen, die bis dahin Inhalt und Form der Schulbildung bestimmt hatten; die städtischen Körperschaften hatten dabei ein Mitspracherecht besessen. Er bemühte sich auch, auf dem Gebiete der Berufsbildung tätig zu werden. Er tat dies aber vor allem zum Zwecke der Unterstützung seiner Innen- und Wirtschaftspolitik. A u f solchen Erwägungen beruhte zur Zeit des Merkantilismus die Schaffung der gewerblichen Industrieschulen des 18. Jahrhunderts. Ebenso hat auch der Staat des 19. Jahrhunderts die berufliche Schule als ein Instrument seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik benutzt. Er hat dabei zwei sehr verschiedene Ziele verfolgt: die Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der mittelständischen Wirtschaft und die Versorgung der schnell wachsenden Industrie m i t technisch geschulten Fachkräften. Der liberale Grundcharakter der staatlichen Wirtschaftspolitik i m 19. und in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hat dabei aber bewirkt, daß der Staat nur dann tätig geworden ist, wenn ihn die Wirtschaft dazu aufgefordert hat, oder wenn akute Notlagen einzelner Wirtschaftszweige dazu Anlaß gegeben haben, i m Rahmen von Hilfsmaßnahmen auch eine Verbesserung der beruflichen Ausbildung und Fortbildung vorzunehmen. Bei der Förderung der Fortbildungsschulen (Berufsschulen) ist außerdem maßgebend gewesen, daß durch den bürgerkundlichen Unterricht politische Bildung bewirkt werden sollte. Das Interesse des Staates an dem Erfolg einer solchen Verwendung der w i r t schaftsberuflichen Schulen für bestimmte Zwecke hat i n dem genannten Zeitraum aber nicht dazu geführt, daß sich die staatliche Politik das Ziel gesetzt hat, die Berufs- und Fachschulen ganz in die Hand zu bekommen und den Einfluß der Wirtschaft auszuschalten. Während der moderne Staat bei den Volksschulen und den Gymnasien die staatliche Schule als den Regelfall und die Privatschule einschließlich der kirchlichen Schulen als einen von ihm gestatteten Ausnahmefall angesehen hat, hat er bei dem Berufs- und Fachschulwesen dieses Prinzip nicht vertreten. Er hat vielmehr der Wirtschaft weitgehend freie Hand bei der Errichtung und Gestaltung von Schulen gelassen und ihr außerdem 6 Diese Ausführungen beziehen sich nur auf Deutschland, denn in den anderen europäischen Ländern ist die Entstehung des modernen Staates weitgehend anders verlaufen. Vor allem in Frankreich, aber auch in Italien und England ist diese Entwicklung früher erfolgt und hat zum Teil zu anderen Ergebnissen geführt.
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einen großen Einfluß auf die von i h m unterhaltenen Einrichtungen gewährt. Abgesehen von der nationalsozialistischen Zeit, die hier nicht behandelt zu werden braucht, hat der Staat bis etwa 1960 nicht den Versuch gemacht, mehr als eine großzügig gehandhabte Aufsicht über die wirtschaftsberuflichen Schulen zu beanspruchen. Sie waren daher ein pädagogischer Raum, in dem eine weit größere Gestaltungsfreiheit und als Folge davon auch eine weit größere Mannigfaltigkeit als i n den Volksschulen und i n den Gymnasien herrschte. Dieser Geist der Freiheit hat die Grundhaltung der vielen Entwürfe für ein Berufsausbildungsgesetz seit dem ersten Weltkrieg bestimmt 7 . Bei allen Unterschieden i n der Beurteilung von Einzelfragen war bei den Vertretern aller an den Verhandlungen teilnehmenden Gruppen eine Ubereinstimmung darüber vorhanden, daß das Recht auf Entscheidungsfreiheit gewährleistet und daß daher der Einfluß des Staates auf die Sicherung der Beachtung von bestimmten Grundnormen beschränkt werden müsse. I n dem Berufsbildungsgesetz von 1969 ist diese Mentalität noch stark ausgeprägt. Es läßt zugleich aber auch erkennen, daß diese Gemeinsamkeit der Grundhaltung damals bereits i n der Auflösung begriffen war. Das Wiedererwachen des Marxismus hat seitdem das Gespräch zwischen den Vertretern der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der staatlichen Institutionen immer mehr erschwert, so daß es fast aussichtslos geworden ist, Lösungen zu finden, denen alle Verhandlungspartner zustimmen können. Es ist vor allem unklar geworden, welche Aufgabe i n Zukunft der Staat haben soll. Z u der Feststellung, daß die früheren Funktionen der Großfamilie i n der Neuzeit teils auf die Kleinfamilie und teils auf den Betrieb übergegangen sind, muß also hinzugefügt werden, daß ihnen der Staat i n einem steigendem Maße dieses Erbe streitig gemacht hat. Es besteht daher seit längerer Zeit eine Konfliktsituation, die immer schärfer geworden ist, je mehr der Staat versucht, seine Macht durchzusetzen. I n dem heutigen Streit über die Verstaatlichung der betrieblichen Berufsbildung ist aus diesem Konflikt ein offener Machtkampf geworden. Dieser ist eigentlich ein Anachronismus, denn es steht i m Widerspruch zu dem Gesamtcharakter der jetzigen Kulturepoche, wenn der heutige Staat die Berufsbildung nach Grundsätzen regeln w i l l , i n denen noch der Geist des Absolutismus des 18. Jahrhunderts lebendig ist. Es ist ein seltsames Phänomen, daß heute vor allem die Neomarxisten, aber auch andere Befürworter der Ubermacht des Staates die längst 7 Der Verfasser hat als Student im Jahre 1924 an einer parlamentarischen Veranstaltung des Reichsbundes der deutschen Jugendverbände im Berliner Reichstagsgebäude teilgenommen, bei der der Entwurf eines Berufsausbildungsgesetzes zur Diskussion stand. Sein Urteil über die heutige Lage beruht daher auf seiner Beobachtung der Entwicklung der Auseinandersetzungen über diesen Fragenkreis in den letzten Jahrzehnten.
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als überholt betrachtete Feststellung des Preußischen Allgemeinen Landrechtes von 1794: „Schulen und Universitäten sind Veranstaltungen des Staates" wieder prinzipiell bejahen und daher auch die Bildungseinrichtungen der Wirtschaft i n Veranstaltungen des Staates umwandeln wollen. Sie betreiben damit eine Berufsbildungspolitik, deren theoretischen Grundlagen aus dem 18. Jahrhundert stammen. Bei dieser eigenartigen geistigen Lage wäre es daher keine Beendigung des Streites, wenn man nur versuchen würde, einen modus vivendi zu finden, der die praktischen Fragen einigermaßen befriedigend regelt. Dies mag angesichts der aktuellen politischen und ökonomischen Schwierigkeiten zweckmäßig sein. U m aber zu verhindern, daß die Gegensätze latent bestehen bleiben und daher jeden Tag neu aufbrechen können, ist es notwendig, daß sich die Vertreter der staatlichen Seite darüber klar werden, ob sie an veralteten Prinzipien festhalten oder ob sie ihre Haltung der modernen Auffassung von dem Staat anpassen wollen, und daß ebenso diejenigen, die die Sache des Betriebes wahrnehmen, ihren Standpunkt präzisieren. Es muß der Auseinandersetzung über die Berufsbildung eine der geistigen Wirklichkeit der gegenwärtigen K u l turepoche gemäße Idee des Staates zugrunde gelegt werden, und es muß dabei zugleich abgegrenzt werden, wie weit das Eigenrecht der Wirtschaft innerhalb des Staatsgefüges geht und was heute unter dem Prinzip der Selbstverwaltung der Wirtschaft zu verstehen ist. 5. Das Recht der Europäischen Gemeinschaft zum Erlaß von grundsätzlichen Vorschriften für die Gestaltung der nationalen beruflichen Bildungssysteme Es muß dabei ferner berücksichtigt werden, daß seit der Schaffung der EWG und später der Europäischen Gemeinschaft viele Fragen der Wirtschaft und darunter auch diejenigen der Berufsbildung immer mehr auf der supranationalen Ebene entschieden werden. Die Zeit der uneingeschränkten Souveränität der europäischen Staaten ist vorbei, und es ist ein dringendes Erfordernis, daß die Wissenschaft vom Staat diese Entwicklung einholt und eine zeitgemäße Staatstheorie aufbaut. Daran ist auch die Betriebspädagogik interessiert, denn auch sie kann sich nicht mehr m i t Begriffen begnügen, die aus der abgelaufenen Epoche der uneingeschränkten Macht der europäischen Einzelstaaten stammen. Damit sich die betriebspädagogische Forschung voll entfalten kann, muß sie vielmehr m i t einem Instrumentarium von völkerrechtlichen Begriffen arbeiten, das sie dazu befähigt, die supranationale Problematik der Berufsbildung adäquat zu erfassen. Der Einzelstaat ist heute auf diesem Gebiet nicht mehr die oberste m i t Gesetzgebungsmacht ausgestattete Institution, denn die Europäische Gemeinschaft hat auf Grund von A r t . 128 des EWG-Vertrages das Recht, Beschlüsse zu
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fassen, die verbindliche Normen für die Berufsbildung aufstellen. Dieses Recht ist zum ersten Mal durch den Beschluß des Rates der EWG vom 2. A p r i l 1963 „über die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung" ausgeübt worden. Die deutsche öffentliche Meinung hat zwar noch nicht voll davon Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung auf dem Gebiet der Berufsbildungspolitik nicht mehr die uneingeschränkte Souveränität besitzt. U m so mehr ist es notwendig, daß die Wissenschaft diese Rechtslage sieht und bei ihrer Forschung davon ausgeht. Dies gilt für die Betriebspädagogik i n einem besonders hohen Maße. Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft umfaßt zwar sowohl die betriebliche als auch die schulische Berufsbildung. Es hat sich aber gezeigt, daß die Harmonisierung der nationalen Berufsbildungssysteme am zweckmäßigsten m i t der Angleichung der Leistungsanforderungen i n den fachlichen Qualifikationsprüfungen begonnen wird, und dieses Vorgehen w i r k t sich unmittelbar i n der betrieblichen Berufsbildung aus. Außerdem ist hier auf die bereits oben besprochene Tatsache hinzuweisen, daß die Wirtschaft ein direktes Interesse daran hat, daß i n der europäischen Wirtschaftsregion schrittweise eine einheitliche Konzeption der Berufsbildung realisiert wird, w e i l viele Unternehmungen Niederlassungen i n mehreren Staaten haben und daher eine supranationale Personalpolitik treiben müssen. 6. Die Veränderung des menschlichen Lebensraumes durch die Entstehung der durch das Bild der Betriebe geprägten modernen Industrielandschaften Diese Darlegungen geben eine Vorstellung davon, wie mannigfaltig und schwierig die Fragen sind, m i t denen es die Betriebspädagogik zu t u n hat. Sie muß daher überlegen, wie sie vorgehen kann, um ihre Probleme möglichst anschaulich und dadurch leichter erkennbar zu machen. Ausgangspunkt ist die bereits wiederholt betonte Tatsache, daß der Betrieb ein sehr junges Sozialgebilde ist. U m sich klar zu machen, was dies bedeutet, ist es ratsam, zuerst i n einer Gemäldegalerie Landschaftsbilder aus der Zeit u m 1800 anzuschauen, die etwa das Gebiet zwischen dem Main und dem Taunus oder das Rheintal bei Köln oder die westfälische Ebene bei Dortmund zeigen. I m Anschluß daran sollte man eine Reise durch die heutige Industrielandschaft am unteren Main von Aschaffenburg über Hanau, Offenbach, Frankfurt, Rüsselsheim bis Wiesbaden und Mainz oder durch die heutige Industrielandschaft an Rhein und Ruhr von K ö l n über Düsseldorf, Duisburg, Bochum, Essen bis Dortmund machen. Eine solche Gegenüberstellung kann bewirken, daß man sich fragt, ob die Bilder von 1800 und die 4*
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heutigen Eindrücke wirklich die gleichen Gegenden betreffen, denn die moderne Landschaft w i r d optisch von ganz anderen Dingen beherrscht als diejenige vor 175 Jahren. Die Hoechster Farbwerke, die Raffinerie bei Raunheim, die Opelwerke bei Rüsselsheim, die Bayerwerke i n Leverkusen und die Großanlagen der Montanindustrie an der Ruhr bestimmen heute das B i l d dieser Gegenden. Es gibt zwar auch dort noch Kirchtürme und Burgen; sie sind jedoch zu Nebensachen geworden. Wenn man den Vergleich der Landschaftsbilder noch weiter fortsetzt, dann fällt vor allem das Folgende auf. I n den Landschaften von 1800 gibt es nur wenige Menschen: einige Bauern und Jäger, ein Dorf m i t höchstens 300 Einwohnern, eine Stadt m i t nicht mehr als 2000 Einwohnern, ein Schiff m i t 5 bis höchstens 10 Personen, leere Straßen m i t einer Kutsche oder einem Ackerfahrzeug. Die Bilder von 1800 zeigen eine Welt, i n der es noch viel Platz gibt. Dagegen ist der Haupteindruck bei einer Fahrt durch ein modernes Industriegebiet derjenige der Enge; es müssen auf dem gleichen Boden viel mehr Menschen als früher wohnen und arbeiten. Wenn man z.B. die Hoechster Farbwerke oder die Opelwerke i n Rüsselsheim sieht, dann muß man sich klar machen, daß i n diesen Gebäudekomplexen während einer Schicht mehr Menschen tätig sind, als die mächtige Handelsstadt Frankfurt i m Mittelalter Einwohner hatte. Die Stadt Ludwigshafen am Rhein ist gewissermaßen ein Nebenprodukt der Badischen A n i l i n - und Sodafabriken. Bevor die BASF i m Jahre 1865 gegründet wurde, lag dort nur eine unbedeutende Kleinstadt. I n dem gleichen Tempo, i n dem aus diesem Werk ein Großbetrieb wurde, wurde aus diesem Ort die Großstadt Ludwigshafen. A n diese Veränderung des dem Menschen zur Verfügung stehenden Lebensraumes muß man denken, wenn man den Inhalt der Aussage erfassen w i l l , daß der Betrieb ein erst in jüngster Zeit entstandenes Sozialgebilde ist. II. Material der Bevölkerungsstatistik zur Geschichte des Betriebes 1. Die Entwicklung der Einwohnerzahlen von Deutschland vom 13. bis zum 18. Jahrhundert Diese aus dem Vergleich der früheren und der jetzigen Beschaffenheit der Landschaft gewonnenen Einsichten sind aber keine ausreichende Grundlage für weiterführende wissenschaftliche Überlegungen. Sie geben jedoch Hinweise, wo die Untersuchungen anzusetzen sind, die zu gesicherten Erkenntnissen führen können. So hat sich bei der Gegenüberstellung gezeigt, daß es offensichtlich einen Zusammenhang zwischen der Entstehung des Betriebes und der Zunahme der Bevölkerung i m 19. Jahrhundert gibt, denn die Einwohnerzahlen waren klein, solange keine Betriebe vorhanden waren, und sind parallel
I I . Material der Bevölkerungsstatistik zur Industriegeschichte
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zu dem Wachstum der Betriebe angestiegen. Dies ist eine wichtige Tatsache. Ihre Feststellung hat aber solange keinen befriedigenden Aussagewert, als man nichts Genaueres darüber weiß, wie hoch früher die Bevölkerungszahlen gewesen sind, wodurch ihre Höhe beeinflußt worden ist und seit wann ein Anstieg festzustellen ist. Es soll daher i n den nächsten Abschnitten versucht werden, Antworten auf diese Fragen zu finden 8. Den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bildet eine Betrachtung der Einwohnerzahlen Deutschlands 9 seit dem Mittelalter. Dabei interessiert erstens, wieviel Menschen überhaupt früher i n Deutschland gelebt haben, und zweitens, wie der Anstieg der Bevölkerungszahl verlaufen ist. Da genaue Unterlagen nicht vorhanden sind, beruhen die folgenden Angaben auf Schätzungen, die jedoch als zuverlässig gelten dürfen. Tabelle 1 Die Einwohnerzahlen von Deutschland vom 13. - 18. Jahrhundert 10 Zeitraum
Einwohner
Hochmittelalter um 1300 Spätmittelalter um 1600 um 1650 um 1700 um 1750
10 - 12 12 12 - 1 3 15 10 15 16 - 18
Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen
Diese Zahlen sind nur verständlich, wenn man die beiden großen Katastrophen kennt, die zwischen 1300 und 1750 Deutschland verwüstet haben. Die erste ist die Große Pest, die 1347 -1351 etwa ein Drittel der Einwohner, d. h. etwa 4 000 000, hinweggerafft hat. Die zweite ist der Dreißigjährige Krieg, der bewirkt hat, daß 1650 wiederum nur noch zwei Drittel der vorher vorhandenen Einwohner am Leben und rund 5 000 000 Menschen umgekommen sind. Wenn man das Gewicht dieser 8 Die verwendeten Zahlen sind entnommen aus: Bevölkerungs-Ploetz, Raum und Bevölkerung in der Weltgeschichte, Bd. 2 mit dem Teil I I , Vom Mittelalter zur Neuzeit, und dem Teil I I I , Bevölkerung und Raum in Neuerer und Neuester Zeit, Würzburg o. J. (1955), und aus Hoger Mols, Introduction à la Démographie Historique des Villes d'Europe du X I V e au X V I I I e siècle, 3 Bände, Louvain 1954. 9 Unter Deutschland wird hier das Gebiet des Deutschen Reiches von 1937 verstanden, weil die vorliegenden statistischen Tabellen dieses Gebiet betreffen. Österreich, die Schweiz und die Niederlande werden nicht mit eingerechnet, obwohl sie im Mittelalter Teile des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren. 10 Ploetz S. 60.
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
Zahlen voll erfassen w i l l , dann muß man sie den Verlusten gegenüberstellen, die Deutschland i n den beiden letzten Weltkriegen erlitten hat und die i m Vergleich m i t den genannten Zahlen wesentlich geringer gewesen sind. Die militärischen Verluste Deutschlands betrugen i n dem Ersten Weltkrieg 2,4 Millionen 1 1 . Für den Zweiten Weltkrieg werden die militärischen Verluste m i t 3,5 Millionen und diejenigen der Z i v i l bevölkerung m i t 2,2 Millionen, zusammen also 5,7 Millionen, bei einer Bevölkerung von 69,3 Millionen i m Jahre 1939 errechnet 12 . Das bedeutet, daß i m Zweiten Weltkrieg weniger als ein Zehntel der Bevölkerung umgekommen ist, i m Unterschied zu je einem Drittel sowohl i n der Mitte des 14. Jahrhunderts als auch i n dem 17. Jahrhundert. Große Teile Deutschlands sind durch den Dreißigjährigen Krieg auf einen Bevölkerungsstand zurückgeworfen worden, wie er etwa u m 1200 vorhanden gewesen ist. Wenn man hinzunimmt, daß es außer der Großen Pest des 14. Jahrhunderts mehrfach verheerende Epidemien gegeben hat und daß außer dem Dreißigjährigen auch noch andere Kriege schweren Schaden verursacht haben, dann versteht man, warum die Bevölkerung i n Deutschland i n den 500 Jahren zwischen 1250 und 1750 nur u m etwa 5 0 % gewachsen ist. Gleichzeitig w i r d dadurch verständlich, daß i n diesem Zeitraum nur i n einem geringen Umfange neue Produktions- und Vertriebsmethoden entwickelt worden sind, denn die Bevölkerungsvermehrung ist so langsam vor sich gegangen, daß der dadurch gesteigerte Bedarf m i t den traditionellen Verfahren befriedigt werden konnte. Für die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg muß diese Aussage allerdings eingeschränkt werden, denn die totale Zerrüttung durch diesen Krieg machte es teilweise notwendig, bei dem Wiederaufbau neue Prinzipien anzuwenden; der Merkantilismus ist als eine zeitgemäße Antwort auf diese Katastrophe anzusehen. I m ganzen wurde aber auch zwischen 1650 und 1750 weiterhin i n alter Weise gewirtschaftet. I m Vergleich m i t der stürmischen Dynamik i n den letzten 150 bis 200 Jahren erscheint das davorliegende halbe Jahrtausend allzu leicht als eine Zeit der Ruhe. Man muß sich aber klar machen, daß dies der Eindruck ist, den ein Beschauer gewinnt, der aus einer großen zeitlichen Entfernung auf diese Epoche zurückblickt. Die damals lebenden Menschen haben ihre Zeit wahrscheinlich dagegen als sehr unruhig und gefahrvoll empfunden. Man muß bedenken, wie schwer es i n der Mitte des 14. Jahrhunderts war, die Wirtschaft wieder i n Gang zu setzen, nachdem i n kurzer Zeit ein Drittel der Arbeitskräfte gestorben war; außerdem waren viele von denjenigen, die überlebt hatten, psychisch und physisch schwer geschädigt und hatten damit einen großen Teil ihrer Leistungsfähigkeit verloren. Nach dem Dreißigjähri11 Ploetz S. 312. " Desgl. S. 307.
I I . Material der Bevölkerungsstatistik zur Industriegeschichte
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gen Krieg war die Lage i n mancher Hinsicht noch schlimmer. M i t der Zerstörung der Städte und Dörfer waren auch die Werkstätten, Kontore und Kaufhallen m i t ihrem technischen Gerät untergegangen, und es fehlten daher bei dem Wiederaufbau zunächst die Sachmittel, die man dazu brauchte. Außerdem war i n den drei Jahrzehnten an vielen Orten nur noch in einer primitiven Weise eine Ausbildung des Nachwuchses möglich gewesen, und ein erheblicher Teil der jüngeren Bevölkerung besaß daher beim Friedensschluß überhaupt keine oder nur sehr geringe Fachkenntnisse. Die vorgelegten Zahlen zeigen, daß in Deutschland bis etwa 1750 die Bevölkerung so langsam zugenommen hat, daß keine Überschüsse entstanden sind, aus denen Arbeitsstätten moderner A r t , d.h. Mitteloder Großbetriebe, ihren Bedarf an Arbeitskräften hätten decken können. Der relativ schnelle Anstieg von 10 auf 15 Millionen in der Zeit von 1650 bis 1700 scheint dem zwar zu widersprechen. Er ist jedoch weitgehend auf die merkantil istische „Peuplierungspolitik" der Landesherren zurückzuführen, die i m großen Stile ausländische Einwanderer in ihre Gebiete holten, u m die Lücken auszufüllen. I m Zuge dieser Maßnahmen sind zwar Manufakturen entstanden, die bereits mehr den Charakter eines modernen Betriebes als denjenigen einer mittelalterlichen Werkstatt hatten; i m ganzen hat diese Einwanderung aber der Stärkung der Landwirtschaft gedient. Sie hat einen völlig anderen Charakter gehabt als die großen Bevölkerungsströme, die i m 19. Jahrhundert teils die Folge und teils auch die Ursache des Aufschwunges des Fabrikwesens gewesen sind. Bis etwa 1750 hat es i n Deutschland keinen Uberschuß an gesunden und leistungsfähigen Personen gegeben, der als Arbeitskraftreserve für den Aufbau von Betrieben zur Verfügung stand. Nach den verheerenden Seuchen und Kriegen hat es zwar viele Krüppel und andere Bettler gegeben, deren Versorgung ständig ein schwieriges Problem gewesen ist. Man hat dabei manchmal versucht, ihnen Beschäftigung i n Manufakturen zu geben; einige dieser Anstalten sind besonders für diesen Zweck eingerichtet worden 1 3 . Es besteht daher ein geringer Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein dieser sozialen Unterschicht und der Entstehung neuer betriebsähnlicher A r beitsstätten. Der ökonomische Erfolg dieser Einrichtungen ist jedoch so klein gewesen, daß von ihnen keine Impulse für die Entwicklung der Wirtschaft ausgegangen sind. Man muß außerdem bedenken, daß bis zum Ende des 18. Jahrhunderts für alle Stände der Gesellschaft Bestimmungen i n Kraft waren, die die Freizügigkeit einschränkten. Der Grad dieser Beschränkung war zwar verschieden und reichte von der absoluten Bindung an den 13 s. dazu Josef Kulischer, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, 2. Aufl., München 1958, Bd. 2, S. 148 ff.
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
Boden oder an das Gewerbe bis zu einer kaum noch als Last empfundenen Einschränkung des Entscheidungsspielraumes; prinzipiell war jedoch die gesamte ständische Gesellschaft eine gebundene Gesellschaft. Das Prinzip der persönlichen Mobilität, d. h. der freien Wahl des Berufes und der freien Wahl des Arbeitsplatzes, hatte i n diesem System keine Geltung; es ist erst am Beginn des 19. Jahrhunderts als Folge der grundsätzlichen Veränderung der Auffassung von der Stellung des einzelnen i n der Gesellschaft eingeführt worden. Vorher war es nur i n Sonderfällen sinnvoll, einen Betrieb zu gründen und danach darauf zu warten, daß sich Leute einstellten, die daran interessiert waren, i n i h m zu arbeiten. Dies widersprach dem Wirtschaftsstil der spätmittelalterlichen Epoche. 2. Die Entwicklung der Einwohnerzahlen der europäischen Städte vom 13. bis zum 18. Jahrhundert Gegen diesen Gedankengang kann der folgende Einwand erhoben werden. Die angegebenen Bevölkerungszahlen betreffen Deutschland i n seiner Gesamtheit und lassen daher die Möglichkeit offen, daß i n einzelnen Städten andere Bedingungen vorhanden gewesen sind, die i n der Gesamtstatistik nicht sichtbar werden. Es ist daher zu prüfen, ob an einigen Orten die Zusammensetzung der Einwohnerschaft so beschaffen gewesen ist, daß dort eine Gruppe von arbeitsfähigen Personen vorhanden gewesen ist, die als Arbeitskräfte für Betriebe infrage gekommen sind. Wenn dies der Fall war, dann konnte trotz der Richtigkeit der bisherigen Erwägungen frühzeitig an einigen Plätzen eine U m wandlung von handwerklichen Arbeitsstätten i n Betriebe einsetzen. Die Geschichte der sozialen Verhältnisse i n dem mittelalterlichen Handwerk zeigt, daß manchmal nicht alle Gesellen bei den zu den Zünften gehörenden Meistern eine Beschäftigung finden konnten und daß einige von ihnen lebenslänglich Gesellen bleiben mußten, weil es ihnen nicht gelang, Meister zu werden, da deren Zahl fest begrenzt war. So ist es zu der Entstehung von „Gesellenbruderschaften" gekommen, deren Mitglieder darauf eingestellt gewesen sind, den Arbeitsort zu wechseln, wenn i n einer anderen Stadt günstigere Beschäftigungsbedingungen gewesen sind 1 4 . Dieser Entwicklung entsprach auf der Seite der Meister die immer wieder zu beobachtende Tendenz, sich über die Vorschriften hinwegzusetzen, die Höchstzahlen der für eine Werkstatt zugelassenen Gesellen und Lehrlinge festlegten. Man muß sich aber davor hüten, die Bedeutung dieser Vorkommnisse zu überschätzen. Dies kann sehr leicht geschehen, wenn man überhaupt die Wichtigkeit der Stadt i n der
14 s. dazu Kulischer, Bd. 2, S. 99 bis 194; ferner Friedrich Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Berlin 1952, S. 182 bis 186.
I I . Material der Bevölkerungsstatistik zur Industriegeschichte
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Gesellschaft des Mittelalters und der Zeit bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zu hoch bewertet. U m zu einer realistischen Beurteilung der Verhältnisse zu gelangen, ist es daher notwendig, sich kurz m i t der Geschichte des Städtewesens zu befassen 15 . „ I m wesentlichen ist die Periode der Städtegründungen für den deutschen Siedlungsraum zu Beginn des 15. Jahrhunderts abgeschlossen. Tabelle 2 Die Zahl der Städte in Deutschland vom 11. - 15. Jahrhundert im im im im
11. Jahrhundert 12. Jahrhundert 13. Jahrhundert 15. Jahrhundert
140 250 2 000 und mehr 3 000
Während des Spätmittelalters w i r d m i t rund 3 000 Städten eine Höchstzahl erreicht, die i n den folgenden Jahrhunderten zunächst nicht überschritten wird. Die Einwohnerzahl dieser Städte w i r d auf 1,25 bis 1,75 Millionen geschätzt ( = 1 0 - 1 5 % der Bevölkerung). Die deutschen Städte des 15. Jahrhunderts verteilen sich auf folgende Größenklassen: Tabelle 3 Die Verteilung der deutschen Städte auf Größenklassen im 15. Jahrhundert Einwohnerzahl
Anzahl der Städte
unter 500 500 - 1 000 1 000 - 2 000 2 000 - 10 000 10 000 und mehr
2 450 ( = über 80%) 350 150 15 - 20 („Mittelstädte") 12 - 15 („Großstädte")
Z u den Großstädten des 15. Jahrhunderts gehören: K ö l n (über 30 000), Nürnberg (22 000), Danzig (22 800), Lübeck (22 300), Hamburg (22 000), Straßburg (20 700), U l m (20 000), Augsburg (18 300), Braunschweig (15 000 - 17 000), Breslau (14 000 - 15 000), Rostock (14 000), Frankfurt a.M. (10 000)." Man kann unterstellen, daß diese Einwohnerzahlen bis zu dem Ende des 18. Jahrhunderts nur sehr langsam gestiegen sind. Hamburg erreichte als erste von den oben genannten Großstädten i m Jahre 1792 zwar die Summe von 100 000 Einwohnern; Köln, das i n der obigen 16 Ploetz S. 55. — Das Zitat umfaßt den Text von „Im wesentlichen . . . " bis „Frankfurt (10 000)".
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
Aufstellung an der Spitze steht, hatte i m Jahre 1799 jedoch erst 40 000 Einwohner. Die i m Mittelalter bedeutungslose Stadt Berlin hatte jedoch alle deutschen Städte überflügelt und 1792 die Einwohnerzahl 150 000 erlangt 1 6 . Aus diesem Zahlenmaterial ergibt sich, daß eine große Zahl von Orten zwar das Stadtrecht erhalten hatte, dann aber so klein geblieben war, daß es sich dabei faktisch nur um Dörfer handelte. Manche hatten insofern einen gewissen städtischen Charakter, als dort die Handwerker wohnten, auf die die i n der Umgebung ansässigen Bauern angewiesen waren; sie waren zugleich oft auch Orte, an denen Märkte für die in einem nahen Umkreis wohnende Bevölkerung abgehalten wurden. I n den vielen Städten m i t weniger als 500 Einwohnern waren bestimmt keine Voraussetzungen für eine Ausweitung der Werkstätten der Handwerker zu Manufakturen gegeben. Das gleiche gilt auch für die 500 Städte zwischen 500 und 2 000 Einwohnern. Nur sehr wenige von ihnen stellten Spezialgüter für einen räumlich weiter ausgedehnten M a r k t her, und in diesen konnte i n einigen Fällen die Absatzsteigerung eine Vergrößerung der Werkstätten herbeiführen. Ein intensives W i r t schaftsleben herrschte nur i n den wenigen „Groß"städten und i n gerinr gerem Umfange i n den ebenfalls nur wenigen „ M i t t e l s t ä d t e n . Die Einwohnerzahlen der deutschen Städte i n der Zeit vor 1800 werden meistens überschätzt, und es ist zweckmäßig, sich klar zu machen, daß i n ihrer Blütezeit Nürnberg nur 22 000 und Frankfurt nur 10 000 Einwohner hatten. Ihre Bedeutung, als Handelsplätze und als Zentren der politischen und ökonomischen Macht war zwar größer, als diese Zahlen zu besagen scheinen. Wenn man jedoch die Frage stellt, ob bei diesen Einwohnerzahlen bereits die Voraussetzung für die Entstehung von Betrieben m i t großen Belegschaftszahlen gegeben war, so muß man sie verneinen. Als Ergebnis dieser Darlegungen ist daher festzustellen, daß die Bevölkerung von Deutschland i n der Zeit von 1200 bis 1750 nur sehr langsam gewachsen ist, so daß keine Zunahme erfolgt ist, die andere Methoden der gewerblichen Produktion als die bisherigen notwendig gemacht hat. Ferner ergibt sich aus den Zahlen, daß i n jener Epoche die deutschen Städte bis auf wenige Ausnahmen so klein waren, daß von ihnen keine Impulse für die Veränderung der wirtschaftlichen Verfahren ausgehen konnten. Es ist in diesem Zusammenhang aber wichtig, einen Blick auf das Städtewesen i n Italien, Frankreich und England zu werfen, denn i n diesen Ländern waren die Verhältnisse wesentlich anders.
ie Ploetz S. 65 - 66.
I I . Material der Bevölkerungsstatistik zur Industriegeschichte
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Tabelle 4 Die Entwicklung der Einwohnerzahlen von Städten in Italien (in Tausend)" 13.Jh. Venedig Bologna Florenz Rom Neapel Palermo
— —
25 - 3 0 35 25 - 3 0 50
16. Jh.
14. Jh.
15. Jh.
110 40 55 25-30
90 165 55 40-54 35 150
— —
—
169 62 60 45 275 80
17. Jh. 116-124 59 64 102 186 100
18. Jh. 135 69 74 156 305 118
Tabelle 5 Die Einwohnerzahlen von Paris im Mittelalter und in der Neuzeit (in Tausend) 18
1292 1330 1590 1637 1789
216 250 - 275 200 412 - 415 524 - 600
Tabelle 6 Die Einwohnerzahlen von London im Mittelalter und in der Neuzeit (in Tausend)!» 1086 1377 1545 1582 1700
18 35 80 120 674 in der Stadtregion, davon 200 in der City
Noch eindrucksvoller ist die folgende Ubersicht, die die Entwicklung der europäischen Städte zwischen 1300 und 1800 zeigt. Die Tabellen zeigen, daß Paris sowohl i m Mittelalter als auch i n der Neuzeit an der Spitze gestanden hat und erst nach 1700 von London überholt worden ist. Vor allem besagen die Tabellen aber, daß i n Südund Westeuropa bereits jahrhundertelang Großstädte m i t mehr als 100 000 Einwohnern vorhanden waren, als die deutschen Städte i m Vergleich m i t ihnen noch kleine Mittelstädte waren; Wien kommt erst i n der vorletzten und Berlin erst i n der letzten Reihe vor. Dies w i r d noch deutlicher, wenn man der Tabelle 7 eine Aufstellung der wichtigeren mitteleuropäischen Städte i m Jahre 1790 gegenüberstellt. 17 Ploetz S. 50. ι» Ploetz S. 37. i» Ploetz S. 24.
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
Tabelle 7 Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern2» um 1300
um 1400
um 1500
um 1600
um 1700
um 1800 850 000 London
mehr als 400 000 London Paris
Paris Neapel
mehr als 200 000 Paris Neapel
Neapel
Wien Amsterdam
Amsterdam Rom Venedig Mailand Madrid Wien Sevilla Lissabon Palermo
Madrid Lissabon Dublin Rom Berlin Venedig Palermo Mailand Barcelona Lyon Marseille
mehr als 100 000 Paris Neapel
Paris Neapel Venedig Mailand
Paris Neapel
London Mailand Venedig Lissabon Rom Amsterdam Palermo Messina Sevilla Anvers
Tabelle 8 Die wichtigeren mitteleuropäischen Städte 179021 mehr als 50 000
30 - 50 000
20 - 30 000
um 20 000 Einw.
Berlin Breslau Dresden Hamburg Königsberg Prag Wien
Augsburg Danzig Frankfurt Köln Leipzig München Nürnberg Stuttgart
Aachen Braunschweig Bremen Brünn Genf Graz Lübeck Magdeburg Mainz Mannheim Potsdam
Basel Bern Elberfeld Elbing Erfurt Halle a. d. S. Hannover Kassel Regensburg Stettin Triest Zürich
150 60 62 85 55 75 220
20 Mols, Bd. 2, S. 47. si Mols S. 512.
I I . Material der Bevölkerungsstatistik zur Industriegeschichte
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Wenn man die Tabellen 4 bis 8 genau betrachtet und dabei besonders die beiden letzten vergleicht, dann kommt man zu einem Ergebnis, das den deutschen Fachmann sehr nachdenklich stimmen muß. Die Zahlen sagen aus, daß zwischen Deutschland bzw. Mitteleuropa auf der einen Seite und Süd- und Westeuropa auf der anderen i m Mittelalter und weiter bis zum 18. Jahrhundert ein großer Unterschied bestanden hat. I m internationalen Vergleich hat Deutschland damals weit hinter dem Süden und Westen Europas zurück gestanden, denn es hat zu einer Zeit, als dort der Typ der Großstadt bereits weit verbreitet gewesen ist, nur Mittel- und Kleinstädte besessen. Diese Tatsache hat eine weit über das Quantitative hinausgehende Bedeutung, denn sie ist ein Indiz dafür, daß i n Süd- und Westeuropa bereits ein Ubergang zu einem neuen K u l t u r - und Wirtschaftsstil stattgefunden hatte, als in Deutschland das Leben im wesentlichen noch in der alten Weise weiterging. Wenn man den Ursachen der Tatsachen nachgeht, die durch diese Tabellen veranschaulicht werden, dann ergibt sich das folgende Bild. Italien ist als das Kerngebiet des alten Römischen Reiches seit der Antike ein Land m i t einer hoch entwickelten städtischen Kultur, und das Gleiche gilt in einem etwas abgeschwächten Grad auch für Frankreich und große Teile Spaniens. Dagegen hat sich i n Deutschland nur i n den Gebieten am Rhein und an der Donau bereits während der Antike eine städtische K u l t u r entfalten können, während die Gebiete außerhalb des Limes erst rund 500 Jahre später i n den Bereich der europäischen K u l t u r einbezogen worden sind. Ferner zeigt sich, daß die meisten der frühen Großstädte Mittelmeerhäfen sind, zu denen später Atlantikhäfen (einschließlich London) gekommen sind. Mailand, Paris, Wien, Madrid und erst sehr spät Berlin sind die wenigen Großstädte, die i m Binnenland entstanden sind. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß Paris, Madrid, London und Wien ihren schnellen Aufstieg vor allem der Tatsache verdanken, daß sie frühzeitig die politischen, geistigen und m i l i tärischen Zentren von Großmächten geworden sind. Bis zum 18. Jahrhundert hat es aber in Deutschland keinen Zentralplatz dieser A r t gegeben; Berlin ist erst später ein solches Machtzentrum geworden. Um das Bild zu vervollständigen, ist noch darauf hinzuweisen, daß i n den oberdeutschen Städten wie Augsburg und U l m eine Stagnation in dem Maße eintrat, als der Handel m i t Venedig, Mailand und den anderen norditalienischen Städten zurückging, weil sich das wirtschaftliche Schwergewicht in Europa von dem Mittelmeerraum nach dem atlantischen Raum verlagerte. Ferner ist noch einmal auf die verhängnisvolle Wirkung des Dreißigjährigen Krieges aufmerksam zu machen, denn er hat verhindert, daß Deutschland an dem wirtschaftlichen A u f schwung teilnehmen konnte, der damals i n Westeuropa und England erfolgt ist.
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
3. Die Bedeutung der dargelegten Zahlen für die Geschichte des Betriebes Es ist i n dieser Untersuchung nicht möglich, die neuere Geschichte des europäischen Städtewesens eingehender unter dem Aspekt zu betrachten, wie i n den einzelnen Ländern die Ausgangsbedingungen für die Entstehung des Industrialismus beschaffen gewesen sind, denn dieses Vorhaben würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die vorgelegten Tabellen reichen aber aus, u m sichtbar zu machen, daß die Voraussetzungen für den Übergang von der spätmittelalterlichen Wirtschaftsweise zu der industriellen i n den einzelnen Regionen Europas sehr verschieden gewesen sind 2 2 . Er hat daher nicht überall zu der gleichen Zeit und nicht in der gleichen A r t stattgefunden. Das bedeutet aber auch, daß die neue Wirtschaftseinheit Betrieb nicht gleichzeitig und nicht i n denselben Formen entstanden ist. Es wäre deshalb eine reizvolle Forschungsaufgabe, die Geschichte der Entstehung des Betriebes i n den einzelnen europäischen Ländern bzw. Regionen zu untersuchen und diese Teilvorgänge miteinander zu vergleichen, so daß daraus die Geschichte des europäischen Industrialismus sichtbar wird. Leider ist diese Arbeit noch nicht geleistet worden. Die bisherigen historischen Darstellungen sind nicht differenziert genug, um sowohl einen genauen Einblick i n die regionalen Teilvorgänge als auch eine Vorstellung von dem Zusammenwachsen der verschiedenen europäischen Industrielandschaften zu der heute bestehenden Verflochtenheit und damit zu jener Einheit zu erhalten, die die Schaffung der europäischen W i r t schaftsgemeinschaft gerechtfertigt hat. Die Aufarbeitung des für die Geschichte des Betriebes wesentlichen wirtschaftshistorischen Materials ist bisher nur i n unzureichender Weise erfolgt. Dies ist ein Zustand, der verhindert, daß die Betriebspädagogik die historischen Hintergründe ihrer Probleme schon i n einer befriedigenden Weise analysieren kann. Aus dem vorgelegten Material ergibt sich aber auf jeden Fall, daß die Ausgangsbedingungen für den Ubergang von dem spätmittelalterlichen zu dem industriellen Wirtschaftsstil i n den einzelnen Teilen Europas sehr verschieden gewesen sind. Es ist für Mitteleuropa i m Vergleich m i t Süd- und Westeuropa ein erheblicher Nachteil gewesen, daß die Gesamtzahl seiner Bevölkerung am Ende des 18. Jahrhunderts zu klein gewesen ist, u m die entstehenden industriellen Betriebe ausreichend mit Arbeitskräften versorgen zu können. Vor allem hat sich negativ ausgew i r k t , daß in diesem Gebiet nur wenige größere Städte vorhanden ge22 Die im Osten und Südosten Europas gelegenen Regionen werden bei diesen Überlegungen unberücksichtigt gelassen, weil deren Geschichte von anderen Kräften bestimmt worden ist als die Geschichte von Mittel-, Westund Südeuropa.
I I Material der Bevölkerungsstatistik zur Industriegeschichte
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wesen sind, die die Funktion von Sammelbecken von Arbeitskräften für die Industrie erfüllen konnten. Es ist für den deutschen Industrialismus von Anfang an schwer gewesen, die genügende Zahl von Arbeitskräften zu bekommen, und er ist daher immer dazu gezwungen gewesen, die Betriebe m i t „Fremden" aufzufüllen. Dies ist eine für die Geschichte des deutschen Betriebes sehr wichtige Tatsache, die man kennen muß, wenn man verstehen w i l l , vor welchen Problemen die Betriebspädagogik in Deutschland gestanden hat und steht. 4. Statistisches Material über die Arbeitskräfte im Handwerk und in den Fabriken am Beginn des 19. Jahrhunderts Die i n Deutschland vorhandene Lage führte dazu, daß der Aufbau der Betriebe in einem sehr hohen Maße m i t Menschen erfolgen mußte, die nicht i n den Traditionen der spätmittelalterlichen Stadtkultur verwurzelt waren. Die Zahl der durch den Geist des zünftigen Handwerks geprägten Menschen war am Beginn des 19. Jahrhunderts nicht groß genug, um die entstehenden Fabriken m i t Arbeitskräften zu füllen und damit deren innere Struktur irn Sinne der handwerklichen Tradition zu beeinflussen. I m Jahre 1802 gab es in Preußen nach der amtlichen Statistik 300 000 bis 350 00Ó Handwerksmeister und 110 000 bis 115 000 Gesellen und Lehrlinge, zusammen rund 450 000; zur gleichen Zeit waren i n den Fabriken 160 000 bis 165 000 Arbeiter tätig 2 3 . Die Zahl der i m Handwerk beschäftigten Personen war also fast dreimal so groß wie diejenige der Fabrikarbeiter. I n der Mitte des Jahrhunderts war die Relation folgendermaßen. Die amtliche preußische Statistik gab für 1852 die Zahl der handwerklichen Meister, Gesellen und Lehrlinge m i t 998 801 an, diejenige der Fabrikarbeiter m i t 617 720 2 3 a . Die Arbeitskräfte i n den Fabriken machten also nicht mehr nur ein Drittel, sondern bereits zwei Drittel der handwerklichen aus. I n diesem halben Jahrhundert hat sich m i t h i n die Zahl der Handwerker verdoppelt, diejenige der Fabrikarbeiter verdreifacht. I m Gegensatz zu der oft geäußerten Ansicht, daß die Entstehung der Industrie die Existenzgrundlage des Handwerks bedroht habe, zeigen die Zahlen, daß dies nicht der Fall gewesen ist. Es ist allerdings eine Umstrukturierung der Wirtschaft erfolgt, unter der manche Handwerkszweige gelitten haben; i m ganzen 23 Siehe dazu die Arbeit des Verfassers „Der Strukturwandel im Handwerk in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts", S. 29 ff. Die Zahlen entstammen dem darin genannten Werk von Krug. Es kommt bei ihnen wie bei den später genannten weniger auf die absoluten Beträge als auf die Relationen an. 23a Strukturwandel S. 77 und 101. Diese Zahlen stammen aus den „Tabellen und amtlichen Nachrichten über den preußischen Staat", B d . V (Berlin 1854) und Bd. V I Β (Berlin 1855). Es ist zu beachten, daß der preußische Staat um 1850 ζ. T. andere Gebiete umfaßte als 1802. Er hatte im Osten agrarische Provinzen an Rußland abgetreten und dafür in Mittel- und Westdeutschland Gebiete mit einem höheren Stand der wirtschaftlichen Entwicklung erhalten.
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
hat das Handwerk in dieser Periode jedoch einen Aufschwung genommen. Es müssen dabei von ihm auch bisher handwerksfremde Kräfte als Gesellen eingestellt worden sein, denn es ist unmöglich, daß das Handwerk in diesen Jahrzehnten so viele Lehrlinge ausgebildet hat, daß dadurch der Bedarf an Gesellen gedeckt worden ist. Vor allem ergibt sich aus diesen Zahlen aber, daß die Fabrikarbeiter nur i n einem geringen Umfange aus dem Handwerk gekommen sein können. Der Bereich des Handwerks und derjenige der Industrie sind damals ebensowenig wie heute durch scharfe Grenzen getrennt gewesen, und es hat daher sicher ein Hinüberwechseln von dem einen zu dem anderen stattgefunden. Es ist außerdem wahrscheinlich, daß manchem gut ausgebildeten Handwerker von einer Fabrik gute Aufstiegsmöglichkeiten geboten worden sind und daß er diese ausgenutzt hat. Die weitaus überwiegende Masse der Fabrikarbeiter hat aber m i t Sicherheit nicht aus dem Handwerk gestammt. Es muß außerdem daran gedacht werden, daß wahrscheinlich die meisten Unternehmer keine innere Beziehung zu dem Handwerk besaßen. Auch wenn sie den Ausbildungsweg von der Lehrzeit über die Gesellenzeit zu der Meisterprüfung durchlaufen hatten, sahen sie später i n vielen Fällen die Wertvorstellungen und Gewohnheiten des Handwerks als Reste einer vergangenen Welt an, der sie entwachsen waren und die ihnen daher nichts mehr bedeutete; dies zeigen Biographien aus jener Zeit. Außerdem nahm ständig die Zahl derjenigen Unternehmer zu, die ihre Fachkenntnisse i n Hochschulen oder Fachschulen erworben hatten und daher von vornherein dem Handwerk fremd gegenüberstanden. Es gibt daher mehrere Gründe dafür, daß i n der Aufbauphase des Industrialismus sowohl die Führungskräfte als auch die Masse der Arbeiter und Angestellten Menschen waren, die kein Interesse daran hatten, bei der Gestaltung des Innenlebens der Betriebe an handwerkliche Traditionen anzuknüpfen. Dies w i r k t bis heute nach. Es zeigt sich beispielsweise darin, daß der handwerkliche Ausdruck Geselle nicht i n den Bereich der Fabrik übernommen worden ist; dort w i r d dafür die Bezeichnung Facharbeiter gebraucht. 5. Die Entwicklung der Einwohnerzahlen in den deutschen Städten im 19. und 20. Jahrhundert Es ist für das Verständnis der Zusammenhänge wichtig, sich die sehr erhebliche Zunahme der Bevölkerung i m 19. und 20. Jahrhundert zu vergegenwärtigen. I n der folgenden Tabelle 9 2 4 w i r d zunächst der A n stieg der Gesamtzahl der Einwohnerzahl Deutschlands veranschaulicht. 24 Quellen: für 1816 und 1855 Ploetz S. 160; für 1871 und 1910 S. 219; für 1910 und 1925 S. 297; für 1939 S. 307.
I I . Material der Bevölkerungsstatistik zur Industriegeschichte
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Dabei ist zu beachten, daß die ersten vier Zahlen (1816, 1855, 1871 und 1910) für das Reichsgebiet von 1871 gelten und daß die folgenden drei Zahlen (noch einmal 1910, ferner 1925 und 1939) für das Reichsgebiet von 1925 (einschließlich Saargebiet) errechnet worden sind. Tabelle 9 Die Bevölkerungszunahme in Deutschland von 1816 bis 1939 1816 1855 1871 1910
23 552 000 34 565 000 41 059 000 64 926 000
im im im im
Reichsgebiet Reichsgebiet Reichsgebiet Reichsgebiet
von von von von
1871 1871 1871 1871
1910 1925 1939
58 451 000 63 181 000 69 310 000
im Reichsgebiet von 1925 i m Reichsgebiet von 1925 im Reichsgebiet von 1925
Für die Beurteilung der durch die Industrialisierung verursachten Probleme ist aber die Entwicklung der Städte besonders wichtig, denn die Dynamik dieses Prozesses w i r d noch stärker als durch die allgemeine Bevölkerungszunahme durch das rapide Wachstum der Städte veranschaulicht. Dies zeigt die folgende Tabelle 10 25 . Tabelle 10 Das Wachstum der deutschen Industriestädte von 1800 bis 1910 (in Tausend)
Berlin Hamburg München Leipzig Dresden Köln Breslau Frankfurt a. M. Düsseldorf 27 Nürnberg Hannover 2 8 Essen Chemnitz 29 Stuttgart 2 7 Magdeburg 25
1800
1850
1880
1900
1910
172 130 30 40 60 50 60 48 20 30 17 5 14 21 36
419 132 110 63 97 97 114 65 27 54 29 9 32 48 72
1122 290 230 149 221 145 273 107 95 100 123 57 95 117 98
1889 706 500 456 396 373 423 289 214 261 236 119 207 177 230
2071 26 932 595 588 547 516 512 415 358 333 302 295 287 286 280
Ploetz S. 161, 162 u. 225; Städte mit mehr als 250 000 Einwohnern 1910. 6 Mit Vororten 3 730. 27 Lt. Brief des Deutschen Städtetages in Köln vom 13.4. 76. 28 I m Jahre 1809 lt. Brief des Deutschen Städtetages. 29 I m Jahre 1815 lt. Brief des Verbandes Deutscher Städtestatistiker in Köln vom 15.4.1976. 2
5 Abraham
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
Als Ergänzung der vorhergehenden Tabelle w i r d außerdem eine Aufstellung mitgeteilt, die das Wachstum deutscher Städte i n der Zeit von 1925 bis 1939 zeigt 30 . Tabelle 11 Das Wachstum deutscher Großstädte von 1925 bis 1939
Berlin Hamburg München Köln Leipzig Essen Dresden Breslau Frankfurt a. M. Düsseldorf Dortmund 3 2
1925
1930
1939
4024 1079 685 700 685 630 625 600 540 465 525
4333 1147 730 740 718 649 633 617 541 476 535
4339 171281 82951 772 707 667 630 630 553 54281 541
Diese Aufstellungen sind sehr anschaulich, denn sie zeigen den wahrhaft ungeheuren Anstieg der Bevölkerungszahlen der deutschen I n dustriestädte. Sie haben allerdings den Mangel, daß sie nicht erkennen lassen, inwieweit die Zunahme der Einwohnerzahlen durch die Eingemeindungen benachbarter Orte bewirkt worden sind. So müßte beispielsweise bei Essen den für das letzte Jahrhundert angegebenen Zahlen die Summe der Einwohner gegenübergestellt werden, die 1800 nicht nur i n der Stadt, sondern auch i n den umliegenden und später eingemeindeten Dörfern und auf dem Gebiet der ebenfalls eingemeindeten, i m Jahre 800 gegründeten Reichsabtei Werden gewohnt haben. Diese Zahl ist nicht bekannt. Selbst wenn sie so hoch gewesen sein sollte, daß für das Essener Gesamtgebiet nicht 5 000, sondern 10 000 Einwohner als Bestand i m Jahre 1800 angesetzt werden müßten, dann würde das an dem Gesamtbild nichts ändern. Es bleibt auch dann die Tatsache bestehen, daß die Essener Industriebetriebe nur deswegen aufgebaut werden konnten, weil die Stadt einen riesigen Zuzug von Fremden erlebt hat. Essen ist zwar eine sehr alte Stadt, deren Geschichte eng m i t dem dortigen, 852 gegründeten und von 947 bis zur Säkularisation 1803 reichsunmittelbaren Frauenstift verbunden gewesen ist, und das Handwerk hat i n ihr während dieser 1 000 Jahre ein hohes Niveau besessen. Es wäre aber doch eine Illusion, wenn man meinen 3° Ploetz S. 301; Städte, die 1939 mehr als 500 000 Einwohner hatten. 31 Eingemeindungen; leider enthält die Quelle keine Angaben. 32 Dortmund ist in der vorhergehenden Tabelle 10 nicht enthalten, da es 1910 weniger als 250 000 Einwohner hatte (im Jahre 1900: 142 700).
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würde, daß diese Tradition einen Einfluß auf die innere Struktur der Betriebe i m Essener Raum ausgeübt hat und ausübt. Es ist realistischer, wenn man annimmt, daß es für den Aufbau der Industrie i n Essen belanglos gewesen ist, daß diese Stadt früher einmal ein Zentrum des religiösen Lebens und der Handwerkskultur gewesen ist. Essen ist ein besonders krasser Fall der Entwicklung eines kleinen Ortes des rheinisch-westfälischen Industriegebietes zu einem Industriezentrum von europäischer Bedeutung. Diese Stadt ist repräsentativ für das Ruhrgebiet. Dort hat der Industrialismus i m Laufe von 100 Jahren die Landschaft völlig verändert und aus alten Kleinstädten und Dörfern ein fast lückenlos zusammenhängendes Siedlungsgebiet gemacht, dessen Bewohner nur zu einem geringen Teil von den Menschen abstammen, die u m 1800 dort ansässig gewesen sind. Die Vorfahren der heute zwischen Düsseldorf, Duisburg und Dortmund lebenden Deutschen sind aus sehr verschiedenen deutschen und ausländischen Gebieten gekommen; ein großer Teil von ihnen ist aus dem östlichen Teil Mitteleuropas eingewandert und ist polnischer oder anderer slawischer Herkunft. Der Zuzug aus Italien, Frankreich, Belgien, Holland und Luxemburg ist i m Vergleich m i t dem Zuzug aus Ostgebieten klein gewesen. Es ist nicht erforderlich, i n dieser Untersuchung genauer die großen Wanderungsströme zu behandeln, durch die das Ruhrgebiet m i t Menschen gefüllt worden ist, denn es gibt darüber eine umfangreiche Literatur. Hier geht es vielmehr u m folgendes. Die nach Essen, Dortmund oder Duisburg zugezogenen Fremden hatten keine Beziehungen zu ihrer neuen Heimat und kannten die Sitten und Gebräuche der dort ansässigen Einwohner nicht. Sie beherrschten oft die deutsche Sprache nur unzureichend und verwendeten untereinander auch weiterh i n lieber ihre Muttersprachen. I n manchen Orten des Ruhrgebietes wurde bis etwa 1920 noch i n einem hohen Maße polnisch gesprochen, und man kann das slawische Element heute noch an den dort gebräuchlichen Namen erkennen. Die hohe geistige und körperliche Leistungsfähigkeit der heutigen Bewohner des Ruhrgebietes und ihre besondere Qualifikation für industrielle Arbeit ist offensichtlich eine Folge dieser Vermengung sehr verschiedener Volksgruppen. A u f der anderen Seite muß aber auch gesehen werden, daß die Mentalität dieser Menschen wesentlich anders beschaffen war als die von westfälischen oder rheinischen Handwerkern und Bauern. Wer sie ansprechen wollte, mußte daher anders vorgehen als bei dem Umgang m i t der alteingesessenen Bevölkerung. Es gab aber keine Vorbilder für die Lösung der Aufgabe, das stundenlange Zusammensein von Menschen m i t verschiedener Herkunft, verschiedener Sprache, verschiedenen Sitten und oft auch verschiedener Religion i n einem Betriebe i n vernünftiger Weise so zu ordnen, daß einerseits produktive Arbeit geleistet wurde und daß 5*
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andererseits ein Mindestmaß an Zufriedenheit erreicht wurde. Dies war eine sehr schwere Aufgabe, und man darf sich nicht darüber wundern, daß sich drei bis vier Generationen darum bemühen mußten, bis befriedigende Ergebnisse erzielt wurden. Man muß i m Gegenteil anerkennen, daß es der Wirtschaft doch relativ schnell gelungen ist, einen neuen Stil des Zusammenlebens i m Betrieb zu entwickeln, der von der Mehrheit der Bevölkerung bejaht worden ist. Die Zunahme der Einwohnerzahl von Essen von 5 000 bzw. 10 000 i m Jahre 1800 auf 667 000 Einwohner i m Jahre 1939 ist ein Extremfall, der auf der besonders intensiven industriellen Entwicklung i m rheinischwestfälischen Industriegebiet beruht. Die außerhalb dieses Gebietes gelegenen Großstädte zeigen jedoch auch Steigerungen, die sehr beträchtlich sind. Sie sind von 1800 bis 1939 i n der Regel auf das Zehnfache des Anfangsbestandes angewachsen; bei Berlin, Hamburg und München liegen außerdem darüber hinausgehende Sonderentwicklungen vor. Es ist daher berechtigt zu sagen, daß i n den deutschen Großstädten i m Jahre 1939 Menschen lebten, die nur relativ selten m i t den Einwohnern verwandt waren, die am Beginn der industriellen Epoche dort ansässig waren. Es hat sich bei den Zugezogenen teilweise um Menschen gehandelt, die aus den deutschen Mittelgebirgslandschaften (ζ. B. Eifel, Siegerland, schwäbisch-fränkischer Jura, Bayerischer Wald, schlesische Mittelgebirge) abgewandert waren, weil dort die Erwerbsmöglichkeiten schlechter geworden waren. Die Verarmung der bisher i n Heimarbeit tätigen Leineweber infolge des Strukturwandels der Textilwirtschaft ist ein oft angeführtes Beispiel für solche Vorgänge. Eine weitere Ursache von erheblicher Bedeutung ist die Tatsache gewesen, daß die m i t der Bauernbefreiung verbundene neue Regelung der Eigentumsverhältnisse i n den Dörfern viele der neuen Kleinbauern i n eine so schlechte wirtschaftliche Lage gebracht hat, daß es für sie ein hoffnungsvoller Ausweg gewesen ist, i n eine Stadt zu ziehen und dort Arbeit i n einer Fabrik zu suchen. Die Großstädte sind i m 19. Jahrhundert ganz allgemein vielen Menschen als Zufluchtsorte erschienen, wo es für die breite Masse der wenig besitzenden Unterschicht nicht nur die Möglichkeit des ausreichenden Broterwerbs, sondern auch die Chance des sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs gab. Diejenigen deutschen Städte, die in der Zeit von 1800 bis 1914 den zahlenmäßigen Aufstieg von einer Klein- oder Mittelstadt zu einer Großstadt durchgemacht haben, haben damit zugleich einen radikalen soziologischen Strukturwandel erfahren. Auch dann, wenn die zugezogenen neuen Einwohner Deutsche waren, handelte es sich doch meistens u m die Angehörigen von sozialen Gruppen, die sich tiefgehend von der alteingesessenen Bevölkerung unterschieden. Neben den alten Stadtkernen sind Arbeiterviertel m i t den für das 19. Jahrhundert typischen Miets-
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kasernen entstanden. Zur gleichen Zeit hat sich die neue industrielle Mittel- und Oberschicht ebenfalls neue Wohnbezirke außerhalb der alten Stadt geschaffen. Während des 19. Jahrhunderts hat sich daher i n den deutschen Großstädten eine Sozialstruktur entwickelt, die völlig anders beschaffen ist als diejenige der deutschen Städte des Mittelalters und der daran anschließenden Epoche der Neuzeit. Durch die beiden Weltkriege ist diese Entwicklung befördert und beschleunigt worden. Es hat besonders als Folge des zweiten Krieges eine starke Umschichtung der gesellschaftlichen Gruppen stattgefunden, und die Integrierung der ostdeutschen Flüchtlinge i n die westdeutsche Gesellschaft hat außerdem die Zusammensetzung der Bevölkerung zusätzlich verändert. Da dies allgemein bekannte Tatsachen sind, ist es nicht notwendig, hier ausführlicher darüber zu sprechen. Der Verlauf der deutschen Geschichte hat bewirkt, daß die jetzt i n den Städten lebenden Menschen nur i n einem geringen Umfange die Nachkommen der früheren Einwohner dieser Orte sind und daß sie sich daher m i t jenen kaum noch irgendwie verbunden fühlen. Auf dem Lande und in den Kleinstädten ist die Lage teilweise etwas anders, und es gibt Bauern- und Handwerkerfamilien m i t einem lebendigen Bewußtsein der Verbundenheit m i t den Vorfahren. Es ist aber fraglich, ob dadurch das Gesamtbild sehr verändert wird. Man beschreibt die heute in Deutschland vorhandene Wirklichkeit doch wohl richtig, wenn man feststellt, daß zumindest i n den Industriegebieten die Mehrheit der Bevölkerung nur eine geringe innere Beziehung zu der geistigen und wirtschaftlichen Welt hat, die bis etwa 1800 in Deutschland bestanden hat. Sogar die Zeit u m das Jahr 1900 w i r d bereits als eine ferne Vergangenheit empfunden, von der man nur sehr wenig weiß und für die man sich kaum interessiert. Man würde sich daher einer weltfremden Illusion hingeben, wenn man annehmen würde, daß die pädagogische Arbeit i n den Betrieben von den Vorbildern des mittelalterlichen Handwerkeroder Kaufmannstums ausgehen könnte. Diese geistige Welt ist ebenso endgültig vergangen wie die mittelalterliche Gesellschaftsordnung und die mittelalterliche Arbeitstechnik. Die moderne Wirtschaft stand und steht vielmehr vor Erziehungs- und Bildungsaufgaben, die völlig neuartig waren und sind. I I I . Rechtshistorisches Material zur Geschichte des Betriebes 1. Die Bedeutung von Aussagen der Rechtsgeschichte für das Verständnis der Entstehungsgeschichte des Betriebes Die bisherigen historischen Überlegungen sind auf dem Material der Bevölkerungsstatistik aufgebaut worden. Wenn man die Statistik zu lesen versteht, dann erhält man durch sie eine Fülle von Einsichten
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i n den Ablauf des Kulturprozesses. Es muß aber beachtet werden, daß nicht alle Ereignisse irgendwie zu statistisch erfaßbaren Vorgängen führen und daß daher das von der Statistik beschriebene B i l d der Wirklichkeit stets i n wesentlichen Punkten unvollständig ist. Es muß daher durch anderes Material ergänzt werden. Dazu eignen sich besonders die Aussagen der Rechtsgeschichte. Wenn der Kulturprozeß i n einem Lebensgebiet zu erheblichen Veränderungen führt, dann ändert sich das i n i h m geltende Recht, freilich meistens m i t einer Verzögerung. Wer aus einem größeren zeitlichen Abstand auf eine Kulturepoche zurückblickt und dabei feststellt, daß das positiv geltende Recht modifiziert worden ist oder daß das bisherige Gewohnheitsrecht i n kodifiziertes Recht umgewandelt worden ist, der darf vermuten, daß diesen Gesetzgebungsakten Änderungen i n den entsprechenden Bezirken der Gesellschaft voraus gegangen sind. Er bekommt dadurch Hinweise auf Vorgänge, die er sonst vielleicht unbeachtet gelassen hätte. Wenn sich außerdem bei näherer Betrachtung zeigt, daß sich die Gesetzgebung von einem bestimmten Zeitpunkt ab nicht mehr nach den bisher geltenden Grundvorstellungen gerichtet und statt dessen neue Normen als Basis verwendet hat, dann ist daraus zu schließen, daß sich vorher große Wandlungen i n den Tiefenschichten der K u l t u r ereignet haben. Die Rechtsgeschichte ist i n dieser Weise ein Spiegel des Kulturprozesses. Es ist daher zweckmäßig, sie zu befragen, wenn man wissen w i l l , wie die Entwicklungen begonnen haben, die zu der Entstehung der modernen Lebensformen geführt haben. Der Betriebspädagoge ist auf das Material angewiesen, das i h m die Rechtshistoriker liefern. Für diese ist jedoch der Betrieb als Träger von Rechten und Pflichten der Erziehung bisher kein Objekt für historische Untersuchungen gewesen, und es gibt infolgedessen keine Forschungsberichte, die die Fragen des Betriebspädagogen direkt beantworten. Dieser muß daher nach Quellen suchen, die i h m indirekt Aufschlüsse geben. Wenn er dies tut, dann zeigt es sich, daß i n zwei verschiedenen Teilbereichen Material vorhanden ist, das weiter helfen kann, sofern es bereits aufbereitet ist. Der eine ist die Geschichte des juristischen Instrumentariums, das für die Gründung, die Führung und die Auflösung einer Unternehmung benötigt wird. I n der französischen Sprache w i r d die Aktiengesellschaft als „société anonyme" bezeichnet. Dieser Ausdruck t r i f f t sehr genau das Wesen des modernen Betriebes. Wenn man die Geschichte der société anonyme untersucht, dann w i r d man wahrscheinlich feststellen können, daß sich dieser Trend zur Anonymität i n dem Wandel von der früheren personalen Berufserziehung i n den spätmittelalterlichen Arbeitsstätten der Handwerker und Kaufleute zu der modernen sachbezogenen und damit weitgehend unpersönlichen Ausbildung i n den heutigen Betrieben zeigt. Dem Ver-
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fasser sind aber keine Untersuchungen bekannt, die solches Material zusammengestellt und aufbereitet haben. Dieser Mangel zwingt ihn dazu, auf die Behandlung dieses wichtigen Fragenkreises zu verzichten. 2. Betrachtung der Handwerksgesetze des alten Deutschen Reiches von 1672, 1731, 1771 und 1772 Der zweite rechtshistorische Bereich ist derjenige der rechtlichen Beziehungen zwischen den Personen, die zu einer Arbeitsstätte gehören. Wie bereits dargelegt wurde, waren die mittelalterlichen Arbeitsstätten keine selbständigen sozialen und rechtlichen Einheiten, sondern Teile von Großfamilien, die ihrerseits durch ihre Zugehörigkeit zu Zünften oder Gilden i n die ständische Ordnung der Gesellschaft eingefügt waren. Es gab daher i m Mittelalter und in der Neuzeit bis zum Ende der ständischen Ordnung kein Arbeitsrecht i m modernen Sinne. Vorschriften, die Fragen regelten, m i t denen sich das heutige Arbeitsrecht befaßt, basierten auf dem damaligen Familienrecht oder auf ständischem Recht. Das alte Deutsche Reich besaß die Gesetzgebungskompetenz für die allgemeinen Fragen des Handwerks und hat daher eine Reihe von Gesetzen erlassen, die vom rechtshistorischen Standpunkt aus äußerst interessant sind. Von dem 16. Jahrhundert ab w i r d die Behandlung des Handwerks i n der Reichsgesetzgebung vor allem durch das Bestreben bestimmt, „Mißbräuche" abzustellen. Damit w u r den manche Tatbestände gemeint, die auch heute als Mißbräuche angesehen werden, ζ. B. Körperverletzung bei der Bestrafung der Lehrlinge. Bei vielen der sogenannten Mißbräuche handelte es sich aber um Veränderungen i m Verhalten der Meister und der Gesellen, die eine Folge des allgemeinen geistigen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels waren. Sowohl bei den Meistern als auch bei den Gesellen entwickelte sich allmählich eine neue Mentalität, die sie veranlaßte, sich anders zu verhalten als bisher. Aus der Sicht der auf Bewahrung der bestehenden Ordnung bedachten kaiserlichen Juristen waren die neuen Handlungsweisen aber Mißbräuche, die nicht geduldet werden durften. Daher wurde die Handwerksgesetzgebung des Deutschen Reiches i m 17. und 18. Jahrhundert weitgehend von dem Motiv bestimmt, diese Mißbräuche abzustellen. Das infrage kommende Material ist von Hans Proesler i n seiner Schrift „Das gesamtdeutsche Handwerk i m Spiegel der Reichsgesetzgebung von 1530 bis 1806" 33 aufbereitet worden; er hat darin die i n diesem Zeitraum erlassenen einschlägigen Reichsgesetze ediert. Unter den Texten sind vor allem die folgenden vier wichtig: 1. Gutachten des Reichstages vom 3. I I I . 1672 „Project, was i n den 83 Nürnberger Abhandlungen zu den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Heft 5, Berlin 1954, 84 Seiten Abhandlung und 85 Seiten Texte der Dokumente.
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künfftigen Reichs-Abschied, wegen deren bey den Handwerckern eingerissenen Mißbräuche zu bringen seyn möchte". 2. Gutachten des Reichstages vom 14. I I I . 1731 „wegen der Handwercker-Mißbräuche". 3. Gutachten des Reichstages vom 15. V I I . 1771 „die Abstellung einiger Handwercksmißbräuche, insbesondere des sogenannten blauen Montags, betreffend". 4. „Kayserliches Commissions-Decret, wegen Ehrlichmachung der Abdekers-Kinder und genauer Beobachtung des Reichsschlusses von Handwercks-Mißbräuchen" vom 30. I V . 1772. I n diesen vier Gesetzen spiegelt sich die Veränderung der handwerklichen Welt i n dem sowohl für die Erziehungsgeschichte als auch für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte sehr wichtigen Jahrhundert zwischen 1672 und 1771 wider. Es ist sehr interessant, daß sich i n dem Gesetz von 1672 eine Bestimmung findet, die zeigt, daß die patriarchalische Einordnung des Gesellen i n die Großfamilie des Meisters bereits damals fragwürdig geworden war. Die Stelle lautet 3 4 : „10. Insonderheit aber w i l l auch bey einigen Handwerckern dieser wider alle Vernunfft lauffende Mißbraudi einreißen / daß die Handwercks-Gesellen / vermittelst eines unter sich selbsten anmaßlich haltenden Gerichts / die Meister vorstellen / denenselben gebieten / ihnen allerhand ungeräumte Gesetze vorschreiben, und in deren Verweigerung sie schelten / straffen und gar von ihnen aufstehen / auch die Gesellen / so nachgehends bey ihnen arbeiten / auf treiben und vor unredlich halten; welche Unordnung und Insolentien gleichermassen durch jedes Orts Obrigkeit mit Nachdruck und ernstlich abgethan / und keines Wegs geduldet / sondern die Übertreter / wie oben Articulo 3, circa finem verordnet / auf den benöthigten Fall verfolget werden sollen."
Es gab also damals Gesellenverbände, die so mächtig waren, daß sie gegen Meister, die ihre Forderungen ablehnten, m i t harten Maßnahmen vorgehen konnten, und dies waren offensichtlich keine unwichtigen Einzelfälle, denn sonst hätte man es nicht für nötig gehalten, dagegen i n einem Reichsgesetz einzuschreiten. Die Gesellenbruderschaften, die sich so verhielten, ähnelten bereits den Gewerkschaften des 19. und 20. Jahrhunderts, und man darf vermuten, daß die Werkstätten, i n denen ihre Mitglieder tätig waren, schon eine soziale Beschaffenheit hatten, die nur noch wenig von der patriarchalischen A r t des mittelalterlichen Handwerks und statt dessen schon viel von der unpersönlichen A r t des modernen Betriebes besaßen. Wahrscheinlich handelte es sich u m Gesellen, die bei den bestehenden Regelungen nicht die Möglichkeit hatten, Meister zu werden; der Typ des lebenslänglichen Gesellen entwickelte sich i n jener Zeit. I n den vorhergehenden, zwischen 1530 und 1672 erlassenen Hand Werksgesetzen sind ähnliche Stellen nicht enthalten. Daraus ist zu schließen, daß die Problematik 4
Proesler S. 9 der Dokumentation.
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der eigenmächtig handelnden Gesellenbruderschaften erst i n der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts akut geworden ist. Das wichtigste und umfangreichste der vier oben genannten Gesetze ist das „Reichsgutachten wegen der Handwercker-Missbräuche" von 173135. Diese Gewerbeordnung des alten Deutschen Reiches hat eine erhebliche praktische Bedeutung gehabt, denn sie hat eine Dauerwirkung ausgeübt. Sie hat die Gewerbegesetzgebung der einzelnen deutschen Länder und besonders diejenige von Preußen stark beeinflußt und damit auch die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes, aus der die Reichsgewerbeordnung hervorgegangen ist; diese ist wiederum die Grundlage der heute bestehenden Gewerbeordnung und der Handwerksordnung. Wenn man diesen Prozeß der Entwicklung des deutschen Gewerberechtes in den 250 Jahren von dem Reichsgutachten von 1731 bis zu dem heute geltenden Gewerberecht analysieren würde, dann würde man dadurch wichtige Einblicke in die Entstehung des Industrialismus gewinnen. Man würde dabei sehen, wie der Betrieb die früheren gewerblichen Arbeitsstätten verdrängt und wie dieser Vorgang zu einer wesentlichen Veränderung der Sozialstruktur der gewerblichen Wirtschaft geführt hat. Diese Erkenntnisse wären für den Betriebspädagogen ein wichtiges Material, denn sie würden ihm das Verständnis der anthropologischen Beschaffenheit des Betriebes und damit auch seiner pädagogischen Problematik wesentlich erleichtern. Eine solche Untersuchung ist jedoch bisher leider nicht durchgeführt worden; i n der vorliegenden Arbeit kann dieser Fragenkreis nicht eingehender behandelt werden. Die folgenden Ausführungen müssen sich vielmehr darauf beschränken, auf einige Teile des Reichsgutachtens von 1731 aufmerksam zu machen, die für die vorliegende Untersuchung besonders wichtig sind. Aus der Präambel 3 6 geht hervor, daß auch dieses Gesetz die „ A b stellung derer bey denen Handwerckern insgemein sowohl, als absonderlich m i t denen Handwercks-Knechten, Söhnen, Gesellen und LehrKnaben, eingerissener Mißbräuche" anstrebte. Z u diesem Zweck werden aber nicht nur Verbote erlassen, sondern auch neue Regelungen vorgeschrieben, die dazu geeignet erschienen, die Anlässe und Möglichkeiten bestimmter Mißbräuche auszuschließen. So wurde in Teil I I 3 7 bestimmt, daß am Beginn der Lehre von dem Lehrling ein Geburtsbrief einzureichen und daß am Ende der Lehrzeit ein Lehrbrief auszustellen war, der ebenfalls i n der Meisterlade der betreffenden Innung verwahrt werden mußte. Eine Abschrift dieser Urkunde mußte dem Gesel35 Sein Abdruck in dem Buch von Proesler umfaßt 17 Druckseiten, nämlich S. 54 - 70 der Dokumentation. 3β Proesler S. 54 der Dokumentation. 37 Proesler S. 55 u. 56.
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len ausgehändigt werden, damit er unterwegs seine Qualifikation beweisen konnte. Dem auf Wanderschaft gehenden Gesellen war ferner ein „Attestat" m i t vorgeschriebenem Text auszustellen. Dieses Attestat enthielt neben einer Personenbeschreibung die Bestätigung der abgelegten Lehrzeit und außerdem ein Leumundszeugnis; es mußte von zwei Obermeistern und demjenigen Meister unterzeichnet werden, der den Gesellen ausgebildet hatte. A n jedem Ort, an dem der Geselle während der Wanderschaft arbeitete, mußte wiederum ein neues Attestat ausgefertigt werden, das angab, bei wem und wie lange der Geselle gearbeitet hatte. Wenn dann der Geselle nach mehreren Jahren Meister werden wollte, dann konnte er durch die Vorlage der Attestate einen lückenlosen Nachweis über die Verwendung seiner Gesellenzeit führen. Außerdem konnte die Obrigkeit kontrollieren, wo er sich aufgehalten und m i t wem er i n dieser Zeit Umgang gehabt hatte. Wenn man die Bedeutung dieser Vorschriften erkennen w i l l , dann muß man sich klarmachen, daß es eine jahrundertealte Übung war, daß sich der Geselle auf der Wanderschaft dadurch legitimierte, daß er einen bestimmten Spruch oder auch einzelne Worte wußte, die nur den A n gehörigen eines bestimmten Handwerks bekannt waren und von diesen streng geheim gehalten wurden 3 8 . Die Legitimierung durch die Vorlage eines Attestates war etwas völlig Neuartiges. Diese und andere Änderungen sind Indizien dafür, daß ein Stilwandel i m Gange war. Die Auffassungen von den personalen Beziehungen zwischen Meister und Geselle und von der Stellung des Gesellen waren offenbar nicht mehr die gleichen wie früher, und es w i r d bereits eine Entwicklung spürbar, die dahin tendierte, aus dem durch die Zunftordnung gebundenen Gesellen den freien Arbeiter zu machen. Die bereits i n dem Reichsgesetz von 1672 enthaltenen Vorschriften gegen die Eigenmächtigkeiten der Gesellenbruderschaften wurden i n dem Gesetz von 1731 wesentlich verschärft. Der entscheidende Text in Abschnitt V lautet 3 9 : „Woferne aber, bißheriger Erfahrung nach, die Gesellen unter irgends einigem Prätext sich weiter gelüsten liessen, einen Auffstand zu machen, folglich sich zusammen zu rottiren, und entweder an Ort und Stelle noch bleibende, gleichwohl biß ihnen in dieser oder jener vermeyntlichen Prätension oder Beschwehrde gefügt werde, keine Arbeit mehr zu thun, oder selbst Hauffen-weise auszutreten, und was dahin einschlagenden rebellischen Unfugs mehr wäre, dergleichen große Freveler oder Missethäter sollen nicht allein, wie oben § 2 schon erwehnet, mit Gefängnuß, Zucht-Haus, VestungsBau und Galeeren-Straff beleget, sondern auch nach Beschaffenheit der Umstände und hochgetriebener Renitenz, nicht minder würcklich verursachten 38 I n weiteren Teilen, bes. I X und X (S. 63 u. 64), werden viele derartige „Gesellen-Gebräuche" verboten, darunter auch das „denen Handwerckspurschen nicht gebührende Degen-Tragen". Proesler S. der Dokumentation.
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Unheils am Leben gestrafft werden. Und wann eine jedes Orts oder wohl gar diese und jene Landes-Obrigkeit sie allein zu überwältigen nicht vermag, wird sie die Benachbarten, ingleichen die Creyß-Ausschreib-Aemter oder Creyß-Obersten, dißfalls bey Zeiten um Hülff anzuruffen wissen, sothane Benachbarte und Creyß-Ausschreib-Aemter und Creyß-Obersten aber wären solche Hülffe hinlänglich zu leisten, auch besonders die ausgetrettene Gesellen zur Verhafft zu bringen, und entweder der beleidigten Obrigkeit zurück zu liefern, oder sie wenigst selbst behörig zu bestraffen verbunden."
Es ist unwahrscheinlich, daß diese harte, bis zur Todesstrafe gehende Strafandrohung i n die Gewerbeordnung von 1731 aufgenommen worden wäre, wenn es nicht damals schwere Konflikte m i t den Gesellenverbänden gegeben hätte. Wenn man nicht wissen würde, daß es sich hier um ein Gesetz aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts handelt, dann würde man beim Lesen des Textes vermuten, daß er aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammt. Aus der Sicht der W i r t schafts- und Sozialgeschichte kann man diese Vorschriften nur so erklären, daß die gewerbliche Wirtschaft am Beginn des 18. Jahrhunderts bereits so sehr von einem Umwandlungsprozeß erfaßt war, daß der Gesetzgeber sehr harte Maßnahmen für angebracht hielt, u m diesen Vorgang aufzuhalten. Dieses Material hat eine große Bedeutung für die Erforschung der Geschichte des Betriebes. Es zeigt, daß i n Deutschland schon während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts i n der gewerblichen Wirtschaft die Auflösung der spätmittelalterlichen Zunftverfassung so weit fortgeschritten war, daß der Staat glaubte, m i t seinen Machtmitteln eingreifen zu müssen. Die damaligen Werkstätten der Handwerker waren gewiß noch zum großen Teil gewerbliche Arbeitsstätten m i t spätmittelalterlichem Charakter. Manche hatten aber offensichtlich diese Eigenschaft schon verloren und waren i m Begriff, industrielle Betriebe zu werden. Die Geschichte des Industrialismus i n Deutschland beginnt daher bereits i m 18. Jahrhundert. Das dritte der früher genannten Reichsgesetze, das Reichstagsgutachten vom 15. 7.1771, ist dadurch bemerkenswert, daß es sich nicht auf die Wiederholung der 1731 ausgesprochenen Verbote beschränkt, sondern i n zwei Punkten wichtige Neuerungen enthält. I m Abschnitt I I 3 9 a w i r d folgendes bestimmt: „ I I d o - Hat man zeithero bey verschiedenen Handwerkern und insbesondere bey der Weberey, wo zur Förderung ein- und anderer Arbeit die Personen weiblichen Geschlechts nützlich gebraucht werden können, derselben Zulassung nicht gestatten wollen, welches künftig abzustellen und den Meistern hierunter freye Hand zu lassen wäre, mit der Vorsehung, daß keinem Gesellen, der bey einem Meister oder in einer Werkstatt gearbeitet, wo zur Fertigung der Arbeit auch Weibspersonen geholfen haben, dieserhalben der mindeste Vorwurf gemacht werden, nodi eine Handwerksstrafe statt haben 39a Proesler S. 74 der Dokumentation.
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solle, welche vielmehr die Landes- und Orts-Obrigkeit gegen diejenige Handwerker, so dergleichen Vorwurfs oder Bestrafung sich anmaßen wollten, vorzukehren hat."
Dieser Text ist i n mehrfacher Hinsicht interessant. Er erlaubt die Beschäftigung von Frauen ohne handwerkliche Berufsausbildung i n einer Werkstatt. Er stellt fest, daß die Ehre eines Gesellen nicht beeinträchtigt wird, wenn er i n einer Werkstatt arbeitet, in der auch Frauen tätig sind. Er enthält ferner die Formulierung „bey einem Meister oder in einer Werkstatt". Der Verfasser hat die von Proesler edierten früheren Reichsgesetze unter dem Gesichtspunkt durchgesehen, ob bereits i n ihnen diese Formulierung vorkommt, und hat keine solche Stelle gefunden. Er schließt daraus, daß diese Ausdrucksweise i n dem Gesetz von 1771 einen besonderen Grund hatte. Es ist zu vermuten, daß m i t dem Wort Werkstatt solche Arbeitsstätten gemeint wurden, die sich bereits erheblich von den traditionellen Meisterwerkstätten unterschieden; das Fabrikendepartement der preußischen Staatsregierung i n Berlin hat sie i n jener Zeit amtlich als Fabrikanstalten bezeichnet. Wenn diese Vermutung richtig ist, dann bedeutet die Formulierung „bey einem Meister oder in einer Werkstatt", daß sich die Verfasser des Gesetzes von 1771 darüber klar waren, daß i n der gewerblichen Wirtschaft eine Entwicklung i m Gange war, die zu der Entstehung eines neuen Typs von gewerblichen Arbeitsstätten geführt hatte. Für diese Meinung spricht auch, daß i n dem ein Jahr später erlassenen Kayserlichen Commisions-Decret vom 30.4.1772 gesagt wird, daß sich die darin enthaltene Anordnung „auf alle handwerksmäßige Societäten und Gewerbe, sie mögen Namen haben, wie sie wollen, erstreket" 4 0 . Man spürt in diesem letzten Handwerksgesetz des alten Deutschen Reiches deutlich, daß seine Verfasser wußten, daß die Epoche des alten Handwerks ihrem Ende zuging. Man hatte aber für das Neue noch nicht einen allgemein gültigen Namen. Das Wort Industrie konnte nicht gebraucht werden, denn es hatte damals eine wesentlich andere Bedeutung als heute; es wurde sowohl von den Kameralwissenschaften als auch von der Pädagogik jener Zeit in seinem ursprünglichen, von dem lateinischen Wort industria gleich Gewerbefleiß stammenden Sinn verwendet. Auch die Worte Fabrik und Fabrikanstalt waren am Ende des 18. Jahrhunderts noch vieldeutig; doch wurden sie bereits oft für die Bezeichnung der neuen gewerblichen Arbeitsstätten benutzt. Das Wort Betrieb gehörte noch nicht zu den Begriffen, über die die damalige Terminologie verfügte. Aus heutiger Sicht und i n heutiger Sprache ist aber festzustellen, daß es die neue Wirtschaftseinheit Betrieb war, die in den oben zitierten Gesetzestexten gemeint wurde.
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Proesler S. 79 der Dokumentation.
IV. Der Anteil der Bildungspolitik am Aufbau der Betriebe
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IV. Der Anteil der Bildungspolitik der Betriebe an dem Aufbau des industriellen Wirtschaftssystems 1. Die Notwendigkeit von Bildungsmaßnahmen der Wirtschaft wegen des Fehlens der Wirtschaftsfähigkeit der in die Fabriken eintretenden Arbeitskräfte Die Erkenntnisse, die aus der Betrachtung der Gewerbegesetzgebung des alten Deutschen Reiches gewonnen worden sind, müssen für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung m i t den Erkenntnissen verbunden werden, die vorher durch die Analyse der historischen Aussagen der Bevölkerungsstatistik erarbeitet worden sind. Wenn man das, was sich aus dem Material der historischen Statistik ergibt, durch das ergänzt, was die Geschichte des Gewerberechts lehrt, dann erhält man ein ziemlich realistisches B i l d von dem Vorgang der Entstehung des Betriebes i n Deutschland. Man erkennt, daß der Industrialismus von Anfang an m i t dem sehr schweren Problem der Beschaffung der notwendigen Arbeitskräfte belastet gewesen ist. Dies war zunächst, als die Fabrikarbeit noch aus einfachen Handgriffen bestand, i n erster Linie ein quantitatives Problem, weil es meistens nicht möglich war, den Bedarf an Arbeitskräften i n der unmittelbaren Nachbarschaft zu decken. Es wurde außerdem später ein qualitatives Problem, denn ein großer Teil der Tätigkeiten i n der Fabrik wurde immer komplizierter, so daß bei der Anwerbung von Arbeitskräften beachtet werden mußte, ob sie bereits die erwünschten Fähigkeiten besaßen oder ob sie wenigstens dazu geeignet waren, sie sich anzueignen. Außerdem mußte darauf geachtet werden, ob die neu i n eine Fabrik eintretenden Männer und Frauen dazu i n der Lage waren, sich i n die bestehenden Verhältnisse einzufügen, sich m i t ihren Arbeitskameraden zu vertragen und die einfachen Normen einer gewissen Mindestmoral zu beachten. Wenn man die Schwierigkeiten, die sich dabei für die Fabrikleitungen ergaben, voll verstehen w i l l , dann muß man sich daran erinnern, daß die Belegschaften meistens aus Mitgliedern bestanden, deren Heimat i n sehr verschieden gearteten Gegenden Deutschlands oder des Auslands lag und die von dort sehr verschiedene Grundauffassungen vom Leben und sehr verschiedene Sitten und Gebräuche mitgebracht hatten. A m Beginn der Entstehungsgeschichte des Betriebes waren daher die anthropologischen Ausgangsbedingungen sehr schwierig und m i t vielen Problemen beladen. Wenn man dies sieht, dann wundert man sich nicht darüber, daß es i n dem Raum des Betriebes i m 19. Jahrhundert zu Konflikten und Kämpfen gekommen ist; das Wort Klassenkampf kennzeichnet die Situation, die sich an vielen Orten daraus ergab, daß die fast unvermeidlichen Spannungen nicht rechtzeitig durchschaut und durch angemessene Maßnahmen überwunden wurden. Der Betriebs-
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Pädagoge interessiert sich für diese Zusammenhänge, weil sie die Rahmenbedingungen charakterisieren, unter denen i m 19. Jahrhundert die betriebspädagogische Arbeit geleistet worden ist. Außerdem erleichtert diese Kenntnis der Vergangenheit die Beurteilung mancher Gegenwartsfragen, denn manche heutigen Probleme ähneln i n ihrem Kern denen des frühen Industrialismus. Die wissenschaftliche Forschung hat bisher fast nur die Tatsache untersucht, daß die schnelle Entfaltung des Industrialismus neben den ökonomischen auch soziale Probleme verursacht hat, und es gibt eine unüberschaubare Literatur über die soziale Frage. Es ist aber nur eine völlig unzureichende Untersuchung der Tatsache erfolgt, daß durch die Entstehung des Industrialismus auch zahlreiche neue Erziehungs- und Bildungsprobleme verursacht worden sind. Wenn man diesen pädagogischen Fragen Beachtung geschenkt hat, dann ist dies fast immer i m Zusammenhang m i t sozialen Problemen geschehen; aus der Praxis der Sozialpolitik haben sich praktische Folgerungen für pädagogische Maßnahmen zur Unterstützung der Bemühungen u m die Verbesserung der Zustände ergeben. Die theoretische Erziehungswissenschaft hat aber davon nur i n einem geringen Maße Kenntnis genommen. Die meisten ihrer Vertreter haben i n einer geistigen Welt gelebt, i n der man es abgelehnt hat, sich m i t den großen ökonomischen und soziologischen Geschichtsprozessen im 19. Jahrhundert zu befassen. Den Theoretikern der Pädagogik ist nur i n einem unzureichenden Maße und erst sehr spät bewußt geworden, daß m i t der Entstehung des industriellen W i r t schaftssystems auch eine neue pädagogische Epoche begonnen hat. Diese Blindheit der theoretischen Pädagogik gegenüber der pädagogischen Wirklichkeit ist erstaunlich, denn die Betriebe haben schon i m 19. Jahrhundert eine umfangreiche Bildungsarbeit geleistet und diese i m 20. Jahrhundert immer mehr verstärkt. Sie haben dies t u n müssen, weil die Erfahrung gelehrt hat, daß an jedes Mitglied eines Betriebes bestimmte geistige Grundanforderungen gestellt werden müssen, damit eine befriedigende Zusammenarbeit möglich ist. Dies sind erstens ein bestimmter Mindestbesitz an Wissen und Fertigkeiten und zweitens eine bestimmte Fähigkeit zur Kooperation m i t den anderen. Die A r t und die Intensität dieser beiden Qualifikationen richten sich nach der Stellung i m Betrieb und sind daher verschieden; dies ist jedoch sekundär. Worauf es hier ankommt, ist die Tatsache, daß die Verwendbarkeit eines Menschen in einem Betrieb nur dann gegeben ist, wenn er diese beiden Qualifikationen i n der seiner Stellung gemäßen A r t besitzt. Da dies sehr oft nicht der Fall gewesen ist, haben die Betriebe versuchen müssen, die Belegschaftsmitglieder m i t den notwendigen geistigen Befähigungen auszurüsten. Außerdem hat die Erfahrung gelehrt, daß die Zufriedenheit der Angestellten und Arbeiter bei ihrer Tätigkeit i m
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Betrieb wesentlich davon abhängt, ob es ihnen möglich ist, ein sie befriedigendes Privatleben zu führen. Dies hat die Betriebe dazu veranlaßt, durch eine Kombination von Bildungspolitik und Sozialpolitik Bedingungen zu schaffen, die es den Angestellten und Arbeitern erlaubt haben, außerhalb der Arbeitszeit dasjenige zu tun, was ihnen und ihren Familien als wünschenswert erschienen ist. Vor diesem Hintergrund versteht man, warum die Betriebe Sprachkurse eingerichtet und Werksbüchereien geschaffen haben, warum sie Sportplätze angelegt und die Bildung von Sportvereinen unterstützt haben, warum sie den Zusammenschluß von Betriebsmitgliedern i n Musikvereinen gefördert und Konzerte für die Belegschaft und deren Familien veranstaltet haben, und warum sie ganz allgemein vieles getan haben, was für die Betriebsmitglieder nützlich gewesen ist und ihnen Freude gemacht hat. Es lag nahe, daß die Betriebe auch Maßnahmen getroffen haben, u m den Belegschaftsmitgliedern Fachkenntnisse zu vermitteln, denn nur ein Teil der Zugewanderten besaß das Wissen und Können, das für die Leistung industrieller Arbeit erforderlich ist. Je komplizierter die Fabrikarbeit i m Laufe der Zeit wurde, um so notwendiger wurde die Einrichtung von Kursen, i n denen die benötigten Fachkenntnisse gelehrt wurden. Es hat sich daraus folgerichtig das heutige, sehr umfangreiche und sehr differenzierte berufliche Bildungswesen der Betriebe entwickelt. Man darf es aber nicht isoliert von der allgemeinen Bildungsarbeit der Betriebe betrachten, weil sonst der Blick für den Gesamtzusammenhang verloren geht. Die A k t i v i t ä t der Wirtschaft auf dem Sektor der Berufsbildung ist vielmehr erst dann voll verständlich, wenn sie als ein Teil des Gesamtsystems der Bildungspolitik der Betriebe gesehen wird. Es war für die Wirtschaft lebenswichtig, daß eine solche Bildungsarbeit getan wurde. Es genügte nicht, durch den Hinweis auf bessere Erwerbsmöglichkeiten die Menschen i n den deutschen Mittelgebirgen und i n Oberschlesien, Westpreußen, Ostpreußen, Polen, Galizien, Kroatien und anderen Gebieten zu veranlassen, i n die Industriereviere zu kommen. U m aus ihnen Arbeiter und Angestellte zu machen, m i t denen man Betriebe aufbauen konnte, mußte vielmehr Vieles getan werden, was bei oberflächlicher Sicht nicht zu den ökonomischen Aufgaben eines Betriebes gehört. Dazu zählte auch eine planmäßige und großzügig angelegte Bildungsarbeit der Betriebe. Die systematische Bildungspolitik der Betriebe hat wesentlich dazu beigetragen, daß diese aus vorindustriellen Lebensverhältnissen stammenden Menschen jene Wirtschaftsfähigkeit erhalten haben, welche die Vorbedingung für die Mitarbeit i n einem Betriebe ist. Daß diese Arbeit erfolgreich gewesen ist, hat sich nach 1945 gezeigt. Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft hätte nicht so schnell durchgeführt werden können, wenn er nicht von der Be-
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reitschaft der Angestellten und Arbeiter zur Mitarbeit getragen worden wäre. Die deutsche Wirtschaft hat sich i n den letzten drei Jahrzehnten durch ein großes fachliches Leistungsvermögen und durch ein hohes Maß von Stabilität und sozialem Frieden ausgezeichnet. Es gibt dafür eine ganze Reihe von Gründen, und es wäre unklug, diesen Zustand nur auf eine einzige Ursache zurückführen zu wollen. Man kann aber m i t großer Berechtigung sagen, daß er i n einem hohen Maße ein Erfolg der betrieblichen Bildungspolitik ist. Sie hat eine wirkungsvolle Erziehung der in der Wirtschaft tätigen Menschen zur Wirtschaftsfähigkeit geleistet. Diese Überlegungen haben eine aktuelle Bedeutung durch das Gastarbeiterproblem erhalten. Es ist zwar wahrscheinlich, daß die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte i n Zukunft kleiner sein w i r d als jetzt (1978). Trotzdem bleibt für die Betriebe die Aufgabe der Integrierung solcher Mitarbeiter bestehen. Ihre Lösung verlangt verschiedenartige Maßnahmen und dabei als besonders wichtige auch solche der B i l dungspolitik. Die für die Bildungsfragen der Betriebe zuständigen Fachleute befinden sich dabei i n einer günstigeren Lage als ihre K o l legen, die in den letzten 100 Jahren vor ähnlichen Problemen gestanden haben, als große Menschenmassen aus dem Ausland in die deutschen Fabriken strömten, denn die seitdem gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse können die Grundlage der Arbeit bilden, die heute zu leisten ist. Andererseits unterscheidet sich die heutige Gastarbeiterproblematik i n wichtigen Punkten von den Fragen, die bisher vorhanden waren. Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß die früheren Einwanderer ausnahmslos Christen und Europäer waren, während viele der heutigen Einwanderer Mohammedaner sind und aus Afrika oder Asien stammen; es ist für die Personal- und Bildungspolitik der Betriebe schwierig, dieser Tatsache gerecht zu werden. Es ist i n den letzten Abschnitten gezeigt worden, daß ein großer Teil der heute i n den deutschen Betrieben tätigen Menschen von Vorfahren abstammt, die erst i m 19. oder 20. Jahrhundert nach Deutschland eingewandert sind. Als um das Jahr 1800 die Industrialisierung Deutschlands einsetzte, war die Bevölkerung von Deutschland so klein, daß ihr Wachstum trotz der Zunahme des Geburtenüberschusses nicht ausgereicht hätte, u m die von der Industrie benötigten großen Menschenmassen bereit zu stellen. Die Uberwindung der spätmittelalterlichen Wirtschaftsordnung durch den Industrialismus und die Entwicklung Deutschlands zu einem der am stärksten industrialisierten Länder Europas konnte nur geschehen, weil Millionen von Ausländern nach Deutschland eingewandert sind und seine Bergwerke und Fabriken m i t Arbeitern und Angestellten gefüllt haben. Wenn man die Probleme der Infrastruktur der deutschen Betriebe verstehen w i l l , dann muß
IV. Der Anteil der Bildungspolitik am Aufbau der Betriebe
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man sich diesen Tatbestand klar machen. Der deutsche Industrialismus mußte zwei historisch bedingte Aufgaben lösen. Die eine w a r die geistige Umformung der alteingesessenen, i m 19. Jahrhundert noch i n einem hohen Maße durch die frühere bäuerliche und handwerkliche Gedankenwelt geprägten Bevölkerung, der es schwer fiel, alte Sitten und Gebräuche aufzugeben und sich i n den Lebensstil der Fabrik einzufügen. Diese Aufgabe war aber trotzdem relativ leicht, weil es sich dabei um Menschen handelte, bei denen es keine oder nur geringe Sprachschwierigkeiten gab und für die das Uberwechseln i n eine Fabrik nur selten den Verlust der Heimat bedeutete. Dagegen war die zweite Aufgabe unvergleichlich viel schwieriger. Die meisten Menschen, die aus dem östlichen Teil Mitteleuropas und aus Südosteuropa ζ. B. i n das Rheinisch-Westfälische Industriegebiet kamen, gaben damit ihre Heimat auf und verloren dadurch den Rückhalt an den mannigfachen verwandtschaftlichen und sonstigen Beziehungen, die den Menschen i n schwierigen Situationen stützen. Sie waren zunächst isolierte Fremde i n einer völlig andersartigen und nur schwer überschaubaren Welt, und es war für sie meistens sehr schwer, i n ihr heimisch zu werden. Für sie war die Fabrik der Ort, wo sie die grundlegenden Kontakte m i t ihrer neuen Umwelt bekamen; die A r t und Weise, wie die Vorgesetzten m i t ihnen umgingen, und die Gespräche m i t den Arbeitskameraden während der Arbeit und i n den Pausen formten ihr neues Weltbild. Diese Integration zu fördern, zu beschleunigen und zu festigen, war die zweite große Aufgabe, die der deutsche Industrialismus bewältigen mußte. Deren Lösung wurde durch die von dem Marxismus vertretene Idee des Klassenkampfes erheblich erschwert. Wer sich als Proletarier empfand, der stand i n einem prinzipiellen Gegensatz zu dem Industrialismus des 19. Jahrhunderts und lehnte nicht nur dessen negativen Nebenerscheinungen, sondern auch den Grundcharakter dieses W i r t schaftssystems ab. Für i h n waren die Sozialpolitik und die Bildungspolitik der Betriebe nichts anderes als besonders raffinierte Mittel, m i t denen die Unternehmer ihre Macht zu festigen suchten. Unter diesen psychologischen und soziologischen Bedingungen war die Integrierung sowohl der deutschen als auch der ausländischen Arbeitskräfte i n die Lebenswelt des Industrialismus eine sehr schwierige Aufgabe. Wenn man von dem Jahr 1978 aus auf die letzten 150 Jahre der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte zurückblickt, dann kann man aber feststellen, daß sie trotzdem i m ganzen gut gelöst worden ist. I n dieser Darstellung ist von dem Industrialismus i n einer Weise gesprochen worden, die den Anschein erwecken könnte, als ob es sich dabei u m eine Institution m i t einer Willensbildung durch besondere Organe gehandelt habe. Es wäre ein Mißverständnis, wenn die angewandte Redeweise so ausgelegt würde. Der heute lebende Wirtschafts6 Abraham
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
historiker verwendet den Ausdruck „der Industrialismus" als eine Bezeichnung, m i t der er i n der Rückschau das seit dem 18. Jahrhundert i n Entstehung begriffene neue Wirtschaftssystem benennt und es dadurch von früheren Wirtschaftssystemen unterscheidet. Es ist aber sicher, daß die Fabrikbesitzer ebenso wie ihre Angestellten und Arbeiter damals das Wort Industrialismus nicht gekannt haben. Aus den Quellen, z.B. den Biographien, ergibt sich zwar, daß sie oft den Unterschied zu der bisherigen Zunftordnung stark empfunden haben und daß die Fabrik für sie geradezu das Symbol eines neuen Zeitalters war. Viele Fabrikbesitzer erkannten auch, daß sie andere menschliche Probleme zu lösen hatten als die früheren Handwerksmeister. Trotzdem wäre es falsch, wenn man annehmen würde, daß die Unternehmer des 19. Jahrhunderts bereits bewußt und klar gesehen hätten, daß die planmäßige Gestaltung der Infrastruktur ihrer Betriebe zu den Aufgaben gehörte, von denen auf lange Sicht das Funktionieren des industriellen Wirtschaftssystems abhängt. Was sie getan haben, u m den aus der Fremde gekommenen Arbeitskräften das Einleben zu erleichtern, haben sie doch wohl meistens ohne eine tiefere Reflexion über die Zusammenhänge als Entscheidungen von Praktikern getan, die jetzt und hier auf getretene Schwierigkeiten überwinden wollten. Für den Historiker ist dies jedoch nichts Ungewöhnliches. Es ist i h m geläufig, daß die Zeitgenossen meistens nicht wissen, daß sie Zeuge des Beginns einer neuen Geschichtsepoche sind und selbst durch ihr Handeln zu der Verwirklichung neuer Prinzipien der Lebensgestaltung beitragen. Es ist daher gerechtfertigt, von dem Industrialismus oder dem Kapitalismus oder dem Sozialismus des 19. Jahrhunderts zu sprechen, um damit geschichtliche Phänomene zu benennen. Diese Worte machen wesentliche Aussagen über charakteristische Erscheinungen i n dem Kulturprozeß der jüngsten Zeit. Dadurch w i r d es leichter, die Zusammenhänge zu verstehen und die Triebkräfte zu begreifen, die den Verlauf der Geschichte in den letzten drei Jahrhunderten bestimmt haben. 2. Die europäische Problematik der betrieblichen Bildungspolitik infolge der Unterschiede der Betriebsstrukturen in den einzelnen Ländern Bei der Betrachtung des statistischen Materials, das für die vorliegende Untersuchung verwendet wurde, zeigte sich, daß vom Mittelalter an bis zur neuesten Zeit große Unterschiede zwischen der Größe der Städte i n Süd- und Westeuropa auf der einen Seite und M i t t e l europa bzw. Deutschland auf der anderen Seite bestanden haben. Die Tabellen 4 - 1 0 haben dies durch Zahlenangaben belegt. Es ist für das Verständnis der Gesamtproblematik, m i t der sich diese Arbeit beschäf-
IV. Der Anteil der Bildungspolitik am Aufbau der Betriebe
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tigt, sehr wichtig, diesen Tatbestand zu kennen. Er bedeutet, daß die durch die Bevölkerungszahlen gegebenen Ausgangsbedingungen für die Entfaltung des Industrialismus i n Mitteleuropa wesentlich anders als i n West- und Südeuropa gewesen sind. Es wurde bereits gesagt, daß dort i n der großstädtischen Bevölkerung für die Fabrikarbeit Menschenreserven bereit gestanden haben, die es i n Deutschland nicht gegeben hat. Der Aufbau der Industrie hat hier i m 19. Jahrhundert zu einer Masseneinwanderung von Ausländern geführt. Der west- und südeuropäische Industrialismus hat dagegen nicht die gleichen Integrationsprobleme gekannt wie der mitteleuropäische, und dies hat neben anderem zur Folge gehabt, daß die Aufgaben der Personalpolitik einschließlich der betrieblichen Bildungs- und Sozialpolitik anders beschaffen gewesen sind. Dies w i r k t sich bis heute besonders i n den unterschiedlichen Auffassungen über den Sozialcharakter des Betriebes aus. Dazu kommen weitere Verschiedenheiten, die dadurch verursacht worden sind, daß sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Geschichte der einzelnen europäischen Länder i m 19. Jahrhundert sehr verschieden gewesen ist. Wenn man diese historischen Hintergründe kennt, dann wundert man sich nicht darüber, daß die Auffassungen über die Aufgaben und die Methoden der Berufsbildung und über die Funktion des Betriebes i n diesem Bereich i n den europäischen Ländern heute sehr verschieden sind. Es hat zwar bis zum Ende des 18. Jahrhunderts i n ganz Europa die gleiche gewerbliche Wirtschaftsverfassung bestanden, und der B i l dungsweg vom Lehrling über den Gesellen zum Meister ist daher überall ziemlich gleich gewesen. Wer nur an diesen Sachverhalt denkt, der kann nicht verstehen, warum sich seit etwa 1800 eine sehr große Verschiedenartigkeit der Berufsbildungssysteme i n den europäischen Ländern entwickelt hat. Es w i r d i h m aber leichter fallen, dies zu begreifen, wenn er sich vergegenwärtigt, daß der europäische Industrialismus i n den einzelnen Regionen sehr verschiedenartige Formen seiner V e r w i r k lichung entwickelt hat. Besonders in der Anfangsphase des Industrialismus sind durch ihn die ökonomischen und soziologischen Unterschiede zwischen den europäischen Ländern nicht verringert, sondern erheblich vergrößert worden. Dies hat dazu geführt, daß heute i n Europa auf dem Gebiete der Berufsbildung eine Verschiedenartigkeit besteht, die es bis etwa 1800 nicht gegeben hat. Diese historischen Tatbestände muß man kennen, wenn man sich bemüht, über die Grenzen zu schauen, u m zu sehen, ob es i n den benachbarten Industrieländern ähnliche betriebspädagogische Probleme wie i n Deutschland gibt uhd ob dort ebenfalls von der Wirtschaft eine systematische Bildungspolitik getrieben wird. Dabei muß man sich von vornherein klar machen, daß man der Versuchung widerstehen muß, 6*
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Β. Historische Hintergründe der betriebspädagogischen Probleme
Dinge, die man i m Ausland sieht, m i t scheinbar gleichartigen Einrichtungen oder Maßnahmen i n Deutschland gleichzusetzen. Der internationale Vergleich hat vielmehr nur dann einen wissenschaftlichen Wert, wenn er i n Kenntnis der historischen Hintergründe erfolgt, die i n den einzelnen Ländern den Gang der Entwicklung bestimmt und dort zu Verhältnissen geführt haben, die zwar vielfach den deutschen ähneln, sich jedoch mehr von diesen unterscheiden, als die Bezeichnungen vermuten lassen. Bei einem Blick i n das Ausland sieht man beispielsweise, daß sich i n Frankreich der Dachverband der Arbeitgeberschaft, der Conseil National du Patronat Français, intensiv auf dem Gebiete der Berufsbildungspolitik betätigt 4 1 , daß sich i n England die Handelskammern m i t der British Association for Commercial and Industrial Education (BACIE) ein leistungsfähiges Instrument für ihre Berufsbildungspolitik geschaffen haben, und daß i n Italien die staatliche Holding-Gesellschaft I R I (Istituto per la Ricostruzione Industriale) die Ausbildungsgesellschaft I F A P (Instituto per la Formazione e TAddrestamento Professionale) gegründet hat, u m die Berufsbildung i n den zu dem Konzern gehörenden Gesellschaften zu fördern 4 2 . Dies sind nur wenige Beispiele aus einer großen Zahl von Institutionen m i t sehr verschiedenem Rechtscharakter, denen der Beobachter begegnet, wenn er sich i m europäischen Ausland über die Bildungsmaßnahmen der Wirtschaft informiert. Es ist dort außerdem eine umfangreiche wirtschaftspädagogische Literatur sowohl über die Fragen der praktischen Durchführung von Berufsbildungsmaßnahmen i n den Betrieben als auch über die theoretischen Probleme vorhanden. Leider ist dieses ausländische Material in Deutschland nur einem kleinen Kreis von Fachleuten bekannt. Mehrere Industrie- und Bankunternehmungen werten es ständig für die eigenen Bereiche aus, w e i l ihre internationale Verflechtung eine die Staatsgrenzen übergreifende Betriebspolitik und damit auch eine solche betriebliche Bildungspolitik verlangt. Die Spitzenverbände der W i r t schaft und das Rationalisierungskuratorium der Wirtschaft pflegen seit längerer Zeit m i t den entsprechenden Vereinigungen i m benachbarten Ausland einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch über die Probleme der Berufsbildung. Die Durchführung von internationalen Lehrabschlußprüfungen, bei denen die aus mehreren europäischen Ländern stammenden Prüflinge die gleichen Aufgaben zu lösen haben, hat sich als ein zweckmäßiges M i t t e l erwiesen, um genaue Kenntnisse davon zu 41 s. dazu Karl Wilhelm Mauer, Die Rolle der Arbeitgeberschaft im französischen System der beruflichen Bildung, 1970, Dissertation in der Wirtschafte· und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt a. M. 42 Vita und Pinchera, Das Ausbildungswesen in dem italienischen I R I Konzern, Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialpädagogik 1966, S. 109 ff. (italienisch und deutsch).
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erhalten, w o r i n einerseits die Stärke, andererseits aber auch die Schwäche der einzelnen nationalen Berufsbildungssysteme liegt. Die Veranstaltungen des Europäischen Instituts für Berufsausbildung i n Paris, der i n der Schweiz ansässigen Internationalen Gesellschaft für das kaufmännische Bildungswesen und mehrerer internationaler Institutionen für die Fortbildung der Spitzenkräfte der Wirtschaft vermitteln den Teilnehmern Einblicke in die Vorzüge und die Nachteile der Methoden, m i t denen i n den verschiedenen Ländern betriebspädagogische Arbeit geleistet wird. Wer die einschlägigen Dokumentationen der Europäischen Gemeinschaft, des Europarates, der OECD und des Internationalen Arbeitsamtes laufend verfolgt, der erhält dadurch außerdem ständig Informationen über den Gang der Entwicklung nicht nur i n den europäischen Ländern, sondern auch i n den übrigen Teilen der Welt. Es ist also die Möglichkeit vorhanden, sich ein B i l d über den internationalen Stand der praktischen Betriebspädagogik und auch über die entsprechende theoretische Literatur zu machen. Trotzdem ist die Kenntnis dieser Dinge leider auf einen relativ kleinen Kreis beschränkt, und es fehlt i n der Bundesrepublik Deutschland eine Zentralstelle, die sich systematisch der Erschließung des ausländischen betriebspädagogischen Materials widmet. 3. Die Bejahung der „harmonisation " und die Ablehnung der „égalisation " als Grundprinzip sowohl der internationalen als auch der nationalen Koordinierung der Bildungspolitik der Betriebe Die Forderung nach einer gründlicheren Beschäftigung m i t den Berufsbildungssystemen der Nachbarländer entspricht dem Trend der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung i n Europa, die trotz mancher Rückschläge zu einer immer engeren Zusammenarbeit vor allem der Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft führt. Die Kooperation auf dem Gebiete der Berufsbildung ist schon 1957 durch den A r t . 128 des EWG-Vertrages vorprogrammiert worden. Er hat dem Rat der Gemeinschaft den Auftrag erteilt, allgemeine Grundsätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsbildung aufzustellen. Der Rat hat daher durch seinen Beschluß vom 2. 4.1963 43 10 derartige Grundsätze formuliert. U m Klarheit über die Fragen zu gewinnen, die bei deren Durchführung zu beantworten sind, hat die Kommission der EWG rund 200 Sachverständige aus den Mitgliedsländern zu einem „Kolloquium über die Berufsausbildung" eingeladen, das vom 16. bis 20. November 1964 i n Brüssel stattgefunden hat 4 4 . Diese internationale « Amtsblatt der EWG, Nr. 63 vom 22. 4.1963. 44 EWG, Kommission, Dokumente des Kolloquiums . . . , Veröffentlichung Nr. 8170/2/IX/1966/5. — Der Verfasser hat an dieser Veranstaltung teilgenommen.
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Konferenz hat erstmals den vollen Umfang der Problematik einer gemeinsamen europäischen Berufsbildungspolitik herausgearbeitet. Je mehr die Diskussionen i n die Tiefe gingen, um so mehr zeigte sich, daß die historisch bedingte Gesamtlage i n den beteiligten europäischen Ländern heute noch so verschieden ist, daß es unklug wäre, wenn man versuchen würde, Vereinheitlichungen zu erzwingen, für die die Zeit noch nicht reif ist. Von französischer Seite wurde gesagt, daß i n der jetzigen Phase eine „harmonisation" und nicht eine „égalisation" anzustreben sei, und diese beiden Ausdrücke erwiesen sich i n den Gesprächen als die beiden Begriffe, die die Problematik am besten charakterisieren. Der Verfasser verwendet diese französischen Worte auch i n dieser Untersuchung, denn er sieht keine Möglichkeit, sie befriedigend i n die deutsche Sprache zu übersetzen. Die Verhandlungen führten zu dem Ergebnis, daß das Ziel der Einigung Europas auf dem Gebiete der Berufsbildung nur durch harmonisation erreicht werden kann. Die Durchführung einer égalisation ist nur scheinbar einfacher, denn ein solcher Versuch würde bei den gegebenen Verhältnissen Widerstände und Schwierigkeiten auslösen, die nur schwer überwunden werden können. Dagegen bedeutet die Entscheidung für den Weg der harmonisation, daß auf lange Sicht Lösungen gefunden werden können, die trotz der vorhandenen Unterschiede von allen Industrieländern bejaht werden können. Ihre Durchführung setzt aber die Kenntnis der historischen Hintergründe der ökonomischen, soziologischen und politischen Rahmenbedingungen voraus, die i n den einzelnen Gebieten für die dort bestehenden Berufsbildungssysteme vorhanden sind. Die harmonisation der Berufsbildung i n Europa ist ein Teilvorgang i n dem Gesamtprozeß des Aufbaues einer neuen europäischen Einheit, und die Prinzipien ihrer Verwirklichung ergeben sich daher aus der Sachgesetzlichkeit dieses Geschehens. Die Entscheidung für die harmonisation und die Ablehnung der égalisation gilt aber nicht nur für die Berufsbildungspolitik der Europäischen Gemeinschaft, sondern ist eine allgemeine Grundsatzentscheidung, die auch bei innerdeutschen Problemen die Grundlage für irgendwelche Maßnahmen sein sollte. Jeder Betrieb ist ein eigenständiges Sozialgebilde m i t einer eigenen Geschichte und m i t Besonderheiten, die auf den Eigenarten der i n ihm zusammen arbeitenden Menschen beruhen. Jeder Betrieb besitzt eine ihn von anderen Betrieben unterscheidende Individualität, und es wäre ein schwerer Fehler, wenn dieser Tatbestand bei betriebspädagogischen Planungen nicht ausreichend beachtet würde. Es ist zwar richtig, daß Betriebe, die den gleichen ökonomischen Zwecken dienen und daher m i t der gleichen technologischen Ausstattung arbeiten, einander ähneln. Es ist aber i n jedem Einzelfall eine offene Frage, wie weit diese Ähnlichkeit geht. Es kann
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durchaus sein, daß es eine Reihe von Umständen gibt, die bewirken, daß der Grad dieser Ähnlichkeit nur gering ist. Besonders wichtig ist die Zusammensetzung der Führungsgruppe und der Belegschaft. Der Verfasser hat die Erfahrung gemacht, daß die Unterschiede zwischen gleich großen Betrieben des gleichen Wirtschaftszweiges häufig größer sind, als man zunächst vermutet. Die Infrastruktur eines Betriebes hängt von sehr vielen Faktoren ab, und es spielen dabei oft Umstände eine Rolle, die dem Außenstehenden i m Regelfall verborgen bleiben. Es sind sehr genaue und sehr schwierige Analysen erforderlich, um ein wissenschaftlich fundiertes B i l d von der Individualität eines Betriebes zu gewinnen. M i t diesem Sachverhalt muß jeder rechnen, der eine Kooperation der Betriebe auf dem Gebiete der Betriebspädagogik organisieren w i l l . Eine égalisation wäre nur dann möglich, wenn man genau wissen würde, wie die innere Struktur der Betriebe beschaffen ist und wo und wie daher die Vereinheitlichung angesetzt werden kann; es ist aber unrealistisch, m i t einer solchen Kenntnis zu rechnen. Es ist daher richtiger, den Weg der harmonisation zu gehen. Er setzt allerdings voraus, daß man die Geduld dazu hat abzuwarten, bis die Entwicklung reif für den nächsten Schritt ist, und daß man trotzdem beharrlich das gesetzte Ziel verfolgt und sich nicht entmutigen läßt, wenn manchmal das Tempo der Entwicklung allzu langsam erscheint. Es ist dies aber der einzige Weg, der zu bleibenden Erfolgen führt.
V. Der geistesgeschichtliche Standort der Betriebspädagogik Die Frage nach den geschichtlichen Hintergründen der heutigen betriebspädagogischen Probleme ist die Frage nach dem geistesgeschichtlichen Standort der Betriebspädagogik. Es handelt sich bei dem Versuch der Beantwortung um wesentlich mehr als nur um das Bemühen, historische Fakten zu erfahren, die es leichter machen, das, was heute ist, zu verstehen. Es geht vielmehr darum, die durch die Entstehung des Betriebes verursachten neuen Erziehungsprobleme als einen Teil der neuen geistigen Wirklichkeit i n der Kulturepoche des Industrialismus zu begreifen. Die Geschichte des europäischen Industrialismus ist primär ein geistesgeschichtlicher und sekundär zugleich auch ein wirtschafts- und gesellschaftsgeschichtlicher Prozeß, und diese Veränderung der europäischen K u l t u r hat auch i m Bereich der Erziehung große Folgen gehalt. Sie hat vor allem bewirkt, daß das Verhältnis zwischen Erziehung und Wirtschaft einen neuen Inhalt bekommen hat. I n der industriellen Kulturepoche ist die Grundeinheit der W i r t schaft, der Betrieb, ein Sozialgebilde, das auf Grund eigenen Rechtes Träger von Erziehungsrechten und von Erziehungspflichten ist und das aus innerer Notwendigkeit pädagogisch handeln muß. Die betriebliche
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Bildungspolitik ist ein notwendiger Bestandteil der Betriebspolitik und dient ebenso wie die anderen Maßnahmen des Betriebes der langfristigen Sicherung von dessen Existenz. Die Betriebspädagogik ist diejenige Wissenschaft, die den Tatbestand untersucht, daß i n der modernen K u l t u r der Betrieb ein wesentlicher Erziehungsfaktor ist. Sie ist eine erziehungswissenschaftliche Disziplin, die durch den Verlauf der K u l turgeschichte i n den letzten Jahrhunderten notwendig und möglich geworden ist. U m ihre Arbeit leisten zu können, ist sie darauf angewiesen, daß sie Näheres über die Wandlungsprozesse erfährt, die sich i n den letzten Jahrhunderten i n Europa ereignet haben. Aus diesem Grunde hat sich der zweite Hauptteil dieser Untersuchung m i t den historischen Hintergründen der heutigen betriebspädagogischen Probleme befaßt.
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit I. Material der Sachverständigenkommission „Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung" und anderer amtlichen Stellen Es ist berechtigt zu fragen, ob der Bereich der Bildungsarbeit der Betriebe tatsächlich so wichtig ist, daß er eine besondere Aufmerksamkeit sowohl der Bildungspolitiker als auch der Wirtschafts- und Sozialpolitiker beanspruchen kann. Als A n t w o r t auf diese Frage werden i n dem folgenden Kapitel Zahlen vorgelegt, die die Dringlichkeit der Beschäftigung m i t den Problemen der Betriebspädagogik belegen. Der Verfasser verwendet dabei neben anderem Material vor allem die Untersuchungsergebnisse, zu denen eine auf Grund eines Beschlusses des Bundestages von der Bundesregierung i m Jahre 1971 eingesetzte Sachverständigenkommission gekommen ist. Deren „Abschlußbericht" über „Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen B i l dung" ist 1974 der Öffentlichkeit übergeben worden 1 . Dieser Bericht ist bis heute die wichtigste Unterlage für die Behandlung von Kostenproblemen der Berufsbildung geblieben, denn es ist seitdem keine Veröffentlichung erschienen, die neues Material enthält, das ebenso umfassend ist und ebenso zuverlässig ermittelt worden ist wie die A n gaben i n dem Kommissionsbericht. Da diese i m wesentlichen aus den Jahren 1971 und 1972 stammen, geben sie allerdings den heutigen Stand der Dinge nur bedingt wieder. Der Verfasser hat daher i n den Berichten über die Bildungsarbeit einiger Betriebe, Verbände und Kammern Zahlen aus den Jahren 1975 bis 1977 mitgeteilt. Der Vergleich zwischen den Summen in dem Kommissionsbericht und den späteren Werten zeigt den inzwischen eingetretenen Anstieg des Bildungsaufwandes der Wirtschaft; es muß dabei allerdings auch die i n diesem Zeitraum erfolgte Geldentwertung berücksichtigt werden. Es ist jedoch nicht möglich, auf der Basis dieses neueren Materials für den gegenwärtigen Zustand Berechnungen durchzuführen, deren Zuverlässigkeitsgrad ebenso hoch ist wie derjenige des Kommissionsberichtes. 1 Veröffentlicht durch den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. I n dem weiteren Text werden die Ausdrücke „Kommission" und „Abschlußbericht" verwendet. — Wie aus dem der Kommission erteilten Auftrag hervorgeht, hatte sie auch die Aufgabe, Voschläge für die Finanzierung der Berufsbildung auszuarbeiten. Darauf wird in der vorliegenden Untersuchung nicht eingegangen.
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Dieser hat außerdem den Vorzug, daß er Verhältniswerte enthält, durch die wichtige Zusammenhänge beleuchtet werden, die auch heute noch bestehen. Es ist daher notwendig, so vorzugehen, daß der Kommissionsbericht als die Ausgangsbasis für alle Kostenüberlegungen verwendet w i r d und daß dessen Angaben durch weiteres Material aus den letzten Jahren ergänzt werden. Bevor aus dem Kommissionsbericht Zahlen mitgeteilt werden, muß aber etwas zu dem unklaren Ausdruck „außerschulisch" gesagt werden. Er ist so zu interpretieren, daß damit der i n § 2 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes von 1969 festgelegte Geltungsbereich dieses Gesetzes gemeint w i r d : „Dieses Gesetz gilt für die Berufsbildung, soweit sie nicht i n berufsbildenden Schulen durchgeführt wird, die den Schulgesetzen der Länder unterstehen." Positiv ausgedrückt heißt das, daß zu der „außerschulischen beruflichen Bildung" gehören a) alle der Berufsbildung dienenden Einrichtungen, die keine Schulen sind, und b) solche berufsbildenden Schulen, die nicht von den Kultusministerien der Länder verwaltet werden. Dies sind ζ. B. die Werkschulen und die von den Einzelhandelsverbänden unterhaltenen Fachschulen. Es ist nicht so, daß i n der Bundesrepublik alle Schulen den Schulgesetzen und damit den Kultusministerien der Länder unterstehen; es gibt i m Gegenteil zahlreiche Schulen, die sich außerhalb des Geltungsbereiches der Schulgesetze befinden. Für sie gelten andere gesetzliche Vorschriften, vor allem solche des Gewerberechtes. Dazu gehören viele Einrichtungen für betriebsinternen Unterricht und alle überbetrieblichen Bildungsstätten, in denen Unterricht erteilt wird. Obwohl sie im Sinne des täglichen Sprachgebrauches oft Schulen sind und häufig auch als solche bezeichnet werden, sind sie i m Sinne der Terminologie des Berufsbildungsgesetzes und damit auch der genannten Sachverständigenkommission Institutionen, die der „außerschulischen Berufsbildung" dienen. Zu diesem Bereich gehören ferner Einrichtungen, die nicht von der Wirtschaft geschaffen worden sind, ζ. B. Fortbildungskurse der Ärztekammern, Anwaltskammern und dergl. — I n einem juristischen Grenzgebiet liegen die wenigen Werkschulen, die „Ersatzschulen" sind, weil ihre Schüler (Lehrlinge) nicht i n eine öffentliche Berufsschule zu gehen brauchen, da der Besuch dieser A r t von Werkschulen den Besuch einer öffentlichen Berufsschule „ersetzt". Die meisten Werkschulen haben jedoch nicht diesen Charakter, sondern sind „Ergänzungsschulen" und gehören daher zu der außerschulischen Berufsbildung. Es ist an sich für die Erörterung der Probleme der außerschulischen Berufsbildung notwendig, daß genaue Zahlen über die Institutionen vorliegen, i n denen sie geschieht. Leider ist das vorhandene Material ungenau und unvollständig. Die Kommission hat i n dem Abschlußbericht den Ausdruck „Ausbildungsbetrieb" verwendet, ohne genau zu
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sagen, was sie darunter versteht. Vor allem ist aus dem Text des Gutachtens nicht zu erkennen, ob sie die überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen als besondere Ausbildungsbetriebe gezählt hat, oder ob sie bei Industrie, Handel und Handwerk nur die ausbildenden Unternehmungen als Ausbildungsbetriebe angesehen hat. I n dem Abschlußbericht w i r d lediglich gesagt: „Über die Zahl der Ausbildungsbetriebe außerhalb von Industrie, Handel und Handwerk liegen keine zuverlässigen Informationen vor. Die Gesamtzahl aller Ausbildungsbetriebe in der Bundesrepublik dürfte jedoch vermutlich die Zahl 400 000 übersteigen 2 ." Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft hat für 1975 m i t folgenden Zahlen gerechnet: i m Bereich der Handwerkskammern ca. 175 000 -180 000 Ausbildungsbetriebe, i m Bereich der Industrie- und Handelskammern ca. 136 000 Ausbildungsbetriebe, i m Bereich der Landwirtschaftskammern ca. 15 000 Ausbildungsbetriebe, ferner ca. 50 000 - 60 000 sonstige Ausbildungsbetriebe (Hauswirtschaft, öffentlicher Dienst, freie Berufe) 3 . Da bisher weder i n der Wirtschaftsnoch i n der Bildungsstatistik eine Zählung der Ausbildungsbetriebe vorgenommen worden ist, besitzt das Statistische Bundesamt keine Unterlagen. Es muß daher leider festgestellt werden, daß bis heute (1978) genaue Angaben über die Zahl der Ausbildungsbetriebe i n der Bundesrepublik fehlen. Ebenso hat die Kommission nicht genau ermitteln können, wie groß die Zahl der Personen ist, die i n den Ausbildungsbetrieben m i t der Unterweisung von Lehrlingen (Auszubildenden) beauftragt sind. Sie hat jedoch geschätzt, „daß die Zahl der Ausbilder eine halbe Million übersteigt" 4 . I n dieser Summe sind jedoch auch alle Angestellten und Arbeiter enthalten, die ohne eine besondere Vorbildung an der Erstausbildung der Jugend mitwirken. Die „Ausbildung der Ausbilder" ist erstmalig von dem Bundeswirtschaftsministerium durch die „AusbilderEignungsverordnung für die gewerbliche Wirtschaft" (AEVO) vom 20.4.1972 geregelt worden; diese ist also erst nach der Fertigstellung des Abschlußberichtes der Kommission wirksam geworden. Es sollen daher hier Zahlen des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft für den Stichtag 31.12.1975 mitgeteilt werden 5 (siehe Tabelle 12 auf S. 92). Außerdem w i r d eine handwerkliche oder landwirtschaftliche Meisterprüfung gemäß § 6,1 als Ersatz einer nach § 4 abgelegten Eignungs2
Abschlußbericht S. 25; diese Angabe gilt für 1972. Schreiben des B M B W vom 8.11.1976. Es wird darin gesagt: „Es gibt keine genauen Statistiken. Besondere Angaben für den öffentlichen Dienst liegen nicht vor, also auch nicht eine Untergliederung für Versorgungsbetriebe, Bundesbahn, Bundespost, Bundeswehr." 4 Abschlußbericht S. 29. 5 Schreiben des B M B W vom 8.11.1976. 8
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Tabelle 12 Erlangung der Ausbildereigenschaft gemäß AEVO
a) abgelegte Prüfungen nach § 4 b) Befreiung wegen mehrjähriger Ausbildertätigkeit nach § 7,1 c) Befreiung wegen anderer pädag. Prüfungen nach § 6,1
1973 -1975
davon 1975
49 743
14 300
123 950
27 200
16 150
5 280
189 843
46 780
prüfung anerkannt. I m Jahre 1975 wurden 28 800 derartige Prüfungen abgelegt; diese Summe ist den obigen Zahlen hinzuzurechnen. Man darf vermuten, daß gegenwärtig (1978) i n der gewerblichen Wirtschaft rund 220 000 betriebspädagogische Fachkräfte m i t Ausbildereigenschaft gemäß AEVO vorhanden sind. Dieser Summe ist die Zahl der Lehrkräfte in den wirtschaftsberuflichen Schulen gegenüber zu stellen . Die zur Verfügung stehenden Zahlen des Statistischen Jahrbuches für die Bundesrepublik 1976 betreffen allerdings 1974. Dieser Unterschied ist jedoch ohne große Bedeutung, da ohnehin ein exakter Vergleich aus mehreren Gründen nicht möglich ist; es kommt hier nur auf die Veranschaulichung der Größenordnung an. Die Zahlen lauten 6 : Tabelle 13 Lehrer in den wirtschaftsberuflichen Schulen 1974
Berufsschulen (einschl. Berufsgrundbildungsjahr) Berufsfachschulen Berufsaufbauschulen Fachoberschulen, Fachgymnasien
Vollzeitlehrer
Teilzeitlehrer
42 306 4 943 101 2 245
32 296 4 824 180 2 852
49 595
40 152
Es ergibt sich m i t h i n das folgende Bild. Den rund 220 000 v o l l qualifizierten Ausbildern in den Betrieben stehen rund 50 000 Lehrer i n den wirtschaftsberuflichen Schulen gegenüber. Außerdem sind i n diesen Schulen rund 40 000 Praktiker tätig 7 ; diese erteilen i m Regelfalle branchenspezifischen Fachunterricht. Es ist wahrscheinlich, daß ein Teil dieser Praktiker die Ausbilderbefähigung besitzt; darüber gibt es jedoch keine Unterlagen. Bevor die Tabelle analysiert wird, muß aber darauf β Statistisches Jahrbuch für die BRD 1976, S. 96. 7 Wahrscheinlich befindet sich unter den Teilzeitlehrern auch eine geringe Zahl von Lehrern anderer Schularten.
I. Amtliches Material über die Bildungskosten der Wirtschaft
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hingewiesen werden, daß die Vollzeitlehrer i n der Woche 20 und mehr Stunden Unterricht erteilen, die Teilzeitlehrer dagegen erheblich weniger; i m Regelfall dürften es nur zwei Stunden sein. Es w i r d einigermaßen der Wirklichkeit entsprechen, wenn man annimmt, daß die Vollzeitlehrer zusammen i n der Woche mehr als 1 000 000 Stunden geben, die Teilzeitlehrer dagegen nur 100 000; eine Statistik der von den beiden Gruppen erteilten Wochenstunden gibt es leider nicht. Die Bedeutung der beiden Gruppen w i r d daher nicht durch die Relation 5 :4, sondern durch die Relation 1 0 : 1 ausgedrückt. Aber auch dieses Zahlenverhältnis zeigt, daß die wirtschaftsberufliche Schule auf die Mitarbeit von Fachlehrern angewiesen ist, die aus den Betrieben kommen. Auch nach der Beseitigung des Mangels an Handels- und Gewerbelehrern i n den beruflichen Schulen w i r d es so bleiben, daß der Fachunterricht weitgehend von Praktikern erteilt werden muß, damit die Nähe zu der betrieblichen Wirklichkeit gesichert wird. Die Einführung der Ausbildereignungsprüfung für Praktiker w i r k t sich dabei günstig aus, denn es stehen seitdem für den nebenamtlichen Schulunterricht Praktiker m i t betriebspädagogischer Ausbildung zur Verfügung. Eine besondere Beachtung verdient aber das Zahlenverhältnis von 50 000 Lehrern zu 220 000 pädagogischen Fachkräften der Betriebe. Die Wirtschaft hat schon lange vor dem Erlaß der AEVO dem Problem der Ausbildung der Ausbilder große Aufmerksamkeit gewidmet. Der Deutsche Industrie- und Handelstag und die einzelnen Handelskammern sowie andere Selbstverwaltungsinstitutionen der Wirtschaft haben durch die Organisierung von Ausbilderseminaren und ähnlichen Maßnahmen bahnbrechende Arbeit geleistet, so daß das Bundesministerium für Wirtschaft bei der AEVO auf den dabei gewonnenen Erfahrungen aufbauen konnte. Es ist eine große Leistung, daß es i n rund 20 Jahren gelungen ist, Klarheit über Inhalt und Form der Ausbildung der Ausbilder zu schaffen und die notwendigen praktischen Maßnahmen für die Durchführung dieses Programms zu organisieren. Dabei ist besonders wichtig, daß diese Ausbildung in dem ganzen Bundesgebiet nach den gleichen Vorschriften erfolgt. Diese schnelle und einheitliche Regelung ist nur möglich gewesen, weil die Kultusministerien der deutschen Länder keinen Einfluß auf die Ausbildung dieser Betriebspädagogen gehabt haben und haben. Wenn dies der Fall gewesen wäre, dann wäre wahrscheinlich das Projekt der Ausbildung der Ausbilder noch i n dem Stadium ministerieller Erwägungen und der Diskussionen der Bildungsplaner. Es ist sehr bedauerlich, daß diese Feststellung getroffen werden muß; sie ist aber durch die heutigen Verhältnisse i m Bildungssektor gerechtfertigt. Wahrscheinlich ist es für die Sache gut gewesen, daß die meisten Erziehungsfachleute i n den Kultusministerien, Hochschulen und Schulen nicht vorher erfahren haben, daß durch die Regelung der
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Ausbildung der Ausbilder ein in der Wirtschaftspraxis seit einiger Zeit bestehender Erzieherberuf amtlich sanktioniert worden ist. Es ist allerdings jetzt notwendig, daß diese Tatsache auch von den Schulfachleuten zur Kenntnis genommen wird, denn die 220 000 Ausbilder i n den Betrieben sind die Kollegen der 50 000 Lehrer i n den wirtschaftsberuflichen Schulen. Die Bedeutung des Sachbereiches Betriebspädagogik w i r d aber besonders eindrucksvoll durch eine Betrachtung der finanziellen Aufwendungen veranschaulicht, die dafür getätigt werden. Die Kommission hatte den speziellen Auftrag, diesen schwer durchschaubaren Komplex systematisch zu untersuchen. Sie hat sehr umfangreiche und gründliche Erhebungen und Berechnungen durchgeführt und ist dadurch zu Ergebnissen gelangt, die eine hohe Aussagekraft besitzen. Die Feststellungen der Kommission sind eine zuverlässige Grundlage für alle Überlegungen, die das Kostenproblem betreffen. „Aus den Erhebungen und Hochrechnungen der Kommission geht hervor, daß die Bruttokosten der außerschulischen beruflichen Bildung (Berufsausbildung und berufliche Weiterbildung) i n der Bundesrepublik Deutschland i m Jahre 1971/72 rund 11,1 Milliarden D M betrugen 8 ." Die Gesamtsumme erhöht sich auf knapp 12 Milliarden DM, wenn man die Kosten der beruflichen Bildung bei der Deutschen Bundesbahn, der Deutschen Bundespost und der Bundeswehr hinzurechnet. Die Kommission hat dazu die folgenden Zahlen angegeben 9 : Millionen D M Deutsche Bundesbahn, Gesamtkosten des Bildungswesens Deutsche Bundespost, Gesamtkosten der Ausbildung desgl. der Weiterbildung Bundeswehr, Kosten für den Berufsförderungsdienst
1968 10
157
1972 1972
584 75
1970
33 849
Die Kommission hat diese Bereiche jedoch bei ihren Überlegungen außer Betracht gelassen, da es i h r nur darauf ankam, das Problem der Berufsbildungskosten i n der Wirtschaft zu untersuchen. Aus dem gleichen Grunde w i r d auch i n der vorliegenden Studie so verfahren. Es wäre aber sicher sehr aufschlußreich, wenn eine ähnliche Arbeit wie das Gutachten der Kommission für den Bereich des öffentlichen Dienstes angefertigt würde, so daß es dadurch möglich würde, die Bildungs8 Gutachten S. 436. » Gutachten S. 137. 10 Es ist erstaunlich, daß die Kommission keine neueren Angaben von der Bundesbahn erhalten hat.
I. Amtliches Material über die Bildungskosten der Wirtschaft
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arbeit der Betriebe m i t derjenigen der öffentlichen Verwaltungen anhand von Zahlen zu vergleichen. Leider ist es unwahrscheinlich, daß eine solche Studie i n absehbarer Zeit durchgeführt werden wird. Für die weiteren Überlegungen w i r d daher die Summe von 11,1 M i l liarden D M zugrunde gelegt. „Von dieser Gesamtsumme der erfaßten Bruttokosten entfielen 10,46 Mrd. 0,20 Mrd. 0,24 Mrd. 0,21 Mrd.
DM DM DM DM
= 94,1 °/o auf die = 1,8 % auf die = 2,2 °/o auf das = 1,9 °/o auf die
gewerbliche Wirtschaft 11 , Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Beratenden Berufe 12 ."
Das Schwergewicht der außerschulischen Berufsbildung liegt also eindeutig bei der Wirtschaft. Es ist daher gerechtfertigt, die weitere Analyse dieser Bildung auf den Bereich der gewerblichen Wirtschaft zu beschränken. Die öffentliche Bedeutung der außerschulischen Berufsbildung w i r d sichtbar, wenn man die Summe von 11,1 Milliarden D M i n Beziehung zu dem Bruttosozialprodukt setzt, das 1972 823,9 Milliarden D M betrug 1 3 . Es ergibt sich ein Satz von 1,4%. Noch anschaulicher w i r d die Bedeutung der außerschulischen Berufsbildung, wenn man die 11,1 M i l l i a r den D M m i t den i n den öffentlichen Haushalten nachgewiesenen Ausgaben für das Bildungswesen vergleicht. Bund, Länder und Gemeinden haben zusammen i m Jahr 1972 rund 25,4 Milliarden D M für das Schulwesen auf gewendet 14 . Diesem Posten sind die 11,1 Milliarden D M gegenüber zu stellen, die von der Wirtschaft und einigen weiteren freien Trägern von Bildungseinrichtungen aufgebracht worden sind. Da es sich bei der außerschulischen Berufsbildung i m wesentlichen um Maßnahmen für die berufliche Erstausbildung und die anschließende Fortbildung handelt, sind diese außerschulischen Kosten vor allem m i t den öffentlichen Aufwendungen 1 5 für das wirtschaftsberufliche Schulwesen zu vergleichen. Dieses hat 1972 gekostet 16 : Tabelle 14 Kosten des wtrtschaftsberuflichen Schulwesens 1972 Berufsschulen einschl. Berufsaufbauschulen Berufsfachschulen Fachschulen Ingenieurschulen und Höhere Wirtschaftsfachschulen
1,937 Mrd. 0,457 Mrd. 0,245 Mrd. 0,267 Mrd.
Gesamtkosten des wirtschaftsberuflichen Schulwesens
2,906 Mrd. D M
11
DM DM DM DM
Darunter sind die Betriebe zu verstehen, die Mitglieder von Industrieund Handelskammern oder von Handwerkskammern sind. 12 Abschlußbericht S. 436. 13 Statistisches Jahrbuch 1976 für die BRD, S. 516. Es handelt sich um das Sozialprodukt „in jeweiligen Preisen".
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Da in den 11,1 Milliarden D M auch die Ausbildungsbeihilfen enthalten sind, die von den Betrieben an die Auszubildenden gezahlt werden, sind die beiden Posten 11,1 Milliarden D M und 2,9 Milliarden D M nicht voll vergleichbar. Es w i r d hier aber das Problem sichtbar, ob es richtig ist, daß der Betrieb die Ausbildungsbeihilfe allein zu tragen hat, obwohl der Auszubildende von den 5 Tagen der Arbeitswoche mindestens einen, oft aber zwei i n der Berufsschule und nur vier oder drei in dem Betrieb verbringt. Wenn m i t dem Prinzip ernst gemacht wird, daß der Staat und die Wirtschaft gleichberechtigte Partner i n der Berufsausbildung sind, dann ergibt sich daraus, daß sie auch die Lasten gemeinsam zu tragen haben. Daraus folgt, daß eigentlich der Staat denjenigen Anteil an den Ausbildungsbeihilfen übernehmen müßte, der dem von der Berufsschule beanspruchten Anteil an der Wochenarbeitszeit des Auszubildenden entspricht, also etwa ein Fünftel oder zwei Fünftel. Es ist aber bei der heutigen Finanzlage unrealistisch, eine solche Mehrbelastung des Staates vorzuschlagen. Das Verhältnis von 2,9 M i l l i a r den D M zu 11,1 Milliarden D M zeigt, daß er heute nur ein Fünftel der unterhalb der Universitätsebene anfallenden Berufsbildungskosten trägt. Dies ist ein sehr wichtiger Tatbestand. Er besagt, daß das heute bestehende deutsche Berufsbildungssystem dadurch charakterisiert wird, daß die Wirtschaft den weitaus überwiegenden Teil der Kosten aufbringt. Bei jeder beabsichtigten Änderung dieses Systems muß daher nicht nur geprüft werden, ob dadurch die Gesamtkosten erhöht werden, sondern auch, ob dadurch die anteilige Belastung der beiden Partner Wirtschaft und Staat geändert wird. Eine noch weiter gehende Aufgliederung der Kosten der außerschulischen beruflichen Bildung hat die Kommission i n einer Tabelle vorgenommen, die nachstehend wiedergegeben w i r d 1 7 . I n der nachstehenden Tabelle 15 fällt auf, daß es i n ihr unter I I I einen Bereich „öffentlicher Dienst" gibt, der i n der früher mitgeteilten A u f schlüsselung der 11,1 Milliarden Gesamtkosten nicht vorkommt. Aus den Erläuterungen ergibt sich, daß es sich nur um das Ergebnis einer Stichprobe handelt, die kein umfassendes B i l d geliefert hat; diese Zahlen hätten daher eigentlich gar nicht i n die Tabelle aufgenommen werden dürfen. Innerhalb der 11,1 Milliarden D M Bruttokosten und 7,7 M i l liarden D M Nettokosten sind die unter I I I angegebenen Kosten i m übrigen so geringfügig, daß sie vernachlässigt werden können. Für die vorliegende Untersuchung ist besonders der Teil I wichtig, da er Zahlen Statistisches Jahrbuch 1975, S.402. Aufwendungen von Bund, Ländern und Gemeinden. 16 Statistisches Jahrbuch 1975, S. 404. 17 Abschlußbericht S. 143. 15
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I. Amtliches Material über die Bildungskosten der Wirtschaft Tabelle 15 Gesamtkosten der außerschulischen beruflichen Ausbildung 1971/72 (Mio. D M - Erhebungen der Kommission)
Bereich
I. IHK, H W K b ) 1. Betriebe 2. Zentrale Einrichtungen der Unternehmen 3. Kammern 4. Arbeitgeberorganisationen 5. Arbeitnehmerorganisationen
Kosten der Berufsausbildung
Kosten der beruflichen Weiterbildung
Brutto- ι Nettokosten kosten
Nettokosten
Brutto- Ι Nettokosten I kosten
7 886,6
4979,4
1682,9
9764,7
6857,5
103,8 129,8
103,8 129,8
423,1 2,3
526,9 132,1
526,9 132,1
10,4
10,4
21,9
32,3
32,3
Gesamte Bildungskosten (einschl. sonstige Bildungskosten) a )
0,1
0,1
5,9
6,0
6,0
8130,7
5223,5
2136,1
10462,0
7554,8
Π. Landwirtschaft 1. Betriebe 2. Kammern
160,0 35,8
11,4 35,8
0,4
160,0 36,2
11,4 36,2
Summe Π
195,8
47,2
0,4
196,2
47,6
ΠΙ. öffentlicher Dienst 1. Betriebe 2. Arbeitnehmerorganisationen
1,3
1,2
1,3
1,2
0,1
0,1
0,1
Summe ΠΙ
1,3
1,2
0,1
1,4
1,3
IV. Gesundheitswesen 1. Betriebe 2. Kammern
233,6 2,9
3.8 2.9
0,8
233,6 3,7
3,8 3,7
Summe I V
236,5
6,7
0,8
237,3
7,5
V. Beratende Berufe 1. Betriebe 2. Kammern
204,7 2,3
49,1 2,3
204,7 2,3
49,1 2,3
Summe I
Summe V VI. Gesamtsumme
207,0
51,4
8771,3
5330,0
-
-
2137,4
207,0
51,4
11103,9
7662,6
a) Praktikantenausbildung, Umschulung etc. b) Zuständigkeitsbereich der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern (gewerbliche Wirtschaft).
f ü r die gewerbliche Wirtschaft angibt. Da v o n den Gesamtbruttokosten i n H ö h e v o n 11,1 M i l l i a r d e n D M 10,46 M i l l i a r d e n D M = 94,1 °/o u n d v o n d e n G e s a m t n e t t o k o s t e n i n H ö h e v o n 7,66 M i l l i a r d e n D M 7,55 M i l l i a r 7 Abraham
98
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
den D M = 98,6 °/o auf die gewerbliche Wirtschaft entfallen, kann man sagen, daß i n der Regel stets die gewerbliche Wirtschaft gemeint wird, wenn von außerschulischer Berufsbildung gesprochen wird. Es ist ferner wichtig, den Unterschied zwischen den Bruttokosten und den Nettokosten zu betrachten. Er spielt nur bei der Berufsausbildung (Erstausbildung der Auszubildenden) und dort nur bei der Ziffer 1, Betriebe, eine Rolle. Er beträgt bei der gewerblichen W i r t schaft 2,907 Milliarden DM. Diese Summe ist der Wert der von den Auszubildenden während der Ausbildungszeit erwirtschafteten Erträge; sie ist von der Kommission auf Grund ihrer Unterlagen geschätzt worden. Die Bruttokosten umfassen dagegen die Bildungsausgaben, über die es i n den Betrieben Unterlagen i n der Buchhaltung gibt. Sowohl die Errechnung der Bruttokosten als auch die Schätzung der Nettokosten ist sehr schwierig, und es soll hier auf diese Problematik nicht näher eingegangen werden; es werden vielmehr ohne K r i t i k die A n gaben der Kommission verwendet. Es ist aber zu überlegen, ob es genügte, nur die Nettokosten anzugeben, da man sagen kann, daß nur sie die tatsächliche Belastung der Wirtschaft darstellen. Darauf ist zu erwidern, daß auch die Kenntnis der Bruttokosten wichtig ist, denn deren Summe besagt, welche Beträge die Betriebe zunächst aufzuwenden haben. Die Rückerstattung eines Teiles dieser Summe durch die produktive Arbeit der Lehrlinge ist m i t einer erheblichen Ungewißheit belastet, denn es hängt von vielen Faktoren ab, ob sie tatsächlich stattfindet. Wenn sich ein Betrieb darauf einläßt, Lehrlinge auszubilden, dann muß er daher i n seiner Kostenrechnung von den Bruttokosten ausgehen und danach i m Laufe der Zeit überprüfen, i n welchem Umfange eine Rückerstattung durch produktive Leistungen der Auszubildenden erfolgt ist und wie hoch daher seine Nettokosten sind. Die Kommission hat i n der Tabelle 15 bei I die Träger der Berufsbildungskosten i n 5 Gruppen eingeteilt und damit wichtige Einblicke ermöglicht. Es soll hier nur auf die folgenden Punkte hingewiesen werden. Die unter Ziffer 2 gemeinten überbetrieblichen Bildungsstätten haben bereits 1972 eine große Rolle gespielt; die Wirtschaft hat dafür mehr als eine halbe Milliarde D M aufgewendet. Dieser Sektor ist inzwischen von der Wirtschaft erheblich ausgebaut worden, so daß heute (1978) der Aufwand der Wirtschaft wesentlich höher ist. Ferner ist bemerkenswert, daß die Wirtschaft offensichtlich der beruflichen Weiterbildung der erwachsenen Mitarbeiter eine große Bedeutung beimißt und daher 1972 für diesen Zweck mehr als zwei Milliarden D M ausgegeben hat. Auch i n diesem Bereich dürfte von 1972 bis heute eine erhebliche Zunahme erfolgt sein. Ferner ist eine Arbeitsteilung zwischen den Kammern und den Arbeitgeberverbänden erkennbar. Die
I. Amtliches Material über die Bildungskosten der Wirtschaft
99
Kammern betreuen die Erstausbildung der Jugend bis zu der Lehrabschlußprüfung und haben dafür 130 Millionen Mark ausgeben müssen. A u f dem Gebiet der Weiterbildung haben sie dagegen weniger Funktionen, und sie benötigten für diese Zwecke nur 2,3 Millionen DM. Die berufliche Weiterbildung ist dagegen ein besonderes Anliegen der Arbeitgeberverbände, die dafür 22 Millionen D M aufgebracht haben; daneben haben sie m i t 10,4 Millionen D M aber auch die Erstausbildung gefördert. Sehr erstaunlich ist die Feststellung der Kommission, daß sich die Gewerkschaften nur i n einem geringen Maße an der außerschulischen Berufsbildung beteiligt haben, denn die von ihnen aufgewendeten 6 Millionen D M sind i m Vergleich m i t den vorher genannten Posten ein sehr niedriger Betrag. Es ist dabei besonders verwunderlich, daß sie sich selbst i n der beruflichen Weiterbildung, die seit langem zu ihren besonderen Anliegen gehört, i n einem weiten Rückstand befinden. Sie haben dafür nur 5,9 Millionen D M i m Unterschied zu den 21,9 Millionen D M der Arbeitgeberverbände ausgegeben. Es muß hier erwähnt werden, daß die Seite der Gewerkschaften i n der Sachverständigenkommission angemessen vertreten gewesen ist, so daß ein Verdacht, daß die genannten Zahlen zuungunsten der Gewerkschaften manipuliert sein könnten, nicht aufkommen kann; er wäre ohnehin angesichts der Objektivität, m i t der die Kommission gearbeitet hat, von vornherein abwegig. Man muß vielmehr davon ausgehen, daß die Zahlen stimmen. Sie begründen die Vermutung, daß es die Gewerkschaften unterlassen haben, i h r seit langem bestehendes berufliches Bildungswesen i n der neuesten Zeit ebenso intensiv auszubauen, wie dies auf der Seite der Arbeitgeberverbände geschehen ist. Die Kommission hat die i n der Tabelle 15 angegebenen Gesamtkosten der ersten Phase der betrieblichen Bildung, der Ausbildung der Lehrlinge, umgerechnet auf die Kosten je Auszubildenden und Jahr und ist dabei zu folgenden Ergebnissen gekommen 18 (siehe Tab. 16 auf S. 100). Es ist deutlich an den Nettokosten zu erkennen, daß i n keinem Bereich die Ausbildung von Lehrlingen Gewinn bringt; durch die Einstellung eines Lehrlings erhält der Betrieb nicht eine billige Arbeitskraft, sondern einen Mitarbeiter, der Geld kostet. Da die angegebenen Zahlen Jahresbeträge sind, ergibt sich, daß die dreijährige Ausbildung eines Lehrlings i n einem Großbetrieb rund 20 000 D M gekostet hat, i n einem Industrie- oder Handelsbetrieb m i t weniger als 1 000 Beschäftigten rund 15 000 D M und i n einem Handwerksbetrieb rund 7 700 DM. Da es sich u m Ermittlungen i m Jahre 1972 handelt, sind heute die Zahlen erheblich höher; i n den folgenden Kapiteln w i r d dazu neueres Material mitgeteilt werden. ι» Abschlußbericht S. 437. 7*
100
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Tabelle 16 Ausbildungskosten je Auszubildenden und Jahr (1972) Die in der betrieblichen Berufsausbildung anfallenden
durchschnittlichen
Bruttokosten je Auszubildenden und Jahr betragen für die einzelnen Teilbereiche: IHK-Betriebe mit mehr als 1 000 Beschäftigten IHK-Betriebe mit bis zu 1 000 Beschäftigten HWK-Handwerksbetriebe Landwirtschaft Gesundheitswesen (Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Apotheken) Beratende Berufe
8 912 7 633 5 241 5 347 5 296 6 616
DM DM DM DM DM DM
Als durchschnittliche Nettokosten der Berufsausbildung ergaben sich für IHK-Betriebe mit mehr als 1 000 Beschäftigten IHK-Betriebe mit bis zu 1 000 Beschäftigten HWK-Handwerksbetriebe Landwirtschaft Gesundheitswesen (Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Apotheken) Beratende Berufe
6 692 5 050 2 582 381 86 1 589
DM DM DM DM DM DM
Wenn ein Betrieb sich dazu entschließt, m i t einem jungen Menschen einen Berufsausbildungsvertrag abzuschließen, dann entschließt er sich damit zugleich zu einem erheblichen Ausbildungsaufwand. Er ist dazu gesetzlich nicht verpflichtet, sondern kann sich auch dazu entschließen, kein Geld für die Berufsausbildung des Nachwuchses auszugeben und daher keine Ausbildungsverträge zu tätigen. Es kommt also letzten Endes darauf an, welche Gründe einen Betrieb dazu veranlassen, sich für oder gegen die Beteiligung an der Berufsausbildung der nächsten Generation zu entscheiden. M i t h i n ist das Risiko vorhanden, daß eines Tages sehr viele oder i n dem Grenzfall sogar alle Betriebe die negative Entscheidung treffen; wenn sie dies tun, dann machen sie von dem Recht der Vertragsfreiheit Gebrauch und verletzen daher nicht das geltende Recht. Wer verhindern w i l l , daß eine solche aus vielen Gründen unerwünschte Entwicklung eintritt, der muß sich die Frage vorlegen, wie vermieden werden kann, daß die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe aufhört. Dies ist eine sehr vielschichtige Problematik. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist dabei gewiß die Erwägung, daß derjenige, der eine Maßnahme bezahlt, auch verlangen darf, daß er an ihrer Gestaltung maßgebend beteiligt wird. Wenn dieser Einfluß Schritt für Schritt durch den Staat dadurch verringert wird, daß er die Berufsausbildung immer mehr nach Vorstellungen ordnet, die denen der W i r t schaft widersprechen, dann kann diese Entwicklung eine kritische Grenze erreichen, an der die Betriebe es ablehnen, weiterhin Geld für ein Ausbildungssystem zu bezahlen, das sie nicht wollen. Der Staat kann sie daran nicht hindern, denn er kann sie nicht dazu zwingen,
I. Amtliches Material über die Bildungskosten der Wirtschaft
101
Ausbildungsverträge abzuschließen. Er kann allerdings damit drohen, diesen Konflikt dadurch zu lösen, daß er das gesamte berufliche Ausbildungswesen i n eigene Regie übernimmt. Eine solche Drohung macht jedoch auf Fachleute nur einen geringen Eindruck, denn sie wissen, daß der Staat heute weder das Geld noch das Personal und auch nicht die Gebäude und die sonstigen Sachmittel hat, u m seine Drohung zu verwirklichen. Eine solche Politik des Staates würde vielmehr nur zu einem Zusammenbruch der Berufsausbildung führen. Bei der Besprechung der Tabelle 15 wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Wirtschaft i m Jahre 1971/72 mehr als 2 Milliarden D M für die berufliche Weiterbildung ausgegeben hat. Die Kommission hat diese Aufwendungen i n Beziehung zu den Belegschaftszahlen gesetzt und ist dadurch zu den folgenden Ergebnissen gekommen 19 . „ F ü r die berufliche Weiterbildung, bei der nur ausnahmsweise Erträge anfallen und somit die Bruttokosten nahezu den Nettokosten entsprechen, entstanden i n der BRD i m Jahre 1971 folgende Kosten je Beschäftigten und Jahr: IHK-Betriebe mit mehr als 1 000 Beschäftigten IHK-Betriebe mit bis zu 1 000 Beschäftigten HWK-Handwerksbetriebe als Durchschnitt für die drei Bereiche
198 60 36 80
DM DM DM DM
Werden die Leistungen der Zentralen für Teilbetriebe, der Kammern und sonstiger Träger außerbetrieblicher beruflicher Weiterbildung hinzugerechnet, erhöht sich dieser Durchschnitt auf 101 DM." Es besteht offensichtlich ein bemerkenswerter Zusammenhang zwischen der Betriebsgröße und der Höhe der betrieblichen Aufwendungen für die berufliche Weiterbildung. Man darf vermuten, daß i n der ersten Gruppe die Industrie dominiert und daß außerdem dazu die Großbanken, die Versicherungsgesellschaften und die Warenhäuser gehören, während die zweite Gruppe die mittleren Produktionsbetriebe und Handelsbetriebe umfaßt. Die Betriebe der ersten Gruppe verfügen meistens über besondere Einrichtungen für die Lehrlingsausbildung und können diese auch für Weiterbildungsmaßnahmen benutzen; einige haben besondere Bildungsstätten für die Zwecke der Fortbildung geschaffen. Bei vielen Betrieben der zweiten Gruppe fehlen solche Einrichtungen, und es ist daher für diese schwerer, eine betriebsinterne Weiterbildung zu organisieren. Das Gleiche gilt für das Handwerk. Es ist eine offene Frage, i n welcher Weise die Betriebe der zweiten und der dritten Gruppe diesen Mangel ausgleichen. I n den von der Kommission erarbeiteten Statistiken ist aber dieses Bemühen nicht sichtbar geworden. i · Abschlußbericht S. 437.
102
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Es ist ein wichtiger Tatbestand, daß i m Jahre 1971 von der deutschen Wirtschaft für jeden i n ihr tätigen Mitarbeiter i m Durchschnitt mehr als 100 D M für die berufliche Weiterbildung ausgegeben worden sind. Das bedeutet, daß dieser Bereich heute ein wichtiger und umfangreicher Bestandteil i n dem Gesamtsystem der institutionalisierten Berufsbildung ist. Wahrscheinlich hat seine Bedeutung i n den letzten Jahren, d. h. i n der Zeit von 1972 bis 1978, erheblich zugenommen, da gerade auf diesem Gebiet die Betriebe eine große A k t i v i t ä t entwickelt haben. Die Betriebspädagogik darf sich daher nicht darauf beschränken, nur die erste Phase der Berufsbildung, nämlich die Erstausbildung (Berufsausbildung i m Sinne des Berufsbildungsgesetzes), zu betrachten. Sie muß vielmehr ihre Aufmerksamkeit ebenso intensiv auch auf die zweite Phase, die berufliche Weiterbildung, richten. M i t diesen Überlegungen soll die Auswertung des Abschlußberichtes der Sachverständigenkommission für die Fragen der Kosten der außerschulischen Berufsbildung abgeschlossen werden. Es muß noch einmal betont werden, daß die absoluten Zahlen der Kommission aus den Jahren 1971 und 1972 stammen. Wenn man sie liest, dann muß man daher für jedes seitdem vergangene Jahr eine Steigerungsrate hinzurechnen, die allerdings nicht genau beziffert werden kann. Da die meisten Posten i n einem Zusammenhang m i t den Lohnkosten stehen, ist m i t einer Zuwachsrate von jährlich 6 bis 10 °/o zu rechnen. Für Vergleiche m i t späterem Material sind daher vor allem die von den W i r kungen der Inflation unabhängigen Prozentwerte wichtig. Die absoluten Zahlen behalten jedoch dadurch eine große Bedeutung, daß sie die Größenordnung sichtbar machen, u m die es bei den Kosten der betrieblichen Berufsbildung geht. Dies sind nicht Bagatellbeträge, die so gering sind, daß sie i n der Kostenrechnung eines Betriebes irgendwie abgebucht werden können, ohne besonders i n Erscheinung zu treten. Es handelt sich vielmehr um Aufwendungen, die durchaus ins Gewicht fallen. Dies w i r d aus den i n dem nächsten Kapitel mitgeteilten Zahlen einiger Unternehmungen noch deutlicher sichtbar. I I . Material einiger Betriebe 1. Allgemeine
Bemerkungen
zu diesem Material
I n den folgenden Ausführungen w i r d der Verfasser Zahlen verwenden, die er von Betrieben erhalten hat, m i t denen er i n Kontakt steht. Dieses Material ist höchst wertvoll, denn es zeigt, wie die betriebspädagogischen Probleme i n der Wirklichkeit der Betriebspraxis aussehen. Es besteht überwiegend aus internen Berichten der für Bildungsund Personalfragen verantwortlichen Abteilungen; dazu kommen Ver-
I I . Material einiger Betriebe
103
öffentlichungen, die für Verbände, Kammern und ähnliche Institutionen bestimmt sind. Außerdem hat der Verfasser viele für i h n sehr wichtige Informationen durch Gespräche erhalten. Manche konkreten Angaben hat er nicht i n dieser Untersuchung verwenden dürfen, da er u m Verschwiegenheit gebeten worden ist; sie haben aber wesentlich dazu beigetragen, daß er sich einen Überblick über die anstehenden Fragen verschaffen konnte. Es wäre allerdings unrealistisch, wenn man unterstellen würde, daß alle Unternehmungen beispielsweise bei der Erfassung der Berufsbildungs-Gemeinkosten und deren Verteilung auf Kostenträger nach den gleichen Grundsätzen vorgegangen sind. Die lückenlose Ermittlung der Berufsbildungs-Gemeinkosten ist ein Ziel, das i n keinem der dem Verfasser bekannten Betriebe ganz erreicht wird, da die totale Erfassung aller i n Frage kommenden Posten schließlich einen so hohen Aufwand verursachen würde, daß eine solche Perfektion unwirtschaftlich wäre. Der Grad der Annäherung an die totale Erfassung ist jedoch i n allen Betrieben verschieden, denn es gibt i n der Praxis nicht zwei Betriebe, deren Rechnungswesen völlig gleichartig organisiert ist. Was von den Berufsbildungs-Gemeinkosten gesagt wurde, gilt weitgehend auch für die Erfassung der direkten Berufsbildungskosten und deren Verrechnung. Man muß sich daher damit abfinden, daß die von den Betrieben erteilten Auskünfte über die Berufsbildungskosten m i t Annäherungsdifferenzen belastet sind, die nicht genau bestimmt werden können. Außerdem kommt erschwerend hinzu, daß die von den Betrieben verwendete Terminologie nicht völlig gleichartig ist. Ferner ist es nicht möglich gewesen zu erreichen, daß alle mitgeteilten Zahlen das gleiche Jahr betreffen. Trotzdem hat dieses Material der Betriebe einen großen Wert. Es ist i m übrigen doch so, daß die Fachleute der intensiv durchorganisierten Betriebe bei ihren Analysen der Zusammenhänge und den darauf aufgebauten Schlußfolgerungen weitgehend zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen. Auch i n diesem Bereich ist die Beschaffenheit der Wirklichkeit nicht ein Produkt des Zufalls, sondern das Ergebnis einer bestimmten Sachgesetzlichkeit. Alle Zahlen und sonstigen A n gaben über das Bildungswesen i n einem Betrieb enthalten daher stets mehr als nur eine Darstellung der Individualität dieses Betriebes, denn sie sagen immer auch etwas über die dahinter stehende Sachgesetzlichkeit aus. Die Auswertung von solchem Material ist daher eine angemessene Methode, u m Einsichten i n die Problematik der Betriebspädagogik zu gewinnen.
104
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
2. Material
der Siemens AG
Die Besprechung der Berufsbildungsarbeit einiger Betriebe w i r d m i t der Betrachtung der Siemens A G begonnen. Dies geschieht vor allem aus folgendem Grund. Die Firma Siemens arbeitet auf einem technischen Gebiet, das erst i n den letzten hundert Jahren entstanden ist; es gibt dazu keine Entsprechung i n der spätmittelalterlichen Wirtschaft. Die Elektrizitätswirtschaft ist ein Produkt der modernen naturwissenschaftlichen Forschung und der modernen Fertigungsmethoden und repräsentiert daher in ganz besonderer Weise den modernen Industrialismus. Es hat daher eine große allgemeine Bedeutung, daß das Weltunternehmen Siemens den Fragen der Bildung eine so große Bedeutung zumißt, daß die Bildungspolitik heute ein wichtiger Bestandteil der Geschäftspolitik des Hauses Siemens ist. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, daß der von einem Vorstandsmitglied geleitete Zentralbereich Personal die drei gleichrangigen Hauptbereiche Bildungspolitik, Personalpolitik und Sozialpolitik umfaßt. Das gesamte Bildungswesen des Konzerns (außer der vom Zentralbereich Technik betreuten Forschung) w i r d von einem i n der Hierarchie der Firma hoch eingestuften Fachmann geleitet. Diese Hochschätzung der Bildung geschieht nicht, u m irgendwelche Traditionen des früheren Kaufmanns- und Handwerkertums weiter zu pflegen; die Elektroindustrie ist vielmehr i n dieser Hinsicht traditionslos. Das i n dem Hause Siemens aufgebaute Bildungssystem beruht vielmehr auf den sachlichen Notwendigkeiten der heutigen Elektrizitätsindustrie. Es ist dabei sicher das Ergebnis von Überlegungen, daß i m Hause Siemens von Bildung und Bildungspolitik gesprochen wird, obwohl die Berufsbildung den Hauptteil der Aktivitäten des Hauptbereiches B i l dungspolitik ausmacht. Die Lehrlingsausbildung (Berufsausbildung der Auszubildenden) bleibt zwar wichtig und spielt bei Siemens eine große Rolle. I m Gesamtsystem des Bildungswesens dieser Firma ist jedoch eine absolute und relative Zunahme der Weiterbildung der erwachsenen Mitarbeiter und außerdem eine sehr erhebliche Verstärkung der planmäßigen Qualifizierung der Führungskräfte für deren Aufgaben festzustellen 20 . Je mehr damit die Arbeit auf die älteren Jahrgänge verlagert w i r d und je mehr außerdem neben der Vermittlung von Wissen und Können die Förderung von Charaktereigenschaften angestrebt wird, u m so mehr t r i t t eine „allgemeine" Bildung i n den Vordergrund. U m für diese Konzeption der Bildungsarbeit die volle Freiheit der Gestaltung und Weiterentwicklung zu behalten, kann es als zweckmäßig 20 Siehe dazu den von dem Hauptbereich Bildungspolitik herausgegebenen Bericht „Bildungsarbeit i m Unternehmen", Ausgabe 1976, bes. S. 18 und 24 ff., ferner Bernhard Plettner, Förderung des Führungsnachwuchses als unternehmerische Aufgabe, Siemens-Veröffentlichung 1974.
I I . Material einiger Betriebe
105
angesehen werden, auf die Beifügung des Wortes Beruf zu verzichten. Man kann darüber diskutieren, ob dies richtig ist, denn es ist möglich, den Begriff der Berufsbildung so weit zu fassen, daß er auch alles umgreift, was der geistigen Formung der für die Führung des Unternehmens verantwortlichen Leitungsgruppen dient. Es ist aber nicht nur bei der Firma Siemens so, daß der weitere Ausdruck Bildung dem engeren Ausdruck Berufsbildung vorgezogen w i r d ; man kann vielmehr sagen, daß es i n der Wirtschaft eine allgemeine Tendenz dieser A r t gibt. Sie beruht darauf, daß der Besitz einer guten „allgemeinen" B i l dung i m steigenden Maße als eine notwendige Voraussetzung für die Berufung auf leitende Posten angesehen wird. Diese Einstellung darf nicht als eine Rückkehr zu der „allgemeinen Menschenbildung" des Neuhumanismus interpretiert werden, denn dies wäre ein großes Mißverständnis. Durch die Gestaltung einer neuen Allgemeinbildung soll vielmehr die Aufgabe gelöst werden, die heute unter den Bedingungen des Industrialismus lebenden Menschen m i t denjenigen geistigen Kräften auszurüsten, die sie brauchen, damit sie sich i n ihrem Betrieb geistig behaupten können und dort ihre beruflichen Aufgaben sachgerecht und i m Einklang m i t ihrem Gewissen zu lösen vermögen. Eine solche Allgemeinbildung benötigen vor allem die Führungskräfte. Wenn jemand i n der betrieblichen Hierarchie an einer hohen Stelle steht, dann ist es für den langfristigen Erfolg seiner Tätigkeit entscheidend, ob er eine derartige Allgemeinbildung besitzt oder nicht. Wenn er nur ein guter Fachmann für ökonomische oder technische Fragen ist und nicht mehr, dann reicht seine Qualifikation nicht für die Berufung i n Spitzenstellungen aus. Da man sich i n der Firma Siemens seit langem sehr u m die Förderung der Spitzenkräfte bemüht, ist es daher verständlich, daß man es dort vorzieht, die Beschränkung auf Berufsbildung programmatisch zu überwinden; man spricht daher von „Bildungsarbeit i m Unternehmen". Bei der Entscheidung zwischen dem weiteren Begriff Bildung und dem engeren Begriff Berufsbildung handelt es sich um wesentlich mehr als nur u m eine terminologische Frage. Es w i r d dadurch die Offenheit für eine Gestaltung der Bildung dokumentiert, die zwar ihren selbstverständlichen Ausgangspunkt i n den konkreten Berufsproblemen hat, die aber wesentlich darüber hinaus geht und bis zu den großen Kulturfragen der Gegenwart führt. Für die Verwirklichung dieser Vorstellungen hat Siemens besonders das „Bildungszentrum Führungskreis", das „Witzleben-Haus", geschaffen, das am 16. M a i 1974 eröffnet worden ist. „Die i n einem vierstufigen Seminarsystem seit Mitte der fünfziger Jahre für die heute rund 25 000 i n I n - und Ausland tätigen Führungskräfte durchgeführte Schulung mußte besonders hinsichtlich der beiden oberen Stufen, die SiemensSeminare I und I I , wesentlich verstärkt werden 2 1 ." Diese sind für die
106
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
zu dem „Oberen Führungskreis" gehörenden rund 3000 Mitarbeiter bestimmt 2 2 . Diese Zahlen müssen zu den Gesamtzahlen der SiemensMitarbeiter i n Beziehung gesetzt werden. Sie betrugen am 30. 9.1976 bei Siemens Inland 207 700, bei Siemens Ausland 96 100, bei Siemens Welt insgesamt 303 800 23 . Es ist für ein Weltunternehmen von dieser Größe lebenswichtig, daß die richtigen Verfahren für die ständige Ergänzung seiner Führungselite entwickelt und systematisch angewendet werden; wenn i h m dies nicht gelingt, dann vermag es den Wettbewerb auf dem M a r k t und besonders den Konkurrenzkampf i m Ausland nicht auszuhalten. Es ist die Aufgabe der „Führungsakademie" i n Feldafing, Menschen heranzubilden, die sowohl die Infrastrukturprobleme eines solchen Großunternehmens als auch die Probleme seiner Außenbeziehungen überschauen und dazu fähig sind, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Das Bildungswesen der Siemens A G ist so umfangreich und so mannigfaltig, daß man sich vor der Betrachtung von Einzelheiten den umfassenden Rahmen vergegenwärtigen muß, der die vielen Einzelteile zu einem folgerichtig gegliederten System verbindet. Diese Übersicht gewinnt man durch eine Aufstellung der i n den Geschäftsjahren 1973/74, 1974/75 und 1975/76 getätigten Aufwendungen für Bildungszwecke 24 (siehe Tabelle 17 auf S. 107). Wenn man den Posten a), Aufwand für Berufsausbildung, an der Summe der Löhne und Gehälter laut Gewinn- und Verlustrechnung mißt, dann ergeben sich 2,7 °/o für 1973/74, 2,8 °/o für 1974/75 und 2,7 °/o für 1975/76. Wenn man die gleiche Berechnung für den Posten d), B i l dungsaufwand für Mitarbeiter, vornimmt, dann ergeben sich 5,8 °/o, 5,6 °/o und 5,3 °/o. U m die Bedeutung dieser Prozentsätze beurteilen zu können, muß man sich an die Härte erinnern, m i t der heute i n Tarifverhandlungen über die Löhne und Gehälter zwischen den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften um jede Prozentziffer gerungen wird. Aus der Sicht des Betriebes sind die Bildungskosten zusätzliche Lohnkosten, und es ist selbstverständlich, daß sich die Geschäftsleitung immer wieder fragt, ob diese Zusatzkosten auch i n Zeiten sinkender Erlöse und scharfer Tarifkämpfe getragen werden können. Die B i l dungspolitik der Firma Siemens kostet zuviel Geld, als daß man sie nur damit rechtfertigen könnte, daß sie dem Ansehen des Hauses Siemens 21
Siemens: Informationsschrift Bildungszentrum Führungskreis Feldafing, Witzleben-Haus, 2. Aufl. 1975, S. 2. 22 G. E. Scherff, Das Bildungszentrum Führungskreis der Siemens A G in Feldafing, Zeitschrift für Organisation, Neue Betriebswirtschaft, 3/75. 2 ® Siemens aktuell 1977, Faltblatt der Zentralstelle für Information. 24 Die folgende Tabelle 17 beruht auf einer brieflichen Mitteilung aus dem Hause Siemens vom 29.11.1976 und 3. 8.1977, auf dem bereits genannten Bericht „Bildungsarbeit i m Unternehmen" und auf weiterem Material der Firma Siemens.
I I . M a t e r i a l einiger B e t r i e b e
107
Tabellen D e r B i l d u n g s a u f w a n d der Siemens A G (in Millionen D M ) 1 1973/74
1974/75
1975/76
a) B e r u f s a u s b i l d u n g b) A n l e r n e n 3 u n d organisiertes E i n a r b e i t e n 4 c) W e i t e r b i l d u n g »
142,7 28,1 128,0
155,6 19,1 134,0
156,3 16,4 128,5
d) B i l d u n g s a u f w a n d f ü r M i t a r b e i t e r ( a + b + c ) e) S p e n d e n u n d B e i t r ä g e B i l d u n g s w e s e n f) W e i t e r b i l d u n g f ü r K u n d e n p e r s o n a l
298,8 2,5 17,4
308,7 4,1 22,4
301,2 4,3 24,4
g) B i l d u n g s a u f w a n d d e r Siemens A G ( d + e + f )
318,7
335,2
329,9
221 000
207 000
207 700
2
M i t a r b e i t e r v o n Siemens I n l a n d a m 30. 9.1974, 30. 9.1975 u n d 30. 9.1976
1 Die Siemens A G ist das in der BRD befindliche Stammhaus mit den konsolidierten Siemensgesellschaften. Dazu kommen die ausländischen Siemensgesellschaften. Die Zahl der Mitarbeiter am 30. 9.1976 betrug bei Siemens Inland 207 700, bei Siemens Ausland 96 100, bei Siemens Welt daher 303 800 (Quelle: Siemens aktuell 1977, hrsg. v. d. SiemensZentralstelle für Information). 2 Berufsausbildung für anerkannte Ausbildungsberufe mit Abschlußprüfung sowie langfristige Umschulungen für anerkannte Ausbildungsberufe. Hierin sind vor allem Kosten der Ausbildungswerkstätten enthalten. 9 Hierin sind nur die während der eigentlichen Anlernphase anfallenden Anlernkosten (ohne die im Anschluß daran während des produktiven Einsatzes noch erforderlichen Anlern- und Umlernzulagen) enthalten. 4 Hierin enthalten sind insbesondere die gezielten Maßnahmen zur Einarbeitung von Jungingenieuren und Mitarbeitern der Datenverarbeitung (nicht normales Einarbeiten am Arbeitsplatz). 5 Hier werden u. a. erfaßt: Ausbilderseminare, Lehrgänge für Wartungspersonal, naturwissenschaftliche und technische Weiterbildung, Einführungskurse in die Datenverarbeitung, Lehrgänge über DV-Software sowie Führungskräfteschulung. dient. Es ist v i e l m e h r richtiger, d a v o n auszugehen, daß die h o h e n
Auf-
wendungen für Bildungszwecke auf nüchternen Überlegungen beruhen, die zu d e m Schluß geführt
haben, daß die langfristige
internationalen Wettbewerbsfähigkeit
Sicherung
der
dieses U n t e r n e h m e n s eine solche
Bildungsarbeit notwendig macht. Man
muß
den Bildungsaufwand
außerdem
im
Zusammenhang
mit
d e m A u f w a n d f ü r F o r s c h u n g u n d E n t w i c k l u n g sehen. D i e Siemens
AG
h a t f ü r w i s s e n s c h a f t l i c h e Z w e c k e i m J a h r e 1973/74 1 479 M i l l i o n e n
DM
u n d i m J a h r 1974/75 1 645 M i o . D M a u s g e g e b e n . F ü r s e i n e W i s s e n s c h a f t s u n d B i l d u n g s p o l i t i k h a t S i e m e n s 1974/75 a l s o r u n d 2 000 M i o . D M gewendet.
Dieser
Betrag
liegt
zwischen
den
Summen,
die
die
aufStadt
B e r l i n u n d d a s L a n d R h e i n l a n d - P f a l z i m J a h r 1973 f ü r d a s S c h u l w e s e n u n d das Hochschulwesen ausgegeben h a b e n 2 6 ; B e r l i n h a t d a f ü r m e n 1 841 M i o . D M 2
und Rheinland-Pfalz
2 111 M i o . D M
« Statistisches J a h r b u c h f ü r die B R D 1976, S. 410.
zusam-
auf gewendet.
108
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Erheblich niedriger als der Aufwand der Siemens A G für Bildung und Wissenschaft waren die entsprechenden Beträge bei Hamburg (1 493 Mio. DM), Schleswig-Holstein (1 454 Mio. DM), Saarland (677 Mio. DM) und Bremen (504 Mio. DM). Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern hatten dagegen höhere A u f wendungen als Siemens. Diese Firma hat also i n bezug auf die finanziellen Leistungen für Bildung und Wissenschaft die Stellung eines mittleren Bundeslandes. Es muß jedoch betont werden, daß dieser Vergleich nur dazu dient, die Größenordnung zu veranschaulichen, i n der sich die Bildungsarbeit des Hauses Siemens bewegt. Damit w i r d nicht der prinzipielle Unterschied zwischen den Bundesländern als Gebietskörperschaften m i t Hoheitsgewalt und dem Hause Siemens als eine privatrechtliche juristische Person verringert; es kommt diesem trotz seiner Größe i n keiner Hinsicht ein öffentlich-rechtlicher Charakter zu. Dies gilt auch für die gesamte Tätigkeit von Siemens i n dem Bereich Wissenschaft und Bildung. Trotzdem und gerade deswegen gibt die vorgenommene Gegenüberstellung sehr zu denken. Sie zeigt, daß die Maßnahmen des Staates i n dem Bereich Bildung und Wissenschaft nicht mehr ausreichen, um dasjenige geistige Niveau zu sichern, das für die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft notwendig ist. Die Lage w i r d dadurch stabilisiert, daß Unternehmungen wie die Firma Siemens diese Lücke füllen, indem sie eine intensive Bildungspolitik treiben und die wissenschaftliche Forschung fördern. Wenn man die heutige Lage ideologiefrei betrachtet, dann muß man feststellen, daß der Bund und die Länder nicht mehr allein die genügenden finanziellen M i t t e l und die erforderlichen Personen und Sachgüter haben, um dasjenige Bildungswesen (einschließlich wissenschaftliche Forschung) zu unterhalten, das eine entscheidende Voraussetzung für die langfristige Sicherung der ökonomischen Lebensbedingungen des deutschen Volkes ist. Die Aufrechterhaltung des jetzigen Lebensstandards und der hohen Beschäftigungsquote ist davon abhängig, daß die deutsche Wirtschaft viel exportiert; sie muß daher ständig einen scharfen Kampf um die Behauptung ihrer Stellung auf dem Weltmarkt führen. Dabei spielt die Elektroindustrie eine besondere Rolle. I m Jahre 1975/76 entfielen von dem Weltumsatz des Siemenskonzerns i n Höhe von 20,7 Milliarden D M nur 50 % auf die Bundesrepublik und Berlin (West), 50 °/o dagegen auf das Ausland: 13 °/o auf die Europäische Gemeinschaft (ohne BRD), 17 °/o auf das sonstige Europa, 8 °/o auf Amerika, 7 °/o auf Asien und 5 % auf Afrika und Australien. Siemens ist also ein ausgesprochen exportorientiertes Unternehmen, und die Geschäftspolit i k dieser Firma muß darauf gerichtet sein, diese Qualifikation zu erhalten und zu stärken. Dazu ist es auch notwendig, große M i t t e l für die wissenschaftliche Forschung auszugeben und viel für die Erhaltung
II. Material einiger Betriebe
109
und Erhöhung der intellektuellen und manuellen Leistungsfähigkeit der Belegschaftsmitglieder zu tun. Es wäre abwegig, wenn man i n der W i r t schaft darauf warten würde, daß der Staat diese Aufgabe übernimmt. So, wie die Verhältnisse heute liegen, kann dieser kaum noch seine traditionellen Verpflichtungen i m Schulwesen und i m Universitätsbereich voll erfüllen, und es wäre daher unrealistisch, wenn man mehr von i h m verlangen würde. Die Wirtschaft muß sich daher selber helfen und i n eigener Verantwortung und auf eigene Kosten diejenigen Bildungseinrichtungen schaffen, die sie braucht, u m i n dem Kampf um den internationalen M a r k t überleben zu können. Es wäre ein sehr großes kulturpolitisches Mißverständnis, wenn man unterstellen würde, daß die Firma Siemens oder auch andere Unternehmungen eine Verdrängung des Staates aus dem Bildungsbereich bezweckten. Es handelt sich vielmehr darum, das öffentliche Bildungswesen durch Einrichtungen zu ergänzen, die besser und billiger durch wirtschaftliche Betriebe als durch staatliche Stellen geschaffen und unterhalten werden können. Als Beispiel sei die von Siemens i n München aufgebaute Schule für Datenverarbeitung genannt. „ A n der Schule und ihren Lehrzentren i m In- und Ausland arbeiten zur Zeit rund 160 hauptberufliche Lehrkräfte. Die Schule i n München hat mehr als 30 Unterrichtsräume und zwei Ausbildungsrechenzentren. Täglich können hier bis 1 000 Kursteilnehmer unterrichtet werden. I n den beiden Rechenzentren sind über ein Dutzend Computer m i t umfangreicher Peripherie aufgestellt. Das Rechenzentrum für die Ausbildung des Wartungspersonals ist m i t einer Grundfläche von 1 400 m 2 gegenwärtig das größte Siemens-Rechenzentrum 26 ." Es ist zwar theoretisch denkbar, daß auch der Staat eine solche Schule unterhält; i n der Praxis w i r d er aber darauf verzichten, da die Anschaffung und die Wartung der benötigten Computer für i h n zu teuer wären. Außerdem könnte diese Schule als staatliche Anstalt keine Lehrzentren i m Ausland haben und würde daher ihre Aufgabe nicht voll erfüllen. Es liegt also hier der geradezu klassische Fall der Ergänzung des staatlichen Schulwesens durch eine von einem Betrieb getragene Einrichtung vor. Durch diesen Hinweis auf die Siemensschule für Datenverarbeitung soll gezeigt werden, daß die Vertreter des Staates keinen Anlaß dazu haben, die betriebspädagogische A k t i v i t ä t der Wirtschaft m i t Mißtrauen zu betrachten, denn die pädagogische Funktion des Staates w i r d dadurch nicht geschmälert. Er w i r d vielmehr entlastet, da die Betriebe manche Aufgaben übernehmen, deren Lösung sonst seine Sache sein würde. Das Verhältnis zwischen der Wirtschaft und dem Staat auf dem 26
Siemens, Bildungsarbeit im Unternehmen, Ausgabe 1976, S. 20.
110
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Bildungssektor ist i n seiner Sachgesetzlichkeit auf Kooperation und nicht auf Konflikt angelegt. Es ist ein Kennzeichen der Kulturepoche des Industrialismus, daß die Betriebe bestimmte pädagogische A u f gaben übernehmen müssen, weil dies für die Sicherung ihrer Existenz notwendig ist. Sie stärken damit zugleich die Leistungsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft und erweisen dadurch der Gesellschaft einen großen Dienst. Der Staat hat Anlaß dazu, diese pädagogische A k t i v i t ä t zu begrüßen und zu ermutigen; auf keinen Fall sollte er versuchen, sie durch Verwaltungsmaßnahmen zu hemmen. Nach den Gesamtzahlen für das Bildungswesen i m Hause Siemens interessieren besonders Angaben über die Kosten der ersten beruflichen Bildungsstufe, der Berufsausbildung i m Sinne des Berufsbildungsgesetzes. Die Zahl der Auszubildenden ist aus der folgenden Tabelle 18 ersichtlich 27 . Tabelle 18 Die Entwicklung der Zahl der Auszubildenden in der Siemens AG 1969
1970
1971
1972
1973
1974
1975
gewerbl. A. kaufm. A. techn. A.
7 490 1087 356
9 071 984 437
9 868 1134 502
10 367 1161 541
10 583 1126 802
10 652 1115 868
9 500 1100 800
Gesamtzahl
8 933
10 492
11504
12 069
12 511
12 635
11400
Von 1974 zu 1975 ist eine Abnahme eingetreten, die der Verringerung der Gesamtbelegschaft von 221 000 auf 207 000 entspricht, und es ist daher wahrscheinlich, daß sie eine Folge von Maßnahmen ist, die eine Umstrukturierung der Belegschaft bezweckten und deswegen eine Zurückhaltung bei der Einstellung von Nachwuchskräften als ratsam erscheinen ließen. Es ist daher unbegründet, diese Verringerung als ein Nachlassen des Ausbildungswillens der Siemens A G zu deuten. Die Schwierigkeit der richtigen Beurteilung dieser Zahlen w i r d besonders deutlich durch die für den 30.9.1974 i m Hause Siemens errechneten prozentualen Nachwuchsquoten. Danach betrug die Zahl der Auszubildenden i n gewerblichen Ausbildungsberufen i m Verhältnis zu der Zahl der Facharbeiter 27,5 °/o, die Zahl der kaufmännischen Auszubildenden i m Verhältnis zu der Zahl der kaufmännisch Tätigen m i t Siemenslehre, externer Lehre oder Fachschulausbildung 7,4 °/o und die Zahl der i n Ausbildung stehenden Ingenieurassistentinnen und Elektroassistentinnen i m Verhältnis zu der Zahl der Technischen Assistentinnen 34,1 °/o. Da diese drei Prozentwerte sehr ver27 Quellen: Jahresberichte „Bildungsarbeit i m Unternehmen"; die Zahlen gelten jeweils für den 30. September.
I I . Material einiger Betriebe
1
schieden sind, muß gefolgert werden, daß die Problematik der Deckung des Nachwuchsbedarfs sehr große Unterschiede aufweist. Bei der kaufmännischen Seite läßt der Satz von 7,4% vermuten, daß i m wesentlichen nur der Ausfall durch Tod, Pensionierung oder freiwilliges Ausscheiden von Angestellten abzugleichen ist. A u f der gewerblichen Seite ist der Satz von 27,5 % aber viel zu hoch, als daß er durch den soeben beschriebenen natürlichen Abgang gerechtfertigt sein könnte. Man muß vielmehr vermuten, daß er i n einem Zusammenhang m i t dem Bemühen steht, den Anteil der Facharbeiter innerhalb der Belegschaft zu erhöhen. Die gewerblichen Lehrlinge bleiben i n der Regel nach der Facharbeiterprüfung bei Siemens, und der A n t e i l der gewerblichen Mitarbeiter ohne Lehre w i r d dadurch verringert. Die Nachwuchsquote von 27,5% ist also eine Folge davon, daß eine Personalpolitik getrieben wird, die den Anteil der voll ausgebildeten Fachkräfte innerhalb der Belegschaft erhöhen w i l l . Es bleibt die Frage offen, wann dieser Anteil den optimalen Prozentwert erreicht haben wird, so daß von diesem Zeitpunkt an die Nachwuchsquote gesenkt werden muß. Dies ist eine wichtige Frage; der Verfasser besitzt aber nicht Material, das i h m eine Beantwortung erlaubt. Ebenso verlangt die sehr hohe Nachwuchsquote von 34,1 % bei den technisch Auszubildenden eine Analyse. Es handelt sich dabei vor allem u m die Ausbildung von weiblichen Assistenzkräften, die drei Semester i n einer für diesen Zweck von Siemens geschaffenen Technischen Schule und ein viertes Semester i m Betrieb unterwiesen werden und die danach eine Prüfung vor einem firmeninternen Ausschuß ablegen. Ähnlich verläuft die für männliche Assistenzkräfte gedachte Ausbildung, die jedoch zahlenmäßig nur eine geringe Bedeutung hat. Die Ausbildung von Assistenzkräften hat bisher einen privaten Charakter ohne öffentlich-rechtliche Anerkennung. I n dem für den Stichtag 1. 6. 1976 von dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft herausgegebenen amtlichen „Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe" w i r d sie nicht erwähnt. Es besteht jedoch offensichtlich ein Bedarf an derartig ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Von 1951 bis 1975 haben rund 1 400 Ingenieurassistentinnen, 1 700 Elektroassistentinnen und 250 Nachrichtentechnische Assistentinnen die Abschlußprüfungen bestanden, und die Nachwuchsquote von 34,1 % zeigt an, daß sowohl ein erheblicher Bedarf des Betriebes als auch ein großes Interesse der Jugend für diese Berufe vorhanden ist. Diese Gruppe der „technisch Auszubildenden" ist vom allgemeinen Standpunkt aus deswegen interessant, w e i l sie ein Beispiel für das Entstehen neuer Ausbildungsberufe ist. Der Rechtsakt der „Anerkennung" durch einen ministeriellen Erlaß ist der Abschluß eines längeren Erprobungsprozesses, durch den geprüft wird, ob ein akuter Bedarf der Wirtschaft an
11
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
bestimmten Fachkräften von Dauer sein w i r d und ob die i n der Praxis entwickelte A r t der Ausbildung sachgerecht ist. Die Initiative für die Schaffung eines neuen Ausbildungsberufes liegt stets bei den Betrieben und nicht bei behördlichen Stellen. Die Funktion des Staates besteht darin, daß er allgemeine Normen aufstellt, deren Erfüllung die Voraussetzung für seine Anerkennung bildet. Gerade bei diesem Prozeß sind die Wirtschaft und der Staat zwei Partner, die auf gute Kooperation angewiesen sind, da sonst das System nicht funktionieren kann. Diese Betrachtung der drei Nachwuchsquoten ist zwar keine erschöpfende Analyse; sie genügt aber als Voraussetzung für das Verständnis der Tatsache, daß die Firma Siemens für die Nachwuchsausbildung große Beträge aufwendet. Die gewerblichen Auszubildenden haben i m Geschäftsjahr 1974/75 pro Kopf brutto 13 700 D M und netto 10 900 D M Kosten verursacht; die übliche dreieinhalb jährige Facharbeiterausbildung bei Siemens hat also netto 38 150 D M gekostet. I m Jahr 1975/76 hat diese Summe 40 000 D M betragen. Bei den kaufmännischen Auszubildenden sind die Nettokosten gleich den Bruttokosten. Bei ihnen beträgt der durchschnittliche Jahresaufwand pro Kopf 16 000 D M ; die übliche zweieinhalb jährige kaufmännische Berufsausbildung kostet daher 40 000 DM. Bei der technischen Berufsausbildung betragen die Jahreskosten pro Kopf (brutto gleich netto) 11 800 D M ; die zweijährige Ausbildung kostet daher 23 600 DM. Da Siemens am 30. 9.1975 11 400 Auszubildende hatte, w i r d durch diese Zahlen verständlich, daß diese Firma i m Jahr 1974/75 für die Berufsausbildung 155,6 Millionen D M ausgegeben hat. Über die entsprechenden Beträge i n dem Jahr 1975/76 gibt die folgende Tabelle 19 Auskunft 2 8 . Die Angaben zeigen, daß i n dem Hause Siemens die Verwirklichung bestimmter personalpolitischer Ziele m i t Hilfe von Ausbildungsmaßnahmen als eine wichtige und dringende Angelegenheit betrachtet wird. Es w i r d dabei ständig kritisch überprüft, ob die Ziele richtig bestimmt worden sind und ob die Maßnahmen zu ihrer Erreichung sachgerecht ausgewählt, kombiniert und durchgeführt worden sind; dieser Prozeß der innerbetrieblichen Meinungsbildung über die Effizienz der B i l dungspolitik geschieht m i t gutem Grund nicht vor den Augen der Öffentlichkeit. Der außenstehende Betrachter sieht aber an dem Modell Siemens sehr deutlich den Zusammenhang zwischen der betrieblichen Bildungspolitik und der betrieblichen Personalpolitik und erkennt zugleich, daß beide den Charakter von Instrumenten zur Realisierung der übergeordneten allgemeinen Betriebspolitik haben. 28 Internes Material der Fa. Siemens.
I I . Material einiger Betriebe
1
Tabelle 19 Kennzahlen zum Aufwand für Berufsausbildung der Siemens AG 1975/76 (Werte pro Kopf und Jahr — Gesamtbeträge in Millionen D M )
Kosten der Berufsausbüdung (gewerbl./techn./kaufm.)
insgesamt
D M 1 5 500
0 Mitarb. in Ausbildung (einschl. Praktikanten) darin enthalten: — Gewerbl. Berufsausbildung (ohne Praktikanten)
insgesamt
126'6 8188
insgesamt
0 Auszubildende, technisch — Kaufm. Berufsausbildung
pro Kopf
10 082
0 Auszubildende, gewerblich — Technische Berufsausbildung
156'3
ll'0b 698
insgesamt
0 Auszubildende, kaufmännisch
18'2 948
D M 15 500 a pro Kopf
D M 1 5 800
pro Kopf
D M 1 9 200
pro Kopf
a) Unter Berücksichtigung der Erträge in den produktiven Ausbildungsabschnitten (durch Einsparung der Personalkosten von Facharbeitern) kostet eine ZV2jährige Facharbeiterausbildung insgesamt rd. D M 40 000,— Nettokosten. b) Einschließlich eines per 30. 9. 76 nicht erfaßten Nachtrages von + D M 3'0.
3. Material
der Daimler-Benz
AG
Der Blick soll nun auf die Daimler-Benz A G 2 9 gerichtet werden. Auch dieser Großbetrieb repräsentiert den heutigen Industrialismus. Der Otto-Motor und der Diesel-Motor haben die A r t der privaten Lebensführung und den gesamten Wirtschaftsstil entscheidend verändert, und das Auto gehört zu den Symbolen, die die jetzige Epoche charakterisieren. Es besteht daher ein Anreiz dazu, sich auch der Automobilindustrie zuzuwenden, wenn man Einblicke i n die Probleme der betrieblichen Bildungspolitik gewinnen w i l l . Dabei gibt es mehrere Gründe, sich besonders m i t der D B A G zu befassen. Es ist dieser Firma gelungen, ihren Produkten, den Mercedes-Wagen, die weltweite Anerkennung als Qualitätsgüter zu verschaffen. Sie hat dieses Ziel m i t den Methoden der Massenfertigung und nicht durch Einzelbauweise erreicht. Sie hat eine sehr erfolgreiche Geschäftspolitik betrieben und auch i n den Jahren der Rezession ihre Stellung auf dem Weltmarkt nicht nur behauptet, 2 » Manche Angaben in dem Daimler-Benz-Material betreffen die gesamte Daimler-Benz Gruppe Inland, zu der außer dem Stammhaus vor allem die Hanomag-Henschel Fahrzeugwerke GmbH, Hannover, gehören, deren Kapital zu 100 % i m Besitz der A G ist. — Wie in den Daimler-Benz Veröffentlichungen üblich, werden der Ausdruck Daimler-Benz A G i m weiteren Text mit D B A G und der Ausdruck Hanomag-Henschel Fahrzeugwerke mit H H F Werke abgekürzt.
8 Abraham
11
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
sondern sogar noch ausgebaut. Diese Leistungen müssen denjenigen, der sich m i t Wirtschaftsfragen befaßt, dazu veranlassen, sich näher m i t diesem Unternehmen zu beschäftigen, um zu erfahren, worauf sie zurückzuführen sind. Dies gilt auch für den Betriebspädagogen. I h n interessiert besonders die Frage, ob es bei Mercedes i m Rahmen der gesamten Betriebspolitik eine planmäßige Bildungspolitik gibt. Dies ist der Fall. Auf Grund von jahrzehntelangen Erfahrungen sind i m August 1975 die „Grundsätze der betrieblichen Bildungsarbeit i n der Daimler-Benz A G " verabschiedet worden. Sie schließen an die bereits eingeführten Grundsätze der Personal- und Sozialpolitik an, und es werden ihnen demnächst Leitsätze zur Führung und Zusammenarbeit i n der Daimler-Benz A G folgen. Es w i r d dann eine verbindlich formulierte Gesamtkonzeption für die Gebiete der Personalpolitik, der Sozialpolitik und der Bildungspolitik i n der D B A G vorliegen. Die Bedeutung der Bildungsarbeit w i r d auch dadurch dokumentiert, daß der jährliche Geschäftsbericht der Firma durch einen Bildungsbericht ergänzt wird, i n dem die relativ kurzen Aussagen des Geschäftsberichtes über die Bildungsarbeit durch umfangreiche Angaben erläutert werden 3 0 . Man verfügt in der D B A G nicht nur über langjährige praktische Erfahrungen, sondern hat sich auch darum bemüht, sie durch theoretische Reflexionen zu analysieren und dadurch eine Systematik zu erarbeiten, die es möglich macht, das i n sich sehr differenzierte Bildungswesen nach einheitlichen Prinzipien zu gestalten. Die Intensivierung der Bildungsarbeit i n den letzten Jahren w i r d durch die folgenden Zahlen veranschaulicht. I m Jahre 1972 wurden von der D B A G 49,5 Mio. D M und i m Jahre 1975 80 Mio. D M ausgegeben 31 . Die Steigerung u m rund 30 Mio. D M ist nicht durch eine entsprechende Zunahme der Beschäftigten zu erklären, denn 1972 waren i n der D B A G 111 155 und 1975 ebensoviel, nämlich 112 534 Mitarbeiter tätig 3 2 . Die Erhöhung der Bildungsausgaben ist vielmehr der rechnerische Ausdruck des intensiven Ausbaues des betrieblichen Bildungswesens i n diesen Jahren. Wenn man diesen Vorgang beurteilen w i l l , dann muß man daran denken, daß i n diesem Zeitraum die Automobilindustrie durch die Ölkrise und die allgemeine Rezession schwer getroffen worden ist. Es ist dem Mercedes-Konzern gelungen, diese Bedrohungen relativ gut zu überstehen. I n solchen Zeiten wirtschaftlicher Krisen hängt die Zukunft eines Unternehmens davon ab, ob dessen Führungsgruppe 30 Für die folgenden Ausführungen sind der Geschäftsbericht 1975 und der Band „Die Bildungsarbeit der D B A G im Jahre 1975" benutzt worden; Umfang dieses Bandes 120 Maschinenschriftseiten. 31 Quellen: für 1972: Daimler-Benz informiert über Neue Wege i m Bildungswesen (Pressekonferenz vom 28.3.1973); für 1975: Presseinformation 760 420 über die betriebliche Bildungsarbeit 1975. 3 2 Geschäftsbericht 1975, S. 67.
I I . Material einiger Betriebe
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das Problem der optimalen Infrastruktur des Betriebes sieht und alles daran setzt, sie langfristig zu sichern. Diese Führungsaufgabe ist bei Mercedes offensichtlich erkannt worden, und es sind daraus Folgerungen gezogen worden. Eine der Konsequenzen ist der Ausbau des betrieblichen Bildungswesens gewesen. Nicht trotz der Krise, sondern wegen der Krise hat man sich dazu entschlossen, noch mehr als vorher für die Sicherung der fachlichen Qualität der Belegschaft zu tun. Es ist dies eine der unternehmerischen Entscheidungen gewesen, durch die die Aufrechterhaltung der Qualität der Mercedes-Wagen und damit der Weltgeltung des Namens Mercedes gesichert worden ist. Dieser Vorgang zeigt sehr anschaulich, daß die Bildungspolitik ein Teil der Gesamtpolitik des Betriebes ist. Über die erste Stufe des betrieblichen Bildungswesens, die Berufsausbildung der Auszubildenden, geben die folgenden beiden Tabellen Auskunft. Man unterscheidet bei Mercedes zwischen der kaufmännischen und der technischen Berufsausbildung und meint m i t der zweiten die sonst als gewerblich bezeichnete Ausbildung. Die Verwendung des Wortes technisch geschieht also i n einer anderen Weise als bei Siemens. I n den Tabellen werden drei Gruppen von Auszubildenden nach den Bereichen unterschieden, denen sie angehören. M i t „Werke der A G " werden der Werksbereich Untertürkheim (Zentrale und 6 Werksteile) und die weiteren 7, an anderen Orten befindlichen Produktionsstätten für Personenkraftwagen (2) und Lastkraftwagen (5) gemeint. Unter „Verkaufsorganisation (Niederlassungen)" sind die 90 Niederlassungen und Zweigbetriebe für die Zwecke des Vertriebes zu verstehen; sie sind ebenso wie die „Werke" Teile der DBAG. Die zu diesen beiden ersten Gruppen gehörenden Auszubildenden sind direkt Mercedes-Lehrlinge, während die zu der dritten Gruppe der H H F Lehrlinge gehörenden Auszubildenden indirekt Mercedes-Lehrlinge sind; faktisch w i r d jedoch kein Unterschied gemacht (HHF = Hannomag-Henschel-Fahrzeugwerke). Für die technische Berufsausbildung standen i m Jahr 1975 8 Ausbildungswerkstätten der Werke, 40 Ausbildungswerkstätten der Niederlassungen und 3 Ausbildungswerkstätten der HHF-Werke zur Verfügung. Die kaufmännische Berufsausbildung wurde i n 7 Werken, in der Zentrale, i m Bereich der Niederlassungen und i n den HHF-Werken durchgeführt. Bei der Analyse der Tabellen fällt bei der Ziffer 2 auf, daß die Zahl der Bewerbungen das Mehrfache der Zahl der Einstellungen ausmachte. Dabei ist ein Unterschied zwischen der technischen und der kaufmännischen Seite festzustellen. Bei der technischen Ausbildung verhielten sich die Einstellungen zu den Bewerbungen fast wie 1 : 4 (1 287 :4 749), bei der kaufmännischen Ausbildung dagegen fast wie 1 :10 (348 : 3 317). Leider ist i n dem Material der D B A G keine Erklärung dieser sehr gro-
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Tabelle 20 Die technische Berufsausbildung in der Daimler-Benz Gruppe Inland im Jahre 197533 1. Anzahl der Auszubildenden am 31.12. 75 — Werke der A G — Verkaufsorganisation (Ndl.) — HHF-Werke Daimler-Benz Gruppe Inland
2 580 1726 190 4 496
2. Einstellungen und (Bewerbungen) — Werke der A G — Verkaufsorganisation (Ndl.) — HHF-Werke Daimler-Benz Gruppe Inland
788 431 68 1287
(2 815) (1676) ( 258) (4 749)
3. Facharbeiterprüfung: Teilnehmer und (erfolgreiche Absolventen) — Werke der A G — Verkaufsorganisation (Ndl.) — HHF-Werke Daimler-Benz Gruppe Inland
654 686 76 1416
( 635) ( 663) ( 71) (1 369)
4. Verbleibende und (Ausscheidende) nach erfolgreicher Prüfung — Werke der A G — Verkaufsorganisation (Ndl.) — HHF-Werke Daimler-Benz Gruppe Inland
593 340 68 1001
( 42) ( 323) ( 3) ( 368)
5. Teilnehmer an sozialpädagogischen Lehrgängen (Auszubildende) — Werke der A G — Verkaufsorganisation (Ndl.) — HHF-Werke Daimler-Benz Gruppe Inland
1022 483 59 1564
6. Ausbilder 35 348 hauptamtliche Ausbilder 2 310 nebenamtliche Ausbilder
ßen Verschiedenheit zu finden. Man kann vermuten, daß der übermäßige Andrang zu der kaufmännischen Ausbildung und damit zu einer Lebensstellung als Mercedes-Angestellter m i t der besonders k r i tischen Arbeitsmarktlage i m kaufmännischen Bereich zusammenhängt, denn diese Situation veranlaßt die Jugendlichen, sich vor allem u m Lehrstellen bei solchen Firmen zu bewerben, die als krisenfest gelten. Aber auch die Relation 1 : 4 i n der technischen Ausbildung ist ein I n diz dafür, daß die Mercedes-Ausbildung einen guten Ruf hat. Die Zahlen besagen, daß Mercedes die Möglichkeit hat, sich aus einer großen Menge von Bewerbern diejenigen auszusuchen, die als besonders gut 33
Die Bildungsarbeit der D B A G im Jahre 1975, S. 39.
I I . Material einiger Betriebe
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Tabelle 21 Die kaufmännische Berufsausbildung in der Daimler-Benz Gruppe Inland im Jahre 197534 1. Anzahl der Auszubildenden am 31.12. 75 — Werke und Zentrale der A G — Verkaufsorganisation (Ndl.) — HHF-Werke Daimler-Benz Gruppe Inland
419 396 34 849
2. Einstellungen und (Bewerbungen) — Werke und Zentrale der A G — Verkaufsorganisation (Ndl.) — HHF-Werke Daimler-Benz Gruppe Inland
176 157 15 348
(1 987) (1187) ( 143) (3 317)
3. Abschlußprüfung: Teilnehmer und (erfolgreiche Absolventen) — Werke und Zentrale der A G — Verkaufsorganisation (Ndl.) — HHF-Werke Daimler-Benz Gruppe Inland
169 194 12 375
( 168) ( 178) ( 9) ( 355)
4. Verbleibende und (Ausscheidende) nach erfolgreicher Prüfung — Werke und Zentrale der A G — Verkaufsorganisation (Ndl.) — HHF-Werke Daimler-Benz Gruppe Inland
151 ( 17) 67 ( H l ) 9 ( -) 227 ( 128)
5. Teilnehmer an sozialpädagogischen Lehrgängen (Auszubildende) — Werke und Zentrale der A G — Verkaufsorganisation (Ndl.) — HHF-Werke Daimler-Benz Gruppe Inland
286 88 —
374
3 6. Ausbilder « 22 hauptamtliche Ausbilder 1 577 nebenamtliche Ausbilder
geeignet erscheinen. D a diese Z a h l e n a u c h d e n J u g e n d l i c h e n b e k a n n t sind, b e w i r k e n sie außerdem, daß sich d i e a n g e n o m m e n e n A u s z u b i l d e n d e n b e m ü h e n , g u t e L e i s t u n g e n z u e r b r i n g e n u n d sich o r d e n t l i c h z u betragen, d e n n sie wissen, daß Mercedes j e d e r z e i t e i n e n E r s a t z m a n n b e k o m m e n k a n n , w e n n e i n A u s z u b i l d e n d e r v o r z e i t i g w e g e n schlechter L e i s t u n g e n oder w e g e n schlechten B e n e h m e n s entlassen w e r d e n m u ß . E i n solches V e r h a l t e n i s t e i n B r u c h des B e r u f s a u s b i l d u n g s v e r t r a g e s d u r c h den Auszubildenden u n d berechtigt den anderen Vertragspartner, den 34 Wie bei Tab. 20, S. 49. 35 Die Zahlen der Ausbilder 760420 ma.
sind entnommen
aus
Presseinformation
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Betrieb, zu angemessenen Gegenmaßnahmen und damit i m Extremfall zur Entlassung. Dieser Zustand w i r k t sich günstig auf das Leistungsniveau aus. Dies ist ein Tatbestand, durch den sich heute das Bildungswesen der Wirtschaft vorteilhaft von dem öffentlichen Schulwesen unterscheidet, weil dort die Möglichkeiten der Schulleitung, sich gegen böswillige Schüler durchzusetzen, leider nur gering sind. Es muß allerdings überlegt werden, ob m i t diesem Vorzug der Ausbildung i n den Betrieben auch Nachteile verbunden sind. Diese sind dann vorhanden, wenn die Betriebsleitung ihre Macht mißbraucht und die Jugendlichen so sehr einem psychischen Druck aussetzt, daß dadurch deren geistige Entwicklung gestört wird. Diese Gefahr ist immer gegeben, wenn A b hängigkeiten bestehen, und sie kann nur i n einem geringen Maße durch gesetzliche und organisatorische Maßnahmen abgewendet werden. Es kommt vielmehr i n erster Linie auf die Charaktereigenschaften derjenigen Personen an, die Macht über andere besitzen. Daher ist das Problem der Verhütung von Machtmißbrauch i n der betrieblichen Ausbildung ein Problem der Ausbilder und der Angestellten der Personalabteilungen und darüber hinaus ein Problem der charakterlichen Beschaffenheit der obersten Führungsgruppe des Betriebes. Anlaß zu einer näheren Betrachtung bietet außerdem die Ziffer 4 i n den beiden Tabellen. Hier fällt bei einem Vergleich der drei Einzelposten auf, daß bei „Werke der A G " und „HHF-Werke" die allermeisten der Jugendlichen nach der Lehrabschlußprüfung als Facharbeiter oder kaufmännische Angestellte i n dem Betrieb geblieben sind, während bei „Verkaufsorganisation (Ndl)" die Zahlen etwas anderes aussagen. Es handelt sich dabei u m die dem Vertrieb dienenden 90 Niederlassungen und Zweigbetriebe. Von den dort ausgebildeten gewerblichen Lehrlingen ist nur die Hälfte (340 von 663) und von den kaufmännischen Lehrlingen nur etwas mehr als ein Drittel (67 von 178) i n ein Arbeitsverhältnis übernommen worden. Auch i n den anderen Jahren sind niemals alle Ausgelernten bei Mercedes geblieben; einige sind stets auf eigenen Wunsch ausgeschieden, u m ihre Berufserfahrungen durch die Tätigkeit i n anderen Firmen zu erweitern. I m Jahre 1975 ist die Lage jedoch anders gewesen. Die Verschärfung des Wettbewerbs hat Mercedes dazu gezwungen, seine Vertriebsorganisation zu reorganisieren und zu straffen, und dies hat zu einer Personalverringerung geführt. Während die Gesamtzahl der Mitarbeiter der Daimler-Benz Gruppe Inland gleich geblieben ist (1974: 122 899; 1975: 122 775) ist die Zahl der Mitarbeiter i n den Niederlassungen und Zweigbetrieben u m 6,3% gesunken (1974: 15 689; 1975: 14 705) 36 . Es wäre falsch, fast alle Jugendlichen nach der Lehrabschlußprüfung zu behalten, während zur gleichen Zeit ein Personalabbau notwendig ist. Es ist unwahrschein36 Geschäftsbericht 1975, besonders S. 64 und 67.
I I . Material einiger Betriebe
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lieh, daß die davon betroffenen Jugendlichen arbeitslos geworden sind, denn Nachwuchskräfte m i t einer Mercedes-Ausbildung finden relativ leicht eine Stellung. Es geht hier auch nicht um deren persönliches Schicksal, sondern um die durch diesen Sachverhalt sichtbar werdende allgemeine Problematik. Es ist zwar i n der Wirtschaft die Regel, daß Berufsausbildungsverträge m i t einer Laufzeit von zwei bis dreieinhalb Jahren nur dann abgeschlossen werden, wenn es wahrscheinlich ist, daß man denen, die nach der Abschlußprüfung bleiben wollen, eine Stelle als Arbeiter oder Angestellter anbieten kann. Der Zeitraum zwischen dem Vertragsabschluß und dem Ende der Ausbildung ist jedoch so lang, daß sich i n der Zwischenzeit die Verhältnisse erheblich ändern können. Eine Planung für zwei bis drei Jahre ist heute i n der Wirtschaft eine mittelfristige Planung, die m i t einem großen Unsicherheitsrisiko belastet ist. Man darf vermuten, daß man auch bei Mercedes zur Zeit der Einstellung der fraglichen Jugendlichen davon überzeugt gewesen ist, daß deren überwiegende Mehrheit wie i n früheren Jahren nach der Lehrabschlußprüfung i m Betrieb bleiben könnte. Daß sich diese Annahme als ein I r r t u m erwiesen hat, kann niemand zur Last gelegt werden, denn niemand konnte voraussehen, daß es zu Absatzschwierigkeiten kommen würde, die eine Umstrukturierung der Verkaufsorganisation notwendig machten. Da Personalverringerungen aus kündigungsrechtlichen Gründen fast nur durch die Unterlassung von Einstellungen erreicht werden können, ist es unvermeidlich, daß die am Ende der Ausbildungszeit stehenden Lehrlinge i n einem überdurchschnittlichen Maße von den erforderlichen personalpolitischen Entscheidungen getroffen werden. Es ist selbstverständlich, daß m i t allen verfügbaren Mitteln denjenigen Jugendlichen, die weggehen müssen, bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz geholfen wird. Damit w i r d jedoch nicht die prinzipielle Tatsache aus der Welt geschafft, daß es für die Auszubildenden ein Beschäftigungsrisiko gibt, denn sie haben nach dem Ende der Laufzeit des Berufsausbildungsvertrages gegenüber dem Lehrbetrieb keinen Anspruch auf Übernahme i n ein Arbeitsverhältnis. Dieses Risiko ist i m Regelfall klein; der hier beschriebene Fall zeigt aber, daß es selbst bei einer so vorsichtig planenden Firma wie Mercedes eine erhebliche Bedeutung haben kann. I n beiden Tabellen werden ferner unter Ziffer 6 Angaben über die Zahl der Ausbilder gemacht. Bei der technischen Berufsausbildung kommt auf rund 13 Auszubildende eine hauptamtliche Kraft, bei der kaufmännischen Berufsausbildung dagegen erst auf rund 38 Auszubildende. Dies liegt nicht etwa daran, daß die kaufmännische Ausbildung bei Mercedes schlechter als die technische ist. Der Unterschied zeigt vielmehr an, daß es zwischen den beiden Ausbildungsrichtungen eine prinzipielle Verschiedenartigkeit gibt. Die gewerbliche Ausbildung
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
erfolgt i n einem erheblichen Umfange i n Lehrwerkstätten m i t einem hohen Bedarf an hauptamtlichem Personal. Die kaufmännische Ausbildung geschieht dagegen öfter am Arbeitsplatz. Soweit sie als innerbetriebliche Schulung i n der Form von Kursen und Unterricht durchgeführt wird, werden dafür häufig die fachlich zuständigen Angestellten herangezogen, so daß der Bedarf an hauptamtlichen Kräften i m Vergleich m i t der Lage auf der gewerblichen Seite kleiner ist. Diese Verschiedenartigkeit zeigt sich auch bei der Relation der Zahl der hauptamtlichen Ausbilder zu derjenigen der nebenamtlichen. I m technischen Bereich kommen auf einen hauptamtlichen Ausbilder rund 7 nebenamtliche (348 :2 310), i m kaufmännischen Bereich dagegen fast 72 (22 : 1 577). Es kann allerdings sein, daß der sehr große Unterschied zwischen 7 und 72 auf innerbetrieblichen Besonderheiten bei Mercedes beruht; das vorliegende Material reicht jedoch nicht aus, u m dies beurteilen zu können. Es könnte die Aufgabe einer Spezialuntersuchung sein festzustellen, welche Zahlen sich als repräsentative Durchschnittswerte ergeben, wenn ein genügend großer Kreis von Unternehmungen betrachtet wird. Der Verfasser ist jedoch der Meinung, daß i n den Zahlen von Mercedes auf jeden Fall zum Ausdruck kommt, daß für die Durchführung der gewerblichen Berufsausbildung i n den Betrieben relativ mehr hauptamtliche Ausbilder benötigt werden als für die Durchführung der kaufmännischen. Dies ist ein Unterschied, der bei Diskussionen über die Bildungsarbeit der Betriebe beachtet werden muß. Es muß an dieser Stelle aber noch der folgende Hinweis hinzugefügt werden. Z u hauptamtlichen Ausbildern können heute nur solche Angestellte ernannt werden, die auf diese Tätigkeit systematisch i n Kursen vorbereitet worden sind und die die amtliche Ausbilderprüfung abgelegt haben. Die nebenamtlichen Ausbilder brauchen diese Qualifikation nicht zu besitzen; man kann vermuten, daß nur wenige von ihnen eine Prüfung gemacht haben, die der Ausbilderprüfung entspricht. Die nebenamtlichen Kräfte sind sehr oft an der Ablegung der Ausbilderprüfung gar nicht interessiert, w e i l sie nicht die Absicht haben, ihren jetzigen Posten aufzugeben und hauptamtliche Ausbilder zu werden. Es ist aber wahrscheinlich, daß sie eine Vorbildung besitzen, die sie für die besonderen Aufgaben qualifiziert, die sie bei ihrer Tätigkeit i m Ausbildungswesen zu erfüllen haben; der Betrieb kann sie außerdem für diese Aufgabe durch die Entsendung zu Kursen und Seminaren vorbereiten. U m die Qualität der Ausbildung i n einem Betrieb beurteilen zu können, müßte man daher wissen, wie die Menschen beschaffen sind, die zu der Gruppe der nebenamtlichen Ausbilder gehören. Wenn man die durch das Bestehen der Ausbilderprüfung nachgewiesene volle Qualifikation m i t 100 °/o ansetzt, dann kann der Qualifikationsgrad zwischen 0 und 99 °/o liegen. Falls man die Qualität der
I I . Material einiger Betriebe
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Bildungsarbeit i n einem Betrieb beurteilen w i l l , dann muß man eigentlich vorher ermitteln, bei welchem durchschnittlichen Prozentwert der Qualifikationsgrad der nebenamtlichen Ausbilder liegt. Für eine solche Feststellung sind jedoch bisher keine Methoden entwickelt worden. Wenn die Betriebe i n ihren Bildungsberichten Angaben über die Zahl der nebenamtlichen Ausbilder machen, dann ist dies sehr zu begrüßen. I m Laufe der Zeit sollten diese Mitteilungen aber durch Informationen über das Qualifikationsniveau dieser Kräfte ergänzt werden. Es ist eine allgemeine Beobachtung, daß die Betriebe zwar über die Berufsausbildung der Auszubildenden genaue Zahlenangaben machen können, daß sie aber über die darauf folgenden Stufen, d. h. über die Weiterbildung und die Fortbildung der erwachsenen Angestellten und Arbeiter, nur Material besitzen, das weniger genau ist. Dies liegt zum Teil daran, daß es für die erste Stufe bereits seit langem Vorschriften über die von den Betrieben zu führenden Lehrlingsstatistiken gibt, während für die darauf aufbauende weitere Bildungsarbeit solche A n ordnungen nicht bestehen. Die tiefere Ursache liegt aber darin, daß zwischen den Maßnahmen, die als Fortbildung, Weiterbildung, Information, Schulung, Umschulung, Förderung, Training, Retraining oder dergleichen bezeichnet werden, so große Unterschiede bestehen, daß es schwer ist, für sie ein alle umfassendes Übersichtsschema aufzustellen und sie gemeinsam statistisch zu erfassen. Es ist daher wertvoll, daß die D B A G versucht, dies zu tun; die Tabelle 22 gibt eine Übersicht über die gesamte Bildungsarbeit dieser A r t 3 7 . Die Tabelle 22 besteht aus zwei Hauptteilen, und es soll zuerst der zweite besprochen werden. U m ihn zu verstehen, muß man daran denken, daß Mercedes seine Erzeugnisse überwiegend m i t Hilfe einer eigenen Vertriebsorganisation verkauft, zu deren Aufgaben auch der K u n dendienst gehört. Daher spielt die Kundendienstschulung eine große Rolle. Dabei ist interessant, daß von 1974 bis 1975 einige Veränderungen vorgenommen worden sind. Die wichtigste ist die Verstärkung der Auslandsarbeit bei der mobilen Schulung. Die gleiche Tendenz ist auch i n den Abschnitten Verkaufsförderung und Ersatzteilwesen festzustellen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Mercedes i n den letzten Jahren die Organisation seines Auslandsabsatzes gestärkt hat, und dies zeigt sich auch i n dieser Tabelle. U m leistungsfähig zu sein, muß dieser Teil des Mercedes-Bildungswesens aber sehr eng m i t der Vertriebsorganisation verbunden sein, damit die Schulungsmaßnahmen praxisnah geplant und durchgeführt werden. Der Zusammenhang m i t dem übrigen Bildungswesen der D B A G ist daher relativ locker; die Zweiteilung der Tabelle bringt dies zum Aus37 Die Bildungsarbeit der D B A G im Jahre 1975, S. 14.
1
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit Tabelle 22
Fachliche Weiterbildung und Führungskräfte-Fortbildung in der D B A G 1975
Maßnahmen der Schulungsbereiche0*
Maßnahmen der Bildungswesen der Werke0' und des Zentralen Bildungswesens
Veranstaltungsart
Teilnehr ner-Std.
1975
1974
Interne Weiterbildung: 1. Geschl. Veranstaltung 2. Offene Veranstaltung
10.449 5.172
6.204 5.466
175.131 133.135 114.332 133.771
Summe
15.621
11.670
289.463 266.906
1975
1974
Interne Fortbildung: 1. Führungskräfte-Information 2. Führungskräfte-Training 3. Führungskräfte-Retraining 4. Führungstechniken
5.778 729 2.220 1.262
Summe
9.989
5.430
Externe Entsendungen: 1. Weiterbildung 2. Fortbildung
5.089 229
4.816 335
Summe
5.318
5.151
6.939
8.718
222.048 278.976
4.686 5.348 1.544
4.104 3.733 1.260
64.784 60.744 159.736 131.136
18.517
17.815
Verkaufsförderung : 1. Inland 2. Ausland
1.063 1.938
1.328 824
Summe
3.001
2.152
508 789
730 484
7.764 60.400
16.592 8.424
1.297
1.214
68.164
15.016
Kundendienstschulung : 1. Stationäre Schulung 2. Mobile Schulung - Inland - Ausland 3. Unimog-Kundendienst Summe
Ersatzteilwesen : 1. Inland 2. Ausland Summe
a)
Teilneïhmer
4.615 *
19.653 81.150 114.812 85.133 85.088 * 35.003 220.939
199.900
-
-
-
-
-
-
-
53.844 -
-
1975 einschließlich der HHF-Werke
b) Einschließlich „Führungskräfte-Information" und „Führungstechniken", da diese Unterscheidung erst ab 1975 eingeführt worden ist. c) Die Teilnehmer an den Schulungsmaßnahmen sind zu einem großen Teil Mitarbeiter unserer Vertragspartner im I n - und Ausland
druck. D a die meisten Industrieunternehmen den Vertrieb grundsätzl i c h anders geregelt h a b e n als Mercedes, s i n d d i e v o n d e r T a b e l l e 22 d a r g e s t e l l t e n V e r h ä l t n i s s e eine B e s o n d e r h e i t dieser F i r m a . A n d e r e U n t e r n e h m e n besitzen d a f ü r jedoch o f t andere Sondergegebenheiten.
I I . Material einiger Betriebe
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Bei der Analyse von Ubersichtsschaubildern, die die Bildungsorganisationen mehrerer Betriebe darstellen, muß dies von vornherein berücksichtigt werden. Die erste Hälfte der Tabelle 22 betrifft die „Weiterbildung" und die „Fortbildung" bei Mercedes. Rein sprachlich besteht kein Sinnunterschied zwischen diesen beiden Worten. Es kommt also darauf an, welche Bedeutungen den beiden Ausdrücken zugelegt werden. Da es für den Bereich der beruflichen Erwachsenenbildung noch nicht eine allgemein anerkannte Terminologie gibt, kann jeder Betrieb bei der Verwendung dieser Begriffe nach seinem Ermessen verfahren. I n der D B A G hat man das Wort Fortbildung für alle Bildungsveranstaltungen reserviert, an denen mittlere und obere Angestellte teilnehmen müssen, bevor ihnen Posten m i t größeren Führungsaufgaben als bisher übertragen werden. Die vielen Diskussionen in den letzten Jahrzehnten über den Problemkreis „Menschenführung i m Betrieb" haben zu der Einsicht geführt, daß es auf diesem Gebiet bestimmte erlernbare Kenntnisse und Fähigkeiten gibt, über die alle Führungskräfte verfügen sollten. Daraus haben viele Betriebe die Folgerung gezogen, daß sie nur dann jemand m i t Führungsaufgaben beauftragen, wenn er eine bestimmte Mindestqualifikation für die Leitung einer größeren Mitarbeitergruppe besitzt; je umfangreicher der Bereich ist, der ihm unterstellt werden soll, u m so größer sind auch die Vorbedingungen, die er erfüllen muß. Auch i n der D B A G w i r d so verfahren. Man hat dort ein gestuftes System von Bildungsveranstaltungen für diesen Zweck entwickelt; dessen Einzelheiten sind hier jedoch nicht wichtig. Es kommt an dieser Stelle nur darauf an zu zeigen, daß diese Führungskräfte-Bildung heute ein wichtiger Bestandteil des Gesamtsystems der Erwachsenenbildung i n einem Betriebe ist. Es ist für den Erziehungstheoretiker interessant, daß man dabei gern die amerikanischen Ausdrücke training und retraining verwendet. Es handelt sich dabei vorgergründig um eine Rücksichtnahme auf die Empfindlichkeit mancher höheren Angestellten, die der Meinung sind, daß es ihnen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu der Oberschicht des Betriebes nicht zugemutet werden könne, daß sie an „Bildungsveranstaltungen" teilnehmen. Deren Prestigebedürfnis w i r d dadurch befriedigt, daß die für sie bestimmten Maßnahmen m i t Begriffen bezeichnet werden, die aus dem Amerikanischen entliehen worden sind, wobei sie merkwürdigerweise übersehen, daß diese Worte als industrielle Ausdrücke zuerst bei der Einführung von Rationalisierungsmethoden i n der Arbeiterschulung verwendet worden sind 3 8 . Diese 38 Das Wort training hat in der englischen Sprache mehrere Bedeutungen; z. B. wird in einem englischen „teacher training college" umfassende Bildungsarbeit geleistet. Es ist unübersetzbar und sollte daher in Deutschland in
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Mentalität könnte relativ leicht überwunden werden, wenn für diesen Teil der beruflichen Erwachsenenbildung bessere Ausdrücke zur Verfügung stünden. Es wäre am einfachsten und würde durchaus der Sache gerecht werden, wenn das Wort Schulung verwendet würde. Dagegen besteht jedoch eine Abneigung. Die Nationalsozialisten haben seinerzeit viele Menschen gezwungen, an politischen Schulungen teilzunehmen, u m ihnen dadurch ihre Ideen aufzuzwingen, und seitdem ist dies immer wieder von politischen Machtgruppen versucht worden. Es besteht daher besonders bei geistig selbständigen Menschen eine instinktive Abneigung gegen Veranstaltungen, durch die sie „geschult" werden sollen. Dies ist wahrscheinlich der tiefere Grund dafür, daß man bei der Einrichtung von Vortragsreihen und Kursen für obere Führungskräfte auf unbelastete neutrale Ausdrücke wie training und retraining ausgewichen ist. Man steht hier i n der betrieblichen B i l dungsarbeit vor psychologischen Schwierigkeiten, die nur langsam überwunden werden können. U m so notwendiger ist es, sich u m eine neue Terminologie zu bemühen. Unter „Weiterbildung" werden i n der D B A G alle sonstigen Bildungsveranstaltungen zusammengefaßt. I m einzelnen sind dies jedoch sehr verschiedenartige Maßnahmen, und die Durchsicht der Jahresberichte über die Bildungsarbeit zeigt eine große Mannigfaltigkeit. Es kann die folgende Aufgliederung vorgenommen werden: a) Fachbildung, die der Spezialisierung des Jugendlichen nach der Lehrabschlußprüfung auf einen Erwachsenenberuf dient; b) Fachbildung, die der ständigen Erhaltung der beruflichen Qualifikation dient; c) Fachbildung, die durch Erweiterung des Gesichtskreises dem beruflichen Aufstieg dient; d) Fachbildung, die die weitere Verwendbarkeit von Angestellten und Arbeitern bei einer Umgestaltung des Betriebes sichert; e) Fachbildung, die bei einer durch Krankheit oder Unfall verursachten Leistungsminderung die weitere Verwendbarkeit i m Betriebe sichert; f) sonstige Bildung, die allgemeine Bildungsbedürfnisse der Betriebsmitglieder befriedigt. Ob die unter Punkt f) genannte allgemeine Bildungsarbeit notwendig ist, hängt von den Verhältnissen an den einzelnen Orten ab. Wenn Volkshochschulen, kirchliche Bildungswerke und ähnliche Einrichtungen ausreichende Programme anbieten, dann w i r d es der Betrieb unterlassen, m i t ihnen i n Wettbewerb zu treten. I n vielen Fällen ist es jewissenschaftlichen Arbeiten nicht verwendet werden, wenn Wert auf begriffliche Klarheit gelegt wird.
I I . Material einiger Betriebe
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doch notwendig, daß er selbst auf diesem Gebiet tätig wird, weil sonst ein Mangel vorhanden wäre, der Stellenbewerber davon abhalten könnte, einen Posten i n der Firma anzunehmen. Auch bei Mercedes ist offensichtlich diese Lage gegeben, denn das von BWZ (Bildungswesen Zentrale) herausgegebene „Weiterbildungsprogramm der Daimler-Benz AG, 1. Halbjahr 1976" enthält unter den fast 100 Kursen zahlreiche Angebote, die unter den Punkt f) fallen. Es ist nicht möglich, hier zu untersuchen, wie die unter den Punkten a) bis e) genannten Bildungsmotivationen i n dem Weiterbildungsprogramm der D B A G berücksichtigt werden und wie dabei zugleich eine von den Interessen des Betriebes bestimmte Bildungspolitik betrieben w i r d ; eine solche Analyse würde eine sehr umfangreiche selbständige Studie erfordern. Das betrachtete Material hat aber gezeigt, daß das Gesamtsystem des Bildungswesens der D B A G äußerst kompliziert und mannigfaltig ist. Es ist ein A b b i l d der Individualität des MercedesKonzerns und trägt daher besondere Züge, die sich aus dessen einmaliger Eigenart ergeben. Man kann es zwar m i t Begriffen beschreiben, die auch bei der Darstellung der Organisation des Bildungswesens von anderen Betrieben verwendet werden können. V o l l verstehen kann man es jedoch nur auf Grund der Kenntnis des besonderen Charakters, den die D B A G besitzt und durch den sie sich von anderen Unternehmungen unterscheidet. 4. Material
der Bayer
AG
Der Gesichtskreis der Untersuchung soll i n dem nächsten Abschnitt dadurch erweitert werden, daß nach Betrieben der Elektroindustrie und der Automobilindustrie ein solcher aus der chemischen Industrie betrachtet wird. Dieser Industriezweig ist ebenfalls i n besonderer Weise für den modernen Industrialismus charakteristisch, denn die Herstellung von Produkten durch Ausnutzung der Erkenntnisse der Chemie ist erst durch die Entwicklung der Naturwissenschaft i n den letzten 150 Jahren möglich geworden. Die chemische Industrie hat i m Laufe eines Jahrhunderts einen so schnellen Aufschwung wie kein anderer Industriezweig genommen und dabei Produktionsverfahren entwickelt, für die es keine Vorbilder i n früheren Wirtschaftsepochen gibt. Auch sie ist daher für denjenigen, der sich m i t den spezifischen Erziehungsproblemen i n der Zeit des Industrialismus befaßt, ein äußerst interessantes Studienobjekt. Das folgende Kapitel beschäftigt sich m i t der Bayer AG. Diese Unternehmung ist für die Betriebspädagogik außer den soeben genannten Gründen auch deswegen ein besonders aufschlußreiches Forschungsobjekt, w e i l an der A r t und Weise, wie das Werk Leverkusen am Beginn dieses Jahrhunderts aufgebaut worden ist, studiert werden kann, welche nicht-ökonomischen und nicht-technologi-
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
sehen Probleme und dabei auch welche allgemeinen Bildungsprobleme von den Werksleitungen i n der Aufbauphase des industriellen W i r t schaftssystems bewältigt werden mußten. Daher sollen hier einige A n gaben über die Geschichte der Bayer A G gemacht werden. Diese Unternehmung ist 1863 i n Wuppertal als offene Handelsgesellschaft unter der Firma „Friedrich Bayer et Comp." gegründet und 1881 i n die Aktiengesellschaft „Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer u. Co." umgegründet worden 3 9 . Ende 1863 waren i n der Fabrikation 12 Mann beschäftigt; 1881 waren i n der Firma 5 Teilhaber, 2 Prokuristen, 14 Chemiker, 1 Ingenieur, 15 Meister, 14 kaufmännische Angestellte und 390 Arbeiter tätig. Die Löhne lagen etwas über den ortsüblichen. „ A m besten waren die Arbeiter i n der Alizarinfabrik gestellt; sie verdienten durchschnittlich sieben Taler die Woche 39 ." Zunächst war es nicht schwierig, die für den Ausbau benötigten Arbeitskräfte zu finden, da der Raum Wuppertal bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ein Hauptgebiet der Textilindustrie war. U m 1873 entstand jedoch ein Arbeitermangel, und auch die Firma Bayer mußte damals „Polen" einstellen 39 . Es w i r d berichtet, daß manche von ihnen „ihre Schlafstelle über den Bütten und Schmelzöfen i m Betrieb aufgeschlagen hatten" 4 0 . Das Unternehmen mußte sich daher schon relativ früh nicht nur m i t der Frage der Beschaffung von Arbeitskräften, sondern auch m i t den Problemen befassen, die sich aus der Notwendigkeit der Versorgung der angeworbenen ortsfremden Mitarbeiter ergaben. Für den weiteren Ausbau reichte i n Wuppertal der verfügbare Raum nicht aus, und die Firmenleitung suchte daher ein Gelände, das möglichst am Rhein gelegen sein sollte. Da bot i h r 1891 die Fa. Dr. C. Leverkus und Söhne ihre i n dem Dorf Wiesdorf am Rhein gelegene Alizarinfabrik m i t einem großen unbebauten Gebiet an, und durch den Abschluß dieses Kaufes wurde der Grundstein für das Werk „Leverkusen" gelegt. Dies war ursprünglich ein Privatname, dessen Entstehung heute nicht mehr genau zu ermitteln ist. Erst i m Jahre 1930 erhielt der Ort auch amtlich den Namen Leverkusen 41 . Wiesdorf war vor 1900 nur ein kleiner Ort ohne Eisenbahnverbindung. Die übernommene Fabrik der Fa. Leverkus war unbedeutend und nicht ausbaufähig, so daß der Wert der Neuerwerbung fast nur darin bestand, daß sie der Fa. Bayer ein großes Industriegelände verschaffte, das nach Zukäufen schließlich ein zusammenhängendes Gebiet von 600 Morgen umfaßte. 39
Hermann Pinnow, Werksgeschichte zur Erinnerung an die 75. Wiederkehr des Gründungstages der Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer u. Co., München 1938, S. 16 u. 46. 40 Pinnow S. 39. 41 Beiträge zur hundertjährigen Firmengeschichte 1863 - 1963 hrsg. vom Vorstand der Farbenfabriken Bayer AG, Leverkusen 1964, S. 18.
I I . Material einiger Betriebe
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Für dessen Verwertung hat Carl Dulsberg 1894 eine „Denkschrift über den Aufbau und die Organisation der Farbenfabriken zu Leverkusen" verfaßt, die noch heute als „Modell einer Industrieplanung" g i l t 4 2 . Die beiden Hauptgedanken der Konzeption waren die folgenden: a) „Der Aufbau des Werkes darf nicht durch zufällige Gegebenheiten oder irgendwelche äußeren Einflüsse, sondern er muß ausschließlich durch die sachlichen Notwendigkeiten der Produktion bestimmt werden." b) „ F ü r jeden (Teil-)Betrieb ist ein solch großes Terrain zu reservieren, daß es voraussichtlich i n den nächsten 50 Jahren nicht notwendig wird, an eine Verlegung des Betriebes oder Einrichtung eines zweiten, davon entfernt liegenden analogen Betriebes zu denken." Der Aufbau des Werkes Leverkusen hat dazu geführt, daß das Schwergewicht der Firma immer mehr von Wuppertal nach Leverkusen verlagert worden ist. A m Ende des Jahres 1913 waren von den fast 10 000 Werksangehörigen der Fa. Bayer 7 900 i n Leverkusen und rund 2 000 i n Wuppertal tätig 4 3 . Infolge dieser Entwicklung hatte die Unternehmung daher schon 1912 ihren Sitz von Wuppertal nach Leverkusen verlegt. „Große Sorge bereitete von Anfang an das Arbeiterproblem. Wo sollte man die nötigen Kräfte für den Aufbau und dann für den Betrieb dieses gewaltigen Unternehmens herbekommen! Auch größte Beschleunigung des Wohnungsbaus konnte dieses Problem zunächst nicht lösen. Verkehrsmittel zum A n - und Abtransport größerer Menschenmassen gab es noch nicht — bis endlich die Kleinbahn nach M ü h l heim fertiggestellt war und auch die Mühlheimer Dampfschiffahrtsgesellschaft einen Dampfer zum Transport einsetzte. M i t dem Bau von Wohnungen, die bald ganze Siedlungen bildeten, wuchs schließlich die Zahl der i n Leverkusen ansässigen Arbeiter schnell, und das bedeutete, daß Einrichtungen für ihre Versorgung geschaffen werden mußten. Aus der ursprünglich i n einer alten Baracke hausenden ,Consumanstalt', i n der die Bewohner Leverkusens den nötigsten Bedarf decken konnten, entwickelte sich ein großes Kaufhaus. Weiterhin mußte die ärztliche Betreuung ausgebaut werden. Auch das Freizeitproblem gab es schon; es ist also keineswegs, wie w i r wohl meinen könnten, eine ,Erfindung' der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Man wurde diesem Problem durch Errichtung eines Gesellschaftshauses sowie durch Gründung geselliger und fachlicher Vereine gerecht, von denen einige bis i n unsere Zeit erhalten geblieben sind 4 4 ." I m Jahre 1902 wurde eine Bücherei begründet, der 1913 eine besondere Kinderbücherei angegliedert wurde. Es würde zu weit führen, hier i m einzelnen die Maßnahmen 42 Beiträge usw. S. 19. 43 Pinnow S. 141. 44 Beiträge, S. 21.
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
darzustellen, die von der Unternehmensleitung getroffen worden sind, um die allgemeinen Lebensbedingungen der i n Leverkusen tätigen Angestellten und Arbeiter zu verbessern 45 . Es sei noch erwähnt, daß am 1. Januar 1905 der „Allgemeine Ausschuß der Arbeiter" gegründet wurde, dessen Aufgaben i n „der Vertretung der Arbeiter gegenüber dem Arbeitgeber" lag und der die Zentralstelle der Einzelausschüsse war, von denen nach einer Aufstellung aus dem Jahre 1906 vierzehn bestanden. Ein „Ausschuß der kaufmännischen Beamten" ist 1907 und ein „Ausschuß für die akademischen Beamten" i n den Jahren 1908/09 gegründet worden 4 6 . Die Firma Bayer hat schon vor dem 1. Weltkrieg das Prinzip vertreten, daß die Belegschaftsmitglieder i n einem hohen Maße an der Gestaltung der für sie gedachten sozialen Maßnahmen und Bildungseinrichtungen m i t w i r k e n sollten. Carl Dulsberg hat bereits i m Jahre 1913 die Grundprinzipien der Personalpolitik der Bayer A G folgendermaßen formuliert: „Das Direktorium der Farbenfabriken war von jeher dem Grundsatz treu, daß es als Vertreter eines geschäftlichen Unternehmens nicht nur rein wirtschaftliche Interessen zu vertreten, sondern daneben i m gemeinwirtschaftlichen Sinne auch für seine Arbeiter und Angestellten wie die Werksangehörigen überhaupt zu sorgen und damit soziale und ethische Pflichten der verschiedensten A r t zu erfüllen hat 4 7 ." Diese Besonderheiten ihrer Firmengeschichte muß man überschauen, wenn man die heutige Wissenschafts- und Bildungspolitik der Bayer-Werke verstehen w i l l . Die Bayer A G hat i m Jahre 1974 einen Forschungsaufwand von 474 Mio. D M gehabt 48 . Aus der Zehnjahresübersicht ist zu ersehen, daß dieser 1965 193 Mio. D M betragen hat und danach ständig angestiegen ist, dabei von 413 Mio. D M i m Jahre 1973 auf die bereits genannten 474 Mio. D M i m Jahre 1974. I m gleichen Jahr waren von den 65 658 Angestellten und Arbeitern der Bayer A G rund 10 % gleich 6 438 M i t arbeiter i n dem Bereich Forschung und Entwicklung tätig 4 9 . Dieser hohe Aufwand für die Forschung ist für chemische Großunternehmungen charakteristisch. Er umfaßt auch erhebliche Ausgaben für die naturwissenschaftliche Weiterbildung der Mitarbeiter. Diese können die wissenschaftliche Bibliothek benutzen, die m i t rund 410 000 Bänden und m i t rund 5 000 abonnierten Zeitschriften die größte private chemische Fachbücherei i n Europa ist 5 0 . Außerdem besitzt Bayer eine Werkbücherei m i t rund 80 000 Büchern und eine Lesehalle m i t einer Präsenz45 Einen ausführlichen Überblick enthält der Artikel „Personalwesen" von P. G. von Beckerath in dem Sammelband Beiträge, S. 393 - 444. 46 Artikel Personalwesen, S. 400 und 401. 47 Artikel Personalwesen, S. 393. 4 « Bayer Geschäftsbericht 1974, S. 93. 4 ® Desgl. S. 18 und 51. 5° Desgl. S. 18.
I I . Material einiger Betriebe
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bücherei von Nachschlagewerken und m i t Zeitschriften und Zeitungen. Ferner ist wichtig, daß es i n der Bayer A G eine Kulturabteilung gibt, die zahlreiche Veranstaltungen durchführt und den Belegschaftsmitgliedern und deren Angehörigen die Möglichkeit bietet, durch den Besuch von Vorträgen, Konzerten, Theateraufführungen und Ausstellungen an dem allgemeinen geistigen Leben teilzunehmen. Unter den 30 von der Firma geförderten Vereinigungen sind allein 8 „musische" Vereine m i t den „Bayer-Philharmonikern" an der Spitze. Die meisten dieser Einrichtungen sind nicht erst i n den letzten Jahren geschaffen worden, sondern haben schon eine lange Tradition. Die Bayer A G kann darauf hinweisen, daß sie schon seit langem ein umfangreiches fachliches und allgemeines Bildungswesen besitzt. Ein wesentlicher Teil ihrer Betriebspolitik war Bildungspolitik i m weitesten Sinne dieses Wortes. Man hat allerdings früher nicht den Ausdruck betriebliche Bildungspolitik gekannt und daher diesen Sachbereich der betrieblichen Sozialpolitik zugerechnet; i n der modernen Terminologie werden jedoch diese beiden Gebiete der Betriebspolitik unterschieden. Diese Zusammenhänge muß man kennen, wenn man die Aufgaben der Abteilung „Zentrales Bildungswesen" verstehen w i l l . Sie ist nicht eine Zentralstelle, von der aus alle Bildungsaktivitäten der Bayer A G gelenkt werden. Ihre Aufgabe besteht vielmehr nur darin, dafür zu sorgen, daß die Berufsausbildung der Lehrlinge und die berufliche Fortbildung der erwachsenen Mitarbeiter i n allen Bayer-Werken nach einheitlichen Grundsätzen durchgeführt werden. Sie erstattet jedes Jahr einen Bildungsbericht über diese Tätigkeit. Aus dem Bericht von 1974 geht hervor, daß i n diesem Jahr die Gesamtkosten der Berufsausbildung 44,5 Mio. D M und diejenigen der Fortbildung 7,3 Mio. DM, zusammen also 51,8 Mio. DM, ausgemacht haben 51 . I m Verhältnis zu der Gesamtsumme der Löhne, Gehälter und sozialen Abgaben i m Jahre 1974 i n Höhe von 2 326 Mio. D M 5 2 waren dies rund 2 °/o. Man muß sich aber daran erinnern, daß i n dem vorhergehenden Abschnitt gezeigt wurde, daß die Bayer A G ein breit gefächertes fachliches und allgemeines B i l dungswesen besitzt, m i t dem die Abteilung Zentrales Bildungswesen nichts zu t u n hat. Die errechneten 2 % gelten daher nur für einen Teil der Bildungskosten. Der Prozentsatz wäre sehr viel höher, wenn alle Bildungskosten berücksichtigt werden könnten; eine solche Berechnung liegt jedoch nicht vor. Es gab 1974 i n der Bayer A G 3 408 Auszubildende; sie machten 5,19 % der Belegschaft aus 53 . Da dieser Satz i m Jahre 1971 5,33 %, 1972 5,03 °/o und 1973 5,09 °/o betragen hatte, kann man vermuten, daß i n dieser ei Bildungsbericht 1974, S. 16. 5 2 Geschäftsbericht 1974, S. 51. m Bildungsbericht 1974, S.4. 9 Abraham
10
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Firma ein Satz von rund 5 °/o die Regel ist. Es ist bemerkenswert, daß er 1974 nicht gesunken ist. Man hat bei der Bayer A G wie auch bei anderen Firmen die Erfahrung gemacht, daß seit dem Beginn der Rezession der Prozentsatz der Jugendlichen, die nach der Lehrabschlußprüfung den Betrieb wechseln wollen, erheblich gefallen ist; es wollen mehr Jugendliche als früher i n dem Betrieb bleiben, der sie ausgebildet hat. Daraus könnte ein Betrieb die Folgerung ziehen, daß er seine Lehrlingsausbildung einschränken sollte, w e i l er seinen Nachwuchsbedarf i n Zukunft m i t einem kleineren Ausbildungsvolumen decken kann. Gegen eine solche Entscheidung sprechen erhebliche Bedenken. Der Beobachtungszeitraum ist noch zu kurz, u m beurteilen zu können, ob das Verhalten der Jugendlichen nur eine bald vorübergehende Reaktion auf die durch die Rezession bewirkte allgemeine Unsicherheit ist oder ob es auf einer Änderung der Einstellung zu dem Leben beruht und daher auch bei einem Wirtschaftsaufschwung so bleiben wird. Es ist daher verfrüht, heute eine Reduzierung der Lehrlingsausbildung zu beschließen. Man muß aber realistisch über diese Frage nachdenken. Die Ausbildung eines Lehrlings kostet heute so viel Geld, daß die Betriebe prüfen müssen, ob sie die Zahl der Ausbildungsplätze verringern können, w e i l sich heraus stellt, daß die Deckung des Nachwuchsbedarfes auch m i t einer kleineren Ausbildungskapazität langfristig befriedigt werden kann. Eine solche Uberprüfung ist ökonomisch voll gerechtfertigt; Überlegungen dieser A r t müssen immer wieder kontrollieren, ob die Kosten einer Abteilung unnötig hoch sind und dadurch die Rentabilität verringern. Es muß dabei aber auch berücksichtigt werden, daß jeder Betrieb daran interessiert ist, daß die öffentliche Ordnung möglichst stabil bleibt und nicht durch soziale Unruhen erschüttert wird. Es ist gerechtfertigt, die durch die Beibehaltung der jetzigen Ausbildungskapazität entstehenden Aufwendungen hinzunehmen und dadurch zu der Einschränkung der Jugendarbeitslosigkeit beizutragen. Es gibt dabei jedoch eine Obergrenze, die nicht überschritten werden darf, denn es dürfen nicht mehr Nachwuchskräfte einer Fachrichtung ausgebildet werden, als die Volkswirtschaft langfristig benötigt. Wenn dies trotzdem geschieht, dann w i r d zwar die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen verringert, dafür aber die Arbeitslosigkeit von Erwachsenen vorprogrammiert. I n den Bildungsberichten der Abteilung Zentrales Bildungswesen fällt auf, daß zwei Arten von gewerblichen Ausbildungsberufen unterschieden werden, nämlich die naturwissenschaftlich-technischen und die gewerblich-technischen; außerdem gibt es die kaufmännischen Ausbildungsberufe und eine kleine Gruppe sonstiger Berufe. Insgesamt wurde 1974 i n 44 Ausbildungsberufen ausgebildet. Darüber gibt die folgende Tabelle 23 Auskunft 6 4 .
I I . Material einiger Betriebe
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Tabelle 23 Die Auszubildenden in der Bayer AG im Jahre 1974 Zahl der Auszubildenden naturwiss.-techn. Berufe gewerblich-techn. Berufe kaufmännische Berufe sonstige Berufe
in °/o der Gesamtzahl
1299 1090 620 399
38,1 32,1 18,1 11,7
3 408
100,0
Das Schwergewicht der Ausbildung lag bei den naturwissenschaftlich-technischen Berufen: 647 Chemielaboranten, 493 Chemiefachwerker, 97 Physiklaboranten und 62 Biologielaboranten. Diese Gruppe macht den besonderen Charakter der Bayer A G als Chemiebetrieb sichtbar. Es ist aber ebenfalls charakteristisch, daß es außerdem die zweite, fast ebenso große Gruppe der gewerblich-technischen Ausbildungsberufe gibt. Dies zeigt, daß die Bayer A G auch einen großen Nachwuchsbedarf an Facharbeitern für die Wartung und die Reparatur der A n lagen hat. Z u dieser zweiten Gruppe gehören: Meß- und Regelmechaniker, Betriebsschlosser, Hochdruckrohrschlosser, Elektroanlageninstallateure, technische Zeichner, Starkstromelektriker, Energieanlagenelektroniker und Elektromechaniker. Auch die Zusammensetzung der zweiten Gruppe w i r d von der besonderen A r t der Produktionsvorgänge bei Bayer bestimmt, und bei anderen Betrieben w i r d sie daher anders beschaffen sein. I n der Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen der als technisch bezeichneten Ausbildungsberufe w i r d ein für Produktionsbetriebe typischer Tatbestand sichtbar. Diese haben sowohl einen Bedarf an Fachkräften für die eigentliche Produktion als auch einen Bedarf an Fachkräften für die Betreuung der Anlagen. Die Qualität dieser „Reparaturhandwerker" ist für den störungsfreien Ablauf der Produktion ebenso wichtig wie die Qualität der i n der laufenden Fertigung tätigen Facharbeiter. Eine besondere Bedeutung hat die Gruppe der Reparaturhandwerker dann, wenn die Erneuerung und die Erweiterung der bestehenden Anlagen weitgehend von den zu dem Betrieb gehörenden Spezialisten durchgeführt werden, weil diese besser als A n gehörige fremder Firmen beurteilen können, worauf es bei diesen Arbeiten ankommt. Die laufende Umsetzung der neuen Erkenntnisse der Forschungsabteilung i n neue Produktionsverfahren bewirkt, daß i n einem Betrieb wie Bayer ständig irgendwo umgebaut wird, und dies w i r d oft m i t eigenen Kräften gemacht, da es unzweckmäßig wäre, bei allen Vorhaben dieser A r t Aufträge an außenstehende Firmen zu vergeben. Man kann aber nur dann so verfahren, wenn man i m Betrieb m Bildungsbericht 1974, S. 6. 9'
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
die entsprechenden Facharbeiter zur Verfügung hat, und dies setzt voraus, daß man den entsprechenden Nachwuchs ausbildet. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich eine Feststellung, die eine erhebliche allgemeine Bedeutung hat. Es ist m i t h i n nicht so, daß i n einem Betriebe der Chemieindustrie nur Nachwuchskräfte für Chemieberufe ausgebildet werden; vielmehr erfolgt dort auch eine Ausbildung von Metallfacharbeitern. Das Gleiche geschieht auch i n den Betrieben der Textilindustrie oder der Holzindustrie oder anderer Wirtschaftszweige. Umgekehrt muß i n Unternehmen, die zu der Metallindustrie gehören, oft auch eine Ausbildung für Nicht-Metall-Berufe erfolgen, w e i l dort Arbeitskräfte gebraucht werden, die z.B. Textil- oder Holzarbeiten ausführen können. Es wäre einfach, wenn man sagen könnte, daß die Metallindustrie für die Ausbildung der Metallfacharbeiter, die Holzindustrie für diejenige der Holzfacharbeiter und ebenso die übrigen Industriezweige jeweils für einen bestimmten Ausbildungsbereich zuständig sein sollten. Dies wäre jedoch eine Simplifizierung, die nicht der Wirklichkeit gerecht würde. Es muß vielmehr geprüft werden, welche Beschaffenheit die Betriebe haben, i n denen die Arbeitskräfte einer bestimmten Fachrichtung vorwiegend Beschäftigung finden, und es muß bei der Formulierung von Ausbildungsordnungen darauf Rücksicht genommen werden. Es ist nicht möglich, diesen Fragenkreis hier eingehender zu behandeln. Die i n der Bayer A G bestehenden Ausbildungsverhältnisse veranschaulichen jedoch i n einer eindringlichen Weise diese sehr schwierige Problematik. Es wurde bereits auf S. 129 gesagt, daß die Gesamtkosten der von der Abteilung Zentrales Bildungswesen betreuten Berufsbildung i m Jahre 1974 51,8 Mio. D M betragen haben. Die folgende Tabelle 24 gibt an, aus welchen Einzelposten sich dieser Betrag zusammen gesetzt h a t 5 4 a . Tabelle 24 Die Kosten der Berufsbildung in der Bayer AG im Jahre 1974 1. Kosten der Berufsausbildung Die Kosten der beruflichen Ausbildung in der Bayer AG beliefen sich 1974 auf insgesamt 44.482.171 DM einschließlich Kosten der Verwaltung und der berufsbildenden Schulen. Die Ausbildungskosten pro Kopf Mitarbeiter betrugen 623,33 DM, ohne Verwaltung und Berufsschulen. Bei Hinzurechnung der Verwaltungskosten und Berufsschulkosten lag der Betrag bei 677,48 DM. Werk
Gesamtk.
nat.-techn. Ausbildung
%
gew.-techn. Ausbildung
%
kaufm. Ausbildung
%
LEV UER DOR ELB
24.373.473 6.558.585 7.226.605 2.767.998
8.637.675 2.130.662 3.236.360 1.906.185
35,4 32,6 44,8 68,9
11.040.668 4.239.614 3.360.779 823.026
45,3 61,0 46,5 29,7
4.695.130 188.309 629.466 38.787
19,3 6,4 8,7 1,4
40.926.661
15.910.882
38,9
19.464.087
47,5
5.551.692
13,6
64a Bildungsbericht 1974, S. 12 und 16.
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I I . Material einiger Betriebe
Tabelle 24, Fortsetzung Die Bruttokosten für einen Auszubildenden lagen 1974 im Durchschnitt aller 4 Werke bei 12.019,58 DM. Kosten je Auszubildenden gesamt
nat.-techn. Ausbildung
gew.-techn. Ausbildung
kaufm. Ausbildung
Leverkusen Elberfeld Dormagen Uerdingen
11.518,65 11.581,58 13.163,21 13.090,99
10.650,65 11.623,08 14.845,69 9.386,18
13.783,61 12.661,94 13.887,52 18.274,20
9.315,73 3.878,70 7.072,65 5.230,81
AG
12.019,58
11.165,53
14.525,44
8.674,52
a) Bayer besitzt werkseigene Berufsschulen (Ersatzberufsschulen).
2. Kosten der Fortbildung Insgesamt gab Bayer im vergangenen Jahr ca. 7,3 Mio. DM für Fortbildung aus. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus a) 6.550.000 DM für interne Veranstaltungen b) 750.000 DM für Veranstaltungen externer Institute. Die durchschnittlichen Fortbildungskosten pro Mitarbeiter betrugen 1974 ca. 111 DM. Die angegebenen Kosten enthalten keine bewerteten Ausfallzeiten. Erfahrungsgemäß sind Kosten für Ausfallzeiten mit 45 - 50 % der Kursuskosten anzusetzen. 3. Gesamtkosten der Berufsbildung Für die Berufsausbildung und Fortbildung fielen in der Bayer AG 1974 Gesamtkosten in Höhe von fast 51,8 Mio. DM an. Davon entfielen auf die v. H. an Gesamtsumme a) Berufsausbildung b) Fortbildung
44.500.000 DM 7.300.000 DM*
86%
14%
* ohne bewertete Ausfallzeiten
Entwicklung der Aus- und Fortbildungskosten seit 1972 Jahr
Gesamtsumme Mio. DM
Kosten der Ausbildung Mio. DM
v. H. an Gesamtsumme
Kosten der Fortbildung Mio. DM
v. H. an Gesamtsumme
1972 1973 1974
38,0 44,0 51,8
33,5 38,8 44,5
88,0 88,0 86,0
4,5 5,2 7,3
12,0 12,0 14,0
Erstmals konnten die Fortbildungskosten 1974 in ihrer Gesamtsumme aufgrund neuer Erfassungsmethoden vollständig angegeben werden. Aus diesem Grund ist ein Vergleich mit den Fortbildungskosten früherer Jahre nur bedingt möglich.
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C.Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Die Tabelle enthält Angaben über die Zunahme der Kosten von 1972 bis 1974. Sie sind von 38 Mio. D M auf 51,8 Mio. D M und damit auf 137 °/o gestiegen. Wahrscheinlich war die Steigerung etwas niedriger, da 1974 die Bildungskosten genauer erfaßt worden sind 5 5 . Auch dann, wenn nur eine Zunahme auf 130% erfolgt sein sollte, so war diese doch sehr erheblich. Die Zahlen geben an, daß auch bei Bayer ebenso wie bei Siemens und Mercedes die Berufsbildung i n den letzten Jahren erheblich intensiviert worden ist. Daher sind heute die Berufsbildungskosten pro Kopf der Gesamtbelegschaft sehr beträchtlich, nämlich 677 + 111 D M = 788 DM. Diese Summe ist aber aus mehreren Gründen problematisch. Da bei den Berufsausbildungskosten nur die Bruttokosten und nicht auch die Nettokosten angegeben werden, erscheint bei ihnen die Belastung des Betriebes zu hoch. Andererseits w i r d diese bei den Fortbildungskosten niedriger ausgewiesen, als sie tatsächlich gewesen ist, da die Kosten der Ausfallzeiten nicht zugeschlagen worden sind 5 6 . Der Verfasser ist nicht i n der Lage zu beurteilen, um welche Beträge die beiden Posten 677 und 111 daher geändert werden müßten. Er vermutet aber, daß sich i m Endergebnis die Abstriche und die Zuschläge ausgleichen, so daß das Gesamtergebnis von 788 doch eine zutreffende Aussage über die Pro-Kopf-Belastung macht. Es gibt aber doch zu denken, daß die genaue Berechnung so großen Schwierigkeiten begegnet. Obwohl die Bayer A G seit Jahrzehnten auf dem Gebiete der Berufsbildung eine hervorragende und allgemein anerkannte Arbeit leistet, ist die rechnerische Erfassung der dadurch entstehenden Kosten bis heute ein noch nicht v o l l befriedigend gelöstes Problem. Die wissenschaftliche Analyse der aktuellen betrieblichen Bildungsprobleme w i r d dadurch erschwert. Die i n dem Teil 1 der Tabelle 24 angegebenen Kosten je Auszubildenden erwecken aus mehreren Gründen das Interesse des Betrachters. Wie bereits oben gesagt wurde, handelt es sich dabei u m die Bruttokosten; die Angabe der Nettokosten fehlt. Es kann aber die folgende Überlegung angestellt werden. I n einem früheren Teil dieser Untersuchung ist das Zahlenmaterial der Siemens A G besprochen worden. Aus i h m hat sich ergeben, daß dort i m Geschäftjahr 1974/75 bei den gewerblichen Auszubildenden die Kosten brutto 13 700 D M und netto 10 900 D M betragen haben, während bei den kaufmännischen Auszubildenden die Nettokosten gleich den Bruttokosten gewesen sind; sie haben pro Jahr 16 000 D M betragen 57 . Wenn man die Siemenszahlen
05
Siehe Schlußabschnitt auf der Tabelle 24. «« Siehe dazu Tabelle 24, Schlußsätze von Ziffer 2. ß7 Siehe S. 112 dieser Arbeit.
I I . Material einiger Betriebe
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m i t den Bayerzahlen vergleicht, dann zeigt sich, daß die Bruttokosten der gewerblichen Ausbildung fast gleich gewesen sind, nämlich 13 700 gegenüber dem Mittelwert von 11 166 und 14 525. Man kann daher annehmen, daß für Bayer auch die gleichen Nettokosten wie für Siemens, d.h. 10 900 D M gegolten haben. Wenn dies zutrifft, dann ist der A b stand zu den Kosten der kaufmännischen Ausbildung i n Höhe von 8 675 D M geringer gewesen, als sich aus der Tabelle 23 ergibt. Es ist jedoch auffällig, daß bei den Kosten der kaufmännischen Berufsausbildung ein sehr großer Unterschied zwischen Bayer und Siemens bestanden hat: 8 675 D M pro Kopf und Jahr bei Bayer und 16 000 D M bei Siemens. Der Verfasser vermutet, daß hierbei Unterschiede der Berechnungsverfahren eine Rolle gespielt haben, und sieht sich daher außerstande, den Versuch zu machen, diese Verschiedenheit aufzuklären. Es ist außerdem auffällig, daß die Pro-Kopf-Kosten der Ausbildung i n den vier Bayer-Werken sehr verschieden gewesen sind. Bei der naturwissenschaftlich-technischen Ausbildung hat das Werk Uerdingen die niedrigsten Kosten, bei der gewerblich-technischen dagegen die höchsten gehabt. Besonders groß sind die Unterschiede bei der kaufmännischen Lehrlingsausbildung zwischen den Werken Leverkusen (9 316 DM) und dem Werk Elberfeld (3 879 DM) gewesen. Da die A b teilung Zentrales Bildungswesen die Ausbildung i n den vier Werken nach einheitlichen Grundsätzen steuert und überwacht, ist es sehr unwahrscheinlich, daß dort, wo die ausgewiesenen Kosten niedriger sind, eine schlechtere Ausbildung praktiziert w i r d ; man kann unterstellen, daß das Ausbildungsniveau i n allen vier Werken gleich ist. Es müssen also andere Gründe vorliegen, die verursacht haben, daß das Zahlenbild diese großen Unterschiede zeigt. Der Verfasser vermutet den folgenden Grund. Es gibt i n der Bayer A G insgesamt 9 kaufmännische Ausbildungsrichtungen; darüber gibt die folgende Tabelle 25 Auskunft 5 8 . Die Übersicht zeigt, daß nur i n Leverkusen alle neun Ausbildungseinrichtungen vertreten sind, i n Elberfeld dagegen nur drei. Zwei von diesen sind die beiden Arten der Bürogehilfinnenausbildung. Darauf liegt das Schwergewicht i n Elberfeld; die dort auch stattfindende Ausbildung von mathematisch-technischen Assistenten spielt i m Vergleich m i t ihnen zahlenmäßig nur eine geringe Rolle. Die Ausbildung von Bürogehilfinnen ist i m Unterschied zu derjenigen von Industriekaufleuten oder Bürokaufleuten und erst recht zu der Ausbildung von W i r t schaftsassistenten relativ einfach und daher auch relativ billig. Hier
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Material der Abteilung Zentrales Bildungswesen.
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C.Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Tabelle 25 Kaufmännische Berufsausbildung in den Werken der Bayer AG Ausbildungszeit (Jahre)
Ausbildungsmöglichkeit im W e r k a : LE DO EL UE
Bürokaufmann/Mittlere Reife
3
X
X
Industriekaufmann/Mittlere Reife
3
X
Industriekaufmann/ Wirtschaftsassistent/Abitur
2V2
X
Mathematisch-techn. Assistent/Abitur
2V2
X
X
Bürokaufmann/Handelsschule
2
X
X
Bürogehilfin/Stenokontoristin/ Mittlere Reife/Hauptschule
2
X
X
X
X
Bürogehilfin/Stenokontoristin/ Handelsschule
1
X
X
X
X
Sozialversicherungsfachangestellter
3 (2V2)b
X
Kaufmann i m Grundstücksund Wohnungswesen
3
X
X
X X
a) Leverkusen, Dormagen, Elberfeld, Uerdingen. b) Bei Mittlerer Reife verkürzte Ausbildungszeit.
liegt wahrscheinlich der Grund, warum das Werk Elberfeld die dort praktizierte kaufmännische Ausbildung m i t niedrigeren Kosten durchführen kann als das Werk Leverkusen, wo auch diejenigen Ausbildungsarten vorhanden sind, die mehr Geld kosten. Es w i r d hier sichtbar, daß unter dem Ausdruck „kaufmännische Ausbildungsberufe" Ausbildungsgänge von sehr verschiedener A r t zusammengefaßt werden und daß daher der Aussagewert von Durchschnittszahlen für alle kaufmännischen Ausbildungsberufe begrenzt ist. Es würde wahrscheinlich einen zu großen Aufwand verursachen, wenn alle rechnerischen Daten für jeden dieser Zugangswege zu kaufmännischen Stellungen gesondert ermittelt würden. Man sollte jedoch überlegen, ob nicht ein so großer Betrieb wie Bayer von Zeit zu Zeit diese Einzelberechnungen durchführen sollte, u m genauere Einblicke zu erhalten. Die Intensivierung der Lehrlingsausbildung i n der Bayer A G i n der jüngsten Zeit kommt auch durch die absolute und relative Steigerung der Zahl der Ausbilder zum Ausdruck. Dies zeigt die Tabelle 26 59 .
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Material der Abteüung Zentrales Bildungswesen.
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I I . Material einiger Betriebe
Tabelle 26 Hauptamtliche Ausbilders^ in der Bayer AG
Leverkusen Dormagen Elberfeld Uerdingen Bayer A G Auszubildende
1972
1973
1974
92 33 11 34
100 36 12 36
112 44 13 40
170 3 071
184 3 284
209 3 405
Außerdem waren 1974 i n den Bay er-Werken 1 151 nebenamtliche Ausbilder tätig. Dazu kamen 32 hauptberufliche und ca. 50 nebenberufliche Lehrkräfte der Werkberufsschule 61 . Wichtiger als die Vermehrung der Zahl der Ausbilder ist jedoch die Verbesserung ihrer Stellung i m Betrieb und damit die Vergrößerung ihres Einflusses. Es hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß die Qualität des Bildungswesens eines Betriebes von der Qualifikation der Ausbilder abhängig ist. Daraus ergeben sich zwei Folgerungen. Die erste besagt, daß die i n der AEVO geforderten Kenntnisse und Fertigkeiten nur das allgemeine Mindestmaß dessen darstellen, was von einem Ausbilder verlangt werden muß. Je nach Wirtschaftszweig und Betrieb müssen außerdem weitergehende Qualifikationen gefordert werden. Die zweite Folgerung betrifft die Einordnung des Ausbilders i n die Hierarchie der Angestellten eines Betriebes. Sie muß so hoch erfolgen, daß dadurch für alle Mitglieder des Betriebes die Bedeutung der Berufsbildung dokumentiert w i r d ; sie muß außerdem so gestaltet werden, daß der Ausbilder auf Grund seiner Stellung stark genug ist, um sich durchsetzen zu können, wenn leitende Angestellte aus Mangel an Einsicht oder an gutem Willen Widerstand leisten. Vor allem muß der Leiter der Bildungsabteilung hoch eingestuft werden, damit er i n kritischen Fällen die Möglichkeit des unmittelbaren Gespräches m i t dem Leiter des gesamten Personalwesens hat. Es wurde bereits bei der Besprechung von Material der Siemens A G auf diesen Fragenkomplex hingewiesen, denn i n diesem Unternehmen besitzt der Leiter des Bildungswesens einen derartig hohen Rang. Ähnlich ist die Regelung bei Bayer. Dem gegenwärtigen (1976) Direktor des Zentralbereichs Personalwesen untersteht nicht nur formal auch die Abteilung Zentrales Bildungswesen; er ist vielmehr auch persönlich an den Problemen der Berufsbildung interessiert. Als Vorsitzender des seit mehr als 25 Jahren bestehenden Berufsbildungsausschusses des „Arbeitsringes der Arbeitet* M i t Ausbildereigenschaft gemäß AEVO. 61 Internes Material der Bayer AG.
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
geberverbände der deutschen chemischen Industrie e. V." hat er außerdem einen maßgebenden Einfluß auf die Gestaltung der praktischen Betriebspädagogik i n diesem Wirtschaftszweig 62 . Dieser Ausschuß hat auf seiner Plenartagung i m Dezember 1975 speziell das Thema „der betriebliche Ausbilder" behandelt 63 . Dieser enge Kontakt zwischen der Bayer A G und der Fachorganisation der chemischen Industrie bewirkt, daß die von Bayer getriebene Berufsbildungspolitik weitgehend als repräsentativ für den ganzen Wirtschaftszweig angesehen werden kann. 5. Material
der Hoesch AG
Das folgende Kapitel ist dem Bildungswesen der Hoesch A G gewidmet. Damit wendet sich die Untersuchung einem Industriebereich zu, der sich i n wesentlichen Punkten von den bisher besprochenen W i r t schaftszweigen unterscheidet. Die Hoesch A G betreibt die Erzeugung und die Verarbeitung von Stahl und leistet damit eine Arbeit, die seit Jahrtausenden ein wichtiger Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit des Menschen ist. Die Gewinnung von Eisen aus Erz und die Herstellung von Eisenwaren ist nicht wie die Produktion von Elektrogeräten, von Automobilen und von chemischen Gütern erst i n der allerneuesten Zeit durch die Entwicklung der Naturwissenschaft möglich geworden, sondern ist der Menschheit schon seit langer Zeit bekannt. Insofern steht die Hoesch A G i n einer weit zurück reichenden Tradition. Freilich w i r d die Gewinnung und Verarbeitung des Eisens heute i n größeren Mengen und m i t anderen M i t t e l n als früher durchgeführt, und die Betriebsstätten von Hoesch sehen daher ganz anders aus als die früheren handwerklichen Eisenhämmer. Es gibt aber trotzdem eine durchgehende Linie der Entwicklung der Eisenwirtschaft von dem A l t e r t u m bis zu der Gegenwart. Dieser Prozeß hat den Verlauf der Wirtschaftsund Sozialgeschichte erheblich beeinflußt, und manche wichtigen historischen Ereignisse stehen i n einem engen Zusammenhang m i t der Geschichte des Eisens. I n der neuesten Zeit ist dies besonders intensiv bei dem Vorgang der Ablösung der noch m i t spätmittelalterlichen Produktionsverfahren arbeitenden Wirtschaft durch das System der industriellen Produktion der Fall gewesen. Neben den Spinnereien und den Webereien sind vor allem die Eisen erzeugenden und verarbeitenden Werke und die Erz- und Kohlengruben diejenigen Arbeitsstätten gewesen, i n denen der Industrialismus zu der für ihn typischen Ausprä62 Siehe Prof. Dr. Paul Gert von Beckerath, Schwerpunkte der Berufsbildungspolitik, in Berufsausbildung in der chemischen Industrie, Stand und Überlegungen 1976, hrsg. vom Arbeitsring Chemie. 63 Vollrath Hopp, Stellung und Aufgaben des Ausbilders in der chemischen Industrie; Wüfrid Vetter, Ausbildung der Ausbüder, beide in der in Anm. 62 genannten Schrift.
I I . Material einiger Betriebe
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gung seiner Eigenart gelangt ist. Der Bergbau und die Schwerindustrie waren am Ende des 19. Jahrhunderts die am intensivsten industrialisierten Bereiche der Wirtschaft. Sie waren zugleich aber diejenigen Teile der Volkswirtschaft, i n denen die sozialen Spannungen am stärksten waren, und die Ideen des Marxismus und Kommunismus und die proletarische Klassenkampfideologie hatten große Teile der Belegschaften dieser Betriebe erfaßt. Unterdessen hat sich zwar Vieles geändert, und nur noch ein kleiner Teil der Metallarbeiter strebt eine kommunistische Revolution an. Die Arbeiterschaft der Metallbetriebe besitzt aber immer noch ein besonders stark ausgeprägtes Bewußtsein ihrer gesellschaftlichen Sonderstellung, und sie empfindet es auch jetzt noch als ihren Auftrag, nicht nur für ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, sondern auch für die allgemeinen Belange der Arbeiterschaft einzutreten. Es ist allerdings nur i n einem geringen Maße eine klare Vorstellung davon vorhanden, was darunter zu verstehen ist. Diese Einstellung ist vielmehr vor allem eine latente Haltung, die i m allgemeinen nicht in Erscheinung t r i t t , die aber sofort starke Reaktionen auslösen kann, wenn irgendetwas geschieht, was als Bedrohung der den Unternehmungsleitungen i n schweren Kämpfen abgerungenen Rechte erscheint. Es ist daher sehr schwer, die soziale Beschaffenheit dieser Betriebe i n der rechten Weise zu beschreiben. Es ist i n ihnen unter normalen Verhältnissen soziale Ruhe vorhanden, und die i m täglichen Arbeitsleben unvermeidlichen Konfliktfälle werden i m Zusammenwirken von Personalleitung und Betriebsrat ohne besondere Aufregung bereinigt. Ohne die heutigen Verhältnisse idealisieren zu wollen, kann man sagen, daß es nach einem Jahrhundert schwerer sozialer Kämpfe gelungen ist, einen Zustand der partnerschaftlichen Kooperation i n den Betrieben zu erreichen. Dies ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Bei den Metallarbeitern ist latent immer noch ein Klassenkampfkomplex vorhanden, der jederzeit wirksam werden kann, wenn er durch irgendwelche ungünstigen Ereignisse wachgerufen wird. Falls dies geschieht, dann kann es zu Vorgängen kommen, die i m Gegensatz zu dem geschilderten friedlichen B i l d stehen und die daher demjenigen, der nicht die tieferen Zusammenhänge kennt, unverständlich sind. I n Wahrheit ist es aber ein wichtiges Merkmal der heutigen sozialen Wirklichkeit, daß sie immer noch m i t dem Erbe einer m i t harten und bitteren Machtkämpfen zwischen der Arbeiterschaft und dem Unternehmertum ausgefüllten Vergangenheit belastet ist. Diese Epoche ist zwar prinzipiell vorbei; der moderne Industrialismus hat zu der Entstehung einer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung geführt, i n der der Klassenkampf kein sinnvolles M i t t e l zur Lösung von Konflikten ist. Der Historiker weiß jedoch, daß gesellschaftliche Vorstellungen und Verhaltensweisen oft noch lange irgendwie wirksam bleiben, obwohl sie an sich bereits längst
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
überholt sind. Man muß daher damit rechnen, daß i n kritischen Situationen das Verhalten eines Teiles der Belegschaften durch diese aus dem 19. Jahrhundert stammenden Restbestände von revolutionären Gedankengängen beeinflußt und i n eine Richtung gelenkt wird, die man nicht erwartet hat. Ähnliches geschieht i m übrigen auch auf der Seite der Arbeitgeber. Auch dort w i r d manchmal eine Haltung sichtbar, die überrascht, w e i l sie nicht i n den Wirtschaftsstil des ausgehenden 20. Jahrhunderts paßt. Solche Fälle beruhen darauf, daß i n den tieferen Schichten des Bewußtseins mancher Arbeitgeber noch Reste einer Einstellung vorhanden sind, die vor 100 Jahren so gut wie selbstverständlich war, die aber heute unzeitgemäß ist. Man kann nicht ungeschehen machen, daß es i n der Aufbauphase des Industrialismus harte Kämpfe um die Macht i n den Betrieben und um die Verteilung der gestiegenen Erträge gegeben hat, und man muß sehen, daß daher die Reste der dabei auf beiden Seiten entstandenen Ideologien heute noch als Vorurteile oder als aufgespeicherte Aggressionen fortwirken. Dazu kommt bei Hoesch, daß dieses Unternehmen ein „Mitbestimmungsbetrieb" ist; es gibt i n dieser Firma seit 1951 die durch Gesetz für die Montanindustrie vorgeschriebene Mitbestimmung der Belegschaft. Wenn sich der Betriebspädagoge m i t Problemen der Bildungspolitik in Montanbetrieben befaßt, dann ist für ihn diese Mitbestimmung eine vorgegebene Tatsache, m i t der er zu rechnen hat; daher w i r d hier von einer Erörterung der allgemeinen Mitbestimmungsproblematik abgesehen. Es gehört zwar auch i n anderen Betrieben zu den gesetzlichen Funktionen des Betriebsrates, bei der Planung und Durchführung von Bildungsmaßnahmen mitzuwirken. I n Betrieben der Montanindustrie ist seine Stellung jedoch wesentlich stärker, denn er ist i n ihnen an den Entscheidungen beteiligt. Der Leiter des Bildungswesens muß daher viel Menschenkenntnis und ein großes Verhandlungsgeschick besitzen, u m auch unter diesen Bedingungen die von i h m für richtig gehaltene Bildungspolitik realisieren zu können. Er muß sich bemühen, Konfrontationen zu vermeiden, die eine i m Unterbewußten ruhende Klassenkampfmentalität wachrufen könnten, denn wenn dies geschehen würde, dann würde das Bildungswesen eines Betriebes allzu großen Belastungen ausgesetzt werden. Er darf aber nicht versuchen, dies dadurch zu erreichen, daß er die Wünsche der Belegschaftsvertreter k r i tiklos akzeptiert, denn er würde dadurch auf lange Sicht sein Ansehen verlieren. Seine Autorität als der Fachmann des Betriebes für B i l dungsfragen hängt vielmehr davon ab, daß seine allgemeine menschliche und seine fachliche Qualifikation für diese Funktion i n dem Betriebe so eindeutig und unanfechtbar sind, daß er sowohl gegenüber der Unternehmungsleitung als auch gegenüber dem Betriebsrat eine selbständige Meinung vertreten kann.
I I . Material einiger Betriebe
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I n den Betrieben der Schwerindustrie spielt außerdem der folgende Sachverhalt eine große Rolle. I m Hochofenwerk, i n der Gießerei und i n dem Walzwerk w i r d harte und lebensgefährliche Arbeit unter ungünstigen arbeitsmedizinischen Bedingungen geleistet. Man versucht zwar laufend, diese Umstände zu verbessern, und hat dabei schon viel erreicht. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß diese Arbeit schwer ist und daß Unfälle nur dann vermieden werden können, wenn sich alle Beteiligten sehr diszipliniert verhalten. Es ergibt sich aus der Natur der Sache, daß oft mehrere Arbeiter eine Gruppe bilden, deren Mitglieder gut aufeinander eingespielt sein müssen und die widerspruchslos die Anordnungen des Kolonnenführers befolgen müssen. Vorgesetzte können sich nur dann behaupten, wenn sie dazu fähig sind, sachgerechte und klare Anweisungen zu geben, und wenn sie sich bei ihren Leuten Achtung durch überlegene Sachkenntnis erworben haben. Es ist dies eine rauhe Männerwelt, i n der befohlen und gehorcht werden muß. Man würde diese Wirklichkeit gründlich mißverstehen, wenn man diesen Umgangsstil als ein Überbleibsel aus einer vergangenen autoritären Epoche oder wenn man ihn sogar als militaristisch ansehen würde. Wenn diese Meinungen richtig wären, dann wäre die zu lösende A u f gabe relativ einfach, denn dann handelte es sich nur darum, veraltete Überlieferungen abzubauen und durch neue Modelle der Zusammenarbeit zu ersetzen. Die Problematik besteht jedoch gerade darin, daß es keine derartig einfachen Lösungen gibt. Auch nach der Einführung von modernen Betriebsordungen beruht das Funktionieren der Betriebe der Schwerindustrie weitgehend darauf, daß es i n ihnen Vorgesetzte gibt, die wissen, warum, wann und wie sie zu befehlen haben, und daß es dort Untergebene gibt, die wissen, warum, wann und i n welcher Weise sie zu gehorchen haben. Es kommt aber darauf an, daß die Vorgesetzten sich so verhalten, daß sie nicht durch einen Mißbrauch ihrer Befehlsgewalt die persönliche Würde ihrer Untergebenen verletzen, und daß sich die Angestellten und Arbeiter so verhalten, daß sie nicht freiw i l l i g durch Unterwürfigkeit ihre persönliche Würde preisgeben. Es besteht für beide Teile immer die Versuchung, sich dadurch Vorteile verschaffen zu wollen, daß sie gegen diese Grundsätze verstoßen. Außerdem ist zu beachten, daß es auch i n einem Betrieb der Schwerindustrie Arbeitsverrichtungen gibt, bei denen nicht die sachliche Notwendigkeit einer straffen Disziplin vorhanden ist und bei denen daher die Anweisungen nicht den Charakter von Befehlen zu haben brauchen. Dazu kommt, daß die moderne elektronische Technologie ohnehin einen neuen Stil der Zusammenarbeit hervorbringt, da es oft vorkommt, daß der Vorgesetzte weniger von der Elektronik versteht als ein Untergebener und daher bei Entscheidungen über die Verwendung von elektronischen Geräten auf dessen Urteil angewiesen ist.
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Die Frage der inneren Ordnung von Betrieben der Schwerindustrie ist daher einerseits sehr schwierig, andererseits aber auch sehr dringend, und ihre Beantwortung ist eine große Aufgabe, die planmäßig und m i t umfassenden Überlegungen gelöst werden muß. Die Leitung der Hoesch A G hat dies erkannt und darauf bei der Reorganisation des Unternehmens nach der weitgehenden Zerstörung i n dem letzten Krieg großen Wert gelegt. Als Ergebnis der jahrelangen Beratungen sind zunächst i m März 1966 i n dem Hauptbetrieb des Konzerns, den Hoesch Hüttenwerken AG, „Allgemeine Führungsleitsätze" eingeführt worden. Deren Zentralgedanke ist die Idee des „kooperativen Führungsstils". Nach der mehrjährigen Erprobung dieser Leitsätze ist der Geltungsbereich dieser Prinzipien auf den ganzen Hoesch-Konzern erweitert worden. Seit dem 1. Januar 1970 sind die „Führungsgrundsätze der Hoesch A G " i n K r a f t ; sie sind seitdem „ f ü r unsere betriebliche Führung und Zusammenarbeit verbindliche Richtlinie" 6 3 0 . Die Grundhaltung dieser Dokumente kommt i n dem folgenden Absatz der Allgemeinen Führungsleitsätze zum Ausdruck: „Autorität ist das Fundament jeder Führung. M i t dem Wandel des Führungsstils ändert sich aber der Inhalt des Begriffes »Autorität': beim kooperativen Führungsstil stützt sich die Autorität nicht allein auf die Macht, die der Vorgesetzte auf Grund seiner Stellung hat, sondern w i r d auch getragen durch die Anerkennung der Führungskräfte seitens der Mitarbeiter. Der Vorgesetzte stärkt seine Autorität m i t der Fähigkeit zu überzeugen und der Bereitschaft zur Einsicht." Durch die Führungsgrundsätze hat die Hoesch A G eine soziale Grundordnung erhalten, die auch das Fundament der Bildungsarbeit i n diesem Konzern ist. I n den Grundsätzen w i r d gesagt, daß es die Aufgabe der Unternehmensleitung und der Führungskräfte ist, den Mitarbeitern „die für die Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse durch Information, Unterweisung und Fortbildung zu vermitteln sowie die der charakterlichen Eignung und fachlichen Fähigkeit entsprechende Förderung angedeihen zu lassen". Man ist sich außerdem bei der Verabschiedung der Grundsätze darüber klar gewesen, daß diese m i t dem formalen A k t der Proklamierung noch lange nicht Leben und Wirksamkeit erhalten haben. Die Durchführung der tatsächlichen Einführung hat vielmehr eine intensive Bildungsarbeit notwendig gemacht. Da sich außerdem sowohl bei den Führungskräften als auch bei der Masse der Belegschaftsmitglieder die Zusammensetzung durch Abgänge und Zugänge ständig ändert, muß diese Bildungsarbeit kontinuierlich fortgesetzt werden; das Funktionieren des kooperativen Führungsstiles 63a Aus dem Schreiben, durch das Vorstand und Betriebsrat der Hoesch Hüttenwerke A G gemeinsam den Belegschaftsmitgliedern die Einführung der Führungsgrundsätze bekannt gegeben haben.
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setzt das Vorhandensein eines wirkungsvoll arbeitenden innerbetrieblichen Bildungsapparates voraus. Die Personalpolitik kann die i n den Führungsgrundsätzen aufgestellten Prinzipien nur dann verwirklichen, wenn sie dabei von der betrieblichen Bildungspolitik unterstützt wird. Dies geschieht unter anderem dadurch, daß die Abteilung Berufsbildung sowohl Seminare für obere Führungskräfte als auch Seminare für Betriebsräte durchführt, i n denen besprochen wird, ob sich die Führungsgrundsätze bewährt haben und i n welcher Weise sie verbessert werden können 6 4 . Die Arbeit des Hoesch Bildungswerkes steht aber außerdem i n dem Dienst der Erreichung einer immer engeren Einheit des Estel-Konzerns. Bereits seit Jahrzehnten war eine Beteiligung der niederländischen Firma Koninklijke Nederlandsche Hoogovensen Staalfabrieken N V an der deutschen Stahlindustrie vorhanden. Sie ist i n der Form mehrfach geändert worden und bestand zuletzt darin, daß Hoogovens 14,5 % des Aktienkapitals der Hoesch A G besaß. Parallel zu diesen finanziellen Beziehungen bestand zwischen Hoesch und Hoogovens eine fachliche Zusammenarbeit, die eine Koordinierung der Investitionsplanungen bezweckte. Die 1972 erfolgte Vereinigung der beiden Unternehmungen i n einer Zentralgesellschaft, der nach niederländischem Recht gegründeten Aktiengesellschaft Estel, war daher die folgerichtige Weiterführung einer schon lange i m Gang befindlichen Entwicklung. Es ist i n der vorliegenden Untersuchung nicht notwendig, den ziemlich komplizierten juristischen Aufbau des Estel-Konzerns darzustellen. Für das Verständnis der Hoesch-Probleme genügt es zu sagen, daß die Hoesch A G 8 5 ebenso wie die Hoogovens N V als Holdinggesellschaften bestehen bleiben und je 50 °/o des Estelkapitals besitzen. Ferner ist es auf der deutschen Seite dabei geblieben, daß der Konzern der Hoesch A G 15 Aktiengesellschaften und Gesellschaften m i t beschränkter Haftung umfaßt, deren A k t i e n oder Gesellschaftsanteile zu 100% i n dem Besitz der Hoesch A G sind; dazu kommen 24 weitere Unternehmungen i n Deutschland oder i m Ausland, bei denen die Hoesch A G weniger als 100 °/o des Kapitals besitzt 66 . Die wichtigste der Beteiligungsgesellschaften und das Kernstück des ganzen Konzerns ist die Hoesch Hüttenwerke A G i n Dortmund (100% Beteiligung). Der Hoogovens-Konzern besteht ebenfalls aus einer Zentralgesellschaft und einer großen Zahl von Beteiligungsgesellschaften. Die Aufgaben der betrieblichen Bildungspolitik werden auf der deutschen Seite durch die zu der Hoesch A G 64
Siehe dazu Hoesch Berufsbildung 1975, S. 27 und 30. Die Hoesch A G hat ihr Betriebsvermögen in eine neue Arbeitsgesellschaft, die Hoesch Werke AG, eingebracht; für diese Untersuchung ist dies jedoch ohne Belang. 66 Hoesch-Hoogovens, Bericht über den Zusammenschluß, Broschüre der Hoesch A G o. J. (1972), S. 36. 65
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
gehörende Abteilung „Hoesch Berufsbildung" und auf der niederländischen Seite durch die Abteilung „Management Ontwikkeling Hoogovens" wahrgenommen. Die Vereinigung der beiden nationalen Stahlkonzerne zu einer supranationalen Einheit ist eine Aufgabe, deren volle Lösung noch einige Zeit erfordern wird. Sie kann sich nicht darauf beschränken, daß i n einigen Spitzengremien Absprachen erfolgen, sondern muß sich bis weit nach unten auswirken, wenn sie einen Nutzen bringen soll. Dazu ist es notwendig, daß die Belegschaftsmitglieder hinreichend darüber informiert werden, was sich laufend als Folge der Fusion i n den einzelnen Betriebsstätten ändert. Die Planungskonzeption muß zumindest den oberen Führungskräften, möglichst aber auch denen auf der M i t t e l stufe bekannt gemacht werden, u m deren Mitarbeit zu sichern. Schließlich müssen die deutschen Betriebsmitglieder über die Lebensverhältnisse i n den Niederlanden und über die Sitten und Gewohnheiten der Holländer informiert werden, damit sie die i n dem anderen Teil des Konzerns tätigen Menschen besser verstehen lernen. Das Entsprechende muß auf der niederländischen Seite getan werden. Dazu gehört auch Unterricht hier i n der holländischen und dort i n der deutschen Sprache. Der Jahresbericht 1975 von Hoesch Berufsbildung zeigt an mehreren Stellen, wie diese Aufgaben angepackt werden. Beispielsweise werden laufend für die Mitarbeiter des Konzerns Lehrgänge zur Einführung i n die niederländische Sprache veranstaltet. I m Jahr 1975 waren dies 24 viertägige Grund- und Fortsetzungsseminare für Teilnehmer m i t Vorkenntnissen und zwei langfristige Sprachlehrgänge; an diesen Veranstaltungen haben 291 Betriebsmitglieder teilgenommen. Der Koordinierung der Betriebspolitik von Hoesch und Hoogovens dienten zwei „Estel Management Seminare", die gemeinsam von Hoesch Berufsbildung und Management Ontwikkeling Hoogovens vorbereitet und von oberen Führungskräften beider Konzernteile besucht wurden. Gegenstand dieser Seminare war die „Strategie Estel, Organisationsstruktur und Unternehmensplanung Estel". Diese Seminare für Spitzenkräfte zeigen besonders deutlich die Funktion, die heute die B i l dungsabteilungen der beiden Konzernteile haben, denn es hängt i n einem hohen Maße von der Qualität dieser Seminare ab, wie schnell und wie intensiv es gelingt, die bei der Schaffung des Gesamtkonzerns Estel entworfene Unternehmensplanung durchzuführen und die angestrebten Ziele zu erreichen. So deutlich wie i n dem Fall Estel ist bisher nicht sichtbar geworden, daß bei dem Aufbau supranationaler Wirtschaftseinheiten die betriebliche Bildungspolitik ein wichtiges I n strument bei der Durchführung der konzipierten Betriebspolitik ist. Auch die bisher besprochenen Unternehmungen Siemens, DaimlerBenz und Bayer stehen vor der Notwendigkeit, i n ihren Bildungspro-
I I . Material einiger Betriebe
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grammen ihre ausländischen Interessen zu berücksichtigen, denn sie sind i n einem sehr hohen Maße exportabhängig und unterhalten daher i m Ausland i n den verschiedensten Rechtsformen Zweigniederlassungen. Es müssen sowohl deutsche als auch ausländische Fachkräfte ausgebildet und laufend geschult werden, die alle bei dem Auslandsverkauf anfallenden besonderen Dienstleistungen erledigen können, ζ. B. die Reparatur gelieferter Maschinen und Autos oder die Beratung bei der Verwendung von Düngemitteln. Dabei dienen die Ausbildung und die Fortbildung den Interessen des deutschen Stammhauses und werden von einer i n ihm befindlichen Zentralstelle geleitet. Dagegen handelt es sich bei der soeben besprochenen Mitarbeit von Hoesch Berufsbildung bei der inneren Konsolidierung des supranationalen Estel-Konzerns u m eine völlig anders geartete Angelegenheit. Der holländische Partner Hoogovens ist für Hoesch nicht das Gleiche wie die brasilianische Tochtergesellschaft von Siemens für das deutsche Stammhaus. Die deutsche Abteilung Hoesch Berufsbildung handelt bei der Organisation eines Estel-Management-Seminars letztlich nicht nach den Anweisungen des Vorstandes der Hoesch AG, sondern nach denjenigen des übergeordneten Vorstandes von Estel. Es gibt m i t h i n zwei A r t e n der „internationalen" Bildungsarbeit deutscher Betriebe. Bei der einen dreht es sich darum, den Wirkungsgrad der Vertretung einer deutschen Firma i m Ausland zu erhöhen. Bei der anderen geht es darum, die Kooperation deutscher Betriebe m i t gleichberechtigten ausländischen Partnern durch Seminare über die gemeinsame Unternehmensstrategie zu unterbauen. Bei Hoesch geschieht dies innerhalb einer supranationalen Dachgesellschaft. Daneben gibt es die andere Form der loseren Kooperation juristisch und faktisch völlig selbständig bleibender Firmen aus mehreren Ländern. Dafür gibt es Beispiele i m Bereiche des Bankwesens; die Deutsche Bank und die Dresdner Bank sind Mitglieder von internationalen Bankenvereinigungen, und es hat sich als notwendig erwiesen, den Kontakt zwischen den führenden Persönlichkeiten dieser Unternehmungen durch Seminare zu fördern. M i t der Zunahme der Verflechtung der deutschen Wirtschaft m i t ausländischen Partnern steigt die Bedeutung dieser A r t der internationalen Berufsbildungsarbeit. Die Organisation des beruflichen Bildungswesens i n dem HoeschKonzern ist auf Grund der dort gegebenen sachlichen Notwendigkeiten etwas kompliziert. Gerade deswegen soll hier etwas darüber gesagt werden, um zu zeigen, daß die konkrete Gestaltung der Bildungsorganisation bei Konzernen von deren Organisationsstruktur abhängt und daher i n der Praxis sehr verschieden ist. Es wurde oben gesagt, daß die Hoesch A G den Charakter einer Holdinggesellschaft hat, da sie die A k tien oder die Anteile an dem Gesellschaftskapital der Beteiligungsge10 Abraham
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
sellschaften (Betriebsgesellschaften) besitzt. Sie ist zugleich aber auch die „Hauptverwaltung", von der bestimmte Angelegenheiten für den ganzen Konzern erledigt werden. Dies sind vor allem die Entscheidungen i m Rahmen der allgemeinen Geschäftspolitik, das zentrale Rechnungswesen m i t Aufwands- und Ertragsrechnung, die zentrale Wohnungsfürsorge, der zentrale Gesundheitsdienst, die Betriebskrankenkasse und ferner auch die Abteilung Hoesch Berufsbildung. Die Hoesch A G hat also zusätzlich zu der Funktion als Holdinggesellschaft umfangreiche Aufgaben und benötigt dafür einen eigenen Geschäftsbetrieb. Sie bildet daher auch selbst Nachwuchskräfte aus und zwar vor allem kaufmännische. Sie erscheint daher i n den folgenden Tabellen neben den Betriebsgesellschaften als Ausbildungsbetrieb. Die zu der Hauptverwaltung gehörende Abteilung Berufsbildung kümmert sich daher erstens u m die Ausbildung der zur Hauptverwaltung gehörenden Auszubildenden; dies macht jedoch nur einen kleinen Teil ihrer Arbeit aus. Zweitens hat sie die Ausbildungsarbeit zu betreuen, die von den Betriebsgesellschaften geleistet wird. Darin besteht ihre ziemlich komplizierte Hauptaufgabe. Sie berichtet i n den jährlich erscheinenden umfangreichen Heften „Hoesch Berufsbildung" darüber, wie sie ihre Arbeit durchführt. Die täglich zu erledigende Ausbildung überläßt sie auf dem gewerblichen Sektor den Ausbildungsabteilungen i n den Betriebsgesellschaften; die gewerblichen Auszubildenden besuchen außerdem die öffentlichen gewerblichen Berufsschulen. Dagegen untersteht die Ausbildung der kaufmännischen Auszubildenden i n einem viel stärkeren Maße der Hauptverwaltung, da i n Verbindung m i t Hoesch Berufsbildung bei der Zentrale eine kaufmännische Werkschule (Ersatzberufsschule) besteht, die von allen kaufmännischen Lehrlingen besucht wird. Diese Schule kann i n einem stärkeren Umfange als eine öffentliche kaufmännische Berufsschule Versuche durchführen, die der Erprobung des optimalen Verhältnisses zwischen der Ausbildung i n der Schule und der Ausbildung an dem Arbeitsplatz dienen. Aus diesem Grunde ist beispielsweise die Aufteilung des Unterrichtes i n vier Unterrichtsblöcke eingeführt worden. Es waren am Jahresende 1975 von Hoesch Berufsbildung insgesamt 1 663 Auszubildende zu betreuen. Die Tabelle 27 gibt darüber Auskunft, m i t welchen Betriebsgesellschaften bzw. m i t der Hauptverwaltung die Jugendlichen ihre Ausbildungsverträge abgeschlossen hatten 6 7 . Diese Tabelle zeigt, daß die Nachwuchsausbildung i n der Hauptverwaltung und i n 13 Betriebsgesellschaften erfolgt. Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß die Gesamtsteuerung eine schwierige Aufgabe ist. Sie w i r d dadurch noch schwerer, daß die schulische Vorbildung der Auszubildenden verschieden ist. Darüber machen die Tabellen 28, 29 « 7 Hoesch Berufsbildung 1975, S. 5.
I I . Material einiger Betriebe
147
Tabelle 27 Kaufmännisch und technisch Auszubildende des Hoesch-Konzerns am 31. Dezember 1975 Gesellschaft Hauptverwaltung Hoesch Hüttenwerke A G Hoesch Siegerlandwerke A G Hoesch Werke Hohenlimburg-Schwerte A G Hoesch Packband GmbH Hoesch Röhrenwerke A G Hoesch Rothe Erde-Schmiedag A G Schwinn A G Hoesch Maschinenfabrik Deutschland A G Dittmann & Neuhaus A G Blefa A G Hoesch Handel A G Dortmunder Eisenhandel GmbH Celler GmbH
kfm.
techn.
Gesamt
26 104 55 60 11 13 19 2 14 4 9 64 7 4
3 634 117 250 11 32 125 19 61 4 15
29 738 172 310 22 45 144 21 75 8 24 64 7 4
392
1.271
-
1.663
und 30 Aussagen. Die beiden ersten betreffen nur die technisch Auszubildenden, die dritte die kaufmännischen Lehrlinge. Die Tabelle 27 enthält nicht die Hoesch Hüttenwerke; über die dort bestehenden Verhältnisse berichtet die Tabelle 28. Die Tabelle 29 erfaßt den ganzen Konzern 6 8 . Die drei Tabellen zeigen, daß die schulische Vorbildung große Unterschiede aufweist. Es ist daher schwer, Pläne aufzustellen, die allen Gruppen gerecht werden. Dabei sind die Tabellen 29 und 30 deswegen besonders bemerkenswert, weil aus ihnen hervorgeht, daß der Anteil der einzelnen Vorbildungsgruppen schwankt, so daß die Zusammensetzung der Jahrgänge verschieden ist. Diese Schwierigkeiten bestehen, obwohl die Zahl der Bewerbungen weit diejenige der verfügbaren Stellen überschreitet, so daß eine Auslese möglich ist. Für den kaufmännischen Sektor gibt darüber die Tabelle 31 Auskunft 6 9 . Die Zahlen besagen einen so großen Andrang der Jugend zu kaufmännischen Ausbildungsplätzen i m Hoesch Konzern, daß nur 7,3 °/o der Bewerbungen zum Erfolg geführt haben. Dies gilt besonders für die Hüttenwerke, wo auf 946 Bewerbungen nur 48 Einstellungen kamen, d. h. nur ca. 5 °/o. Dieser Prozentsatz bedeutet, daß die dort für die Einstellung verantwortlichen Kräfte vor einer fast unlösbaren Aufgabe stehen, wenn sie bei der Annahme einerseits die Belange des Betriebes es Tab. 28 und 29 desgl. S. 13; Tab. 29 S. 15. 6ö Hoesch Berufsbildung 1975, S. 6. 10*
1
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Tabelle 28 Die schulische Vorbildung der technisch Auszubildenden im Hoesch-Konzern außer Hoesch Hüttenwerke AG 1975 Ausbildungsjahr Schulabschluß
2.
1.
3.
4.
Gesamt
Anzahl der Auszubildenden %
%
%
%
Hauptschule 9. Klasse 120 62,5 122 62,5 110 70,1 Hauptschule 10. Klasse 19 9,9 8 4,1 12 7,6 Hauptschule bis 8. Klasse 1 0,5 8 4,1 8 5,1 Hauptschule 9. Klasse + Berufsgrundbildungsjahr 1 0,5 7 3,6 3 1,9 Hauptschule bis 8. Klasse + 1 Jahr Berufsförderungslehrgang 1 0,5 3 1,5 2 1,3 Berufsfachschule (zweijährig) 5 2,6 14 7,2 7 4,5 Abgebrochene Schulbildung (vor Ο Π-Reife ο. Realschulabschluß) 1 0,5 5 2,6 3 1,9 Ο Π bzw. Mittlere Reife 44 23,0 28 14,4 12 7,6
73 78,4 5 5,4 7 7,5
Insgesamt
93
192
195
2 -
2,2
13 6
-
2
2,2
4
4,3
-
157
425 44 24
28 9 88
-
637
Tabelle 29 Die schulische Vorbildung der 1973 bis 1975 neu eingestellten technisch Auszubildenden der Hoesch Hüttenwerke AG Einstellungsjahre Schulabschluß
1975
1974
1973
Anzahl der Auszubildenden % Hauptschule mit Abschluß 147 Hauptschule ohne Abschluß 15 17 Hauptschule 10. Klasse Realschulabschluß Gymnasium 10. Klasse 16 Berufsgrundbildungsjahr Berufsfachschule (zweijährig) 17 4 Gymnasium/Realschule ohne Abschluß Sonstige Schulen (u. a. FOS/Handelsschule) 4 Sonderschule 3 Summe:
223
66,0 6,7 7,6
% 168 12 14
75,7 5,4 6,3
122 28 14
63,9 14,7 7,3
8
3,6
21
11,0
7,2 -
%
-
-
7,6 1,8
5 3
2,3 1,3
1,8 1,3
3 9
1,3 4,1
222
-
-
1 5
0,5 2,6
-
-
-
-
191
I I . Material einiger Betriebe
19
Tabelle 30 Wandel in der Vorbildung der kaufmännisch Auszubildenden im Hoesch-Konzern von 1971 bis 1975 Einstellungsjahr
1971
%
Vorbildung 1. Volksschule bzw. Hauptschule
1972
52 31,3
2. Abgebrochene Schulbildung (vor ΟΠ-Reife o. Realschulabschluß)
4
2,4
%
71 41,0
1
0,6
3. Handelsschule
35 21,1 24 13,9
4 . 0 Π-Reife bzw. Realschulabschluß
66 39,8
5. Höhere Handelsschule 6. Abitur Insgesamt
9 -
166
5,4
1973
1974
%
68 35,0
2
1,1
1975
% 9.Schulj. 29 16,5 lO.Schulj. 36 20,5
2
1,1
% 14 9,4 22 14,8
1
0,7
35 18,0
22 12,5
23 15,4
69 39,9 76 39,2
68 38,6
67 45,0 19 12,7
7
4,0
12
6,2
16
9,1
1
0,6
1
0,5
3
1,7
173
194
176
3
2,1
149
berücksichtigen, andererseits die verfügbaren Plätze gerecht unter die gleichwertigen Bewerber verteilen und dabei außerdem auch noch auf soziale Härtefälle eingehen sollen. U m nicht einen falschen Eindruck aufkommen zu lassen, muß darauf hingewiesen werden, daß die von Hoesch abgewiesenen Bewerber m i t sehr großer Wahrscheinlichkeit bei anderen Firmen Ausbildungsplätze gefunden haben. Die meisten werden sich ohnehin von vornherein an mehreren Stellen beworben haben. Da die ursprünglich i n der Eifel errichtete Firma Hoesch seit 1871 in Dortmund ansässig und heute das größte Unternehmen i n dieser Stadt ist, ist es für Dortmunder Jugendliche naheliegend, auf jeden Fall zu versuchen, durch den Abschluß eines Ausbildungsvertrages den Zugang zu einer Lebensstellung bei Hoesch zu erhalten. Daraus erklärt sich die sehr große Zahl der Bewerbungen. Man darf den hohen Prozentsatz der Ablehnung deswegen nicht so interpretieren, daß er ein Indiz für eine Notlage der ausbildungswilligen Jugendlichen sei. Eine solche Auffassung wäre unrealistisch. Es ist vielmehr so, daß Jugendliche, die etwas lernen wollen, auch i n den letzten Jahren einen Ausbildungsplatz erhalten haben. Es ist allerdings notwendig, daß sie sich rechtzeitig und gründlich darum bemühen. Es ist für die weitere geistige Entwicklung von Jugendlichen i m Alter von rund 16 Jahren durchaus nützlich, daß sie die Notwendigkeit der Entfaltung eigener Initiative für den Aufbau ihres Berufslebens erfahren. Man muß ihnen dabei durch Beratung helfen. Man würde ihnen aber einen schlechten Dienst erweisen, wenn
10
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Tabelle 31 Bewerbungen und Einstellungen der kaufmännisch Auszubildenden im Hoesch-Konzern 1975 Hütten- Hohenwerke limburg E
MFD
Handel
Schwinn
E
Β
E
Β
E
Β
E
Β
E
Β
E
84 3
55
3
235
5
53
3
1
25 13
2 1
51 53
8 11
20
2
15 3 2
8
22 2 14 3
12 38 15 2
946 48 223 23 120 8
93
6
339
24
73
5
67
20
8
1
Β
Β
E
Rothe Röhren- SiegerErde werke landwerke
IK 594 16 148 9 GK BK 181 11 Bü 72 21 75 14 Sonstige 99 -
Blefa
Dortm. Eisenh.
Β
Pack- Hauptband verwaltg.
Celler
Β
E
Β
E
Β
E
IK 41 GK BK 7 Bü 2 Sonstige -
1 1 1
22 20
1 2
11 1
1 1
50
3
42
3
12
2
Summe:
BKK
Β
E
Β
E
Β
E
27
3
85
-
2
1
64 5 16
4 3 5 2
1
27
3
170 12
Wohnungs- Dittmann gesellsch. &Neuhaus Β
E
Β
4 1 14 1 Kaufmann] η der Grundstück s-und _ Wohnungs\virtsch. _ 4
1
14
Β = 2.190 E =
161
Β = Bewerbungen E = Einstellungen
IK GK BK Bü
= = = =
E
Industriekaufmann Kaufmann im Groß- u. Außenhandel Bürokaufmann Bürogehilfin
BKK= Betriebskrankenkasse man ihnen durch die behördliche Zuweisung eines Ausbildungsplatzes ersparen würde, sich selbst u m ihre Angelegenheiten zu kümmern. Aus dieser Sicht sind die oben mitgeteilten Zahlen zu beurteilen. Da i m Gesamtsystem der Berufsbildung die „Berufsausbildung" von „Auszubildenden" nur die erste Stufe ist, auf die weitere folgen, hat auch Hoesch Berufsbildung noch andere große Aufgaben. Man bezeichnet bei Hoesch alles, was nach der ersten Stufe geschieht, als „Fortbildung", ohne eine begriffliche Unterscheidung zwischen den einzelnen Arten der Fortbildung zu machen; deren Besonderheit ist aber aus den Themen der Veranstaltungen zu entnehmen. Es w i r d jedoch zwischen
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1
I I . Material einiger Betriebe
der „innerbetrieblichen" und der „außerbetrieblichen" Fortbildung unterschieden. Die zweite A r t spielt eine große Rolle. Es heißt dazu i n Hoesch Berufsbildung 1975, S. 33: „ I m Geschäftsjahr 1975 haben 2 328 Mitarbeiter aus dem gesamten Hoesch-Bereich vom reichhaltigen A n gebot externer Fortbildungsinstitute Gebrauch gemacht. Es handelt sich dabei nur um Veranstaltungen, die ein so differenziertes Spezialwissen vermitteln, das durch die internen Fortbildungsmaßnahmen nicht abgedeckt werden kann. W i r betrachten die externen Lehrgangsbesuche als eine sinnvolle Ergänzung zu unseren eigenen Bemühungen." Die rechte Abstimmung zwischen der internen und der externen Fortbildung ist ein wichtiges Problem der praktischen Betriebspädagogik. Seine Lösung ist eine Personen-, eine Raum- und eine Kostenfrage und hängt außerdem davon ab, wie weit die einzelnen Betriebe von der Berufsbildungszentrale entfernt sind. Zur Veranschaulichung dieses Fragenkomplexes soll durch die folgenden Tabellen 32 und 33 die Lösung gezeigt werden, zu der man bei Hoesch durch die praktische Erfahrung gekommen ist. Tabelle 32 Innerbetriebliche Fortbildung im Hoesch-Konzern 1975 Art der Veranstaltungen
Teilnehmer
ESTEL Management-Seminare Seminare „Personalbeurteilung" Seminar „Gruppendynamik" Seminare „Lärm am Arbeitsplatz" „Chefgespräche" (Hüttenwerke) Planungsseminare (Hoesch Handel AG) Seminare für Abteilungs- und Betriebsleiter Seminare für Mitarbeiter des Einkaufs Seminare für Betriebsingenieure M-Betriebe (Hüttenwerke) Seminare für Ingenieur- und Wirtschaftsassistenten (Hüttenwerke) Seminar „Video-Rekorder" Seminare für Betriebsräte Seminare für Meister Arbeitstagungen für Ausbilder und Ausbildungs-Beauftragte Allgemeine Fortbildungslehrgänge Einführung in die niederländische Sprache Industriemeister-Lehrgang Hüttenfacharbeiter-Lehrgang Teilnehmer an innerbetrieblichen Veranstaltungen
49 170 19 217 46 53 115 82 48 140 14 295 510 539 280 291 20 61 2 949
Die Listen der Tabellen 32 und 33 geben eine Vorstellung davon, welche Qualifikationen heute von dem Leiter der Bildungsabteilung eines Betriebes und von seinen Mitarbeitern verlangt werden. Sie müssen den für ihren Wirtschaftszweig relevanten „Bildungsmarkt" gut
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Tabelle 33 Außerbetriebliche Fortbildung im Hoesch-Konzern 1975 Von der Vielzahl der externen Institute sind hier die am häufigsten besuchten in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt; Gesamtzahl der Teilnehmer an deren Veranstaltungen 2 328. Arbeitsgemeinschaft für soziale Betriebsführung und Betriebsgestaltung Berufsgenossenschaften Bildungswerk der Nordrhein-Westfälischen Wirtschaft Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung Controller-Akademie Deutsches Institut für Betriebswirtschaft Deutsches Volksheimstättenwerk Deutscher Verband für Schweißtechnik Gesellschaft für Technik und Wirtschaft Haus der Technik Handwerkskammern Industrie- und Handelskammern Landesanstalt für Immissions- und Bodennutzungsschutz Landesfeuerwehrsdiule Management-Institut Hohenstein GmbH Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft Staatliche Ingenieurschulen Technische Akademie Technische Vereinigung der Großkraftwerksbetreiber Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Verein Deutscher Ingenieure Verein Deutscher Eisenhüttenleute Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie REFA-Bezirksverband Darmstadt
kennen, damit sie aus dem dort vorhandenen Angebot das für ihre Zwecke i n Frage Kommende aussuchen können. Sie müssen außerdem die Fähigkeit besitzen herauszufinden, wer sich i n dem Betrieb zu der Leitung eines Seminars eignet, denn es muß aus Kostengründen ihr Ziel sein, möglichst viel durch die innerbetriebliche Fortbildung erledigen zu lassen. Obwohl man sich bei Hoesch gerade darum sehr bemüht, zeigt jedoch die Tabelle 33, daß die Wirtschaft heute ohne die Dienstleistungen der fachlichen Bildungsinstitutionen nicht mehr auskommt. Unter den i n der Tabelle 33 genannten Institutionen kommt dem Verein Deutscher Eisenhüttenleute eine besondere Bedeutung zu, denn er ist der Fachverband der Eisen erzeugenden Betriebe. Einer seiner Ausschüsse hat sich zu einem Gesprächskreis der Spitzenkräfte dieses Industriebereichs über Führungsprobleme und die damit verbundenen Bildungsfragen entwickelt. Die für die Personal- und Bildungsfragen zuständigen Fachleute des Hoesch Konzerns sind an der Gestaltung der Arbeit dieses Ausschusses maßgebend beteiligt. Es ergibt sich daraus für sie die unmittelbare Gelegenheit, die sie beschäftigenden Fragen
I I . Material einiger Betriebe
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m i t Fachleuten der gleichen Ebene aus anderen Betrieben besprechen zu können und dadurch Anregungen zu gewinnen. Es w i r d dadurch aber auch bewirkt, daß die bei Hoesch entwickelten Konzeptionen i m Kreise der Schwerindustrie und darüber hinaus bekannt werden und eine Wirkung ausüben. Es hat sich bei diesen Diskussionen gezeigt, daß die betriebspädagogische Theoriebildung innerhalb der rheinisch-westfälischen Großindustrie von den Fachleuten des Hoesch Konzerns besonders weit entwickelt worden ist. Außerdem ist bei dieser Arbeit die ganze Breite der philosophischen und soziologischen Fragen sichtbar geworden, die i n die Überlegungen einbezogen werden müssen, und es ist dabei außerdem deutlich geworden, daß die an der Spitze der Betriebe stehenden Führungskräfte heute eine große gesellschaftspolitische Verantwortung tragen. Es ist aus allgemeiner Sicht sehr bedeutungsvoll, daß Praktiker der Industrie es für richtig und notwendig halten, sich m i t derartigen Grundfragen zu beschäftigen 70 . 6. Material der Dresdner Bank AG Wer die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit erkennen w i l l , der muß sich bemühen, möglichst verschiedenartige Bereiche der Wirtschaft i n den Kreis seiner Überlegungen einzubeziehen, u m der Gefahr der Einseitigkeit zu entgehen. Er darf sich vor allem nicht darauf beschränken, nur Industriebetriebe zu betrachten. Es besteht immer wieder die Versuchung, dies zu tun, w e i l die industriellen Lehrwerkstätten und Werkschulen sehr anschauliche und eindrucksvolle Beispiele für die pädagogische A k t i v i t ä t der Betriebe sind, so daß betriebspädagogische Probleme häufig gut durch Hinweise auf diese Bildungsarbeit i n der Industrie erläutert werden können. Es muß jedoch beachtet werden, daß die Industrie nur ein Teilgebiet der W i r t schaft ist und daß die anderen Bereiche für das Funktionieren des gesamten Wirtschaftsapparates ebenso wichtig sind wie sie. Daher werden i n den folgenden Abschnitten Beispiele aus einem ganz anderen Sektor, nämlich dem Bankwesen, behandelt werden. Durch Material der Dresdner Bank und der Deutschen Bank w i r d gezeigt werden, wie i n i h m heute die betriebspädagogische Problematik beschaffen ist. Die heutige Dresdner Bank mußte wieder aus den Teilen zusammengefügt werden, i n die die Siegermächte nach 1945 die alte Dresdner Bank aufgegliedert hatten. Sie war zunächst i n dreizehn selbständige Einzelbanken zerlegt worden, die später i n drei Banken i n Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg zusammengefaßt wurden. Danach ist schrittweise die Wiederherstellung der vollen Einheit als Dresdner Bank A G 70 Es wird auf das Material des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute und dabei besonders auf die Arbeiten von Dr. Helmut Enke, Direktor der Hoesch Hüttenwerke, verwiesen.
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
herbeigeführt worden. Die Hauptverwaltungen i n den drei genannten Orten haben innerhalb der Gesamtfirma noch einige Zeit eine gewisse Selbständigkeit behalten. Dieser Zustand ist heute jedoch überwunden; die Unterstellung der gesamten Bank unter den Vorstand i n Frankfurt ist abgeschlossen. Bei dem Aufbau der neuen Organisation hat es sich als zweckmäßig erwiesen, eine dreistufige Gliederung i n der folgenden Weise vorzunehmen: an der Spitze der Vorstand i n Frankfurt, i n der Mittelebene 14 Niederlassungen (einschließlich der Frankfurter) und auf der untersten Ebene 844 Geschäftsstellen 71 . Die Zahl der Betriebsmitglieder betrug Ende 1975 24 410, davon 24153 i m Inland und 257 i m Ausland; die Inlandszahl enthielt 1566 Auszubildende 72 . Die Dresdner Bank ist also ein Dienstleistungsbetrieb m i t einer Zentrale und einem zweistufigen System von Filialen. I m Rahmen dieser Untersuchung interessiert die Frage, wo betriebliche Bildungsarbeit geschieht. Dabei werden i n der Bank drei Arten der Berufsbildung unterschieden: 1. die Berufsausbildung der Auszubildenden, 2. die fachliche Fortbildung und 3. die FührungsFortbildung. Die erste A r t geschieht nur i n den Niederlassungen und i n den Geschäftsstellen und nicht auch i n der Zentrale, obwohl diese einen umfangreichen Geschäftsbetrieb hat. Die Führungs-Fortbildung w i r d nur von der Zentrale und nicht auch von den Niederlassungen und den Geschäftsstellen durchgeführt. Fachliche Fortbildung w i r d sowohl von der Zentrale als auch von den Niederlassungen betrieben. Es besteht dabei die Tendenz, i n einem zunehmendem Maße die inhaltliche und organisatorische Planung und Steuerung der Fortbildung als Sache der Zentrale anzusehen und die Niederlassungen nur an der Durchführung zu beteiligen. Ehe weitere Einzelfragen erörtert werden, muß die folgende allgemeine Feststellung vorausgeschickt werden. Wie soeben gezeigt wurde, hat die Leitung der Dresdner Bank i n den letzten Jahrzehnten vor schwierigen organisatorischen Fragen gestanden, deren Beantwortung nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien erfolgen mußte. Dabei sind auch die Probleme der Berufsbildung primär nach solchen Grundsätzen entschieden worden. Betriebspädagogische und betriebssoziologische Erwägungen sind zunächst kaum angestellt worden, denn es ist i n der Aufbauphase vor allem darauf angekommen, das System der innerbetrieblichen Berufsbildung so zu konzipieren, daß diese optimal in das Leistungsgefüge der Bank eingeordnet ist. Erst i m Verlauf des Ausbaus der Bildungsarbeit ist es möglich geworden, i n einem immer stärkeren Ausmaß pädagogische und soziologische Überlegungen anzustellen und dadurch das betriebspädagogische Fundament zu ver71 Geschäftsbericht 1975, S. 29. — Dazu kommen 6 Niederlassungen und 22 Repräsentanzen im Ausland. 72 Desgl. S. 40.
I I . Material einiger Betriebe
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stärken. Es ist aber heute noch an manchen Einzelheiten spürbar, daß die berufspädagogischen Denkprozesse zunächst nur als eine besondere A r t des betriebswirtschaftlichen Denkens begriffen worden sind und daß es einer längeren Entwicklung bedurft hat, u m ihren eigenständigen Charakter als wirtschaftspädagogische Anliegen zu erfassen. Man findet diesen Sachverhalt auch bei den Texten, die i n den folgenden Überlegungen ausgewertet werden. Er ist i m übrigen nicht auf die Dresdner Bank beschränkt. Es ist vielmehr eine ganz allgemeine Erscheinung, daß die innerbetriebliche Bildungsarbeit zunächst nur unter betriebswirtschaftlichen Aspekten begonnen worden ist, und es gibt viele Unternehmungen, die sich noch i n dieser Phase befinden. Die Dresdner Bank gehört zu denjenigen, die sie schon überwunden haben. Die Beschäftigung m i t ihrem Bildungswesen ist aber gerade i m Hinblick auf diese Zusammenhänge für die betriebspädagogische Forschung besonders aufschlußreich. Da bei einem Unternehmen, das neben der Zentrale eine große Zahl von Außenstellen besitzt, die Sicherung der einheitlichen V e r w i r k lichung der Bildungspolitik die Grundvoraussetzung für den Erfolg aller Maßnahmen bildet, hat der Vorstand einen verbindlichen „ L e i t faden für die Berufsbildung i n der Dresdner Bank A G " beschlossen. Bevor dessen Einzelbestimmungen betrachtet werden, sollen die i m Teil A, Vorwort, und i m Teil B, Aufgaben der Berufsbildung, gemachten allgemeinen Aussagen analysiert werden. I n dem Vorwort w i r d gesagt: „Durch die Berufsbildung soll die Befähigung der Mitarbeiter der Bank zur Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben entwickelt und ihre Leistungsbereitschaft gefördert werden. I n gleichem Maße soll die Berufsbildung die Mitarbeiter bei der größtmöglichen Entfaltung ihrer beruflichen Begabungen und Neigungen unterstützen und sie zu einer be wußten und aktiven Teilnahme am Arbeitsleben bewegen." Wenn man diesen Text kritisch durchliest, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß i n i h m ausschließlich von der Qualifizierung des einzelnen Angestellten zu dem optimalen Einsatz seiner Fähigkeiten für die Erfüllung seiner jeweiligen Aufgaben die Rede ist. Lediglich i n dem Schlußpassus, i n dem von der „bewußten und aktiven Teilnahme am Arbeitsleben" gesprochen wird, klingt der Gedanke an, daß der Betrieb nicht nur eine Summe von Einzelpersonen, sondern vielmehr auch eine Gruppe ist, deren Mitglieder durch die Gemeinsamkeit ihres Arbeitslebens verbunden sind. Bei der Formulierung der allgemeinen Prinzipien des Leitfadens ist offensichtlich fast nur betriebswirtschaftlich gedacht worden. Der Betriebswirt bejaht die Notwendigkeit der beruflichen Bildung, weil er einsieht, daß durch sie die Leistungen der Betriebsmitglieder gesteigert und damit i m Endergebnis die Aufwendungen gesenkt und die Erträge
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
erhöht werden. Diese Denkweise ist berechtigt, denn i n der heutigen, am Wettbewerb orientierten Wirtschaft besteht für jeden Betrieb ständig die Gefahr, daß er die von i h m erkämpfte Stellung auf dem Markt verliert, wenn es ihm nicht gelingt, sein Kostenniveau niedriger als dasjenige seiner Konkurrenten zu halten. Es muß von allen Betriebsmitgliedern verlangt werden, daß sie dazu fähig sind, kostenbewußt zu denken, und eine der Aufgaben der betrieblichen Bildungsarbeit besteht darin, diese Denkweise zu fördern. Diese Mentalität ist besonders dann notwendig, wenn sich ein Betrieb i n einer Aufbauphase befindet, die m i t großen Risiken belastet ist. Dies ist bei der Dresdner Bank aus mehreren Gründen bei ihrer Reorganisation nach dem letzten Krieg der Fall gewesen, und i n einer ähnlichen Lage haben sich i n den letzten Jahrzehnten zahlreiche Betriebe befunden. Außerdem hat die erfolgreiche Ausnutzung neuer Marktchancen oft i n einem hohen Maße davon abgehangen, daß schnell genug dafür Spezialisten ausgebildet werden konnten. Ein deutliches Beispiel ist i n dieser Hinsicht i m Bankenbereich der große Aufschwung des Anlagengeschäftes, der eine schnelle und trotzdem gründliche Ausbildung von zahlreichen Anlageberatern notwendig gemacht hat. Diese ökonomischen Tatbestände haben dazu geführt, daß der gesamte organisatorische Apparat unter Einschluß des Bildungswesens für die Lösung der akuten Probleme eingesetzt werden mußte und daß die Regelung von Angelegenheiten, die langfristige Maßnahmen erfordern, zurückgestellt werden mußte. Bei jedem Betrieb geht jedoch nach einer gewissen Zeit diese Aufbauphase i n eine andere Phase der langfristigen Konsolidierung des Erreichten über, und es treten dabei andere Gesichtspunkte als bisher i n den Vordergrund. Dieser Wandel kündigt sich i n dem Vorwort des Leitfadens dadurch an, daß „der Fortbestand unseres Institutes" als der eigentliche Sinn des betrieblichen Leistungsprozesses bezeichnet wird. Es w i r d damit von allen Mitarbeitern eine Denkhaltung gefordert, die den kurzfristigen Erfolg nicht als Selbstzweck, sondern als M i t t e l zu der langfristigen Sicherung der Beständigkeit der Firma Dresdner Bank ansieht. Sie zwingt zu der Überlegung, was unter dem Aspekt dieser Langfristigkeit zusätzlich zu dem bisher Geleisteten von dem Bildungswesen getan werden sollte. Die Beantwortung dieser Frage ergibt, daß der bisherige betriebswirtschaftliche Charakter der Zielbestimmungen durch die Hereinnahme pädagogischer und soziologischer Elemente ergänzt werden muß. Die Bildungspolitik der Dresdner Bank sollte nicht nur das Leistungsvermögen jedes einzelnen Betriebsmitgliedes fördern, sondern sollte auch dafür sorgen, daß die soziale Gruppe Dresdner Bank m i t ihren Teilgruppen auf absehbare Zeit ihr Leistungsvermögen behält. Das Ziel der optimalen und daher beständigen sozialen Infrastruktur
I I . Material einiger Betriebe
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dieses Betriebes kann nur dann erreicht werden, wenn dafür adäquate M i t t e l eingesetzt werden, und dabei hat die betriebliche Bildungspolitik einen sehr großen Teil der Arbeit zu leisten. Der Sinn des Ausdruckes „wissenschaftliche Betriebsführung" muß so erweitert werden, daß alle Wissenschaften von dem Betrieb und damit auch die Betriebspädagogik und die Betriebssoziologie i n den Gesichtskreis einbezogen werden. Wer dies unterläßt, verletzt das Grundprinzip der wissenschaftlichen Betriebsführung auch dann, wenn er manche ökonomischen und technologischen Teilerkenntnisse für seine Zwecke auswertet. Wenn der Einzelunternehmer oder die Führungsgruppe eines Unternehmens heute die Gesamtkonzeption ihrer Betriebspolitik entwerfen, dann müssen sie auch eine Aussage darüber machen, wie die betriebliche Infrastrukturpolitik beschaffen sein soll und welche Folgerungen sich daraus für die betriebliche Bildungspolitik ergeben. Die Anregung zu diesen Gedanken haben die Verfasser des Leitfadens für die Berufsbildung i n der Dresdner Bank dadurch gegeben, daß sie Aussagen über die Motive gemacht haben, durch die sie zu der Abfassung des Leitfadens veranlaßt worden sind. Sie haben dadurch selbst den Weg zu weiterführenden Reflexionen geöffnet und Offenheit für neue Fragenstellungen gezeigt. Die Aufgaben der Berufsbildung werden am Anfang des Teiles Β des Leitfadens folgendermaßen beschrieben: „ A l l e Maßnahmen der Berufsbildung wirken darauf hin, die beruflichen Leistungen unserer Mitarbeiter zu fördern. Diese Leistungen beruhen auf fachlich fundierten Kenntnissen und Fertigkeiten, auf berufsbezogenen Fähigkeiten und einem situationsgerechten Verhalten. Das Zusammenwirken dieser vier Leistungselemente soll zu einer konstruktiven Einstellung zu den übertragenen Aufgaben und zu einem kooperativen Arbeitsverhalten führen." Dieser Text läßt erkennen, daß die i n einem Betrieb geleistete berufliche Erwachsenenbildung weitergehende Aufgaben hat als die ohne Verbindung m i t dem Betriebsgeschehen stehende Arbeit einer Volkshochschule oder einer ähnlichen Institution, denn dort muß man sich auf die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten beschränken. Die Einübung von berufsbezogenen Fähigkeiten und des situationsgerechten Verhaltens ist nur möglich, wenn diese Bildungsarbeit innerhalb des Lebensraumes eines Betriebes erfolgt. Ebenso hat der Versuch einer Erziehung zu einer konstruktiven Einstellung zu der täglichen Arbeit und zur Kooperationsbereitschaft i m Umgang m i t den anderen Betriebsmitgliedern nur dann einen Sinn, wenn er vor dem Hintergrund der betrieblichen Wirklichkeit erfolgt, i n der die Beteiligten leben. Diese Lebensnähe ist unersetzlich und verschafft der betrieblichen Bildungsarbeit eine natürliche Überlegenheit gegenüber allen Bemühungen, berufliche Erwachsenenbildung ohne Anlehnung an
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
einen Betrieb durchzuführen. Es kann sein, daß diese A r t trotzdem notwendig ist, weil die betriebliche Berufsbildung noch nicht ausreichend ausgebaut ist. Die nicht von Betrieben getragene Erwachsenenbildung hat ferner einen großen Teil der Arbeit zu leisten, die der Vermittlung von fachlich fundierten Kenntnissen und Fertigkeiten dient; i n dieser Hinsicht stehen die betriebliche und die außerbetrebliche Berufsbildung gleichberechtigt nebeneinander. Außerdem haben die Volkshochschulen und ähnliche Einrichtungen noch andere Aufgaben, die nicht von den Bildungsabteilungen der Betriebe wahrgenommen werden können. Es w i r d daher durch diese Überlegungen deutlich, daß es eine sachlich begründete Funktionsverteilung zwischen der betrieblichen Berufsbildung und der außerhalb der Wirtschaft erfolgenden Erwachsenenbildung gibt. Wenn es notwendig ist, diese beiden Arten der Erwachsenenbildung gegeneinander abzugrenzen, dann können die beiden letzten der i n dem zitierten Text genannten vier „Leistungselemente" als Unterscheidungskriterien verwendet werden. Es ist ein wertvoller Beitrag zu der allgemeinen Diskussion über die Fragen der beruflichen Erwachsenenbildung, daß die Grundaussagen der Dresdner Bank zur Berufsbildung die Beantwortung der Frage erleichtern, was i m Gefüge eines Betriebes getan werden kann und muß. Nach der Betrachtung der i n der Dresdner Bank vorhandenen Grundauffassungen über die betriebliche Berufsbildung soll nun versucht werden, deren Organisation darzustellen. U m sie verstehen zu können, muß man sich daran erinnern, daß sich die Bank am Ende eines Konsolidierungsprozesses befindet, der zwar i m Ganzen bereits abgeschlossen ist, der aber gerade i m Bildungsbereich noch i m Fluß ist. U m die Konzeptionen des Vorstandes i n den Niederlassungen und Filialen durchsetzen zu können, ist auf der Vorstandsebene i m Rahmen des Ressorts Personal die „Zentrale Ausbildungsabteilung" geschaffen worden. Sie ist die entscheidende Stelle, die den Ausbau und die Vereinheitlichung des Bildungswesens i m gesamten Bereich der Bank planen, durchsetzen und kontrollieren soll. Neben i h r bestehen weiterhin die 14 Ausbildungsabteilungen der Niederlassungen 73 . Sie sind diejenigen Stellen, die die Berufsausbildungsverträge m i t den Auszubildenden abschließen und die außerdem die Verhandlungspartner m i t den örtlich zuständigen Industrie- und Handelskammern sind. Die Berufsausbildung w i r d teils i n den Niederlassungen selbst und teils i n den ihnen unterstehenden Filialen durchgeführt. Darüber gibt die folgende Tabelle 34 Auskunft 7 4 . I n dem Bericht, dem diese Tabelle entnommen ist, w i r d gesagt, daß sich voraussichtlich die seit einigen Jahren zu beobachtende Verschie73 Außerdem ist die Bank für Handel und Industrie A G in Berlin faktisch eine weitere Niederlassung mit einer Ausbüdungsabteilung. 74 Internes Material der Dresdner Bank.
I I . Material einiger Betriebe
19
Tabelle 34 Auszubildende in der Dresdner Bank im Herbst 1974 Niederlassung Bielefeld Bremen Dortmund Düsseldorf Essen Frankfurt Hamburg Hannover Köln Mannheim München Nürnberg Stuttgart Wiesbaden BHF, Berlin
ausbildende Auszubildende ! ausbildende 1 Auszubildende i Auszubildende Niederl. in Niederl. Filialen 1 in Filialen insgesamt 39 42 51 162 69 177 134 65 123 42 181 36 102 38
2 3 3 5 3 12 4 7 4 8 16 5 18 4
14 1
1.261 174
94
15
1.435
94
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
ί
-
!
34 35 65 143 60 180 34 44 61 74 20 59 154 45
73 77 116 305 129 357 168 109 184 116 201 95 256 83
1.008
2.269 174
-
1.008
2.443
bung der Ausbildung von den Filialen zu den Niederlassungen weiter fortsetzen wird, „da gesetzliche Regelungen und innerbetriebliche Rationalisierungsmaßnahmen eine vollständige Ausbildung i n den Filialen immer mehr erschweren". Dies ist eine Feststellung, die für alle Filialbetriebe gilt. Dabei ist wichtig, daß i n dem zitierten Satz zwei Gründe angegeben werden, nämlich der externe Grund der Verschärfung der öffentlich-rechtlichen Ausbildungsvorschriften und der interne Grund der Verringerung des Geschäftsumfanges der Filialen infolge der Verlagerung von Arbeitsgängen i n die Niederlassungen i m Zuge der Rationalisierung. Beide Gründe haben außerdem i n den letzten Jahren zu einer ständigen Abnahme der Zahl der Auszubildenden geführt. Dies ist aus der Tabelle 35 zu ersehen 75 . Es ist aus dem Material nicht ersichtlich, ob während der Berichtsjahre eine Verkürzung der durchschnittlichen Ausbildungszeit erfolgt ist, ζ. B. infolge der vermehrten Einstellung von Abiturienten. Sollte dies der Fall sein, dann wäre es ein besonderer Grund für die Verringerung der Lehrlingszahlen. Man würde sicher die Tabelle 35 falsch interpretieren, wenn man aus ihr eine Abnahme der Ausbildungsbereitschaft der Dresdner Bank 75 Internes Material der Bank.
10
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Tabelle 35 Die Zahlen der Mitarbeiter und der Auszubildenden in der Dresdner Bank von 1965 bis 1975 Jahr
Mitarbeiter
davon Auszubildende
in %
1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975
16.435 18.530 19.021 20.011 21.445 23.207 23.649 25.186 25.572 25.088 24.692
1.898 2.800 2.886 2.999 2.846 3.318 3.292 3.128 2.914 2.253 1.566
11,5 15,1 15,2 15,0 13,3 14,3 13,9 12,4 11,4 9,0 6,3
herauslesen würde. Gerade i n den Jahren seit 1970 hat der Vorstand die gesamte Bildungsarbeit i n der Bank wesentlich intensiviert und ζ. B. durch die Einrichtung und den Ausbau des Bildungszentrums i n Königstein Voraussetzungen für eine noch wirkungsvollere Arbeit geschaffen. Die Abnahme der Zahl der Auszubildenden hat vielmehr Gründe, die i n der Sache selbst gegeben sind. Aus den Unterlagen ergibt sich, daß i m Rahmen der Personalplanung vorläufig eine jährliche Einstellungsquote von 550 Auszubildenden für die gesamte Bank festgelegt worden ist; sie w i r d zu einer Zahl von 1 200 bis 1 400 Auszubildenden i m Jahr führen. Es muß abgewartet werden, ob damit der Nachwuchsbedarf der Bank gedeckt werden kann. Dies w i r d auch davon abhängen, i n welchem Umfange weiterhin Arbeitskräfte eingestellt werden, die nicht Auszubildende einer Bank gewesen sind. Dies ist eine Frage der allgemeinen Personalpolitik, die i n einem Zusammenhang m i t der A r t und der Intensität der weiteren Rationalisierung steht; eine Erörterung dieser Problematik ist i m Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich. Für die Durchführung der Berufsausbildung sind i m Anschluß an den „Leitfaden für die Berufsbildung i n der Dresdner Bank" die „Richtlinien für die Berufsausbildung" erlassen worden, die am 1. A p r i l 1975 i n K r a f t getreten sind. A n deren Beginn w i r d gesagt 76 : „1. Allgemeine Grundlagen
1.1. Gegenstand und Geltungsbereich
der Richtlinien
Gegenstand der Richtlinien ist die Förderung und Vereinheitlichung der Berufsausbildung innerhalb der Dresdner Bank A G und ihrer Tochterinstitute. Sie orientieren sich an den geltenden Ausbildungs7β Internes Material der Bank, Richtlinien Zi. 1,1.
I I . Material einiger Betriebe Ordnungen und Berufsbildern, z.B. Bankkaufmann, Bürokaufmann, Datenverarbeitungskaufmann.
1 Bürogehilfin,
1.2. Rechtsgrundlagen Die Richtlinien setzen voraus, daß die in der theoretischen und praktischen Ausbildung von Auszubildenden tätigen Mitarbeiter die für die Berufsausbildung geltenden Gesetze, Verordnungen und Vorschriften kennen und anwenden. Hier gelten i m Allgemeinen: — — — — — — — —
das das das die der die das das
Betriebsverfassungsgesetz Jugendarbeitsschutzgesetz Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit Arbeitszeitordnung Tarifvertrag für das private Bankgewerbe Betriebsvereinbarungen in der Dresdner Bank Arbeitsförderungsgesetz Berufsausbildungsförderungsgesetz
I m Besonderen gelten für die Berufsausbildung: — das Berufsbildungsgesetz — die Verordnung über die Berufsausbildung zum Bankkaufmann — die Berufsbilder der Berufe: Bürokaufmann, Bürogehilfin, Datenverarbeitungskaufmann — die Ausbilder-Eignungsverordnung — die Vorschriften der zuständigen Stellen (ζ. Z. IHK'n) — der Berufsausbildungsvertrag"
Die Aufzählung der einschlägigen Gesetze, Verordnungen und sonstigen Rechtsgrundlagen zeigt, wie kompliziert die Berufsausbildung geworden ist. Dabei fällt auf, daß die gesetzlichen Bestimmungen über die Berufsschulpflicht i n 1, 2 nicht genannt worden sind, denn diese gehören ebenfalls zu den Vorschriften, welche die Ausbilder kennen müssen. Das bestehende Berufsausbildungssystem kann nur funktionieren, wenn Betrieb und Berufsschule sachgerecht und m i t Verständnis für die Arbeit des anderen Partners zusammenwirken; dies setzt aber auf der betrieblichen Seite voraus, daß die m i t der Berufsausbildung beauftragten Mitarbeiter die für den Betrieb relevanten Teile des Berufsschulrechtes kennen. Es ist aus dem Material ersichtlich, daß noch nicht i n allen Niederlassungen und Filialen die Zusammenarbeit m i t der Berufsschule v o l l befriedigend funktioniert. Es kann und soll hier nicht beurteilt werden, wer daran schuld ist 7 7 . Die Verbesserung dieser Kooperation würde aber den Wirkungsgrad der Berufsausbildung wesent77 Aus einer Großstadt des Ruhrgebietes wird berichtet, daß die Zusammenarbeit mit der Berufsschule dadurch belastet ist, daß der Bankfachklassenlehrer DKP-Mitglied ist.
11 Abraham
1
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
lieh erhöhen. Es liegt daher i n dem eigenen Interesse der Bank, daß ihre m i t Ausbildungsaufgaben beauftragten Angestellten die an den einzelnen Ausbildungsplätzen geltenden Berufsschulbestimmungen kennen. Die Dezentralisation der Dresdner Bank kommt darin zum Ausdruck, daß nach den Richtlinien die ausbildenden Niederlassungen und Filialen die „Ausbildenden" i m Sinne des Berufsbildungsgesetzes sind. Deren Zahl beträgt nach Tab. 34 109 (einschließlich B H I i n Berlin). Dabei haben die Leiter der Ausbildungsabteilungen i n den 14 bzw. 15 Niederlassungen ein Weisungs- und Aufsichtsrecht gegenüber den zu ihren Bereichen gehörenden Filialen, so daß faktisch die Dezentralisation nicht so groß ist, wie es zunächst den Anschein hat. Es muß auch beachtet werden, daß es nur bei den Niederlassungen und nicht auch bei den ausbildenden Filialen regionale Ausbildungsabteilungen gibt. Das Gesamtbild sieht also folgendermaßen aus. Von den i m Geschäftsbericht für 1975 genannten 844 „Geschäftsstellen" sind nur 94 „ausbildende Filialen", die ihrerseits i n bezug auf die Ausbildung den 14 (bzw. 15) „Niederlassungen" unterstehen, die ebenfalls ausbilden. Diese haben „regionale Ausbildungsabteilungen", deren Arbeit von der „Zentralen Ausbildungsabteilung" i m Ressort Personal des Vorstandes i n Frankfurt geplant, gesteuert und kontrolliert wird. Dieses System ist logisch aufgebaut und bietet ausreichende Möglichkeiten für die weitere Verfeinerung und Entwicklung. Sein Funktionieren hängt davon ab, daß es der Zentralen Ausbildungsabteilung gelingt, die Aufsicht über die i n den Niederlassungen und Filialen tätigen Ausbilder so zu intensivieren, daß diese faktisch ausführende Organe der Zentralen Ausbildungsabteilung werden. Aus dem Material ergibt sich, daß dieses Ziel bereits i n einem hohen Maße erreicht worden ist. Über die Zahl der Ausbilder i n der Dresdner Bank (einschl. Bank für Handel und Industrie i n Berlin und Deutsch-Südamerikanische Bank i n Hamburg) am 31.12.1975 gibt die folgende Tabelle 36 Auskunft 78. Die Tabelle verursacht den Eindruck, daß eine Ungleichartigkeit zwischen den Niederlassungen besteht, die wohl m i t der besonderen Geschichte der Dresdner Bank i n den letzten Jahrzehnten zusammenhängt. Das Zahlenverhältnis zwischen den Auszubildenden und den nach AEVO qualifizierten Ausbildern ist bei den einzelnen Niederlassungen sehr verschieden. Einige von ihnen haben weniger Auszubildende als Ausbilder: Bielefeld (41 :45), Bremen (31 :39), Hamburg: (151 :257), Hannover (78 :133), Nürnberg (76 :80). Bei anderen Niederlassungen ist die Relation umgekehrt: Dortmund (84 :31), K ö l n (122 : 78 Internes Material der Bank.
I I . Material einiger Betriebe
1
Tabelle 36 Die Zahl der Ausbilder in der Dresdner Bank am 31.12.1975 Anzahl Anzahl der Ausbilder Ausbilder für die ein Niederlassung der Auszuz.Prüfung Befreiungsantrag mit mit bildenden Prüfung Befreiung vorgesehen gestellt wird/ist Bielefeld Bremen Dortmund Düsseldorf Essen Frankfurt Hamburg Hannover Köln Mannheim München Nürnberg Stuttgart Wiesbaden BHI, Berlin DSB, Hamburg gesamt
_
41 31 84 164 73 266 151 78 122 121 125 76 143 57 132 34
1 37 7 114 41 48 23 24 65 36 30 17 53 14 19 1
44 2 24 5 21 202 234 109 35 80 34 63 72 18 25 3
44 40 32 17 17 17 4 188 2 3 15
45 29
1.698
530
971
468
170
67 8 -
14 -
39 20 -
25 4 -
7 -
1 -
100), München (125 :64). Die beiden letzten Kolonnen der Tabelle besagen, wieviel Ausbilder am 31.12.1975 i m Zulassungsverfahren waren. Diese Zahlen sind nur verständlich, wenn man sie als eine Momentaufnahme einer i m Fluß befindlichen Entwicklung ansieht. Die Dresdner Bank ist offensichtlich bemüht, die Vorschriften des Berufsbildungsrechtes über das Zahlenverhältnis zwischen Ausbildern und Auszubildenden i n einer großzügigen Weise zu erfüllen, indem sie eine sehr große Zahl von Angestellten zu Ausbildern qualifizieren läßt. Das erleichtert die Aufstellung der Pläne für die Versetzung der Auszubildenden von Abteilung zu Abteilung, denn es sind überall Angestellte m i t der Ausbildereigenschaft nach AEVO vorhanden. Außerdem w i r d dadurch vermieden, daß die Nachwuchsausbildung zu einer ständigen Sonderaufgabe einzelner Angestellter wird. Ferner ist die Erhöhung der Zahl der Ausbilder wohl auch eine Maßnahme, die der Verbesserung der Ausbildungssituation i n manchen Filialen dient. Die regionalen Ausbildungsabteilungen und die Zentrale Ausbildungsabteilung besitzen dadurch, daß ihnen viele Ausbilder zur Verfügung stehen, einen hohen Grad der Freiheit bei der Entscheidung darüber, wie sie diese Kräfte für die Realisierung der Ausbildungspolitik der Bank einsetzen wollen. Wenn nach einigen Jahren eine der Tabelle 36 entsprechende Aufstellung gemacht werden wird, dann w i r d es sehr auf11*
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
schlußreich sein, deren Angaben m i t den Werten für das Jahresende 1975 zu vergleichen, denn man w i r d dann erkennen können, wie die Dresdner Bank ihre Personalpolitik hinsichtlich der Ausbilder-Ausbildung gestaltet hat. Es ist aus mehreren Gründen schwer möglich, genaue Angaben darüber zu machen, wie sich i n dem letzten Jahrzehnt einerseits die Bruttokosten und andererseits die Nettokosten der Berufsausbildung entwickelt haben. Die i n der Dresdner Bank errechneten Zahlen besitzen aber trotzdem einen hohen Aussagewert; sie sind i n der Tabelle 37 enthalten 7 9 . Tabelle 37 Die Entwicklung der Kosten pro Auszubildenden in der Dresdner Bank von 1965 bis 1975 1965
1970
1973
1975
direkte Kosten + indirekte Kosten
D M 2 900 D M 1500
D M 4 450 D M 2 550
D M 7 770 D M 7 793
D M 9 000 D M 8100
=
D M 4 400
D M 7 000
D M 15 563
D M 17 100
./. Erträge
D M 2 000
D M 3 500
D M 6 640
D M 6 700
=
D M 2 400
D M 3 500
D M 8 923
D M 10 400
Bruttokosten
Nettokosten
Hinweis: Die Kosten von 1965 und 1970 konnten nur geschätzt werden, da hierüber keine genauen Unterlagen vorliegen. Die Zahlen von 1973 basieren zu 80 °/o auf nachweisbaren Zahlen und Hochrechnungen und zu 20 °/o auf Schätzungen. Die Werte für 1975 wurden aus den 73er Zahlen abgeleitet und hochgerechnet.
Die Besonderheit der Tabelle 37 liegt darin, daß sie einen sehr starken Anstieg der indirekten Kosten zeigt, nämlich von 1 500 D M auf 8 100 DM. Diese Zunahme ist auf den intensiven Ausbau der Bildungsorganisation i n der Bank zurückzuführen. Die Steigerung der direkten Kosten beruht dagegen vor allem darauf, daß die monatlichen Vergütungen an Auszubildende von 1965 bis 1976 auf die dreifache Summe gestiegen sind. Dies zeigt die Tabelle 38 80 . U m die Zahlen der Tabelle 38 beurteilen zu können, müßte man zusätzlich wissen, i n welcher Weise sich i n dem Berichtszeitraum die Zusammensetzung der Auszubildenden i n bezug auf Alter und Vorbildung geändert hat. Wahrscheinlich sind sowohl das Durchschnittsalter als auch das Vorbildungsniveau gestiegen. Wenn dies der Fall gewesen ist, dann hat es zu einer Erhöhung der Beträge geführt. Es ist aber 79 80
Internes Material der Bank. Internes Material der Bank.
I I . Material einiger Betriebe
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Tabelle 38 Die Entwicklung der monatlichen Vergütungen an Auszubildende in der Dresdner Bank von 1965 bis 1976 (Durchschnittsbeträge) 1965 1966 1967 1968 1969 1970
DM DM DM DM DM DM
195 225 230 245 265 305
1971 1972 1973 1974 1975 1976
DM DM DM DM DM DM
355 415 455 520 555 590
anzunehmen, daß die Heraufsetzung der laut Tarifvertrag zu zahlenden Summen die Hauptursache der Zunahme gewesen ist. A u f jeden Fall zeigt die Tabelle 38, daß der Auszubildende ein Mitarbeiter ist, für den 1976 absolut und relativ wesentlich mehr an Personalkosten auf gewendet werden mußte als 1965. Diese Verteuerung ist ein Tatbestand, der nicht nur bei der Dresdner Bank festzustellen ist; er gehört vielmehr zu den allgemeinen Fakten, die die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit charakterisieren. Die Fragen der Lehrlingsausbildung sind i n den letzten Jahren deswegen zu dem Hauptinhalt der Diskussionen über die Probleme der Berufsbildung geworden, weil die Auseinandersetzungen über die Neugestaltung des Berufsbildungsgesetzes vor allem die Erstausbildung der Jugend betreffen. Dadurch hat dieser Teilbereich der Berufsbildung i n der öffentlichen Meinung eine zu große Bedeutung erhalten. Aus der Sicht der Personalpolitik der Betriebe ist die für die erwachsenen Mitarbeiter bestimmte Bildungsarbeit mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als die Berufsausbildung der Auszubildenden. Daher liegt das Schwergewicht der Tätigkeit der Zentralen Ausbildungsabteilung nicht i n dem Bereich der Jugendausbildung, sondern i n demjenigen der beruflichen Erwachsenenbildung. Auf Grund dieser Sachlage werden i n dem Leitfaden für die Berufsbildung der Dresdner Bank die Aufgaben der Zentralen Ausbildungsabteilung folgendermaßen beschrieben 81 . „1. Ermittlung des Bildungsbedarfs hinsichtlich der Interessenlage der Bank; dabei sind die Bedürfnisse und Anliegen der Mitarbeiter zu berücksichtigen. 2. Festlegung von Dringlichkeitsstufen zur Deckung des Bildungsbedarfs. 3. Formulierung von Lernzielen für die Bildungsaktivitäten. 4. Methodisch/didaktische und organisatorische Vorbereitung und Planung der Bildungsmaßnahmen. β1 Leitfaden, Teil B, Aufgaben der Berufsbüdung, Abs. 3.
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
5. Durchführung von Bildungsmaßnahmen. 6. Erfolgskontrolle der Bildungsmaßnahmen." Aus dem weiteren Text des Leitfadens ergibt sich, daß die betriebliche Erwachsenenbildung i n zwei Hauptgebiete, nämlich die fachliche Fortbildung und die Führungs-Fortbildung, gegliedert wird. Dabei w i r d unter Ziffer 1, e des Leitfadens gesagt, daß für die Veranstaltung von Führungsseminaren ausschließlich die Zentrale Ausbildungsabteilung zuständig ist, während die fachliche Fortbildung auch von den regionalen Ausbildungsabteilungen durchgeführt werden kann, allerdings nach den Anweisungen und unter Aufsicht der Zentrale. Aus dem internen Bildungsbericht für 1974 ergibt sich, daß i n diesem Jahr für die Zwecke der fachlichen Fortbildung insgesamt 577 Wochenseminare m i t 8 123 Teilnehmern und ferner 985 Kurzveranstaltungen m i t 5 283 Teilnehmern organisiert worden sind. Dazu kamen 24 Führungsseminare m i t 404 Teilnehmern. Außerdem wurden 736 Mitarbeiter und 213 Auszubildende zu externen Seminaren entsandt. Die Summe der internen Veranstaltungen betrug 1 586; an ihnen nahmen 13 810 Personen teil. Diese Zahlen veranschaulichen nicht nur den großen Umfang der i n der Dresdner Bank geleisteten Bildungsarbeit, sondern geben auch eine Vorstellung von den zahlreichen Sachfragen, die dabei zu lösen waren. Es ist eine schwierige Aufgabe, einen derartig großen Bildungsapparat so zu verwalten, daß seine Arbeit sowohl für die Bank als auch für deren Mitarbeiter einen Nutzen hat und daß die Kosten i n einem angemessenen Verhältnis zu diesem Nutzen stehen. Die Probleme, die bei dieser Arbeit gelöst werden müssen, können i n die beiden Gruppen der Sachprobleme und der methodischen Probleme gegliedert werden. Es ist dem Verfasser bei der Durchsicht des internen Materials der Bank aufgefallen, daß ständig gemeinsame Besprechungen zwischen den Vertretern der Zentralen Ausbildungsabteilung und den Fachleuten für bestimmte Sachgebiete stattgefunden haben und daß i n diesen Sitzungen sehr oft von neuen Strategien der Geschäftspolitik die Rede gewesen ist. So ist z. B. für die Verkaufspolitik der Bank eine neue Konzeption entwickelt worden, und diese Neuorganisation des Kundengeschäftes ist durch eine entsprechende Verkaufsausbildung i n Seminaren unterstützt worden. I n ähnlicher Weise hat sich aus der Intensivierung des Wertpapiergeschäftes die Notwendigkeit der Verbesserung der juristischen Ausbildung der A n lageberater ergeben, und es ist dadurch ein Bildungsbedarf entstanden, der durch Seminare befriedigt werden muß, die genau darauf abgestellt sind. Die i n der Zentralen Ausbildungsabteilung tätigen Kräfte müssen ein so enges Verhältnis zu der gesamten Bank haben, daß sie schnell und sachgerecht erfahren, welche Wandlungsprozesse i m Gange sind. Sie müssen außerdem das Geschick besitzen, Sachverständige aufzu-
I I . Material einiger Betriebe
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spüren, die dazu fähig sind, das Neue richtig zu beschreiben und über die Wege zur Erreichung der neuen Ziele zu diskutieren. Diese Feststellungen gelten i n einem besonders hohen Maße auch für die Führungs-Fortbildung. Die Mitarbeiter, die durch Führungsseminare angesprochen werden sollen, stehen bereits i n einem höheren Lebensalter und besitzen daher umfangreiche Berufserfahrungen. Es ist deshalb nicht leicht, für sie ein Seminar zu veranstalten, das sie so sehr interessiert, daß sie die Teilnahme als einen persönlichen Gewinn ansehen. Sie sind außerdem manchmal von der Richtigkeit ihrer bisherigen Meinung so sehr überzeugt, daß sie sich nur schwer zu dem Zugeständnis bereitfinden, daß eine neue Strategie der Bank sachlich besser sein könnte. Je höher diese Mitarbeiter i n der Hierarchie des Betriebes stehen, u m so empfindlicher reagieren sie manchmal auf den Versuch, die Betriebspolitik i n dieser oder jener Hinsicht zugunsten einer neuen Konzeption zu ändern. Die Probleme der Führungs-Fortbildung sind daher oft komplizierter als diejenigen der fachlichen Fortbildung. Der Mannigfaltigkeit und Schwierigkeit dieser Bildungsarbeit muß deren Methodik entsprechen. Es können dabei die Erfahrungen verwendet werden, die i n der allgemeinen Erwachsenenbildung und i n dem Fernunterricht gemacht worden sind; i h r Wert ist jedoch begrenzt. Dies liegt vor allem daran, daß die betriebliche Berufsbildung unter einem Leitprinzip steht, das für die anderen Arten der Berufsbildung nicht gilt. Das ist die Verpflichtung der Ausbildungsabteilung, Methoden zu entwickeln, die allen Angehörigen der Bank ohne Rücksicht auf ihren Beschäftigungsort die Möglichkeit verschaffen, von den B i l dungsangeboten der Bank Gebrauch zu machen. Die Sicherstellung der innerbetrieblichen Chancengleichheit ist ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung über die anzuwendenden Methoden. I n der Praxis handelt es sich darum, Verfahren zu entwickeln, durch die der B i l dungsstoff den Angestellten von Filialen i n kleineren Orten ebenso nahe gebracht w i r d wie den i n Großstädten lebenden Mitarbeitern. Diese sind dadurch begünstigt, daß es sich lohnt, an größeren Plätzen Vortragsreihen und Kurse durchzuführen. Es ist notwendig, diese Ungleichheiten der Bildungsmöglichkeiten so weit wie möglich abzugleichen. Dies ist der Hauptgrund dafür, daß i n der Dresdner Bank dem Ausbau der programmierten Unterweisung viel K r a f t gewidmet wird. Dem gleichen Zweck dient die Erstellung von Veranstaltungsmanuskripten durch die Zentrale Ausbildungsabteilung. Die Spitzenkräfte der Bank haben nicht die Zeit dazu, öfters und damit auch an kleineren Orten Vorträge zu halten. Man muß daher so vorgehen, daß man deren Manuskripte als Grundlage für Ausarbeitungen verwendet, die verschickt werden können. Dies ist besonders dann wichtig, wenn es notwendig ist, neue Zielsetzungen der Geschäftspolitik möglichst schnell
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
bekannt zu machen und dabei auch alle Niederlassungen und Geschäftsstellen zu erreichen. Diese Darlegungen zeigen, daß es i m Grunde zwei gegenläufige, aber einander entsprechende Motivationen sind, die die Arbeit der betrieblichen Bildungsfachleute bestimmen: auf der einen Seite der Wunsch, für alle Betriebsmitglieder das Prinzip der Bildungsgerechtigkeit zu verwirklichen, und auf der anderen Seite der Wunsch, eine Bildungspolitik zu treiben, die die Realisierung der allgemeinen Geschäftspolitik des Betriebes unterstützt. Ein großer Wert w i r d von der Zentralen Ausbildungsabteilung darauf gelegt, daß überall, wo irgendeine Bildungsarbeit geleistet wird, die Hilfsmittel der modernen Bildungstechnologie möglichst intensiv verwendet werden. Bei der Durchsicht des Materials hat der Verfasser festgestellt, daß sich die Zentrale sehr darum bemüht, die regionalen Ausbildungsabteilungen der Niederlassungen m i t modernen Lehrmitteln und Geräten auszurüsten. Es w i r d eine systematische Rationalisierung der Bildungsverfahren betrieben, und es werden dafür erhebliche Beträge ausgegeben. Man geht dabei von dem Gedanken aus, daß es widersinnig wäre, i m Bildungsbereich der Bank nur m i t Hilfsmitteln wie Tafel und Kreide zu arbeiten, die schon seit Jahrhunderten verwendet werden, während i n den anderen Abteilungen m i t gutem Grund dieser Zustand überwunden ist und daher ζ. B. Fernschreiber und elektronische Geräte eingesetzt werden. Außerdem lehrt die Erfahrung, daß die i n einem Großbetrieb wie die Dresdner Bank zu leistende Bildungsarbeit ohne den Einsatz moderner technischer Geräte nicht so schnell und zuverlässig erledigt werden kann, wie es notwendig ist. Die Entwicklung führt unter anderem dahin, daß alle für die Personalabteilung wichtigen persönlichen Daten der Mitarbeiter i n einem Computer so gespeichert werden, daß sie jederzeit abgerufen werden können. Z u diesen Daten gehören auch alle Fakten, die Aussagen über den Bildungszustand und die Bildungsbemühungen jedes Mitarbeiters machen. Dieses System macht es notwendig, daß bereits das Grundmaterial der Ausbildungsabteilungen so angelegt wird, daß durch diese Organisation die Speicherung i n einem Computer ermöglicht wird. Die Probleme der Bildungstechnologie sind also sehr vielschichtig und umfangreich. Bei ihrer Betrachtung erkennt man, daß die betriebliche Bildungsarbeit hierbei weitgehend vor Fragen steht, die i n Schulen, Volkshochschulen und ähnlichen Institutionen nicht vorhanden sind, und daß sie daher gezwungen ist, nach betriebsgemäßen Lösungen zu suchen. Besonders wichtige Einblicke i n die heutige Problematik der betrieblichen Berufsbildung eröffnen die Angaben über die Bildungsstätte der Dresdner Bank i n Königstein i m Taunus. Diese Einrichtung wurde 1971 i n Betrieb genommen und seit 1974 i n großzügiger Weise erweitert. Sie
I I . Material einiger Betriebe
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ist rund 20 k m von der Frankfurter Zentrale entfernt und liegt i n einem der schönsten Gebiete des Taunus. Nach Beendigung des Ausbaues können rund 100 Teilnehmer dort gleichzeitig i n mehreren Gebäudeteilen wohnen. Es sind die Bedingungen dafür geschaffen worden, daß die Arbeit in mehreren Gruppen oder auch i n Gesamtveranstaltungen geschehen kann. Die technologische Ausstattung ist so erfolgt, daß alle heute verfügbaren Hilfsmittel für eine möglichst effiziente Durchführung der Bildungsveranstaltungen zur Verfügung stehen. Durch die Arbeit i n dem seit 1971 benutzten Komplex m i t 33 Teilnehmerplätzen sind Erfahrungen gesammelt worden, die sowohl für die Entscheidungen über die Baufragen als auch für die Entwicklung der prinzipiellen B i l dungskonzeption sehr wesentlich gewesen sind. Es liegt die Frage nahe, warum die Bank i n dieses Vorhaben große Summen investiert hat. Es gibt darauf zwei Antworten. Die erste besteht i n dem Hinweis darauf, daß die Schaffung der Ausbildungsstätte auf praktischen Notwendigkeiten beruht. Es hatte sich herausgestellt, daß i n einem steigenden Maße Seminare für Spezialgruppen von Angestellten und für die oberen Führungskräfte erforderlich wurden und daß deren Veranstaltung i n Hotels auf die Dauer unzweckmäßig und zu teuer war. Die Errichtung der Bildungsstätte Königstein hatte den Zweck, einen vorhandenen und ständig wachsenden Bildungsbedarf besonderer A r t zu befriedigen. Sowohl von dem Standpunkt der optimalen Organisation der Bildungsarbeit i n der Bank als auch von dem Kostenstandpunkt aus hatte es sich als zweckmäßig erwiesen, die Bildungsstätte zu schaffen, und aus den gleichen Gründen wurde deren Ausbau beschlossen. Es muß jedoch noch eine zweite A n t w o r t hinzugefügt werden, die die tieferen Zusammenhänge betrifft. I n einem Großunternehmen w i e die Dresdner Bank hat die an seiner Spitze stehende Führungsgruppe A u f gaben, die über den üblichen Rahmen einer Geschäftsleitung hinausgehen. Dieser Personenkreis hat Entscheidungen zu treffen, die für die Volkswirtschaft der Bundesrepublik eine erhebliche Bedeutung haben und die deren internationale Wirtschaftsbeziehungen beeinflussen. Die Dresdner Bank n i m m t unmittelbar an dem nationalen und internationalen Wettbewerb der ökonomischen Kräfte teil und muß ständig ihre Positionen kritisch überprüfen, damit ihre Betriebspolitik i n jeder Hinsicht zeitgemäß bleibt. Diese Klärung erfolgt vor allem durch Gespräche i n dem kleinen Kreis der obersten Führungsschicht unter Hinzuziehung außenstehender Fachleute. Es geht dabei darum, den Kontakt m i t dem i n Gang befindlichen Kulturprozeß zu behalten und sich daher eine Vorstellung von den allgemeinen geistigen Vorgängen und den damit zusammenhängenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandlungen zu verschaffen. Es wäre weltfremd, wenn man verlangen
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
würde, daß sich die führenden Leute eines modernen Großbetriebes intensiv m i t allen geistigen Strömungen der Zeit beschäftigen sollten. Es ist aber eine offene Frage, i n welchem Umfange sie informiert sein müssen, denn wenn sie kein Wissen dieser A r t haben, dann kann es dazu kommen, daß ihr Betrieb den Kontakt zu der Umwelt verliert und i n eine gefährliche Außenseiterstellung gedrängt wird. Es besteht daher ein nur schwer lösbarer Konflikt. Wer heute an der Spitze eines bedeutenden Unternehmens steht, der hat so viel zu tun, daß i h m kaum noch Zeit für sein Privatleben bleibt. Wenn man von ihm verlangt, daß er sich trotzdem an Gesprächen über allgemeine Fragen beteiligen soll, dann muß man dafür einen Rahmen schaffen, der sowohl für ein Höchstmaß der Effizienz der Veranstaltungen als auch für eine Atmosphäre sorgt, die diese geistige Arbeit zu einer Entspannung und Loslösung von den täglichen Pflichten werden läßt. Für diesen Zweck braucht die Dresdner Bank ein eigenes Haus m i t optimalen Bedingungen für solche Tagungen, denn i n einem noch so gut geführten Hotel ist nicht diejenige Atmosphäre vorhanden, die die Grundvoraussetzung für das Gelingen solcher Zusammenkünfte ist. Diesen Ort der Begegnung hat sich die Bank m i t dem Bildungsheim i n Königstein geschaffen. Da der Ausbau dieser Einrichtung erst i m Laufe des Jahres 1977 abgeschlossen worden ist, kann noch nichts Konkretes über die Realisierung der geplanten Konzeption gesagt werden. Die bisher i n dem kleineren Rahmen geleistete Arbeit läßt zwar bereits die angestrebte Zielrichtung erkennen; die volle Verwirklichung der Absichten ist aber erst möglich geworden, seitdem die Bildungsstätte vollständig ausgebaut worden ist. Es ist auf jeden Fall ein wichtiger Tatbestand, daß die Führung der Dresdner Bank die Errichtung einer solchen Institution für notwendig gehalten hat. Sie soll eine Akademie i n dem klassischen und zugleich modernen Sinne dieses Wortes sein, denn es sollen dort Gespräche über die Fragen stattfinden, die den m i t der Wirtschaft verbundenen Menschen bedrängen, weil ihre Beantwortung für seine Entscheidungen wesentlich ist. Die Dresdner Bank ist nicht der einzige Großbetrieb, der eine solche Einrichtung als die oberste Stufe der innerbetrieblichen Bildungsorganisation geschaffen hat. I n dem nächsten Kapitel w i r d von der entsprechenden Bildungsstätte der Deutschen Bank die Rede sein, und es könnten noch weitere Beispiele genannt werden; i n dem „Bildungszent r u m Führungskreis" des Siemens-Konzerns und i n dem Ausbildungszentrum Schloß Wolfsberg der Schweizerischen Bankgesellschaft ist die Idee einer Führungsakademie der Wirtschaft i n einer besonders großzügigen Weise verwirklicht worden. Die heutige betriebspädagogische Wirklichkeit w i r d dadurch charakterisiert, daß die Betriebe einerseits gleiche Möglichkeiten der Berufsbildung für jedermann schaffen und
I I . Material einiger Betriebe
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daß sie andererseits zugleich die Aufstiegsbildung für die Führungseliten fördern. Die Lehrlingsausbildung als die breite Grundlage des modernen Berufsbildungssystems, ein nach mehreren Prinzipien geordnetes System der Weiterbildung für alle m i t der Funktion der Auslese der zum Aufstieg Befähigten und eine Elitebildung zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der Spitzenkräfte, dies sind die drei Bereiche der modernen betrieblichen Berufsbildung. Diese breite Spannweite hat auch das berufliche Bildungswesen der Dresdner Bank. 7. Material der Deutschen Bank Die Deutsche Bank ist wie die Dresdner Bank eine private Großbank m i t einer umfangreichen Zentrale in Frankfurt a. M. und einem intensiv ausgebauten Filialnetz. Die betriebspädagogischen Probleme sind bei ihr ähnlich beschaffen wie bei der Dresdner Bank; wie diese besitzt sie eine zentrale Ausbildungsabteilung und seit 1972 ein Ausbildungszent r u m i n Kronberg i m Taunus. U m Wiederholungen zu vermeiden, werden i n den folgenden Ausführungen nur solche Fakten behandelt werden, die neue betriebspädagogische Ausblicke eröffnen; Sachverhalte, die i m Prinzip bereits bei der Dresdner Bank besprochen worden sind, werden nicht noch einmal erörtert. Die funktionale Gliederung der Belegschaft der Deutschen Bank am 1.1.1975 ist aus der Tabelle 39 ersichtlich 82 . Tabelle 39 Funktionale Gliederung des Gesamtpersonals der Deutschen Bank am 1.1.1975 Funktionsstufe
Filialen
Zentrale
Gesamtbank
Höhere Führungskräfte Mittlere Führungskräfte Leitende Fachkräfte Fachkräfte Qualifizierte Sacharbeiter Sachbearbeiter
147 429 949 2.469 3.836 10.387
91 112 252 485 507 1.075
238 541 1.201 2.954 4.343 11.462
Bankkaufmännisches Personal
18.217
2.522
20.739
Sekretariatskräfte Sonstige kaufmännische Kräfte Gewerbliche/technische Kräfte
1.460 5.413 1.159
420 864 407
1.880 6.277 1.566
Nicht bankkfm. Personal
8.032
1.691
9.723
26.249
4.213
30.462
Gesamtpersonal 82
Internes Material der Deutschen Bank.
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Wenn man den Teil „bankkaufmännisches Personal" von unten nach oben liest, dann erhält man eine Vorstellung von den Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Bank und von der Wahrscheinlichkeit, einen höheren Posten zu erhalten. Ferner ist interessant, daß die Arbeitskräfte die nicht zu dem bankkaufmännischen Personal gehören, fast ein Drittel des Gesamtbestandes ausmachen. Es gibt auch i n diesem Bereich Probleme der Aus- und Weiterbildung; sie werden jedoch i n den folgenden Ausführungen nicht besprochen. Der funktionalen Gliederung des bankkaufmännischen Personals muß die Organisation des betrieblichen Bildungswesens entsprechen; aus den Funktionsstufen ergeben sich die Ausbildungsstufen. Dies zeigt die Tabelle 40 82 . Es ist interessant, daß bei den Berufsanfängern drei Arten unterschieden werden. Dabei erhalten die Auszubildenden eine „Berufsausbildung" gemäß Berufsbildungsgesetz, während die Hochschulabsolventen und die Berufsfremden „eingearbeitet" werden. Dies geschieht bei den Akademikern auf der Basis von „Traineeprogrammen", während es bei den anderen je nach Vorbildung geregelt wird. Diese Unterscheidung von drei Gruppen von Berufsanfängern und demgemäß von drei Arten der Erstausbildung ist aus allgemeiner betriebspädagogischer Sicht ein schwieriges Problem. Es muß untersucht werden, ob es richtig ist, daß den Auszubildenden zwei weitere Gruppen von Berufsanfängern gegenüber gestellt werden, und es ist zu prüfen, ob dies dem Sinn des Berufsbildungsgesetzes entspricht. Es ist wahrscheinlich die Intention dieses Gesetzes gewesen, für alle Arten der Erstausbildung eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Daß dies faktisch nicht geschehen ist und daß das Gesetz schließlich nur die Lehrlingsausbildung geregelt hat, steht dazu nicht i m Widerspruch. Es hat aber dazu geführt, daß neben den Ausbildungsordnungen, die auf dem Gesetz beruhen, von den Firmen Traineeprogramme entwickelt werden müssen, die keine öffentlichrechtliche Grundlage haben. Da der Staat gegenwärtig den Versuch unternimmt, aus dem Berufsbildungsrecht ein Instrument seiner Machtpolitik zu machen, muß man es heute begrüßen, daß die Betriebe bei den Traineeprogrammen und bei der Einarbeitung der sonstigen Berufsanfänger nicht an gesetzliche Vorschriften gebunden sind. Auf weite Sicht w i r d es aber notwendig sein, eines Tages kritisch zu überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, alle Gruppen von Berufsanfängern i n den Geltungsbereich des Berufsbildungsrechtes einzubeziehen. Es ist dabei von vornherein klar, daß dies nicht so geschehen kann, daß die für die Auszubildenden geltenden Bestimmungen einfach auf alle ausgedehnt werden, die eine Erstausbildung erhalten; dies wäre eine sachfremde Primitivierung der Problematik. Es ist nicht die Aufgabe dieser Untersuchung, diesen Fragenkreis eingehender zu behandeln. Es bleibt
I I . Material einiger Betriebe
173
Tabelle 40
Funktionsstufen
Höhere Führungskräfte
Mittlere Führungskräfte
Positionen
Funktionale Anforderungen
- Beispiele -
- Lernziele -
Direktoren der Hauptfilialen und Zentralen Direktoren großer nachgeordneter Filialen
Direktoren nachgeordneter Filialen Mitleiter nachgeordneter Filialen Leiter großer Fachabt.
Führen Ziele setzen, entscheiden, motivieren, überwachen (Führen im fachlichen und personellen Bereich) Konfliktmanagement Repräsentation
Ausbildungs- 1 abschnitte I
Funktionsstufen und Ausbildungsstufen in der Deutschen Bank Ausbildungsstufen
? 3
Managementausbildung I I
1 i
Leiten Entscheiden in begr. Rahmen Fachl. leiten Mitarbeiter führen Akquirieren Überwachen des eigenen Bereiches Probleme lösen
Fachkräfte
Kundenberater (alle Fachgebiete) Leiter kleiner Zweigstellen Organisatoren, Revisoren, Oberbuchhalter, Personalfachmann, Kontrolleure
Qualifizierte Sachbearbeiter
Auslandssachbearbeiter Juniorberater (Zweigstelle) Junioreffektenberater Revisionsassistent
Selbständiges Bearbeiten schwieriger Geschäftsvorfälle Entscheidungen vorbereiten Beraten Kontrollieren (inhaltl.)
Bearbeiten normaler Geschäftsvorfälle im gesamten Fachbereich Verkaufen komplexer Programm. Dienstleistungen Kontrollieren (rechnerisch)
Managementausbildung I
Weiterbildung
Leitende Fachkräfte
Leiter kleiner Filialen und Zweigstellenleiter Leiter von Fachabteilungen Gruppenleiter in großen Fachabteilungen
Fachliches Förderungsprogramm
Fachausbildung
Berufsanfanger
Auszubildende Hochschulabsolventen Berufsfremde
Bearbeiten normaler Geschäftsvorfälle auf Teilgebieten des Fachbereichs Verkaufen einfacher Programm. Dienstleistungen Kunden bedienen
Lernen Einarbeiten
Grundausbildung
Sachbearbeiter
Sachbearbeiter im in- und ausi. Zahlungsverkehr Sparkontensachbearbeiter Sachbearbeiter Effektenverwaltung
Berufsausbildung Traineeprogramme Einführung Berufsfremder
174
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
jedoch wichtig, daß das Dokument der Deutschen Bank ersichtlich macht, daß das jetzt gültige Berufsbildungsrecht den Komplex Berufsanfänger nicht umfassend regelt. I n der Tabelle 40 gibt die Kolonne 3, funktionale Anforderungen, Aufschluß über die pädagogische Mentalität, von der die Bildungsarbeit i n der Deutschen Bank bestimmt wird. M i t den Worten Lernen, Bearbeiten, Probleme lösen, Leiten und Führen w i r d die A r t der A k t i vität charakterisiert, die von den Betriebsmitgliedern auf den einzelnen Stufen erwartet wird. Zugleich w i r d damit die geistige Entwicklung beschrieben, die jemand bewältigen muß, der sich das Ziel setzt, von der Stufe des Berufsanfängers aus bis i n diejenige der Führungskräfte aufzusteigen. Außerdem werden damit der Grundausbildung Ziele gesetzt. I m Sinne der vorgreifenden Erziehung muß sie den Berufsanfängern eine Vorstellung von den geistigen Leistungen verschaffen, die von ihnen i n ihrem späteren Berufsleben erwartet werden. Sie erschließt ihnen damit zugleich ein realistisches B i l d der Konsequenzen, die sich aus ihrer Entscheidung für den Beruf des Bankkaufmanns ergeben. Sie lernen, i n i h r B i l d von dem Leben die Perspektiven ihrer beruflichen Zukunft einzufügen. Dies hat eine große erzieherische Bedeutung, denn es w i r d damit der Wille auf lebenswichtige Ziele gelenkt. Diese Betonung der Bedeutung des persönlichen Aktiv-Seins zeigt eine Mentalität, die sich erheblich von derjenigen unterscheidet, die aus dem Worte Auszubildender spricht. Dieser Ausdruck läßt den Lehrling als einen Menschen erscheinen, m i t dem etwas geschieht und der sich m i t dieser passiven Rolle abfinden muß. Der junge Mensch w i r d lediglich als das Objekt von Bemühungen des Betriebes, der Berufsschule, der Industrie- und Handelskammer und anderer Stellen gesehen, die gemeinsam bestrebt sind, etwas Gutes für ihn zu tun. Es kommt aber i n dem Worte Auszubildender gar nicht zum Ausdruck, daß der Erfolg aller Anstrengungen dieser A r t davon abhängt, daß der junge Mensch selbst das Notwendige tut, daß er sich selbst bildet. Das Wort Lehrling hatte diesen Beiklang der Passivität nicht und war deswegen wesentlich besser und pädagogisch richtiger als das Wort Auszubildender. Das Papier der Deutschen Bank stellt i n dem untersten Feld dem Begriff Auszubildender den Begriff Lernen gegenüber und w i l l damit sagen, daß der Jugendliche nicht auf das AusgebildetWerden warten darf, sondern seinen Berufsweg aktiv durch die Handlung des Lernens gestalten soll. Den Ausbildungsstufen entspricht die Stufung der inhalte. Darüber gibt die Tabelle 41 Auskunft 8 3 .
es Internes Material der Deutschen Bank.
Ausbildungs-
II. Material einiger Betriebe
175
Tabelle 41 Die Verteilung der Ausbildungsinhalte auf die Ausbildungsstufen in der Deutschen Bank Ausbildungsstufen
Ausbildungsinhalte - Beispiele Innerer Kontaktbereich Führungsstil Personalpolitik Heranbildung von Führungskräften Personalauslese Kommunikation
Fachbereich
Äußerer Kontaktbereich
Geschäftspolitik - Information, Erfahrungsaustausch Neue betriebswirtschaftliche Erkenntnisse Information, Organisation, Planung
Unternehmenskontakte Repräsentation Kommunikation Marketing Wirtschaft und Gesellschaft
Personalführung Personalpol. Fragen Personalplanung Ausbildung und Förderung Arbeitsrecht Betriebsverf. Recht
Fragen der Geschäftspolitik Erfahrungsaustausch Problemanalyse Entscheidungstechnik Information
Rhetorik Konferenztechnik Repräsentation Marketing Wirtschaft und Gesellschaft
Managementausbildung I
Mitarbeiterführung Führungstechniken Personalbeurteilung Grundzüge der Betriebspädagogik
Spezialfragen aus dem Fachgebiet Zusammenhänge mit übrigem Bankgeschäft Erfahrungsaustausch Organisation
Rhetorik Kundengespräche Akquisition Wirtschaft und Gesellschaft
Fachliches Förderungsprogramm
Arbeitsunterweisung Personalbeurteilung Grundzüge der Betriebspädagogik
Vertiefung und Abrundung des Fachwissens TVaining des Problemlösens
Verkaufspsychologie Gesprächstechnik Grundzüge der Akquisition
Managementausbildung Π
Vermittlung des Fachwissens: gesamter Fachbereich Fachausbildung
Allgemeine Verkaufspsychologie und -technik
Zusammenarbeit im Betrieb Vermittlung des Fachwissens: Teilgebiet im Fachbereich
Berufsausbildung IVaineeprogramme Einführung Berufsfremder
Achtung der betrieblichen Ordnung und Bereitschaft zur Zusammenarbeit
Vermittlung von Grundkenntnissen und -fertigkeiten
Kundengerechtes Verhalten
176
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Die Unterscheidung zwischen dem inneren und dem äußeren Kontaktbereich und dem diese beiden verbindenden Fachbereich ist ein wichtiges Prinzip der Gliederung der zu einer Stufe gehörenden Ausbildungsinhalte. Der gesamte Stoff w i r d dadurch zweifach gegliedert: senkrecht nach den Ausbildungsstufen und waagerecht nach den Ausbildungsbereichen. Dies ist ein logisches und praktikables Aufbauschema. Das Neuartige dieses Systems liegt i n der Unterscheidung zwischen dem inneren und dem äußeren Kontaktbereich und dabei ganz besonders i n der Präzisierung dessen, was zu dem inneren Kontaktbereich gehört. Dem Verfasser ist kein anderer Gesamtbildungsplan dieser A r t bekannt, i n dem so systematisch der Kontakt zwischen den Betriebsmitgliedern als eine Aufgabe der betrieblichen Bildungsarbeit herausgearbeitet worden ist. Es ist dabei interessant, daß bereits für die Ausbildung der Fachkräfte eine Einführung i n die Betriebspädagogik vorgesehen ist und daß eine tiefer gehende Beschäftigung m i t der Betriebspädagogik i m Rahmen der Management-Ausbildung I erfolgen soll. Dies zeigt, daß die m i t Führungsaufgaben betrauten Angestellten zu einer Reflexion über die auf ihnen liegende Verantwortung für die Sicherung der inneren Ordnung des Betriebes durch Bildungsmaßnahmen veranlaßt werden sollen. Das i n den Tabellen 40 und 41 dargestellte Gliederungssystem ist der Rahmen der Bildungsorganisation i n der Deutschen Bank. Er w i r d ausgefüllt durch das „Ausbildungshandbuch", das von der zentralen Ausbildungsabteilung erarbeitet worden ist. Seit November 1976 liegt derjenige Teil vor, der das gesamte Angebot an Bildungsveranstaltungen der Aus-, Weiter- und Führungsbildung enthält. Das sehr umfangreiche Handbuch hat die Form einer Lose-Blatt-Sammlung, die jederzeit ergänzt oder erneuert werden kann. Jeder Angestellte der Deutschen Bank kann sich i n dem Handbuch darüber informieren, welche Veranstaltungen für ihn i n Frage kommen. Für jedes angebotene Seminar enthält das Handbuch ein Blatt m i t den notwendigen Angaben, die nach den folgenden Stichworten geordnet sind: Ziel, Zielgruppe, Voraussetzungen, Inhalt, Methodik, Teilnehmerzahl, Dauer, Durchführung, Bemerkung. Da bei dem Punkt Voraussetzung gesagt wird, welche anderen Seminare vorher besucht sein müssen oder sollen, kann sich jeder den für ihn passenden Bildungsplan nach dem Handbuch zusammenstellen. Auch die i n entlegenen Filialen beschäftigten A n gestellten erhalten auf diese Weise eine verbindliche Information über die Bildungsmöglichkeiten i n der Bank. Es wurde bereits bei der Besprechung des Materials der Dresdner Bank darauf hingewiesen, daß i n i h r das Prinzip der Chancengleichheit aller Angestellten i n bezug auf die Weiterbildung verwirklicht wird, und das Gleiche ist auch für die Deutsche Bank festzustellen.
I I . Material einiger Betriebe
177
Bei den leitenden Fachkräften und den Führungskräften ist das Thema Wirtschaft und Gesellschaft als ein Sachgebiet des äußeren Kontaktbereiches vorgesehen. Das fünftägige Grundseminar soll „notwendiges gesellschaftspolitisches Orientierungswissen" vermitteln; das zweitägige Hauptseminar hat zum Inhalt „eine Auseinandersetzung m i t den Hauptproblemen der Teilordnungen Wirtschaft, Recht, Gesellschaft und Staat der Bundesrepublik Deutschland und ihre wechselseitige Abhängigkeit (Interdependenz), u m den Teilnehmern eine Hilfe zu bieten für ihre persönliche Urteilsbildung und ein zukunftsorientiertes Handeln" 8 4 . I m Anschluß daran ist ein zweitägiges „gesellschaftspolitisches Argumentationsseminar" vorgesehen, das von dem Institut der deutschen Wirtschaft verantwortlich gestaltet wird. Es soll behandeln: 1. die gesellschaftspolitische Situation i n der Bundesrepublik Deutschland, 2. marxistische Gesellschaftskritik i n der Diskussion m i t „Systemüberwindern", 3. Hauptprobleme der Wirtschafts- und Sozialpolitik i n der Bundesrepublik Deutschland 85 . Die Einrichtung dieser Seminare beruht auf der Erfahrung, daß die zu der Führungsgruppe gehörenden Angestellten i m Zusammenhang m i t ihrer beruflichen Tätigkeit zwangsläufig i n Gespräche verwickelt werden, bei denen es u m die großen aktuellen Probleme von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat geht. Die Außenstehenden neigen außerdem dazu, Führungskräfte der Deutschen Bank als Sachverständige für ökonomische Fragen und deren Verquickung m i t politischen und soziologischen Fakten anzusehen. Die ständige berufliche Überlastung macht es jedoch den Führungskräften schwer, i n ihrer Freizeit genug für ihre wirtschafts- und gesellschaftspolitische Fortbildung zu tun. Diese Konfliktsituation hat zu dem Wunsch geführt, die genannten Seminare einzurichten. U m deren Sinn zu verstehen, muß man außerdem wissen, daß von der zentralen Ausbildungsabteilung der Bank i m Jahre 1974 11 Seminare organisiert worden sind, i n denen 236 Betriebsratsmitglieder über das Betriebsverfassungsgesetz informiert worden sind 8 6 . Dieser Personenkreis hat ein Recht darauf, über das B V G unterrichtet zu werden, und es liegt zugleich i n dem Interesse der Bank, daß die Betriebsräte ihre Rechte und Pflichten genau kennen. Dies trägt wesentlich zu der Versachlichung der Verhandlungen zwischen der Unternehmungsleitung und den Betriebsräten bei und festigt die Stellung der Bank i n dem heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. I n ähnlicher Weise dient auch die Weiterbildung der obersten Führungsgruppe dem Gesamtinteresse der Bank. Da die Mitglieder dieses Kreises ihren persönlichen sozialen und ökonomischen Standort nicht irgendwo i n der 84 Ausbildungshandbuch 2, Blätter 945,3 und 946,4. 85 Desgl., Blatt 947,4. 8« Internes Material der Deutschen Bank. 12 Abraham
178
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Gesellschaft, sondern an der Spitze einer privaten Großbank haben, muß die Bildungsarbeit darauf abgestellt sein. Es ist daher realistisch anzunehmen, daß sie keine Marxisten sind und eine revolutionäre Veränderung der bestehenden öffentlichen Ordnung ablehnen. Da sie aber andererseits täglich erleben, daß Wirtschaft und Gesellschaft m i t einer starken Dynamik erfüllt sind, beschäftigt sie die Frage, wohin diese Evolution führt. A n dieser Klärung haben sie zugleich auch ein berufliches Interesse. Ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit besteht darin, Stellung zu den Investitionsvorhaben und den damit verbundenen Finanzierungsplänen der Wirtschaft zu nehmen. Es w i r d von ihnen die Fähigkeit zur Beurteilung der hinter zahlreichen Einzelerscheinungen sichtbar werdenden Haupttendenzen der Entwicklung verlangt. Da diese Anforderungen immer größer werden, ist es eine kluge Maßnahme, den Führungskräften die Möglichkeit zu geben, i n aufgelockerten Gesprächskreisen neue Informationen zu erhalten und ihre Ansichten m i t denen auszutauschen, die sich i n der gleichen Lage befinden. Es wurde bereits bei der Dresdner Bank gesagt, daß moderne Großbetriebe Führungsakademien brauchen. Dieser Gedanke w i r d i n der Deutschen Bank durch die genannten Seminare verwirklicht; die Bildungsstätte Kronberg ist dafür ein gut geeigneter Raum. Das bisher i n dieser Darstellung gezeichnete Gesamtbild der B i l dungsarbeit i n der Deutschen Bank ist der Rahmen, i n den nun noch eine kurze Beschreibung der Berufsausbildung der Auszubildenden eingefügt werden soll. Die Tabelle 42 enthält die Zahlen, die die Verhältnisse i n diesem Sektor kennzeichnen 87 . Bei der Betrachtung der Tabelle 42 fallen einige Veränderungstendenzen auf. Das prozentuale Verhältnis der Zahl der Auszubildenden zu dem „Stammpersonal" 8 8 ist von 1973 bis 1975 erheblich gesunken und scheint seitdem auf einen Satz zwischen 9 % und 10 % fixiert w o r den zu sein. Dabei ist wichtig, daß i m gleichen Zeitraum der prozentuale Anteil der Mädchen erheblich gestiegen ist. Ferner zeigt der Vergleich der drei Teile a, b und c, daß die Ziffern der Übernahme Auszubildender i n das Angestelltenverhältnis ständig gesunken sind und zwar i n einem stärkeren Maße als die Gesamtzahlen und die Zahlen der Einstellungen. Das hat dazu geführt, daß 1976 nur 918 Auszubildende übernommen worden sind, während i m gleichen Jahr 1 509 Auszubildende neu eingestellt worden sind. Diese Zahlen beruhen wahrscheinlich auf personalpolitischen Entscheidungen, über die i n dem vorliegenden Material nichts gesagt wird. Es drängt sich aber der Ein87
Internes Material der Deutschen Bank. 88 Die Tabellen 39 und 42 sind offensichtlich nicht für die gleichen Stichtage aufgestellt worden; außerdem ist unklar, welcher Posten der Tabelle 39 als Stammpersonal im Sinne der Tabelle 42 anzusehen ist.
I I . Material einiger Betriebe
179
Tabelle 42 Die Auszubildenden in der Deutschen Bank a) Die Gesamtzahlen der Auszubildenden 1. Januar
Anzahl
in % des Stammpersonals
1973 1974 1975 1976 1977
4.013 3.541 3.243 3.256 3.466
11,6% 10,2 % 9,2 % 9,2 % 9,7 %
davon: männlich in % absolut 2.059 1.712 1.487 1.495 1.616
51,3 48,3 45,9 45,9 46,6
weiblich in % absolut
% % % % %
1.954 1.829 1.756 1.761 1.850
48,7 51,7 54,1 54,1 53,4
% % % % %
b) Die Einstellung von Auszubildenden 1972 1973 1974 1975 1976
gesamt
männlich
weiblich
1.446 1.193 1.106 1.447 1.509
708 573 511 701 723
738 620 595 746 786
c) Die Übernahme Auszubildender in das Angestelltenverhältnis 1972 1973 1974 1975 1976
gesamt
männlich
weiblich
1.698 1.488 1.303 1.198 918
922 783 635 557 395
776 705 668 641 523
druck auf, daß die relativ hohen Einstellungsziffern von 1975 und 1976 darauf zurückzuführen sind, daß die Deutsche Bank einen Beitrag zu der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit leisten wollte. Es ist aber fraglich, ob dadurch auf lange Sicht eine wirkliche Verbesserung der Lage erreicht wird, wenn i n den gleichen Jahren die Übernahmezahlen herabgesetzt werden mußten. Es zeigt sich hier, daß es problematisch ist, erheblich mehr Jugendliche i n ein Ausbildungsverhältnis aufzunehmen, als später i n ein Arbeitsverhältnis übernommen werden können, denn dadurch w i r d der Eintritt der Arbeitslosigkeit der betroffenen Jugendlichen nur u m einige Jahre hinausgeschoben. Der Abschluß der Berufsausbildungsverträge ist i n der Deutschen Bank ebenso wie i n der Dresdner Bank dezentralisiert. A m Ende des Jahres 1976 hatten 174 Filialen das Recht, selbständig Berufsausbildungsverträge abzuschließen und gegenüber den Industrie- und Handelskammern als Ausbildungsbetriebe zu fungieren. Es ist die Aufgabe 12"
180
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
der zentralen Ausbildungsabteilung, dafür zu sorgen, daß dabei nach einheitlichen Grundsätzen verfahren wird. Es zeigt sich auch hier das Problem aller Filialbetriebe, daß die tatsächliche Durchsetzung der von der Zentrale erlassenen Vorschriften sowohl von den organisatorischen als auch von menschlichen Bedingungen abhängt. Ob die Realisierung der aufgestellten Prinzipien gelingt, w i r d sehr wesentlich von der Qualität der Ausbilder bestimmt. A m Ende des Jahres 1976 standen insgesamt 1 364 Ausbilder zur Verfügung; davon hatten 318 die Ausbildereignungsprüfung gemäß AEVO abgelegt, und 1 046 waren von dieser Prüfung auf Grund ihrer jahrelangen Ausbildungstätigkeit befreit worden 8 9 . A m gleichen Zeitpunkt waren i n der Deutschen Bank nach Tabelle 42 fast 3 500 Auszubildende vorhanden. Das Verhältnis der Zahl der Ausbilder zu derjenigen der Auszubildenden ist also sehr günstig. Die Deutsche Bank hat offensichtlich sowohl auf eine systematisch durchdachte und klar gegliederte Organisation ihres Bildungswesens als auch auf die Bereitstellung von Menschen Wert gelegt, die dazu fähig sind, durch ihre persönliche Leistung diesen Rahmen m i t Leben zu erfüllen und dadurch die Erreichung der Ziele zu sichern. Als eine Zusammenfassung der Besprechung des Materials der Deutschen Bank ist festzustellen, daß hinter allen Einzelmaßnahmen eine umfassende Bildungsidee steht, i n der ein nüchterner ökonomischer und sozialer Realismus und eine tief gegründete Achtung vor dem einmaligen Wert jedes einzelnen Menschen zu einer Einheit verbunden sind. I I I . Material überbetrieblicher pädagogischer Institutionen einiger Wirtschaftszweige 2. Das Berufsbildungswerk
der Versicherungswirtschaft
Der Selbstverwaltungsgedanke w i r d i n der deutschen Wirtschaft i n zweifacher Weise verwirklicht. Es gibt auf der einen Seite die öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen Zusammenschlüsse (Kammern, Fachverbände, Arbeitgeberverbände) zum Zwecke der Vertretung der gemeinsamen Interessen gegenüber dem Staat oder gegenüber anderen Gruppen, z.B. den Gewerkschaften. A u f der anderen Seite gibt es Zusammenschlüsse zum Zwecke der gemeinsamen Erledigung bestimmter Aufgaben. Dazu gehören die Einrichtungen, die i n vielen W i r t schaftszweigen für Bildungszwecke geschaffen worden sind. Es wurde bereits der Arbeitsring Chemie 90 erwähnt, dessen Berufsbildungsausschuß ein überbetriebliches Organ für die wirtschaftspädagogische 89
Internes Material der Deutschen Bank. Arbeitsring der Arbeitgeberverbände der deutschen chemischen dustrie e.V. 90
In-
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
181
Meinungsbildung der Chemiebetriebe ist. Von anderer A r t und doch prinzipiell i n diesen Zusammenhang gehörend ist die Bildungsorganisation des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes e. V. m i t 11 regionalen Sparkassenschulen und der zentralen Sparkassenakademie in Bonn. Auch die Fachverbände des Einzelhandels haben sich i n verschiedenen Rechtsformen Bildungsorganisationen geschaffen, u m für die Fortbildung ihrer Mitglieder und des Personals der angeschlossenen Firmen Fachschulen unterhalten zu können. Das Gleiche geschieht auch von Verbänden anderer Wirtschaftszweige. Es ist eine große Mannigfaltigkeit i n dem Bereich der überbetrieblichen pädagogischen Institutionen der Wirtschaft vorhanden, da i n jedem Einzelfall diejenige Organisationsform gewählt worden ist, die am besten den besonderen Verhältnissen i n der jeweiligen Branche entsprochen hat, so daß diese Vielfalt ein Spiegelbild der Beschaffenheit der Wirtschaft ist. Obwohl sich diese Einrichtungen i n vieler Hinsicht unterscheiden, besteht trotzdem zwischen ihnen eine wichtige Gemeinsamkeit. Sie sind schrittweise entwickelt worden, w e i l die Betriebe bei ihrer Berufsbildungsarbeit die Erfahrung gemacht haben, daß es Probleme gibt, die nicht von den Einzelbetrieben, sondern nur von Gemeinschaftseinrichtungen gelöst werden können. Würde die Wirtschaft nicht dafür sorgen, daß diese Institutionen als Selbstverwaltungsorgane geschaffen werden, dann bestünde die Gefahr, daß der Staat eingreift und die notwendigen Einrichtungen aufbaut und sich damit zugleich Instrumente verschafft, die er zu der Reglementierung der Wirtschaft benutzen kann. Außerdem hat die Erfahrung gelehrt, daß staatliche Institutionen nur selten so praxisnah und wandlungsfähig sind, wie dies gerade i n diesen Fällen unbedingt notwendig ist. Optimale Lösungen der Aufgabe werden vielmehr am ehesten durch frei vereinbarte überbetriebliche Einrichtungen der einzelnen Wirtschaftszweige erreicht. Die folgenden Darlegungen sollen zeigen, wie dies einerseits von Betrieben der Individualversicherung und andererseits von Betrieben des Handels verwirklicht worden ist. Diese beiden Beispiele sind auch deswegen gewählt worden, w e i l die gefundenen Lösungen sehr verschieden sind. Es w i r d durch sie sichtbar, daß der Selbstverwaltungsgedanke ein so elastisches Prinzip ist, daß auf seiner Grundlage sowohl die Einheit als auch die Mannigfaltigkeit der Wirtschaft i n unterschiedlichen Variationsarten realisiert werden kann. Das Berufsbildungswerk der Versicherungswirtschaft 91 ist 1949 als Selbsthilfeeinrichtung der deutschen Betriebe der Individualversicherung gegründet worden. Wenn man die Anschriftenverzeichnisse des Vorstandes, des Berufsbildungsausschusses und des Beirates des Berufs91
I m folgenden Text mit B W V abgekürzt.
182
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
bildungsausschusses durchliest, dann sieht man, daß es gelungen ist, alle Individualversicherungsfirmen i n dieser Organisation zu vereinigen und außerdem die Beratung durch Sachverständige aus dem beruflichen Schulwesen, den an der Berufsbildung beteiligten Bundesministerien, den Kultusministerien, den Gewerkschaften und den Spitzenverbänden der Wirtschaft zu sichern. Wahrscheinlich ist dies wesentlich darauf zurückzuführen, daß die Initiative von dem Vorstand eines der größten Unternehmen dieses Wirtschaftszweiges, der Allianz Versicherungs-AG, ausgegangen ist. Es ist außerdem hilfreich gewesen, daß es seit längerer Zeit Lehrstühle für Versicherungswissenschaft an den Universitäten gibt, die die Funktion von Kooperationszentren der Versicherungswirtschaft ausgeübt haben und ausüben. Die Arbeit des B W V w i r d gelenkt von einer Gesamtkonzeption, die drei Bildungsstufen vorsieht: den Versicherungskaufmann, den Versicherungsfachwirt und den Versicherungsbetriebswirt (DVA). Damit ist ein fester Rahmen gegeben, i n den sämtliche Bildungsmaßnahmen eingefügt werden. Die Betriebe haben darauf verzichtet, Funktionsund Bildungsstufen jeweils für sich allein zu schaffen; sie haben sich vielmehr auf die drei genannten Stufen geeinigt. Die Bedeutung dieser Absprache w i r d klar, wenn man an die früher besprochenen Funktionsund Bildungsstufen der Deutschen Bank denkt, denn diese gelten nur i n diesem Unternehmen. Andere Banken haben zwar ähnliche Stufungen; einen gemeinsam beschlossenen und realisierten Stufenplan gibt es jedoch i n der Bankwirtschaft noch nicht. Die Versicherungswirtschaft hat i n dieser Hinsicht bereits ein höheres Niveau der Organisation ihres Bildungswesens erreicht. Nur die Sparkassen haben schon einen ähnlichen Aufbau geschaffen; dies war bei ihnen jedoch infolge ihres besonderen Charakters leichter als i n der sonstigen Wirtschaft. Die bayerischen Verbände des Handels haben durch den Aufbau ihres Bildungszentrums eine ähnliche Entwicklung wie i n der Versicherungswirtschaft i n die Wege geleitet, und es w i r d darüber i n dieser Untersuchung später berichtet werden. Das B W V ist jedoch bis jetzt die einzige auf der Bundesebene bestehende Institution der Wirtschaft, die eine von dem ganzen Wirtschaftszweig akzeptierte Konzeption der beruflichen Bildungsstufen vertritt. Die Arbeit des B W V ergibt sich aus den Ubersichten i n den Tabellen 43 92 und 44 93 . Der Abschluß der ersten Stufe m i t der Versicherungskaufmannsprüfung w i r d m i t etwa 19 - 21 Jahren erreicht, derjenige der zweiten m i t es Selbsthilfe eines Wirtschaftszweiges, B a n d i i der Veröff. des BWV, \ Karlsruhe 1974, S. 167. 93 Ein Wegweiser für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Versicherungswirtschaft, hrsg. v. BWV, 5. Aufl., Karlsruhe 1978, S. 11.
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
183
Tabelle 43 Teilnehmer am Bildungsangebot des Berufsbildungswerks der Versicherungswirtschaft (1949 - 1974) 200 000 Beschäftigte der Versicherungswirtschaft 60 Verbindungsstellen des Berufsbildungswerks und die Zentrale erfassen und betreuen in 70 Städten der Bundesrepublik jährlich:
in den 25 Jahren des Bestehens des B W V legten ihre Prüfung ab:
10 000 Auszubildende
70 000 Versicherungskaufleute die Kaufmannsgehilfenprüfung
2 400 Teilnehmer am Fernstudium
1 000 Versicherungsfachwirte 3
2 500 Hörer des Abendstudiums 100 Studenten der Deutschen Versicherungs-Akademie
1 200 Versicherungsbetriebswirte (DVA)
15 000 Hörer des Kontaktstudiums
(keine Abschlußmöglichkeit)
30 000, also ca. 15 °/o der Beschäftigten der Versicherungswirtschaft a) bis 31. 12. 1977 I n s g e s a m t 2269 V e r s i c h e r u n g s f a c h w i r t e .
der Versicherungsfachwirtprüfung m i t etwa 25 - 27 Jahren und der dritte m i t der Prüfung zum Versicherungsbetriebswirt (DVA) m i t etwa 30 Jahren. Der geplante Bildungsweg führt also von dem Jugendlichenalter bis zu dem Beginn des mittleren Lebensabschnittes. Danach muß der einzelne durch ein ihm gemäßes Kontaktstudium seine weitere berufliche Entwicklung frei gestalten. Der Ausbildungsberuf Versicherungskaufmann ist schon alt; die jetzige Ausbildungsordnung beruht auf einer Verordnung vom 10. 5.1973 auf Grund von § 25 Absatz 1 des Berufsbildungsgesetzes. Für die Prüfung zum Versicherungsfachwirt gibt es noch nicht eine Regelung durch eine Verordnung eines Bundesministeriums. Sie w i r d vielmehr i n den einzelnen Handelskammerbezirken auf Grund von Prüfungsordnungen durchgeführt, die von den Kammern erlassen worden sind und die inhaltlich übereinstimmen, da sie auf einer von dem Deutschen Industrie- und Handelstag empfohlenen Musterprüfungsordnung beruhen. Die ersten beiden Ordnungen dieser A r t waren diejenige der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern vom 5. 5.1971 und diejenige der Industrieund Handelskammer K ö l n vom 3. 6.1971 94 . Auch diese Prüfungsord94 Diese Angaben sind entnommen aus: Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe und der zuständigen Stellen nach dem Berufsbildungsgesetz, Stand: 1. Juni 1976; hrsg. v. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Bielefeld o. J. (1976).
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
184
Tabelle 44 Die Bildungsstufen in der Versicherungswirtschaft Kurse, Vortràge, Fachbücher und Zeitschriften, Unternehmensspiele
Lebenslanges Lernen
I 1 DVA-Abendstudium - 2 Jahre
3. Bildungsstufe
Versicherungswirtschaftliches Studienwerk Fachbücher und -Zeitschriften
Versicherungsbetriebswirt (DVA)
Versicherungswirtschaftliches Studienwerk
2. Bildungsstufe
I 1
I I I
Ausbildung
1. Bildungsstufe
Bildungsstufen
Praktische Tätigkeit
Betrieb/ Berufsschule 3 Jahre
Versicherungskaufmann
Bildungsart und -zeit
Bildungsabschluß
Berufsfremde Mitarbeiter ohne Versicherungsausbildung, mit 6 Jahren Versicherungspraxis
Lehrbuchreihe . „Die Versicherungsausbildung", Programmierte Unterweisungen
Praktische Tätigkeit u n d berufsbegleitende berufliche Bildung
nungen haben einen öffentlichrechtlichen Charakter. Dagegen ist das Zeugnis über das Bestehen der Prüfung zum Versicherungsbetriebswirt (DVA) ein privatrechtliches Diplom der Deutschen Versicherungs-Akademie, deren Träger das B W V ist 9 5 . Man ersieht aus den rechtlichen Unterschieden, die zwischen den drei Prüfungen bestehen, den Erfolg 9
® Siehe dazu: Ein Wegweiser . . . , S. 34/35.
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
185
der Bemühungen des BWV. Die Regelung der Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann entspricht dem allgemein üblichen Schema. Es ist der Versicherungswirtschaft aber gelungen, auf der Basis des Handelskammerrechtes die zweite Ausbildungsstufe zu organisieren. Nach § 46 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes haben die Industrie- und Handelskammern das Recht, Fortbildungsprüfungsordnungen zu erlassen, und davon haben bis zum 1. Juni 1976 16 Kammern i m Versicherungsbereich Gebrauch gemacht. Bei der Durchsicht dieser Liste erkennt man, daß dies die Kammern an den Hauptorten der Versicherungswirtschaft sind. Für den Versicherungsbetriebswirt (DVA) gibt es bisher keine öffentlichrechtliche Basis. Die Versicherungswirtschaft ist aber davon ausgegangen, daß es eine sekundäre Frage ist, wie eine solche Rechtsgrundlage geschaffen werden kann. Die primäre Frage lautet, ob i n der Praxis ein Bedürfnis nach der Ausbildung solcher Fachkräfte vorhanden ist. Diese Frage kann nicht theoretisch beantwortet werden. Sie konnte vielmehr nur dadurch gelöst werden, daß das B W V die Initiative zu Versuchen ergriff, die erprobten, wie der Inhalt und die Methode einer solchen Ausbildung gestaltet werden können, und daß beobachtet wird, wie die Praxis reagiert. Diesen Weg ist man gegangen, und der Erfolg hat gezeigt, daß die Konzeption richtig ist. Es ist i m übrigen so, daß es für einen Versicherungsbetriebswirt fast ohne Belang ist, ob sein Diplom einen privatrechtlichen oder einen öffentlichrechtlichen Charakter hat, denn für ihn ist wichtig, daß er eine Urkunde besitzt, die i n der Versicherungswirtschaft hoch bewertet wird. Die öffentlichrechtliche Anerkennung des Diploms hätte nur dann eine Bedeutung, wenn jemand i m Anschluß an seine bisherige Ausbildung ein Hochschulstudium beginnen wollte. Dieser F a l l kommt jedoch i n der Praxis nur sehr selten vor, denn der Betreffende würde eine aussichtsreiche Berufslaufbahn für mehrere Jahre unterbrechen, u m einen akademischen Grad zu erlangen, der i n der Versicherungswirtschaft nur wenig höher bewertet w i r d als das Diplom, das er bereits besitzt. Die Tätigkeit des B W V i m Bereich der ersten Stufe ist darauf gerichtet, an der Gestaltung des Unterrichtes i n den Versicherungsfachklassen der kaufmännischen Berufsschulen mitzuwirken und für eine gute Koordination der Ausbildung i n der Schule und i n dem Betrieb zu sorgen. Versicherungsfachklassen hat es i n den kaufmännischen Berufsschulen schon lange vor der Gründung des B W V gegeben. „Der fünfte Verwaltungsbericht des Preußischen Landesgewerbeamtes aus dem Jahre 1914 weist bereits auf die Einrichtung besonderer Klassen für ,die Angestellten des Versicherungsgewerbes, für Drogisten und Spediteure i n Halle, Cöln, Erfurt, Berlin, Stettin und sonst4 h i n 9 6 . " Als ab 96 Manfred Horlebein, Die berufsbegleitenden kaufmännischen Schulen in Deutschland (1800 -1945), Frankfurt u. Bern 1976, S. 154.
186
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
1920 die Umwandlung der bisherigen kaufmännischen Fortbildungsschulen i n Berufsschulen und deren Gliederung i n Fachabteilungen erfolgte, wurden i n den großen Schulsystemen auch Fachklassen für Versicherungslehrlinge eingerichtet. Durch Beiräte wurde für einen ständigen Kontakt m i t den Versicherungsbetrieben gesorgt. Bei der Gründung des B W V i m Jahre 1949 waren daher schon jahrzehntelange Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Berufsschule vorhanden; es fehlte jedoch eine bundeseinheitliche Regelung. Diese konnte nicht von der Seite der Schule ausgehen, denn die kaufmännischen Berufsschulen unterstanden und unterstehen den 11 Kultusministerien der Länder. Die Initiative mußte daher von den Betrieben ergriffen werden, und die Gründung des B W V w a r daher sowohl der folgerichtige Abschluß der bisherigen Entwicklung als auch der Beginn der Verwirklichung einer neuen Konzeption. Durch eine intensive Kleinarbeit ist es dem B W V i n den letzten Jahrzehnten gelungen, einen erheblichen Ausbau des Systems der Versicherungsfachklassen in kaufmännischen Berufsschulen zu erreichen. Darüber gibt die folgende Tabelle 45 Auskunft 9 7 . Tabelle 45 Versicherungsfachklassen an Berufsschulen Stichtag Okt. 1951 Zahl der Berufsschulen mit Versicherungsfachklassen
29
Zahl der Versicherungsfachklassen Zahl der Schüler Zahl der Lehrer
35
Anf. 1957
Mitte 1959
1. 5. 1961
Juni 1966
34
38
43
45
Dez. 1972 52
237
284
329
370
415
7148
8440
9118
10167
10554
74
91
101
143
210
Die Bemühungen des B W V um die Lehrlingsausbildung haben 1975 einen Niederschlag i n der folgenden Schrift gefunden: „Die Ausbildung zum Versicherungskaufmann, Vorschläge und Leitlinien für die Lernorte Betrieb und Berufsschule, vorgelegt von der Kommission für Berufsausbildung des Berufsbildungswerkes der Versicherungswirtschaft 98 ." Die Arbeit geht von der Verordnung über die Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann vom 10. 5.1973 aus, durch welche die Ausbildung i n den Betrieben normiert wird. Danach w i r d ein von der Kommission ausgearbeiteter Rahmenlehrplan für die Versicherungsfach97
Selbsthilfe eines Wirtschaftszweiges, S. 54. ® Hrsg. vom B W V 1975, 123 S.
9
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
187
klassen i n kaufmännischen Berufsschulen vorgelegt, der das Gegenstück zu der genannten Verordnung bildet. Es ist eigentlich die Sache des Schulausschusses der Kultusministerkonferenz, für die Erstellung eines solchen bundeseinheitlichen Rahmenlehrplanes zu sorgen. Er hat dies aber nicht getan, und es hat keinen Wert, darauf zu warten, daß er es i n absehbarer Zeit tun wird. Daher mußte das B W V diese Aufgabe übernehmen. Bei 8 - 1 0 Unterrichtsstunden in der Woche sieht der Rahmenlehrplan die folgenden Fächer vor. Wirtschaftslehre und W i r t schaftspolitik 2 - 3 Stunden, Versicherungslehre 2 - 3 Stunden, Rechnungswesen (berufsbezogenes Rechnen m i t Statistik und Buchführung sowie automatisierter Datenverarbeitung) 3 Stunden, politische Bildung 1 Stunde. Über das zuletzt genannte Fach macht der Rahmenlehrplan keine weiteren Angaben; für die anderen Fächer werden Inhaltsangaben vorgelegt, die bis i n die Einzelheiten gehen. Die Kommission hat sich bewußt nicht darauf beschränkt, nur einen Rahmenlehrplan für die Versicherungslehre auszuarbeiten, denn deren Verzahnung m i t den anderen Fächern ist so eng, daß bei manchen Stoffen entschieden werden muß, welchem Fach sie zugeteilt werden sollen. Der branchenspezifische Charakter der Versicherungsklassen kommt also nicht nur dadurch zum Ausdruck, daß deren Unterrichtsplan die Versicherungslehre enthält, sondern auch dadurch, daß i n den anderen Fächern ebenfalls ein Bezug zu dem Versicherungswesen vorhanden ist. A u f Grund der Verordnung über die Ausbildung i m Betrieb und des Rahmenlehrplanes für den Unterricht i n der Berufsschule werden in dem nächsten Abschnitt „Leitlinien für eine lernzielorientierte Ausbildung zum Versicherungskaufmann" und danach die bis i n konkrete Teilangaben gegliederten „Lernziele für den Lernort Betrieb" und „Lernziele für den Lernort Berufsschule" dargestellt. Dieser Teil bildet den Hauptinhalt der Schrift. I n i h m sind die i n Jahrzehnten erworbenen Erfahrungen zu Vorschlägen verdichtet worden, die sich i n gleicher Weise durch einen hohen Grad der Praxisnähe und durch eine klare Systematik auszeichnen. Dabei ist durchaus beachtet worden, daß sich die Planung auf den Aufbau einer Rahmenordnung beschränken muß, die es zuläßt, die besonderen betrieblichen und schulischen Verhältnisse an den Ausbildungsorten zu berücksichtigen. Die Umsetzung dieser Vorschläge i n die praktische Bildungsarbeit w i r d durch die Verbindungsstellen des B W V bewirkt. Überall dort, wo i n den kaufmännischen Berufsschulen Versicherungsfachklassen bestehen, und an einigen weiteren Orten hat das B W V solche Verbindungsstellen geschaffen. Ihre Zahl betrug am 1. 7.1976 60; zum Teil handelt es sich dabei um juristisch selbständige Institute oder Vereine der regionalen Versicherungswirtschaft 99 . Durch dieses System der m Ein Wegweiser . . S . 9.
188
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Verbindungsstellen w i r d erreicht, daß die Münchener Zentrale des B W V laufend über die Entwicklung der Verhältnisse informiert wird. Man muß sich daran erinnern, daß sich seit der Gründung des B W V i m Jahre 1949 die Ausbildungsbedingungen i n den Betrieben erheblich geändert haben und weiterhin ändern; es sei hier nur auf die Auswirkungen der Einführung der elektronischen Datenverarbeitung hingewiesen. Wenn das aufgebaute System der Berufsausbildung tatsächlich praxisnah und elastisch bleiben soll, dann muß dafür gesorgt werden, daß die Leitung des B W V über diese Wandlungen ständig so informiert wird, daß sie daraus Folgerungen ziehen und für eine Änderung der bestehenden Pläne sorgen kann. Ohne den Unterbau der Verbindungsstellen wäre die Zentrale nicht i n der Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen. Die Verbindungsstellen haben ferner den Zweck, die Frage zu prüfen, ob an dem betreffenden Ort bzw. i n der betreffenden Region ein Teil der betrieblichen Ausbildung auf eine überbetriebliche Ausbildungsstätte übertragen werden sollte. Manche Firmen sind kaum noch i n der Lage, ihren Auszubildenden alle Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die i n der Ausbildungsordnung für Versicherungskaufleute genannt sind. Es wäre aber aus mehreren Gründen zu bedauern, wenn diese Firmen nicht mehr an der Lehrlingsausbildung teilnehmen könnten; es würde dadurch außerdem die Zahl der Ausbildungsplätze zurückgehen. U m eine solche Entwicklung zu verhindern, ist es zweckmäßig, überbetriebliche Ausbildungsstätten zu schaffen, die diejenigen Teile der Ausbildung übernehmen, die i n den Einzelbetrieben nicht mehr erledigt werden können. Diese überbetrieblichen Einrichtungen sind nicht neue selbständige Ausbildungsbetriebe, sondern sind Hilfsorgane der schon vorhandenen Ausbildungsbetriebe; sie haben diesen gegenüber eine Dienstleistungsfunktion. Es ist wichtig, diese Stellung der überbetrieblichen Einrichtungen klar zu sehen. Sie w i r d besonders deutlich dadurch erkennbar, daß diese überbetrieblichen Ausbildungsstätten nicht das Recht haben, m i t Jugendlichen Berufsausbildungsverträge abzuschließen. Sie werden vielmehr nur von solchen Jugendlichen besucht, die bereits einen Ausbildungsvertrag m i t einer Versicherungsfirma abgeschlossen haben. U m den Gedanken der überbetrieblichen Ausbildung zu fördern, hat die Kommission für Berufsausbildung des B W V ihrer bereits besprochenen Schrift „Die Ausbildung zum Versicherungskaufmann" einen „Vorschlag für die Gestaltung eines überbetrieblichen Unterrichts" beigefügt. Es handelt sich dabei um das bereits seit mehreren Jahren erprobte Modell des Vereins für Berufsfachbildung der Versicherungswirtschaft K ö l n (VBV) e.V., Verbindungsstelle K ö l n des BWV. Die vorangestellten Hinweise zur Organisation des überbetrieblichen Unterrichts geben ein B i l d von den konkreten Problemen, die gelöst werden
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
189
müssen. Bei der Zeitplanung spielt die Abstimmung m i t dem Berufsschulungsunterricht eine große Rolle. Eine weitere wichtige Frage ist diejenige der Finanzierung zur Deckung der entstehenden Kosten. Sie kann nur durch Umlagebeiträge der beteiligten Ausbildungsbetriebe erfolgen, denn eine Heranziehung der Auszubildenden ist weder rechtlich möglich noch sachlich gerechtfertigt. Die Verbindungsstellen des B W V haben bei der Gestaltung der zweiten Bildungsstufe ebenfalls eine entscheidende Bedeutung. Der praktische Wert der Versicherungsfachwirtprüfung hängt davon ab, ob es gelingt, den jungen Angestellten realistische Möglichkeiten der Vorbereitung auf diese Prüfung anzubieten. Dies ist dadurch geschehen, daß zwei Bildungswege geschaffen worden sind, nämlich das Abendstudium und das Fernstudium. Für beide gilt der gleiche, i m ganzen Bundesgebiet verbindliche Stoffplan. Die an den Hauptorten der Versicherungswirtschaft befindlichen Verbindungsstellen haben ein systematisches Abendstudium organisiert, das mindestens 200 Unterrichtsstunden umfaßt und i m Regelfall zwei Jahre dauert. Dieses Abendstudium w i r d von der Münchener Zentrale des B W V betreut. Das gleiche Ziel kann aber auch m i t Hilfe eines Fernstudiums erreicht werden. Dessen Grundlage ist das „Versicherungswirtschaftliche Studienwerk" 1 0 0 . Die Organisation des Fernstudiums liegt i n den Händen der Fernlehrzentrale Versicherung i n Wiesbaden; es umfaßt 6 Semester. Bisher w i r d der Weg über das Abendstudium von den jungen Angestellten bevorzugt; i n den letzten Jahren ist aber die Beteiligung an dem Fernstudium angestiegen. Bis zum 31.12.1977 haben 2 633 Nachwuchskräfte die Versicherungsfachwirtprüfung bestanden. Von ihnen hatten sich 2 269 i n einem Abendstudium, 356 i n einem Fernstudium und 8 auf andere Weise vorbereitet 1 0 1 . Die dritte Stufe der Berufsbildung i n der Versicherungswirtschaft, der Versicherungsbetriebswirt (DVA), w i r d ebenfalls neben der Berufstätigkeit i n einem Abendstudium erreicht, das i m Normalfall zwei Jahre dauert. Prinzipiell steht der Weg vom Versicherungskaufmann über den Versicherungsfachwirt zum Versicherungsbetriebswirt jedem ohne Rücksicht auf die schulische Vorbildung offen. Es ist aber klar, daß die Erreichung der obersten Stufe nur einer Minderheit gelingen kann, denn dafür sind sowohl eine überdurchschnittliche intellektuelle Begabung als auch eine überdurchschnittliche Willenskraft erforderlich. Das Betriebswirtstudium ist „ein Härtetest für den Studenten, der höhere Führungsaufgaben i n der Versicherungswirtschaft anstrebt" 1 0 2 . loo Hrsg. v. H. L. Müller-Lutz und Reiner Schmidt, 2. Aufl. Wiesbaden 1975. ιοί Mitteilungsblatt des BWV, 25. Jhrgg, Nr. 1, Febr. 1978, S. 2. 102 h . L. Müller-Lutz, Der Versicherungsbetriebswirt, in Die Bildungsstufen in der Versicherungswirtschaft, hrsg. v. B W V 1975, S. 33.
190
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Es sind i n dieser Konzeption zwei wichtige gesellschaftliche Prinzipien miteinander verbunden, nämlich einerseits das Prinzip der Chancengleichheit für alle und andererseits das Prinzip der Heranbildung einer kleinen, aber sehr leistungsfähigen Elite. Man geht i n dem B W V von dem allgemeinen Erfahrungssatz aus, daß die Qualität der beruflichen Bildung in einem Wirtschaftszweig nicht besser sein kann als die Qualität der Personen, die i n den Betrieben und i n den überbetrieblichen Einrichtungen dafür verantwortlich sind. Man legt daher großen Wert darauf, die dazu geeigneten Menschen auszuwählen und diese laufend für ihre Arbeit weiterzubilden. Dies gilt für alle drei Stufen des Bildungssystems der Versicherungswirtschaft. Eine ganz besondere Bedeutung hat dieses Problem i n der ersten Stufe, der Berufsausbildung der Auszubildenden. Eine planmäßige und wirkungsvolle betriebliche Ausbildung kann nur dann durchgeführt werden, wenn sie von gut vorgebildeten Ausbildern geplant, i n die tägliche Arbeit umgesetzt und kontrolliert wird. Da die Versicherungswirtschaft daran festhält, daß die Ausbildung i n einem Betrieb die Regelform der Einführung des Berufsanfängers i n das Berufsfeld Versicherung bleiben soll, ist es folgerichtig, daß sie sich sehr u m die Ausbildung der Ausbilder kümmert. Sie hat dies schon getan, bevor durch das Berufsbildungsgesetz und die Ausbildereignungsverordnung Vorschriften erlassen worden sind, und sie hat ihre Bemühungen seitdem noch verstärkt. Das B W V hat zu diesem Fragenkreis eine Reihe von Tagungen veranstaltet und die Tagungsberichte i n Buchform veröffentlicht 1 0 3 . Diese Veranstaltungen haben der allgemeinen Meinungsbildung gedient. „Gegenwärtig werden die rund 8 000 Auszubildenden von 3 000 Ausbildern m i t der gesetzlich vorgeschriebenen Qualifikation und weiteren 5 000 Ausbildungsgehilfen betreut 1 0 4 ." U m den i n den Betrieben tätigen Ausbildern konkret zu helfen, hat das B W V eine Kommission von 13 Fachleuten damit beauftragt, ein „Handbuch für den Ausbilder in der Versicherungswirtschaft" zu erarbeiten 1 0 5 . Nach einer ausführlichen Einführung i n den Aufgabenkreis eines Ausbilders werden i n den 4 Hauptteilen Grundfragen der Berufsbildung, Planung und Durchführung der Berufsausbildung, der Jugendliche i n der Berufsausbildung und Rechtsgrundlagen der Berufsausbildung alle Probleme behandelt, die einem Ausbilder begegnen können. A m Ende jedes Hauptteiles befindet sich ein Blatt m i t Testaufgaben, durch deren Lösung der Leser kontrollieren kann, ob er den Stoff erlernt und richtig verstanden hat. w* Siehe z.B. Das Lernen Lehren, Ausbildung der Ausbilder, Karlsruhe 1970. Darin ein Beitrag des Verfassers über „Die pädagogische Ausbildung der Ausbilder", S. 49 - 65. Ein Wegweiser . . . , S. 16. los Hrsg. vom BWV, Karlsruhe 1975, 445 S.
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
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Das Handbuch ist ein Nachschlagewerk, das ein Ausbilder bei schwierigen Fällen benutzen kann, und zugleich eine Stoffsammlung, aus der ersichtlich ist, welche Kenntnisse ein Ausbilder besitzen muß. Das B W V veranstaltet außerdem Ausbilderseminare, um die Betriebe m i t solchen Fachkräften zu versorgen. Damit diese Seminare einheitlich gestaltet werden, ist auch dafür ein umfangreiches Werk erarbeitet worden. Sein Titel lautet: „Ausbildung der Ausbilder i n der Versicherungswirtschaft, Leitfaden für die Ausbilderseminare der Deutschen Versicherungs-Akademien (DVA) 1 0 6 ." Die darin beschriebene Gestaltung eines Ausbilderseminars soll als Modell für alle Veranstaltungen dieser A r t i n der Bundesrepublik dienen. Auf diese Weise w i r d erreicht, daß die Ausbildung der Ausbilder i n der Versicherungswirtschaft überall einheitlich durchgeführt wird. Aus allen über das B W V gemachten Angaben geht hervor, daß diese Einrichtung grundsätzlich nicht eine selbständige Bildungsinstitution neben den Versicherungsbetrieben, sondern ein Hilfsorgan ist, das den Betrieben ihre Arbeit erleichtern soll. Soweit das B W V zur Vorbereitung auf die Fachwirt- oder Betriebswirtprüfung Bildungsmaßnahmen durchführt, t u t es dies i m Auftrage der Betriebe. Ob das B W V Erfolg hat oder nicht, ist letztlich danach zu beurteilen, ob durch seine Tätigkeit die Bildungspolitik der Betriebe Impulse erhält, die die Klarheit der Zielsetzungen fördern und die Intensität der Bildungsarbeit erhöhen. Es wäre ein Irrtum, wenn man meinen würde, daß die Existenz des B W V eigene Bemühungen der Versicherungsbetriebe auf den Gebieten der Ausbildung und der Fortbildung überflüssig machen würde. Es ist i m Gegenteil so, daß zwischen den Betrieben und dem B W V eine Wechselwirkung besteht, die sowohl zu einer Intensivierung der A k t i vität der einzelnen Betriebe als auch zu einer Intensivierung der gemeinsamen Bildungsarbeit des ganzen Wirtschaftszweiges führt. Als ein Beispiel für die A r t und Weise, wie die Versicherungsunternehmen ihre Bildungsaufgabe sehen und wie sie demgemäß ihre betriebspädagogische Arbeit gestalten, w i r d i m folgenden kurz auf das i n dem Allianz-Konzern gültige Grundsatzdokument hingewiesen. Es ist von der Abteilung Zentrales Bildungswesen der Generaldirektion ausgearbeitet worden und trägt den Titel: „Allianz-Bildungskonzeption, Teil 1 : Ziele und Grundsätze der Ausbildung zum Versicherungskaufmann bei der Allianz 1 0 7 ." A u f den ersten Seiten dieses Dokumentes w i r d ausgesprochen, daß die Bildungsarbeit der Allianz sowohl eine privatwirtschaftliche als auch eine gesellschaftliche Funktion hat. Es w i r d gesagt: „Als führendes Unternehmen der Versicherungswirtschaft fühlt 106 Hrsg. vom BWV, München 1973, 145 S. 107 Internes Material der Allianz Versicherungs-AG.
192
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
sich die Allianz verpflichtet, kaufmännischen Nachwuchs auszubilden, womöglich auch über den eigenen Bedarf hinaus. Sie trägt damit zur Leistungsfähigkeit der Versicherungswirtschaft allgemein und zur verbesserten beruflichen Bildung überhaupt bei. — M i t der Erstausbildung zum Versicherungskaufmann nimmt die Allianz Aufgaben gegenüber dem eigenen Betrieb wie der Allgemeinheit wahr. Sie hat somit auch eine gesellschaftliche Wirkung. — Es gilt das Prinzip einer betriebsund praxisbezogenen Ausbildung. Sie darf nicht von Notwendigkeiten des Augenblicks bestimmt werden, sondern muß nach pädagogischen Grundsätzen und den vorgegebenen Zielen verlaufen." I m Zusammenhang m i t den früheren Ausführungen über das B W V interessiert hier besonders Ziffer 14, Förderung und Entwicklung nach der Ausbildung. Es w i r d darin die Notwendigkeit der „systematischen berufsbezogenen Weiterbildung" betont, die i n den zwei Formen der innerbetrieblichen und der außerbetrieblichen Weiterbildung durchgeführt wird. Z u der zweiten w i r d gesagt: „Durch die örtlichen Verbindungsstellen des B W V besteht an den Geschäftssitzen unserer Betriebs« und Verwaltungsgemeinschaften ausreichend Gelegenheit, versicherungsfachliche Weiterbildung anzustreben. I m Vordergrund stehen dabei die Studien zum Versicherungsfachwirt sowie zum Versicherungsbetriebswirt. — Allen Mitarbeitern, die von einer dieser Weiterbildungsmöglichkeiten Gebrauch machen, erstattet die Firma nach erfolgreichem Abschluß die Studien- und Prüfungsgebühren ganz oder teilweise." Dieser Text zeigt die A r t und Weise, wie bei der Weiterbildung die Maßnahmen der einzelnen Unternehmung und die überbetrieblichen Maßnahmen des B W V aufeinander abgestimmt sind. Aus der Sicht der Personalleitungen der Betriebe ist die Tätigkeit des B W V ein Teil des Instrumentariums, m i t dem die personelle Infrastruktur eines Betriebes planmäßig gestaltet werden kann. Aus den Zielen und Aufgaben der Betriebspolitik ergeben sich die Ziele und Aufgaben der Personalpolitik. Daraus werden die Ziele und Aufgaben der Bildungspolitik abgeleitet. Bei deren Realisierung ist zu unterscheiden zwischen den innerbetrieblichen und den außerbetrieblichen Maßnahmen. Für den außerbetrieblichen Teil der betrieblichen Bildungspolitik hat sich die Versicherungswirtschaft i n dem B W V ein besonderes Organ geschaffen. Das Beispiel der Allianz zeigt, daß diese Konzeption nicht nur eine theoretische Konstruktion ist, sondern i n der Praxis verwirklicht wird. Außerdem hat das B W V aber auch den Charakter einer Zentralstelle, die die Entwicklung der Berufsbildung i m Versicherungsbereich beobachtet und dafür sorgt, daß neue Tatbestände und Tendenzen frühzeitig erkannt werden; es ist das Forum für die berufspädagogische Meinungsbildung i n der Versicherungswirtschaft.
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
2. Das Bildungszentrum
des Bayerischen
193
Handels
Das Bildungszentrum des Bayerischen Handels w i r d getragen von dem Verein für Berufsförderung i m Handel e.V., der 1952 von den drei Verbänden des bayerischen Handels — den Landesverbänden des Bayerischen Einzelhandels, des Bayerischen Groß- und Außenhandels und der Handelsvertreter und Handelsmakler — gegründet worden ist. Dieser Verein ist eine Selbstverwaltungseinrichtung der kauf männischen Wirtschaft i n Bayern für die Zwecke der Berufsbildung. Sein erfolgreiches Wirken ist ein Beweis dafür, daß es möglich ist, auch für M i t t e l und Kleinbetriebe Bedingungen für deren Beteiligung an dem heutigen System der Berufsbildung zu schaffen. Es ist weithin der I r r t u m verbreitet, daß sowohl die Erstausbildung der Lehrlinge als auch die Weiterbildung der Erwachsenen Formen angenommen hätten, die bewirken, daß der kleinere Betrieb aus der Teilnahme an der Nachwuchsbildung ausgeschlossen werde. Es soll nicht bestritten werden, daß diese Meinung eine gewisse Berechtigung hat, da manche Vorschriften übersteigert sind. Trotzdem ist diese Auffassung i m ganzen falsch, w e i l sie verkennt, daß jede neue Lage eine Herausforderung an die Intelligenz und die Tatkraft der Betroffenen ist und daß es daher die Sache des mittelständischen Handels ist, auf diese Situation m i t Maßnahmen zu reagieren, die seine Wettbewerbsfähigkeit auf dem Gebiete der Berufsbildung sichern. Da der persönliche Kontakt zwischen dem Inhaber und seinen Mitarbeitern und unter diesen i m Hegelfall enger als i n einem Großbetrieb ist und da der Betrieb für alle i n i h m Tätigen überschaubar ist, sind ohnehin i n vieler Hinsicht bessere Bildungsbedingungen als i n einem großen Unternehmen vorhanden. A u f der anderen Seite muß allerdings auch gesehen werden, daß ein kleiner Betrieb für seine Lehrlinge und Angestellten kein eigenes Bildungsprogramm organisieren kann. Es kommt daher darauf an, ein System zu entwickeln, bei dem die Vorzüge des mittleren Betriebes erhalten bleiben und dessen Nachteile durch zweckentsprechende Maßnahmen ausgeglichen werden. Einen solchen Weg ist die kaufmännische Wirtschaft i n Bayern m i t dem Aufbau des Bildungszentrums des Bayerischen Handels gegangen. Dieses Zentrum befindet sich i n einem Haus, das neben den erforderlichen Verwaltungsräumen die notwendigen größeren und kleineren Räume für die Durchführung von Lehrgängen enthält. Außer dieser Münchner Zentrale besitzt der Verein für Berufsförderung i m Handel seit 1960 ein gleichartiges Haus i n Nürnberg für die Arbeit i m nordbayerischen Raum. Die Tätigkeit des Münchener Bildungszentrums w i r d ersichtlich aus dem Inhaltsverzeichnis seines Arbeitsprogramms i m ersten Halbjahr 1976 108 . 108
Material des Bildungszentrums.
13 Abraham
194
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Tabelle 46 Das Arbeitsprogramm des Münchener Bildungszentrums des Bayerischen Handels für das 1. Halbjahr 1976 INHALTSVERZEICHNIS Seite 1. Lehrgänge für alle Handelsstufen Handelsfachwirt Ausbildung der Ausbilder Ausbildung der Ausbilder Seminarteü2
3 7 11
2. Lehrgänge für Auszubildende Semesterlehrgang Vorbereitung auf die Prüfung — Abendlehrgang — Vorbereitung auf die Prüfung — Ferienlehrgang — Verkaufstraining für Auszubüdende
13 15 21 24
3. Seminare für Unternehmer des Einzelhandels Steigende Personalkosten gefährden den Unternehmenserfolg — wie kann man ihnen begegnen? Wirksam werben ohne Anzeigen
26 27
4. Seminare für Unternehmer des Großhandels Wege zur Kostensenkung Planung — Grundlagen und Anwendungsmöglichkeiten für den Betrieb
28 29
5. Seminare für Unternehmer und Führungskräfte des Groß- und Einzelhandels Verkäufer richtig führen und zum produktiven Mitarbeiter motivieren Verkaufspsychologie für Führungskräfte Die Korrektur der Gesprächstechnik Ihres Verkäufers Einstellung und Beurteüung Der Betriebsprüfer kommt Praxis des Personalwesens i m mittelständischen Handelsbetrieb Vermeidung von Inventurdifferenzen Verhandlungsführung i m Einkauf
30 31 33 35 36 37 38 39
6. Seminare für Verkaufskräfte des Groß- und Einzelhandels Video-Training Gesprächstechnik — ein Instrument des erfolgreichen Verkäufers Modernes Verkaufen
40 41 42
7. Lehrgänge i m Fachbereich Textil Intensivtraining — Warenverkaufskunde
44
8. Lehrgänge i m Fachbereich Lebensmittel Sachkundelehrgang
46
9. Verschiedene Lehrgänge für den Handel Steuerseminar für Praktiker Buchführung Dekorationslehrgänge Schrift & Gestaltung
47 48 50 54
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
195
Man sieht, daß das Bildungsprogramm für alle Stufen des beruflichen Lebensweges von dem Auszubildenden bis zu dem selbständigen Geschäftsinhaber gedacht ist und daß es gleichzeitig Antworten auf die aktuellen Fragen der kaufmännischen Wirtschaft zu geben versucht. Ob dieses Programm sachgerecht ist und Anklang findet oder ob es unrealistisch ist, das zeigt sich i n einer sehr eindrucksvollen Weise i n der Jahresabrechnung. I n der Gewinn- und Verlustrechnung für 1975 spielen die Zuschüsse der hinter dem Bildungszentrum stehenden Verbände nur eine untergeordnete Rolle. Das Bildungszentrum hat seine Ausgaben vielmehr weit überwiegend durch Einnahmen aus dem Lehrbetrieb erarbeitet. Dies ist möglich gewesen, w e i l die angebotenen Lehrgänge so stark besucht gewesen sind, daß die eingenommenen Gebühren für die Kostendeckung ausgereicht haben. Dies wäre nicht der Fall gewesen, wenn diese Veranstaltungen i n dem angesprochenen Personenkreis kein Interesse gefunden hätten. A u f der anderen Seite ergibt sich aus der dem Bildungszentrum gestellten Aufgabe aber auch die Verpflichtung, immer wieder i n das Programm neue Themen aufzunehmen, die zwar aktuell sind, von denen man aber nicht i m voraus wissen kann, ob sie einen größeren Interessentenkreis finden werden. Da m i t jedem Versuch dieser A r t ein finanzielles Risiko verbunden ist, setzen solche Entscheidungen eine genaue Vertrautheit m i t den B i l dungsbedürfnissen der Unternehmer und der Angestellten i n der kaufmännischen Wirtschaft voraus. Diese Praxisnähe ist die entscheidende Vorbedingung für den langfristigen Erfolg dieser Arbeit. Das i n Tabelle 46 wiedergegebene Veranstaltungsverzeichnis zeigt mehrere Schwerpunkte. Der erste ist der Kreis aller Fragen, die m i t der Erstausbildung der Auszubildenden zusammenhängen. Dabei sind zwei Arten von Veranstaltungen zu unterscheiden, nämlich solche, die für die Auszubildenden selbst bestimmt sind, und andere, bei denen es sich um die Ausbildung und die Weiterbildung der Ausbilder handelt. Eine besonders interessante Gruppe von Lehrgängen bilden diejenigen, welche für Angestellte gedacht sind, die bereits mehrere Jahre ohne vorherige Lehrzeit i n einem Betriebe tätig gewesen sind und nun i n Abend- oder Samstagskursen das Wissen erwerben wollen, das für das Bestehen einer Kaufmannsgehilfenprüfung notwendig ist. Durch diese Kurse w i r d solchen Angestellten die Möglichkeit verschafft, einen Gehilfenbrief und damit diese für sie wichtige Berufsqualifikation zu erlangen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Lehrgänge zur Erreichung der zweiten Bildungsstufe, nämlich des Handelsfachwirts. Sie bereiten auf die von der Industrie- und Handelskammer veranstalteten Prüfungen vor. Es sind dies entweder 4 Monate dauernde Vollzeitlehrgänge m i t einer täglichen Unterrichtszeit von 8.15 -14.10 Uhr oder entsprechend längere Abend- oder Samstagslehrgänge. Man kann die Tat13*
196
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
sache, daß das Veranstaltungsverzeichnis m i t den Handelsfachwirtkursen beginnt, als einen Hinweis darauf ansehen, daß man i n dem Bildungszentrum auf diesen Teil der kaufmännischen Berufsbildung ganz besonderen Wert legt 1 0 9 . Durch die Schaffung der Handelsfachwirtprüfung hat die Weiterbildung der jungen Kaufleute nach der Gehilfenprüfung feste Formen m i t einem öffentlich anerkannten A b schluß erhalten; es ist eine deutliche Parallele zu der bereits besprochenen Versicherungsfachwirtprüfung vorhanden. Die Arbeit des Berufsbildungszentrums w i r d durch eine das ganze Berufsleben überschauende Bildungskonzeption bestimmt, und man ist bemüht, dem Nachwuchs einen geordneten und gangbaren Aufstiegsweg zu erschließen. Dessen Stufen sind die Kaufmannsgehilfenprüfung nach der Lehrzeit und die Handelsfachwirtprüfung nach mehreren Jahren praktischer Tätigkeit und einer systematischen Weiterbildung. Während i n der Versicherungswirtschaft auf die Stufe des Fachwirts diejenige des Betriebswirts folgt, so daß das Gesamtsystem dreistufig ist, ist i m Handel eine solche dritte Stufe noch nicht vorhanden. Es sind aber Bestrebungen i m Gange, einen Handelsbetriebswirt zu schaffen, und es ist wahrscheinlich, daß es dazu kommen wird. Vorläufig ist der etwa 25 - 30 Jahre alte kaufmännische Angestellte darauf angewiesen, seine Weiterbildung nach eigenem Ermessen zu planen und durchzuführen. Man darf aber nicht übersehen, daß ein wichtiger Unterschied zwischen der Industrie, dem Bankwesen und dem Versicherungswesen auf der einen Seite und dem Handel auf der anderen darin besteht, daß es i n der kaufmännischen Wirtschaft immer noch möglich ist, daß sich ein Angestellter selbständig macht und ein Unternehmer wird. Es sollen hier keine Überlegungen darüber angestellt werden, inwieweit ein solcher Unternehmer tatsächlich i n seinen ökonomischen Entscheidungen frei ist und ob sein persönlicher Freiheitsraum enger oder weiter als derjenige eines leitenden Angestellten i n einem Großbetrieb der anderen genannten Wirtschaftszweige ist. Es bleibt auf jeden Fall die Tatsache bestehen, daß es für die intelligenten und willensstarken Nachwuchskräfte des Handels ein durchaus realistisches Ziel ist, Inhaber eines eigenen Geschäftes zu werden. Es ist eine sehr wichtige Aufgabe des Bildungszentrums, ihnen dabei zu helfen. Daher enthält das Veranstaltungsprogramm relativ viele Seminare für Unternehmer und Führungskräfte, die als Abendkurse oder Wochenendveranstaltungen durchgeführt werden. Hier berühren sich die Bildungspolitik und die Politik zur Förderung des Mittelstandes, und man kann sagen, daß die gesamte Arbeit des Bildungszentrums i n dem Dienst einer solchen Mittelstandspolitik steht. io® Siehe dazu K. W. Mauer und M. Probst, Der Handelsfachwirt, in Die Deutsche Berufs- u. Fachschule, 1975, 4, S. 279 - 289.
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
197
Schließlich enthält das Bildungsprogramm i n den Teilen 6 - 9 Speziallehrgänge. Diese Kursen entsprechen Wünschen, die von der Praxis geäußert worden sind. Es kann dabei durchaus sein, daß i n einem anderen Jahr manche der bisher angebotenen Lehrgänge weggelassen und durch andere ersetzt werden, weil sich die Bildungswünsche geändert haben. Während bei den Kursen zur Vorbereitung auf die Gehilfenprüfung oder auf die Fachwirtprüfung eine Bindung an die amtlichen Ausbildungsordnungen besteht, kann das Bildungszentrum die sonstigen Veranstaltungen nach eigenem Ermessen gestalten. Diese Flexibilität ist bei den Seminaren und Lehrgängen der Ziffern 6 - 9 besonders groß. Der Erfolg der von dem Bildungszentrum geleisteten Arbeit w i r d aus der folgenden Lehrgangsstatistik für das Jahr 1975 m i t den Vergleichszahlen für 1972, 1973 und 1974 ersichtlich 110 . Tabelle 47 Lehrgangsstatistik 1975 des Bildungszentrums des Bayerischen Handels 1. G l i e d e r u n g
nach
Sachgebieten Jahr
Veranst.
Teilnehmer
Auszubildende und Ausbildung auf dem 2. Bildungsweg
1972 1973 1974 1975
39 49 76 104
957 1428 2 228 2 874
Betriebsführung, Betriebswirtschaft
1972 1973 1974 1975
31 43 64 84
781 1004 1376 1744
Verkaufskunde
1972 1973 1974 1975
13 24 33 35
270 488 664 621
Warenkunde in Verbindung mit Verkaufskunde
1972 1973 1974 1975
6 11 10 5
154 189 213 88
Werbung und Dekoration
1972 1973 1974 1975
21 18 13 21
234 244 157 292
110
Internes Material des Bildungszentrums.
198
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Jahr Personalwesen, Ausbildung d. Ausbilder
Gesamt:
2. G l i e d e r u n g
Veranst.
Teilnehmer
1972 1973 1974 1975
14 23 26 22
286 523 634 398
1972 1973 1974 1975
124 168 222 271
2 682 3 876 5 272 6 017
nach Teilnehmergruppen Jahr
Veranst.
Teilnehmer
Angestellte
1972 1973 1974 1975
71 86 109 120
1450 1775 2 296 2 316
Auszubildende und Ausbildung auf dem 2. Bildungsweg
1972 1973 1974 1975
33 49 76 104
831 1428 2 228 2 883
Unternehmer und Führungskräfte
1972 1973 1974 1975
17 33 37 47
351 673 748 818
Vorträge
1972
3
50
1972 1973 1974 1975
124 168 222 271
2 682 3 876 5 272 6 017
Gesamt:
Wenn man den Teil 1, Gliederung nach Sachgebieten, kritisch betrachtet, dann fällt auf, daß die meisten Veranstaltungen und die höchsten Teilnehmerzahlen bei der Lehrlingsarbeit vorhanden sind. Dort hat die Zunahme von 1972 bis 1975 eine Steigerung auf rund das Dreifache der Ausgangswerte betragen. Das Bildungszentrum hat offensichtlich immer mehr die Funktionen einer überbetrieblichen Unterweisungsstätte übernommen, die Auszubildenden Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, die nicht mehr i n allen kleineren Betrieben Inhalte der Ausbildung sein können. Ebenso ist bei dem Abschnitt Betriebsführung und Betriebswirtschaft eine erhebliche Vergrößerung der Zahlen der Veranstaltungen und der Teilnehmer erfolgt. Dies bedeutet, daß
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
199
es gelungen ist, den Inhabern und Führungskräften von Handelsbetrieben die Gedanken der modernen Betriebswirtschaftslehre nahe zu bringen. Dieses Bestreben stößt zunächst manchmal auf eine Ablehnung, weil die Ansicht vertreten wird, betriebswirtschaftliche Denkweisen könnten zwar i n Industriebetrieben, i n Banken und i n anderen großen Unternehmungen von Nutzen sein, nicht aber i n einem mittleren Handelsbetrieb. Diese Auffassung ist deswegen besonders gefährlich, w e i l sie die mittelständischen Betriebe daran hindert, die Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre für ihre Zwecke auszunutzen. Es kommt daher darauf an, den Inhabern solcher Betriebe durch praktische Beispiele zu zeigen, daß sie ihre Wettbewerbsfähigkeit dadurch stärken können, daß sie betriebswirtschaftliche Einsichten bei der Organisation ihrer Unternehmen und bei der Durchführung der täglichen Geschäfte benutzen. Neben diesen beiden Hauptbereichen sind die Abschnitte Verkaufskunde, Warenkunde und Werbung als eine Einheit zu sehen, bei der die Ware i m Mittelpunkt steht. Der Handel unterscheidet sich von anderen Wirtschaftszweigen dadurch, daß i n ihm stets von der Ware aus gedacht wird. Der Einkauf, die Lagerung und Pflege und der Verkauf der Ware sind für den Geschäftserfolg entscheidend, und es hängt wesentlich von dem Niveau des Wissens und Könnens i n diesem Bereich ab, ob der mittelständische Handel gegenüber den Einzelhandelsgroßbetrieben konkurrenzfähig bleibt. Die waren- und verkaufskundliche Schulung ist daher eine wichtige Aufgabe des Bildungszentrums. Wenn man diese drei Teilabschnitte gesondert betrachtet, dann ist vor allem bei der Verkaufskunde eine Steigerung vorhanden. Dagegen zeigen Warenkunde und Werbung i n den vier Berichtsjahren Schwankungen i n den Zahlen der Veranstaltungen und der Teilnehmer. Es ist ohne Einzelinformationen nicht möglich, etwas über die Gründe zu sagen. Wahrscheinlich liegen sie zum Teil darin, daß die fertig abgepackte und beschriftete Ware heute i n vielen Branchen des Einzelhandels der Regelfall ist und daß die Dekoration und sonstige Werbung immer mehr Spezialfirmen übertragen wird. Es besteht aber trotzdem ein erheblicher Bedarf an Lehrgängen auf diesen Gebieten. Das letzte Sachgebiet bildet der Abschnitt Personalwesen, Ausbildung der Ausbilder. Es ist bemerkenswert, daß die Leitung des Bildungszentrums die Einrichtung dieses besonderen Teiles der Statistik als zweckmäßig angesehen hat, denn man könnte das, was er enthält, auch i n dem Sachgebiet Betriebsführung unterbringen. Daß man dies nicht getan hat, ist ein Anzeichen dafür, daß es sich hier u m Probleme handelt, die eine besondere Beachtung verdienen. Dies gilt vor allem von dem Bereich Ausbildung der Ausbilder. Der mittelständische Handel wehrt sich m i t Recht gegen die Tendenz, die Ausbildung des Nach-
200
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Wuchses immer mehr i n die Großbetriebe zu verlagern. Damit seine Bemühungen Erfolg haben, muß er dafür sorgen, daß die Berufsausbildung i n einem kleineren Betrieb nicht schlechter als i n einem Großbetrieb ist, wenn sie auch anders sein muß. Die Lösung dieses Problems ist i n erster Linie eine Personenfrage. Es kommt darauf an, für den Handel eine Ausbildung der Ausbilder zu organisieren, die qualitativ ebenso gut wie die Ausbildung solcher Fachkräfte für die anderen Wirtschaftszweige ist, die aber auf die besonderen Bedingungen i n den mittleren und kleineren Handelsbetrieben abgestellt ist. Es ist selbstverständlich, daß das Bildungszentrum des Handels diese Aufgabe übernehmen mußte. Die Ausweitung auf den ganzen Bereich des Personalwesens ergibt sich dabei von selbst. Man kann die Bedeutung dieser Arbeit nicht allein an den Zahlen der Veranstaltungen und der Teilnehmer messen. Wichtig ist vielmehr, daß diese Beschäftigung m i t den Fragen der Personalpolitik des Handels als eine besonders dringliche Angelegenheit angesehen und daher m i t Nachdruck gefördert wird. Der Teil 2 der Lehrgangsstatistik enthält die Aufteilung nach Teilnehmergruppen. Sie bestätigt, daß die Arbeit des Bildungszentrums besonders den Auszubildenden gegolten hat. Der Besuch der Lehrgänge durch Angestellte hat ebenfalls erheblich zugenommen. Besonders interessant ist aber die Entwicklung der Gruppe Unternehmer und Führungskräfte. Es ist selbstverständlich, daß bei ihr die absoluten Zahlen kleiner als bei den beiden anderen Gruppen sind. Wenn man aber bedenkt, wie schwer es ist, selbständige Kaufleute und Angestellte i n Spitzenpositionen zu der Teilnahme an Lehrgängen zu veranlassen, ist die Steigerung der Beteiligung von 1972 bis 1975 ein ganz besonderer Erfolg. Es ist offensichtlich gelungen, die Probleme dieser Gruppe zu erkennen und außerdem die methodische Durchführung der Seminare so zu gestalten, daß sie dem Lebensalter und der Berufserfahrung dieses Personenkreises entsprochen haben. Wenn B i l dungsinstitutionen sehr viel Jugendarbeit betreiben, dann besteht die Gefahr, daß ihre Fachkräfte zwar Übung i m Umgang m i t Jugendlichen erworben haben, daß sie aber gerade deswegen nicht mehr dazu fähig sind, sich auf ältere Menschen einzustellen. Man muß es daher als eine große Leistung anerkennen, daß das Bildungszentrum sowohl den Jugendlichen als auch den Erwachsenen gerecht zu werden vermag. Ein schwieriges personalpolitisches Problem ist für den Handel dadurch entstanden, daß die an die Stelle der Volksschule getretene Hauptschule kaum noch Abgänger entläßt, die die gleiche Qualität haben wie die meisten der früheren Volksschüler. A u f die Gründe dieses Absinkens des Niveaus der Hauptschule kann hier nicht eingegangen werden. Unter den dadurch bewirkten Schwierigkeiten leidet besonders der Einzelhandel. Er steht vor der Frage, auf welche Schulart als die
I I I . Betriebspädagogisches Material einiger Wirtschaftszweige
201
Hauptquelle seines Nachwuchses er sich einstellen soll. Es liegt nahe, dabei besonders an die Realschule zu denken; doch ist diese Entscheidung schwieriger, als sie zunächst zu sein scheint. Ob sich aus diesem Komplex eines Tages für das Bildungszentrum des Handels die Notwendigkeit der Einrichtung neuartiger Lehrgänge ergeben wird, kann heute noch nicht beurteilt werden. Diese Institution hat aber auf jeden Fall die Funktion eines Diskussionszentrums, wo die möglichen Lösungen erörtert werden können. Sie erfüllt damit eine zweite Aufgabe neben der Veranstaltung von Kursen und Seminaren 111 . Ein weiteres aktuelles Problem ist die Frage, ob der Überschuß an Abiturienten von dem Handel dazu benutzt werden kann, mehr A b i t u rienten als bisher für die Tätigkeit in mittelständischen Handelsbetrieben zu gewinnen. Da die Universitäten i n absehbarer Zeit nicht alle jungen Leute aufnehmen können, die die Hochschulreife erworben haben, müssen viele von ihnen Existenzmöglichkeiten i n Tätigkeiten suchen, die nicht ihren ursprünglichen Berufswünschen entsprechen. Es ist daher die Frage, ob es möglich ist, diesen zunächst als negativ empfundenen Tatbestand i n das Positive zu wenden und diesen A b i t u rienten echte Berufsaussichten i m Handel zu erschließen. Wenn dies gelingt, dann ist beiden Seiten geholfen, nämlich einerseits diesen Abiturienten, denen ein neuer Lebensinhalt geboten wird, und andererseits dem Handel, der gut qualifizierte Nachwuchskräfte gewinnt. Hier liegt daher eine Aufgabe vor, die es wert ist, intensiv erörtert zu werden 1 1 2 . Auch dafür ist das Bildungszentrum des Bayerischen Handels eine geeignete Stelle. I m Rahmen dieser Untersuchung interessieren nicht allein die konkreten Ergebnisse, zu denen man bei solchen Überlegungen gekommen ist. Hier ist vielmehr besonders die Tatsache wichtig, daß der bayerische Handel ein Zentrum aufgebaut hat, wo die für i h n wichtigen Bildungsfragen analysiert und für die Diskussion aufbereitet werden. Er hat damit ein Beispiel dafür gegeben, daß auch die mittelständische Wirtschaft dazu fähig ist, sich den für eine eigenständige Bildungspolitik erforderlichen Unterbau zu schaffen. Dies ist ein Tatbestand, der nicht übersehen werden darf, wenn von dem Bildungswesen der Wirtschaft die Rede ist.
111 Siehe dazu: Mauer, Arnu Erwachsenenbildung i m Handel, Handels, München 1976. 112 Siehe dazu K a r l Wilhelm dungsweges für Abiturienten im S. 199 - 203.
und Rosenkranz, Probleme der beruf liehen hrsg. v. Bildungszentrum des Bayerischen Mauer, Modell eines berufsintegrierten BilHandel, Wirtschaft und Erziehung, 1974, 7,
202
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
I V . Material von Industrie- und Handelskammern 1. Material
des Deutschen Industrie-
und Handelstages
Das Bildungswesen der Wirtschaft funktioniert deswegen gut, weil hinter i h m die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern stehen. Sie üben ordnende und kontrollierende Funktionen aus, unterhalten selbst zahlreiche Bildungseinrichtungen und sind die Träger eines umfangreichen Prüfungswesens. Die folgenden Überlegungen werden sich auf die Gebiete der industriellen und der kaufmännischen Wirtschaft und damit auf die Tätigkeit der Industrie- und Handelskammern beschränken. Es gibt i n der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig 73 Industrieund Handelskammern, deren Dachverband der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) ist. Dessen Berufsbildungsstatistik gibt eine gute Vorstellung von dem Bildungswesen der Wirtschaft. Die folgende Tabelle 48 vermittelt zunächst einen Überblick über das Gesamtsystem 113 . Die interessanteste Zahl i n der Tabelle 48 ist diejenige der Mitglieder der Prüfungsausschüsse. Es gibt kein anderes Bildungswesen i n Deutschland, das so wie dasjenige der Wirtschaft auf der freiwilligen Mitarbeit einer großen Zahl von Menschen beruht, die alle an sich voll durch ihren Beruf i n Anspruch genommen werden. Z u der Zahl von fast 80 000 Mitgliedern der Prüfungsausschüsse der Industrie- und Handelskammern ist eine ebenso große Zahl i m handwerklichen Bereich hinzuzurechnen. Das Bildungswesen der Wirtschaft besitzt m i t h i n rund 150 000 freiwillige Mitarbeiter, die sich dazu bereit gefunden haben, bei der Durchführung von praxisnahen Berufsprüfungen mitzuwirken. Dieses Verhalten von Betriebsinhabern, leitenden Angestellten, Meistern, anderen Fachkräften und von Lehrkräften der wirtschaftsberuflichen Schulen hat die Bedeutung einer Vertrauenserklärung der Praxis für das bestehende Berufsbildungssystem. Wer dieses System ändern w i l l , der muß sich vorher fragen, ob er i n der Lage sein wird, für ein anderes System ebenfalls eine so große Zahl von freiwilligen Helfern zu finden. Die Verstaatlichung des Bildungswesens der Wirtschaft würde m i t Sicherheit zur Folge haben, daß viele der jetzigen ehrenamtlichen Mitarbeiter nicht mehr die gleiche innere Verpflichtung zur M i t w i r k u n g wie bisher empfinden würden, denn heute sehen sie und ihre Firmen es als eine Ehrenpflicht an, ihre Industrie- und Handelskammer bei der Erledigung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Es ist außerdem das Folgende zu beachten. I n den Prüfungsausschüssen w i r d i m Regelfall vor der Entscheidung über die Bewertung von Prüfungs113 Berufsbildung 1975/76, Band 156, hrsg. vom D I H T , Bonn 1976, S. 54.
IV. Material von Industrie- und Handelskammern
203
Tabelle 48 Berufsausbildungsstatistik 1974/75 des D I H T
Industrie- und Handelskammern Betriebe darunter im Handelsregister eingetragen Ausbilder (§ 21 BBiG) Ausbilder bzw. selbst Ausbildende darunter nach AEVO qualifiziert Teilnehmer an Ausbildereignungsprüfungen Sonstige Nachweise nach AEVO (§§ 6 - 7 )
1974
1975
73 1 620 000 484 000
73 1 574 000 470 000
252 000 25 800 59 000
247 200 156 200 14 300 32 500
Ausbildungsbetriebe (§ 22 BBiG) Ausbildungsbetriebe insgesamt darunter — für kaufmännische Berufe — für gewerbliche Berufe — für beide Gruppen
136 000
135 000
104 000 21 000 11000
104 000 20 600 10 400
Ausbildungsverträge (§ 31 BBiG) Ausbildungsverträge insgesamt — darunter in kaufmännischen Berufen — darunter in gewerblichen Berufen — darunter mit männlichen Jugendlichen — darunter mit weiblichen Jugendlichen Ausbildungsanfänger
665 000 387 000 277 000 398 000 266 000 202 700
634 000 366 000 268 000 384 000 250 000 208 100
305 000
316 000
197 000 108 000 267 000 24 500 14 000 16 800 76 900
203 100 113 500 275 500 21 300 23 400 17 300 78 400
Abschlußprüfungen (§§ 34 ff. BBiG) Prüfungsteilnehmer insgesamt darunter — kaufmännische Abschlußprüfungen — gewerbliche Abschlußprüfungen — bestanden — vorzeitig zugelassen (§ 40 Abs. 1) — Externe und Rehabilitanden Prüfungsausschüsse insgesamt Zahl der Mitglieder insgesamt Schlichtungsverfahren (§ 102 BBiG) Abgeschlossene Schlichtungsverfahren
560
l e i s t u n g e n d a r ü b e r d i s k u t i e r t , ob schlechte Ergebnisse a u f besondere V e r h ä l t n i s s e i n d e n A u s b i l d u n g s b e t r i e b e n oder i n d e n B e r u f s schulen z u r ü c k z u f ü h r e n sind. I n solchen G r e n z f ä l l e n w i r d d i e K a m m e r gebeten, die Ursachen zu k l ä r e n u n d e v t l . F o l g e r u n g e n z u ziehen. Sie e r h ä l t a u f diese Weise l a u f e n d I n f o r m a t i o n e n ü b e r d i e A u s b i l d u n g s v e r h ä l t n i s s e , ohne daß zusätzliche B e r a t u n g s g r e m i e n e r f o r d e r l i c h s i n d . W e n n d i e M i t a r b e i t d e r P r a k t i k e r w e g f a l l e n w ü r d e , d a n n w ü r d e dies d i e W i r k l i c h k e i t s n ä h e der B e r u f s p r ü f u n g e n sehr v e r r i n g e r n .
204
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Der Umfang und die A r t der Arbeit der Kammern w i r d außerdem durch die Zahlen des Abschnittes Ausbildungsverträge gekennzeichnet. Ehe die 208 100 Berufsanfänger des Jahres 1975 i n die von den Kammern geführten Verzeichnisse der Berufsausbildungsverträge eingetragen werden konnten, mußten i n jedem Einzelfall mehrere Arbeitsgänge erledigt werden, ζ. B. die Uberprüfung, ob die einstellende Firma einen neuen Auszubildenden annehmen durfte und ob die eingereichten Ausbildungsverträge i n Ordnung sind. Die Gesamtzahl von 634 000 bestehenden Ausbildungsverträgen i m Jahr 1975 gibt an, wieviel Ausbildungsverhältnisse von den Kammern ständig zu beobachten sind. Diese Zahl macht deutlich, was es i n der Praxis bedeutet, daß die Kammern den ordnungsmäßigen Ablauf der Ausbildung kontrollieren sollen. Es ist zwar richtig, daß sie i n der Mehrzahl der Fälle nichts zu t u n brauchen. Das Problem besteht aber darin, die anderen Fälle herauszufinden, denn dazu sind zumindest systematisch durchgeführte Stichproben erforderlich. Die Abstellung der gefundenen Mißstände ist oft deswegen schwierig, w e i l darauf geachtet werden muß, daß die Lage der betroffenen Jugendlichen durch das Eingreifen der Kammer nicht noch verschlechtert wird. Die Regelung solcher Fälle beansprucht daher häufig viel Zeit und Kraft. Eine weitere aufschlußreiche Zahl ist diejenige der Abschlußprüfungen. Die Verteilung der 316 000 Prüfungsteilnehmer (1975) auf die 17 300 Prüfungsausschüsse und die Organisierung des technischen Ablaufes der Prüfungen durch die Bildungsabteilungen der 73 Kammern ist Jahr für Jahr eine große Leistung. Nicht i n statistischen Zahlen erfaßbar ist aber die Arbeit der Erstellung der Prüfungsaufgaben, denn für jeden i n einem Prüfungstermin vorkommenden Ausbildungsberuf müssen besondere Aufgaben von dafür eingesetzten Ausschüssen ausgearbeitet werden. Dies kann an sich jede Kammer für sich tun, da jede juristisch selbständig ist. I n der Praxis hat es sich aber eingebürgert, daß die zu einer Region gehörenden Kammern dabei zusammen arbeiten; trotzdem ist auch dann die Arbeitsbelastung für jede einzelne Kammer sehr erheblich. Leider enthält die Tabelle 48 nur die Zahl der Abschlußprüfungen und nicht auch diejenige der Zwischenprüfungen, die durch § 42 B B i G vorgeschrieben sind. Auch deren Durchführung ist Sache der Kammern. Es ist hier nicht der Ort, u m auf die Problematik der Zwischenprüfungen einzugehen; es ist ζ. B. eine offene Frage, ob ihre Durchführung i n der Form der programmierten Prüfung zweckmäßig oder sogar notwendig ist. A u f jeden Fall verursacht die Organisierung der Zwischenprüfungen eine erhebliche Belastung der Kammern. I n ihrem zweiten Abschnitt hat die Tabelle 48 einige Zahlenangaben für 1975 über die Ausbilder gemacht. Daraus ist ersichtlich, daß von den 247 200 i n der Ausbildung tätigen Personen bereits 156 200 die volle
I V . Material von Industrie- und Handelskammern
205
Qualifikation gemäß AEVO besaßen. Dies zeigt, daß die faktische Durchsetzung des Prinzips schon weitgehend realisiert war, wonach nur derjenige Ausbilder sein darf, dessen Qualifikation bestimmten berufspädagogischen Mindestansprüchen genügt. Dies beweist, daß die W i r t schaft dazu bereit ist, ihren Anteil an der Sicherung eines befriedigenden Durchschnittsniveaus der Berufsausbildung der Jugend zu leisten. Das geht auch aus den Zahlen der 1974 und 1975 abgelegten Ausbildereignungsprüfungen hervor. Wenn man die Zahl der geprüften Ausbilder (156 200) zu der Zahl der i n einem Ausbildungsverhältnis stehenden Jugendlichen (634 000) i n Beziehung setzt, dann ergibt sich ein Verhältnis von 1 :4. Dies ist eine gute Relation. Damit ist freilich nicht gesagt, daß sie i n jedem Betrieb so ist. Es gibt sicher noch zahlreiche Betriebe, i n denen sie weniger gut ist, wie aber auch andere, i n denen sie noch besser ist. Es ist aber für die Beurteilung der Gesamtlage wichtig, daß i m Durchschnitt bereits dieser Verhältniswert von 1 : 4 erreicht ist. Es ist für die Arbeit der Industrie- und Handelskammern ferner wichtig, daß die amtlich anerkannten Ausbildungsberufe zahlenmäßig sehr verschieden stark besetzt sind. Unter den 38 kaufmännischen Ausbildungsberufen gab es 1975 7 m i t weniger als 100 Auszubildenden i m ganzen Bundesgebiet 114 . Dagegen hatten andere sehr hohe Ziffern. Darüber gibt die Tabelle 49 Auskunft 1 1 5 . Tabelle 49 Die zehn zahlenmäßig am stärksten besetzten kaufmännischen Ausbildungsberufe
Verkäufer(in) Industriekaufmann (AO vom 10. 5.1973) Kfm. i m Groß- u. Außenhandel (AO vom 10. 5.1973) Bürokaufmann Bankkaufmann (AO vom 10. 5.1973) Einzelhandelskaufmann Bürogehilfin Koch Speditionskaufmann Versicherungskaufmann (AO vom 10.5.1973)
Gesamtzahl der kaufm. Auszubildenden
" 4 Desgl. S. 78 u. 79. Desgl. S. 58.
1974
1975
71 556 62 035 48 868 42 887 43 640 30 605 16124 13 363 9 245 9 482
69 614 54 013 44 189 43 495 38 148 31576 14 679 14 252 8 719 7 971
347 805
326 656
387 208
366 427
206
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Bei den industriellen und den handwerklichen Ausbildungsberufen ist es ebenfalls so, daß es neben sehr schwach besetzten Berufen auch solche m i t sehr großen Zahlen gibt. Dies bewirkt, daß der Hauptarbeitsanfall bei den Kammern durch eine relativ kleine Zahl von Berufen verursacht wird. Es ergeben sich dabei mehrere Probleme. Es ist beispielsweise zu fragen, wie sich der zweijährige Ausbildungsberuf Verkäufer zu dem dreijährigen Ausbildungsberuf Einzelhandelskaufmann verhält und wie bei beiden die Gliederung i n Geschäftszweige bei den Prüfungen zu berücksichtigen ist. I n einer ähnlichen Weise gibt es eine Problematik des Verhältnisses zwischen den Berufen Industriekaufmann und Bürokaufmann und bei beiden wiederum die Frage der Berücksichtigung der Branchen i n den Prüfungen. Je mehr bei den Gehilfenprüfungen darauf Wert gelegt wird, daß sie praxisnah sind, u m so mehr zeigt sich die Notwendigkeit, bei den Berufen m i t großen Lehrlingszahlen eine Aufgliederung nach den Geschäftszweigen der Ausbildungsbetriebe vorzunehmen. Man würde die Tabelle 49 daher falsch bewerten, wenn man annehmen würde, daß eine Kammer für jeden der darin genannten zehn Ausbildungsberufe nur einen einzigen Satz von Prüfungsaufgaben und nur eine einzige Prüfungskommission vorzusehen brauche. Es hängt vielmehr von der Branchenzugehörigkeit der Prüflinge ab, wie differenziert die Prüfungen durchgeführt werden müssen. Ebenso kann die Tatsache, daß manche Ausbildungsberufe nur schwach besetzt sind, zu falschen Folgerungen führen. Es wäre eine allzu einfache Lösung, wenn man vorschlagen würde, alle Ausbildungsberufe zu streichen, bei denen die Zahl der Auszubildenden unter einer bestimmten Mindestzahl liegt, denn es kann sein, daß bei einem W i r t schaftszweig so spezielle Verhältnisse vorliegen, daß eine besondere A r t der Berufsausbildung für eine kleine Gruppe von Nachwuchskräften erforderlich ist. Dies ist noch deutlicher als bei den kaufmännischen Berufen bei den industriellen und den handwerklichen zu sehen. Es ist daher von Fall zu Fall zu prüfen, ob ein schwach besetzter Ausbildungsberuf bestehen bleiben soll. Es ist zwar aus vielen Gründen ein richtiges Prinzip, die Zahl der Ausbildungsberufe möglichst zu begrenzen; die Anwendung dieses Grundsatzes muß aber m i t viel Verständnis für die tatsächliche Beschaffenheit der heutigen Berufsstruktur durchgeführt werden. Die Industrie- und Handelskammern sind seit jeher nicht nur auf dem Gebiete des Lehrlingswesens tätig gewesen, sondern haben sich auch um die Regelung der nach der Gehilfen- oder Facharbeiterprüfung weiterführenden beruflichen Fortbildung bemüht. Sie haben auf der Basis des allgemeinen Kammerrechtes schon vor dem Erlaß des Berufsbildungsgesetzes Fortbildungsprüfungen durchgeführt. Durch § 46 Abs. 1 des B B i G von 1969 ist dieses Recht den Kammern ausdrücklich
IV. Material von Industrie- und Handelskammern
207
bestätigt worden. Sie haben von dieser Ermächtigung i n den letzten Jahren i n einem erheblichen Maße Gebrauch gemacht; i n früheren Ausführungen über den Versicherungsfachwirt und den Handelsfachwirt ist bereits davon gesprochen worden. Über die A r t und den Umfang dieser Fortbildungsprüfungen gibt die Tabelle 50 Auskunft 1 1 6 . Tabelle 50 Fortbildungsprüfungen der Industrie- und Handelskammern 1973 bis 1975 Prüfungen für
1973
1974
Bilanzbuchhalter Fachkräfte für Datenverarbeitung Fachwirte: Bankfachwirt Handelsfachwirt Industriefachwirt Versicherungsfachwirt Fremdsprachliche Fachkräfte Kostenrechner Maschinenschreiben Meister: Industriemeister Sonstige (Fach-)Meister Ausbildungs- (§ 77) und Lehrmeister Personalfachkaufmann Praktischer Betriebswirt Sekretärinnen Taucher Tauchermeisterprüfung Techniker Werkschutzpersonal Wirtschaftsassistent Sonstige Prüfungen
2 083 517
2 226 392
2 276 335
(1 341) (291)
552 358 47 530 3 314
1059 448 3 427 3 031
742 637 495 541 2 992 27 11427
(563) (500) (340) (416) (2 092) (26) (6 361)
4 509 977 1004 207 282 803 41 12 249 231 364 413
(4 051) (698) (716) (205) (235) (502) (41) (12) (244) (195) (283) (375)
28 564
(19 487)
—
—
8 930
9 486
4 671 815 693
4 524 1036 632 174 198 869 33 6 133
—
135 686 39 4 271 —
—
179
374
—
—
23 824
25 051
1975 (davon bestanden)
Bei der Durchsicht der beiden letzten Spalten der Tabelle 50 fällt auf, daß die Anteilssätze der bestandenen Prüfungen niedrig sind. Bei der Gesamtzahl der Prüfungen waren es 68 °/o (19 487 :28 564); bei den Prüfungen i n Kurzschrift und Maschinenschreiben aber nur 56 °/o (6 361 : 11 427) und bei den Bilanzbuchhalterprüfungen 59 °/o (1 341 : 2 276). Dabei handelt es sich bei diesen beiden Arten von Prüfungen u m Einrichtungen, die schon seit langem bestehen und bei denen daher bereits intensive Diskussionen darüber stattgefunden haben, wie hoch das Prüfungsniveau anzusetzen ist, damit die Prüfungszeugnisse von der ne Desgl. S. 64.
208
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Wirtschaft angemessen bewertet werden. Aber auch bei den relativ jungen Fachwirteprüfungen lag das positive Ergebnis nur bei 75 °/o (1 819 : 2 415). Aus diesen Werten muß der Schluß gezogen werden, daß es der Wirtschaft darauf ankommt, daß das Bestehen einer Fortbildungsprüfung ein echter Leistungsnachweis ist und bleibt. Während i n anderen Teilen des deutschen Bildungswesens heute das Anforderungsniveau soweit gesenkt worden ist, daß fast jeder Prüfling das Examen besteht, wehrt sich die Wirtschaft dagegen, daß diese Tendenz auch auf ihr Bildungswesen übergreift. Dies gilt sowohl für die Lehrabschlußprüfungen als auch i n besonders intensiver Weise für die Fortbildungsprüfungen. Die Tabelle 50 enthält zwei Gruppen von Prüfungen, die sehr nahe den Fachwirteprüfungen verwandt sind; dies sind die Prüfungen als Praktischer Betriebswirt und als Wirtschaftsassistent. Sie werden von 7 Kammern durchgeführt. Die Tatsache, daß sie i n der Statistik gesondert angegeben werden, deutet darauf hin, daß es unter den K a m mern noch einige Unterschiede der Ansichten über die zweckmäßigste A r t dieser Fortbildung gibt. Es ist wahrscheinlich, daß es eines Tages zu einer gemeinsamen Auffassung kommen wird, und es ist die A u f gabe des DIHT, diese Klärung zu fördern. Es würde nicht der Sache dienen, wenn der Staat von dem i h m durch § 46 Abs. 2 B B i G gegebenen Recht Gebrauch machen und diese Fortbildungsprüfungen vorzeitig durch eine Rechtsverordnung regeln würde. A u f weite Sicht ist es fruchtbarer, i n einem ruhigen Prozeß der Abklärung heraus finden zu lassen, wie man Inhalt und Form dieser Prüfungen und damit dieser Fortbildung so gestalten kann, daß dabei der optimale Nutzen sowohl für die Wirtschaft i n ihrer Gesamtheit als auch für die betroffenen Nachwuchskräfte erzielt wird. Ein weiterer kaufmännischer Fortbildungsberuf ist der Personalfachkaufmann 117 . Bisher haben 16 Industrie- und Handelskammern Prüfungsordnungen für diesen Fortbildungsberuf erlassen. Es ist dabei folgendes interessant. Von diesen Ordnungen stammen 3 aus dem Jahre 1973, 1 aus dem Jahr 1974, 5 aus dem Jahr 1975 und 7 aus dem Jahr 1976. Man kann an diesen Zahlen ablesen, wie sich der Gedanke von Jahr zu Jahr mehr ausgebreitet hat. Von den 73 bestehenden Kammern haben allerdings 56 den Personalfachkaufmann noch nicht als Fortbildungsberuf anerkannt, und es bleibt abzuwarten, wie sich diese weiterhin verhalten werden. A u f jeden Fall ist der Personali s Die folgenden Angaben beruhen auf dem von dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft herausgegebenen Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, Stand 1.6.1976, und darin besonders auf I I , Regelungen der zuständigen Stellen für die berufliche Fortbüdung nach § 46, Abs. 1 BBiG, und §42, Abs. 1 H w O ; über den Personalfachkaufmann siehe S. 141 und 142.
IV. Material von Industrie- und Handelskammern
209
fachkaufmann ein anschauliches Beispiel für die A r t und Weise, wie i m Bildungswesen der Wirtschaft Neuerungen an Boden gewinnen. Das hier vorgelegte statistische Material des D I H T läßt nicht unmittelbar erkennen, w o r i n dessen Leistung besteht, denn die besprochenen Prüfungen werden nicht von ihm, sondern jeweils von den einzelnen Kammern durchgeführt. Er hat nicht das Recht, den Kammern Vorschriften zu machen. Seine Funktion beschränkt sich vielmehr darauf, anzuregen und zu koordinieren und eventuell Musterordnungen ausarbeiten zu lassen, die er den Kammern zur Übernahme empfiehlt. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen besitzt der D I H T eine sehr große Bedeutung. Er ist ein wichtiges Organ der betriebspädagogischen Meinungsbildung i n der Wirtschaft und zugleich einer ihrer Repräsentanten i n bildungspolitischen Fragen gegenüber der Öffentlichkeit, vor allem gegenüber den Parlamenten und den Regierungen. Es w i r d später noch davon die Rede sein, wie die Spitzenverbände der Wirtschaft auf diesem Gebiet zusammen arbeiten. Es muß aber schon hier festgestellt werden, daß der D I H T heute i n der deutschen Bildungspolitik eine große Rolle spielt. Gemäß dem allgemeinen Auftrag aller berufsständischen Kammern, die Öffentlichkeit durch objektive Gutachten über die Tatbestände zu informieren, deren Kenntnis für das Verständnis der zur Diskussion stehenden Probleme unerläßlich ist, hat sich der D I H T vor allem u m die Bereitstellung von gesichertem statistischen Material bemüht. Die von i h m veröffentlichten Zahlen geben i n vieler Hinsicht bessere Einblicke i n das Bildungswesen der Wirtschaft als das Material des Statistischen Bundesamtes, das auf diesem Gebiet noch nicht den Anschluß an die heutige Wirklichkeit gefunden hat. Daher sind i n dieser Arbeit die obigen Tabellen des D I H T mitgeteilt worden. 2. Material
der Industrie-
und Handelskammer
Frankfurt
a. M.
Die Industrie- und Handelskammer Frankfurt a. M. ist 1808 gegründet worden. Sie stammt also aus der Zeit des aufkommenden Industrialismus, der damals begann, die Wirtschaftsverfassung der mehr als 800 Jahre alten Handelsstadt Frankfurt a. M. zu verändern. Die Kammer ist älter als die Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung des 19. und 20. Jahrhunderts, und es ist offensichtlich, daß i h r Recht, sich u m die Angelegenheiten der Frankfurter Gewerbetreibenden und damit auch u m die Ausbildung des kaufmännischen Nachwuchses zu kümmern, nicht auf staatlichen Gesetzen aus den letzten Jahrzehnten beruht, sondern älter und i n dem überlieferten Selbstverwaltungsrecht der Wirtschaft begründet ist. I m Laufe von 150 Jahren hat der Staat dieses Recht durch Gesetze bestätigt und erweitert, ohne daß damit die K a m mer i n ihrem Wesen zu einer staatlichen Institution geworden ist. Sie 14 Abraham
210
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
ist auch heute noch eine Einrichtung, die von den i m Kammerbezirk ansässigen Gewerbetreibenden getragen wird. I h r Präsident w i r d gewählt, und ihre Geschäftsführung unterliegt der Kontrolle durch die Mitgliederversammlung. „Die Zahl der von der Kammer betreuten Betriebe beträgt (1973) fast 37 000. Die einzelnen Bereiche sind wie folgt beteiligt: 3 710 Industrie, 5 530 Groß- und Außenhandel, 8 610 Einzelhandel, 336 Banken, 140 Versicherungen, 37 Getreidebörse, 3 230 Verkehr und Spedition, 4 485 Handelsvertreter und Makler, 3 980 Hotelund Gaststättengewerbe, 6 910 sonstige Gewerbebetriebe 118 ." Obwohl das Gebiet der Kammer neben der Stadt Frankfurt auch die Landkreise Hochtaunus und Maintaunus umfaßt, w i r d der Charakter der Kammer von der Stadt Frankfurt geprägt. Sie repräsentiert geradezu den einen Kammertyp, der sich durch die enge Bindung der Kammer an eine bestimmte Stadt auszeichnet. I h m steht der andere Typ gegenüber, für den die Industrie- und Handelskammer i n Ludwigshafen charakteristisch ist. Deren offizielle Bezeichnung als „Kammer für die Pfalz" besagt, daß sie für die gesamte Pfalz zuständig ist, soweit diese zu dem Lande Rheinland-Pfalz gehört. I n der vorliegenden Untersuchung werden diese beiden Kammern daher deswegen behandelt, weil sie die beiden Kammertypen repräsentieren. Der Verwaltungsapparat der Frankfurter Kammer ist i n 11 Abteilungen gegliedert, zu denen Außengeschäftsstellen kommen. Außerdem werden von der Kammer die Wertpapierbörse, die Getreide- und Produktenbörse und die Immobilienbörse betreut. Sie ist ferner Trägerin der Frankfurter Akademie für Welthandel. Obwohl m i t h i n die Abteilung Berufsbildung nur einer der vielen Geschäftsbereiche ist, entfielen auf sie 1975 von den Gesamtkosten der Kammer folgende Anteile: von den Portokosten 33 °/o, von den Kosten der Hausdruckerei 41 °/o, von den Kosten des Bürobedarfs 29 °/o und von den Kosten der elektronischen Datenverarbeitung 24%. Nach Abzug der eingenommenen Gebühren betrugen 1976 die aus den Mitteln der Kammer zu deckenden Kosten der Abteilung Berufsbildung rund 2,6 Mio. D M l l f t . Die angegebenen Zahlen zeigen, daß die Abteilung Berufsbildung heute die größte Abteilung innerhalb der Kammer ist und daß die Frankfurter Wirtschaft m i t ihren Mitgliedsbeiträgen eine große Summe für diese Berufsbildungsarbeit aufbringen muß. Der Staat gibt der Kammer keinen Zuschuß zu ihren Berufsbildungskosten. Die Abteilung Berufsbildung betreut rund 15 000 Jugendliche, die i n knapp 2 000 Ausbildungsbetrieben tätig sind und i n rund 120 verschiedenen Ausbildungsberufen ihre Berufsvorbereitimg erhalten. Un118 Internes Material der I H K Frankfurt, us Desgl.
I V . Material von Industrie- und Handelskammern
211
mittelbare Gesprächspartner der Kammer sind die rund 3 000 Ausbilder, die i n den Betrieben für die Berufsausbildung der Auszubildenden verantwortlich sind. Der jährliche Zugang an Auszubildenden liegt zwischen 5 000 und 6 000. Jeder einzelne Fall ist auf die Ordnungsmäßigkeit zu überprüfen, bevor die Eintragung i n das Verzeichnis der Ausbildungsverhältnisse erfolgen kann. A n den von der Kammer durchgeführten Prüfungen nehmen jährlich rund 10 000 Personen teil, die auf rund 400 Prüfungsausschüsse zu verteilen sind. I n diesen sind rund 1 800 freiwillige Prüfer aus den Betrieben und den Berufsschulen tätig, deren Einsatz geplant werden muß. Nach den Prüfungen sind die entsprechenden Dokumente (vor allem Gehilfenbriefe und Facharbeiterbriefe) auszustellen. Diese Übersicht beschreibt aber nur die routinemäßig anfallende Arbeit. Darüber hinaus w i r d das Personal der Abteilung Berufsbildung sehr stark durch die Regelung von Sonderfällen beansprucht, bei denen es oft darum geht, durch unkonventionelle Maßnahmen Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten tragbar sind. Dazu kommt die Mitarbeit i n zahlreichen Ausschüssen innerhalb und außerhalb der Kammer. Die Abteilung Berufsbildung der Frankfurter I H K steht außerdem i n einem engen Kontakt m i t den entsprechenden Abteilungen der anderen 11 hessischen Kammern. Die Arbeitsgemeinschaft der hessischen Industrie- und Handelskammern hat „Gemeinsame Prüfungsausschüsse" für eine Reihe von Ausbildungsberufen eingerichtet, bei denen die Zahlen der Auszubildenden so klein sind, daß es sich nicht lohnt, bei jeder Kammer Kommissionen für die Zwischenprüfungen und die Lehrabschlußprüfungen einzusetzen. Es ist daher eine Verteilung i n der Weise vorgenommen worden, daß bei diesen Berufen die Prüfungen nur i n bestimmten Kammern erfolgen und daß die anderen Kammern ihre Prüflinge dorthin entsenden. Aus dem internen Material der Frankfurter Kammer ergibt sich dabei, daß diese mehr Prüflinge aus anderen Kammerbezirken erhält, als sie ihrerseits an benachbarte Kammern abgibt. Diese Mehrbelastung ist die Folge der Tatsache, daß die Frankfurter Kammer die größte ist und daß bei i h r die Lehrlingszahlen auch bei schwach besetzten Ausbildungsberufen i n der Regel höher als bei anderen Kammern sind. Der Verteilungsplan läßt außerdem die wirtschaftlichen Besonderheiten der einzelnen hessischen Regionen erkennen. So hat die Kammer Hanau die Prüfung der Auszubildenden aus den Bereichen der Gold-, Silber- und Edelsteinverarbeitung übernommen, während die Kammer Offenbach die Auszubildenden der Lederwirtschaft betreut. Es gibt aber nicht nur eine Kooperation der 12 hessischen Industrieund Handelskammern untereinander, sondern auch eine Zusammenarbeit m i t den außerhalb von Hessen gelegenen Kammern. So haben 14"
212
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
die Arbeitsgemeinschaften der bayerischen und der hessischen Industrieund Handelskammern zusammen bei der Kammer Nürnberg eine „Aufgabenstelle für kaufmännische Abschluß- und Zwischenprüfungen" geschaffen. Diese „ A K A " hat einen „Leitfaden für die Erstellung der Aufgabenvorschläge für den schriftlichen Teil der kaufmännischen Abschluß- und Zwischenprüfungen" herausgegeben 120 . Die Durchsicht dieser Schrift zeigt, daß sie von Fachleuten verfaßt worden ist, die eine große Erfahrung bei der Ausarbeitimg von Prüfungsaufgaben besitzen; doch kann hier auf ihren Inhalt nicht näher eingegangen werden. I m Rahmen dieser Untersuchung interessiert die Tätigkeit der A K A vor allem deswegen, weil sie sichtbar macht, daß sich die Industrie- und Handelskammern u m eine möglichst weiträumige Einheitlichkeit ihrer Bildungsarbeit bemühen und daß sie diese Aufgabe relativ einfach lösen können, weil sie unabhängig von den innerdeutschen Ländergrenzen miteinander Absprachen treffen können. Wenn die Kammern staatliche Behörden wären, dann wären für die Schaffung der A K A Verhandlungen zwischen den Ländern Bayern und Hessen notwendig gewesen, an denen auf beiden Seiten sowohl die Wirtschafts- als auch die Kultusministerien teilgenommen hätten. Selbst wenn sich alle Beteiligten u m eine möglichst einfache Erledigung des Falles bemüht hätten, wäre für die Durchführung des Vorhabens ein wesentlich größerer Verwaltungsaufwand erforderlich gewesen als bei der erfolgten Vereinbarung zwischen den beiden Kammerorganisationen. Es ist dies ein konkretes Beispiel dafür, daß die Verstaatlichung der Berufsbildung nicht der beste Weg ist, u m unter den heute i n Deutschland gegebenen Umständen eine möglichst leistungsfähige und einheitliche Organisation des beruflichen Bildungswesens zu schaffen. Wenn das Subsidiaritätsprinzip zugrunde gelegt und den natürlich gewachsenen Sozialgebilden innerhalb der Gesellschaft, d. h. hier den Kammern, Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit gelassen wird, dann kann eine vernünftige und dauerhafte Regelung der akuten Probleme leichter und billiger erreicht werden als bei deren Behandlung durch staatliche Behörden. Die Kooperation mit den anderen hessischen Kammern, die über die Landesgrenzen hinaus gehende Zusammenarbeit m i t weiteren Kammern und die Pflege des Kontaktes m i t dem Deutschen Industrie- und Handelstag spielen bei der Frankfurter Kammer deswegen eine besonders große Rolle, weil Frankfurt ein internationales Wirtschaftszentrum ist. Die Vorgänge i n der europäischen und i n der Weltwirtschaft werden hier früher und klarer wahrgenommen als an den meisten anderen deutschen Plätzen, und es ist hier ständig die Diskussion darüber i m Gange, wie die deutsche Wirtschaft auf die Veränderungen 120 Copyright Industrie- u. Handelskammer Nürnberg 1974.
IV. Material von Industrie- und Handelskammern
213
des ökonomischen Gefüges der Welt reagieren sollte. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß auch die für die Abteilung Berufsbildung verantwortlichen Führungskräfte an diesem vielfältigen Meinungsaustausch teilnehmen. Sie besitzen daher einen Informationsstand, über den sonst i m beruflichen Bildungswesen nur ein sehr kleiner Personenkreis verfügt. Es ist äußerst wichtig, daß diese Weltkenntnis für die Entscheidungen über wirtschaftspädagogische Probleme und i m besonderen für die Beantwortung der akuten betriebspädagogischen Fragen nutzbar gemacht wird. Der Verfasser hat leider i n seinem Berufsleben die Erfahrung gemacht, daß i n Konferenzen über Erziehungs- und Bildungsfragen oft Personen eine große Rolle spielen, die von der modernen Wirtschaft nur sehr wenig wissen und denen ein tieferes Verständnis der Probleme der heutigen Wirtschaftsgesellschaft fehlt. U m so wichtiger ist es, daß der Sachverstand der i n dem Handelskammerbereich tätigen Bildungsfachleute weiterhin für die Entscheidungen über Erziehungs- und Bildungsfragen genutzt wird. Wenn die hier und dort sichtbar werdenden Tendenzen, diese Fachleute auszuschalten, zu Erfolgen führen würden, dann würde dies eine erhebliche Verschlechterung von Theorie und Praxis der wirtschaftlichen Erziehung bewirken. Wenn man sich die Gesamtheit der Tätigkeit der Frankfurter I n dustrie· und Handelskammer vergegenwärtigt, dann sieht man, daß deren Abteilung Berufsbildung eine pädagogische Behörde ist, die für den Frankfurter Raum und weit darüber hinaus eine große Bedeutung hat. Es ist schwer, angemessene Vergleiche anzustellen. Innerhalb der staatlichen Schulverwaltung dürfte aber die Schulabteilung eines Regierungspräsidiums am ehesten i n bezug auf öffentliche Wirkung und Arbeitsanfall vergleichbar sein. Dieser Hinweis hat den Sinn, den Rang zu veranschaulichen, der der Abteilung Berufsbildung der I H K Frankfurt zukommt. Da die öffentliche Meinung bei der Beurteilung des Bildungswesens der Wirtschaft oft von lang gewohnten Vorstellungen ausgeht, muß man ihr Anhaltspunkte für die Einschätzung der Bedeutung der wirtschaftspädagogischen Kammerarbeit geben. Diesem Zweck dient die Feststellung, daß die Tätigkeit der I H K Frankfurt i m Bereich des Erziehungs- und Bildungswesens ebenso wichtig ist wie diejenige des für Südhessen zuständigen Regierungspräsidiums i n Darmstadt. 3. Material
der Industrie- und Handelskammer in Ludwigshafen am Rhein
für die Pfalz
Der Bezirk der Industrie- und Handelskammer für die Pfalz i n Ludwigshafen am Rhein 1 2 1 umfaßt das Gebiet der Landkreise Bad 121
I m weiteren Text als I H K Ludwigshafen bezeichnet.
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Dürkheim, Donnersbergkreis, Germersheim, Kaiserslautern, Kusel, Landau — Bad Bergzabern, Ludwigshafen, Pirmasens sowie die kreisfreien Städte Frankenthal (Pfalz), Kaiserslautern, Landau (Pfalz), Ludwigshafen (Rhein), Neustadt (Weinstraße), Pirmasens, Speyer und Zweibrücken; dies sind die vier Arbeitsamtsbezirke Kaiserslautern, Ludwigshafen, Neustadt und Pirmasens. Es ist ein weiträumiges Gebiet mit je 100 k m Ausdehnung sowohl i n der Ost-West-Erstreckung als auch i n der Nord-Süd-Erstreckung. Der Sitz der dafür zuständigen Industrie- und Handelskammer liegt nicht i m Zentrum, sondern an dem Ostrand i n Ludwigshafen. Diese zunächst verwunderlich erscheinende Tatsache hat historische Ursachen und beruht außerdem darauf, daß i n dem dicht besiedelten und intensiv industrialisierten Gebiet u m Ludwigshafen das wirtschaftliche Schwergewicht der Pfalz liegt. Aus diesen räumlichen Bedingungen ergibt sich aber, daß die Arbeit der I H K Ludwigshafen i n vieler Hinsicht schwieriger ist als diejenige der Frankfurter Kammer, denn sie ist nicht auf eine einzige Großstadt konzentriert, sondern muß eine weite Fläche betreuen, deren Wirtschaft vor allem i n Mittel- und Kleinstädten ansässig ist. I n dem Kammerbezirk w i r d gegenwärtig i n 97 industriellen und 26 kaufmännischen Ausbildungsberufen ausgebildet. Die folgende Tabelle 51 gibt eine Übersicht über die AusbildungsVerhältnisse am 31.12.1976 122 . Tabelle 51 Die Ausbildungsverhältnisse im Kammerbezirk Ludwigshafen am 31.12.1976 Ausbildungsverhältnisse Gesamt davon weiblich industrielle Ausbildungsberufe kaufmännische Ausbildungsberufe
Verteilung auf die Lehrjahre 1.
2.
3.
4.
7 462
803
2 286
2 258
1 916
1 002
5 688
3 472
2191
2 390
1083
24
13 150
4 275
4 477
4 648
2 999
1 026
Die Zahl der betreuten Auszubildenden ist m i t h i n fast ebenso groß wie i n Frankfurt, ebenso der jährliche Zugang an Beruf sanfängern. Die Ludwigshafener Zahlen bestätigen die langjährige Erfahrung, daß i m kaufmännischen Bereich die Mädchen überwiegen, i m industriellen dagegen nur etwas mehr als 10 °/o ausmachen. Man müßte aber zusätzlich die Zahlen der i n handwerklicher oder haus122 Diese und die folgenden Zahlenangaben sind internem Material der I H K Ludwigshafen entnommen.
IV. Material von Industrie- und Handelskammern
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wirtschaftlicher Ausbildung stehenden Mädchen kennen, u m zu einem Urteil über die A r t und den Umfang der Mädchenausbildung i n der Pfalz zu kommen. Besonders interessant ist die relativ hohe Zahl von industriell Auszubildenden i m 4. Lehrjahr. Sie zeigt an, daß es viele industrielle Berufe m i t einer Ausbildungszeit von 3% Jahren gibt. Es hatte eine Zeit lang den Anschein, als würde sich generell die dreijährige Ausbildung durchsetzen; die Ludwigshafener Zahlen zeigen aber, daß dies offensichtlich nicht eintritt. Diese Frage hat deswegen eine allgemeine Bedeutung, weil es durch eine Verkürzung der durchschnittlichen Lehrzeit möglich wird, m i t der gleichen Zahl von Ausbildungsplätzen einer größeren Zahl von Jugendlichen eine Ausbildung zu verschaffen und auf diese Weise die Jugendarbeitslosigkeit zu verringern. Es darf dabei aber keine Verschlechterung der Ausbildung erfolgen. Die Zahlen der Tabelle 50 können daher Anlaß zu der Überlegung sein, ob bei einigen industriellen Ausbildungsberufen eine Reduzierung der dreieinhalb jährigen Lehrzeit auf eine dreijährige möglich ist. Über die Zahlen der Ausbildungsstätten gibt die folgende Tabelle 52 Auskunft. Tabelle 52 Statistik der Ausbildungsstätten im Kammerbezirk Ludwigshafen am 31.12. 1976 a) Ausbildung nur in kaufmännischen und sonstigen Ausbildungsberufen b) Ausbildung nur in industriellen Ausbildungsberufen c) Ausbildung sowohl in kaufmännischen als auch in industriellen Ausbildungsberufen Gesamtzahl
2 735 492 223 3 450
Wenn man diese Zahlen denen der Tabelle 51 gegenüberstellt, dann sieht man einen interessanten Unterschied zwischen der industriellen und der kaufmännischen Seite. I m industriellen Bereich kommen auf einen Ausbildungsbetrieb i m Durchschnitt 10 Auszubildende, i m kaufmännischen dagegen nur 2. Diese Verschiedenartigkeit hat mehrfache Bedeutung. Sie bewirkt unter anderem, daß das Prinzip der Versetzung der Auszubildenden von der einen Abteilung zu der nächsten nach einem festen Plan leichter i n industriellen als i n kaufmännischen Betrieben realisiert werden kann. Für die Kammerarbeit besagt sie, daß die Betreuung der kaufmännischen Berufsausbildung erheblich mehr Arbeit als die der industriellen macht. Obwohl die Zahl der kaufmännischen Lehrlinge etwas kleiner als diejenige der industriellen ist, entfallen von den ausbildenden Betrieben vier Fünftel auf den kauf-
216
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
männischen Bereich und nur ein Fünftel auf den industriellen. Die Zahl der industriell ausbildenden Betriebe (492 + 223 = 715) ist noch so klein, daß die Fachkräfte der Kammer fast jeden Betrieb zu kennen vermögen; außerdem können die Ausbildungsberater der Kammer in einem relativ kurzen Turnus alle Betriebe aufsuchen. Dagegen ist die Zahl der kaufmännisch ausbildenden Betriebe (2 735 + 223 = 2 958) so groß, daß die soeben genannten Möglichkeiten erheblich geringer sind. Es ist i m übrigen so, daß diese Verhältnisse nicht n u r i m Kammerbezirk Ludwigshafen bestehen; die Zahlen veranschaulichen vielmehr einen überall vorhandenen Unterschied zwischen der kaufmännischen und der industriellen Berufsausbildung. Diese Verschiedenartigkeit w i r k t sich auch bei den Prüfungsausschüssen aus. Bei der I H K Ludwigshafen bestehen gegenwärtig (Mai 1977) 52 industrielle Prüfungsausschüsse m i t 658 Mitgliedern und 225 kaufmännische Prüfungsausschüsse m i t 1 283 Mitgliedern. I m Jahre 1976 haben 4 236 Jugendliche an Zwischenprüfungen und 6 506 an Lehrabschlußprüfungen teilgenommen. Die Tabelle 53 gibt über die Ergebnisse der Abschlußprüfungen Auskunft. Tabelle 53 Lehrabschlußprüfungen im Bezirk der IHK Ludwigshafen im Jahre 1976 Gesamtzahl industrieller Bereich kaufmännischer Bereich
davon haben bestanden nicht bestanden
3 004 3 502
2 699 3183
305 319
6 506
5 882
624
Die Betreuung der Auszubildenden i n den Betrieben ist 1976 durch 6 014 Ausbilder m i t Eignungsprüfung nach AEVO geschehen. Der Zugang an Ausbildern hat sich i n diesem Jahr auf 318 belaufen. Die Zahl der Ausbilder verhält sich zu derjenigen der Auszubildenden also ungefähr wie 1 :2. A u f der Seite der Kammer sind 13 Ausbildungsberater (6 hauptamtliche und 7 nebenamtliche) tätig, die 1976 3 345 Besuche bei Betrieben und 62 Hausbesuche bei Eltern von Auszubildenden durchgeführt haben. Die Kammer hat dem Aufbau dieses Beratungsdienstes besondere Aufmerksamkeit gewidmet. U m den Nachwuchskräften die Weiterbildung zu erleichtern, hat die Kammer Fortbildungskurse eingerichtet, die zu Abschlußprüfungen vor Prüfungsausschüssen der Kammer führen. Gegenwärtig (Mai 1977) bestehen 12 derartige Ausschüsse m i t 132 Mitgliedern. Über die Ergebnisse der Fortbildungsprüfungen berichtet die Tabelle 54.
I V . Material von Industrie- und Handelskammern
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Tabelle 54 Fortbildungsprüfungen bei der Kammer Ludwigshafen im Jahre 1976 bestanden 1. Industriemeister a) Chemie b) Elektro c) Metallverarbeitung d) Wärme-Kälte-Schutz e) Allgemeiner Betrieb 2. Werkschutzpersonal 3. Handelsfachwirt 4. Bilanzbuchhalter 5. Praktischer Betriebswirt 6. Korrespondenten 7. Kurzschrift 8. Maschinenschreiben 9. Stenotypie 10. Math.-techn. Assistenten 11. Operateur (Chem. Technik)
82 17 43 27 20 31 10 11 5 31 18 45 172 74 47 633
nicht bestanden 4 —
1 1 2 2 2 18 3 5 —
7 62 2 4 113
Die Gruppe der Industriemeister (189 bestandene und 8 nicht bestandene Prüfungen) veranschaulicht das Bemühen, dem industriellen Facharbeiter die gleiche Aufstiegsmöglichkeit zum Meister zu verschaffen, die der handwerkliche Geselle selbstverständlich besitzt. Es ist dies ein sehr wichtiger Teil der Fortbildungsmaßnahmen für I n dustriearbeiter. Dazu gehört auch die Möglichkeit des Aufstieges i n den Werkschutz. Die weiteren Fortbildungsberufe sind für kaufmännische Kräfte bestimmt. Ein großes Ansehen genießt i n der Praxis seit langem die Bilanzbuchhalterprüfung. Hier sind die Anforderungen aber so hoch, daß mehr als 50 °/o der Prüflinge das Ziel nicht erreicht haben. Der Handelsfachwirt und der praktische Betriebswirt sind zwei neue Aufstiegsberufe für junge Kaufleute; sie wurden bereits früher erwähnt. Auffällig ist die geringe Zahl der Teilnehmer an den Kurzschriftprüfungen. Dagegen findet die Fortbildung zu einer Fachkraft für Steiiotypie sehr großes Interesse; hier ist aber der A n t e i l der Versager m i t rund 25 °/o sehr erheblich. U m neu entstandene Berufe handelt es sich ferner auch bei den math.-techn. Assistenten und den Operateuren, für die i n der Industrie des Ludwigshafener Raumes ein besonderes Interesse besteht. I n diesem Bereich sind die BASF und andere große Chemiewerke ansässig, und damit hängen die großen Zahlen der Chemieindustriemeister und der Operateure zusammen. Die prinzipielle Bedeutung der Tabelle 54 liegt darin, daß sie zeigt, daß eine industrielle oder kaufmännische Berufsausbildung nicht i n
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
eine Sackgasse führt. Nach der Lehrabschlußprüfung sind vielmehr durchaus realistische Möglichkeiten zur Erreichung einer weiteren Qualifikationsstufe vorhanden. Es ist hinzuzufügen, daß die Kammer Ludwigshafen aus grundsätzlichen und aus praktischen Gründen um den Ausbau dieses Fortbildungsprogramms bemüht ist. Die Aufgeschlossenheit dieser Kammer für die Fragen der Berufsausbildung kommt besonders auch dadurch zum Ausdruck, daß sie mit erheblichen Kosten bereits seit rund 15 Jahren überbetriebliche Gemeinschaftslehrwerkstätten i n Ludwigshafen, Neustadt, Speyer und Wolfstein unterhält und daß sie i n den Jahren 1975 und 1976 zwei Bildungszentren i n Landau und Pirmasens mit einem Gesamtaufwand von rund 10 Millionen D M errichtet hat. I n dem Haushaltsplan der Kammer für 1976 erscheinen diese 6 Einrichtungen mit einer Gesamtbelastung von 945 000 D M 1 2 3 . Die Gesamtkosten der Abteilung Berufsausbildung sind daher ziemlich hoch. Der Haushalt der Kammer „beträgt zur Zeit etwas über 8 000 000 DM. Man kann davon ausgehen, daß mindestens 4 000 000 D M hiervon für Zwecke der Berufsausbildung verwendet werden". Es wurde früher bei der Besprechung des Materials der I H K Frankfurt angegeben, daß bei ihr die Jahreskosten der Abteilung Berufsbildung 2,6 Millionen D M ausmachen. Dabei ist zu beachten, daß die Kammer Frankfurt keine Gemeinschaftslehrwerkstätten und beruflichen Bildungszentren unterhält. Wenn man deren Kosten von den Ausgaben der Kammer Ludwigshafen abzieht, dann ergibt sich, daß der vergleichbare Aufwand für Berufsbildung i n Ludwigshafen nur wenig größer als i n Frankfurt ist. Ähnlich wie die Kammer Frankfurt besitzt auch die Kammer Ludwigshafen intensive Kontakte mit anderen Kammern. Es gibt einen Arbeitskreis der rheinland-pfälzischen und saarländischen Berufsbildungsreferenten, d. h. der Kammern Koblenz, Ludwigshafen, Mainz, Trier und Saarbrücken. U m zu einer möglichst großen Einheitlichkeit des Prüfungswesens der Kammern beizutragen, gehen die Verbindungen aber auch weiter nach Norddeutschland und nach Süddeutschland. Die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern i n Baden-Württemberg hat eine „Prüfungsaufgaben- und LehrmittelEntwicklungsstelle" i n Stuttgart geschaffen, und ebenso w i r d i n Nordrhein-Westfalen von der dortigen Arbeitsgemeinschaft der Kammern dafür gesorgt, daß die Prüfungen gleichartig durchgeführt werden. Aus dem Material der Kammer Ludwigshafen ergibt sich, daß sie nach beiden Seiten Kontakte unterhält und das dort entwickelte Material benutzt. iss Haushaltssatzung der I H K Ludwigshafen für 1976, IHK-Magazin 2/1976, S. 39. — Die übrigen Zahlen sowie der zitierte Text sind einem Brief der I H K Ludwigshafen vom 4. 5.1977 entnommen.
IV. Material von Industrie- und Handelskammern
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Diese Kammer hat sich aber auch schon seit Jahren intensiv u m die Herstellung freundschaftlicher Beziehungen zu Handelskammern und ähnlichen Institutionen i m Ausland bemüht. Da ohnehin zwischen der Bevölkerung der Pfalz und derjenigen von Elsaß-Lothringen zahlreiche persönliche und wirtschaftliche Beziehungen bestehen, hat die Kammer Ludwigshafen vor allem Kontakte mit französischen Stellen gesucht. Enge Beziehungen bestehen aber auch m i t verwandten Einrichtungen i n der Schweiz. Es ist folgerichtig, daß die Kammer Ludwigshafen maßgebend an der Durchführung von deutsch-französischen Projekten zur Feststellung der Vergleichbarkeit des deutschen m i t dem französischen Ausbildungssystem beteiligt ist. Gegenwärtig (Mai 1977) läuft ein deutsch-französischer Modellversuch m i t dem System „contrôle continu" (fortlaufende Beurteilung der Ausbildungsleistungen). Er w i r d auf der deutschen Seite von den Ländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland getragen und ist beschränkt auf die Ausbildungsberufe Elektroanlageninstallateur, Betriebsschlosser, Maschinenschlosser und Maurer. Es sind dafür Berufsschulen ausgewählt worden, i n denen Fachklassen für diese Berufe bestehen, wobei die Schüler dieser Klassen stets aus der gleichen Firma stammen. Diese Betriebe wirken ebenfalls an der Durchführung des Versuchs mit. Die Industrieund Handelskammer Ludwigshafen ist als die „zuständige Stelle" der Pfalz an dem Versuch beteiligt, soweit er dort stattfindet. Jeder deutschen Berufsschule steht auf der französischen Seite eine Partnerschule gegenüber. Für die Pfalz ergibt sich das folgende B i l d 1 2 4 : Tabelle 55 Durchführung des Modellversuches „contrôle contenu" in der Pfalz Frankreich berufliche Schule
Deutsch land Berufsschule
Betrieb
Berufsbildende Schule I Ludwigshafen
BASF Ludwigshafen
Collège d'Enseignement Technique Haguenau
Berufsbildende Schule Frankenthal
Klein-Schanzlin & Becker Frankenthal
Lycée Technique Nationalisé et C E T Industriel annexé Saint Avoid
Berufsbildende Schule Wörth/Germersheim
Daimler-BenzWerke Wörth
Collège Technique Industriel Selestat
Außerhalb der Pfalz sind Baden-Württemberg m i t Berufsschulen in Freiburg, Karlsruhe und Offenburg und das Saarland m i t solchen Schulen i n Saarbrücken und Völklingen beteiligt. A u f der deutschen Seite liegt die zentrale Federführung bei dem Lande Baden-Württem124
Internes Material der I H K Ludwigshafen.
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
berg, das dafür eine Geschäftsstelle i n Karlsruhe eingerichtet hat. Die Dauer des Versuches soll 5 - 6 Jahre betragen, u m mehrere Jahrgänge eines Ausbildungsberufes zu erfassen. Es ist nicht möglich, i n dieser Untersuchung näher auf den Sinn und die Problematik eines solchen Versuches einzugehen. Auf jeden Fall ist gewiß, daß die Realisierung der Harmonisierung der Berufsbildung i n der Europäischen Gemeinschaft nur möglich ist auf der Grundlage der Ergebnisse solcher Versuche. Dabei ist wichtig, daß bei dem genannten Projekt durchaus nicht nur die Angleichung der Berufsausbildung i n vier Ausbildungsberufen zur Diskussion steht. Diese sind vielmehr nur die konkreten Fälle, die die Grundlage von umfassenderen Beratungen bilden. Daher ist die Mitarbeit der Kammer Ludwigshafen als ein Teil ihrer Bemühungen um eine internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Berufsbildung zu sehen. Den Hintergrund dieser Arbeit bildet die Tatsache, daß sich die Kammer an einem Ort befindet, der heute zumindest für die chemische Industrie eine Weltbedeutung hat. Es ist bei der Ludwigshafener ähnlich wie bei der Frankfurter Industrie- und Handelskammer so, daß die großen Vorgänge i n der Weltwirtschaft i n ihr unmittelbar miterlebt werden, und dies bestimmt die Mentalität der gesamten Kammerarbeit. Daher w i r d auch ihre Tätigkeit auf dem Gebiete der Berufsbildung von einer solchen Weltoffenheit geprägt. V. Die A n t w o r t der Wirtschaft auf die Bedrohung des Kammerprinzips durch die staatliche Berufsbildungsgesetzgebung Die heutige betriebspädagogische Wirklichkeit w i r d i n einem hohen Maße dadurch charakterisiert, daß der Staat den Versuch macht, durch seine Gesetzgebung und seine Verwaltungspraxis das Kammerprinzip i n dem Bereich der Berufsbildung unwirksam zu machen. Er hat zwar durch das Berufsbildungsgesetz die vor allem i n der Wirtschaft, aber auch i n anderen Berufsgebieten m i t Kammersystem erprobten Methoden auf die Bereiche der Hauswirtschaft und des öffentlichen Dienstes übertragen. Da es dort keine Selbstverwaltungsorgane gibt, konnte aber nicht das Kammerprinzip angewendet werden. Der Gesetzgeber mußte daher neue Institutionen errichten, welche diejenigen Funktionen ausüben können, die i n der Wirtschaft die Kammern haben. Die Schaffung der „zuständigen Stellen" durch das Berufsbildungsgesetz ist insofern für die Bereiche Hauswirtschaft und öffentlicher Dienst eine sachlich notwendige Lösung gewesen; diese sind dort staatliche Behörden, die die Kammern ersetzen. Wenn sich der Gesetzgeber m i t dieser Lösung begnügt hätte, dann wäre eine klare und unproblematische Regelung entstanden. Unter dem Druck starker politischer Gruppen, die das Ziel verfolgen, die Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft,
V. Die gemeinsame Berufsbildungspolitik der Spitzenverbände
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der Landwirtschaft und der freien Berufe aus der Beteiligung an der Berufserziehung der Jugend auszuschalten, ist jedoch leider der Versuch gemacht worden, das Berufsbildungsgesetz zu einem Angriff auf das Kammerprinzip zu benutzen. Es hätte nahe gelegen, i n dem entscheidenden Teil I I I des BBiG, Ordnung der Berufsbildung, das Prinzip zu fixieren, daß die Berufsbildung i n der gewerblichen Wirtschaft, i n der Landwirtschaft und bei den freien Berufen eine Selbstverwaltungsaufgabe ist und daher von den Kammern getragen wird. Ein solcher Einbau des Kammerprinzips i n das BBiG hätte der durch die jahrzehntelange Arbeit der Kammern geschaffenen heutigen berufspädagogischen Wirklichkeit entsprochen. Eine derartige Bestätigung des K a m merprinzips durch das BBiG ist jedoch unterblieben. Das Wort Kammer kommt i n dem Teil I I I , Ordnung der Berufsbildung, überhaupt nicht vor. Es erscheint vielmehr erst i n dem Teil V I , Besondere Vorschriften für einzelne Wirtschafts- und Berufszweige. Statt dessen w i r d i n dem Teil I I I überall dort, wo die Verwendung des Wortes Kammer sinnvoll gewesen wäre, der Ausdruck zuständige Stelle gebraucht. Dies ist damit gerechtfertigt worden, daß dieser Teil auch für die Bereiche Hauswirtschaft und öffentlicher Dienst gilt, i n denen es keine Kammern gibt. Man hätte dieser Lage aber auch dadurch Rechnung tragen können, daß i n dem Teil V I , Besondere Vorschriften, festgestellt worden wäre, daß i n Gebieten, i n denen es keine Kammern gibt, von Behörden zuständige Stellen eingerichtet werden können. Die Tatsache, daß man diesen Weg nicht gegangen ist, beruht nicht auf Zufall, sondern auf planmäßigen Bemühungen der Gegner des Kammergedankens ; die getroffene Regelung ist ein nur wenig verschleierter Angriff auf das Kammerprinzip. Es gibt daher heute zwei grundverschiedene Arten von zuständigen Stellen. Z u der ersten Gruppe gehören alle diejenigen, die den Charakter von Kammern besitzen, weil sie die öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungsorgane bestimmter Berufsgruppen sind. Die zweite Gruppe bilden diejenigen, die staatliche Behörden sind. Dieser Unterschied w i r d aus der folgenden Aufstellung ersichtlich 125 . I n der Tabelle 56 sind deutlich die „Kammergruppe" (A - E) und die „staatliche Gruppe" (F und G) erkennbar; die unter H genannten 29 zuständigen Stellen i m kirchlichen Bereich haben eine Sonderstellung 125 Vom Verfasser ermittelt aus: Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe mit Verzeichnis der zuständigen Stellen nach dem Berufsbildungsgesetz, Stand 1.6.1976, hrsg. v. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, S. 183-204. — Zu G, öffentlicher Dienst: die Angaben in der genannten amtlichen Publikation sind nicht eindeutig genug, um die genaue Zahl der heute i m öffentlichen Dienst vorhandenen zuständigen Stellen errechnen zu können. — Die Ausbildung von Beamtenanwärtern gehört nicht zu dem Aufgabenbereich der zuständigen Stellen im öffentlichen Dienst.
222
C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
Tabelle 56 Die für die Berufsbildung „zuständigen Stellen" gemäß Berufsbildungsgesetz in den einzelnen Berufsbereichen A. Gewerbliche Wirtschaft 1. Industrie- und Handelskammern 2. Handwerkskammern
73 43
116
B. Landwirtschaft 1. Landwirtschaftskammern 2. Staatliche Ämter
8 _5
13
C. Wirtschafts- und Steuerberatende Berufe 1. Wirtschaftsprüferkammer 2. Steuerberaterkammern
1 16
17
D. Helfer bei Ärzten und in Apotheken 1. Ärztekammern 2. Zahnärztekammern 3. Apothekerkammern
13 12 12
37
E. Gehilfen bei Anwälten und Notaren 1. Rechtsanwaltskammern 2. Patentanwaltskammer 3. Notarkammern
22 1 15
38
F. Hauswirtschaft Ministerien u. Höhere Verwaltungsbehörden
15
G. öffentlicher Dienst Ministerien, Zentralbehörden und nachgeordnete Behörden rund H. Nicht-theologische Berufe im kirchlichen Dienst 1. Ev. Kirche: Landeskirchenämter 2. Kath. Kirche: Ordinariate Gesamtzahl der zuständigen Stellen rund
100 7 22
_29 365
und können bei den weiteren Erörterungen unberücksichtigt gelassen werden. Worauf es hier ankommt, ist die Tatsache, daß es zwei prinzipiell verschiedene Arten von zuständigen Stellen gibt. Dies ist ein Zustand, der unbefriedigend und gefährlich ist. Er wäre nur dann unbedenklich, wenn er das Ergebnis einer zu Ende geführten Diskussion über die Möglichkeiten der gesetzlichen Regelung der Berufsbildung i n Deutschland wäre, so daß dieser Dualismus von der öffentlichen Meinung als die optimale Lösung angesehen würde. Die Lage ist jedoch anders. Aus einer ganzen Reihe von Gründen, die hier nicht zu erörtern sind, ist es zwar zu einem Stillstand i n den Auseinandersetzungen über die Grundordnung der wirtschaftlichen Berufsbildung i n der Bundesrepublik gekommen (Stand i m Sommer 1978). Dieser Zustand kann sich aber jederzeit ändern, wenn die Gegner des Kammerprinzips
V. Die gemeinsame Berufsbildungspolitik der Spitzenverbände
223
es als aussichtsreich ansehen, m i t Hilfe der Gesetzgebung dieses Prinzip außer K r a f t zu setzen. Es ist dabei unwahrscheinlich, daß sie versuchen werden, die Kammern formal zu beseitigen, denn sie würden dabei auf einen zu großen Widerstand i n der Öffentlichkeit stoßen. Es ist vielmehr damit zu rechnen, daß sie den Versuch machen werden, den Charakter der Kammern dadurch zu verändern, daß ihnen immer mehr staatliche Aufgaben übertragen werden, so daß sie dadurch zu Vollzugsorganen des Staates werden und sich von eigentlichen staatlichen Behörden nur noch dadurch unterscheiden, daß ihre Kosten von der Wirtschaft getragen werden. Es kann nicht die Aufgabe dieser Untersuchung sein, diese Überlegungen noch zu vertiefen. Als Zusammenfassung muß aber gesagt werden, daß der Inhalt der Tabelle 56 einen gefährlichen Zustand widergibt, der große Aufmerksamkeit verdient. Man hat i n den Spitzenverbänden der Wirtschaft und der freien Berufe erkannt, daß es bei diesem Komplex i n Wahrheit u m wesentlich mehr geht als nur u m die Regelung von Spezialproblemen des Berufsbildungsrechtes. Der Vorstoß richtet sich gegen das Prinzip der Selbstverwaltung der Berufsgruppen, weil eine solche Selbstverwaltung i n der angestrebten staatlichen Planwirtschaft keinen Platz hat. Es stehen sich bei der Entscheidung über die Frage, ob die nichtschulische Berufsbildung weiterhin von den Selbstverwaltungskörperschaften geplant, gestaltet und kontrolliert werden soll, zwei grundsätzlich verschiedene Gesellschaftskonzeptionen gegenüber. Den Auseinandersetzungen über die Regelung dieses Teiles der Berufsbildung kommt daher eine so große Bedeutung zu, daß die Spitzenverbände diese Fragen unter sich sehr genau klären und daß sie danach gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit gemeinsam auftreten müssen. Aus diesem Grunde ist 1970 das „Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung" als ein Verein geschaffen worden, dessen Mitglieder der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Deutsche Industrie- und Handelstag, die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels und der Zentralverband des Deutschen Handwerks sind. Seit 1975 beteiligen sich an der gemeinsamen Arbeit auch der Bundesverband der Freien Berufe, der Deutsche Bauernverband und der Verband der Landwirtschaftskammern. Die Arbeit des Kuratoriums ist vor allem darauf gerichtet, durch die Herausarbeitung der Kernpunkte der Gegensätze und durch nüchterne Analysen der wirklichen Verhältnisse auf eine Versachlichung der Streitgespräche hinzuwirken. Dabei steht hinter vielen Überlegungen die Sorge, daß die wegen der Dynamik der Wirtschaft erforderliche ständige Evolution des beruflichen Bildungswesens gehemmt werden könnte, wenn die Auseinandersetzungen dazu führen, daß die Meinungsbildung erstarrt. Die innere Beschaffenheit der Be-
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C. Die gegenwärtige betriebspädagogische Wirklichkeit
triebe ändert sich i n vielen Wirtschaftszweigen so schnell, daß immer wieder die Frage gestellt werden muß, ob die jetzt praktizierte Berufsbildung noch zeitgemäß ist oder ob sie i n wesentlichen Punkten geändert werden muß. Daher ist das Kuratorium für Berufsbildung prinzipiell zukunftsorientiert. Es stellt ständig die Frage nach der Berufsbildung von morgen und versucht, schon heute die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß auch morgen eine gute Berufsbildungsarbeit geleistet werden kann. Als i m Jahre 1908 der Deutsche Ausschuß für Technisches Schulwesen (DATSCH) vom Verein Deutscher Ingenieure und anderen Wirtschaftsverbänden gegründet wurde, hat die offizielle deutsche Pädagogik davon keine Kenntnis genommen, und noch heute w i r d dieses Ereignis i n den Lehrbüchern der Geschichte des Erziehungswesens nicht erwähnt. Ebenso ist die Gründung des Kuratoriums der Deutschen W i r t schaft für Berufsbildung i m Jahre 1970 von den Erziehungswissenschaftlern kaum beachtet worden. Bis heute haben nur wenige von ihnen begriffen, daß das Kuratorium mehr ist als eine kurzlebige bildungspolitische Tageserscheinung. Man muß vielmehr sehr ernst m i t seiner Existenz rechnen. Durch seine Errichtung hat die Wirtschaft i n aller Form den Anspruch darauf erhoben, als v o l l gültiger Gesprächspartner an allen Beratungen beteligt zu werden, die sich m i t der Vorbereitung des Menschen auf sein Leben i n der modernen Wirtschaftsgesellschaft befassen. Dieser Anspruch richtet sich vor allem an den Staat, denn seine Haltung w i r d immer noch sehr stark von dem Prinzip bestimmt, daß die Regelung von Erziehung und Bildung primär eine Aufgabe des Staates sei, an deren Lösung dieser sekundär nach seinem Ermessen die großen gesellschaftlichen Gruppen beteiligen könne. Diese Ansicht ist überholt. Die Wirtschaft, die Karchen und auch andere Gruppen wie die freien Berufe haben ein natürliches Recht darauf, an der Beratung und der Entscheidung über die Grundfragen des Bildungswesens teilzunehmen. Die Wirtschaft hat für ihre Beteiligung an diesen Gesprächen das Kuratorium für Berufsbildung geschaffen und damit zugleich ihre Bereitschaft zu einer partnerschaftlichen Kooperation m i t den anderen gesellschaftlichen Gruppen und m i t dem Staat zum Ausdruck gebracht.
D. Folgerungen aus dem vorgelegten Material I. Die Notwendigkeit der betrieblichen Bildungspolitik 1. Betriebspädagogische Maßnahmen als Mittel zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der Betriebsmitglieder Das i n den vorangegangenen Teilen vorgelegte Material ist zwar unvollständig, denn es ist unmöglich, alle Tatbestände zu erfassen, die zu dem Sachbereich des Bildungswesens der Wirtschaft gehören. Es reicht aber trotzdem aus, u m sich eine Vorstellung von dem Zustand zu machen, i n dem sich gegenwärtig dieses Gebiet befindet, und es berechtigt dazu, einige Folgerungen aus den gewonnenen Einsichten zu ziehen. Die erste und wichtigste Folgerung ist die, daß die Bildungsarbeit der Betriebe und der Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft ökonomisch notwendig ist. Es steht nicht i n dem Belieben der Wirtschaft, ob sie auf dem Gebiete der Erziehung und Bildung tätig sein w i l l oder nicht. Es ist vielmehr so, daß sie dies t u n muß, wenn der Bestand der Betriebe langfristig gesichert bleiben soll. I m einzelnen sind die folgenden Gründe vorhanden. Die Leistungskraft eines Betriebes hängt von der Leistungsfähigkeit der Betriebsmitglieder ab. Seine richtige Ausstattung m i t Sachmitteln ist zwar sehr wichtig; diese erhalten jedoch erst dann einen Gebrauchswert, wenn Menschen vorhanden sind, die dazu fähig sind, sie zu verwenden und m i t ihnen Leistungen zu erbringen. I n der Frühzeit des Fabrikwesens war die industrielle Arbeit so primitiv, daß eine besondere Ausbildung der Arbeitskräfte nicht erforderlich war. Dieser Zustand ist jedoch schon lange vorbei. Heute w i r d nicht nur i n der I n dustrie, sondern auch i n allen anderen Teilen der Wirtschaft das Leistungsniveau eines Betriebes sehr wesentlich von dem Ausbildungsniveau der Angestellten und Arbeiter bestimmt. Jeder Betrieb muß daher darauf achten, daß dieses Ausbildungsniveau vorhanden ist und bestehen bleibt. Die Bildungspolitik ist daher ein wichtiger Teil der Betriebspolitik. Ein Teil dieser Sorge u m die Bildungsvoraussetzungen der wirtschaftlichen Arbeit w i r d der Wirtschaft von dem Staat abgenommen. Es gibt mehrere Gründe für die staatliche allgemeine Schulpflicht. Einer von ihnen ist die Verpflichtung des Staates, für diejenige Mindestbildung 15 Abraham
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D. Folgerungen aus dem vorgelegten Material
seiner Bürger zu sorgen, die bei dem heutigen Zustand der Wirtschaft unerläßlich ist; eines der wichtigsten Ziele der staatlichen Schulpolitik ist daher die Wirtschaftsfähigkeit der Jugend. Es ist fraglich, ob es der heutigen Schulpolitik noch gelingt, die Erreichung dieser Mindestbildung zu garantieren; man kann m i t gutem Grund daran zweifeln. Aber auch dann, wenn der Staat seinen Verpflichtungen v o l l nachkommt, bleibt für jeden Betrieb die Notwendigkeit bestehen, auf dem Fundament dieser Vorleistungen des Staates eine eigene Bildungspolitik zu treiben, welche diejenigen Kenntnisse, Fertigkeiten und Verhaltensweisen vermittelt, die speziell i n i h m gebraucht werden. Jeder Betrieb besitzt Besonderheiten, die ihn von anderen unterscheiden und seine Stärke und damit auch seine Stellung auf dem M a r k t begründen. Die Erhaltung und Vertiefung dieser Individualität macht besondere Maßnahmen der Betriebspolitik notwendig, und dazu gehören auch betriebspädagogische Maßnahmen. Alle Betriebe, über die i n dieser Arbeit berichtet worden ist, sind sehr darum bemüht, durch eine planmäßige Bildungspolitik dafür zu sorgen, daß sie ständig über eine Belegschaft verfügen, die allen fachlichen Anforderungen voll gewachsen ist. Dabei kommt es besonders auf die Förderung der intellektuellen und manuellen Elastizität und Anpassungsfähigkeit an, damit die Einführung neuer Verfahren nicht durch einen Ausbildungsrückstand der benötigten Fachkräfte behindert wird. Die Planung einer neuen Investition macht oft auch die Planung einer neuen Ausbildung erforderlich. Ohne ein gut funktionierendes innerbetriebliches Bildungswesen kann heute eine Personalabteilung nicht mehr die Garantie dafür übernehmen, daß der Betrieb stets über diejenigen Fachkräfte verfügt, die jetzt oder i n naher Zukunft gebraucht werden; die Personalplanung schließt immer die Bildungsplanung m i t ein. 2. Die betriebliche Bildungspolitik als Teil der Infrastrukturpolitik des Betriebes Die Diskussionen über die betriebliche Bildungspolitik haben eine wesentliche Vertiefung dadurch erfahren, daß die Infrastruktur des Betriebes i n den letzten Jahrzehnten mehr als bisher ein Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden ist. Das Wort Infrastruktur meint hier das innere Gesamtgefüge des Betriebes unter dem Aspekt der anthropologischen Problematik. Es geht dabei u m die Frage, was die soziale Gruppe Betrieb eigentlich zusammenhält, obwohl die i n i h r vorhandenen zwischenmenschlichen Beziehungen nicht einheitlich und zum Teil sogar gegensätzlich sind und obwohl ständig Mitglieder aus dem Betrieb ausscheiden und dafür andere Menschen i n i h n eintreten. Unternehmungen wie die Hoesch-Werke und die Bayer A G bestehen heute seit mehr als 100 Jahren, und es haben i n dieser langen
I. Die ökonomische Notwendigkeit betrieblicher Bildungspolitik
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Zeit Hunderttausende zu ihren Belegschaften gehört, die nicht miteinander verwandt und auch sonst i n der Regel einander fremd gewesen sind. Wie kommt es, daß aus diesen Menschenmassen die sozialen Gruppen Hoesch und Bayer entstanden sind, die heute einen bestimmten Charakter und einen hohen Grad der inneren Festigkeit besitzen? Durch diese Frage w i r d veranschaulicht, worum es sich bei der Analyse der Infrastruktur der Betriebe handelt. Man kann auf diese Frage vordergründige Antworten geben, indem man ζ. B. auf den Aufschwung der Stahlindustrie oder den Siegeszug der Chemie hinweist und sagt, daß dadurch i n bestimmten Unternehmungen Dauerarbeitsplätze entstanden sind. Die hier gemeinte Problematik liegt jedoch prinzipiell eine Schicht tiefer. Sie betrifft das Phänomen, daß i n den Betrieben eine Ordnung herrscht, die nur zum Teil auf Anordnungen und auf Zwang beruht und nur teilweise schriftlich festgelegt ist. Was i n den sogenannten Betriebsordnungen steht, betrifft meistens nur technische Dinge; außerdem lehrt die Erfahrung, daß diese Betriebsordnungen den Mitgliedern der Belegschaft häufig überhaupt nicht oder nur ungenau bekannt sind. Derartige schriftliche Ordnungen sind zwar notwendig. Sie erfüllen jedoch nicht die Funktion von sozialen Grundordnungen, die gleichsam die Sozialverfassung des Betriebes enthalten. Man ist zwar i n einigen Betrieben dabei, schrittweise derartige Grundordnungen zu schaffen, indem man ζ. B. Bildungskriterien für den beruflichen Aufstieg i n dem Betrieb aufstellt; i n dem vorgelegten Material sind solche Beispiele enthalten. Es ist aber sehr schwer, den i m Laufe der Jahre entstandenen Stil des Zusammenlebens i n einem Betrieb i n einer angemessenen Weise schriftlich zu fixieren; einige Unternehmungen haben dies durch die Formulierung der Prinzipien des „Führungsstiles" getan. Die Erfahrung lehrt, daß die nicht kodifizierte informelle Ordnung des Betriebes oft i n einem höheren Maße als die offizielle Betriebsordnung von allen Beteiligten als verbindlich angesehen wird. Man weiß daher von der tatsächlichen Infrastruktur eines Betriebes nur einen Teil, wenn man die von der Leitung erlassenen Anweisungen kennt. Es ist mindestens ebenso wichtig zu wissen, welche Sitten und Gebräuche i n einem Betrieb bestehen und auf wessen Meinung es tatsächlich ankommt. Es muß dem Wissenschaftler sehr daran liegen zu erfahren, wie diese faktische Ordnung zustande kommt. Aber auch der Praktiker ist an einer solchen Klärung interessiert. Es ist für die Betriebsleitung wichtig, Hinweise darauf zu bekommen, i n welcher Weise ihre Maßnahmen eine Wirkung auf diese Ordnung ausüben und sie entweder fördern oder aber auch schwächen. Der Komplex der Infrastruktur gehört daher zu den Problemkreisen, m i t denen sich die heutige Betriebsforschung 15*
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D. Folgerungen aus dem vorgelegten Material
intensiv befaßt. Man muß dabei allerdings zuerst einige veraltete klischeehafte Vorstellungen abbauen, die das Innenleben eines Betriebes i n einer Weise interpretieren, die von vornherein eine Verfälschung des Materials ist. Wer davon ausgeht, daß die Beziehungen zwischen den innerbetrieblichen Gruppen immer durch Konflikte bestimmt werden, die nur durch Kampf gelöst werden können, der wendet ein Denkschema an, das ihn daran hindert, die tatsächlichen Beziehungen sachgerecht zu analysieren. Ebenso ist es eine Primitivierung, wenn jemand als selbstverständlich unterstellt, daß alle Beziehungen letzten Endes auf Ehrgeiz und auf dem Wunsch nach mehr Geld beruhen. Diese vorgefaßten Meinungen führen m i t Notwendigkeit zu Fehlinterpretationen der Beobachtungsergebnisse. Es ist daher wesentlich, daß die Infrastrukturforschung nicht derartige veraltete Denkbahnen benutzt, sondern unvoreingenommen die Fakten feststellt, analysiert und interpretiert. Es ist nicht möglich, i n dieser Arbeit die Problematik der personellen Infrastruktur der Betriebe näher zu untersuchen 1 . Die Ausführungen müssen sich vielmehr darauf beschränken, auf die Tatsache hinzuweisen, daß enge Beziehungen zwischen der inneren Ordnung eines Betriebes und der i n i h m durchgeführten Bildungsarbeit bestehen. Diese Beziehungen sind sehr mannigfaltig und verschiedenartig. Es ist daher eine wichtige Aufgabe, i m Rahmen des Gesamtsystems der Betriebspolitik die Bildungspolitik so zu konzipieren, daß sie die auf lange Sicht geplante Infrastrukturpolitik unterstützt. Von der Gestaltung des innerbetrieblichen Bildungswesens hängt es i n einem hohen Maße ab, wie die innere Ordnung des Betriebes beschaffen ist. Deren Entwicklung kann durch eine gut durchdachte Bildungspolitik i n einem erheblichen Maße positiv beeinflußt werden. Dies ist aber erst i n zweiter Linie ein Organisationsproblem. I n erster Linie kommt es auf die Qualität der Menschen an, die diese Arbeit tragen. Der Verfasser ist sehr durch die Tatsache beeindruckt, daß i n den von i h m besuchten Betrieben i n dem Bildungsbereich durchweg Personen tätig sind, die sich durch eine große Hingabe an die Sache und durch ein hohes Ethos auszeichnen. Wenn die betriebliche Bildungspolitik i n solchen Händen ist, dann ist gesichert, daß auch die Infrastrukturpolitik auf eine Ordnung gerichtet ist, die auf den bleibenden Werten der europäischen Geistigkeit beruht.
1 Siehe dazu den Aufsatz des Verfassers „Die Berufsbildung als Mittel zur Gestaltung der personellen Infrastruktur" in „Theorie und Praxis der Infrastrukturpolitik", hrsg. von Jochimsen und Simonis, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Neue Folge Band 54, Berlin 1970, S. 655 - 663.
I I . Die betriebliche Berufsbildung als Selbstverwaltungsaufgabe
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I I . Der innere Zusammenhang zwischen dem Bildungswesen der Wirtschaft und ihrem Selbstverwaltungssystem Durch die Analyse der Infrastruktur w i r d die innere Beschaffenheit der Betriebe aufgehellt, und es liegt nahe, auch seine Außenbeziehungen i n einer ähnlichen Weise zu betrachten. Es ist i n dieser Untersuchung jedoch nicht möglich, auf die vielen Einzelfragen einzugehen, die sich dabei ergeben. Es soll daher nur ein Tatbestand untersucht werden, dessen Kenntnis für das Verständnis der heutigen Probleme des Bildungswesens der Wirtschaft sehr wichtig ist. Dies ist der innere Zusammenhang zwischen diesem Bildungswesen und dem Selbstverwaltungssystem der Wirtschaft. Es ist kein Zufall, daß die Kammern und Fachverbände heute i n einem hohen Maße die Träger des i n der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Systems der Berufsbildung sind. Dies ist vielmehr die Folge des Verlaufs der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte i n der neuesten Zeit. Die heutigen berufspädagogischen Funktionen der Selbstverwaltungseinrichtungen sind die Ergebnisse von Entwicklungsprozessen, die nicht rückgängig gemacht werden können. Wie bereits früher ausgeführt worden ist, beruht der jetzige Zustand vor allem darauf, daß die Betriebe einen Teil ihrer auf Ausbildungsverträgen beruhenden Rechte und Pflichten auf die Kammern und Fachverbände übertragen haben. Diese sind nicht von dem Staat geschaffen, sondern von den Betrieben errichtet worden, w e i l es sich als zweckmäßig erwiesen hat, die Erledigung vieler Angelegenheiten von dem Einzelbetrieb i n Gemeinschaftseinrichtungen zu verlagern. Diese Notwendigkeit ist auch weiterhin vorhanden. Sie ist sogar noch größer geworden, w e i l die Umsetzung der mannigfaltigen heutigen Vorschriften des Berufsbildungsrechtes i n die betriebliche Praxis von den Betrieben gar nicht geleistet werden könnte, wenn diese dabei nicht von den Kammern und Fachverbänden beraten und unterstützt würden und wenn ihnen diese Institutionen nicht einen Teil der Arbeit abnehmen würden. Diese Einrichtungen sind außerdem die Stellen, wo laufend Gespräche über die Verbesserung der Berufsbildung stattfinden. Dies geschieht i n Einzelunterhaltungen und i n Ausschußsitzungen, von denen die Öffentlichkeit nichts erfährt. Es erfolgt auf diese Weise eine permanente Berufsbildungsreform. Aus diesem engen Zusammenhang zwischen dem Bildungswesen der Betriebe und den Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft ergibt sich aber auch, daß das Funktionieren dieses Bildungswesens sehr stark von dem Funktionieren dieser Selbstverwaltung abhängt. Die Ablehnung des Anspruchs des Staates auf Übernahme der beruflichen Berufsbildung i n seine Verwaltung kann nur dann glaubhaft vertreten werden, wenn die Selbstverwaltung der Wirtschaft so beschaffen ist, daß
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D. Folgerungen aus dem vorgelegten Material
i h r unbedenklich die Betreuung dieses immer wichtiger werdenden Gebietes auch weiterhin überlassen werden kann. Dies ist einerseits eine Tatsachenfrage und andererseits eine Grundsatzfrage. Die Tatsachenfrage ist relativ leicht zu beantworten, denn das hohe Leistungsniveau des deutschen Systems der beruflichen Bildung ist weitgehend auf die gute Arbeit der Kammern und Fachverbände zurückzuführen. Diese Feststellung allein genügt jedoch nicht. Bei einer kritischen Analyse ist zu überlegen, ob etwa trotz seines heute vorhandenen Leistungsstandes die Grundprinzipien, auf denen das jetzige Berufsbildungssystem aufgebaut ist, bereits überholt sind. Sollte dies der Fall sein, dann dürfte man sich durch das gute Erscheinungsbild nicht täuschen lassen, sondern müßte schon jetzt daran gehen, die Grundstrukturen des Systems zu ändern. Diese Überlegungen führen zu der Frage, ob das System der Selbstverwaltung der Wirtschaft noch zeitgemäß ist oder ob es ein Überrest aus einer vergangenen Zeit ist und daher nicht mehr i n die heutige Gesellschaftsepoche paßt. Wenn man diese Gedanken noch weiter vertieft, dann zeigt sich, daß es sich i m Grunde darum handelt, welche Inhalte heute die Begriffe Gesellschaft und Staat haben. Der wesentliche Punkt ist dabei die Entscheidung darüber, ob i n der Gesellschaft das Subsidiaritätsprinzip gelten soll, so daß die Teilgebiete der Gesellschaft auf ihren Gebieten Gestaltungsfreiheit besitzen. M i t dieser Konzeption verträgt es sich nicht, daß der Staat das Recht hat, i n alle Lebensbereiche m i t seinen Anordnungen einzugreifen. Das Prinzip der Omnipotenz des Staates und das Prinzip der Eigenständigkeit der historisch gewachsenen Teilbereiche der Gesellschaft schließen einander aus. Es gibt keine Möglichkeit eines Kompromisses zwischen ihnen, sondern nur die Notwendigkeit der Entscheidung, ob das eine oder das andere die Grundordnung der Gesellschaft bestimmen soll. U m diese Entscheidung w i r d heute i n der Bundesrepublik gerungen; das berufliche B i l dungswesen ist ein Bereich, i n dem der Kampf besonders hart ist. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung hängt vor allem davon ab, wie stark die geistigen Kräfte der beiden Gruppen sind. Die Anhänger des Subsidiaritätsprinzipes und damit des Prinzips der Selbstverwaltung der Wirtschaft müssen ihre Sache so glaubwürdig vertreten, daß sie dadurch den Vertretern des Prinzips der uneingeschränkten Macht des Staates überlegen sind. Dies ist heute sehr schwer, weil vor allem die Marxisten und ihre Mitläufer ein i n sich logisch geordnetes Konzept einer Gesellschafts- und Staatsidee besitzen, das auf den geschichtsphilosophischen Prämissen des theoretischen Marxismus beruht. Die Ablehnung des Subsidiaritätsprinzipes ergibt sich bei ihnen folgerichtig aus Grundüberzeugungen, die sie nicht aufgeben können. Wer für die Selbstverwaltung der Wirtschaft eintritt, w i r d daher zwangsläufig i n
I I . Die betriebliche Berufsbildung als Selbstverwaltungsaufgabe
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gesellschaftstheoretische Grundsatzdebatten hinein gezogen, und die Diskussion über die aktuellen Probleme der Berufsbildungspolitik w i r d unvermeidlich schnell zu einer Diskussion über die erwünschte Grundstruktur der Gesellschaftsordnung. I n einem solchen Streitgespräch kann sich nur derjenige als Vertreter des Subsidiaritätsprinzips behaupten, der sich so gründlich m i t philosophischen Kernfragen und m i t den Grundauffassungen des Marxismus befaßt hat, daß er weiß und darlegen kann, warum diese Gesellschaftslehre falsch i s t Leider besitzt aber nur ein Teil der Fachleute der Wirtschaft eine gründliche gesellschaftstheoretische Bildung. Dies ist ein gefährlicher Zustand, denn er kann dazu führen, daß sie i n Diskussionen über Grundfragen der modernen Gesellschaft und Wirtschaft unterliegen, obwohl eigentlich die besseren Argumente auf ihrer Seite sind. Sie sind gewiß gute Spezialisten auf ihren Sondergebieten. Dies reicht heute aber nicht aus, wenn sie die Sache der Selbstverwaltung der Wirtschaft vertreten sollen. Dazu benötigen sie eine umfassende philosophische und soziologische Grundbildung, die sie dazu fähig macht, die besondere Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für die moderne Massengesellschaft darzulegen. Je mehr die Zahl der Menschen zunimmt und je komplizierter die Lebensverhältnisse werden, um so wichtiger ist es, daß sich der Staat auf die Sicherung des Friedens durch die V e r w i r k lichung der allgemeinen Grundwerte beschränken kann und daß er die Regelung der meisten Teilfragen den historisch gewachsenen innerstaatlichen Sozialgebilden überlassen darf, w e i l diese solchen Aufgaben gewachsen sind. Wer heute dafür eintritt, daß die betriebliche Berufsbildung von den Selbstverwaltungsinstitutionen der Wirtschaft geordnet und kontrolliert wird, der leugnet durchaus nicht die Bedeutung des Staates. Er schätzt diese i m Gegenteil so hoch ein, daß er eine Entlastung der Staatsorgane von Aufgaben befürwortet, die andere Stellen ebenso gut und besser erledigen können, damit sich der Staat auf die Erfüllung seiner wesentlichen Verpflichtungen konzentrieren kann. Der deutsche Staat hat i n den nächsten Jahrzehnten so schwierige Probleme zu lösen, daß es ein Gebot der Klugheit ist, dem seit langem gut eingearbeiteten Selbstverwaltungssystem der Wirtschaft die Betreuung der wirtschaftlichen Berufsbildung auch weiterhin zu überlassen. Die Aufrechterhaltung der jetzigen Ordnung der Regelung der betrieblichen Berufsbildung hat daher i n zweifacher Hinsicht Bedeutung. Der Staat braucht sich nicht um die vielen Teilprobleme zu kümmern, die heute von den Kammern und Fachverbänden geregelt werden, und kann sich darauf beschränken, auch i m Bereiche der Berufsbildung die Geltung der allgemeinen Grundwerte zu sichern. K e i n Vertreter des Subsidiaritätsprinzips w i r d i h m das Recht bestreiten, verbindliche Normen festzulegen, durch welche die Berufsbildung i n das Gesamtsystem
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D. Folgerungen aus dem vorgelegten Material
der Gesellschaftsordnung eingefügt wird. Die zweite Bedeutung liegt darin, daß die fachliche Arbeit ungehindert weiter gehen kann. Sie w i r d gegenwärtig durch die Unsicherheit belastet, ob etwa demnächst ein ganz anderes Berufsbildungssystem eingeführt wird, das die bisher geleistete Arbeit entwertet. Der Verfasser hat die Beobachtung gemacht, daß dieses Gefühl der Ungewißheit sehr groß ist. Manche Fachkräfte haben weitgehend die Freude an ihrer Tätigkeit verloren, w e i l sie bereits jetzt die Erfahrung gemacht haben, daß vom Staat Vorschriften erlassen werden, die nicht sachgerecht sind, und sie befürchten, daß dies noch schlimmer werden wird. Diese Atmosphäre der Ungewißheit muß beseitigt werden, wenn das berufliche Bildungswesen leistungsfähig bleiben soll. Es ist daher dringend notwendig, daß eine klare Entscheidung erfolgt, die sicherstellt, daß die betriebliche Berufsbildung auch weiterhin von den Selbstverwaltungsorganen der Wirtschaft betreut wird. Ι Π . Die geistige Grundstruktur des Bildungswesens der Wirtschaft Aus dem vorgelegten Material geht ferner hervor, daß die Bildungsarbeit der Betriebe prinzipiell an dem erwachsenen Betriebsmitglied orientiert ist und daß der jugendliche Berufsanfänger m i t der Absicht betreut wird, i n i h m nach einigen Jahren einen v o l l leistungsfähigen erwachsenen Mitarbeiter zu gewinnen. Man darf sich nicht dadurch täuschen lassen, daß i n manchen Berichten über die betriebspädagogische Arbeit besonders von der Ausbildung der Auszubildenden die Rede ist, denn dies liegt oft nur daran, daß darüber mehr Material vorliegt, das sich zur Veröffentlichung eignet. I m Prinzip gehört die Arbeit der Betriebspädagogik zu dem Bereich der beruflichen Erwachsenenbildung; soweit dabei auch Jugendbildung betrieben wird, hat sie den Charakter einer Vorstufe der Erwachsenenbildung. Dieser Sachverhalt bewirkt einen wesentlichen Unterschied zwischen der Arbeit, die i n dem Bildungswesen der Wirtschaft geleistet wird, und der Arbeit i n den Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien, denn diese Bildungseinrichtungen sind prinzipiell für Kinder und Jugendliche bestimmt, wenn auch i n den Oberstufen der Gymnasien bereits i n einem gewissen Umfange schon Erwachsenenbildung betrieben wird. Die Berufsschulen werden sowohl von Jugendlichen als auch von jungen Erwachsenen besucht, und die Altersstruktur ihrer Schüler ähnelt daher derjenigen der Oberstufenschüler des Gymnasiums. I n der Sache besteht aber ein entscheidender Unterschied zwischen dem Bildungsauftrag der gymnasialen Oberstufe und demjenigen der Berufsschule. Die gymnasiale Oberstufe ist die Schlußphase der Kinder- und Jugendlichenbildung, die Berufsschule dagegen die Anfangsphase der beruflichen Erwachsenenbildung.
I I I . Geistige Grundstrukturen des Bildungswesens der Wirtschaft
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Es ist für das betriebliche Bildungswesen ferner charakteristisch, daß es eine Strukturierung durch die Stufen erhält, über die sich der A u f stieg des Berufsanfängers vollzieht. Dies ist deutlich i n dem Material des Berufsbildungswerks der Versicherungswirtschaft erkennbar, das einen klar vorgezeichneten Aufstiegsweg von dem Versicherungskaufmann über den Versicherungsfachwirt zu dem Versicherungsbetriebsw i r t zeigt. Ebenso bemüht sich das Bildungszentrum des Bayerischen Handels, dem jungen Kaufmann Hilfestellung bei dem Aufstieg von dem Gehilfen i m Einzel- oder Großhandel zu dem Handelsfachwirt und zu dem selbständigen Geschäftsinhaber zu leisten. Diese Parallelität von Aufstiegsweg und Bildungsweg ist deutlich auch aus dem Material der Dresdner Bank ersichtlich. Bei der Deutschen Bank ist man noch einen Schritt weiter gegangen, indem man die fachlichen Funktionsstufen und die beruflichen Bildungsstufen genau aufeinander abgestimmt hat. Aber auch bei den anderen Firmen, über die berichtet worden ist, w i r d der Grundsatz vertreten, daß die Prinzipien, nach denen Beförderungen vorgenommen werden, und die Prinzipien, nach denen die Bildungsplanung gestaltet wird, eine innere Einheit bilden müssen. Aus dem Bildungsangebot seines Betriebes kann ein Angestellter oder Arbeiter ersehen, wie er durch Teilnahme an Vorträgen und Kursen jeweils den nächsten Schritt seines beruflichen Aufstieges vorbereiten kann. Er kann daher einen beruflichen Lebensplan aufstellen, der realisierbar ist, und er erhält dadurch das Bewußtsein, daß es einen Sinn hat, wenn er sich anstrengt. A u f diese Weise w i r d der Wille auf erreichbare Ziele gelenkt. Dies ist psychologisch sehr wichtig, denn die erste Voraussetzung für jeden beruflichen Aufstieg ist die ausreichende Stärke des Willens zum Einsatz der Kräfte für diesen Zweck. Es hat wenig Sinn, den Betriebsmitgliedern ein umfangreiches Bildungsprogramm anzubieten, wenn nicht zugleich dafür gesorgt wird, daß sie dessen Nutzen für sich selber zu erkennen vermögen. Es ist wichtig, ihren Willen zu motivieren. Dies geschieht dadurch, daß ihnen bewußt gemacht wird, daß ein direkter Zusammenhang zwischen ihrem Wunsch nach Aufstieg und diesem Bildungsangebot besteht und daß es vor allem an ihrem Willen liegt, ob dieser Zusammenhang für sie w i r k sam wird. Die Problematik ist jedoch schwieriger, als es zunächst scheint. Es ist möglich, daß jemand eine unnötige Belastung darin sieht, daß er an bestimmten Seminaren teilnehmen muß, bevor er befördert wird, w e i l er nach seiner Meinung bereits ausreichend qualifiziert ist. Ferner kann jemand die Auffassung haben, daß dieses Bildungssystem mehr dem Betrieb als dessen Angestellten und Arbeitern nutzt, w e i l die Steigerung der Leistungsfähigkeit relativ größer sei als die Erhöhung der Löhne und Gehälter i m Zuge der Beförderungen. Wenn diese und
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D. Folgerungen aus dem vorgelegten Material
ähnliche Fragen nicht hinreichend beantwortet werden, dann kann das betriebliche Bildungswesen zu einem Herd der Unzufriedenheit werden. Die Bildungsmaßnahmen des Betriebes können ohne böse Absicht mißverstanden werden; es kommt aber auch vor, daß sie m i t böser Absicht falsch gedeutet werden. Diese Gefahren müssen gesehen werden. Die Bildungspolitik eines Betriebes muß daher so angelegt sein, daß ihre Motive und Ziele von allen Betriebsmitgliedern verstanden werden können. Es ist daher nicht nur wichtig, was getan wird, sondern auch, wie es dargestellt und erläutert wird. I n den Bildungsangeboten der besprochenen Betriebe finden sich aber auch Themen, die nichts m i t dem Berufsleben zu t u n haben. Durch die Teilnahme an solchen Veranstaltungen erhalten die Betriebsmitglieder ζ. B. nützliche Kenntnisse für die Haushaltsführung, die Pflege der Gesundheit und die Betreuung des Gartens. Außerdem w i r d ihnen durch Vorträge, Konzerte, Theatervorstellungen und ähnliches eine Fülle von Anregungen für ihr persönliches Leben geboten. I n welchem Umfange diese Arbeit betriebsnotwendig ist, kann nicht generell entschieden werden, sondern hängt von den Verhältnissen bei dem jeweiligen Betrieb ab. Aus dem vorgelegten Material geht hervor, daß dieser Teil des betrieblichen Bildungswesens i n manchen Unternehmungen eine große Bedeutung hat. Sowohl i n den gedruckten Veranstaltungsprogrammen der Daimler-Benz A G als auch i n denjenigen der Bayer A G nehmen solche Dinge einen großen Platz ein; aber auch bei den anderen Betrieben fehlen sie nicht. Es kommt i m Grunde darauf an, i n welchem Maße sich der Betrieb u m diese Dinge kümmern muß, w e i l sonst bei den gegebenen örtlichen Verhältnissen die Betriebsmitglieder kaum die Gelegenheit haben würden, an Darbietungen dieser A r t teilzunehmen. Das unmittelbare Interesse des Betriebes beruht darauf, daß er befürchten muß, gerade die geistig aufgeschlossenen und interessierten Mitarbeiter zu verlieren, wenn er nichts auf dem Gebiete der allgemeinen Bildung tut, weil diese sonst weggehen, wenn anderswo bessere kulturelle Verhältnisse vorhanden sind. Wenn dieser Teil der betrieblichen Bildungsarbeit auch nicht berufsbezogen ist, so ist er doch trotzdem betriebsnotwendig, denn er steht i m Dienste der betrieblichen Personalpolitik. Es spielt dabei aber auch noch der folgende Tatbestand eine große Rolle. Der Verfasser hat die Erfahrung gemacht, daß Gespräche m i t den für die Personal- und Bildungsfragen verantwortlichen Fachleuten der Betriebe oft zu dem Problemkreis einer neuen Allgemeinbildung führen. Dies t r i f f t besonders bei Diskussionen über die Frage zu, welche spezifischen Qualifikationen die Angehörigen der oberen und der m i t t leren Führungsschicht besitzen sollten. Das fachliche Wissen und Können ist eine Selbstverständlichkeit, über die man nicht zu sprechen
I I I . Geistige Grundstrukturen des Bildungswesens der Wirtschaft
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braucht. Die eigentliche Problematik beginnt erst jenseits dieses Bereiches. Je höher jemand i n der Hierarchie des Betriebes steht, u m so mehr erwartet man von i h m heute eine zusätzliche Eignung, deren Grundlage eine fundierte allgemeine Bildung ist. Darunter ist nicht eine Allgemeinbildung i m Sinne des Neuhumanismus zu verstehen, sondern ein neuer Typ der Allgemeinbildung, der der heutigen K u l t u r lage entspricht. Die Klärung, was damit i m einzelnen gemeint wird, ist noch nicht so weit fortgeschritten, daß eine abschließende Formulierung möglich ist. Der Verfasser hat aber den Eindruck, daß ein Einvernehmen darüber vorhanden ist, daß eine philosophische, eine historische und auch eine gesellschaftswissenschaftliche Grundbildung notwendig sind und daß außerdem eine Denkhaltung zu fordern ist, die das Vorhandensein von sittlichen Grundwerten bejaht. Ferner muß das Denkvermögen des Betreffenden so gut geschult sein, daß dieser dazu fähig ist, allgemeine theoretische Einsichten i n realisierbare Prinzipien der Betriebsgestaltung umzusetzen. Wenn man die Programme von Veranstaltungen für Führungskräfte durchliest, dann stellt man fest, daß der Befassung m i t Problemkreisen der skizzierten A r t eine sehr große Bedeutung zugemessen wird. Die besondere Eigenart der Bildungsstätten für die obersten Spitzenkräfte liegt gerade darin, daß i n ihnen die großen allgemeinen Probleme der Gegenwart zur Diskussion gestellt werden. Es ist der besondere Reiz der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiete der Betriebspädagogik, daß hier die Gelegenheit vorhanden ist, die Entstehung einer neuen Idee der Allgemeinbildung zu beobachten. Dieser Prozeß w i r d von Menschen getragen, die zwar i n dem traditionellen Sinne keine Bildungsfachleute sind, die aber eine große Verantwortung für die geistige Beschaffenheit der i n ihren Betrieben tätigen Angestellten und Arbeiter tragen. Sie können beurteilen, wie eine moderne Erwachsenenbildung beschaffen sein muß, damit sie dem heutigen Menschen dabei hilft, m i t den i h m gestellten Aufgaben fertig zu werden und ein befriedigendes Leben zu führen. Indem der Betriebspädagoge als Beobachter und Berater an dieser Entwicklung teilnimmt, gewinnt er Erkenntnisse, die eine sehr große Bedeutung für die Beurteilung der modernen Erziehungs- und Bildungsfragen haben. Es ist die Funktion der Betriebspädagogik innerhalb der heutigen Erziehungswissenschaft, dazu beizutragen, daß die pädagogische Bewegung, die sich heute i m Raum der Wirtschaft ereignet, über diesen Bereich hinaus wirksam w i r d und das gesamte Erziehungs- und Bildungswesen befruchtet. Diese Überlegungen sind zugleich die Grundlage für die Diskussion des Verhältnisses des Bildungswesens der Wirtschaft zu dem staatlichen Schulwesen. Während diesem heute eine zentrale Leitidee fehlt, besitzt
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D. Folgerungen aus dem vorgelegten Material
das Bildungswesen der Wirtschaft eine innere Einheit, die sich aus seiner Zweckbestimmung ergibt. Es ist außerdem derjenige pädagogische Raum, wo eine neue Idee der Allgemeinbildung i m Entstehen ist. Es ist derjenige Teil des gesamten Bildungswesens, von dem heute die wesentlichen Impulse für ein neues pädagogisches Denken ausgehen. Die spezifische Geistigkeit der industriellen Kulturepoche gelangt in dem Bildungswesen der Wirtschaft zu der Konkretisierung ihrer Inhalte und Formen und w i r k t von dort aus i n den gesamten pädagogischen Bereich hinein. Die Vorgänge in dem Erziehungswesen sind schon immer besonders deutliche Erscheinungsformen des allgemeinen K u l turprozesses gewesen, wobei jeweils einzelne Teilbereiche des Bildungswesens die spezifische Eigenart einer Kulturepoche veranschaulicht haben. I n dieser Weise hat das Gymnasium die bürgerliche K u l t u r des 19. Jahrhunderts repräsentiert. Diese Führungsrolle ist heute auf das Bildungswesen der Wirtschaft übergegangen. Was dort heute vorgeht, hat Modellcharakter für die ganze jetzige pädagogische Epoche. Das bedeutet durchaus nicht, daß die Volksschule und die höhere Schule ihre Bedeutung verlieren. Es bedeutet aber, daß ihre Strukturen i n dem Maße einen Wandel erfahren, i n dem die neue Idee der Allgemeinbildung von dem Bildungswesen der Wirtschaft aus i n diese Bereiche hinein w i r k t . I V . Massenbildung und Elitebildung als die beiden Leitprinzipien i n dem Bildungswesen der Wirtschaft Je mehr man sich m i t den Bildungseinrichtungen der Wirtschaft befaßt, um so deutlicher erkennt man, daß i n ihm zwei scheinbar entgegengesetzte Leitprinzipien zu einer fruchtbaren Einheit verbunden sind, nämlich das der Massenbildung und das der Elitebildung. Die Bildungsarbeit der Betriebe muß grundsätzlich so beschaffen sein, daß sie für jeden Angestellten und Arbeiter zugänglich ist. Das Prinzip der Chancengleichheit für alle w i r d durch das betriebliche Bildungswesen i n einer lebensnahen Weise verwirklicht. Dies erfordert häufig besondere Maßnahmen. Sie sind besonders bei dezentralisierten Betrieben erforderlich, w e i l bei diesen ein Teil der Belegschaft i n Filialen tätig ist, die nur wenige Mitarbeiter haben und sich i n kleinen Orten befinden. Unter den Betrieben, über die i n dieser Arbeit berichtet worden ist, gilt dies besonders für die Dresdner Bank und die Deutsche Bank. Das von diesen Firmen zur Verfügung gestellte Material zeigt, daß sie sich intensiv darum bemühen, durch den Einsatz entsprechender Lehrmethoden (z.B. Fernunterricht, programmierte Unterweisungen) und durch die Einberufung dieser Betriebsmitglieder zu Lehrgängen i n Schulungsheimen den Nachteil der Beschäftigung an kleinen Plätzen abzugleichen. Es ist unvermeidlich, daß dadurch ein besonderer
IV. Massenbildung und Elitebildung in der Betriebspädagogik
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Arbeitsaufwand und besondere Kosten entstehen, und es ist erforderlich, ein solches System immer wieder unter dem Gesichtspunkt zu überprüfen, ob es noch voll seinen Zweck erfüllt. Die Verwirklichung des Prinzips der Chancengleichheit für alle durch eine moderne Massenbildung ist für die Betriebe keine leichte Aufgabe. Daß sie sich trotzdem darum bemühen, hat mehrere Gründe. Der wichtigste von ihnen ist die Tatsache, daß die allgemeine Zusammenarbeit i m Betrieb besser ist, falls i n i h m ein gutes geistiges K l i m a herrscht. Wenn die Belegschaftsmitglieder sehen, daß sie durch die Zugehörigkeit zu ihrem Betrieb Bildungs- und damit Aufstiegsmöglichkeiten erhalten, dann werden sie dadurch zu einer positiven Einstellung zu ihrer Firma veranlaßt. Dies bewirkt eine Erleichterung der Arbeit der Personalabteilung. Der Verfasser hat aber die Beobachtung gemacht, daß es zusätzlich bei vielen Personal- und Bildungsfachleuten eine viel tiefer begründete Motivierung gibt. Dieser Personenkreis besitzt wie kaum ein anderer eine gute Kenntnis des Zustandes der heutigen deutschen Gesellschaft. Zahlreiche Mitglieder dieser Gruppe sind der Ansicht, daß das bestehende Gesellschaftsgefüge weniger stabil ist, als meistens angenommen wird. Sie sehen die Gefahr, daß seine Ordnung durch irgendwelche revolutionäre Massenstimmungen relativ leicht erschüttert werden kann. Es kommt nach ihrer Meinung daher darauf an, deren Ausbruch rechtzeitig zu verhindern, w e i l sonst das Abgleiten i n eine allgemeine Anarchie eintreten könnte. Bei den Gesprächspartnern, die eine solche Ansicht geäußert haben, hat es sich ausnahmslos um Menschen m i t viel Lebenserfahrung und m i t einer großen Nüchternheit des Urteils gehandelt, und man muß es daher sehr ernst nehmen, daß sie die Lage so beurteilen. Man muß außerdem ihren Vorschlägen zur Überwindung dieser gefährlichen Situation große Aufmerksamkeit schenken. Die Gespräche haben meist zu der Feststellung geführt, daß es für die Abwehr der Anarchie wesentlich ist, daß die Menschen i n ihren Betrieben sinnvolle und gerechte Zustände erleben. Dazu gehört auch eine Ordnung des Bildungswesens, die jedem realistische Aufstiegsmöglichkeiten sichert. Diese Verwirklichung des Grundsatzes des gleichen Bildungsrechtes für alle kann aber nur durch eine gut durchdachte Massenbildung geschehen. Indem die Betriebe dafür sorgen, leisten sie einen wichtigen Beitrag zu der Stabilisierung der heutigen Gesellschaft. Die tatsächliche Beschaffenheit der Ordnung i n den Betrieben hängt aber wesentlich von den täglichen Entscheidungen der Führungskräfte ab. Wer eine irgendwie geartete Befehlsgewalt besitzt, beeinflußt durch deren Ausübung die Ordnung des Betriebes i n positiver oder negativer Weise. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Personenkreis, der Anordnungsbefugnisse hat, durch eine planmäßige Weiterbildung zu einem guten Führungsverhalten zu veranlassen. Je höher jemand i n der
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D. Folgerungen aus dem vorgelegten Material
Hierarchie des Betriebes steht, um so mehr kann er durch ein schlechtes Verhalten Schaden verursachen. Daher kommt es vor allem auf die Haltung der obersten Führungsgruppe an; die geistige Beschaffenheit eines Betriebes w i r d letzten Endes durch den Umgangsstil der an seiner Spitze stehenden Kräfte bestimmt. Man muß daher eine für diesen Personenkreis bestimmte Bildung aufbauen, wenn man eine langfristige innerbetriebliche Ordnungspolitik treiben w i l l . Dazu kommt noch folgendes. Jeder Betrieb ist i n eine bestimmte wirtschaftliche, politische und kulturelle Umwelt eingebettet, die seine Existenzbedingungen bestimmt. Die Führungskräfte müssen daher dazu fähig sein, die besondere Stellung ihres Betriebes i n seiner Umwelt zu erkennen und bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Wer einen Betrieb leiten w i l l , der muß zusätzlich zu umfangreichen Fachkenntnissen auch die Fähigkeit besitzen, die großen Zusammenhänge zu überblicken und dadurch zu verstehen, wo der Platz seines Betriebes und sein eigener Platz i n dieser Welt sind. Dazu benötigt er eine neue Allgemeinbildung, über die bereits früher gesprochen worden ist. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Notwendigkeit, Bildungsmaßnahmen zu organisieren, die es den Führungskräften leichter machen, sich i n ihrer Umwelt zu orientieren und sich entsprechend zu verhalten. Wie das vorgelegte Material zeigt, haben mehrere große Unternehmen aus diesem Sachverhalt die Folgerung gezogen, daß die Schaffung von Führungsakademien für die Spitzenkräfte betriebsnotwendig ist. Es handelt sich hier u m eine Elitebildung i n dem genauen Sinn dieses Wortes, denn es geschieht die sachgerechte Weiterbildung eines kleinen Personenkreises, der bereits einen intensiven Auswahlprozeß durchgemacht hat. Ein Betrieb kann nicht funktionieren, wenn er nicht eine Führungsgruppe besitzt, die auf ihre Aufgabe gut vorbereitet ist und deren Leistungsvermögen ständig erneuert wird. Dafür zu sorgen, ist eine ebenso wichtige Aufgabe der betrieblichen Bildungspolitik wie die Organisierung der innerbetrieblichen Massenbildung. Die Elitebildung und die Massenbildung stehen nicht i n einem Gegensatz zueinander; es ist vielmehr so, daß sie einander bedingen. Es wäre ein Fehler, nur die eine zu betreiben und die andere zu unterlassen. Es kann allerdings sein, daß es i m Laufe des Entwicklungsprozesses eines Betriebes zweckmäßig ist, vorübergehend das Schwergewicht mehr auf die eine Seite zu legen. Es entspricht wahrscheinlich ferner einer gewissen inneren Sachgerechtheit, daß zunächst dafür gesorgt werden muß, daß alle Betriebsmitglieder Bildungsmöglichkeiten erhalten, ehe man sich dem Ausbau der Weiterbildung von Führungskräften zuwenden kann. Der historische Ablauf ist i n der Tat so gewesen, daß bei dem Aufbau des Bildungswesens der Wirtschaft i n den ersten Phasen überwiegend Einrichtungen geschaffen worden sind, die der
IV. Massenbildung und Elitebildung in der Betriebspädagogik
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Gesamtheit der Betriebsmitglieder zugute kommen. A u f der Grundlage der Lehrlingsausbildung sind weiterführende Maßnahmen getroffen worden, die der Einarbeitung der jungen Angestellten und Arbeiter i n Spezialtätigkeiten dienen und damit deren beruflichen Aufstiegsweg einleiten. A u f diese Weise haben alle Nachwuchskräfte die Möglichkeit erhalten, ihre Willenskraft und ihre intellektuelle und manuelle Begabung zu erproben und sich über ihre beruflichen Lebensziele klar zu werden. Dies ist eine Bildungsarbeit, die sich an alle richtet und daher den Charakter der Massenbildung hat. Sie bleibt das Fundament der beruflichen Erwachsenenbildung i m Betrieb und beansprucht auch weiterhin den größeren Teil der betrieblichen Aufwendungen für Bildungszwecke. Der Verfasser hat jedoch bei seinen Gesprächen i n den Betrieben den Eindruck gewonnen, daß trotz dieses quantitativen Ubergewichtes der Massenbildung heute die Elitebildung der besonders wichtige, zugleich aber auch besonders problematische Fragenkreis der betrieblichen B i l dungspolitik ist. Über die Bedeutung der Elitebildung ist man sich allgemein klar, und die i n der Wirtschaft durch die Rezession der letzten Jahre entstandenen Schwierigkeiten haben ihre Dringlichkeit noch stärker sichtbar gemacht. Man zögert jedoch manchmal, weil man das Gefühl hat, einen gefährlichen Schritt zu tun, wenn man das klar abgegrenzte und keiner politischen Mißdeutung ausgesetzte Gebiet der Fachbildung verläßt und sich wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen zuwendet und dabei von den Beteiligten Stellungnahmen zu Grundwerten verlangt. Dies ist i n der Tat ein Schritt, der erst nach sehr gründlichen Absicherungen getan werden darf, damit die Bildungsarbeit nicht i n den Verdacht einer beabsichtigten Manipulation der Meinungen gerät. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, daß dieser Schritt getan werden muß. Kein Betrieb lebt auf einer Insel, so daß den Führungskräften die Auseinandersetzung m i t der Umwelt nicht erspart bleibt. Jeder Betrieb steht vielmehr i n einem sehr dichten Geflecht von Abhängigkeiten und ist i n diesem selbst eine intensiv wirkende Kraft. Die Führungskräfte des Betriebes müssen daher dazu fähig gemacht werden, dieses Netzwerk von gegenseitigen Beziehungen zu durchschauen, damit sie die Betriebspolitik entsprechend gestalten können. Es gibt daher bei der Weiterbildung von Führungskräften keine Alternative zu der Entscheidung, sich den akuten Problemen der industriellen Kulturepoche zu stellen und Wege zur Klarheit zu suchen. Man muß dabei auch den M u t zum Risiko haben, denn man kann den Ablauf einer Elitebildung dieser A r t nicht so eindeutig vorprogrammieren, daß Konflikte ausgeschlossen werden. Durch dieses Risiko w i r d aber auch sichtbar, daß es sich hier u m eine echte Unternehmerbildung handelt.
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D. Folgerungen aus dem vorgelegten Material
Die Tatsache, daß i n jedem Betrieb sowohl berufsbezogene Massenbildung als auch berufsbezogene Elitebildung notwendig ist, kennzeichnet den besonderen Charakter dieses Sozialgebildes. Darin liegt beispielsweise ein Unterschied zu der Familie, denn diese ist stets so klein, daß es i n i h r keine Massenbildung geben kann. Ebenso unterscheidet sich die soziale Einheit Betrieb typisch von einer religiösen Gemeinschaft, denn dort sind sowohl die Massenbildung als auch die Elitebildung nicht berufsbezogen, sondern haben eine völlig andere geistige A r t . Diese Überlegungen könnten weiter fortgesetzt werden, u m noch deutlicher zu zeigen, daß der wirtschaftliche Betrieb innerhalb der Gesamtgesellschaft eine ganz bestimmte einmalige Beschaffenheit besitzt, die ihn von allen übrigen Sozialgebilden unterscheidet. Es ist die Aufgabe der Betriebsforschung, diese Einmaligkeit des Betriebes festzustellen. Innerhalb der Betriebsforschung hat die Betriebspädagogik die Teilaufgabe, den pädagogischen Teil dieser Einmaligkeit herauszulösen und i h n durch systematische Analysen und Synthesen erkennbar zu machen. Es muß dabei daran gedacht werden, daß der Betrieb ein relativ junges Sozialgebilde ist, das erst i n der industriellen K u l t u r epoche entstanden ist. Was ihn von den Arbeitsstätten i n den früheren Kulturepochen unterscheidet, ist primär die neue A r t seiner Geistigkeit und erst sekundär seine neue Technologie. Die zentrale Aufgabe der Betriebsforschung und damit auch der Betriebspädagogik ist daher die Untersuchung der Stellung des Betriebes i n der Geistesgeschichte der neuesten Zeit.
Literaturverzeichnis Hinweise auf die Quellen Ein wesentlicher Teil des Materials (vor allem der beiden Kammern) ist in Berichten, Akten und ähnlichen Unterlagen enthalten, die nicht in die folgende Aufstellung aufgenommen werden konnten. Diese Liste gibt daher keine vollständige Information über die benutzten Quellen. — Das Bücherverzeichnis enthält nur einige Werke, die für die behandelten Fragen besonders wichtig sind, und hat daher nicht den Charakter einer umfassenden betriebspädagogischen Bibliographie. Aufgabenstelle für kaufmännische Abschluß- und Zwischenprüfungen Leitfaden für die Erstellung der Aufgabenvorschläge für den schriftlichen Teil der kaufmännischen Abschluß- und Zwischenprüfungen, I H K Nürnberg 1974. Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes e.V. Zeitgemäße Ausbildung zum Bankkaufmann in Betrieb und Schule, 1974. Arbeitgeberverbände, Bundesvereinigung der . . . Fortschritt aus Idee und Leistung, Erklärung zu gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen, 1975. Bayer Flechtner, Hans-Joachim Carl Dulsberg. Vom Chemiker zum Wirtschaftsführer, 3. Aufl. 1961. Bayer Pinnow, Hermann Werksgeschichte der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer u. Co., 1938. Bayer Beiträge zur hundertjährigen Firmengeschichte 1863 - 1963, hrsg. vom Vorstand der Bayer AG, 1964.
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zur
Thematik
dieses
Buches
Die gegenwärtige Kultursituation und die Wirtschaftspädagogik, in Gedanken zur Wirtschaftspädagogik, 1962. Betriebliche Bildungspolitik, in Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialpädagogik, 1967. Die Berufsbildung als Mittel zur Gestaltung der personellen Infrastruktur, in Theorie und Praxis der Infrastrukturpolitik, 1970. Wissenschaftliche Berufsbildungspolitik, in Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 7, 1974. Ausbildung der Ausbilder, in Handwörterbuch des Personalwesens, hrsg. von Gaugier, 1975. Die betriebliche Berufsbildung als Selbstverwaltungsangelegenheit der Wirtschaft, in Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 11, 1977.